Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/24/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen wunderschönen guten Morgen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich. Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Ihnen vor Eintritt in unsere Tagesordnung mitteilen, dass sich der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt hat, wegen des gesetzlichen Feiertags am Freitag, dem 1. Mai 2009, an dem wir nichts ändern wollen, die Frist für die Einreichung der Fragen zur mündlichen Beantwortung in der Sitzungswoche vom 4. Mai 2009 auf Donnerstag, den 30. April 2009, 10 Uhr, vorzuziehen. Wegen der verkürzten Sitzungswoche soll die Fragestunde auf eine Stunde verkürzt werden. Außerdem gibt es noch eine nachträgliche Ausschussüberweisung. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Internationalen Übereinkommen vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen auf Drucksache 16/12592 soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden. ({0}) - Nachdem ich gestern ausdrücklich zugesagt habe, dass ich für begründete Auskunftsersuchen immer gerne zur Verfügung stehe, will ich dem gerne folgen, zumal ich die Verblüffung teile, die offenkundig auch im Plenum entstanden ist: Es handelt sich um ein Internationales Übereinkommen vom 20. Dezember 2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. ({1}) - Das ist vor allen Dingen für Oppositionsaktivitäten sicher ein dankbarer Gegenstand, Herr Kollege Westerwelle. ({2}) Jedenfalls scheint es keinen ernsthaften Widerstand gegen die Absicht zu geben, diese bedeutende Vorlage an den genannten Ausschuss zur Mitberatung zu überweisen. - Dann darf ich dazu Einvernehmen feststellen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 10 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen ({3}) - Drucksachen 16/10532, 16/10582 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Birgitt Bender, Volker Beck ({4}), Markus Kurth, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen ({5}) - Drucksache 16/3233 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({6}) - Drucksache 16/12713 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Carola Reimann Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Ulla Schmidt. ({7})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gendiagnostikgesetz hat eine sehr lange Vorgeschichte. Seit mehr als zehn Jahren diskutieren wir hier. Das zeigt, wie schwierig die Debatten waren. Das zeigt aber auch, wie schwierig es ist, eine gesetzliche Regelung zu finRedetext den, mit der wir wirklich allen Bedürfnissen und allen Wünschen gerecht werden; denn es geht um den Schutz des Persönlichkeitsrechts eines jeden einzelnen Menschen. Ich bin mir darüber bewusst, dass das Gesetz, das wir heute verabschieden, noch immer nicht jedem einzelnen Wunsch gerecht wird. Es werden aber erstmals Regelungen für die Untersuchung genetischer Eigenschaften und für den Umgang mit den Ergebnissen dieser Untersuchung getroffen. Das ist wichtig, weil es sich um Untersuchungen handelt, mit denen für die Gesundheit bedeutsame genetische Eigenschaften festgestellt werden können. Zum Beispiel kann ermittelt werden, ob jemand die Disposition hat, an Mukoviszidose zu erkranken, oder ob jemand genetisch vorbelastet ist und daher dem Risiko ausgesetzt ist, an Brustkrebs zu erkranken. Es sind aber auch Erkrankungen durch Chromosomenstörungen wie das Downsyndrom zu nennen. Dies allein zeigt, wie wichtig und wie sensibel jede gesetzliche Regelung ist. Erkenntnisse aus solchen Untersuchungen können das Leben der Menschen nämlich ganz massiv beeinträchtigen. Sie können Eltern vor ganz schwierige Entscheidungen stellen. Wir wollen mit dem Gesetz verhindern, dass diese sensiblen genetischen Daten missbraucht werden und dass Menschen aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften diskriminiert werden. Diese Gefahr ist bis heute gegeben, weil entsprechende Regelungen fehlen. Experten gehen davon aus, dass auch in Zukunft weitere Erkrankungen mittels genetischer Tests erkannt werden können. Das Gesetz schafft deshalb einen Rahmen und legt hohe Anforderungen fest. Weil es um die Besonderheit genetischer Daten geht, müssen wir Regelungen darüber treffen, wie das Recht des Einzelnen auf Wissen, aber auch das Recht des Einzelnen auf Nichtwissen gesetzlich verankert wird. Das Recht auf Nichtwissen bedeutet, dass niemand gegen seinen Willen von seinen genetischen Eigenschaften erfährt und dass dadurch seine Lebensqualität möglicherweise beeinträchtigt wird. Bei dem Recht auf Nichtwissen geht es nicht nur darum, dieses Recht vor einer genetischen Untersuchung wahrnehmen zu können, sondern auch darum, sich nach Durchführung einer genetischen Untersuchung entscheiden zu können, ob man die Untersuchungsergebnisse nicht wissen und eine Einwilligung widerrufen will, und damit auch klar ist, dass die jeweiligen Proben vernichtet werden müssen. Zum Schutz der Patientinnen und Patienten, um die es im Gesundheitsbereich geht, haben wir für diese Untersuchungen einen ganz strikten Arztvorbehalt festgeschrieben. Genetische Untersuchungen dürfen nur von dazu qualifizierten Frauen und Männern durchgeführt werden. Ganz besonders wichtig ist, dass vor einer genetischen Untersuchung sowohl eine umfassende Information als auch eine umfassende Beratung stattfinden, und zwar auch darüber, welche Erkenntnisse gefunden werden können, darüber, welche Aussagequalität diese Erkenntnisse haben, und darüber, ob der Mensch durch eigenes Verhalten etwas ändern kann, wenn er die Untersuchungsergebnisse kennt. Wir wollen, dass den Patienten bei genetischen diagnostischen Untersuchungen eine Beratung angeboten wird und dass bei allen pränatalen genetischen Untersuchungen eine Beratung verpflichtend ist. Wir halten diese Informations- und Beratungspflicht für eine Voraussetzung dafür, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung überhaupt erst wahrgenommen werden kann. Nur derjenige, der weiß, was eine bestimmte Untersuchung für ihn selber bedeuten kann, nur derjenige, der weiß, dass er mit den Untersuchungsergebnissen in seinem Leben eventuell überhaupt nichts ändern kann, nur derjenige, der weiß, dass viele dieser Untersuchungen überhaupt keine Auskunft darüber geben, ob ein Fall tatsächlich eintritt, ist in der Lage, zu entscheiden, ob er eine solche Untersuchung durchführen lassen will oder nicht. Das Gesetz legt auch erstmals strenge Anforderungen für pränatale genetische Untersuchungen fest. Nach langen Diskussionen ist ein Verbot von pränatalen genetischen Untersuchungen eingeführt worden, die sich auf spätmanifestierende Krankheiten beziehen. Dem ging ein über viele Monate schwelender Streit voraus. Ich glaube, dass wir mit dem gefundenen Kompromiss sehr gut leben können. Denn dem Recht der Eltern auf Wissen steht das Recht eines ungeborenen Kindes auf Nichtwissen gegenüber. Dies wird im Gesetz verankert. Die Frage, wie ein Leben verlaufen würde - je nachdem, welche Erkenntnisse über Erkrankungen vorliegen, auch wenn sie vielleicht nicht eintreten -, rechtfertigt es, das Recht der Eltern auf Wissen einzuschränken, weil es auch ein Recht auf Nichtwissen gibt. Ich weiß, dass sich daraus Probleme ergeben können und dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber ich bin der Ansicht, dass wir einen Kompromiss gefunden haben, mit dem der Deutsche Bundestag gut leben kann. Wir werden sehen, welche Auswirkungen sich in der Praxis ergeben. Dieser Kompromiss hat jedenfalls eine Mehrheit gefunden. Ich möchte noch auf drei Regelungen eingehen, die genetische Untersuchungen betreffen. Die erste betrifft die Feststellung der Abstammung eines Kindes. Es wird eindeutig geregelt, dass genetische Untersuchungen nur dann zulässig sind, wenn die Personen, von denen eine genetische Probe untersucht werden soll, in die Untersuchung eingewilligt haben. Das ist ein klares Verbot der heimlichen Abstammungsuntersuchung. ({0}) Zweitens wird klar geregelt, dass genetische Untersuchungen auf Verlangen des Arbeitgebers grundsätzlich verboten sind. ({1}) Der Arbeitgeber darf Ergebnisse einer genetischen Untersuchung weder erfragen noch entgegennehmen oder gar verwenden. Ich halte das für eine sehr wichtige Regelung zum Schutz der Arbeitnehmer und ArbeitnehmeBundesministerin Ulla Schmidt rinnen. Auch hier wird eindeutig festgelegt, dass sich das Recht auf Wissen auf die betreffende Person beschränkt und dass niemand das Recht auf Wissen über die genetische Disposition eines anderen hat. Bisherige Vorsorgeuntersuchungen auf freiwilliger Basis zum Schutz der Beschäftigten werden aber auch weiterhin möglich sein, und zwar dann, wenn bestimmte genetisch bedingte Krankheitsrisiken bei Beschäftigten in hochsensiblen Bereichen der chemischen Industrie gegeben sind, wenn zum Beispiel eine Staubexposition zu schweren Erkrankungen führen könnte. Das dient dem Arbeitsschutz, also dem Schutz der Beschäftigten. Diese Untersuchungen sind wie bisher nur auf freiwilliger Basis möglich. Die dritte Regelung betrifft die Versicherungsunternehmen. Versicherungsunternehmen dürfen grundsätzlich keine genetischen Daten verlangen. Sie dürfen vor Abschluss eines Versicherungsvertrages weder die Durchführung einer genetischen Untersuchung noch Auskünfte über bereits durchgeführte Untersuchungen verlangen, und sie dürfen entsprechende Daten nicht verwerten. Das Verbot, Auskünfte über genetische Erkenntnisse zu verlangen, gilt auch nach Abschluss eines Versicherungsvertrags. Denn sonst könnte Versicherten der Anreiz geboten werden, durch entsprechende Auskünfte zu einer Prämienreduktion zu kommen. In allen drei Bereichen sind Verbote genetischer Untersuchungen vorgesehen. Allerdings ist nach langen Debatten, in denen klar war, dass Daten über Vorerkrankungen, die bei einem Versicherungsabschluss bereits jetzt angegeben werden müssen, auch weiterhin anzugeben sind, ein weiterer Kompromiss gefunden worden: Wenn jemand eine genetische Untersuchung durchgeführt hat und zum Beispiel Erkenntnisse über die Disposition vorliegen, an Chorea Huntington zu erkranken, dann muss er, wenn er einen besonders hohen Versicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von über 300 000 Euro abschließt, diese Erkenntnisse angeben. Aber er darf nicht, um einen Vertrag mit einer solchen Versicherungssumme abzuschließen, zu einer genetischen Untersuchung herangezogen werden; das darf von ihm nicht verlangt werden. Nach langen Diskussionen ist es gelungen, Missbrauch in diesem Bereich auszuschließen. Es handelt sich um ein schwieriges Gesetz. Aber ich bin sehr froh, dass wir das Ganze, nachdem wir darüber über drei Legislaturperioden diskutiert haben, heute zu einem Abschluss bringen. Es geht hier nicht um Daten und Informationen gewohnter Art. Es geht um sehr persönliche Daten. Es geht um Daten, die alles umfassen, was uns als Menschen ausmacht. Es geht aber auch um Daten, die nicht nur den Einzelnen, sondern auch seine Familie betreffen. Hier bedürfen Eingriffe, Wissen und Testergebnisse besonderer Legitimation. Ich bin davon überzeugt: Das Gesetz trägt dem Rechnung. Deutschland ist damit in dieser Frage einen ganz entscheidenden Schritt weitergekommen. Danke schön. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beratungen über den Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes haben die große Spanne der Erwartungen widergespiegelt, die das Wort „Gentechnik“ bei den Menschen auslöst. Es gibt die Furcht vor dem gläsernen Menschen ebenso wie die große Hoffnung, den Schlüssel zur Heilung vieler und schwerster Krankheiten entdeckt zu haben. In der Diskussion über Chancen und Risiken des medizinischen Fortschritts sind Augenmaß und eine ruhige Betrachtung angesagt. Deswegen möchte ich zunächst einige Grundsätze aufführen, die für die FDP-Fraktion von großer Bedeutung sind. Genetische Informationen sind in der Tat mit allergrößter Sorgfalt zu behandeln, schon deshalb, weil sie dauerhaft Gültigkeit haben und sich daraus sogar Aussagen über andere Personen - wegen der Abstammung ableiten lassen. Sie haben oft auch gravierende Auswirkungen auf die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen. Eine umfassende Aufklärung der Betroffenen ist sicherlich unerlässlich. Durch qualifizierte Beratung ist sicherzustellen, dass Menschen nicht unvorbereitet mit den Ergebnissen gendiagnostischer Untersuchungen konfrontiert oder mit ihnen allein gelassen werden. Es gilt zudem, effektiv zu vermeiden, dass sozialer oder anderweitiger Druck auf Personen ausgeübt wird, gendiagnostische Untersuchungen an sich selbst oder an ihren Kindern vornehmen zu lassen. Ebenso selbstverständlich ist es, dass es keine Benachteiligung aufgrund genetischer Eigenschaften geben darf und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben muss. Weil es angesichts dieser Voraussetzungen grundsätzlich richtig ist, einen gesetzlichen Rahmen für genetische Untersuchungen zu schaffen - endlich! -, und der Gesetzentwurf den genannten Anforderungen gerecht zu werden versucht, tragen wir seine Ziele vom Grundsatz her selbstverständlich mit. Allerdings - auch das gehört zu dieser Debatte - hat die Befassung mit diesem Thema gezeigt, dass sich die Koalitionsfraktionen oder zumindest sehr viele ihrer Abgeordneten aus manchen grundsätzlichen Vorbehalten und Ängsten nicht haben lösen können und deshalb der Gefahr erlegen sind, auch dort Regelungen zu treffen, wo dies nicht nur nicht nötig, sondern wohl auch nicht sinnvoll ist. Im Gesetzentwurf wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass allen genetischen Untersuchungen und deren Ergebnissen sozusagen eine Sonderstellung zugewiesen wird. Es ist aber zu beachten, dass diagnostische Gentests genauso wie jedes andere diagnostische Verfahren zunächst einmal lediglich Auskunft über eine aktuelle Diagnose oder/und Informationen über eine bessere Behandlung geben. Dagegen ermöglichen prädiktive Gentests, mit denen man sozusagen versucht, in die Zukunft zu schauen, Aussagen darüber, ob ein Mensch ein - mathematisch oft schwierig zu bezifferndes - Risiko in sich trägt, in Zukunft Symptome einer genetisch bedingten Krankheit zu entwickeln. Deshalb ist es meines Erachtens nicht richtig, dass alle Gentests - unabhängig davon, ob diagnostisch oder präventiv - in fast allen Fällen gleich behandelt werden. ({0}) Im Ergebnis führt dies nämlich zur Erschwerung zielgenauer medizinischer Behandlung, und es führt auch zu Wertungswidersprüchen. Sie müssen auch erkennen, dass es eine weitere Folge dieses Grundfehlers ist, dass sinnvolle Untersuchungen durch die getroffenen Regelungen so stark reglementiert werden, dass sie am Ende weniger häufig durchgeführt werden; jedenfalls besteht die große Gefahr. Bedenken Sie das Neugeborenen-Screening, das von allen Beteiligten als äußerst wertvoll im Hinblick auf die Feststellung bestimmter Stoffwechselerkrankungen angesehen wird. Es wird routinemäßig eingesetzt, und zwar ohne Probleme. Es hat daher keinen Sinn, zu aufwendige Beratungsverfahren auch auf diesen Bereich zu übertragen. Die Tandem-Massenspektrometrie sollte deshalb nicht in das Gesetz einbezogen werden. Bei ihr werden nur phänotypische Stoffwechselprodukte gemessen, und es hat in dieser Hinsicht bisher keinerlei Probleme gegeben. Selbst in der Begründung des Gesetzentwurfs ist von Missbrauchspotenzial keine Rede. Wir sind auch trotz Ihrer Beteuerungen der Auffassung, dass durch das Gesetz die Arbeit der Hebammen eher erschwert wird. Dass das vorliegende Gesetz auch neue Probleme schafft, zeigt sich zum Beispiel an § 18. Frau Ministerin, Sie haben im Prinzip richtig dargestellt, wie die Regelung jetzt aussieht. Sie haben am Ende auch aufgezeigt, dass eine Regelungslücke bleibt. Sie selbst haben darauf hingewiesen: Es ist - auch rechtlich - richtig, dass ein Versicherungsnehmer, der zum Beispiel eine Lebensversicherung abschließt, die Pflicht hat, dass er das, was er weiß, offenbart, und zwar völlig unabhängig von der Methode, durch die dieses Wissen irgendwann einmal erworben worden ist. Auch wir haben versucht, eine Lösung zu finden. Ihr Vorschlag, bei einer Versicherungssumme von 300 000 Euro eine Grenze zu ziehen, löst jedenfalls den Wertungswiderspruch nicht auf. Man muss sehen, wohin dies in der Praxis führt. In Wirklichkeit steckt dahinter das Problem, dass Sie das Recht auf Wissen einerseits und das Recht auf Nichtwissen andererseits natürlich nicht in allen Fällen so zusammenführen können, dass es befriedigende Lösungen gibt. „Befriedigend“ heißt nicht etwa befriedigend im Sinne der Versicherungswirtschaft. Ihr macht das am Ende wohl nichts aus. Die von Ihnen geplante Regelung geht auf Kosten der anderen Versicherten, die beim Abschluss wahrheitsgemäß angeben, was sie wissen, und dadurch benachteiligt werden; denn diejenigen, die mit einer geringeren Versicherungssumme als 300 000 Euro abschließen und ihre entsprechenden Daten kennen, diese aber nicht angeben, haben tendenziell einen Vorteil. Diejenigen, die ihr Wissen treu und brav mitteilen, zahlen also im Prinzip für diejenigen mit, die keine Angaben machen. Sie erlauben ihnen das bis zu einer gewissen Grenze. Das wird sich in der Praxis noch als Problem erweisen. ({1}) Sie haben es im Übrigen auch nicht geschafft, zu klären, ob man durch Stückelung im Endergebnis über die Gesamtsumme hinauskommen kann oder nicht. Das geht aus dem Gesetz nicht eindeutig hervor, obwohl eine solche Klärung sinnvoll gewesen wäre. Ich weise auch auf das Problem hin, das sich aus § 17 Abs. 8 dieses Gesetzes ergibt. Diese Vorschrift regelt in Verfahren der Auslandsvertretungen und Ausländerbehörden zum Familiennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz die Klärung der Abstammung durch genetische Untersuchungen. Das ist durch die Problematik hervorgerufen, dass man manchen Urkunden offensichtlich nicht traut. Tatsächlich haben Sie in dem Bereich des Familiennachzugs das Recht, das Sie sonst jedem Einzelnen selbstverständlich zugestehen - nämlich dass man sein Einverständnis braucht -, ganz locker außer Kraft gesetzt. Das ist auf großen Widerstand im Hause gestoßen. Aber die Koalition will das mit ihrer Mehrheit durchsetzen. Wir sind der Sache schon früher im Rahmen einer Kleinen Anfrage nachgegangen. Die Bundesregierung hält sich da sehr zurück, offensichtlich um sich das Leben leicht zu machen. Die Bundesregierung selber geht mit den gewonnenen Daten hingegen sehr großzügig um und verwendet die gesamten Ergebnisse und Proben, was auf anderen Gebieten, die dieses Gesetz umfasst, völlig undenkbar wäre. ({2}) Ich will zum Schluss ein Wort zu der großen Problematik des § 15 Abs. 2 dieses Gesetzes sagen. Sie sagen, das Recht auf Nichtwissen des Kindes habe Vorrang und deswegen sei das ansonsten bestehende Recht der Eltern auf Wissen auszuschließen. Sie kommen um die Auflösung des Wertungswiderspruchs nicht herum; denn Sie wissen genau: Bei den Tests, bei denen es zum Beispiel darum geht, zu klären, welche Behinderung vorliegt, existiert das Recht der Eltern auf Wissen. Sie können nicht ausschließen, dass Eltern daraus Konsequenzen ziehen, die einem nicht immer lieb sein können. Ich weiß um die gute Absicht. Ich weiß natürlich auch, warum die Unionsfraktion dieses Thema so behandelt hat, und ich habe dafür volles Verständnis. Sie nehmen hier eine künstliche Unterscheidung vor, indem Sie sagen: Bei ganz wenigen Krankheiten, die, wenn überhaupt, dann sehr spät auftreten, verhindern wir das; wir nehmen den Eltern an dieser Stelle ihr Recht. Die normale Bestimmung nach § 15 Abs. 1 dieses Gesetzes - dass solche Tests nach entsprechender Aufklärung, dann natürlich mit Einwilligung der Mutter, gemacht werden können - schließen Sie hier in einem ganz speziellen Falle aus. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Ich weiß nicht, ob das nicht ein bisschen Symbolpolitik ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, eine ganz unsymbolische Aufforderung von mir.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort zum Schluss. Ich möchte nur noch den Gedanken zu Ende bringen. Wenn Sie wirklich glauben, mit dieser Formulierung im Gesetzestext sicherstellen zu können, dass solche Tests nur zu diesem Zweck angefertigt werden, dann könnten Sie recht behalten. Ich bin aber nicht sicher, ob diese Unterscheidung in der Praxis Bestand haben wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Annette Widmann-Mauz ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes ist geprägt von einem Grundwert der Union, nämlich von Freiheit. Sie findet ihren Ausdruck in der Verantwortung vor dem Leben und für das Leben. Mit diesem Gesetz sorgen wir für eine hohe Qualität und Sicherheit bei der Durchführung von genetischen Tests. Dieses Gesetz schützt vor Diskriminierung aufgrund von genetischen Dispositionen. Genetische Tests sollen und dürfen nur vom Arzt und nur nach vorheriger Einwilligung durchgeführt werden. Heute bringt die Politik endlich Regelungen für genetische Untersuchungen von Menschen auf den Weg. Wir haben lange und auch konstruktive Beratungen in der Koalition, im Ausschuss mit vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Experten geführt, und wir haben ein in der Breite akzeptiertes Gesetz erarbeitet. Das hat die Vorgängerregierung in sieben Jahren nicht geschafft. ({0}) Dieses Gesetz umfasst eine sehr große Bandbreite an Untersuchungen. Sie reicht von Vaterschaftstests über Tests in der Arbeitswelt, die dort etablierte Diagnoseverfahren betreffen, über Ultraschalluntersuchungen bei Schwangeren auf mögliche Fehlbildungen beim ungeborenen Kind bis hin zu Gentests, die Wahrscheinlichkeitsaussagen zu einer vielleicht später einmal auftretenden bestimmten Erkrankung zulassen. Diese neuen und immer vielfältigeren Erkenntnisse, die durch die Gendiagnostik gewonnen werden können, bedeuten für uns eine große medizinische und ethische Verantwortung. Dieser Verantwortung müssen wir mit diesem Gesetz gerecht werden. Das Neue an der Gendiagnostik ist, dass nicht nur vorhandene Erkrankungen, sondern auch Veranlagungen und Wahrscheinlichkeiten, bestimmte Erkrankungen zu bekommen, untersucht und festgestellt werden können. Es geht hier nicht immer nur um Tatsachen, sondern auch um Wahrscheinlichkeiten. Deshalb müssen wir hier mit besonderem Bedacht vorgehen. Wenn wir es mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen ernst meinen, müssen wir den Menschen für den Bereich der Gendiagnostik ein besonders hohes Schutzniveau zukommen lassen. Die Grundlage unseres Handelns war und ist das christliche Menschenbild; denn wir tragen Verantwortung dafür, ob der Mensch auch künftig in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und gesellschaftlich akzeptiert wird. Die Gendiagnostik konfrontiert uns in ganz besonderem Maße mit der Frage: Was ist normal? Unser Verständnis vom Menschen ist, dass als normal die ganze Vielfalt und auch die Unzulänglichkeit angesehen werden, die das Menschsein nun einmal ausmachen. Wir wollen nicht, dass immer mehr nur noch als Abweichung von der Norm angesehen wird; denn den perfekten, den normierten Menschen aus dem Genkatalog gibt es nicht und den darf es auch in Zukunft nicht geben. Wir wollen Menschen nicht zu bloßen Risikofaktoren degradieren. ({1}) Die Gendiagnostik bietet aber auch große Chancen, aus den Erkenntnissen Therapien und Behandlungsansätze zu entwickeln und damit dazu beizutragen, zu helfen und Leid zu mindern. Die Kernfrage ist, wie wir mit dem Wissen um Diagnosen von Krankheiten, für die noch nicht einmal Therapien zur Verfügung stehen, umgehen. Wir müssen diejenigen, die vor der Frage stehen, ob ihnen eine solche Untersuchung nützt oder nicht, unterstützen, nämlich durch qualifizierte Information, Aufklärung und Beratung. Wir wollen, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, sich für andere und für sich selbst ganz bewusst in diesen Entscheidungsprozess zu begeben und die Konsequenzen der Entscheidung abzuschätzen. Auch dies gehört zu unserem Menschenbild. Es geht um die Freiheit zum Handeln, aber eben auch um die Verantwortung im Handeln, also darum, mit dieser Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen. Deshalb setzt das Gesetz den Rahmen, in dem ein solches verantwortungsbewusstes Handeln von allen Beteiligten möglich ist. Deshalb steht für die Durchführung von Tests ein Arztvorbehalt in diesem Gesetz. Das ist ein Kernelement. Wir wollen mit dem Gesetz den Betroffenen einen hohen Schutz bei der zu treffenden Entscheidung bieten. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir in diesem Gesetz auf der einen Seite das Recht auf Wissen, aber auf der anderen Seite auch das Recht auf Nichtwissen etablieren. ({2}) Neben der Information und der Aufklärung halten wir für diesen Schutz ein umfassendes Beratungskonzept für erforderlich. Wir etablieren als wesentlichen Kern ein abgestuftes Konzept mit verpflichtenden Angeboten. Die Beratung ist deshalb so wichtig, weil sie den Einzelnen unterstützt. Was kann er durch solche Tests erfahren? Er kann erfahren, dass er eine schwere Erkrankung hat oder später an dieser Erkrankung leiden kann. Für den Bereich der vorgeburtlichen Untersuchung bedeutet das, dass die Eltern erfahren, ob ihr Kind behindert sein wird oder nur behindert sein kann. Mit solchen Erkenntnissen müssen Menschen erst umgehen können; denn sie können ihr gesamtes Leben und das der Familie beeinflussen. Es geht um die familiäre Anlage zu Brustkrebs, Trisomie 21, Chorea Huntington, was vielen als Veitstanz bekannt ist. Wir brauchen eine umfassende Beratung; denn die wenigsten dieser Erkrankungen sind heilbar, und die Menschen gehen mit den Ergebnissen sehr unterschiedlich um. Für die einen ist diese Erkenntnis, also das Wissen, die Möglichkeit, ihr Leben daraufhin anders zu gestalten. Für die anderen ist das Wissen eine unerträgliche Last - eine Last, mit der sie nicht zurechtkommen. Sie können das Wissen nicht verkraften und mit den Folgen nicht umgehen. Deshalb enthält unser Beratungskonzept auch konkrete Hinweise auf Hilfen und Unterstützung. Das ist wichtig für die Menschen, die sich in diesen schwierigen Situationen befinden. Das Recht auf Wissen und auf Nichtwissen ist eines der zentralen Elemente dieses Gesetzes und für den Bereich der vorgeburtlichen Tests nochmals differenziert zu betrachten; denn hier geht es um das Leben von mindestens zwei Menschen: das Leben des ungeborenen Kindes und das Leben der Eltern. Wir wollen den umfassenden Schutz des ungeborenen Lebens. Gott sei Dank empfinden die meisten Paare die Schwangerschaft und die Geburt als ein positives, glückliches Ereignis. Deshalb darf nicht jede Schwangerschaft zu einer Risikoschwangerschaft und nicht jede Risikoschwangerschaft gleich zu einer Konfliktschwangerschaft erklärt werden. Die Entwicklung der vorgeburtlichen Diagnostik hat allerdings nicht immer zu einem positiven Erlebnis für die Paare beigetragen. Es macht schon betroffen, wenn solche weitreichenden Untersuchungen nur aus haftungsrechtlichen Gründen oder deshalb, weil sie besonders gut vergütet werden, routinemäßig fast jeder Schwangeren angeboten und häufig auch ohne vorherige Beratung durchgeführt werden. Dazu sind die Konsequenzen in diesem Bereich doch viel zu weitreichend. Deshalb sind für den Bereich der vorgeburtlichen Diagnostik die medizinische und die ethische Verantwortung so besonders groß. Schwangere haben einen Anspruch auf Beratung. Es gibt jetzt die besondere Verpflichtung des Untersuchers zu dieser Beratung. Im Rahmen des anerkannten Rechts auf Wissen und auf Nichtwissen ermöglichen wir nur auf ausdrücklichen Wunsch hin einen Beratungsverzicht. Der Umgang mit vorgeburtlicher Diagnostik bei Tests auf sich spät manifestierende Erkrankungen ist besonders schwierig; wir haben darüber heute Vormittag schon einiges gehört. Es handelt sich dabei um Erkrankungen, die nach dem Erkenntnisstand der Wissenschaft erst im Erwachsenenalter auftreten werden. Hier kollidiert das Recht auf Wissen der Eltern mit dem Recht des ungeborenen Menschen auf Nichtwissen. Dort haben wir eine ganz besondere Verantwortung. Wenn wir wollen, dass Tests zum Beispiel bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen, also bei behinderten Menschen, nur mit eindeutigem medizinischen Nutzen für das Kind oder die Familie durchgeführt werden dürfen, muss das Kind im Mutterleib doch das gleiche Schutzniveau haben. ({3}) Es ist nämlich auch nicht einwilligungsfähig, und ein medizinischer Nutzen ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht gegeben. In erster Linie geht es doch um sein Leben. Dieser Mensch muss erst einmal die Chance erhalten, selbst darüber zu entscheiden, ob er dieses Wissen haben will oder nicht. Deshalb handelt es sich beim Verbot dieser vorgeburtlichen Tests nicht um eine Pflicht zum Nichtwissen der Eltern. Vielmehr legen wir die Entscheidung über Wissen oder Nichtwissen in die Hände der Person, die in erster Linie davon betroffen sein wird. ({4}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Laufe der Beratungen haben wir auch festgestellt, dass es bei der Anwendung genetischer Diagnostik in der Forschung weitergehenden Diskussionsbedarf gibt. Auch die rasante Entwicklung bei den Biobanken zeigt, dass wir uns mit den Fragen des Datenschutzes und des Umgangs mit entsprechendem Biomaterial eingehender beschäftigen müssen. Die Frage nach der Aufnahme eines eigenen Forschungsteils in das Gendiagnostikgesetz ist lange diskutiert worden. Sie ist aber auch klar zu beantworten. Hier handelt es sich um einen äußerst komplexen separaten Bereich. Das Ganze ist ein weitaus größeres Feld. Deshalb muss sorgfältig geprüft werden, an welchen Stellen wir erlauben, dass in der Forschung Privilegien in Anspruch genommen werden, die nun einmal in Relation zu Rechten der Probanden und der Patienten stehen. Auch wir sehen Handlungsbedarf für die nächste Legislaturperiode. Wir wollen aber kein Hauruckverfahren für diesen hochsensiblen Bereich. Auch hier gilt Sorgfalt vor Schnelligkeit. Lassen Sie mich zum Ende allen Beteiligten - den Kolleginnen und Kollegen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Fraktion, in der Koalition, im Bundesgesundheitsministerium und hier im Parlament sehr herzlich für die schwierigen, aber konstruktiven und am Ende erfolgreichen Gespräche und Beratungen danken. Wir haben heute einen wichtigen Schritt für die Menschen in unserem Land beim Umgang mit gendiagnostischen Verfahren zu beschließen. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung geben könnten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Frank Spieth für die Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat gut, dass dieses Gesetz jetzt nach langen, schweren Wehen endlich kommt und der Umgang mit genetischen Untersuchungen geregelt wird. Gegenwärtig kann man zwar noch relativ wenige Krankheiten und Veranlagungen zu Krankheiten mit einem Gentest feststellen. In Zukunft wird es aber mit Sicherheit Tausende von Testmöglichkeiten geben, die dann auch immer häufiger angewandt werden. Als langjähriger Gewerkschaftssekretär, der mit Krankheitsfällen in Betrieben Erfahrungen gesammelt hat, weise ich darauf hin, dass diese Informationen für Versicherungen, Arbeitgeber und andere von hohem Interesse sind. ({0}) Sie können nämlich Auskunft über Lebenserwartung und Gesundheit der Versicherten und Arbeitnehmer geben. Genau darin liegt aber auch die Missbrauchsgefahr. Menschen mit den „falschen“ genetischen Veranlagungen würden dann keine Versicherung und keinen Arbeitsplatz mehr bekommen. Eigentlich - das haben wir schon gehört - soll mit diesem Gesetz der Missbrauch von Daten unterbunden werden. Diese Intention ist auch allen Beteiligten abzunehmen. Ich finde es schade - darauf wurde hingewiesen -, dass dieses Gesetz dennoch wieder Ausnahmeregelungen enthält. Stellen Sie sich zum Beispiel folgende Situation vor: Sie wollen eine private Krankenversicherung abschließen und gehen zu einem Versicherungsvertreter, bei dem Sie schon eine Lebensversicherung abgeschlossen haben. Plötzlich stellen Sie fest, dass Sie horrende Beiträge zahlen sollen. Wie kommt es dazu? Die Versicherung kannte selbstverständlich das Ergebnis eines Gentests von Ihnen. Eigentlich soll genau das durch das Gesetz verhindert werden. Aber es gibt die Ausnahmeregelung: Sobald in einem Vertrag über eine Lebensversicherung eine Versicherungssumme von 300 000 Euro oder 30 000 Euro Jahresrente überschritten wird, darf die Versicherung Ergebnisse von Gentests erfahren. Die Linke sagt Nein zu diesen Ausnahmen. ({1}) Gentests können zwar nur beim Abschluss von Lebensversicherungen und nicht beim Abschluss von privaten Krankenversicherungen verlangt werden. Wer aber glaubt, dass zwischen der Abteilung Lebensversicherung und der Abteilung Krankenversicherung desselben Unternehmens kein Informationsaustausch stattfindet, der ist mit dem Klammerbeutel gepudert. ({2}) Fest steht: Wenn eine Krankheit einmal bekannt ist, wird man Schwierigkeiten haben, eine adäquate Versicherung oder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Der Missbrauch erreicht selbstverständlich auch die Verwandten. Wenn bei einer Untersuchung von Herrn Meier eine Krankheit festgestellt wird, weiß die Versicherung sofort, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Herrn Meiers Schwester, sein Sohn und seine Mutter betroffen sind. Das schlägt sich bei diesen dann in Form von Schwierigkeiten bei Vertragsabschlüssen nieder, oder die Versicherung lehnt die Verträge gleich ganz ab. Ein weiteres Schlupfloch ist für Arbeitgeber vorgesehen - die Bundesregierung hat dieses Schlupfloch im Gesetz mit dem Arbeitsschutz begründet -: Bevor jemand in einem bestimmten Bereich eingestellt wird, in dem er mit problematischen chemischen Stoffen zu tun hat, kann der Arbeitgeber eine Genanalyse als Arbeitsschutzmaßnahme verlangen. Per Rechtsverordnung kann diese Möglichkeit sogar auf viele Berufsfelder ausgeweitet werden, sodass auch in diesen Bereichen Gentests bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gemacht werden dürfen. Das finde ich absurd. Hier wird der Arbeitsschutzgedanke geradezu auf den Kopf gestellt. Der Arbeitsschutz ist doch nicht dafür da, zu untersuchen, welcher Arbeitnehmer welche Giftstoffe am besten verträgt, damit er entsprechend eingestellt werden kann. ({3}) Der Arbeitsschutz soll eigentlich sicherstellen, dass Arbeitnehmer erst gar nicht mit solchen Stoffen in Berührung kommen. ({4}) - Ich kann Ihnen eine Menge Beispiele nennen. Ich weiß nicht, in Bezug auf welche Betriebe Sie sich mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben. Ich sage Ihnen: Solche Probleme werden in der Zukunft massenhaft entstehen. Ich meine, der Arbeitsschutz hat vorrangig die Aufgabe, alles zu tun, um zu gewährleisten, dass die Produktion von Giftstoffen befreit wird, bzw. technische Maßnahmen einzuführen, um die betroffenen Arbeitnehmer zu schützen. ({5}) Aber genau das wird durch die vorgesehenen Maßnahmen nicht erreicht. ({6}) Der technische Fortschritt wird dazu führen, dass immer mehr genetische Veranlagungen untersucht werden können. Deshalb ist es wichtig, keine Schlupflöcher zuzulassen. So klein sie zunächst erscheinen mögen, innerhalb weniger Jahre werden sämtliche genetischen Veranlagungen nahezu aller Menschen bekannt sein. ({7}) Die Versicherungen und die Arbeitgeber müssen dazu nur die jeweils bekannten Krankheiten und genetischen Besonderheiten sowie die Verwandtschaftsverhältnisse kombinieren. Dann haben wir endgültig den gläsernen Menschen. Das mag zwar lang dauern, aber am Ende wird dies genau diesen Effekt haben. Das ist das Problem. ({8}) Das wird auch von vielen Sozialdemokraten so gesehen. Insbesondere eine Regelung in Ihrem Gesetzentwurf wird von der Linken kategorisch abgelehnt, und zwar die diskriminierende Regelung bezüglich der in Deutschland lebenden Ausländer, die ihre Familie nach Deutschland holen wollen. Diese sollen zukünftig, wenn sie ihr Recht auf Familiennachzug geltend machen wollen, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht mit einem Gentest die Verwandtschaft zu ihren Angehörigen beweisen. Im Ausschuss hat die Koalition diese Regelung damit gerechtfertigt, dass diese Verfahren nur angewandt werden, wenn keine oder unzuverlässige Papiere vorliegen. Ich frage: Wer entscheidet darüber, ob die Papiere in Ordnung sind? Wer entscheidet, ob ein Gentest gefordert wird? Die Ausländerbehörde. Man muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass dieser angeblich freiwillige Test dann sehr schnell zum Regelfall wird. Der Behördenwillkür ist damit Tür und Tor geöffnet. Das ist ein starkes Stück. ({9}) Heimliche Vaterschaftstests werden, was zu begrüßen ist, per Gesetz verboten, aber staatlich erzwungene Vaterschaftstests bei Migranten werden quasi regelrecht gefordert. Das ist aus meiner Sicht eine doppelte Moral und nach unserer Auffassung sogar verfassungswidrig. ({10}) In diesem Gesetzentwurf wird der Bereich der medizinischen Forschung überhaupt nicht geregelt. Dies ist ein riesiges Einfallstor für Missbrauch. Das wird nicht nur von uns kritisiert, das sagen auch der Bundesrat und zahlreiche Koalitionsabgeordnete. Es gibt von immer mehr Menschen genetische Proben in immer mehr Labors. Diese Daten werden zunehmend elektronisch vernetzt. Deshalb wäre in diesem Gesetzentwurf eine eindeutige Regelung zu diesem Forschungsbereich erforderlich gewesen. Darauf konnten Sie sich leider nicht verständigen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf im Grundsatz. ({11}) Aber die Ausnahmeregelungen gehen uns eindeutig zu weit. ({12}) Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns enthalten. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Gesetzentwurf ist schon vor zweieinhalb Jahren in den Bundestag eingebracht worden. Nur deshalb hat sich die Koalition in dieser Wahlperiode bei diesem Thema auf den Weg gemacht. Unser Gesetzentwurf ist trotz aller Beratungen, die Sie getätigt haben, immer noch der bessere. Ich will Ihnen das an einzelnen Kritikpunkten und Unterscheidungen deutlich machen. Zum Ersten ist Ihr Vorschlag Stückwerk, da die Forschung völlig außen vor bleibt. ({0}) Frau Widmann-Mauz, wir brauchen keine langen und schwierigen Beratungen. Vielmehr brauchen wir Entscheidungen. ({1}) Zum Zweiten. Die Bundesregierung und mit ihr die Koalition sind vor der Versicherungswirtschaft eingeknickt. Die Regelungen bieten nur eine scheinbare Sicherheit für die Versicherten; denn die Versicherungssummen, ab denen der Schutz nicht mehr greift, sind ein Einfallstor für Forderungen nach einem weiteren Abbau dieser Schutzrechte. ({2}) Ich war erstaunt, als ich eben gehört habe, dass die Vielfalt und Freiheit des Einzelnen bei der CDU/CSU viel gilt, das christliche Menschenbild aber anscheinend bei 300 000 Euro aufhört. Dies ist mir nicht ganz klar. ({3}) Zum Dritten. Auch die Regelungen für die Arbeitswelt sind lückenhaft. Die größte Lücke klafft bei den Landesbeamtinnen und Landesbeamten. Diese werden nämlich von dem im Gendiagnostikgesetz vorgesehenen Schutz völlig ausgeschlossen. Das ist insofern besonders pikant, als der Fall der hessischen Lehrerin, die sich geweigert hat, einen Gentest bezüglich Chorea Huntington durchführen zu lassen, der Auslöser für die öffentliche Debatte darüber war, dass wir ein solches Gesetz brauchen. ({4}) Zum Vierten. Bei den Regelungen im medizinischen Bereich - hier gibt es viele Übereinstimmungen in unseren Gesetzentwürfen- wird es zumindest eine deutliche Verschlechterung geben. Die Forderung, die auch der Bundesrat erhoben hat, Hebammen weiterhin die Durchführung des seit Jahren selbstverständlich durch sie vorgenommenen Neugeborenen-Screenings zu ermögliPriska Hinz ({5}) chen, wurde abgelehnt. Wir befürchten, dass hier das ausnahmslose Hochhalten des Arztvorbehalts auf dem Rücken von Neugeborenen und deren Müttern ausgetragen und das Berufsbild der Hebammen beschädigt wird. ({6}) Interessant ist, dass unsere Kritik vom Bundesrat getragen wird. Es ist ja nicht immer so, dass wir Grünen und der Bundesrat übereinstimmen. Leider hat die Koalition keine wesentlichen Kritikpunkte berücksichtigt. Das Einzige, das jetzt noch in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen wurde - das ist positiv -, ist das Verbot von vorgeburtlichen Untersuchungen auf sich spät manifestierende Erkrankungen. Das halten wir ausdrücklich für sinnvoll. ({7}) Da wir davon ausgehen müssen, dass die Koalition heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung verabschiedet und unserer leider nicht zum Tragen kommt, haben wir zwei Entschließungsanträge formuliert, um exemplarisch deutlich zu machen, wo wir besonders notwendigen Regelungsbedarf sehen. Das ist einmal der Bereich der Abstammungsuntersuchung; das wurde eben schon angeführt. Es ist richtig, dass im Gendiagnostikgesetz auch im Bereich der Abstammungsuntersuchungen das Prinzip der Freiwilligkeit gewährleistet wird. Dieses Prinzip muss aber strikte Beachtung finden. Derzeit besteht das Problem, dass zumindest im Ausland genetische Untersuchungen verlangt werden, weil die Behörden sagen: „Der Papiernachweis reicht uns nicht aus“ oder „Die Papiere sind unvollständig.“ Deswegen muss zwar im Gesetz nichts neu geregelt werden. Aber es muss durch Veränderung der Verwaltungsvorschriften klargestellt werden, dass die Maßgabe gilt: Das Gendiagnostikgesetz ist auch im Ausland so anzuwenden, dass jede genetische Untersuchung zur Familienzusammenführung auf Freiwilligkeit beruht. Hier darf kein Zwang von solchen Personen ausgeübt werden, die auf diese Weise ihre Vorliebe für Bürokratie ausleben wollen. ({8}) Der Entschließungsantrag zum Bereich Forschung ist sehr viel umfassender. Er zeigt auf, warum der Gesetzentwurf der Koalition im Gegensatz zu unserem Vorschlag ein Torso ohne Arme und Beine bleibt. Einzig und allein in der Regierung und der Koalition scheint das Problembewusstsein für die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen für diesen Bereich zu fehlen. Dabei stellen die Forschung an menschlichen Körpermaterialien, der Umgang mit Proben und Daten sowie der zunehmende Aufbau von Biobanken und deren Vernetzung erhebliche Herausforderungen für den Datenschutz und den Schutz von Persönlichkeitsrechten dar. Insbesondere die Union tut sich in diesem Punkt besonders schwer. ({9}) - Ich weiß das, weil ich Gespräche geführt habe und bei Beratungen dabei war. - Bei der SPD gab es in Sachen Forschung Bewegung. Gerade die Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker müssten ein Interesse daran haben, dass dieser Bereich geregelt wird. ({10}) Nur bei eindeutigen Regelungen werden die Patienten oder Probanden ihre Daten gerne und beruhigt an die Forschung weitergeben; denn dann wissen sie, was mit ihren Daten gemacht wird und dass diese geschützt sind. Ansonsten haben alle Menschen eher Bedenken, der Forschung ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Das schadet der Forschung insgesamt. Von daher ist es bedenklich, dass Sie diesen Bereich völlig außen vor lassen. ({11}) Wir haben in unserem Antrag einige Forderungen aufgenommen, die ich hier nennen will. Wir wollen eine umfassende Aufklärung, eine informierte Einwilligung, eine Anonymisierung der Proben und Daten, Schutzregelungen für Nichteinwilligungsfähige; das sind nur einige Beispiele. Erstaunlicherweise haben bei der Anhörung alle Sachverständigen - das gilt auch für die Vertreter des Bundesrates - mitgeteilt, dass sie diese Regelungen für notwendig erachten. In Schweden werden Biobanken bereits für Zwecke der Strafverfolgung offensiv genutzt. Das zeigt deutlich, wo hier die Missbrauchsmöglichkeiten liegen. Für die Wissenschaft kann sich dies als äußerst problematisch erweisen. Deswegen bitte ich Sie eindringlich und innig darum, unserem Gesetzentwurf und nicht dem der Koalition zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Carola Reimann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Lesung des Entwurfes eines Gendiagnostikgesetzes ist der Schlusspunkt langjähriger intensiver Beratungen und Diskussionen. Bereits 2002 hat die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ eine gesetzliche Regelung für Gentests gefordert. Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms erwarten wir auf dieser Basis eine dynamische Entwicklung genetischer Tests auch zur Vorhersage von Erkrankungen. Auch wenn bislang nur einzelne Tests zur Verfügung stehen, muss man doch davon ausgehen, dass mit den Bestrebungen, die Sequenzierung des Genoms einzelner Patienten preiswerter und damit massentauglich zu machen, zusätzliche Impulse für eine Weiterentwicklung in diesem Bereich bestehen. Darin liegen Chancen, aber auch Risiken. Deshalb bin ich froh, dass wir nun - zugegeben, nach langem Ringen - bei der Gendiagnostik zu einem guten Ergebnis gekommen sind, das für den Schutz von hochsensiblen Patientendaten einen Riesenschritt nach vorn bedeutet. Ich denke, mit diesem Gesetz stellen wir eine Balance her: Es verhindert mögliche Gefahren einer Diskriminierung durch die Untersuchung genetischer Daten, aber es wahrt auch die Chancen genetischer Untersuchungen für den Einzelnen. Welch große Brisanz der Schutz sensibler Gesundheitsdaten künftig haben wird, war damals, im Jahre 2002, in diesem Ausmaß noch nicht absehbar. Auch ich hätte mir vor einigen Jahren nicht vorstellen können, dass wir uns heute mit einem derart skandalösen Gesundheitsdatenmissbrauch in großen deutschen Unternehmen auseinandersetzen müssen. ({0}) Erst kürzlich war sogar von der Androhung von Gentests zur Überführung von Mitarbeitern zu lesen. Die jüngsten Missbrauchsskandale zeigen, wie wichtig das jetzt vorliegende Gendiagnostikgesetz ist. Das gilt insbesondere für die Regelungen zu genetischen Untersuchungen im Arbeitsrecht. Ausgenommen sind lediglich notwendige medizinische Standarduntersuchungen, zum Beispiel zur Rot-Grün-Blindheit bei Piloten; ich denke, wir alle sind dafür, dass das so bleibt. Damit setzen wir zur rechten Zeit ein wichtiges Signal und schieben dem Missbrauch genetischer Daten im Arbeitsbereich einen Riegel vor. Gentests sind natürlich nicht nur mit Risiken verbunden, sondern sie eröffnen auch Chancen bei der Früherkennung und bei der Bekämpfung von Erkrankungen. In Zukunft wird solchen Tests größere Bedeutung zukommen, zum Beispiel bei der Entwicklung individueller Arzneimittel. Mithilfe einer Erbgutuntersuchung kann herausgefunden werden, ob Arzneien bei bestimmten Personen überhaupt wirken oder ob es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen wird. Hier stehen wir noch am Anfang der Entwicklung. Aber schon heute zeigt sich, dass diese Methode bei der Behandlung von Krankheiten große Chancen eröffnet. Mir ist wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es Beispiele gibt, die belegen, dass bestimmte Krankheiten mit diesen Methoden besser zu behandeln sind. Meine sehr geehrten Damen und Herren, entscheidend bei jeder genetischen Untersuchung ist das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung. Deshalb steht es im Zentrum des nun vorliegenden Gesetzentwurfes. ({1}) Hierzu gehören das Recht auf Wissen, also das Recht, die eigenen genetischen Befunde zu kennen, aber auch das Recht, diese nicht zu kennen. Jeder und jede soll selbst entscheiden, ob er oder sie sich auf bestimmte Erkrankungen genetisch untersuchen lässt oder nicht. Das sind zum Teil schwerwiegende Entscheidungen, die eine große psychische Belastung darstellen können. Das gilt in erster Linie für prädiktive Tests, also für Tests, die Vorhersagen von Erkrankungen ermöglichen. Sie zielen darauf ab, genetische Veränderungen, die später mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu einer Erkrankung führen werden, zu entdecken. Meist handelt es sich dabei um Tests auf schwerwiegende Erkrankungen. Deshalb ist uns wichtig, dass gerade in diesem Fall eine informierte Entscheidung getroffen werden kann. In unserem Gesetzentwurf setzen wir auf die Trias von Aufklärung vor der genetischen Untersuchung, wirksamer Einwilligung in die genetische Untersuchung und zusätzlich auf genetische Beratung. Darüber hinaus dürfen prädiktive Tests nur von Fachärztinnen und Fachärzten durchgeführt werden, die eine besondere fachliche Qualifikation auf dem Gebiet der genetischen Untersuchungen vorweisen können. Mit diesem Konzept von Aufklärung und Beratung auf hohem fachlichem Niveau versetzen wir die Patientinnen und Patienten in die Lage, eine souveräne Entscheidung für oder gegen eine genetische Untersuchung zu treffen. Kolleginnen und Kollegen, bislang gab es im Hinblick auf genetische Untersuchungen keine spezialgesetzliche Regelung. Diese Lücke wird nun mit dem Gendiagnostikgesetz geschlossen. Seine Regelungen reichen von der medizinischen Versorgung über Abstammungsfragen bis hin zum versicherungs- und arbeitsrechtlichen Bereich. Um die Frage der vorgeburtlichen Untersuchungen haben wir bis zuletzt gerungen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich ein Verbot vorgeburtlicher Untersuchungen auf mögliche Erkrankungen im Erwachsenenalter für nicht zwingend notwendig erachte. Fachleute und Praktiker sagen uns, dass derartige Untersuchungen in der Praxis ganz selten nachgefragt und noch seltener durchgeführt werden. Darüber hinaus - das habe ich bereits erwähnt - gibt es neben dem Recht auf Nichtwissen auch ein Recht auf Wissen, in diesem Fall das Recht der Schwangeren, das wir durch das Verbot einschränken. Aber an dieser Detailfrage, die sehr seltene Einzelfälle betrifft, wollten wir dieses gute Gesamtgesetz nicht scheitern lassen. Wir wollen endlich Rechtssicherheit schaffen. Wir wollen die informationelle Selbstbestimmung stärken und eine gute und ausführliche Beratung sicherstellen, und wir wollen einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung gewährleisten. Das alles haben wir mit diesem Gesetz erreicht. ({2}) Frau Kollegin Hinz, dieser Tage wird immer wieder ins Feld geführt, dass der Bereich der Biobanken nicht geregelt wird. Dieses Gesetz regelt ganz speziell den Umgang mit genetischen Daten. In der Forschungsgemeinde und auch bei unseren Forschungspolitikern gibt es den Wunsch nach gesetzlichen Regelungen für Biobanken. In Biobanken geht es aber um mehr als um genetische Daten. In Biobanken werden nicht nur genetische Daten zusammengetragen, gesammelt und gespeichert, sondern auch Material wie Gewebe oder Blutproben. Eine Verankerung dessen im Gendiagnostikgesetz wäre zu kurz gesprungen, weil man in diesem Gesetz nur einen kleinen Teil davon regeln könnte. ({3}) Was heute an gesetzlichen Regelungen angemessen und sinnvoll ist, kann gerade in einem so dynamischen Bereich schon morgen überholt und unzureichend sein. Deshalb will ich darauf hinweisen, dass im Gendiagnostikgesetz die Einrichtung einer Gendiagnostikkommission vorgesehen ist, die die Entwicklung der genetischen Diagnostik kontinuierlich in einem Tätigkeitsbericht festhält und es der Politik ermöglicht, aktuell, unabhängig und fundiert informiert darüber zu entscheiden, ob Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. Dieses Thema bleibt uns also erhalten. Doch bevor wir den Blick in die Zukunft richten, gilt es, dieses Gesetz zu verabschieden. Ich darf mich bei allen, die daran beteiligt waren, für die Kooperation und die Ausdauer ganz herzlich bedanken. Ich denke, wir haben ein ausbalanciertes Regelwerk vorgelegt, welches einerseits die Chancen, die genetische Untersuchungen für den Einzelnen beinhalten, wahrt, andererseits aber auch, durch den Fokus auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ausreichend Schutz vor Missbrauch dieser sensiblen Gesundheitsdaten bietet. Gerade in einer Zeit, in der wir mit immer neuen Datenskandalen konfrontiert sind, ist das das richtige Signal. Deshalb kann ich Sie nur aufrufen, diesem Gesetz zuzustimmen. Ich danke fürs Zuhören. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hubert Hüppe, CDU/CSU-Fraktion.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Frau Hinz, die ich sehr schätze, hat gerade gesagt, der Antrag der Grünen sei entscheidend dafür gewesen, dass es überhaupt zu einem solchen Gesetzentwurf gekommen ist. Dazu muss ich sagen: Schon in unseren Koalitionsvereinbarungen steht, dass wir ein solches Gesetz verabschieden wollen. ({0}) Dieses Ziel stand auch in Ihrem Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten; aber Sie haben ein solches Gesetz nicht zustande gebracht. Deswegen ist es falsch, uns vorzuwerfen, wir hätten diesen Schutz nicht gewollt. ({1}) Natürlich beklagen einige, dass noch nicht alles geregelt ist, und andere, dass zu viel geregelt ist. Aber eines ist bei dieser Debatte klar geworden: Bisher gab es überhaupt keine Regelung, hatten wir einen rechtsfreien Raum. Wenn man sich empört oder gar wie die Grünen dagegen stimmt, muss man sich darüber im Klaren sein: Mit diesem Gesetzentwurf haben wir zum ersten Mal feste Regelungen, umfangreiche Regelungen und einen Schutzstandard für Gentests, den wir bisher so nicht hatten. ({2}) Natürlich ist dieser Gesetzentwurf ein Kompromiss; die Ministerin hat das gesagt, und ich sage das auch. Es gibt unterschiedliche Meinungen, auch innerhalb der Parteien. Auch wir hätten uns an der einen oder anderen Stelle höhere Schutzstandards gewünscht. Anderen war das zu viel Regelung. So ist es nun einmal. Aber dieses Gesetz ist immer noch wesentlich besser als der gegenwärtige Zustand. Letztendlich ist das Gesetz, das wir heute verabschieden, ein gutes Gesetz. Erstmals wird es eine umfangreiche gesetzliche Regelung für Untersuchungen am Menschen geben. Es geht in der Tat um höchst sensible Gesundheitsdaten. Nicht nur Informationen, die einen selbst betreffen, können gewonnen werden, sondern auch - das macht es, wie wir bei den Beratungen gesehen haben, nicht einfacher Informationen, die Verwandte betreffen können. Es ist schwierig, eine Antwort darauf zu geben, wie man in diesem Fall zum Beispiel das Recht auf Nichtwissen von Verwandten wahren kann, die an dem Wissen, das ein solcher Test liefert, nicht interessiert sind. Wir haben - auch das war nicht einfach - zwischen rein diagnostischen Tests und sogenannten prädiktiven Tests unterschieden. An die diagnostischen Tests haben wir nicht so hohe Anforderungen gestellt, weil sie in vielen Bereichen herkömmlichen Untersuchungsmethoden ähneln. Bei den prädiktiven, also vorhersagenden Tests, die vermehrt eingesetzt werden, geht es eher darum, ein höheres Risiko abzuklären; nur in wenigen Fällen wird man mit relativer Sicherheit eine spätere Erkrankung vorhersagen können. Diese Gentests können natürlich in manchen Fällen helfen, Krankheiten vorzubeugen, indem man seine Lebensgewohnheiten ändert. Aber es gibt auch eine Menge Tests, in deren Folge man nichts machen kann. In diesen Fällen stellt sich häufig die Frage, ob man das Ergebnis überhaupt wissen will. Deswegen hielten wir als Union eine qualifizierte Beratung für unverzichtbar, und zwar nicht erst, wenn das Ergebnis vorliegt, sondern vor dem Test. Ziel der Beratung ist es, herauszufinden, ob man mit den möglichen Ergebnissen überhaupt umgehen kann und will. Dies war einer der wichtigsten Grundsätze, die wir in diesem Gesetz niedergeschrieben haben. Meine Damen und Herren, es wurde eben schon gesagt, dass wir zu viel regelten, weshalb der eine oder andere vielleicht abgeschreckt würde. Nach meiner Auffassung ist dieses Gesetz ein typisches Beispiel dafür, dass aufgrund der geschaffenen Regelung eine Methode und möglicherweise auch entsprechende Forschung eher gefördert werden, als dass sie dadurch behindert würden. In der Tat werden sich die Menschen nur dann testen lassen, wenn sie der Meinung sind, dass der Test ihnen selbst gesundheitlich nützt. Wenn sie Angst haben, dass er ihnen insofern schaden könnte, als sie vielleicht eine Arbeitsstelle nicht bekommen oder sich nicht mehr versichern können, dann werden sie diesen Test nicht vornehmen. Deshalb schadet dieses Gesetz diesem Zweig der Gesundheitsvorsorge nicht; im Gegenteil, es wird der Gendiagnostik in ihren positiven Teilen einen Vorteil bringen. Natürlich hat auch ein sehr sensibles Thema, nämlich die vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen im Bereich der so genannten Pränataldiagnostik, eine große Rolle gespielt. Wir wollen nicht, dass der Eindruck entsteht, es gebe eine Verpflichtung, dass man sein Kind auf bestimmte Erkrankungen oder Behinderungen untersuchen muss. Ich betone dies, weil ein solcher Eindruck bei vielen Menschen entstanden ist. Es gibt immer mehr Frauen - dies gilt vor allem für diejenigen, die in einem höheren Alter schwanger werden -, die es für notwendig halten, sich untersuchen zu lassen, weil sie glauben, dass sie unverantwortlich handelten, wenn sie es nicht täten. So geraten immer mehr Menschen in einen Automatismus, den zumindest wir von der Koalition nicht wollen und den wir, wie ich glaube, mit diesem Gesetz auch verhindern. Viele Frauen berichten, dass sie anders entschieden hätten, wenn sie gewusst hätten, in welche Entscheidungskonflikte sie nach Vorliegen des Ergebnisses geraten. Deswegen möchten wir, dass auch in diesem Bereich eine umfangreiche Beratung durch besonders dazu ausgebildete Ärzte stattfindet. Das ist für uns die Voraussetzung; ohne eine solche Beratung soll es in diesem Bereich keine Tests geben. Auch hiermit werden wir das Recht auf Nichtwissen absichern. Ich sage dies auch, weil wir natürlich wissen, dass in diesem Bereich in Deutschland die meisten Tests überhaupt vorgenommen werden. Auf einem Informationsabend mit Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ist uns gesagt worden, dass man davon ausgehe, dass über 100 000 invasive Tests vorgenommen würden, also Fruchtwasseranalyse oder sogenannte Chorionzottenbiopsie. Man muss wissen, dass hier das Risiko eines Abortes zwischen 0,5 und 1,5 Prozent liegt; das ist von der Untersuchungsmethode und von der Erfahrung des Arztes abhängig. Dies bedeutet, dass in jedem Jahr 1 000 Kinder allein deswegen nicht zur Geburt kommen, weil man diese Untersuchungsmethode angewandt hat. Auch dies müssen die schwangeren Frauen wissen, bevor sie sich auf einen solchen Schritt einlassen oder gar glauben, diese Untersuchung unbedingt vornehmen lassen zu müssen. Meine Damen und Herren, Pränataldiagnostik - das steht im Gesetz drin - darf nur zu medizinischen Zwecken durchgeführt werden. Auch deswegen haben wir es verboten, Tests durchzuführen, die lediglich darauf gerichtet sind, das Geschlecht eines Kindes zu bestimmen. Auch hier könnte man fragen: Spielt das überhaupt eine Rolle? Aber auch hierzu haben uns Mitarbeiterinnen von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen gesagt, dass in der Tat gerade in Großstädten immer mehr Tests, wenn auch auf niedrigem Niveau, aber mit steigender Tendenz, gemacht werden, die dazu dienen, das Geschlecht zu erfahren. Diejenigen, die das tun, wollen meistens männlichen Nachwuchs. Wenn das Geschlecht dann nicht das richtige ist, wird eben abgetrieben. Das wollen wir nicht. Ich glaube, in diesem Hause herrscht insoweit Übereinstimmung; das will niemand. Ein ähnliches Problem gibt es bei spätmanifestierenden Erkrankungen. Das war ein Punkt, der sehr umstritten war. Die Union hat ja sehr dafür gestritten, dass es hier zu einer Regelung kommt. Wir wollen nämlich nicht, dass entsprechende Tests durchgeführt werden, die, wie eben gesagt, ein hohes Risiko für das ungeborene Kind und damit auch für die Mutter darstellen. Es geht hier zum einen um Tests, bei denen nur Merkmale erhoben werden, aus denen man zwar ein höheres Risiko für entsprechende Erkrankungen ableiten kann, die aber vielleicht nie auftreten, und zum anderen um Tests auf Erkrankungen, die vielleicht erst in hohem oder mittlerem Alter auftreten. Die Durchführung solcher Tests wollten wir verhindern. Damit sind wir ja auch einem Wunsch der Grünen nachgekommen. Es war aber genauso auch der Wunsch der Union. Ich denke, es ist gut, dass wir nun eine entsprechende Entscheidung getroffen haben. Das sage ich insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass immer mal wieder behauptet wird, es gäbe solche Tests gar nicht. Ich habe gerade im Internet noch einmal eine Liste auch deutscher Labore gefunden, die viele Angebote in diese Richtung unterbreiten. Ein Letztes noch: Wie wichtig es ist, dass wir eugenischen Tendenzen keinen Vorschub leisten, zeigt der Beschluss des Europäischen Parlaments von gestern, in dem wörtlich davon gesprochen wurde, dass beabsichtigt wird und den Ländern angeraten wird, eine „Ausmerzung seltener Erbkrankheiten“ dadurch zu fördern, dass verstärkt Präimplantationsdiagnostik durchgeführt wird. Das hieße, dass man schon bei künstlich befruchteten Embryonen eine Selektion vornimmt. Meine Damen und Herren, mit Recht haben gestern fast alle Selbsthilfe- und Behindertenverbände gegen diese Wortwahl, gegen diese Idee und gegen das dahinterstehende Denken protestiert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hüppe!

