Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Frau Dr. Ursula von der Leyen. - Bitte, Frau
Ministerin.
Vielen Dank. - Die Bundesregierung hat heute mit
dem Beschluss der Eckpunkte im Bundeskabinett ihre
Entschlossenheit im Kampf gegen die Kinderpornografie im Internet unterstrichen. Wir wollen damit deutlich
signalisieren, dass wir zügig ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg bringen werden, um alle deutschen Internetzugangsanbieter zu verpflichten, den Zugang zu
kinderpornografischem Material im Internet zu sperren.
Wir geben eine eindeutige Aufgabenteilung vor: Die zu
sperrenden Websites sind von einer staatlichen Stelle,
dem Bundeskriminalamt, zu ermitteln, und auf der anderen Seite sind die Zugangsanbieter verpflichtet, die technische Umsetzung dieser Sperrung zu vollziehen.
Deutschland ist international damit keineswegs Vorreiter; denn das, was wir mit dem Eckpunktepapier bekräftigt haben, findet bei unseren Nachbarn schon seit
Jahren statt: die Sperrung von kinderpornografischem
Material über die Internetzugangsanbieter. Dafür gibt es
einen sehr guten Grund: Dies ist ein wichtiger Teil der
Präventionsstrategie. Wir wissen, dass der illegale Handel mit kinderpornografischem Material über das Internet ein Millionengeschäft ist, und wir wissen, dass der
einfache Zugang über das Internet für viele der Einstieg
ist, die Nachfrage auf diesem Markt also anheizt. Wir
wollen die Opfer schützen; denn jeder Klick auf ein solches Bild stellt indirekt eine erneute Vergewaltigung dieses Kindes dar. Diese Präventionsstrategie muss selbstverständlich in eine Gesamtstrategie eingebettet sein, die
zum Ziel hat, die Täter weltweit zu verfolgen und zu
stellen und die Quellen weltweit zu schließen.
Mit diesen Eckpunkten setzen wir aber auch eine Vereinbarung um, die ich gemeinsam mit dem Bundesinnenminister, dem Bundeswirtschaftsminister, den
sieben größten Zugangsanbietern und den drei Dachverbänden BITKOM, eco und FSM am 13. Januar 2009 geschlossen habe. Diese Vereinbarung sieht ein zweizügiges Vorgehen vor: Wir tun so schnell wie möglich das,
was möglich ist, und schließen Verträge zwischen dem
Bundeskriminalamt und den Internetzugangsanbietern.
Ich kann Ihnen heute berichten, dass die fünf größten
Anbieter inzwischen bereit sind, die Verträge zu unterschreiben; wir haben ausverhandelt. Diese Anbieter decken 75 Prozent des Marktes ab. Parallel wird ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht. Heute sind
die Eckpunkte für diese gesetzliche Regelung festgelegt
worden. Rechtlich und technisch sind für die eben beschriebenen Vorgänge sowohl die Vertragslösung möglich als auch ein Gesetzgebungsverfahren, für das die
Grundlage gelegt worden ist. Uns ist wichtig, deutlich zu
machen, dass insbesondere die technischen Hürden von
den Zugangsanbietern gleichen Namens im Ausland
längst überwunden worden sind, sodass wir in Deutschland den Schritt zur Bekämpfung der Kinderpornografie
im Internet zügig gemeinsam gehen sollten.
Vielen Dank.
Danke, Frau Ministerin. - Ich bitte, zunächst Fragen
zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte.
Frau Minister, wir sind uns in dem Anliegen, Kinderpornografie konsequent zu bekämpfen und die Täter
zu verfolgen, völlig einig. Sie haben in den letzten Tagen
mehrfach dazu Stellung genommen. Unter anderem
Redetext
haben Sie gesagt, dass Sie sich darüber im Klaren sind,
dass die Sperrung von Internetseiten über DNS - so
heißt es technisch - für ambitionierte Pädophile, also
Kriminelle, relativ leicht umgehbar ist, aber dass es Ihnen - das kann ich in gewisser Weise nachvollziehen auch um ein klares Signal an die Öffentlichkeit und an
die Personengruppe der Täter geht.
Sie haben eben von einer Gesamtstrategie gesprochen, in die sich das einbettet. Ich frage zu dieser Gesamtstrategie: Was haben Sie gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung bzw. was
hat die Bundesregierung in den letzten Monaten konkret
veranlasst, um die Strafverfolgung zu stärken? Das
heißt: Sind mehr Stellen eingerichtet worden? Ist mehr
Geld zur Verfügung gestellt worden? Haben insbesondere die Schwerpunktstaatsanwaltschaften eine bessere
technische Ausstattung bekommen? Ich wohne in Halle;
eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft sitzt dort. Diese
Ebene gehört für mich genauso zu dieser Gesamtstrategie wie der Opferschutz. Was ist also sowohl bezogen
auf die Strafverfolgungsbehörden und die Ermittlungsbehörden als auch bezogen auf den Opferschutz unternommen worden?
Es ist in der Tat so, dass zwei verschiedene Felder angesprochen sind. Mit der Sperrung bestimmter Internetseiten verfolgen wir vor allen Dingen eine Präventionsstrategie. Wir wissen, dass etwa 80 Prozent der User auf
diesem Millionenmarkt durch die Sperrung der Internetseiten davon abgehalten werden, sich die Vergewaltigung von Kindern im Internet anzuschauen. Wir wissen
sehr wohl, dass etwa 20 Prozent der schwer Pädokriminellen davon nicht mehr erreicht werden, weil sie sich
inzwischen in anderen Foren aufhalten.
Damit kommt der zweite Punkt ins Spiel, den Sie
richtigerweise angesprochen haben, nämlich die Strafverfolgung. Dies ist eine gemeinsame Aufgabe von
BKA, LKA und Staatsanwaltschaften zusammen mit
Europol. Diese setzen seit Jahren sehr erfolgreich und
nachhaltig die Täterverfolgung durch. Wir lesen in der
letzten Zeit immer wieder von Erfolgen, zum Beispiel
der Sprengung von kinderpornografischen Ringen und
dem Stellen von Tätern.
Es ist auch wichtig, die Opfer zu schützen. Ich kann
Ihnen berichten, dass eine EU-Bilddatenbank aufgebaut
wird - dies ist wichtig -, in der die schrecklichen Bilder,
die das Grauen dieser Kinder zeigen, gesammelt und abgeglichen werden. Die Kinder werden verglichen, und
man sucht nach Details auf diesen Bildern. Auf diesem
Wege versucht man, die Kinder und die Täter zu finden,
damit die Kinder konsequent aus dem Grauen befreit
und die Täter gestellt werden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Lehrieder.
Sehr geehrte Frau Ministerin von der Leyen, ich habe
eine Frage zu dem Thema Access Blocking. Wie gehen
andere Länder in Europa und weltweit mit dem Thema
Access Blocking um, und wie steht Deutschland im Vergleich zu diesen Ländern da?
Es ist an der Zeit, dass Deutschland an die Spitze der
Bewegung kommt. In der Tat haben auch andere europäische Länder diese Diskussionen, die wir hier in den
vergangenen Wochen und Monaten hatten, geführt.
Diese haben aber bereits vor einigen Jahren die Sperrung
des Zugangs zu kinderpornografischem Material im Internet in die Tat umgesetzt.
Ich kann Ihnen hier und heute berichten, dass die vier
skandinavischen Länder, aber auch England, die
Schweiz, Italien, Kanada und Neuseeland, um nur einige
zu nennen, schon seit Jahren Erfahrung mit der Sperrung
des Zugangs zu Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt haben. In diesen Ländern wurde die Notwendigkeit einer konsistenten Präventionsarbeit erkannt.
Um nur einige Zahlen zu nennen: Norwegen, ein
Land mit 4,5 Millionen Einwohnern, blockt am Tag bis
zu 18 000 Klicks auf kinderpornografische Seiten.
Schweden, ein Land mit 9 Millionen Einwohnern, blockt
am Tag rund 50 000 Klicks auf kinderpornografische
Seiten. An diesen Zahlen wird deutlich, dass dieses Millionengeschäft im Alltag stattfindet. Auf Deutschland
extrapoliert handelt es sich um eine Größenordnung von
300 000 bis 400 000 Klicks pro Tag. Mit dem Geld, das
dahintersteht, wird der Markt, so widerlich er ist, angeheizt. Dieser Markt kann durch eine Sperrung der Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt empfindlich
gestört werden.
Oft wird die Frage nach falsch identifizierten Seiten
gestellt. In Dänemark, wo kinderpornografische Seiten
seit dem Jahr 2005 gesperrt werden, wurden seitdem lediglich fünf Beschwerden erhoben, nicht mehr. Es
kommt darauf an, dass die oberste Polizeibehörde eine
saubere, detaillierte und qualitativ hochwertige Arbeit
leistet.
Die Länder, die ich gerade genannt habe, befinden
sich in einem europäischen Verbund, in dem sie ihre Informationen über identifizierte kinderpornografische
Seiten tagtäglich austauschen. Sie haben angeboten, dass
sich auch Deutschland an diesem Verbund beteiligen
kann. Außerdem haben sie angeboten, technische Hilfe
zu leisten. Meines Erachtens ist es höchste Zeit, dass wir
diese Möglichkeiten nutzen.
Das Wort hat die Kollegin Schewe-Gerigk.
Frau Ministerin, niemand in diesem Hause bezweifelt, dass die Bekämpfung der Kinderpornografie, eines
der schwerwiegendsten und grausamsten Verbrechen,
wichtig und notwendig ist. Ich bin froh, dass Sie jetzt aktiv werden. Aber ich frage Sie: Wie begründen Sie, dass
wir dieses Thema in dieser Sitzungswoche zweimal behandeln, einmal im Rahmen der Regierungsbefragung
und einmal im Rahmen einer Aktuellen Stunde?
Weil das Bundeskabinett in seiner heutigen Sitzung
die Eckpunkte des entsprechenden Gesetzentwurfes beschlossen hat, nehme ich hier und heute für die Bundesregierung Stellung. Die Aktuelle Stunde ist die Stunde
des Parlaments.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Noll.
Sehr geehrte Frau Ministerin! Heute ist ein guter Tag.
Sie haben nämlich berichtet, dass sich fünf Provider bereit erklärt haben, die Verträge zu unterzeichnen. Meine
Frage dazu: Inwieweit ist es notwendig, zusätzlich zu
den vereinbarten Eckpunkten noch Verträge zu schließen?
Außerdem heißt es immer wieder, es könnten noch
große Schäden entstehen. Wer wäre für diese Schäden
haftbar? In diesem Zusammenhang haben viele Wirtschaftsunternehmen Bedenken. Gibt es hierfür eine Lösung? Ist, was die Technik betrifft, eine wirklich saubere
Sperrung von Internetseiten möglich? Andere Länder
haben das bereits geschafft. Ich denke, dann werden
auch wir das schaffen.
Danke.
Zunächst einmal zu den Verträgen. Sie sind wichtig.
Denn sie sind das klare gesamtgesellschaftliche Signal,
dass wir nicht länger tolerieren, dass Kinder vor laufender Kamera vergewaltigt, geschändet und missbraucht
werden und jeder dabei im Internet zusehen kann. Ich
bin sehr erfreut, dass die Internetzugangsanbieter ihre
gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Ich
freue mich, Ihnen sagen zu können, dass sich die Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Telefónica O2, Kabel
Deutschland und Alice/HanseNet bereit erklärt haben,
die Verträge zu unterzeichnen. Damit machen diese Unternehmen deutlich, dass auch sie das Ziel der gesellschaftlichen Ächtung der Kinderpornografie verfolgen.
Ausgestiegen aus den Verhandlungen sind United Internet, die Freenet AG und Versatel. Dies ist bedauerlich.
Ich betone, dass die Tür für Gespräche weiterhin offen
ist. Aber ich glaube, irgendwann kommt der Tag, an dem
man Farbe bekennen und zu seiner eigenen Verantwortung stehen muss.
({0})
Die Haftungsfrage ist wichtig. Sie ist eindeutig geklärt. Die Haftung dafür, dass die richtigen Seiten identifiziert werden, übernimmt das Bundeskriminalamt. Der
Bund übernimmt also die vollständige Haftung. Damit
sind auch die Regeln ganz klar definiert. Die Internetzugangsanbieter sind nur für die Sperrung der Seiten zuständig, also nur für die technische Umsetzung. Die
Identifikation der jeweiligen kinderpornografischen Seiten ist ausschließlich Aufgabe der obersten Polizeibehörden.
Zur technischen Umsetzbarkeit. Man muss sich das in
etwa so vorstellen, als wenn man ein Telefon hat, dessen
Stecker aus der Wand gezogen ist: Man kann den Hörer
abheben und eine Nummer wählen; eine Verbindung
wird jedoch nicht aufgebaut. Das ist das Grundprinzip:
schon im Ansatz zu sperren, um jeglichen Zugang zu
diesem Markt unmöglich zu machen.
Für die nächste Frage hat der Kollege Waitz das Wort.
Sehr geehrte Frau Ministerin, erst einmal muss ich sagen: Ich bin irritiert, dass Sie hier in dieser Art und
Weise drei Unternehmen namentlich genannt haben, die
sich Verhandlungen verweigert haben. Ich könnte mir
vorstellen, dass das in Anbetracht der Vielzahl noch
lösungsbedürftiger Fragen - diese Fragen werden im
Gesetzgebungsverfahren sicherlich noch eine Rolle spielen - problematisch ist.
Meine Frage, die sich an Ihre Präsentation der Eckpunkte anschließt, lautet: Beabsichtigt die Bundesregierung eine Novellierung des Telemediengesetzes, oder
beabsichtigt sie, für diesen Sonderfall ein Spezialgesetz
zu verabschieden?
Erster Punkt. Ich möchte deutlich machen, dass uns
an Transparenz liegt. Da dieses ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, war mir von Anfang an wichtig, dass
nicht die Bundesregierung etwas aufzwingt, sondern
dass wir als Gesellschaft Stellung nehmen zu bestimmten Themen. Deshalb ist ein transparenter Verhandlungsprozess wichtig.
Wir haben mit den unterschiedlichen Unternehmen
verhandelt. Die Unternehmen wussten genau, dass sie
die Verhandlungen abschließen können oder es sein lassen können. Über diese Tatsache berichte ich Ihnen
heute. Ich glaube, das ist den Beteiligten insgesamt bekannt, und man sollte sich da nicht hinter einer nebulösen Formulierung verstecken.
Zweiter Punkt. Wo soll das, was wir vorhaben, Gesetz
werden? Wir haben heute im Bundeskabinett bespro23064
chen, dass das Bundeswirtschaftsministerium, das für
das Telemediengesetz federführend ist, die Änderung
vornehmen wird. Wie uns der Bundeswirtschaftsminister
heute im Bundeskabinett berichtet hat, gibt es bereits
Vorarbeiten in seinem Haus. So ist eine Arbeitsgruppe
aus Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums, des
Bundesinnenministeriums, des Bundesfamilienministeriums und des Bundesjustizministeriums eingesetzt worden, die die Gesetzesänderung vorantreiben wird.
Das Wort hat die Kollegin Griese.
Frau Ministerin, erst einmal vielen Dank für die Vorstellung der Eckpunkte. Ich will auch für meine Fraktion
ausdrücklich sagen, dass uns die Bekämpfung der Kinderpornografie ein äußerst wichtiges Anliegen ist. Die
Opfer werden immer jünger, die Brutalität nimmt zu,
und auch die Zahl der Fälle nimmt zu. Das ist fürchterlich; denn jedes einzelne Opfer ist eines zu viel.
Ich würde Sie bitten, uns noch einmal zu erläutern,
wie die, wenn man so sagen will, Doppelstrategie der
Bundesregierung funktioniert. Zum einen wollen Sie ja
versuchen, diese Seiten blockieren zu lassen, zum anderen - auch das halten wir für sehr wichtig - wollen Sie
ein Gesetz auf den Weg bringen, das Kinderpornografie
im Internet nicht nur verbietet - natürlich ist es schon
heute strafrechtlich verboten, Kinderpornografie zu verbreiten -, sondern es auch ermöglicht, an die Täter zu
kommen. Es ist wichtig, dass wir alles tun, um schon das
Entstehen von Kinderpornografie zu verhindern. Es liegt
sicherlich nicht allein in der Hand des Familienministeriums, das zu tun. Aber das gehört zusammen. Deshalb
bitte ich Sie, noch einmal zu erklären, wie die Maßnahmen im Zusammenhang miteinander stehen.
Sie haben das Wort, Frau Ministerin.
Zunächst einmal zu Ihrer Frage nach der Ermittlung
der Täter. Das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und die Staatsanwaltschaften beschäftigen sich
seit Jahren damit, einschlägige Seiten aufzuspüren, sie
zu identifizieren und sie daraufhin zu untersuchen, ob es
Merkmale gibt, die einen Hinweis darauf geben, wo das
grausige Verbrechen, das im Internet noch einmal vorgeführt wird, stattgefunden hat. Dies ist eine unendlich
wichtige Arbeit, die international vernetzt stattfindet und
die mit der gleichen Konsequenz und Stringenz fortgesetzt wird.
Uns geht es um die Prävention, um die gesellschaftliche Ächtung der Kinderpornografie. Die Sperrung der
Internetseiten sind wir deshalb mit einer Doppelstrategie
angegangen: einen Vertrag mit den Internetzugangsanbietern abschließen und parallel gesetzliche Maßnahmen ergreifen. Uns ist nämlich wichtig, das, was möglich ist - das zeigt sich im Verhandlungsprozess -, so
schnell wie möglich umzusetzen.
Wir haben jetzt drei Monate verhandelt. In diesen
Verhandlungen sind viele Dinge geklärt worden, die vorher sehr nebulös waren. Horrorszenarien und auf beiden
Seiten unterschiedliche Vorstellungen sind jetzt bei beiden, sowohl auf der staatlichen Seite als auch auf der
Anbieterseite, ganz pragmatisch und realitätsnah angegangen worden. Das findet sich in den Verträgen wieder.
Der Inhalt der Verträge spiegelt sich damit auch in
den Eckpunkten für das Gesetz wider. Sie alle wissen,
dass Gesetzgebungsverfahren langwierig sind. Mit diesem Gesetz wird allen klargemacht - das ist mir wichtig -,
dass die Regeln in Deutschland, unabhängig davon, ob
in den nächsten Jahren ein Anbieter aus dem Markt ausscheidet oder ein neuer Anbieter hinzukommt, auf Dauer
eindeutig und unverrückbar sind, nämlich dass sich jeder
Internetzugangsanbieter daran halten muss, kinderpornografische Seiten zu sperren.
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn.
Frau Ministerin, auch die Fraktion der Grünen ist für
das Sperren von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten, wenn dies auf einer klaren gesetzlichen
Grundlage geschieht. Ich versuche aus Ihren Antworten
herauszufinden, wie dieser Zweiphasenweg aussehen
soll.
Als Erstes möchte ich Sie fragen: Welche Gründe haben denn die Provider, die aus dem Vertragsverfahren
ausgestiegen sind, vorwiegend angeführt? Liegt der
Grund vielleicht darin, dass sie eine gesetzliche Grundlage fordern, dass sie also keine inhaltlichen Gründe,
sondern rechtsstaatliche Gründen nennen?
Da ich selber keine Juristin bin, möchte ich Sie anschließend fragen: Ist geplant, dass bei Vorliegen des
entsprechenden Gesetzes der Vertrag durch die gesetzliche Regelung ersetzt wird? Ist der Vertrag sozusagen
eine Vorschaltebene vor einer gesetzlichen Regelung,
oder wird beides parallel weiterlaufen? Mir sind bisher
keine Verfahren bekannt, bei denen die Justizministerin
deutlich sagt „Wir brauchen ein Gesetz“, und ein anderes
Ministerium erklärt „Bis zum Vorliegen des Gesetzes
schließen wir erst einmal einen Vertrag ab; wenn dann
das Gesetz auf dem Tisch liegt, schauen wir, ob wir den
Vertrag noch brauchen.“ - Vielleicht können Sie dieses
Verfahren näher erläutern. Können Sie auch sagen, ob es
noch in dieser Legislaturperiode zu einem Gesetz kommen wird?
Warum die drei Internetzugangsanbieter die Verhandlungen abgebrochen haben, müssen Sie die Anbieter selber fragen. Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Wenn man sich die Regelungen in Europa anschaut,
dann sieht man, dass die Mehrzahl der Länder, die den
Internetzugang zu kinderpornografischen Seiten sperren,
auf einer vertraglichen Basis agieren. Zwei Länder, nämlich Italien und Finnland, handeln auf der Basis eines
Gesetzes, welches das widerspiegelt, was die anderen
Länder auf vertraglicher Basis geregelt haben. Aufgrund
der Erfahrungen der anderen Länder ist uns klar gewesen, dass der Schritt, die Internetzugangsanbieter mit ins
Boot zu holen und sie mit uns die Wege und Möglichkeiten konsequent durchdeklinieren zu lassen, ganz wichtig
ist, um gemeinsam den Kampf gegen die Kinderpornografie im Internet gewinnen zu können.
Es ist deshalb richtig, zunächst einmal die Vertragslösung zu wählen, auf deren Grundlage die klaren Regeln
auf beiden Seiten schnell und unkompliziert umgesetzt
werden können. Es zeigt sich jetzt, dass die Verträge unterschriftsreif sind. Wir werden sie um Ostern herum
unterschreiben. Damit ist schon einmal für die Übergangsphase Klarheit geschaffen, bis das Gesetzgebungsverfahren zu einem Abschluss gebracht ist. Damit machen wir deutlich, dass in diesem Land die Politik, aber
auch diejenigen, die den Zugang ins Internet ermöglichen, eine ganz klare Haltung gegenüber diesem scheußlichen Verbrechen haben, das tagtäglich millionenfach
abgerufen werden kann.
Ich möchte darüber hinaus darauf hinweisen, dass wir
heute im Kabinett noch einmal über die Verträge gesprochen haben. Dabei ist klargemacht worden, dass diese
Verträge verfassungsrechtlich und rechtlich in Ordnung
sind.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Sitte.
Ich möchte an die Frage anknüpfen, die der Kollege
Waitz schon gestellt hat. Sie hatten vor einigen Monaten
selbst noch die Auffassung vertreten, dass es ohne ein
Gesetz geht und dass man das auf dieser Vertragsebene
regeln kann.
Nun interpretiere ich das gegenwärtige Vorgehen
nicht nur als Kompromiss, sondern so, dass die Tatsache,
dass sich die genannten Provider jetzt auf Verträge mit
dem BKA, wie Sie sagen, einlassen, offensichtlich mit
dem heute verabschiedeten Eckpunktepapier zu tun hat,
das sozusagen die Option enthält, den Gesetzentwurf
noch vor der Sommerpause hier im Bundestag zu verabschieden. Wenn ich die Eckpunkte, die Sie heute im
Ausschuss verteilt haben und die ich mir gerade ansehen
konnte - ich bin nicht in dem entsprechenden Ausschuss -,
richtig interpretiere, dann geht es zunächst vor allem um
die Sperrung der Seiten.
Wie ist aus dem Eckpunktepapier abzuleiten, wie die
Verfolgung der Anbieter zu organisieren ist? Daneben
habe ich nochmals die Frage: Ist garantiert, dass es sich
ausschließlich um Seiten mit Kinderpornografie handeln
wird? Sie wissen, dass die öffentliche Debatte auch dadurch geprägt ist, dass es eine ganze Reihe von Befürchtungen gibt, dass weitere Begehrlichkeiten hinsichtlich
der Sperrung von Internetseiten artikuliert und vertreten
werden.
Danke.
Ich möchte hier noch einmal ganz deutlich machen:
Es geht ausschließlich um Kinderpornografie. Das steht
sehr deutlich sowohl in dem Eckpunktepapier als auch in
den Verträgen. Eine Gesetzesänderung betrifft ausschließlich das Thema Kinderpornografie im Internet.
Es geht in diesem speziellen Fall nicht um die Täterverfolgung; denn diese findet schon statt. Hierfür bedarf
es keiner Gesetzesänderung. Es geht ausschließlich um
den einen Schritt in der Gesamtstrategie, nämlich um die
Sperrung von kinderpornografischen Seiten im Internet.
Gegenstand der Eckpunkte und ausschließlicher Gegenstand der Verträge ist: Wer identifiziert die Seiten, wer
übernimmt die Haftung, und wie wird die Blockade dieser Seiten von den Internetzugangsanbietern vollzogen?
Es ist richtig, dass die Internetzugangsanbieter von
Anfang an unterschiedlicher Haltung waren. Es gab einige, die von Anfang an gesagt haben: Wir machen mit,
wir handeln mit euch die Verträge aus, wir unterschreiben, wenn wir eine gemeinsame Lösung gefunden haben. - Der Vertrag mit dem ersten Anbieter war schon
vor 14 Tagen unterschriftsreif. Es gab auch Anbieter, die
zunächst einmal eine Befassung des Kabinetts mit dem
Thema und die Vorlage der Eckpunkte gefordert haben.
Diese Vorbedingung wurde heute von unserer Seite erfüllt.
Dadurch, dass diese Behandlung erfolgen würde, war
auch für die andere Seite der ausgeprägte politische
Wille klar. Das hat zur Folge gehabt, dass am gestrigen
Abend die Mehrzahl der Marktteilnehmer, nämlich
75 Prozent, gesagt hat, dass sie unterschreibt.
Das Wort hat der Kollege Kucharczyk.
Frau Ministerin, es sind ja schon viele Fragen gestellt
und beantwortet worden. Wir alle hier sind uns in der
Zielsetzung unisono einig. Ich glaube, hinsichtlich der
nationalen Ebene haben Sie hier ausreichend dargestellt,
wie was jetzt in welchen Stufen erfolgen soll: Vereinbarung mit den Providern und danach die gesetzliche Regelung.
