Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.
Ich darf Ihnen zu unserer heutigen Tagesordnung die
ergänzende Mitteilung machen, dass interfraktionell vereinbart worden ist, den Zusatzpunkt 9 - Biokraftstoffe abzusetzen und die Tagesordnungspunkte 33 und 34 zu
tauschen.
({0})
Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu
sein. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie ich heute Morgen im Radio gehört habe, ist heute der Tag des Theaters. Nun könnte man meinen, das hätten wir im Deutschen Bundestag täglich. Es könnte aber sein, dass wir
heute der besonderen Beobachtung einiger Theaterkritiker unterliegen. Darauf wollte ich die nachfolgenden
Rednerinnen und Redner aus kollegialer Fürsorge rechtzeitig aufmerksam machen.
({1})
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({2})
- Drucksache 16/12410 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform
- Drucksache 16/12400 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch dagegen gibt es offenkundig keine Einwände. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Peter Struck für die SPD-Fraktion.
({5})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der SPD-Fraktion hier sprechen, sondern als
Vorsitzender der Föderalismuskommission für das ganze
Haus, weil ich zusammen mit dem Kollegen Günther
Oettinger, bei dem ich mich herzlich für die Zusammenarbeit bedanke,
({0})
diese Kommission geleitet habe.
Ich bin mit diesem Paket im Großen und Ganzen zufrieden. Ich glaube, dass wir Grund haben, den Vertretern des Bundes, also den Fraktionen des Deutschen
Bundestages, genauso wie den Bundesratsmitgliedern,
die in dieser Kommission mitgearbeitet haben, zu
Redetext
danken; denn sie haben ein Paket zustande gebracht, das
sich sehen lassen kann.
Aus verfassungsästhetischen Gesichtspunkten würde
ich allerdings ein deutliches Fragezeichen machen. Wir
haben als Juristen gelernt, eine Verfassung solle klar und
einfach formuliert sein. Was wir jetzt aufgeschrieben haben, ist mit Verfassungsästhetik kaum zu vergleichen.
Ich gebe das zu. Aber die Sachverhalte, über die wir zu
entscheiden hatten, sind komplizierter geworden. Dass
man in eine Verfassung sogar Eurobeträge hineinschreiben muss, ist auch nicht der Normalfall. Aber es ist notwendig gewesen, um die Beträge, die festgelegt worden
sind, verfassungsfest zu machen und nur mit einer Zweidrittelmehrheit ändern zu können. Ich komme nachher
darauf zurück.
Ich frage mich, warum wir ähnlich wie bei der ersten
Föderalismusreform ein eigentümliches Missverhältnis
feststellen können. Ich meine das Missverhältnis zwischen einerseits der Leidenschaft, mit der wir, also die
politische Klasse, über dieses Thema diskutieren, und
dem großen Engagement in vielen Fragen und andererseits dem gewissen Desinteresse an diesem Thema und
teilweise auch Unverständnis in den öffentlichen
Medien für das, was wir in den vergangenen zwei Jahren beraten haben. Die Medien haben eigentlich nur
beobachtet: Bekommen die einen Kompromiss zustande? Die Inhalte dieses Kompromisses, die wirklich
sehr schwierig waren, haben nur die wenigsten verstanden. In der öffentlichen Bewertung der von uns vorgelegten Abschlussvorschläge ist man uns, glaube ich,
nicht gerecht geworden.
Die Vorschläge, die die Föderalismuskommission gemacht hat, reichen sehr weit. Um es gleich am Anfang zu
sagen: Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen.
Ich sehe besonders in die Richtung der Kollegen von der
FDP, in Richtung des Kollegen Burgbacher und des Kollegen Wissing, die mitgearbeitet haben. Ich meine, dass
Sie trotz der vielen Bedenken, die Sie zu Recht angemeldet haben, diese Chance nutzen und über die Beratungen
im Bundesrat und über die Vertretungen der Länder, in
denen Sie an der Regierung beteiligt sind, bewerten und
klären sollten, ob Sie diesem Paket zustimmen können.
Ich bitte und werbe sehr darum, weil ich glaube, dass es
schon ein großer Schritt nach vorne wäre, wenn wir uns
wirklich einigen könnten.
Es ist insgesamt ein gutes Ergebnis für den Bund,
aber auch für die Länder. Unser Ergebnis zeigt übrigens,
dass der solidarische und kooperative Föderalismus der
Bundesrepublik Deutschland funktioniert und tragfähig
ist.
({1})
Ich habe direkt im Anschluss an unsere Einigung in der
Julius-Leber-Kaserne gesagt, dass wir geradezu eine
Sternstunde des kooperativen Bundesstaates erlebt
haben. Bei dieser Bewertung bleibe ich, vom Ausgangspunkt her gesehen. Ich bleibe dabei: Es ist eine Sternstunde des Föderalismus. Denn die Einigung, die wir
jetzt in einem großen, schwierigen Paket vorlegen, lässt
den täglichen Hickhack zwischen Bund und Ländern
weit zurück. Wir haben viel mehr erreicht als das Festschreiben eines kleinsten gemeinsamen Nenners von
Bund und Ländern, von Gebern und Nehmern, von Ost
und West. Wir haben ein gemeinsames Verständnis entwickelt, wie unser Bundesstaat die finanziellen Probleme löst, die in der Vergangenheit und jetzt verstärkt
durch die Finanzkrise entstanden sind.
Wir sind uns in dieser Kommission darüber einig gewesen - auch die Kollegen aus der Fraktion der Linken
des Deutschen Bundestages -, dass sich die Staatsschuld zu einer veritablen Hypothek für unser Gemeinwesen entwickelt hat und weiterentwickeln kann, der wir
mit vereinten Kräften entgegentreten müssen. Für den
Bund will ich sagen - auch der Finanzminister wird es
sicherlich ansprechen -: An der Tatsache, dass der Bund
pro Jahr Zinsen in Höhe von 42 Milliarden Euro zahlen
muss - das sind 76 000 Euro pro Minute -, ohne einen
einzigen Euro zurückzahlen zu können, sehen wir schon,
wie dramatisch die Situation ist. Dies gilt für die Länder
in gleichem Maße. Wir müssen eingreifen.
({2})
Das gemeinsame Verständnis zwischen Bund und
Ländern hat sich vor allen Dingen bei dem Thema der
sogenannten Konsolidierungshilfen für Länder in
besonders schwieriger Haushaltslage gezeigt. Diese
Hilfen werden vom Bund und von den Ländern je hälftig
aufgebracht. Sie sollen sicherstellen, dass alle Länder bis
zum Jahre 2020 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen können.
Ich will deutlich sagen: Ein herzlicher Dank gilt vor
allem dem Bundesminister der Finanzen, Herrn
Steinbrück, der bereit ist, acht Jahre lang 400 Millionen
Euro, also insgesamt 3,2 Milliarden Euro, zu zahlen. Ihnen herzlichen Dank dafür, Herr Kollege Steinbrück!
({3})
Der Dank gilt aber auch den Vertretern des Bundesrates,
den Ländern. Ein Land, das sich besonders beteiligen
muss, ist das Land Baden-Württemberg, das bereit ist,
einen eigenen Anteil zu leisten, um den Länderanteil
aufzubringen. Auch Ihnen herzlichen Dank, Herr
Oettinger! Dies gilt gleichermaßen für Nordrhein-Westfalen und viele andere Geberländer, die ebenfalls bereit
sind, Geld dafür bereitzustellen.
({4})
Es ist eine solidarische Anstrengung verabredet worden, die es ermöglicht, dass die Länder, die sich jetzt und
wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren in einer
schwierigen Haushaltslage befinden, im Jahr 2020 - voraussichtlich - einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen
können; es sei denn, es kommen wieder konjunkturelle
Notsituationen auf uns zu wie die, mit der wir es jetzt zu
tun haben.
Ich bin aber auch auf andere Teile des Pakets durchaus stolz. Das gilt vor allen Dingen für die Teilprojekte,
mit denen Kooperation und Solidarität im Bundesstaat
akzentuiert werden. In diesem Zusammenhang ist zum
Beispiel die neue IT-Verfassungsbestimmung zu nennen;
der Kollege Körper wird darüber sprechen. Die Einigung
auf ein zentrales Krebsregister, das nach 30-jähriger Diskussion nun endlich verwirklicht wird, ist ebenfalls zu
nennen. Auch das hat die Kommission erreicht. Die
Bundesgesundheitsministerin und alle Gesundheitsminister der Länder werden dankbar dafür sein, dass wir
das erreicht haben. Das ist ein großer Fortschritt in der
Gesundheitspolitik.
({5})
Es ist gut und wichtig, dass wir es erreicht haben, das
sogenannte Kooperationsverbot zu lockern. Sie erlauben, dass ich an dieser Stelle nicht in meiner Eigenschaft
als Vorsitzender der Kommission spreche, sondern in
meiner Eigenschaft als Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Ich glaube, dass wir in der Föderalismuskommission I
im Bereich der Bildung einen Fehler gemacht haben,
was die Kooperation angeht. Ich weiß aber auch, dass
damals andere Lösungen nicht möglich waren. Ich war
schon damals an der Debatte beteiligt. Jetzt haben wir
den Versuch unternommen, das sogenannte Kooperationsverbot etwas zu lockern. Ich hätte gerne mehr erreicht.
({6})
Wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt. Ich
muss aber akzeptieren, dass nahezu alle 16 Bundesländer nicht bereit waren, mehr zu geben. Wir können nachher gerne darüber reden. Ich möchte das nur einmal feststellen. Natürlich brauchen wir für eine Änderung eine
Zweidrittelmehrheit.
Wir haben lange über die Änderung des Art. 104 b
Grundgesetz gesprochen. Mit dem, was wir jetzt vereinbart haben, können wir auch ein aktuelles Problem lösen.
Der Bundestag hat mit Mehrheit der Koalition ein Konjunkturprogramm beschlossen, über das den Gemeinden
Geld für den Bau von Schulen usw. zur Verfügung gestellt wird. Nach der Verfassung ist das eher eine Ausnahme, weil wir im Grunde nur bei der energetischen
Sanierung von Schulgebäuden helfen dürfen. Ich bin
dankbar dafür, dass die Vertreter der Bundesregierung in
der Kommission klar gesagt haben: Das, was wir jetzt
machen - das ist ja eine große Hilfe für die Gemeinden;
wir geben nicht nur Geld für die energetische Sanierung
von Schulgebäuden, sondern auch für Sportstätten und
dergleichen -, ist durch die geplanten Neufassung des
Art. 104 b Grundgesetz absolut gedeckt. Ich bin Ihnen
dankbar, Herr Minister Steinbrück - ({7})
- So geht das nicht, Herr Kollege Steinbrück.
({8})
Wir haben gerade über das Konjunkturpaket geredet, um
das noch einmal kurz zu erklären.
({9})
Ich bin dankbar dafür, dass durch einen Brief des
Bundesfinanzministers an die Länderfinanzminister und
die kommunalen Spitzenverbände klargestellt wurde,
dass das, was die Gemeinden vorhaben - Investitionen
in Bildung, nicht nur in Beton -, durch den neuen
Art. 104 b Grundgesetz absolut gedeckt ist. Das ist ein
großer Fortschritt. Damit ist Rechtsklarheit geschaffen
worden. Wir haben die richtige Entscheidung getroffen;
davon bin ich überzeugt.
({10})
Ich will ein letztes Wort zum Thema Föderalismus sagen - ich habe mir eine ganze Menge aufgeschrieben,
aber das brauche ich jetzt nicht mehr -: Was wir nicht regeln konnten, war die Neugliederung des Bundesgebietes. Wir haben versucht, darüber zu reden. Ein Ministerpräsident hat in der Kommission einen halbherzigen
Versuch unternommen, das anzusprechen. Ich nehme
mein Lieblingsthema wieder auf - ich weiß, dass mein
Freund Volker Kröning gar nicht damit einverstanden
ist, dass ich das jetzt sage -: Ich glaube, nicht diese
Kommission, aber nachfolgende Kommissionen, die es
mit Sicherheit geben wird, werden die Frage der Neugliederung des Bundesgebietes intensiv zu prüfen und
darüber zu entscheiden haben.
({11})
Ich will Ihnen jetzt nicht sagen, welche Länder vielleicht
zusammengelegt werden sollten. Das würde keinen Sinn
machen. Aber 16 Bundesländer, wie wir sie jetzt haben
- Günther Oettinger ist damit auch nicht ganz einverstanden, Ingolf Deubel ebenfalls nicht -, wird es in zehn
oder 15 Jahren nicht mehr geben können.
({12})
Sie werden ein bisschen mehr zusammengehen müssen.
Nehmen Sie dies als Vermächtnis eines ausscheidenden Föderalismuskommissionsvorsitzenden mit auf den
Weg. Die jungen Kollegen sollen sich dieser Aufgabe
widmen. Dabei wünsche ich ihnen von Herzen guten Erfolg.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort erhält nun der Kollege Ernst Burgbacher für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorab bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Struck, bei Ihnen, Herr Ministerpräsident Oettinger, und bei den Mit23366
gliedern der Kommission. Wir alle, die wir in dieser
Kommission waren, haben in den zwei Jahren unserer
Tätigkeit wirklich versucht, etwas vorwärts zu bringen,
schwierige Fragen anzupacken und sie auch zu lösen,
auch wenn dies nur teilweise gelungen ist. Die Zusammenarbeit aber war in weiten Teilen angenehm. Dafür
bedanke ich mich auch im Namen meines Kollegen
Volker Wissing.
({0})
Ich muss allerdings auch Folgendes deutlich feststellen: Heute hätte ein großer Tag für dieses Land sein müssen und können; denn dieses Land braucht eine grundlegende Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.
Wenn wir im weltweiten Wettbewerb weiterhin unsere
Position halten oder ausbauen wollen, können wir dies
nicht mit den Strukturen innerhalb der Länder und zwischen Bund und Ländern tun, die wir im Augenblick haben. Dass wir eine grundlegende Reform brauchen, ist
unsere feste Überzeugung.
({1})
Ich nenne ein Beispiel, das inzwischen völlig vergessen wurde: In einer Untersuchung ganz zu Beginn der
Reformarbeit wurde uns gesagt, eine Abschaffung des
Länderfinanzausgleichs, die so nicht infrage kommt, erhöhte das Bruttoinlandsprodukt um einen Prozentpunkt.
Dass darüber in der Kommission kaum gesprochen
wurde, halte ich für einen Fehler.
({2})
Daher muss ich am Ende der Kommissionsarbeit sagen - Herr Kollege Struck, Sie wissen es -, dass ich eigentlich enttäuscht bin. Was die erste Große Koalition
1966 bis 1969 auf den Weg gebracht hat - darauf ist unsere gigantische Staatsverschuldung zurückzuführen -,
hätte jetzt von der Großen Koalition korrigiert werden
müssen. Aber es hat sich wieder gezeigt, dass eine Große
Koalition offenbar nur zu den allerkleinsten Ergebnissen
fähig ist. Dies wurde mit der Föderalismuskommission
erneut bewiesen.
Ich erinnere ausdrücklich daran, dass diese Kommission auf Druck der FDP zustande gekommen ist. Wir
hatten nämlich schon in der ersten Kommission erklärt,
dass es sinnlos sei, Strukturen zu reformieren, wenn man
nicht an die Finanzen herangeht. Unser Druck hat dazu
geführt, dass wir heute überhaupt über die Ergebnisse
beraten können. Auch dies darf man einmal festhalten.
({3})
Im Einsetzungsbeschluss steht - ich zitiere es; ich
habe ihn mitgebracht -: Stärkung der aufgabenadäquaten
Finanzausstattung, Stärkung der Eigenverantwortung der
Gebietskörperschaften und verstärkte Zusammenarbeit
und Möglichkeiten zur Erleichterung des freiwilligen
Zusammenschlusses der Länder. - Überall Fehlanzeige!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem bei der
Föderalismusreform ist, dass die wesentlichen Punkte
von vornherein ausgeklammert wurden. Man hat sich
auf ein paar Verwaltungsthemen sowie auf das äußerst
wichtige Thema der Verschuldung konzentriert. Aber es
kann doch nicht sein, dass wir jetzt Auflagen machen,
aber die Länder eigentlich keine Möglichkeit haben, ihre
Einnahmen selbst zu beeinflussen. Ministerpräsident
Oettinger sagt immer zu Recht, seine einzige Möglichkeit, Einnahmen zu beeinflussen, sei die Erhöhung der
Eintrittsgelder für Museen, anderes gebe es eigentlich
nicht. Dies ist die falsche Weichenstellung. Deshalb
kann ich Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, dass Sie den
Mut hätten haben müssen, an die wirklich wichtigen
Themen Länderfinanzausgleich, Steuerautonomie und
Länderneugliederung heranzugehen. Das haben Sie
nicht gemacht. Mit dem Vorwurf müssen Sie leben.
({4})
Nun zum Thema Verschuldung. Wir alle leiden unter
der Verschuldung, und wir wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Der Weg in die Verschuldung, der 1969
eingeschlagen und bis heute weitergegangen wurde, ist
gegenüber künftigen Generationen verantwortungslos.
Deshalb muss unser oberstes Ziel sein, diesen Weg zu
beenden. Raus aus der Neuverschuldung - das ist unsere
Aufgabe, die wir alle zusammen anpacken müssen. Das
ist unsere hohe Verantwortung.
({5})
Allerdings müssen wir feststellen: Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Großen Koalition, Sie hatten drei
Jahre lang vor der Finanz- und Wirtschaftskrise die
Chance dazu. Sie haben Steuern massiv erhöht, beginnend mit der Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf
19 Prozent. Es gab insgesamt 20 Steuer- und Abgabenerhöhungen, die zu 100 bis 150 Milliarden Euro mehr
Steuereinnahmen geführt haben. Trotzdem haben Sie jedes Jahr neue Schulden aufgenommen. Das ist keine
Konsolidierungspolitik, sondern eine unverantwortliche
Politik. Das können Sie nicht mit der Finanz- und Wirtschaftskrise begründen.
Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie jetzt eine
Schuldenbremse einführen. Warum haben Sie diese
nicht schon vor einem Jahr konzipiert?
({6})
Jetzt, in der Zeit der schlimmsten Krise, wollen Sie die
Schuldenbremse. Sie müssen die Bevölkerung davon
überzeugen, dass es Ihnen ernst ist und dass sie wirken
wird. Sie hatten die Chance; Sie haben sie ungenutzt verstreichen lassen und immer mehr Schulden gemacht.
Dazu müssen Sie sich bekennen.
({7})
Ich habe heute Morgen in einer Tickermeldung gelesen, dass DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki - diese
Organisation steht Ihnen nicht ganz fern - den Dortmunder Ruhr Nachrichten gesagt hat - ich zitiere -:
Das Vorhaben der Föderalismuskommission II, eine
Schuldenbremse in der Verfassung festzuschreiben,
ist so schädlich wie absurd.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich erwarte von Ihnen heute ein ganz klares Wort.
({9})
Sie müssen sich davon distanzieren. Es kann nicht sein,
dass wir weiter in den Schuldenstaat marschieren. Allerdings habe ich immer wieder den Eindruck - den haben
viele mit mir -, dass es vielen von Ihnen nicht ganz so
ernst ist, sondern dass Sie nach wie vor davon leben,
Geld zu verteilen und mehr Schulden zu machen. Damit
werden Sie gegen die Wand fahren.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt in allem Ernst
ansprechen, weil ich ihn für sehr wichtig halte. Man
kann, verehrter Herr Kollege Struck, über das Kooperationsverbot diskutieren. Ich war ein Befürworter des
Kooperationsverbots. Wir haben es am Ende der ersten
Föderalismuskommission ins Grundgesetz geschrieben.
Es hat in der Arbeit der Föderalismuskommission überhaupt keine Rolle mehr gespielt. In der letzten Sitzung
machten Sie den Vorschlag, Art. 104 b des Grundgesetzes zu ändern. Sie zwangen die Union dazu, indem Sie
gesagt haben, dass Sie sonst nicht zustimmen. Ich sage
Ihnen: So können wir mit unserer Verfassung nicht umgehen. Die Verfassung ist kein Spielball; man ändert sie
nicht beliebig aufgrund aktueller Ereignisse.
({10})
Ich möchte zum Schluss kommen.
({11})
Wir halten das, was jetzt vorgelegt wird, für viel zu wenig ehrgeizig. Es ist Ausdruck der Tatsache, dass die
Große Koalition in sich total uneinig ist. Wir machen mit
der Schuldenregel einen ersten Schritt auf einem Weg,
der in die richtige Richtung gehen kann. Deshalb werden
wir das sehr wohlwollend prüfen. Wenn die Details stimmen, können wir uns eine Zustimmung vorstellen. Wir
versprechen Ihnen, dass wir auf dem Weg zu einer richtigen, fundierten Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen weitergehen werden. Denn diese braucht unser Land.
Herzlichen Dank.
({12})
Antje Tillmann ist die nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
wir vor zwei Jahren mit unserer Arbeit in der Kommission zur Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischen
Bund und Ländern begonnen haben, war diese Kommission mit ihren Arbeitsgruppen eigentlich eher eine
Closed-shop-Veranstaltung für wenige Interessierte, die
fortan nicht mehr ohne Grundgesetz an Veranstaltungen
teilgenommen haben und Spaß daran hatten, sich über
Konjunkturkomponenten oder Produktionslücken zu unterhalten.
({0})
Ausgerechnet die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
hat die Themen der Kommission zu den Bürgerinnen
und Bürgern an die Stammtische gebracht. Angesichts
der Milliardenprogramme - des 500-Milliarden-EuroRettungsschirms für die Banken und des 50-MilliardenEuro-Konjunkturprogramms - fragen sich immer mehr
Menschen, ob wir diese Summen je zurückzahlen können. Diese Menschen sind es, für die wir heute mit der
Gesetzgebung zur Einführung einer Schuldengrenze in
Deutschland beginnen.
Wir machen die Schuldengrenze für die Rentnerin,
die sich Sorgen macht, ob auch bei längerer Dauer der
Krise mit einer sicheren Auszahlung ihrer Rente zu rechnen ist. Wir machen die Schuldengrenze für den Unternehmer, der sicher sein möchte, dass der Staat in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch Entlastungen
beschließen bzw. konjunkturfördernde Maßnahmen ergreifen kann. Wir machen die Schuldengrenze für die
jungen Menschen, die morgen Verantwortung in
Deutschland übernehmen und ihre eigenen Ideen zum
Wohle dieses Landes umsetzen möchten. Und wir machen die Schuldengrenze für alle Menschen, die diesen
Staat mit ihren Steuern finanzieren. Denn allen ist klar:
Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von
morgen.
Wir müssen sicherstellen, dass unser Land zu jeder
Zeit, in noch so schwierigen weltwirtschaftlichen Situationen, genügend Mittel zur Verfügung hat, um seinen
sozialen und marktwirtschaftlichen Aufgaben gerecht zu
werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Schuldenbegrenzung ist Sozialpolitik, weil gerade die Schwachen darauf angewiesen sind, dass der
Staat seinen Verpflichtungen jederzeit nachkommen
kann.
({1})
Es ist erforderlich, dabei zwei Grundsätze zu beachten:
Erstens. Wir müssen in guten Zeiten so sparsam und
wirtschaftlich mit Steuergeldern umgehen, dass wir
Spielräume für schlechte Zeiten erhalten. Das haben wir
in den vergangenen Jahrzehnten nicht konsequent durchgehalten. Wir haben zwar in schlechten Zeiten die nötigen Kredite aufgenommen, aber versäumt, in guten Zeiten gegenzusteuern.
({2})
Ende 2009 wird die Verschuldung von Bund, Ländern
und Gemeinden bei circa 1,7 Billionen Euro liegen. Die
jährlichen Zinszahlungen werden zukünftig mehr als
70 Milliarden Euro betragen und damit natürlich die
Handlungsfähigkeit des Staates erheblich einschränken.
Ständig steigende Zinslasten wären eine schwere Hypothek für unsere Kinder und Enkelkinder, insbesondere
deshalb, weil wir davon ausgehen müssen, dass auch der
demografische Wandel zu zusätzlichen sozialen Ausgaben führen wird.
All diese Tatsachen haben die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu bewogen, die laufende
Legislaturperiode unter strikten Konsolidierungskurs
zu stellen. Im Jahre 2005 haben wir bei einer Neuverschuldung von 31,2 Milliarden Euro begonnen. Wir haben es geschafft, die Neuverschuldung bis Ende 2008
auf 11,5 Milliarden Euro zu drücken. Ohne die Wirtschaftskrise hätten wir diese Legislaturperiode mit einem ausgeglichenen Haushalt beendet, und das, obwohl
unsere Verfassung eine erheblich höhere Verschuldung
erlaubt hätte.
({3})
Der bisherige Art. 115 des Grundgesetzes, der eine Kreditaufnahme für Investitionen und zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorsieht, setzt nicht die erforderlichen Grenzen.
Das ist aus zwei Gründen der Fall:
Der erste Grund. Die „goldene Regel“ ermöglicht
eine Nettokreditaufnahme bis zur Höhe der im Haushaltsplan veranschlagten Investitionen. Diese Regelung,
die eine Kreditfinanzierung von Bruttoinvestitionen vorsieht, ist im Hinblick auf den volkswirtschaftlichen
Wertzuwachs ungeeignet. Denn die Straße, die wir heute
für 10 Millionen Euro bauen, ist längst kaputt, wenn wir
den Kredit immer noch im Haushalt haben.
Der zweite Grund. Auch der Hinweis auf die Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, der einer
politischen Entscheidung unterworfen ist, führt nicht zu
einer Schuldenbegrenzung. Seit 1998 hat sich die Bundesregierung in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005
mindestens im Nachtragshaushalt auf die Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts berufen. Allerdings waren die realen Wachstumsraten nur im
Jahr 2003 mit minus 0,2 Prozent negativ, im Jahr 2004
mit 1,2 Prozent und im Jahr 2005 mit immerhin noch
0,8 Prozent hingegen positiv.
All dies zeigt, dass wir neue Regeln zur Eindämmung
von Schulden brauchen. Deshalb finde ich es richtig, im
Grundgesetz zu verankern, dass die Haushalte von Bund
und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichen werden müssen. Der zweite Teil der
Wahrheit ist aber, dass der Staat natürlich auch handlungsfähig bleiben muss.
Dem haben wir Rechnung getragen, sowohl durch die
Begrenzung in guten Zeiten als auch durch die Flexibilisierung in Zeiten, in denen es diesem Land schlechter
geht.
Ab 2016 lassen wir für den Bund eine Kreditaufnahme in Höhe von 0,35 Prozent des BIP zu. Diese Mittel sollen aber keineswegs für Spaßprogramme verwendet werden, sondern mit ihnen sollen ganz klar
zukunftsgerichtete Investitionen oder Maßnahmen finanziert werden, die der künftigen Generation nutzen.
({4})
Wir haben eine konjunkturelle Komponente eingeführt, durch die es uns auch möglich ist, in diesen
schwierigen Zeiten zu reagieren, Maßnahmen zu ergreifen und die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen. Dann
können die Bürgerinnen und Bürger auch entlastet werden. Daneben gibt es eine Komponente, die für Notsituationen gilt, deren Anwendung wir aber von einer absoluten Mehrheit abhängig machen, weil wir die politische
Diskussion und eine Diskussion der Bürgerinnen und
Bürger zur Schuldenaufnahme wollen.
Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben ein sehr
gesundes Verhältnis zur Schuldenaufnahme. Sie wissen
das aus ihrem eigenen Haushalt. Ich kann nur die Schulden aufnehmen, die ich auch wieder tilgen kann. Genau
diese Diskussion - lieber Herr Kollege Struck, das
schätze ich ein bisschen anders als Sie ein - ist in den
letzten Wochen sehr wohl geführt worden. Die Bürgerinnen und Bürger haben uns auf die Finger geschaut, und
das sollen sie auch zukünftig tun, weil uns das in unserer
Haushaltsführung diszipliniert.
Für all diese Maßnahmen haben wir eine Sanktionskomponente eingeführt. Wir werden einen Stabilitätsrat
einrichten, der kontrolliert, ob wir die neuen Schuldengrenzen auch wirklich einhalten, und - es ist interessant,
das zu wissen - das erste Mal seit Bestehen des Grundgesetzes gibt es in unserer Verfassung eine Tilgungsverpflichtung. Das hat es bisher nicht gegeben. Das heißt,
wir sind verpflichtet, Kredite, die wir aufnehmen, in angemessener Zeit auch wieder zurückzuzahlen. Auch das
ist ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit.
Uns war es sehr wichtig, dass diese Schuldenbegrenzungen auf allen Ebenen unseres Landes greifen. Wir
wollten nicht, dass die eine Ebene Schulden begrenzt
und die andere Ebene Schulden produziert. Es ist eine
gemeinsame Aktion, dieses Land von zusätzlichen
neuen Schulden zu befreien. Deshalb bin ich froh, dass
wir gemeinsam mit den Ländern gute Lösungen in der
Kommission gefunden haben.
Dazu gehört aber auch, dass einige Länder gesagt haben, dass sie eine Schuldenbegrenzung, wie wir sie uns
vorstellen, nicht aus eigener Kraft schaffen können. Wir
werden in den nächsten Jahren - 2011 bis 2019 - also
800 Millionen Euro jährlich bereitstellen, um es diesen
Ländern zu ermöglichen, mit uns gemeinsam die Schulden zu begrenzen. Ich gebe offen zu, dass uns als Bundestagsfraktion das nicht leichtfällt; denn selbstverständlich ist der vom Bund zusätzlich zu den eigenen
Anstrengungen zu leistende Anteil von 400 Millionen
Euro eine Riesensumme. Ich bin mir aber sicher, dass
die Solidarität ein wesentliches Merkmal dieses föderalen Staates ist und dass wir diese Aufgabe gemeinsam
schultern werden.
An dieser Stelle möchte ich sehr deutlich sagen, dass
sich nicht zuletzt hier entschieden hat, dass unsere Vorsitzenden, Herr Ministerpräsident Oettinger und Herr
Fraktionsvorsitzender Struck, ein gutes Team waren;
denn gerade in dieser Situation, als es um Hilfen ging,
haben sie sehr wohl darauf hingewirkt, dass wir Individualisten der Fraktionen und der Ministerpräsidenten das
gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verloren haben,
eine generationengerechte Schuldengrenze zu verabschieden. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit als Vorsitzende dieser Kommission.
({5})
Wir haben aber nicht nur eine Schuldenbegrenzung
erreicht, sondern auch eine Regelung zur effizienteren
Verwaltung von Bund und Ländern.
({6})
So haben wir bei der Zusammenarbeit im Hinblick auf
die informationstechnischen Systeme und bei der ITSicherheit einen guten Kompromiss gefunden. Minister
Schäuble hat sich hier sehr engagiert. Es wird Leistungsvergleiche zwischen den Landesverwaltungen geben, die
ebenso wie die Effizienzsteigerungen in der Steuerverwaltung zu wirtschaftlicherem Handeln führen werden.
Nicht zuletzt aufgrund der Debatte über den Kampf gegen die Steuerhinterziehung ist es erforderlich und sinnvoll - hier war Herr Steinbrück sehr engagiert -, die
Kompetenz des Bundeszentralamtes für Steuern zu stärken.
Bei all den spröden Themen, mit denen wir uns in der
Kommission befasst haben, haben wir die Menschen dahinter aber nicht vergessen. Das gilt zum Beispiel für die
bundesweite Einrichtung eines Krebsregisters; denn für
zielgerichtete gesundheitspolitische Maßnahmen zur
Prävention, Früherkennung und Behandlung von
Krebserkrankungen ist eine einwandfreie Datengrundlage Voraussetzung. Diese werden wir schaffen.
Wir haben die Menschen auch bei der Neuordnung
der Verwaltung der Versicherung- und Feuerschutzsteuer
nicht vergessen. Denn wir haben sehr wohl im Blick behalten, dass die Kameradinnen und Kameraden der freiwilligen Feuerwehren vor Ort auf diese finanzielle Unterstützung angewiesen sind.
Wir machen diese Reform nicht für Juristen. Es ist
auch völlig egal - darin stimmen Sie mir sicherlich zu,
Herr Struck -, wer damit in die Geschichte eingeht.
({7})
Wir machen diese Reform für die Menschen in unserem
Land, die sich auch in der Krise auf diesen Staat verlassen wollen, und das können sie.
Danke schön.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Struck, ich habe zunächst mit einem gewissen Erstaunen
vernommen, dass Sie sich bei Herrn Steinbrück für die
jährlich 400 Millionen Euro bedankt haben. Zahlt er das
privat, oder ist meine Vermutung richtig, dass er es aus
Steuermitteln bezahlt?
({0})
Dann weiß ich nicht, warum wir ihm dafür danken müssen.
Frau Tillmann, Sie müssen eine Grundlehre des Haushalts zur Kenntnis nehmen. Sie tun so, als ob das Geld,
das dem Bund zur Verfügung steht, aus Gottes Hand
käme. Tatsächlich entscheidet aber der Gesetzgeber über
die Höhe der Steuern und damit auch über die Einnahmen des Staates.
({1})
- Ich weiß das. - Sie vergessen zu erwähnen, dass der
Haushalt des Bundes anders geführt werden muss als ein
Privathaushalt. Im Privathaushalt ist es ziemlich einfach:
Wenn man weniger Geld hat, gibt man weniger aus;
wenn man mehr hat, kann man mehr ausgeben. Aber
wenn der Staat weniger Geld einnimmt, dann heißt das,
dass die Wirtschaft schwach ist.
({2})
Gerade dann muss er besonders viel investieren. Wenn er
viel einnimmt, dann muss er lernen, zu sparen. Das
macht aber jede Regierung genau umgekehrt und damit
falsch. Das ist die Wahrheit.
({3})
- Sie müssen sich jetzt noch nicht so aufregen. Es
kommt noch viel schlimmer.
Bei der Föderalismusreform I haben Sie einen entscheidenden Fehler begangen; den wollten Sie ja auch
begehen. Sie haben die Abkehr vom kooperativen Föderalismus hin zu einem Ellenbogenföderalismus beschlossen. Das ist die Wahrheit.
({4})
Sie glauben das nicht? Die Starken sollen nicht mehr
die Schwachen stützen, sondern niederkonkurrieren. Das
kann ich an einem Beispiel erläutern: der Bezahlung der
verbeamteten Lehrerinnen und Lehrer. Früher gab es
bundesweit eine weitgehend einheitliche Besoldung.
Dann haben Sie beschlossen, dass die Länder das jeweils
selber festlegen sollen. Reiche Bundesländer können
aber mehr zahlen als arme Länder. Deshalb werden die
Lehrerinnen und Lehrer jetzt mit Geld aus den armen
Ländern weggelockt.
Jetzt gibt es in den armen Ländern zu wenig Lehrerinnen und Lehrer. Vielleicht können Sie mir erklären, was
daran sinnvoll für die Kinder in diesen Ländern ist.
({5})
Was soll diese Ellenbogenmentalität, die Sie damit verfolgen?
({6})
- Doch, genau so läuft es. In Berlin und in anderen Ländern können Sie das verfolgen. Das haben Sie ganz bewusst angerichtet.
({7})
Der größte Fehler der Föderalismusreform I bestand
darin, das Ziel einer gemeinsamen Bildungspolitik aufzugeben. Die hätte man einführen müssen.
({8})
Sie haben dem Ganzen zugestimmt, sogar einem Kooperationsverbot. Das war ein schwerer Fehler gerade auch
der deutschen Sozialdemokratie. Darunter werden wir
noch sehr leiden.
({9})
Jetzt zur Union. Selbst konservative Politik muss eine
Art Logik haben. Verstehen Sie: Das ist ja nicht meine
Politik, sondern Ihre. Ich stelle Ihnen jetzt drei konservative Thesen vor. Sie müssen mir erklären, wie sie zusammenpassen.
Ihre erste These lautet: Die Deutschen haben zu wenig Kinder und drohen auszusterben. Da sie es wahrscheinlich handwerklich nicht verlernt haben,
({10})
muss es wohl andere Gründe dafür geben, über die es
sich nachzudenken lohnt.
({11})
Ihre zweite These lautet: Wir brauchen einen flexiblen Arbeitsmarkt. Darunter verstehen Sie, dass man
prekäre Beschäftigung mit Minijobs, Leiharbeit und allem anderen organisiert, was Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächt.
({12})
Aber Sie verstehen darunter auch, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereit sein müssen, den Beschäftigungsort und gegebenenfalls auch das Bundesland zu
wechseln. Sie sagen also: Flexibel müssen die Leute
sein. - Nehmen wir einmal ein Paar, wie Sie es sich
wünschen: ein Ingenieur und eine Lehrerin mit drei Kindern. Das ist für sie etwas schwierig mit den Jobs: Mal
finden sie Arbeit in Bayern, mal in Schleswig-Holstein,
Thüringen oder Hessen. Sie wechseln also ständig das
Bundesland und sind so flexibel, wie Sie es fordern. Sie,
meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
lassen dabei aber völlig außer Acht, dass diese Eltern mit
drei schulpflichtigen Kindern jedes Mal in ein völlig anderes Schulsystem geraten und sich deshalb gegenüber
ihren Kindern unverantwortlich verhalten müssen. Erklären Sie mir wenigstens die Logik Ihrer drei Thesen!
Sie müssten eine völlig andere Bildungspolitik betreiben.
({13})
Ich sage Ihnen noch eines: 16 verschiedene Bildungssysteme, das ist 19. Jahrhundert. Das hat mit dem
21. Jahrhundert überhaupt nichts zu tun.
({14})
Jetzt haben Sie sich aber bei der Bildungspolitik
selbst ein Bein gestellt. Den Leuten muss man erklären,
was hier eigentlich passiert. Zuerst beschließen Sie ein
Kooperationsverbot und sagen: Bildung ist Sache der
16 Länder; der Bund hat nichts damit zu tun. - Jetzt wollen Sie gerne im Rahmen Ihres Konjunkturprogrämmchens Geld in Bildung investieren. Nun stellen Sie fest,
dass Sie gerade beschlossen haben, dafür nicht zuständig
zu sein. Das heißt, Sie haben gerade beschlossen, dass
der Bund den Ländern gar kein Geld für Bildung geben
darf. Sie stellen aber eine Ausnahme fest, nämlich die
energetische Sanierung, und sagen: Dann geben wir
euch Geld für die energetische Sanierung der Schulgebäude. - Das ist nicht schlecht, und alle Länder werden
das sicherlich nutzen. Das Problem ist aber: Die Länder
brauchten viel dringender Geld zum Beispiel für Schulbücher, eine neue Bestuhlung, mehr Erzieherinnen und
Erzieher, mehr Lehrerinnen und Lehrer oder eine bessere
Bezahlung der Lehrerinnen und Lehrer, damit die reicheren Länder den ärmeren sie nicht abwerben.
({15})
Aber dafür dürfen Sie natürlich nichts ausgeben, weil
Sie sich selbst für unzuständig erklärt haben. Nun erklären Sie doch einmal den Leuten, warum man sich als Gesetzgeber selbst ein Bein stellen muss! Genau das haben
Sie hier gemacht.
({16})
Nun kommen wir zur Föderalismusreform II und damit zu der beschlossenen Schuldenbremse.
({17})
- Das reicht doch. Warum regen Sie sich denn darüber
auf? Diese Reform ist so falsch, dass man darüber nicht
lange zu sprechen braucht.
In einer Zeit, in der Sie jeden Tag das Fenster aufmachen und eine neue Milliarde in Richtung Banken
hinauswerfen, beschließen Sie gleichzeitig solche Bestimmungen. Was Sie hier organisieren, passt überhaupt
nicht zusammen.
({18})
Dann hat Frau
Wir müssen jedes Jahr 10 Prozent mehr Geld für
Bildung ausgeben. Aber gleichzeitig fassen Sie Beschlüsse, die es den Ländern völlig unmöglich machen,
dieses Geld auszugeben. Ihre Erklärung ist schon jetzt
Makulatur.
({0})
Ich weiß, dass die armen Länder bis 2019 noch gewisse Zahlungen bekommen. Nun sagen Sie aber Bremen und dem Saarland: Ihr bekommt das Geld nur unter
der Bedingung, dass ihr eure Organklagen beim Bundesverfassungsgericht wegen der Haushaltsnotlage zurückzieht.
({1})
Es erinnert schon ein kleines bisschen an Erpressung,
wenn man sagt: Du bekommst nur dann Geld, wenn du
auf ein dir zustehendes Recht verzichtest. - Ich finde das
ehrlich gesagt ziemlich happig und rechtsstaatlich sehr
fragwürdig. Aber genauso machen Sie es.
({2})
Für Berlin und Sachsen-Anhalt wird es schwierig. Aber
für Bremen, Schleswig-Holstein und das Saarland ist
das, was Sie hier beschließen, eine Katastrophe; das wissen Sie auch. Ich hoffe sehr, dass die betreffenden Länder noch eine Organklage erheben und sagen: Das Ganze
geht nicht, weil es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar ist.
Ich will Ihnen sagen, warum es verfassungsrechtlich
nicht hinnehmbar ist. Sie schränken das Haushaltsrecht
der Landesparlamente ein. Sie sagen: Ein Landesparlament darf ab 2020 keine Schulden mehr beschließen,
vorher nur unter bestimmten Bedingungen.
({3})
- Hören Sie zu! Mir ist es völlig wurscht, wessen Vorschlag das ist. Sie beschließen es. Das ist das Entscheidende. - Wenn Sie das beschließen, dann sagen Sie den
Landesparlamenten: Für Bildungsaufgaben, Kulturaufgaben und soziale Aufgaben, selbst wenn sie noch so
dringend sind, dürfen sie keine Neuverschuldung beschließen. - Damit schränken Sie die Möglichkeiten der
Länder grundgesetzwidrig ein. Ich bin ganz sicher, dass
das Bundesverfassungsgericht das nicht akzeptiert.
({4})
Im Übrigen gab es bisher nur zwei Länder mit einem
Schuldenverbot. Das eine Land ist die Schweiz. Aber die
Schweiz hat zuvor sämtliche Kantone durch Goldverkäufe entschuldet. Das, was Sie hier beschließen, führt
niemals dazu, dass Berlin und die anderen Länder vollständig entschuldet sind.
({5})
Jetzt hat die Bundesregierung auf unsere Frage eingeräumt, dass das von der Schweiz beschlossene Schuldenverbot nicht eingehalten wird, dass es also trotzdem eine
Neuverschuldung gibt und dieses Verbot zu gar nichts
geführt hat. Das zweite Land, das ein Schuldenverbot in
die Verfassung aufgenommen hat, war das staatssozialistische Albanien unter Enver Hoxha. Vielleicht haben Sie
sich nach ihm gerichtet. Aber ich hoffe, Sie haben nicht
vergessen, wie er endete.
({6})
Mit anderen Worten: Es kann doch nicht im Ernst die
Lösung sein, dass wir den Weg wählen, den sonst kein
einziges Land geht.
Sie tun so, als ob die Neuverschuldung bisher überhaupt nicht begrenzt wurde. Gab und gibt es nicht die
Kriterien von Maastricht? Ist nicht im Grundgesetz geregelt, dass die Neuverschuldung die Investitionsquote
nicht überschreiten darf, es sei denn, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, worauf sich
jetzt die Bundesregierung stützt? Jetzt ändern Sie das ab
und legen fest, dass eine Naturkatastrophe oder eine
schwere Krise vorliegen muss. Das ist eine tolle juristische Begriffsbestimmung. Den Streit darüber, was eine
Naturkatastrophe oder eine schwere Krise ist, kann man
sich jetzt schon vorstellen. Da wird es sehr viele verschiedene Interpretationen geben.
({7})
Noch einen weiteren Umstand haben Sie nicht bedacht. Der Bundesgesetzgeber bleibt für die Steuern zuständig. Jetzt kann doch der Bundestag Folgendes machen: Er senkt die Steuern, auch für die Länder. Diese
werden dadurch geringere Einnahmen haben.
({8})
Gleichzeitig ist im Grundgesetz festgeschrieben, dass
die Länder keine neuen Schulden aufnehmen dürfen.
Das heißt, der Bundestag kann die Länder in jeder Hinsicht ganz einfach ruinieren,
({9})
wodurch diese keinerlei Spielräume mehr haben. Sie
glauben doch nicht im Ernst, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen das durchgehen lässt. Das können
Sie vergessen.
({10})
Ich komme jetzt zur FDP. Sie haben gerade in Ihrem
Wahlprogramm beschlossen, die Steuern auf Bundes23372
ebene um 35 Milliarden Euro zu senken. Sie haben bloß
vergessen, zu beschließen, wer sich von Ihrer Partei hinstellt und als Letzter das Licht ausmacht und „Tschüs,
Deutschland!“ sagt. Das, was Sie hier vorlegen, ist überhaupt nicht realisierbar.
({11})
Ich komme zur Lösung der Probleme. Ich habe gar
nichts dagegen, die Neuverschuldung zu begrenzen,
aber das muss auf eine vernünftige Art geschehen, nicht
mit Verbotsregeln, wie Sie das machen.