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, es ist gut, dass durch das nun zu beschließende Gesetz solche Tendenzen zurückgedrängt werden. Mit diesem Gesetz haben wir nämlich ein Gesetz, das die guten Folgen von Gentests ermöglicht, aber die schlechten einschränkt. Vielen Dank fürs Zuhören. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über geneti- sche Untersuchungen bei Menschen. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/12713, den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung auf den Drucksachen 16/10532 und 16/10582 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Präsident Dr. Norbert Lammert dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- ter Beratung mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stim- men der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP- Fraktion auf Drucksache 16/12745? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Entschlie- ßungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf der Drucksache 16/12746? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Ent- schließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12719? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Entschließungsantrag hat keine Mehrheit. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/12720? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfeh- lung des Ausschusses für Gesundheit auf der Drucksa- che 16/12713 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch- stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Gesetzentwurfes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3233 über genetische Untersuchun- gen beim Menschen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk- tes. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b sowie die Zusatzpunkte 11 bis 14 auf: 33 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Die Chance zur nuklearen Abrüstung nutzen - Überprüfungskonferenz zum Nichtverbrei- tungsvertrag zum Erfolg führen - Drucksache 16/12689 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({0}), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Atomwaffen in Deutschland - Drucksache 16/12684 ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Elke Hoff, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für einen Abzug der in Deutschland noch verbliebenen US-Nuklearwaffen - Drucksache 16/12667 ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die NPT-Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 zum Erfolg führen - Für ein klares Bekenntnis zu dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt - Drucksache 16/12666 ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung jetzt einleiten - Nichtverbreitungsvertrag stärken - Drucksache 16/12685 ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Marieluise Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Initiative für eine atomwaffenfreie Welt unterstützen - Atomwaffen aus Deutschland abziehen - Drucksache 16/12686 Diejenigen, die sich zwischenzeitlich aus dem Plenum entfernen, mache ich darauf aufmerksam, dass wir im Anschluss an die Aussprache vier namentliche Abstimmungen durchführen werden. Das wird in etwa einer Stunde der Fall sein; denn nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Aussprache 60 Minuten dauern. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier. ({3})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Innerhalb von drei Monaten, einem Vierteljahr, zwei Debatten über Abrüstung und Rüstungskontrolle zur Kernzeit und eine Debatte über Streumunition, die gestern Abend auf der Tagesordnung des Bundestages stand: Wann hat es das im Deutschen Bundestag je gegeben? Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Dass dieses Thema nun verstärkt auf die Tagesordnung kommt, ist aus meiner Sicht ein gutes Signal. Die Abrüstungsdiskussion braucht eine neue Dynamik. Sicher ist, dass wir den Trend der letzten Jahre umkehren müssen. Ich frage mich und Sie: wann, wenn nicht jetzt? ({0}) Es ist notwendig; denn Sie wissen, dass die etablierten Nuklearmächte nach wie vor Tausende von Sprengköpfen besitzen. Proliferation und Nuklearterrorismus drohen das Nichtverbreitungsregime immer weiter zu unterminieren, und es war zu beobachten, dass das, was im konventionellen Bereich in den letzten Jahren mühsam an Abrüstungsarchitektur errichtet worden ist, langsam ins Rutschen gekommen ist. Die Zeiten für einen neuen Aufbruch sind günstig wer weiß, wie lange; aber zurzeit sieht es gut aus. Der russische Präsident Medwedew und der amerikanische Präsident Obama haben im Vorfeld des Weltfinanzgipfels in London eine deutliche Reduzierung ihrer strategischen Arsenale angesagt. Präsident Obama hat das - Sie erinnern sich - erst vor kurzem in seiner eindrucksvollen Prager Rede auf den Punkt gebracht: Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Nuklearwaffen. Ich teile diese Vision, eine Vision, die schon vor zwei Jahren die vier Schwergewichte der amerikanischen Außenpolitik formuliert haben und die von unserer Seite von Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, HansDietrich Genscher und Egon Bahr aufgegriffen worden ist. Ich finde, dass es diese vier Deutschen waren, die eine Antwort auf die amerikanische Vision aus Deutschland gegeben haben, gereicht uns allen miteinander durchaus zur Ehre. ({1}) Meine Damen und Herren, wie kehren wir den Trend um? Wie erreichen wir das Ziel? 2010 soll ein Zwischenziel erreicht werden; in dem Jahr steht die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages an. Ob diese Überprüfungskonferenz scheitert oder gelingt, wird aus meiner Sicht entscheidend davon abhängen, ob es uns gelingt, das Herzstück dieses Vertrages wirklich zu erneuern. Sie wissen das; denn es gehört beides zusammen - manchmal gerät das in Vergessenheit -: die nukleare Abrüstung der Atommächte auf der einen Seite und die Verhinderung nuklearer Proliferation auf der anderen Seite. Beides ist schon jetzt bindende Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag. Sorgen wir dafür, dass aus dem Vertragstext endlich Politik wird. Das ist nötig. ({2}) Aus meiner Sicht ist auf dem Wege dorthin Zweifaches nötig: Einerseits brauchen wir Regelungen über einen verifizierbaren Produktionsstopp von waffenfähigem Spaltmaterial. Sie wissen, dass die Verhandlungen darüber jahrelang auf Eis gelegen haben. Die Europäische Union wird demnächst eine Initiative dazu ergreifen, um sie wieder in Gang zu bringen. Das Zweite ist ebenso wichtig und genauso kompliziert. Sie wissen, dass jeder Staat nach dem Atomwaffensperrvertrag auch das Recht auf zivile Nutzung von Kernenergie hat. Natürlich darf die zivile Nutzung aber nicht als Deckmantel für militärische Programme dienen. Deshalb habe ich selbst Vorschläge dazu auf den Tisch gelegt. Wir brauchen so etwas wie eine Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs, damit insbesondere neue Länder, Schwellenländer und Regionalmächte nicht den Ehrgeiz entwickeln, sich eine eigene Anreicherungstechnologie zu verschaffen. Andere machen den Vorschlag, eine internationale Brennstoffbank zu gründen. Wie auch immer: Wir brauchen jedenfalls schnellstmöglich einen Fortschritt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass es schon bei der nächsten Tagung des Gouverneursrats der IAEO im Juni erste Willensbildungen und möglichst auch Vorbereitungen von Entscheidungen gibt. Wir brauchen hier einen Fortschritt. ({3}) Sie alle wissen: Einen vollständigen Schutz sowohl vor Proliferation als auch vor Nuklearterrorismus wird es nur mit der vollständigen Abschaffung aller Atomwaffen geben. „Global Zero“ ist das Stichwort. Ich weiß, und Sie wissen, dass der Weg dorthin nicht einfach wird und einen langen Atem erfordert. ({4}) Ich nenne drei Aspekte dazu, die wir auf diesem Weg zu beachten haben: Erstens. START-I-Nachfolgeabkommen. Es war still darum geworden, und ich habe auch gezweifelt, ob es noch bis zum Jahresende gelingen kann, ein Nachfolgeabkommen auszuhandeln, mit dem die Fortsetzung dieses Regimes ab dem 1. Januar 2010 sichergestellt wird. Medwedew und Obama haben sich in die Hand versprochen, dass das sein soll. Deshalb gehe ich davon aus, dass es ein Nachfolgeabkommen gibt. Zweitens. Iran und Nordkorea. Obama geht mit dem Angebot von Verhandlungen mit dem Iran einen mutigen Weg. Wir müssen dem Iran klarmachen, dass auf diesen Vorstoß von Obama aus dem Iran eine angemessene, vernünftige und konstruktive Antwort kommen muss. Die Chance auf einen Neubeginn, der dort jetzt auf dem Weg ist, darf nicht verspielt werden. Das Risiko ist zu hoch. ({5}) Drittens. Wenn wir über die nukleare Abrüstung reden, dann sprechen wir landläufig über die Abrüstung von strategischen Atomwaffen. Natürlich müssen aber auch die substrategischen bzw. sogenannten taktischen Atomwaffen der Nuklearstaaten einbezogen werden. Wie Sie wissen, ist das bisher nicht in formellen Verträgen geregelt. Hier können wir die Verantwortung auch nicht ganz einfach nur den USA und Russland zuschieben. Hier ist auch Europa gefragt. ({6}) Wenn wir wollen, dass sich auch Europa zu einem nuklearfreien Gebiet entwickelt, dann gilt das, was ich sage, natürlich auch für die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen. ({7}) Zum Ende des Kalten Krieges gab es für eine kurze Zeit durchaus einmal Einvernehmen zwischen Russland und den USA über eine Reduktion auch dieser taktischen Atomwaffen. Diesen Faden müssen wir wieder aufnehmen. Auch bei dieser Art von Nuklearwaffen, den taktischen Atomwaffen, müssen wir eine substanzielle Abrüstung erreichen. ({8}) Die öffentliche Diskussion wird in der Regel durch die nukleare Abrüstung bestimmt. Sie alle wissen aber, wie ich, dass die Gefahren im Bereich der konventionellen Waffen nicht kleiner geworden sind. Ich habe am Anfang gesagt, hier ist vieles ins Rutschen gekommen. Die Abrüstungsarchitektur ist nicht gepflegt worden, und mit dem Moratorium für das KSE-Regime droht eine ganz gefährliche Entwicklung. Das müssen wir umkehren. Um den Stillstand zu überwinden, den es dort gibt, und um zu versuchen, das so wichtige KSERegime, das Herzstück der konventionellen Abrüstungsarchitektur, an die veränderte sicherheitspolitische Lage anzupassen, habe ich am 10. Juni nach Berlin eingeladen; für die Sicherheit in Europa. Wir brauchen das, und wir brauchen Entgegenkommen von allen Seiten. ({9}) Meine Damen und Herren, 2009 wird auch aus außenund sicherheitspolitischer Sicht ein Jahr voller Herausforderungen und Risiken. Ich hoffe aber, es ist auch deutlich geworden, dass es ein Jahr voller Chancen ist. Politik hat sich im Jahr 2009 auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zu bewähren. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Werner Hoyer für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In die Abrüstungspolitik kommt endlich wieder Fahrt. Das ist sehr gut so. Präsident Obama hat mit seiner Prager Rede Signale ausgesendet, auf die die Welt lange gewartet hat, und darauf sollten wir eingehen. Was mich enttäuscht, ja teilweise geradezu empört, sind bisweilen die Reaktionen darauf, auch in Deutschland; ausgerechnet dem Land, das mehr als jedes andere Land von Entspannungs- und Abrüstungspolitik profitiert hat. Einige versuchen, den amerikanischen Präsidenten mit seinen Vorschlägen geradezu der Lächerlichkeit preiszugeben, weil das alles per se und sowieso unrealistisch sei. Ich wundere mich über die Mutlosigkeit und die Fantasielosigkeit, die darin zum Ausdruck kommen. ({0}) Ich wundere mich auch über das Beharren auf geopolitischen und geostrategischen Fehlannahmen, die schon die Politik der Neokonservativen geprägt hatten. Präsident Obama ist alles andere als naiv, und er denkt bei aller Geschwindigkeit, mit der er ans Werk geht, in langfristigen Prozessen. Er hat gesagt, er denkt über Generationen hinweg. Was ihn aber von seinen Kritikern unterscheidet, ist, dass er nicht geradezu axiomatisch davon ausgeht, dass von den Gegnern im Kalten Krieg auch in Zukunft das größte Risiko für unsere Sicherheit ausgeht und dass deshalb Containment und nukleare Abschreckung die richtigen Argumente und Instrumente sein müssten. Auch ich bin der Überzeugung, dass die nukleare Abschreckung unserer Sicherheit während des Kalten Krieges gute Dienste geleistet hat und dass sie ein Schlüssel gewesen ist. Wir müssen aber dazu sagen, wir haben auch Glück gehabt. Wenn man die Kuba-Krise historisch nachvollzieht, dann zeigt sich, dass wir ganz knapp an einer globalen Katastrophe vorbeigeschrammt sind. Spätestens seit dem Prozess, der in Helsinki begonnen hat, ist uns zum einen bewusst, dass - wie Gorbatschow es einmal gesagt hat - „die Sicherheit der anderen als integraler Bestandteil des eigenen Sicherheitskonzeptes zu verstehen ist“. Zum anderen ist uns bewusst, dass nukleare Abschreckung der klassischen Form nicht mehr funktionieren kann, ja zu einer Gefahr wird, wenn sie in einer Dimension weiterbesteht, die immer schwerer zu kontrollieren ist. Die massive nukleare Abschreckung hilft eben nicht, wenn in einer Ecke dieses Planeten Terroristen oder auch gescheiterte Staaten an Atombomben basteln. Es würde ohne Zweifel helfen, wenn deutlich weniger, am besten gar kein waffenfähiges Material herumliegen würde. ({1}) Uns muss klar sein, dass wir hier über einen Prozess sprechen, der über Generationen geht. Das weiß auch Präsident Obama. Aber es geht darum, jetzt die Weichen zu stellen. Es ist völlig klar, dass gigantische Anstrengungen, übrigens auch intellektueller Art, unternommen werden müssen, um den Rahmen zu definieren, innerhalb dessen Atomwaffen eliminiert werden können, ohne dass die Führbarkeit konventioneller Kriege zunimmt; denn das kann nicht unser Interesse sein. Das bedeutet erstens, dass wir einen Quantensprung, ja geradezu einen Paradigmenwechsel in der Verifikationspolitik brauchen; denn nachdem der Geist nun einmal aus der Flasche heraus ist, was zu beklagen ist, werden wir eine wirksame Verifikation der nuklearen Abrüstung nur dann durchziehen können, wenn die Vertragsparteien zu enormen Zugeständnissen bereit sind, wenn sie Verifikationsverfahren zulassen, die tief in die Substanz nationaler Souveränität hineinreichen. Zweitens muss der ganz enge Zusammenhang zwischen nuklearer und konventioneller Abrüstung gesehen werden. Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen. Das ist eine gigantische Aufgabe, die einen enorm hohen intellektuellen Input und die Bereitschaft, alte Denkschemata zu überwinden, voraussetzt. Wenn doch nur so viele intellektuelle Kapazitäten in die Frage investiert würden, wie man die Voraussetzungen gestalten kann, damit das Ziel erreicht werden kann, wie in die großen Ausarbeitungen, in denen wortreich belegt wird, dass das alles Unsinn ist, dann wäre schon sehr viel gewonnen. ({2}) Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich es für unverantwortlich hielte, den uns folgenden Generationen die Hoffnung auf eine nuklearwaffenfreie Welt geradezu präemptiv nehmen zu wollen. Es geht also nicht sehr schnell. Aber auch Zwischenschritte können schon sehr hilfreich sein, wenn man an den Bereitschaftsstatus bestimmter Waffensysteme und Ähnliches denkt. Hier ist Mut gefragt. Das beginnt durchaus zu Hause. Meine Fraktion legt Ihnen zum Ende dieser Debatte einen Antrag zur namentlichen Abstimmung vor, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, sich bei unseren amerikanischen Verbündeten sowie im Rahmen der NATO dafür einzusetzen, dass die verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. ({3}) Es ist übrigens eine Mär, dass das mit einem Verlust an Sicherheit für uns und mit einer Schwächung unserer Position im Bündnis verbunden wäre. Die Erfahrungen anderer Bündnispartner belegen, dass dies nicht der Fall sein muss und auch nicht ist. Ich glaube, dass wir es hier mit nichttragfähigen Scheinargumenten zu tun haben. ({4}) Das ist erfreulicherweise, wie wir gerade gehört haben, auch die Position des Bundesaußenministers und SPD-Kanzlerkandidaten. Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion heute ihrem Kanzlerkandidaten und übrigens auch ihrem gerade beschlossenen Wahlprogramm folgen werden. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir feiern in diesem Jahr 20 Jahre Mauerfall. Der Mauerfall steht symbolhaft für das Ende des Kalten Krieges. Während der Zeit des Kalten Krieges gab es in Deutschland über viele Jahrzehnte die höchste Dichte an konventionellen und nuklearen Waffen in unserer Geschichte. Seitdem ist erfreulicherweise massiv abgerüstet worden. Die NATO hat ihr strategisches, substrategisches und taktisches Nuklearwaffenpotenzial seitdem um etwa 95 Prozent reduziert und den Bereitschaftsstatus der verbliebenen Nuklearwaffen weiter gesenkt. Gleichwohl gibt es nach Schätzung des angesehenen SIPRI-Instituts nach wie vor über 20 000 Nuklearwaffen, allein 14 000 - so SIPRI - in russischen und ungefähr 5 400 in amerikanischen Arsenalen. Auch meine Fraktion begrüßt daher ausdrücklich die Initiative des amerikanischen Präsidenten Barack Obama und des russischen Präsidenten Medwedew für eine Reduzierung strategischer Atomwaffen und für ein Nachfolgeabkommen für START I. Wir begrüßen auch die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, dem Senat das Atomteststoppabkommen zur Ratifizierung vorzulegen. Nach meiner Einschätzung wird es dazu möglicherweise in diesem Jahr nicht mehr kommen, weil sich der Kongress vorgenommen hat, zunächst einmal das dann verhandelte Nachfolgeabkommen zu START I zu ratifizieren. Ich hoffe aber, dass es dazu kommen wird, bevor im nächsten Jahr die Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages beginnt. Die Rede von Barack Obama in Prag ist von meinen beiden Vorrednern erwähnt worden. Ich teile die Bewunderung für diese Rede. ({0}) Ich teile insbesondere das Bekenntnis Barack Obamas zu einer nuklearwaffenfreien Welt. Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang den Hinweis, dass dies schon lange bindendes Völkerrecht ist; denn diese Verpflichtung steht im Nichtverbreitungsvertrag. Erreichen werden wir diese Ziele gegenseitiger und verifizierter nuklearer AbEckart von Klaeden rüstung aber nur dann, wenn sich alle dieser Vision und diesem Prinzip verpflichtet fühlen. Obama hat in seiner Rede bewiesen, dass er ein pragmatischer Visionär ist. Er hat darauf hingewiesen, dem Ziel der Abrüstung verpflichtet zu sein, aber auch, welche Schwierigkeiten damit verbunden sind. Er sagte, dieses Ziel werde nicht schnell zu erreichen sein, möglicherweise nicht zu seinen Lebzeiten. Er hat die große Entschlossenheit zur Abrüstung zum Ausdruck gebracht, gleichzeitig aber unterstrichen, dass diese Bereitschaft zur Abrüstung der Sicherheit seines Landes und der Sicherheit der Bündnispartner dienen muss. In diesem Zusammenhang hat er darauf hingewiesen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika so lange auf Nuklearwaffen nicht werden verzichten können, wie solche Waffen existieren. Da beides dem Ziel dienen soll, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, gehören einerseits die Entschlossenheit zur Abrüstung und andererseits die Bereitschaft zur Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung, soweit sie erforderlich ist, zusammen. Die NATO hat das in ihrer jüngsten Declaration on Alliance Security anlässlich des Jubiläumsgipfels von Straßburg und Kehl noch einmal betont. Dieses Dokument ist von den Außenministern - auch von unserem Außenminister Steinmeier - endverhandelt worden. In diesem Dokument ist festgelegt, dass die nukleare Abschreckung trotz der veränderten Umstände ein unverzichtbarer Bestandteil der NATO-Strategie ist. Das doppelte Bekenntnis, der Double-Track-Ansatz, einerseits alles zu erreichen, was im Rahmen der Abrüstung möglich ist, und andererseits auf die nukleare Abschreckung nicht zu verzichten, soweit sie erforderlich ist - das hat der Außenminister für die Bundesregierung verhandelt -, findet die ausdrückliche Unterstützung meiner Fraktion. ({1}) In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage nach dem Abzug der möglicherweise noch in Deutschland stationierten taktischen Nuklearwaffen. Wir müssen leider feststellen, dass die Proliferationsgefahren in den letzten Jahren nicht abgenommen, sondern weiter zugenommen haben. In ihrem jüngsten Bericht hat die Internationale Atomenergiebehörde festgestellt, dass der Iran möglicherweise nur noch Monate von der Fähigkeit entfernt ist, einen nuklearen Sprengkörper herzustellen. Auch Länder wie Indien, China und Pakistan modernisieren ihre Nuklearstreitkräfte mit großem Aufwand. Die nukleare Rüstung dieser Staaten erfolgte im Wesentlichen aufgrund der Einschätzung - möglicherweise aufgrund der Fehleinschätzung - rein nationaler Sicherheitsinteressen. Die nukleare Aufrüstung Indiens ist eine Folge des chinesischen Angriffs von 1962 gewesen. Die pakistanische Aufrüstung ist eine Folge der indischen Nuklearbewaffnung. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass es auf der Nachfolgekonferenz zum Nichtweiterverbreitungsvertrag zu einem neuen Ansatz in der nuklearen Abrüstung kommt. In diesem Zusammenhang wird viel über eine israelische Nuklearrüstung gesprochen. Den defensiven Charakter des potenziellen israelischen Nuklearprogramms kann man übrigens daran erkennen, dass Israels arabische Nachbarstaaten 30 Jahre dieses Programm nicht als einen Grund angesehen haben, selber eine Nuklearmacht zu werden, aber angesichts der iranischen nuklearen Ambitionen angekündigt haben, sich selbst nuklear zu bewaffnen. Das heißt, dass die Nachbarstaaten Israels und Irans 30 Jahre mit einem möglichen israelischen Nuklearprogramm, aber nicht zehn Minuten mit einem iranischen Nuklearprogramm glauben leben zu können. Das zeigt, dass beide Faktoren für die Schaffung von Sicherheit erforderlich sind. Nicht nur die Frage nach Abrüstung an sich ist wichtig. Vielmehr entsteht Bedrohung aus der Kombination von Waffen und Politik. Deswegen ist der neue Ansatz des amerikanischen Präsidenten, mit dem Iran Gespräche aufzunehmen und auf eine langfristige Veränderung der Politik zu setzen, der richtige. Gleichwohl sind die Nachrichten, die wir gerade in den letzten Monaten über das iranische Nuklearprogramm bekommen haben, besorgniserregend. Dazu gehören unter anderem die Raketentests, die der Iran im Februar durchgeführt hat. Weitere Raketentests, auch einer in diesem Jahr, sind angekündigt. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, wie es gelingen kann, einerseits den langfristigen Ansatz der amerikanischen Administration zu einem grundlegenden Politikwechsel gegenüber dem Iran zu unterstützen, andererseits aber das kurzfristige Ziel zu erreichen, dass der Iran keine Nuklearmacht wird. Wir müssen beide Strategien so aufeinander abstimmen, dass das eine Ziel nicht durch das andere konterkariert wird. Aus meiner Sicht gibt es dafür zwei Ansätze. Den einen Ansatz hat der Außenminister schon angesprochen. Er findet unsere volle Unterstützung. Es handelt sich um die Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs, sodass keine Nation, die von dem Recht Gebrauch machen will, die Kernenergie zivil zu nutzen, auf ein nationales Anreicherungsprogramm angewiesen ist. Die zweite Möglichkeit liegt in der Multilateralisierung des INF-Vertrages; denn wenn es gelingen kann, den Iran relativ bald in solche Verhandlungen einzubeziehen, dann könnten die Trägersysteme entfallen oder so eingeschränkt werden, dass eine nukleare Bewaffnung, von der der Iran selber behauptet, dass er sie anstrebt, nicht mehr sinnvoll wäre. Mein letzter Punkt betrifft die Frage der konventionellen Abrüstung. Wir teilen den Wunsch und das Anliegen, den AKSE-Vertrag zu ratifizieren und den KSEVertrag als ein Kernstück der konventionellen Abrüstung und der konventionellen Sicherheit in Europa zu erhalten. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch deutlich machen, dass durch das russische Verhalten - einerseits die Suspendierung des Vertrages und andererseits der Abschluss der Verträge mit den abtrünnigen georgischen Landesteilen Südossetien und Abchasien, in diesen Landesteilen jeweils 3 800 Soldaten zu stationieren - die Verpflichtungen, die Russland eingegangen ist, als der AKSE-Vertrag 1999 in Istanbul unterzeichnet worden ist, schwer verletzt worden sind. Ich will darauf hinweisen, dass die Istanbul-Verpflichtungen 1999 - dazu gibt es einen sehr lesenswerten Artikel unseres Kollegen Wolfgang Gerhardt in der FAZ aus dem Jahr - keine zusätzlichen Auflagen, sondern geradezu Zugeständnisse Russland gegenüber gewesen sind, das sich zu der Zeit im zweiten Tschetschenien-Krieg befand. Man hatte damals die Sorge, dass dann, wenn man diese Vereinbarung mit Russland nicht trifft, der alte KSE-Vertrag und der angepasste KSE-Vertrag von Russland von vornherein verletzt werden. Es ist also ein Zugeständnis an Russland gewesen. Deswegen müssen wir darauf dringen, nicht nur aus Gründen der Vertragstreue, sondern weil es ein wesentlicher Bestandteil der konventionellen Sicherheit in Deutschland ist, dass Russland diesen Verpflichtungen weiter nachkommt. Deswegen ist ein Junktim - das ist mein letzter Satz, Herr Präsident - zwischen konventioneller Abrüstung in Europa und der strategischen nuklearen Abrüstung falsch; denn dann entsteht die Gefahr, dass es aufgrund des engen Zeitfensters, das für die Verhandlungen über den START-I-Vertrag bis zum Ende des Jahres besteht, und wegen der Schwierigkeiten, die sich bei der konventionellen Abrüstung und bei der Ratifizierung des KSE-Vertrags ergeben können, nicht rechtzeitig zu einem Nachfolgeabkommen kommt. Beides ist wichtig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber beides darf nicht vollständig miteinander verbunden werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass beides nicht gelingt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege von Klaeden, Sie hatten vor geraumer Zeit einen Schlusssatz in Aussicht gestellt, was mich zur Wiederholung meiner Empfehlung veranlasst, dass es sich dann, wenn Schlusssätze einen Großteil der zugemessenen Redezeit beanspruchen, empfiehlt, mit diesen Schlusssätzen rechtzeitig zu beginnen. ({0}) Nun erhält der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt auf unserer Erde 10 000 Atomsprengköpfe, davon 4 500 in der NATO. Das heißt, die Menschheit ist in der Lage, sich vielfach und vollständig zu vernichten. Den Sinn konnte mir noch niemand erklären. Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass - ich glaube, sogar als erster amerikanischer Präsident, seit Amerika Atomwaffen besitzt Obama jetzt erklärt hat, er wolle eine atomwaffenfreie Welt. Daran haben wir in jeder Hinsicht zu arbeiten. ({0}) Der Vertrag von 1968 über die Nichtverbreitung von Atomwaffen enthält drei verschiedene Verpflichtungen. Er enthält einmal die Verpflichtung zur Abrüstung, die nicht erfüllt wurde, zum Zweiten das Verbot der Verbreitung von Atomwaffen und zum Dritten die Zusage an eine friedliche Nutzung von Atomenergie, egal wie wir jetzt dazu stehen. 189 Staaten - das darf man nicht vergessen - haben diesen Vertrag unterschrieben und ratifiziert, nur nicht Indien, Pakistan und Israel. Nordkorea ist 2003 ausgetreten; das ist ein weiteres Problem. Die letzte Überprüfungskonferenz fand 2005 statt und brachte nichts, da die USA damals an Abrüstung noch nicht interessiert waren. Es gibt inzwischen sicher acht Nuklearmächte: die USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan und Israel. Bei Nordkorea besteht Unsicherheit, und dem Iran wird vorgeworfen, Atomwaffen herstellen zu wollen. Das alles bereitet große Sorgen, nicht nur wegen Nordkorea und Iran, sondern zum Beispiel auch wegen Pakistan, wenn man an die instabile Situation in diesem Land, an die Rolle der Taliban usw. denkt. Bei Indien darf ich Sie an den Kaschmirkonflikt und andere Dinge erinnern. 2000 war ich in Indien und habe mit dem damaligen indischen Außenminister gesprochen. Was er mir erzählt hat, war wirklich interessant. Ich habe dort natürlich pflichtgemäß kritisiert, dass Indien Atomwaffen baut. Daraufhin hat er mich gefragt: „Waren Sie eigentlich für oder gegen den Jugoslawienkrieg?“ Ich habe gesagt: „Ich war dagegen.“ Er fragte weiter: „Hatte Jugoslawien Atomwaffen?“ Ich sagte: „Nein.“ Dann sagte er: „Glauben Sie, Belgrad wäre bombardiert worden, wenn Jugoslawien Atomwaffen gehabt hätte?“ Das war seine Antwort. Es ist nicht so, dass ich darauf nichts geantwortet hätte. Mir ist aber klar geworden: Wir können glaubwürdig den Verzicht auf Atomwaffen nur durchsetzen, wenn die Atommächte ihre Atomwaffen ernsthaft abbauen, bis hin zu Null. Einen anderen Weg gibt es nicht. ({1}) Sonst bleibt das ein Privileg, weil Staaten immer wieder sagen werden, sie seien ja nur unangreifbar, wenn sie selber die Atomwaffen besitzen, und genau das müssen wir abbauen. Wir begrüßen den Vorschlag von Obama. Es ist auch zu begrüßen, dass er zusammen mit dem russischen Präsidenten einen neuen START-Vertrag abschließen will. Es ist ebenfalls nicht zu unterschätzen, dass er gesagt hat, er verzichte auf Atomtests. Ich glaube, dass wir diesen Weg gehen müssen. Ich sage es noch einmal: Nur wenn die Atommächte jetzt vereinbaren, wie sie schrittweise die Atomwaffen abbauen bis zur Zahl Null, sind sie auch berechtigt, nicht nur zu fordern, sondern international durchzusetzen, dass nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt mehr eine einzige Atombombe gebaut wird. Genau das muss das Ziel sein. ({2}) Von Deutschland ging im letzten Jahrhundert der schlimmste Krieg aus, der Zweite Weltkrieg. Deshalb müssen wir an Abrüstung ein besonderes Interesse haben, das wir durch Signale ganz besonders zum Ausdruck bringen müssen. Auch Deutschland kann einen Beitrag zur nuklearen Abrüstung leisten. Das Erste wäre die Forderung nach einem Abzug der noch vorhandenen US-Atombomben in Deutschland. Wer braucht denn diese Atombomben? ({3}) Die Deutschen brauchen sie am allerwenigsten, Europa und die USA brauchen sie auch nicht. Wir können diese Atomwaffen loswerden. Wenn Obama glaubwürdig ist in seinem Wunsch nach atomarer Abrüstung, hat er nicht ein einziges Argument dafür, die Atomwaffen in Deutschland zu belassen. Das müssen wir nutzen. Deshalb gibt es Anträge, die fordern, der Bundestag solle das beschließen. Zweitens müssen wir auf einen eindeutigen Verzicht auf die nukleare Teilhabe in der NATO durch die Bereitstellung von Trägersystemen, von Bundeswehrpersonal oder durch anderweitige Unterstützung setzen. Auch das ist möglich. Griechenland und Kanada haben keine nukleare Teilhabe in der NATO. Sie waren die Ersten, die diesen Weg gegangen sind. Auch Deutschland muss diesen Weg jetzt gehen. ({4}) Interessant ist, dass die Union dagegen ist. Sie wollen nicht, dass die Regierung aufgefordert wird, mit der amerikanischen Regierung über einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland zu verhandeln, und schon gar nicht wollen Sie die nukleare Teilhabe in der NATO aufgeben. Die Bundeskanzlerin hat das in der Bundestagsdebatte am 26. März 2009 begründet. Sie hat wörtlich Folgendes gesagt - ich darf zitieren -: Wir sollten gut aufpassen, dass wir Ziel und Weg nicht vermischen. ({5}) Außerdem hat sie gesagt: Die Bundesregierung hat deshalb die nukleare Teilhabe in der Allianz im Weißbuch verankert, weil wir wissen, dass sie uns Einfluss im Bündnis sichert. Das ist eine Denkweise aus dem Kalten Krieg, die wir heute überhaupt nicht mehr gebrauchen können. Wollen Sie denn ernsthaft sagen, dass Kanada und Griechenland keinen Einfluss in der NATO haben, nur weil sie auf die nukleare Teilhabe verzichtet haben? Bei unserer Geschichte hätten wir die Ersten sein müssen, die verzichten. ({6}) Die Ersten können wir nicht mehr sein. Nun lassen Sie uns wenigstens die Dritten werden! Wir unterstützen den Antrag der Grünen, der unserem Antrag ganz ähnlich ist. Der Antrag der FDP ist unserem auch ähnlich, hat allerdings einen Mangel. Die nukleare Teilhabe kritisieren Sie im Feststellungsteil, aber im Forderungsteil kommt der Verzicht nicht zum Ausdruck, was ich schade finde; denn die Bundesregierung müsste aufgefordert werden, diesbezüglich einen anderen Weg zu gehen. Herr Steinmeier, es ist ja ganz schön, was Sie hier verkünden, aber in dem Antrag von Union und SPD gibt es nicht einen Halbsatz zu den amerikanischen Atomwaffen in Deutschland ({7}) und findet sich nichts dagegen, dass wir eine nukleare Teilhabe in der NATO haben. Jetzt werden Sie mir erklären, dass das wieder an der Union liegt - die Erklärung kenne ich seit vielen Jahren -; ich sage Ihnen: Das ist ein Problem. Das Problem besteht in Folgendem: Es gibt von der Bevölkerung gewählte politische Mehrheiten im Bundestag, die nichts erreichen, weil die politische Konstellation dagegenspricht. Erklären Sie den Leuten mal, dass es eine Mehrheit gibt, nämlich von SPD, Grünen und uns Linken, die für einen gesetzlichen Mindestlohn ist, dass ein solcher Mindestlohn im Bundestag aber nicht zu beschließen ist! Erklären Sie den Leuten mal, dass es eine Mehrheit von SPD, Linken, Grünen und FDP gibt, die die Regierung auffordern will, dafür zu sorgen, dass die amerikanischen Atomwaffen so schnell wie möglich aus Deutschland verschwinden und wir auch auf die nukleare Teilhabe in der NATO verzichten, dass aber trotz dieser Mehrheit kein solcher Beschluss zustande kommt! Es gibt eine Mehrheit, die das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern will, aber auch dieser Beschluss kommt nicht zustande, und zwar deshalb nicht, weil Sie sich regelmäßig der Union unterordnen. Wenn das so ist, dann müssen Sie im Wahlkampf auch sagen, dass Sie Versprechungen in die ganze Welt hinein machen, damit aber nichts zu tun haben, weil letztlich die Union entscheidet, was Sie dürfen und was Sie nicht dürfen. Das ist die Konstellation, mit der wir es im Bundestag gegenwärtig zu tun haben. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deshalb ist das Ganze nicht glaubwürdig. - Herr Präsident, ich bin schon fertig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist ja nicht zu fassen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich war so was von diszipliniert. - Ich hoffe, wir werden die Atomwaffen so schnell wie möglich los. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, so ist es: Die einen haben sehr pragmatische Visionen, und die anderen sind sprachlos. Präsident Obama hat in Prag in der Tat einen Paradigmenwechsel in der Abrüstungspolitik eingeleitet. Der mächtigste Staat unterstützt nun die Perspektive einer Welt ohne Atomwaffen. Und was macht die Bundesregierung? Folgt sie Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker? Nein, Frau Merkel ist seitdem weitgehend in Sprachlosigkeit verfallen. Man merkt ihr irgendwie an, dass sie den Wechsel von George W. zu Barack Obama mental noch nicht so richtig verarbeitet hat. Ihr Außenminister, der liebe Frank Steinmeier, redet dafür umso lauter, aber eigentlich immer nur auf Seminaren der Friedrich-Ebert-Stiftung und auf SPD-Parteiversammlungen. ({0}) Die Frage bleibt natürlich: Was macht die Bundesregierung? ({1}) Was ist ihr konkreter Vorschlag, den sie in diesen Prozess einbringen will? Was ist ihr Zeitplan? Welchen Vorschlag wird die Bundesrepublik Deutschland im Mai bei der Vorbereitungskonferenz für die Überprüfungskonferenz machen? Werden Sie - gemeinsam vielleicht mit dem Bundesverteidigungsminister - vorschlagen, dass Deutschland endlich den Zustand beendet, dass jeden Tag deutsche Soldaten in Tornados steigen, um den Abwurf von Nuklearwaffen zu üben? Ich sage Ihnen eines, Herr Steinmeier - den Zwischenruf mit der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich gehört -: Für eine Regierung reicht es nicht, zu reden. Eine Regierung, auch eine Große Koalition, ist dafür gewählt worden, zu handeln. ({2}) Handeln heißt in dieser Frage: Beenden Sie die nukleare Teilhabe. Sie müssen sich nicht hinter den USA verstecken. Es ist eine souveräne Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, ob wir weiterhin eine Mitmach-Atommacht sind oder nicht. Das hat auch Konsequenzen. Nur wer selbst bereit ist, ohne Atomwaffen zu leben, kann glaubwürdig von anderen verlangen, es genauso zu tun. Solange Atomwaffenstaaten oder Nukleare-Teilhabe-Staaten wie Deutschland behaupten - Frau Merkel hat das erneut getan -, dass Atomwaffen für die eigene Sicherheit unverzichtbar seien, so lange werden diese Waffen für andere interessant bleiben. ({3}) Diese krude Logik hat uns nach einer Phase der Abrüstung in den 90er-Jahren dahin gebracht, dass wir inzwischen wieder mehr statt weniger Atomwaffen haben. Solange die atomwaffenbesitzenden Staaten ihren im Nichtverbreitungsvertrag eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkommen, so lange können sie sich von allen Bemühungen über strengere Regeln und bessere Kontrollen zur Nichtverbreitungspolitik nicht ernsthaft versprechen, dass diese zum Erfolg führen. Die Doppelstandards zwischen den Technologieinhabern - das sind nicht nur die atomwaffenbesitzenden Staaten - haben das Nichtverbreitungsregime 2005 kurz vor den Kollaps gebracht. Anstatt daraus Lehren zu ziehen, hat die Bundesregierung aktiv vorwärtstreibend eine Rolle dabei gespielt, unter Bruch wesentlicher Prinzipien des Nichtverbreitungsvertrages den U.S.-India Nuclear Deal durch die Nuclear Suppliers Group durchzupeitschen. Anders kann man das nicht sehen. ({4}) Nun gibt es seit der Rede von Barack Obama die Hoffnung, dass 2010 anders sein wird als 2005. Beim Lesen des Antrags der Großen Koalition frage ich mich aber wirklich - dazu habe ich in der Rede des Bundesaußenministers auch nichts gehört -: Was wollen Sie eigentlich? Sie sagen, der Atomteststoppvertrag sei wichtig. Natürlich ist er wichtig. Wir haben ihn hier ratifiziert. Des Weiteren sprechen Sie davon, dass es ein Folgeabkommen zu START geben müsse. Ja, das stimmt. Aber das interessiert die Bundesrepublik Deutschland doch nicht. ({5}) - Lieber Herr von Klaeden, eigenes Handeln findet in diesen Anträgen überhaupt nicht statt. ({6}) Eigenes Handeln hätte geheißen: Wir brauchen Verhandlungen über eine nichtdiskriminierende, verifizierbare und durchsetzbare Nuklearwaffenkonvention. Wir brauchen ein Kernwaffenregister. Wir müssen als EuroJürgen Trittin pa dem Raketenabwehrschild eine Absage erteilen. Wir müssen endlich darangehen, die Sicherheitsstrategie der NATO zu entnuklearisieren. ({7}) Das ist eigenes Handeln. Es reicht nicht aus, auf der Tribüne zu kommentieren, während andere spielen. Sie haben gesagt, es gebe auch eine moralische Verantwortung zum Handeln. Das steht darin. Betrachten Sie doch bitte einmal selbstkritisch Ihre eigene Geschichte. Wer hat denn das große Loch in den Nichtverbreitungsvertrag hineinverhandelt - ein Loch, so groß wie ein Scheunentor -, dass die Technologie der Anreicherung und Wiederaufarbeitung nicht dem Nichtverbreitungsregime unterliegt? Das war damals Deutschland. Wenn Sie heute hier zu Recht vor den Gefahren des iranischen Atomprogramms warnen, muss ich Sie um der historischen Wahrheit willen darauf hinweisen, dass die Tür für Ahmadinedschad durch die Art und Weise, in der Franz Josef Strauß dieses Loch seinerzeit hineinverhandelt hat, geöffnet worden ist. ({8}) Solange die Situation so ist, kommen Sie in Bezug auf die Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs nicht zu einem diskriminierungsfreien Regime. Eigenes Handeln - die eigene Bereitschaft, die Wiederaufarbeitung und die Anreicherung in Deutschland, beispielsweise in Gronau, endlich selber solchen Regeln zu unterwerfen - ist also die Voraussetzung für Fortschritte in der Nichtverbreitungspolitik. Eigenes Handeln heißt aber auch: eigenes Handeln im Bereich der nuklearen Teilhabe. Wir müssen Schluss damit machen, dass Obama vorlegt, Merkel schweigt und Deutschland in der Abrüstungspolitik weiter herumeiert. Ich finde, die Zeit der Ausreden ist vorbei. Wir wissen heute: Eine Welt ohne Atomwaffen ist möglich. Es kommt darauf an, endlich anzufangen. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rolf Mützenich, SPD-Fraktion.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, heute ist ein guter Tag, und zwar nicht nur, weil wir heute einmal vormittags im Deutschen Bundestag über die nukleare Abrüstung sprechen, sondern auch, weil zeitgleich in Rom die amerikanischen und die russischen Verhandlungspartner zum ersten Mal zusammenkommen, um über Abrüstung im Bereich der strategischen Atomwaffen zu sprechen. ({0}) Herr Trittin, ich finde schon, dass man deutlich sagen muss, dass Deutschland ein großes Interesse an der Abrüstung der strategischen Atomwaffen hat. Deutschland ist ein verantwortlich handelndes Land innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Deswegen haben wir dieses Thema auch in den Koalitionsantrag aufgenommen. Unsere Sicherheit wird gestärkt, wenn es gelingt, das einzuhalten, was sich Präsident Obama und Präsident Medwedew versprochen haben, nämlich bei den strategischen Atomwaffen deutlich abzurüsten. Deswegen begrüßen wir das gerade am heutigen Tag. ({1}) Kollege Hoyer hat vollkommen recht: Die nukleare Abschreckung war während des Ost-West-Konflikts eine Last. Einige behaupten ja immer noch, wir hätten es der nuklearen Abschreckung zu verdanken, dass wir sozusagen über die Runden gekommen sind. Wenn man die Dokumente, die die Archive freigegeben haben, heute liest, wird einem jetzt noch mulmig zumute. Dann denkt man darüber nach, was alles hätte passieren können. Dabei geht es nicht nur um die Kuba-Krise, sondern auch um NATO-Manöver, um Fehler auf der sowjetischen Seite und viele andere Dinge. Präsident Obama ist ein Realist, wenn er Visionen hat. Ich sage das ganz bewusst als Sozialdemokrat; denn er hat einen guten Fürsprecher, Helmut Schmidt, der, wie Sie wissen, den einen oder anderen Visionär zumindest während seiner Kanzlerschaft anders bezeichnet hat. Gerade deswegen ist seine Fürsprache bedeutsam. Wir unterstützen Präsident Obama in seiner realistischen Strategie, damit die Kernwaffen von dieser Erde verschwinden. ({2}) Es ist gut und richtig, dass der Außenminister zweierlei tut: Bei seinen nächsten Gesprächen in den USA wird er mit seiner amerikanischen Kollegin über die in Deutschland lagernden Atomwaffen sprechen. Er wird aber auch sagen, dass die substrategischen Atomwaffen aus Europa verschwinden müssen. Das ist ein realistischer Ansatz. Darum geht es. Ihre Anträge dienen im Grunde nur der Nabelschau. Sie suggerieren den Leuten draußen, dass wir sicherer wären, wenn die Atomwaffen weg wären. Damit widerlegen Sie aber Ihre eigene Argumentation im Hinblick auf die nukleare Abschreckung und die Verfügungsgewalt über zahllose Atomwaffen. Es war richtig, dass der Außenminister gesagt hat, dass er diese beiden Aspekte zusammenbringen will. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, genau diesen Aspekt haben Sie in Ihrem Antrag nicht berücksichtigt. Sie gehen nur auf die Atomwaffen ein, die sich auf deutschem Territorium befinden. Ich finde, das ist zu wenig. Wenn man eine seriöse Sicherheitspolitik betreiben will, wenn man für nukleare Abrüstung und Abrüstung insgesamt eintritt, muss man diese Dinge gemeinsam ansprechen. Deswegen sage ich Ihnen ganz ehrlich: Sie machen nur Spektakel. Ich bin froh, dass Frank-Walter Steinmeier keine Fisimatenten - Entschuldigung: keinen Unfug; als Rheinländer sagt man das so - macht, sondern genau den von mir bezeichneten Aspekt in die Gespräche einbringt. ({3}) Kollege Hoyer, ich würde Sie gerne einmal fragen - diese Frage habe ich mir schon während Ihrer Rede überlegt -, mit wem Sie das, was in Ihrem Antrag steht und was Sie eben hier vorgetragen haben, eigentlich erreichen wollen. Mit Ihrem Wunschpartner, der nebenan sitzt? ({4}) Verstehen Sie das unter Seriosität bei diesen Themen im kommenden Wahlkampf? Ich finde, dass der außenpolitische Aspekt dazugehört. Sie müssen sagen, mit welchem Partner Sie das nach dem 27. September umsetzen wollen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich schätze die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU - persönlich auf jeden Fall -, aber ich kann Ihnen Geschichten erzählen, die zeigen, wie schwer es in den letzten Jahren gewesen ist, das eine oder andere auf den Weg zu bringen. ({5}) Deswegen bin froh, dass wir es geschafft haben, den Antrag von CDU/CSU und SPD heute auf den Weg zu bringen. Ich war enttäuscht - ich versuche, eine ehrliche Debatte zu führen -, als die Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten einen zwar lesenswerten Beitrag zur Sicherheitskonferenz in München geschrieben hat, es aber nicht geschafft hat, das umzusetzen, was wir innerhalb der Europäischen Union brauchen, nämlich eine ernsthafte Debatte mit den europäischen Partnern, mit Großbritannien und mit Frankreich, über die Atomwaffen zu führen. Ich hätte diesen Artikel sofort unterschrieben, wenn die Bundeskanzlerin es geschafft hätte, vom französischen Präsidenten, der ja sehr eigenwillig ist - das gebe ich gern zu - und vielleicht gar nicht so einfach in eine bestimmte Richtung gelenkt werden kann, die Aussage zu erhalten, dass er zumindest auf die Modernisierung der französischen Atomwaffen verzichtet. Auch dafür tritt der deutsche Außenminister ein. Ich glaube, dass er in nächster Zukunft mit seinem britischen Kollegen über wichtige Bereiche sprechen wird, bei denen es um nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle geht. Wir brauchen wieder eine politische Kultur der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir brauchen den Einsatz für die konventionelle Abrüstung; dies ist eben angesprochen worden. Wir haben das in unser Grundsatzprogramm und auch in unser Wahlprogramm aufgenommen. Die Menschen können darüber befinden, ob es für Deutschland der richtige Weg ist, diese beiden Aspekte - die hier lagernden Atomwaffen und die weltweite Abrüstung - zusammenzuführen. Dafür treten wir ein. Daher sollten Sie unserem Antrag zustimmen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Elke Hoff für die FDPFraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Vorwurf der Fisimatenten - lieber Kollege Mützenich, das ist ein Wort, das wohl nur die Rheinländer verstehen können ({0}) weise ich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich zurück. Wir versuchen nicht, den Eindruck zu erwecken, dass man die taktischen Nuklearwaffen sozusagen von heute auf morgen von deutschem Boden abziehen könnte. Vielmehr sagen wir einerseits, dass wir ein Zeichen setzen möchten. Andererseits möchten wir im Diskussionsprozess in der Nuklearen Planungsgruppe die Möglichkeit haben, über den weiteren Umgang des Bündnisses mit Nukleartechnologie als strategischem Instrument zu reden. Ich halte das für einen sehr klugen und guten Weg, um vernünftige Gespräche mit den Partnern zu erreichen. ({1}) Wir haben heute sehr häufig gehört, dass spätestens seit der Rede des neuen US-Präsidenten Obama in Prag das Ziel einer kernwaffenfreien Welt nun endgültig von einer politischen Utopie zu einer historischen Chance geworden ist. Das ist richtig; aber wir sind gleichzeitig aufgefordert, lieber Kollege Mützenich, vor der eigenen Haustür zu kehren. Wer, wenn nicht wir, kann hier ein Zeichen setzen? Wir als Deutscher Bundestag sollten fordern, dass die auf deutschem Boden verbliebenen Nuklearwaffen abgezogen werden. Ich hoffe sehr, dass das Parlament unserem Antrag heute mit breiter Mehrheit Folge leisten wird. ({2}) Wir Europäer dürfen uns nicht damit zufriedengeben, jetzt auf die Abrüstungsinitiativen der Vereinigten Staaten zu warten. Deutschland und Europa müssen sich zu ihrer eigenen abrüstungspolitischen Verantwortung bekennen und vor allen Dingen das überkommene sicherheitspolitische Denken aus den Zeiten des Kalten Krieges über Bord werfen. Denn nur wenn Deutschland seinen eigenen Abrüstungsverpflichtungen nachkommt, können wir als glaubwürdiger Nichtkernwaffenstaat international vorangehen. Bevor ich zum Dreh- und Angelpunkt der heutigen Debatte komme, nämlich dem Abzug der auf deutElke Hoff schem Boden verbliebenen Nuklearwaffen, eines vorweg: Die Regierungspartner können noch so viele wohlklingende und natürlich auch wohlgemeinte Anträge einbringen, die dazu aufrufen, die Chancen für eine weltweite Abrüstung zu nutzen. Sie werden damit nicht verbergen können, dass Deutschland in den knapp vier Jahren Regierungszeit der Großen Koalition nicht die abrüstungspolitische Vorreiterrolle übernommen hat. ({3}) Die koalitionsinterne Uneinigkeit spiegelt sich im vorliegenden Abrüstungsantrag wider. Wenn der Bundesaußenminister diese Forderung gegenüber den Bündnispartnern tatsächlich aktiv erheben will, dann hätte man das in den Antrag schreiben können. Das hätte ihm geholfen und ihm Rückenwind gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, überlegen Sie, ob Sie nicht doch Ihre Zustimmung dem Antrag, den wir vorgelegt haben, erteilen können. ({4}) Meine Redezeit läuft ab, insofern lassen Sie mich zum Schluss kommen. Dass Deutschland die Mitgliedschaft in der Nuklearen Planungsgruppe verlieren oder auch nur ein formales Mitspracherecht einbüßen würde, sollten die US-Atomwaffen abgezogen werden, ist, wie Kollege Hoyer schon gesagt hat, mit Verlaub ein Ammenmärchen. Es wird damit auch nicht die Axt an den Kernbestand der NATO gelegt. Kanada und Griechenland - das ist heute bereits erwähnt worden - haben dies vorgemacht. Man kann aber nicht, wie dies die Bundesregierung bisher getan hat, auf eine Zeitenwende bei der nuklearen Abrüstung hoffen und gleichzeitig an der technisch-nuklearen Teilhabe, einem Relikt des Kalten Krieges, festhalten. Das passt nicht zusammen. Deshalb ist es nur konsequent, diese Waffen abzuziehen und die technischnukleare Teilhabe Deutschlands zu beenden. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Eduard Lintner für die CDU/CSU-Fraktion.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte, die wir heute führen, findet - darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden - unter dem Eindruck der Rede von Barack Obama in Prag statt. Dort hat der Präsident die Vision einer Welt ohne Atomwaffen aufgegriffen und sich zu diesem Ziel bekannt. Wie wir alle miterleben konnten, hat er damit viel Hoffnung geweckt und einen Wunsch vieler Menschen artikuliert. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die heutige Debatte natürlich auch unter dem Schatten des nordkoreanischen Raketenstarts am selben Tag und auch der Bekanntmachung des Irans, dass das Land seine Anstrengungen zur Urananreicherung signifikant erhöht habe, stattfindet. Diese Meldungen haben wiederum verdeutlicht, dass der Weg zu einer kernwaffenfreien Welt sehr weit und bei weitem nicht leicht sein wird. Er kann eben nur geduldig und in vielen kleinen Schritten gegangen werden. Wir dürfen den Menschen nicht vorgaukeln, dass all das demnächst schon erreicht werden könnte, wie dies einige Redner leider getan haben. Die bevorstehende Sitzung des Vorbereitungsausschusses für die nächste Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages kann ein solcher Schritt sein. Ich hoffe, sie wird es auch. Dieser Vertrag ist zwar wie die Atomwaffen selbst ein Relikt des Kalten Krieges, aber er ist heute wichtiger denn je, da sich mehr Staaten als früher zielstrebig darum bemühen, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Gerade von diesen nuklearen Ehrgeizlingen geht heute eine der größten Gefahren für die internationale Sicherheit aus, denn sie werden zum Teil von unberechenbaren Regimen regiert, sind meist in gefährliche Regionalkonflikte verstrickt oder gar vom Zusammenbruch staatlicher Gewalt bedroht. Die nuklearen Ambitionen dieser Staaten drohen ganze Regionen zu destabilisieren und ziehen dann zwangsläufig eine weitere Verbreitung nuklearer Waffen nach sich. Hauptziel einer Revision des Atomwaffensperrvertrages muss es vor diesem Hintergrund sein, die Verbreitung von Wissen und Material zur Herstellung nuklearer Waffen effektiver als bisher zu kontrollieren und wirksame Sanktionsmechanismen zu schaffen. Auch Präsident Obama - daran sei erinnert - hat in seiner Prager Rede gerade solche Schritte als eine zwingende Vorbedingung für weitere nukleare Abrüstung genannt. Solche Vorbedingungen setzen auch die Grenzen für die Möglichkeiten zu uni- und bilateralen Abrüstungsverpflichtungen, wie zum Beispiel beim angestrebten START-Nachfolgeabkommen zwischen Russland und den USA. Keine Nuklearmacht wird sich freiwillig entwaffnen, wenn sie nicht sicher sein kann, dass sie nicht von anderen Staaten nuklear bedroht wird. Nukleare Abschreckung ist daher nach wie vor notwendig und unverzichtbar. Deshalb sollte auch die NATO weiterhin eine nukleare Komponente haben und muss Deutschland weiter im System der nuklearen Teilhabe integriert bleiben. Ein Verzicht auf die nukleare Teilhabe, wie er hier gefordert wird, würde jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Beitrag zu einer weiteren globalen Abrüstung leisten. Ich bin sicher, weder Herr Ahmadinedschad noch Kim Jong II würden sich vom Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland sonderlich beeindruckt zeigen. Die Teilhabe ist darüber hinaus nicht zuletzt - das sollten wir nicht vergessen - auch ein manifestes Zeichen transatlantischer Solidarität und Zusammenarbeit, auf das wir nicht verzichten können. Deutschland wäre daher schlecht beraten, unilateral einen Verzicht zu erklären. Ein solcher Schritt ist nur als Ergebnis einer gründlichen Diskussion mit unseren Verbündeten über die gemeinsame Verteidigungsstrategie überhaupt vorstellbar. ({0}) In diesem Kontext muss, wie ich meine, auch ernsthaft über die Möglichkeiten der Raketenabwehr nachgedacht werden. Denn eine effektive Raketenabwehr vermindert zum Beispiel die eigene Verwundbarkeit durch nukleare Angriffe und verringert daher letztlich die Notwendigkeit des Besitzes eigener Nuklearwaffen zum Zwecke der Abschreckung. ({1}) Systeme zur Raketenabwehr können daher eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer nuklearwaffenfreien Welt spielen. Konkret stellt sich für Deutschland auf dem Gebiet der Nuklearpolitik neben dem Engagement für eine Revision des Sperrvertrages zurzeit vor allem die Frage nach dem Umgang mit dem Iran. Zusammen mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen haben wir hierfür Verantwortung übernommen; Herr Kollege Trittin, das ist auch Ihnen bekannt, und das ist durchaus ein konkreter Beitrag, wie Sie ihn einfordern. Der Ansatz dieser Bemühungen hat sich durch die diplomatische Offensive der neuen US-Regierung gewandelt. Es wird sich zeigen, ob der Iran auf die neue Offenheit der USA anders reagiert als auf die harte Haltung der Bush-Administration. Die bisherigen Reaktionen aus Teheran sind nicht gerade ermutigend. Der neue Ansatz der Obama-Administration ist aber, wie ich glaube, eines Versuches und unser aller Unterstützung wert. Sollte er aber scheitern, meine Damen und Herren, muss der Westen und muss auch Deutschland wieder zu weiteren Sanktionen bereit sein. Nur so bleiben wir in unserem Bekenntnis zur Verhinderung der Verbreitung nuklearer Waffen glaubhaft. Glaubhaftigkeit ist auch hier die zwingende Voraussetzung für den Erfolg, den wir alle erzielen wollen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die zu Ende gehende Sitzungswoche hat gute Aussichten, als historisch in unsere Parlamentsgeschichte einzugehen. Wer von Ihnen kann sich daran erinnern, dass einmal alle Fraktionen dieses Hauses in drei Themen der Verteidigungspolitik im Grundsatz übereingestimmt haben: erstens bei der Schließung des Luft-Boden-Schießplatzes Wittstock, zweitens beim Verbot von Streumunition und drittens - heute - bei der nuklearen Abrüstung? Auch wenn Präsident Obama noch nicht Mitglied der Friedensbewegung ist, so gilt: Er hat mit seiner Ankündigung, auf eine atomwaffenfreie Welt hinzuarbeiten, offensichtlich Schwung in die Abrüstungsdebatte gebracht. Ich hoffe, dass damit eine Schubumkehr einsetzt, die die verheerende Politik der Regierung Bush Stück für Stück revidiert, eine Politik, deren sichtbarer Ausdruck das Scheitern der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Jahre 2005 und die einseitige Kündigung des ABM-Vertrages über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen im Jahre 2002 ist. Den Atommächten, die den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag ratifiziert haben, kommt nach Art. VI des Vertrages ohne Zweifel die Hauptverantwortung zu, wenn es darum geht, eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Von dieser Verantwortung war bisher leider nicht viel zu sehen. Denn entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung werden immer neue Waffen und Trägersysteme entwickelt. Auch geistig ist weiter aufgerüstet worden. Ich erinnere nur an die US-Doktrin für gemeinsame nukleare Operationen in der Joint Publication 3-12, die bei einer vermuteten Bedrohung durch ABC-Waffen explizit einen Präventivangriff vorsieht. Ich komme zur Verantwortung der nichtatomaren Mitglieder des Vertrages. Hiermit meine ich besonders diejenigen, die in der NATO Einfluss haben. Dem Bündnis gehören schließlich drei der fünf Nuklearmächte an, die dem Vertrag beigetreten sind. Da muss ich die Frage stellen, ob die Bundesregierungen seit Ende des Kalten Krieges das ihnen Mögliche getan haben, eine Weiterverbreitung zu verhindern, und ob ihre Politik dazu beigetragen hat, das Vertrauen der nichtatomaren Vertragsstaaten in die Ziele des Vertrages zu stärken. Mir als Rheinland-Pfälzer fällt da als Erstes Büchel ein. Das dort stationierte Jagdbombergeschwader 33 ist die letzte verbliebene Klammer zur sogenannten nuklearen Teilhabe Deutschlands, an der die Bundesregierung aus mir unerfindlichen Gründen immer noch festhält. In Reichweite der Tornados bzw. eines Nachfolgeflugzeuges sehe ich keinen Staat, der Deutschland feindlich gesinnt wäre. Vereinbaren Sie also mit den USA den Abzug der noch immer in Büchel lagernden Atomwaffen! Hier kann der Außenminister konkret Wort halten, und Deutschland stünde nicht mehr im Verdacht, das Gebot der Nichtverbreitung zu unterlaufen. Welche Forderungen muss die Bundesregierung aus meiner Sicht heute an den Vorbereitungsausschuss für die Überprüfungskonferenz 2010 des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages stellen? Es muss erstens erheblicher Druck auf die vier Staaten Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan ausgeübt werden, diesem Vertrag beizutreten. Das heißt zweitens, dass diese Staaten ihr Atomwaffenpotenzial vernichten müssen. Drittens müssen die fünf Atomwaffenstaaten, die bereits vor dem 1. Januar 1967 Atomtests durchführten, endlich ihrer vertraglichen Verantwortung gerecht werden und qualitativ atomar abrüsten. Wenn die Präsidenten Obama und Medwedew diese Politik einleiten würden, wären sie wirklich glaubhafte Abrüstungspolitiker. Ich komme zum Schluss. Für die Abrüstungspolitik insgesamt gilt: Der durch den US-Präsidenten ausgelöste Schwung muss genutzt werden, um in den kommenden Monaten Fakten zu schaffen, an denen auch inneramerikanische Gegenkräfte zur Abrüstungspolitik nicht vorbeikommen; denn die sind bereits dabei, sich neu zu formieren. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Gert Weisskirchen für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2009 kann - das hat Barack Obama in Prag deutlich unterstrichen - ein Jahr werden, in dem eine Zeitenwende anbricht. Zum ersten Mal hat ein amerikanischer Präsident auch vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte deutlich gesagt: Wir, die USA, sind die Einzigen, die jemals Atomwaffen militärisch eingesetzt haben. - Er hat die Vision entwickelt: Weil das so ist, sind wir, die USA, auch diejenigen, die dafür kämpfen wollen, dass die Welt von Atomwaffen frei wird. - Das ist ein qualitativer Sprung, ein historischer Sprung. Wir sollten Barack Obama dabei jede Unterstützung zukommen lassen. ({0}) Wir könnten endlich einen der fürchterlichsten Albträume, nämlich dass die Menschheit sich selbst zerstört, dass die Zivilisation durch menschliches Fehlhandeln oder Fehlverhalten zerstört werden kann, loswerden. Das ist etwas unerhört Neues. Der Kollege Hoyer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Prozess lange dauern wird. Wir werden erleben, dass es eine ganze Reihe von Fallstricken gibt. Aber der zentrale Punkt ist, dass das jetzt möglich ist. Auch der Präsident einer anderen großen Atommacht, Dmitrij Medwedew, will kooperieren. Beide wollen vertrauensvoll miteinander an dieser großen Aufgabe arbeiten. Jetzt kommt es darauf an, dass auch wir uns in den Verhandlungsprozess einklinken. Lieber Kollege Hoyer, ich schätze Sie; aber Sie wissen doch auch, dass es klug ist, sich in einen Prozess des multilateralen Handelns und Verhandelns als konstruktiver Partner einzubringen. Wir wollen, dass die nuklearen Waffen abgeschafft werden, die bei uns noch gelagert sind. Sie müssen aber im Rahmen eines Prozesses wegverhandelt werden; genau dies steht im Antrag der Großen Koalition. Ich bitte Sie darum, manche Spiele der Parteitaktik sich selbst zu überlassen. ({1}) Hier geht es um einen historischen Moment, auf den wir jetzt mit vernünftigen Verhandlungsprozessen eingehen müssen. Deswegen ist das, was die Große Koalition verabredet hat, ein sinnvoller und richtiger Verhandlungsschritt. Am Ende dieses Prozesses werden auch die noch in Deutschland gelagerten Atomwaffen wegverhandelt sein, und dann wird die gesamte Welt nuklearwaffenfrei werden. An diesem Ziel sollten wir in diesem Hause in großem Konsens gemeinsam arbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Am Schluss spreche ich bewusst die Christdemokraten an. Jetzt kommt es darauf an, dass das, was Obama selbst will, auch im Senat durchgesetzt wird. Für die Ratifizierungsprozesse beim CTBT braucht er eine Zweidrittelmehrheit im Senat. Gegenwärtig fehlen ihm dazu noch acht Stimmen. Das sind Stimmen der Republikaner. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wie wir unsere Aufgabe und Verantwortung gegenüber den Demokraten im Senat wahrnehmen, ({3}) bitte ich dringend und herzlich darum, dass auch Sie, die Christdemokratische Union, dabei mithelfen, dass es am Ende eine Zweidrittelmehrheit im Senat geben wird. ({4}) Dann werden wir die Chance haben, das zu realisieren, was Barack Obama will: eine Welt frei von Nuklearwaffen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Es ist verlangt worden, über vier Anträge namentlich abzustimmen. Ich gehe davon aus, dass wir die namentlichen Abstimmun- gen hintereinander durchführen können und im An- schluss daran zu den einfachen Abstimmungen kom- men. - Sie sind damit einverstanden. Dann verfahren wir so. Da wir also gleich vier namentliche Abstimmungen hintereinander haben werden, bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen. Tagesordnungspunkt 33 a. Wir kommen zur ersten namentlichen Abstimmung, und zwar zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/ 12689 mit dem Titel „Die Chance zur nuklearen Abrüs- tung nutzen - Überprüfungskonferenz zum Nichtver- breitungsvertrag zum Erfolg führen“. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1) Wir kommen zur zweiten namentlichen Abstimmung und damit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12684 mit dem neuen Titel „Keine Atomwaffen in Deutschland“. Ich bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Sind alle Abstimmungsurnen an ihren Plätzen und die Schriftführerinnen und Schriftführer da? - Das ist der Fall. Dann ist die zweite Abstimmung eröffnet. Darf ich fragen, ob auch rechts die Abstimmung be- endet ist? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2) Wir kommen jetzt zur dritten namentlichen Abstim- mung, und zwar über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12667 mit dem Titel „Für einen Ab- zug der in Deutschland noch verbliebenen US-Nuklear- waffen“. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist offensichtlich geschehen. Dann eröffne ich die Abstim- mung. Darf ich fragen, ob alle Kollegen, die im Raume sind, abgestimmt haben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich diese Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen.3) Wir kommen zur vierten namentlichen Abstimmung und damit zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 16/12686 mit dem Titel „Initiative für eine atomwaffenfreie Welt unterstützen - Atomwaf- fen aus Deutschland abziehen“. Ich bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein- zunehmen. - Das ist erfolgt. Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte auch hier die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen.4) Die Ergebnisse der vier namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben. Bevor wir mit zwei einfachen Abstimmungen fortfahren, bitte ich Sie, sich zu Ihren Plätzen zu begeben, damit es etwas übersichtlicher ist. Wir kommen zum Zusatzpunkt 12. Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12666 mit dem Titel „Die NPT-Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 zum Erfolg führen - Für ein klares Bekenntnis zu dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt“. ({0}) 1) Ergebnis Seite 23769 C 2) Ergebnis Seite 23771 B 3) Ergebnis Seite 23773 B 4) Ergebnis Seite 23776 A Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthaltung der Grünen und Nichtbeteiligung der Linksfraktion abgelehnt. ({1}) - Nein, Sie haben sich geirrt. ({2}) - Gut, dann korrigiere ich das Ergebnis: bei Zustimmung der Linksfraktion. Zusatzpunkt 13: Abstimmung über den Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12685 mit dem Titel „Konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung jetzt einleiten - Nichtverbreitungsvertrag stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und der Grünen abgelehnt. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt zunächst been- det. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmung wer- den Ihnen später bekannt gegeben. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c sowie Zusatzpunkt 15 auf: 34 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz ({3}), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft schaffen, Bildung stärken - Bildungs- politische Herausforderungen als gesamtstaat- liche Aufgabe ernst nehmen - Drucksache 16/12687 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Bodo Ramelow, Volker Schneider ({5}) und der Fraktion DIE LINKE Bildungsgipfel nutzen - Bessere Bildung für alle - Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern - zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({6}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bildungsgipfel muss Ergebnisgipfel werden - Für ein gerechtes und besseres Bildungswesen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse - zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Aufbau von privatem Bildungskapital fördern - Grundlage für Bildungsinvestitionen schaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Die finanziellen Grundlagen für den Bil- dungsaufbruch schaffen - Drucksachen 16/9808, 16/10586, 16/10328, 16/10587, 16/12656 - Berichterstattung: Abgeordnete Marcus Weinberg Cornelia Pieper Cornelia Hirsch c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({9}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit starten - Drucksachen 16/7465, 16/12661 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Uwe Barth Cornelia Hirsch Priska Hinz ({10}) ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Klarheit beim Konjunkturpaket II - Bildungspolitische Handlungsspielräume für Länder und Kommunen einräumen - Drucksache 16/12668 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({11}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Koalition hat zu Anfang ihrer Zwangsehe recht vollmundige Erklärungen darüber abgegeben, was sie im Bildungsbereich gemeinsam bewegen will: Die Schulabbrecherzahlen sollten halbiert werden, die Studierendenquote sollte auf 40 Prozent gesteigert werden, die Weiterbildung sollte die vierte Säule im Bildungssystem werden. Aber auch bei der Großen Koalition gilt: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Die erste großkoalitionäre Großtat war, dass Sie sich bei der Föderalismusreform I in den zentralen Feldern des Bildungsbereichs selber erst einmal zur Lame Duck, auf Deutsch: lahmen Ente, gemacht haben. ({0}) Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir im Bildungsbereich stehen, wäre es gerade darum gegangen, die Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Bund und Ländern zu entbürokratisieren, zu vereinfachen und auf moderne Füße zu stellen. Das von Ihnen beschlossene weitgehende Kooperationsverbot, das Verbot gegenüber dem Bund, Schulgebäude mitzufinanzieren, war der totale Irrweg, aber die Große Koalition ist diesen Irrweg zügig gemeinsam gegangen. ({1}) Dass das ein Fehler war, das wissen Sie inzwischen selber, aber der Fehler holt uns immer wieder ein. Ende dieses Jahres läuft das rot-grüne Ganztagsschulprogramm aus. Es wird aber keine Neuauflage geben können, obwohl wir den zügigen Ausbau von Ganztagsschulen dringend brauchen und die Länder damit offenkundig überfordert sind. ({2}) Sie verkaufen das Konjunkturprogramm I ständig als das große Bildungsprogramm. Tatsache ist, dass in die Qualität von Bildung, in Personal- und Sachmittel, nicht investiert werden kann. Die Aussage, wir sollten lieber in Köpfe statt in Beton investieren, ist ein schöner Spruch für Ihre Sonntagsreden. Die Praxis sieht leider anders aus. ({3}) Inzwischen gibt es einen lebhaften Briefwechsel zwischen Bundesministerien, Landesbehörden und Kommunen über die Frage, wie groß der Ökoanteil an einer Schulmodernisierung sein muss, damit sie noch verfassungskonform ist. Nachdem Sie Art. 104 b vermurkst haben, darf eine Schulmodernisierung nämlich keine Schulmaßnahme sein, sondern nur noch eine Umweltmaßnahme, weil der Bund hier noch die Gesetzgebungskompetenz hat. Statt diesen Unsinn aus der Föderalismusreform I in der Föderalismusreform II endlich zu korrigieren, setzen Sie ihn weiter fort. Schulinvestitionen sollen nach der Föderalismusreform II nur noch dann möglich sein, wenn wir eine Wirtschaftskrise oder eine Naturkatastro23768 phe haben. Das heißt, falls sich im nächsten Jahr die Wirtschaftslage erholen sollte, können wir nur noch auf eine schwere Sturmflut hoffen, damit wir vielleicht doch noch zu einem Ganztagsschulprogramm kommen. ({4}) Versuchen Sie mal, das den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zu erklären. Die halten die Verantwortlichen in Berlin für völlig bekloppt. Ein Blick in den FDP-Antrag zeigt, Frau Pieper, dass auch Sie inzwischen bezweifeln, dass der radikale Wettbewerbsföderalismus der richtige Weg ist, um gesamtstaatliche Aufgaben im Bildungsbereich zu erfüllen. Ich kann Ihnen aber den Hinweis nicht ersparen, dass Sie diesen Irrweg der Großen Koalition bei der Föderalismusreform mit wehenden Fahnen mitgegangen sind. Sie persönlich haben zwar den Braten gerochen und geahnt, dass kein Segen darauf liegt, aber Ihr Kollege Meinhardt mit seinen ideologischen Scheuklappen hat es sich nicht nehmen lassen, hineinzutappen. Man könnte jetzt vermuten, dass Sie Ihren Einfluss in den Landesregierungen nutzen wollen, um diesen Fehler zu korrigieren. Was aber schlagen Sie von der FDP vor? Sie bitten die Bundesregierung, mit der geltenden Verfassung etwas laxer umzugehen. Unter Verfassungspatriotismus stelle ich mir ehrlich gesagt etwas anderes vor. ({5}) Man fragt sich, ob erst alle wegsterben müssen, die an dieser vermurksten Reform beteiligt waren, bevor wir für den Bildungsbereich zu einer vernünftigen Verfassungslage kommen. ({6}) Das wäre ziemlich traurig. Aber auch dort, wo Sie Instrumente haben und noch handeln können, sind die Ergebnisse unzureichend und unzulänglich. Viele junge Eltern werden sehr lange Gesichter machen, wenn sie merken, dass der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung im Jahr 2013 keineswegs für einen Ganztagsplatz gilt. Notwendig ist aber nicht nur ein quantitativer Ausbau, sondern vor allen Dingen eine Qualitätsoffensive für die frühe Förderung. ({7}) Bei der beruflichen Ausbildung haben Sie von der Konjunktur und der demografischen Entwicklung profitiert. Aber Sie haben die notwendigen Strukturreformen versäumt. Für über 300 000 junge Menschen gibt es keine werthaltigen Ausbildungsbausteine, durch die sie in eine normale Ausbildung kommen können; sie befinden sich immer noch in Warteschleifen und im Übergangssystem. In der Krise wird es uns böse einholen, dass Sie das duale System nicht durch konjunkturunabhängige Bausteine ergänzt haben. Das werden die jungen Leute in diesem Jahr zu spüren bekommen. ({8}) Bei der Weiterbildung hinken wir international weit hinterher, vor allen Dingen bei der Beteiligung von Niedrigqualifizierten. Ein bisschen Herumbasteln beim Meister-BAföG ist einfach zu wenig. Wir brauchen ein echtes Erwachsenenbildungsförderungsgesetz mit einer Regelung zum Erwachsenen-BAföG. Diese Reform darf nicht länger verschleppt werden. ({9}) Was den Hochschulpakt angeht, kann man froh sein, dass er nicht am Einstimmigkeitsprinzip gescheitert ist. Er ist aber mit 6 500 Euro pro Studienplatz unterfinanziert, weil ein echter Studienplatz teurer ist. Das heißt, der Anreiz, sich die Studierenden vom Hals zu halten, ist immer noch größer als der Anreiz, tatsächlich Studienplätze zu schaffen. Wir stehen bei der Studienanfängerquote jetzt da, wo wir schon 2003 waren. Das ist ein Armutszeugnis. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, sehr gerne.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sager, Sie haben eben die verschiedenen Bildungssysteme angesprochen und festgestellt, dass es um Jugend und Bildung in der Bundesrepublik Deutschland verdammt schlecht steht. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Jugendarbeitslosenquote im Nachbarland Frankreich 21,5 Prozent und im PISA-Land Finnland 19,8 Prozent beträgt, in der Bundesrepublik Deutschland aber nur - in Anführungszeichen - 8,1 Prozent? Ist das nicht eine tolle Leistung der deutschen Wirtschaft und der Politik, die die Rahmenbedingungen hierfür setzt? Sind Sie bereit, mir in diesen Punkten beizupflichten? ({0})