Wir wissen aber auch, dass die Server nicht in
Deutschland stehen - hier gibt es bereits gesetzliche
Grundlagen -, sondern im Ausland. Die Frage, die sich
daraus ergibt, lautet: Wie wird auf europäischer Ebene
sichergestellt, dass das Ziel, die Kinderpornografie nicht
nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus gesellschaftlich zu ächten, erreicht wird und dass man derer
habhaft werden kann, die dort ihr Unwesen treiben? Wie
wollen Sie das auch auf der europäischen Ebene erreichen?
International gibt es in der Tat entsprechende Bestrebungen, mit denen zum Teil längst darauf hingewirkt
wird, dass kinderpornografische Seiten in den einzelnen
europäischen Nationen gesperrt werden. Ich beziehe
mich jetzt einmal nur auf die Zugangssperre: Wir haben
im Europarat die ganz klare Haltung, dass die einzelnen
Nationen aufgefordert werden, mit den einzelnen Internetzugangsanbietern genau diese vertragliche Basis zu
schaffen, dass der Zugang im Internet gesperrt werden
kann.
Ich habe vorhin von der EU-Bilddatenbank berichtet,
mit der inzwischen sehr erfolgreich gearbeitet wird. Das
gesamte Bildmaterial wird, so schrecklich es sich anhört,
gesammelt und abgeglichen, um durch einzelne Puzzlestücke gegebenenfalls den Weg zu den weltweit agierenden Tätern und den weltweit leidenden Kindern zu finden. Ich kann Ihnen berichten, dass es in Europa unter
dem Begriff CIRCAMP einen Zusammenschluss von
13 Ländern gibt, die Informationen über Kinderpornografie austauschen, sowohl was die Existenz im Internet
als auch die Täterverfolgung betrifft. Wir werden dem
CIRCAMP beitreten und dadurch einen Beitrag leisten,
dass wir jetzt auch in Deutschland die Sperrung einschlägiger Internetseiten durchsetzen können. Die EUKommission hat noch einmal nachdrücklich gemahnt,
dass die einzelnen europäischen Länder genau diesen
Weg gehen, den andere Länder schon gegangen sind und
den auch wir jetzt beschreiten wollen.
Das Wort hat der Kollege Waitz.
Ich möchte direkt an die vorherige Frage von Herrn
Kucharczyk anknüpfen. Ein Blick auf die bereits existierenden Sperrlisten zeigt, dass ein Großteil der problematischen Server nicht in irgendwelchen Ländern steht, die
die Kinderpornografie nicht verfolgen, sondern sie finden sich in europäischen Ländern, Australien und den
Vereinigten Staaten. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund,
dass es nicht möglich ist, die Server in diesen Staaten abzuschalten und dafür zu sorgen, dass die Inhalte komplett aus dem Netz genommen werden?
Bei dem Thema, das wir heute gemeinsam angehen,
geht es nicht um die Frage des Servers, wo auch immer
er weltweit steht. Ein Server „hostet“ nur bestimmte Dateien. Es geht vielmehr darum, dass die Websites sehr
kurzlebig sind. Manchmal bestehen sie nur 48 Stunden.
Sie wechseln sehr schnell den Ort. Es ist im Prinzip ein
Hase-und-Igel-Spiel. Dabei geht es um einen sehr wichtigen Baustein. Unsere Erfahrung in Deutschland ist,
dass pro Tag zu jeder gegebenen Zeit etwa 1 000 Seiten
gesperrt werden, wobei jeden Tag neu identifiziert werden muss, welche Seite aus dem Netz verschwunden ist
und welche Seiten neu hinzugekommen sind und gesperrt werden müssen. Wir speisen unser Wissen aus den
Erfahrungen anderer Länder, die das tagtäglich machen.
In Beratungsgesprächen mit Skandinaviern haben wir erfahren, dass sie, wenn sie das System zum Laufen gebracht haben, einen Experten brauchen, der eine Stunde
pro Tag prüft, ob neue Seiten hinzugekommen sind, ob
in anderen Ländern neue Seiten identifiziert worden
sind. Das Abgleichen und die Weitergabe an den Provider ist eine tagtägliche Sisyphusarbeit, die aber eminent wichtig ist, um immer wieder deutlich zu machen,
dass wir nicht zulassen, dass solche Seiten im Netz frei
zugänglich sind.
Es hat also nichts mit der Frage zu tun, wo weltweit
Server stehen. Wir verfolgen vielmehr den Ansatz, weltweit zu screenen, welche Bilder im Netz vorhanden sind,
und in Deutschland für diese Bilder den Stecker aus der
Wand zu ziehen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Grosse-Brömer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich
bewundere Ihre Hartnäckigkeit bei diesem Thema. Auch
die bei solchen Befragungen fast zwangsläufig geäußerten Bedenken haben ihre Berechtigung. Aber ich möchte
noch einen speziellen Punkt aufgreifen, nämlich die
Frage „Vertrag oder gesetzliche Grundlage?“. Dabei gibt
es den Einwand, inwieweit eine gesetzliche Grundlage
nicht zwingend erforderlich ist. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob der Vertrag nicht den Vorteil hat
- im Gegensatz zu Frau Stokar bin ich Jurist -, dass man
sich dabei freiwillig bereit erklärt, etwas zu tun, und damit unter Umständen sogar der Vorteil verbunden ist,
dass man dadurch auf manche gesetzliche Regelung, die
vielleicht gar nicht so umfassend sein kann, wie es notwendig wäre, verzichten kann oder sie allenfalls ergänzend benötigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diejenigen beschweren, die dann bei ihrem Provider nicht mehr
auf solche kinderpornografischen Seiten zurückgreifen
können, ist sicherlich relativ gering.
Gibt es vielleicht gar nicht das Bedürfnis, auch von
den Providern die vertragliche Bindung längerfristig einzufordern, weil dadurch eine stärkere Unterstützung Ihres Anliegens verdeutlicht wird als durch ein Gesetz, das
wir verabschieden?
Der Prozess, den Sie schildern, ist richtig. Wir haben
in den letzten drei Monaten gewissermaßen einen ausgeprägten Meinungsbildungsprozess in der Community
erlebt. Es ist zum ersten Mal konkret durchdiskutiert
worden, statt nebulös zu fordern, man müsse etwas tun,
was aber angesichts der sehr hohen rechtlichen und technischen Hürden sehr schwierig sei. In den letzten zehn
Jahren liefen die Verhandlungen des BKA mit den Internetanbietern ungefähr so ab und man ist nie über die
Aber-Grenze hinweggekommen.
Diesmal wurde - weil deutlich wurde, dass wir es
ernst meinen - nicht nur darüber gesprochen, was alles
nicht machbar ist, sondern auch konkret darüber, wie
man die richtige Lösung finden kann, um das kinderpornografische Material im Internet sperren zu können. Das
hat einen großen Erkenntnisgewinn gebracht. Bei den
Providern hat es ganz klare Vorreiter gegeben, die deutlich gemacht haben, dass ihnen das ein Anliegen ist. Es
sind insbesondere Anbieter gewesen, die in anderen
Ländern längst Erfahrungen machen und solche Sperrungen in ihren Unternehmen zum Beispiel in Skandinavien vornehmen. Diese Anbieter sehen darin keinerlei
Probleme, sondern - im Gegenteil - ein klares gesellschaftliches Signal der Stärkung der Haltung, dass wir
das nicht mitmachen und nicht dulden, dass jeder im Internet der Vergewaltigung von Kindern zuschauen kann.
Insofern ist das ein wichtiger Prozess gewesen.
Ich glaube, dass in Zukunft Kunden durchaus ihren
Provider fragen werden: Warum sperrst du nicht die betreffenden Seiten im Internet, wie es andere tun? - Auch
das ist eine denkbare Frage. Nichtsdestotrotz halte ich
ein Gesetzgebungsverfahren für unverzichtbar, weil wir
100 Prozent des Marktes erreichen wollen.
Mir liegen noch eine Wortmeldung zu diesem Themenbereich und eine Wortmeldung zu anderen Themen
der Kabinettssitzung vor. Ich möchte beide zulassen und
bitte die Fragesteller um entsprechende Kürze und Prägnanz bei der Fragestellung, weil wir die Zeit schon überschritten haben.
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn.
Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf die
Frage nach dem Verhältnis von Vertrag zu Gesetz zurückkommen. Sie haben vorhin meine Frage nicht beantwortet, ob es noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz
geben wird und ob dieses Gesetz dann den Vertrag ersetzt. Das ist eine wesentliche rechtliche Frage; denn es
geht darum, ob das BKA Verträge mit der Privatwirtschaft abschließen kann, die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis beinhalten. Es handelt sich hier nicht um eine
lapidare Sache, sondern um eine grundsätzliche Rechtsfrage. Deswegen bitte ich um eine klare Antwort.
Ich habe eine weitere Frage. Sie haben vorhin von
Transparenz geredet. Werden Sie den Vertrag gemäß
dem Informationsfreiheitsgesetz im Internet veröffentlichen, und ist in diesem Vertrag auch die Umleitung der
User auf sogenannte Stoppseiten des BKA geregelt?
Zum Thema Transparenz und Internet: Wir stellen
fest, dass seit Wochen sämtliche Vorverträge oder Vertragsentwürfe bei Heise Online nachzulesen sind. Somit
herrscht vollständige Transparenz. Man kann jederzeit
den gesamten Diskussionsprozess in unterschiedlichen
Foren detailliert nachlesen. Es ist erfreulich, dass das Internet in jeder Form für klare Verhältnisse für alle Beteiligten sorgt. Sie müssen also nicht darauf warten, dass
Ihnen Verträge, die längst veröffentlicht sind, überreicht
werden.
Das Fernmeldegeheimnis ist in diesem Fall nicht betroffen. Dazu gibt es eine ganz klare Aussage des Ministeriums. Ich möchte deutlich machen, dass das Fernmeldegeheimnis dann berührt wird, sobald eine Verbindung
vorhanden ist. Aber hier wird erst gar keine aufgebaut.
Das ist der entscheidende rechtliche Unterschied. Alle
anwesenden Kabinettsmitglieder haben in der heutigen
Kabinettssitzung der Äußerung zugestimmt, dass die
Verträge, die zwischen dem BKA und den Internetzugangsanbietern geschlossen werden, verfassungsrechtlich unbedenklich sind.
Zur Frage, ob dies noch in dieser Legislaturperiode
möglich ist: Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Ich habe
in den letzten Wochen erlebt, dass mir viele Steine in den
Weg gelegt worden sind, was sowohl eine vertragliche
Lösung als auch die Entwicklung von Eckpunkten angeht. Insofern bin ich wachsam, was die Steine angeht,
die uns möglicherweise in Zukunft in den Weg gelegt
werden. Sie können sicher sein, dass wir dieses Ziel hartnäckig verfolgen. Gerade weil wir wissen, dass es wichtig ist, schnell zu handeln, ist mir so sehr daran gelegen
gewesen, zunächst zu einer Vertragslösung, die auf einem sicheren rechtlichen Boden steht, zu kommen. Damit wird der politische Wille deutlich, dass nicht nur
Eckpunkte, sondern auch ein Gesetzentwurf erarbeitet
wird. Es liegt an uns und allen anderen Beteiligten, wie
zügig der Gesetzentwurf auf den Weg gebracht wird.
Danke, Frau Ministerin. - Zu einer weiteren Frage hat
der Kollege Koppelin das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Frage
an den Vertreter des Kanzleramts. Wir alle wissen, wie
harmonisch es in der Koalition zugeht. Die heutigen Äußerungen von Herrn Müntefering über die Kanzlerin haben das noch einmal deutlich gemacht. Deswegen war
ich völlig überrascht - ich denke, das war eine Fehlmeldung -, als am Wochenende in den Medien stand, dass
die Tagesordnung für die heutige Kabinettssitzung am
Wochenende noch nicht feststand, weil man sich nicht
geeinigt habe. Ich möchte erstens die Frage an das Kanzleramt stellen, welche Themen noch auf der Tagesordnung standen, und zweitens, wie lange die Sitzung heute
gedauert hat.
({0})
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Koppelin, soweit Sie die Presseberichterstattung über die Festlegung der Tagesordnung ansprechen, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Tagesordnung
des Bundeskabinetts abschließend in der Staatssekretärsrunde am Montag festgelegt wird.
({0})
Insofern entbehren Meldungen, sie habe am Wochenende nicht abschließend festgestanden, in der Tat jedweder Originalität.
({1})
Soweit es um weitere Themen der Kabinettsberatung
geht, darf ich Sie darauf hinweisen, dass das Kabinett
den Gesetzentwurf zur Stärkung der Finanzmarkt- und
Versicherungsaufsicht beschlossen hat. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Realisierung der
Maßnahmen, die im Oktober 2008 angekündigt worden
sind und mit denen Konsequenzen aus der unzureichenden Beaufsichtigung im Zuge der Bewältigung der
Finanzmarktkrise gezogen werden. Außerdem sind im
Rahmen der Kabinettsberatung - ohne Beschlussfassung weitere Themen angesprochen worden. Ich nenne die
Koalitionsbildung in Israel und die Auswirkungen auf
den Nahost-Friedensprozess, ich nenne die Folgen der
gescheiterten Vertrauensabstimmung in der Tschechischen Republik im Hinblick auf die EU-Ratspräsidentschaft und den Prozess der Ratifizierung des Vertrages
von Lissabon, und ich nenne schließlich die öffentliche
Diskussion über die Ärztehonorierung. Die Kabinettssitzung hat bis circa 11 Uhr gedauert, es wurden wichtige
Themen erörtert und wichtige Beschlüsse gefasst.
Danke, Herr Staatsminister. - Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/12355 Ich rufe die Fragen auf Drucksache 16/12355 in der
üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zunächst zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung. Die Frage 1 der Kollegin Hirsch wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Henry Nitzsche auf:
Aus welcher Interessenlage heraus wollte die Beauftragte
der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Dr. Maria Böhmer, nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Amoklaufs in Winnenden und zu einem Zeitpunkt, als endgültige Opferzahlen noch nicht feststanden, von
den zuständigen Polizeibehörden wissen, ob gezielt auf Menschen mit Migrationshintergrund geschossen wurde?
Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Professor
Dr. Maria Böhmer zur Verfügung. Bitte, Frau Staatsministerin.
Herzlichen Dank. - Sehr geehrter Herr Kollege, ich
darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Wie bei schweren
Unglücken und Verbrechen üblich und unverzichtbar,
insbesondere wenn viele Opfer zu beklagen sind, habe
ich einen Mitarbeiter beauftragt, sich von den örtlichen
Sicherheitsbehörden über den Ermittlungsstand, insbesondere über schon bekannte politische Tatmotive, unterrichten zu lassen. In diesem Zusammenhang war auch
die Frage zu verstehen, ob Migranten unter den Opfern
sind.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatsministerin, stellt für Sie die Tötung von
Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber der Tötung von Deutschen ein gesteigertes Unrecht dar?
({0})
Es gibt keinen Unterschied.
Sie haben das Recht zu einer zweiten Nachfrage.
Der Inhalt meiner ursprünglichen Frage, die ich gestellt habe, also ob Sie bewusst gefragt haben, ob Menschen mit Migrationshintergrund betroffen waren, entspricht demnach den Tatsachen?
Herr Kollege, ich habe Ihnen die Antwort gegeben,
und ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Danke, Frau Staatsministerin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Jan Mücke auf:
Welche Initiativen wird die Bundesregierung im Vorfeld
der 33. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Sevilla
vom 22. bis 30. Juni 2009 unternehmen, um den Welterbetitel
für Dresden zu erhalten?
Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Mücke, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die
Bundesregierung hat sich auch in den vergangenen Monaten weiterhin für eine Konsenslösung eingesetzt, um
den Welterbetitel für das Dresdner Elbtal zu erhalten.
Vertreter der Stadt Dresden hatten mit Unterstützung des
Auswärtigen Amtes mehrfach Gelegenheit, das
UNESCO-Welterbezentrum über den aktuellen Stand
der Entwicklung in Dresden zu unterrichten. Zuletzt hat
der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland
bei der UNESCO Ende Februar 2009 ein Treffen für die
Oberbürgermeisterin von Dresden, Frau Helma Orosz,
arrangiert, bei dem Vertretern des Welterbekomitees die
Situation in Dresden erläutert werden konnte. Die Bundesregierung wird diese Bemühungen fortsetzen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatsminister, zunächst vielen Dank für diese
kurze Beantwortung. - Mit der freundlichen Genehmigung der Frau Präsidentin möchte ich meine beiden
Nachfragen zusammen stellen.
Meine Fragen stehen in einem Sachzusammenhang
mit einer Frage, die durch einen Vertreter des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am
Ende dieser Fragestunde beantwortet werden soll. Ausgangspunkt meiner Fragen ist ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Dresden zum Planfeststellungsbeschluss
über den Bau der Waldschlösschenbrücke. Dieses Urteil
liegt schon seit längerer Zeit vor. Seit letzter Woche liegt
auch die Urteilsbegründung vor. Aus der Begründung
des Urteils des Verwaltungsgerichtes Dresden vom 30. Oktober 2008 geht hervor, dass die auch von der Bundesregierung - man kann Herrn Bundesminister Tiefensee
so verstehen - favorisierte Kompromisslösung in Form
eines Tunnelbaus anstelle des Baus der Waldschlösschenbrücke aus naturschutzrechtlichen Gründen
nicht möglich ist und dass der Planfeststellungsbeschluss
über den Bau der Waldschlösschenbrücke deshalb völlig
korrekt ist. Wenn ein Tunnelbau als Alternative nicht
möglich ist, stellen sich für mich zwei Fragen:
Erstens. Hält die Bundesregierung an der rechtlich
unzulässigen Kompromisslösung, einen Tunnel zu
bauen, fest?
Zweitens. Wenn die Bundesregierung an der Kompromisslösung nicht festhält: Welche Möglichkeiten bestehen, auf das UNESCO-Welterbekomitee Einfluss zu
nehmen, um den Welterbetitel für die Stadt Dresden zu
erhalten?
Bitte, Herr Staatsminister.
Herr Kollege Mücke, Sie wissen, dass wir, das Auswärtige Amt und damit die Bundesregierung, in der Vergangenheit angesichts der Diskussionen, die im Welterbekomitee stattgefunden haben, bemüht waren, zu
verhindern, dass dieser Titel aberkannt wird. Wir haben
uns immer bemüht, einen Konsens herbeizuführen. Auch
deshalb waren viele Gespräche innerhalb des Welterbekomitees notwendig. Ich verweise auf unsere Aufforderung: Schaut euch das vor Ort an! Ich glaube, wir haben
noch die Möglichkeit, in diesen Gesprächen bestimmte
Dinge zu klären. Aber ich sage auch - das haben die Vertreter in diesem Komitee ebenfalls gesagt -: Man erwartet, dass die Baumaßnahmen gestoppt werden. Auf dieser Basis müssen die nächsten Gespräche stattfinden.
Sie haben beide Nachfragen zusammen gestellt, und
Herr Staatsminister hat sie gemeinsam beantwortet. Dafür herzlichen Dank.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Die Frage 4 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Welche Unterstützung durch Soldaten und militärische
Gerätschaften der Bundeswehr ist zum Einsatz anlässlich des
NATO-Gipfels in Straßburg, Kehl und Baden-Baden im März/
April 2009 seitens der Bundesländer oder Frankreichs angefordert worden oder durch die Bundesregierung geplant, und
welche Auskunft gibt die Bundesregierung über die Truppenstärken und Truppengattungen, Einsatzzeiten, Einsatzorte sowie Ausrüstung und Bewaffnung einzusetzender Einheiten,
über die Rechtsgrundlage und die Kosten des Einsatzes sowie
über ihre Absichten zur Beteiligung des Deutschen Bundestages an einer Einsatzentscheidung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: Soweit die Bundeswehr im Zusammenhang
mit dem NATO-Gipfel 2009 technisch-logistische
Unterstützung leistet, wird sie im Rahmen ihrer
Verpflichtung zur Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 des
Grundgesetzes in Verbindung mit §§ 4 bis 8 des Verwaltungsverfahrensgesetzes tätig. Unbeschadet auch sonst
geltender Rechte, insbesondere des Gesetzes über die
Anwendung unmittelbaren Zwanges und der Ausübung
besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr
und verbündeter Streitkräfte sowie ziviler Wachpersonen, übt die Bundeswehr keine hoheitlichen Zwangsund Eingriffsbefugnisse aus.
Für Unterstützungsleistungen im Rahmen technischer
Amtshilfe, die unterhalb der Schwelle eines Einsatzes im
Sinne von Art. 87 a Abs. 2 des Grundgesetzes bleiben,
ist keine Befassung des Bundestages vorgesehen. Wir
gehen nicht davon aus, dass diese Einsatzschwelle überschritten wird; das ist weder angefordert noch beabsichtigt.
Über die Gewährung sämtlicher Amtshilfe, die durch
die Bundeswehr im Zusammenhang mit der Durchführung des NATO-Gipfels auf Antrag geleistet werden
soll, wird im Bundesministerium der Verteidigung entschieden. Die Bundeswehr nimmt im Rahmen ihrer
originären Zuständigkeit Aufgaben zur Vorbereitung und
Durchführung von Teilen des NATO-Gipfels, zur Ge23070
währleistung der Sicherheit der Leitung und der Angehörigen des Bundesministeriums der Verteidigung sowie
ihren subsidiären Auftrag zur Wahrung der Sicherheit im
Luftraum wahr. Bei letzterem handelt es sich um eine
Dauereinsatzaufgabe der Luftwaffe, die unter Abstützung auf Kräfte und Mittel der integrierten NATO-Luftverteidigung durchgeführt wird. Dazu wird die Luftwaffe
- vor dem Hintergrund der grundsätzlich bestehenden
abstrakten terroristischen Bedrohung Deutschlands auch
mit Tatmitteln des Luftverkehrs - eine angemessene Reaktionsfähigkeit sicherstellen.
Mit der Unterzeichnung des deutsch-französischen
Regierungsabkommens zur Zusammenarbeit im Bereich
der Sicherheit im Luftraum bei Bedrohungen durch zivile Luftfahrzeuge am 9. März 2009 sind auch die Voraussetzungen geschaffen worden, grenzüberschreitend
zu reagieren. Hoheitliche Eingriffsbefugnisse bleiben
hiervon unberührt. Ich darf darauf hinweisen, Herr Kollege, dass sich dieses Regierungsabkommen in Inhalt
und Grundsatz an dem Regierungsabkommen orientiert,
das zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und der Bundesrepublik Deutschland zur Vorsorge im
Rahmen der Fußball-Europameisterschaft im letzten
Jahr getroffen worden war.
Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium des Innern, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung sowie das Innenministerium des Landes BadenWürttemberg haben anlässlich des NATO-Gipfels 2009
in Straßburg und Kehl bisher 50 Amtshilfeersuchen an
die Bundeswehr gestellt. Davon wurden zwischenzeitlich zehn Anträge durch die Antragsteller zurückgezogen. Alle Anträge wurden durch das Bundesministerium
der Verteidigung gebilligt, teilweise mit Einschränkungen.
Die Bundeswehr unterstützt im Rahmen des NATOGipfels vorrangig im Bereich des Lufttransports, der
Luftsicherheit, der sanitätsdienstlichen Versorgung, der
ABC-Waffen-Abwehr im Falle möglicher Großschadensereignisse sowie der Bereitstellung von TransportKfz, Unterkunftsmaterial, optischem und elektronischem
Gerät sowie weiterer personeller und materieller Querschnittsfähigkeiten der Bundeswehr. Nach derzeitigem
Planungsstand sollen in diesem Rahmen circa 600 Soldaten und zivile Mitarbeiter eingesetzt werden.
Aussagen zu den Gesamtkosten für die Bundeswehr
im Zusammenhang mit diesen Aufgaben können erst
nach Abschluss des NATO-Gipfels getroffen werden, da
Unterstützungsleistungen lageabhängig und damit zeitnah zum Ereignis veränderbar sind.
Frau Präsidentin, ich bitte um Verständnis dafür,
dass ich etwas ausführlicher geantwortet habe, aber die
Frage hat doch eine Reihe von Detailfragen in sich geborgen.
Der Kollege Ströbele hat das Wort zur ersten Nachfrage.
Zunächst danke ich für die Antwort. Sie war aber leider sehr unvollständig und wurde meiner Frage eigentlich überhaupt nicht gerecht, wie das bei Fragen von mir
leider häufig der Fall ist.
Deshalb die folgende Nachfrage: Ist vonseiten der
Bundeswehr vorgesehen, die Luftwaffe nicht nur zur Sicherung des Luftraums, etwa gegen mögliche Angriffe
ziviler Flugzeuge, einzusetzen, sondern auch in der
Weise, wie das beispielsweise in Heiligendamm geschehen ist, wo Tornados im Tiefflug angeblich Aufklärungsarbeit geleistet haben, auf Camps von Demonstranten
zugesteuert sind, in einer Höhe von weniger als
150 Metern - in mindestens einem Fall wurden sie auch
angeflogen -, dort Aufnahmen von Demonstranten gemacht haben und Ähnliches? Sind solche Einsätze schon
im Vorhinein durchgeführt worden, sind solche Einsätze
geplant, wenn ja, wie viele und unter Beteiligung welcher Kampfflugzeuge der Bundeswehr?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ströbele, Sie gestatten, dass ich der Beantwortung eine Bemerkung voranstelle. Ihrem Text war
nicht zu entnehmen, dass Ihre eigentliche Intention ist,
Heiligendamm zu diskutieren.