({12})
- Indem man das ganz anders macht. Ich habe vorhin
schon über den Haushalt gesprochen.
({13})
- Ja, wir können Vorschläge machen. Ich habe zum Beispiel erläutert, dass wir es in Berlin so geregelt haben,
dass die Investitionsquote nicht überschritten werden
darf. Was ist daran falsch?
({14})
Damit hat man Jahrzehnte gelebt. Sie versuchen, den
Leuten einzureden, dass Staatsschulden dasselbe wie
Privatschulden sind. Sie vergessen immer, dass Sie jetzt
die höchsten Staatsschulden organisieren, die es in der
Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat. Darunter
leiden die nächsten Generationen tatsächlich.
({15})
Ich sage Ihnen eines: Ich sehe schon jetzt den tapferen
Sozialdemokraten vor mir, der hier in ein paar Jahren
stehen und sagen wird: 2009 haben wir einen großen
Fehler begangen. - Dieser tapfere Sozialdemokrat wird
dann genauso viel Beifall bekommen wie heute der, der
den Fehler begeht. Das ist das Übel daran. Noch schlimmer ist aber: Dann wird Ihnen die Union und damit die
Zweidrittelmehrheit fehlen, das Ganze zu korrigieren.
Dann leiden die Bürgerinnen und Bürger wirklich darunter.
Ich bitte Sie um eine Sache, auch wenn das wahrscheinlich chancenlos ist, aber ich halte das für eine gesellschaftspolitisch zentrale Frage: Wir brauchen im
Grundgesetz eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung. Der
Bund und die Länder müssen gemeinsam garantieren,
dass jedes Kind in Deutschland, egal wo es lebt und
völlig unabhängig davon, ob die Eltern Bankiers, Professorinnen und Professoren, Abgeordnete, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Arbeitslose, Hartz-IVEmpfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger sind, eine
Topbildung genießen kann. Sie organisieren das Gegenteil. Das halte ich für eine Katastrophe. Damit nehmen
Sie den Kindern und Jugendlichen die Chancengleichheit. Aber genau darauf müssen diese zwingend einen
Anspruch haben.
({16})
Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Gysi, der Kollege Ramelow war in der
Föderalismuskommission eine Spur konkreter, als Sie
das gerade waren. Sie reden sehr viel, und manchmal
werden Sie offensichtlich vom Schwung Ihrer eigenen
Rede mitgerissen. Aber den Unsinn, dass der Bund Steuern senken könnte, um die Länder abzumurksen, kann
nur jemand erzählen, der nicht weiß, dass Gesetze zur
Erhebung von Steuern den Bundesrat passieren müssen.
Das war einfach nur Unsinn. Es lohnt sich nicht, sich damit weiter zu beschäftigen.
({0})
Wir schauen uns die heute vorliegenden Gesetzentwürfe an. Angesichts des Einsetzungsbeschlusses vom
Dezember 2006, in dem es heißt, „die Kommission erarbeitet Vorschläge zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen“, kann man nicht sagen, dass die
Kommission erfolgreich war. Es liegen keine vernünftigen Vorschläge auf dem Tisch; denn dies wurde systematisch, mal vom Bund, mal von den Ländern, blockiert.
Also bleibt übrig, über die Schuldenbremse zu reden.
Da wir hier viele Anträge eingebracht haben, wissen Sie
alle, dass wir für eine vernünftige Schuldenbremse sind;
denn, Herr Kollege Gysi, die bisherige Regel, sich bis
zur Höhe der Bruttoinvestitionen verschulden zu können, versagt objektiv - das ist empirisch erwiesen -,
wenn es darum geht, die Staatsausgaben auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen. Es gibt Handlungsbedarf, und
deswegen sind wir für eine Schuldenbremse.
({1})
Wir sind aber nicht für die Art, die Sie am Schluss gewählt haben. Ich will Ihnen darstellen, warum wir dagegen sind. Ich finde, das hätte man besser, intelligenter
und wirksamer machen können. Zuerst aber noch eine
Bemerkung vorweg: Das von der Föderalismuskommission I auferlegte Kooperationsverbot hätte jetzt ganz fallen müssen.
({2})
Der Staat hat nicht darauf reagiert, dass etwas nicht
funktioniert hat, sondern er hat anstelle einer Verbesserung den nächsten Murks gemacht. Jetzt heißt es nämlich, dass das Kooperationsverbot nur dann nicht gilt,
wenn es eine große Notlage, eine Naturkatastrophe oder
eine Finanzkrise gibt. Das ist aberwitzig. So etwas nennt
man Verschlimmbesserung. Deswegen können wir diesen Punkt nicht mittragen.
({3})
Wenn man die Nullverschuldung der Länder ab dem
Jahr 2020 einführt, dann ist das keine wirkliche Schuldenbremse, vor allem deshalb nicht, weil die Länder, die
jetzt keine Konsolidierungshilfe bekommen - das sind
die meisten -, nichts machen müssen, um ihre Schulden
nach und nach bis 2020, also bis zu dem Jahr, ab dem die
Schuldenbremse wirksam wird, abzubauen. Sie können
sich weiter verschulden. Anstatt einen „Bremsweg“ zu
wählen, der jetzt beginnt und 2020 endet, haben Sie alles
offengelassen. Die Öffentlichkeit muss wissen, in welchem finanzpolitischen Umfeld wir uns im Jahr 2020 befinden werden. 2019 läuft der Solidarpakt endgültig aus.
2019 wird der Länderfinanzausgleich neu verhandelt.
Ich sage Ihnen voraus - dazu gehört nicht viel Fantasie -,
dass viele Länder im Jahr 2019 das Scheitern der Föderalismuskommission II erklären werden. Die Geberländer werden nämlich sagen, sie könnten die Schulden im
Jahre 2020 nicht auf null zurückführen, weil sie für den
Länderfinanzausgleich zu viel zahlen müssten; die Nehmerländer werden argumentieren, dass sie zu wenig erhielten, um die Schulden auf null zurückzuführen. Im
Jahr 2019 wird das ganze System in sich zusammenbrechen. Deswegen ist das keine vernünftige Schuldenbremse für die Länder. Wenn ein Raucher heute erklären
würde, er höre im Jahr 2020 mit dem Rauchen auf, dann
würden wir das auch nicht als guten Entschluss bezeichnen und in ihm einen zukünftigen Nichtraucher sehen,
sondern wir würden sagen, dass er eine Ausrede gewählt
hat, damit er noch zehn Jahre lang ordentlich vor sich
hinpaffen kann.
({4})
Jetzt komme ich zum Bund, der ab dem Jahr 2011 allmählich die Schuldenbremse einführt, die ab 2016 ihre
Endstufe erreicht haben soll. Ab dann soll die strukturelle Verschuldung nur noch 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Der Bruttoinvestitionsbegriff
hat nicht getaugt. Das haben wir in der Vergangenheit
gesehen. Weil der nicht getaugt hat, setzen Sie, abgesehen von der konjunkturell möglichen Verschuldung, die
sinnvoll ist, die strukturelle Verschuldung pauschal auf
0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fest. Wir haben
eine Alternative vorgeschlagen, die darin besteht, sich an
einem vernünftigen Nettoinvestitionsbegriff zu orientieren. Es geht um die Frage, wie eigentlich der Kapitalstock eines Landes erhöht wird. Der Nettoinvestitionsbegriff soll besagen: Es ist eine Verschuldung für
Investitionen bis zu einer bestimmten Größe möglich, es
ist aber notwendig, die Abschreibungen, also den Wertverfall, und die Privatisierungserlöse von den Investitionen abzuziehen; denn wir wollen zwischen Investitionen
in Bildung - da könnte man auch mit einer Abschreibung agieren - und anderen Investitionen differenzieren.
Das wäre ein sinnvoller Weg gewesen. Er ist von Sachverständigen vorgeschlagen worden, aber der Bundesfinanzminister hat diesen Weg nicht gewählt und damit für
einen Stopp in der Föderalismuskommission II gesorgt.
({5})
Wenn wir Schulden machen, dann wäre es richtig,
nach den Renditen zu differenzieren, welche künftige
Generationen von den Investitionen erzielen, für die
Schulden aufgenommen werden. Deswegen wäre der
Nettoinvestitionsbegriff, gerade wenn es um Bildungsinvestitionen geht, die richtige Antwort auf die Frage, wie
die Staatsverschuldung begrenzt werden kann. Ihr Ansatz einer pauschalen Verschuldung in Höhe von
0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, den Sie gewählt
haben, ist keine Lösung. Sie haben für den Bund keine
Schuldenbremse beschlossen, sondern Sie haben einen
Deckel für die strukturelle Verschuldung in Höhe von
0,35 Prozent beschlossen. Das ist vergleichbar mit einem Auto, das seine Geschwindigkeit nur bis 40 oder
50 Stundenkilometer herunterbremsen kann und dann
nicht mehr funktioniert. Das, was Sie vorhaben, sollte
man nicht „Bremse“, sondern „Begrenzung der zusätzlichen Verschuldung“ nennen.
({6})
Wir haben andere Vorschläge gemacht, etwa die Finanzierung eines Bildungssolis über den Soli. Nach dem,
was die Föderalismuskommission II vorsieht, fließt der
Soli zu den Teilen, die den neuen Bundesländern nicht
mehr zustehen, dem Bundeshaushalt zu; der Bundesfinanzminister war sehr dafür. Da hätte es andere Möglichkeiten gegeben, etwa, von der Aufgabe Bildung endlich nicht mehr nur zu reden, sondern sie in Angriff zu
nehmen und für eine bessere Finanzierung zu sorgen.
Eine sinnvolle Schuldenbegrenzungspolitik bestünde darin, in den richtigen Bereich zu investieren. Nach unserer
Überzeugung stellt Bildung allemal einen solchen Bereich dar.
({7})
Damit ist klar, warum wir diesen Gesetzentwurf ablehnen, obwohl wir eine vernünftige Schuldenbremse eigentlich wollen. In unseren Vorschlägen ist das dargestellt.
({8})
Ich möchte jetzt zu zwei Verlierern Ihrer Konzeption
kommen. Es ist wichtig, dass man darüber in der Öffentlichkeit klar und deutlich redet. Ich bin überzeugt, dass
die Kommunen in unserem Land die Verlierer der Einführung der Schuldenbremse sein werden, weil die Länder - vor allem diejenigen, die jetzt eine Konsolidierungshilfe bekommen, aber auch diejenigen, die sich an
diese Konzeption halten - den auf sie ausgeübten Druck
natürlich an die Gemeinden weitergeben. Die von Ihnen
vorgesehene Konsolidierungshilfe für fünf Länder ist
willkürlich. Es ist ein Fehler, keine Konsolidierungshilfen für die Gemeinden vorzusehen; denn sie sind ebenfalls verschuldet. Manche sind so hoch verschuldet, dass
sie nicht mehr investieren können. Die Gemeinden werden zusätzlich stranguliert, wenn die Länder den Schul23374
denbremsendruck an die Gemeinden weitergeben. Unser
Vorschlag lautet deswegen, auch den höchst verschuldeten Gemeinden Konsolidierungshilfen zu leisten.
({9})
- Herr Poß, immer wenn jemand so schreit wie Sie, hat
ein Vorwurf gesessen. Das ist eine alte parlamentarische
Weisheit.
({10})
Das Land Nordrhein-Westfalen, aus dem Sie kommen, Herr Poß, braucht keine Konsolidierungshilfe.
Aber es gibt viele Gemeinden in Nordrhein-Westfalen,
die dringend eine Konsolidierungshilfe brauchen.
({11})
Deutschland besteht nicht nur aus Bund und Ländern,
sondern aus Bund, Ländern und Gemeinden. Das haben
Sie offensichtlich vergessen, oder Sie wollten es nicht
hören, weil es Ihnen eine Spur zu kompliziert war.
({12})
Einen weiteren Punkt muss ich an die rechte Seite des
Hauses richten. Wir müssen einmal schauen, was volkswirtschaftlich passiert, wenn dieses Konzept umgesetzt
wird. Frau Merkel und Herr Westerwelle propagieren im
Wahlkampf, erstens, die Einführung einer Schuldenbremse, und, zweitens, Steuersenkungen. Es gibt zwei
Parteien, die dies wollen. Sie treten vor die Wählerinnen
und Wähler mit dem Konzept der Steuersenkung.
({13})
Ich sage Ihnen klar und deutlich: Wer eine Schuldenbremse will, wer die Investitionen in Bildung verbessern
will - das fordern Sie ebenfalls -, wer Steuern in der
Größenordnung von 35 Milliarden Euro senken will - so
das FDP-Konzept -, der hat sich schon jetzt auf eines
festgelegt, nämlich dass er die fehlenden Mittel durch
Sozialkürzungen ausgleichen wird.
({14})
Deswegen ist Ihr Spruch, die Schuldenbremse sei
Sozialpolitik für die Rentnerinnen und Rentner, blanker
Unsinn.
({15})
Sie können Ihr Ziel nur erreichen, wenn Sie von Ihrer
absurden Steuersenkungspolitik abrücken. Sonst kündigen Sie am heutigen Tag Sozialkürzungen großen Stils
an. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir diesen
Unsinn nicht mitmachen. Hören Sie auf, in diesen Zeiten
Steuersenkungen zu versprechen!
({16})
Ihre Versprechungen und die Schuldenbremsen passen
nicht zusammen. Was Sie dem Haus hier vorschlagen, ist
ökonomischer Unsinn.
Ich danke Ihnen.
({17})
Für die Bundesregierung erhält nun der Finanzminister das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! In Anbetracht der relativ knappen
Redezeit möchte ich mich auf das zentrale Thema der
Arbeit der Föderalismuskommission II konzentrieren,
nämlich auf das Thema Schuldenregelung, obwohl andere Aspekte es wert wären, intensiver beleuchtet zu
werden. Ich will nur so viel hinzufügen: Ich bin Frau
Tillmann für ihren Hinweis dankbar, dass die Verbesserungen bei der Steuerverwaltung und die Effizienzsteigerung beim Steuervollzug wichtige Ergebnisse dieser
Föderalismuskommission sind.
({0})
Es war die erste Große Koalition, die ziemlich genau
vor 40 Jahren Art. 115 unseres Grundgesetzes in der jetzigen Form ausgestaltet hat. Auch wenn Art. 115 einige
Jahre - ich möchte allerdings hinzufügen: bei hohen
Wachstumsraten und nicht den Wachstumsraten der vergangenen Jahre - gut funktioniert hat, müssen wir uns
eingestehen, dass man dies seit nunmehr zwei Jahrzehnten nicht mehr behaupten kann.
({1})
Art. 115 stellt seit mindestens zwei Jahrzehnten keine
angemessene und wirkungsvolle Regelung mehr dar, um
die Schuldenaufnahme zu begrenzen. Allein der Bund
hat von 1980 bis heute seine Schulden verachtfacht, und
zwar von 120 Milliarden Euro auf 960 Milliarden Euro.
Damit ist für jedermann und jede Frau sichtbar, dass die
geltende Begrenzung der Kreditaufnahme durch die
Höhe der Bruttoinvestitionen nicht nachhaltig funktioniert.
Ich will hier einschieben, Herr Kuhn - ich durfte es
Ihnen gegenüber auch schon in der Föderalismuskommission erklären -: Ihr Hinweis nützt uns nichts, solange
Sie sich nicht dem Exerzitium unterziehen, den Begriff
Investitionen zu definieren. Dabei spielt es gar keine
Rolle, ob wir über Brutto- oder Nettoinvestitionen reden.
({2})
Ich habe damals schon versucht, das zu erläutern. Ich
konnte nicht damit rechnen, dass Sie nach dieser Erläuterung diesem Missverständnis wiederum aufsitzen.
({3})
Ich habe versucht, zu erklären, dass wir ein Konzept
wählen, das sich auf europäischer Ebene bewährt hat
und diesen Definitionsschwierigkeiten entgeht, indem es
das sogenannte Close-to-balance-Konzept des Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspaktes verfolgt. Wenn
Sie sich diese Erläuterung noch einmal vor Augen führen würden, könnten wir dieses Missverständnis vielleicht auf Dauer vermeiden.
({4})
Ich möchte im Telegrammstil fünf Punkte anführen,
warum die bisherige Schuldenregelung definitiv nicht
mehr aufrechterhalten werden kann:
Erstens. Nach den derzeitigen Regelungen in Art. 115
ist der Verschuldungsrahmen in normalen Zeiten viel zu
hoch.
Zweitens. Die für die Zukunft unseres Landes so zentralen Bildungsinvestitionen werden nicht erfasst. Da
treffen wir uns.
({5})
Wir haben über die haushaltsrechtlich derzeit gültige
Definition dafür gesorgt, dass nur Investitionen in Beton
als Investitionen anerkannt werden und leider Gottes
jede Ausgabe in die Köpfe bzw. in die Qualität der Ausbzw. Weiterbildung von jungen Leuten bzw. von Erwachsenen als konsumtiv definiert wird.
Drittens. Weil eine ausdrückliche Regel für den
Schuldenabbau in Aufschwungphasen fehlt, haben die
aktuell gültigen Regelungen in Art. 115 zu einem sehr
inkonsequenten Verhalten des Staates geführt. Anders
ausgedrückt: Wir sind Keynes immer nur zur Hälfte gefolgt. Wir haben zwar in konjunkturell schlechten Zeiten
Schulden aufgenommen, aber in guten Zeiten nicht, wie
es ein vollständiges Befolgen der Theorie von Keynes
verlangt hätte, die Schulden wieder getilgt.
Viertens. Wir haben es mit deutlichen Unklarheiten
und Unschärfen im Zusammenhang mit der Ausnahmeregelung, nämlich der Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, zu tun. Wir müssen uns und auch der Öffentlichkeit eingestehen, dass
diese Ausnahmeregelung seit 1975 allein 15-mal in Anspruch genommen worden ist, und zwar - das füge ich
selbstkritisch hinzu - sehr leichtfüßig.
Fünftens. Die Vorschriften des Art. 115 beziehen sich
nur auf die Haushaltsaufstellung, nicht jedoch auf den
Haushaltsvollzug.
Vor diesem Hintergrund habe ich es schon als eine
historische Herausforderung für die zweite Große Koalition empfunden, eine neue, bessere Schuldenregelung
einzuführen. Ich stehe nicht an, Herrn Oettinger und
Herrn Struck und allen anderen, die an diesem Prozess
beteiligt gewesen sind, dafür zu danken, dass dies gelungen ist.
({6})
Die aktuelle Krise zeigt im Übrigen deutlich, wie
wichtig eine neue Schuldenregel ist. Ich kann Ihnen in
ähnlicher Weise, wie es die Bundeskanzlerin in ihren Erklärungen getan hat, berichten, welch hohe Aufmerksamkeit unser Vorhaben in Brüssel erfahren hat. Es wird
im Ausland sehr genau registriert, dass die Bundesrepublik Deutschland gerade in Zeiten, in denen wir wegen
der Rezession antizyklisch Schulden aufnehmen müssen, um Konjunkturpakete zu finanzieren bzw. die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen, zum einen
Verfassungsänderungen vornimmt, die einen deutlich
disziplinierenden Charakter haben, und zum anderen im
Konjunkturpaket II den Investitionsfonds mit einer einfachgesetzlichen Tilgungsregelung versehen hat, die automatisch in Kraft tritt.
Es ist bitter, dass wir im Augenblick Schulden aufnehmen müssen, weil dieser Großen Koalition bei normaler Konjunkturlage in der Tat - das haben Frau
Tillmann und andere schon gesagt - etwas gelungen
wäre, was es seit 1969 nicht gegeben hat, nämlich die
Neuverschuldung des Bundes auf null zurückzuführen.
Ihr Hinweis, Herr Burgbacher, das hätte alles sehr viel
schneller und weitgehender geschehen müssen - nehmen
Sie es mir nicht übel, wenn ich das noch einmal sage -,
berücksichtigt nicht, dass es das Anliegen dieser Großen
Koalition gewesen ist, gleichzeitig Impulse für die Förderung von Familien, für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und für Forschung und Entwicklung zu setzen,
eine Unternehmensteuerreform zu refinanzieren und
auch die ODA-Quote, also unsere entwicklungspolitischen Verpflichtungen, zu erfüllen. Das ist automatisch
mit Ausgaben verbunden gewesen, was dann in der Tat
nicht zur noch weiteren Verringerung der Schulden geführt hat. Es kommt - leider Gottes - in Ihren Hinweisen
nie vor, dass es eine Art Doppelstrategie gewesen ist, zu
konsolidieren und in für die Bundesrepublik Deutschland wichtige Felder zu investieren.
({7})
Mir persönlich ist der Erfolg der Föderalismuskommission mit Blick auf eine solche Schuldenregelung sehr
wichtig gewesen, und zwar in dreierlei Hinsicht.
Erstens. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern
der Bundesrepublik Deutschland signalisieren, dass wir
es sehr ernst meinen, nach der Überwindung dieser Rezession auf den Konsolidierungspfad zurückzukehren.
Dies ist wichtig, um Glaubwürdigkeit zu schaffen, bei
den Konsumenten ebenso wie bei den Investoren in
Deutschland. Sie müssen wissen, dass das weder Schall
und Rauch noch Sonntagsreden sind, sondern dass wir
auf den erfolgreichen Pfad der Konsolidierung zurückkehren wollen. Die Zahlen, die die Große Koalition in
den ersten drei Jahre vorgelegt hat, waren bemerkenswert: Wir haben die Nettoneuverschuldung von fast
40 Milliarden Euro auf 11 Milliarden Euro gesenkt - Sie
haben die genauen Zahlen schon genannt -; diesen Pfad
müssen wir wieder erreichen.
Zweitens. Wir müssen dies auch den Finanz- und
Kapitalmärkten signalisieren. Sie wissen, dass ich gelegentlich in öffentlichen Reden darauf zu sprechen
komme, wie stark die Kapitalmärkte durch die öffentliche Verschuldung aufgrund der Konjunkturprogramme
der jeweiligen Staaten weltweit belastet werden können,
sodass es zu Verdrängungseffekten kommt. Damit wird
das Vertrauen der Investoren, die entsprechende Anleihen aufnehmen, die von Staaten, aber auch Unternehmen
platziert werden, eventuell erschüttert. Das ist dann mit
sehr viel schlechteren Laufzeiten verbunden und mit
Spread-Entwicklungen, die inzwischen selbst Mitgliedstaaten der Europäischen Union, übrigens auch Staaten
der Eurozone, erwischen. Das heißt, für die Finanz- und
Kapitalmärkte ist es wichtig, zu wissen, dass es ein ordentliches Finanzgebaren auf der jeweiligen nationalstaatlichen Ebene gibt.
({8})
Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland hat als
Mitgliedstaat der Europäischen Union ein massives Interesse an der Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes, der, wie Sie wissen, von manchen
vielleicht nicht ganz ernst genommen wird. Wenn er
nicht ernst genommen wird, dann hat der Euro - meiner
Meinung nach - eines Tages Schwierigkeiten mit seiner
Glaubwürdigkeit und seiner Stabilität. Das ist von entscheidender Bedeutung: bezogen auf die Bürgerinnen
und Bürger, bezogen auf die Märkte und bezogen auf die
Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Ich will auf diese Schuldenregelung im Einzelnen
nicht eingehen. Sie wissen, welche wichtigen Komponenten damit verbunden sind. Die strukturelle Verschuldungsgrenze verhält sich analog zu dem, was der
Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspakt vorsieht:
mit Konjunkturkomponente, Kontrollkonto und Ausnahmesituation.
Ich will abschließend noch einige Hinweise geben.
Erstens. Der Vorschlag, dass die Länder - unter Bezugnahme auf Art. 109 - ab 2020 eine strukturelle Neuverschuldung von null erreichen wollen, war nicht die Idee
eines Bundesvertreters.
({9})
Darauf lege ich gesteigerten Wert. Bei jedweder Kritik:
Das war nicht die Idee eines Vertreters des Deutschen
Bundestages oder eines Vertreters der Bundesregierung.
({10})
Dies ist von Ländervertretern festgelegt worden. Dafür
möchten weder ich noch die Vertreter des Deutschen
Bundestages geprügelt werden.
({11})
Zweitens. Es klingt hoffentlich nicht eitel: Die Tatsache, dass sich der Bund an der Schuldentilgung der
Länder beteiligt, möchte ich zumindest als bemerkenswert im Protokoll stehen haben; denn die Länder beteiligen sich nicht an der Schuldentilgung des Bundes.
({12})
Wenn dies erforderlich gewesen ist, um einen Konsens
herzustellen, insbesondere mit Blick auf die zugegebenermaßen schwierige Situation in Berlin, Bremen, im
Saarland, in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein,
soll es das wert sein. Aber ich mache in der Tat keinen
Hehl daraus, dass das vor dem Hintergrund der erheblichen Belastungen, denen der Bund ausgesetzt ist, schwergefallen ist. Ich halte daran fest - vielleicht zum Entsetzen
und im Widerspruch zu den Ländern -: Die Haushaltslage
auf der Einnahme- und Ausgabenseite war in den letzten
Jahren für den Bund immer ungünstiger als für die Länder. Das macht sich gelegentlich bei schwierigen Verhandlungen im Bundesrat bemerkbar. Aber um diese
Klippen kommen wir offensichtlich nicht herum.
Drittens. Der Hauptkritikpunkt von vielen - man kann
es offenlegen: auch von Mitgliedern meiner Fraktion liegt darin, dass die Handlungsfähigkeit des Staates in
Krisensituationen durch diese Schuldenregelung über
Gebühr eingegrenzt sein könnte. Ich sage Ihnen freimütig: Das Gegenteil ist der Fall. Anders ausgedrückt: Was
wir jetzt mit Blick auf die Abschirmung für die Banken
und die Konjunkturpakete I und II gemacht haben, wäre
auch nach der neu zu beschließenden Schuldenregelung
möglich gewesen. Ich wäre dankbar, wenn sich dies als
Erkenntnisgewinn durchsetzen würde.
({13})
Abschließende Bemerkung: Wann immer wir über
Gerechtigkeit reden, wäre ich sehr dankbar, wenn die
Generationengerechtigkeit in unseren Reden eine größere Rolle spielen könnte.
({14})
Der Kapitaldienst ist mit hohen jährlichen Zinsen - die
Zahl ist schon genannt worden - verbunden; aber zum
Kapitaldienst gehört irgendwann auch die Tilgung. Was
dadurch an Belastungen für nachfolgende Generationen
entsteht, läuft darauf hinaus, dass wir unseren Kindern
und Enkelkindern Wackersteine in den Rucksack ihres
Lebens packen, mit dem sie über die Hürden kommen
müssen, und das bei einer demografischen Entwicklung,
die Produktivität und Innovationsfähigkeit dieser Gesellschaft zu zentralen Themen macht. Vor diesem Hintergrund wäre ein klares Bekenntnis zu einem disziplinierteren Verhalten nötig. Ich füge hinzu: auch im konkreten
Fall. Schon jetzt habe ich es wieder mit Begehrlichkeiten
mit Blick auf Mehrausgaben zu tun.
Herr Burgbacher, Sie wollen den Bürgerinnen und Bürgern Entlastungsprogramme servieren. Diese Entlastungsprogramme würden aber darauf hinauslaufen, dass
die Einnahmebasis der öffentlichen Gebietskörperschaften schwer erschüttert wird. Ich glaube nicht, dass Sie,
wenn Sie je in die Verlegenheit kämen zu regieren, in
diesen Dimensionen Steuererleichterungen beschließen
würden.
Herzlichen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Steinbrück, Sie nutzen jede Gelegenheit,
um der Öffentlichkeit zu erklären, dass eine Korrektur
Ihrer verfehlten Unternehmensteuerreform nicht möglich ist. Sie, Herr Kuhn, sagen, es sei absurd, dass die
FDP die Unternehmensteuerreform dringend korrigieren
möchte. Sie erklären den Menschen, dass Zinsschranke,
Mantelkaufregelung und Funktionsverlagerungen nicht
zurückgenommen werden könnten. Ich sage Ihnen: Gerade in der Krise müssen diese Regelungen so schnell
wie möglich geändert werden. Sie wirken nämlich krisenverschärfend. Sie schicken damit Unternehmen in die
Insolvenz, und zwar schon in den nächsten Monaten. Die
Kollegen von der Union wissen das natürlich; sie trauen
sich nur nicht, aufzumucken. Wie es gehen soll, bei höherer Arbeitslosigkeit den Haushalt zu konsolidieren,
das müssen Sie denen erklären, für die Sie die Verantwortung tragen.
({0})
Von den Grünen kommt zur Steuerpolitik wenig Differenziertes. Mit Reden wie der, die Sie gehalten haben,
Herr Kuhn, kann man in der Finanzpolitik nicht sachlich
argumentieren.
({1})
Ich will auf den Gesetzentwurf eingehen. Mit diesem
Gesetzentwurf ist der ursprüngliche Auftrag der Föderalismuskommission II nicht abgearbeitet; das ist hier
schon mehrfach angeklungen. Mit einem neuen Verschuldungsregime sind die Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht neu geregelt. Dazu hätte man sich den
Bund-Länder-Finanzausgleich vornehmen müssen.
Aber gerade dieses Thema haben Sie ausgeklammert;
darüber wollten Sie nicht sprechen. Zugegeben: Der
Bund-Länder-Finanzausgleich ist ein dickes Brett. Aber
es war gerade der Auftrag dieser Kommission, dicke
Bretter zu bohren. Dass man das kann, haben wir mit
einem konkreten Vorschlag gezeigt. Wir haben ein Konzept vorgelegt, das sowohl Geber- als auch Nehmerländern Anreize geboten hätte. Das wäre eine gute Grundlage gewesen, eine Neuregelung des Ausgleichssystems
in Angriff zu nehmen.
({2})
Mit ihrer Entscheidung, den Finanzausgleich nicht
anzutasten, hat die Große Koalition eine Verweigerungshaltung gegenüber ihrem eigenen Auftrag eingenommen. Sie hat es abgelehnt, einen Kernauftrag der Föderalismuskommission II abzuarbeiten. Das ist schade, weil
weitere Lösungsansätze davon abhängen. Solange wir
einen Finanzausgleich fortschreiben, der die Leistungen
einzelner Länder zu nahezu 100 Prozent nivelliert,
kommt mehr Finanzautonomie kaum in Betracht. Ohne
mehr Finanzautonomie muss eine neue Verschuldungsregel an bestimmten Stellen die Gestaltungsspielräume
offenhalten, die wir Liberale lieber bei der Einnahmeseite eröffnet hätten.
({3})
Ihr Argument, man könne den Finanzausgleich nicht
neu regeln, weil er bis 2019 festgeschrieben sei, löst sich
am Ende in Luft auf; denn die neue Verschuldungsregel
greift erst im Jahr 2020 vollständig.
Was heute vorliegt, ist ein Kompromiss. Das Verhandlungsergebnis stimmt nicht euphorisch. Wir hätten
uns im Kampf gegen die Staatsverschuldung mehr Entschlossenheit gewünscht. Gerade die Erfahrungen der
letzten Jahre haben doch gezeigt, dass wir ohne strengere Regeln von der Verschuldung nicht wegkommen.
Welches Ziel hat sich die Große Koalition gesetzt?
Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau sollten
bleibende Erfolge der Großen Koalition werden. Was ist
daraus geworden? In guten Zeiten haben Sie neue Schulden gemacht, und in schlechten Zeiten machen Sie noch
mehr neue Schulden. Wenn man dieser Koalition später
einmal ein Zeugnis ausstellt und sie an ihrer Finanz- und
Haushaltspolitik misst, wird das Urteil vernichtend ausfallen. Der Bundesminister der Finanzen ist mit seinen
Konsolidierungszielen genauso gescheitert wie sein Vorgänger.
({4})
Es war bedauerlich, dass die Kommission sich nicht
auf mehr verständigen konnte als auf das, was heute vorliegt. Ich finde es für junge Generationen höchst traurig, dass es viele Mitglieder in der Kommission gab, die
nicht gegen, sondern mit aller Kraft für neue Schulden
gekämpft haben. Auch das muss man einmal deutlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Dabei sollte jedem klar sein, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung und der bereits vorhandenen
Schuldenberge in die Gestaltungsspielräume künftiger
Generationen ohnehin schon weit eingegriffen haben.
Die FDP trägt den Kompromiss vor diesem Hintergrund
dennoch mit - nicht aus Begeisterung, sondern aus Verantwortung. Immerhin ist das, was wir damit bekommen, besser - auch wenn Sie das nicht glauben wollen,
Herr Kuhn - als das, was wir heute haben. Ich kann den
Grünen und den Linken nur sagen: Wer sich Verbesserungen verweigert, verantwortet das Schlechtere.
Die FDP wollte mehr. Ein prinzipielles Neuverschuldungsverbot wäre gerade in der jetzigen Krise ein
wichtiges Signal gewesen. Es hätte Vertrauen in die
Staatsfinanzen geschaffen, ohne dass die Regierung
handlungsunfähig geworden wäre; denn wir haben in unserem Gesetzentwurf klargestellt, dass Handeln in Notlagen niemals infrage gestellt werden darf. Eine dauerhafte strukturelle Neuverschuldung auf Bundesebene ist
eine bittere Pille für junge Menschen. Sie ließe sich vielleicht ökonomisch rechtfertigen, wenn wir nicht schon
über 1,5 Billionen Euro Schulden hätten.
Zu den Errungenschaften des Entwurfs gehört zum einen die Nullverschuldung auf Ebene der Länder. Dass
sie erst im Jahr 2020 greift, kritisieren Sie von den Grünen so gerne. Aber angesichts der Lage der Landeshaushalte frage ich Sie: Wie wollen Sie diese Verschuldungen innerhalb von ein, zwei Jahren auf null setzen? Die
Verfassungsänderung, die im Ergebnis erzielt werden
sollte, sollte keine Utopie darstellen, sondern tatsächlich
umgesetzt werden können. Ich glaube, das ist man, wenn
man über eine Verfassungsänderung diskutiert und berät,
der Sache schuldig.
Eine weitere Errungenschaft ist die Abkehr vom bisherigen Verschuldungsregime. Die bisherigen Verschuldungsgrenzen, die dauerhaft verletzt wurden, sollen aus
dem Grundgesetz verschwinden. Das ist ein guter Weg;
denn die Regeln haben grandios versagt. Weder der Investitionsbegriff noch die Feststellung einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben sich als
Gesetzesbegriffe bewährt. Dass wir diese untauglichen
Regelungen loswerden, ist ein Erfolg der Föderalismuskommission II.
({6})
Die Grünen haben einen anderen Weg vorgeschlagen.
Sie wollten sich am Begriff Nettoinvestition orientieren,
im Grunde aber den Investitionsbegriff weiter ausdehnen. Sie haben argumentiert, man müsse auch alle Bildungsinvestitionen mit neuen Schulden finanzieren
können. Für dieses Vorhaben gibt es aber nur scheinbar
logische Argumente. Sie haben gesagt, dass man Investitionen nicht nur in Beton, sondern auch in Bildung finanzieren müsse. Natürlich brauchen wir mehr Bildungsinvestitionen; das will niemand infrage stellen.
Aber was haben denn junge Generationen davon, wenn
Sie ihnen die Bildung mit neuen Schulden finanzieren
und die Schuldenberge ihnen dann später die Chance auf
einen Arbeitsplatz nehmen? So kann man zukunftsfähige, nachhaltige Politik nicht machen.
({7})
Die FDP hat die Kommissionsarbeit von Anfang an
konstruktiv begleitet. Wir haben den Auftrag sehr ernst
genommen. Es war ein großer Auftrag. Ich möchte noch
einmal betonen, dass wir den gesamten Auftrag erledigen wollten. Wir haben dazu konkrete Vorschläge gemacht, bis hin zu einem ausformulierten Gesetzentwurf,
der im Weiteren dann aber leider nicht als Beratungsgrundlage diente. Dass am Ende nicht mehr möglich
war, ist eine vertane Chance. Bei aller Kritik bleibt aber
die Feststellung, dass wir mit diesem Gesetzentwurf an
entscheidender Stelle etwas verbessern. Deshalb haben
wir dem Kompromiss in der Kommission zugestimmt.
Wir haben damit kein Endergebnis im Hinblick auf
das Problem, sondern ein Zwischenergebnis. Die Arbeit
muss fortgesetzt werden. Ich wünsche uns, dass uns dieses Zwischenergebnis auf dem Weg gegen die Staatsverschuldung weiter voranbringt. Er ist nicht beendet; er
muss fortgesetzt werden. Die Aufgaben - Neuregelung
des Länderfinanzausgleichs, mehr Finanzautonomie sind genauso vordringlich und müssen genauso schnell
in Angriff genommen werden wie eine Reform unseres
Steuersystems, auch wenn die Grünen das nicht verstehen; denn wir können - da will ich noch einmal an die
Große Koalition appellieren - die Dinge nicht einfach
laufen lassen. Gerade in der Krise sind finanzpolitische
Reformen dringend erforderlich. Wir steuern auf schwierige Zeiten zu. Lassen Sie die Menschen nicht allein!
Halten Sie das Land reformfähig!
({8})
Das Wort erhält nun der Ministerpräsident des Landes
Baden-Württemberg, Günther Oettinger.
({0})
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({1}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte heute Morgen macht deutlich, wie groß die Spannungsbögen, wie groß die Interessengegensätze sind. Es
geht dabei um zwei Dinge - nicht mehr und nicht weniger -: um Kompetenzen und um Geld.
Um Kompetenzen geht es beispielsweise in der Bildung. Einerseits spricht der Arbeitsmarkt und die damit
verbundene Mobilität der Menschen für eine bundesweite Regelung mancher Bildungsfragen - das gestehe
ich zu -, andererseits waren Kultur und Bildung in
Deutschland aus guten Gründen immer Ländersache.
Außerdem werden - ebenfalls aus guten Gründen - die
Autonomie der Schule vor Ort und mehr Kompetenzen
für die Träger freier und kommunaler Schulen gefordert.
Das ist der eine Spannungsbogen. Manchem, der in den
Deutschen Bundestag kommt und glaubt, er könne hier
Bildungspolitik machen, muss man sagen, dass er eigentlich im falschen Parlament ist.
({2})
Ein weiterer großer Spannungsbogen betrifft das
Geld. Es wird behauptet - so auch vom Kollegen Gysi -,
es gebe reiche Länder. Dabei hat beispielsweise BadenWürttemberg 42 Milliarden Euro Schulden und muss
2 Milliarden Euro Zinsen pro Jahr, worin noch keine Tilgung enthalten ist, zahlen. Das heißt, reich sind wir
nicht. Wir sind nur nicht so stark verschuldet wie der
Rest der Republik.
({3})
„Reich“ ist also ein relativer Begriff.
Es gibt Länder, die in den Länderfinanzausgleich
einzahlen und behaupten, sie würden viel zu viel zahlen
- dazu gehört mein Land -, und Länder, die wie Bremen
und das Saarland sagen, sie würden nicht ausreichend
Geld für die Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Dieser
Spannungsbogen wurde heute Morgen bei den fünf
Ministerpräsident Günther H. Oettinger ({4})
Fraktionen dieses Hohen Hauses sichtbar. In der Kommission trat er aber noch weit stärker zutage; denn dort
kamen die armen und die weniger armen Länder, die
neuen Länder und die alten Länder, die kleinen Länder
und die großen Länder sowie die Stadtstaaten und die
Flächenländer hinzu. Der Gegensatz von Metropole und
ländlichem Raum wurde dabei noch gar nicht erwähnt.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Troost?
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({0}):
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Oettinger, wir waren uns in der Kommission einig, dass die Staatsverschuldung in diesem
Jahrtausend in erster Linie nicht aus Ausgabenzuwächsen, sondern aus Einnahmeeinbrüchen resultiert.
({0})
Sie hatten damals an die Mitglieder der Kommission appelliert, nicht mit Steuersenkungsversprechen in den
Bundestagswahlkampf zu gehen.
({1})
Nun besteht aber die Gefahr, dass genau dieses passieren
wird, sei es seitens der FDP, sei es seitens der CSU oder
anderer.
Weil Sie von armen und reichen Ländern sprachen
und vorhin das, was mein Kollege Gysi gesagt hat, als
absurd abgetan haben, möchte ich Sie fragen.
({2})
- Können Sie vielleicht einmal zuhören?
({3})
- Können Sie zuhören und dann nachdenken?
({4})
Gehen wir einmal von der Situation aus, dass der
Bundestag eine Steuersenkung beschließt und anschließend im Bundesrat die reichen Länder diese Steuersenkung gegen die Stimmen beispielsweise von Berlin und
Bremen bestätigen.
({5})
Stimmen Sie mit mir überein, dass die Regelungen, die
wir jetzt verabschieden, bedeuten, dass die armen Länder dann keinerlei Chance mehr haben, ihre Haushaltshoheit und -autonomie wahrzunehmen?
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({6}):
Herr Kollege, da für die Gemeinschaftsteuern und für
die Steuereinnahmen, die allein den Ländern zustehen,
die Bundesgesetzgebung verantwortlich ist und damit
eine Zustimmungspflicht des Bundesrates besteht, und
da die Geberländer in der Minderheit sind und die Nehmerländer die Mehrheit stellen, können Sie davon ausgehen, dass die Länderinteressen, also auch die Interessen
von Bremen und des Saarlandes, mehr als ausreichend
durch die Mehrheit im Bundesrat gewahrt werden.
({7})
Zurück zum Thema „Spannungsbogen und Interessengegensatz“. Es gab in der Kommission Kollegen, die
für ein generelles Schuldenverbot gekämpft haben und
keine Ausnahmen zulassen wollten. Es gab Kollegen,
die für ein grundloses Schuldenrecht gekämpft haben.
Vor dem Hintergrund dieses Spannungsbogens hat die
Kommission, wenn man unter Politik das Machbare und
Mögliche versteht, nicht weniger und nicht mehr erreicht.
({8})
Ich bin dankbar, dass eine klare Mehrheit der Kommission, bestehend aus Mitgliedern dieses Hohen Hauses und des Bundesrats, diese Gesamtkonzeption mit
27 Jastimmen bei nur 3 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen empfiehlt. Mein Rat geht dahin: Da das Ganze ein
sensibles Gebäude ist, rütteln wir nicht an einzelnen
Säulen. Am besten wäre es, es würde im Bundestag und
im Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit so verabschiedet,
wie es jetzt vorgelegt wurde. Dann hätten wir im Rahmen der Möglichkeiten und der Interessengegensätze für
die Sache und für unsere Kinder viel erreicht.
Machen wir uns nichts vor: Damit wird ein Zeitenwechsel verbunden sein. Die letzten 40 Jahre waren von
jährlichen staatlichen Schulden geprägt. Unsere Großeltern haben Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
- damals waren die Brücken zerstört, die Straßen zerbombt und die Häuser kaputt - ohne Schulden und mit
Hand- und Kopfarbeit aufgebaut. Erst in den letzten
40 Jahren verging kein Jahr, in dem nicht jährlich aus,
einzeln betrachtet, guten Gründen Schulden vom Bund
und von den Ländern und Gemeinden gemacht worden
sind. Es sind derzeit insgesamt 1 500 Milliarden Euro. In
diesem und im nächsten Jahr kommen mit Sicherheit
und begründbar nochmals 200 Milliarden Euro hinzu.
Deswegen ist es richtig, dass man sich gerade in der
Krise, in der Rezession für eine grundsätzliche Schuldenregel ausspricht. In Zukunft ist in normalen Haushaltsjahren auf Bundesebene nur noch eine Schuldenaufnahme von maximal 9 Milliarden Euro Schulden
möglich, und in den Ländern soll im Regelfall keine
Aufnahme von Schulden mehr notwendig sein.
Herr Ministerpräsident, es gibt zwei weitere Wünsche
nach Zwischenfragen.
({0})
Zunächst möchte der Kollege Wieland eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie damit einverstanden sind.
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({1}):
Gerne.
Bitte schön.
Herr Ministerpräsident, ich kam nicht gleich an die
Reihe. Über einen Ihrer Sätze musste ich auch lange
nachdenken.
({0})
- Das musste auf mich wirken. Das kann ja nicht schaden. - Sie sagten, wer Bildungspolitik machen wolle,
habe sich mit dem Bundestag das falsche Parlament ausgesucht. Würden Sie auch sagen, dass sich jemand, der
Bildungspolitik machen will, mit der Bundesregierung
die falsche Regierung ausgesucht hat - wie Ihre Kollegin
Frau Schavan, die, wie ich weiß, aus Baden-Württemberg stammt? Wie soll es denn funktionieren, dass wir
eine Bildungsministerin haben, ohne dass sich der Bundestag mit Bildungspolitik befasst?
({1})
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({2}):
Herr Kollege, Sie wissen genau, für welche Kompetenzen in Forschung und Bildung die Bundesregierung
verantwortlich ist - für den Regelfall in der Schule, für
den Schulalltag nicht. Darum ging es mir.