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, dass Sie sich die Lage etwas schönreden. Wir haben immer noch 8 Prozent junge Leute, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Diese haben so gut wie keine Chance, einmal auf eigenen Beinen zu stehen und unabhängig von sozialen Transferleistungen zu werden. Wir haben uns die tatsächliche Lage in unserem Bildungssystem ein bisschen dadurch schöngerechnet, dass wir eine gute Konjunktur hatten und uns die demografische Entwicklung geholfen hat. Wenn wir aber in der aktuellen Wirtschaftskrise nicht dem schon drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken, dann wird uns das - auch in den sozialen Sicherungssystemen - böse einholen. Ich erinnere nur an den großen Anteil der jungen Migranten bei den unter Sechsjährigen. Wenn diese in unserem Bildungssystem so wenig erfolgreich sein werden, wie es die jungen Migranten in der VergangenKrista Sager heit waren, dann gnade uns Gott, was die Steuereinnahmen, die Erwerbstätigkeit, den Fachkräftemangel und die Situation in unseren sozialen Sicherungssystemen angeht. Es ist aber auch eine schreiende Ungerechtigkeit. Ich finde Folgendes empörend: Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auszugeben. Man versucht aber, die Aufgaben, vor denen wir stehen, kleinzurechnen, indem man zum Beispiel sagt: Können wir bei den jungen Leuten ohne Schulabschluss nicht die vielen herausrechnen, die wir auf Sonder- und Förderschulen abgeschoben haben, und bei den Bildungsausgaben nicht die Pensionen der Lehrer hinzurechnen? Dann passt alles besser zusammen. - So einfach darf man es sich nicht machen. ({0}) Ich habe den Eindruck, dass die Beantwortung der Frage, woher das Geld für Bildung, rund 25 Milliarden Euro jährlich mehr, kommen soll, schlichtweg um ein ganzes Jahr vertagt worden ist. Der Bildungsgipfel hatte doch nur die Funktion, das Gesicht von Frau Merkel mit dem Thema Bildung in Verbindung zu bringen. Ich habe den Eindruck: Sie warten darauf, dass das Bruttoinlandsprodukt aufgrund der Krise so weit sinkt, dass Sie mit den jetzigen Ausgaben auf 7 Prozent kommen. ({1}) Danke für Ihre Frage, Herr Hinsken. Wir haben den belastbaren Vorschlag gemacht, den Solidaritätszuschlag schrittweise in einen Bildungssoli umzuwandeln; denn tatsächlich geht nur noch ein Teil der Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag in den Osten. Das ist ein erster belastbarer Finanzierungsvorschlag. Einen solchen vermisse ich bei Ihnen. So wie es in den letzten vier Jahren gelaufen ist, bekommen wir keinen Bildungsaufbruch in Deutschland hin. Diese Große Koalition muss beendet werden, damit Kräfte für einen Bildungsaufbruch frei werden, der seinen Namen tatsächlich verdient. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auf die namentlichen Abstimmungen zurück und gebe die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse bekannt. Zuerst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Die Chancen zur nuklearen Abrüstung nutzen - Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag zum Erfolg führen“: abgegebene Stimmen 507. Mit Ja haben gestimmt 427, mit Nein haben gestimmt 80, Enthaltungen keine. Der Antrag ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 506; davon ja: 427 nein: 79 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Axel E. Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({5}) Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({6}) Volker Kauder Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({7}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({8}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Marlene Mortler ({10}) Stefan Müller ({11}) Bernd Neumann ({12}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({13}) Klaus Riegert Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({14}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({15}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({16}) Andreas Schmidt ({17}) Ingo Schmitt ({18}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({22}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({23}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({24}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({25}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({27}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({28}) Frank Hofmann ({29}) Dr. Eva Högl Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({30}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({32}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({33}) Michael Müller ({34}) Gesine Multhaupt Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({35}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({36}) Michael Roth ({37}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({38}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({39}) Otto Schily Ulla Schmidt ({40}) Silvia Schmidt ({41}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({42}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({43}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ({44}) Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({45}) Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({46}) Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Nein DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Katrin Kunert Ulla Lötzer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Elke Reinke Paul Schäfer ({47}) ({48}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({49}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({50}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({51}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({52}) Manuel Sarrazin Irmingard Schewe-Gerigk Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Atomwaffen in Deutschland“: abgegebene Stimmen 495. Mit Ja haben gestimmt 77, mit Nein haben gestimmt 417, Enthaltungen 1. Der Antrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 500; davon ja: 78 nein: 421 enthalten: 1 Ja DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Katrin Kunert Ulla Lötzer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Elke Reinke Paul Schäfer ({53}) ({54}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({55}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({56}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({57}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({58}) Manuel Sarrazin Irmingard Schewe-Gerigk Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({59}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({60}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({61}) Axel E. Fischer ({62}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({63}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({64}) Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({65}) Volker Kauder Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({66}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({67}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({68}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Marlene Mortler ({69}) Stefan Müller ({70}) Bernd Neumann ({71}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({72}) Klaus Riegert Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({73}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({74}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({75}) Andreas Schmidt ({76}) Ingo Schmitt ({77}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({78}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({79}) Gerald Weiß ({80}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({81}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({82}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({83}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({84}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({85}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({86}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({87}) Frank Hofmann ({88}) Dr. Eva Högl Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({89}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({90}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({91}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({92}) Michael Müller ({93}) Gesine Multhaupt Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({94}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({95}) Michael Roth ({96}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({97}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({98}) Otto Schily Ulla Schmidt ({99}) Silvia Schmidt ({100}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({101}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({102}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({103}) Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({104}) Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({105}) Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Enthalten SPD Ernst Kranz Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Für einen Abzug der in Deutschland noch verbliebenen US-Nuklearwaffen“: abgegebene Stimmen 523. Mit Ja haben gestimmt 130, mit Nein haben gestimmt 392, Enthaltungen 1. Der Antrag ist abgelehnt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 503; davon ja: 128 nein: 374 enthalten: 1 Ja SPD Rüdiger Veit FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({106}) Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({107}) Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Katrin Kunert Ulla Lötzer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Elke Reinke Paul Schäfer ({108}) ({109}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({110}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({111}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({112}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({113}) Manuel Sarrazin Irmingard Schewe-Gerigk Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({114}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({115}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({116}) Axel E. Fischer ({117}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({118}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({119}) Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({120}) Volker Kauder Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({121}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({122}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({123}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Marlene Mortler ({124}) Stefan Müller ({125}) Bernd Neumann ({126}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({127}) Klaus Riegert Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Peter Rzepka Anita Schäfer ({128}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({129}) Andreas Schmidt ({130}) Ingo Schmitt ({131}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({132}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({133}) Gerald Weiß ({134}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({135}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({136}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({137}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({138}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({139}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({140}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({141}) Frank Hofmann ({142}) Dr. Eva Högl Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({143}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({144}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({145}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({146}) Michael Müller ({147}) Gesine Multhaupt Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({148}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({149}) Michael Roth ({150}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({151}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({152}) Otto Schily Ulla Schmidt ({153}) Silvia Schmidt ({154}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({155}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({156}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({157}) Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Manfred Zöllmer Enthalten SPD Ernst Kranz Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Als Letztes das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Initiative für eine atomwaffenfreie Welt unterstützen - Atomwaffen aus Deutschland abziehen“: abgegebene Stimmen 506. Mit Ja haben gestimmt 80, mit Nein haben gestimmt 375, Enthaltungen 51. Der Antrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 505; davon ja: 80 nein: 374 enthalten: 51 Ja SPD Dr. Lale Akgün Ernst Kranz DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Katrin Kunert Ulla Lötzer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Elke Reinke Paul Schäfer ({158}) ({159}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Peter Hettlich Priska Hinz ({160}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({161}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({162}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({163}) Manuel Sarrazin Irmingard Schewe-Gerigk Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({164}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({165}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({166}) Axel E. Fischer ({167}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({168}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({169}) Dr. Franz Josef Jung Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({170}) Volker Kauder Julia Klöckner Jens Koeppen Dr. Kristina Köhler ({171}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({172}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({173}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Marlene Mortler ({174}) Stefan Müller ({175}) Bernd Neumann ({176}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({177}) Klaus Riegert Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({178}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({179}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Christian Schmidt ({180}) Andreas Schmidt ({181}) Ingo Schmitt ({182}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({183}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({184}) Gerald Weiß ({185}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Werner Wittlich Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Gregor Amann Dr. h. c. Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({186}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({187}) Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({188}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({189}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({190}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({191}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({192}) Frank Hofmann ({193}) Dr. Eva Högl Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Brunhilde Irber Johannes Jung ({194}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({195}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({196}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({197}) Michael Müller ({198}) Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({199}) Michael Roth ({200}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({201}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({202}) Otto Schily Ulla Schmidt ({203}) Silvia Schmidt ({204}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({205}) Ottmar Schreiner Swen Schulz ({206}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({207}) Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Manfred Zöllmer Enthalten SPD Gesine Multhaupt Steffen Reiche ({208}) FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({209}) Angelika Brunkhorst Patrick Döring Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({210}) Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Detlef Parr Gisela Piltz Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Wir kommen zum aktuellen Tagesordnungspunkt zurück und setzen die Debatte fort. Ich erteile dem Kollegen Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({211})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Sager, ich habe Ihnen aufmerksam gelauscht, weil wir beide aus Hamburg kommen und wir mittlerweile in der Schulpolitik neue Wege gehen und zeigen, wie man eine Schulreform umsetzen kann. Wenn wir heute um 18 Uhr den Sieg des FC Sankt Pauli über den SC Freiburg sehen, dann haben wir eine weitere Gemeinsamkeit. Das war es dann aber auch schon. ({0}) - Die Freiburger hier im Saale mögen uns das verzeihen. In dieser Hinsicht aber ist eine Solidarität der Hamburger gegeben. - Wenn ich mir Ihre Rede und die Reden der letzten dreieinhalb Jahre anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie immer wieder zwei Folien auflegen. Die erste Folie ist die Strukturfrage, und die zweite Folie ist, dass Sie sehr konkret einzelne Punkte herausgreifen, aber die Prozesse, die dazu geführt haben, nicht mitbetrachten. Lassen Sie mich zu der Strukturfrage kommen. Für Sie - das war auch die Kritik an der Föderalismusreform kommt es rein auf die Struktur an, die dafür verantwortlich ist, wie Maßnahmen wirken. Das sehen wir anders. Die Strukturen müssen unserer Meinung nach klar sein. Wir haben für klare Strukturen gesorgt. Innerhalb dieser Strukturen hat jeder seine Verantwortung zu übernehmen, und innerhalb dieser Strukturen muss gearbeitet werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Burgbacher?