({0})
Man kennt sich, und man vermutet das eine oder andere.
Für die Bundesregierung darf ich sagen, dass entsprechende Anträge bis dato nicht vorliegen.
Ich kann keine abschließende Antwort geben. Die
kann ich erst nach Ende des Gipfels, der sich ja zu einem
sehr großen Teil in Frankreich abspielt, geben. Bei der
Gelegenheit will ich auch darauf hinweisen, dass ich hier
über das berichte, was von deutscher Seite auf oder über
deutschem Grund und Boden an Amtshilfe geleistet
wird. Eine der Auftragslage in Heiligendamm vergleichbare Anfrage ist bisher nicht eingegangen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Sie haben ja geschildert, dass Bundeswehrsoldaten
zum Einsatz kommen sollen und dass sie offenbar auch
mit Aufklärungsgerätschaften ausgestattet sind. Deshalb
liegt gerade auch nach den Ereignissen rund um Heiligendamm die Frage nahe: Beabsichtigt die Bundeswehr,
Panzerspähfahrzeuge oder anderes militärisches Gerät
zur Aufklärung von Demonstrationen, Demonstrationsteilnehmern oder anderen Versammlungen der freien
Willensbekundung einzusetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es ist aufgrund der bisherigen Anfragen der Einsatz
von militärischem Gerät - infrage käme ja nach Ihren
Ausführungen das Aufklärungsfahrzeug Fennek - bisher
nicht geplant. Das entspricht auch nicht dem Aufgabenbereich, der abgedeckt werden soll.
Aufklärung wird allerdings in der Tat stattfinden müssen. Ich darf darauf hinweisen, dass es sich bei diesem
Gipfel um eine sicherheitsmäßig hochsensible Veranstaltung handelt, weil sich ja nun dort alle Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten einschließlich
des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika
aufhalten werden. Deswegen ist eine gewisse Sicherheitsvorsorge unabdingbar.
Inwieweit hier im Rahmen der Amtshilfe Aufklärungsmittel des Bundesministeriums der Verteidigung
hinzugezogen werden, wäre dann noch konkret zu entscheiden. Bis zum heutigen Tage ist eine entsprechende
Nutzung des von Ihnen beschriebenen Fahrzeugs nicht
beabsichtigt.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Die Fragen 6 und 7 des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet.
Ebenfalls schriftlich werden die Fragen 8 und 9 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Gitta Connemann
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die gesundheitlichen
Auswirkungen und Risiken, wenn das natürliche Aerosol
feinster Salzpartikel in der Seeluft, die aufgrund ihrer geringen Größe tief in die Bronchien inhaliert werden können und
so in Reinluftgebieten wie der Insel Borkum zur Bronchialreinigung und -regeneration maßgeblich beitragen, physikalisch
oder chemisch mit Feinstäuben aus Verbrennungsvorgängen
aus Kohlekaftwerken, wie diese jetzt in Eemshaven, Niederlande, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Insel Borkum entstehen sollen, in Kontakt tritt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wenn Sie erlauben,
würde ich die Fragen 10 und 11 gerne gemeinsam beantworten. Sie stehen nämlich in einem Sachzusammenhang.
Ja. Dann rufe ich auch die Frage 11 der Kollegin
Connemann auf:
Wie wird, sofern die Bundesregierung eine Gesundheitsgefahr bejahen sollte, der Schutz bei dem Bau von Kraftwerken auch im Ausland sichergestellt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Connemann, meine Antwort lautet wie
folgt: Grundsätzlich können Emissionen aus Verbrennungsprozessen wie Stäube und gasförmige Bestandteile
wie NO2 und SO2 untereinander und auch mit Salzbestandteilen der Luft aus meerwasserhaltigem Aerosol reagieren. Inwieweit das Meeresaerosol hier die Reaktionsmöglichkeiten intensiviert, ist bislang allerdings
kaum untersucht.
Die Vermischung des als gesundheitsförderlich angesehenen Salzaerosols mit Schadstoffen aus einem Kohlekraftwerk ist natürlich per se unerwünscht. Unmittelbare
Risiken lassen sich daraus aber weder erkennen noch ableiten, zumal die Abgasfahne naher Kraftwerke je nach
meteorologischer Situation völlig unterschiedlich mit
dem Meeresaerosol zusammentrifft, unter Umständen
überhaupt nicht mit küstennahem Aerosol.
Fraglich ist auch, ob es zu einer relevanten Luftverschmutzung kommt; denn der Neubau von Kohlekraftwerken unterliegt hohen Auflagen zur Reduzierung von
Staubemissionen. Die europäische Richtlinie zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft gilt auch in den Niederlanden.
Die Einhaltung soll unter anderem den Schutz der Gesundheit sicherstellen. Insbesondere eine Überschreitung
der EU-weiten Feinstaubgrenzwerte ist durch die Emissionen eines solchen Kraftwerks kaum zu erwarten.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier
Nachfragen. Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine erste Nachfrage. Frau Staatssekretärin, Sie erwähnten, dass es bislang kaum wissenschaftliche Untersuchungen in diesem
Bereich gibt. Das war eine der Antworten auf die erste
Frage. Wie ist es mit Untersuchungen seitens des Umweltbundesamtes?
Ich habe Ihnen die Frage beantwortet: Bisher sind
keine wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt.
Wenn das vor Ort im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens oder des Genehmigungsverfahrens eine relevante Frage ist, können solche Studien jederzeit von den
Behörden vor Ort veranlasst werden. Sicher ist das auch
eine Frage, der sich das Umweltbundesamt bei Bedarf
widmen könnte.
Ich will Ihnen die erste Einschätzung unserer Experten im Bundesumweltministerium zu dieser Frage, die
man durchaus stellen kann, kurz erläutern; sie ersetzt
aber natürlich keinen wissenschaftlichen Beleg. Unsere
Experten sagen, dass wegen der hohen Schornsteine der
Kraftwerke, die in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einem Erholungsgebiet stehen, nicht zu erwarten ist, dass
Emissionen sich in diesem Erholungsgebiet niederschlagen. Sie würden sich in dem erwähnten Fall eher in
Skandinavien auswirken, so wie umgekehrt mögliche
Emissionen aus Kraftwerken in Großbritannien sich
vielleicht in Borkum oder im Emsland auswirken. Das
hat etwas mit dem Transport dieser Emissionen zu tun,
die sich eben nicht in der unmittelbaren Umgebung niederschlagen, sondern erst in größerer Entfernung. Die
Experten sagen auch, dass durch die starken Winde an
der Küste eher nicht zu vermuten ist, dass sich Partikel
an dem Meeresaerosol andocken und entsprechend festsetzen.
Diese erste Einschätzung haben mir unsere Experten
mit auf den Weg gegeben. Das heißt aber nicht, dass ein
solches Kraftwerk nicht andere Auswirkungen in unmittelbarer Nähe haben kann, zum Beispiel durch die Emissionen und den Lärm aufgrund des Transports und des
Anlieferungsverkehrs, die bei einem solchen Großkraftwerk stattfinden. Die Emissionen aus den Schornsteinen
jedoch finden sich eher in größerer Entfernung.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin. Eine zweite Nachfrage. Sie hatten darauf hingewiesen, dass auf europäischer Ebene durch
entsprechende Regelungen sichergestellt werden soll,
dass der neueste Stand der Filtertechnik verwandt wird.
Oder habe ich Sie da missverstanden?
Nein, das ist richtig. Es gibt in den entsprechenden
europäischen Richtlinien Vorgaben und Standards, die
von jedem Kraftwerk in Europa einzuhalten sind. Es ist
die Aufgabe der Genehmigungsbehörden vor Ort, das im
Genehmigungsverfahren nach diesen Richtlinien festzulegen.
Es gibt allerdings - wenn ich das noch ergänzen
darf - zusätzlich zu den europäischen Standards, was
Emissionen und Filteranlagen angeht, ein Instrument,
das in dem frühen Planungsstadium, in dem wir uns jetzt
befinden, eine Rolle spielen kann, gerade bei Projekten,
die jenseits der Grenze geplant und möglicherweise gebaut werden sollen, und zwar die Umweltverträglichkeitsprüfung, die nicht nur bei Projekten in diesem Land
eine Rolle spielt, sondern gerade bei Projekten mit
grenzüberschreitenden Auswirkungen. Es dient sowohl
der umfassenden Ermittlung von Umweltauswirkungen
als auch der Bürgerbeteiligung. Gerade zwischen den
Niederlanden und Deutschland gibt es eine Verabredung,
eine gemeinsame Erklärung, die über UVP-Standards hinaus Vorgaben macht, wie man wechselseitig mit Projekten mit grenzüberschreitenden Wirkungen umgeht. In
dem Fall des Kraftwerks in Eemshaven werden deutsche
Behörden, hier also die zuständigen Stellen in Niedersachsen, bei allen Projekten in der Emsmündung beteiligt, nicht nur bei solchen mit voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen. Damit gehen wir über den
europäischen Standard in der bilateralen Zusammenarbeit hinaus. Deutsche Behörden sind bei einer Planung
in Eemshaven also auf jeden Fall zu beteiligen.
Vielen Dank. - Sie hatten darauf hingewiesen, dass
durch den Einsatz von neuester Filtertechnik den Feinstäuben entgegengewirkt wird. Meine Nachfrage als
Nichtexpertin: Werden tatsächlich alle Feinstäube erfasst, oder gibt es gegebenenfalls Feinstäube, die noch
nicht in ausreichender Weise filterbar sind?
Darüber haben wir im Verkehrsbereich in den letzten
Jahren sehr oft diskutiert. Es gibt inzwischen Filter für
die unterschiedlichsten Formen von Fein- und Feinststäuben. Ich kann Ihnen die Filtertechnik, die konkret bei
diesem Kohlekraftwerk zur Anwendung kommt, jetzt
nicht erläutern. Aber ich kann für Sie gerne recherchieren, ob Feinststäube, die für Borkum relevant sein könnten, möglicherweise nicht durch den Stand der Technik
erfasst werden, der heute beim Neubau von Kohlekraftwerken zur Anwendung kommt. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir bei Kohlekraftwerken inzwischen auf einem sehr hohen Stand der Technik sind.
({0})
Danke, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Altmaier beantwortet die Fragen.
Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Silke Stokar von
Neuforn sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Henry
Nitzsche auf:
Wie viele Bundespolizisten wurden im Rahmen der Bundespolizeireform aus dem Bereich des Freistaates Sachsen an
Bundespolizeidienststellen anderer Bundesländer vorübergehend - durchgehende Abordnungsdauer ein bis drei Monate,
bitte Aufschlüsselung nach Dienststelle und Anzahl der abgeordneten Bundespolizisten - abgeordnet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Abgeordneter,
man muss unterscheiden zwischen Abordnungen, die in
allen Dienststellen und regelmäßig über das Jahr zum
Zwecke der flexiblen Personalsteuerung stattfinden, und
solchen Abordnungen, die im Rahmen der Bundespolizeireform, die derzeit umgesetzt wird, stattfinden.
Was die Abordnungen im Rahmen der Bundespolizeireform und der Neuorganisation angeht, so kann man
sagen, dass 45 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte aus Sachsen an Bundespolizeidienststellen
anderer Bundesländer vorübergehend abgeordnet sind.
Das kann ich Ihnen im Einzelnen aufschlüsseln: Bundespolizeidirektion Pirna einschließlich der MKÜ - das sind
die mobilen Kontroll- und Überwachungseinheiten - elf,
Bundespolizeiinspektion Altenberg sechs, Bundespolizeiinspektion Chemnitz eine, Bundespolizeiinspektion
Dresden zwei, Bundespolizeiinspektion Ebersbach
sieben, Bundespolizeiinspektion Klingenthal keine,
Bundespolizeiinspektion Leipzig eine, Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf elf und Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung sechs. Das ergibt zusammen 45.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Beantwortung. - Ich hatte nach den Abordnungen im Rahmen
der Bundespolizeireform bei einer durchgehenden Abordnungsdauer von ein bis drei Monate gefragt. Wie
können Sie sich erklären, dass mir im Rahmen einer VorOrt-Aktion der Polizeidirektor von Pirna, Wieland
Mozdzynski, die Zahl 180 genannt hat, was die Abordnungen im Zuge der Polizeireform angeht?
Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, dass es sich um
die Zahl derer handelt, die derzeit abgeordnet sind. Es
gibt auch Fälle, die bereits abgeschlossen sind, weil sich
die Beamtinnen und Beamten beispielsweise in die
Schwerpunktdienststellen Flughafen Frankfurt am Main
bzw. München haben versetzen lassen. Zu diesen abgeschlossenen Fällen liegen uns allerdings keine statistischen Daten vor. Insofern sehe ich keinen Widerspruch
zwischen den beiden Aussagen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Zu dem gleichen Thema habe ich am 25. Februar eine
schriftliche Nachfrage an Sie gerichtet. Wann, denken
Sie, werden Sie die Frage beantworten?
Ich weiß jetzt nicht, worauf Sie sich beziehen. Es gab
von Ihnen eine schriftliche Anfrage vom 3. Februar
2009. Diese haben wir beantwortet. Im Übrigen habe ich
Ihnen vor wenigen Tagen dazu noch einen Brief zukommen lassen, in dem ein Missverständnis, was die Gesamtzahl angeht, aufgeklärt wird. Wir hatten Ihnen damals die Zahl 420 genannt. Dabei handelte es sich aber
um die Gesamtzahl derjenigen, die abgeordnet waren,
und nicht um die Zahl derjenigen, die im Rahmen der
Neuorganisation der Bundespolizei abgeordnet worden
sind.
Wir kommen damit zur Frage 15 der Kollegin Dağdelen:
Welche konkreten Personengruppen türkischer Staatsangehöriger können unter Beanspruchung des Prinzips der
Dienstleistungsfreiheit visumfrei für bis zu drei Monate nach
Deutschland einreisen - beispielhaft: Touristinnen und Touristen, Geschäftsleute, Sprachkursteilnehmerinnen und -teilnehmer, Künstlerinnen und Künstler, Personen, die sich in
Deutschland behandeln lassen wollen, usw. -, nachdem die
Bundesregierung eingeräumt hat, dass das sogenannte SoysalUrteil des Europäischen Gerichtshofs „die visumfreie Einreise
türkischer Staatsangehöriger zur kurzfristigen Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit“ betrifft ({0}), und gilt die Aufhebung der
allgemeinen Visumpflicht für türkische Staatsangehörige infolge des Soysal-Urteils ab Urteilsverkündung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, die
Bundesregierung hat bereits in der Fragestunde der letzten Woche dargelegt, dass sich aus dem Soysal-Urteil
des Europäischen Gerichtshofs keine Auswirkungen auf
das beim Ehegattennachzug bestehende Erfordernis,
über Deutschkenntnisse zu verfügen, ergeben; denn hier
geht es um Langzeitaufenthalte.
Die Frage, die Sie heute stellen, bezieht sich auf die
Visumpflicht bei Einreisen zu Kurzzeitaufenthalten von
bis zu drei Monaten. Diese Frage kann ich Ihnen wie
folgt beantworten: Wenn Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs lesen, werden Sie feststellen, dass er
gesagt hat, dass für türkische Lkw-Fahrer, die zwecks
Erbringung von Dienstleistungen für ein in der Türkei
ansässiges Unternehmen nach Deutschland einreisen
wollen, eine Befreiung von der Visumpflicht vorgenommen werden muss, sofern die Aufenthaltsdauer zwei
Monate nicht übersteigt und die Einreise zum Zeitpunkt
des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen mit der Türkei visumfrei möglich war.
Wir sind im Augenblick dabei, die diesbezüglichen
Einzelheiten zu prüfen und in die Verwaltungspraxis umzusetzen. Sie können davon ausgehen, dass entsprechend
der damaligen Rechtslage, auf die sich der Europäische
Gerichtshof bezieht, eine solche Einreise mit einer Aufenthaltsdauer von bis zu zwei Monaten für türkische
Lkw-Fahrer visumfrei möglich sein wird. Wir werden in
absehbarer Zeit zu einer konkreten Änderung der Verwaltungspraxis kommen.
Die Bundesregierung prüft derzeit darüber hinaus, ob
weitere Formen der grenzüberschreitenden aktiven
Dienstleistungserbringung durch türkische Staatsangehörige im Lichte des Soysal-Urteils gegebenenfalls von
der Visumpflicht zu befreien sind und wie dies praktikabel umgesetzt werden kann. Es muss also im Einzelfall
für jede Berufsgruppe, bei deren Tätigkeit es sich um
eine aktive Dienstleistungserbringung in Deutschland
handelt, überprüft werden: Wie war die Rechtslage zum
Zeitpunkt des Abschlusses des Zusatzabkommens?
Dann werden entsprechende Konsequenzen gezogen.
Die Frage ist allerdings relativ komplex, und deshalb
wird die Überprüfung eine gewisse Zeit in Anspruch
nehmen. Für diese Berufsgruppen wird in der Zwischenzeit das bestehende Visa- und Grenzregime fortgesetzt.
Schließlich gab es eine Debatte über die sogenannte
passive Dienstleistungsfreiheit, das heißt darüber, inwieweit auch Personengruppen von diesem Urteil erfasst
werden, die sich nach Deutschland begeben, um hier
Dienstleistungen in Empfang zu nehmen. Das ist die sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit; es geht zum
Beispiel um Touristen- oder Verwandtenbesuche. Hierzu
kann ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung nach
wie vor der Auffassung ist, dass diese Fälle vom SoysalUrteil nicht erfasst werden, dass insofern keine Rechtsänderung eingetreten ist.
Im Übrigen hält es die Bundesregierung für sinnvoll,
die Konsequenzen aus diesem Urteil auch auf europäischer Ebene zu erörtern. Entsprechende Besprechungen
haben bereits stattgefunden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr
Altmaier, aus Ihren Aussagen geht hervor, dass die Bundesregierung anscheinend immer noch bei der Prüfung
ist, wie sich das Urteil auswirken wird. Meine Frage ist:
Wieso benötigt die Bundesregierung so lange für die
Auswertung eines meines Erachtens recht übersichtlichen und seit dem 19. Februar 2009 schriftlich vorliegenden Urteils, von dem Ausländerrechtsexperten wie
zum Beispiel die Polizeihauptkommissare Volker
Westphal und Edgar Stoppa sagen, dass es - ich zitiere „von Fachleuten des EU-Rechts erwartet worden“ war,
weil eine Rechtsauffassung bestätigt wurde, die vom
EuGH seit dem Jahr 2000 vielfach vertreten wurde und
die nach dem Tum/Dari-Urteil des EuGH im September
2007 nicht mehr ernsthaft bezweifelt werden konnte,
und wieso hat die Bundesregierung die Webseite „Ausländerrecht für die Polizei“ der Polizeihauptkommissare
Volker Westphal und Edgar Stoppa, deren Namen ich
schon genannt habe, zensieren lassen? Der Vorwurf der
Zensur stammt nicht von uns, sondern vom Bund Deutscher Kriminalbeamter laut einer Pressemitteilung vom
9. März 2009.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Mir war dieser Zensurvorwurf bis zu dieser Stunde unbekannt. Wir werden die
Sache überprüfen und Ihnen schriftlich antworten.
Im Übrigen ist es nicht so, dass dieses Urteil in dieser
Form zu erwarten war. Ansonsten hätten wir uns anders
positioniert. Es gab unterschiedliche Auffassungen. Der
Umstand, dass das Gericht diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat, macht deutlich, dass
das ungeklärt war. Wenn es sich um einen sogenannten
Acte clair, um eine klare Situation, gehandelt hätte, hätte
das Gericht nicht vorlegen müssen, sondern hätte gleich
entscheiden können. Insofern war es richtig, das Urteil
des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten. Die Urteilsverkündung liegt nun gerade einmal fünf Wochen zurück.
({0})
Ich habe Sie darauf hingewiesen, dass wir die Konsequenzen prüfen. Ich habe Ihnen auch gesagt, dass davon
auszugehen ist, dass wir für Lkw-Fahrer, die in Deutschland Dienstleistungen erbringen, die Visumpflicht relativ
zeitnah aufheben können. Für die übrigen Berufsgruppen
wird das Verfahren seinen ordnungsgemäßen Gang nehmen. Sie wissen, dass die deutsche Verwaltung gründlich
arbeitet und in aller Regel in angemessener Zeit zu Ergebnissen kommt.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Lieber Herr Altmaier, es ist zu begrüßen, dass die
Bundesregierung den Anspruch erhebt, ein Urteil fünf
Wochen nach Verkündung bewerten zu können. Ausländerrechtsexperten, die ungleich weniger Mittel zur Verfügung haben als die Bundesregierung, haben das bereits
kurz nach der Verkündung getan.
Ich komme zu meiner zweiten Frage - sie bezieht sich
auf die Strafanzeige der Rechtsanwälte Dr. Gutmann und
Dr. Strate vom 20. März 2009 gegen Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble -: Welche Konsequenzen
zieht die Bundesregierung aus dieser Strafanzeige vor
dem Hintergrund, dass die möglicherweise unzureichende Umsetzung des sogenannten Soysal-Urteils des
Europäischen Gerichtshofs Bundespolizeibeamtinnen
und -beamte zur Verfolgung unschuldiger Menschen anstiften könnte? Inwieweit werden aus dieser Strafanzeige
Konsequenzen bezüglich möglicher Regressforderungen
bzw. Amtshaftungsansprüche türkischer Staatsangehöriger gegen die Bundesrepublik gezogen?
Sie wissen, dass nach der deutschen Rechtsordnung
jedermann die Möglichkeit hat, eine Strafanzeige zu
stellen - sinnhafte und solche, die abwegig sind. Die
Bundesregierung äußert sich nicht zu solchen Strafanzeigen, sondern vertraut darauf, dass die Justiz dies angeParl. Staatssekretär Peter Altmaier
messen bearbeitet und zu dem vorhersehbaren Ergebnis
kommen wird.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Enkelmann das Wort.
Deutsche Verwaltungsmühlen mahlen gründlich, aber
auch langsam. Die Frage ist: Inwiefern ist das Ministerium in der Lage, schnellstmöglich Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit zu schaffen, und zwar vor allen Dingen
für die Fluggesellschaften? Schließlich sind die Fluggesellschaften aufgefordert, zu prüfen, ob die Einreisebedingungen erfüllt sind, damit es nicht im Nachhinein zu
Sanktionen kommt. Wann werden die entsprechenden
Verwaltungsvorschriften vorliegen?
Frau Kollegin Enkelmann, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Rechtsklarheit in vollem Umfang gegeben ist.
Erstens. Die Lkw-Fahrer kommen in aller Regel nicht
mit dem Flugzeug, sondern mit ihren Lkws.
Zweitens. Ich habe eben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass sich für Touristen und passive Dienstleistungsempfänger, die nach Deutschland kommen, um hier
Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen - Zahnarztoder Kaufhausbesuch -, nach Auffassung der Bundesregierung nichts ändert. Deshalb besteht für die Fluggesellschaften keinerlei Veranlassung, in diesem Bereich mit
Unsicherheiten zu rechnen. Das war eine ganz klare Aussage.
Drittens. Soweit es sich um Personen handelt, die im
Rahmen der aktiven Dienstleistungsfreiheit nach Deutschland kommen, prüfen wir das; das habe ich bereits
gesagt. Solange die Prüfungen andauern, wird das bisherige Visaregime fortgesetzt. Das heißt, die Fluggesellschaften wissen ganz genau, dass sie bei diesen Personen
auf ein gültiges Visum achten müssen, solange wir nicht
eine andere entsprechende Verwaltungsanordnung getroffen haben.
Es besteht also völlige Klarheit. Wir werden dafür
sorgen, dass dieser Zustand der Klarheit und Übersichtlichkeit auch in den nächsten Wochen und Monaten andauert.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette
Kressl zur Verfügung.
Die Frage 16 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch sowie
die Frage 17 der Kollegin Gudrun Kopp werden schriftlich beantwortet. Die Frage 18 des Kollegen Nouripour
wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Carl-Ludwig
Thiele auf:
An welchem Tag ist das Bundesministerium der Finanzen
auf eine Regelungslücke im Kreditwesengesetz hinsichtlich
der Aufsicht über Finanzholdinggesellschaften hingewiesen
worden, bzw. seit wann ist dem Bundesministerium der Finanzen diese Regelungslücke bekannt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Thiele,
die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts geltende deutsche Rechtslage
entsprach den Vorgaben aus der Bankenrichtlinie und
der Kapitaladäquanzrichtlinie. Auch auf EU-Ebene ist
eine umfassende Überwachung von Finanzholdinggesellschaften nicht vorgeschrieben. Vielmehr wird lediglich
die Aufsicht über solche Finanzholdinggruppen insgesamt verlangt, denen Kreditinstitute angehören. Insofern
war die bisherige gesetzliche Regelung eine Eins-zueins-Umsetzung der EU-Vorgaben, auf die sich die Koalitionsfraktionen im Koalitionsvertrag geeinigt haben.
Deshalb teile ich die in der Formulierung Ihrer Frage
zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass es sich um
eine Regelungslücke handele, nicht.
Lassen Sie mich deutlich machen, wovon wir reden,
damit der Inhalt für die Zuhörerinnen und Zuhörer klar
wird. Finanzholdinggesellschaften mit ihren nachgeordneten Instituten wurden bislang zu einer Finanzholdinggruppe zusammengefasst, und diese Gruppe wurde auf
konsolidierter Basis beaufsichtigt. Verantwortlich für die
Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen war
das übergeordnete Unternehmen. Bislang war das übergeordnete Unternehmen regelmäßig das Institut mit der
größten Bilanzsumme innerhalb der Gruppe. Eine Finanzholdinggesellschaft wurde bei der Beaufsichtigung
einer Finanzholdinggruppe lediglich einbezogen.