Übrigens sind die erweiterten Finanzhilfen auch im
Rahmen der Kompetenzfrage wichtig. Wir glauben, dass
in der heutigen Zeit der Einfluss des Bundes über den
Graubereich der energetischen Gebäudesanierung nicht
mehr sinnvoll ist. Deswegen stimmen wir einer Erweiterung des Art. 104 b des Grundgesetzes ausdrücklich zu,
wollen aber, dass der Bund Finanzhilfen für das Schulgebäude, nicht aber für die Festlegung von Inhalten in
den Schulen zur Verfügung stellt.
({3})
Herr Kollege Gysi, Sie sagen, dass alle Kinder einen
Anspruch auf eine gute Bildung haben sollten. Dies teile
ich. Aber die Arroganz, dass dies nur der Bund durchsetzen könne, teile ich nicht. Ich traue Landesregierungen
- sogar der in Berlin, an der Ihre Partei beteiligt ist - das
zu.
({4})
Ich traue Landesregierungen und Landesparlamenten zu,
dass sie ihre Aufgabe ordentlich erfüllen und der Anspruch auf eine gute Bildung von Kiel bis nach Konstanz
und von Karlsruhe bis nach Potsdam auch durch Länder
und Kommunen hervorragend erfüllbar ist.
({5})
Betrachten wir die Schuldenregel einmal im Einzelnen: Ich glaube, wir haben einen guten Mittelweg gewählt. Im Normalfall ist keine Schuldenaufnahme möglich. Ausnahmen sind aber im Haushaltsvollzug bei
Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen wie in diesem und im nächsten Jahr möglich. Ganz
entscheidend ist für mich, dass in das Grundgesetz eine
Tilgungspflicht aufgenommen wird. Das heißt, ab sofort
darf die Tilgung von Schulden nicht mehr auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben oder dürfen neue Schulden nicht mehr aufaddiert werden. Wer jetzt neue Schulden macht, muss seinem Parlament und der Öffentlichkeit mittels eines Tilgungsplans aufzeigen, wie er sie in
wenigen Folgejahren konjunkturgerecht wieder ausgleichen kann.
({6})
Herr Ministerpräsident, Ihre Äußerungen haben eine
so anregende Wirkung auf Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, dass sich die Wünsche nach weiteren
Zwischenfragen mit einer bemerkenswerten Dynamik
entwickeln.
({0})
Möchten Sie die Zwischenfrage der Kollegin Höll
und eventuell auch die des Kollegen Gysi beantworten?
({1})
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({2}):
Ja.
Frau Höll.
({0})
Herr Ministerpräsident, wenn ich heute Abend in
Leipzig im Hauptbahnhof aus dem Zug steigen werde,
grüßt mich Ihr Bundesland mit einer großen Werbung:
Kommen Sie nach Baden-Württemberg! Werden Sie
Lehrer bei uns! So viel zum Thema „reichere und ärmere
Länder“. Sie haben immerhin noch so viel Geld, dass Sie
Lehrer aus Sachsen abwerben können.
({0})
Ich will Sie etwas fragen, was ich nicht ganz verstehe:
In den letzten Jahrzehnten haben die Parteien CDU,
CSU und SPD in der Bundesrepublik Deutschland die
Regierungsverantwortung getragen. Diese Parteien waDr. Barbara Höll
ren immer frei, keine Schulden zu machen. Sie haben
eine Steuersenkungspolitik gemacht: Senkung des Spitzensteuersatzes, Erbschaftsteuer entsprechend geregelt,
die Vermögensteuer ausgesetzt etc. pp. Jetzt wollen Sie
eine Schuldenbremse verankern. In Ihrem Handeln waren Sie doch bisher immer frei, keine Schulden zu machen.
({1})
Frau Kollegin, es wäre schön, wenn Sie tatsächlich
eine Frage stellen würden.
Ich komme jetzt zum Abschluss meiner Frage. Brauchen wir eine Schuldenbremse? Wozu brauchen Sie
die, wenn nicht nur, um sagen zu können: Wir müssen
weitere Sozialkürzungen vornehmen, das gebietet uns
das Grundgesetz? Machen Sie eine Steuersenkungsgrenze, dass die Staatseinnahmen wirklich bleiben! Sagen Sie einmal, was Sie davon halten!
Günther H. Oettinger, Ministerpräsident ({0}):
Frau Kollegin, das Grundgesetz regelt das Wesentliche, mit Geboten, mit Verboten, mit Werten und Rechten. Ich finde, wenn das Grundgesetz das wesentliche
Recht Deutschlands abbilden soll, dann sollte dort auch
eine Aussage zum Thema „grundsätzliches Schuldenverbot für künftige Haushaltsberatungen zugunsten unserer
Kinder und Enkelkinder“ stehen.
({1})
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Mit dem Freistaat Sachsen haben wir seit wenigen Tagen eine faire Vereinbarung. Wir wollen in Ihrem Land junge Lehrerinnen und
Lehrer werben, die in Ihrem Land studieren, dort aber
gar nicht gebraucht werden. Da bei Ihnen die Kinderzahl
zurückgeht, bei uns aber nicht, haben wir eine Vereinbarung, dass in den nächsten drei Jahren Lehrer aus Ihrem
Land bei uns eine Chance und damit Arbeit bekommen.
Trotzdem wird Bildung bei Ihnen möglich sein.
({2})
Ich glaube, das ist eine faire Partnerschaft im Interesse
der Lehrer und Kinder von Sachsen und BadenWürttemberg.
({3})
Wenn ich neben der Schuldenregel das Thema Konsolidierungshilfe ansprechen darf: Wir danken dem
Bund dafür, dass er bereit ist, die Hälfte der neunmal
800 Millionen Euro Hilfe zu finanzieren. Unstrittig ist,
dass der Bund strukturell mit Zinsen und Altschulden
stärker belastet ist als die Ländergemeinschaft insgesamt. Unstrittig ist aber auch, dass der Bund eher
handlungsfähig ist, weil er die Steuerentwicklung stärker
prägen kann. Er muss ein starkes Interesse an handlungsfähigen Ländern haben; denn wenn Bremen oder das
Saarland nicht mehr handlungsfähig wären, fiele dieses
Problem zuallererst dem Bund zu. Deswegen halte ich
die gesamtstaatliche Hilfe für das Saarland, Bremen,
Sachsen-Anhalt und Berlin
({4})
- und Schleswig-Holstein - für richtig und wegweisend.
Ich glaube, dass damit ein sinnvoller Anreiz für konsequente Haushaltspolitik in diesen Ländern gegeben wird.
Eine große Bedeutung messe ich dem Stabilitätsrat
bei, der aus dem Bundesfinanzminister, dem Bundeswirtschaftsminister und den 16 Finanzministern der Länder besteht. Ich bin davon überzeugt, dass unsere - richtigen - Regeln wirken werden, wenn sie durch den
Stabilitätsrat ins öffentliche Bewusstsein getragen werden. Er wird aufgrund seiner Kompetenz frühzeitig mahnende Worte finden und dem Bund und den Ländern in
den nächsten Jahren Vorschläge machen. Dem Stabilitätsrat messe ich von daher eine große Bedeutung bei.
({5})
Es wurde gefragt, warum das Ganze erst 2020 in
Kraft treten soll. Aus drei Gründen ist es notwendig, innerhalb weniger Jahre eine grundlegende Neuordnung
der öffentlichen Finanzen vorzunehmen:
Erstens. Der Aufbau Ost in seiner zweiten Stufe, aus
dem Soli finanziert, wird Ende 2019 stufenweise auf null
auslaufen. Spätestens dann sind die neuen Länder in das
allgemeine Finanzsystem zu integrieren.
Zweitens. Der Länderfinanzausgleich, der vor sieben
Jahren vereinbart wurde, seit vier Jahren in Kraft ist und
während seiner Laufzeit kaum kündbar ist, wird als Zeitgesetz Ende 2019 auslaufen.
Drittens. Spätestens dann werden - so lautet die Auflage - neben dem Bund auch alle Länder ihre Haushalte
im Regelfall ohne Schulden finanzieren.
Wir haben, wie ich denke, eine richtige Übergangszeit
gefunden, weil in der Mitte des nächsten Jahrzehnts im
Deutschen Bundestag und in den Ländern über eine
grundlegende Neuordnung der Finanzierung öffentlicher
Aufgaben sowie der Finanzströme zwischen Bund und
Ländern und zwischen Ländern zu beraten sein wird.
Mein Dank gilt den Kollegen, die in der Mehrzahl
konstruktiv mitgearbeitet haben. Ich nenne die Kollegen
aus dem Deutschen Bundestag und die Vertreter der
Bundesregierung, die Kollegen aus den Ländern und aus
dem Bundesrat, die Kollegen aus den Landtagen und den
Kommunen sowie in besonderem Maße den Kollegen
Dr. Struck, der menschlich angenehm, kompetent und
fair mit mir die Verhandlungen geführt hat.
({6})
Nochmals: Wer mit parlamentarischen Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat dieses Gebäude
aufbauen will - ich behaupte: ein größeres Gebäude ist
nicht erreichbar und wird nach der Bundestagswahl noch
viel schwieriger zu erreichen sein -, dem empfehle ich,
das Zeitfenster zu nutzen und bis Juli in Bundestag und
Ministerpräsident Günther H. Oettinger ({7})
Bundesrat das Gesamtkonzept unserer Kommission zu
beschließen.
Herzlichen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen: Herr
Ministerpräsident Oettinger, wir haben Ihre Worte sehr
genau gehört und Ihre Einlassung zur Bildungspolitik
registriert. Ich hoffe, dass Sie dann, wenn es um Geldbeziehungen und darum geht, dass der Bund den Ländern
Geld für die Bildung geben soll, auch die gleiche Einstellung einnehmen, wie Sie es hier gerade bei der Abgrenzung der Kompetenzen getan haben. Ich sehe, dass
die Länder beim Hochschulpakt die Hand aufhalten, um
Geld vom Bund zu bekommen, gleichzeitig aber immer
wieder großen Wert darauf legen, dass Bildungsangelegenheiten alleine in ihrer Kompetenz lägen. Hier passt
etwas nicht zusammen.
({0})
Zweite Vorbemerkung: Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie sollten heute nicht über die Frage urteilen, ob hier beim Thema Schuldenbremse, Schuldenabbau und Schuldenregulierung die richtige Entscheidung
getroffen wird, wenn wir für oder gegen diese Vorschläge stimmen.
({1})
Sie haben sich in dieser Frage verabschiedet, seitdem Sie
Ihr Bundestagswahlprogramm vorgelegt haben und in
einer Situation zu Steuersenkungen von 35 Milliarden
Euro aufrufen, in der das Land in einer massiven Krise
steckt. Seien Sie da also lieber ein bisschen ruhiger.
({2})
Meine Damen und Herren, bemerkenswert ist, dass in
dieser Debatte ein einziger Redner die Kommunen angesprochen hat. Das war mein Kollege Fritz Kuhn.
({3})
Wir reden hier über die Föderalismusreform, und bei Ihnen spielt das Thema Kommunen überhaupt keine Rolle.
Jetzt kommen Sie mir nicht mit dem Argument, die
Kommunen seien eine von den Ländern abgeleitete
Ebene. Ich wäre froh, wenn Sie dieses Argument dann
auch einmal in Ihren Wahlkreisen benutzten, wo Sie
sonst immer verkünden, wie wichtig die Kommunen und
deren Selbstverwaltungsgarantie seien. Eine vernünftige
Selbstverwaltungsgarantie für die Kommunen ist nur
dann gegeben, wenn klar ist, dass auch die Finanzausstattung stimmt. Sie weichen hier völlig aus. Dem
Thema der Finanzausstattung der Kommunen hat in den
Verhandlungen der Föderalismuskommission niemand
außer den Grünen Relevanz beigemessen.
({4})
- Dies sollten Sie einmal vor Ort in Ihrem Wahlkreis erklären, Herr Struck.
({5})
- Schreien Sie doch noch lauter, Herr Poß, oder stellen
Sie mir eine Zwischenfrage.
({6})
Wo sind denn Ihre Vorschläge für eine Altschuldenhilfe für Gelsenkirchen, für Oberhausen, für Hagen? Von
Ihnen kommt nichts außer die Ablehnung unserer Vorschläge, eine Altschuldenhilfe auch für die Kommunen
einzuführen. Das geht so nicht.
({7})
Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 107 Kommunen, die sich in einer dramatischen Finanzsituation befinden. Das ist auch in anderen Bundesländern so; ich
denke an Ostdeutschland, oder auch in Niedersachsen
gibt es hoch belastete Kommunen. Die Schere zwischen
armen und reichen Kommunen geht immer weiter auseinander. Die Vorschläge, die hier auf den Tisch gehört
hätten, zum Beispiel den Vorschlag einer Altschuldenhilfe für Kommunen, die beim Solidarpakt und bei der
Finanzierung der Einheit auch Verantwortung übernommen haben, haben Sie einfach ausgeblendet. Das ist auch
in Ihren Reden deutlich geworden. Das muss man den
Leuten vor Ort erzählen. Das geht so nicht. Sie gleiten
einfach unten durch.
({8})
Ich will noch ganz kurz auf etwas hinweisen: Was
passiert denn in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen
oder in Sachsen, wenn im Jahr 2020 die Verschuldung
der Länderhaushalte auf null sein soll? Glauben Sie
nicht, dass der Konsolidierungsdruck dort einfach nach
unten an die Kommunen weitergegeben wird, wenn Sie
nicht gleichzeitig sagen, wie die finanzielle Ausstattung
der Kommunen dauerhaft garantiert werden soll? Hier
haben Sie gekniffen; Sie haben das Problem einfach ausgeblendet und ausgesessen. Sie glauben, dass es vor Ort
keiner merkt. Wir werden dafür sorgen, dass die Themen
kommunale Finanzen und Mindestfinanzausstattung und
eine richtige Bewertung der Ergebnisse dieser Föderalismuskommission, die die Kommunen nicht berücksichtigen, vor Ort ankommen und wahrgenommen werden.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der Finanzminister von RheinlandPfalz, Herr Professor Deubel.
Dr. Ingolf Deubel, Staatsminister ({0}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Föderalismusreform II wird vor allem daran gemessen
werden, ob sich das Ziel einer dauerhaften Verringerung
der Defizite in den öffentlichen Haushalten tatsächlich
erreichen lässt. Dabei steht in der öffentlichen Wahrnehmung zumeist die Begrenzung der Neuverschuldung
- genauer gesagt: der strukturellen Neuverschuldung im Vordergrund. Die neue Regel wird in dieser Hinsicht
wesentlich strenger sein als das geltende Recht. Sie wird
aber vor allem auch in sich stimmiger sein. Denn das an
sich gut nachvollziehbare Prinzip einer Kreditaufnahme
bis zur Höhe der Investitionsausgaben ist vor allem beim
Bund und bei den Ländern mit schwer lösbaren Problemen verbunden.
Was genau sind die Investitionen in die Zukunft eines
Landes? Zählen wirklich nur die Schulgebäude dazu
oder auch die Ausgaben für das Lehrpersonal? Warum
wird der Verkauf öffentlichen Vermögens nicht gegengerechnet? Wie hoch sind die Abschreibungen auf den öffentlichen Kapitalstock? Zählt das Humankapital zum
Kapitalstock? Wird Vorsorge für Pensionsverpflichtungen geschaffen? All diese Probleme gibt es bei der neuen
Schuldenregel nicht, weil sich die Grenze pauschal auf
die aktuelle Wirtschaftskraft bezieht. Dies gilt richtigerweise jedoch nur für den Bundeshaushalt und die Länderhaushalte.
Bei den Kommunen, die nach wie vor rund
60 Prozent der öffentlichen Investitionen verantworten,
kann es beim bisherigen Haushaltsrecht bleiben; denn
das Haushaltsrecht ist Ländersache.
({1})
Das heißt, eine Neuverschuldung bis zur Höhe der jeweiligen Nettoinvestition ist grundsätzlich zulässig. Das
ist das geltende Haushaltsrecht der Kommunen. Die
Neuverschuldung muss allerdings in Übereinstimmung
mit der dauerhaften Leistungsfähigkeit der Kommunen
stehen.
In der Debatte ist von den Grünen eine Altschuldenhilfe für die Kommunen vorgeschlagen worden. Dazu
mache ich zwei klare Anmerkungen.
Erstes. Es wäre unmittelbar verfassungswidrig.
({2})
Der Bund hat hier keinerlei Zuständigkeit.
Zweitens. Sie würden die Länder aus ihrer Verantwortung entlassen,
({3})
innerhalb des Landes über den kommunalen Finanzausgleich einen entsprechenden Ausgleich herbeizuführen.
Das geht den Bund schlicht nichts an.
({4})
- Ja, natürlich. Ich vertrete das jederzeit offensiv; das ist
die Verfassungslage in Deutschland.
Der eigentliche Vorteil der neuen Schuldenregel für
Bund und Länder liegt aus meiner Sicht allerdings in einem anderen Punkt. Mit der neuen Regel wird es möglich, zwischen der strukturellen Verfassung der öffentlichen Haushalte und vorübergehenden Effekten, etwa
der konjunkturellen Entwicklung oder Sondersituationen, zu unterscheiden. Zu diesem Zweck wird es ein
Konjunkturbereinigungsverfahren geben. Dies klingt
technischer, als es ist. In Wahrheit wird es die Finanzpolitik hierzulande grundlegend verändern.
Erstens werden künftig die Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte im Konjunkturabschwung direkt
erkennbar und messbar sein, und damit auch der zusätzliche Kreditbedarf in schlechten Zeiten, weil ein Hinterhersparen im Abschwung die Krise nur verschärft. Es
gibt keinen seriösen Ökonomen, der diesem Grundsatz
widerspricht.
Zweitens wird aber auch deutlich, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen im Aufschwung wirklich nur
vorübergehend sind und deswegen insbesondere für dauerhafte Steuersenkungen nicht zur Verfügung stehen.
Bislang war das anders. Denn die Ausnahmeregelung
des Art. 115 des Grundgesetzes wurde, entgegen der
Idee von Keynes, einseitig genutzt: Im Abschwung wurden zusätzliche Kredite zugelassen, was ökonomisch
sinnvoll ist. Im Aufschwung wurden Mehreinnahmen
aber regelmäßig für Steuersenkungen verwendet, mit
dem Resultat, dass sich die Staatsverschuldung über den
Konjunkturzyklus hinweg stetig erhöhte
({5})
und der Staat an Handlungsfähigkeit und an Spielraum
für eine gestaltende Finanzpolitik verlor.
({6})
Die öffentlichen Haushalte sind in der Vergangenheit
nämlich vor allem in guten Zeiten ruiniert worden.
Das wird mit der Einhaltung der neuen Schuldenregel
in Zukunft nicht mehr möglich sein. Ich sage das sehr
deutlich und vor allem an diejenigen gerichtet, die unter
Verweis auf kommende Aufschwungzeiten schon heute
wieder massive Steuerentlastungen versprechen. Es waren im Übrigen genau die gleichen Mitglieder der Kommission, die in den Beratungen ohne Unterlass eine noch
striktere Schuldenregel gefordert haben.
({7})
Die Widersprüchlichkeit dieser Argumentation wird
durch die neue Schuldenregel nun auch dem Letzten
deutlich vor Augen geführt.
Die neue Schuldenregel macht eines deutlich: Neue
massive Steuersenkungen werden in Deutschland bis
auf Weiteres ausgeschlossen sein; denn sie wären gleichbedeutend mit einem vorsätzlichen Verfassungsbruch.
Dies gilt im Übrigen auch deswegen, weil es in vielen
öffentlichen Haushalten heute noch ein Defizit gibt, das
mit der neuen Schuldenregel nicht vereinbar ist. Ich sage
dies nicht zuletzt mit Blick auf den Bundeshaushalt, auf
den bis zum Jahre 2016 erhebliche und in den Gesetzentwürfen auch ausdrücklich genannte Konsolidierungsschritte zukommen werden.
({8})
Die Einbeziehung der Länderhaushalte in die neue
Schuldenregel ist vor diesem Hintergrund richtig. Sie ist
für die Länder auch leistbar, und zwar gerade deshalb,
weil für Bund und Länder dann gemeinsam die Verpflichtung besteht, auf steuerpolitische Experimente zu
verzichten.
({9})
Die neue Regel wird deshalb zumindest für die nächsten
sieben bis zehn Jahre wie eine Steuersenkungsbremse
wirken. So lange wird es nämlich dauern, bis die strukturellen Defizite beim Bund und bei allen Ländern abgebaut sein können.
({10})
Dieser Weg wird zwischen 2011 - in diesem Jahr
muss mit dem Abbau der strukturellen Defizite gestartet werden, und es darf nicht länger gewartet werden
- und 2020 - in diesem Jahr muss der Abbau der strukturellen Defizite abgeschlossen sein - sehr steinig werden.
Einige Länder, die in einer besonders schwierigen Haushaltssituation sind, werden diese Herausforderung nur
aufgrund der solidarischen Hilfe von Bund und Ländern
- sie hat in den nächsten neun Jahren einen Umfang von
7,2 Milliarden Euro - bewältigen können.
Ich bin ziemlich sicher, dass es verfassungsrechtlich
zulässig ist, für die Kreditaufnahme von Bund und Ländern gleichermaßen geltende Prinzipien im Grundgesetz
zu verankern. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung
aller Beteiligten für die gesamtstaatliche Verschuldung.
Der Vertrag von Maastricht legt das bereits heute fest.
Das bündische Prinzip, das solidarische Einstehen füreinander in Notlagen, verlangt im Gegenzug, dass sich
alle Beteiligten an gemeinsam verabredete Regeln halten.
Bei der Umsetzung der neuen Schuldenregel haben
die Länder zudem einen erheblichen eigenen Gestaltungsspielraum, vor allem was den Umgang mit
konjunkturellen Schwankungen und mit Ausnahmesituationen betrifft. Gerade mit Blick auf die Konjunkturkomponente stellt sich die Aufgabe wahrscheinlich sogar leichter dar als beim Bund, weil die Länderhaushalte
von der Wirtschaftsentwicklung praktisch ausschließlich
auf der Einnahmeseite betroffen sind. Vorschläge für ein
solches System - ich nenne als Stichwort das bewährte
Konzept des rheinland-pfälzischen Stabilisierungsfonds liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch.
Bei der geplanten neuen Schuldenregel handelt es
sich um eine vernünftige, verlässliche und verantwortungsvolle Grenze, die den Interessen von heutigen und
künftigen Generationen gleichermaßen Rechnung trägt.
Die neue Regel legt die strukturelle Haushaltslage offen
und wird damit verhindern, dass es wie bisher zu einer
Erosion der Finanzierungsgrundlagen des Staates in konjunkturell guten Zeiten kommt. In Notsituationen wie
derzeit wird der Staat weiterhin auch kurzfristig und in
vollem Umfang handlungsfähig sein.
Es gibt gute Gründe, dieses sinnvolle Vorhaben zu unterstützen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als im Dezember 2006 die Föderalismuskommission II
hier eingesetzt wurde, waren die Reden einerseits von
der Entschlossenheit geprägt, etwas für die Stabilität und
gegen den Schuldenstaat zu unternehmen, und andererseits auch von der Skepsis - ich habe das noch einmal
nachgelesen; Herr Struck hat von einer Herkulesaufgabe
gesprochen -,
({0})
ob wir etwas schaffen und zustande bringen würden.
Lieber Herr Ministerpräsident und lieber Herr Kollege
Struck, unter diesen Aspekten muss ich sagen: Herzlichen Glückwunsch. Ich glaube, es ist etwas Hervorragendes gelungen, was viele damals, im Dezember 2006,
nicht vorhergesagt hätten.
({1})
Wir haben drei Themenkomplexe, die heute schon angesprochen wurden:
Erstens geht es um die Frage, wie wir für die Länder
und den Bund die Möglichkeit neu regeln, Kredite aufzunehmen; Stichwort: Schluss mit der Schuldenmacherei.
Zweitens stellt sich die Frage, wie wir im Übrigen
auch dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nachkommen können, ein Frühwarnsystem für schwierige
Haushaltslagen in bestimmten Bereichen - zum Beispiel
der Länder - einzurichten.
({2})
Ein Stabilitätspakt wurde eingerichtet, mit dem auch
symbolisiert wird, wie wichtig die Stabilität der öffentlichen Haushalte in diesem Land ist.
Der dritte wichtige Komplex, den wir angegangen
sind, war die leichtere Zusammenarbeit von Bund und
Dr. Ingolf Deubel, Staatsminister ({3})Staatsminister Dr. Ingolf Deubel ({4})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({5})
Ländern und der Länder untereinander in verschiedenen
Bereichen - auch in neuen Bereichen, die sich ergeben.
Vor 60 Jahren, als das Grundgesetz geschrieben wurde,
kannte man noch nicht die IT-Netze und die modernen
Kommunikationsmöglichkeiten. Deswegen war es notwendig, dass wir auch auf neue Entwicklungen mit
Kompetenzabgrenzungen in der Verfassung reagiert haben. Das war der dritte wichtige Bereich, der auch erfolgreich gestaltet worden ist.
Kernstück ist die Schuldenregelung oder, wie sie
überall heißt, die Schuldenbremse. Vor 40 Jahren hat die
Große Koalition die Tür zu einem Schuldenstaat aufgestoßen. Eine Regierung nach der anderen ist durch diese
Tür gegangen. Karl Schiller war der Erste, der das Verhängnisvolle an diesem Weg erkannt hat. Er ist damals
zurückgetreten, weil er gesagt hat: Verschuldung, Steuererhöhungen und Ausgabenprogramme, das ist nicht der
richtige Weg. Die Große Koalition hat heute, 40 Jahre
später, die Chance, diese Tür, die damals zum Schuldenstaat geführt hat, wieder zuzumachen. Ich denke, dass
wir diese Chance auch genutzt haben.
Der Irrtum im Zusammenhang mit der Schuldenregel
war bisher, dass der Staat dann, wenn er Kredite in
schlechten Zeiten aufnimmt, sie in guten Zeiten auch
wieder zurückzahlen würde. Es gibt das berühmte Zitat
von Schumpeter, das Franz Josef Strauß in vielen Variationen immer wieder verwendet hat. Es lautet: Eher legt
sich der Mops einen Wurstvorrat an, als dass das Parlament Geld nicht ausgibt, das da ist.
({6})
- Auch Späth hat Schumpeter zitiert. Ich will das gar
nicht bestreiten.
Genau das ist das Problem. Das Verwerfliche ist
nicht, in Not- bzw. schwierigen Zeiten Schulden zu machen und Kredite aufzunehmen, verwerflich ist es, in guten Zeiten diese Schulden und Kredite nicht zurückzuzahlen, sie aufzuhäufen und künftige Generationen
damit zu belasten.
Es war genau die Aufgabe der Kommission, einen
Mechanismus zu finden, der die Schuldenaufnahme in
schwierigen Zeiten und schwierigen Situationen ermöglicht, aber gleichzeitig sicherstellt, dass in besseren Zeiten die Tilgung dieser Schulden erfolgt. Das Prinzip
heißt „ausgeglichener Haushalt“. Wie für jeden Privatmann, jede Familie und jedes Unternehmen gilt: Man
muss sich nach der Decke strecken. Es kann nur das ausgegeben werden, was man eingenommen hat. Deswegen
gilt das Prinzip „Einnahmen gleich Ausgaben“.
({7})
Dass wir eine kleine Toleranz von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mit einbauen mussten,
({8})
heißt nicht, dass man diesen Spielraum ausschöpfen
muss. Wir wollten nur sicherstellen, dass der Haushaltsentwurf mit einem geringen Defizit nicht gleich verfassungswidrig ist. Wir gehen aber davon aus, dass es bei
dem Prinzip „Einnahmen gleich Ausgaben“ bleibt.
Zweitens muss der Staat auch dann handlungsfähig
bleiben, wenn die Konjunktur einbricht, die volkswirtschaftlichen Kapazitäten nicht voll genutzt werden können und eine Produktionslücke entsteht. Hier ist im
europäischen Stabilitätspakt eine Formel entwickelt
worden, die funktioniert und nicht manipulationsanfällig
ist. Danach ist bei einem Konjunktureinbruch eine höhere Kreditaufnahme möglich, wenn dies notwendig ist,
um die staatlichen Aufgaben weiter wahrzunehmen.
Wenn die Konjunktur wieder läuft, muss aber nach derselben mathematischen Formel und derselben Automatik
die Rückzahlung der Kredite erfolgen. Die Tilgung darf
nicht der politischen Entscheidung eines Parlamentes
- wie mit dem Mops und dem Wurstvorrat - beliebig anheim gegeben werden, sondern sie muss entsprechend
mathematischer Formeln tatsächlich erfolgen.
Drittens sind entsprechende Regelungen für eine Notsituation vorgesehen. Es ist zwar schwierig, die Notsituation verfassungsgemäß und justiziabel abzugrenzen
- dabei werden sicherlich noch Probleme auftreten -,
aber entscheidend ist nicht die Frage, ob die Notsituation
hundertprozentig definiert worden ist. Entscheidend ist
vielmehr, dass in der Verfassung festgeschrieben wird,
dass bei Verschuldung in einer Notsituation ein Tilgungsplan erstellt werden muss, wie ihn auch jeder Unternehmer, der bei der Bank einen Kredit beantragt, erstellen muss. Das Wichtige und Neue an dieser Regelung
besteht, glaube ich, darin, dass wir ein Parlament, das
eine höhere Verschuldung beschließt - die im Einzelfall
gerechtfertigt ist -, zwingen, diese Schulden zu tilgen.
({9})
Ich habe verstanden, dass die Sozialisten das nicht
wollen. Kollege Wissing hat darauf hingewiesen, dass
seitens der Linken für neue Schulden gekämpft wurde.
Wenn Sozialismus heißt, dass man auf Kosten der Zukunft lebt,
({10})
dann ist das eine zusätzliche Begründung dafür, warum
der Sozialismus kläglich gescheitert ist. Das ist ein
Grund mehr, warum ich kein Sozialist bin.
({11})
Ich will nicht auf Kosten meiner Nachfolger, meiner
Kinder und Enkel leben. Mit Ihrer Schuldenphilosophie
sind Sie auf dem Holzweg.
({12})
Entscheidend ist, dass wir mit der Schuldenbremse
gerade in der Wirtschaftskrise ein wichtiges Signal an
die Menschen in diesem Lande aussenden. Dieses Signal
heißt: Der Staat sorgt auch in einer schwierigen Situation
für Stabilität. Das gilt auch für die Währung. Dieses
Dr. Hans-Peter Friedrich ({13})
Stabilitätssignal ist gerade jetzt in der Wirtschaftskrise
von ganz entscheidender Bedeutung. Deswegen ist die
Schuldenbremse gerade jetzt richtig und notwendig.
Ich sehe - wie einige andere Kollegen, wie ich heute
der Presse entnommen habe - durchaus die Notwendigkeit, dass es auch in künftigen Legislaturperioden neue
Föderalismuskommissionen geben wird. Denn der Föderalismus steht mit den Veränderungen in der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Technik vor neuen Herausforderungen, denen er gerecht werden muss.
Es gibt bereits eine wichtige Aufgabe, die wir einer
neuen Föderalismuskommission übriggelassen haben,
nämlich die Frage, wie wir es schaffen, die Kompetenzen der Länder mit einer stärkeren finanziellen Eigenverantwortlichkeit zu unterlegen und sie von der Zuständigkeit des Bundes zu trennen. Ich darf daran erinnern,
dass wir vonseiten des Bundes in der Kommission mehr
Steuerautonomie der Länder vorgeschlagen haben. Das
ist von der Mehrheit der Länder mit der Begründung abgelehnt worden, dass eine größere Flexibilität im Steuerbereich auch genutzt werden müsste, und das wollten sie
nicht. Ich sehe hier noch dringenden Handlungsbedarf in
der Zukunft. Hier sollen den Aufgaben und den Möglichkeiten künftiger Föderalismuskommissionen keine
Grenzen gesetzt werden.
In der Föderalismuskommission und hier im Hause
herrscht Konsens darüber - so denke ich -, dass der Föderalismus die richtige Staatsform für dieses Land ist.
Dass die Linken das nicht wollen, habe ich heute einmal
mehr verstanden. Bei den Grünen habe ich aufgrund der
heutigen Zwischenfrage des Kollegen Wieland Zweifel
bekommen. Föderalismus bedeutet, dass demokratisch
gewählte Parlamente in den Ländern - sie sind näher an
den Menschen - Aufgaben haben, die sie eigenverantwortlich erfüllen, und dass der Bund die Aufgaben wahrnimmt, die dort nicht wahrgenommen werden können.
Nun kann man darüber streiten, was in den einen und
in den anderen Bereich gehört; das war Gegenstand der
Föderalismuskommission I. Darüber kann man immer
wieder streiten. Aber es ist nicht richtig, die Kompetenzzuweisungen durch Finanzprogramme zu verwischen und zu verwässern. Wenn die Länder in einem Bereich die ausschließliche Zuständigkeit haben, dann
kann der Bund nicht riesige Ausgabenprogramme auflegen, die Länder quasi am goldenen Zügel durch die Manege führen und sagen: Ihr bekommt nur dann Geld,
wenn ihr dieses oder jenes macht. - Dann ist die Kompetenz der Länder vernichtet. Dann handelt es sich um eine
antiföderalistische Regelung. Deswegen haben wir uns
richtigerweise darauf verständigt, dass der Bund nur
dann in die Regelungskompetenzen der Länder finanziell eingreifen darf, wenn Notsituationen bestehen. Das
ist auch gerechtfertigt. In Notsituationen muss man zusammenstehen und handeln können. Aber das darf nicht
sozusagen ins Belieben des Bundes gestellt werden.
Wir haben insgesamt sehr gute Arbeit geleistet. Ich
bedanke mich bei den Kollegen der SPD für die gute Zusammenarbeit und die vielen Einzelgespräche, Vieraugengespräche, Sechsaugengespräche und Zehnaugengespräche, ebenso bei den Kollegen der FDP für die
hervorragende Zusammenarbeit. Ich glaube, die Politik
hat in einer schwierigen Phase bewiesen, dass sie handlungsfähig ist. Das ist eine gute Nachricht.
Ich danke Ihnen.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Rudolf Körper
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein gutes Geschäft besteht immer darin, dass beide Seiten zufrieden sind. Das ist die Voraussetzung dafür, dass
man weitere Geschäfte machen kann; denn ein Geschäft,
bei dem beide Seiten zufrieden sind, schafft Vertrauen.
Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Basis, um auch
schwierige Materien einer Entscheidung zuführen zu
können.
Wenn wir über das Thema Föderalismus und dessen
Fortentwicklung reden, dann stellen wir fest, dass wir es
mit deutlichen Interessengegensätzen zu tun haben, beispielsweise bei den Fragen nach Zuständigkeit und Geld.
Wir haben es mit dem nun vorliegenden Ergebnis geschafft, die Interessengegensätze fair auszutarieren. Dass
wir diese Fähigkeit an den Tag gelegt haben, ist kein
Zeichen der Schwäche, sondern ein Zeichen der Stärke.
Deswegen bin ich der Auffassung: Wir sollten versuchen, die getroffenen Entscheidungen mit Mehrheiten zu
versehen.
({0})
Ich möchte es nicht unerwähnt lassen, dass die Väter
und Mütter des Grundgesetzes vor 60 Jahren sehr gute
Entscheidungen getroffen haben, weil sie bestimmte historische Erfahrungen berücksichtigt haben.
({1})
Das Grundgesetz sieht in wesentlichen Teilen dezentrale
Strukturen vor. Ich bin der Auffassung - das ist schon
bei den bisherigen Redebeiträgen angeklungen -, dass
wir trotz der Tatsache, dass die mit dem Grundgesetz geschaffene Demokratie das beste gesellschaftspolitische
System ist, das es jemals auf deutschem Boden gab, die
Fähigkeit behalten müssen, über bestimmte Entwicklungen nachzudenken und gegebenenfalls Entscheidungen
zu treffen.
({2})
Deswegen ist es wichtig, zu sehen: Wo haben wir
welche Herausforderungen? Diese Herausforderungen,
die wir vor 60 Jahren in dieser Form nicht gekannt haben, beispielsweise den Klimawandel, die demografische Entwicklung oder die Finanzmarktkrise - da ließe
sich noch einiges hinzufügen -, sind zu beschreiben.
Unsere Verfassung sieht die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern vor. Die Debatte entzündet sich
an dem sogenannten Kooperationsverbot. Das hat
schon bei der letzten Föderalismuskommission eine
Rolle gespielt. Ich habe noch einmal nachgelesen, was
dazu in der Begründung des Gesetzes zur Föderalismusreform 2006 stand. In der Begründung wird lang und
breit darauf hingewiesen, in welchen Fällen trotz der
Neuregelung Finanzierungshilfen des Bundes weiterhin
möglich sind. Hervorgehoben wurde auch, dass das 2003
verabredete Investitionsprogramm „Zukunft Bildung
und Betreuung“ dennoch weiter gilt. Eine weitere inhaltliche Begründung für das Kooperationsverbot sucht man
hier vergebens.
Es ist legitim, dass wir uns mit dieser Frage sehr
ernsthaft auseinandersetzen. Peter Struck und den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion war es sehr wichtig - das will ich nicht verhehlen -, dass wir das Thema
Lockerung des Kooperationsverbots auch in die jetzige
Kommissionsarbeit eingebracht haben. Die Bewältigung
der Wirtschaftskrise zeigt, wie wichtig es ist, ein Instrument zu haben, das verfassungsrechtlich nicht infrage
gestellt wird. Deswegen bin ich für unseren Reformansatz und werbe dafür, diesen in das Grundgesetz aufzunehmen.
({3})
Ich habe gesagt: Wir müssen die Fähigkeit behalten,
auf Entwicklungen zu schauen. Die Väter und Mütter
des Grundgesetzes, lieber Herr Burgbacher, haben IT
nicht gekannt.
({4})
Deswegen konnte darauf nicht reagiert werden. Die Fähigkeit, einen Kompromiss für die Bewältigung dieses
Themas gefunden zu haben, darf man nicht gering erachten. Man muss wissen, dass Lösungen für den IT-Bereich nicht nur mit Kompetenz, sondern auch mit viel
Geld zusammenhängen.
Zukünftig wird es so sein, dass die Verantwortung für
die Sicherheit der länderübergreifenden Netzinfrastruktur beim Bund liegt. Das war schwierig und hart erkämpft. Aber es war von der Sache her notwendig. Gleiches gilt für die Regelung, dass ein neues System der ITSteuerung von Bund und Ländern eingerichtet wird.
Wichtige Koordinierungsaufgaben erledigt dann ein Planungsstab. Weitere Einzelheiten sollen durch Staatsvertrag und Verwaltungsabkommen verbindlich festgelegt
werden.
Lieber Herr Oettinger, ich sage Ihnen, dass wir über
die Regelung bei dem Thema Staatsvertrag nicht begeistert waren; das ist bekannt. Aber das zeigt die Fähigkeit
zum Kompromiss. Unser Einwand zur Staatsvertragsregelung war, dass der Langsamste nicht das Tempo bei
notwendigen Entscheidungen bestimmen soll. Aber die
vorliegende Einigung ist ein Beweis für unsere Kompromissfähigkeit.
Wir haben ebenfalls Regelungen zu dem Thema
Benchmarking vorgeschlagen. Auch das darf man für
die zukünftige Entwicklung nicht gering erachten. Wir
haben übrigens einige sehr gute Regelungen für Effektivitäts- und Effizienzverbesserungen im Bereich der
Steuerverwaltung gefunden. Ich nenne nun auch noch
das Stichwort „Krebsregister“, bei dem wir zu einer
Einigung gekommen sind. Neben der Frage der Schuldenbremse sind wir bei vielen anderen Punkten zu einem
beachtlichen Ergebnis gekommen, und zwar zum Wohle
der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Jochen-Konrad Fromme das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gilt der Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehr
ausgeben, als er einnimmt. Das gilt für den Staat, und
das gilt für den Privathaushalt. Wir wissen, dass nur vor
dem Hintergrund geordneter Haushalte eine vernünftige
wirtschaftliche Entwicklung stattfinden kann. Deswegen
müssen wir etwas ändern, und deswegen wollen wir etwas ändern. Wenn wir diesen Grundsatz in der Vergangenheit eingehalten hätten, dann müssten wir nicht
43 Milliarden Euro für Zinszahlungen im Haushalt veranschlagen, und wir könnten mit dem ersparten Geld
viel Gutes tun. Herr Kollege Gysi, Sie versuchen, den
Eindruck zu erwecken, wir würden Kindern Bildungschancen nehmen. Sie und Ihre Vorgänger sind zu
50 Prozent an diesen Zinsen schuld, weil wir Schulden
für den Wiederaufbau aufnehmen mussten. Sie sind dafür verantwortlich, nicht wir.
({0})
Kollegin Haßelmann meint, die Kommunen seien zu
wenig berücksichtigt. Ich kann Ihnen sagen, dass sie in
der Diskussion eine sehr große Rolle gespielt haben.
Heute aber reden wir über ein Bundesgesetz und über
das Grundgesetz. Die Kommunen sind Teile der Länder
und kommen deshalb nicht vor. Deswegen werden sie in
der heutigen Debatte nicht so stark berücksichtigt. Aber
schauen Sie sich bitte einmal die Finanzlage der Kommunen, der Länder und des Bundes an. Dann werden Sie
sehen, dass die Kommunen - ich sage: noch - einen
positiven Finanzierungssaldo haben, die Länder einen
ausgeglichenen Saldo haben und der Bund das eigentliche Problem ist.
({1})
Deswegen können die Kommunen in der Diskussion
keine größere Rolle spielen.
({2})
Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen vorstellen können, insbesondere was die Beschränkung der Kreditaufnahme zum Zwecke des Haushaltsausgleichs betrifft. Aus meiner Sicht hätten die
Länder, was die Einnahmeseite betrifft, eine größere Autonomie erhalten müssen.
({3})
Das war nicht durchsetzbar, aber wir können möglicherweise in Zukunft noch etwas ändern.
Meine Damen und Herren, als die Kommission ihre
Arbeit begonnen hat, hatten wir völlig andere Zeiten.
Alle waren der Überzeugung, dass das Schuldenmachen ein Ende haben muss. Leider ist diese Überzeugung in den letzten Monaten etwas abgebröckelt. Ich
kann nur sagen: Wer die Erfahrungen der vergangenen
Jahre auswerten und es in Zukunft besser machen will,
der muss diesem Gesetz am Ende zustimmen. Wir brauchen einen Wechsel in der Politik. Deswegen kann ich
denjenigen, die heute noch zögerlich sind, nur raten, sich
mit den Erfahrungen der Vergangenheit zu beschäftigen.
Dann werden sie am Ende zustimmen. Ich bin froh, dass
das Thema, das im letzten Herbst fast untergegangen
wäre, durch die Maßnahmenpakete wieder auf die Tagesordnung gekommen ist. Ich glaube, es war klug und
richtig, mit den Maßnahmenpaketen schon jetzt das neue
Recht im Voraus anzuwenden; denn wir haben die Tilgung gleich mit auf den Weg gebracht. Insofern haben
wir etwas geändert.
Ich glaube - das will ich deutlich machen -, dass es
einen vierfachen Paradigmenwechsel gibt.
Erstens. Alle Schulden, die in Zukunft aufgenommen
werden, werden wieder getilgt. Das ist etwas Neues. Das
wird verhindern, dass der Schuldenberg weiter wächst.
({4})
Zweitens. Diese Regeln gelten nicht wie bisher nur
für die Aufstellung des Haushalts, sondern sie gelten
auch für den Vollzug. Das ist insofern wichtig, als wir in
der Vergangenheit sehr große Abweichungen - ob geplant oder ungeplant - hatten. Diese Fehlerquelle ist auf
jeden Fall ausgeschlossen.
Drittens. Wir werden in Zukunft Verkaufserlöse nicht
mehr zur Finanzierung struktureller Ausgaben verwenden können, weil diese abgezogen werden. Auch das ist
ein wichtiger Punkt; denn wir haben über Jahrzehnte von
der Substanz gelebt, was unsere Situation deutlich erschwert hat.
Viertens. Auch Sondervermögen werden in Zukunft
diesen Regeln unterworfen, sodass eine Umgehung der
Regeln ausgeschlossen ist.
Einer der wichtigsten Änderungspunkte, die aus der
Erfahrung von 1969 resultieren, ist, dass wir die Rückführung der Verschuldung nicht mehr von politischen
Entscheidungen abhängig machen, sondern den Mechanismus eines Kontrollkontos einführen. Damit muss die
Diskussion, ob der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir
zurückzahlen müssen, nicht mehr geführt werden. Wir
haben die Diskussion in der Vergangenheit immer so
lange geführt, bis wir im nächsten Loch waren, und dann
haben wir die Rückzahlung wieder unterlassen. Das war
ein Punkt der Finanzreform von 1969, der falsch geregelt worden ist. Ich hoffe, dass wir aus den Erfahrungen
gelernt haben und dass die Regelungen, die wir jetzt
schaffen, wesentlich dichter sind.