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann sich nur um Fußball handeln. Gerne.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Weinberg, darf ich davon ausgehen, dass der Wahrheitsgehalt des Rests Ihrer Rede größer ist als der Ihrer Eingangsaussage zum Fußball? ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sprechen uns in der nächsten Sitzungswoche wieder und schauen dann, auf welchen Plätzen der Tabelle Sankt Pauli und Freiburg stehen. Da wir nicht aufsteigen, wünsche ich den Freiburgern den Aufstieg in die erste Liga im nächsten Jahr. Jetzt haben wir auch die FDP mit im Boot. Das ist der richtige Weg. Wir haben mit der Föderalismusreform I die Strukturen klargestellt. Als Strukturalist würde ich sagen, dass ich mich damit nicht abfinden muss. Es kommt vielmehr auf Verzahnung und Vernetzung an. Wettbewerbsföderalismus im positiven Sinne bedeutet Wettbewerb um die besten Konzepte. Das bedeutet, dass Entwicklungspotenziale freigesetzt werden und wir eine Nivellierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gerade nicht akzeptieren. Das ist häufig die Konsequenz einer falschen Struktur. Wir haben das geradegebogen, und das war auch richtig so. Wenn wir das als Voraussetzung für die Optimierung der Prozesse im Bildungsbereich sehen, dann ist es so, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Durchlässigkeit und die Übergänge im Fokus stehen werden, und zwar horizontal und vertikal. Die Beispiele liegen auf der Hand. Für die Schulpolitik tragen die Länder die Verantwortung, für die Hochschule sind es der Bund und die Länder, für den Arbeitsmarkt ist es die Bundesagentur für Arbeit, und die berufliche Weiterbildung fällt in die Zuständigkeit des Bundes und der Arbeitgeber. Diese Verzahnung der einzelnen Bereiche ist in einer Partnerschaft für Bildung möglich. Im Oktober letzten Jahres wurde bewiesen, dass die Beteiligung der Verantwortlichen am Bildungsgipfel eine zentrale Rolle spielt, wenn man gemeinsam Veränderungen erzielen will. ({0}) - Ich komme gleich zum Bildungsgipfel und auch zu den Veränderungen im Bildungsbereich zurück. Es gab da eine sehr kritische Darstellung. Man muss aber auch einmal darstellen, was sich in den letzten dreieinhalb Jahren positiv verändert hat. Noch nie hat die Bildung einen so hohen Stellenwert in der politischen Diskussion gehabt wie in den letzten dreieinhalb Jahren. Dass eine Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland einen Bildungsgipfel initiiert, ist einmalig. ({1}) Es war richtig, dass dieser im Fokus der Öffentlichkeit stand. Die Ergebnisse des Bildungsgipfels sprechen für sich. Es geht nicht um Strukturen oder darum, etwas zu vereinheitlichen und Detailvorgaben hinsichtlich der Umsetzung zu machen, sondern es geht darum, Ziele zu vereinbaren. Diese Ziele sind die Verzahnung und die Übergänge zwischen Kindertagesbetreuung und Schule, zwischen Weiterbildung, Ausbildung, Hochschulreife und Berufsqualifikation für ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem. Für einen echten föderalen Wettbewerb um die beste Bildung brauchen wir ein Qualitätsmanagement. Das heißt, wir brauchen Instrumente, um nachzuweisen, wie Bildung wo am besten funktioniert. Wir haben etwas in der Großen Koalition gemacht, das richtig war und das sich in den nächsten Jahrzehnten bestätigen wird: Wir haben die Bildungsberichterstattung als wesentliches Instrument eingeführt und verfeinert. Mit der nationalen Bildungsberichterstattung, die in den nächsten Jahren noch intensiver wird, haben wir die Möglichkeit, im Vergleich mit den internationalen Studien die Bildungsimplikationen deutlich herauszuarbeiten. Das Bildungspanel wird das nachweisen. Ich sehe als richtig an, zunächst eine Analyse des Istzustandes zu erstellen, dann zu analysieren, welche Defizite wir haben, diese zu bewerten, Ziele zu definieren - in Klammern: Bildungsgipfel - und dann Maßnahmen einzuleiten. Diese Herangehensweise ist, glaube ich, sinnvoller, als immer nur die Strukturdebatte zu führen und in der Folge im Nebel zu stochern, um herauszufinden, wo die vermeintliche Ursache der Defizite ist. Lassen Sie uns doch über die Inhalte sprechen, nicht nur über die Strukturen. Das wäre im Bildungsbereich das Wesentliche. Jetzt komme ich zu Ihrer Kritik am Bildungssystem und den Veränderungen in den letzten Jahren. Ihre Kritik ist nicht richtig. Das sehen Sie, wenn Sie sich die einzelnen Teilbereiche anschauen. Dann sehen Sie auch, wie sich die Bildung verändert hat. Die internationalen Studien haben deutlich gezeigt - aufgrund der knappen Zeit kann ich nur einige Beispiele nennen -, dass die Deutschen dank der Reform beim Lesen und in der Mathematik mittlerweile im OECD-Durchschnitt liegen. Bei den Naturwissenschaften lagen sie 2006 erstmals über dem OECD-Durchschnitt. „Bildung auf einen Blick“ bestätigt, dass wir mit den Bildungsreformen in Deutschland, die lange dauern - ich weiß ja nicht, was Sie unter Rot-Grün damals gemacht haben, aber Bildungsreformen in Deutschland dauern relativ lange -, auf einem guten Weg sind, und die Ziele werden noch verfeinert werden. Ich will einmal vier Veränderungen aus den letzten Jahren herausarbeiten, die als positiv zu bezeichnen sind. Erstens die Zunahme frühkindlicher Bildung. Wir haben es geschafft, da, wo Bildung anfängt, den Anteil derer, die ein Jahr vor Schuleintritt betreut werden, in Ostdeutschland auf 90 Prozent und in Westdeutschland auf 80 Prozent zu erhöhen. Das ist eine Steigerung von zehn Prozentpunkten. Wenn man die frühkindliche Bildung in den Kindertagesstätten ernst nimmt, kann man nur sagen: Das war richtig. Zweitens. Wir konnten das durchschnittliche Kompetenzniveau im Schulalter, also die Leistungen der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler, deutlich steigern. Dabei muss man sich natürlich fragen - das ist ja die Hamburger Debatte, die wir in Bezug auf das Grundschulsystem und den Sprung auf das weiterführende System führen -, wie es eigentlich zu den Defiziten in den Klassen 5 und 6 gekommen ist. In Hamburg gehen wir derzeit einen besonderen Weg, der hoffentlich - ich gehe davon aus - erfolgreich sein wird. Drittens. Abschlüsse im Sekundarbereich II. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler in Deutschland mit Abschlüssen im Sekundarbereich II - das betrifft insbesondere auch die duale Ausbildung - ist deutlich gestiegen und liegt heute über dem OECD-Durchschnitt. Viertens. Der Anteil der Studienberechtigten steigt. Allerdings - das muss man erkennen, und man muss Ziele definieren - ist die vom Wissenschaftsrat gesetzte Zielmarke von 50 Prozent noch nicht erreicht. Wichtig und richtig ist es natürlich, dann auch die Herausforderungen zu betrachten. Dabei spielt der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt eine bedeutende Rolle. Es ist tatsächlich so, dass wir im Jahr 2006 im Vergleich zum Jahr 1995 im Bildungsbereich zwar 15 Milliarden Euro mehr ausgegeben haben, dass aber der Anteil der Bildungsausgaben von 6,9 auf 6,3 Prozent gefallen ist. Wir als CDU/CSU sehen darin eine deutliche Aufgabe und wollen die Zehnprozentmarke erreichen. Das ist richtig, und wir geben damit auch ein deutliches Zeichen für die Öffentlichkeit, dass wir mehr für und in Bildung investieren. ({2}) Die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss und ohne zureichende Basiskompetenzen ist nach wie vor zu hoch. Wir haben gestern ausführlich über die Qualifizierung und auch über die Frage, welche Aufgaben der Bund wahrnehmen kann, debattiert. Hier gilt es, in den nächsten Jahren das, was die Große Koalition jetzt auf den Weg gebracht hat, dezidierter umzusetzen und weiter nach vorne zu bringen. Die Studiennachfrage ist noch zu gering. Der Anteil liegt jetzt bei 37 Prozent. Auch hier sollten wir die Zielmarke von 40 Prozent ansteuern, aber mit dem, was in den letzten Jahren getan wurde - der Hochschulpakt sei hier genannt -, sind wir auf dem richtigen Weg. Die Weiterbildungsbeteiligung stagniert. Aber auch hier darf man darauf verweisen, dass der Bund mit den 265 Millionen Euro, die in diesem Bereich ausgegeben werden, ein klares Ziel definiert hat. ({3}) Ich komme zu den Herausforderungen für die Zukunft. Hier geht es zunächst um die Versorgung mit Angeboten im frühkindlichen Bereich und damit genau um die Verzahnung der Aufgaben von Bund und Ländern, die auf dem Bildungsgipfel ja auch diskutiert wurde. Der Bund investiert zum Beispiel 4 Milliarden Euro mehr im Bereich des Aufbaus der Angebote für Kleinkinder. Hinzu kommen die Ausgaben der Länder, die die Verantwortung im Bereich der Kindertagesstätten haben. Weitere Punkte sind die Steigerung der Studierendenzahlen und eine Verstärkung von Angebot und Nutzung bei der Weiterbildung. Die Bereitstellung von 265 Millionen Euro als ersten Impuls habe ich bereits erwähnt. Ebenso wichtig ist eine gezielte Unterstützung für Menschen mit Migrationshintergrund. Mittlerweile haben fast 50 Prozent der jungen Menschen in Großstädten einen Migrationshintergrund. Sprachförderung allein reicht hier nicht aus. Jetzt komme ich zum Bildungsgipfel im Oktober 2008. Dieser Bildungsgipfel hat mit einer nationalen Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“ richtigerweise eine übergreifende Klammer gesetzt. Grundsätzlich will ich noch einmal sagen: Das war ein richtiger Schritt, mit dem wir deutlich gemacht haben, dass sowohl beim Bund als auch bei den Ländern und Kommunen die Bildung im Fokus steht. Natürlich können Sie uns vorwerfen, dass wir in der Fußnote keine konkreten Ergebnisse oder Zahlen definiert haben. Es ging und geht uns hauptsächlich erst einmal darum, für den Bereich Bildung zu sensibilisieren, und es geht darum, die vertikal und horizontal stattfindenden Prozesse derjenigen, die an Bildung beteiligt sind, besser aufeinander abzustimmen. Weiter geht es darum, Zielmarken, Benchmarks zu setzen, um deutlich zu machen, wohin wir in den nächsten Jahren kommen wollen. Deswegen war dieser Bildungsgipfel im Oktober absolut richtig. Wenn man sich die definierten und messbaren Ziele anschaut, muss man erkennen - deshalb ist Ihre Kritik meines Erachtens nicht berechtigt -, dass wir in weiten Teilen in Einzelbereichen in den letzten dreieinhalb Jahren schon vieles verändert haben. Stichwortartig seien nur folgende Verbesserungen seit 2005 benannt: Die Begabtenförderung wurde erheblich ausgeweitet. 2007 wurde das BAföG um 10 Prozent erhöht, und der Kreis der Empfänger wurde um 100 000 Studierende erweitert. 2009 haben wir die Rahmenbedingungen für das Meister-BAföG mit dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz deutlich verbessert und zusätzliche Berufsgruppen in die Förderung einbezogen. Das können Sie despektierlich als Herumhandwerken oder Herumpfuschen bezeichnen, aber für die jungen Menschen hat sich das positiv ausgewirkt. Das ist ein Erfolg, und darauf sollte man auch einmal zurückschauen. ({4}) Wir werden natürlich weiter mit den Ländern diskutieren und gemeinsame Bildungsstandards setzen. Noch einmal: Das ist ein Prozess, der sich im Laufe der nächsten Jahre konkretisieren wird. Wir streben die Halbierung der Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss an und - ich habe es bereits gesagt die Halbierung der Zahl der Ausbildungsabbrecher, ({5}) außerdem die Erleichterung des Hochschulzugangs. Aber man kommuniziert doch miteinander. Wir haben klare Strukturen geschaffen. Nur deshalb, weil die Strukturen klar sind, wissen wir auch, wer welche Verantwortung hat. Deswegen ist es richtig, dass wir mit den Ländern genau dies abstimmen. Insoweit haben wir mit dem Bildungsgipfel, der Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“ und mit der Hightech-Strategie Grundlagen geschaffen. Zu den Finanzen muss eines einmal deutlich gesagt werden: Wir geben 6 Milliarden Euro mehr aus. Wann hat es das vorher gegeben? Das können Sie doch nicht abtun und sagen, dreieinhalb Jahre sei im Bildungs- und Forschungsbereich nichts passiert. Das ist nicht die Wahrheit. Wir geben mehr aus als vorher. Diese 6 Milliarden Euro sind genau zum jetzigen Zeitpunkt richtig investiert. Damit wird deutlich, dass sich diese Gesellschaft zukunftsorientiert den anstehenden Aufgaben zuwendet. Gerade bei einer Finanz- und Wirtschaftskrise ist man gut beraten - insofern waren wir in der Großen Koalition gut beraten -, hier punktuell zu steuern; die 6 Milliarden Euro haben wir richtig angelegt. ({6}) Von daher können wir nach dreieinhalb Jahren sagen: Die Arbeit war gut. Die Arbeit wird weitergehen. Wir werden weiterhin viele kleine Schritte gehen, und das ist richtig. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es in diesem Hohen Hause um Bildungspolitik geht - wir alle wissen, dass Bildungsinvestitionen die Zukunftsinvestitionen für unser Land sind, dass es darauf ankommt, das Gold in den Köpfen zu heben, weil dies unser wichtigster Rohstoff ist -, wenn wir darüber in kleiner Runde diskutieren - so ist es üblich, ohne die Bildungsministerin -, wenn es um den Bildungsgipfel geht - Marcus Weinberg hat ihn angesprochen -, stelle ich immer wieder fest: Bei der Bundesregierung wird viel geredet und wenig gehandelt. ({0}) Ich will das nachweisen. Wir sind uns in vielen Punkten einig, was die Zielstellung anbelangt. Auch die FDP möchte, dass wir mehr in Bildung investieren, dass wir die Bildungsausgaben erhöhen. Wir haben uns zu einem Anteil von 10 Prozent am Bruttoinlandsprodukt für Bildung und Forschung bekannt. Auf dem Bildungsgipfel Ende vergangenen Jahres ist das ganz klar formuliert worden. Das ist ein großes Ziel der Bundesregierung. Was hat man gemacht? Man hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die drei Wochen nach der Bundestagswahl erklären soll, wie wir dieses Ziel erreichen. ({1}) Das ist wirklich ein Flop. Das hat nichts mit seriöser Bildungspolitik zu tun. Das ist reine Wahlkampftaktik. ({2}) In Deutschland haben wir folgendes Problem: Es geht immer mehr um Wahlkampftaktik, um Ideologie, aber nicht um eine vernunftbezogene, kindbezogene Bildungspolitik. ({3}) Im Mittelpunkt der Bildungspolitik muss das Kind bzw. der junge Mensch mit seiner Persönlichkeitsentwicklung stehen. Das muss unser aller Anliegen sein. Ich hoffe, dass Herr Ramelow das auch so zum Ausdruck bringt. Er befindet sich in Thüringen ja im Wahlkampf. ({4}) Warum ist vom Bildungsgipfel nichts auf den Weg gebracht worden? Frau Sager hat es richtig formuliert. Ergebnis der Föderalismusreform I war: keine Einmischung des Bundes in der Schulpolitik. Das war das Projekt von Frau Schavan in der Bildungspolitik. Investitionen in schulische Bildung sind Sache der Länder. Im Konjunkturpaket sind nun immerhin 6,5 Milliarden Euro als Investitionsprogramm für die Bildung deklariert. ({5}) Nach Darstellung der Bundesregierung soll sinnvoll an das bis Ende 2009 laufende Ganztagsschulprogramm angeknüpft werden. Die Ministerin hat in der Presse unter anderem erwähnt, dass sie auch die inhaltlich-pädagogische Arbeit in den Kindergärten zum Beispiel durch verstärkte Einrichtung von Forscherecken unterstützen will. Sie hat erklärt, dass sie sich durchaus vorstellen kann, Physik- und Chemieräume aus dem Geld des Konjunkturpakets zu finanzieren. Das ist nicht möglich. Nach diesem Konjunkturpaket und der Föderalismusreform I kann man lediglich in Beton und nicht in die Köpfe investieren. Das halten wir für falsch. ({6}) Wir müssen die Weichen dahin stellen, dass wir in die Köpfe investieren können. Darauf kommt es an. Gute Bildung kostet viel. Schlechte Bildung kostet noch viel mehr. Zwar sehen wir, wie Marcus Weinberg hier zu Recht vorgetragen hat, auch bei den PISA-Ergebnissen einige positive Tendenzen. Ich freue mich ebenfalls, dass die neuen Bundesländer vorne liegen - Sachsen an der Spitze; bei Mathematik und Naturwissenschaften steht Thüringen auf Platz drei - und den anderen Bundesländern etwas vormachen. Es kann uns sehr wohl mit Freude erfüllen, dass dort etwas gut läuft. Trotzdem darf es uns nicht zufriedenstellen, wenn gleichzeitig immer noch 25 Prozent der Schulabgänger nicht ausbildungsfähig sind und wenn nach wie vor jährlich 80 000 bis 90 000 Kinder überhaupt keinen Schulabschluss schaffen. Das darf uns nicht schlafen lassen. ({7}) An dieser Stelle kommt es aus meiner Sicht nicht nur auf Geld an. Alle Bildungsökonomen sagen ganz klar, dass auch andere wichtige Faktoren eine Rolle spielen, die gar kein Geld kosten. Bundespräsident a. D. Herzog hat einmal erklärt: Gebt den Schulen mehr Freiheit. In der Tat brauchen wir mehr Freiheit und Wettbewerb für Schulen. Sie brauchen mehr Eigenständigkeit und müssen ein eigenes Budget haben sowie über ihr pädagogisches Konzept und die Einstellung eigenen Personals entscheiden können. ({8}) Das ist die Voraussetzung dafür, dass diejenigen, die Pädagogik studiert haben, vor Ort entscheiden können und die Weichen zur individuelleren Förderung von Kindern richtig stellen können. ({9}) Bezüglich der frühkindlichen Bildung will ich auf einen Punkt zurückkommen, den Frau Sager bereits erwähnt hat. Mich ärgert es auch, dass die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz erst ab dem Jahr 2013 verwirklichen will. Lassen Sie mich hier noch einmal das Vorbild der neuen Bundesländer ansprechen. Den neuen Bundesländern war es nach der Einheit wichtig, das Netz an Krippen und Kindergärten zu erhalten. In meinem Bundesland gibt es seit der deutschen Einheit weiterhin einen Rechtsanspruch für jedes Kind von null bis 14 Jahren. Es ist auch gut, dass das so umgesetzt worden ist. ({10}) Dies war nicht zuletzt Vorbild für die anderen Bundesländer. Das Ganze ist also auch eine Frage der Setzung der politischen Prioritäten. Eine Prioritätensetzung für Bildungsinvestitionen kann ich in diesem Hause immer noch nicht erkennen, schon gar nicht bei der Bundesregierung. In unseren Köpfen ist offenbar noch nicht richtig verhaftet, dass vom Gesamtbudget des Bundes lediglich 1,2 Prozent für Bildung ausgegeben werden, während fast die Hälfte für Soziales aufgewendet wird. Für mich ist die entscheidende Antwort auf die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, dass wir für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene - Stichwort: lebenslanges Lernen - bessere Bildungschancen schaffen. ({11}) Dazu gehört ebenfalls, dass wir umdenken und Anreize schaffen, damit auch privat in Bildung investiert wird - Stichwort: Bildungssparen. Warum wird ein Bausparvertrag staatlich gefördert, aber ein Bildungssparvertrag nicht? Eine entsprechende Förderung wäre in meinen Augen eine richtige Weichenstellung für die Zukunft. ({12}) Lassen Sie mich noch einmal auf das Konjunkturprogramm zurückkommen. Ich glaube, dass Sie sich mit der Föderalismusreform I selbst die Schlinge um den Hals gelegt haben. Ein von uns beauftragtes wissenschaftliches Gutachten bestätigt uns in unserer Auffassung, dass nach den derzeitigen Vorgaben der Föderalismusreform I der Bund über die energetische Sanierung hinaus eben nicht in Schulen investieren darf. Das halten wir für falsch. Deswegen muss uns dieses Thema weiterhin beschäftigen. Vom Deutschen Institut für Urbanistik wurde übrigens erklärt, dass wir insgesamt 73 Milliarden Euro für Investitionen in Schulen brauchen. So hoch ist der eigentliche Bedarf. ({13}) Jetzt werden 6,5 Milliarden Euro investiert - allein in Beton, Herr Rossmann; Sie sagen es. ({14}) Abgesehen davon sprechen wir noch gar nicht darüber, wie viel wir außerdem in die inhaltliche Verbesserung von Schularbeit und Bildungsqualität stecken müssen. Dort gibt es sehr viel zu tun. ({15}) Ich kann Ihnen nur raten: Handeln Sie. Beschränken Sie sich nicht darauf, hier im Parlament Worthülsen zu gebrauchen. Ich finde es schade, dass die Ministerin nicht anwesend ist. Sie hat im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket viele Äußerungen von sich gegeben. Frau Schavan sagte zum Beispiel, dass sie aus dem Konjunkturpaket 100 000 Euro für jede Schule und 500 000 Euro für jede Hochschule zur Verfügung stellen will.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, haben Sie Interesse daran, Ihre Redezeit durch eine Zwischenfrage der Kollegin Sager zu verlängern?