Künftig ist die Finanzholdinggesellschaft verantwortlicher Adressat bei der Beaufsichtigung einer Finanzholdinggruppe. Die bislang eingeschränkte Aufsicht, nach
der die BaFin im Wesentlichen nur die für die Aufsicht
auf konsolidierter Basis erforderlichen Angaben verlangen konnte und Auskunftsrechte hinsichtlich der Richtigkeit der gemachten Angaben hatte, wird durch strengere Regelungen ersetzt. Danach kann die BaFin künftig
die Finanzholdinggesellschaft als übergeordnetes Unternehmen innerhalb der Gruppe bestimmen, und von der
Finanzholdinggesellschaft kann verlangt werden, die
aufsichtlichen Anforderungen auf Gruppenebene einzuhalten.
Die volle Verantwortung für das gesamte Risikomanagement und die Geschäftsorganisation der Gruppe
trägt damit künftig der Vorstand der Finanzholdinggesellschaft. Ich will noch einmal betonen - das ist auch heute
Morgen im Ausschuss besprochen worden -: Es geht um
die Frage der Steuerung und nicht darum, inwieweit es
einen Zugriff auf die Aufsicht gibt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, die Hypo Real Estate kannte bis vor einiger
Zeit nicht jeder - auch wenn sie als drittgrößtes Finanzinstitut mit einer Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro
ein im DAX notiertes Unternehmen war. Ich bin im
Herbst letzten Jahres im Finanzausschuss fast vom Stuhl
gefallen, als uns dort erklärt wurde, dass die Hypo Real
Estate nicht der Bankenaufsicht unterliegt, weil sie eine
Finanzholding ist.
Wir haben mehrfach nachgefragt. Auf die letzte
Frage, die ich Ihnen gestellt habe, haben Sie in der letzten Woche geantwortet, dass es im April 2007 Gespräche
im Finanzministerium gegeben habe. Dabei sei es um
den Auftrag gegangen, eine Gesetzesformulierung zu
finden, um eine solche Finanzholding überprüfen zu
können. Ein entsprechender Vorschlag sei im Mai 2007
bei Ihnen eingegangen. Ich frage: Warum ist diese Lücke
nicht geschlossen worden? Warum ist dieses Institut
nicht der Aufsicht unterstellt worden?
Herr Kollege, ich habe Ihnen auf die Frage, die Sie
jetzt stellen, bereits schriftlich eine Antwort übermittelt.
Ich will es Ihnen gern noch einmal deutlich machen:
Diese Vorschläge sind gemeinsam mit den Vertretern des
Bundesministeriums der Justiz und der Deutschen Bundesbank beraten worden. Dabei hat sich Prüfungsbedarf
bezüglich des zu beschreitenden Weges herausgestellt.
Ich will ausdrücklich darauf hinweisen - auch diese Information haben Sie schon erhalten -, dass vor allem die
Vereinbarkeit mit europarechtlichen Vorgaben geklärt
werden musste.
Sie wissen, dass dies eine durchaus komplizierte Materie ist. Es geht dabei um Fragen, die nicht innerhalb
von zwei oder drei Wochen beantwortet werden können.
Nach diesem Prüfprozess und der Abstimmung im
Kreise der beteiligten Ressorts hat die BaFin modifizierte Vorschläge vorgelegt. Diese Vorschläge, die sie
zusammen mit der Deutschen Bundesbank erarbeitet hat,
sahen vor, dass Finanzholdinggesellschaften auf Antrag
des jeweiligen Unternehmens einbezogen werden können; das wissen Sie bereits aus unserer Debatte über die
Novelle zum Pfandbriefgesetz. Die BaFin hat nicht klar
darauf hingewiesen, dass diese Regelung unbedingt geändert werden muss. Vor diesem Hintergrund haben sich
die Koalitionsfraktionen für die Regelung entschieden,
dass eine Prüfung auch von Amts wegen angeordnet
werden kann. Wir haben sie dabei unterstützt.
Nach der Prüfung der europarechtlichen Vorgaben
- darauf habe ich gerade schon hingewiesen - haben wir
nach einem Weg gesucht, diese Regelung in ein Gesetz
aufzunehmen. Dabei ging es nicht um die bloße Umsetzung einer EU-Richtlinie; vielmehr war das die Novelle
zum Pfandbriefgesetz, die Mitte des Jahres 2008 auf den
Weg gebracht wurde. Sie dürfen nicht vergessen: Zwischen einem Kabinettsbeschluss und der Verabschiedung
eines Gesetzentwurfes finden ja auch die parlamentarischen Beratungen statt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Das vergesse ich nicht, Frau Staatssekretärin. Die
erste Lesung des Gesetzentwurfes, in den diese Regelung eingefügt wurde, fand im Dezember 2008 statt. Da
wir ja alle wissen, dass die Sache mit Lehman Brothers
und den damit zusammenhängenden Problemen Mitte
September 2008 war, sehen wir ein: Zu diesem Zeitpunkt, im Dezember, war das Kind aber schon längst in
den Brunnen gefallen.
Weil Sie berichtet haben, dass der Auftrag erteilt
wurde, nachdem Gespräche geführt worden waren,
möchte ich zu meiner Frage zurückkommen: Seit wann
wusste das BMF, dass Finanzinstitute keiner eigenen
Prüfung unterliegen?
Herr Kollege Thiele, ich betone noch einmal: Es handelt sich nicht um eine Regelungslücke, sondern es geht
um die Frage, inwieweit die aufgrund der Eins-zu-einsUmsetzung von EU-Richtlinien bestehenden Regelungen
verstärkt werden sollen. Es ist so, wie ich Ihnen geantwortet habe: Im April fanden die entsprechenden Gespräche statt. Gegen Ende des vorangegangenen Jahres - auch
dies haben wir heute gehört - wurden die ersten Gespräche mit der BaFin geführt.
({0})
- Den genauen Monat kann ich Ihnen nicht sagen. Ende
des Jahres 2006 - das haben wir heute auch im Ausschuss gehört - fanden die ersten gemeinsamen Gespräche statt. Im Frühjahr 2007 ist, wie ich beschrieben habe,
der erste schriftliche Vorschlag eingegangen. Dann
folgte die Klärung der europarechtlichen Fragen.
Der Kollege Barth hat eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, hat die Bundesbank oder Ihr Haus im Zusammenhang mit dem Erwerb der DEPFA durch die Hypo Real
Estate erkannt, dass die Probleme, die es bei der DEPFA
gegeben hat, möglicherweise auch bei der Hypo Real
Estate zu Problemen führen könnten? Haben Sie oder die
Bundesbank dies erkannt, und, wenn ja, wann?
Herr Kollege Barth, bei der Beantwortung dieser
Frage bin ich ein bisschen vorsichtig; denn die Schwierigkeiten betrafen ja unterschiedliche Bereiche. Als BeiParl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
spiel nenne ich die Liquiditätsprobleme. Es war klar,
dass die Refinanzierung nach der Insolvenz von Lehman
Brothers Mitte September 2008 ausgesprochen schwierig würde. Dieses Problem hat sich aber erst später zu einer aktuellen Krise entwickelt. Sie können zudem nicht
davon ausgehen, dass es nur bei der HRE so war. Wie
Sie wissen, wurde die Refinanzierung für sehr viele Finanzinstitute, auch für internationale Finanzinstitute, ab
diesem Zeitpunkt zu einem Problem.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Roland Claus.
Frau Staatssekretärin, welche Abteilungsleiterin oder
welcher Abteilungsleiter im Bundesministerium der
Finanzen war Ende 2007/Anfang 2008 mit den BaFinVorschlägen, um die es gerade geht, federführend befasst?
Herr Kollege, ich kann und werde Ihnen hier nicht sagen, auf welcher Ebene die Gespräche jeweils geführt
worden sind. Ich habe keinen Überblick, auf welcher Arbeitsebene die Gespräche, die ich gerade angeführt habe,
geführt worden sind, und halte es - das will ich ausdrücklich sagen - auch nicht für richtig, spekulativ Namen zu nennen.
Kollege Mücke, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung.
({0})
- Sie hatten das gerade angemeldet.
({1})
- Es gibt jetzt ein wenig Verwirrung. Das hat etwas damit zu tun, dass uns Unterschiedliches angezeigt worden
ist.
Wobei ich Wert darauf lege, dass die Verwirrung in
diesem Fall nichts mit der Bundesregierung zu tun hat!
({0})
- Nein, in mehreren Fällen.
Die Verwirrung gibt es in diesem Fall zwischen der
FDP-Fraktion und dem Präsidium.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, noch eine Nachfrage des Kollegen Toncar zu beantworten?
Wenn es der FDP hilft.
Bitte.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, ich kann verstehen, dass Sie auf diese Feststellung Wert legen, und finde
es gleichermaßen bemerkenswert, dass Sie das hier feststellen.
Ich habe an Sie die Frage: Entspricht es den Tatsachen - Sie haben sich ja stark am Begriff der Regelungslücke festgehalten -, dass das BMF schon im Jahr 2007
wusste, dass die HRE Holding nach der geltenden
Rechtslage nicht der deutschen Bankenaufsicht unterliegt?
Herr Kollege Toncar, ich habe es gerade beschrieben:
Wir haben wie alle anderen europäischen Staaten die
entsprechende EU-Richtlinie eins zu eins umgesetzt. Die
Steuerung ist dann, wie in allen anderen Staaten, die sich
an die EU-Richtlinie gehalten haben, so gewesen, wie
ich es dem Herrn Kollegen Thiele gerade beschrieben
habe.
Jetzt ist die Entscheidung gefallen - ich betone es
noch einmal: Es geht nicht darum, eine Regelungslücke
zu schließen; das bestreite ich ausdrücklich -, über die
Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Vorgaben hinauszugehen. Den Zeitplan, den ich gerade genannt habe, kann
ich noch einmal bestätigen; selbstverständlich gilt das,
was ich vor zwei Minuten gesagt habe.
Damit kommen wir zur Frage 20 des Kollegen CarlLudwig Thiele:
Hätte die Aufsicht, bei einer frühzeitigen Schließung dieser Regelungslücke im Sommer 2007, die Hypo Real Estate
Holding AG, HRE, und die DEPFA Bank plc prüfen müssen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, es ist wichtig, noch einmal deutlich zu
machen, dass selbst wenn die Änderungen, die wir jetzt
mit der Pfandbriefnovelle auf den Weg bringen, schon in
Kraft gewesen wären, die Aufsicht gegenüber der HRE
und ihrer irischen Tochter keine anderen Prüfungsmöglichkeiten als die nach den bestehenden Vorschriften gehabt hätte. Auch die neuen Regelungen können die primäre Zuständigkeit der irischen Aufsicht für die DEPFA
Bank, die irische Tochter der HRE, nicht beseitigen. Das
ist Ihnen heute im Ausschuss noch einmal bestätigt worden.
Allerdings wird die Aufsicht der BaFin - das will ich
gern noch einmal erläutern; denn es geht um eine Steue23078
rungsfrage und nicht, wie manchmal unterstellt wird, um
eine reine Aufsichtsfrage - über eine Finanzholdinggesellschaft insoweit gestärkt, als künftig die Vorstandsmitglieder aufgrund ihrer nunmehr festgeschriebenen
Verantwortung für das Risikomanagement und die Geschäftsorganisation der gesamten Gruppe zur Verantwortung gezogen werden können. Mit den neuen Regelungen steigt also der Druck auf die verantwortlichen
Personen, sich intensiver mit allen Instituten der Gruppe
und deren Geschäftsfeldern zu beschäftigen. Damit
steigt auch die Qualität der Informationen, die der Aufsicht zur Verfügung gestellt werden.
Aber um es hier noch einmal deutlich zu sagen: Es ist
nicht so, dass nun plötzlich national geregelt werden
könnte, dass wir die Aufsicht über die irische Tochter
übernehmen. Das ist Ihnen heute Morgen im Ausschuss
noch einmal sehr deutlich bestätigt worden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Es geht hier um
die Prüfungsaufsicht und nach meinem persönlichen
Eindruck auch um ein gewisses Versagen an dieser
Stelle; denn die Regelungslücke - dieser Punkt hat mich
interessiert - ist uns im Ausschuss erst im Herbst letzten
Jahres bekannt geworden. Deshalb noch einmal meine
Frage, die ich Ihnen gestellt habe:
Hätte die Aufsicht, bei einer frühzeitigen Schließung dieser Regelungslücke im Sommer 2007, die
Hypo Real Estate ... und die DEPFA ... prüfen müssen?
Zwischenzeitlich ist - das kommt erschwerend hinzu der Erwerb der DEPFA mit einem Bilanzvolumen von
130 Milliarden Euro erfolgt. Durch diesen Erwerb ist die
Hypo Real Estate um fast 50 Prozent größer geworden.
Keine deutsche Aufsicht hat geprüft, ob das in Ordnung
ist. Das halte ich nach wie vor für undenkbar. Die Frage
ist: Hätte das nicht geprüft werden müssen?
Herr Kollege Thiele, ich erlaube mir in diesem Fall
auf den schriftlichen Bericht zu verweisen, den die Bundesregierung bereits im November 2008 an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages geschickt hat, in
dem die Umstände sehr detailliert dargestellt sind. Ich
zitiere aus diesem Bericht: Im Rahmen der Einzelinstitutsaufsicht und damit für die Überwachung von Solvenz
und Liquiditätsausstattung sind die nationalen Aufsichtsbehörden verantwortlich und prüfungsberechtigt. Die irischen Töchter der Gruppe unterliegen dagegen der Aufsicht durch die irische Behörde. Für diese sind auf
Einzelinstitutsebene die irischen Vorschriften maßgeblich.
Durch die Pfandbriefnovelle - auch das hat zum Beispiel der Präsident der BaFin heute Morgen im Ausschuss sehr deutlich gemacht - ist diese Tatsache nicht
verändert worden. Sie erwecken sehr häufig den Eindruck, als habe es erst jetzt - und damit sehr spät - eine
Veränderung bei den Prüfungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten gegeben. Dem ist nicht so. Ich habe Ihnen
erläutert, dass es hier um Steuerung geht, und Ihnen die
Verantwortlichkeiten beschrieben. Vergessen Sie nicht,
dass wir heute Morgen von Herrn Sanio gehört haben,
dass es eine entsprechende Kooperation gegeben hat und
dass wir trotzdem in diese schwierige Lage gekommen
sind.
Auch wenn ich es wiederholen muss: Von einer Regelungslücke zu sprechen, die jetzt dazu führe, dass wir anders prüfen können, ist fachlich nicht richtig.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich glaube, kein Bereich unserer Wirtschaft ist so stark beaufsichtigt und reglementiert
wie der Finanzsektor, und zwar aus gutem Grund, wie
wir inzwischen wissen. Es gibt zwei zentrale Vorschriften: § 10 und § 11 des Kreditwesengesetzes, zum einen
über das Eigenkapital der Bank und zum anderen über
die Liquidität.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass ein Großteil
der Probleme der Hypo Real Estate derzeit daher rührt,
dass vermutlich von der DEPFA viele langfristige Forderungen eingegangen wurden, die kurzfristig finanziert
wurden? Hätte nicht bei einer Prüfung nach § 11 KWG
auffallen müssen, dass hier eine sogenannte Fristeninkongruenz besteht? So kann man zwar hervorragend
Geld machen, solange man kurzfristig billiges Geld bekommt; aber wenn das nicht mehr möglich ist, dann treten Riesenprobleme auf. Genau das sind die Probleme,
die uns im Wesentlichen im Zusammenhang mit der
Hypo Real Estate beschäftigen. Dieser Vorgang hätte bei
einer normalen deutschen Aufsicht überhaupt nicht entstehen können.
Herr Kollege Thiele, es ist heute Morgen im Ausschuss deutlich geworden: Ja, die inkongruenten Refinanzierungsstrukturen waren bei sehr vielen Instituten
ein Problem, und zwar nicht nur in diesem Bereich.
Aber ich will noch einmal betonen - auch das ist heute
Morgen klar geworden -: Die Liquiditätsausstattung, also
die Frage, die Sie angesprochen haben, wurde und wird
im Rahmen einer konsolidierten Aufsicht in Irland nicht
der Prüfung unterzogen. Weil Sie immer den Eindruck erwecken, das sei ein nationales Versäumnis, will ich noch
einmal deutlich machen, dass Ihnen heute Morgen Herr
Sanio ausdrücklich gesagt hat - das kann ich nur bestätigen -, dass die Frage der Prüfungszugriffe, zum Beispiel
auf die Liquiditätsausstattung, außerhalb der konsolidierten Aufsicht nicht national gelöst werden kann.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege
Mücke.
Frau Präsidentin! Wir hatten vorhin in der FDP-Fraktion keinesfalls einen Zustand der Verwirrung erreicht,
sondern wir wollten der Bundesregierung die Gelegenheit geben, auch die Frage 20 zu beantworten.
({0})
Wir sind mit den Antworten nicht ganz zufrieden und
halten es deshalb für erforderlich, gemäß § 106 unserer
Geschäftsordnung in Verbindung mit Anlage 5 I.1 b
({1})
eine Aktuelle Stunde zum Thema Hypo Real Estate aus
der Fragestunde heraus zu verlangen.
Die Fraktion der FDP hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 19 und 20 eine Aktuelle
Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien
für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt.
Ich darf mich trotzdem bei der Frau Staatssekretärin
für die Beantwortung der Fragen zu diesem Geschäftsbereich bedanken.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Die Frage 21 der Kollegin Hirsch wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 22 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung anhaltende Diskussionen um eine mögliche Insolvenz der Adam Opel GmbH angesichts der Tatsache, dass in einem solchen Fall Zulieferunternehmen sofort Vorkasse verlangen können und damit die
wirtschaftliche Situation des Autobauers deutlich verschlechtert würde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Enkelmann, die Bundesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen über eine mögliche
Insolvenz von Opel. Die Auswirkungen einer öffentlichen Diskussion dieses Themas müssen aber ernst genommen werden.
Im Übrigen hat die Bundesregierung keinen Einfluss
auf Vertragsgestaltungen zwischen der Automobilindustrie und Zulieferbetrieben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht auch, dass durch
das ziemlich unverantwortliche Gerede von einer möglichen Insolvenz potenzielle Investoren verschreckt werden könnten?
Frau Enkelmann, ich habe ausdrücklich erklärt, dass
wir uns an Spekulationen und Bewertungen von Spekulationen nicht beteiligen. Je länger wir jetzt spekulativ
über diese Frage diskutieren, desto größer ist die Gefahr,
dass wir das von Ihnen angesprochene Problem möglicherweise vergrößern.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Es geht aber immerhin um Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung. Wir reden hier nicht über irgendwelche Spekulationen in der Presse, sondern über
Äußerungen seitens der Bundesregierung. Meinen Sie
nicht, dass das fahrlässig ist und dass hier ein Machtwort
der Kanzlerin angesagt ist, wonach die Bundesregierung
alles tun wird, um eine Insolvenz von Opel zu verhindern?
Nein, ein solches oder ein anderes Wort - egal in welche Richtung - ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher
schädlich denn nützlich.
({0})
- Auch ein Machtwort der Kanzlerin zur falschen Zeit
kann schädlich sein.
({1})
Deswegen werden Machtworte nur dann gesprochen,
wenn es nötig ist, und nicht früher oder später.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
zu Guttenberg, hat nicht zuletzt auf seiner jüngsten
USA-Reise deutlich gemacht, dass für die Bundesregierung eine direkte Beteiligung des Bundes an einer neuen,
unabhängigen europäischen Gesellschaft nicht infrage
kommt. Über eventuelle sonstige staatliche Hilfen, zum
Beispiel Bürgschaften, wird erst nach Vorlage des volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich und juristisch belastbaren Konzeptes von General Motors bzw. Opel zu
entscheiden sein.
Ich habe damit Ihre Frage 24 gleich mit beantwortet.
Wir können ja sicherlich im Zusammenhang darüber diskutieren.
Einen kleinen Moment, wir müssen das Ganze erst
einmal sortieren, weil mir nicht angekündigt worden
war, dass Sie Frage 24 gleich mit beantworten.
({0})
Es gibt zu Frage 23 noch eine Nachfrage aus dem Plenum. Die zwei Nachfragen, die der Kollegin Enkelmann
zustehen, sind gestellt. Frau Dückert stellt jetzt erst einmal eine Nachfrage zur Frage 23. Danach klären wir die
Nachfragen zur Antwort auf die Frage 24. - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist die von Ihnen zitierte Aussage
des Wirtschaftsministers, dass eine staatliche Beteiligung an Opel in welcher Form auch immer vonseiten der
Bundesregierung nicht geplant und nicht verfolgt wird
- ich füge hinzu: zu diesem Zeitpunkt, zu dem man das
Konzept, das vorgelegt werden soll, noch nicht beurteilen kann -, innerhalb der Bundesregierung abgestimmt?
Ist das die Haltung der Bundesregierung insgesamt?
Frau Kollegin Dückert, Sie haben von einer staatlichen Beteiligung „in welcher Form auch immer“ gesprochen. Das ist der kleine oder auch große Unterschied zu
meiner Aussage. Meine Aussage - sie ist mit der Bundesregierung abgestimmt - war: Guttenberg hat auf dieser Reise eine direkte Beteiligung des Bundes an einer
neuen, unabhängigen europäischen Gesellschaft abgelehnt. Darum geht es. Wenn Sie das durch die Worte „in
welcher Form auch immer“ ergänzen, dann weiten Sie
die Fragestellung in Nebenbereiche aus, die wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten.
({0})
Sie haben das Recht zu nur einer Nachfrage; tut mir
leid.
({0})
Dann kommen wir jetzt zur Frage 24 der Kollegin
Dagmar Enkelmann:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Forderung des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, dass
die Adam Opel GmbH für die Anfangszeit staatliche Hilfen
benötigt ({1}), im Lichte der Feststellung der Parlamentarischen
Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie, laut der die Bundesregierung bei der Adam Opel
GmbH „nicht an eine Staatsbeteiligung“ denke ({2})?
Herr Staatssekretär hat die Frage schon beantwortet.
Wollen Sie gleich die Nachfragen stellen, Frau
Enkelmann?
Frau Präsidentin, vielleicht wäre es interessant, die
Antwort noch einmal im Kontext mit meiner Frage zu
hören; denn der Kollege Schauerte hat offenkundig versucht, die Frage zu umgehen.
({0})
Vielleicht können wir uns darauf einigen, Herr Staatssekretär, dass Sie die Antwort auf die Frage 24, die Sie
schon gegeben haben, für alle wiederholen. Offensichtlich haben auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen die Vermischung der Antwort auf die
zweite Nachfrage mit der Beantwortung der Frage 24
nicht ganz nachvollziehen können. Wenn Sie sie noch
einmal kurz zusammenfassen, dann haben wir sicherlich
alle wieder den roten Faden.
Ich habe die Frage vorhin schon beantwortet, weil ich
davon ausgegangen bin, dass die beiden Fragen zusammen beantwortet werden. Ich wiederhole sie aber gerne.
Die Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt:
Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, zu
Guttenberg, hat nicht zuletzt auf seiner jüngsten USAReise deutlich gemacht, dass für die Bundesregierung
eine direkte Beteiligung des Bundes an einer neuen, unabhängigen europäischen Gesellschaft nicht infrage
kommt. Über eventuelle sonstige staatliche Hilfen, zum
Beispiel Bürgschaften, wird erst nach Vorlage des volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich und juristisch belastbaren Konzeptes von General Motors bzw. Opel zu
entscheiden sein.
Erlauben Sie mir den Zusatz, dass wir das in allen Fragen in diesem Zusammenhang, die von allen anderen Unternehmen in Zukunft an uns gestellt werden, genauso
halten wollen: Zuerst muss ein Konzept vorliegen; erst
dann wird die Bundesregierung antworten. Es geht nicht
darum, dass die Bundesregierung das Konzept erstellt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Das verlangt auch niemand von Ihnen, zumal wir der
Auffassung sind, dass die Bundesregierung das ohnehin
nicht kann.
In der vergangenen Sitzungswoche hat Staatssekretärin Dagmar Wöhrl in der Fragestunde auf entsprechende
Fragen unsererseits darauf hingewiesen, dass die finanziellen Möglichkeiten sehr beschränkt sind und dass sich
schon im März für Opel die Überlebensfrage stellen
kann. Minister zu Guttenberg mahnte zur Geduld. Eine
Agenturmeldung von heute lautet:
Von neueren Entwicklungen in den USA, die die
Entscheidung über Staatshilfen für Opel in
Deutschland beschleunigen könnten, sei ihm nichts
bekannt.
Dagegen gibt es neue Aussagen aus den USA, dass führende Gläubiger massive Zweifel an den Sanierungsplänen von GM haben. Müsste das nicht die Bundesregierung dazu bringen, schnellstmöglich über eigene
Vorstellungen - beispielsweise über Staatsbürgschaften ernsthaft nachzudenken?
Nachdenken ist in solchen Fragen immer geboten.
Wir sind in enger Abstimmung und im intensiven Gespräch mit Opel, GM Europe und GM Worldwide.
Guttenberg hat nicht umsonst eine wichtige Reise in die
USA unternommen; er wollte auch mit der amerikanischen Regierung wichtige Fragen in diesem Zusammenhang klären.