Wenn man sich mit der Reform des Jahres 1969 beschäftigt, dann stellt man fest, dass auch damals ein relativ strenges Schuldenregime im Konzept stand. Allerdings konnte man es ohne Weiteres unterlaufen, sodass
das Ganze aus dem Ruder gelaufen ist. Wir haben jetzt
das Instrument des Stabilitätsrates eingeführt, damit die
Vorgänge zumindest transparent sind. Außerdem wird
auf diesem Wege politischer Druck erzeugt, sich wirklich an die Regelungen zu halten.
Was das Kooperationsverbot betrifft, waren wir sehr
unterschiedlicher Auffassung. Ich muss ganz deutlich sagen: Wir haben damals die Trennung der Ebenen als
Heldentat gefeiert; schließlich wollten die Kommunen
vor Übergriffen des Bundes geschützt werden. Dass wir
das gleich im ersten Sturm infrage stellen, hat mich - das
muss ich wirklich sagen - sehr berührt. Das ist für mich
nur deshalb akzeptabel, weil das Ganze ohne Kompromiss in dieser Frage gescheitert wäre. Am Ende muss
man abwägen, ob das, was wir machen, besser als das
ist, was wir hatten. Da das so ist, habe ich dem zugestimmt. Dennoch muss ich sagen: Ich finde das in der
Sache nicht richtig.
Wenn es 1949 IT gegeben hätte, dann hätte der Bund
dafür genauso die Kompetenz bekommen, wie er sie für
die Währung und das Messwesen erhalten hat; das ist
völlig klar. Die jetzt gefundene Lösung ist die zweitbeste. Wichtig ist, dass wir in zentralen Fragen des ITBereichs mit Mehrheit entscheiden. Es bedarf nicht mehr
der Zustimmung aller 16 Länder und des Bundes. Dass
das bisher so war, ist doch das, woran wir gescheitert
sind, Stichwort „Fiskus“ und „Digitalfunk“. Auch hier
gilt: Das Erreichte ist viel besser als das, was wir bisher
hatten.
Ich höre, dass in manchen Fraktionen dieses Hauses
- auf manche brauchen wir keinen Wert zu legen, weil
sie es sowieso nicht lernen werden - immer noch große
Bedenken bestehen. Ich kann nur fragen: Wenn nicht
jetzt, wann dann? Alle sind aufgefordert und herzlich
eingeladen, an diesem Wege mitzuwirken.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/12410 und 16/12400 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-
sen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b
auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Koppelin, Birgit Homburger, Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Bürokratische Belastungen statistischer Erhe-
bungen für das Handwerk
- Drucksachen 16/7783, 16/10022 -
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Mitte stärken - Mittelstand ins Zentrum
der Wirtschaftspolitik rücken
- Drucksache 16/12326 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für die
FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung diskutiert über Opel, Schaeffler und
Conti. Die Regierung gibt Geld für Rettungsschirme und
Abwrackprämien aus. Um die großen Firmen kümmert
sich die Große Koalition. Hier wird in großem Stil Industriepolitik für einzelne Unternehmen gemacht. Die
schwarz-rote Wirtschaftspolitik scheint sich nur noch für
Glamour und Großkonzerne zu interessieren. Der Mittelstand gerät bei Schwarz-Rot immer mehr aus dem Blick.
({0})
Die 3,3 Millionen mittelständischen Betriebe in
Deutschland brauchen endlich einen Anwalt in der Regierung. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die weniger auf Times Square und mehr auf Werkstatt, weniger
auf Show und mehr auf Substanz ausgerichtet ist. Der
Mittelstand braucht wieder eine Stimme in Deutschland.
Das Bundeswirtschaftsministerium sollte sich als
Mittelstandsministerium verstehen. Das sollte auch im
Namen des Ministeriums seinen Ausdruck finden. Dann
würde sich die Bundesregierung vielleicht öfter daran erinnern, wer unseren Staat eigentlich trägt. Wer sich um
25 000 Opel-Mitarbeiter - zu Recht - sorgt, der sollte
sich ebenso um 30 Millionen Mitarbeiter der mittelständischen Betriebe in Deutschland sorgen.
({1})
Die Bundesregierung vernachlässigt die breite Mitte
in Deutschland. Ich frage mich: Was hat die Mitte dieser
Bundesregierung eigentlich getan, dass sie so schlecht
behandelt wird? Die Regierung beruft sich in Sonntagsreden gern auf Ludwig Erhard. Erhard stand aber für
Schumpeter’sche Pionierunternehmen; sie standen im
Mittelpunkt seiner Wirtschaftspolitik. Der mittelständische Unternehmer, der initiativ ist, der Verantwortung
für seine Mitarbeiter trägt, und zwar in jeder Hinsicht,
wird von dieser Bundesregierung seit Jahren ignoriert.
Auch da frage ich mich: Was haben die Mittelständler
dem Bundeswirtschaftsminister eigentlich getan?
Das Einzige, was Schwarz-Rot noch hinbekommt, ist
die Ausweitung der Abwrackprämie. Herr von und zu
Guttenberg hat noch im Januar im Zusammenhang mit
der Abwrackprämie behauptet - ich zitiere -:
Unser Konjunkturpaket soll Arbeitsplätze in
Deutschland sichern und nicht Arbeitsplätze in
Fernost.
Am lautesten haben sich vorgestern die Fahrzeugimporteure gefreut. Die mittelständischen Gebrauchtwagenhändler schauen in die Röhre. Wenige haben einen Vorteil. Alle müssen dafür bezahlen. Selbstständige
Unternehmer, Handwerker, Kaufleute, Freiberufler, mittelständische Industriebetriebe - diese tragen die deutsche Wirtschaft; sie sorgen für Wettbewerb in Bezug auf
Qualität und Preis. Nur über Wettbewerb entstehen neue
Ideen, nur Wettbewerb führt zu Initiativen und neuen
Produkten. Deshalb müssen diese in die Lage versetzt
werden, ihre Rolle voll wahrzunehmen und auszuüben.
({2})
Mittelständische Betriebe müssen zahllose Bau- und
Sicherheitsvorschriften beachten und versorgen die Regierung und die Statistikämter mit einem Meer von Daten, obwohl sie dafür eigentlich keine Personalkapazitäten und keine Zeit haben. Das stellt für viele kleine
Betriebe eine große Belastung dar. Doch statt Anerkennung ernten sie von dieser Bundesregierung noch mehr
Belastung, noch mehr Bürokratie, noch kompliziertere
Gesetze: Das Antidiskriminierungsrecht und andere Beispiele könnte man erwähnen, aber allen voran die Unternehmensteuerreform. Der Bundesfinanzminister hat den
Unternehmen vorgegaukelt, dass sie alle entlastet werden. Was ist herausgekommen? Die Steuerreform stellt
sich in der Krise für viele Unternehmen als existenzgefährdend heraus.
Ich darf ankündigen: Die FDP hat einen eigenen Gesetzentwurf unter der Federführung meines Freundes
Otto Solms erarbeitet. Wir geben Ihnen damit die
Chance, genau die Korrekturen an der Unternehmensteuerreform vorzunehmen, die zwingend notwendig
sind.
({3})
Was haben die Mittelständler dem Bundesfinanzminister getan? Die Zinsschranke und die Zurechnung bei
der Gewerbesteuer führen dazu, dass Steuern auf Kosten
gezahlt werden müssen. Auf die Idee muss man erst einmal kommen, auf Kosten Steuern zu erheben, quasi aus
der Substanz der Betriebe heraus! Sie merken jetzt hoffentlich, was für einen Unsinn Sie gemacht haben, bekommen kalte Füße und sind bereit, dies zu korrigieren.
Die Abschaffung der Möglichkeit zum Verlustrücktrag bewirkt, dass die finanzielle Lage von Unternehmen
in schlechten Zeiten noch klammer wird. Die Istbesteuerung bei der Mehrwertsteuer nur für Unternehmen mit
weniger als 250 000 Euro Umsatz bedeutet, dass viele
Mittelständler dem Staat einen dauerhaften zinslosen
Kredit von oft mehreren 100 000 Euro einräumen. Das
Vorziehen des Termins für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen hat eine Belastung in Höhe von
4 Milliarden Euro gerade für die mittelständischen Betriebe in Deutschland mit sich gebracht. Der Finanzminister hat sich die Kassen vom deutschen Mittelstand
kräftig füllen lassen. Das ist die Realität.
({4})
Sie haben die Mitte so drangsaliert, dass man fürchten
muss, dass viele Mittelständler die Konjunkturkrise
nicht überstehen. Dadurch, dass Sie so viele mittelstandsfeindliche Gesetze erlassen haben, spielen Sie mit
Millionen Arbeitsplätzen. Das Schlimmste daran ist: Die
Bundesregierung hat die Bedingungen für den Mittelstand sehenden Auges verschlechtert. Es gab Warnungen
genug, nicht nur von uns in diesem Hause, sondern auch
aus der Wirtschaft und von anderen. Diese wurden ignoriert. Sie wussten, was Sie taten, meine Damen und Herren von der schwarz-roten Koalition. Ihnen war der Mittelstand gleichgültig. Er hatte für Sie keine Priorität.
({5})
Ich bedaure sehr, dass mit dem Kollegen Wend heute
zum letzten Mal einer für die SPD spricht, der wenigstens den Mittelstand bei seiner Politik noch im Auge
hatte. Auch der CDU gehen ja die Marktwirtschaftler
reihenweise von der Fahne: Friedrich Merz, Matthias
Wissmann, Michael Glos, Laurenz Meyer. Ihre Personallage bei denjenigen, die sich in Wirtschafts- und Mittelstandsbelangen auskennen, wird immer dünner.
Es gibt aber noch die FDP. Deshalb gibt es Hoffnung.
Man kann Freiheit wählen und damit für Veränderungen
sorgen.
({6})
Deshalb rufe ich den Menschen draußen zu: Durchhalten
bis September! Dann kann man Freiheit wählen und die,
die es schlecht gemacht haben, abwählen.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Dr. Michael Fuchs.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber
Rainer Brüderle, Ihre Rede war wie immer Populismus
pur.
({0})
Etwas anderes kennen wir von Ihnen auch nicht. Was wir
von Ihnen hören mussten, hat nichts mit der Realität zu
tun.
Ich möchte einige Beispiele herausgreifen. An erster
Stelle möchte ich das Thema HRE - Hypo Real Estate erwähnen. Ihr Ehrenvorsitzender, den ich sehr schätze,
hat, ähnlich wie Sie heute, gesagt: Lasst das Ding doch
pleitegehen.
({1})
Das ist in meinen Augen völlig unverantwortlich. Ich
halte es für brandgefährlich; denn durch die Insolvenz
dieser Bank würde über Deutschland ein Sturm hereinbrechen, gegen den Lehman ein kleines, laues Lüftchen
war.
({2})
Das nur ansatzweise in Betracht zu ziehen, halte ich für
gefährlich, weil es dazu führen könnte, dass wir die Bürgerinnen und Bürger so verunsichern, dass wir in
Deutschland Northern Rock im Quadrat hätten. So etwas
darf nicht geschehen. Eine Bank wie die HRE ist systemrelevant. Die systemischen Risiken bedrohen unser
gesamtes Wirtschaftssystem. Deshalb halte ich es für
sehr gefährlich, wenn wir keine klaren Regeln finden.
Es ist notwendig, dass wir unter Umständen - wie der
Bundeswirtschaftsminister es bezeichnet hat: Ultissima
Ratio - ein solches Institut enteignen, falls die Aktionäre
nicht mitspielen. Unter der Voraussetzung, dass es keinen anderen Weg gibt, muss das möglich sein. Gott sei
Dank haben wir dieses Gesetz so angelegt, dass es faktisch nur drei Monate gilt. Am 30. Juni 2009 ist es bereits verfallen. Das halte ich für richtig und notwendig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Westerwelle?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie haben unseren Ehrenvorsitzenden
Graf Lambsdorff angesprochen. Da er selbst nicht mehr
Mitglied dieses Hauses ist und daher auf das, was Sie
ihm vorgehalten bzw. unterstellt haben, nicht antworten
kann, möchte ich Folgendes - in Frageform gekleidet klarstellen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass Otto Graf Lambsdorff als Ehrenvorsitzender und
bewährter Mann nicht gesagt hat, man könne die HRE
pleitegehen lassen und alle sollten sehen, wie sie mit den
Ansprüchen zurechtkommen? So hat er das ausdrücklich
nicht gesagt. Er hat etwas ganz anderes vorgeschlagen.
Jeder von uns kennt die Möglichkeiten der Fortführung
einer Firma, einer Bank, eines Unternehmens in einem
geordneten, geplanten, sogenannten vorgelagerten Insolvenzverfahren. Darauf hat er sich bezogen.
Da er sich nicht wehren kann, erlaube ich mir als amtierender Vorsitzender, meinen Ehrenvorsitzenden gegen
diese Falschbehauptung in Schutz zu nehmen.
Verehrter Herr Kollege Westerwelle, ich nehme das,
was Sie gesagt haben, zur Kenntnis. Aber ich nehme
auch zur Kenntnis, was ich in den Zeitungen gelesen
habe, und dort stand es anders, als Sie es vorgetragen haben. Ich habe ihn so verstanden, wie ich es dargestellt
habe. Seine Äußerungen haben mich sehr verwundert,
weil ich Ihren Ehrenvorsitzenden persönlich sehr
schätze, wie Sie wissen.
({0})
Ich finde, er müsste sie in den Zeitungen richtigstellen.
Das ist durchaus möglich. Vielleicht hat die Aussage, die
Sie eben getroffen haben, geholfen, es richtigzustellen.
Ich hatte es so verstanden, dass man das Institut auch
pleitegehen lassen kann.
({1})
Das können wir eben nicht. Ich möchte deutlich machen,
dass wir uns das nicht leisten können, weil es sehr gefährlich ist.
Lieber Kollege Brüderle, ich halte es für notwendig
und richtig, über das Thema Steuersenkungen zu sprechen. Aber wir erleben eine Situation, wie wir sie noch
nie hatten. Wir werden in diesem Jahr eine Neuverschuldung erreichen, wie sie die Bundesrepublik Deutschland
noch nie erlebt hat. Sie ist zum großen Teil aber notwendig, weil wir in einer Krisensituation angekommen sind,
die es in diesem Lande noch nie gegeben hat.
({2})
Deswegen bin ich unbedingt dafür, dass derjenige, der
sich für Steuersenkungen ausspricht, gleichzeitig Gegenfinanzierungsvorschläge macht. Die kommen von Ihnen
aber nicht, weil es zum Teil nicht zu Ihrer Klientelpolitik
passt. Ich sage dazu nur: HOAI.
Vor allen Dingen darf in der Politik nicht das Motto
gelten: Kinder haften für ihre Eltern. Uns interessiert es
nicht, wie die weitere Verschuldung läuft. - Das hat uns
die Debatte, die wir eben hier im Hohen Hause geführt
haben, sehr deutlich gezeigt.
Diese Regierung hat mit den Konjunkturpaketen meiner Meinung nach richtig gelegen. Diverse Punkte kann
man im Einzelnen diskutieren, aber bestimmt nicht alles.
Wichtig ist, dass wir ein Kredit- und Bürgschaftsprogramm für den Mittelstand auf den Weg gebracht haben,
das 115 Milliarden Euro stark ist. Ich halte es für notwendig, da, wo Finanzierungslücken bestehen, zu helfen allerdings nur dann, wenn die Unternehmen fortgeführt
werden können, eine Langfristperspektive haben und unverschuldet, nur wegen der Krise, Kredite oder Bürgschaften benötigen. Das muss dezidiert betrachtet werden. Der Bundeswirtschaftsminister hat zu diesem
Zweck einen Lenkungsausschuss mit erfahrenen Leuten
aus der Wirtschaft eingerichtet, die ihm Rat geben, welche Unternehmen überhaupt in der Lage sind, fortgeführt zu werden, sodass es sich lohnt, Kredite zu geben.
Eine Reihe von Programmen, Herr Kollege Brüderle,
haben wir gerade für die kleinen Mittelständler aufgelegt. Nehmen Sie zum Beispiel das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Mir haben die Handwerker gesagt, dass
sie sich über dieses Programm sehr freuen. Wir haben
eine Menge Programme aufgelegt, von denen ich noch
einige aufzählen möchte. Denn diese Programme sind
notwendig; der Mittelstand ist die tragende Säule der
deutschen Wirtschaft. Vor allen Dingen hält der Mittelstand seine Mitarbeiter auch in einer solchen Phase, entlässt sie eben nicht schnell, meldet häufig nicht einmal
Kurzarbeit an, auch wenn er über seine Beiträge die
Kurzarbeit mitfinanziert. Wobei ich ausdrücklich sagen
möchte, dass es richtig war, den Zeitraum, für den Kurzarbeit angemeldet werden kann, auf 18 Monate zu verlängern.
({3})
Es war sicherlich sinnvoll, dass wir in dieses Programm
zugleich Qualifizierungsmomente eingebaut haben. Das
sollten Sie anerkennen!
Mittelstandspolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Deswegen brauchen wir kein Mittelstandsministerium,
lieber Kollege Brüderle. Wir haben ein Wirtschaftsministerium, das für alle Bereiche zuständig ist. Das
Wirtschaftsministerium hat mit der Mittelstandsinitiative, die im Jahre 2006 gestartet wurde, eine Reihe von
Programmen aufgelegt, die notwendig waren und die gut
waren. Der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung
wird das sicherlich noch darstellen. Gerade für kleine
und mittlere Unternehmen sind günstigere Rahmenbedingungen geschaffen worden. Systematisch ist mit dem
Abbau von bürokratischen Hemmnissen begonnen worden.
Auch mir geht das nicht immer schnell genug. Aber
der eine oder andere hat zu sehr auf der Bremse gestanden. Ich werde den Kollegen Rainer Wend vermissen,
weil wir immer gut zusammengearbeitet haben. Ich bedanke mich dafür, lieber Rainer.
Wir haben eine Existenzgründungsoffensive gestartet.
Wir haben gezielt Maßnahmen zur Förderung der Innovationsfähigkeit des Mittelstandes ergriffen. Dadurch
haben wir den Mittelstand gestärkt. Wir haben die Bereitstellung von Wagniskapital für Hightechgründer ermöglicht. Wir haben mittelständischen Unternehmen bei
der Positionierung auf Auslandsmärkten geholfen.
Wo da nichts gemacht worden sein soll, Herr
Brüderle, bleibt Ihr Geheimnis. Sie wollen unsere Bemühungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen; aber das
kennen wir ja.
Ich will auch ein paar konkrete Beispiele nennen. Wir
haben die degressive AfA für zwei Jahre wieder eingeführt. So kann der Mittelstand schneller abschreiben.
Das stärkt ihn gerade in dieser Krisensituation.
({4})
Wir haben die Möglichkeiten, handwerkliche und haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich abzusetzen, verbessert.
({5})
Auch das ist Mittelstandspolitik, und gerade dort ist es
notwendig. Wir haben das Fördervolumen für die energetische Gebäudesanierung von 1,4 Milliarden Euro auf
2,4 Milliarden Euro aufgestockt. Die Investitionszulage,
die es in den neuen Ländern gibt, wird im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern bis 2013
weitergeführt. Auch das ist Mittelstandspolitik.
Wir haben die Lohnzusatzkosten stabil unter 40 Prozent gebracht. Als diese Regierung angefangen hat, lagen sie bei 42 Prozent. Gerade für den Mittelstand ist
diese Senkung wichtig. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen.
({6})
Auch beim Abbau der Bürokratie haben wir etliches
erreicht. Wir haben einen Normenkontrollrat eingesetzt,
der uns darauf hinweist, was wir falsch machen und wie
wir die Gesetze besser gestalten können. In vielen Bereichen ist das schon gelungen. Natürlich ist das alles noch
nicht das, was ich gerne hätte. Ich bin ziemlich ungeduldig und temperamentvoll; das ist ja bekannt. Natürlich
wäre es mir lieber, wir wären schon weiter. Aber am
Ende dieser Legislaturperiode wird festzustellen sein,
dass wir mehr als 200 bürokratiewirksame Gesetze abgeschafft haben. Wir haben - darüber habe ich letzte
Woche noch einmal mit dem Normenkontrollrat gesprochen - circa 7 Milliarden Euro eingespart. Das müssen
Sie zur Kenntnis nehmen, Sie können nicht einfach so
tun, als wäre all dies nicht getan worden.
Lassen Sie uns gemeinsam weiter nach Möglichkeiten suchen, den Mittelstand zu stärken! Mittelstandspolitik ist nur dann gut, wenn alle etwas davon haben. Viele
der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, mussten wir
auf einzelne Sektoren der Wirtschaft zuschneiden. Das
muss aber dann auch irgendwann vorbei sein. Ich meine
insbesondere die Abwrackprämie. Ich bin der Meinung,
es wäre besser, wir würden sie auslaufen lassen. Aber
natürlich profitiert die Automobilindustrie in allen Bereichen davon. In den Autofirmen tut sich etwas - Gott
sei Dank, denn in dieser Branche gehen die meisten Arbeitsplätze verloren, weil die Finanzkrise hier in jeder
Hinsicht gewirkt hat.
Mittelstandspolitik werden wir aber weiterhin machen. Das ist ein Markenzeichen dieser Regierung, und
da lassen wir uns von Ihnen auch nicht kritisieren.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Herbert Schui für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
FDP-Antrag ist eine Art Wahlprogramm, um den Mittelstand - und die Freiberufler gleich mit - von der CDU/
CSU abzuwerben. Das ist so weit in Ordnung. Wenn
man das macht, darf man natürlich an Lob nicht sparen,
weswegen der Feststellungsteil des Antrages einige historische Unwahrheiten enthält und ziemlich kräftig Lob
austeilt, wo man eigentlich erst einmal gründlich nachfragen müsste.
Der Forderungsteil ist insofern interessant, als er einen Entwurf für den künftigen Koalitionsvertrag darstellt, den die FDP mit einer der hier anwesenden Fraktionen wohl eingehen will.
({0})
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass dieser Forderungsteil als Entwurf für einen künftigen Koalitionsvertrag wirklich nicht von Pappe ist. Die Frage ist, ob
eine sogenannte Volkspartei den Forderungen der FDP
nachkommen kann. Aber dazu später.
Zunächst einige Kostproben zum übermäßigen Lob
im Feststellungsteil. Da heißt es:
… hat der Mittelstand das deutsche Wirtschaftswunder möglich gemacht.
Dann wird dem Mittelstand „Patriotismus“ unterstellt.
({1})
Und schließlich heißt es:
Ohne Mittelstand gibt es keine Rentenversicherung.
Nun wissen wir es.
Ich würde ja gar nicht weiter darauf eingehen, wenn
der Mittelstand in dem Antrag und in den vorangegangenen Anträgen nicht grundsätzlich wörtlich als „Geisteshaltung“ bezeichnet worden wäre.
({2})
Wenn es so ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als die
Sache ein bisschen klarer anzugehen. Mittelstand als
Geisteshaltung, na ja. Wenn man den gewerblichen
Mittelstand, bei dem Eigentum, Unternehmensleitung
und unternehmerisches Risiko zusammenfallen, betrachtet, kann man eine Art Nostalgie entwickeln. Früher
hatte man noch den unternehmerischen Patriarchen, der
zum Beispiel Krupp hieß. Er managte die Sache und bezahlte den Managern nur so viel, wie sie wert waren.
Heute beschließen sie selber darüber, was sie wert sind.
Ich kann mir vorstellen, dass man da nostalgische Gefühle entwickelt. Da war die Zeit noch gut und alt und
schön. Mittlerweile trüben auf der einen Seite die Kapitalgesellschaften das Bild, und auf der anderen Seite gibt
es die Gewerkschaften; es ist wirklich zum Verrücktwerden.
({3})
Der FDP-Antrag ist teilweise eine Suggestion, die auf
den Ständestaat zurückführt, in dem es ständestaatstragende Gruppen gibt, die verfassungsmäßig anerkannt
sind und bei der Gesetzgebung und Verwaltung mitwirken. Wenn Sie schon den Mittelstand als Geisteshaltung
vorschlagen, sollten wir uns daran erinnern, wie in der
jüngeren Geschichte versucht wurde, einen Ständestaat
einzurichten: in Italien in den 20er- und 30er-Jahren, in
Spanien ab 1939 und in Portugal zur Salazar-Zeit.
({4})
Die Deutschen waren in der betreffenden Zeit nicht mit
von der Partie; sie hatten andere Vorstellungen. Ich will
das nicht weiter ausführen.
Es zeigt jedenfalls, dass Ihre Mittelstandseuphorie ein
wenig, so schreiben Sie in Ihrem Antrag, rückwärtsgerichtet ist. „Starker Mittelstand heißt starke Demokratie“. Etwas assoziativ fällt mir, wenn ich Mittelstand
höre, immer Berlusconi ein, der es wirtschaftlich
geschafft hat und der nun seine Forza Italia mit der
Alleanza Nazionale zum Haus der Freiheit vereint. Lob
und Nostalgie sollte man etwas sparsamer verwenden.
In dem Antrag wird gesagt, der Mittelstand habe
„das deutsche Wirtschaftswunder möglich gemacht“.
Ich würde in meiner Rede diesen Teil gerne übergehen
und zwei Minuten Redezeit einsparen, aber ich muss
diesen Satz richtigstellen. Das Bruttoanlagevermögen in
der Industrie stieg von 1935 bis 1944 um knapp 39 Prozent. Am Kriegsende, im Mai 1945, lag es noch um
27 Prozent höher als 1935. Nach den Reparationsleistungen war es im Jahre 1948 immer noch um 14 Prozent höher als 1935. Das Bruttoanlagevermögen war also nach
dem Krieg höher als 1935. Daraus ergibt sich: Diese
Produktionskapazitäten waren die Grundlage für den raschen wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands.
Das sollte man festhalten. Der Verweis auf den Mittelstand hat sich also erledigt.
({5})
- Wenn Sie in Ihrem Antrag nicht geschrieben hätten,
dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder bewirkt
habe, würde ich mich mit diesen Zahlen nicht beschäftigen. Aber da Sie sagen, dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder möglich gemacht habe, muss ich Ihnen
vorhalten, wie es zu dem Wirtschaftswunder gekommen
ist.
Halten wir einmal fest: In dem Zeitraum, von dem ich
geredet habe, hat sich die Rüstungsproduktion verfünffacht. Ende des Krieges hatte die Wehrmacht 11 Millionen Angehörige. Ich frage Sie daher: Wer hat denn das
Wachstum in den Jahren 1941 bis 1944 ermöglicht, als
es keine Arbeitskräfte in Deutschland gab? Das waren
doch Fremdarbeiter und Zwangsarbeiter. Wir sollten das
Wirtschaftswunder also nicht dem Mittelstand, sondern
anderen zusprechen. Etwas anderes haut einfach nicht
hin.
({6})
- Es ist klar, dass Sie das nicht hören wollen.
Herr Kollege Schui, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schauerte?
Ja, gerne.
Herr Kollege Professor Schui, glauben Sie, dass man
in Zeiten der größten Weltwirtschaftskrise, in denen wir
darüber diskutieren, wie die unterschiedlichen Aufgaben
innerhalb der Volkswirtschaft optimal erfüllt werden
können und wie die Wirtschaft für diese Herausforderung fit gemacht werden kann, irgendeinem Mittelständler, der zurzeit nicht weiß, wie er die Löhne seiner Mitarbeiter bezahlen soll und wie er seine Bilanz ausgleichen
kann, dadurch hilft, dass man ihm eine Vorlesung über
die Verhältnisse zwischen 1930 und 1940 hält?
Herr Schauerte, ich habe diesen Antrag nicht eingebracht, und ich habe auch nicht behauptet, dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder geschaffen hat.
({0})
Stellen Sie diese Frage Ihren Kollegen von der FDP! Ich
werde gerne nachher noch darauf eingehen, was wir von
der Mittelstandsförderung, die die FDP fordert, in der
gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Meyer?
Natürlich, mit dem größten Vergnügen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Schui, halten Sie es der Würde des Hohen Hauses für angemessen, das Wirtschaftswunder in
die Zeit von 1941 bis 1945 zu verlagern und alle Aussagen, die über das Wirtschaftswunder in diesem Parlament getroffen worden sind, auf diese Zeit zu beziehen?
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ich glaube, Sie sollten das Rednerpult verlassen.
Das werde ich nicht tun, auch wenn Sie das gerne hätten.
({0})
Herr Krengel, der seinerzeit der Leiter des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung war, hat diese Zahlen
1958 veröffentlicht, um darzulegen, warum es in
Deutschland so schnell wirtschaftlich aufwärtsgegangen
ist. Dies lag einfach daran, dass die Ziegeleien zu einem
großen Teil noch intakt waren, die Häuser aber kaputt
waren. Das ist nun einmal so gewesen. Weil das so gewesen ist und weil im Antrag festgestellt wird, welche
vorzügliche Rolle der Mittelstand beim sogenannten
Wirtschaftswunder gespielt hat, ist es meine Aufgabe,
klarzustellen, wie wir zu diesem Wirtschaftswunder gekommen sind. Das ist nicht nur meine persönliche Auffassung. Das war vielmehr in den 50er-Jahren in der
Fachwelt klar.
Patriotismus ist eine weitere Eigenschaft des Mittelstandes, so die FDP. Patriotismus bedeutet bekanntlich
Vaterlandsliebe. Es sind die Verehrung, die Hingabe und
die gefühlsmäßige Bindung an die Traditionen und die
Gemeinschaft des eigenen Volkes. Patriotismus ist mit
Dienst- und Opferbereitschaft verbunden.
Wenn das so ist, dann sollte der Mittelstand freudig
Steuern zahlen und etwas opfern, damit der Staat gedeihen kann. Dann sollte der Mittelstand nicht auf eine Kürzung der Beiträge zur Sozialversicherung hinarbeiten,
sondern im Gegenteil höhere Beiträge zur Sozialversicherung zahlen, damit alle Teile des Volkes blühen und
gedeihen können. So könnte ich mir Patriotismus vorstellen. Aber das kollidiert ein wenig mit dem Forderungsteil Ihres Antrages.
Schließlich schreiben Sie: Ohne Mittelstand gibt es
keine Rentenversicherung. Richtig, der größte Teil der
Lohnsumme wird bei den kleinen und mittleren Unternehmen verdient. Wenn das der Fall ist, dann ist vom
Volumen her der größte Teil der Abgaben an die Sozialversicherung auf diese Unternehmen zurückzuführen.
Aber wenn das so ist, dann sollten Sie sich in Ihrem Forderungsteil nicht dafür einsetzen, dass die Lohnzusatzkosten gesenkt werden. Dann würde ja auch der positive
Beitrag des Mittelstandes sinken.
Was Sie im Einzelnen fordern, ist nichts weiter, als
das Recht des Staates, von den Bürgern die Zahlung von
Steuern zu verlangen, zugunsten des Mittelstandes einzuschränken. Sie fordern schwächere Gewerkschaften,
dass die Tarifautonomie hier und da ausgehöhlt wird und
der Sozialstaat möglichst noch weniger leistungsfähig
wird, als das gegenwärtig der Fall ist.
Darüber hinaus setzen Sie sich für eine weitere Privatisierung der öffentlichen Aufgaben ein, wobei Sie eines
nicht bedenken: Wenn öffentliche Aufgaben privatisiert
sind, dann bedeutet das, dass eine Kapitalrendite erwirtschaftet werden muss. Es gibt dann keine politische
Kontrolle mehr über die Gehälter der Geschäftsführung.
Das bedeutet, dass die Leistungen entweder teurer oder
aber schlechter werden.
Wir fordern nicht weniger Mitbestimmung, sondern
mehr Mitbestimmung,
({1})
auch dort, wo es weniger als 500 Beschäftigte gibt. Wir
fordern Mitbestimmung bei einer betrieblichen Verlagerung und bei Schließungen respektive beim Verkauf von
Betriebsteilen. Das ist der entscheidende Punkt. Bedenken Sie, dass laut einer Untersuchung des Böckler
Impuls in Unternehmen ohne Betriebsrat 41 Prozent der
Geschäftsführer den Betriebsrat eher negativ beurteilen
und in Unternehmen mit einem Betriebsrat nur
18 Prozent. Es scheint also im Allgemeinen so zu sein,
dass die Geschäftsführungen, wenn es einen Betriebsrat
gibt, günstige Erfahrungen mit dem Betriebsrat machen.
Ein letzter Punkt. Für den Mittelstand, die gewerbliche mittelständische Wirtschaft wäre eine ganze Menge
zu tun. Das bedeutet vor allen Dingen, dass die Preisrelationen stimmen. Im Großen und Ganzen zahlt der
Mittelstand zu hohe Einstandspreise und bekommt zu
niedrige Abgabenpreise. Das heißt, die Marktmacht ist
so asymmetrisch verteilt, dass die kleinen und mittleren
Unternehmen nicht auf ihre Kosten kommen. Das können Sie sehr schön bei der Landwirtschaft beobachten,
wenn Sie die Dieselpreise und die Düngemittelpreise auf
der einen und die Milchpreise auf der anderen Seite verfolgen. Solche Märkte müssen geregelt werden, damit
diese Produzenten ihre Kosten erwirtschaften können
und nicht von der Großwirtschaft aufgesogen werden.
Das ist ein entscheidender Punkt.
Wenn Sie das ernsthaft verfolgen würden, dann müssten Sie zwingend für Gesetze sein, die sich gegen die
großen Unternehmungen richten, also deren Marktmacht
zugunsten eines besseren Erlöses der kleinen und mittleren Unternehmen beschränken. Das wollen Sie aber
nicht. Weil Sie es nicht wollen, bleibt Ihnen nur eine
Möglichkeit: Lohnsenkungen und Senkungen der Beiträge zur Sozialversicherung zu fordern. Ich garantiere
Ihnen eines: Wenn Sie das durchsetzen, die Macht auf
dem Markt aber so verteilt bleibt, wie sie derzeit verteilt
ist, dann würden die Vergünstigungen, die Sie für kurze
Zeit gewähren, über den Umweg höherer Einstandspreise und niedrigerer Verkaufspreise zu Erlösen bei den
großen Kapitalgesellschaften führen. Das, was Sie im
Auge haben, ist keine Lösung des Problems, das Sie vorgeben, lösen zu wollen.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich ist der Mittelstand das Herz der deutschen
Wirtschaft. 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dort beschäftigt. Sogar 80 Prozent der
Auszubildenden werden in mittelständischen und nicht
in Großunternehmen ausgebildet. Jede Wirtschaftspolitik, die nicht den Mittelstand im Auge hat, zielt in die
falsche Richtung.
({0})
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas anderes
sagen: Was nicht hilft, sind Plattitüden. Rainer Brüderle,
so freundlich du zu mir gewesen bist, an dieser Stelle
muss ich noch einmal sagen, dass es eine Plattitüde ist,
wenn die Behauptung aufgestellt wird, dass die Große
Koalition nur den Großen hilft und nichts für den Mittelstand tut.
({1})
Michael Fuchs hat deutlich aufgezeigt, was wir mit
den Konjunkturprogrammen alles für den Mittelstand
getan haben: CO2-Gebäudesanierungsprogramm, Ausweitung der Darlehen, haushaltsnahe Dienstleistungen.
Allein deswegen ist diese Behauptung falsch. Noch falscher ist sie aber - wenn der Komparativ hier erlaubt
ist -, weil die Große Koalition immer dann, wenn sie
den Großen hilft - das tut sie -, gleichzeitig dem Mittelstand und dem Handwerk hilft.
Nehmen wir zum Beispiel die Banken. Stellen wir
uns vor, wir hätten die Banken nicht mit einem riesigen
Milliardenkredit gestützt. Wer würde dem Handwerk
und dem Mittelstand dann die Kredite zur Verfügung
stellen, die sie brauchen, um zu investieren und ihren
Betrieb am Leben zu erhalten? Stellen wir uns vor, wir
würden bei Opel einfach die Hände in den Schoß legen.
Was würde dann mit den vielen Tausend kleinen Zulieferbetrieben mit 300 bis 500 Beschäftigten passieren, die
an Opel dranhängen? Das zeigt: Es ist ein großer gedanklicher Fehler, wenn man glaubt, Großindustrie und
Mittelstand gegeneinander ausspielen zu können. Beiden
muss geholfen werden. Sie sind voneinander abhängig.
Das ist die Politik der Großen Koalition.
({2})
Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang heute
ein kleines Fazit ziehen: Was habe ich in elf Jahren Bundestag eigentlich gelernt? Einiges. Auf eines möchte ich
aber hinweisen: Anders als 1998, als ich gestartet bin,
glaube ich heute nicht mehr daran, dass es hundertprozentig richtige und hundertprozentig falsche Lösungen
für Probleme gibt. Es gibt kein Schwarz oder Weiß. Jede
Lösung hat Zwischentöne, Grautöne und ist allenfalls
überwiegend richtig.
Lassen Sie mich das am Beispiel Opel illustrieren.
Natürlich kann man mit einem gewissen Recht argumentieren, dass es ökonomisch falsch wäre, Opel mit Milliardenbeträgen oder gar durch eine vorübergehende
Staatsbeteiligung zu retten; denn wenn Opel vom Markt
ginge, würden andere Automobilbauer, auch in Deutschland, davon profitieren. Subventionen in Milliardenhöhe
für Opel verzerren natürlich den Wettbewerb zulasten
von Konkurrenten, die jetzt nicht diese Probleme haben,
weil sie in der Vergangenheit offenbar besser waren. Dafür würden sie aber bestraft, wenn der andere staatliche
Subventionen bekäme. Hinzu kommt, dass wir im Automobilbau weltweit eine Überproduktion von etwa
15 Millionen Autos haben. Angesichts dessen scheint es
nicht übermäßig vernünftig zu sein, Opel zu unterstützen. Ich frage: Können wir nach dieser Analyse wirklich
eine schnelle und einfache Lösung finden? Können wir
sagen, wir tun nichts?
Ich fürchte, das können wir nicht, weil es im Zusammenhang mit Opel noch eine andere Wahrheit gibt. Wie
wollen wir denn den Familien in Rüsselsheim oder
Bochum gegenübertreten? Wollen wir denen sagen, das
ist nicht so schlimm, weil in Wolfsburg oder bei Ford in
Köln andere davon profitieren, wenn ihr in die Insolvenz
geht, sucht euch da einen Arbeitsplatz? Wollen wir den
Mittelständlern, den Zulieferern von Opel, sagen, ihr
habt vielleicht gerade euer privates Vermögen in eure
Firma gesteckt, um sie durch die Krise zu bringen, aber
ihr geht jetzt trotzdem in die Insolvenz, weil Opel pleitegeht? Macht euch keine Sorgen, andere Zulieferbetriebe
in Deutschland könnten davon profitieren.
Können wir den Menschen das wirklich sagen? Nach
meinem Dafürhalten können wir das nicht, weil folgende
Konsequenz auf der Hand liegt: Wenn wir den Menschen das Gefühl geben, dass uns ökonomische Lehrsätze wichtiger als menschliche Schicksale sind, werden
wir in unserem Land die Unterstützung der Menschen
für unsere Wirtschaftsordnung und unsere Demokratie
verlieren. Dieses große Risiko möchte ich nicht eingehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Im Übrigen glaube ich, dass alle Ismen in unserer
Gesellschaft gescheitert sind. Der Kommunismus und
Sozialismus mit seiner Staatsdiktatur sind endgültig ökonomisch und moralisch gescheitert.
({4})
Der Neoliberalismus mit der Diktatur des Marktes ohne
jede soziale Verantwortung ist ebenfalls gescheitert.
({5})
Ich sage den Bürgerinnen und Bürgern immer: Misstrauen Sie all den Politikern, die meinen, mit Heilslehren
und ideologischen Gebäuden ein Volk oder ein Bundesland umgestalten zu können. Nein, diejenigen sind die
besten Politiker, die sich Tag für Tag bemühen - Frau
Präsidentin, ich bin sofort fertig -, mit einzelnen Reformen in harter Arbeit das Schicksal der Menschen zu verbessern.
({6})
Das sind die Politiker, die gute Leistungen erbringen und
denen man vertrauen sollte.
({7})
Mir bleibt an dieser Stelle nur noch, mich bei Ihnen
für die gute Zusammenarbeit in den letzten elf Jahren
sehr herzlich zu bedanken. Wir haben manchen Strauß
miteinander ausgefochten. In meiner Partei habe ich dies
manchmal genauso wie mit der politischen Konkurrenz
getan. Es war aber immer - fast immer jedenfalls menschlich anständig und fair. Auch dafür bedanke ich
mich.
Mein allerletzter Satz - er ist ausnahmsweise pathetisch; dies liegt mir sonst wirklich nicht -: Uns allen
wünsche ich, dass am Ende dieser Wirtschaftskrise die
Werte von Freiheit und Solidarität heller erstrahlen mögen als zuvor.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Rainer Wend, ich beginne mit dir: Wir
haben 1998 zusammen angefangen und verlassen in diesem Jahr zusammen den Bundestag. Du hast eben noch
einmal ein Beispiel für deinen doch eher erfrischenden
Eigensinn geliefert, den wir in vielen Debatten erlebt haben. Das hat viel Spaß gemacht. Dies wollte ich eingangs festgestellt haben.
Ich muss dich aber auch zugleich kritisieren, weil du
meintest, alle Ismen hätten sich überholt oder seien
falsch gewesen. Es gibt einen Ismus, der nach wie vor
wirkt, der richtig ist und weiterhin vorangebracht werden muss: der Feminismus.
({0})
Meine Damen und Herren, nun zum Thema dieser
Debatte. Herr Brüderle, Sie haben sehr engagiert gesprochen. Ehrlich gesagt würde ich Sie lieber bei einer Rede
zur Krönung der Weinkönigin als bei einer weiteren
Rede über den deutschen Mittelstand in Zeiten der Krise
erleben.
({1})
Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie haben dieses
Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Ausgangspunkt
war eine Große Anfrage. Sie haben wohl relativ schnell
gemerkt, dass diese Anfrage, die sich damit auseinandersetzt, dass die Bürokratiekosten auch den Mittelstand
belasten, glatt am Thema vorbeigegangen ist; denn heraus kam, dass die Bürokratiebelastungen bei kleinen
und mittleren Betrieben gerade 1,2 Prozent ausmachen.
Sie haben offenbar bemerkt, dass Sie sich da auf einen
Nebenschauplatz begeben haben.
Also haben Sie jetzt noch einen Antrag eingereicht,
über den heute debattiert wird und der leider auch in die
Ausschüsse überwiesen werden wird. Ich sage deswegen
„leider“, weil dieses Thema in der Krise natürlich wichtig ist. Der Mittelstand beschäftigt 80 Prozent der
Arbeitnehmer und schafft in ungefähr gleicher Größenordnung Ausbildungsplätze. Außerdem gibt es beim
Mittelstand unglaublich viele innovative Potenziale, die
für den Weg der Wirtschaft aus der Krise heraus von Bedeutung sind. Es ist richtig, das aufzugreifen. Aber was
haben Sie uns geliefert? In Ihrem Antrag setzen Sie sich
an keiner Stelle mit den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen auseinander,
({2})
sondern liefern eine Sammlung alter Hüte. Ich möchte
das anhand einzelner Punkte Ihres Antrages zeigen.
Sie schreiben richtigerweise:
Deutschland braucht endlich ein mittelstandsfreundliches Klima.
Dann folgen Ihre Vorschläge.
Unter dem ersten Punkt fordern Sie, der Deutsche
Bundestag möge beschließen, Steuern und Abgaben zu
senken.
({3})
Ich weiß nicht, ob Sie in den letzten Jahren und vor allen
Dingen in den letzten Monaten hier nur gesessen und geschlafen haben.
({4})
Wir sind aufgrund einer systemischen Finanzmarktkrise
in eine globale Wirtschaftskrise geraten, deren Ausmaße
wir gerade für den Mittelstand in diesem Jahr überhaupt
noch nicht vollständig absehen können. Dann kommen
Sie mit Ihrem Konzept - das kennen wir ja aus Ihrem
Wahlprogramm -, durch das Steuern und Abgaben um
ungefähr 35 Milliarden Euro gesenkt werden sollen.
Ich weiß wirklich nicht, in welcher Welt Sie leben.
Ich weiß nicht, warum Sie an dieser Stelle nicht das thematisieren, was es zu thematisieren gilt. Wir brauchen
Hilfestellungen auch für den Mittelstand und für das
Handwerk.
({5})
Wir haben Konjunkturpakete aufgelegt, von denen wir
wissen - das muss ich kritisch zu Herrn Wend sagen -,
dass sie nicht ordentlich wirken werden, solange die
Finanzmarktkrise andauert, solange der löchrige Schirm
für den Finanzmarkt sozusagen nicht repariert ist. Darüber haben wir im Ausschuss diskutiert; das sagt Ihnen
jeder, und das ist völlig klar. Gleichwohl brauchen wir
die Konjunkturprogramme.