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich habe ein Interesse daran. Deswegen freue ich mich auf die Frage von Frau Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kollegin Pieper, Sie haben sehr überzeugend dargelegt, warum Sie meine Auffassung teilen, dass die Föderalismusreform verheerende Auswirkungen auf die Möglichkeit des Bundes hatte, Geld in Schulen zu geben. Wird sich die FDP in den Ländern, in denen sie an der Regierung beteiligt ist, für eine Veränderung dieser Verfassungslage einsetzen? ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe am Anfang meiner Rede ganz klar gesagt - mein Kollege Barth hat Ihre Frage im Grunde bereits beantwortet -, dass wir die Weichen so stellen müssen, dass die Mittel, die aus dem Konjunkturprogramm für Bildungsinvestitionen zur Verfügung gestellt werden, nicht nur in die energetische Sanierung der Gebäude fließen, sondern auch in eine bessere Ausstattung der Schulen. Dabei geht es aus meiner Sicht auch um Lehrmaterialien und Labore. Ich gehe davon aus, dass die Länder, in denen wir mitregieren, das fest im Blick haben. ({0}) Ich will zum Schluss erwähnen, dass der eigentliche Skandal ist, dass sich in einem reichen Land wie Deutschland, in dem hohe Steuern bezahlt werden, viele Schulen und Hochschulen in einem wirklich beklagenswerten Zustand befinden. Wir hätten es nicht so weit kommen lassen dürfen. ({1}) Die Bundesregierung hätte ein anderes Tempo vorlegen müssen. Sie reden zwar viel, handeln aber nicht. Wir erwarten klare Beschlüsse von der Bundesregierung und mehr Investitionen in Bildung. Auch beim Konjunkturpaket sollte die Weichenstellung klar formuliert sein, damit die Länder in die Köpfe und nicht nur in Beton investieren können. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die Debatte begann, merkte man sofort, dass wir uns im Wahlkampf befinden. Frau Sager, Ihnen möchte ich gerne sagen: Sie tragen eine so sympathisch rote Jacke, aber Sie haben geschimpft wie ein Rotkehlchen. Ich glaube, man sollte ein bisschen differenzierter an die Dinge herangehen. Wenn Sie diese Anträge für eine Generaldebatte über Bildungspolitik in dieser Legislaturperiode nutzen wollen, dann sollten Sie als Erstes fragen: Hat das, was RotGrün begonnen hat, in dieser Legislaturperiode eine Fortsetzung erfahren, oder ist es abgebrochen worden? Wir Sozialdemokraten sagen: Es hat eine Fortsetzung erfahren, vielleicht in anderer Form, und es wurde - das sage ich ausdrücklich - nach wie vor mehr Priorität auf die Bildung gelegt. ({0}) In dieser Debatte können Sie viel über den Konsens hören, der in der Großen Koalition herrscht, aber auch über die Differenzen; denn an mancher Stelle können wir uns mehr vorstellen. Es ist doch gut, dass man weiterdenken kann. Deswegen sage ich zu Ihrer ersten Einlassung, bezüglich der Föderalismusreform, dass wir Bildungspolitiker der SPD-Fraktion nie einen Hehl daraus gemacht haben, dass wir bei Art. 91 b des Grundgesetzes durchsetzen konnten, dass sich der Bund auch in Sachen Hochschule engagieren kann. Das hat er in dieser Legislaturperiode beim Hochschulpakt I sehr deutlich getan. Wir machen auch keinen Hehl daraus, dass wir uns in Bezug auf die Verantwortlichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen wünschen, dass merkwürdige Restriktionen aufgehoben werden. Sonst kann der Bund nur dann, wenn die Deutsche Bank zusammenbricht oder ein Tsunami kommt, in Schulen investieren. Diese Kritik sollte aufgenommen und eine konstruktive Lösung gefunden werden. Dass es Zeichen und Wunder gibt, konnten wir feststellen, als der Bundestagspräsident gefragt hat, was eigentlich alles in eine Verfassung gehört. A la bonne heure, das ist eine sehr kluge Bemerkung. Vielleicht sollten wir das fortsetzen: Wenn wir etwas in eine Verfassung hineinschreiben, sollte es etwas Kluges sein. ({1}) Für die SPD formuliere ich bezogen auf die heutige Debatte den ausdrücklichen Wunsch, dass FDP, CDU/ CSU, Grüne, SPD und Linkspartei sich gemeinsam eine kluge Lösung überlegen, wie der Bildung im Zuge der zweiten Verfassungsreform mehr Priorität eingeräumt werden kann. ({2}) Der Wunsch ist da. Wir geben die Hoffnung bis zur letzten Sekunde nicht auf und werben mit guten Argumenten dafür. ({3}) Wir würden das umso lieber tun, wenn es Anerkennung von den Grünen und von der FDP dafür geben würde, dass sich die Priorität Bildung mit dem Bildungsgipfel, der durchaus eine Bedeutung gehabt hat, sehr wohl im Konjunkturprogramm niedergeschlagen hat. Die 10 Milliarden Euro, die Bund und Länder jetzt mobilisieren, sind wahrlich mehr als nichts. So etwas hat es noch nicht gegeben. Es handelt sich auch um eine Investition in Qualität. Denn die Unterscheidung zwischen Beton und Kopf ergibt sich nicht, wenn man gebildet darüber nachdenkt. Natürlich braucht man auch gute Schulräume und Hochschulräume, damit gute Köpfe darin gut studieren und gut lernen können. Deshalb ist es, wie ich finde, eine sehr oberflächliche Betrachtung, wenn man sozusagen Beton gegen Gehirn stellt; denn beides muss entwickelt werden. Wenn wir dieses Konjunkturprogramm noch heilen, sodass es nicht allein an energetische Sanierung gebunden ist, und es die Möglichkeit bietet, dass Schulen und Hochschulen besser werden, dann ist das ein großer Erfolg der Großen Koalition. Wir hätten ihn lieber ohne Krise gehabt; dass wir ihn nun in einer Krise haben, ist in Ordnung. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne. ({0}) - Es darf sein. Passen Sie auf!

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielleicht ist es für die Bundesregierung hilfreich, Herr Kretschmer, wenn ich eine Frage stelle. Herr Kollege Rossmann, die Länder haben Quoten für die energetische Sanierung, für die Bildungsinvestitionen festgelegt. Die Quoten für die energetische Sanierung sind unterschiedlich und belaufen sich auf zwischen 30 und 50 Prozent. Es besteht ein Riesenbedarf - so haben auch Sie es formuliert - an Bildungsinvestitionen, im symbolischen Sinne bei den Köpfen. Ist Ihnen bewusst, dass diese Investitionen nach jetziger Verfassungs- und Gesetzeslage gar nicht möglich sind? Wie schätzen Sie das ein? Werden Sie dafür stimmen, dass diese Bildungsinvestitionen durch eine Grundgesetzänderung auf den Weg kommen, aber durch eine Ände23784 rung, die nicht mit einer Naturkatastrophe zusammenhängt?

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben sich so viel Mühe gegeben, die Frage zu entwickeln. Sie hätten mir zuhören sollen. Dann wüssten Sie, was ich schon die ganze Zeit versuche, zu erklären. ({0}) Es wird durch das, was jetzt schon durch die Oettinger/ Struck-Kommission entwickelt worden ist, möglich, das Konjunkturprogramm so zu heilen, dass es nicht mehr nur an die energetische Sanierung gebunden ist. Aber die Heilungsklausel kann nicht der ganze Himmel sein. Selbstverständlich haben wir Sozialdemokraten bis hin zu Peter Struck in der ersten Lesung zur Föderalismusreform II dafür geworben, dass auch andere es noch weiter öffnen, damit wir ein nicht voraussetzungsgebundenes, sondern zielgebundenes Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen in Bezug auf Bildungsinvestitionen erreichen. Wir wollen ausdrücklich auch bei Ihnen noch einmal dafür werben. Frau Sager hat Ihnen eine kluge Frage gestellt: Werben Sie in Ihren Landesregierungen dafür, dass der Bundesrat und der Bundestag an der Stelle Gehirn wachsen lassen? ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Kollegin möchte noch einmal nachfragen. Gestatten Sie das?

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin höflich. Ich glaube, dass Sie eine Nachfrage nötig haben.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube, dass Sie eine Präzisierung Ihrer Antwort nötig haben. Denn Sie haben gerade gesagt, dass Sie tolerieren, dass Bildungsinvestitionen durch die Grundgesetzänderung in Zukunft nur im Falle von Naturkatastrophen oder einer gesamtwirtschaftlichen Notlage richtig sind. ({0}) Halten Sie das für zukunftsweisend?

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage es gern noch ein drittes Mal, weil dadurch Gehirn wächst. Natürlich ist das nicht zukunftsweisend. Aber wenn ich Ihnen jetzt schon sage, wie ich als Person oder andere aus der Fraktion abstimmen werden, dann haben wir in der Fraktion Diskussionen, in denen es weniger um die Sache, sondern um Loyalität und Mehrheitsbeschlüsse geht. Deshalb sage ich ausdrücklich, dass ich das jetzt offen lasse. Dafür werben darf man aber hier im Konsens der Bildungspolitiker. Präziser geht es jetzt nicht; aber es wird präziser, wenn auch Sie auf Bundesratsseite den Druck erhöhen. ({0}) Dazu hat die FDP leider viel zu viele Chancen in Deutschland. Nutzen Sie diese Chance! ({1}) Ich möchte jetzt auf Handlungsfelder zu sprechen kommen; denn Kollege Weinberg hat mit Recht daran erinnert, dass die Strukturen das eine sind und das, was man praktisch getan hat, das andere. Die sozialdemokratische Sicht, den Konsens und die Differenz in der Großen Koalition und das, was wir praktisch tun konnten und können, möchte ich an drei Handlungsfeldern durchbuchstabieren. Das erste große Handlungsfeld ist, beim Grundstock von Bildung, von der frühkindlichen Bildung in den Kindertagesstätten bis zu den Schulen, die Chancengleichheit zu erhöhen. Es ist nicht geringzuschätzen, dass in einer Legislaturperiode durchgesetzt wurde, dass Kindertagesstätten nicht nur als qualitative Bildungseinrichtungen wahrgenommen werden, sondern ihr Auftrag als Bildungseinrichtung ab dem ersten Lebensjahr mit Rechtsansprüchen ab 2013 definiert wird. Das ist eine große Leistung, die in großer Übereinstimmung erbracht werden konnte. Daran konnten wir anknüpfen. Es gibt nicht nur das Ganztagsschulprogramm als ein infrastrukturelles Programm. Auch die Schule als Ganztagseinrichtung und als gute Bildungseinrichtung kann mithilfe eines Teils der 10 Milliarden Euro qualitativ ausgebaut werden. All das ist gut. Aber wir haben in der Großen Koalition auch an anderer Stelle für mehr Chancengleichheit sorgen können. Ich will ausdrücklich anerkennen, dass wir in einer früheren Debatte das Schulstarterpaket noch nicht so gut ausgestaltet hatten, wie das jetzt der Fall ist. Es wäre verhängnisvoll gewesen, die alte Regelung beizubehalten, weil davon ein falsches Signal ausgegangen wäre, nämlich: Chancengleichheit hört nach der zehnten Klasse auf. Gemeinsam haben wir es geschafft, dass am Prinzip der Chancengleichheit während des ganzen Schullebens festgehalten wird. ({2}) Nun muss ich noch die Differenz beschreiben. Aus sozialdemokratischer Sicht gehört in den Bund-LänderKonsens und in den politischen Konsens auch hinein, dass wir Chancengleichheit genauso beim SchülerBAföG in der Oberstufe durchbuchstabieren, damit auch noch die letzten Bildungsreserven genutzt werden können, die es in Familien gibt, die materiell nicht so gut ausgestattet sind, sei es aufgrund eines Migrationshintergrundes, sei es aufgrund eines sozialen Hintergrunds. Die Frage in diesen Familien „Soll der junge Mensch Geld verdienen oder das Abitur machen?“ soll auf der Basis des Schüler-BAföGs zugunsten des Abiturs beantwortet werden. So möchten wir Konsens und Differenz in Bezug auf Chancengleichheit in der Schule durchbuchstabieren. ({3}) Ein zweiter Auftrag in dieser Legislaturperiode war, die Hochschulen nicht nur von ihren Kapazitäten her weiterzuentwickeln, sondern dafür zu sorgen, dass sie eine gute Lehre für alle bereitstellen und möglichst gute Abschlüsse für alle ermöglichen. Dieses Ziel haben wir erreicht. Frau Sager, die Grundsteine auf dem Weg zu diesem Ziel sind auch in rot-grüner Regierungszeit gelegt worden. Ich nenne hier den Hochschulpakt I und die Exzellenzinitiative. Das ist durchaus eine konsensual gute Leistung. Dass Differenzen beim Thema Priorität der Lehre bleiben, will ich gerne bekennen. Aber dass wir zusammen das Studenten-BAföG qualitativ gestärkt haben, kann man doch nicht einfach in der Debatte unterschlagen. Der Ausgangspunkt war ein anderer. Wir konnten den Konsens über die BAföG-Reform erst nach langen Diskussionen mit dem Koalitionspartner im sozialdemokratischen Sinne verwirklichen. Ich will gerne sagen, dass im Falle der Fortführung der „Dreiheiligkeit“ von Hochschulpakt, Exzellenzinitiative und Pakt für Forschung für uns Sozialdemokraten alle drei Teile wichtig sind. Aber der Hochschulpakt ist besonders wichtig; denn für 275 000 zusätzliche Studienanfänger müssen wir etwas tun. Dies wurde auf dem Dresdener Bildungsgipfel festgelegt. Dies ist als Erstes uneingeschränkt umzusetzen und zu verwirklichen. Es geht aber nicht nur um mehr Kapazitäten, was für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Studierenden interessant ist. Auch die qualitative Verbesserung durch eine gute Lehre ist anzustreben. Die Anhebung ist daher mehr als nichts. Jeder Studienanfängerplatz muss wirklich genutzt werden können. Dass es mit einer Regelung hierzu etwas sehr lange gedauert hat, wollen wir hier nicht leugnen. Aber die Serviceeinrichtung kommt jetzt in Gang. Das hat auch die Zustimmung von 92 Prozent der HRK zur Einführung des Serviceverfahrens gezeigt. Wir sagen umgekehrt: Die breite Zustimmung von 92 Prozent und die Bereitschaft, sich auf diese gemeinsame Verfahren einzulassen, wiegt so schwer, dass der Haushaltsausschuss das Geld nun freigeben sollte. Aber das ist noch nicht genug, um auf ein Hochschulgesetz als Ultima Ratio zu verzichten. Schließlich möchten wir, dass sich am Ende wirklich alle Hochschulen an diesem Verfahren beteiligen. Es wird für die Zukunft im Hochschulbereich vor allen Dingen wichtig sein, die Hochschulen in der Qualität zu erhalten, dass sie nicht nur ein Ort von guter Forschung und Lehre, sondern auch von kritischem und gesellschaftspolitischem Engagement und Bewusstsein sind. Diese Qualität der Hochschulen möchten jedenfalls wir in dieser Debatte betonen. Das dritte Anliegen dieser Legislaturperiode war es, im beruflichen Bildungsbereich möglichst vielen einen guten Ausbildungsplatz und eine lebenslange Chance auf Ausbildung zu ermöglichen. Gestern haben wir darüber sehr intensiv diskutiert, und es hat wichtige Entscheidungen gegeben, die nicht selbstverständlich waren, zum Beispiel über den Rechtsanspruch auf Förderung beim Nachholen des Hauptschulabschlusses. Immerhin haben wir dies über das „Bildungsministerium Scholz“ in die Debatte gebracht und durchgesetzt. Wir als Sozialdemokraten sagen: Dieser Konsens ist gut. Die Differenz ist, dass wir diese Möglichkeit auf den beruflichen Abschluss ausdehnen wollen. Eigentlich ist es selbstverständlich, dass man in einer Gesellschaft die Möglichkeit haben sollte, seine Bildung, die man für sein Berufsleben und seine gesellschaftliche Teilhabe benötigt, ein Leben lang weiterentwickeln zu können. Neben der zweiten Chance gehört auch dazu, dass es Rechtsansprüche auf Unterstützung geben muss: den Rechtsanspruch auf die zweite Chance, aber auch den Rechtsanspruch auf eine auskömmliche finanzielle Förderung. Ich kann nicht verstehen, dass eine solch umfassende qualitative Verbesserung des Meister-BAföG kleingeredet wird, nur weil sie manche Elemente noch nicht beinhaltet. Nein, die Reform des Meister-BAföG war eine großartige Leistung, die wir im Konsens erbracht haben. ({4}) Allerdings gibt es noch immer gewisse Differenzen. So wollen wir, dass aus dem Meister-BAföG parallel auch ein Master-BAföG wird. Im Rahmen des MeisterBAföG muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass auch über 30-Jährige noch eine Studienförderung bekommen, wenn sie nicht über die nötigen materiellen Voraussetzungen verfügen. Dafür werben und kämpfen wir. Dieses Vorhaben werden wir in der nächsten Legislaturperiode in Angriff nehmen. Hinzu kommt, dass wir die Diskussion über die Einführung eines Mindestlohns für die Pädagogen, die im Bereich der beruflichen Bildung tätig sind, nicht nur nebenbei und am Rande führen dürfen. Dieses Thema wird bald von großer Bedeutung sein. Die gute Arbeit des in diesem Bereich tätigen Personals muss durch eine qualitativ und quantitativ hinreichende Unterstützung auch in Zukunft sichergestellt werden. Das ist unserer Meinung nach ein wichtiger Punkt. Eine Schlussbemerkung. In den Zeitungen ist zu lesen, dass die Krise insbesondere in Amerika, dem Land der besonders großartigen Universitäten, voll durchschlägt. Die Universitäten Harvard, Princeton und Yale müssen auf einmal 30 Prozent ihres Vermögens, das sie in der Vergangenheit genutzt haben, um ihren Studierenden gute Studienbedingungen zu ermöglichen, abschreiben. Die Folgen sind: Personal wird entlassen, Studienwege werden gekürzt, und die Studiengebühren werden drastisch erhöht. Wenn wir sagen, dass Bildung für uns Priorität hat und ein Menschenrecht ist, dann muss es für uns eine gemeinsame Verpflichtung sein, Bildung immer als öffent23786 liches Gut zu behandeln. Den Konsens, dass Bildung ein öffentliches Gut ist, müssen wir parteiübergreifend immer wieder festigen. Vor diesem Hintergrund sind wir der Meinung: Der Kindertagesstättenbesuch muss kostenlos sein, der Schulbesuch muss kostenlos sein, und der Universitätsbesuch muss kostenlos sein. ({5}) Dafür stehen wir. Daran wird wohl niemand zweifeln. Dass Bildung ein öffentliches Gut ist, bedeutet außerdem, dass im Hinblick auf das Ziel, die Ausgaben für Bildung auf mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, eine öffentliche Finanzierung gewährleistet werden muss, keine private. In Amerika beträgt diese Quote sogar über 7 Prozent, allerdings mit den Folgen, dass sich die dortige Mittelschicht kein Studium mehr leisten kann und dass in Princeton, Harvard und Yale, den Kometen am Hochschulhimmel, auf einmal alles zusammenbricht. Das ist deshalb der Fall, weil eine kapitalgestützte Bildungsinfrastruktur Krisen ausgesetzt ist. Das wollen und müssen wir in Deutschland vermeiden. Unser Grundsatz lautet: Die Sozialdemokratie setzt sich für eine öffentliche Finanzierung der Bildungsinfrastruktur ein. Ein Vorschlag, der in diese Richtung geht, der Bildungssoli, liegt bereits auf dem Tisch. Der Bildungssoli, den wir vorschlagen, ist etwas anders als bei den Grünen ausgestaltet. Aber der Grundsatz, Frau Sager - wie ich sehe, tragen Sie heute eine rote Jacke -, ist sehr richtig. Bildung ist nämlich immer auch eine Frage der Solidarität, der sozialstaatlichen und der steuerlichen Solidarität. In diesem Sinne: Zwischen uns besteht in einigen Punkten Konsens, in anderen gibt es Differenzen. Lassen Sie uns in der neuen Legislaturperiode fröhlich für neues Glück streiten. Danke. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bodo Ramelow für die Fraktion Die Linke. ({0})

Bodo Ramelow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003824, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Rossmann, ich beginne meine Rede nicht, indem ich eine Bemerkung über rote oder schwarze Jacken mache. Das, was Sie vorgetragen haben, findet zum Großteil meine Zustimmung - wenn es nur in die Tat umgesetzt würde. Kollegin Pieper, in der inhaltlichen Analyse sind wir über weite Strecken einer Meinung. Das Problem mit Blick auf die Föderalismuskommission II ist allerdings, dass die Vertreter Ihrer Partei in der Kommission zugestimmt haben. ({0}) Als bei den Beratungen der Föderalismuskommission II das Thema Bildungsfinanzierung anstand, habe ich eine lange Debatte erlebt, in der es darum ging, wie man das Konjunkturpaket II gestalten muss, damit es in den Bildungseinrichtungen auch tatsächlich ankommt. Die SPD machte den Vorschlag - das muss man ehrlicherweise sagen -, eine andere Formulierung zu finden. Mehrheitlich kam man, übrigens entgegen der Auffassung von CDU und CSU, zu dem Ergebnis, so vorzugehen. Letztlich hat allerdings Herr de Maizière als Kanzleramtsminister in der Föderalismuskommission II erklärt, eine Heizung sei ein Fenster und ein Fenster sei eine Heizung, und so seien die Mittel des Konjunkturpaketes II im Hinblick auf die energetische Erneuerung und Ertüchtigung anzuwenden. Sie haben zu Recht auf das Gutachten hingewiesen, aus dem hervorgeht, dass das eigentlich verfassungswidrig ist. Deswegen teile ich die Auffassung von Herrn Rossmann: Wir sollten uns alle zusammen die Zeit nehmen, über diesen Teil des Unsinns noch einmal zu reden. Wenn das ins Grundgesetz kommt, wenn wir wie in der FöKo I den Weg des Kooperationsverbots weitergehen, bekommen wir bildungspolitische Kleinstaaterei, die einzig und allein ideologischen Grundmustern folgt ({1}) und bei der Themen wie längeres gemeinsames Lernen gar nicht mehr auf die Tagesordnung kommen. Kollege Weinberg, über Strukturen zu debattieren, nicht aber über Inhalte, ist genauso Quatsch wie über Inhalte zu debattieren, nicht aber über Strukturen. Wir werden auch über Bildungsstrukturen reden müssen. Wir müssen über die Phase der Kinderzeit reden, über das letzte Jahr vor dem Übergang in die Schule. Wir müssen über die Schulzeit reden, wir müssen aber auch über Hochschulzeit, Berufsschulzeit und Berufsausbildungszeit reden. Alles zusammengenommen muss Bildungsinitiative sein und muss finanziert sein. Ich teile ausdrücklich den Hinweis, dass es nicht um Privatkapital gehen darf, sondern einzig und allein um das, was die Kinder im Kopf haben. Was die Eltern im Portemonnaie haben, darf nicht über die Chancen der Entwicklung von Kindern entscheiden. ({2}) Frau Pieper, von Ihren bildungspolitischen Ansätzen teile ich - das sage ich ausdrücklich - eine Menge. Aber Ihr Kollege Wissing hat in der Verdi-Anhörung zur Schuldenbremse klar erklärt, dass Kindergarteneinrichtungen elternfinanziert sein müssen und dass es eine Zugangsprüfung hinsichtlich des Einkommens der Eltern geben muss. Da sage ich: Das ist der falsche Weg. ({3}) Bildung muss kostenlos sein und nicht umsonst. Bildung muss eine Chance beinhalten für alle. Bildung kostet natürlich Geld. Aber die Bundesrepublik Deutschland - eines der reichsten Länder der Erde muss es doch schaffen, dass sich Bund und Länder auf eine bestimmte Grundfinanzierung verständigen. Deswegen ist der Beschluss, 7 Prozent des BIP für Bildung auszugeben, eine gute Ausgangslage. Es darf jetzt aber keine Hütchenspielertricks auf Kosten der Bildung geben. Die SPD spricht von 7 Prozent des BIP nach OECD-Berechnung, während die CDU/CSU 7 Prozent nach Bildungsplan Deutschland meint und alle Ausgaben für die Berufsausbildung hineinrechnet. Wenn wir nach der Rechnung der SPD gehen, brauchten wir, um 7 Prozent des BIP zu erreichen, 43 Milliarden Euro zusätzlich. Wenn wir die Rechnung der CDU/CSU anwenden, wären es nur 12 Milliarden Euro. Der Unterschied ist für jeden erkennbar. Wenn man das Delta berücksichtigt - in Kindereinrichtungen, Schulen und Hochschulen gibt es schon jetzt einen Sanierungsstau von rund 100 Milliarden Euro -, sieht man, dass die Notwendigkeit besteht, zügiger Geld auszugeben und nicht mehr zu unterscheiden zwischen investiven und konsumtiven Ausgaben. Insoweit gab es in der Föderalismuskommission ein paar gute Hinweise. Die Grünen haben nicht nur vorgeschlagen, einen Bildungssoli einzuführen, sondern auch, die Bildungsausgaben komplett als Investition zu betrachten. Um die 7 Prozent gemeinsam zu stemmen, kam von uns in der Föderalismuskommission der Antrag, durch einen Staatsvertrag eine Gemeinschaftsaufgabe „Bildung“ zu verankern, die alle Bildungsformen umfasst. Ich darf darauf hinweisen, dass wir auch vorgeschlagen haben, 2 Prozent des BIP als Aufschlag für alle Haushalte festzulegen. Das wäre eine Bildungsindexierung. Welchen Weg wir am Schluss gehen, ist mir egal. Entscheidend ist, dass die Bildung bei der nächsten Sparmaßnahme nicht wieder weggespart wird. ({4}) Sonst kann es passieren, dass es dann heißt: Wir haben jetzt Schulen, Hochschulen gebaut; aber bei den Lehrern sparen wir ein. Wir müssen tatsächlich über eine Gemeinschaftsfinanzierung reden. Die Finanzierung der Bildung ist, wenn Bundeshaushalt und Landeshaushalte separiert werden, nicht zu machen. Man wirft uns immer vor, dass wir die Systemfrage stellen. Bei der Bildung würde ich sie schon gerne stellen. 16 verschiedene Schulsysteme, das muss man durchaus hinterfragen. Da lasse ich mich von der CDU/ CSU gerne ideologisch beschimpfen, wenn ich diese Systemfrage stelle. Auch Frau Pieper hat ja einmal sehr mutig diese Frage aufgeworfen. Von ihrer Partei ist sie dafür geprügelt worden. Die Konstruktion von 16 konkurrierenden Schulsystemen, die nicht kooperativ arbeiten, halte ich für dringend diskussionsbedürftig. Ich glaube, dass man da einen neuen Weg gehen muss. ({5}) Es wäre gut, wenn wir gemeinsam darüber reden würden, wie wir den Unsinn der Föderalismuskommission II verhindern können. Es wäre des Weiteren gut, wenn es uns gelänge, sicherzustellen, dass Bund und Länder gemeinsam 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgeben. Längeres gemeinsames Lernen ist eine Form, mit der wir nicht nur den Übergang von der Kindereinrichtung, dem letzten Jahr vor der Einschulung, in die Schule organisieren. Längeres gemeinsames Lernen gewährleistet auch, dass bis zur Klasse 10 alle Schüler den Weg gemeinsam gehen und die Entwicklung erst danach unterschiedlich verläuft. Um ein besseres Bildungssystem auf den Weg zu bringen, könnte man darüber gern miteinander streiten und debattieren. Wir dürfen aber nicht abwarten, ob die Konjunkturdelle das BIP nach unten drückt und wir die 7 Prozent dadurch erreichen, dass die Konjunktur sozusagen unsere Ergebnisse frisst. Die Kinder würden es uns übel nehmen. Die Verliererin bei dieser Entwicklung wäre unsere Gesellschaft insgesamt. Dieses Land hat keinen anderen Rohstoff als unsere Kinder. Lasst uns sie am besten ausbilden! Deshalb müssen wir gemeinsam über die Inhalte reden. Ich bin gespannt, ob diejenigen Bundesländer, an deren Regierungen die FDP beteiligt ist, tatsächlich gegen die Ergebnisse der Föderalismuskommission II klagen werden. Auch bin ich gespannt, ob mein Kollege Barth aus Thüringen gemeinsam mit mir dafür streiten wird, dass dieser Unsinn nicht ins Grundgesetz aufgenommen wird. Eine letzte Bemerkung: Die besten Abschlusszahlen bei den Abiturjahrgängen werden in Thüringen zu einem bitteren Preis erkauft: der höchsten Quote von Kindern, die die Schule ohne Abschluss verlassen, und der höchsten Quote von Kindern in sonderschulischer Betreuung. Dies halte ich für einen zu hohen Preis. Dass der Erfolg der einen mit der Niederlage der anderen erkauft wird, ist der falsche Weg. Lassen Sie uns an dieser Stelle nicht herumtricksen, sondern gemeinsam dafür sorgen, dass Bildung für alle da ist. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Barth von der FDP-Fraktion.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Ramelow, da Sie mich nun schon konkret angesprochen haben, heiße ich Sie zunächst im Kreis der Bildungspolitiker herzlich willkommen. Auf diesem Gebiet haben wir uns im Bundestag noch nicht getroffen. ({0}) Ich habe schon die ganze Zeit auf eine Erklärung gewartet, warum Sie ausgerechnet zu Beginn des Wahlkamp23788 fes in dieser Debatte das Wort ergreifen und versuchen, sich hier als Bildungspolitiker zu profilieren. Herr Kollege Ramelow, wenn Sie schon ansprechen, wie wir uns möglicherweise im thüringischen Landtag streiten werden, dann möchte ich erwidern, dass ich da auf eine klare Rollenverteilung setze. Das ist jetzt aber eine andere Frage. Erklären Sie mir doch bitte einmal, wie viele Bundesratsinitiativen es zu diesem Thema von den Bundesländern, in denen Ihre Partei mitregiert hat, in der Vergangenheit gegeben hat, bzw. warum man in dieser Frage nichts von Ihnen gehört hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Ramelow, bitte.