Das ist ein ausgesprochen schwieriger Komplex. Ihre
Kollegen, die heute Morgen an der Sitzung des Wirtschaftsausschusses teilgenommen haben, können sicherlich bestätigen, wie umfangreich und problematisch
diese Fragen sind. Es bleibt bei der Reihenfolge - das ist
mit den Beteiligten abgestimmt -: Zuerst müssen die Beteiligten - also das Unternehmen oder der Unternehmensteil -, die staatliche Hilfe haben wollen, ein belastbares Konzept vorlegen; das kann nicht die Regierung
sein. Erst wenn ein solches Konzept vorliegt, können wir
konkret entscheiden, ob und in welcher Weise der Staat
bei der Durchführung des Konzepts hilft. Alles andere
ist Spekulation. Jede andere Vorgehensweise wäre nicht
verantwortbar.
Frau Enkelmann, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage.
Zur Reisetätigkeit der Bundesregierung: Es ist uns bekannt geworden, dass die Bundeskanzlerin am 31. März
zu Opel nach Rüsselsheim reisen will. Das ist der letzte
Tag, an dem ein Sanierungskonzept für GM vorgelegt
werden kann. Können wir die Hoffnung haben, dass die
Kanzlerin sozusagen nicht mit leerem Gepäck nach Rüsselsheim reist und dann möglicherweise konkrete Vorstellungen hat, wie die Bundesregierung zum Erhalt von
Opel in Rüsselsheim beitragen kann?
Frau Kollegin, ob der 31. März der letzte Tag ist, an
dem ein Konzept vorgelegt werden kann, ist diskussionswürdig. Das ist ein Datum, das genannt worden ist.
Ob es das letzte ist, kann ich noch nicht endgültig beantworten.
Die Bundeskanzlerin hat diesen Termin bereits vor
langer Zeit verabredet, losgelöst von der Zuspitzung der
Krisensituation. Wir begrüßen sehr, dass sie diesen Termin aufrechterhält und mit der Belegschaft über ihre
Sorgen und Fragen spricht. Ob und welche Erklärungen
sie abgeben kann, können wir sicherlich erst beurteilen,
wenn wir wissen, was bis dahin vorliegt.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dückert
das Wort.
Herr Staatssekretär, leider muss ich das knappe Gut
der Fragen, die uns als Parlamentarier zur Verfügung stehen, dazu nutzen, eine von mir schon einmal gestellte
Frage zu wiederholen. Das ist schade, aber darauf gab es
keine Antwort. Um Ihnen mit der Formulierung nicht
wieder die Möglichkeit zu geben, zu entwischen, möchte
ich folgende Fragen stellen: Ist das von Ihnen vorgetragene Zitat des Ministers zu Guttenberg, der sinngemäß
gesagt hat, er schließe eine direkte Beteiligung des Staates an Opel definitiv aus, in der Bundesregierung abgestimmt? Ist es die abgestimmte Haltung der Bundesregierung, eine direkte Beteiligung des Staates an Opel
auszuschließen?
Frau Kollegin Dückert, meine Antwort, die ich hier
vorgelesen habe, ist in der Bundesregierung abgestimmt.
Wenn Sie sich daran erinnern, wie ich sie vorgetragen
haben, dann wissen Sie, was das heißt.
({0})
Ich möchte Ihnen gar nicht entwischen.
({1})
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Dağdelen das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Staatssekretär Schauerte, Sie haben auf die Frage 24 meiner
Kollegin Dagmar Enkelmann geantwortet, dass eine direkte Beteiligung des Staates an Opel ausgeschlossen
werde und dass man auf ein Konzept warte. Meine Frage
ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass ich selbst Bochumer Abgeordnete bin. Wenn es darum geht, die Arbeitsplätze bei Opel zu retten, dürfte die Regierung doch
keine Option ausschließen, auch nicht einen Staatseinstieg. Wäre es nicht unvernünftig und auch verantwortungslos, wenn die Bundesregierung, bevor ein Konzept
vorliegt und alle Eventualitäten bekannt sind, von vornherein eine Option ausschließt?
Sie stellen ähnliche Fragen. Ich kann Ihnen - ähnlich
wie eine tibetanische Gebetsmühle - nur die gleiche
Antwort geben. Der Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie hat nicht zuletzt in den USA deutlich
gemacht, dass für die Bundesregierung eine direkte Beteiligung des Bundes an einer neuen, unabhängigen
europäischen Gesellschaft nicht infrage kommt. Genau
das bleibt die Aussage.
Die Frage der Kollegin Dückert hatte einen weiterführenden Ansatz, wenn ich das feststellen darf. Dazu
sage ich: Die Antwort spricht für sich.
({0})
Es gibt zu diesem Punkt noch keine endgültige abgestimmte Meinung der Bundesregierung. So eindeutig
muss man diese Antwort interpretieren.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Dreibus
das Wort.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, wie erklären Sie
sich denn vor dem Hintergrund Ihrer Aussage, dass
wichtige Mitglieder der Bundesregierung - ich beginne
mit dem Vizekanzler und Bundesaußenminister und
führe das fort bis hin zum Bundesminister für Arbeit und
Soziales - öffentlich, unter anderem in Rüsselsheim und
gestern in Wolfsburg, zu der Notwendigkeit einer staatlichen Beteiligung offensichtlich völlig andere Aussagen
machen als Sie als Vertreter der Bundesregierung hier
vor dem deutschen Parlament?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Die Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung in solchen Zusammenhängen bleiben, soweit sie
nicht abgestimmt sind und keine Kabinettsreife erlangt
haben, Äußerungen der jeweiligen Minister. Ich vertrete
hier die Äußerung meines Ministers, der eine klare Position hat. Dass einzelne Mitglieder einer Bundesregierung, insbesondere die einer Großen Koalition, in einer
so ausgesprochen schwierigen Frage bis zum endgültigen Entscheidungstag und bis zur endgültigen Kabinettsreife unterschiedliche Positionen haben können, vielleicht sogar im Hinblick auf den Erkenntnisgewinn
haben sollten, sollte nicht kritisiert werden.
Die letzte Nachfrage zu Frage 24 stellt der Kollege
Ramelow.
Herr vortragender Staatssekretär, ich habe Sie so verstanden, dass Ihr Minister vortragen lässt, dass keine Beteiligung des Bundes angedacht ist und dass das die im
Bundeskabinett vereinbarte Linie sei. Ich frage Sie als
Staatssekretär: Wie bewertet Ihr Minister die Beteiligung
des Landes Niedersachsen an VW, und wie bewertet Ihr
Minister in diesem Zusammenhang das VW-Gesetz und
die Auseinandersetzung über das europäische Gemeinschaftsrecht?
Herr fragender Abgeordneter, Sie haben das leicht
verfälscht. Ich habe nicht erklärt, dass es im Kabinett abgestimmt sei; ich habe sogar das Gegenteil gesagt - damit nicht etwas Falsches hängenbleibt.
Im Übrigen gibt es historisch gewachsene Situationen
wie zum Beispiel in Wolfsburg, die man so beurteilen
kann, und aktuelle Situationen, die man anders beurteilen kann. Sie wissen, dass es auch in der Bundesregierung durchaus abgestimmte Unterschiede in der Beurteilung einer andauernden Beteiligung an VW gegeben hat.
Diese Art von Unterschieden halte ich für im absolut zulässigen Bereich.
Nach unserer Geschäftsordnung fragen die Abgeordneten, und die Mitglieder der Bundesregierung beantworten nach Ermessen und Wissen die Fragen.
Ich rufe jetzt die Frage 25 des Kollegen Bodo
Ramelow auf:
Sieht die Bundesregierung Hinderungsgründe vor dem
Hintergrund, dass sich die Aussage, die Bundesregierung
denke bei der Adam Opel GmbH „nicht an eine Staatsbeteiligung“ ({0}), auf
die Bundesregierung als handelndes Organ bezieht, die die
vier Bundesländer bzw. die Landesregierungen von Hessen,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen daran
hindern würden, gemeinschaftlich ein Kaufangebot für die
Adam Opel GmbH bei der General Motors Corporation
rechtswirksam zu hinterlegen?
Der Staatssekretär hat das Wort.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
zu Guttenberg, hat nicht zuletzt auf seiner jüngsten
USA-Reise deutlich gemacht, dass für die Bundesregierung eine direkte Beteiligung des Bundes an einer neuen,
unabhängigen europäischen Gesellschaft nicht infrage
kommt. Mit dieser Aussage beabsichtigt die Bundesregierung jedoch in keiner Weise, die in der Fragestellung genannten Bundesländer oder andere Parteien hinsichtlich der Art ihrer Unterstützung für Opel zu binden. Das ist die Antwort auf die Frage 25.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Verstehe ich Sie richtig, dass es damit auch nach Meinung der Bundesregierung keine Hinderungsgründe gibt
- nach denen habe ich gefragt - und es somit möglich
wäre, dass die vier Länder handeln könnten, um analog
dem VW-Modell eine 20-prozentige Beteiligung zu erwerben, um damit eine Trennung von GM im Wege des
Kaufes zu ermöglichen?
Ich habe dazu vorgetragen: Mit dieser Aussage beabsichtigt die Bundesregierung jedoch in keiner Weise, die
in der Fragestellung genannten Bundesländer oder andere Parteien hinsichtlich der Art ihrer Unterstützung für
Opel zu binden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Frau Präsidentin, es ist schwierig, einen vortragenden
Staatssekretär zu befragen, wenn er auf die Frage: „Sieht
die Bundesregierung Hinderungsgründe …?“ antwortet:
Also, die vier Länder können handeln.
Versuchen Sie es einfach noch einmal mit der Formulierung einer Frage.
Ich gestehe nur meine Hilflosigkeit, da die Frage
nicht beantwortet wurde. Ich hatte nach den Hinderungsgründen gefragt.
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, dass die
vier Länder gemeinsam einen Strukturfonds analog dem
französischen Beispiel bilden, um das Unternehmen
Opel gemeinschaftlich erwerben zu können, das Ganze
letztendlich aber auf eine Minderheitsbeteiligung nach
dem VW-Modell zu reduzieren?
Rechtliche Hinderungsgründe für eine solche Entscheidung der Länder sind aufgrund ihrer Unabhängigkeit und Souveränität nicht zu erkennen. Ein gesetzliches
Verbot der Bundesregierung einer solchen Maßnahme ist
auch deswegen nicht zu erwarten. Ob und wie wir das bewerten, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
beantworten. Kein Hinderungsgrund.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Dağdelen das
Wort.
Weil das Stichwort „Kabinett“ gefallen ist, möchte
ich Sie gerne fragen, Herr Staatssekretär: Stand das
Thema Opel heute auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung? Falls ja, in welcher Weise wurde das Thema
Opel erörtert?
Frau Kollegin, da muss ich passen. Auf diese Frage
bin ich nicht vorbereitet. Ich habe mir die komplette Tagesordnung des Kabinetts in der Vorbereitung auf die
Fragestunde nicht angesehen. Ich liefere Ihnen die Antwort gerne nach.
({0})
Wir kommen jetzt zur Frage 26 des Kollegen
Ramelow:
In welchem Umfang kann die Bundesregierung Mittel aus
der Förderung von Forschung und Innovation kurz- und mittelfristig zur Verfügung stellen, um die Adam Opel GmbH zu
einem Produzenten und Anwender alternativer Antriebstechnologien und moderner, ökologisch orientierter Fahrzeugkonzepte zu profilieren, und wie bewertet die Bundesregierung
die Angabe, dass die Liquidität der Adam Opel GmbH „dank
der Umweltprämie bis zum Sommer sichergestellt ist“ ({0}), entgegen
der Auskunft der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dass die Liquidität ein „Überleben bis April“ ermögliche ({1})?
Die technologieoffene Innovationsförderung des
BMWi ist mittelstandsorientiert. Auch nach der Ausweitung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand,
ZIM, durch das Konjunkturpaket II liegt die Betriebsgröße - jetzt mit einer Grenze von 1 000 Beschäftigten von Opel über dieser Schwelle. Dagegen besteht jedoch
für Opel ebenso wie für alle deutschen Automobilhersteller die Möglichkeit, sich kurzfristig an anwendungsorientierter Forschung im Bereich der Mobilität zu beteiligen, die aus dem Konjunkturpaket II, Ziffer 9, finanziert
wird. Mittelfristig kommt gegebenenfalls eine technologiespezifische Förderung alternativer Antriebe im Rahmen des 3. Verkehrsforschungsprogramms infrage.
Die von der Parlamentarischen Staatssekretärin im
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gemachten Aussagen basieren auf Informationen - das bezieht sich auf den zweiten Teil der Frage -, die General
Motors Europe gegenüber dem Wirtschaftsausschuss des
Bundestages gemacht hat. Die Richtigkeit des von der
Thüringer Allgemeinen am 18. März 2009 aufgezeigten
Zusammenhangs zwischen Umweltprämie und der Liquidität der Adam Opel GmbH kann von der Bundesregierung nicht beurteilt werden.
Wie ich sehe, hat Herr Ramelow keine Nachfrage.
Dann kommen wir zur Frage 27 des Kollegen
Dreibus:
Unter welchen Bedingungen hält die Bundesregierung die
Bildung eines Käuferkonsortiums für die Adam Opel GmbH
aus den vier betroffenen Bundesländern Hessen, Thüringen,
Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie unter Einbeziehung der Händlerorganisation, von Zulieferunternehmen
und einer Mitarbeiterbeteiligung für umsetzbar, und würde die
Bundesregierung ein solches Fondsmodell aktiv in der Weise
unterstützen, dass für die gesamte Fondssumme eine Bundesbürgschaft bzw. ein Bundeskredit gewährt wird und damit ein
rechtsverbindliches Kaufangebot bei der General Motors Corporation hinterlegt werden kann?
Herr Kollege Dreibus, da Ihre Fraktionskollegen in
ihren Fragen immer den gleichen Komplex angesprochen haben, wiederhole ich nicht das, was ich in meinen
Antworten bereits mehrfach gesagt habe; was ich also zu
Herrn zu Guttenberg gesagt habe, muss ich jetzt nicht
noch einmal vorlesen.
Meine weitere Antwort auf Ihre Frage lautet: Die
Bundesregierung begrüßt jedoch die eventuelle Bereitschaft der Bundesländer, Händler, Zulieferer und Mitarbeiter, sich aktiv an einer Lösungssuche zu beteiligen.
Ob das in der Fragestellung angesprochene Modell ein
gangbarer Weg ist, kann von der Bundesregierung erst
nach Vorlage eines volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich und juristisch belastbaren Konzepts von General Motors bzw. Opel beurteilt werden. Wir nähern uns
wieder der Antwort auf die erste Frage von Frau
Enkelmann.
Herr Dreibus, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank. - Darf ich Sie zunächst darauf hinweisen, dass sich meine Frage nicht um direkte Finanzbeteiligungen des Bundes dreht, sondern dass es um die Absicherung möglicher Landesbeteiligungen geht? Darf ich
Sie insofern auf den Unterschied zu dem vorhergehenden Fragenkomplex aufmerksam machen? Ich bitte Sie,
meine Frage präzise zu beantworten, ob die Bundesregierung im Sinne meiner Frage bereit ist, entsprechende
Aktivitäten der vier benannten Landesregierungen durch
Bürgschaften und anderes finanziell abzusichern.
Herr Kollege, Sie wollen sicherlich darauf abstellen,
ob die Bundesregierung ein solches Fondsmodell aktiv
in der Weise unterstützen würde. Das ist der Punkt. Das
Fondsmodell ist eine der Möglichkeiten für ein realitätsnahes Konzept. Darauf habe ich geantwortet: Ob das in
der Fragestellung angesprochene Modell, nämlich Ihre
Fondslösung, ein gangbarer Weg ist, kann von der Bundesregierung erst nach Vorlage eines geschlossenen
Konzepts beurteilt werden. - Wir können nicht ein Modell in die Welt stellen, ohne zu wissen, mit welchen
konkreten betriebswirtschaftlichen Maßnahmen es unterfüttert werden soll.
({0})
Bei all diesen Anträgen - wir werden das in Deutschland jetzt tausendfach erleben; Mittelständler, große und
kleine, werden Bürgschaften, Kredite und Hilfen der öffentlichen Hand zur Vermeidung der negativen Auswirkungen der Krise haben wollen - muss die Regel sein,
dass das Unternehmen - das gilt für kleine und erst recht
für große Unternehmen - ein wirklich belastbares Konzept vorstellt, zu dem wir dann sagen können, ob es finanziert werden kann. Umgekehrt läuft der Weg nicht.
Ich darf noch einmal sagen: Wir erwarten ein solches
Konzept beim Antrag eines jeden kleinen mittelständischen Unternehmens, und zwar geprüft und ausgereift.
Vorher schaut sich der Staat das überhaupt nicht an. Hier
geht es um ein wirklich großes Unternehmen, dem alle
Beratungskapazitäten der Welt zur Verfügung stehen.
Auch dieses Unternehmen soll dann bitte schön ein Modell entwickeln, das aus unternehmerischer Sicht betriebswirtschaftlich passt. Dann sind wir natürlich bereit,
das sehr konstruktiv zu prüfen. Es geht aber nicht umgekehrt, dass wir das Konzept mit aufstellen. Auf bruchstückhafte Konzepte antworten wir nicht mit einer
bewilligungsnahen Aussage. Das würde jedes Förderinstrumentarium in Unordnung bringen.
Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Ich darf mir zunächst eine Bemerkung erlauben. Ich
habe zunehmend Verständnis dafür, dass Beschäftigte in
Unternehmen zunehmend den Eindruck haben: Wenn es
um die Rettung von Banken geht, ist die Bundesregierung sehr schnell bei der Hand; wenn es aber um die
Rettung von Arbeitsplätzen in Industrieunternehmen
geht, ist sie nicht in der Lage, kurzfristig zu handeln oder
zumindest eigene Konzepte zu entwickeln.
Ich will aber noch einmal auf Beantwortung meiner
Frage bestehen; Sie haben sie nach meiner Auffassung
nämlich immer noch nicht beantwortet. Ich habe danach
gefragt, ob die Bundesregierung prinzipiell bereit ist,
Länder, die sich über ein wie auch immer geartetes Modell - das ist nicht der Kern der Frage - an Opel beteiligen, über eine Bundesbürgschaft bzw. Bundeskredite finanziell abzusichern.
Ich muss zunächst auf Ihre Bemerkung eingehen. Die
Bundesregierung kümmert sich sehr intensiv um industrielle Arbeitsplätze. Zu dem ersten Programm mit einem Volumen von 15 Milliarden Euro, das seit Januar
läuft, liegen über 400 Anträge zur Rettung industrieller
Arbeitsplätze vor. Eine große Zahl dieser Anträge ist bereits konkret bewilligt. Diese Mittelständler sind mit einem fertigen, sauber durchdachten Konzept an uns herangetreten. Sie haben uns nicht Fragen gestellt, sondern
Antworten gegeben, sodass wir sagen konnten: Das
scheint vernünftig zu sein. Das scheint plausibel zu sein.
Das ist zukunftsfest. Dafür setzen wir das Geld der Steuerzahler ein.
Zur Frage selbst noch einmal: Wir beantworten keine
theoretischen, prinzipiellen Fragen von Antragstellern,
sondern wir entscheiden konkrete Projektanträge; sonst
geraten wir in hypothetische Betrachtungen vielerlei Art
und kommen nicht wirklich weiter.
Ich habe hier geantwortet: Die Bundesregierung begrüßt die eventuelle Bereitschaft der Bundesländer,
Händler, Zulieferer und Mitarbeiter, sich aktiv an einer
Lösungssuche zu beteiligen. - Das ist zunächst einmal
eine positive Aussage, der jeder Vernünftige etwas entnehmen kann. Ob das in der Fragestellung angesprochene Modell - Sie haben das Fondsmodell konkret genannt - ein gangbarer Weg ist, das beurteilen wir, wenn
es uns konkret vorgestellt worden ist. Zunächst einmal
begrüßen wir alle diese Anstrengungen, aber eine Entscheidung treffen wir erst, wenn wir etwas konkret Belastbares vorliegen haben. Alles andere - ich sage es
noch einmal: Wir reden über das Geld der Steuerzahler ({0})
wäre nicht wirklich verantwortbar.
Ich habe noch eine Reihe von Nachfragen zu dieser
Frage. Zunächst die von Herrn Ramelow.
Bei einer Maximalbetrachtung sind in Europa bis zu
400 000 Menschen davon betroffen, ob Opel als industrieller europäischer Partner weiterproduzieren kann
oder nicht. Insoweit müssten auch wir an diesen 400 000
Steuerzahlern Interesse haben.
Ich hatte die Antworten der Bundesregierung bisher
immer so verstanden, dass zuallererst die europäischen
Opelwerke von GM getrennt werden müssten, damit das
Geld, das man zur Sanierung bzw. Stabilisierung gibt,
nicht nach Amerika abfließt. Wir haben deshalb nachgefragt, ob ein Einstieg der Länder zusammen mit den
Händlern, die das öffentlich angeboten haben, und den
Mitarbeitern, die sich öffentlich auch dazu bereit erklärt
haben, ein gangbarer Weg ist und dazu eine Ausfallbürgschaft für die Händler- und Mitarbeiterbeteiligung gegeben werden kann. Darauf antworten der Bundeswirtschaftsminister bzw. Sie in seinem Auftrag jedes Mal,
das werde man entscheiden, wenn etwas vorliegt. Ich
frage Sie allen Ernstes: Was ist eigentlich, wenn die von
Ihnen erwünschte Vorlage der GM-Manager genau darauf abzielt, dass es nicht zu einer solchen Trennung
kommt? Letztendlich hieße das, dass dann die Bundesregierung zuschaut und keine Hilfen für die Entstehung eines europäischen Opelverbundes geben würde.
Deswegen frage ich Sie noch einmal: Ist die Bundesregierung bereit, mit dem Instrumentarium der Bundesbürgschaften Händler- und Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaften beizustehen, Ausfallbürgschaften zu geben,
damit gemeinsam mit den betroffenen Ländern ein Kaufangebot unterbreitet werden kann, mit dem das Ziel einer Trennung verwirklicht werden kann?
Ich denke, dass es sowohl in Amerika wie in Europa
und Deutschland viele Gutwillige in Verantwortung gibt,
die an der Lösung dieses Problems arbeiten. Partielle
Betrachtungen in der Form: „Was macht ihr, wenn wir
dieses oder jenes machen?“ bieten keine Grundlage für
ein Vorgehen der Bundesregierung. Eine solche kann nur
ein in sich schlüssiges Konzept sein. Alles andere kann
unter den Beteiligten ausgehandelt und zu entsprechender Reife getrieben werden. Wenn dann insgesamt eine
Konzeption erkennbar ist, ist der Zeitpunkt gekommen,
wo wir entscheiden müssen. Die Entscheidung wird in
jedem Falle schwer. Sie hat erhebliche Konsequenzen
für die Betroffenen wie für die Steuerzahler und alle anderen, die damit zu tun haben. Wir können jetzt aber
nicht kuchenstückweise einzelne Beteiligungsmodelle
mit Zusagen der Bundesregierung versehen, wenn nicht
klar ist, ob es anschließend gelingt, daraus einen Gesamtkuchen zu machen. Das macht keinen Sinn. Das ist
nicht die Vorgehensweise der Bundesregierung.
Die nächste Frage kommt von Frau Dağdelen. - Sie
zieht zurück. Dann kommt jetzt die nächste Frage von
Frau Enkelmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier gesagt, Sie erwarteten konkrete Konzepte. Prinzipiell und ohne vorher
konkrete Konzepte einzufordern, war die Bundesregierung allerdings bereit, innerhalb kürzester Zeit einen
Rettungsschirm für Banken und Versicherungen in Höhe
von immerhin 480 Milliarden Euro bereitzustellen. Warum ist die Bundesregierung so zurückhaltend, zugunsten von Unternehmen, die in der Krise ins Straucheln geraten sind - in diesem Fall geht es wirklich nicht nur um
Opel -, Zusagen zu machen oder Staatsbürgschaften für
Fondsmodelle zu übernehmen, während sie bei ihren Zusagen für Banken sehr großzügig war?
Ja, das ist schwer zu erklären und, wenn man nicht
lange genug darüber nachdenkt, nicht so ohne Weiteres
ersichtlich.
({0})
Frau Kollegin, Sie werden mit mir darin übereinstimmen, dass wir bei den Banken damals ein systemisches
Risiko in einer Größenordnung hatten, das, wenn wir damals nicht zeitgerecht und schnell darauf reagiert hätten,
dazu geführt hätte, dass nicht nur die Banken kaputtgegangen wären, sondern auch das Unternehmen Opel, das
Sie gerade retten wollen,
({1})
schon lange kaputt wäre. Der Unterschied ist also: Das
eine ist ein systemisches Risiko und zerschlägt alles,
wenn man nicht rechtzeitig darauf reagiert; bei dem anderen handelt es sich um Auswirkungen von Unternehmensentwicklungen, und zwar um unterschiedliche Auswirkungen je nach Größe der Unternehmen, die nicht
systemisch sind.
({2})
Anträge auf Hilfen hierfür müssen nach einer bestimmten Ordnung abgearbeitet werden. Die Zeit für die Abarbeitung ist da. Opel diskutiert darüber mittlerweile seit
ungefähr fünf Monaten. Ich bin überrascht, dass nicht
schon mehr Konkretes auf dem Tisch liegt. Ich sage
noch einmal: Ein großes Unternehmen darf sich nicht
darauf verlassen, dass ihm geholfen wird, weil es groß
ist, sondern es muss ebenso Konzepte vorlegen wie jeder
kleine Antragsteller mit zehn Mitarbeitern, die ebenfalls
arbeitslos werden können, wenn dieser Antragsteller
keine Unterstützung bekommt.
Ich bleibe bei meiner Aussage: Unser ordnungspolitischer Ansatz ist, dass wir von einem großen Unternehmen eher mehr an Begründung und Konzeption verlangen als von einem kleinen Unternehmen. Wenn das alle
Beteiligten berücksichtigen, sehe ich Chancen, dass hier
ein Konzept vorgelegt wird, das - das halten wir für
möglich - durchaus positiv beschieden werden kann.