Was haben Sie in Ihrer großartigen Rede zum Mittelstand dazu gesagt? Nichts. Was sagen Sie dazu, dass es
zwar - das ist hier richtig bemerkt worden - etwa im Bereich der Gebäudesanierung positive Ansätze gibt, aber
dass es schon im Sommer zu Problemen kommen wird
bei der gesamten mittelständischen, handwerklich strukturierten Zulieferindustrie, zum Beispiel im großen Bereich der Automobilzulieferer? Wir haben am Mittwoch
im Ausschuss gehört und gemeinsam darüber diskutiert,
dass die kleinen und mittleren Betriebe in eine Finanzklemme kommen werden - das Konjunkturprogramm
müsste eben anders gestrickt sein -, weil sie Bonitätsprobleme haben. Wenn Sie der Anwalt des Mittelstandes
sind, dann setzen Sie sich doch einmal mit solchen Fragen auseinander und nicht nur mit dem alten Hut Steuersenkungen! Das passt nicht zu dieser Krise; das alles
sind Konzepte von gestern.
({6})
Ich will einen weiteren Punkt aus Ihrem Antrag aufgreifen. Sie schreiben, dass das Steuer- und AbgabensysDr. Thea Dückert
tem vereinfacht werden muss. Das finde ich richtig. Im
folgenden Punkt plädieren Sie aber dafür, die Erbschaftsteuer in Länderkompetenz zu überführen, in jedem
Bundesland soll also eine andere Erbschaftsteuer gelten.
Entschuldigung, haben Sie zwischen dem zweiten und
dem dritten Punkt vergessen, was Sie unter dem zweiten
Punkt geschrieben haben? Wie um Gottes willen wollen
Sie Steuervereinfachung und -erleichterung in Deutschland erreichen, wenn Sie statt einer Erbschaftsteuer
16 verschiedene einführen? Mir erschließt sich das nicht.
({7})
Ich komme noch zu einem anderen Punkt bezüglich
Steuern und Abgaben. Dies steht zwar nicht im Antrag,
aber Sie haben es in Ihrer Rede erwähnt. Das ist meiner
Ansicht nach der einzige richtige Punkt, den Sie erwähnt
haben, und er ist auch aktuell. Es geht um die Frage, was
die Zinsschranke in der Krise für die mittleren und kleinen, aber auch für andere Betriebe bedeutet.
({8})
Ich denke, dass man sich damit auseinandersetzen muss.
Zur FDP sage ich: Eine Schwalbe macht noch keinen
Sommer. In Ihren weiteren Vorschlägen setzt sich das
Desaster fort. Da es meine Redezeit erlaubt, greife ich
noch eine Ihrer Forderungen auf; es ist fast beliebig,
welche man wählt.
Unter der Überschrift „Bürokratielasten senken“
schreiben Sie den wunderbaren Satz - ich muss ihn vorlesen -:
Der Staat muss sich aus der Wirtschaft zurückziehen.
({9})
Na, wunderbar! Dieses neoliberale Gerede, das wir mit
Blick auf die Banken schon vor der Finanzkrise immer
von Ihnen gehört haben, müsste aufgrund der Erfahrungen mit der Krise, in der wir gerade stecken, die von den
Banken und vom Finanzmarkt insgesamt ausgelöst worden ist, doch endlich auch von Ihnen relativiert werden.
({10})
Die Finanzmarktkrise ist durch den regellosen Neoliberalismus, dem Sie hier das Wort reden, ausgelöst worden.
({11})
Nun wollen Sie das wieder auf die Wirtschaft übertragen. Meine Damen und Herren, ich finde das fahrlässig.
Wir stecken in einer ökonomischen Krise. Gleichzeitig stecken wir in einer Klimakrise, die sich, wenn nichts
passiert, zu einer systemischen Krise entwickeln wird.
Eine solche systemische Krise hätte zur Folge - das haben die Ergebnisse vieler Gutachten, beispielsweise auch
des Stern-Berichts, gezeigt -, dass die wirtschaftliche
Basis für die Großindustrie, für die kleinen Unternehmen, für den Mittelstand und für das Handwerk zerstört
würde, wenn nicht gegengesteuert wird.
({12})
Herr Brüderle, auch Sie müssen sich einmal mit dem
Argument auseinandersetzen, dass sich der Staat nicht
heraushalten darf, sondern dass er durch die Aufstellung
von Regeln und die Schaffung von Rahmenbedingungen
den Mittelstand, die Wirtschaft insgesamt und die Industrie in die Lage versetzen muss, zur notwendigen ökologischen Transformation des Wirtschaftens und des
Produzierens, auch des Produzierens von Energie, beizutragen. Der Staat muss Hilfestellung geben, damit es
gelingt, Wirtschaft und Industrie den Weg hin zu einer
Produktionsweise zu ebnen, die nicht auf Kosten zukünftiger Generationen geht.
({13})
Das waren nur einige beliebig herausgegriffene Beispiele für die Forderungen, die die FDP in ihrem Antrag
formuliert hat.
({14})
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen:
Ein solcher Anwalt für den Mittelstand ist ein Anwalt,
der nicht aus der Krise herausführt, sondern in die
nächste Krise hineinführt. Ich hoffe, das hat jeder gemerkt. Herr Brüderle, ich glaube, über die aktuelle Problematik müssen Sie, um es freundlich auszudrücken,
noch ein bisschen nachdenken.
({15})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Laurenz
Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brüderle, zunächst einmal bewerte ich es positiv,
dass Sie einen Antrag zu diesem Thema eingebracht haben.
({0})
Wenn wir heute, am Ende dieser Sitzungswoche und
kurz vor der Osterpause, über den Mittelstand reden,
sollten wir uns alle vor Augen führen, dass in solchen
Krisensituationen, wie wir sie zurzeit erleben, die Gefahr
besteht, dass in der Medienberichterstattung fast ausschließlich von großen Unternehmen die Rede ist. Vor
diesem Hintergrund ist es gut, dass wir uns heute noch
Laurenz Meyer ({1})
einmal mit den Grundlagen unserer Wirtschaftspolitik
beschäftigen.
Zu den Grundlagen unserer Wirtschaftspolitik gehört,
zumindest aus Sicht meiner Fraktion, dass wir uns bei
jeder Entscheidung, die wir zu treffen haben, ob im Bereich der Steuerpolitik oder wo auch immer, fragen müssen: Wie wirkt sich diese Entscheidung auf familiengeführte Unternehmen aus? Das ist für mich das
wichtigste Kriterium. Denn die familiengeführten Unternehmen und nicht etwa die großen Publikumsaktiengesellschaften sind der Schlüssel für eine erfolgreiche
Wirtschaftspolitik.
({2})
Dieses Ziel haben wir verfolgt, und wir haben durchgehalten, wenn auch zum Teil mit großen Schmerzen;
ich erinnere nur an die Diskussionen über die Erbschaftsteuer.
({3})
Ich glaube aber, es wird sich herausstellen, dass wir
manches getan haben, was vernünftig war, wenn auch
mitunter erst auf großen Druck hin und unter starken
Krämpfen.
Herr Schui, ich greife eine Bemerkung von Ihnen zum
Patriotismus auf, weil sich daran ganz besonders gut darstellen lässt, dass Sie wirklich - ich sage Ihnen das ganz
offen - überhaupt keine Ahnung haben. Genau darum
geht es: Die mittelständischen Familienunternehmen
sind mit ihrer Region und mit ihrer Heimat verbunden.
({4})
Sie engagieren sich in den Vereinen und Verbänden, tun
etwas für ihre Städte. Sie sind deshalb so wichtig, weil
sie vor Ort an ihren Produktionsstandorten leben und die
Leute in ihren Betrieben kennen.
Ich sage Ihnen: Ich würde den schlimmsten Eindruck
von einem Unternehmer, der einen 20- oder 50-MannBetrieb leitet, gewinnen, wenn die Leute in seinem Betrieb unbedingt, um jeden Preis einen Betriebsrat haben
wollten, weil es ihnen so schlecht geht. Wenn er nicht
mehr klarkommt oder die Leute nicht mehr mit ihm klarkommen, dann stimmt in solch einem Betrieb etwas
nicht. Das ist wirklich ein Qualitätsurteil.
In den Betrieben, in die ich gehe, kennen die Familienunternehmer alle Arbeitnehmer, die in den Produktionsstätten arbeiten, noch mit Namen, und sie wissen
über die familiäre Situation Bescheid. Das ist eine positive Auszeichnung. Sie haben in dem Zusammenhang
gesagt, Patriotismus sei rückwärtsgewandt. Das Gegenteil ist der Fall.
({5})
Wir versuchen zurzeit übrigens gemeinsam - das gilt
zum Beispiel hinsichtlich der Managergehälter und der
entsprechenden Veränderungsvorschläge -, Dinge, die in
familiengeführten Unternehmen richtig, angebracht und
an der Tagesordnung sind - man denkt über den Tag hinaus, nicht in Quartalsabschlüssen, sondern möglicherweise sogar bis hin zur nächsten Generation -, mit
Gesetzesbestimmungen auf die großen Kapitalgesellschaften, die Publikumsaktiengesellschaften, zu übertragen, was mühsam ist. Wir wollen, dass in den großen
Gesellschaften so wie in den Familienunternehmen gedacht wird.
({6})
Deswegen ist dieses Denken in den Kategorien des Mittelstandes nicht rückwärtsgewandt, sondern das ist die
Zukunft - übrigens auch international.
Wir können bei der Ausbeutung von Rohstoffen in
Afrika doch nicht mit den kapitalistischen Prinzipien des
kommunistischen China wetteifern wollen, sondern wir
können nur mit der Stärke der deutschen Unternehmenskultur auftreten, wonach Nachhaltigkeit wichtig ist und
ein Wort noch etwas gilt, sodass solche Prinzipien vor
Ort mehr Bedeutung erhalten und Rechtsstaatlichkeit
und ähnliche Dinge gefördert werden. Nur dann und
nicht, wenn wir mit denen mithalten wollen, denen Sie
lange Zeit nachgeeifert haben, werden wir eine Chance
haben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie heute
noch nicht begriffen haben, wie eine Wirtschaftsordnung
funktioniert, in der auf die Menschen und nicht auf irgendwelche ideologischen Vorstellungen gesetzt wird.
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei dem
Kollegen Wend für die faire, konstruktive und manchmal
auch kontroverse Zusammenarbeit bedanken. Es hat
Spaß gemacht. Alles Gute für die Zukunft! Das war jetzt
sehr, sehr positiv gemeint. Ich habe ihm das auch schon
persönlich gesagt.
Gleichzeitig möchte ich ein Thema aufgreifen, das
Sie, lieber Herr Kollege Wend, schon angesprochen haben, nämlich Opel. Dabei möchte ich an das Stichwort
„Menschliche Schicksale“ anknüpfen. Jawohl, der entscheidende Schlüssel ist das Betrachten von Menschen
und nicht von irgendwelchen anonymen Unternehmen.
Ich sage hier aber ganz klar: Wer den Menschen in einer solchen Situation vorgaukelt, dass mit politischer
Allmacht wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten außer Kraft
gesetzt werden könnten, der treibt ein böses Spiel mit
den Menschen.
({8})
Ich sage das im Angesicht der Leute, die ich vor Augen
habe, die sich vor den Menschen, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben, auf eine Tribüne stellen und ihnen das
Blaue vom Himmel versprechen. Holzmann ist ein warnendes Beispiel. Wenn es keine langfristige Konzeption
für die Menschen gibt, dann ist es unverantwortlich, so
mit dem Schicksal von Menschen zu spielen.
({9})
Deshalb kümmert man sich als verantwortungsvoller
Politiker zunächst um die Entscheidungsgrundlagen, und
Ja oder Nein sagt man erst nach verantwortungsvoller
Prüfung, also dann, wenn man wirklich dafür geradestehen kann. Dazu würde ich uns allen raten, sowohl denen,
die schon heute sagen, dass sie nicht helfen können, als
auch denen, die auf jeden Fall helfen wollen.
Kollege Brüderle, vieles von dem, was Ihr Antrag
enthält, ist leider Gottes nichts Neues.
({10})
- Ja. Er enthält gar nichts Neues. Wie ich schon früher
einmal geflachst habe, kommt es einem ein bisschen so
vor, als gäbe es im Computer eine Zufallsvariable, durch
die die altbekannten Punkte immer wieder neu gemischt
würden.
({11})
Modern wäre zum Beispiel, an etwas anzuknüpfen,
das die Große Koalition geschafft hat, indem man etwa
darauf hinweist, dass Handwerkerrechnungen und haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich absetzbar sind,
dass dies aber noch lange nicht genug ist. Der Weg muss
in die Richtung gehen, einen Privathaushalt in Zukunft
wie ein Unternehmen zu behandeln.
({12})
Das wäre modern und würde zum Kampf gegen
Schwarzarbeit und zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Deutschland beitragen. Der Kündigungsschutz ist
kein geeigneter Ansatz. Betriebliche Bündnisse für Arbeit gibt es heute praktisch in jedem Tarifvertrag.
({13})
- Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
Wir sind gut beraten, wenn wir in dieser Zeit zu nachvollziehbaren Entscheidungen kommen. Sie sind daran
zu messen, wie sie sich auf die familiengeführten Unternehmen auswirken.
Ich unterstelle Ihnen, dass Sie in der Regierungsverantwortung anders reden würden als jetzt in der Opposition.
({14})
- Dann werden Sie anders reden. Denn die Situation ist
in dieser Zeit kompliziert. Sie kann keine einfachen Antworten vertragen.
({15})
Die Antworten sind so kompliziert wie die derzeitige
Krise.
({16})
In der Opposition läuft man Gefahr, zu einfachen
Antworten zu neigen. Wir müssen aber alles tun, um den
Menschen klarzumachen, dass die Kompliziertheit und
Unübersichtlichkeit der Lage in dieser Zeit keine einfachen Antworten zulassen.
Danke schön.
({17})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, hat
die Kollegin Lötzsch das Wort zu einer Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Meyer,
Sie haben dem Redner meiner Fraktion vorgeworfen,
den Mittelstand als rückwärtsgewandt bezeichnet zu haben. Ich weise darauf hin, dass sich der Kollege Schui
auf den Antrag der FDP bezogen hat, und stelle für unsere Fraktion und die mit uns verbundene Partei klar,
dass wir ein sehr gutes Verhältnis zum Mittelstand haben.
({0})
In Ostdeutschland - ich habe meinen Wahlkreis in
Berlin und habe von dort aus viele Betriebe in den neuen
Bundesländern kennen gelernt - gibt es fast nur mittelständische Betriebe und leider viel zu wenig Großbetriebe. Für uns ist völlig klar, dass vor Ort eine große
Sachkenntnis vorhanden ist. Viele mittelständische Betriebe sind erst nach der Wende entstanden. Die Großbetriebe wurden aufgelöst. Die Leute haben sich ein
Herz gefasst und kreativ Arbeitsplätze geschaffen.
Ich weise von mir, dass wir diese Menschen als rückwärtsgewandt bezeichnen. Im Gegenteil: Wir sind enge
Verbündete von ihnen.
Ich lade Sie gerne ein, Herr Meyer - im Zusammenhang mit der Frage Ihrer Nominierung wurde festgestellt, dass Sie sich viel in Berlin aufhalten; das hat sich
dann auch ausgewirkt -, mit mir gemeinsam mittelständische Betriebe in meinem Berliner Wahlkreis zu besuchen. Ich kann Ihnen eine größere Auswahl anbieten. Ich
weiß nicht, was Ihren Interessen am meisten entspricht.
Das ist vielleicht der Maschinenbau; in Betracht käme
auch ein Brauereibesuch. Ich glaube, das wäre für uns
beide interessant.
({1})
Herr Kollege Meyer, bitte.
Liebe Frau Kollegin, ich nehme Ihre Ausführungen
gerne zur Kenntnis und hoffe, dass Sie sich in Zukunft
danach richten. Ich kann das alles nur aufgrund der Be23400
Laurenz Meyer ({0})
ratungen im Wirtschaftsausschuss und der heutigen Einlassungen beurteilen. Bisher wurde immer in Kategorien
von Großbetrieben oder gewerkschaftlichen Organisationen argumentiert, aber nicht in der Kategorie der
Menschen.
In den mittelständischen Betrieben - deshalb bin ich
ihnen gegenüber sehr positiv eingestellt - argumentiert
man aber nicht in ideologischen Kategorien, sondern in
Kategorien des Sichkennens und der Konzentration darauf, den eigenen Betrieb zu erhalten und langfristig
weiterzuführen.
Ich will Ihnen erklären, welches Idealbild für mich
dahintersteht. Dem Idealbild eines mittelständischen Unternehmers entspricht für mich - Sie werden möglicherweise überrascht sein - der Waldbauer. Er pflanzt heute
Bäume an, deren Ertrag möglicherweise erst die nächste
oder die übernächste Generation ernten kann. Das hier
zum Ausdruck kommende Denken lässt sich in vielen
mittelständischen Betrieben finden. Ich glaube, davon
haben Sie nichts, aber auch gar nichts begriffen, obwohl
Sie eben etwas anderes vorgetragen haben.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Paul Friedhoff für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in
unserem Antrag zur Stärkung des Mittelstandes dessen
Bedeutung umfassend beschrieben. Mein Kollege
Rainer Brüderle hat das noch einmal klargemacht. Herr
Fuchs, Sie haben von Populismus gesprochen. Nach
meiner Meinung hat er sich nur ziemlich klar ausgedrückt, sodass es auch diejenigen verstehen können, die
keine Volkswirte sind. Die meisten Mittelständler können mit vielen Begriffen, die hier verwendet werden, relativ wenig anfangen, weil die Dinge zumindest für sie
nicht auf den Punkt gebracht werden. Man muss vieles
quasi übersetzen, wenn man vom Mittelstand verstanden
werden will. Dafür danke ich meinem Kollegen. Ich
finde das in Ordnung. Das ist kein Populismus, sondern
Klartext.
({0})
Bevor ich zu einigen anderen Punkten komme, lassen
Sie mich einen positiven Punkt ansprechen. Laut Mittelstands-Monitor der KfW fällt der Rückgang der Investitionsbereitschaft im Mittelstand wesentlich geringer
aus als in der Großindustrie. Hieran können Sie sehen,
dass der Mittelstand sein Personal so weit wie möglich
hält, um für den Aufschwung nach der Krise gerüstet zu
sein. Daran zeigt sich, dass Mittelständler - das wurde
bereits gesagt - häufig sehr weit nach vorne sehen und
die aktuelle Krise nicht zum Anlass nehmen, sozusagen
destruktiv zu arbeiten.
Damit diese gelebte unternehmerische Verantwortung
weiterhin wahrgenommen werden kann - das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was hier oft gesagt wird -,
müssen die Mittelständler ihre Betriebe steuern können.
Dazu brauchen sie bestimmte Entscheidungsfreiheiten.
Sehr viele Mittelständler fühlen sich aber in ihrer Entscheidungsfreiheit - ich sage aus eigener Erfahrung: zu
Recht - durch Vorschriften und bürokratische Regelungen eingeschränkt. Diese Gängelung wirkt sich sehr häufig zulasten von Beschäftigung und Wachstum aus und
nimmt den Unternehmen die dringend benötigten Möglichkeiten, sich zu bewegen. Wir sollten dagegen kämpfen und immer daran denken, ob unsere Gesetze unter
diesem Gesichtspunkt Sinn machen. Bei einer ganzen
Reihe von Gesetzen ist das nicht der Fall; dazu komme
ich gleich noch.
In der momentanen Situation fehlt den Unternehmen,
wenn die Aufträge wegbrechen, wenn es nicht mehr so
rund läuft wie zuvor und wenn sie kein großes Eigenkapitalpolster haben - hier sieht es zwar etwas besser aus
als vor einigen Jahren, aber wir sind weit davon entfernt,
dass wir damit zufrieden sein können -, häufig Liquidität. Sehr viele Mittelständler beklagen, dass die Vorauszahlungen für dieses Jahr auf der Basis der vergangenen
guten Jahre ermittelt werden. Hier gibt es zwar einen
sehr großen Handlungsspielraum. Wie ich höre, wird er
aber nicht genutzt. Man kann vielleicht versuchen, den
Handlungsrahmen durch komplizierte Verfahren zu erweitern. Manchmal ist es aber so spät oder so aufwendig,
dass die eigentliche Arbeit in den Unternehmen erheblich erschwert wird. Hier ist der Finanzminister gefragt,
sich darüber intensiv zu informieren und gegebenenfalls
durchzusetzen, dass der Handlungsspielraum genutzt
wird, damit wir nicht mehr von solchen Fällen hören
müssen. Wenn der Handlungsspielraum nicht ausgeschöpft wird, wird den Unternehmen dringend benötigte
Liquidität - diese steht dem Staat nicht zu - entzogen
und die momentane Situation verschärft. Hier muss etwas geschehen. Ich möchte Sie bitten, hieran zu arbeiten.
Zurzeit fallen der Großen Koalition viele ihrer Gesetzesänderungen auf die Füße. Diese Änderungen hat sie
vorgenommen, weil sie in guten Zeiten gemeint hat, sich
diese leisten zu können. Ein Beispiel ist das Vorziehen
des Zahlungstermins der Sozialversicherungsabgaben.
Sie können nun sagen: Das ist schon hundertmal genannt
worden. - Aber Sie haben diese Regelung noch nicht geändert.
({1})
Sie kennen zwar das Problem, das wir aufzeigen, nur lösen Sie es nicht, obwohl auch Sie merken, dass wir recht
haben.
Um die Rentenversicherung und die Sozialversicherungssysteme insgesamt zu retten, ist über das Vorziehen
der Zahlung bei den Sozialversicherungsabgaben der
deutschen Wirtschaft Liquidität in Höhe von 20 Milliarden Euro entzogen worden. Warum ist das gemacht
worden? Es diente nicht dazu, den Mittelständlern zu
helfen. Sie sind besonders betroffen, weil sie sehr viele
Menschen beschäftigen. Dieses Verhalten gegenüber der
Wirtschaft ist beispielhaft für eine Reihe von weiteren
Schritten, die in der Großen Koalition beschlossen worden sind.
Ein zweiter Punkt - auch dieser ist oft angesprochen
worden, ich nenne ihn trotzdem - ist die Mittelstandsfeindlichkeit des Gesetzespaketes zur Unternehmensteuerreform. Ich beziehe mich auf die Regelungen zur
Hinzurechnung von gezahlten Zinsen und gezahlten
Mieten bei der Berechnungsgrundlage der Gewerbesteuer, obwohl gar keine Gewinne vorhanden sind.
({2})
Ich habe es immer so verstanden, dass die Gewerbesteuer eine Ertragsteuer sein sollte. Aber jetzt ist sie zumindest an dieser Stelle eine Substanzsteuer. Zurzeit
sind die Zinsen zur Kapitalbeschaffung höher, weil man
sich in einer schlechten Situation befindet. Dadurch wird
das Problem verschärft. Auch hier sollten Sie überlegen,
was Sie da beschlossen haben und ob man das nicht einfach rückgängig machen sollte.
({3})
Solche Maßnahmen verschärfen die Lage der Unternehmen. Es kann doch nicht wahr sein, dass man für
nicht gezahlte Gewinne eine Gewinnsteuer bzw. Ertragsteuer zahlt. Das muss so schnell wie möglich geändert
werden.
({4})
Es handelt sich hier um faktische Steuererhöhungen, die
insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen
eine erhebliche Belastung darstellen.
Ich möchte noch einen Satz zu den betrieblichen
Bündnissen für Arbeit sagen. Ich weiß, dass diese
Bündnisse häufig eingegangen werden. Ich weiß aber
auch, dass sie in aller Regel auf sehr tönernen Füßen stehen,
({5})
denn sie sind nicht gesetzeskonform. Nur einer muss
klagen, und schon fällt das ganze Gebilde zusammen.
Viele aber klagen nicht, weil sie erkennen, dass diese
Bündnisse sehr viel Flexibilität bieten. Es kann aber
nicht sein, dass vor Ort eine Entscheidung gefällt wird,
die in Frankfurt, in Berlin oder wo auch immer von den
Verbänden erst noch bestätigt werden muss. Vielmehr
sollte man das den kleinen und mittleren Betrieben - sie
handeln ja gerade verantwortlich - überlassen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Edelgard Bulmahn
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Auch von meiner Seite zunächst einen ganz herzlichen Dank an Rainer Wend - Dank an
dich, Rainer, nicht nur weil du wirklich auf eine ganz
tolle Art und Weise Eigensinn und Gemeinsinn, was für
Sozialdemokraten auf jeden Fall wichtig ist, kombinierst, sondern weil du auch die Fähigkeit besitzt, in sehr
kritischer Reflexion zu Entwicklungen Stellung zu nehmen. Daher werden wir dich vermissen.
({0})
Aber du bleibst ja in Berlin. Wir werden dich auch in Zukunft häufig treffen können. Viel Erfolg und alles Gute
für deine neue Arbeit!
({1})
Ich gestehe, am Anfang der Woche, Herr Friedhoff,
hatte ich noch eine große Hoffnung. Ich hatte die große
Hoffnung, dass die FDP aus der Krise, die wir erleben
und die in ihrer Dramatik wirklich einmalig ist, Rückschlüsse zieht und neue Ideen entwickelt. Ich muss aber
sagen: Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Das Fazit der
Anfrage und des Antrags ist, dass es von der FDP nichts
Neues gibt:
Steuern runter, Abgaben runter, Löhne runter, Mitbestimmung abschaffen. Das ist die Quintessenz der Anträge, die Sie vorgelegt haben. Kurz gesagt: Deregulierung ohne Ende. Derlei Einfalt - lassen Sie mich das
sehr offen sagen - passt zwar auf einen Bierdeckel, aber
Ihre Forderungen sind weder von ökonomischem Sachverstand geprägt noch zeugen sie von Einsichtsfähigkeit.
Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der
FDP, tun schlicht so, als habe die schlimmste Weltwirtschaftskrise seit 80 Jahren überhaupt nichts mit marktradikalen Ideologien zu tun. Oder wollen Sie wirklich allen Ernstes behaupten, dass diese Krise durch zu viele
staatliche Vorschriften oder durch die Überregulierung
der Finanzmärkte verursacht wurde? Das können Sie
nicht ernsthaft behaupten.
({2})
Jetzt kann man Ihnen zugutehalten, dass Irren
menschlich ist. Aber ich würde sagen: Einmal Irren ist
menschlich, aber zweimal dem gleichen Irrtum zu unterliegen - genau das tun Sie mit diesem Antrag -, ist
schlichtweg dumm.
({3})
Wenn ich den Antrag lese, dann habe ich gelegentlich
den Eindruck, dass man in der FDP glaubt, dass Ökonomie Theologie sei.
({4})
Ökonomie ist aber nicht Theologie. Ökonomische Theorien müssen sich dem Wirklichkeitstest stellen, und sie
müssen diesen Test bestehen. Wenn sie das nicht tun,
dann müssen ökonomische Theorien verändert werden.
Genau das vermisse ich bei Ihnen.
({5})
Frau Kollegin, Herr Kollege Friedhoff würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Bulmahn, Sie haben gerade wieder das
erzählt, was ich von Ihnen immer höre. Dabei habe ich
geglaubt, dass Sie einmal zu der Einsicht kämen, dass
zwischen „Deregulierung“ und „keine Regeln“ ein
kleiner Unterschied besteht.
({0})
Ich würde sogar sagen, dass das ein sehr großer Unterschied ist. Es ist unbestreitbar, dass wir in dieser Krise
erleben - ich hoffe, Sie sehen das genauso -, dass an
manchen Stellen fehlende Regeln das Problem waren,
während es an anderen Stellen, wo es nicht um so hohe
Milliardenbeträge geht, eine Überregulierung gibt, über
die viele Leute klagen. Sie vermitteln hier wieder den
Eindruck, dass Sie diese beiden Dinge vermischen.
Herr Friedhoff, da widerspreche ich Ihnen. Wenn man
Ihren Antrag liest, dann stellt man fest, dass Sie die gleichen Instrumente vorschlagen, die Sie auch schon vor
10 oder 20 Jahren vorgeschlagen haben. Das tun Sie, obwohl diese Wirtschaftskrise ein Ausmaß hat, das wir
noch nicht erlebt haben, und obwohl wir ganz schmerzhaft erleben, dass die fehlende Regulierung der Finanzmärkte diese Krise zu einem ganz erheblichen Teil verursacht hat. Wir benötigen dringend einen aktiv
handelnden Staat, der in der Lage ist, tatkräftig anzupacken, Investitionen durchzuführen und Gegenstrategien
zu entwickeln. Wir müssen gegensteuern, damit der Binnenmarkt nicht genauso zusammenbricht, wie der Exportmarkt zusammengebrochen ist.
Diese Erkenntnis schlägt sich in Ihrem Antrag überhaupt nicht nieder. Sie sind weiterhin dafür, die Steuern
zu senken, und Sie sind für den Abbau der Mitbestimmung. Sie verkennen, dass gerade die Mitbestimmung
in vielen Betrieben eines der wirksamsten Instrumente
dafür ist, Unternehmen am Leben zu erhalten und zu
vernünftigen Absprachen zwischen der Belegschaft und
der Unternehmensleitung zu kommen. Damit hat ein Unternehmen die Chance, eine solche Wirtschaftskrise zu
überstehen, um anschließend wieder in eine Wachstumsphase einzutreten. All das findet in Ihrem Antrag überhaupt keinen Niederschlag. Deshalb sollte man von Ihrer
Seite stärker kritisch reflektieren, welche Konsequenzen
und welche Lehren aus dieser Krise gezogen werden
können und gezogen werden müssen.
Sie werden mir zweifellos alle zustimmen, wenn ich
sage, dass der Mittelstand in unserem Land der Motor
für Wachstum und Beschäftigung ist. Viele von Ihnen
werden auch der Aussage zustimmen, dass der Mittelstand oft der Vorreiter bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in neue Produkte, in Verfahren und
Dienstleistungen ist. Genau darauf - auf Innovationskraft, aber auch auf Qualität und Zuverlässigkeit - gründet sich die Stärke der mittelständischen Unternehmen.
Ihre Stärke gründet sich hingegen nicht auf niedrige
Löhne oder nicht vorhandene Mitbestimmung.
Um den Mittelstand und das Unternehmertum in unserem Land zu stärken, braucht es einen handlungsfähigen Staat, einen Staat, der verlässliche Rahmenbedingungen schafft - ich unterstreiche das Wort „verlässlich“ -,
der für fairen Wettbewerb sorgt - der Markt funktioniert
nämlich nur, wenn es Regeln für einen fairen Wettbewerb gibt und diese auch eingehalten werden -, der für
sozialen Frieden sorgt und der die berechtigten Sorgen
des Mittelstandes ernst nimmt.
Was den Mittelstand heute allerdings umtreibt, ist
nicht die Sorge vor staatlicher Reglementierung oder vor
zu hohen Löhnen; die Hauptsorge der Mittelständler ist
vielmehr, angesichts der wegbrechenden Aufträge
- deren Zahl liegt bei 30 Prozent, 40 Prozent oder sogar
darüber - nicht überleben zu können. Der Kollege Wend
hat zu Recht einen Zusammenhang zwischen den Unternehmen und den mittelständischen Unternehmen hergestellt: Wenn Aufträge der großen Unternehmen wegbrechen, löst dies eine Kettenreaktion aus; denn dann
brechen auch die Aufträge der kleinen Unternehmen
weg. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass die
großen Unternehmen überleben und so die kleinen Unternehmen mitziehen können. Opel hat allein in
Deutschland 700 Zulieferfirmen. Bedroht ist somit nicht
nur das Unternehmen Opel, sondern bedroht sind auch
diese 700 Zulieferfirmen. Ich könnte andere große Unternehmen nennen, die viel mehr von ihnen abhängige
Zulieferfirmen haben.
Der Mittelstand hat die Sorge, das für seine Unternehmungen nötige Geld nicht zusammenzubekommen. Außerdem hat er die Sorge, seine Belegschaft
nicht halten zu können; schließlich will er mit einer erfahrenen Mannschaft wieder in den Aufschwung starten
können.
Die Koalition hat mit ihren Initiativen, dem Einsatz
gezielter Instrumente und mit den beschlossenen und
mittlerweile angelaufenen Programmen genau diesen
Sorgen Rechnung getragen. Wir stabilisieren den Bankensektor, damit er seine Hauptaufgabe, das Funktionieren des Geldkreislaufes in der Volkswirtschaft zu garantieren, wieder erfüllen kann. Das Funktionieren des
Geldkreislaufes ist für den Mittelstand lebensnotwendig.
Genau darüber haben wir am Mittwoch in der Ausschusssitzung diskutiert. Wir haben mit dem Konjunkturpaket - „Wir bauen Zukunft“ - die Binnennachfrage
gestärkt, damit die mittelständischen Unternehmen mehr
Aufträge bekommen. Damit bringen wir gleichzeitig die
Modernisierung unseres Landes voran. Auch das ist
richtig. Das milliardenschwere Investitionsprogramm,
mit dem wir zum Beispiel Schulen und Bildungseinrichtungen modernisieren wollen, hilft den jungen Menschen, den Kindern - das finde ich richtig - und insbesondere auch den mittelständischen Unternehmen.
Die gegenwärtige Finanzkrise trifft den Mittelstand in
einer ganz besonderen Art und Weise. Das zeigt sich an
dem Mittelstandsmonitor der KfW und der Forschungsinstitute. Das Geschäftsklima der kleinen und
mittleren Unternehmen hat sich massiv verschlechtert.
Daran gemessen waren der Rückgang bei der Investitionsbereitschaft und der Stabilität der Beschäftigungspläne der kleinen und mittleren Firmen relativ moderat;
da stimme ich Ihnen zu, Herr Friedhoff. Diese Firmen
brauchen unsere Unterstützung, damit sie den eingeschlagenen Weg fortsetzen können. Viele kleine und mittelständische Unternehmen denken nicht nur an heute,
sondern auch an morgen und versuchen, diese Krise zu
überstehen und ihr knappes Fachpersonal zu halten, um
für den nächsten Aufschwung gerüstet zu sein.
Die kleinen und mittleren Unternehmen haben das besondere Problem, dass sie in der Regel nicht über hohe
Rücklagen verfügen. Deshalb haben wir mit dem Sonderprogramm, das wir schon im letzten Jahr beschlossen
haben - es hatte ein Volumen von 15 Milliarden Euro;
ich verweise auf die zweite Tranche in diesem Jahr -, die
Möglichkeit deutlich verbessert, dass gerade diese Unternehmen Kredite und Zuschüsse erhalten. Welche
Wirkung das hatte, zeigt die Tatsache, dass schon Anfang März, also kurze Zeit nachdem dieses Programm
angelaufen war, Anfragen nach Krediten mit einem Volumen von rund 1,2 Milliarden Euro vorlagen. In den
letzten Wochen hat sich der Umfang dieser Anfragen
ganz dramatisch erhöht. Das ist aber gut und richtig;
schließlich sollen diese Programme in Anspruch genommen werden. Ich will diese Bühne nutzen, um die Banken und die Sparkassen zu ermutigen, diese Programme
ihren mittelständischen Kunden anzubieten.
Ich hoffe, dass das Bundeswirtschaftsministerium
seine Informationsoffensive über das Programm wirklich zügig über die Rampe bekommt. Die Programme
müssen bekannt sein bzw. bekannter gemacht werden
und dann auch genutzt werden. Da kommt den Banken
und Sparkassen sozusagen eine Schlüsselrolle zu.
({0})
Das Besondere an diesem Programm ist im Übrigen,
dass es mit den optionalen Haftungsfreistellungen eigentlich optimale Bedingungen bietet. Wir garantieren
nämlich vonseiten des Bundes Haftungsfreistellungen
zwischen 50 und 90 Prozent. Das heißt, das Risiko für
die Banken und Sparkassen ist extrem gering.
Jetzt ist es ganz wichtig und von entscheidender Bedeutung, dass die gesamtwirtschaftliche Investitionsnachfrage nicht zusätzlich durch Probleme beim Kreditzugang für Unternehmen geschwächt wird. Das ist
wirklich das A und O.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, kurzfristig
müssen wir alle Kraft darauf konzentrieren, Arbeitsplätze zu sichern und Unternehmen, ob groß oder klein,
vor der Insolvenz zu bewahren. Ihnen, Herr Meyer,
sage ich dabei ganz klar: Natürlich muss man kritisch
prüfen, ob ein Unternehmen ein überzeugendes Konzept
hat, um in der Zukunft bestehen zu können. Ich sage aber
genauso: Wer überhaupt nicht kämpft - das weiß ich aus
meiner langen politischen Erfahrung -, der hat schon
verloren. Uns geht es darum, nicht zu verlieren.
({1})
Kurzfristig müssen wir, wie gesagt, alle Kraft darauf
konzentrieren, Arbeitsplätze zu sichern, Unternehmen
vor der Insolvenz zu bewahren und Kaufkraft zu stabilisieren. Deshalb hat unser Arbeitsminister Scholz schon
im letzten Jahr die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld von 12 auf 18 Monate erhöht. Damit können die
Betriebe ihre Belegschaften halten und müssen sie nicht
in die Arbeitslosigkeit entlassen. Zugleich erstatten wir
den Arbeitgebern über die BA die Sozialversicherungsbeiträge bei Kurzarbeit zur Hälfte und bei Fortbildungsmaßnahmen während der Kurzarbeit sogar zur Gänze.
Das alles hilft den Unternehmen wirklich.
Nun kommt die FDP daher und glaubt allen Ernstes,
die Forderung, Steuern und Abgaben noch weiter zu
senken, stellen zu müssen.
({2})
Ich sage es noch einmal ausdrücklich: Das hilft dem Mittelstand wirklich nicht.
({3})
Dagegen helfen die Programme und Maßnahmen, die
wir gemacht haben, tatsächlich den Menschen und den
Unternehmen. Meine Vorredner haben ja schon eine
ganze Reihe von Programmen und Maßnahmen genannt:
CO2-Gebäudesanierungsprogramm, erweiterte Abschreibungsmöglichkeiten - hier haben wir ja Regelungen zum
Teil vorgezogen -, die Möglichkeit zur steuerlichen Absetzbarkeit von Handwerkerdienstleistungen. Auch die
Verschrottungs- bzw. Umweltprämie möchte ich nennen.
Sie hilft ja nicht nur den Großunternehmen, sondern
auch den Verschrottungs- und Zulieferbetrieben. All das
hilft tatsächlich und zeigt, dass wir einen aktiv handelnden Staat brauchen und nicht einen Staat, der sich auf die
Rolle des Nachtwächters beschränkt.
({4})
Die Koalition hat gehandelt. Das gilt im Übrigen auch
für den Bürokratieabbau. Darüber haben wir heute
noch nicht so viel geredet. Aber indem wir Gesetzgebungsverfahren, Verordnungen und Richtlinien durch
den Normenkontrollrat überprüfen ließen, hat die Koalition es geschafft, spürbar Bürokratie abzubauen. Nachdem wir es auf Bundesebene geschafft haben, wirklich
spürbar Bürokratie abzubauen,
({5})
frage ich mich nun schon, wo denn konkrete Vorschläge
der FDP bleiben und welche wegweisenden Maßnahmen
zum Bürokratieabbau sie in den Ländern ergriffen hat, in
denen sie mitregiert und auch ganz konkret mitentscheiden kann. All dies vermisse ich.
({6})
Ich möchte noch kurz auf einen letzten Aspekt eingehen. Ich glaube nämlich, dass es wichtig ist, dass wir in
der gegenwärtigen Krise nicht nur darauf schauen, was
wir jetzt tun müssen. Das steht zwar im Vordergrund und
ist wichtig, aber wir müssen auch darauf achten, dass wir
die Weichen für die langfristige Entwicklung richtig stellen. Uns ist es deshalb wichtig, dass wir die mittelständischen Unternehmen in die Lage versetzen, langfristig
erfolgreich zu sein. Das heißt, es müssen wirklich Investitionen in die Weiterbildung der Beschäftigten und in
Innovationen stattfinden. Nur so können nämlich Zukunftsmärkte erschlossen werden. Dabei spielt das Forschungs- und Entwicklungsprogramm für die mittelständischen Unternehmen eine ganz wichtige Rolle.
Die Mittel hierfür haben wir noch einmal um 900 Millionen Euro erhöht. Damit wollen wir den mittelständischen Unternehmen die Unterstützung geben, die sie nötig haben, damit sie all das erreichen können. Wir wissen
nämlich, dass wir in einem bloßen Kostenwettbewerb international nicht bestehen können. Wir können nur dann
Zukunftsmärkte erschließen und Arbeitsplätze erhalten,
wenn wir gute Qualität produzieren, wenn wir die Gewinner im Innovationswettlauf sind und wenn wir die
Zukunftsmärkte als einer der ersten erschließen. Das ist
langfristig die notwendige Aufgabe. Ich finde, das hat
viel mehr mit Liberalität zu tun, als das Fordern von
Steuersenkungen für Milliardäre oder Bonizahlungen für
gescheiterte Manager.
({7})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Kurzum: Die Koalition trägt dem Rechnung. Wir handeln entschlossen, weil wir wissen, dass uns ideologische Seifenblasen nicht helfen.
({0})
Es kommt darauf an, dass man Verantwortung übernimmt. Das hat die Koalition getan und das tut sie. Ich
bin davon überzeugt, dass das die Menschen anerkennen
und unterstützen.
Vielen Dank.
({1})
Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Kollege Staatssekretär Hartmut Schauerte.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wend, Sie wechseln in eine andere
berufliche Aufgabenstellung. Ich danke Ihnen für die
Zusammenarbeit und wünsche Ihnen Glück, auch deswegen, weil wir uns im Parlament immer wieder einmal
vergewissern sollten, dass man nicht nur im Parlament
und in der Politik für das Gemeinleben nützlich sein
kann. Man kann das auch in jeder anderen Position.
({0})
Deswegen wünsche ich Ihnen viel Glück dabei.
Unter den Vernünftigen ist völlig unstreitig, dass der
Mittelstand hochwichtig und von zentraler Bedeutung
für uns und unsere Wohlstandsmehrung ist. Bei Unvernünftigen ist das anders. Die Frage ist also nicht, ob wir
ihn ernst nehmen, sondern ob wir ihn ernst genug nehmen.
Als Beauftragter der Bundesregierung für den Mittelstand möchte ich ein paar Bemerkungen zur Vergangenheit machen. Zu Ihrem Antrag, Herr Kollege Friedhoff:
Der Antrag ist älter, also nicht ganz aktuell.
({1})
Im Prinzip wurde er vor der Krise, über die wir reden,
geboren. Er hätte eine Anpassung benötigt, das wissen
wir. Ich möchte mich damit aber nicht so sehr beschäftigen.
({2})
Ich möchte einige Bemerkungen zum Mittelstand machen. Tun wir etwas? Wird er ernst genommen? Ja, er
wird ernst genommen. Ich behaupte, er ist unter dieser
Regierung in den letzten drei Jahren ernster genommen
worden als in vielen Regierungsjahren davor.
Für den Kapital- und Kreditmarkt haben wir
enorme Programme aufgelegt. Ich will eine Zahl nennen: Wir haben im letzten Jahr rund 67 000 Kreditanträge des Mittelstandes aus KfW- und ERP-Programmen bewilligt. Eine solche Zahl hat es noch nie gegeben.
Sonst hat es sich um 15 000, 20 000 oder 30 000 Anträge gehandelt.
Die Forschungsausgaben sind enorm gestiegen. Die
Mehrheit der Forschungsausgaben in Deutschland landet
heute unstreitig beim Mittelstand und nicht mehr bei den
großen Einrichtungen. Dieses Switchen ist ein wichtiger
Fortschritt.
Wir haben die Beiträge für die Lohnzusatzkosten um
2,75 Prozentpunkte und damit die Lohnzusatzkosten
insgesamt um mehr als 6 Prozent gesenkt. Eine Senkung
innerhalb von drei Jahren in solch großem Umfang hat
es in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben; auch nicht zu Zeiten, als wir zusammen an der Regierung waren, Herr Friedhoff. Das gehört zur Wahrheit
dazu.
Das Thema Bürokratieabbau möchte ich nicht vertiefen. Wir haben es so gründlich und systematisch angepackt wie noch nie jemand zuvor. Der Bürokratieabbau
trägt bereits Früchte in Milliardenhöhe und berechtigt zu
den schönsten Hoffnungen; denn dieses Programm
kommt nicht zum Ende, sondern wird konsequent fortgesetzt und ausgebaut. Wir haben einen wichtigen Einstieg gefunden, den der Mittelstand auch spüren wird.
Wir sind keineswegs am Ende.