Bodo Ramelow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003824, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Barth, ich bin erstaunt, wie wenig Sie über die Landesregierung von Berlin wissen. Das Thema Gemeinschaftsschule ist in Berlin Teil des Koalitionsvertrages und wird gerade umgesetzt. Wir sorgen in Berlin für einen neuen Aufbruch in der Bildungspolitik. Daher weiß ich nicht, wozu Berlin dann noch im Bundesrat intervenieren sollte. Weitere Landesregierungen stellen wir derzeit nicht. Aber sobald wir in Thüringen die Landesregierung stellen werden, werde ich Sie davon in Kenntnis setzen, falls Sie denn in den Landtag hineinkommen sollten. Herr Kollege Barth, über eines bin ich doch irritiert: dass Sie mir noch nicht einmal zugehört haben. Ich habe hier mit Bezug auf die Föderalismuskommission argumentiert. Ich maße mir nicht an, der führende Bildungspolitiker meiner Partei zu sein. Aber die Konsequenzen aus den Föderalismuskommissionen I und II haben die Kinder in Deutschland zu tragen. Dabei hat Ihre Partei mitgemacht. Deswegen ist es einfach unehrlich, Frau Pieper, bei der Föderalismuskommission II die Hand zu heben, den ganzen Unsinn im Grundgesetz zementieren zu wollen und gleichzeitig zu argumentieren, dass dies falsch sei. Ich lade Sie ein, dass wir das gemeinsam ändern, bevor dieser Quatsch gemacht wird. Herr Kollege Rossmann hat uns dazu aufgefordert, am Beispiel Bildung darüber zu reden. Das Thema Schuldenbremse können wir außen vor lassen, da wir hier unterschiedlicher Auffassung sind. Aber beim Thema Bildung gehen wir wissentlich und vorsätzlich in eine Abseitsfalle. Wenn Sie dies nicht wollen, dann lassen Sie uns gemeinsam darum kämpfen, dass dies nicht passiert. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich glaube, die meisten Zuhörer freuen sich, dass wir vom Thüringer Landtagswahlkampf wieder zurück zur Bildungspolitik kommen. Herr Ramelow, gestatten Sie mir folgende Anmerkung: Wir Bildungspolitiker freuen uns natürlich über jede Unterstützung und jeden Mitstreiter. Ich möchte Ihnen aber Folgendes mit auf den Weg geben: In Ihrem Internetauftritt könnte das Thema Bildung durchaus noch etwas stärker gewichtet werden. Ich habe ihn mir eben einmal angeschaut. Im Gegensatz zu Ihrer Rede stellt sich das, was Sie dort zum Thema Bildung zu sagen haben, deutlich dünner dar und lässt sich, ehrlich gesagt, in drei Sätzen zusammenfassen. Sie haben das vorhin ein bisschen relativiert und gesagt, dass Sie unter Föderalismusgesichtspunkten geredet haben. Sei es drum. Ich fordere Sie auf, sich künftig noch stärker für Bildungsthemen einzusetzen und zu interessieren. ({0}) - Das kann keinesfalls schaden und bei Ihnen schon gar nicht. ({1}) Meine Damen und Herren, wir diskutieren jetzt über ein Thema, über das weitgehende Einigkeit im Hause herrscht. Deswegen bin ich - gestatten Sie mir das anzumerken, Frau Kollegin Sager und geschätzte Kollegin Pieper - doch ein wenig darüber enttäuscht, wie kleinkariert hier zum Teil gestichelt worden ist. ({2}) Im Ergebnis können wir eines festhalten: Wir haben im Bund und auch in den Ländern in den vergangenen Jahren einen großen Schritt nach vorne getan. Ehe Sie, Frau Sager, Fragen stellen, um damit angebliche Schwachpunkte der Regierungspolitik herauszuarbeiten, sollten Sie sich erst einmal auf Ihr Leistungsvolumen in der rot-grünen Koalition besinnen. Das fiel denkbar überschaubar aus. An Ihren Taten wollen wir Sie, Frau Sager, messen. ({3}) Meine Damen und Herren, Bildungspolitik ist enorm wichtig, gerade in Zeiten der Krise. Unsere jungen Menschen stehen vor der Herausforderung einer sich im Moment gerade etwas verschärfenden Lage auf dem Arbeitsmarkt. Wir werden diese Herausforderung nur dann meistern können, wenn wir mit großer Entschlossenheit den Weg in die Bildungsgesellschaft beschreiten. Große Themen warten da auf ihre Lösung. Ich nenne einmal die Themen Umwelttechnologie und Energietechnologie. Hierfür müssen wir Nachwuchs ausbilden und hier im Lande halten. Diese Zukunftsfragen sind von elementarer Bedeutung. Wir befinden uns Carsten Müller ({4}) heute schon in einem scharfen und stetig schärfer werdenden Wettbewerb um die besten Ideen und die besten Produkte. In diesem können wir nur mit den besten Köpfen bestehen. ({5}) Bei aller vermeintlichen Unterschiedlichkeit auch in Detailfragen ist festzuhalten - das hat der Kollege Rossmann sehr zutreffend herausgearbeitet -: Die Große Koalition hat hier innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre wirklich Vorbildliches geschaffen, ({6}) und zwar in einem Bereich, der durchaus leicht - das haben wir eben bei anderen Reden erlebt - ideologisch aufladbar ist. Genau das hat aber die Große Koalition nicht gemacht. Wir haben wichtige Themenfelder lokalisiert und zielführend bearbeitet. Das Thema „Lebenslanges Lernen“ ist jetzt in den Fokus gerückt. Wir haben uns - hier widerspreche ich den Ausführungen der Kollegin Pieper - mit der Frage des Bildungssparens schon auseinandergesetzt, als sich die FDP noch bei ganz anderen Themen verzettelt hatte. ({7}) Wir haben auch erkannt, dass Qualifikationen elementar sind für gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe. In diesem Bereich sind wir ein großes Stück vorangekommen. Unser Bildungssystem hat zugegebenermaßen noch Entwicklungspotenzial. Deswegen - das wurde teilweise kritisiert, aus meiner Sicht jedoch unverständlicherweise - nutzen wir beispielsweise im Konzert mit vielen Bundesländern die Möglichkeiten, die das Konjunkturprogramm bietet, und investieren in Schulen, Hochschulen und Kindergärten. ({8}) Wer hier, wie Sie, Frau Sager, auftritt und das alles kleinredet, bemäkelt und bekrittelt, der hat offensichtlich ein wenig die Anbindung an seinen Wahlkreis verloren. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich vor Ort umzuschauen und sich mit den Menschen, die in den Einrichtungen arbeiten, mit den Kindern, mit den Schülerinnen und Schülern und den Studenten, die die Einrichtungen nutzen, darüber zu unterhalten, ({9}) wie sie diese Initiative der Großen Koalition bewerten. Sie werden erfahren, dass diese dort auf große Zustimmung trifft, und zwar auf deutlich größere Zustimmung ({10}) - Sie brauchen da gar nicht herumzugackern - als zu den abstrusen Vorschlägen, die im Moment von den Grünen zum Thema BAföG zu vernehmen sind. ({11}) Ich finde es, ehrlich gesagt, schon ein bisschen abenteuerlich, wenn die Grünen einen elternunabhängigen Zuschuss von 200 Euro für jeden Studenten fordern, gleich, ob er aus einer wirtschaftlich schwächer gestellten Familie, aus einer Familie mit nur einem Elternteil oder aus einer Chefarztfamilie kommt. Das zeigt, wie weit Sie sich von der sozialen Realität in dieser Republik bereits entfernt haben. ({12}) Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass wir beim Thema BAföG gegebenenfalls noch Handlungsbedarf haben. Aber - um der Wahrheit die Ehre zu geben - unter Annette Schavan ist es zum ersten Mal seit vielen Jahren gelungen, die BAföG-Sätze anzuheben. Das war dringend überfällig, und es ist eine große Leistung der Großen Koalition. ({13}) Ich sage allerdings auch deutlich: Beim SchülerBAföG wäre vermutlich deutlich mehr möglich gewesen, wenn nicht Bundesfinanzminister Steinbrück einen erheblichen Bedarf an Überzeugungsarbeit hervorgerufen hätte. Die Kollegin Schavan hat da, glaube ich, gute Arbeit geleistet. ({14}) - Peter Struck hat sich dann Annette Schavan angeschlossen. ({15}) Darüber haben wir uns gefreut, und dadurch haben wir ein vernünftiges Ergebnis erzielt. Da haben wir auch noch ein gewisses Potenzial, das aber wahrscheinlich in einer veränderten Konstellation gehoben werden wird. Meine Damen und Herren, ich erspare Ihnen Ausführungen zu der Frage, ob man Steuern zweckgebunden erheben kann. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das nicht geht und dass mit einer solchen Behauptung den Wählerinnen und Wählern Sand in die Augen gestreut wird. Ich möchte die letzten Minuten meiner Redezeit auf den Bildungsgipfel verwenden. Frau Sager hat das Thema als Aufgalopp genommen. Aber im Gegensatz zu dem, was Sie hier dargelegt haben, hat der Bildungsgipfel große Erfolge gezeitigt. Der Kollege Rossmann hat einen der konkretesten greifbaren Punkte angeführt. Ich glaube, es ist allein dem Bildungsgipfel zu verdanken, dass wir uns mit der Frage der gesellschaftlichen Teilhabe so zielführend beschäftigt haben, dass wir am Ende Carsten Müller ({16}) eine gute Lösung in Bezug auf das Schulstarterpaket gefunden haben. Das ist tatsächlich eine gemeinsame Leistung. Wir haben deutliche Kürzungen verhindert. Ich finde es außerordentlich begrüßenswert, dass die Förderung bis zum 13. Schuljahr möglich ist. Ich finde es geradezu unverzichtbar, dass wir nicht nur die Allgemeinbildung einbeziehen, sondern auch die berufliche Bildung. Kollege Schulz und Kollege Röspel, wenn Sie Zweifel an der Urheberschaft haben: Wir können uns über vieles unterhalten, aber die Berücksichtigung der beruflichen Bildung geht ziemlich eindeutig auf eine Idee der Union zurück. ({17}) Im Ergebnis haben wir durch das Zusammenwirken der Bildungspolitiker im ganzen Hause, aber insbesondere in den beiden die Regierung tragenden Fraktionen ein sehr gutes Ergebnis erreicht, das sich wirklich sehen lassen kann. ({18}) Meine Damen und Herren, Bildung und Forschung gehören zusammen. Wir haben jetzt eine über einstündige Debatte zu diesem Thema geführt. Wie gesagt, Frau Sager, an den Taten sollt ihr sie messen. Ich will von einem Ereignis berichten, das die Situation ein bisschen beschreibt. Gestern ist der Forschungsexpress gestartet. Forschungs- und Bildungsministerin Schavan hat zusammen mit der Bundeskanzlerin diesen Zug am Berliner Hauptbahnhof der Öffentlichkeit vorgestellt und auf eine Reise durch 62 Städte unserer Republik geschickt. Der Zug wird vermutlich auch international unterwegs sein und für deutsche Bildung und deutsche Forschung werben. Es besteht ein großes Interesse. Die Schülerinnen und Schüler, die vor Ort waren, haben das Angebot begeistert aufgenommen. Es lohnt sich wirklich, diesen Zug zu besuchen. Das Einzige, was mir nicht so gut gefallen hat - das sage ich freimütig -, war, dass dieser Zug gestern im wahrsten Sinne des Wortes ohne die Opposition abgefahren ist, und zwar ohne alle drei Oppositionsfraktionen. ({19}) Da haben Sie noch ein bisschen Nachholbedarf. Ich darf Sie bitten, diesen Zug wenigstens in Ihren Wahlkreisen zu besuchen. Lassen Sie uns gemeinsam an guter Bildung arbeiten! Lassen Sie uns gemeinsam weniger Strukturdiskussionen und mehr inhaltliche Diskussionen führen! Dann sind wir auf einem guten Weg. Die Große Koalition hat mächtig vorgelegt. Vielen Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz für die SPDFraktion.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Sager, Sie haben hier wirklich eine heiße Rede vorgelegt. ({0}) Aber an einigen Stellen sind Sie - das muss ich leider sagen - über das Ziel hinausgeschossen, ({1}) zum Beispiel mit der Kritik an dem Investitionsprogramm. Sie haben gesagt, das sei nur eine Investition in Beton und nicht in Köpfe. Aber, Frau Sager, auch das rot-grüne Ganztagsschulprogramm war eine Investition in Baulichkeiten, ({2}) und es war wirklich sehr erfolgreich. Ich glaube, wir können gemeinsam stolz darauf sein. ({3}) Das Investitionsprogramm, das wir jetzt aufgelegt haben, leistet mit der Förderung der Bildung einen starken Beitrag zur Bewältigung der Konjunkturkrise und ist auch langfristig sinnvoll. Frau Sager, Sie sollten diesen Erfolg nicht kleinreden. Ich denke, dass auch die grüne Senatorin in Hamburg einiges von dem, was dort mit den Mitteln des Investitionsprogramms verwirklicht wird, voller Stolz präsentieren wird. In diesem Sinne: Seien Sie nicht allzu kleinkariert! Das kommt auch bei den Leuten nicht gut an. ({4}) Wir wissen, dass das Investitionsprogramm nur ein Baustein ist. Wir müssen über die akute Krisenbewältigung hinaus langfristig mehr für eine bessere Bildung für alle tun. In diesen Tagen wird vor sozialen Unruhen gewarnt. Wir befinden uns in der Tat in einer ernsten Situation. Darum haben wir Konjunkturpakete aufgelegt. Durch kurzfristige Maßnahmen darf der Spielraum für langfristig wirkende Investitionen in Bildung aber auf keinen Fall verengt werden. Im Gegenteil: Ohne Bildung können wir auf lange Sicht gar nicht bestehen. ({5}) Wir können immer weitere Milliarden für Konjunkturpakete bereitstellen: Wenn die Leute nicht ausreichend qualifiziert sind, werden sie keine Arbeit finden. Viele bangen um ihren Arbeitsplatz. Es ist daher vollkommen richtig, dass der Staat eingreift. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Zehntausende die deutschen Schulen ohne jeden Abschluss verlassen. Allein im Jahr 2007 waren es über 70 000 junge Frauen und Männer, deren Swen Schulz ({6}) berufliche Zukunft düster aussah, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte. Noch eine Zahl: 1,5 Millionen junge Erwachsene stehen heute ohne Berufsausbildung da. Für einen Großteil von ihnen ist es ziemlich egal, ob wir uns gerade in einer Konjunkturkrise befinden oder nicht; sie haben so oder so nur wenige Perspektiven. ({7}) In unserem Bildungssystem werden zu viele Menschen mit schlechten Chancen entlassen. Das ist wirklich ein sozialer Sprengsatz. ({8}) Darum ist das alles richtig: von den Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur über die Steuererleichterungen bis hin zur Abwrackprämie. ({9}) Uns muss aber daran gelegen sein, dass wir den Menschen eine gute Bildung geben, damit sie ihr Leben langfristig selber in die Hand nehmen und etwas schaffen können. Darum sage ich: So viel Geld, wie wir für die Abwrackprämie zur Verfügung stellen, sollten wir auch für ein neues Ganztagsschulprogramm aufbringen, Frau Sager. ({10}) 5 Milliarden Euro für ein Ganztagsschulprogramm II - das erste Ganztagsschulprogramm läuft in diesem Jahr aus - wären mit Sicherheit gut angelegtes Geld. Der Aufbau von Ganztagsschulen sollte uns ebenso viel wert sein wie das Abwracken von Autos. ({11}) Wir dürfen die Menschen nicht verloren geben. Für diejenigen, die heute keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung haben, müssen wir etwas tun, damit sie neue Perspektiven erhalten. Darum hat Bundesminister Scholz den Rechtsanspruch für das Nachholen eines Hauptschulabschlusses auf den Weg gebracht. Darüber hinaus ist der Vorschlag, den Minister Scholz gestern an dieser Stelle gemacht hat, nämlich allen über 20-Jährigen ohne Ausbildung eine außerbetriebliche Berufsausbildung zu garantieren, sehr gut. Wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, dass die Jugendlichen besser qualifiziert von den Schulen kommen, damit es gar nicht erst zu diesen Problemen kommt. Doch leider können wir im Bundestag und in der Bundesregierung in Sachen Schule nur wenig helfen. Der Weg zu einer besseren Bildung für alle ist lang und beschwerlich; denn zum einen ist es objektiv schwer, den Herausforderungen gerecht zu werden und die Probleme zu lösen, und zum anderen wird es uns schwerer gemacht, als es ohnehin schon ist. Uns werden Steine in den Weg gelegt. Ich will auch sagen, von wem, nämlich von den Bundesländern - namentlich von den meisten Ministerpräsidenten. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie mehr damit beschäftigt sind, sich gegen eine angebliche Einmischung des Bundes in ihre Bildungszuständigkeit zu wehren, als dass sie tatsächlich für gute Schulen sorgen. ({12}) Wer die Zuständigkeit für etwas übernimmt, der übernimmt auch die Verantwortung, und diese muss ordentlich ausgefüllt werden. Ich denke, hinsichtlich des Bund-Länder-Verhältnisses gibt es Hoffnung. Immer mehr verantwortliche Politikerinnen und Politiker erkennen, dass das, was die SPD-Bundestagsfraktion seit Jahr und Tag sagt, richtig ist: Es ist besser, die Lasten gemeinsam zu schultern, als getrennt zu laufen. Deshalb hat Bundeskanzlerin Merkel zu einem sogenannten Bildungsgipfel eingeladen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Bundeskanzler Schröder das getan hätte. ({13}) Ich glaube, dass sich die damalige baden-württembergische Kultusministerin Schavan an die Spitze der Bewegung gestellt und zetermordio geschrien hätte. Sie hätte den Untergang des Bildungsföderalismus heraufbeschworen und zum Boykott aufgerufen. Das ist aber geschenkt. Wir freuen uns über jeden Erkenntnisgewinn. Auf diesem Bildungsgipfel, der glücklicherweise stattgefunden hat, wurde jedenfalls eine Menge besprochen. Wir hatten uns mehr konkrete Ergebnisse erhofft. Der Mount Everest wurde nicht gerade erklommen. ({14}) Es wurde aber immerhin verabredet, die Quote der Schulabbrecher und der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss zu halbieren sowie die Ausgaben für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2015 auf 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes, das heißt auf ein international vergleichbares Niveau, anzuheben. Wir dürfen uns nichts vormachen: Das sind sehr anspruchsvolle Vorhaben. Um etwa das 10-Prozent-Ziel zu erreichen, müssen jährlich ungefähr 50 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung zur Verfügung gestellt werden. Das meiste davon müssen die Bundesländer aufbringen; denn sie sind für die Bildung zuständig, und zwar selbstgewollt. Es liegt auf der Hand, dass die meisten Bundesländer das nicht erreichen können, zumal die Ländervertreter in der Föderalismuskommission selber auf eine harte Schuldenbremse gedrungen haben. Wir werden hier noch eingehend über Sinn und Unsinn der Vorschläge für eine weitere Förderalismusreform diskutieren. So viel schon jetzt: Es darf nicht sein, Swen Schulz ({15}) dass die Schuldenbremse die Bildungsfinanzierung ausbremst. ({16}) Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist. Ich bin keinesfalls für ein Schuldenmachen aus Prinzip. Besser ist es, zu sparen. ({17}) Es muss aber der Grundsatz gelten: Wir sparen für die Kinder, nicht an den Kindern. Das ist zu berücksichtigen. Darum sage ich: ({18}) Erstens. Die Politik darf nicht in Ketten gelegt werden, sondern es müssen ausreichend Spielräume für Zukunftsinvestitionen bleiben. Zweitens wir müssen gerade dann, wenn weniger Schulden gemacht werden sollen, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern verbessern, damit sich auch arme Bundesländer ordentliche Schulen und gute Lehrer leisten können, damit die Kinder aus Flensburg die gleichen Chancen wie die Kinder aus Freiburg haben. Da reicht es nicht aus, wie zuletzt von der Föderalismuskommission vorgeschlagen, dass der Bund nur in Wirtschaftskrisen oder nach Naturkatastrophen helfen darf. Es darf nicht so sein, dass die Leute hoffen müssen, dass es zu Krisen und Katastrophen kommt, damit sie gute Schulen bekommen. Nein, wir müssen jedes Jahr für gute Bildung sorgen. Die Länder dürfen die Hilfen des Bundes nicht aus falschem Stolz oder Ehrgeiz ablehnen. Herzlichen Dank. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/12687 und 16/12668 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/12656. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp- fehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9808 mit dem Titel „Bil- dungsgipfel nutzen - Bessere Bildung für alle - Bildung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Ent- haltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10586 mit dem Titel „Bildungsgipfel muss Ergebnisgipfel werden - Für ein gerechtes und besseres Bildungswesen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10328 mit dem Titel „Auf- bau von privatem Bildungskapital fördern - Grundlage für Bildungsinvestitionen schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Ge- genstimmen der Fraktion der FDP mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10587 mit dem Titel „Die finanziellen Grundlagen für den Bil- dungsaufbruch schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegen- stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit star- ten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/12661, den Antrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7465 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/ CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verordnung ({0}) Nr. 1371/ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr - Drucksache 16/11607 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Ulrike Höfken, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Fahrgastrechte - Drucksache 16/1146 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 16/12715 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Mechthild Dyckmans Wolfgang Neškovi Jerzy Montag b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Mechthild Dyckmans, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rechte von Bahnkunden stärken - Drucksachen 16/9804, 16/12715 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Mechthild Dyckmans Wolfgang Neškovi Jerzy Montag Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, an einem schönen Freitagmittag, begehen wir einen guten Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit dem Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die EG-Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr, der Ihnen heute zur abschließenden Beratung vorliegt, werden Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer endlich mehr Rechte bekommen. Dabei wollen wir nicht auf das Inkrafttreten der EG-Verordnung im Dezember 2009 warten. Vielmehr werden die neuen Regelungen, wenn ihnen auch der Bundesrat zustimmt - das wird, glaube ich, noch ein Stückchen Arbeit werden -, bereits zur Sommerreisesaison gelten können. Jährlich sind Millionen Fahrgäste in Deutschland von Verspätungen betroffen. Entsprechend den Vorgaben der EG-Verordnung werden sie künftig bei längeren Verzögerungen einen Teil des Fahrpreises zurückerhalten. Dabei geht es nicht nur um größere Verspätungen eines Zuges, sondern auch um solche Verspätungen, die ein Fahrgast erleidet, weil er wegen einer vergleichsweise kleinen Verspätung seinen Anschlusszug verpasst hat. Im Nahverkehr werden die Fahrgäste außerdem die Möglichkeit bekommen, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen und gegebenenfalls sogar ein Taxi zu nehmen. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, mit denjenigen, die nach Vorlage des Regierungsentwurfs weitere Verbesserungen der Fahrgastrechte gefordert haben, einen tragbaren Kompromiss zu finden. Der Kompromiss sieht insbesondere vor, dass der Fahrgast, wenn er mit einer mindestens 20-minütigen Verspätung rechnen muss, jeden beliebigen Zug nutzen kann, um sein Ziel zu erreichen. Damit ist er nicht, wie noch im Regierungsentwurf vorgesehen, auf Züge beschränkt, für die derselbe Tarif gilt. Außerdem kann der Fahrgast nach diesem Kompromiss bei einer Verspätung in der Nachtzeit andere Verkehrsmittel einschließlich eines Taxis nutzen, wenn die Ankunftszeit - nicht die gesamte Fahrt - in die Nachtzeit fällt. Alternativ genügt es, dass der fahrplanmäßig letzte Zug ausfällt und der Reisende sein Ziel nicht mehr am selben Tag erreichen kann. Nach dem Regierungsentwurf war es noch erforderlich, dass der fahrplanmäßig letzte Zug, der nach 20 Uhr verkehrt, ausfällt. Für das andere Verkehrsmittel kann der Fahrgast nicht mehr nur Aufwendungsersatz in Höhe von maximal 50 Euro, sondern nun bis zu 80 Euro verlangen. Schließlich wurden auch die Anforderungen, die an eine geeignete Schlichtungsstelle zu stellen sind, noch präziser gefasst. Natürlich lassen sich noch immer Vorschläge denken, nach denen Fahrgäste weitergehende Rechte erhalten. Hierzu zählen zum Beispiel die Forderung, bereits ab einer Verspätung von 30 Minuten eine Entschädigung in Höhe von 25 Prozent des Fahrpreises bzw. ab 60 Minuten eine Entschädigung in Höhe von 50 Prozent vorzusehen, oder der Vorschlag, die Sonderregel für den Nahverkehr auch auf den Fernverkehr auszudehnen. Wie Sie wissen, stand und steht mein Ministerium diesen Vorschlägen kritisch gegenüber. Es dient nicht den Interessen der Verbraucher, wenn wir gesetzliche Regelungen schaffen, die im Ergebnis unwirtschaftlich sind oder zu Preissteigerungen führen. Gerade dies ist insbesondere dann zu befürchten, wenn die Eisenbahnunternehmen verpflichtet werden, bereits ab einer Verspätung von 30 Minuten eine Fahrpreisentschädigung zu zahlen. Lässt es sich zudem wirklich rechtfertigen, wenn dem Reisenden im Fernverkehr Rechte zugestanden werden, die speziell auf die Bedürfnisse des Nahverkehrs zugeschnitten sind? Ich glaube, nein. Darüber hinaus müssen wir berücksichtigen, dass uns die EG-Verordnung Grenzen setzt. Sie gestattet für internationale Verkehre überhaupt keine Abweichung und für nationale Fernverkehre nur befristete Abweichungen. Es dürfte den Verbrauchern kaum vermittelbar sein, dass sie im teuren internationalen Verkehr weniger Rechte erhalten als im oft subventionierten und vergleichsweise preisgünstigen Nahverkehr, zumal die für den innerstaatlichen Fernverkehr geschaffenen Sonderregelungen nach einer bestimmten Frist ohnehin wieder aufgehoben werden müssten. Hinzu käme ein Wettbewerbsnachteil der inländischen Bahnen gegenüber ausländischen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die in Deutschland grenzüberschreitende Dienstleistungen anbieten. Es macht daher wenig Sinn, die für den Schienenpersonennahverkehr vorgesehenen Sonderregelungen auf den Fernverkehr auszudehnen. Wir sollten außerdem anerkennen, dass wir nach mühsamem Ringen endlich einen Kompromiss gefunden haben, mit dem die Rechte der Bahnkunden weitestgehend gestärkt werden, ohne die Balance im Hinblick auf die finanzielle Belastbarkeit und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahnverkehrsunternehmen aus den Augen zu verlieren. Eine Infragestellung des Kompromisses dient weder den Interessen der Fahrgäste noch denen der Eisenbahnunternehmen. Wir sollten jetzt alles daransetzen, dass dieses Gesetz nach guten, allerdings auch sehr langen Beratungen endlich in Kraft tritt, damit die Fahrgäste diese Vorteile bereits mit Beginn der Sommerreisesaison - ich habe es eben schon einmal erwähnt in Anspruch nehmen können. ({0}) Ich möchte den Anlass nutzen, mich bei den Mitgliedern des federführenden Rechtsausschusses ({1}) - nicht so vorschnell, junge Frau! -, der mitberatenden Ausschüsse, insbesondere bei den Mitgliedern des Ausschusses für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz und des Verkehrsausschusses, und vor allen Dingen bei meiner Kollegin Ulla Heinen aus dem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz herzlich zu bedanken. Als dort in der politischen Spitze die Damen die Mehrheit gewonnen haben, kam Frauenpower auf und das Ganze wurde beschleunigt. Herzlichen Dank dafür! ({2}) Ich glaube, wir haben ein gutes Gesetz erarbeitet. Wir sollten positiv über dieses gute Gesetz reden. Ich darf übrigens Dank im Namen von Frau Bundesministerin Zypries aussprechen, die sehr bedauert, dass sie nicht selbst hier reden kann. Sie hat einen großen Teil der Beratungen mit Ihnen begleitet. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der Kollege Hans-Michael Goldmann von der FDP hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da gestern der Welttag des Buches war, wie Sie alle sicherlich mitbekommen haben, erlaube ich mir, mit 1) Anlage 5 dem Hinweis auf ein Buch anzufangen, und zwar auf einen Bestseller, nicht nur in Bahnhofsbuchhandlungen. Lautmalerisch heißt der Titel Senk ju vor träwelling. Das Buch hat den durchaus provokativen Untertitel Wie Sie mit der Bahn fahren und trotzdem ankommen. Das Buch ist offenbar erfolgreich; denn es ist schon in einer zweiten Ausgabe erschienen. Es ist wahrscheinlich deshalb erfolgreich, weil viele Fahrgäste, die das Buch kaufen, ähnliche Erlebnisse mit der Bahn gehabt haben, Erlebnisse, die offenbar nicht alle besonders erfreulich waren. Wir in der Politik, wir im Deutschen Bundestag können uns anders als Autoren und Verlage nicht darauf beschränken, uns über Probleme bei der Bahn lustig zu machen, sondern wir sind gefordert, Probleme zu lösen, Missstände zu beseitigen und den teilweise leidgeprüften Fahrgästen effektiv zu helfen. ({0}) Genau das tun wir mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf, der an einigen zentralen Stellen - das darf ich schon sagen - deutlich die Handschrift der Union trägt. ({1}) Allerdings, das will ich schon erwähnen, haben wir gemeinsam - jetzt kommt der Gemeinsamkeitsteil - in der Großen Koalition in den verschiedenen Ausschüssen dem Dank des Herrn Staatssekretärs kann ich mich voll anschließen - im Interesse der Fahrgäste einige Verbesserungen, auch im Vergleich zum Regierungsentwurf, erreicht. Wir verabschieden den Gesetzentwurf gleich hoffentlich nicht als Gegner der Bahn, sondern, im Gegenteil, als Freunde der Bahn. Ich bin bekennender Bahnfahrer. Ich fahre gerne mit der Bahn, obwohl auch ich mich manchmal über Verspätungen oder sonstige Missstände ärgern muss. Ich glaube, dass dieses Gesetz einen Beitrag dazu leisten wird, das Bahnfahren attraktiver zu machen. Das nutzt nicht nur den Fahrgästen, sondern letztlich auch der Bahn AG und ihren Wettbewerbern. ({2}) Wir stärken die Fahrgastrechte - das ist eben angeklungen - auf eine realistische Weise. Wir stellen keine utopischen Forderungen auf, wie das Teile der Opposition vermutlich gleich tun werden. Die stärkste Oppositionsfraktion hat schon darauf verzichtet, ihre Rede mündlich vorzutragen. Das scheint also kein ganz so wichtiges Thema zu sein; auch im Rechtsausschuss hat keine der Oppositionsfraktionen das Wort dazu ergriffen. Trotzdem hatten wir Differenzen in den Beratungen, was auch in Ordnung ist. Wir müssen alle Verbesserungen der Fahrgastrechte auch unter folgendem Gesichtspunkt betrachten: Der Bahnverkehr, insbesondere der Nahverkehr, ist in Deutschland hochsubventioniert. Wir können es dem nicht bahnfahrenden Steuerzahler nur beschränkt zumuten, dass wir ihm in die Tasche greifen; denn er muss schon die Subventionen des laufenden Bahnverkehrs mit seinen Steuergeldern zahlen. Außerdem muss er mit seinen Steuergeldern indirekt die Entschädigungszahlungen für die Fahrgäste subventionieren. Deshalb schaffen wir realistische Verbesserungen, keine utopischen. An einigen Stellen haben wir im Gesetzentwurf deutliche Verbesserungen für die Bahnkunden erreicht. Ich will drei Punkte kurz nennen. Es gibt erstmals einen rechtlich verbindlichen Anspruch auf Geldentschädigung bei Verspätungen. Dazu werde ich mich gleich im Einzelnen äußern. Es gibt jetzt auch das Recht, das Verkehrsmittel zu wechseln. Wer im Nahverkehr eine Verspätung erleidet, kann auf den parallel fahrenden Fernverkehrszug umsteigen. Gerade für den ländlichen Raum ist die Garantie wichtig, dass man an einem Bahnhof spät abends oder auch am Tage nicht stehengelassen wird, wenn kein Zug mehr fährt. Notfalls werden Übernachtungs- oder Taxikosten übernommen. Ferner haben wir eine Beschwerde- und Schlichtungsstelle eingeführt, die den Gang vor Gericht angesichts solcher Summen nicht erforderlich macht. Ich will auf diese Punkte etwas näher eingehen. Zunächst komme ich zur Entschädigung, die wahrscheinlich für viele im Vordergrund steht. Die Bahn AG hat schon bislang eine Kundencharta gehabt; sie war aber rechtlich nicht verbindlich. Es gab nur einen pauschalen Entschädigungssatz von 20 Prozent des Fahrpreises ab einer Verspätung von 60 Minuten. Wir schaffen einen rechtsverbindlichen Anspruch: Bei einer Verspätung von 60 Minuten werden 25 Prozent des Fahrpreises erstattet. Die Höhe der Entschädigung steigt bei einer Verspätung von zwei Stunden und mehr auf 50 Prozent des Fahrpreises. Es ist nämlich nicht so, dass jede Verspätung gleich stark ins Gewicht fällt. Wer unter einer deutlich längeren Verspätung zu leiden hat, hat auch größere Unannehmlichkeiten. Vielleicht hat er sogar höhere Kosten, weil er einen Termin verpasst oder weil ihm sein Arbeitgeber Schwierigkeiten macht. Der Umstieg auf den Fernverkehr wird ermöglicht werden. Im Fernverkehr selber - auch das ist deutlich geworden - war unser Spielraum ohnehin begrenzt, weil die EU-Verordnung dafür weitgehende Vorgaben gemacht hat und wir die Fahrgäste mit der Unterscheidung zwischen grenzüberschreitenden und anderen Zügen nicht verwirren wollten. Wir haben Spielräume im Nahverkehr, und diese Spielräume haben wir zugunsten der Bahnkunden genutzt. Wer bei der Fahrt mit einem Nahverkehrszug Verspätungen von mindestens 20 Minuten erleidet, kann auf einen IC- oder ICE-Zug umsteigen. Dem Kunden geht es nicht um Geld, sondern er will vor allem pünktlich an sein Ziel kommen. Dazu möchten wir unseren Beitrag leisten. ({3}) Angesichts der durchschnittlichen Länge einer Schlange vor einem deutschen Bahnschalter ist es wichtig - Sie werden mir zustimmen -, ohne vorherigen Fahrkartenumtausch und ohne weitere Formalitäten in einen Fernverkehrszug umsteigen zu können. Allerdings hilft die Option „Umstieg in den Fernverkehr“ nur dort, wo Fernverkehr stattfindet. Ich will an der Stelle ein kritisches Wort zum Problem der Ausdünnung des Fernverkehrsangebots der Bahn sagen. Ich kann leidgeprüft aus meinem eigenen Wahlkreis berichten: Mönchengladbach mit über einer Viertelmillion Einwohnern ist die größte Stadt Deutschlands ohne IC- und ICE-Anschluss. ({4}) Ähnliche Probleme haben auch andere Städte. Ich erwähne als Beispiel die Stadt Mühlhausen in Thüringen. Der Kollege Grund hat mir anvertraut, dass eine Besuchergruppe aus dieser Stadt anwesend ist. Auch diese Besucher konnten nicht unmittelbar mit dem ICE anreisen. Wir haben beim Thema Fernverkehr einen großen Nachholbedarf und werden uns weiter für eine Verbesserung dieser Verkehrsanbindungen einsetzen. Ich wiederhole: Die Option „Umstieg in den Fernverkehr“ ist natürlich nur dort möglich, wo Fernverkehr stattfindet. Ich will zum Abschluss noch einmal erläutern, welches Ziel wir mit diesem Gesetz erreichen wollen. Dieses Gesetz dient nicht dazu, möglichst vielen Bahnkunden möglichst viele Entschädigungszahlungen zukommen zu lassen. Die Kunden wollen, wie ich eben schon sagte, nicht Geld haben, sondern pünktlich ankommen, damit sie morgens keinen Ärger im Büro und abends keinen Ärger zu Hause bekommen. Wir müssen daher effektiven Druck auf die Verantwortlichen der Bahn ausüben, damit sie ihr Geld an der richtigen Stelle investieren. Die Deutsche Bahn AG - ich greife dieses Unternehmen einmal heraus, weil es die meisten Fahrgäste befördert - ist ein großer Konzern mit verschiedenen Unternehmenssparten. Da ist es schon wichtig, dass auch wir unseren Beitrag dazu leisten, dass die Gelder zugunsten der Kunden an der richtigen Stelle investiert werden, zum Beispiel in bestimmte pünktlichkeitsrelevante Technik oder in Personal, das pünktliche Zugfahrten sicherstellen soll. Wir wollen, dass die Bahn in diesem Bereich erheblich mehr tut, damit die Kunden bei der Stange bleiben und damit Nichtbahnfahrer den Umstieg vom Auto oder von anderen Verkehrsmitteln auf die Bahn erwägen. Pünktlichkeit war einmal das Markenzeichen der deutschen Eisenbahn. Die Pünktlichkeit der Bahn war schon sprichwörtlich. Sie war Vorbild für andere Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Auch international hatte die deutsche Bahn einen hervorragenden Ruf, was Pünktlichkeit anbelangt. Ich stimme sogar zu, wenn gesagt wird: Die Bahn ist besser als ihr Ruf, auch in puncto Pünktlichkeit. Aber sie kann noch deutlich besser werden; bekanntlich ist das Bessere der Feind des Guten. Wir möchten einen positiven Anstoß geben und den berühmten heilsamen Druck ausüben, damit die Bahn ihre Anstrengungen in Bezug auf Pünktlichkeit deutlich verbessert. Mit diesem Gesetz werden wir - um im Bild zu bleiben - die Weichen dafür stellen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Gesetzentwurf gegen die Einführung weitergehender fahrgastfreundlicher Regelungen im Schienenverkehr entschieden. Ihre Vorlage übernimmt nahezu unverändert die Regelungen der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 zum Fernverkehr. Diese Verordnung setzt lediglich Mindeststandards und überlässt den Staaten die Möglichkeit, weitergehende Regelungen zugunsten der Fahrgäste zu schaffen. Die Bundesregierung vergibt die Chance, für eine verbraucherfreundlichere Entschädigungsregelung zu sorgen. Die Linke fordert die Bundesregierung deshalb noch einmal auf, über die Mindeststandards der EU-Verordnung hinauszugehen. Wir haben im Interesse der Kundinnen und Kunden des öffentlichen Personenverkehrs in unserem Entschließungsantrag sieben Forderungen aufgestellt: Die erste Forderung betrifft die Entschädigung. Die Mindestentschädigung für Fahrgäste soll bereits ab einer Verspätung von 30 bis 59 Minuten 25 Prozent des Fahrpreises betragen. ({0}) Bei einer Verspätung von über 60 Minuten soll eine Entschädigung von 50 Prozent gesetzlich festgelegt werden. Diese Entschädigungsregelung würde wenigstens annähernd in Relation zu dem Ärger und dem Aufwand stehen, der durch die Verspätung für viele Reisende entstehen kann. ({1}) Um dabei Bahnkundinnen und Bahnkunden mit einer Bahn-Card, mit Netz- oder Dauerkarten nicht schlechter zu stellen, muss die Erstattung am vollen Fahrpreis bemessen werden. Die zweite Forderung betrifft die Geringfügigkeitsklausel. Die EU-Verordnung ermöglicht den Verkehrsunternehmen, nämlich in den Beförderungsbedingungen sogenannte Geringfügigkeitsklauseln festzulegen. Das bedeutet: Entschädigungen unter 4 Euro werden nicht gezahlt. Die Linke meint, dass solche Klauseln nicht erlaubt werden dürfen. Sie werden den Realitäten des Personenverkehrs auf der Schiene nicht gerecht. Nach dem Gesetzentwurf müsste ein Einzelfahrschein mindestens 16 Euro kosten, damit bei einer Verspätung von einer Stunde überhaupt eine Entschädigung zum Tragen käme. Bei einer Entschädigung von 25 Prozent sind das 4 Euro. Eine solche Bagatellgrenze schließt viele Entschädigungen aus. Ich denke, viele Menschen müssen heute sehr genau rechnen und können 4 Euro nicht einfach abschreiben, vor allem dann nicht, wenn ihnen aus der Verspätung noch Folgekosten entstanden sind. Fahrgäste im Regionalverkehr und auch Kundinnen und Kunden mit ermäßigten Tarifen, also Seniorinnen und Senioren, Kinder, Jugendliche, gucken dann schnell mal in die Röhre. Auch zu der Argumentation in Bezug auf Bürokratie und Verwaltungsaufwand haben wir einen Vorschlag. Die Beförderungsunternehmen könnten bei einer Entschädigung von unter 4 Euro den Fahrgästen bereits während der Fahrt einen Gutschein ausstellen, der mit dem nächsten Fahrscheinkauf verrechnet werden kann. ({2}) - Ja, das ist unbürokratisch. Das funktioniert ohne Antrag, ohne große Bearbeitung, ohne Gebühren. Die Gutscheine könnten von den Zugbegleiterinnen und Zugbegleitern bereits während der Fahrt ausgestellt werden. Das wäre eine kundenfreundliche Variante, die viele Menschen wahrscheinlich zufriedenstellen würde und dazu beitragen würde, sie als Kundinnen und Kunden des öffentlichen Verkehrs zu halten. - Damit wäre nach unserer Auffassung das Argument der Bürokratie weitgehend entkräftet. ({3}) - Jeder Taxifahrer muss eine Quittung ausstellen. Wo ist da die Schwierigkeit, einen Gutschein auszustellen? ({4}) Die dritte Forderung betrifft die durchgehende Reisekette. Wir sehen nicht ein, dass die Verspätung allein im Fernverkehr zählen soll. Heute zieht sich die Bahn von vielen Strecken zurück, die dann andere Anbieter übernehmen für den Nahverkehr. Die Leute, die am Endbahnhof der Bahn AG ankommen und nicht mehr weiterkommen, gucken in die Röhre. Deshalb ist das für uns ein Thema, das in die Entschädigungsregelung entsprechend einzubeziehen ist. Es geht um Personenbeförderung vom Abfahrtsbahnhof bis zum Zielort. Wenn es im Fernverkehr eine Verspätung von 10 oder 20 Minuten gibt, kann es sein, dass die Anschlussverbindung im Nahverkehr erst viel später oder an diesem Tag gar nicht mehr besteht. Von daher muss die durchgehende Reisekette zugrunde gelegt werden, wenn es darum geht, für Verspätungen eine Entschädigung zu gewähren. In vielen Fällen haben die Leute keine Möglichkeit, Kombikarten für die gesamte Fahrstrecke zu kaufen. Gerade die Privatisierung der Bahn und vieler ehemaliger Bahnstrecken ({5}) hat dazu beigetragen, dass die Leute nicht mehr eine Karte für die Fahrt von A nach B kaufen können. Von daher muss man besondere Lösungen finden. Die vierte Forderung betrifft die Umsteigemöglichkeit auf teurere Züge. Bei einer Verspätung darf das Umsteigen von einem Regional- auf einen Fernverkehrszug nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Fernverkehrszug reservierungspflichtig ist. Es wird immer mehr Züge geben, die diese Option haben, und die würden alle wegfallen, wenn es darum geht, bei Verspätungen Ersatzverbindungen zu nutzen. Das kann nicht sein. Ein Umsteigen muss unabhängig davon möglich sein, ob es sich um einen Sprinter, einen TGV oder andere besondere Züge handelt. Man muss auch mit solchen Zügen weiterfahren können, wenn der eigene Zug eine massive Verspätung hatte. ({6}) - Die reservierungspflichtigen Züge waren bislang ausgenommen. ({7}) Wir haben noch eine fünfte Forderung. Sie betrifft die Fahrtkostenübernahme durch die Bahn insbesondere bei Verspätungen nach Mitternacht. Auch bei geringeren Verspätungen muss es möglich sein, dass die Bahn den Fahrgästen entgegenkommt. Das bedeutet, dass in diesen Fällen der Umstieg auf andere Verkehrsmittel und die Kosten für eine direkte Weiterfahrt, beispielsweise mit Taxen, durch die Bahn übernommen werden müssen. ({8}) Nicht nur Jugendliche und Kinder, sondern auch ältere Menschen und andere Bahnfahrende haben nicht immer genug Geld in der Tasche, die zusätzlichen Kosten dafür vorzustrecken. Deshalb wäre auch hier eine Gutscheinlösung richtig, nach der die anderen Beförderungsunternehmen die entstandenen Kosten durch die Bahn erstattet bekommen. Unser sechster Vorschlag ist, die Informationspflichten der Bahn zu verbessern. Im Entwurf der Bundesregierung fehlt nämlich ein wesentliches Element, und zwar die in der EG-Verordnung enthaltene Pflicht der Unternehmen zur Information der Fahrgäste über wichtige Anschlussverbindungen sowie über ihre Rechte. Im Nahverkehr ist eine solche Information derzeit höchstens beim Kauf am Fahrkartenschalter gewährleistet. Dieser existiert aber fast nirgendwo mehr. In den kleineren Bahnhöfen findet man keine Schalter. Dort kauft man am Automaten. In diesen Fällen gibt es keine weiter gehenden Informationen über Anschlussverbindungen und schon gar keine Aufklärung über Rechte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Ende kommen. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lassen Sie mich noch kurz die Schlichtungsstelle ansprechen. Nach unserer Ansicht muss dort auf jeden Fall die Beteiligung der Verbände sowie der betroffenen Kundinnen und Kunden gesichert werden. Alle diese Maßnahmen wären notwendig, um die Bahn kundenfreundlicher zu machen, um Menschen zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu ermuntern und damit im Sinne der Umwelt und unseres Klimas den Individualverkehr zu reduzieren. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich schaffen wir Fahrgastrechte nicht mit dem Ziel, dass den Fahrgästen möglichst viel Geld überwiesen wird. Fahrgastrechte haben vielmehr den Zweck, die Unternehmen zu motivieren, ein besseres Produkt anzubieten. Sie sollen eigentlich eine Hilfestellung für die Unternehmen sein. Schauen wir uns einmal den Gesetzgebungsprozess an. Er zieht sich schon seit vielen Jahren hin. Es gab bereits mehrere Ankündigungen. ({0}) Wir erinnern uns düster daran, dass wir einmal einen Verbraucherschutzminister mit dem Namen „Horst Seehofer“ hatten, der schon im Jahr 2006 sehr viel versprochen hat, ({1}) weitaus mehr, als jetzt im Gesetzentwurf umgesetzt worden ist. Wir wissen auch, woher das kommt. An der Rede des sehr verehrten Herrn Staatssekretärs kann man die falsche Denkweise, die in der Großen Koalition herrscht, nämlich klar erkennen. Der Herr Staatssekretär hat einen erheblichen Teil seiner Rede darauf verwendet, zu begründen, warum er weitgehende, vernünftige Fahrgastrechte nicht in die Tat umsetzen kann: weil die Unternehmen dann über Gebühr belastet würden. An dieser Begründung kann man erkennen, dass die Große Koalition nicht verstanden hat, wozu Fahrgastrechte wirklich dienen. ({2}) Wie ich bereits ausgeführt habe, dienen sie nicht dazu, den Fahrgästen möglichst viel Geld zukommen zu lassen, sondern haben das Ziel, die Unternehmen zu motivieren. Was wäre vor diesem Hintergrund nötig gewesen? Selbstverständlich wäre es nötig gewesen, dass man bereits ab einer Verspätung von einer halben Stunde eine geringe Entschädigung bekommt. Selbstverständlich wäre es nötig gewesen, dass die Reisekette vernünftig, klar und eindeutig geregelt wird. Selbstverständlich wäre es nötig gewesen, dass der ÖPNV miteinbezogen wird. Selbstverständlich wäre es nötig gewesen, eine unternehmensunabhängige Schlichtungsstelle bestehen zu lassen. Wir haben im Moment eine ganz hervorragend arbeitende Schlichtungsstelle, die in der Öffentlichkeit anerkannt ist und bei den Kunden großes Vertrauen genießt. Aber was machen Sie? Sie würgen die Arbeit dieser Schlichtungsstelle willkürlich ab und werfen sie dem Unternehmen in den Rachen. Das ist hochproblematisch. ({3}) Es ist mehr als amüsant, wenn Vertreter einer Regierungskoalition darüber jammern, dass es in ihrem Wahlkreis immer weniger Fernverkehrsanbindungen gibt, da immer mehr Strecken abbestellt werden. Der Herr Krings - so heißt er, glaube ich - hat das eben wunderschön getan. ({4}) Ich fand Ihre Rede wirklich nicht schlecht. Ich habe mir gedacht: Gut geredet, aber warum haben wir dann kein besseres Gesetz? ({5}) Warum haben wir nicht insgesamt eine andere Bahnpolitik? Wir wissen doch alle, wo die Bahnpolitik gemacht wird: im Kanzleramt. Warum reden Sie nicht mit der Kanzlerin und sorgen dafür, dass der Fernverkehr wieder vernünftig ausgestaltet wird? Warum lehnen Sie hier im Parlament den Entwurf eines Fernverkehrsgesetzes ab, der im Bundesrat einstimmig beschlossen worden ist? Warum verweigern Sie den Dialog darüber? ({6}) Ich habe wenig Verständnis dafür, dass Regierungsvertreter wortreich Missstände beklagen - auch wenn es manchmal berechtigt ist -, aber selbst nichts unternehmen, um die Missstände zu bekämpfen. ({7}) Es steht Ihnen frei, etwas wirklich Gutes zu tun. Herr Krings, auch Ihnen steht es frei, etwas Gutes zu tun. Wir haben einen ganz hervorragenden Gesetzentwurf eingebracht, mit dem alle Missstände behoben werden können. Er enthält eine klare Regelung zur Reisekette und vernünftige Entschädigungssätze: 25 Prozent des Fahrpreises ab einer Verspätung von einer halben Stunde und 50 Prozent nach einer Verspätung von einer Stunde. Dieser Gesetzentwurf sieht auch Entschädigungen vor, wenn mehr passiert. Nehmen wir einmal an, die Fahrkarte hat 80 Euro gekostet und der Zug hat zwei Stunden Verspätung. Aufgrund dieser Verspätung kann ich unter Umständen sehr viel versäumen, aber ich bekomme nur 40 Euro zurück. Soll derjenige, der aufgrund der Verspätung einen Vorstellungstermin verpasst hat, sagen: „Na gut, ich habe meinen Vorstellungstermin verpasst, der sehr wichtig gewesen wäre, aber immerhin bekomme ich 40 Euro zurück“? ({8}) Alle weiter gehenden Entschädigungsmöglichkeiten sind in Ihrem Gesetzentwurf ausgeschlossen. Wir würden das gerne im Bürgerlichen Gesetzbuch regeln. Das wäre eine saubere Regelung. Dann könnte der Bürger sein Recht einklagen. ({9}) Dann wären Rechte und Pflichten wie bei einem normalen Vertragsverhältnis geregelt. Ich kann nur sagen: Geben Sie sich einen Ruck - das gilt insbesondere für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die unseren Vorstellungen entsprechend Ihrer Rede zumindest verbal zustimmen - und stimmen Sie dem Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zu! Dann hätten wir etwas wirklich Gutes für die Fahrgäste geschaffen. Danke. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD-Fraktion. ({0})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den bisherigen Redebeiträgen wundert es mich, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf noch vor dem Ende dieser Legislaturperiode und vor allen Dingen vor Inkrafttreten der EU-Verordnung tatsächlich durchbekommen. In den unzähligen Runden und Gesprächen zwischen Berichterstattern, Ländervertretern sowie Vertretern der Fahrgastverbände, der Eisenbahnunternehmen und anderer Verbände ging es eigentlich gar nicht mehr um die Frage, ob Bahnkunden Rechte und Entschädigungen erhalten sollen, sondern darum, ob die vorgeschriebene EU-Regelung ausreichend ist. Wenn wir heute die EUVerordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr und den Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, auf den Weg bringen, dann ist das ein wirklich bedeutsamer Schritt in Richtung Stärkung der Rechte von Fahrgästen. Die Bahnkunden erhalten erstmals definitiv einen Rechtsanspruch. Das ist im Gegensatz zu einer Regelung im BGB ein richtiger Rechtsanspruch. Man muss nicht unzählige Verfahren abwarRita Schwarzelühr-Sutter ten, um zu sehen, was einem zusteht, sondern weiß genau, welche Entschädigung man zu erhalten hat. Darüber hinaus werden in der Verordnung unter anderem die Haftung der Unternehmen für die Fahrgäste und deren Gepäck, die Beförderung von behinderten Personen - ich finde es äußerst wichtig, dass behinderte Personen einen Rechtsanspruch haben - sowie die von den Eisenbahnunternehmen bereitzustellenden Informationen geregelt. Es wurde von der privatisierten Bahn AG gesprochen. Der Linken scheint es entgangen zu sein, dass wir die Bahn gar nicht privatisiert haben. ({0}) Ab 2010 gibt es eine Öffnung des Verkehrsmarktes im Personenverkehr. Ab dann gilt die neue Regelung Gott sei Dank für alle Bahnunternehmen. Wir haben dann - das ist im Sinne des Verbrauchers - keinen Flickenteppich, sondern der Verbraucher hat einen Rechtsanspruch gegenüber allen Bahnunternehmen. Im Gegensatz zu den Fluggästen, die schon seit 2005 durch die Fluggastrechte-Verordnung bei Annullierung, Nichtbeförderung oder großen Verspätungen über ein geregeltes Verfahren verfügen, waren die Bahnkunden bisher auf die Kulanz der Unternehmen angewiesen. Das bedeutet, dass wir nach der Verabschiedung des Entwurfes eines Fahrgastrechtegesetzes die Reisenden mit dem Flugzeug und die Reisenden mit den Eisenbahnen endlich gleichbehandeln. Diese Gleichbehandlung der Reisenden - dies gilt auch für die Reisenden mit anderen Verkehrsträgern, mit Omnibus und Schiff - ist im EUParlament beschlossen worden. Man muss jetzt schauen, dass gegenüber den Einwänden der Vertreter anderer Verkehrsträger, wie zum Beispiel der Busunternehmen, Verhältnismäßigkeit hergestellt wird. Denn eines muss klar sein: Optimalen Verbraucherschutz für Fahrgäste gibt es nur bei wettbewerbsfähigen Verkehrsträgern. Bei der Durchsetzung der berechtigten Interessen der Fahrgäste muss die wirtschaftliche Belastbarkeit der Unternehmen im Auge behalten werden. Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit sind die Schlüsselworte. Sie haben es schon gesagt - dies ist unser Ziel -: Es mag eine Motivation für die Unternehmen sein, besser zu werden. Wir wollen zuverlässige und sichere Bahnen. Wir wollen an Kundenwünsche angepasste Angebote. Wir möchten natürlich einen barrierefreien Zugang für behinderte Menschen. Verbraucherschutz bedeutet nicht, möglichst hohe Entschädigungszahlungen bei Verspätungen zu versprechen, sondern Verbraucherschutz bedeutet Service, Qualität und einen Rechtsanspruch auf Entschädigung bei Verspätungen oder Annullierungen. Ein Service, den sich viele Fahrgäste wünschen und der hier noch nicht angesprochen wurde, ist die Mitnahme von Fahrrädern. ({1}) Die EU-Verordnung verlangt die Möglichkeit der Fahrradmitnahme im Eisenbahnverkehr, „wenn … dies den betreffenden Schienenverkehrsdienst nicht beeinträchtigt und in den Fahrzeugen möglich ist“. Dies bedeutet, dass die Fahrradmitnahme als Recht der Eisenbahnfahrgäste anzusehen ist. Ich glaube, es ist wichtig, dies zu ermöglichen, wenn die Bahn neue Züge beschafft oder sie umrüstet. Wir haben diese Woche im Ausschuss einen Antrag in diese Richtung eingebracht. 21 Prozent der Deutschen haben bereits einen Radurlaub gemacht. Gerade die Abgeordneten, die aus Tourismusregionen kommen, wissen, dass es wichtig ist, dass Fahrräder mitgenommen werden können. Ich denke, wir haben heute einen guten Kompromiss auf den Weg gebracht, der praktikabel ist, der nicht an der Grenze endet und der vor allem keinen Flickenteppich verursacht. Es ist wichtig, dass für den Verbraucher Transparenz besteht. Er wird sie durch dieses Gesetz erhalten. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Julia Klöckner, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherlich ist es verwunderlich, wenn wir heute hören, dass erstmalig das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Fahrgäste, festgeschrieben wird, dass sie eine Entschädigung bekommen, wenn sie für etwas bezahlt, es aber nicht erhalten haben. Ich finde das, was die Freunde der grünen Koalition - ich sage schon „Koalition; das ist ja erschreckend; ({0}) das liegt wohl an meinem grünen Jackett -, die Freunde der grünen Fraktion hier vorgelegt haben, recht abenteuerlich, Herr Hofreiter. Soweit ich mich erinnere, waren auch die Grünen einmal in der Regierung; das muss so schnell nicht wiederkommen. Ich kann Ihnen sagen, dass unter Frau Künast der Zug ohne die Verbraucher abgefahren ist. ({1}) Es stand Ihnen damals offen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, auf dessen Grundlage die Verbraucherinnen und Verbraucher ein verbrieftes Recht auf Entschädigung bekommen. Was hilft uns da die grüne Taube auf dem Dach? Der Verbraucher hat letztlich keine Entschädigung bekommen. Ich bin sehr froh, dass wir als Parlament ein Ergebnis vorlegen können. Dies muss ich mit einem kleinen Augenzwinkern sagen. Herr Hartenbach, Sie haben die Frauenriege in der Union und speziell im Ministerium gelobt. Sie haben sich am Anfang eher als Bremser betätigt. Ich habe noch in meinen Unterlagen den Schriftverkehr mit Ihnen, aus dem hervorgeht, dass Sie den Bedarf für ein solches Gesetz nicht wirklich erkannt haben. Einige fahren vielleicht nur Dienstwagen und wissen daher nicht, wie die Situation bei der Bahn ist. Aber wir müssen diejenigen im Auge haben, die tagtäglich mit der Bahn fahren. Es ist manchmal abenteuerlich, was Verbraucherinnen und Verbraucher erleben. Sie treten in Vorleistung und zahlen ein Ticket für eine klar definierte Leistung. Wenn diese Leistung nicht erbracht wird, dann muss es selbstverständlich sein, dass sie eine Entschädigung erhalten, in einen anderen Zug umsteigen oder ein Taxi oder ein anderes Transportmittel nutzen können. Ich fand es verwunderlich, wie sehr die Bahn im Vorfeld als Lobbyist agiert hat. Dass mich das geärgert hat, möchte ich hier ganz klar ansprechen. Es wurde immer wieder deutlich gemacht, dass eine Fahrgastregelung die Bahn in den Ruin stürzen würde. Spannend war die Sache mit den Verspätungszahlen. Als es um die Entschädigung ging, war die Zahl der Verspätungen recht hoch. Als es aber um den Börsengang ging, war diese Zahl deutlich niedriger. Das fand ich schon entlarvend. Mein Hinweis an die Bahn: Wenn sie pünktlich ist, dann kostet sie das Ganze überhaupt nichts. Die Bahn muss sich daran halten, die Dienstleistung, die sie anbietet, wirklich erfahrbar zu machen. Das würde das Image der Bahn stärken und die Zufriedenheit der Verbraucherinnen und Verbraucher erhöhen. Dann hätten auch die Schlichtungs- und Beschwerdestellen nicht so viel zu tun. Was haben wir von der Union erreicht? Als CDU/ CSU-Fraktion haben wir mit Blick auf die vielen Standardbriefe, in denen die Verbraucherinnen und Verbrauchern eine Antwort auf ihre Beschwerden erhalten - wir müssen dabei an die Personen denken, die keine großen Rhetoriker sind oder nicht alltäglich mit Standardbriefen zu tun haben -, Wert darauf gelegt, dass eine Schlichtungsstelle zum Einsatz kommt und in diesen Briefen an die Kunden auf eine solche Schlichtungsstelle hingewiesen wird. Das ist uns wichtig, damit nicht immer sofort die Gerichte angerufen werden. Ich bin optimistisch, dass dieses Gesetz dazu führen wird, dass die Bahn einen neuen Anlass hat, pünktlich zu sein. Wenn die jetzigen Fahrpläne nicht angemessen sind - ein Argument war, das alles sei viel zu kompliziert und die Züge führen zu dicht hintereinander -, dann ist das ein Grund dafür, realistische Fahrpläne zu erstellen. ({2}) Es kann nicht sein, dass nachher der Kunde in die Röhre schaut. Eines ist deshalb klar: Wer zu spät kommt, den bestraft der Gesetzgeber. ({3}) Noch ein Wort an die Bahn. Sie möchte als deutsche Bahn verstanden werden. Deshalb bin ich der Meinung, dass man mit deutschen Begriffen agieren sollte. „Carsharing“, „Meeting-Point“, „Touch and Travel“ und all diese Begriffe sind ausgrenzend für die Personen, die kein Englisch gelernt haben. Wenn wir schon dabei sind: Wir wären dankbar, wenn die Bahn über ihre langen Warteschlangen und nicht nur über Tarifsteigerungen nachdenken würde. Sie sollte eine Dienstleistung anbieten, wofür sie geschätzt wird. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass wir unsere Bahn im internationalen Wettbewerb stärken müssen. Ich danke dem Verbraucherministerium, das zwar nicht federführend war, aber doch genauso wie die CDU/ CSU-Fraktion das Ganze vorangetrieben hat. Auch den Kolleginnen und Kollegen der SPD danke ich. Manchmal hat man gedacht, Sie hätten das Ohr eher bei der Bahn als beim Verbraucher. ({4}) Aber ich finde, wir haben ein gutes Ergebnis erreicht. Heute ist ein guter Tag für alle Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer hier in Deutschland. Ihnen allzeit gute Fahrt! ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die SPD-Fraktion gebe ich der Kollegin Marianne Schieder das Wort. ({0})