Aber solange das nicht geschehen ist, verweigern wir
jede weitergehende Aussage. Nur so kommt der nötige
Druck zustande, um Klarheit für eine solch wichtige
Entscheidung zu erlangen.
Der Kollege Bartsch stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich verstehe Ihre Schwierigkeit, sich auf hypothetische
Überlegungen einzulassen und auf hypothetische Szenarien hypothetische Antworten zu geben. Aber ganz
grundsätzlich kann ich doch wohl davon ausgehen, dass
die Bundesregierung, wenn sie sich, aus welchen Gründen auch immer, generell entschieden hätte, Opel in keiner Weise - ob durch Bürgschaften, mit Krediten oder
auf andere Weise - zu helfen, wohl auch nicht die Vorlage von Konzepten verlangen würde.
Auch das ist eine sehr interessante und hilfreiche Fragestellung. Ich bedanke mich dafür. Vielleicht kann man
die Diskussion dadurch abkürzen. Sie haben völlig recht:
Wenn die Bundesregierung die klare Position hätte, Hilfe
käme unter keinen Umständen infrage, dann wäre es
mehr als grob unbillig, diese Erkenntnis nicht mitzuteilen und von allen Beteiligten Anstrengungen zu verlangen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt wären.
Das ist in keiner Weise gewollt. Das wäre unredlich im
Umgang miteinander.
({0})
Jetzt hat Frau Dağdelen eine Nachfrage zu dieser
Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Schauerte, Sie haben gerade von systemisch und nichtsystemisch gesprochen, gerade angesichts dessen, dass
die Bundesregierung sehr wohl in der Lage war, in kürzester Zeit ein Rettungspaket für die Banken zu schnüren. Deshalb will ich noch einmal nachfragen: Ist die
Bundesregierung sich bewusst, dass die Debatte, ob
Opel systemisch oder nichtsystemisch und die Rettung
deshalb erforderlich oder nicht erforderlich ist, für Zehntausende von Beschäftigten bei Opel, in der Zuliefererindustrie und über die Zuliefererindustrie in den Regionen eigentlich völlig uninteressant ist und dass sie eher
dazu beiträgt, dass die Zukunftsangst und Verunsicherung der Menschen verstärkt werden?
Wir können, egal von welcher Seite wir an dieses
Thema herangehen, von unserer Linie aus guten Gründen nicht abweichen. Unsere Sachverständigen sagen
uns heute, es könnten 500 000 oder 1 Million Menschen
in einem Zeitraum X in Deutschland durch die Krise zusätzlich arbeitslos werden. In einigen Betrieben droht
das sehr konkret; in diesen Fällen kann man das mit
Namen und Gesichtern versehen. Bei vielen Tausend Industriebetrieben und Unternehmen in Deutschland ist
hingegen noch keine konkrete Beschreibung möglich.
Ich muss unabhängig von der Größe der Betriebe, unabhängig vom Grad der Bedrohung ein Verfahren wählen,
durch das auch die, die in Arbeitslosigkeit fallen, denen
nicht geholfen wird, am Ende verstehen, warum es so
gekommen ist. Eine Möglichkeit wäre: Bei allen, die in
den nächsten neun Monaten arbeitslos werden sollten,
bei allen Unternehmen, die in den nächsten Monaten
zahlungsunfähig werden, wird generell unterstellt, dass
das krisenbedingt ist, und deshalb werden alle gerettet.
({0})
- Doch. Versetzen Sie sich einmal in die Lage von Mitarbeitern in mittelständischen Unternehmen oder mittelständischen Unternehmern, die zurzeit Tag und Nacht
mit der Frage beschäftigt sind, ob ihr Unternehmen kaputtgeht oder nicht. Da erwarte ich von allen Beteiligten
- anders geht es nicht, sonst bricht die Finanzierung unseres Staates zusammen -, dass sie sich an bestimmte
Regeln halten und jeder seine Hausaufgaben macht. Der
Staat stellt den Schutzschirm zur Verfügung. Das tun wir
auch für diese Zwecke. Wir schließen niemanden aus,
der bestimmte Bedingungen, die einzuhalten sind, erfüllt. Das haben wir gerade noch einmal geklärt. Deswegen können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine
weiter gehende Erklärung abgeben.
({1})
Wir kommen jetzt zur Frage 28 der Kollegin Dağdelen:
Schließt die Bundesregierung grundsätzlich eine staatliche
Beteiligung an der Adam Opel GmbH aus, und wenn ja, welches Modell favorisiert die Bundesregierung auf Grundlage
der aktuellen Gespräche stattdessen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort auf den ersten Teil der Frage ist die gleiche, wie ich sie vorhin schon gegeben habe. Zum zweiten Teil der Frage - auch darauf gibt es eine ähnliche
Antwort wie vorhin -: Über eventuelle sonstige staatliche Hilfen, zum Beispiel Bürgschaften, wird erst nach
Vorlage des volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich
und juristisch belastbaren Konzepts von General Motors
zu entscheiden sein. Es tut mir leid: Wenn die Fragen inhaltlich so nah beieinander liegen, müssen auch die Antworten inhaltlich nah beieinander liegen.
({0})
Frau Dağdelen zu einer Nachfrage.
Bedauerlicherweise war die Antwort auf meine Frage
genauso nichtssagend wie die Antworten zuvor. Deshalb
ist es berechtigt, eine solche Frage noch einmal zu stellen.
Herr Staatssekretär, heute haben wir bei der Befragung
der Bundesregierung von Vertretern der Bundesregierung gehört, dass die Staatssekretäre die Kabinettssitzungen montags vorbereiten. Auf meine vorangegangene
Frage, ob auf der Tagesordnung der heutigen Kabinettssitzung das Thema Opel stand, haben Sie aber geantwortet, dass Sie diese Frage im Moment nicht beantworten
können und mir die Antwort nachreichen wollen. Deshalb möchte ich Sie gerne fragen: Sind Sie bereit, sich
ernsthaft zu bemühen, dass das Thema Opel auf die Tagesordnung der nächsten Kabinettssitzung kommt, damit
eventuell die Bundesregierung mit einer Stimme und
nicht mit mehreren Stimmen zu diesem Thema spricht?
Die Festsetzung der Kabinettstagesordnung liegt
nicht in der Entscheidungsgewalt eines einzelnen Ministers. Wir haben uns in der Vergangenheit mehrfach mit
diesem Thema beschäftigt. Es gab Äußerungen von Kabinettsmitgliedern jeder Art dazu.
({0})
Herr zu Guttenberg hat intensive diplomatische und
wirtschaftspolitische Gespräche in Amerika geführt. Die
Bundesregierung wird dieses Thema sicherlich wieder
auf die Tagesordnung setzen, sobald ein konkreter Entscheidungs- und Handlungsbedarf vorliegt.
Frau Dağdelen, eine zweite Nachfrage.
Herr Schauerte, ich werde in der nächsten Fragestunde nachfragen, ob dies geschehen ist.
Sie hatten vorhin zwischen systemisch und nichtsystemisch unterschieden. Heute gibt es im Tickerdienst
eine Meldung, nach der der CSU-Landesgruppenchef
Peter Ramsauer sagt, dass man Opel nur unter klaren
Vorgaben helfen wolle, jetzt aber das Management am
Zuge sei. Teilt die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass das Management sprichwörtlich den Karren
an die Wand gefahren hat und dass die Manager eigentlich nicht diejenigen sein dürfen, denen man vertrauen
kann, die Auffassung, dass sie selbst ein Konzept erstellen und sagen sollte, unter welchen Bedingungen es
Hilfe geben kann?
Da ein Großteil dessen, was wir gerade erleben, durch
die internationale Finanzmarktkrise und sicherlich auch
durch die Fehler der Automobilindustrie - sie ist allerdings zugleich Opfer dieser Krise; man weiß nicht,
welcher Umstand zu der heutigen Situation mehr beigetragen hat - entstanden ist, akzeptiere ich Ihre erste Bemerkung nicht. Außerdem neige ich zur Differenzierung
und würde nicht gleich alle Manager für diese Krise verantwortlich erklären.
In Zukunft wird es ohne Management, das seine
Hausaufgaben macht, nicht gehen. Möglicherweise kann
man den einen oder anderen auswechseln. Aber Unternehmen brauchen ein funktionsfähiges Management, das
Anträge stellt, Märkte erobert und Arbeitsplätze sichert.
Das soll auch in Zukunft so bleiben. Deswegen bleibe
ich bei der Aussage, die auch Peter Ramsauer getroffen
hat: Das Management von Opel muss zunächst ein Konzept vorlegen. Das Management muss auch einen Teil
der mit den Vereinigten Staaten bestehenden Probleme
und die Frage des Standorts der Mutter lösen. Dann wird
es einige Fragen geben, die möglicherweise politisch gelöst werden können und müssen, wenn zum Beispiel die
beiden Finanzminister miteinander reden müssen; denn
der amerikanische Staat ist durch Sicherungsabreden
und Ähnliches involviert. Es ist natürlich klar, dass die
Bundesregierung ihre Hilfe da anbietet, wo es um klare
politische Aufgaben und Fragestellungen geht. Es bleibt
aber dabei: Die Unternehmen müssen ganz überwiegend
- das würden Sie, Frau Kollegin, heute nicht anders machen wollen - von Managern geführt werden.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Peter Hettlich auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation im Mikroelektronikcluster „Silicon Saxony“ angesichts der zum
1. April 2009 angekündigten Produktionseinstellung bei der
Qimonda AG und der anhaltenden Schwäche von Infineon
Technologies AG und AMD, Inc., und auf welche Weise ist
sie bereit, die Bemühungen um den Erhalt dieses national und
europaweit bedeutsamen Clusters zu unterstützen?
Herr Schauerte, Sie haben wieder das Wort.
Herr Kollege, die Antwort ist wie folgt: Im Rahmen
des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter von
Qimonda angekündigt, Qimonda in der Produktion zurückzufahren und in einen Zustand zu bringen, der die
Wiederaufnahme der Produktion erlaubt. Die Bundesregierung begleitet die Bemühungen, für Qimonda einen
Investor zu finden, der bereit und in der Lage ist, die notwendigen Einlagen zu leisten und die Führung des Unternehmens zu übernehmen. Das Land Sachsen steht in
Kontakt mit dem Insolvenzverwalter. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission sind über die
Situation informiert. Die Bundesregierung kann nicht
bestätigen, dass sich andere Halbleiterunternehmen des
Halbleiterclusters Dresden in Schwierigkeiten befinden.
Herr Hettlich, eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Es handelt sich
- ich bin ja Sprecher der AG Ost meiner Fraktion - um
den vielleicht bedeutendsten Industriecluster in Ostdeutschland, der seit der Wiedervereinigung entstanden
ist. Wenn man über Clusterstrukturen diskutiert, sollte
man auch wissen, dass dann, wenn eine Säule eines
Clusters ins Wanken gerät und fällt - das scheint jetzt offensichtlich der Fall zu sein -, auch die anderen Säulen
gefährdet sind. Wenn wir insofern berücksichtigen, dass
dieser Cluster mit enorm vielen Steuergeldern aufgebaut
worden ist - wir haben eben darüber diskutiert, inwieweit man der Industrie, zum Beispiel Opel, Steuergelder
zur Verfügung stellt -, wir also damals bereit waren, sehr
viel Geld in die Hand zu nehmen, um diesen Cluster aufzubauen, stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung
nicht der Meinung ist, dass dieser Cluster entsprechend
gestützt werden sollte, weil sonst die Gefahr besteht,
dass auch andere Unternehmen in diesen Strudel gerissen werden.
Herr Kollege Hettlich, wenn Sie einverstanden sind,
beantworte ich gleich Ihre Frage 30.
Dann habe ich aber noch drei Nachfragen.
Das stelle ich nicht in Abrede. Aber mit der Antwort
auf die Frage 30 wird ein Teil Ihrer eben gestellten Frage
mit beantwortet. Ihre Fragemöglichkeit möchte ich aber
nicht beeinträchtigen.
Gut, okay.
Dann rufe ich die Frage 30 des Kollegen Peter
Hettlich auf:
Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung sowohl im
nationalen als auch im europäischen Kontext, um die Produktion von Speicherchips auch künftig in Deutschland oder zumindest in Europa sicherzustellen, und hat sie diesbezüglich
bereits Gespräche mit der EU-Kommission oder im EU-Ministerrat geführt?
Die Bundesregierung befindet sich sowohl mit der betroffenen Wirtschaft als auch mit der Europäischen
Kommission in ständigem Kontakt hinsichtlich der
Situation der Halbleiterindustrie in Europa und in
Deutschland. Wie in anderen Industriebereichen auch
strebt sie mit der Kommission und anderen Mitgliedstaaten eine gemeinsame Orientierung an, die die Lage und
Entwicklungsmöglichkeiten der Halbleiterindustrie aufzeigt. Die Europäische Kommission wird voraussichtlich
im Juni dazu das erste Diskussionspapier vorstellen. Neben den Problemen, die die aktuelle Krise hervorruft,
werden insbesondere die Themen „Forschung und Entwicklung“, „Wettbewerbsfragen“ und „grundsätzliche industriepolitische Orientierungen“ eine Rolle spielen. Dabei
werden vor allem die internationale Wettbewerbslage und
der sogenannte Subventionswettlauf zu erörtern sein. Die
Bundesregierung hat schon bisher das „Silicon Saxony“ im
Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt. Sie wird mit der
Kommission und den anderen europäischen Staaten Strategien formulieren, um die technologische Basis der Halbleiterschlüsseltechnologie in Europa zu erhalten.
Das ist die Version, die eigentlich zu erwarten ist. Ansonsten sage ich Ihnen, dass die Sicherungsinstrumente,
die wir aufgebaut haben, technologieunabhängig sind.
Weltkrisenbedingte Probleme unterliegen den Möglichkeiten der Gestaltung im Rahmen der Hilfestellung des
Staates mit dem 15-Milliarden-Programm - je nachdem,
wie groß das Unternehmen ist - oder dem 100-Milliarden-Schirm, den wir aufgestellt haben. Die Mittel sind,
wie gesagt, technologieoffen, und wir schließen keine
Branche aus.
Ich sehe im Moment allerdings nicht, dass wir ein
spezielles Förderprogramm für die Halbleiterindustrie
auflegen. Bislang gehen wir davon aus, dass für diese
Branche das Gleiche gilt wie für andere Branchen: Wenn
der Absturz eine erhebliche krisenbedingte Komponente
hat, diese Branche in Europa bzw. in Deutschland aber
eine Perspektive hat, dann wird es Hilfsmöglichkeiten
geben; aber auch dann muss ein Unternehmens- bzw. ein
Branchenkonzept vorgelegt werden. Wenn es um eine
ganze Branche geht, ist das Ganze natürlich noch problematischer. Zu dieser speziellen Branche gehören aber so
wenige Player, dass sie fast wie eine Familie entscheiden
kann, wie es weitergehen soll. Außerdem wird diese
Branche im Moment weltweit gestützt.
Herr Hettlich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Schauerte, Sie
haben gesagt, dass das eine überschaubare Gruppe ist. In
Europa haben wir neben Grenoble nur den Standort
„Silicon Saxony“.
Als Antwort auf meine Frage hätte ich eigentlich etwas anderes erwartet. Deswegen frage ich noch einmal:
Was ist die Position der Bundesregierung? Bekennen Sie
sich dazu, dass die Speicherchiptechnologie weiterhin
im nationalen oder wenigstens im europäischen Kontext
aufrechterhalten werden soll? Sie haben gesagt, dass es
Gespräche und dies und das und jenes gibt. Aber wie
steht die Bundesregierung nun zu dieser Schlüsseltechnologie? Wenn Sie sagen: „Das ist uns egal, weil wir das
im weltweiten Kontext lösen können“, dann ist das eine
ehrliche Antwort. Damit könnte ich leben. Für die Leute,
die in diesem Cluster arbeiten und leben, ist die entscheidende Frage: Wie steht die Bundesregierung dazu? Ich
bitte um eine Antwort, auch wenn Sie die Sichtweise der
Europäischen Union noch nicht kennen.
In unserer Wirtschaftsordnung denkt die Politik nicht
jeden Tag darüber nach, wie eine Branche in die Welt
passt. Die Branchen entwickeln sich vielmehr, unterliegen einer eigenen Dynamik in einem Suchprozess, der
über Märkte organisiert wird. Wenn eine Branche auffällig wird, Probleme der besonderen Art bekommt, erst
dann wird seitens der Politik gefragt: Muss man hier in
besonderer Weise tätig werden? Da das keine rein nationale Frage ist, sondern wir diese Art der Branchenbetrachtung heute auf europäischer Ebene durchführen,
sind wir in Europa zurzeit dabei, die Situation vor dem
Hintergrund der Fragen zu untersuchen, die Sie gestellt
haben - wir geben noch keine Antwort, sondern untersuchen erst einmal -: Wie sieht es in dieser Branche national, in Europa und weltweit aus? Welche Signale bekommen wir aus Wissenschaft, Forschung und anderen
Bereichen, die in diesem Zusammenhang relevant sind?
Dann ist zu fragen, ob uns diese Branche so wichtig ist,
dass wir in besonderer Weise helfen müssen. Das sind
europäische Anstrengungen, und das wird eine europäische Entscheidung sein. Wir wollen keinen Alleingang
unternehmen; denn wenn wir einen Alleingang machen
würden, hätten wir - auch das ist Ihnen bekannt - das
Beihilfeproblem. Solche Maßnahmen müssen europäisch
abgestimmt sein.
Wir haben nicht von Anfang an gesagt, dass diese
Branche gerettet werden muss. Das können wir auch gar
nicht für jede Branche endgültig sagen. Die Frage, welche Überkapazitäten wir zu welchen Kostenbedingungen
an welchen Plätzen in der Welt haben, muss geklärt sein,
bevor wir sagen können, dass wir das in eigener Regie
fortsetzen wollen und welche Instrumente wir nutzen
wollen. Oder wir sagen - Sie deuteten das an -: Nein,
das ist ein Kampf gegen Windmühlen, den der Steuerzahler nicht dauerhaft aufrechterhalten kann. Dann geht
es um andere Fragen. Eine Antwort auf diese Fragen
kann ich Ihnen heute noch nicht geben.
Ich würde gerne erst Herrn Mücke Gelegenheit zu einer Nachfrage geben. Dann haben Sie, Herr Hettlich, die
Möglichkeit zu zwei weiteren Fragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben sich redlich bemüht, die Frage mit Gegenfragen zu beantworten. Das ist ein bisschen unbefriedigend.
Ich möchte deshalb klar und deutlich sagen: Laut Insolvenzverwalter gibt es nur eine einzige Lösungsmöglichkeit. Er hat vorgeschlagen, dass Qimonda in eine Zweckgesellschaft übernommen wird. Diese Gesellschaft soll
zu 20 Prozent durch einen chinesischen Investor mitfinanziert werden. Zu 80 Prozent sollen Portugal und
Deutschland Teilhaber dieser Firma werden, wobei nicht
ganz klar ist, wer mit Deutschland gemeint ist: die Bundesrepublik Deutschland und/oder der Freistaat Sachsen.
Zusätzlich soll das Geschäft durch eine Bürgschaft der
Europäischen Investitionsbank über 270 Millionen Euro
abgesichert werden. Meine Frage, die sehr klar mit Ja
oder Nein zu beantworten ist, lautet: Wird sich die Bundesregierung, wird sich die Bundesrepublik Deutschland
an einem solchen Konstrukt beteiligen?
Die Ursprungsfrage war: Ist die Bundesregierung bereit, die Bemühungen um den Erhalt dieses national und
europaweit bedeutsamen Clusters zu unterstützen? Sie
ergänzen diese jetzt mit der konkreten Frage, ob wir eine
Bürgschaft der Europäischen Investitionsbank in Höhe
von 270 Millionen Euro unterstützen. Das ist eine sehr
weitgehende Konkretisierung. Ich bin nicht in der Lage,
diese Frage zu beantworten. Denn hier gibt es einen ganz
konkreten Prüfungsvorgang. Dies ist ein Vorschlag eines
Konkursverwalters, der sich, wie wir hören, sehr intensiv und kompetent um die Lösung dieses komplexen
Themas bemüht. Wir sehen überhaupt keine Veranlassung, negativ zu reagieren.
In meiner Antwort habe ich vorgetragen: Die Bundesregierung wird mit der Kommission und den anderen europäischen Staaten Strategien formulieren, die technologische Basis der Halbleiterschlüsseltechnologie in
Europa zu erhalten. Wenn, wie Sie mir sagen, Sachsen
der einzige Standort hierfür in Europa ist, dann beinhaltet diese Antwort eine weitere Aussage: Wir unterstützen, dass sie in Europa erhalten bleibt. Wenn es nur noch
den Standort in Sachsen geben sollte - ich kann das im
Moment nicht bestätigen -, ist das eine ziemlich interessante Antwort.
({0})
Sie werden hoffentlich Verständnis dafür haben, dass ich
auf eine Frage bezüglich eines Beschlusses über eine
Bürgschaft jetzt keine konkrete Antwort geben kann.
Herr Mücke kann jetzt leider nicht dazu nachfragen
oder sich dazu äußern, wie viel Verständnis er hat, außer
er stellt eine Nachfrage zu Frage 30. Hierzu ist jetzt aber
erst Herr Hettlich dran.
Ich habe insgesamt zu der Antwort, die Sie eben gegeben haben, eine Nachfrage, weil Sie es relativ theore23090
tisch dargestellt haben nach dem Motto: Wir werden
dann entscheiden, ob wir Steuergelder dazu geben. - Haben wir nicht sowieso schon eine industriepolitische Entscheidung getroffen, als wir in den 90er-Jahren gesagt
haben, dass wir diesen Mikrochipstandort in Deutschland entwickeln wollen? Haben wir nicht schon dadurch,
dass auch Bundesmittel, und zwar direkt oder indirekt,
beispielsweise über den Solidarpakt, in diesen Cluster
geflossen sind, deutlich gemacht, dass wir industriepolitisch gar nicht mehr darüber diskutieren müssen? Wenn
wir A sagen, müssen wir auch B sagen. Die Erhaltung
eines Clusters ist eine zentrale Frage.
Ich will an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass eine zentrale Strategie für den Aufbau Ost immer war, diese Cluster entstehen zu lassen und ihnen
beim Wachsen zu helfen. Insofern stellt sich diese Frage
anders dar, als wenn man in Westdeutschland darüber
diskutiert. Industriepolitische Fragen beispielsweise bezüglich des maritimen Clusters zur Seeschifffahrt an der
Ostseeküste oder bezüglich des Automobilclusters Ostdeutschland - da könnte ich jetzt auch Opel nennen sind in Ostdeutschland anders zu beantworten. Sie sind
eigentlich bereits beantwortet; denn wer A sagt, muss
aus meiner Sicht auch B sagen.
Meine Frage konkret bezogen auf diesen Cluster lautet: Sind wir nicht schon über diesen Punkt hinaus, weil
wir von unserer Seite gesagt haben, dass wir das wollen?
Wir haben schon sehr viel Geld in die Hand genommen.
Insofern stellt sich die Frage: Riskieren wir mit einem
Rückzug aus diesem Bereich nicht ein komplettes Kollabieren des Clusters „Silicon Saxony“?
Herr Kollege Hettlich, ich verstehe das. Aber einen
Automatismus - weil man einmal Geld in eine Maßnahme gesteckt hat, muss man es immer tun - wird es
bei aller gebotenen besonderen Behandlung der neuen
Länder nicht geben. Die Tatsache, dass da bereits viel
Geld geflossen ist, wird bei der Beurteilung, ob und wie
man weitermacht - das Wie halte ich fast für wichtiger
als das Ob -, eine gebührende Rolle spielen; das ist klar.
Das bindet ein Stück weit, aber es ersetzt keine neue
Entscheidung. Ihre Betrachtungsweise stellt sich aus der
Perspektive der Haushälter also völlig anders dar.
Stellen Sie sich dies einmal im Rahmen der Debatte
vor, die wir gerade geführt haben: Wir helfen einem Industrieunternehmen tatkräftig mit 500 Millionen Euro,
und am Ende stellt sich heraus, dass wir noch einmal
500 Millionen Euro brauchen. Dann würde ich mir immer noch vorbehalten, entscheiden zu können, dass die
ersten 500 Millionen Euro falsch eingesetzt waren, bevor ich die nächsten 500 Millionen Euro auch falsch einsetze. Deswegen unterstellen Sie bitte keinen Automatismus. Natürlich ist ein vorangegangenes Investment ein
wichtiges Indiz, ob man die Unterstützung verlängert
und fortsetzt; das kann man nicht einfach beiseiteschieben.
Deswegen nochmals der letzte Satz meiner ursprünglichen Antwort: Die Bundesregierung wird gemeinsam
mit der Europäischen Kommission und den anderen europäischen Staaten Strategien formulieren, um die technologische Basis der Halbleiterschlüsseltechnologie in
Europa zu erhalten. - Die Situation in Sachsen steht dabei im Zentrum unserer Überlegungen. Was soll ich dazu
noch sagen? Ich bin nicht die Bewilligungsbehörde.
Herr Hettlich, haben Sie noch eine allerletzte Frage zu
der Aussage, dass Sachsen im Zentrum steht?