Die Ergebnisse sprechen für sich. In den letzten Jahren ist die Zahl der selbstständigen Mittelständler von
3,65 Millionen auf 4,16 Millionen gestiegen, also ein
Anstieg von 10 Prozent auf jetzt insgesamt 10,9 Prozent
der Erwerbstätigen. Wir haben in Deutschland also eine
deutlich gestiegene Selbstständigenquote. Das ist gut.
Wir haben aber auch andere Dinge gemacht, die nicht
im Fokus stehen. Ich könnte über eine ganze Serie berichten, ich will aber nur einen Punkt nennen: Wir haben
etwas für die Altersversorgung der Mittelständler und
Selbstständigen getan. Wir haben erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein pfändungsfreies Alterseinkommen für Mittelständler eingerichtet, in dessen Genuss sie selbst dann kommen,
wenn sie pleitegegangen sind.
({3})
Bisher waren die Mittelständler an dieser Stelle sozial
völlig ungeschützt. Es gibt eine Vielzahl von sinnvollen
Dingen, die wir gemacht haben, auch wenn diese nicht
im Zentrum der Diskussion gestanden haben.
Natürlich gibt es noch etwas zu tun. Ich bin der festen
Überzeugung, dass wir noch eine lange Wegstrecke vor
uns haben, bis alles so justiert ist - wenn man das jemals
schafft -, dass man sagen kann: Jetzt läuft es rund, jetzt
kann es so bleiben. Nein, dieser Bereich wird dauerhaft
eine Baustelle bleiben. Er verändert sich permantent.
Deswegen müssen wir immer neue Antworten finden.
In dieser Krise - damit bin ich in der Nähe von Opel ist es wichtig, dass wir klarmachen, dass für Kleine wie
Große die gleichen Bedingungen gelten, wenn entschieden wird, ob man ihnen in der Krise hilft. Es darf
keine Vorfahrt für die Großen geben. Ich meine sogar,
große Unternehmen können präziser formulieren, was
sie brauchen, warum sie es brauchen und wie es weitergehen soll, als kleine. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir bei kleinen Unternehmen höllisch auf
Feinheiten achten, während bei großen Unternehmen
schon dann, wenn der Betriebsratsvorsitzende eine kluge
Rede gehalten hat, davon ausgegangen wird, dass es ein
Konzept für das Unternehmen gibt. Hier muss eine
Gleichbehandlung erfolgen.
Das gilt, Frau Kollegin Bulmahn, auch für die Betrachtung unter dem Aspekt der Arbeitslosigkeit. Auch
Laurenz Meyer hat diesen Aspekt in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt. Es ist uns genauso wichtig, zu vermeiden, dass jemand, der bei Opel arbeitet, arbeitslos wird,
wie es uns wichtig ist, zu vermeiden, dass jemand, der
bei irgendeinem mittelständischen Unternehmen arbeitet, arbeitslos wird. Wir wissen, dass wir im Verlauf dieser Krise eventuell mit 500 000 oder 800 000 zusätzlichen Arbeitslosen rechnen müssen; auf die genaue Zahl
will ich mich jetzt nicht festlegen. Da muss man Antworten geben. Da kann man nicht sagen: Wenn es um
50 000 Arbeitsplätze geht - Opel oder Schaeffler -, geben wir vorab eine Antwort, aber was die übrigen der
500 000 oder 800 000 Arbeitslosen, mit denen wir statistisch eventuell rechnen müssen, angeht, geben wir keine
Antwort.
Ich will - diesen einen Gedanken noch; dann ist
meine Redezeit zu Ende - dem Vorwurf vorbeugen, wir
handelten bei den Großen schneller als bei den Kleinen.
Es sind bereits über 400 Anträge von Mittelständlern auf
konkrete Hilfe aus den Förderprogrammen, die wir haben - 115 Milliarden Euro -, bei uns eingegangen. Über
mehr als 250 dieser Anträge ist schon positiv entschieden worden. So viele Unternehmen wissen schon, dass
sie die Chance, um die sie gebeten haben, bekommen.
Über Opel und Schaeffler diskutieren wir seit sechs Monaten. Jeden Tag sind sie auf Seite 1 der Zeitung. Natürlich will kein Mittelständler auf Seite 1 der Zeitung stehen. Das muss er auch nicht; solche Hilfe kann ja auch
diskret laufen. Im Hinblick auf Opel und Schaeffler gibt
es trotz sechs Monaten Debatte noch keine Entscheidung. Wie gesagt: Wir achten darauf, dass nicht die Großen sich durchsetzen und die Kleinen hinterherlaufen.
Hier laufen die kleinen Mittelständler voraus. Ob und
wie wir den Großen helfen, entscheiden wir, wenn die
Unterlagen, die uns vorgelegt werden, ausreichend genug sind, damit man eine Entscheidung treffen kann.
Ich lege großen Wert darauf, zu sagen: Die Bundesregierung nimmt den Mittelstand ausgesprochen ernst.
Er hat sich gut entwickelt. Seine Eigenkapitalausstattung
ist deutlich besser als noch vor drei, vier Jahren. Der
Mittelstand geht gestärkt in die Krise. Wir wollen ihn
konsequent begleiten und die Chancen für den Mittelstand optimieren, solange uns das möglich ist. Im Herbst
brauchen wir einen neuen Wählerauftrag. Dann können
wir das angehen, was noch nicht geschafft werden
konnte. Darauf arbeiten wir dann zu gegebener Zeit hin.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte meinem Kollegen Rainer Wend danken. Der Begriff „Geisteshaltung“ ist schon gefallen. Ich
will sagen: Uns verbindet, was den Mittelstand angeht,
weiß Gott eine ähnliche Geisteshaltung. Man ist damit in
einem Parteiengefüge manchmal Konflikten ausgesetzt.
Auf der anderen Seite hat man den Spaß und den Genuss
der Auseinandersetzungen, die damit verbunden sind.
Das verbindet uns beide. Viel Glück auf deinem weiteren Weg!
Reinhard Schultz ({0})
Ich bleibe beim Thema Geisteshaltung. Ich will über
die Geisteshaltung, die aus dem Antrag der FDP hervorgeht, reden. Diese Geisteshaltung ist eine Betrachtung
wert. Ich finde viele Kolleginnen und Kollegen von der
FDP in den Debatten im Ausschuss in hohem Maße
sympathisch und kenne sie als seriöse Gesprächspartner.
Aber wenn die FDP im Pulk auftritt, ist sie durch ihr Deregulierungsgerede in dieser Krise ein Brandbeschleuniger; das muss man einmal sagen. Da muss man sich Sorgen machen, und man hat Angst.
Auf wessen geistigem Keimboden ist denn all das gewachsen, wodurch die Finanzkrise entstanden ist?
Durch jahrelanges Deregulieren ist es dazu gekommen:
Alle möglichen Finanzmarktprodukte wurden zugelassen. Die Kontrollen wurden runtergefahren. Internationaler Wettbewerb war die Legitimation dafür, dass
Dinge zugelassen wurden, die man unter vernünftigen
Bedingungen überhaupt nicht zugelassen hätte. Dieses
Gebäude ist zusammengebrochen. Da muss man sich
fragen: Wer ist mit geistiger Urheber solcher Krisen
({1})
und wer nicht?
({2})
Ich will das aber gar nicht überziehen, sondern jetzt
zur Geisteshaltung der Mittelständler kommen, die
ich nun wirklich gut kenne, auch aufgrund meiner persönlichen Herkunft und der Funktion in meiner Fraktion.
Hier ergibt sich ein ausgesprochen vielfältiges Bild: Es
geht von den Kleinen, die weitgehend sich selbst oder
darüber hinaus sehr wenige Mitarbeiter ernähren, binnenmarktorientiert, in lokalen und regionalen Kreisläufen, bis hin zu den leistungsstarken Mittelständlern im
Anlagen- und Maschinenbau, die international aufgestellt sind. Sie sind nicht zu vergleichen. Aber eines ist
allen gemeinsam: Alle wissen, dass sie, wenn sie Geld
verdienen wollen, das nicht durch eine Selbstbefruchtung tun können und ohne anderen etwas zu gönnen;
vielmehr müssen sie erkennen, dass sie eingebettet sind
in ein Marktgefüge, in dem auch andere Geld verdienen
müssen, damit sie bei ihnen etwas bestellen und kaufen
können. Nach diesem Prinzip funktioniert das System.
Wer in einer schwierigen Situation fordert, dass die Unternehmen dadurch entlastet werden, dass die Löhne der
Mitarbeiter gesenkt werden, bringt die Balance völlig
durcheinander; denn das würde die Kaufbeziehungen
stören und sich in einer Krise wie der jetzigen katastrophal auswirken.
({3})
Deswegen sind wir zu Recht von vielen binnenmarktorientierten Mittelständlern ausdrücklich gelobt worden, sowohl für das erste als auch für das zweite
Konjunkturprogramm, weil diese Programme dazu
beigetragen haben, bei den Käufern, den Bestellern von
Dienstleistungen und Waren, Zuversicht auszulösen. Sie
hatten mehr in der Tasche als vorher, und das dadurch
entstehende positive Grundgefühl wirkt sich auf das Verhalten aus. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn die
Krisenstimmung dazu geführt hätte, dass die Leute
- trotz der hohen Sparquote in Deutschland - ihr Portemonnaie noch mehr zugehalten hätten. Das haben sie
aber nicht getan. Wir haben, trotz Krise, eine relativ stabile Binnennachfrage. Das ist die Folge einer klug angelegten Politik. Jeder Mittelständler weiß, dass Kaufbeziehungen und Marktbeziehungen durch Geben und
Nehmen bestimmt werden.
Deswegen kann es nicht sein, dass einerseits Lohnverzicht bei den Mitarbeitern gepredigt wird, während
andererseits gerade von diesen Mitarbeitern verlangt
wird, dass sie viel kaufen. Das kann nicht gut enden.
Das ist das Grundproblem solcher Anträge, wie Sie
sie hier seit Jahren einbringen: In einem konkreten einzelnen Unternehmen soll der Mitarbeiter möglichst wenig verdienen, weil der Mittelständler das angeblich fordert. Alle anderen sollen aber mehr verdienen, damit bei
diesem Mittelständler trotzdem gekauft wird. Das kann
in einer Gesellschaft nicht funktionieren, weder ökonomisch noch sozial. Sie verlieren da aus meiner Sicht den
gesellschaftlichen Überblick vollständig.
Ich will Ihnen noch etwas zur Geisteshaltung von
Mittelständlern sagen, auch anhand von konkreten Beispielen aus der Gesetzgebung. Ich kenne eigentlich nur
Mittelständler, die vor der Marktmacht großer Einheiten
geschützt werden wollen, die nicht plattgemacht werden
wollen von großen Wettbewerbern, ob das große Einkaufsketten sind - die fünf Großen gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel -, ob das der Textilhandel ist, ob
das die kleinen Maschinenbauer gegenüber Siemens
sind; vielmehr wollen sie Wettbewerbsgerechtigkeit in
einem Staat, der diese Wettbewerbsgerechtigkeit herstellt und durchsetzt.
Wir haben es bei der Vergaberechtsreform gesehen.
Wir wollen nicht, dass die großen Einheiten als Generalunternehmer die mittelständischen Kleinunternehmer zu
Dumpingbedingungen unter Vertrag nehmen, mit denen
sie nicht leben und nicht sterben können, während die
Großen den dicken Reibach machen. Wir haben durchgesetzt, dass die mittelständischen Unternehmen durch
das Grundprinzip der losweisen Vergabe künftig viel
besser zum Zuge kommen. Das ist Mittelstandspolitik,
wie ich sie verstehe: mit einem praktischen Packende
statt reinem ideologischem Rumgebrülle.
({4})
Wir haben im Zusammenhang mit der Finanzkrise
nicht nur die Finanzierungsbedingungen für die mittelständischen und die kleineren Unternehmen verbessert.
Das muss sich jetzt erst entfalten; da hat Edelgard
Bulmahn völlig recht. Wir müssen die Banken dazu bewegen, die Möglichkeit, wenigstens zu einem Teil aus
der Haftung genommen zu werden, wirklich an den
Markt weiterzureichen. Wir haben das Hausbankenprinzip. Wenn die Hausbanken ihre Türen zumachen, dann
helfen die KfW-Angebote nichts. Da muss Druck gemacht werden. Da sind noch sehr viele Gespräche erforderlich. Wenn dieser Sektor nicht ans Laufen kommt,
sind die anderen Programme umsonst; das stimmt. Aber
wir haben die Programme aufgelegt. Das Geld steht zur
Reinhard Schultz ({5})
Verfügung, und jetzt kommt es darauf an, diese Programme gemeinsam vernünftig zu vermarkten.
Es gibt immer wieder Probleme, die besonders in
schwierigen Zeiten auftreten. Dazu gehört zum Beispiel
die Refinanzierung im eigenen Unternehmen. Es gibt
steuerliche Mechanismen, die in guten Zeiten positiv
und in schlechten Zeiten negativ wirken. Deswegen habe
ich mich persönlich sehr darüber gefreut, dass Peer
Steinbrück auf dem Mittelstandstag des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes erklärt hat, dass er als
Finanzminister dafür eintritt, im Zuge der Evaluierung
von bestimmten Wirkungen einzelner Maßnahmen der
Unternehmensteuerreform all das, was mit Refinanzierung zu tun hat, zu überprüfen und Erleichterungen zu
möglichen. Das gilt für die Frage der Verlustvorträge
und vielleicht auch für die Frage der Zinsschranke und
für andere Mechanismen.
Natürlich ist das vernünftig. Wir sind in keiner Weise
verbohrt. Es geht ja nicht darum, Unternehmen zu
knechten, sondern darum, die Balance hinzubekommen
zwischen dem, was an staatlicher Finanzierungsautonomie erforderlich ist, um das Ganze zu erhalten, und dem,
was den Unternehmen an Belastungen zugemutet werden kann. Das muss immer wieder neu austariert werden. Das werden wir mit Blick auf diese Probleme tun.
Ich hoffe, dass das sehr kurzfristig der Fall sein wird.
Die Große Anfrage der FDP zum Thema Bürokratieabbau ist geradezu ein Geschenk für die Regierungskoalition. Ihre Fragen legen den Verdacht nahe, Sie seien
bei den Beratungen nicht anwesend gewesen. Jede Ihrer
Fragen läuft total ins Leere. Sie tun so, als gebe es noch
reihenweise Vollerhebungen, mit denen kleine und mittlere Unternehmen geknechtet werden. Es gibt sie aber so
gut wie nicht mehr. Es werden vielmehr entweder Stichproben genommen oder es wird auf vorhandene Verwaltungsdaten zurückgegriffen. Das ist ein großer Fortschritt, der in relativ kurzer Zeit zustande gekommen ist.
Sie haben ihn aber gar nicht wahrgenommen. Es bedurfte erst einer Großen Anfrage, um Ihren Geist in diesem Punkt zu erhellen. Jetzt ist es dokumentiert, was
durchaus etwas für sich hat.
In Ihren Fragen zum Bürokratieabbau weisen Sie reihenweise auf Vorschriften hin, die schon vor fünf Jahren,
also zurzeit der vorherigen Koalition, abgeschafft worden sind. Der Wirtschaftsminister musste Ihnen darlegen, dass schon die damals Handelnden den Bürokratieabbau ernst genommen haben. Aber die FDP hat es nicht
gemerkt. Es ist eine merkwürdige Art, Politik zu machen, indem man sich von irgendjemand eine Große Anfrage aufschreiben lässt, ohne darüber nachzudenken, ob
diese Fragen überhaupt einen realen Hintergrund haben.
Zu dieser großen Pleite beglückwünsche ich Sie; uns
kommt sie eher zugute. Aber sich selbst und erst recht
dem Mittelstand haben Sie damit überhaupt keinen Gefallen getan.
Letztendlich muss ein vernünftiges Wirtschaftsmodell darauf ausgerichtet sein, sowohl ein verantwortbares qualitatives und nachhaltiges Wachstum hinzubekommen als auch einen sozialen Ausgleich zu schaffen.
Ein Wirtschaftsmodell, das nicht beides schafft, wird immer aus der Kurve fliegen. Ein Modell, bei dem nur die
Bezieher von Transferleistungen im Blick stehen und bei
dem übersehen wird, dass jemand diese Leistungen erwirtschaften muss, wird genauso scheitern wie ein Modell, das nur dafür sorgt, dass ein paar Wenige möglichst
hohe Gewinne haben und die anderen in die Röhre gucken. Der Ausgleich ist das, was soziale Marktwirtschaft
ausmacht.
Alles, was diesen Ausgleich ermöglicht, ist politisch
gerechtfertigt. In unterschiedlichen Zeiten kann es sich
um unterschiedliche Maßnahmen handeln. Im Zeichen
der Finanzkrise haben wir zu harten Maßnahmen gegriffen. Diese waren erforderlich. Ansonsten wäre der Karren vor die Wand gefahren worden. Selbst Sozialdemokraten in meinem Alter, die in jungen Jahren das
Schlagwort von der Verstaatlichung der Banken gehört
hatten, haben sich nicht vorstellen können, dass ein solches Vorgehen einmal notwendig sein würde. Aber jeder
im Saal weiß ganz genau: Ohne diese Maßnahmen wäre
die Finanzierung von Wirtschaft und Bürgern in diesem
Lande nicht mehr möglich. Ohne die Rettung der HRE
wäre der Laden zusammengebrochen. Dann hätten die
Mittelständler genauso in die Röhre geguckt wie die Arbeitnehmer. Man kann sich darüber streiten, wie man die
Rettung organisiert. Aber dass diese Maßnahmen erforderlich waren, wird keiner ernsthaft bestreiten.
({6})
So bringt jede Schwierigkeit und jede Zeit ihre eigenen Antworten mit sich. Es läuft aber immer darauf hinaus, eine vernünftige Balance zu finden zwischen den
Interessen von Unternehmen, die mit großem Risiko
wirtschaften, Arbeit schaffen und zum Wohlstand beitragen, und den Interessen der Arbeitnehmer und der übrigen Gesellschaft, die natürlich am Wohlstand partizipieren wollen und die in einem erheblichen Umfang dazu
beitragen. Das darf nicht vergessen werden. Es ist nicht
der Mittelständler allein, der den Wohlstand schafft, sondern es sind die vielen, die ihm dabei durch ihre tägliche
Arbeit helfen.
Wenn wir das sehen, werden wir in Zukunft Mittelstandsdebatten etwas unterkühlter und ehrlicher führen.
Es geht nicht darum, den egoistischen Mittelständler,
den nichts anderes als seine eigene Bilanz interessiert,
vor dem Rest der Welt zu schützen. Es geht vielmehr darum, vernünftigen, verantwortlichen Unternehmen dabei
zu helfen, sich selbst zu helfen und gleichzeitig einen
Beitrag für die übrige Gesellschaft zu leisten.
Vielen Dank.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernst
Hinsken, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Werte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin der FDP dankbar dafür, dass die vorliegende Große Anfrage gestellt und darüber hinaus ein
Antrag mit Hinterfragungen eingereicht worden ist. Gibt
uns dies doch die Möglichkeit, einmal darauf zu verweisen, was gerade diese Regierung und diese Große Koalition für den Mittelstand und das Handwerk in den letzten
Jahren geleistet haben. Das kann sich wahrlich sehen
lassen; denn in dieser Regierungspolitik finden sich das
Handwerk und der Mittelstand nachhaltig wieder.
({0})
Als einziger Handwerksmeister, der in dieser Debatte
das Wort ergreifen darf, möchte ich darauf verweisen,
dass auf allen Großveranstaltungen des Handwerks nicht
nur Wirtschaftsminister a. D. Michael Glos und jetzt
Wirtschaftsminister zu Guttenberg, sondern immer auch
die Bundeskanzlerin zugegen waren und mit großem
Beifall bedacht worden sind. Das können Sie, Frau
Handwerkspräsidentin Strothmann, oder Sie als Handwerksmeister, Herr Kollege Wittlich, bestätigen. Ich
meine, jemand wird nur dann bejubelt und beklatscht,
wenn er Entsprechendes geleistet hat. Ich darf bei dieser
Gelegenheit auf Folgendes hinweisen: Für mich und für
viele in der Bundesrepublik Deutschland ist das Handwerk ein wichtiger Eckpfeiler der Wirtschaft schlechthin.
({1})
Herr Kollege Rossmanith, Sie haben im Haushaltsausschuss als zuständiger Berichterstatter vieles für das
Handwerk getan. Ich meine, dass es in der Endrunde dieser Legislaturperiode angemessen ist, einmal ein Wort
des Dankes dafür auszusprechen, dass das Handwerk
nicht hintangestellt worden ist, sondern in den Mittelpunkt der Entscheidungen gerückt wurde. Herzlichen
Dank!
({2})
Meine Damen und Herren, ein Handwerker hebt sich
sehr wohl ab. Er ist zu 75 Prozent Personengesellschafter. Er haftet mit seinem ganzen Hab und Gut. Er hat
keine 38-Stunden-Woche, sondern meist das Doppelte.
Er muss sich verschiedenen Entwicklungen aussetzen.
Er muss sich behaupten; er muss kreativ sein. Er muss
sich nachhaltig einbringen, um sich überhaupt durchsetzen zu können. Er kann nicht wie ein smarter Manager
eines großen Unternehmens - ich bedauere sehr, dass in
dieser Debatte heute viel zu viel über Opel gesprochen
wurde - seinen Hut nehmen, sondern muss selbst für all
das einstehen, was für ihn wichtig ist, damit er überhaupt
über die Runden kommt. Ein tüchtiger Handwerker ist
für mich ein Fachmann, ein Kaufmann, ein Techniker
und zudem einer, der etwas von moderner Kommunikationstechnologie verstehen muss, um nicht nur die Geräte installieren und reparieren, sondern sie darüber hinaus auch vernünftig nutzen zu können.
Ganz besonders wichtig scheint mir - das kommt viel
zu wenig zum Ausdruck - die soziale Verantwortung
zu sein. In keinem anderen Wirtschaftsbereich sitzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so nahe beieinander in einem Boot. Jeder weiß: Geht es dem Unternehmer gut,
dann geht es auch mir als Arbeitnehmer gut. Erbringe
ich als Arbeitnehmer die notwendige Leistung, dann
kann ich meinen Betrieb nach vorne bringen, damit etwas geschaffen wird.
Vergessen wir doch eines nicht: Wo kämen wir hin,
wenn wir nicht im Rahmen des dualen Systems die Ausbildungsleistung des Handwerks mit 480 000 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen vorweisen könnten?
({3})
In diesem Zusammenhang richte ich ein herzliches Wort
des Dankes an das Handwerk schlechthin. Vergessen wir
nicht, wie es mit der Jugendarbeitslosigkeit in den Nachbarländern aussieht: 21,5 Prozent in Frankreich und in
Finnland, beim PISA-Sieger, 19,8 Prozent. Bei uns in
Deutschland sind es erfreulicherweise nur 8,1 Prozent.
Auf diese Zahl kann speziell das Handwerk verweisen
und sagen: Wir geben der Jugend Lebens- und Zukunftsperspektiven. Wir sorgen für Fachkräfte von morgen.
({4})
Im Übrigen ist es mir wichtig, darauf zu verweisen,
dass insbesondere Handwerker gerne bereit sind, sich
ehrenamtlich zu betätigen. Deshalb ein Dankeschön an
diejenigen - es sind 300 000 an der Zahl -, die sich ehrenamtlich einbringen und dafür sorgen, dass unser
Kammersystem, unser Verwaltungssystem in Sachen
Handwerk, funktioniert.
({5})
Kollege Friedhoff, eines möchte ich zum Thema
Bürokratie sagen: Im letzten Dreivierteljahr hat sich die
FDP abgemeldet und nichts mehr dazu gesagt. Wir haben das Bürokratieentlastungsprogramm aufgelegt und
Vereinfachungen durchgeführt. Nach dem zweiten Vereinfachungsgesetz ist von Ihnen nichts mehr gekommen.
Wir hingegen waren an dem Thema dran. Ich möchte der
Bundesregierung dafür danken, dass die Wirtschaft
durch Vereinfachungen seit 2006 um 7 Milliarden Euro
entlastet wurde. Die Informationspflichten wurden um
12,5 Prozent abgebaut, und mit den drei Mittelstandsentlastungsgesetzen wurden die Belastungen der Unternehmer um 1,8 Milliarden Euro gesenkt.
Ein Beispiel: Über die Handwerkszählungen haben
wir ewig geredet, aber es ist nichts getan worden. Die
Handwerkszählungen werden bei 460 000 Unternehmern künftig entfallen. Das ist eine Entlastung. Tue Gutes und rede darüber! Wir haben gehandelt. Wir haben
etwas gemacht.
({6})
Wir haben darüber hinaus verschiedene Maßnahmen
vereinbart, die einen ausgewogenen Mix ergeben: dauerhafte Senkung der Steuer- und Abgabenbelastungen, zusätzliche öffentliche Investitionen in Infrastruktur und
Bildung, Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung
sowie neue Instrumente, um die Kreditversorgung des
Mittelstandes zu sichern. Wir haben - das ist von verschiedenen Vorrednern schon gesagt worden - den sogeErnst Hinsken
nannten Handwerkerbonus verdoppelt und die degressive Abschreibung im Jahr 2009/2010 bei beweglichen
Wirtschaftsgütern auf über 25 Prozent angehoben. Zudem haben wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung
von 6,5 auf 2,8 Prozent gesenkt. Bei der gesetzlichen
Krankenversicherung gehen wir ab 1. Juli auf 14,9 Prozent runter. Das entlastet die Arbeitgeber rechnerisch um
circa 2 Milliarden Euro. Dieser Erfolg ist es allemal
wert, hier einmal Erwähnung zu finden.
({7})
Ich meine, dass wir dem Anspruch „Mehr Netto vom
Brutto“ gerecht werden. Ich möchte nicht darauf verweisen, was noch alles getan worden ist.
Nein, Herr Kollege, das können Sie auch nicht. Ihre
Redezeit ist zu Ende.
Da ich das nicht mehr kann, eine letzte Bemerkung,
Frau Präsidentin: Handwerker und Mittelständler sind
Menschen wie du und ich. Sie brauchen Zuversicht. Die
Krise muss erfolgreich überwunden werden. Wir werden
das alles schaffen, wenn wir das Handwerk und den Mittelstand weiterhin ins Zentrum unserer Bemühungen
stellen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 31 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/12326 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie den Abgeordneten Thomas Oppermann,
Joachim Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle
der Nachrichtendienste des Bundes
- Drucksache 16/12411 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie den Abgeordneten Thomas Oppermann,
Joachim Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({1})
- Drucksache 16/12412 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({3}), Monika
Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste sowie des Informationszugangsrechts
- Drucksache 16/12189 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Nešković, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Dr. Norman Paech, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes
- Drucksache 16/12374 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD
und FDP bringen eine Novelle des Gesetzes über die
parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste ein.
Zu Beginn der Debatte betone ich, dass es uns - denjenigen, die diesen Gesetzentwurf einbringen; ich hoffe aber,
auch den anderen Fraktionen - ein Anliegen ist, festzuhalten, dass Nachrichtendienste legitim und notwendig
sind. Auch Nachrichtendienste gehören mit ihrer Aufgabe zum demokratischen Rechtsstaat. Wir brauchen sie;
sie sind ein weiteres legitimes Kind des demokratischen
Rechtsstaates.
Die Nachrichtendienste haben aber eine Besonderheit
gegenüber anderen staatlichen Einrichtungen: Sie sind
geheim. Damit stellen sie etwas infrage, was originär zur
Demokratie gehört: die Öffentlichkeit als ein wesentliches Kontrollprinzip in der Demokratie. Dies passt nicht
zusammen. Der Anspruch der Demokratie, öffentliche
Kontrolle auszuüben, verträgt sich nicht mit der Aufgabe
von Nachrichtendiensten. Daraus darf und kann aber
nicht der Schluss gezogen werden, dass Nachrichtendienste ein kontrollfreier Raum seien. Sie können ihre
Tätigkeit nicht öffentlich darlegen und rechtfertigen.
Also kommt genau an dieser Stelle notwendigerweise
die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste
ins Spiel. Es ist ein Gebot des demokratischen Rechtsstaats, durch das und im Parlament diese Kontrolle der
Nachrichtendienste auszuüben.
({0})
Genauso ist es aus Sicht der Nachrichtendienste eine
Notwendigkeit - dies folgt daraus -, dass diese Kontrolle stattfindet. Die Kontrolle im Parlament ist nicht
gegen Nachrichtendienste gerichtet. Wenn aber die Bürgerinnen und Bürger die Vermutung haben müssten oder
wüssten, dass es keine wirksame Kontrolle von Nachrichtendiensten im Parlament gebe, dann fänden Nachrichtendienste keine Akzeptanz in einer demokratischen
Gesellschaft.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich einem immer
noch bestehenden Missverständnis, das uns leider auch
im Vorfeld dieser Debatte erneut vorgetragen worden ist,
offensiv entgegentreten: Die Kontrolle der Nachrichtendienste im und durch das Parlament ist nicht Ausdruck
des Misstrauens, sondern eine Bedingung dafür, dass
Nachrichtendienste arbeiten können, eben weil es eine
Bedingung für Vertrauen und Akzeptanz von Nachrichtendiensten ist.
({2})
Darum sieht sich das Parlament hier in der Pflicht, die
Wirksamkeit seiner Arbeit zu gewährleisten. Es ist daher
die Aufgabe des Parlaments, nicht nur am Ende über die
gesetzlichen Maßnahmen abzustimmen, sondern sich
zuvor selbst über sie klar zu werden, sie auszufeilen und
über sie zu debattieren.
Dem Verständnis meiner Fraktion, der CDU/CSU,
entspricht es, dass dies nicht nach den gerade gegebenen
Mehrheitsverhältnissen im Parlament geschehen soll.
Hier geht es um institutionelle, parlamentarische Grundfragen, die über die jeweils bestehenden Gräben hinweg
zwischen jeweiliger Regierungsfraktionenmehrheit und
jeweiliger Opposition in einem institutionellen Konsens
entschieden werden sollten. Darum wissen wir es zu
schätzen, dass eine gegenwärtige Oppositionsfraktion,
die FDP, bereit war, hier Verantwortung mit zu übernehmen, und sich nicht auf den oppositionellen Gestus zurückgezogen hat.
({3})
Dies war unsere Intention, das wissen wir zu schätzen;
vielleicht gibt es auch noch über die FDP hinaus eine
solche konstruktive Haltung.
Ich verdeutliche nun ein paar Grundelemente, wie wir
die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste
in diesem Gesetz, aber auch als CDU/CSU-Fraktion insgesamt verstehen, damit der Gesetzentwurf, den wir einbringen, verständlicher wird.
Erstens geht es immer um Kontrolle der Regierung,
also darüber, wie die Regierung die Aufsicht über Nachrichtendienste ausübt. Wir werden nicht selbst operativ
tätig; diesen Anspruch sollten wir nirgendwo haben.
Herr Ströbele, Sie werden vielleicht gleich Ihre Vorstellungen vortragen, nach denen Sie die parlamentarische
Kontrolle an das anknüpfen, was in der Nachrichtenlage
im Kanzleramt debattiert wird. Wir sitzen nicht halb im
Kanzleramt. Wir sind nicht die Exekutive, sondern wir
sind das Parlament, das die Exekutive kontrolliert und
nicht selber operativ tätig ist.
({4})
Wir sagen zweitens, dass die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste Aufgabe des gesamten Parlamentes ist. Es ist kein Minderheitenrecht. Es ist nicht
der Anspruch der jeweiligen Opposition, die Regierung
und die Nachrichtendienste zu kontrollieren, sondern
diese Aufgabe liegt in der Verantwortung des gesamten
Parlamentes.
({5})
Dies ist also kein Minderheitenthema, kein Oppositionsthema, sondern betrifft das gesamte Parlament.
Daraus folgt drittens, dass wir uns dagegen entschieden haben - dies kann man im Gesetzentwurf nachlesen -, die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste auszulagern. Sosehr wir den Wehrbeauftragten
schätzen - die Institution und den gegenwärtigen Amtsträger persönlich -, für so falsch würden wir es halten,
die parlamentarische Kontrolle auf eine Person oder auf
eine ausgelagerte Institution zu delegieren.
({6})
Genauso würden wir es für falsch halten, wenn wir so etwas wie eine Exekutivkontrolle etwa in der Bundestagsverwaltung einführen würden. Nein, liebe Kolleginnen
und Kollegen, unserem Selbstverständnis entspricht es,
dass das gesamte Parlament, dass wir Parlamentarier
diese Aufgabe haben. Wir wollen und sollen uns ihr
nicht entziehen.
({7})
Abschließend: Der Gesetzentwurf ist nicht theoriegespeist, sondern folgt aus der Erfahrung der Parlamentarier, die im Parlamentarischen Kontrollgremium ihrer
Arbeit nachgehen. Darum ist er ganz pragmatisch orientiert. Wir wollen die Arbeitsfähigkeit der Parlamentarier
durch konkrete Maßnahmen verbessern.
({8})
Wir wollen die Selbstinformationsrechte verbessern. Wir
wollen auch die Durchsetzbarkeit unserer Rechte verbessern. Dies sind ein paar wesentliche Punkte.
Wenn es Bedarf gibt, nachzufragen - das ist nicht der
Regelfall, der Normalfall -, darf sich das Parlament
nicht als schwach erweisen, sondern muss über die notwendigen Instrumente verfügen.
({9})
Sonst sind mögliche Fehler der Nachrichtendienste geeignet, Regierung und Parlament zu verstricken. Das
wollen wir nicht. Wir müssen in einem solchen Fall effektiv arbeiten können.
Der eine Entwurf beinhaltet eine einfache Gesetzänderung, während der andere Entwurf eine Verfassungsänderung beinhaltet, und zwar die Aufnahme der Nachrichtendienste, aber insbesondere der parlamentarischen
Kontrolle von Nachrichtendiensten ins Grundgesetz. Ich
glaube, dies dient der Aufwertung der Tätigkeit des Parlamentes. Beide Gesetzentwürfe zielen auf die Stärkung
der Nachrichtendienste, aber auch auf die Stärkung des
Parlamentes bei der Kontrolle der Nachrichtendienste
ab. Dies ist ein pragmatischer, wirklicher Fortschritt für
die Nachrichtendienste und, wenn es konstruktiv aufgenommen wird, auch für das Parlament in der Ausübung
dieser wichtigen Aufgabe.
Besten Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Verbesserung der Kontrolle der Geheimdienste war und ist überfällig.
({0})
Wenn man den Nachrichtendiensten mehr Befugnisse
gibt - das ist in den letzten Jahren wiederholt geschehen -,
dann muss logischerweise auch die Kontrolle über die
Nachrichtendienste verbessert werden. Wir brauchen die
Dienste, aber sie dürfen in einem demokratischen
Rechtsstaat kein Eigenleben entwickeln, sondern haben
sich strikt an Recht und Gesetz zu halten. Dafür tragen
wir eine Mitverantwortung. Deshalb müssen die Rechte
des Parlamentarischen Kontrollgremiums verbessert
werden.
({1})
Die FDP hat aus diesem Grund schon im Jahr 2006
als erste Fraktion einen Reformentwurf eingebracht. Es
hat lange gedauert, bis sich die Koalition zu einem eigenen Gesetzentwurf durchgerungen hat. Wir sehen es als
Erfolg unserer Oppositionsarbeit an, dass wir zu dem
heute vorliegenden Reformentwurf gekommen sind, den
die FDP in dieser Form mittragen kann. Denn ein entscheidender Mangel, der im Ursprungsvorschlag von
CDU/CSU und SPD enthalten war, ist aufgrund unserer
Intervention herausgenommen worden. Zunächst wollte
sich die Mehrheit das Recht vorbehalten, Mitglieder aus
dem Kontrollgremium abzuwählen. Das ist natürlich unzumutbar und findet sich in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zu Recht nicht wieder.
({2})
Meine Damen und Herren, dass es zu diesem Gesetzentwurf gekommen ist, ist ein Verdienst derer, die sich
darum besonders bemüht haben: des Kollegen Uhl, des
Kollegen Röttgen und des Kollegen Oppermann. Es sind
nicht nur die Vorstellungen, die die FDP in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf formuliert hat, eingeflossen,
sondern auch die Diskussionsbeiträge beispielsweise des
Kollegen Ströbele und des Kollegen Nešković. Wir haben die Notwendigkeit dieser Reform bei vielen Veranstaltungen und in Podiumsdiskussionen, zum Beispiel in
der Hanns-Seidel-Stiftung, erörtert. Experten wie Professor Geiger haben uns beraten. Die Ergebnisse all dieser Diskussionen sind in das Reformwerk eingeflossen.
({3})
- Einige wesentliche Punkte wurden aufgenommen.
Ich nenne folgende Beispiele: Die Kontrolldichte
wird größer. Leider ist die ungünstige Entwicklung zu
beobachten, dass die Vermischung von polizeilicher und
nachrichtendienstlicher Tätigkeit immer weiter voranschreitet. Im Innenausschuss wurde darauf hingewiesen,
dass, was die Kontrolle angeht, Vorgänge, die das Bundeskriminalamt, also eine Polizei, betreffen, dort gar
nicht mehr zur Debatte gestellt würden, weil das Kontrollgremium zuständig sei, wenn das BKA mit dem
BND zusammenarbeitet,
({4})
im Kontrollgremium gab es bisher aber keine Zuständigkeit. Das soll jetzt geändert werden. Wir wollen also die
Kontrolldichte erhöhen. An der Formulierung müssen
wir vielleicht noch arbeiten,
({5})
damit diese unsere Absicht auch korrekt zum Ausdruck
kommt. Ich will ganz deutlich sagen: Die Rechte der - in
Anführungszeichen - normalen Bundestagsausschüsse,
zum Beispiel des Innenausschusses und des Rechtsausschusses, dürfen auf keinen Fall geschmälert werden,
meine Damen und Herren.
({6})
Als zweiten Fortschritt nenne ich die sogenannte
Whistleblower-Regelung. Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste wissen selbst am besten über dortige
Missstände Bescheid. Bisher war es ihnen verboten, sich
direkt an das Parlament zu wenden. Das wird geändert.
Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass wir über die
rechtswidrige Observierung, das Mitlesen und Speichern
der E-Mails einer Journalistin des Spiegels, nämlich der
Journalistin Susanne Koelbl, nur direkt aus dem Dienst
informiert werden konnten.
({7})
Die Bundesregierung hätte uns darüber im Unklaren gelassen. Deswegen brauchen wir die WhistleblowerRegelung. Sie wird unsere Kontrollfähigkeiten verbessern.
Ich komme zu einem dritten Punkt, der ebenfalls einen echten Fortschritt darstellt. Wie Sie wissen, tagt das
Gremium geheim. Es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, damit es ausnahmsweise öffentlich Stellung
nimmt. Es muss gesetzlich abgesichert sein, dass die Opposition in diesem Fall ein Sondervotum abgeben darf.
Ob das Recht auf ein Sondervotum gewährt wird, darf
natürlich nicht davon abhängig gemacht werden, dass
die Mehrheit für sich beansprucht, sich die Sondervoten
vorher zur Prüfung vorlegen zu lassen.
({8})
Das steht nicht im Gesetzestext,
({9})
wohl aber in der Begründung.
({10})
Das Struck’sche Gesetz, welches besagt, dass ein Gesetzentwurf, der eingebracht wurde, im Rahmen der
Ausschussberatungen noch geändert werden darf, hat
also auch in diesem Fall Geltung.
({11})
- Nein. Wir werden aber zum Ausdruck bringen, dass
diese Begründung für uns nicht maßgeblich ist. Sonst
hätten wir, die FDP, diesen Gesetzentwurf gar nicht erst
mit eingebracht.
({12})
Meine Damen und Herren, es gibt noch weitere
Punkte, die von Bedeutung sind. Ich komme gerne auf
das, was Herr Röttgen gesagt hat, zurück. Dieses Reformwerk wird ein Werk des Parlaments sein. Es handelt
sich nicht um eine Regierungsvorlage. Die Zusage von
CDU/CSU und SPD, dass auch die Vorschläge der Grünen und der Linken - auch wir, die FDP, haben übrigens
noch Änderungswünsche - in den Ausschüssen ergebnisoffen beraten werden, nehme ich ernst.
Ein Beispiel. Es muss sichergestellt werden, dass
man, wenn ernste Missstände zu beklagen sind, nicht nur
allein und im stillen Kämmerlein beklagen kann, wie ungerecht und schlimm die Welt ist,
({13})
sondern dass man wenigstens die Spitze der eigenen
Fraktion informieren darf, damit Konsequenzen gezogen
werden können.
({14})
Das ist ein Punkt, der aus Sicht der FDP noch ergänzt
werden muss.
({15})
Meine Damen und Herren, nach langen Debatten befinden wir uns nun endlich in dem Stadium, dass ein beratungsfähiger Gesetzentwurf vorliegt. Wir freuen uns,
ihn mit eingebracht zu haben. Wir wollen, dass diese Reform vorankommt und noch in dieser Legislaturperiode
beschlossen werden kann.
({16})
Wir wollen allerdings noch einige Ergänzungen. Ich bin
mir sicher, am Ende des Beratungsprozesses wird ein
vernünftiges Reformwerk stehen, das von einer breiten
Mehrheit dieses Hauses mitgetragen werden kann.
Vielen Dank.
({17})
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Thomas Oppermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine
Kollegen haben dargelegt, dass wir die Kontrolle der
Geheimdienste brauchen. Wozu brauchen wir aber eigentlich Geheimdienste? Wir leben seit 60 Jahren in einem demokratischen Verfassungsstaat, der in der Lage
ist, die Freiheit und die Sicherheit seiner Einwohner und
seiner Bürger zu gewährleisten. Wer sich in der Welt
umschaut, der stellt fest, dass das alles andere als selbstverständlich ist.
Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. Wer ständig in der Furcht vor Gewaltakten oder staatlichen Übergriffen lebt, der lebt nicht in Freiheit. Deshalb ist es die
Kernaufgabe des Staates, Frieden und Sicherheit zu gewährleisten und dadurch menschliche Freiheit zu ermöglichen. Ich glaube, dass der soziale Rechtsstaat zu den
größten zivilisatorischen Errungenschaften gehört, die
wir haben.
Bis zum Ende des Kalten Krieges, des Ost-West-Konfliktes, schienen diese Errungenschaften in erster Linie
durch militärische Bedrohungen gefährdet. Das ist heute
in Europa zum Glück nicht mehr der Fall. Jetzt gibt es
andere Bedrohungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Sie reichen vom islamistischen Terrorismus
über den Waffen- und Drogenhandel, die Proliferation,
die Weitergabe von nuklearfähigem Material, und die organisierte Kriminalität bis hin zum gewaltbereiten politischen Extremismus.
({0})
- Ja, auch Geldwäsche und andere Straftaten dort sind
hochgefährlich. Ich komme darauf zurück.
Gegen diese Gefahren müssen wir uns zur Wehr setzen. Mit Ausnahme von großen Teilen der Linken und
nur noch wenigen Grünen - ich glaube, es ist am Ende
nur noch Christian Ströbele - bezweifelt heute niemand
mehr, dass wir bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit durch Polizei und Justiz und bei der Verteidigung der äußeren Sicherheit durch die Streitkräfte der
Bundeswehr auf effiziente, gut funktionierende Nachrichtendienste angewiesen sind.
Herr Nešković, ich will Sie hier gerne unterstützen.
Ich habe gelesen, dass Sie in Ihrer Partei für die Einsicht
kämpfen, dass Nachrichtendienste notwendig sind. Sie
haben gesagt:
Es gibt Infos, die nicht auf dem freien Markt erhältlich sind, aber vom Staat dringend benötigt werden,
um seine Bürger und seine Werteordnung zu schützen.
Was Sie da gesagt haben, ist absolut richtig. Ihr Wahlkampfleiter Ramelow hat Sie persönlich hart dafür kritisiert.
({1})
Herr Nešković, ich will Ihnen in diesem Zusammenhang
sagen: Ich stehe hier auf Ihrer Seite und nicht auf der
Seite von Herrn Ramelow.
({2})
Die Dienste sammeln die Informationen, die wir brauchen, um Gefahren frühzeitig erkennen, bewerten und
erfolgreich abwehren zu können. In eineinhalbjähriger
Arbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium bin ich
zu der Überzeugung gekommen, dass MAD, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst dabei eine außerordentlich wertvolle Arbeit leisten.
Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen:
Beim Kaukasus-Konflikt, dem Krieg zwischen Russland und Georgien um Südossetien, konnte die Bundesregierung eine qualifizierte außenpolitische Beurteilung
der Situation doch ohne eigenständige Informationen gar
nicht vornehmen. Diese liefert in einer solchen Situation
der Bundesnachrichtendienst. Ansonsten hätte die Bundesregierung lediglich die Verlautbarungen aus Moskau
oder aus Tiflis zur Hand gehabt, um eigene Entscheidungen zu treffen. Der Bundesnachrichtendienst hat hier
wertvolle Informationen geliefert.