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst das bisweilen düstere und negative Bild von der Bahn etwas zurechtrücken. Das Gegenteil ist nämlich der Fall: In Deutschland fahren immer mehr Menschen mit der Bahn. 2008 gab es beim Fernverkehr einen Zuwachs von 4 Prozent und beim Nahverkehr sogar von 4,7 Prozent. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, was die Akzeptanz der Bahn betrifft. Sie machen auch deutlich, dass die Bahn besser ist als ihr Ruf. ({0}) Die Bahn ist ein sicheres, zuverlässiges und angesichts der großen Menge an Verkehr, die abgefertigt wird, ein alles in allem pünktliches Verkehrsmittel. ({1}) Den Trend weg vom motorisierten Individualverkehr hin zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr wollen wir stärken. Wenn man willens ist, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen - wie ich dem, was die Rednerinnen und Redner der Opposition sagten, entnehmen konnte, fehlt es Ihnen allerdings an der Bereitschaft dazu -, muss man feststellen: Zu diesem Zweck trägt er sicherlich bei. Die EU-Verordnung wird rechtzeitig zu Beginn der Sommerferien und sogar vorzeitig in Kraft gesetzt. Sie ist ein enormer Fortschritt für den europäischen BahnMarianne Schieder verkehr; das wissen auch Sie. Denn es ist gelungen, für ganz Europa verlässliche Entschädigungs- und Verspätungsregelungen zu schaffen, die auch den deutschen Bahnkunden, beispielsweise bei ihren Urlaubsfahrten, nutzen werden. Die in der EU-Verordnung festgelegten Entschädigungsansprüche wurden auf den deutschen Fernverkehr übertragen. Frau Kollegin Binder und Herr Kollege Hofreiter, trotz all Ihrer Liebe zum Populismus muss ich Ihnen sagen: Auch Sie wissen, dass es den Nationalstaaten nur sehr begrenzt möglich ist, Ausnahmen zu machen. Sie können zwar fordern, dass eine Entschädigung schon bei einer Verspätung von 30 Minuten und nicht erst bei einer Verspätung von 60 Minuten gezahlt wird. Diese Regelung könnte aber nur auf fünf Jahre befristet in Kraft gesetzt werden. Nach Ablauf dieser fünf Jahre könnte sie um weitere fünf Jahre verlängert werden. Nach diesen insgesamt zehn Jahren würde allerdings die jetzige EU-Verordnung in Kraft treten. Erklären Sie einem Verbraucher einmal, was es soll, zunächst im Rahmen einer zweimaligen Befristung eine 30-Minuten-Regelung einzuführen, die letztlich zu einer 60-MinutenRegelung werden müsste. Das entbehrt jeder Logik. Wer angesichts der geltenden Rechtslage solche Forderungen erhebt, betreibt nichts anderes als Populismus. ({2}) Um eine tatsächlich einheitliche Regelung zu treffen, wurden die Festlegungen hinsichtlich der Verspätungszeiten und der Erstattungsansprüche auf den Nahverkehr übertragen. Darüber hinaus haben wir, was den Nahverkehr angeht, für weitere wichtige Verbesserungen gesorgt. Durch die einheitlichen Regelungen, die wir geschaffen haben, bleibt es dem Geschädigten, dessen Zug verspätet ist, beispielsweise erspart, mühselige Diskussionen darüber zu führen, ob der Zug dem Nahverkehr, dem Fernverkehr oder gar dem grenzüberschreitenden Verkehr zuzuordnen ist. Solche Diskussionen sind nämlich nicht im Sinne des Verbraucherschutzes. Es darf auch nicht sein, dass jemand, der regelmäßig zwischen Hamburg und München pendelt, das eine Mal diesen Anspruch und das andere Mal jenen Anspruch hat, je nachdem, ob diese Person in einem Zug sitzt, der dem innerdeutschen Fernverkehr oder dem grenzüberschreitenden Verkehr zuzuordnen ist. Das würde unserem Anspruch an einen umfassenden Verbraucherschutz nicht gerecht. Was die Regelungen zum Nahverkehr betrifft - sie wurden bereits erwähnt und zum Teil kritisiert -, haben wir uns vor allem an den Interessen der Fahrgäste orientiert. Dabei stehen zwei Ziele im Mittelpunkt: Erstens soll jeder Fahrgast sein Nahverkehrsziel möglichst schnell erreichen können. Zweitens soll ein Fahrgast dann, wenn er seinen Anschlusszug aufgrund einer Zugverspätung nicht mehr erreicht, noch vor Mitternacht nach Hause kommen können. Wir haben Regelungen getroffen, die geeignet sind, diese beiden Ziele zu erreichen. Menschen, die zum Beispiel in ländlichen Bereichen leben, in denen der letzte Zug manchmal schon um 21 Uhr fährt, können, wenn sie ihn nicht mehr erreichen, in Zukunft mit einem Taxi nach Hause fahren. In diesem Fall werden immerhin Taxikosten von bis zu 80 Euro erstattet; ich freue mich, dass es uns hier gelungen ist, eine Erhöhung durchzusetzen. Ab einer Verspätung von 20 Minuten kann man in den nächstmöglichen Zug, der zum Zielort fährt, umsteigen, ganz gleich, ob er höherwertig ist oder nicht, ob es sich also um einen ICE oder einen IC/EC handelt. Frau Binder, in diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass Sie nur geringe Kenntnisse von der Realität haben. ({3}) Sie sagten, in diesem Fall solle der Zugbegleiter dem betroffenen Fahrgast einen Gutschein ausstellen. Eigentlich sollten Sie wissen, dass es in 50 Prozent aller Züge keine Zugbegleiter mehr gibt. ({4}) Sollen die Fahrgäste, die in einem Zug ohne Zugbegleiter reisen, etwa keinen Gutschein bekommen, oder wie stellen Sie sich das vor? So jedenfalls geht es nicht. Sie wissen ganz genau, dass ein Upgrade möglich ist. ({5}) - Herr Hofreiter, ich befürchte, dass auch dann, wenn Sie Verkehrsminister wären, keine neuen Zugschaffner eingestellt würden. ({6}) - So populistisch sollten wir nicht diskutieren. Die Situation behinderter Menschen haben wir verbessert, indem wir das Problem der vielen zu Recht beklagten Hindernisse in Angriff genommen haben. Alle Menschen mit Behinderung werden es in Zukunft leichter haben, die Bahn zu nutzen. Eisenbahnunternehmen und Bahnhofsbetreiber müssen nämlich dafür sorgen, dass Bahnsteige und Fahrzeuge auch für Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen - jetzt richte ich mich vor allen Dingen an die Reihen der CDU/CSU -, ich finde es erfreulich, dass wir im Rahmen der Gesetzesberatung noch viele Verbesserungen erzielt haben. Dafür möchte ich allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern danken. Die CDU ist sich nicht zu schade, in Presseerklärungen zu schreiben, die SPD habe über Jahre alle Verbesse23802 rungen verhindert. Liebe Frau Kollegin Klöckner, so einfach geht es nicht, zu sagen: Die Guten ins CDUTöpfchen und die Schlechten ins SPD-Kröpfchen. ({7}) Sie wissen genau, dass es zunächst darum ging: Was wird auf europäischer Ebene beschlossen? Was ist da durchzusetzen? Da hat - das kann ich nur betonen - unsere Justizministerin, Frau Zypries, hervorragende Arbeit geleistet. ({8}) Es stimmt, wenn Frau Zypries sagt, dass die Signale für mehr Fahrgastrechte auf Grün stehen. Ganz ehrlich, liebe Julia: Wenn ich diese Presseerklärung lese, dann kommt mir der Kümmel hoch, weil das wirklich unverschämt ist. Du weißt genau, dass das BMELV, der ehemalige Minister Seehofer über Monate blockiert hat, ({9}) Forderungen gestellt hat, die mit dem EU-Recht - was er wusste - nicht konform sind. ({10}) Auch heute, wo Herr Seehofer bayerischer Ministerpräsident ist, geht es ihm vorrangig um Populismus und erst zweirangig darum, was sich realistisch verwirklichen lässt. Ich meine - damit möchte ich abschließen -, dass wir alles in allem gute Regelungen geschaffen haben. Wir haben europaweit einheitliche, klare und sinnvolle Regelungen geschaffen. Wir haben eine Verbesserung des Services erreicht. Endlich gibt es ein transparentes und praktikables Entschädigungsverfahren. Einige von den Grünen werfen uns vor, der ÖPNV sei nicht inbegriffen. Sie wissen genau, dass der ÖPNV, wenn die Bahn über die Verbundsysteme Teil des ÖPNV ist, immer dabei ist. Das ist überall der Fall. Etwas anderes kenne ich, jedenfalls aus dem Land, aus dem ich komme - aus Bayern -, nicht. Der ÖPNV ist also dabei. ({11}) Mit diesem Gesetz geben wir die richtigen Antworten. Wir stärken damit Kundenrechte und Verbraucherschutz und die Motivation der Menschen, vom Auto auf ein umweltfreundliches Verkehrsmittel umzusteigen. Damit ist dieser Tag ein guter Tag für die Bahnkunden und für die Umwelt. Ich appelliere noch einmal an die Union, zuzugeben, dass das ein gemeinsamer Erfolg ist, ({12}) und daraus keinen billigen Wahlkampfschlager zu machen. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Enak Ferlemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Enak Ferlemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist das Gesetz, das wir gleich verabschieden, ein Kompromiss zwischen den Verbraucherschützern, den Rechtspolitikern und den Verkehrspolitikern. Es ist vielleicht gut, wenn nach Frau Schwarzelühr-Sutter jetzt ein Verkehrspolitiker das letzte Wort hat. Es geht bei dieser Debatte ja um ein Verkehrssystem. Für die Kollegen aus den Oppositionsfraktionen: Anhand dieses Gesetzentwurfs kann man einmal sehen, wie die Verbraucherschützer in der Großen Koalition miteinander umgehen, dass da eine muntere Debatte stattfindet. Ich denke, es ist ein Riesenerfolg der Großen Koalition, dass wir dieses Gesetz am Ende dieser Legislaturperiode noch zum Abschluss bringen. ({0}) Ich glaube, der vorliegende Gesetzentwurf ist gelungen. Das müsste auch der Kollege von den Grünen zugeben, wenn er nicht ein bisschen ideologisch verblendet wäre; aber darauf komme ich noch zurück. ({1}) Warum machen wir dieses Gesetz? Europa öffnet seine Pforten für transnationale Bahnverkehre nicht nur im Güterfernverkehr - dort ist der Markt schon seit 2007 geöffnet -, sondern ab dem 1. Januar 2010 auch im Personenfernverkehr. Wir werden also in Zukunft nicht nur die weißen schnellen Züge der Deutschen Bahn AG auf unserem Netz sehen, sondern auch Züge der Schweizerischen Bundesbahnen, der Österreichischen Bundesbahnen und neben dem TGV, der schon einige Strecken bedient, den Thalys und andere Züge. Wie der Volksmund sagt: Konkurrenz belebt das Geschäft. Wettbewerb hilft dem Schienenverkehr. Wir brauchen aber einen europäischen Markt mit gleichen Regelungen, die sich in den nationalen Regelungen wiederfinden. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Fahrgastrechte, zum Beispiel den Anspruch auf finanzielle Entschädigung bei Verspätungen, per Gesetz regeln. Die an die europäischen Vorgaben angelehnte deutsche Regelung kommt zum rechten Zeitpunkt. Die deutschen Bahnen können sich jetzt auf diese Regelungen einstellen. Wir Verkehrspolitiker haben nach vielen Diskussionen sehr praktikable Regelungen gefunden: Wir haben einen einheitlichen Standard. Wir haben Entschädigungsregelungen gefunden, die an das angelehnt sind, was wir schon von den Luftverkehrsunternehmen kennen, für die solche Regelungen bereits seit 2004 gelten. Mit diesen Regelungen zwingen wir die Bahn, nicht nur angenehme Reisebedingungen zu schaffen - die Fahrradmitnahme und die verbesserten Bedingungen für Menschen mit Behinderungen sind schon angesprochen worden -, sondern die Verbraucher auch durch mehr Pünktlichkeit zufriedenzustellen. Uns Verkehrspolitikern kam es dabei wesentlich darauf an, dass die jetzt getroffenen Regelungen nicht zu einer Erhöhung der Fahrpreise führen werden. Jede Regelung, die mit Kosten verbunden ist, führt dazu, dass diese Kosten auf die Fahrpreise umgelegt werden. Dies ist der große Fehler beim Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der so umfangreiche Regelungen enthält, dass den Unternehmen erhebliche Kosten entstehen, die in Form massiver Preissteigerungen weitergegeben werden müssen. Preiserhöhungen auf breiter Front, also sowohl im Personennahverkehr als auch im Personenfernverkehr, wären das Allerletzte, was wir den Verbrauchern zumuten sollten. Aus diesem Grund geht der grüne Gesetzentwurf, verehrte Herr Kollege, leider in die falsche Richtung. Wir werden darauf achten müssen, dass durch die Regelungen die Zufriedenheit der Reisenden im Hinblick auf die Pünktlichkeit erhöht wird. Wenn die Kunden ihre Anschlusszüge verpassen, kommt es zu großen Ärgernissen, und dann werden Menschen gezwungen, wieder auf das Auto umzusteigen. Dies wollen wir nicht; Sinn der Verkehrspolitik ist es, dass mehr Menschen von der Straße auf die Schiene wechseln. Die Fahrgastrechte, die wir im Gesetzentwurf vorsehen, werden zur Erreichung dieser Ziele beitragen. Ich freue mich, dass wir zu einem guten Kompromiss gekommen sind und dass es den Kollegen im Verkehrsausschuss möglich war, noch eine Regelung für die Fahrradmitnahme in dem Gesetz unterzubringen. Diese Regelung ist für viele Reisende sehr wichtig. Wir wissen, dass die Menschen, die Fahrradtouren machen wollen, heute mit der Bahn in die Zielorte reisen, um dort die Radwege zu nutzen, die in allen Tourismusregionen geschaffen worden sind, und dann von dort zurückreisen. Insofern appelliere ich an alle, insbesondere an die Grünen, ihr Herz über die Hürde zu werfen und diesem gut gelungenen Gesetzentwurf zuzustimmen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpas- sung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verord- nung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnver- kehr. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12715, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 16/11607 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Ge- genstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/12723. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses abge- lehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Stärkung der Fahrgastrechte: Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12715, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1146 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegen- stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Rechte von Bahnkunden stärken“: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/12715 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9804. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen von der FDP und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a und 35 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes und der Flächenerwerbsverordnung ({0}) - Drucksachen 16/8152, 16/8396 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) - Drucksache 16/12709 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({2}) Roland Claus Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Nicole Maisch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bodenprivatisierung neu ausrichten - Drucksachen 16/7135, 16/8050 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Gerhard Botz Hans-Michael Goldmann Cornelia Behm Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Ernst Bahr, SPD-Fraktion, gibt seine Rede zu Protokoll ebenso wie der Kollege Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.1) Deswegen gebe ich das Wort dem Kollegen Jochen-Konrad Fromme, CDU/ CSU-Fraktion.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flächenerwerbsänderungsgesetz - darunter kann sich niemand etwas vorstellen. Deswegen muss man einmal verdeutlichen, worum es geht. Es geht um den rechtli- chen Rahmen, gemäß dem die Bundesrepublik mit den von den Russen 1945 enteigneten Flächen umgeht. Wie Sie wissen, haben die Russen 1945 bis 1949 die land- wirtschaftlichen Flächen in der sowjetischen Besat- zungszone enteignet. Diese sind 1990 nicht zurückgege- ben worden, sondern in einen Flächenpool überführt worden. Dann wurden Rechtsvorschriften geschaffen, die regeln, unter welchen Bedingungen diese Flächen privatisiert werden können. Genau um diese Rechtsvor- schriften geht es. Im vorliegenden Gesetzentwurf wer- den diesbezüglich verschiedene Dinge neu geordnet. Es geht zunächst einmal darum, wie im Koalitions- vertrag unter dem Stichwort „Nationales Naturerbe“ ver- einbart, erhebliche Flächen unter Naturschutz zu stellen. Um aber aus einem Vermögen Flächen kostenlos abge- ben zu können, bedarf es einer Rechtsgrundlage. Diese soll mit diesem Gesetz geschaffen werden. Zum Zweiten geht es darum, dass die Privatisierung der landwirtschaftlichen Flächen in einem Verfahren zwischen den Bundesländern und dem Bund in der Ver- gangenheit neu geordnet wurde. Auch daraus müssen rechtliche Konsequenzen gezogen werden. 1) Anlage 6 Drittens ziehen wir rechtliche Konsequenzen aus der Tatsache, dass die Europäische Gemeinschaft bestimmte Flächenerwerbsbedingungen zur Veränderung der Agrarstruktur geändert hat. Auch die entsprechende Verordnung muss umgesetzt werden. Viertens haben wir festgestellt, dass viele Regelungen, denen die Erwerber von Grundstücken unterliegen, zu unflexibel sind. Deswegen werden hier insbesondere im Hinblick auf Wohnsitznahme und ähnliche Dinge Erleichterungen geschaffen. Außerdem soll die Wertermittlung neu geregelt werden, weil es dabei Unzulänglichkeiten gab. Meine Damen und Herren, ein Punkt wird leider in diesem Gesetz nicht geregelt, den ich gerne geregelt sähe. Es geht um die Frage, zu welchen Konditionen ehemalige Besitzer, die ihr Land nicht zurückbekommen haben, Grundstücke erwerben können. Man hatte sich 1994 in einem sehr schwierigen Vermittlungsverfahren zwischen Bund und allen Ländern darauf geeinigt, dass ein Alteigentümer, der seine Flächen nicht zurückbekommen hat, im Durchschnitt 32 Hektar zurückbekommen sollte. Ich sage bewusst „im Durchschnitt“; denn in der Landwirtschaft hängt der Wert von Böden von Bodenqualität und ähnlichen Dingen ab. Deswegen beziehe ich mich hier auf den Eckbetrieb von 32 Hektar. Dieser konnte zum dreifachen Einheitswert erworben werden. Das Ganze sollte sich in einem zweistufigen Verfahren abspielen: Zunächst einmal musste die zuständige Landesbehörde, also die Behörde des Landes, in dem das Grundstück lag, einen Bescheid erteilen, dass und in welchem Umfang jemand enteignet worden ist. Mit diesem Bescheid konnte der Alteigentümer dann zu der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft gehen und aus dem Flächenpool Grund und Boden im Gegenwert der auf dem Bescheid festgesetzten Flächen erwerben. Die Anträge mussten - darauf kommt es an - bis Ende 1995 gestellt werden. Der potenzielle Erwerber musste sich dann, nachdem er seinen Bescheid bekommen hatte, innerhalb von sechs Monaten entscheiden, ob er Flächen erwerben oder eine geldwerte Entschädigung annehmen will. Ich sage das aus folgendem Grund: Wir schreiben inzwischen das Jahr 2009. Durch den Zeitablauf haben die Alteigentümer das Riesenproblem, dass der Wert ihres Anspruchs praktisch auf ein Drittel geschrumpft ist. Wie kommt das? Ich habe gesagt, dass es sich um ein zweistufiges Verfahren handelt. Bis Ende 1995 mussten die Anträge gestellt werden. Von diesen Anträgen sind bis heute leider - man höre und staune - 11 000 Anträge nicht beschieden, und zwar ohne dass der Einzelne in irgendeiner Form hätte Einfluss nehmen können. Er musste zusehen, wie sein Vermögensanspruch immer mehr geschrumpft ist. Das war seinerzeit nicht beabsichtigt. Deswegen hatte man ursprünglich eine Formel festgelegt, die den Bodenwert nicht berücksichtigte und sich nur darauf bezog, was enteignet ist und wie hoch der Wert ist. Dann durfte man die entsprechende Fläche zum dreifachen Einheitswert wieder erwerben. Wie Herr Staatssekretär Diller zu Recht sagt, trägt - weitestgehend - nicht der Bund die Verantwortung dafür, dass die 11 000 Bescheide nicht erteilt worden sind, da diese Bescheide durch Landesbehörden zu erteilen waren. Aber, Herr Staatssekretär, ich sage Ihnen ganz deutlich: Der Bund hat bezüglich der Ausführung dieses Bundesgesetzes nicht den nötigen Druck ausgeübt. ({0}) Dann gab es 1999 eine Veränderung: Man hat den Bodenpreis in die Formel für den Rückerwerb aufgenommen. Damit begann die Katastrophe; denn die Bodenpreise haben sich seit 2004 fast verdreifacht. Das heißt, statt der 32 Hektar, die man im Durchschnitt hätte erwerben können, bekommt man heute nur noch 12 Hektar. Das ist ein Skandal, und deswegen wollte die CDU/ CSU-Fraktion die alte Regelung wiederherstellen. Denn die Menschen konnten nichts dafür, dass sie die Bescheide nicht bekommen haben. ({1}) Ohne diese Bescheide konnten sie aber die Fläche nicht erwerben. Sie waren also völlig schuldlos. Das Ganze hat einen gewaltigen Nebeneffekt: Wenn statt der 32 Hektar Fläche, die für den Rückerwerb durch Alteigentümer reserviert waren, jetzt im Durchschnitt nur noch 12 Hektar erworben werden können, bedeutet das mit Blick auf die 11 000 unerledigten Fälle, dass jetzt 220 000 Hektar Fläche zum freien Verkauf und die erzielten Erlöse dem Fiskus zur Verfügung stehen. Bei den heutigen Bodenpreisen macht das einen Erlös von 2,5 Milliarden Euro aus, der an den Fiskus fließt, obwohl dieser den Erlös im Grunde genommen gar nicht verdient hat. Wenn nämlich die Dinge ordnungsgemäß abgewickelt worden wären, wäre die Fläche spätestens im Jahr 2000 übertragen gewesen. Die Leute wären zufrieden gewesen und das Ganze seit langem erledigt. Ich vermag eines nicht einzusehen: dass der Bund jetzt aus der Rechtsverweigerung der Länder sozusagen einen Windfall-Profit, einen unverdienten Gewinn in Höhe von 2,5 Milliarden Euro erzielt. Ich halte das für einen Skandal. ({2}) Deswegen wollten wir die alte Formel wieder einsetzen. Dann hätten die Menschen ihr Recht bekommen, und es wäre Rechtsfrieden eingekehrt. Leider war es in der Koalition nicht möglich, sich darauf zu einigen, was ich ausgesprochen bedaure; denn es kann nicht angehen, dass der Staat am Verwaltungsunrecht der Länder verdient. ({3}) Das ist unanständig, und deswegen bleibt dieser Punkt auf der Agenda. Nun hat es den Vorschlag gegeben, eine gewisse Zinsregelung zum Aufstocken des Anspruchs der Flächenerwerber zu schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hätte dazu geführt, dass statt 12 Hektar 14 Hektar hätten übertragen werden können. Wenn das erfolgt wäre, hätte jeder geglaubt, das Problem sei gelöst und die Sache erledigt. Genau das kann nicht angehen. Man kann nicht für ein Linsengericht Rechte von Menschen mit Füßen treten. Deswegen hat die Union beschlossen, diesen dargereichten Strohhalm nicht anzunehmen; denn das wäre später das Argument dafür, dass das Problem als gelöst erscheint. Dann halten wir die Frage lieber offen und regeln sie, wenn wir andere Mehrheiten haben, weil hier eine schreiende Ungerechtigkeit beseitigt werden muss. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf stellt einen richtigen Schritt bezüglich der Punkte, die ich eingangs genannt habe, dar. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Aber es bleibt dabei, dass dieser Gesetzentwurf nach wie vor eine sehr große Regelungslücke in puncto Gerechtigkeit aufweist. Diese Gerechtigkeitslücke muss hier benannt werden, damit sie in Zukunft geschlossen werden kann. Der Entschließungsantrag der Linken bezieht sich auf die Frage der Privatisierungspolitik. Das ist durch die Neuordnung in meinen Augen erledigt. Deswegen werden wir diesem Entschließungsantrag nicht zustimmen. ({5}) Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetz. Behalten Sie bitte die Gerechtigkeitslücke gut im Auge, damit wir sie rechtzeitig schließen können! ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich erzähle Ihnen einmal von einem anderen Skandal, und zwar einem existenziellen, weil es dabei nämlich um Arbeitsplätze und nicht um Alteigentümer geht, die meistens relativ gut situiert sind. Vor allem in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gibt es schwere Auseinandersetzungen um eine großflächige Umverteilung des Bodens, wobei ortsansässige Landschaftsbetriebe benachteiligt werden. Politisch noch brisanter ist der begründete Verdacht, dass eine Bundeseinrichtung zur Explosion der regionalen Boden- und Pachtpreise beiträgt. Es geht um die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, kurz: BVVG. Rekordverdächtige 366 Millionen Euro Überschuss hat die BVVG allein 2008 an den Bund überwiesen. Die Finanzkrise habe der BVVG nicht geschadet, so ihr Chef Horstmann. Zitat Horstmann: Das Gegenteil ist der Fall: Sie wirkt sich stimulierend auf unser Geschäft aus. Die vielen Verlierer dieses politisch angeordneten Privatisierungszwangs der BVVG werden nicht erwähnt. In Brandenburg verfolgt mich dieses Thema als Agrarpolitikerin auf Schritt und Tritt. Die BVVG-Debatte ist sogar brisanter und hitziger als die über die Milchpreise. In den beiden nordostdeutschen Bundesländern stehen die Landwirtschaftsbetriebe unter einem enormen Kauf- und damit auch Preisdruck. Das liegt an den länderspezifischen Bedingungen. Der Pachtanteil liegt mit fast 80 Prozent deutlich über dem in Westdeutschland mit ungefähr 50 Prozent. Überwiegender Verpächter ist die BVVG. Viele Pachtverträge laufen aus, und damit endet auch die Möglichkeit eines begünstigten Erwerbs der Pachtflächen. Viele Landwirtschaftsbetriebe in Ostdeutschland haben aber gerade erst die Altschulden abbezahlt und verfügen über kaum Eigenkapital. In dieser Situation haben sie eigentlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Wenn sie ihre Pachtfläche zu den explodierenden Preisen kaufen, dann haben sie kein Geld mehr für Investitionen oder anständige Löhne. Wenn sie sie nicht kaufen, verlieren sie ihre Existenzgrundlage Boden. Nur zwei Beispiele für die Preisexplosion von 2007 bis 2008: In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern stieg der Verkehrswert für einen Hektar Boden um über 30 Prozent. Der Pachtzins für neue Pachtverträge stieg um fast 50 Prozent - und das in einem Jahr. Natürlich steigen auch in Westdeutschland die Pacht- und die Bodenpreise, allerdings zumindest im Durchschnitt nur um etwas unterhalb der Inflationsrate. Es ist auch die bundeseigene BVVG, die durch die Art der öffentlichen Ausschreibung und des Preisfindungssystems kapitalkräftige und oft nicht landwirtschaftliche Kauf- und Pachtinteressenten anzieht, und mit solchen Spekulationen werden die ortsansässigen Betriebe an die Wand gespielt. Die Kritik am Agieren der BVVG ist sehr lautstark. Sie kommt zum Beispiel auch von der Brandenburger Landesregierung und den Bauernverbänden. Heute wollen Koalition und FDP weitere Vereinfachungen und Lockerungen der kritisierten Privatisierungspraxis beschließen. Durch die spekulative Privatisierungspraxis der BVVG wird aber schon jetzt die vor Ort verwurzelte Agrarstruktur bedroht und die soziale Schere weiter geöffnet. Daneben führt sie zu einer extremen Eigentumskonzentration. Die KTG Agrar AG zum Beispiel, eine Aktiengesellschaft, will bis Ende 2009 30 000 Hektar in Nordostdeutschland und im Baltikum bewirtschaften. Die BVVG als größter deutscher Flächenanbieter würde weitere Angebote dieser KTG akzeptieren, so die Aussage von BVVG-Vorstand Horstmann. So wird der ostdeutsche Bodenmarkt endgültig zur Goldgrube. Immerhin stehen noch über 500 000 Hektar ehemals volkseigene und jetzt BVVG-Agrar- und Forstflächen zum Verkauf. Genau deswegen stellt sich die Linke heute mit ihrem Entschließungsantrag hinter die Forderungen aus Brandenburg und fordert sie radikale Korrekturen dieser Praktiken. Den vorliegenden Entwurf des Flächenerwerbsänderungsgesetzes lehnt die Linke ab, weil damit der Beitrag der BVVG an der Bodenspekulation nicht beendet, sondern zur weiteren Benachteiligung der ortsansässigen Landwirtschaftsbetriebe beigetragen wird. Das ist mit der Linken nicht zu machen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Behm, Bündnis 90/ Die Grünen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ganz überrascht darüber, dass sich die Koalition nun doch noch auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf geeinigt hat. ({0}) Schließlich ist er überjährig. Woran es gehakt hat, hat der Kollege Fromme ausführlich beschrieben. Die Union konnte sich nicht durchsetzen. Sei es, wie es sei, der große Berg an unerledigten Aufgaben, den die Union und die SPD der neuen Regierung im Herbst hinterlassen werden, wird dadurch kaum kleiner. Zumindest aber, und das ist positiv, ist die unentgeltliche Übertragung von Flächen des Nationalen Naturerbes aus dem BVVGBestand nun gesichert. Positiv bewerte ich im Übrigen auch, dass künftig wieder langfristige Pachtverträge abgeschlossen werden können, jedoch ohne dass sich daraus ein Recht auf einen vergünstigten Erwerb der Flächen ergibt. Das schafft mehr Planungssicherheit auf allen Seiten. Die positiven Seiten der von der Koalition vorgelegten Novelle sind damit aber schon so gut wie aufgezählt; denn mit der Lockerung der Anforderungen an die Ortsansässigkeit, mit der Streichung der Einhaltung von Betriebskonzepten und mit der Schaffung eines Weiterverkaufsrechts ohne die vollständige Rückzahlungsverpflichtung tun Sie unseren ländlichen Regionen wirklich keinen Gefallen. Entwicklungsperspektiven für den ländlichen Raum gibt es in erster Linie dort, wo neue Wertschöpfungspotenziale erschlossen werden und bestehende erhalten bleiben. Eine verantwortungsvolle Politik für ländliche Räume muss deswegen auf die Bewahrung der Agrarstruktur setzen; einer Agrarstruktur, die Arbeitsplätze für die Menschen vor Ort initiiert, die zur Mehrung des Wohlstands für viele beiträgt und die nicht landwirtschaftsferne Kaufinteressenten für den Boden anlockt. ({1}) Das Ortsansässigkeitsprinzip, die Einhaltung von Betriebskonzepten und die Rückzahlungsverpflichtung der Vergünstigungen bei Weiterverkauf der Fläche haben sich bisher als wirkungsvolle Maßnahmen erwiesen, um diese Agrarstruktur zu erhalten. Deswegen müssen diese Maßnahmen, so meine ich, im Gesetzentwurf erhalten bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem Antrag zur Neuausrichtung der Bodenprivatisierung fordern wir deswegen nicht die Aufwertung der genannten Maßnahmen, sondern wir fordern ihre Ausweitung auf alle Verkäufe land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen durch die öffentliche Hand. Zudem sollen arbeitsintensive Unternehmen bei der Vergabe bundeseigener Flächen besonders berücksichtigt werden. Dazu gehören beispielsweise Betriebe mit einer flächengebundenen Tierhaltung von bis zu zwei Großvieheinheiten pro Hektar. Dazu gehören auch Betriebe, die ökologischen Landbau betreiben, und diversifizierende Betriebe, die neben ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit noch einen anderen Betriebszweig etabliert haben wie beispielsweise Direktvermarktung oder Urlaub auf dem Bauernhof. Die für die beschränkte Ausschreibung zum Verkauf an arbeitsintensive Betriebe gesetzlich vorgesehenen 2 000 Hektar pro Jahr wollen wir unbedingt aufstocken, und zwar auf mindestens 5 000 Hektar pro Jahr. Nur wirtschaftlich solide Agrarbetriebe, die regional verwurzelt sind und Arbeitsplätze schaffen, statt sie abzubauen, dürfen sich als Rückgrat der ländlichen Entwicklung bezeichnen. ({2}) Deshalb müssen gerade solche Betriebe die Chance erhalten, ihre Flächen zu arrondieren, wenn in der Region Boden angeboten wird. Einer schleichenden Übergabe des land- und forstwirtschaftlich genutzten Bodens an Großanleger und Agrarkonzerne sollte die Bundesregierung dagegen keinen Vorschub leisten. Diese Gefahr besteht jedoch, wenn das Gesetz nicht noch in den von mir angesprochenen Punkten nachgebessert wird. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Flächenerwerbsänderungsgesetzes. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12709, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/8152 und 16/8396 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition, bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12716. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses abgelehnt. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bodenprivatisierung neu ausrichten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8050, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7135 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Verbraucherfreundliche und praxistaugliche Le- bensmittelkennzeichnung durchsetzen - Ver- bots- und Bevormundungspolitik verhindern - Drucksachen 16/11671, 16/12367 - Berichterstattung: Abgeordnete Julia Klöckner Dr. Marlies Volkmer Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Julia Klöckner, CDU/CSU, Dr. Marlies Volkmer, SPD, Hans- Michael Goldmann, FDP, Karin Binder, Die Linke, und Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/12367, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11671 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegen- stimmen der FDP mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen. 1) Anlage 7 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe den Zusatzpunkt 17 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen - Drucksache 16/12219 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 16/12711 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Kristina Köhler ({2}) Maik Reichel Gisela Piltz Jan Korte Silke Stokar von Neuforn - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/12712 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Bettina Hagedorn Dr. h. c. Jürgen Koppelin Roland Claus Omid Nouripour Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Kristina Köhler, CDU/CSU, Maik Reichel, SPD, Gisela Piltz, FDP, Petra Pau, Die Linke, Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.1) Bevor wir über den Gesetzentwurf abstimmen, möchte ich noch folgenden Hinweis geben: Der Innen- ausschuss hat zu seiner Beschlussempfehlung einige for- male Berichtigungen mitgeteilt. Ich verzichte darauf, diese Berichtigungen, über die zwischen den Bericht- erstattern im Ausschuss Einvernehmen besteht, im De- tail vorzulesen, und schlage vor, diese wie schon die Re- debeiträge zu Protokoll zu nehmen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.2) Wir kommen nun zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen. Der Innenausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vom Aus- schuss vorgeschlagenen Fassung anzunehmen, Druck- sachen 16/12219 und 16/12711. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung einschließ- lich der soeben genannten Berichtigungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim- men der Opposition angenommen. 1) Anlage 8 2) Anlage 11 Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in dritter Beratung ebenfalls mit den Stim- men der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition an- genommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis 37 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({4}) und der Fraktion DIE LINKE Bundesausbildungsförderung an die Studienrealität anpassen und Strukturreform vorbereiten - Drucksache 16/12688 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({6}) und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Ausbildungsförderungsbedarfs - Drucksache 16/5808 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) - Drucksache 16/12212 Berichterstattung: Abgeordnete Marion Seib Renate Schmidt ({8}) Cornelia Hirsch Kai Gehring c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hochschulen öffnen - BAföG ausweiten - Drucksachen 16/847, 16/12213 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Kretschmer Renate Schmidt ({11}) Cornelia Hirsch Kai Gehring Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Axel E. Fischer und Carsten Müller, beide CDU/CSU, Swen Schulz und Jürgen Kucharczyk, beide SPD, Uwe Barth, FDP, Cornelia Hirsch, Die Linke, Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12688 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 37 b: Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12212, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5808 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 37 c: Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12213, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/847 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit dem Rest der Stimmen des Hauses angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 16 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitionsund Tilgungsfonds“ - Drucksache 16/12662 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({12}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. ({13})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für die guten Wünsche für das Spiel am Montag in Osnabrück. ({0}) 1) Anlage 9 Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Tage sind von ganz unterschiedlichen Meldungen geprägt. Das Gutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute sagt einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von rund 6 Prozent voraus. Der aktuelle Ifo-Geschäftsklimaindex lässt dagegen einen leichten Aufwärtstrend erkennen, genauso wie der Einkaufsmanagerindex Market, der bei der Industrie 2,6 Prozent und den Dienstleistungseinkäufen 1,2 Prozent prognostiziert. Mittendrin befindet sich die Automobilindustrie. Mit über 750 000 Beschäftigten und einem Umsatz von fast 300 Milliarden Euro ist sie eine der Basisindustrien, die Deutschland zum Exportweltmeister gemacht haben. Wir sind besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen, weil fast jeder zweite Euro im Export erwirtschaftet wird. Die deutsche Automobilindustrie mit ihren Zulieferern exportierte 2007 Erzeugnisse im Wert von 187 Milliarden Euro. Importiert wurden Fahrzeuge und Teile im Wert von 82 Milliarden Euro. Damit werden 85 Prozent des Außenhandelsüberschusses der deutschen Wirtschaft in der Automobilindustrie erzielt. Gleichzeitig wurden im letzten Jahrzehnt über 100 Milliarden Euro in der Automobilindustrie investiert, allein im Jahr 2007 10 Milliarden Euro. Für Forschung und Entwicklung wurden mehr als 18 Milliarden Euro - das ist fast ein Drittel der gesamten Aufwendungen der verarbeitenden Industrie - in der Automobilindustrie aufgewendet. Man fragt sich angesichts dessen: Was begründet die Umweltprämie? Wir haben schon im Konjunkturpaket II dafür 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mit welcher Berechtigung sollen die Mittel nun auf 5 Milliarden Euro aufgestockt werden? Ich glaube, vielfach wird einfach vergessen, welches die Alternative wäre, wenn wir das nicht getan hätten. Angenommen, wir hätten uns im Januar nicht entschieden, den Antragsberechtigten eine Umweltprämie in Höhe von 2 500 Euro für den Kauf eines Neuwagens oder eines Jahreswagens bei gleichzeitiger Verschrottung eines mehr als neun Jahre alten Autos zu geben. Ich hätte manche Debatten vor Ort sehen mögen, ob in Bayern oder in BadenWürttemberg. Hätten wir überhaupt noch über Opel reden können? Was wäre bei VW los gewesen? Ich habe gerade in der letzten Woche einen Zulieferbetrieb besucht, der in Rostock-Laage - das Mutterunternehmen befindet sich im bayerischen Aschau - Airbags für Klein-, Mittelklasse- und Premiumwagen herstellt und weltweit exportiert. Darüber hinaus sollte man bedenken, dass diese Umweltprämie nach seriösen Berechnungen allein im ersten Quartal 2009 einen Schub für das BIP von rund 1 Prozent ergeben hat. Andere Länder wie zum Beispiel Großbritannien und Spanien, die bisher keine Prämie für den Kauf von Automobilen gezahlt haben, haben Umsatzrückgänge in Höhe von 30, 40 Prozent zu verzeichnen. Übrigens hat Großbritannien vorgestern eine Prämie in Höhe von 2 000 Pfund beschlossen. Man hat das, wie ich finde, relativ intelligent gemacht: 1 000 Pfund zahlt der Staat, 1 000 Pfund der Fahrzeughersteller. Großbritannien hat gemerkt, dass etwas getan werden muss. Weitere Gründe, die aus meiner Sicht für die Prämie sprechen, betreffen die Umwelt; denn ganz über23810 wiegend werden die Autos, die jetzt gekauft werden, weniger Benzin oder Diesel verbrauchen und einen geringeren CO2-Ausstoß haben. Nach Berechnungen des Verbandes der Automobilindustrie ist der CO2-Ausstoß um knapp 6 Prozent zurückgegangen. Es wird immer wieder in der Debatte gefragt, warum die Auszahlung der Prämie nicht auf den Kauf deutscher Autos beschränkt wird. Ich lasse die europarechtliche Problematik eines solchen Ansinnens vollkommen beiseite. Von den bis zum 17. April vom BAFA entschiedenen 96 000 Anträgen betrifft jeder zweite Antrag ein deutsches Fahrzeug. Das heißt, Hauptprofiteure sind VW, Opel und Ford. Es ist ein Märchen, dass die Prämie nur ausländischen Herstellern zugutekommt. Wenn dem so wäre, dann müsste man berechtigterweise die Frage stellen, wie viele Automobilzulieferteile beispielsweise für Firmen wie Skoda oder andere, ob in Korea oder in Spanien, in Deutschland produziert werden. Auch deswegen trifft die Kritik aus meiner Sicht nicht zu. Von den Jahreswagen sind übrigens zwei Drittel der Fahrzeuge, für die eine Prämie beantragt wurde, von deutschen Herstellern. Das deutsche Steuerzahlergeld gibt es also überwiegend für deutsche Produkte und für deutsche Arbeitsplätze. Ich will mich eigentlich nicht dieser eindimensionalen Betrachtung hingeben, aber dieses muss deutlich gesagt werden. Ich habe schon über die Zulieferer geredet. Eines ist aber auch klar: Neue Autos haben einen viel höheren Verkehrssicherheitsstandard als zehn Jahre alte Autos. Es gibt sicher manche Argumente gegen diese Prämie, aber es gibt sehr viele Argumente dafür. Lassen Sie mich noch eines an dieser Stelle sagen. Wäre es wirklich eine Alternative, wenn wir in einer Kernindustrie Umsatzeinbrüche von bis zu 40 Prozent und damit ein Dilemma ohne Ende hätten? Ich halte übrigens die Äußerungen von Herrn Sommer und Frau Schwan über soziale Unruhen für höchst verantwortungslos. ({1}) Ich will aber gleichzeitig an dieser Stelle sagen, dass die Politik - Stichwort: Finanzmarktstabilisierung, Konjunkturpakete I und II - mit dazu beigetragen hat, dass in Deutschland die schwere Wirtschaftskrise - das sagen auch andere Europäer - bisher mit am besten bewältigt worden ist. Zum Abschluss vielleicht noch eine Anmerkung zu einem immer wieder diskutierten Thema. Die Antwort darauf will nicht ich geben, sondern ich werde jemanden zitieren, der sich dazu am Mittwoch im Deutschen Bundestag geäußert hat. Es geht darum, ob Hartz-IV-Empfänger in den Genuss der Umweltprämie von 2 500 Euro kommen sollen. Ich kann nur den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herrn Brandner, zitieren, der gesagt hat: Die Bundesregierung geht nach wie vor davon aus, dass für eine Anrechnungsfreiheit eine gesetzliche Regelung notwendig ist. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Umweltprämie, wenn sie gewährt wird, Einkommen bedeutet. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Schneider. Lassen Sie die zu?