Ja. - Herr Schauerte, ich weiß, dass Sie nicht die Bewilligungsbehörde sind. Aber ich weise Sie darauf hin:
Noch vor wenigen Jahren, in den Jahren 2005 und 2006,
wurde eine große Investition eines anderen großen Halbleiterherstellers in Dresden mit sehr viel Steuergeld gefördert. Ich möchte jetzt keinen Namen nennen. Es ist allerdings bekannt, dass damals ein hoher dreistelliger
Millionenbetrag geflossen ist, um die Erweiterung der
FEP GmbH zu finanzieren.
Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage:
Wenn wir eine Clusterstrategie haben und sagen, dass
wir viel Geld in die Hand nehmen, müssen wir dann
nicht einen längeren Zeitraum als drei, vier oder fünf
Jahre im Blick haben? Braucht man nicht vielmehr eine
langfristige Strategie, die sich vielleicht sogar über mehrere Dekaden erstreckt? In denke, in diesem Zusammenhang sollte man neben den kurzfristigen Problemen dieser Industrie auch die langfristigen Möglichkeiten der
verschiedenen Standorte berücksichtigen.
Ich wiederhole: Für mich stellt sich generell die
Frage, ob die Clusterstrategie für Ostdeutschland möglicherweise falsch war. Wenn wir uns, sobald irgendwo
ein Problem mit dem Cluster auftaucht, zurückziehen,
riskieren wir, dass andere Firmen, die noch gesund zu
sein scheinen, mit in diesen Strudel gezogen werden.
Sie haben gerade gesagt, es gebe systemische Krisen
und Krisen einzelner Unternehmen. Die Clusterprobleme liegen allerdings genau dazwischen. Auf die Fragen, die ich gerade gestellt habe, hätte ich gerne eine
Antwort von Ihnen, wenn nicht heute, dann zumindest
im Rahmen der politischen Diskussionen der nächsten
Wochen und Monate.
Herr Kollege Hettlich, sie haben recht. Aber auch für
Cluster gilt, dass sie nicht ewig als Cluster behandelt
werden. Vielmehr hoffen wir, dass sie schon bald selbstständig auf dem Markt funktionieren; das ist klar.
Das, was Sie sagten, will ich wirklich nicht in Abrede
stellen. Die Bundesregierung zeigt bei diesem Thema
sehr viel guten Willen. Ich darf aber noch einmal darauf
hinweisen: Die Bundesregierung hat das „Silicon
Saxony“ im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits in der
Vergangenheit unterstützt. Sie wird sich auch in Zukunft
auf europäischer Ebene für seinen Erhalt einsetzen. Bitte
lassen Sie diesen Satz auf sich wirken. Sie können davon
ausgehen, dass sich die Bundesregierung sehr wohlwollend und konstruktiv mit diesem Thema befasst. Aber
eine Argumentation nach dem Motto „Einmal Cluster,
immer Cluster“ kann ich auch unter ordnungspolitischen
Gesichtspunkten nicht unterstützen. Da ich aus dem
Ruhrgebiet komme, nenne ich folgendes Beispiel: Wenn
wir früher auch in Bezug auf die Kohle „Einmal Cluster,
immer Cluster“ gesagt hätten, wäre dies nicht der
klügste Umgang mit diesem Thema gewesen. Hier werden Sie mir sicherlich zustimmen.
Herzlichen Dank.
Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
zu den Antworten der Bundesregierung auf die
Fragen Nr. 19 und 20 auf Drucksache 16/12355
({0})
Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle
Stunde.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Thiele für die FDP-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist richtig und
überfällig, dass wir uns heute in diesem Hause mit der
Hypo Real Estate beschäftigen.
({0})
Die Hypo Real Estate ist inzwischen zum größten Risiko
für die Steuerzahler geworden. Bislang hat der Staat für
die Hypo Real Estate Hilfen in Höhe von fast
100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
({1})
Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Wochen und
Monaten weitere zig Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden müssen.
In der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe des
Stern wird aus einem internen Gutachten zitiert, in dem
davon die Rede ist, dass die notwendigen Staatshilfen einen Umfang von bis zu 235 Milliarden Euro haben
könnten, und das bei einem Bundeshaushalt, der nur fast
300 Milliarden Euro umfasst. Angesichts dessen müssen
wir uns fragen: Worum geht es, muss geholfen werden,
und hätte man etwas tun können, um diese Hilfen zu vermeiden? Darüber sollten wir hier und heute reden.
({2})
Im Herbst letzten Jahres fand im Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages eine denkwürdige Sitzung statt.
Uns wurde erklärt, dass die Hypo Real Estate, damals
immerhin der drittgrößte Finanzkonzern unseres Landes
und im DAX notiert, überhaupt keiner Bankenaufsicht
unterliegt. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, und so ging es
auch den Kolleginnen und Kollegen. Nun sind die Stühle
dort sicher - sie haben Armlehnen -; es ist nichts
passiert. Es geht mir darum, hier für die deutsche Öffentlichkeit noch einmal deutlich zu machen, dass ein Institut dieser Größenordnung überhaupt nicht der Finanzaufsicht unterlag.
({3})
Das halte ich für einen unglaublichen Vorgang.
({4})
Die FDP-Fraktion ist dem mit schriftlichen Fragen
nachgegangen. Es wurde vernebelt, es wurde ausgewichen. In der letzten Woche hat die Bundesregierung erstmalig eingeräumt, dass im April 2007 Vorschläge erbeten wurden, wie hier eine Lücke geschlossen werden
soll. Im Mai lagen die Vorschläge vor. Das war, wie gesagt, 2007.
({5})
Schauen wir uns das Weitere an: Noch im Juni 2008 ist
ein Herr Flowers mit etwa 1 Milliarde Euro als Investor
in die Bank eingestiegen. Die Milliarde hat er heute
nicht mehr; das ist aber eine andere Frage.
Damals war die Welt noch eine ganz andere. Wenn
frühzeitig darauf hingewiesen worden wäre, dass eine
Regelungslücke besteht und geschlossen werden muss,
und die Regierung Vorschläge unterbreitet hätte, hätte
die Aufsicht ganz anders agieren können, wären die Probleme viel früher deutlich geworden. So ist die entsprechende Gesetzesänderung im Deutschen Bundestag erst
im Dezember 2008 in erster Lesung behandelt und erst
im Februar dieses Jahres beschlossen worden.
An dieser Stelle muss man einmal fragen: Sind der
Finanzminister und sein Ministerium die Retter, die das
Problem lösen, oder tragen sie nicht vielmehr eine Mitverantwortung dafür, dass hier Probleme für den Steuerzahler entstanden sind, deren Dimension unvorstellbar
ist?
({6})
Sie alle wissen, wie wir gerade in der Debatte über
den Haushalt darüber streiten, auch nur 1 Million Euro
für etwas zur Verfügung zu stellen. Bei der HRE geht es
um mehrstellige Milliardenbeträge, um Beträge, die jegliche Vorstellung sprengen. Hier muss die Frage nach
der Verantwortung gestellt werden.
Gestern stand im Handelsblatt ein Artikel mit der
Überschrift „HRE geht wieder auf Brautschau“. Dabei
handelt es sich bei der HRE um ein Finanzinstitut, welches einen Börsenwert von nur noch 200 Millionen Euro
hat, und auch das nur deshalb, weil inzwischen fast
100 Milliarden Euro an staatlichen und privaten Sicherheiten für das Institut zur Verfügung gestellt werden.
Wie hier überhaupt ein Kurs, wie hier überhaupt ein
Kompass existieren kann, ist uns unbegreiflich.
Die FDP ist der Auffassung: Der Finanzmarkt darf
keinen Schaden nehmen. Das war der Grund, warum wir
dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz auch aus der Opposition heraus zugestimmt haben.
({7})
Aber es ist unsere Pflicht, Fragen zu stellen, wie es zu
dem Schlamassel - der ja längst nicht beendet ist - überhaupt kommen konnte. Dieser Aufgabe werden wir uns
stellen, und wir werden nicht nachlassen.
({8})
Wir haben heute Morgen im Finanzausschuss erstmalig erfahren, dass die Probleme schon 2006 bekannt waren. Schon 2006 wusste man, wie das war. Und man
muss sich anschauen, wie die Hypo Real Estate überhaupt entstanden ist: Im Jahr 2003 hat die HypoVereinsbank einen Teil abgespalten und eine neue Bank gegründet, erstaunlicherweise in Form einer Finanzholding.
Man hat also von vornherein gesehen, dass eine Regelungslücke besteht, und gezielt in diese Regelungslücke
hinein das neue Finanzinstitut gegründet. Hier hätten
frühzeitig die Alarmglocken läuten müssen, dass man
das genau beobachten muss, dass man das im Griff behalten muss. Diese Verantwortung trifft die Aufsicht,
trifft die BaFin, trifft die Bundesbank, trifft aber auch
den Bundesfinanzminister.
Im Interesse der Steuerzahler werden wir uns weiter
um Aufklärung bemühen. Eine solche Sache hätte nie
entstehen müssen, wenn vernünftig vorgegangen worden
wäre.
Herzlichen Dank.
({9})
Der Kollege Otto Bernhardt hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Rahmen der internationalen Finanzkrise sind
weltweit viele Finanzinstitute, insbesondere Kreditinstitute, in eine große Schieflage gekommen, leider auch
eine Reihe von Instituten in Deutschland. Kein Institut
hat allerdings so große Probleme wie die Hypo Real
Estate mit sich gebracht. Die Bank war vor der Krise eigentlich nur der Fachwelt bekannt. Inzwischen steht sie
praktisch für die internationale Finanzkrise am Standort
Deutschland.
Allein aus unserem 400-Milliarden-Euro-Programm,
dem Bankenschirm, der für alle Banken gedacht war,
sind bisher 87 Milliarden Euro, also über 20 Prozent, als
Sicherheit in diese Bank geflossen. Hinzu kamen 15 Milliarden Euro von der Finanzwirtschaft, also 102 Milliarden Euro. Alles spricht dafür, dass diese 102 Milliarden
Euro nicht das Ende sind. Es sieht zurzeit leider sogar so
aus, dass wir in erheblichem Umfang auf den 80-Milliarden-Euro-Fonds, in dem nun richtiges Geld liegt, zurückgreifen müssen. Ich beziehe mich auf Presseberichte, nach denen man etwa 10 Milliarden Euro für
diese Bank braucht, das wären 12 Prozent unserer gesamten Mittel.
Dass dies dazu geführt hat, dass wir praktisch in jeder
Finanzausschusssitzung über dieses Institut gesprochen
haben, kann nicht überraschen. Wir tragen hier als Parlamentarier eine große Verantwortung. Es hat kaum eine
Rede zur internationalen Finanzkrise von diesem Platz
aus gegeben, in der dieses Institut nicht als negatives
Beispiel genannt wurde. Auch wir von der Union haben
im Ausschuss so manche Frage gestellt. Ich kann aus
meiner Sicht nicht sagen, dass diese Fragen nicht beantwortet worden sind. Aber ich weiß, dass eine Reihe von
Kollegen mit den Antworten - ich sage es einmal vorsichtig - nicht ganz zufrieden waren.
({0})
Ich muss natürlich anerkennen, dass die Einsetzung
eines Untersuchungsausschusses nun einmal ein Minderheitenrecht ist: Für die Einsetzung sind 25 Prozent der
Abgeordneten erforderlich. Dass wir einen Untersuchungsausschuss nicht wollen, weil wir glauben, wir
würden dann nur weitere Fragen stellen, anstatt die vorhandenen Instrumente zu nutzen, aber die Oppositionsfraktionen bei einem solchen Brocken einen Untersuchungsausschuss fordern, kann aus meiner Sicht nicht
kritisiert werden.
({1})
Ich muss an dieser Stelle aber drei kritische Anmerkungen machen, über die wir uns im Klaren sein müssen:
Die erste Anmerkung bezieht sich auf den Zeitfaktor.
Der Ausschuss wird sich wohl nach den Osterferien konstituieren. Die Arbeit müsste eigentlich in den ersten Julitagen zu Ende sein. Natürlich kann man auch im
Sommer weiter tagen. Wir stehen also unter einem entsetzlichen Zeitdruck.
Die zweite Anmerkung bezieht sich auf das Arbeitspensum. Angesichts des Arbeitsprogramms der Finanzpolitiker - hier sitzen viele aus allen Fraktionen fällt es schwer, drei zu finden, die bereit sind, sich in die
Arbeit zu stürzen.
({2})
Die dritte Anmerkung bezieht sich auf die Mitarbeiter. Das Finanzministerium hat zwar 2 000 Mitarbeiter.
Aber es sind natürlich immer dieselben, die mit diesen
Fragen konfrontiert werden; das ist völlig klar. Von den
2 000 Mitarbeitern werden sich etwa ein Dutzend mit
diesen Fragen beschäftigen. Das sind genau die Leute,
die jetzt in der internationalen Finanzkrise mehr als
40 Stunden pro Woche arbeiten und kein freies Wochenende kennen.
Ich fasse die drei kritischen Punkte zusammen und
sage: Das Wichtigste ist natürlich, dass keine ungeklärten Fragen im Raum bleiben; denn dies würde zu
Misstrauen führen. Das können wir uns bei einem so gewichtigen Problem nicht leisten. Der Vorteil des Untersuchungsausschusses ist natürlich, dass der Finanzminister mit der notwendigen Zeit auf alle kritischen Fragen in
aller Deutlichkeit ausführlich eingehen kann, dass die
Bankenaufsicht jeden einzelnen Punkt, der hier kritisiert
wird, in Ruhe - hoffentlich - widerlegen kann, dass auch
die Deutsche Bundesbank die kritischen Fragen, die
noch im Raume stehen, ausführlich beantworten kann.
Die Zeit hat man ansonsten nicht.
Vor diesem Hintergrund sage ich: Wir würden die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht beantragen und einem entsprechenden Antrag auch nicht zustimmen. Wir haben Verständnis für die drei Oppositionsfraktionen. Wir würden in einem solchen Ausschuss
natürlich konstruktiv mitarbeiten, weil auch wir wissen,
welche Bedeutung dieses Problem für den deutschen
Finanzmarkt, insbesondere aber für den deutschen Steuerzahler hat.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Aktuelle Stunde ist nicht etwa deshalb notwendig
geworden, weil die Opposition die Regierung ärgern
will, sondern weil die Bundesregierung in der Krise
nicht annähernd angemessen handelt und zudem die Öffentlichkeit und das Parlament schlecht informiert.
Garantien von über 100 Milliarden Euro - 87 Milliarden Euro davon kommen vom Staat - für die Hypo Real
Estate sind schon erwähnt worden. Am Freitag vergangener Woche wurde ein Extragesetz zur potenziellen
Enteignung dieser Bank verabschiedet. Nur zur Klarstellung für die Öffentlichkeit: Es handelt sich hier um die
Enteignung von Schulden.
Bekannt geworden sind Ermittlungen der Münchener
Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue.
Alle Unterlagen dieser Bank aus den Jahren 2006 bis
2008 werden untersucht. Der Stern berichtet heute über
ein Gutachten zum Ausfallrisiko bei der HRE. Hier tun
sich neue Abgründe auf. Mein Vorredner hat sie vorsichtig beschrieben. Ich will auch nicht weitergehen. Wir
haben des Öfteren moniert, dass mit der jetzigen Gesetzeslage völlig im Unklaren gelassen wird, ob die Steuergelder bei einer geplanten Reprivatisierung der HRE jemals zurückfließen werden.
Bei der Aufklärung gibt es einen Kernpunkt, der hier
deutlich ausgesprochen werden muss: Bis zum
28. September 2008 gab es eine Haftungsfrist für die
Mutterbank der HRE. Das war die bayerische HypoVereinsbank. Einen Tag danach zeichnete Bundesfinanzminister Steinbrück die erste HRE-Bürgschaft ab. Wir
wollen wissen, ob das Zufall ist.
({0})
Nur einige Wochen zuvor erreichte ein Prüfbericht
der Bankenaufsicht zur HRE und zur irischen Tochter
der HRE, der DEPFA Bank, den Bundesfinanzminister
nicht, weil er bei einem Abteilungsleiter im BMF aufgehalten wurde.
({1})
Wenn die Zeitungsberichte vom Herbst 2008 stimmen,
dann sind der besagte Abteilungsleiter und der heutige
Staatssekretär Asmussen ein und dieselbe Person.
({2})
Wir wollen wissen, ob das Zufall ist. Deshalb lautet die
Kernfrage: Hat das BMF Anteil - ob mutwillig oder
fahrlässig - an einer Haftungsverjährung?
({3})
Eine ganz aktuelle Parallele nebenbei: Heute tagt die
Hauptversammlung der Deutschen Industriebank, IKB,
die 2008 an die Heuschrecke Lone Star faktisch verschenkt wurde. Zum Dank beantragt Lone Star heute die
Einstellung der Sonderprüfung bei der IKB. Das ist, gelinde gesagt, ein Skandal.
({4})
Wir erinnern Sie an dieser Stelle: Die Linke hatte
auch zur IKB die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Die Öffentlichkeit wurde über die
IKB-Vorgänge - um es vorsichtig zu sagen - ganz offenbar unzureichend informiert, obwohl die halbe Bundesregierung im Aufsichtsrat der Mutterbank Kreditanstalt
für Wiederaufbau sitzt. Diese Verschleierung bei der
IKB darf sich bei der HRE nicht wiederholen. Deshalb
sagen wir: Untersuchungsausschuss jetzt!
({5})
Nun zu den Einwänden. Herr Kollege Bernhardt, wir
können und wir werden den Untersuchungsauftrag so
konkret und präzise formulieren, dass der Untersuchungsausschuss auch in zugegeben kurzer verbleibender Zeit zu einem Ergebnis kommt. Wir sagen Ihnen:
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf.
({6})
Die Ablehnung des Untersuchungsausschusses - das
haben wir gerade erlebt - fiel ausgesprochen pflichtgemäß und oppositionsfreundlich aus. Bei so viel Unmut,
der aus der Union über das BMF und sein Informationsgebaren in letzter Zeit öffentlich geäußert wurde, wäre
eine stärkere als die vom Kollegen Bernhardt vorgetragene Aufregung auch unglaubwürdig gewesen. Das
muss der Kollege geahnt haben.
({7})
Mein Fazit: Diese Bundesregierung wird ihrer Verantwortung aktuell nicht gerecht. Sie erklärt nach wie vor
nicht, wer die Zeche bei der Bankenrettung bezahlen
soll. Stattdessen führen Sie innerhalb der Großen Koalition einen permanenten Bundestagswahlkampf gegeneinander. Wir sagen Ihnen: Darauf haben Sie Ihren
Amtseid nicht geleistet. Wirklich gebraucht wird in dieser Zeit ein Schutzschirm für die Menschen in unserem
Land.
Vielen Dank.
({8})
Florian Pronold von der SPD-Fraktion ist der nächste
Redner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, wir alle haben in dieser Finanzkrise in den letzten Monaten eine ganze Menge über alle möglichen Unzulänglichkeiten des Finanzsystems dazulernen müssen.
Ich teile die Auffassung, dass die Öffentlichkeit ein
Recht auf Aufklärung hat, wie viele Steuergelder in die
Hypo Real Estate geflossen sind und welche Bürgschaften sie erhalten hat. Wenn ein Untersuchungsausschuss
nötig wäre, um eine ausreichende Transparenz zu schaffen, dann wären die Steuergelder dafür sinnvoll verwendet. Aber wenn Sie Mitglied des Finanzausschusses wären, sehr geehrter Herr Kollege Claus, dann hätten Sie
heute Vormittag wie auch in den letzten Sitzungen des
Finanzausschusses erlebt, dass die Bundesregierung beispielsweise auf die Kleine Anfrage der FDP detailliert
und in aller Ausführlichkeit zu allen angesprochenen
Fragen Auskunft gegeben hat.
({0})
Das, was Sie mit der Frage der Haftungsfristen bei der
Fusion wieder zum Untersuchungsgegenstand machen,
ist bereits von der Bundesregierung im Finanzausschuss
ausführlich und ausgiebig widerlegt worden.
({1})
Ich weiß nicht, warum das hier wieder vorgebracht wird.
Man muss sich nur bei denjenigen erkundigen, die an der
Sitzung teilgenommen haben. Auch Sie haben schließlich einen Vertreter im Finanzausschuss. Das muss man
hier nicht noch einmal vorbringen; denn das führt zu einem falschen Bild in der Öffentlichkeit und trägt zur
Verunsicherung bei.
({2})
Der nächste Punkt ist die Bezugnahme auf eine Wochenzeitschrift, die über ein neues Gutachten berichtet
hat. Man sollte das Gutachten vielleicht in Gänze zitieren.
({3})
- Das, was in dem Stern-Artikel steht, bezieht sich auf
die Ausfallrisiken, falls der Staat nicht eingreifen sollte.
Das geht aber aus dem Gutachten nicht hervor. Auch das
muss man sehen. Denn andernfalls würde die Problemlage deutlich überzeichnet. Ich glaube, damit wäre niemandem gedient.
Herr Kollege Thiele, ich „bewundere“ die Selbstgefälligkeit, mit der die FDP, die als geistiger Brandstifter
dieser Finanzmarktkrise gilt,
({4})
jetzt als Feuerwehrmann auftritt.
({5})
Immer wenn wir im Finanzausschuss über die Verschärfung der Bankenaufsicht geredet haben, hat die FDP von
Bürokratie gesprochen und sich gegen eine vernünftige
Regulierung gewandt.
({6})
Wenn Sie nachher mit dem Zeigefinger auf andere
zeigen, zeigen mindestens vier Finger zurück. Wahrscheinlich sind es aber fünf, sechs oder sieben.
({7})
- Ja, so ist es.
({8})
Interessant ist auch, wann diese Aktuelle Stunde stattfindet. Wenn wir über die Finanzmarktkrise reden, dann
geht es um mehrere Ursachen. Eine der Ursachen betrifft
zum Beispiel die Frage, was Steueroasen mit der Destabilisierung des internationalen Finanzmarktes zu tun haben. Zeitgleich findet eine Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu dieser höchst
spannenden Frage statt. Offensichtlich ist das Interesse
an der Beantwortung der Frage auch bei der FDP nicht
besonders stark ausgeprägt; denn sie widmet sich lieber
zum wiederholten Male hier dieser Frage.
Ich komme zum letzten Punkt. Sie haben es angesprochen Herr Thiele: Ihre Sorge gilt dem Herrn Flowers,
({9})
den Sie zur Anhörung des Deutschen Bundestages zu
diesem Thema eingeladen haben. Sie machen sich Sorgen, wie jemandem, der ein riesiges Investment getätigt
hat, mit Steuergeldern geholfen werden kann. Das ist
doch das einzige Ziel, um das es geht. Wir alle wissen,
dass die Hypo Real Estate eine systemrelevante Bank ist,
die wir nicht scheitern lassen können. Sonst erleben wir
das, was mit Lehman Brothers passiert ist, in einem noch
viel größeren Ausmaß.
Was Sie machen, ist wirklich zynisch:
({10})
Auf der einen Seite verteufeln Sie immer den Staat. Auf
der anderen Seite wollen Sie dann aber den Steuerzahler
in Haftung nehmen, um einem Großinvestor das Risiko
mit Steuergeldern zu vergolden. Wenn Sie dieselben Sorgen und dasselbe soziale Engagement nicht nur bei amerikanischen Großinvestoren, sondern auch beim Mindestlohn an den Tag gelegt hätten, dann wären Sie viel
glaubhafter.
({11})
Jetzt hat Alexander Bonde das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lage bei der Hypo Real Estate ist dramatisch. Der
Bund ist inzwischen mit 87 Milliarden Euro Steuergeldern engagiert, um die Risiken dieser Bank abzudecken.
Die Risiken werden täglich größer. In Horrormeldungen
wird immer von Größenordnungen im Milliardenbereich
ausgegangen, die die meisten Landeshaushalte in dieser
Republik übersteigen. Ich finde, dass man hier im Parlament, getragen von der Mehrheit, viel zu lange keine kritischen Fragen gestellt und sich blind - genauso wie es
der Kollege Pronold gerade getan hat - hinter das Handeln der Bundesregierung gestellt hat. Das Parlament
muss endlich Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen
und Bürgern und für ihr Geld übernehmen, das man bei
verschiedenen Staatsrettungsaktionen riskiert.
({0})
Es gibt keine Rede der Bundesregierung, in der nicht
betont wird, dass man in dieser Krise nur auf Sicht fliegen kann. Aber wer auf Sicht fliegt, darf nicht auch noch
die Augen schließen. Spätestens dann befindet man sich
im Blindflug. Das kann das Parlament nicht zulassen.
({1})
Wir wollen wissen, wie es zu dieser Situation bei der
Hypo Real Estate kommen konnte. Wir wollen endlich
wissen, wann die Bundesregierung was wusste. Wir wollen wissen, warum die Berichte, die wir heute kennen,
nicht zu Aktionen der Bundesregierung zur Behebung
der Probleme geführt haben. Wir wollen wissen, warum
die Lage der Hypo Real Estate im Zuge der Verabschiedung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes völlig unterschätzt wurde.
Die bisherigen Maßnahmen bedeuten nicht, dass die
Lage bei der Hypo Real Estate geklärt ist. Vielmehr sind
die Bürgerinnen und Bürger mit 87 Milliarden Euro
quasi mitten drin. Das Erpressungspotenzial der Aktionäre gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern
ist eher noch gestiegen. Es gibt hier einen erheblichen
Aufklärungsbedarf, den wir in den Gremien nicht decken können - nicht, weil wir uns als Opposition nicht
bemüht hätten, sondern deshalb, weil die Bundesregierung uns gegen eine Wand laufen lässt und nicht bereit
ist, umfassend Auskunft zu geben.
({2})
Deshalb bleibt uns als Opposition nichts anderes übrig,
als zur schärfsten Waffe zu greifen und in dieser Woche
die Einsetzung eines Untersuchungssauschusses zu beantragen.