Ein anderes Beispiel ist die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Der BND macht die Aufklärungsarbeit für die Soldaten, die darauf angewiesen sind, frühzeitig Gefahren zu erkennen.
Selbst dort, wo der BND nicht zuständig ist, aber im
Wege der Amtshilfe hilfreich sein kann, leistet er einen
enorm wichtigen Beitrag - auch für die Innenpolitik in
Deutschland. Zum Beispiel hat er dabei geholfen, die
Datenträger aus Liechtenstein anzukaufen, mit deren
Hilfe die Steuerbetrüger, wie Herr Zumwinkel und andere, überführt werden konnten.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist natürlich
ungeheuer wichtig, wenn es zum Beispiel
({3})
darum geht, die Drohbotschaften der islamistischen Terroristen, die jetzt aus dem Umfeld der al-Qaida hier in
Deutschland verbreitet werden, zu analysieren.
Es ist sicherlich auch hilfreich, wenn wir wissen, wo
sich die 50 oder 60 Gefährder in Deutschland aufhalten,
die hier leben, aber in terroristischen Ausbildungslagern
in Pakistan und Afghanistan ausgebildet worden sind,
um Sprengstoffanschläge durchzuführen, und die das im
Zweifel auch machen würden. Das ist die Arbeit der
Nachrichtendienste.
({4})
- Dass es bei dieser Arbeit zu Fehlern kommt, ist unvermeidlich, Herr Montag.
Nicht unvermeidlich ist aber die Praxis, die sich inzwischen in Deutschland eingebürgert hat, nämlich dass
jeder Fehler der Nachrichtendienste hemmungslos skandalisiert wird. Ich halte das für einen schwerwiegenden
Fehler. Das ist eine hochgefährliche politische Strategie,
die im Übrigen auch völlig unangemessen ist. Denn wir
müssen festhalten, dass die deutschen Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
keine roten Linien überschritten haben. Es gibt keine
Renditions und keine folterähnlichen Vernehmungsmethoden.
({5})
Es gibt kein Abu Ghureib und kein Guantánamo.
Auch der BND-Untersuchungsausschuss muss letzten
Endes feststellen, dass es Auswüchse wie in den USA
und andernorts, wo rechtsstaatliche Prinzipien und Menschenrechte mit Füßen getreten wurden, in Deutschland
nicht gegeben hat.
Die Arbeit der Dienste ist äußerst schwierig, oft gefährlich und mit persönlichen Risiken verbunden. Diese
Arbeit kann nur dann gut und erfolgreich geleistet werden, wenn die Dienste das Vertrauen der demokratischen
Institutionen in diesem Land genießen.
Dieses Vertrauen wiederum setzt voraus, dass die
Dienste innerhalb der rechtsstaatlichen Grenzen operieren, geltendes Recht beachten und ihre nachrichtendienstliche Praxis durch eine wirksame Kontrolle begleitet werden kann. Genau das ist die Aufgabe des
Parlamentarischen Kontrollgremiums, die wir durch diesen Gesetzentwurf modernisieren und verbessern wollen.
Ich stimme meinem Kollegen Röttgen zu: Es ist kein
Geburtsfehler des Gesetzentwurfs, dass er nicht wie
üblich in einem Ministerium oder von der Bundesregierung erarbeitet worden ist, sondern aus der Mitte des
Bundestages kommt. Das ist kein Geburtsfehler, im Gegenteil: Die praktischen Erfahrungen und erlebten Defizite der Kontrollarbeit können so in konkrete Verbesserungen einfließen.
Nach meinem Verständnis und nach dem richtigen
Verständnis ist das Parlamentarische Kontrollgremium
kein Feind, sondern ein Partner der Nachrichtendienste.
Partnerschaft setzt allerdings eine annähernd gleiche Augenhöhe voraus. Die ist nicht gegeben, wenn neun Abgeordnete, die keine externe Hilfe in Anspruch nehmen
können, drei Dienste mit annähernd 10 000 Mitarbeitern
kontrollieren sollen.
({6})
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, dem
ich in sicherheitspolitischen Bewertungen selten folgen
kann, hat in diesem Zusammenhang allerdings völlig zu
Recht von einem „zwergenhaften Organ“ gesprochen.
Das wollen wir ändern, ohne das Parlamentarische Kontrollgremium - wie die Grünen es wollen - quasi in einen ständigen Untersuchungsausschuss zu verwandeln.
({7})
Lassen Sie mich die wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs nennen: Die Informationspflichten der Bundesregierung werden deutlicher gefasst.
({8})
Es wird die Rechtspflicht eingeführt, wahrheitsgemäße
und vollständige Angaben zu machen.
({9})
Das Gremium erhält neue Rechte auf Aktenherausgabe,
Zutritt zu Diensträumen und das Recht zur Befragung
von Mitarbeitern. Ich betone, dass das nicht bedeutet,
dass jeder Abgeordnete nach Belieben Diensträume betreten kann. Es sind keine Rechte der einzelnen Mitglieder, sondern des Gremiums, die nur durch das Gremium
selbst ausgeübt werden können.
({10})
Es wird ein Frühwarnsystem eingerichtet, durch das
Mitarbeiter Missstände künftig direkt dem Gremium
vortragen können. Das ist bisher nur über den Dienstweg
möglich und führt dazu, dass Mitarbeiter, die etwas mitzuteilen haben, entweder anonym kommunizieren oder
sich direkt an die Medien wenden. Beides ist nicht gut.
Wir haben des Weiteren eine stärkere Zuarbeit von
Mitarbeitern der Abgeordneten
({11})
und des Sekretariats sowie die schon von meinem Kollegen Röttgen begrüßte Verankerung des Kontrollgremiums im Grundgesetz vorgesehen.
Das alles wird dazu beitragen, dass sich die Kontrolle
verbessert, ohne dass dabei die Grenzen der politischen
Verantwortung verwischt werden. Die politische Verantwortung für die Dienste haben das Bundeskanzleramt,
das Innenministerium und das Verteidigungsministerium. Deshalb ist es ausgeschlossen, dass sich das
Gremium in operative Vorgänge einmischen oder gar
Weisungen erteilen darf. Es bleibt dabei, dass der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung vom PKGr nicht
angetastet werden darf. Nicht zuletzt wird die Fähigkeit
der Dienste, mit internationalen Partnern zu kooperieren,
dadurch gesichert, dass nur solche Informationen mitgeThomas Oppermann
teilt werden können, die der Verfügungsberechtigung
des Bundes unterliegen.
Ich komme zum Schluss. Im Ergebnis stellt das neue
Gesetz eine angemessene Balance zwischen notwendiger Vertraulichkeit bzw. Geheimhaltung und möglicher
Offenheit dar. Das verbessert am Ende nicht nur die
Kontrolle der Dienste, sondern auch ihre Arbeitsfähigkeit. Nur effektiv kontrollierte und dadurch legitimierte
Dienste sind gute Nachrichtendienste im demokratischen
Verfassungsstaat, weil sie das notwendige Vertrauen genießen.
Ich bedanke mich.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten. Nachrichtendienste können in gefährlicher Weise
in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Mit ihren Beobachtungs-, Überwachungsmöglichkeiten und -techniken können sie Menschen umfassend bespitzeln und ausforschen. Zahlreiche Affären und
Skandale der Geheimdienste haben in der Vergangenheit
die Öffentlichkeit beschäftigt und berechtigterweise für
Empörung gesorgt. So arbeitet schon von 2006 bis heute
ein Untersuchungsausschuss dieses Parlamentes daran,
die Verschleppung von Murat Kurnaz, den Einsatz von
BND-Agenten im Irak, die Bespitzelung von Journalisten und vieles mehr aufzuklären. In all diesen Fällen hat
die parlamentarische Kontrolle versagt. Dies räumen die
Regierungsfraktionen selbst ein, indem sie unter „Problem und Ziel“ darauf verweisen, dass das Gremium „in
mehreren Fällen durch die Bundesregierung frühzeitiger
und umfassender“ hätte unterrichtet werden müssen. Es
ist gut, dass die Regierungsfraktionen dies erkannt haben. Ganz schlecht ist aber, dass sie das Problem nicht
gelöst haben.
Heute gilt für den Zustand der Geheimdienstkontrolle: Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht
wissen, ist ein Ozean. Wenn der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen und der FDP Gesetz würde, müsste
es zukünftig heißen: Was wir nicht wissen, ist ein Ozean,
was wir wissen, ist eine Pfütze. Denn der Entwurf leidet
unter einem ganz entscheidenden Konstruktionsfehler.
Der Konstruktionsfehler besteht darin, dass es keine
starken Minderheitenrechte im neuen Gremium geben
soll. Das ist schlecht in einer parlamentarischen Demokratie; denn in ihr kontrolliert in erster Linie nicht das
gesamte Parlament die Regierung, sondern die Opposition. Das ist ihr Verfassungsauftrag. Herr Röttgen, das
kann man sogar in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachlesen.
({0})
Ich bin gerne bereit, Ihnen die Fundstelle zu geben. Das
ist auch ein sinnvoller Verfassungsauftrag.
Denn es liegt auf der Hand: Nur die Opposition bringt
die nötige Leidenschaft mit, der Regierung nicht nur
sorgfältig auf die Finger zu schauen, sondern notfalls
auch einmal draufzuhauen. Dieser Disziplinierungsdrang ist bei den Regierungsfraktionen, die die Regierung unterstützen wollen, naturgemäß nicht besonders
ausgeprägt. Alle, die in der letzten Zeit zusammengearbeitet haben, wissen, dass ich die Wahrheit sage. Nach
dem vorgelegten Gesetzentwurf entscheiden also die Regierungsfraktionen über das Ausmaß der Kontrolle der
Regierung, die sie eigentlich beschützen wollen. Das ist
schlecht und verbessert nicht - das leuchtet jedem ein die Kontrolle. Ohne Minderheitenrechte werden wir
keine wirksame Kontrolle der Geheimdienste erreichen.
({1})
Ihnen liegt heute auch ein Gesetzentwurf meiner
Fraktion vor, der dem Kontrollgremium an entscheidender Stelle eine neue Aufgabe zuweist. Nach unserem Gesetzentwurf hat das Bundesamt für Verfassungsschutz
künftig die Überwachung eines Bundestagsabgeordneten
dem Präsidenten des Bundestages mitzuteilen. Diese
Überwachung unterbleibt, wenn ein Fünftel der Mitglieder des Kontrollgremiums ein Veto einlegt. Mit diesem
Entwurf stellen wir die Kontrolle in unserer parlamentarischen Demokratie vom Kopf zurück auf die Füße. Wir
müssen festhalten: Wer ist Koch, und wer ist Kellner?
Wir, das Parlament, sind der Koch. Es ist die Legislative,
die die Exekutive kontrolliert, nicht umgekehrt.
Das freie Mandat gemäß Art. 38 unseres Grundgesetzes stellt ein herausgehobenes Verfassungsgut dar. Es ist
ein Wesensmerkmal unserer Demokratie. Das Grundgesetz schützt die Ausübung dieses Mandates in vielfältiger Weise. Es schützt vor Strafverfolgungsmaßnahmen,
vor Beeinträchtigungen wegen Äußerungen und Abstimmungen im Bundestag oder in den Ausschüssen, vor
Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit,
vor der Verwirkung von Grundrechten, vor Maßnahmen,
die die Übernahme oder Ausübung des Abgeordnetenmandats erschweren oder verhindern sollen. All das können Sie in Art. 46 und Art. 48 des Grundgesetzes nachlesen.
Ein vergleichbarer Schutz des freien Mandates vor
den Geheimdiensten besteht jedoch nicht. Es ist deswegen notwendig, eine gesetzliche Regelung zu schaffen,
die Abgeordnete auch vor politisch motivierter Schnüffelei der Geheimdienste bewahrt.
({2})
In unserem Gesetzentwurf ist auch der Schutz des Parlaments in seiner Arbeitsfähigkeit und Funktionsfähigkeit
und damit der Demokratie vorgesehen. Genau diesen
Schutz streben wir mit dieser Regelung an. Ich darf daher um Ihre Zustimmung bitten.
Vielen Dank.
({3})
Ich gebe dem Kollegen Hans-Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hier sitzen eine ganze Reihe von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
({0})
Wir alle haben gemeinsam in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass man alle paar Wochen - manchmal ist es auch jede Woche - von Journalisten angerufen
wird. Dann heißt es: Herr Abgeordneter, da steht doch
im Ticker oder in der Zeitung wieder etwas von einem
neuen Skandal beim Bundesnachrichtendienst oder beim
Bundesamt für Verfassungsschutz. Sagen Sie doch einmal etwas dazu. - Dann erkundigt man sich und stellt
fest, dass man davon noch nie etwas gehört hat und dass
man sich damit im Parlamentarischen Kontrollgremium
beschäftigen muss. Auch danach stellt man aber immer
wieder fest, dass offenbar die Lektüre des Spiegels, der
Süddeutschen Zeitung, manchmal auch der Berliner Zeitung mehr an Informationen für die Kontrolltätigkeit
bringt als die mehr oder weniger langen und anstrengenden Sitzungen im Parlamentarischen Kontrollgremium.
Dazu kann ich nur sagen: Damit muss Schluss sein.
({1})
Wir machen jetzt kein Reförmchen, sondern eine Reform des Kontrollgremiumgesetzes, um diesen Zustand
für die Zukunft zu ändern. Verehrte Kollegen, ich finde
es hervorragend, dass Sie sich in der Koalition noch so
kurz vor den Wahlen hin und wieder auf etwas einigen
können. Aber angesichts dieser Gesetzentwürfe muss ich
sagen: Das, was dabei herausgekommen ist, ist völlig
unzulänglich und nicht einmal ein erster Schritt.
({2})
Zu dem entscheidenden Problem, von bestimmten
Vorgängen aus der Zeitung zu erfahren, dazu, die Bundesregierung wirklich veranlassen und zwingen zu können, uns Vorgänge von besonderer Bedeutung - das steht
schon heute im Gesetz - zeitnah mitzuteilen, steht in Ihrem Gesetzentwurf null Komma nichts.
({3})
Darin findet sich nicht einmal der Anschein eines Vorschlages, wie man das in Zukunft ändern könnte. Wir
lassen über unseren Gesetzentwurf mit uns reden, ob
man nun bestimmte Regelungen so oder anders gestaltet.
Aber auch Sie müssen sich in dieser Hinsicht Gedanken
machen.
Ein weiterer Punkt. Wir alle leiden unter folgendem
Problem: Wir als Abgeordnete haben viele Aufgaben.
Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind gleichzeitig
Mitglieder des Gremiums und schauen in den Sitzungen
immer auf die Uhr, wann die Sitzung endlich zu Ende
ist, weil sie noch andere Termine haben. Das ist verständlich. Deshalb ist die Forderung ebenfalls verständlich, dass wir besser ausgestattet werden müssen. Es geht
um das, was in allen Ausschüssen des Deutschen Bundestages selbstverständlich ist, nämlich die Unterstützung durch Mitarbeiter. Wir alle wissen: Viele Abgeordnete wären in vielen Situationen ohne die Mithilfe von
sachkundigen Mitarbeitern in den Ausschüssen nur die
Hälfte wert, wenn überhaupt.
({4})
Deshalb ist es dringend erforderlich, dass wir in diesem besonders wichtigen Gremium, in dem viel Material
anfällt, Mitarbeiter beschäftigen können, die nicht nur
- das schlagen Sie vor - Akten lesen und ein Informationsgespräch mit ihren Abgeordneten führen dürfen,
sondern die, wie es auch in allen anderen Ausschüssen
der Fall ist, in das Gremium mit hineingehen und dort erfahren, was die Bundesregierung berichtet, über was diskutiert wird, bei welchen Punkten man beim nächsten
Mal nachbohren muss usw., und die das aufarbeiten, was
in diesem Gremium besprochen wird. Auch in diesem
Punkt ist Ihr Vorschlag völlig unzulänglich. Alle, die in
diesem Gremium sitzen, wissen, dass wir es gar nicht
mit so vielen Akten zu tun haben. Es sind ganz wenige
Fälle, in denen wir uns mit Akten befassen. Im Wesentlichen geht es um mündliche Berichte, die die Bundesregierung dem Gremium erstattet. Wenn die Mitarbeiter
davon nichts erfahren, dann sind sie - verzeihen Sie kaum die Hälfte wert. Deshalb kann das so nicht enden.
Wir schlagen deshalb vor, dass auch die Mitarbeiter an
den Sitzungen des Gremiums teilnehmen können.
Wir schlagen weiterhin vor, dass endlich ein Protokoll
in diesem Gremium geführt wird.
({5})
Heute dürfen sich die Abgeordneten nicht einmal Aufzeichnungen machen, die sie mitnehmen können, um etwas nachzuarbeiten oder sie als Erinnerungsstütze zu
nutzen, in denen sie nach einem Vierteljahr, nach einem
halben Jahr, nach zwei Jahren oder nach fünf Jahren
nachschauen können, was damals besprochen wurde und
was ihnen gesagt wurde. Null Komma nichts. Wenn man
in das Sekretariat geht und fragt, ob es dort ein Protokoll
über die Sitzung gibt, dann erfährt man, dass das Sekretariat nur einige Stichpunkte zu diesem Thema aufgeschrieben hat. So kann das nicht weitergehen. Gerade
weil das Gremium so abgeschlossen arbeitet, muss es
möglich sein, sich darüber zu informieren, wie die Situation vor zwei Monaten, vor einem Jahr oder vor zwei
Jahren war und ob die Bundesregierung wirklich auf den
und den Punkt hingewiesen hat, wie sie es heute behaupWolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
tet. Auch in dieser Hinsicht ist Ihr Gesetzentwurf völlig
unzureichend.
({6})
Lassen Sie mich nun auf den letzten Punkt kommen,
der bei Ihnen ganz am Anfang steht; der Kollege Röttgen
hat damit ja auch angefangen. Es geht darum, dass das
ganze Parlament die Kontrollaufgabe wahrnimmt.
({7})
Unter dem ganzen Parlament verstehe ich nicht nur neun
Abgeordnete. Das Parlament besteht aus mehr als
600 Abgeordneten.
({8})
Diese anderen über 600 Abgeordneten können doch
nicht völlig dadurch von dieser Kontrolltätigkeit ausgeschlossen werden, dass sie überhaupt keine Informationen bekommen, auch wenn sie beispielsweise im
Rechtsausschuss, im Innenausschuss, im Verteidigungsausschuss oder wo auch immer sitzen, wo ähnliche Themen angetippt werden. Ihr Gesetzentwurf sieht in § 1
eine Regelung vor - ich hoffe, das ist nicht beabsichtigt -,
die die Beschäftigung anderer Abgeordneter und vor allen Dingen anderer Ausschüsse mit den Themen, die im
Parlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden,
geradezu ausschließt.
Herr Kollege Ströbele.
Das halten wir nicht für richtig. Der Passus muss gestrichen werden. Damit ist Ihr Gesetzentwurf auf gar
keinen Fall praktikabel. Ich mache Ihnen einen einfachen Vorschlag: Unser Gesetzentwurf war eher da. Das
ergibt sich aus der Drucksachennummer.
Herr Kollege Ströbele.
Er ist besser, er ist besser ausgearbeitet, und er kann
sich sehen lassen. Mit ihm würden wir unsere Probleme
wirklich in den Griff bekommen. Deshalb: Stimmen Sie
ihm zu!
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Jetzt sind es drei Jahre, in denen sich der
BND-Untersuchungsausschuss in mühevoller Kleinarbeit stundenlang mit Themen befasste, die wir als Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums kennen. Es handelt sich um Themen wie die Verhöre in
Guantánamo, die Tätigkeit von BND-Mitarbeitern während des Irakkrieges, die Bespitzelung von Journalisten;
es geht um Nachrichtenhändler, die sich als Journalisten
ausgeben, und anderes mehr. Ich wage die Behauptung:
Wenn das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums und dem Nachrichtendienst ein anderes wäre, eines der vertrauensvollen
Zusammenarbeit unter Einhaltung der Geheimschutzrichtlinien, dann wäre der BND-Untersuchungsausschuss wahrscheinlich nicht nötig gewesen. Was hier
parteiübergreifend von Herrn Nešković über Herrn
Ströbele, Herrn Oppermann und Herrn Röttgen bis hin
zu Herrn Stadler artikuliert worden ist, zeigt, dass wir
alle uns in der bisherigen Situation nicht wohlfühlen.
Wir fühlen uns durch das, was wir in den Zeitungen lesen, und dadurch, dass wir vieles nicht erfahren haben,
manchmal regelrecht gedemütigt.
({0})
Das kann sich ein Parlament nicht bieten lassen. Dagegen muss es sich parteiübergreifend wehren. Wir unternehmen hier den Versuch, uns zu wehren.
({1})
Da gibt es aber Grenzen, die natürlich einzuhalten sind,
Herr Ströbele. Es trennen uns einige Gedanken, auf die
ich eingehen will.
Sie schlagen vor, das Parlamentarische Kontrollgremium zu einem Ausschuss wie jeden anderen zu machen.
({2})
Das kann nicht richtig sein. Dieses Gremium ist ein Ausschuss sui generis, weil die Tätigkeit, der es nachgeht,
eine Tätigkeit sui generis ist. Die Nachrichtendienste,
die heute wichtiger denn je sind, müssen geheim arbeiten. Spätestens seit dem 11. September 2001 können wir
die Sicherheit in Deutschland nicht mehr durch noch
mehr Soldaten, durch noch mehr Polizisten gewährleisten; für mehr Sicherheit sorgen wir vielmehr durch noch
mehr nachrichtendienstliche Erkenntnisse.
Nicht jeder Dienst kann alles wissen; deswegen brauchen die einzelnen Dienste den Austausch mit anderen
Diensten, mit Diensten befreundeter Länder auf der ganzen Welt. Daher dürfen wir bei unserer Tätigkeit das Geflecht aus nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, das
Prinzip des Gebens und Nehmens - do ut des - nicht beeinträchtigen. Wenn wir öffentlich darüber berichten
würden, welcher Nachrichtendienst wem welche Erkenntnisse mitgeteilt hat, würde dieser Informationsfluss
unverzüglich eingestellt werden - zum Schaden
Deutschlands, weil Deutschland dadurch unsicherer
würde.
({3})
Schon daran erkennt man, wie kompliziert die Dinge
sind. Da es um eine geheime Tätigkeit geht, muss auch
die Kontrolle geheim erfolgen.
Wir sollen über „Vorkommnisse von besonderer Bedeutung“ - so heißt der Schlüsselbegriff - informiert
werden. Dieser Begriff lässt verschiedene Auslegungen
zu. Hinzu kommt, dass uns die Bundesregierung und
nicht die Dienste informieren. Die Bundesregierung
kann Vorkommnisse von besonderer Bedeutung aber nur
dann weitergeben, wenn sie vom Präsidenten des Nachrichtendienstes informiert wurde. Der Präsident des
Nachrichtendienstes kann Vorkommnisse von besonderer Bedeutung nur dann weitergeben, wenn er von der
Leitungsebene informiert wurde. Die Leitungsebene ihrerseits kann es nur dann tun, wenn sie von der Arbeitsebene informiert wurde. Wir haben sämtliche Varianten
der Desinformation oder der Nichtinformation erlebt;
auf irgendeiner Ebene blieb irgendetwas hängen, weswegen die Bundesregierung uns nicht informiert hat. Welche Stelle Schuld hatte, musste daher von Fall zu Fall
entschieden werden.
Wir sollten uns davor hüten - Herr Ströbele, auch da
sind wir nicht beieinander -, uns in den Kernbereich
exekutiver Eigenverantwortung zu begeben.
({4})
Das darf auch der Untersuchungsausschuss nicht. Darin
sind wir uns eigentlich alle einig. Dazu gibt es eine
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
({5})
Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ist
die Nachrichtendienstliche Lage dienstags vormittags im
Kanzleramt.
({6})
Ströbele will, dass Abgeordnete daran teilnehmen oder
zumindest die dort gegebenen Informationen erhalten.
({7})
Da trennen uns Welten; da sind wir grundsätzlich anderer Meinung. Das ist nicht Aufgabe des Parlaments.
({8})
Sie haben gesagt: Das Parlament soll in toto informiert werden.
({9})
Auch das ist falsch. Dem liegt ein regelrechter Denkfehler in Bezug auf dieses Gremium zugrunde. Warum?
Wir, die neun Mitglieder dieses Gremiums, auch Sie,
sind mit Kanzlermehrheit gewählt, um unserer Kontrolltätigkeit abschließend und ohne Rückkoppelung mit dem
Parlament nachzugehen. Es wäre nicht systemgerecht,
wenn wir neun in den Fraktionen alles weitererzählten.
Man kann darüber diskutieren - das werden wir auch
noch tun -, ob man gegenüber den Spitzen der Fraktionen eine Ausnahme machen kann. Überhaupt, Herr
Nešković: Wir befinden uns heute in der ersten Lesung
und werden uns erneut treffen. Wir sollten uns das eine
oder andere noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Ich glaube, es ist gut, dass wir das Grundgesetz dahin
gehend ändern wollen, dass dieses Gremium demonstrativ in der Verfassung verankert wird. Die verstärkte Kontrolltätigkeit wird zu mehr Zusammenarbeit führen.
Uns ist vollkommen klar, dass wir ein hohes Maß an
Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen müssen,
weil wir durch Indiskretionen regelrecht sicherheitsgefährdend tätig sein können. Um Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, dürfen wir nichts
aus diesem Gremium hinaustragen. Das ist ganz wichtig;
daran muss sich jeder halten. Deswegen ist es wahrscheinlich auch falsch, Herr Ströbele, wenn die Mitarbeiter, die wir jetzt zu Recht hinzuziehen können, auch
gleich das Recht erhalten, mit in die Sitzung zu gehen.
Nein, das wäre ein Schritt zu weit. Wir sollten die Zahl
der Mitglieder nicht gleich verdoppeln von 9 auf 18.
({10})
Wir sollten uns zwar eine Arbeitshilfe geben, aber die
Möglichkeiten zur Indiskretion nicht mutwillig vergrößern.
Ich glaube, dass Herr Oppermann die richtigen Worte
gewählt hat, als er gesagt hat, dass das Parlamentarische
Kontrollgremium nicht Feind, sondern Partner der
Dienste sein soll. Die Dienste sollen nämlich im Vertrauen auf die Geheimhaltung durch uns Vorkommnisse
von besonderer Bedeutung partnerschaftlich rechtzeitig
berichten. Wir müssen wissen, wie wir damit umzugehen haben: Wir müssen sie für uns behalten, können aber
gemeinsam darüber diskutieren. Damit wird jeder - der
Dienst, die Regierung und auch wir als Parlamentarier in
Vertretung des Gesamtparlaments - der Rolle eines partnerschaftlichen Umgangs gerecht.
Danke schön.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/12411, 16/12412, 16/12189 und
16/12374 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/12189 zu Tagesordnungspunkt 32 c soll ebenVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
falls federführend im Innenausschuss beraten werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Artikel-10-Gesetzes
- Drucksache 16/509 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/12448 Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Helmut Brandt, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren im Plenum wie auch auf der Tribüne! Ich möchte
zu Beginn, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer verstehen, worüber wir reden, nur kurz deutlich machen: Es
geht um ein Gesetz, das sich auf Art. 10 unseres Grundgesetzes bezieht, also auf das Post- und Fernmeldegeheimnis.
Die erste Änderung des Artikel-10-Gesetzes, über die
wir heute beraten, beruht auf Erkenntnissen, die im Zuge
einer Evaluierung gewonnen wurden. Die Evaluierung
hat gezeigt, dass dieses Gesetz durchaus seinen Ansprüchen gerecht wird. Es hat sich aber erwiesen, dass die
den Sicherheitsbehörden zustehenden Befugnisse nicht
mehr den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten
genügen.
({0})
Mit anderen Worten, Herr Ströbele: Die derzeitigen Befugnisse der Sicherheitsbehörden sind nicht hinreichend
für eine effektive Erfüllung ihrer Aufgaben.
({1})
Ich nenne ein Beispiel: Ein junger Deutscher tunesischer Abstammung steht in Verdacht, die im September 2007 festgenommene Sauerland-Zelle dadurch unterstützt zu haben, dass er Zünder aus der Türkei nach
Deutschland geschmuggelt hat. Trotz dieses bestehenden
Verdachts konnte kein auf den damals erst 15-Jährigen
bezogener Informationsaustausch stattfinden. Begründung:
Eine Speicherung entsprechender Daten Minderjähriger
unter 16 Jahren in Dateien scheitert an der bestehenden
Rechtslage.
Die Erfahrung zeigt aber, dass extremistische Organisationen, die zum Beispiel in Europa für den Dschihad
Propaganda machen, über verschiedene Foren im Internet vermehrt Jugendliche rekrutieren und dass dieser
Fall durchaus kein Einzelfall ist. Wir halten es deshalb
für erforderlich, die Altersgrenze für die Speicherung
und den Austausch von Daten Minderjähriger von 16 auf
14 Jahre zu senken. Dem Interesse der Minderjährigen
an Datenschutz wird dadurch Rechnung getragen, dass
die Speicherung und Nutzung von deren Daten nur dann
zulässig sind, wenn tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von diesen Jugendlichen eine erhebliche
Gefahr für Leib oder Leben eines Dritten ausgehen
könnte. Einer neuen Studie zufolge sind immerhin
4,9 Prozent der Jugendlichen Mitglied einer rechtsextremen Gruppierung.
Mir erscheint folgende Änderung im Kampf gegen
Rechtsextremismus, die ebenfalls in diesem Änderungsgesetz vorgesehen ist, von ganz besonderer Bedeutung:
Als gemeinnützig anerkannte extremistische Organisationen können in der Regel leichter als andere Spenden
akquirieren und entsprechende Steuerprivilegien nutzen.
Die hieraus resultierende Finanzausstattung versetzt sie
dann in die Lage, ihre extremistischen Bestrebungen
nachhaltiger zu verfolgen. Um dies zu verhindern, wird
dem Bundesverfassungsschutz nunmehr die Befugnis erteilt, bei den Finanzämtern, die dem Steuergeheimnis
unterliegen, die Auskunft einzuholen, ob eine solche Organisation als gemeinnützig anerkannt ist.
Dem Bundesnachrichtendienst wird mit einer weiteren Änderung zudem die Befugnis zur gerätebezogenen
Überwachung von Handys erteilt. Auch hier erfolgt die
Gesetzänderung aufgrund der gewonnenen Erfahrung,
dass häufig das gleiche Mobiltelefon benutzt wird, allerdings mit ständig wechselnden SIM-Karten, sodass eine
kontinuierliche Überwachung des Handys derzeit unmöglich ist.
Zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens gehört die zusätzliche Befugnis des Bundesnachrichtendienstes, strategische Fernmeldeaufklärung in zwei Bereichen zu betreiben: einerseits zur Unterbindung des
internationalen Rauschgifthandels und andererseits zur
Ahndung der illegalen Schleuserkriminalität innerhalb
der Europäischen Union, allerdings mit der Einschränkung, dass ein Bezug zur Bundesrepublik Deutschland
bestehen muss.
Neben all den Änderungen, die ich aufgeführt habe,
betrifft eine der wichtigsten Änderungen den Kernbereichsschutz privater Lebensgestaltung. Wir alle erinnern uns noch an die jüngst geführte Debatte zum Bundeskriminalamtgesetz. Die Kernbereichsregelung, auf
die wir uns nach etlichen Diskussionen verständigt haben, wird nunmehr auch Gegenstand des Artikel-10-Gesetzes. So wird das sogenannte Richterband eingeführt:
Bei Zweifeln über die Kernbereichsrelevanz eines Gespräches im Rahmen einer Live-Abhörmaßnahme muss
die Entscheidung eines Mitglieds der G-10-Kommission
eingeholt werden.
Mit diesem Gesetz werden nicht alle berechtigten Erwartungen an ein Änderungsgesetz erfüllt. Vielmehr ist
es notwendig, beispielsweise im Bereich der QuellenTKÜ und des Betriebssystems NADIS-neu in der nächsten Legislaturperiode weitere Änderungen vorzunehmen, um die Möglichkeit der Aufklärung durch unsere
Sicherheitsbehörden an die sich ständig verändernden
technischen und tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, dass mit
den jetzt vorgenommenen Änderungen ein erster wichtiger Schritt unternommen wird, um bestehenden und
künftigen Bedrohungsszenarien im Bereich des Terrorismus, der Proliferation und des Rechtsextremismus effektiv begegnen zu können. Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Besten Dank.
({2})
Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Max Stadler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Bitte des Kollegen Brandt, diesem Gesetz
zuzustimmen, kann die FDP-Fraktion leider nicht erfüllen. Ich komme gleich auf die Einzelheiten zu sprechen.
({0})
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass wir es mit einem äußerst sensiblen Bereich zu tun haben, der den
Deutschen Bundestag erstmals in dieser Form im Jahr
1968 beschäftigt hat, als die erste Große Koalition aus
CDU/CSU und SPD regiert hat. Damals, am 13. August
1968, ist das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses - es heißt G-10-Gesetz,
weil es Art. 10 des Grundgesetzes einschränkt - in Kraft
getreten. Dagegen gab es eine Verfassungsklage. Das
Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz mit Mehrheit
für verfassungskonform erachtet, jedenfalls im Grundsatz, wenn es später auch Details beanstandet hat. Es gab
aber das berühmte Sondervotum der Verfassungsrichterin Wiltraud Rupp-von Brünneck, das Rechtsgeschichte
geschrieben hat. Sie schrieb in dieses Sondervotum:
Principiis obsta - wehret den Anfängen!
({1})
Das war der erste Schritt zur Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen, weil mit diesem Gesetz der damaligen Großen Koalition die richterliche Kontrolle bei einem Grundrechtseingriff beseitigt worden ist.
({2})
Eine Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts hat
dieses Gesetz dennoch für verfassungskonform gehalten.
Deswegen hatte der Deutsche Bundestag die Aufgabe, in
der G-10-Kommission den Grundrechtsschutz so gut wie
möglich zu gewährleisten. Ich will an dieser Stelle nicht
verschweigen, dass die Kontrolldichte in diesem Bereich
gerade in den letzten Jahren wesentlich verbessert
wurde. Wir wissen mittlerweile aus Studien des MaxPlanck-Instituts, dass auch die richterliche Kontrolle im
Bereich Telefonüberwachung in manchen Fällen nicht
wie gewünscht funktioniert hat.
Ich will die Gelegenheit der heutigen Debatte nutzen,
um zu erwähnen, dass gerade unter dem Vorsitz des
Sozialdemokraten Dr. Hans de With, der in der sozialliberalen Koalition Staatssekretär im Bundesjustizministerium unter Dr. Hans-Jochen Vogel gewesen ist - das
einmal zur rechtsstaatlichen Tradition der SPD -, versucht wurde, den Grundrechtsschutz zur Geltung zu
bringen.
({3})
Dieses verdienstvolle Bemühen der G-10-Kommission wird meiner Meinung nach teilweise konterkariert,
indem mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf schon
wieder Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse der Nachrichtendienste geschaffen werden, ohne dass sie zwingend notwendig sind. Ich nehme das Beispiel auf: Ist es
denn unumgänglich, die Daten Jugendlicher zu speichern? Was ist der nächste Schritt?
({4})
In einem Bundesland gab es kürzlich die Speicherung
der Daten von Kindern. Wollen wir das wirklich? Wir
haben doch eines aus dem BND-Untersuchungsausschuss gelernt: Es gibt oft Verdachtsmomente, die
sich aus zweiter Hand speisen und die äußerst vage sind.
Das ist nicht so, wie wenn vor Gericht nach einem strikten Verfahren etwas festgehalten wird. Deshalb muss
man, wenn es darum geht, schon Jugendliche oder gar
Kinder zu erfassen, äußerst vorsichtig sein.
({5})
Ich frage mich auch, ob Schleuserkriminalität Gegenstand der strategischen Fernmeldeaufklärung sein muss.
Schleuserkriminalität ist strafrechtlich gesehen Unrecht.
Wir können den BND aber nicht auf alle Straftaten ansetzen. Es muss klar getrennt werden zwischen Geheimdienstarbeit und Polizeiarbeit.
({6})
Ich komme zum Schluss. Das Verfahren, das die
Große Koalition gewählt hat, ist eine Zumutung. Sie haben den Gesetzentwurf im Jahr 2006 eingebracht. Dann
blieb er drei Jahre bei Ihnen liegen. Am letzten Freitag
sind Sie mit zahlreichen Änderungen gekommen, die
heute in zweiter und dritter Lesung durchs Parlament gehen sollen. Das ist jetzt ein völlig anderer Gesetzentwurf
als der, den Sie vor drei Jahren eingebracht haben. Sie
haben sich mit dieser Vorgehensweise die erste Lesung
für diesen völlig neuen Gesetzentwurf, den Sie uns letzten Freitag um 14 Uhr per Fax ins Büro geschickt haben,
gespart. Sie haben so eine korrekte Behandlung in den
Ausschüssen, vielleicht mit Sachverständigenanhörung,
umgangen, und das in einem Bereich, der grundrechtsrelevant ist. Dem können wir nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Klaus Uwe Benneter.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere zunächst aus dem
Grundgesetz, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer, die
etwas zahlreicher als wir erschienen sind, auch etwas
von unserer Debatte haben. In Art. 10 des Grundgesetzes
heißt es:
({0}) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
({1}) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines
Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der
Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann
das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen
nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des
Rechtsweges die Nachprüfung durch von der
Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane
tritt.
Um das Gesetz, das in Art. 10 des Grundgesetzes ermöglicht wird, geht es.
({2})
Deswegen heißt es gemeinhin G-10-Gesetz.
Das G-10-Gesetz ist zuletzt vor acht Jahren novelliert
worden, im Jahre 2001, allerdings vor September 2001.
Dann hat - Kollege Brandt hat darauf hingewiesen eine Evaluierung stattgefunden. Wie er will auch ich die
Zuhörer einbeziehen: Es ist also überprüft worden, ob
das Gesetz in der Praxis etwas taugt, ob es standhält. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Gesetz im Wesentlichen gut gemacht ist und lediglich in einigen Details,
insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des internationalen Terrorismus, Anpassungen erfahren muss.
Dann ist lange an den Änderungen gearbeitet worden.
Im Jahre 2006 - der Kollege Stadler hat darauf hingewiesen - hat es den Entwurf gegeben.
({3})
Dieser Entwurf ist unter Rot-Grün entstanden.
({4})
Er ist dann, Herr Ströbele, als rot-schwarzer Entwurf in
der neuen Legislaturperiode eingebracht worden. Das
sage ich nur vorsorglich, weil ich weiß, dass Sie nach
mir sprechen werden und unter Umständen alles Mögliche kritisieren werden. Es ist unser damaliger gemeinsamer Entwurf, den wir heute hier beraten.
({5})
Wegen des Vorrangs des BKA-Gesetzes, das ebenfalls
sehr ausführlich beraten werden musste, haben wir den
Entwurf damals zurückgestellt. Richtig ist, dass - auch
für uns ganz plötzlich - mit einer sehr weitgehenden und
umfassenden sogenannten Formulierungshilfe versucht
wurde, uns einen neuen Gesetzentwurf unterzujubeln.
Da haben wir nicht mitgemacht. Wenn Sie jetzt sagen,
das sei ein neuer Gesetzentwurf geworden, dann ist das
nicht richtig. Wir haben es im Wesentlichen bei dem
Entwurf, den wir unter Rot-Grün entwickelt haben, belassen und ihn lediglich an ein paar Entwicklungen angepasst.
Ich nenne die vier wesentlichsten Punkte: Erstens
geht es darum, den Schmuggel von Kriegswaffen zu unterbinden, hier also bessere Möglichkeiten zur Aufklärung zu schaffen.
({6})
Das gilt nur für Schiffe, die außerhalb deutscher Hoheitsgewässer unterwegs sind; sonst ist das Zollkriminalamt zuständig.
Zweitens geht es um bedeutsame Fälle von Schleuserkriminalität, die sich erst in den letzten Jahren in dieser
Weise international entwickelt hat.
Drittens geht es darum, deutsche Handys im Ausland
über ihre Telefonnummern lokalisieren zu können, zum
Beispiel im Falle einer Entführung.
({7})
Viertens werden die Nachrichtendienste dazu befugt,
von sich aus bei den Finanzämtern nachzufragen, ob ein
Verein gemeinnützig ist oder nicht. Das ist sehr sinnvoll.
Wir fragen uns doch immer, weshalb rechtsradikale Vereine von uns noch unterstützt werden. Oftmals stellt sich
heraus, dass sie unerkannt weiterhin als gemeinnützig
geführt werden.
Das sind die vier wesentlichen Neuerungen, die in
diesen Gesetzentwurf eingeflossen sind, und das haben
wir gemeinsam verabredet.
Was seitens unseres Koalitionspartners, vor allem des
in diesen Fragen unersättlichen Innenministers, einzubringen versucht wurde, was wir aber nicht aufgenommen haben, sind die Vorratsdatenspeicherung und der
Zugriff durch die Verfassungsschutzbehörden. Das wird
es mit uns nicht geben. Ebenso wird die NADIS-Datei
keine Volltextdatei werden, sondern eine Indexdatei bleiben. Die NADIS-Datei ist eine Datei, mit deren Hilfe die
Verfassungsschutzbehörden untereinander Informationen austauschen können und auf die sie gemeinsam zugreifen können.
Wir haben erreicht, dass der Kernbereichsschutz ausgeweitet wurde. Er ist so formuliert wie in der Strafprozessordnung und wie im Bundeskriminalamtgesetz.
({8})
- Sie haben das immer kritisiert. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte hat das in den letzten Tagen kritisiert
und sich darauf bezogen, dass Erkenntnisse aus dem
Kernbereich privater Lebensgestaltung eine Telefonüberwachung von vornherein ausschließen. Das ist klar.
({9})
Wir haben die Regelung getroffen, dass, wenn sich erst
im Laufe einer Überwachung herausstellt, dass der
Kernbereich betroffen ist, die Überwachung sofort zu
unterbrechen ist, weil der Kernbereichsschutz Vorrang
hat. Das heißt, die Menschen in unserem Lande sollen
prinzipiell unkontrolliert telefonieren und Briefe austauschen können.
({10})
Das muss auch weiterhin gewährleistet sein; denn bei
uns sind Aktivitäten von Geheimdiensten grundsätzlich
nur ausnahmsweise gerechtfertigt.
Zu dem Kritikpunkt, was die Speicherung von Daten
Minderjähriger angeht. Wir haben die gewünschte Regelung, das Alter generell herabzusetzen, verhindert. Es
gibt lediglich im Einzelfall die Möglichkeit, die Daten
zu speichern. Das setzt aber voraus, dass ganz konkrete
Erfahrungen und Erkenntnisse vorhanden sind.
({11})
Aber es darf natürlich nicht so weit gehen, wie es nach
der Meinung des Datenschutzbeauftragten sein müsste.
Er verkennt einfach den Unterschied zwischen polizeilichen Aufgaben und den Aufgaben der Geheimdienste.
Herr Kollege Stadler, Sie haben selbst auf diesen Unterschied hingewiesen. Da muss es eine klare Trennung geben. Die Geheimdienste untersuchen keine Gefahrenlagen, erst recht keine konkreten Gefahrenlagen. Dafür ist
die Polizei im Rahmen von Strafverfolgungsmaßnahmen
zuständig. Die Geheimdienste sollen aber weiterhin im
Vorfeld Aufklärungsarbeit leisten. Wenn Minderjährige
als Boten für Waffen, Munition oder Sprengstoff eingesetzt werden, muss es im konkreten Einzelfall möglich
sein, entsprechende Daten speichern und übermitteln zu
können. Nicht mehr ist in dem Gesetzentwurf enthalten;
das haben wir durchgesetzt.
({12})
Ich meine, dass es uns gelungen ist, zu einem guten
Gesetz zu kommen, das sich sehen lassen kann. Die geplanten Änderungen sind sinnvoll, wohlüberlegt und
auch lange beraten worden.
({13})
Herr Kollege Stadler, Sie beschweren sich zu Unrecht
darüber, dass es erst in letzter Minute Formulierungsvorschläge gab. Wir jedenfalls haben sie sehr eingehend und
ausführlich beraten.
({14})
- Das sind die Koalitionsfraktionen, die für das Gesetz
verantwortlich sind.
({15})
Wir geben den Geheimdiensten einige wenige neue
Befugnisse, für die ein unabweisbares Bedürfnis besteht.