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich lasse sie gerne zu. Wenn die Frage nicht so lang ist, dann bekommt er eine kurze Antwort.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Rehberg, ich hatte die Frage am Mittwoch gestellt. Ich möchte an der Stelle bei Ihnen nachfassen, weil mir Herr Brandner bis heute trotz Nachfrage im Ausschuss für Arbeit und Soziales, trotz schriftlicher Fragen meiner Kollegin Kunert und trotz meiner Frage am Mittwoch immer noch nicht erklärt hat, wie er denn zu dem Ergebnis kommt, dass diese Mittel keine zweckgebundenen Mittel sind. Können Sie mir das jetzt hier an dieser Stelle begründen, damit ich es endlich verstehe? Sie äußern ja nur eine Auffassung, aber Sie könnten ja auch einmal eine Begründung für diese Auffassung liefern.

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schneider, ich bin Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, und Herr Brandner ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. Ich gehe davon aus, dass er eine ganze Riege von Juristen mit der Prüfung dieser Frage beauftragt hat, und insoweit halte ich seine Aussage für rechtlich untersetzt und richtig und gerechtfertigt. ({0}) - Ja. Das war seine persönliche Äußerung. Wenn ich von einem Anwalt zum nächsten und zu einem dritten gehe, kriege ich auch von jedem eine andere Auskunft. Wir sollten uns bei allen Problemen im Zusammenhang mit der Umweltprämie wirklich darauf stützen: Was wäre, wenn wir diese Umweltprämie nicht eingeführt hätten? Was wäre, wenn wir sie nicht aufstocken? Das hätte dramatische Folgen für die Automobilindustrie. Ich glaube, hier haben die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen im politischen, im ökologischen und im sozialen Bereich eine verantwortungsvolle Politik gemacht. Danke sehr. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja schon bemerkenswert, dass wir heute über das Thema bei kleiner Anwesenheit aus allen Fraktionen debattieren. Das Kanzleramt interesOtto Fricke siert sich dafür überhaupt nicht. Der Wirtschaftsstaatssekretär geht ganz bewusst nach hinten, weil er genau weiß, was es für ein Mist ist, den wir hier jetzt auf den Weg bringen. Ökologisch ist das Ding überhaupt nicht. Es ist eine Abwrackprämie und keine Umweltprämie. ({0}) Worum geht es eigentlich für die Bürger? Es geht für jeden - und das gönne ich jedem einzelnen Bürger, jedem Zuhörer - um 2 500 Euro für den Fall, dass er die Voraussetzungen für die Abwrackprämie erfüllt. Diese 2 500 Euro gönne ich jedem Einzelnen. Es wird aber vollkommen vergessen, um wie viel Geld es insgesamt geht. Man sollte es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Es geht um weitere 4,2 Milliarden Euro, mit denen wir angeblich jetzt alles retten. Kollege Rehberg, es wäre ja schön, wenn wir retten würden. Nur bedeutet es, dass wir in 2010 noch einmal 5 Milliarden Euro ausgeben müssen und in 2011 wieder. Ich garantiere Ihnen, was passieren wird: Ihre rotschwarze Abwrackprämie wird Anfang 2010 zu Heulen und Zähneklappern in weit größerem Maße führen. Dann werden alle sagen: Gut, aber das ist nach einem anderen Datum. Eigentlich geht es doch darum, dass Sie gemerkt haben: Die Abwrackprämie reicht nicht bis zur Bundestagswahl, sie reicht gerade einmal bis Ostern. Dann haben Sie sich gefragt: Wo finden wir neue Eier? Die Antwort lautet: Die finden wir im Haushalt. Es ist ja eh alles egal. Legen wir also noch einmal 4,2 Milliarden Euro drauf. - Der einzige Grund ist der 27. September, nichts anderes. ({1}) Kommen wir zu der Frage, ob es ökologisch ist. Da ist überhaupt nichts ökologisch. Ich kann eine Dreckschleuder kaufen, ich kann einen Kleinwagen kaufen, der genauso viel CO2 herausschleudert wie eine große Limousine, und bekomme trotzdem die Abwrackprämie. Es gibt überhaupt keinen Anreiz für die Hersteller, die Sie ja genannt haben, innovativ zu sein, um sich zukünftige Märkte zu sichern. Jeder Einzelne kann - in Anführungszeichen gesagt - das Auto kaufen, das ihm gerade passt. Das hat mit Ökologie und mit Marktwirtschaft nichts zu tun. Das ist eine Subvention, die der Großen Koalition dazu dient, bis zum Wahlkampf einigermaßen gut zu überleben. Noch ein paar Bemerkungen zur Gesamtsituation. Das Ding sollte hier doch am Donnerstagabend möglichst ohne Debatte schnell durchgewischt werden. ({2}) Das Ding sollte auch bloß nicht in den Haushaltsausschuss kommen. Warum kommt es denn in den Wirtschaftsausschuss, obwohl darin eigentlich nichts anderes steht, als dass zusätzliches Geld ausgegeben wird? Doch weil die Haushälter - das sage ich ausdrücklich an der Stelle - mit Beißen in die Tischkante gesagt haben: Die Fraktionen haben so beschlossen, dann machen wir das mit. - Das akzeptiere ich auch. Ich bin nicht derjenige, der dann sagt: Ihr hättet jetzt zum großen Sünder werden und nicht mitmachen müssen. Was kam als Nächstes? Dann hatte man noch gedacht, man könne eine Debatte am Freitag vielleicht verhindern und die Reden zu Protokoll geben. Man schämt sich eigentlich aufseiten der CDU; man schämt sich vielleicht nicht so sehr aufseiten der SPD. Für die Zuhörer auf der Tribüne frage ich jetzt: Was sind 4,2 Milliarden? Das ist eine Zahl mit vielen Nullen, die man eigentlich gar nicht greifen kann. 4,2 Milliarden ist ungefähr so viel, wie die Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr für das Elterngeld ausgeben wird. Nur um das einmal ins Verhältnis zu setzen: So viel für eine Abwrackprämie, so viel für das Elterngeld - passt das eigentlich noch? Dann wird gesagt: Wir müssen es für die Wirtschaft tun, und für die Automobilindustrie müssen wir es erst recht tun. - Herr Rehberg, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sind Sie der Meinung: Wenn auf dem deutschen Markt 50 Prozent deutsche Autos und 50 Prozent ausländische Autos sind, haben wir eine gute Quote erreicht. - Das finde ich sehr bemerkenswert. Ich bin gespannt, wie sich das auf Dauer durchhalten lässt. Aber auch das kann kein gutes Argument für eine Abwrackprämie sein. ({3}) Einen letzten für mich wesentlichen Punkt will ich noch ansprechen. Es geht um viel Geld. Wo stehen wir eigentlich finanziell im Moment? Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der von mir in fachlichen Dingen geschätzte Kollege Kampeter - ich schätze ihn nicht für das, was er öfter beschließt oder Falsches über die FDP sagt -, hat heute erklärt, dass die Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr bei mindestens 90 Milliarden Euro liegen wird, und er hat recht. ({4}) Es ist eine Bestätigung dessen, was die FDP seit mehreren Wochen sagt, aber man freut sich doch immer, wenn die Regierung nach der Salamitaktik endlich zur Wahrheit kommt. Wenn man so viel Geld ausgibt - und behauptet, man mache kein Konjunkturpaket III -, sollte man als Große Koalition ehrlich zugeben, dass die Abwrackprämie nichts anderes ist als das Paketpapier für ein Paket III und dass Sie von der Großen Koalition bis zur Wahl noch überlegen werden, was Sie alles an Geschenken hineintun werden. Die Geschenke bezahlen wird allerdings wiederum der Steuerzahler. Nach der Bundestagswahl wird dann wieder der berühmte Satz gesagt: Wir haben noch einmal genauer in die Kassen geschaut und festgestellt: Es ist alles viel schlimmer, aber jetzt ist es halt passiert. Liebe Wählerinnen und Wähler, liebe Bürger, liebe Kolleginnen und Kollegen, verantwortungsvolle Politik, gerade von einer Großen Koalition mit einer großen Mehrheit, sieht anders aus. Besinnen Sie sich! Sie haben in den Ausschüssen die Gelegenheit dazu. Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende! ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort für die SPD-Fraktion der Kollegin Ute Berg.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war kabarettreif, Herr Fricke; es hatte mit der Realität sehr wenig zu tun. Herr Rehberg hat die Situation in der Automobilbranche eben schon umfassend beschrieben. ({0}) Er hat dargestellt, was alles von der Abwrackprämie oder der Umweltprämie - mir ist völlig schnurzpiepegal, wie man das nennt; ({1}) es ist mir wirklich wurst; ich komme gleich noch auf den Punkt zu sprechen - abhängt. Die Abwrackprämie - jetzt nenne ich sie auch einmal so - hat sich zu einem Riesenrenner entwickelt, und das wissen Sie alle. Bis gestern sind bereits über 1,3 Millionen Anträge beim zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eingegangen. Die Prämie hat damit alle Erwartungen übertroffen. ({2}) Sie war für die Branche ein spürbarer Anstoß. Sie hat viele Händler und Zulieferbetriebe gerettet und damit - das sollte gerade Sie interessieren - Tausende von Arbeitsplätzen. Nach dem massiven Absatzeinbruch in der Automobilindustrie im vergangenen Jahr wirkt die Prämie nachweislich stabilisierend auf die Konjunktur. ({3}) Andere Länder wollen dieses Erfolgsmodell kopieren. So gibt es in den USA und Japan Überlegungen, ebenfalls eine Umweltprämie einzuführen. Andere Länder haben sie bereits eingeführt - Herr Rehberg erwähnte es schon -, zuletzt auch Großbritannien. Die von Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagene Prämie konnte schneller als alle anderen Maßnahmen unserer Konjunkturpakete Wirkung entfalten. Das war und ist - jedenfalls in der dramatischen Lage, in der sich unsere Wirtschaft jetzt befindet - immens wichtig. Es ist deshalb richtig, die bislang geltende Deckelung auf 1,5 Milliarden Euro aufzuheben und mehr Fahrzeuge als ursprünglich vorgesehen zu fördern. Es ist jetzt wichtig, mit der Aufstockung des Fördertopfs auf 5 Milliarden Euro Rechtssicherheit zu schaffen: für Autokäufer, für Autohändler und für die Automobilindustrie insgesamt; denn es gab Effekte, die nicht beabsichtigt waren - das muss man einräumen -, die sich aber eingestellt haben, weil die Käufer besonders schnell kaufen wollten, um in jedem Fall noch vor Versiegen der Mittel des Fördertopfes in den Genuss der Prämie zu kommen. So haben nicht alle Käufer ihr Wunschfahrzeug bekommen. Das drohende Ende der veranschlagten Fördermittel hat zu einem Run auf die sofort verfügbaren Fahrzeuge geführt. Das ist natürlich ein Nachteil. Dieses Windhundverfahren haben wir eigentlich nicht gewollt. Die SPD hat sich daher bei der Ausgestaltung der Prämie stets für mehr Rechtssicherheit eingesetzt. Aufgrund unserer Initiative wurde Ende März dieses Jahres das zweistufige Verfahren eingeführt, mit dem man sich nach der Bestellung eines Autos die Prämie sichern kann. Darauf hatten die Käufer offenbar gewartet. Die Server des zuständigen Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle brachen am Stichtag 30. März 2009 aufgrund der Flut der Antragseingänge zusammen. Das macht deutlich, wie wichtig den Autokäufern die Sicherheit ist, dass sie die Prämie auch bekommen. Wir möchten auch weiterhin dafür sorgen, dass die notwendige Klarheit geschaffen wird. Jeder, der bis zum Ende dieses Jahres ein Neufahrzeug oder einen Jahreswagen kauft und sein altes Auto verschrottet, soll die Prämie auch erhalten. Wir wollen nicht in die Situation kommen, dass Käufer, die im Vertrauen auf die Prämie einen Kaufvertrag abschließen und den Antrag auf die Prämie stellen, dann erfahren, dass sie ihren Antrag zwei Minuten zu spät gemailt haben und damit nicht mehr in den Genuss der Prämie kommen. Das kann nicht im Sinne der Kunden sein. Deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dass dies auch nicht geschieht. Ich möchte ein Verfahren, das keine Rechtsfragen offen lässt, damit wir nicht über Jahre hinweg mit Klagen enttäuschter Bürgerinnen und Bürger konfrontiert werden. ({4}) - Nein, das können wir alles noch im Laufe des Verfahrens festlegen. Sie wissen, wie das läuft: Struck’sches Gesetz. Das brauche ich nicht mehr zu erklären. Damit komme ich zu einer weiteren Entwicklung, der wir uns zuwenden müssen. Die Hersteller können nicht in allen Fällen eine Lieferung der Neufahrzeuge in der vorgesehenen Frist von sechs Monaten gewährleisten. Vor allem betrifft das auch Sonderanfertigungen, die beispielsweise für Menschen im Rollstuhl gefertigt werden müssen. Trotz dieser Verzögerungen muss klar sein, dass diese Käufer die Prämie erhalten. In diesen Fällen muss die vorgesehene Befristung aufgehoben werden. Lassen Sie mich noch kurz auf die ökologische Komponente eingehen, die hier bereits mehrmals angesprochen worden ist. Allen Unkenrufen zum Trotz nutzt die Prämie auch der Umwelt. ({5}) - Ja. Die jetzt verschrotteten Altfahrzeuge sind zwischen neun und 20 Jahre alt. Der Spritverbrauch der neuen Fahrzeuge ist im Schnitt deutlich geringer als der der alten Modelle, weil die Autos in der Regel kleiner und die Motoren effizienter sind. Das ist nachgewiesen. ({6}) Nicht zu vergessen sind die Dieselfahrzeuge. Keines der Fahrzeuge, die nun verschrottet werden, hat einen Dieselkatalysator, geschweige denn einen Rußpartikelfilter. ({7}) Alle neuen Modelle haben dies sehr wohl. Insofern sollte man diesen Punkt nicht völlig außer Acht lassen. ({8}) Alles in allem bedeutet das eine deutliche CO2-Minderung und eine starke Reduzierung der Schadstoffemissionen. Die Abwrackprämie ist deshalb ganz sicher auch eine Umweltprämie. ({9}) Bei der vom Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteten Richtlinie müssen wir allerdings noch eine kleine Änderung vornehmen. Nach der heutigen Regelung - das ist kein Witz; es hört sich nur so an - werden ausschließlich vierrädrige Autos gefördert. Es gibt aber auch Elektroautos, die wir sicher alle fördern wollen, die nur drei Räder haben. Diese müssen natürlich mit einbezogen werden. ({10}) - Wir reden von Autos. ({11}) - Nein, nicht von Rasenmähern und auch nicht von Kühlschränken, sondern von Autos. Dann bliebe noch die lange Zeitspanne für die Bearbeitung der Anträge bis zur Auszahlung. Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ist überlastet. Nach wie vor gibt es lange Warteschlangen bei der Bearbeitung der Anträge. Natürlich muss das geändert werden. Dafür muss auch entsprechendes Personal zur Verfügung gestellt werden. Gestatten Sie mir abschließend ein Wort zu den oft monierten und eben auch schon mehrfach angesprochenen Mitnahme- und Vorzieheffekten bei den Autokäufen auf Basis der Prämie. Natürlich lassen sich solche Effekte nicht ganz ausschließen. Das ist bei jeder Konjunkturmaßnahme so. ({12}) - Herr Bonde, man muss aber auch bedenken, dass es angesichts des deutlichen Absatzrückgangs im letzten Jahr auch Aufholeffekte gibt, die hier bisher nicht erwähnt wurden. ({13}) Summa summarum: Die Abwrackprämie hat sich als ein hervorragendes Mittel zur Stimulierung der Nachfrage erwiesen und ist damit genau das, was wir beabsichtigt haben, nämlich eine Konjunkturspritze erster Güte. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Ich bin schon erstaunt über die Art und Weise, wie die Koalition die Abwrackprämie schönredet. ({0}) Ich finde es erstaunlich, welche Argumente Sie hier vorbringen. Ich sage Ihnen ganz klipp und klar: Mit der Abwrackprämie gönnen sich SPD und CDU/CSU schnell einmal 5 Milliarden Euro Steuergelder als Wahlkampfunterstützung. Für mich ist das Veruntreuung. Für mich ist das schon fast kriminell. ({1}) Angesichts dessen ist es lächerlich, dass der Wirtschaftsminister mit der Begründung, er wolle keinen Wahlkampf machen, ein Konjunkturpaket III ablehnt. Kommen wir zurück zur Abwrackprämie. Welche wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wirkungen hat sie denn nun wirklich? Fangen wir mit den wirtschaftlichen Wirkungen an. Wer gestern Abend Fernsehen geschaut hat, hat vielleicht mitbekommen, dass der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages bei Frau Illner gesagt hat, dass solche punktuellen Maßnahmen wenig tauglich sind. ({2}) Die Menschen würden dadurch von anderen Investitionen, etwa dem Kauf eines neuen Fernsehers, einer neuen Waschmaschine usw., abgehalten. Kurz gesagt: Andere wirtschaftlichen Bereiche leiden darunter, dass die Leute jetzt ihr letztes Geld zusammenkratzen, um ein neues Auto zu kaufen. ({3}) Die Abwrackprämie verzerrt schlicht und einfach den von Ihnen so hochgelobten Wettbewerb. Offenbar sind Ihnen die freien Werkstätten und die freien Autohändler, die häufig ältere Fahrzeuge angekauft, verkauft und repariert haben, völlig egal. Klar freuen sich die Autohäuser - Opel, VW, Mazda und wer auch immer sonst noch darüber, dass sie in den letzten Wochen ganz gut zu tun hatten. Aber ich frage Sie: Was passiert an dem Tag, an dem die 5 Milliarden Euro ausgegeben sind? Was wird, wenn keiner mehr in die Autohäuser geht, weil Neukäufe, die vielleicht erst für das nächste Jahr geplant waren, vorgezogen wurden, um die 2 500 Euro mitnehmen zu können? Zu den sozialen Effekten: Ich verstehe gut, dass viele Menschen, die sich schon lange nicht mehr oder noch nie ein neues Auto geleistet haben, jetzt ein neues Auto kaufen möchten. Das soll auch so sein. Mir wäre es aber lieber, wenn die Menschen durch ihre eigene Arbeit so viel Geld verdienen würden, dass sie sich davon auch ein Auto kaufen könnten; denn dann wären sie nicht auf Almosen wie Ihre Abwrackprämie angewiesen. Es ist skandalös, dass Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IVEmpfängern die Abwrackprämie verwehrt wird. Noch skandalöser ist allerdings das Verhalten der SPD. ({4}) Ich fordere von Ihnen ein bisschen mehr Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Viele, die jetzt ein neues Auto kaufen, müssen, weil das eigene Geld zuzüglich der 2 500 Euro nicht reicht, Schulden machen. Haben Sie sich einmal überlegt, wie die Leute das zurückzahlen sollen, wenn die Krise erst richtig losgeht? Die Sachverständigen haben uns in dieser Woche ja gesagt, dass da noch etwas kommt. Wenn die Leute die Raten nicht mehr zurückzahlen können, was wollen Sie dann tun? Nun zu den ökologischen Wirkungen, die Sie uns ausführlich dargelegt haben. Offiziell nennen Sie das Ganze Umweltprämie, weil umweltverträglichere Autos auf die Straße kommen und alte, besonders umweltschädliche abgewrackt werden sollen. Das könnte ich sogar unterstützen. Einen alten Spritfresser gegen ein neues, weniger durstiges Auto tauschen - das wäre doch etwas. Völlig absurd ist es allerdings, voll funktionsfähige, wenig gefahrene Autos abzuwracken. Autos sind grundsätzlich langlebige Gegenstände. Sie können durchaus schon mal 15 Jahre halten, wenn die Laufleistung gering ist und der Erhaltungszustand gut ist. Ist es tatsächlich so, dass umweltverträgliche Autos angeschafft werden? Um nicht ins Blaue hinein irgendetwas zu behaupten, wie Sie von der SPD oder der Kollege Rehberg von der CDU es gerade getan haben, ({5}) habe ich bei der Bundesregierung einmal nachgefragt. Ich habe eine Kleine Anfrage gestellt. ({6}) Ich habe gefragt, welche Marken und welche Fahrzeugtypen angeschafft wurden, wie hoch der Normverbrauch dieser Fahrzeuge ist und welche Abgasnorm sie einhalten. Daraufhin hat mir die Bundesregierung gesagt, dass aus Vereinfachungsgründen darauf verzichtet wird, Daten zum CO2-Ausstoß der neuen Autos zu erheben. Das wird ganz einfach nicht gefordert, weil das so nicht in der Förderrichtlinie vorgesehen ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

So, Herr Kollege, jetzt ist Ihre Redezeit aber zu Ende. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Insofern bitte ich Sie, die Antwort auf die Kleine Anfrage einmal zu lesen. Vielleicht führt das bei Ihnen zu einem Erkenntnisgewinn. ({0}) Die Linke wird dieser Abwrackprämie selbstverständlich keine Zustimmung geben. ({1}) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde, Bündnis 90/ Die Grünen. ({0})

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier über das Sondervermögen „Investitions- und Tilgungsfonds“. Dies ist der erste Etikettenschwindel; denn es geht um Schulden außerhalb des Haushaltes. Der zweite und dritte Etikettenschwindel besteht darin, dass mit dem, worüber wir heute sprechen, weder eine Investition getätigt wird noch eine Realtilgung stattfindet. Auch hier wird getrickst. Der vierte Etikettenschwindel - darauf hat die Kollegin Berg großmütig verzichtet - ist, dass Sie hier über eine Umweltprämie diskutieren, die mit Umwelt nichts zu tun hat. Es handelt sich um eine Abwrackprämie. Sie alle wissen, dass Teile der Autos, die heute abgewrackt werden, zwar alt sind, aber nicht ökologisch schädlicher als Teile der Autos, die jetzt gekauft werden. Das Programm enthält keinen ökologischen Impuls, im Gegenteil: Den Energieeinsatz und den Ressourceneinsatz beim Neubau von Autos blenden Sie aus. Das ist bezeichnend für die Umweltpolitik der Großen Koalition. ({0}) Was Sie hier machen, ist auch wirtschaftspolitisch falsch. Wenn wir uns ansehen, in welcher Krise sich die deutsche Wirtschaft, die deutsche Exportwirtschaft und die Automobilindustrie, befindet, dann erkennen wir, dass wir es nicht nur mit einer Konjunkturkrise zu tun haben, sondern auch mit einer Strukturkrise, ({1}) in der es jetzt darum geht, die richtigen Impulse zu setzen, damit die Industrie mit neuen Produkten, die tatsächlich in die Märkte von heute und morgen passen, ({2}) innovativ vorangehen kann. Umwelt- und Klimaschutz sind der entscheidende Schlüssel. ({3}) Denn jetzt steht folgende Frage an: Stemmen wir die Strukturreform der Wirtschaft, stemmen wir eine dritte industrielle Revolution in Richtung Umwelt- und Klimatechnologie? Sie machen mit dieser Prämie genau das Gegenteil. Denn heute lassen Sie staatlich gefördert Autos bzw. Werte vernichten. Damit schieben Sie die alten Autos, die morgen keiner mehr braucht und die schon heute nicht mehr dem Standard entsprechen, mit Gewalt subventioniert in den Markt und geben der Automobilindustrie überhaupt keine Impulse, die sie veranlassen könnten, auf diese wichtigen technologischen Aspekte zu setzen. Deshalb ist das, was Sie machen, auch ökonomisch falsch. Es ist kurzsichtig und wird den strukturellen Herausforderungen der Automobilindustrie nicht gerecht. ({4}) Wir sprechen hier über 5 Milliarden Euro. Es mag sein, dass Sie im Milliardenwahn schon gar nicht mehr wissen, was das wert ist. Ich will es Ihnen anhand von drei Ministerien, die Zukunftsfelder verantworten, deutlich machen. Den Etat des Ministeriums für Bildung und Forschung könnte man mit diesen 5 Milliarden Euro um 50 Prozent steigern. Dies ist etwas, von dem wir wissen, dass unser Wohlstand davon abhängt. Im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend könnte man fast verdoppeln, was man für diese wichtigen Zukunftsbereiche ausgibt. Wenn Sie die 5 Milliarden Euro, die Sie heute für alte Autos rausschmeißen, dem Umweltminister geben würden, würden Sie seinen Etat um das Zweieinhalbfache erhöhen. Das ist der wirkliche Skandal, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, den Sie heute hier verursachen. ({5}) Wie gesagt: Bezüglich der haushaltsmäßigen Absicherung wird es noch bunter. Dies alles geschieht auf Pump, auf Schuldenbasis. Sie haben nicht einmal die Ehrlichkeit, es in den Haushalt zu schreiben. ({6}) Wenn der Finanzminister - er ist heute wieder nicht anwesend - Banken dafür kritisiert, dass sie Risiken und Kredite außerhalb der Bilanz führen, kann ich nur sagen: Her mit dem Nachtragshaushalt, in den diese 5 Milliarden Schulden, die Sie am Haushalt vorbei machen, eingestellt werden! Sie betreiben mit diesem Gesetzentwurf an allen Ecken und Enden Rosstäuschung. ({7}) Das ist weder Haushaltsklarheit noch Haushaltswahrheit. Das ist in der Struktur falsch. Sie sind überhaupt nicht in der Lage, in der Krise eine Politik zu machen, mit der die langfristigen Tendenzen in der Wirtschaft erkannt werden und der Strukturwandel angeschoben wird. Mit Verlaub: Das Einzige, das es wirklich wert ist, abgewrackt zu werden, ist diese Regierung, die uns langsam zu viel Geld kostet. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/12662 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Mai 2009, 13 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Besuchern auf der Tribüne ein wunderschönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.