Im Gegenzug schaffen wir mit den Regelungen gerade
zum Kernbereichsschutz für die zeugnisverweigerungsberechtigten Personen und erst recht mit den Regelungen
zu den Benachrichtigungen einen wesentlich umfassenderen Schutz für die Betroffenen. Das ist eine verantwortliche Politik mit klarer sozialdemokratischer Handschrift.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich beginne mit einem Dank an meine Vorredner. Ich
muss jetzt nicht mehr Art. 10 Abs. 1 und 2 vorlesen, weil
alle, die an dieser Debatte teilnehmen, schon wissen,
worum es geht. Ich will aber ergänzen: Die Kontrolle
über die tatsächlichen Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis obliegt den Organen der Volksvertretung. Auch das regelt Art. 10 des Grundgesetzes. Mit
dem G-10-Gesetz werden Geheim- und Nachrichtendienste befugt, das beschriebene Grundrecht gezielt außer Kraft zu setzen. Darin liegt die Brisanz dieses Artikels und aller Regelungen, die wir hierzu beraten und
beschließen.
Es wurde auch schon gesagt, dass das geltende G-10Gesetz aus dem Jahre 2001 stammt. Ich habe damals mit
Nein gestimmt - übrigens im Unterschied zu den Grünen. Bereits seinerzeit hatten Datenschützer und Bürgerrechtler moniert, dass der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis von einer absoluten Ausnahme immer mehr zu
einem üblichen Regelfall wird.
In diese Negativrichtung zielen nun auch die Änderungen, die heute beschlossen werden sollen. Die Befugnisse des BND werden ausgeweitet, ebenso die Fälle, bei
denen das Fernmeldegeheimnis außer Kraft gesetzt werden darf. Es ist also naheliegend und sicherlich auch
nachvollziehbar, dass die Fraktion Die Linke dazu erneut
Nein sagen wird.
({0})
Hinzu kommt - wir haben es beim letzten Tagesordnungspunkt debattiert -: Alle Fraktionen beschweren
sich aktuell darüber, dass sich der Bundesnachrichtendienst nicht in die Karten schauen lässt. Aber wenn wir
keine hinreichende parlamentarische Kontrolle über das
Tun und Lassen des BND haben, dann ist es recht unlogisch, ihn jetzt vorauseilend mit weiteren Befugnissen
und Sonderregeln auszustatten. Wir sollten vielleicht erst
einmal die Kontrolle hinreichend regeln und dann weiter
darüber reden.
({1})
Ein weiterer Kritikpunkt der Fraktion Die Linke hat
schon eine Rolle gespielt: Der vorliegende Gesetzentwurf ist rund drei Jahre alt. Kurz vor Beratungsschluss
wurde noch eine Vielzahl von Änderungen vorgenommen, allerdings nicht nur ohne die Opposition über dieses Vorhaben rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, sondern
auch ohne den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
in Kenntnis zu setzen, dass man so etwas einbringen
will, geschweige denn seinen Rat einzuholen.
({2})
Ich muss sagen: Ein Schelm, Kollege Benneter, wer dabei an Zufall denkt!
({3})
Trotzdem hat Peter Schaar vorgestern dem Bundestag
eine erste Stellungnahme zu diesen Änderungsanträgen
zugeschickt. Der Kern seines Kurzgutachtens ist: Er hält
den nun verändert vorliegenden Entwurf für nicht mit
dem Grundgesetz vereinbar. Nun weiß man, dass es
manch einen im Hause gibt, den das nicht stört, der es
mit dem Grundgesetz nicht so genau nimmt. Die Linke
nimmt es sehr genau.
({4})
Ich finde, Sie sollten nicht ständig nach Karlsruhe schielen, in der Hoffnung, dass Sie dort die nötige Politikberatung bekommen, um ein richtiges Gesetz zu machen.
({5})
Gerade weil es um verbriefte Bürgerrechte geht, wird
sich die Linke auf die Seite der Verfassung stellen und
sie schützen. Wir werden folglich keinem Gesetzentwurf
zustimmen, der über die Bestimmungen des Art. 10 des
Grundgesetzes, die eingangs zitiert wurden, hinwegzielt
({6})
und dessen Einhaltung im Übrigen aktuell durch den
Bundestag überhaupt nicht zu kontrollieren ist.
({7})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist richtig: Dieses sogenannte G-10-Gesetz, unter
dem sich der normale Mensch nichts vorstellen kann,
wurde unter Rot-Grün immer wieder behandelt. Wir haben nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus einem alten verfassungswidrigen Gesetz
2001 ein verfassungsgemäßes Gesetz gemacht. Wir haben gleichzeitig eine Evaluierung vorgesehen. Diese hat
nach zwei Jahren stattgefunden und zu einem Ergebnis
geführt. Daraufhin haben wir uns wieder zusammengesetzt und gefragt: Was muss jetzt geändert werden? - So
muss ein Gesetzgeber arbeiten.
Wir haben dann 2004/2005 einen neuen Vorschlag erarbeitet, der aber, weil einem gewissen Gerhard einfiel,
dass er die Legislaturperiode besser vorzeitig beendet,
nicht mehr zum Zuge gekommen ist. Wir waren uns
nicht in allen Punkten einig, aber etwa - Herr Kollege
Benneter, ich gebe Ihnen recht - bei der Proliferation,
wenn es also darum geht, den Transport von Kriegswaffen und sogenannten Dual-Use-Gütern, aus denen man
Waffen herstellen kann, zu unterbinden. Wir waren dafür, hier entsprechende Regelungen anzuwenden. Aber
bei den Schleusungen, beim Menschenhandel waren wir
sehr skeptisch; das war damals sehr streitig. Es ist dann
ja zu keinem Gesetz mehr gekommen.
Nun haben Sie 2006 einen neuen Vorschlag vorgelegt,
zu dem ich nicht sehr viel sagen möchte. Der Vorschlag
in Bezug auf die Proliferation ist in Ordnung. Andere
Punkte sind nicht in Ordnung.
Was Sie aber vor wenigen Tagen, vom Kollegen Uhl
zugeschickt, nachgeliefert haben, ist keine kleine Änderung; die Änderungen umfassen 22 Seiten.
({0})
Viele Paragrafen des Gesetzentwurfes wurden geändert.
Es gibt neue Formulierungen und alte Formulierungen,
die verändert worden sind. Es gibt Formulierungen, die
aus dem BKA-Gesetz übernommen worden sind. So
geht es wirklich nicht. Wir können darüber in den Ausschüssen nicht mehr reden. Sie wollen das heute im Eilverfahren durchziehen. Das, was Sie hier versuchen, ist
unparlamentarisch und undemokratisch.
({1})
Jetzt komme ich zu den Inhalten. Dieser Gesetzentwurf, den Sie jetzt verabschieden wollen, Herr Kollege
Benneter -
Herr Kollege Ströbele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benneter?
Klar. Wir sind ja Berliner und können noch ein bisschen diskutieren.
Herr Kollege Ströbele, ich bin sowohl Mitglied des
Innenausschusses als auch des Rechtsausschusses. In der
Sitzung des Innenausschusses in dieser Woche hat nicht
ein einziger Abgeordneter, auch keiner aus der Opposition, das Wort in der Beratung dieses Gesetzentwurfs gewünscht. Über den Gesetzentwurf ist ohne Debatte abgestimmt worden.
Stimmen Sie mir zu, dass lediglich im Rechtsausschuss der Abgeordnete Ströbele das Wort ergriffen hat
und auf die Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten hingewiesen hat? Mehr ist über diesen Gesetzentwurf nicht debattiert worden.
Im Innenausschusses war ich nicht anwesend. Dazu
kann ich nichts sagen. Ich weiß nicht, seit wann die Kollegen diese 22 Seiten vorliegen hatten. Darüber müssen
Sie sich gleich vielleicht mit dem Kollegen Wieland in
einem Streitgespräch auseinandersetzen.
({0})
Sie haben recht, was den Rechtsausschuss angeht.
Wenn Sie dieser Ihrer Obliegenheit als Mitglied des
Rechtsausschusses nachgekommen wären, hätten Sie
den Kollegen Ströbele, also mich, gehört.
({1})
Ich hätte Ihnen schon dort meine Bedenken vorgetragen
und erläutert, die sind dort allerdings nicht auf viel Gegenliebe gestoßen - leider.
({2})
Wenn Sie in der Sitzung des Rechtsausschusses meine
Bedenken ernst genommen hätten, hätten wir uns heute
vielleicht eine Diskussion über den einen oder anderen
Punkt ersparen und die Debatte abkürzen können. Also:
Immer auf Ströbele hören!
({3})
Jetzt komme ich zu den inhaltlichen Punkten. Sie haben aus dem BKA-Gesetz die Formulierung übernommen, dass dann, wenn klar ist, dass ein Sachverhalt allein den Kernbereich privater Lebensgestaltung betrifft,
nicht abgehört werden soll. Das muss aber feststehen.
({4})
Solche Fälle werden Sie ausschließen können. Die gibt
es so gut wie nie.
({5})
Das heißt, das, was Sie da reinschreiben, ist ein Placebo.
Die andere Regelung, die Sie aus dem BKA-Gesetz
übernommen haben, zu dem, was sonst aufgezeichnet
wird - nach dem BKA-Gesetz soll sich das dann ein
Richter ansehen und entscheiden, ob man das benutzen
darf oder nicht -, ist ein schlechter Witz. Da Sie den
Richter nicht beauftragen können, sagen Sie, das soll ein
Mitglied der G-10-Kommission sein. Nehmen wir den
Kollegen Stadler, der Mitglied in der G-10-Kommission
ist:
({6})
Ich stelle mir jetzt vor, wie der Kollege Stadler Woche
für Woche, Tag für Tag, da sitzt und sich die Tonbänder
von den abgehörten Telefongesprächen anhört, möglichst unter Hinzuziehung eines Dolmetschers. Das ist
doch völlig lebensfremd. Das funktioniert doch nie.
Wenn Sie sich den vollen Terminkalender des Herrn
Stadler anschauen, stellen Sie fest, dass er nicht einmal
fünf Minuten Zeit hat, um sich das anzuhören. Das ist
ein völlig untauglicher Vorschlag. Den können Sie
gleich zu den Akten nehmen.
({7})
Nun kommen wir zu der Kinderdatei. Der Kollege
Benneter hat gesagt, dass wir bei einer klaren Gefahrenlage, wenn von einem Kind die Gefahr ausgeht, Gespräche des Kindes aufnehmen und speichern können müssen. Das Kind könnte ja den Zünder oder die Pistole
bringen, und dadurch könnte eine brenzlige Situation
entstehen.
({8})
Das steht in Ihrem Vorschlag aber leider nicht drin, Herr
Kollege Uhl. Wenn Sie das wenigstens hineingeschrieben hätten! In dem Gesetzentwurf steht aber, dass das
möglich ist, wenn „nicht ausgeschlossen werden kann“,
dass von dem Vorgang eine Gefahr ausgeht. Können Sie
so etwas jemals ausschließen? Nehmen wir einmal an,
Sie haben einen vagen Hinweis aus irgendeiner Szene.
Können Sie dann ausschließen, dass von dem Kind eine
Gefahr ausgeht, auch wenn der Hinweis noch so vage,
noch so unvollkommen und noch so zweifelhaft ist?
Herr Kollege Ströbele, ich muss Sie an Ihre Redezeit
erinnern.
Ausschließen können Sie das nie. Sie wollen eine
Kinderdatei einführen. Das halten wir für unzulässig.
Auch aus diesem Grund lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Den Änderungsvorschlag
Herr Kollege Ströbele!
- lehnen wir ab, auch weil er nicht beraten werden
konnte.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist unbestreitbar, dass dem G-10-Gesetz eine außerordentlich hohe
gesellschaftspolitische, rechtspolitische, aber auch sicherheitspolitische Bedeutung zukommt. Wenn in einer
freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wie der deutschen ein Eingriff in elementare Freiheitsrechte wie das
Briefgeheimnis, das Postgeheimnis oder das Fernmeldegeheimnis vorgenommen wird, dann darf dies - das ist
in diesem Haus Gott sei Dank Konsens - nur in ganz
engen Grenzen - die Hürden dafür sind hoch - und nur
in ganz wenigen Ausnahmefällen erfolgen.
Angesichts dieses sehr schwierigen verfassungsrechtlichen Hintergrundes gilt es, besondere Sorgfalt an den
Tag zu legen, wenn Hand an das G-10-Gesetz gelegt
wird.
Mit dem jetzt vorliegenden Gesetz werden wir diesem
Anspruch aber in vollem Umfang gerecht. Meine sehr
verehrten Kollegen von der Opposition, es trifft nicht zu,
dass hier ein großer Rundumschlag gemacht wird. Vielmehr wird in ganz wenigen Ausnahmefällen geringinvasiv in das G-10-Gesetz eingegriffen.
({0})
Herr Kollege Stadler, es ist richtig, dass wir uns mit
der Beratung dieses Gesetzes viel Zeit gelassen haben.
Dies war aber auch notwendig, um insbesondere der geänderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, aber auch - ich erinnere an den 11. September 2001
und den Umstand, dass seit diesem Tag insgesamt sieben
terroristische Angriffe auf deutschem Boden versucht
wurden - den geänderten Sicherheitsbedürfnissen und
der erhöhten Bedrohungssituation in Deutschland und
außerhalb Deutschlands Rechnung zu tragen. Die
Punkte, die jetzt aufgenommen wurden, sind meines Erachtens außerordentlich notwendig, um unsere Sicherheitsbehörden, den Bundesnachrichtendienst und das
Bundesamt für Verfassungsschutz, wirklich auf gleiche
Augenhöhe mit dem internationalen Terrorismus und
insbesondere mit der organisierten Kriminalität zu bringen.
Ein ganz wesentlicher Punkt: Seit 2003 sind insgesamt 41 Deutsche - ich habe es nachgezählt - im Ausland entführt worden: in Afrika, in Südamerika und im
Mittleren Osten. Allein im Jahr 2008 wurden 18 deutsche Staatsangehörige verschleppt und entführt. Bisher
war es aufgrund der rechtlichen Situation leider nicht
möglich, die Mobiltelefone der Betroffenen zu orten.
Nach der jetzigen Novellierung wird dies Gott sei Dank
möglich sein. Ich sage „Gott sei Dank“, weil es hier,
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, um Leib und Leben von deutschen Staatsangehörigen geht.
({1})
Es ist nur recht und billig, dass der Bundesnachrichtendienst nunmehr die Möglichkeit haben wird, sowohl die
Gerätenummer als auch die Mobiltelefone der entführten
Deutschen zu orten.
({2})
Ein weiterer wichtiger Punkt - das Stichwort Proliferation ist schon gefallen -: Leider wird immer mehr
nuklearwaffenfähiges Material verschifft; viele Transporte erfolgen auf dem Seeweg. Bisher war es nicht
möglich, Telefone auf deutschen Schiffen außerhalb
deutscher Hoheitsgewässer zu überwachen. Dies wird
jetzt nach der Änderung dieses Gesetzes möglich. Es
kann doch nicht sein, dass unsere Sicherheitsbehörden
zuschauen müssen, wenn sich auf deutschen Schiffen
bekanntermaßen nuklearwaffenfähiges Material oder
Kriegswaffen befinden sollten, die dann im Zielland
möglicherweise dazu benutzt werden, Angriffe auf deutsche Truppen oder sonstige deutsche Staatsangehörige
zu unternehmen. Es kann uns aber genauso wenig recht
sein, wenn diese Kriegswaffen oder anderes Material
dazu benutzt werden, Angriffe auf andere Staaten zu unternehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir mit diesem
geringinvasiven Eingriff in das G-10-Gesetz der veränderten Sicherheitssituation in Deutschland, aber auch
weltweit Rechnung tragen.
Ich halte es - das sage ich auch ganz offen - für ein
stückweit verantwortungslos, wie sich die Opposition
bei diesem wichtigen Gesetz verhält. Dieses Gesetz stellt
einen angemessenen Ausgleich dar zwischen den wichtigen Sicherheitsinteressen Deutschlands und dem Schutz
wichtiger Individualrechtsgüter von deutschen Staatsangehörigen im Ausland einerseits und dem berechtigten
und gar nicht zu unterschätzenden Anspruch des Staates
andererseits, wichtige Freiheitsrechte wie das Fernmelde-, Brief- oder Postgeheimnis zu wahren.
Herr Kollege Mayer, Sie müssen zum Schluss kommen.
Diese praktische Konkordanz wird mit diesem Gesetz
in vollem Umfang erfüllt. Deswegen kann ich Sie wirklich nur alle ermuntern und auffordern, diesem Gesetz
zuzustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Artikel-10Gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12448, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/509
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
der zweiten Beratung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit auch in der dritten Beratung
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Gesine
Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Anrechnung der Abwrackprämie bei
ALG II und Eingliederungshilfe
- Drucksachen 16/12114, 16/12358 Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln den Antrag
der Linken „Keine Anrechnung der Abwrackprämie bei
ALG II und Eingliederungshilfe“. Zu den unzähligen
Anträgen der Fraktion Die Linke zu Veränderungen des
SGB ist ein weiterer hinzugekommen. Wir wissen: Er
wird nicht der letzte sein. Betrachtet man diese Serie, bestätigt sich der Eindruck, dass sie alle - mal mehr, mal
weniger - populistisch belegen sollen, wie unzureichend
unser Sozialstaat für seine Bürger sorgt. Nach dem
Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ scheint es Ihnen
darum zu gehen, Vertrauen in die Sozialgesetzgebung
grundsätzlich zu unterminieren.
({0})
Ich finde das problematisch. Es geht Ihnen dabei nicht
nur um die Höhe der Regelsätze und um Fragen der Anrechenbarkeit von Einkünften, sondern Sie sind auch dabei, das Prinzip der Nachrangigkeit sturmreif zu schießen. Dafür liefern wir Ihnen weder Waffen noch
Munition.
({1})
Parallel zu diesen Angriffen fordern Sie, den Leistungsbereich qualitativ und quantitativ nach der Devise
„Immer mehr Leistung für immer mehr Anspruchsberechtigte“ auszuweiten. Bei dem Antrag heute geht es
um die Umweltprämie. Sie verlangen die Nichtanrechnung dieses Zuschusses als Einkommen bei Grundsicherungsempfängern nach SGB II und XII.
Schon bei der Beratung im Fachausschuss wurde
deutlich, dass es keine einheitliche Bewertung Ihrer Forderung gibt. Meines Erachtens ist die Umweltprämie ein
sehr erfolgreiches Instrument. Es stärkt die Nachfrage
nach Autos und hilft damit, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Automobilindustrie abzuflachen.
Trotzdem ist sie umstritten. Das hat sich gerade anlässlich der Verlängerung dieser Förderung gezeigt. Auch
bei der Frage der Anrechenbarkeit gibt es im Parlament
keine Übereinstimmung.
Wer steht für welche Lösung? Bei unserem Koalitionspartner gibt es zwar Sympathien für die Nichtanrechnung, aber keine wirkliche Zustimmung.
({2})
Soweit ich weiß, kommt aus der Spitze der Fraktion ein
klares Nein. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist davon überzeugt, dass die gesetzliche Grundlage zu einer Anrechnung zwingt. Der Präsident des
Bundessozialgerichtes vertritt in der Presse die gegenteilige Auffassung.
({3})
Logischerweise liegen jedoch noch keine Urteile, gar
letztinstanzliche, vor. Deshalb äußert er sich auch nicht
qua Amt.
Die SPD-Fraktion hat sich selbstverständlich mit dieser Frage befasst. Für uns - das darf ich sagen - ist die
derzeitige Praxis und damit die Gesetzeslage unbefriedigend.
({4})
Wir sehen in der Umweltprämie ein Marktanreizinstrument. Sie ist eine der vielen Antworten auf die schwierige wirtschaftliche Lage und soll dazu beitragen, in der
Auto- und Zulieferindustrie Arbeitsplätze zu erhalten.
Wir haben es - Frau Kipping, das ist auch für Sie interesGabriele Lösekrug-Möller
sant - also mit einem einzigartigen Impuls der Nachfragesteigerung zu tun.
({5})
Bezieher und Bezieherinnen von Grundsicherung, Arbeitssuchende und Menschen mit Behinderungen davon
auszuschließen, halten wir für falsch.
({6})
Denn auf der einen Seite nehmen wir Mitnahmeeffekte
hin. Ich bin sicher, dass das unvermeidbar ist, wenn man
bürokratischen Aufwand gering halten will. Wir dürfen
jedoch andererseits nicht Personengruppen ausschließen,
die aus meiner Sicht ganz besonders auf einen Zuschuss
angewiesen sind, um sich ein neues kleines Auto kaufen
zu können.
Ich komme aus einer ländlichen Region. Dort sind die
Wege zur Arbeit - auch zu der Arbeit, die man sucht weit. Der ÖPNV ist nicht mit der BVG in Berlin zu vergleichen.
({7})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert?
Ja, selbstverständlich.
Liebe Frau Kollegin, Sie sagen, dass Sie selbst nicht
so genau wissen, wer in den Koalitionsfraktionen bei
dieser Frage wofür steht. Sie haben jetzt gerade gesagt,
die SPD-Fraktion sei dagegen, dass Menschen mit Behinderungen, die auf einen Pkw angewiesen sind und
laut Eingliederungshilfe eingegliedert werden sollen,
diese Abwrackprämie auf ihr ohnehin geringes Einkommen angerechnet bekommen. Sie sagen, Sie sind dagegen. Aber Ihre Kollegin Silvia Schmidt macht großes
Theater, dass es eine Sauerei sei, dass es angerechnet
werde. Was ist denn nun die Meinung der SPD-Fraktion,
und warum lassen Sie nicht einfach offen abstimmen?
Dann würden wir sehen, wie die Mehrheiten hier sind.
({0})
Herr Kollege Seifert, Ihre Frage hätte sich erübrigt,
wenn Sie meine nächsten Sätze gehört hätten. Wir als
SPD-Fraktion - dazu gehört auch meine Kollegin Silvia
Schmidt - sind definitiv dafür, herbeizuführen, dass die
Umweltprämie als nicht anzurechnendes Einkommen
gilt.
({0})
Dazu möchte ich gerne noch einige Ausführungen machen.
Bevor Sie Ihre Zwischenfrage stellten, war ich gerade
dabei, zu schildern, dass jene, die in meiner Heimat Arbeit suchen, auf einen Pkw angewiesen sind. Ich empfehle Ihnen, sich einmal den Parkplatz vor einem Jobcenter anzuschauen. Das ist keine Ausstellung von
Neuwagen. Selbst jeder Autohändler würde seinen Blick
abwenden. Hohe Verbrauchskosten sind ein weiteres Argument. Hinzu kommen klimapolitische Aspekte, von
denen noch gar nicht die Rede war. Herr Seifert, unsere
Forderung erstreckt sich nicht nur auf das SGB II, sondern auch auf das SGB XII.
Meine Antwort auf Ihre Frage lautet: Menschen mit
Behinderung nur deshalb die Umweltprämie vorzuenthalten, weil sie im Leistungsbezug sind, würde meines
Erachtens unserer guten Politik für Menschen mit Behinderung widersprechen.
({1})
Deshalb verlangt die SPD-Bundestagsfraktion auch im
Hinblick auf Menschen mit Behinderung die Nichtanrechnung auf das Einkommen.
Wie können wir das erreichen?
({2})
Wir appellieren ganz herzlich an unseren Koalitionspartner.
({3})
Unsere Bereitschaft, mit Ihnen eine gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, ist da.
({4})
Ich erlaube mir noch eine Anmerkung an die Antragsteller und verweise auf den Beginn meiner kurzen
Rede. Die Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland
muss weiterentwickelt werden, wenn sie den Herausforderungen heute und in Zukunft gerecht werden soll; ich
denke, hier sind wir alle einer Meinung. Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen arbeiten daran, und zwar
konstruktiv. Dazu gehört, dass wir Ihren Antrag heute
ablehnen.
({5})
- Man merkt wirklich, dass Ihnen das Regierungsgeschäft mehr als fremd ist. - Wir werden im Rahmen der
Koalition nach einer Lösung suchen; denn wir wollen seriös handeln.
({6})
Ich habe die herzliche Bitte, dass wir uns bemühen, zur
Lösung dieses Problems noch in dieser Legislaturperiode eine Mehrheit zu bekommen.
Vielen Dank.
({7})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Heinz-Peter
Haustein, FDP-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherlich kennen Sie alle Captain
Flint und Die Schatzinsel. Das Thema ist Ihnen bestimmt
bekannt. Bei Schätzen geht es nicht nur darum, dass im
Erzgebirge Schätze gesucht werden, sondern es geht
auch um Wracks.
({0})
Beim „Wrack“ dürfen wir dann wieder an das neu konstruierte Wort „Abwrackprämie“ denken.
Für den einen Teil ist sie etwas Gutes. Sie hilft der
Autoindustrie, aber eben nur dieser, vor allem den Autohändlern. Angesichts der Kriterien, die im Rahmen der
Abwrackprämie angesetzt werden, geht es allerdings
weniger um deutsche Autos, sondern um Autos aus
Korea oder Rumänien.
Wie dem auch sei. Auch ich bin Mittelständler und
freue mich, wenn man den Autohäusern helfen kann und
es ihnen besser geht. Ich vertrete eine Branche, in der
Aufzüge gebaut werden, „ Fahrstühle“, wie die Leute sagen. Meine Kollegen fragen mich: Wieso gibt es diese
Prämie eigentlich nur für Autos? Warum gibt es sie nicht
auch zum Beispiel für Fahrstühle?
({1})
Warum kann man nicht die Aufzüge aus alten Häusern
herausreißen, sie modernisieren und dann wieder einbauen? Wieso gibt es eine solche Prämie nicht auch für
alte Waschmaschinen oder alte Kühlschränke? Wieso
nur für die Autoindustrie?
({2})
Liebe Freunde, diese Frage muss doch einmal erlaubt
sein.
({3})
Darum geht es heute aber nicht. Heute geht es nur um
die Frage: Wieso wird die Abwrackprämie bei ALG-IIEmpfängern nicht ausgezahlt, sondern verrechnet?
Hierzu ist Folgendes zu sagen: Wir als FDP haben den
Kurs klar gesteckt. Es geht um die Leute, die das Geld
erarbeiten, die morgens früh um fünf oder sechs Uhr aufstehen, zur Arbeit zu fahren, die Steuern zahlen, die Sozialsysteme speisen. Es geht aber auch darum, in unserem Land ein soziales Netz zu flechten und diese Leute,
die das selbst nicht leisten können, aufzufangen.
Dass Hartz IV nicht das Gelbe vom Ei ist, wissen die
meisten hier. Wir schlagen ein Bürgergeld vor, um endlich einmal dieses Wirrwarr bei Hartz IV - ständige Klagen, Nichtklagen und ein Hin und Her - abzuschaffen.
Es wird noch etwas dauern, aber ich denke, wenn wir mit
unseren Freunden der CDU/CSU regieren, wird das
schon klappen.
({4})
In diesem Fall allerdings begründet die Bundesregierung die Ablehnung mit ordnungspolitischen Vorgaben.
Sie bringt als Regierung also die Ordnungspolitik ins
Spiel und sagt, deshalb darf die Prämie nicht an Hartz-IVEmpfänger ausgezahlt werden. Liebe Freunde der Regierung, wir sagen: Die Ordnungspolitik treten Sie im
Moment mit Füßen. Sie schmeißen sie massenweise über
Bord, um beim Wrack zu bleiben. Von daher kann man
auch einmal eine Ausnahme machen und den Hartz-IVEmpfängern diese Abwrackprämie zahlen.
Wir werden uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten.
({5})
Wenn wir Schätze heben wollen, dann müssen wir die
Schätze unserer Menschen in den Herzen und in den
Köpfen erreichen. Dann kommen wir auch durch diese
Krise hindurch.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Haustein, die
Abwrackprämie oder, besser gesagt, die Umweltprämie
kann man bewerten, wie man will: ordnungspolitisch
oder wie auch immer. Sie ist aber ein Erfolg, und die
Menschen fragen nach. Es zeichnet sich ab, dass die
Laufzeit verlängert wird, und in der Krise, in der wir uns
befinden, wird den Menschen durch diese Prämie durchaus Mut gegeben. Ob das alles ordnungspolitisch sauber
oder nicht sauber ist, lasse ich jetzt einmal dahingestellt,
({0})
aber ich glaube, dass ein wichtiges Zeichen gesetzt worden ist.
Bei der Verabschiedung des Konjunkturpaketes II hat
wohl niemand die rechtliche Situation der Empfänger
von Arbeitslosengeld II im Blick gehabt. Es hat auch
niemand daran gedacht, dass es hier möglicherweise
Schwierigkeiten dahin gehend geben könnte, dass sie
rein rechtlich einen Anspruch auf dieses Geld haben;
denn diese Abwrackprämie von 2 500 Euro stellt nach
der Definition des Gesetzes eine wesentliche Verbesserung der finanziellen Situation dar und ist von daher gemäß Definition anzurechnen.
Ich denke einmal, dass auch deswegen niemand auf
die Idee gekommen ist, weil wir berücksichtigen müssen, in welcher Situation - auch finanzieller Situation sich die Menschen befinden, die von Arbeitslosengeld II
leben müssen. Bedenken Sie: Jemand, der 58 Jahre alt
ist, darf ein Schonvermögen von maximal 6 100 Euro
für Konsumausgaben haben. Im Übrigen glaube ich,
dass sich viele Bezieher von Arbeitslosengeld II fragen,
was ihnen eigentlich die Abwrackprämie nutzt, da sie
das Geld für einen Neu- oder Jahreswagen überhaupt
nicht aufbringen können. Sie werden diese Diskussion
hier möglicherweise als ziemlich abstrus empfinden.
In der Tat verstehe ich auch unter diesem Gesichtspunkt den Antrag der Linken nicht. Nahezu bei jedem
Antrag, den Sie zu diesem Thema hier in den Deutschen
Bundestag eingebracht haben, haben Sie nämlich darauf
hingewiesen, dass die Menschen, die Arbeitslosengeld II
beziehen, arm sind und aufgrund der Höhe der Sätze
keine Möglichkeit haben, Rücklagen zu bilden: noch
nicht einmal für die Waschmaschine, den Trockenautomaten oder den Elektroherd. Sie weisen darauf hin, dass
die Sätze erhöht werden müssen, damit sie ein Minimum
an Lebensstandard haben. Jetzt kommen Sie mit einem
Antrag, die Abwrackprämie für Hartz-IV-Empfänger
einzuführen, wohl wissend, dass die gesamte Situation
so ist, wie sie ist.
({1})
Hinzu kommt übrigens - das wissen Sie auch -, dass
jemand, der Arbeitslosengeld II erhält, nach den Buchstaben des Gesetzes kein Auto haben darf, das mehr als
7 500 Euro wert ist. Das ist festgelegt. Ich will gerne zugestehen, dass es solche Autos gibt. Das will ich nicht in
Abrede stellen. Wenn aber jemand mehr dafür bezahlt
hat, dann wird dies als zusätzliches Vermögen angerechnet.
Ich sage in aller Deutlichkeit, ich halte diese Diskussion für ziemlich abstrus und an den Haaren herbeigezogen. Es kann aber sein - das will ich nicht in Abrede
stellen -, dass es vielleicht 100 oder 200 Bedarfsgemeinschaften gibt, der zwei Personen von etwa 58 oder
60 Jahren mit einem Schonvermögen von 6 000 Euro
angehören - für beide zusammen sind es also
12 000 Euro -, das sie für einen Autokauf verwenden
könnten.
Unsere Fraktion hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Umsetzung des Gesetzes nicht die Aufgabe
des Parlaments, sondern der Exekutive ist. Die Exekutive ist das Bundesarbeitsministerium, das festgestellt
hat, dass nach dem Buchstaben des Gesetzes die Abwrackprämie beim Arbeitslosengeld II angerechnet werden muss. Das haben wir akzeptiert. Wir hätten es aber
genauso akzeptiert, wenn das Bundesarbeitsministerium
gesagt hätte, die Abwrackprämie ist nicht anrechnungsfähig.
({2})
Nun liegt die Stellungnahme des Präsidenten des
Bundessozialgerichts vor. Vielleicht wird dadurch die
Diskussion neu eröffnet. Es kann sein, dass sich das
Bundesarbeitsministerium auf der Grundlage dieser Stellungnahme noch einmal mit diesem Thema befassen
will. Sollte das Bundesarbeitsministerium zu einer anderen Einschätzung kommen, dann werden wir auch dieses
mittragen und einer entsprechenden Regelung nicht
mehr im Wege stehen. Wir würden das akzeptieren.
({3})
Ich will einen Punkt klarstellen, Herr Kollege Seifert.
Sie haben vorhin gesagt, dass auch Behinderte in der
Lage sein müssen, sich ein neues Auto zu kaufen, und
Anspruch auf die Abwrackprämie haben sollten. Dagegen spricht überhaupt nichts. Behinderte sind nicht betroffen, sofern sie nicht nach dem jetzigen Stand der
Dinge Arbeitslosengeld II beziehen.
({4})
Das ist ein Teil der Regelungen - das will ich nicht in
Abrede stellen -, der möglicherweise im Rahmen der
Prüfung mitzuklären ist.
Wir diskutieren wieder einmal die zusätzlichen Bedarfe von Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen. Es
ist unstrittig, dass es sich dabei um eine Grundsicherung
handelt. Große Sprünge - das weiß jeder - kann man damit nicht machen. Das war auch nie beabsichtigt; denn
es handelt sich um eine steuerfinanzierte Grundsicherung, die von denen erwirtschaftet werden muss, die einer Erwerbsarbeit nachgehen.
Ich halte es für zwingend geboten, endlich diejenigen
in den Blick zu nehmen, die mit ihrem Nettoeinkommen
knapp über dem Arbeitslosengeld II liegen,
({5})
die sich trotz Abwrackprämie kein neues Auto leisten
können, die aufgrund der Situation, in der sie leben, kein
zusätzliches Kindergeld, keine Zuschüsse für die Klassenfahrt ihrer Kinder und keine weitere finanzielle Unterstützung bekommen und dennoch durch ihre Arbeit
die Steuern erwirtschaften müssen, mit denen wir die
Grundsicherung für Arbeitslosengeld-II-Bezieher einschließlich der Abwrackprämie finanzieren müssen.
({6})
Es geht in diesem Punkt nicht um Neid. Es geht vielmehr darum, dass wir die Leistungsträger unserer Gesellschaft - den Facharbeiter, die Erzieherin oder die
Krankenschwester - nicht weiter belasten und ihnen das
Gefühl geben, dass sich Arbeit wieder lohnt. Die Debatte
um die Abwrackprämie von 2 500 Euro halte ich, wie
gesagt, bei unter dem Strich vielleicht 100 oder
200 Fällen, um die es in der Bundesrepublik gehen mag,
für eine Phantomdebatte.
Ich sage es noch einmal: Sollte das Bundesarbeitsministerium feststellen, dass die Abwrackprämie bei Arbeitslosengeld-II-Beziehern nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird, dann wird sich unsere Fraktion
dem nicht in den Weg stellen. Eine Gesetzesänderung,
um einen Sonderfall zu schaffen, werden wir aber nicht
mittragen. Denn damit öffnen wir ein neues Fass, das wir
an anderer Stelle nicht mehr zubekommen. Wir fangen
an dieser Stelle wieder an, zu diskutieren, ohne zu wissen, was noch durch andere gesetzliche Regelungen auf
uns zukommt. Ich rate uns, bei einer klaren Linie zu
bleiben.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Haustein, wenn Sie Ihr neoliberales Bürgergeld mit Arbeitszwang als das Gelbe vom Ei anpreisen, dann kann
ich nur sagen: Bei diesem Eigelb ist Salmonellenalarm
gegeben.
({0})
Kommen wir zu unserem vorliegenden Antrag. Die
Linke fordert, dass die Abwrackprämie nicht auf das
Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Herr Schiewerling
behauptet, dass wir eine Phantomdiskussion betreiben.
Wer schon länger Hartz-IV-Bezieher ist, kann sich
sicherlich auch mit Abwrackprämie keinen Neuwagen
- auch keinen kleinen - leisten. Aber es gibt Aufstocker,
die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind und trotzdem mobil sein müssen, um ihre vielen Minijobs ausüben zu können. Als Beleg dafür möchte ich gerne aus
einem Brief zitieren, der uns in den letzten Tagen zugegangen ist:
Ich bin leider zurzeit auf ALG-II-Hilfe angewiesen
und habe... Einkommen aus freiberuflichen Tätigkeiten. Mein alter Pkw war am Ende ({1}) und
lebensgefährlich. Ich hatte Glück, dank der Abwrackprämie endlich einen Neuwagen zu leasen ...
Nun muss ich bangen, dass das Arbeitsamt mir
schreibt, dass die 2 500 angerechnet werden sollen ...
Weiter schreibt dieser Mann:
Bei uns ... hängt sehr viel von einem funktionierenden Pkw ab. Ich wohne in einem kleinen Dorf ohne
Einkaufsläden ...
Diese beiden Sätze zeigen, dass die Ursachen des Problems tiefer liegen. Wenn wir an die Wurzeln des Problems gehen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass
es auch im ländlichen Raum ein so gutes Bus- und Bahnangebot sowie eine so gute Flächenplanung gibt, dass
die Menschen überhaupt nicht auf das Auto angewiesen
sind.
({2})
Eine Umweltprämie, die ihren Namen verdient,
müsste ganz anders ausgestaltet sein. Der Präsident des
Umweltbundesamtes, Herr Troge, hat dazu einen sehr
schönen Vorschlag unterbreitet. Er meint, man solle all
denjenigen, die ihr Auto verschrotten und auf den ÖPNV
umsteigen, einen Zuschuss zur Jahreskarte geben.
({3})
Bus und Bahn zum halben Preis, perspektivisch möglicherweise sogar zum Nulltarif und ein gutes Angebot in
der Fläche, das wäre eine Verkehrspolitik, die sozial und
ökologisch vertretbar ist.
({4})
Nun haben wir aber eine Abwrackprämie für den
Kauf von Neuwagen. Wenn jeder Millionär, der seinen
Oldtimer gegen einen neuen Edelflitzer eintauschen will,
die Abwrackprämie in Höhe von 2 500 Euro bekommt,
dann müssen zum Beispiel auch ein Aufstocker, der auf
Arbeitslosengeld II angewiesen ist, oder eine Alleinerziehende, die ihre alte Spritschleuder, die ständig kaputt geht, gegen einen Kleinwagen eintauschen möchte,
die 2 500 Euro Abwrackprämie bekommen.
({5})
Mit dieser Forderung stehen wir nicht allein. Sogar
der oberste Sozialrichter Peter Masuch, der Präsident des
Bundessozialgerichtes, hat eindeutig gesagt: Die Abwrackprämie ist eine zweckbestimmte Einnahme, die
nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen ist. - Ich
fordere vor diesem Hintergrund das Bundesministerium
auf: Klären Sie dieses Problem durch eine Verordnung!
SPD und Union spielen hier Verantwortungspingpong. Die SPD sagt, sie würde gerne
({6})
- Frau Lösekrug-Möller, Sie haben sehr viel Gift versprüht, obwohl Sie letztendlich all unseren Ansätzen eigentlich zustimmen -,
({7})
könne aber wegen der Union nicht. Die Union sagt: Wir
wären mit allem, was das Bundesministerium macht,
einverstanden. Wir wollen bloß nicht den Weg eines Gesetzgebungsverfahrens gehen. - Dazu kann ich nur sagen: Das Ganze artet langsam in Verantwortungspingpong aus. Sie können sich nicht hinter dem jeweils
anderen verstecken. Das Bundesministerium ist gefragt.
Wenn Sie das nicht auf dem Weg einer Verordnung klären, dann trägt das SPD-geführte Ministerium die Verantwortung dafür, dass die Abwrackprämie bei Arbeitslosengeld-II-Beziehern angerechnet wird.
({8})
Hören Sie auf, sich zu verstecken, und sorgen Sie dafür,
dass die Abwrackprämie nicht auf das Arbeitslosengeld II und die Grundsicherung für Menschen mit Behinderung angerechnet wird!
Herzlichen Dank.
({9})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
Herren! Eines vorweg: Die Abwrackprämie ist aus Sicht
meiner Fraktion - ich meine: auch objektiv - ökologischer, ökonomischer und ordnungspolitischer Unsinn.
({0})
Sie ist ökologischer Unsinn, weil auf jede Lenkungswirkung verzichtet wird. Sie sollten nicht von einer Umweltprämie sprechen; denn es handelt sich um eine reine
Absatzhilfe für die Automobilindustrie.
({1})
Sie ist ökonomischer Unsinn, weil die Anpassung der Industrie an die Überkapazitäten, wie wir alle wissen, früher oder später sowieso kommen muss.
({2})
Sie zögern den fälligen Anpassungsprozess nur hinaus
und verbraten dabei Milliarden an Steuergeldern.
({3})
Sie ist auch ordnungspolitischer Unsinn. Der Bundeswirtschaftsminister, also der Minister der Union, hat gesagt: Wir können Opel nicht retten, weil dann jeder um
Unterstützung bitten würde und wir uns als Staat nicht
überall beteiligen können. - Im Umkehrschluss frage ich
Sie: Warum gibt es nicht eine Kühlschrankprämie, eine
Waschmaschinenprämie oder eine Staubsaugerprämie?
Auch das sind alles ökologische Produkte.
({4})
Das bedeutet, dass Sie ordnungspolitisch vollkommen
ohne Kompass durch die Gegend laufen. Bei den Sozialdemokraten wundert mich das nicht.
({5})
- Frau Nahles, nun hören Sie mir einmal zu.
({6})
Ihr Kanzlerkandidat möchte vor den VW-Werkstoren
den dicken Max markieren. Geschenkt! Aber bei der
Union verwundert es mich schon, dass sie ordnungspolitisch kein Verständnis hat.
Nun gut, nun haben wir diese Regelung. Wenn man
schon diese unsinnige Prämie einführt, dann muss man
sie wenigstens allen zugutekommen lassen. Wenden Sie
das Recht systematisch an. Man erhält diese Prämie
doch nur, wenn man sich einen Neuwagen kauft. Das
heißt, die Abwrackprämie kann gar nicht, wie es das
Ministerium unterstellt, auf die allgemeinen Lebensunterhaltskosten angerechnet werden, sondern es ist eine
sogenannte zweckbestimmte Einnahme. Andere zweckbestimmte Einnahmen sind nach der Arbeitslosengeld-IIVerordnung und den schon jetzt geltenden Auslegungsvorschriften der Bundesagentur für Arbeit nicht anzurechnen, wie zum Beispiel die Eigenheimzulage.
({7})
Es geht hier um Rechtssystematik. Es geht hier überhaupt nicht um eine besondere Begünstigung von Arbeitslosengeld-II-Beziehenden.
Wie Herr Schiewerling richtig gesagt hat, ist es so,
dass vermutlich nur sehr wenige ALG-II-Beziehende
diese Prämie beantragen werden und dass wir im Grunde
genommen eine Art Phantomdebatte führen. Wenn die
faktische Bedeutung so gering und die Rechtsanwendung so klar ist, dann frage ich mich: Warum wird trotzdem so ein Gehampel darum gemacht? Warum stellt
man sich hier so an? Der Verdacht liegt doch nahe - das
vermitteln Sie; das finde ich von der symbolischen Wirkung her schwierig -, dass Sie Arbeitslosengeld-IIBeziehende zu Bürgern zweiter Klasse erklären,
({8})
indem Sie ihnen deutlich zeigen: Ihr seid es nicht wert,
die Abwrackprämie zu erhalten. - Das ist der eigentliche
politische und demokratische Skandal dieser Debatte.
({9})
Herr Haustein, es geht gar nicht darum, irgendjemanden zu begünstigen. Die Abwrackprämie wird von den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sowieso bezahlt. Es
ist nicht so, dass die Mittel für die Abwrackprämien eingespart würden, wenn man die Arbeitslosengeld-IIBeziehenden ausnähme. Das Geld für die Prämie bekommen dann eben andere. Das heißt, die Arie „Wir
müssen an die Leistungsträger denken“ zieht in diesem
Falle nicht. Das Argument geht an dieser Stelle vollkommen ins Leere.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, die es jetzt beide nicht gewesen sein
wollen - diese ganze Geschichte wird Ihnen langsam unangenehm -: Sie haben hier eine breite Mehrheit. Verschanzen Sie sich nicht hinter den Ministerien oder gegenseitigen Zusicherungen. Machen Sie es einfach!
Diese Regelung ist relativ einfach und simpel umzusetzen. Handeln Sie! Oder sind Sie wie in vielen anderen
Fragen auch hier strukturell handlungsunfähig? Es wird
Zeit, dass Bündnis 90/Die Grünen wieder mitregieren.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Keine Anrechnung der Abwrackprämie bei ALG II und
Eingliederungshilfe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12358, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12114
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke sowie bei Enthaltung der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Britta Haßelmann, Cornelia Behm,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sicherung der interkommunalen Zusammen-
arbeit
- Drucksachen 16/9443, 16/11976 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Burgbacher
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.
Sind Sie damit einverstanden? - Es handelt sich dabei
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Reinhard Schultz, SPD,
Paul K. Friedhoff, FDP, Dr. Herbert Schui, Fraktion Die
Linke, Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11976, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9443 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen
des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. April 2009, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, aber
auch den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein
schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.