({3})
- Wenn der Kollege Pronold „Wahlkampf“ ruft, dann
sage ich Ihnen: Sie von der Koalition argumentieren ausschließlich mit zeitlichen Aspekten und sagen, die Zeit
reiche nicht mehr, weil man nur noch ein paar Sitzungswochen habe. Wir, das Parlament, haben aber eine Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern,
was im Zweifel bedeutet, dass man auch einmal auf zwei
Sommerfeste verzichten muss, um den Aufgaben des
Parlaments nachzukommen, Herr Pronold und Herr
Bernhardt.
({4})
Wir, das Parlament, müssen die Augen aufmachen.
Sie, die Sie die Mehrheit haben, haben sich den Schneid
beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz abkaufen lassen
und uns ein Gremium beschert, in dem einer Reihe von
Kolleginnen und Kollegen zusammen mit mir als „Geheim“ eingestufte Ad-hoc-Meldungen aus den Zeitungen
vorgelesen werden, die Öffentlichkeit aber dort, wo es
interessant wird, ausgeschlossen wird und so nicht vollständige Transparenz hergestellt werden kann, die bei
der Finanzierung von Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen notwendig wäre. All das macht es für uns unumgänglich, Sie von den Regierungsfraktionen aufzufordern, endlich gemeinsam mit uns Verantwortung dafür
zu übernehmen, dass Transparenz hergestellt und geklärt
wird, warum die Situation bei der Hypo Real Estate
heute so ist, wie sie ist.
Ich will an der Stelle offen sagen, dass wir auch die
Verantwortung haben, jetzt endlich Blockadestrategien
hinsichtlich der Rettung der Hypo Real Estate zu beenden. Das betrifft die Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, die diese Frage, nämlich ob man das notwendige
Rettungsinstrument der Verstaatlichung im Falle der
Blockade von Aktionären einsetzt, ideologisch überhöhen. Sie verweigern sich da einer notwendigen Lösung,
({5})
obwohl Sie wissen, dass der Preis von den Bürgerinnen
und Bürgern gezahlt worden ist.
Genauso unverantwortlich ist die Handlungsweise
von Bundesländern, die erneut den Föderalismus pervertieren und mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses versuchen, auf Kosten der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler billige Deals zu ihren Gunsten zu machen.
Das geschieht in einer Situation, in der wir alle wissen,
dass die Hypo Real Estate eine Bombe auf dem Finanzmarkt ist, die wir alle gemeinsam dringend entschärfen
müssen.
({6})
Ich fordere Sie auf, umzuschalten und die Fragen zu
klären und die Probleme zu lösen. Wir werden den Untersuchungsausschuss hoffentlich am Freitag einsetzen.
Ich fordere Sie auf, nicht zu versuchen, durch Ausnutzung der Geschäftsordnung eine neue Blockade zu errichten. Dafür sind die Probleme viel zu gravierend. Das
Parlament muss jetzt herausfinden, wer die Profiteure
von Rettungen sind, es muss Ross und Reiter nennen
und eine ehrliche und transparente Bilanz ziehen. Nur
auf dieser Basis können wir wirklich Maßnahmen beschließen, die uns aus der Krise bringen.
Herzlichen Dank.
({7})
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Volker
Wissing für die FDP-Fraktion.
({0})
- Entschuldigen Sie. Ich habe den Namen extra aufgeschrieben, weil die Reihenfolge der Redner getauscht
worden ist.
Herr Fromme, Sie sind der nächste Redner.
({1})
Herr Kollege Niebel, auf die Redezeit zu verzichten,
würde bedeuten, den Unsinn noch zu vergrößern. Das
machen wir lieber nicht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich halte einen Untersuchungsausschuss in dieser Situation nicht für ein probates Mittel. Die Diskussion hier
macht doch schon deutlich, dass es am Ende gar nicht
um Fakten geht, sondern im Wesentlichen um Polemik.
Deswegen würde uns ein Untersuchungsausschuss nicht
weiterhelfen. Wir haben aber nichts dagegen. Wir haben
nichts zu verbergen. Deswegen werden wir uns gegen einen Untersuchungsausschuss nicht sperren. Ich sage
aber noch einmal: Schon diese Debatte macht deutlich,
was dabei herauskommen wird.
Ex-post-Betrachtungen helfen doch nicht bei der Problemlösung. Ich frage mich, wo diejenigen, die jetzt alle
so schlau sind und sagen, die Alarmglocken hätten
längst klingeln müssen, zu der Stunde gewesen sind, als
sie hätten klingeln sollen.
({0})
Ich erinnere an die Rede des Bundespräsidenten, die er
gerade gehalten hat. Er hat schon vor Jahren den zarten
Versuch gemacht hat, die neuen Instrumente des Finanzmarkts kritisch zu hinterfragen. Ich erinnere mich sehr
deutlich an die Debatte in diesem Hause, als diejenigen,
die kritisch gefragt haben, weil sie das nicht verstanden
haben, als Ewiggestrige und als dumm hingestellt worden sind. Damals wäre Kritik angebracht gewesen. Nur
derjenige, der damals Einspruch erhoben hat, darf sich
heute mit Fug und Recht hinstellen und sagen, dass etwas falsch gelaufen ist. Wir alle haben Fehler gemacht,
und deswegen müssen wir uns alle - Herr Kollege
Bonde, da stimme ich Ihnen zu - darum bemühen, dass
der Schaden möglichst klein gehalten wird, und uns als
Feuerwehr und nicht als Brandstifter betätigen.
Herr Kollege Pronold, ich will Ihnen eines sagen:
Eine andere Informationspolitik hätte dazu beitragen
können, die Dinge nicht so weit eskalieren zu lassen.
({1})
Ich muss schon sagen - das habe ich schon mehrfach öffentlich gesagt -: Ich fühle mich in dem entsprechenden
Gremium nicht so unterrichtet, wie es möglich gewesen
wäre.
({2})
- Das habe ich mehrfach öffentlich gesagt. Deswegen
kann ich das hier wiederholen. Herr Kollege Thiele, ich
würde Ihnen empfehlen, sich mit Ihrem Kollegen
Toncar, der auch in diesem Gremium sitzt, öfter einmal
zu unterhalten. Ich glaube, dann würden Ihnen viele Fragen beantwortet, die Sie hier in den Raum gestellt haben.
Ich will hier etwas deutlich sagen, damit keine Verwirrung eintritt: Es wird immer so getan, als ob zweioder dreistellige Milliardenbeträge in die Bank geflossen
wären. Lassen Sie uns sauber zwischen Bürgschaften
und Kapitalhilfen unterscheiden. Eine Bürgschaft ist etwas völlig anderes als eine Kapitalhilfe. Deswegen sollte
man den Menschen nicht mit falsch interpretierten Zahlen Angst machen.
({3})
Dass wir ein Problem haben, bestreitet niemand: Deshalb müssen wir uns um die Problemlösung bemühen.
Deswegen greifen wir zu Mitteln, zu denen wir vor einem Jahr überhaupt nicht gegriffen hätten.
({4})
Ich mache es noch einmal deutlich: Es geht hier nicht
um die ideologische Verstaatlichung unter dem Gesichtspunkt einer anderen Steuerung, sondern um eine Rettungsübernahme, um Aktiva, das heißt um die Einlagen
kleiner Leute, um Pensionsfonds, um die Einlagen von
Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu retten. Die
Altersversorgung von Freiberuflern und Selbstständigen
zu schützen, das ist das Ziel.
({5})
Die Bank an sich könnte uns völlig egal sein und würde
ihren marktwirtschaftlichen Weg gehen. Wir müssen
auch im Sprachgebrauch klarmachen, dass es nicht um
das geht, als was es in der Diskussion lange hingestellt
wurde: als eine Enteignung. Vielmehr müssen wir uns
bemühen, uns eines zukunftsgerichteten Mittels zu bedienen.
Natürlich müssen wir diese Rettungsübernahme
durchführen. Warum? Ganz einfach deshalb, weil das
Finanzierungsmodell der Hypo Real Estate nicht mehr
funktioniert. Um es noch einmal deutlich zu sagen:
Diese Bank hat langfristige Investitionen finanziert, und
weil sie nicht genügend Eigenkapital hatte, hat sie sich
das notwendige Geld kurzfristig am Kapitalmarkt beschafft. Dieses Geschäftsmodell hat so lange funktioniert, wie wir einen „normalen“ Zinsmarkt hatten, auf
dem die langfristigen Zinsen höher waren als kurzfristige.
Seit einiger Zeit haben wir es aber mit einem völlig
atypischen Zinsmarkt zu tun: Die kurzfristigen Zinsen
sind höher als die langfristigen. Wenn wir nichts täten,
würde in dieser Bank jeden Tag Geld verbrannt. Wir
müssen sie unter staatliche Hoheit bringen, damit sie ein
Rating bekommt und sich so refinanzieren kann, dass die
Rechnung wieder aufgeht. Wenn das geschehen ist, kann
man sie in Ruhe abwickeln, ohne Folgeschaden - ich
sage noch einmal - für die kleinen Einleger, für die Altersversorgungseinrichtungen, für die deutsche Wirtschaft. Wir haben gesehen, welchen Irrtum die Amerikaner begangen haben, als sie Lehman haben pleitegehen
lassen. Wir wollen kein zweites Lehman. Deswegen
müssen wir uns darum kümmern.
Lassen Sie uns mit kühlem Kopf die Fakten aufarbeiten und die richtigen Maßnahmen treffen! Aber lassen
Sie uns nicht in einer seltsamen Allianz von ganz rechts
bis ganz links hier falsche Parolen in den Raum setzen!
Dadurch entsteht ein falscher Eindruck.
({6})
- Ganz rechts sind Sie. Ganz links sind die auf der linken
Seite dieses Hauses. Ich kann nur sagen: Das ist eine
tolle Allianz. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Gemeinsamkeit! Trotzdem werden wir inhaltlich mitarbeiten.
({7})
Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Volker Wissing.
Bitte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden heute über Risiken in Milliardenhöhe, die wir
für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland übernehmen mussten. Wir reden auch darüber, welche Risiken auf die Menschen in Deutschland, die hart
arbeiten und hohe Steuern zahlen, zukommen.
Herr Pronold von der SPD hat hier gewissermaßen einen Tanz aufgeführt und absurde Dinge behauptet, als
gäbe es irgendeinen in diesem Raum, der jemals irgendetwas gegen die Beaufsichtigung von Banken gesagt
hätte.
({0})
Sie wissen, dass das nicht wahr ist. Dennoch stellt sich
die Union hierhin und erklärt, man dürfe als Parlamentarier keine Fragen mehr stellen;
({1})
man solle nicht nachfragen und Bescheid wissen, weil
man mit den anderen Oppositionsfraktionen nicht zusammenarbeiten dürfe.
({2})
So darf man als Parlamentarier Verantwortung in dieser
schwierigen Situation nicht wahrnehmen.
({3})
In Wahrheit ist es doch so, dass viele hier im Raum
viele Fragen haben und dass die Bundesregierung nicht
bereit ist, diese Fragen zu beantworten.
({4})
Zusammen mit meinen Fraktionskollegen und auch mit
den Kollegen der anderen Oppositionsfraktionen empfinde ich das als Zumutung. Ich will die Verantwortung
nur tragen, wenn ich weiß, was hinter den Kulissen gespielt wird. Es geht nicht um Millionen, sondern um
Milliarden.
({5})
Deswegen haben wir uns heute mit den anderen
Oppositionsfraktionen darauf verständigt, dass mit den
Nebelkerzen der Bundesregierung Schluss sein muss,
dass mit den unwahren Antworten auf unsere Fragen
Schluss sein muss,
({6})
dass die Wahrheit jetzt auf den Tisch muss; denn wir
wissen nicht, welche zusätzlichen Rettungs- und Hilfsmaßnahmen für diese marode Bank in Deutschland er23098
forderlich sind. Heute hört man etwas von 235 Milliarden Euro. Wie viel wollen wir denn noch auf den
Schultern der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abladen, ohne dass hier wenigstens einmal die Tatsachen auf
den Tisch gelegt werden?
({7})
Mein Kollege Carl-Ludwig Thiele hat schon zu Recht
angeprangert: Über einen langen Zeitraum hinweg waren die Probleme bekannt. Die Finanzaufsicht hat gesagt: Hier stimmt etwas nicht; wir müssen eine Finanzholding, gerade so ein größeres Finanzkonglomerat in
Deutschland beaufsichtigen.
({8})
Aber die Bundesregierung war untätig.
({9})
Ja, es ist natürlich ein Versagen des Managements,
das zu dieser HRE-Krise geführt hat - das streitet niemand ab -, aber es ist doch auch Staatsversagen, wenn
die Informationen beim Ministerium eingehen - wir wissen, dass Informationen vorhanden waren - und dort
nicht gehandelt wird.
({10})
Ich finde es im Übrigen bemerkenswert: Wir haben
immer wieder neue Dinge erfahren, die vorher verschwiegen wurden. Erst hieß es, die Liquiditätsprobleme
seien beim Ministerium erst am 6. März bekannt geworden. Jetzt heißt es plötzlich, schon im Frühjahr 2008
habe man darüber Bescheid gewusst. Es ist doch nicht
nachvollziehbar, weshalb so einfache Fragen wie die,
wann der Bundesfinanzminister von dem Ablauf der
Frist nach dem Umwandlungsgesetz am 29. September
wusste, hier im Plenum nicht beantwortet werden. Das
gilt auch für die Kleine Anfrage der FDP. Das sind ganz
einfache Fragen.
({11})
Stattdessen kommt von der Bundesregierung immer
nur die Antwort, diese Frist sei irrelevant. Das mag sein.
Das wollen wir überprüfen. Wir wollen niemandem etwas unterstellen, aber wir müssen die Tatsachen kennen,
damit wir unserer Kontrollfunktion in diesem Hause gerecht werden können.
({12})
Wenn es um Milliarden geht, kann uns dieses Recht niemand bestreiten.
Es ist unmöglich - das sage ich ausdrücklich auch den
Rednerinnen und Rednern der Großen Koalition -, in
dieser Situation auf einen Untersuchungsausschuss zu
verzichten. Wir können das vor den Steuerzahlerinnen
und Steuerzahlern, vor den Menschen, die das jetzt und
auch in den kommenden Jahren schultern müssen, nicht
verantworten.
Deswegen haben wir uns heute Nachmittag auf sehr
konkrete Fragen verständigt. Wir wissen, dass es eine
sensible Materie ist, die wir da angehen. Wir wissen aber
auch um unsere Verantwortung für das Geld der Menschen, die hart arbeiten, die Steuern zahlen, die jetzt für
Fehler, die im privaten Bereich, im Management von
Banken, gemacht worden sind, haften sollen.
({13})
Wir müssen die Risiken kennen. Sie sollten uns dabei
unterstützen, weil Sie genau die gleiche Verantwortung
haben. Sie haben die gleiche Verantwortung gegenüber
den Menschen, die die Risiken tragen müssen. Sie haben
die gleiche Verantwortung gegenüber den Wählerinnen
und Wählern. Diese erwarten von uns, dass wir, wenn
wir für den Bankensektor schon die größten Hilfs- oder
Rettungspakete beschließen, die jemals auf den Weg gebracht worden sind, nicht sagen, wir hätten über den
Sommer zu wenig Zeit oder die Bundesregierung werde
es schon richten. Gerade in der Krise muss ein Parlament
streng überwachen, streng kontrollieren. Es geht wirklich um die Glaubwürdigkeit dieses Hauses. Die wollen
wir mit aller Kraft bewahren. Wir wollen kontrollieren,
und wir werden das in diesem Untersuchungsausschuss
tun - seriös, mit aller Ernsthaftigkeit.
Es geht um konkrete Fragen. Wir haben sie formuliert. Wir werden sie ins Parlament einbringen. Wir bitten Sie, das Ganze nicht zu verzögern. Ich glaube, die
Menschen erwarten auch von der Großen Koalition, dass
sie nicht verzögert. Es besteht Aufklärungsbedarf. Die
parlamentarische Anfrage der FDP ist nicht zu unserer
Zufriedenheit beantwortet worden. Damit kommt die
nächste Stufe. Das ist notwendig.
({14})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Nicolette Kressl.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
({0})
Ich will einmal die zeitlichen Abläufe schildern.
Nachdem die Bundesregierung eine Anzahl von Fragen
ausführlich beantwortet hatte - ich komme darauf gleich
noch einmal zurück -,
({1})
hat sie in der letzten Woche im Finanzausschuss deutlich
gemacht, dass sie, zusätzlich zu der Beantwortung der
Kleinen Anfrage und im Übrigen zusätzlich zur BeantParl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
wortung der Fragen der Linken, auch am heutigen Mittwoch im Ausschuss Rede und Antwort stehen wird. Gestern habe ich im Ticker gelesen, dass die FDP
beschlossen hat, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.
({2})
Ich finde es merkwürdig, dass Sie schon vorher wussten, was heute herauskommt.
({3})
Das kann entweder etwas mit Hellseherei oder mit der
Tatsache zu tun haben, dass der Wahlkampf so nahe ist ({4})
mit der Konsequenz, dass keine einzige der Oppositionsfraktionen mehr aus der Gruppendynamik herauskommt,
dabei mitzumachen. - Dass Sie hier jetzt so aufgeregt reagieren, zeigt mir, dass ich wahrscheinlich den richtigen
Punkt erwischt habe.
({5})
Lassen Sie mich eine zweite inhaltliche Anmerkung
machen: Ich fand es ganz besonders interessant, dass in
beiden Reden vonseiten der FDP, insbesondere in der
von Herrn Thiele, davon gesprochen wurde, dass es um
die Verwendung von Steuergeldern geht. Das ist richtig.
Aber schauen wir uns dann einmal an, was wir in den
letzten Tagen erlebt haben: Die FDP fordert in den Bundesländern, in denen sie mitregiert, die Landesregierungen regelrecht dazu auf, das Inkrafttreten des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes, bei dem es ja
um die Rettung von Steuergeldern geht, zu verzögern.
Ich finde es fast schon scheinheilig, sich hier hinzustellen und zu behaupten, man wolle Steuergelder schützen,
aber in der Realität etwas völlig anderes zu machen.
({6})
Ich gehe gerne auf einen weiteren Punkt ein: Im
Laufe des heutigen Tages gab es ja einen ganz bestimmten Ablauf bei den Debatten. Es gab erst die Ausschusssitzung. Wie ernst Sie sie genommen haben, zeigt sich
- wie ich gerade schon beschrieben habe - daran, dass
Sie gestern schon eine Entscheidung getroffen haben.
({7})
Dann gab es gerade die Fragestunde. Wenn Herr Thiele
nun behauptet, in dieser sei nicht auf die Fragen der FDP
geantwortet worden, oder gar behauptet, es habe eine
Regelungslücke gegeben, dann kann ich das nur darauf
zurückführen, dass er heute Morgen nicht in der Ausschusssitzung war. Da ist nämlich noch einmal ganz
deutlich gesagt worden: Die Aufsicht über die Finanzholding hat mit der Frage, ob die deutsche Finanzaufsicht in Irland prüfen kann oder nicht, gar nichts zu tun.
Wir haben uns nämlich an die europäische Richtlinie gehalten, die wir eins zu eins umgesetzt haben. Dass Sie
solches trotz der Darstellung von Herrn Sanio und den
Ausführungen heute im Ausschuss hier wiederum behauptet haben, finde ich nicht in Ordnung. Das erweckt
nämlich bei uns den Eindruck, dass es Ihnen nicht darum
geht, Antworten auf Fragen zu bekommen, sondern Sie
nur solche Antworten akzeptieren, die Sie gerne hören
wollen.
({8})
Sie sind also unzufrieden damit, dass wir Ihnen die Fakten auf den Tisch gelegt haben. Ich halte das alles für
problematisch. Aber damit müssen Sie dann umgehen.
({9})
Ehrlich gesagt: Wir müssen wahrhaftig keine Angst
vor einem Untersuchungsausschuss haben. Vielmehr
werden wir da noch einmal gemeinsam über die entsprechenden Fakten reden.
Lassen Sie mich auch noch etwas zu der Frage der
Reihenfolge von Information und Aufklärung sagen. Die
Bundesregierung hat dem Finanzausschuss zum Beispiel
am 7. November einen ausführlichen Bericht zu der von
der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht angeordneten Prüfung bei den irischen Töchtern übermittelt. Am 10. November haben wir Ihnen einen ausführlichen Bericht zu Ihrer Frage bezüglich der Aufsicht über
eine Finanzholdinggesellschaft gemäß den Vorschriften
des Kreditwesengesetzes übermittelt. Schon in dem damaligen Bericht stand, dass wir die entsprechende EURichtlinie eins zu eins umgesetzt haben. Ich habe
manchmal den Eindruck, Herr Thiele - Sie hören ja jetzt
nicht zu;
({10})
das war heute Morgen im Ausschuss auch schon so; da
haben Sie behauptet, es stehe im steuerlichen Bereich
des Gesetzes etwas nicht drin; das stimmte aber nicht;
wir haben Ihnen das vorgelesen -, dass Sie nach der
Hälfte offensichtlich aufhören zu lesen. Das Thema ist
aber zu ernst, um darauf weiter einzugehen.
({11})
Am 22. Januar haben wir dem Haushaltsausschuss
eine ausführliche Aufstellung zum Thema „Rahmenbedingungen und Eckpunkte des zweiten Rettungspaketes
für die Hypo Real Estate“ übermittelt. Ich will nur dieses
Beispiel nennen - anderes habe ich ja vorhin schon beschrieben -: Es stellt sich natürlich die Frage - das hat ja
einen ernsthaften Hintergrund -, ob die Haftungsregelungen und die berühmt-berüchtigte Stichtagsfestlegung
relevant sind oder nicht. Es kann aber doch, Herr
Wissing, nicht bloß um irgendwelche Tage gehen, sondern die Festlegung von Tagen muss auch immer mit einer inhaltlichen Relevanz verbunden sein. Wir haben Ih23100
nen sehr deutlich aufgeschrieben, dass es nicht so der
Fall ist, wie Sie es immer gerne unterstellen.
Herr Claus, ich empfehle, dass Sie sich von den Mitgliedern des Finanzausschusses einmal den Bericht geben lassen.
Insofern habe ich den Eindruck, es geht Ihnen nicht
um Aufklärung, sondern um Stimmungsmache. Das ist
legitim; aber wir sollten uns angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas doch eher daran orientieren, für die
Zukunft gemeinsam Lösungswege zu finden.
({12})
Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil auch
dieser immer wieder genannt wird, nämlich die Informationen des sogenannten 10-a-Gremiums SoFFin. Dieses
Parlament hat mit Mehrheit - auch mit Stimmen der
FDP - beschlossen, dass dieses Gremium geheim tagen
wird. Das hat seinen Grund; denn es geht um die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Ich gehe
weiterhin davon aus, dass die Mitglieder des Gremiums,
die die entsprechenden Informationen erhalten, diese geheim behandeln. Aber ich will sehr deutlich machen,
dass mehrmals festgestellt worden ist, dass die Information des Parlaments - wie in anderen Bereichen auch über die Information dieses geheimen Gremiums erfolgt.
Da Sie die Geheimhaltung hier mit Mehrheit beschlossen haben, sollten Sie auch akzeptieren, dass die Bundesregierung Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht
öffentlich,
({13})
beispielsweise in Fragestunden, darlegt.
({14})
- Herr Bonde, ich sagte es bereits: Dass das Gremium
geheim tagt, ist von diesem Parlament beschlossen worden.
({15})
Sie tun so, als hätte die Bundesregierung dieses Gesetz
gemacht. Aber es ist hier mit der nötigen Mehrheit verabschiedet worden.
Ich will eine letzte vorsichtige Bemerkung in Richtung Herrn Bernhardt machen. Es gibt regelmäßig eine
Koordinierungsrunde, an der die Koalitionsfraktionen
und die Bundesregierung beteiligt sind. Ich kann mich
nicht erinnern, dass es je - zumindest in der Zeit, als ich
dort vertreten war -, nachdem die Bundesregierung eine
Kleine Anfrage beantwortet oder einen Bericht an den
Finanzausschuss geschickt hatte, die Aufforderung oder
Bitte gab, die eine oder andere Antwort auf die Fragen
zu ergänzen. Das hätten wir jederzeit gemacht. Aber ich
hätte mir gewünscht, diese Aufforderung wäre in der
Koordinierungsrunde gekommen und nicht hier im Plenum in einer Rede vorgetragen worden. Ich finde, die
Frage des Umgangs gehört zur Fairness dazu.
Vielen Dank.
({16})
Der Kollege Dr. Hans Michelbach hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich ist es das gute Recht des Parlaments, einen Untersuchungsausschuss zu fordern, insbesondere wenn
- wie nach meiner Ansicht geschehen - aus dem Ministerium unklare Antworten kommen. Ich werbe in meiner
Fraktion für eine Aufarbeitung dieser Sachlage. Das Parlament und insbesondere die Steuerzahler haben gerade
in dieser Zeit Anspruch auf Information, Transparenz
und vor allem - das darf man nicht vergessen - Lösungen, die noch anhängig sind.
({0})
Darauf müssen und sollten wir uns zunächst konzentrieren.
Die wirtschaftliche Lage hat sich in den letzten Wochen immer weiter verschlechtert. Wir erleben die tiefste
Rezession der Nachkriegszeit. Unsere Bürger erwarten
glaubwürdige Reaktionen auf die Finanzmarkt- und
Wirtschaftskrise. Es geht schließlich um ihr Steuergeld.
Gerade in der Krise hat die Politik eine besondere Verantwortung. Notwendig sind neues Vertrauen, Glaubwürdigkeit und die richtigen Konzepte. Darauf müssen
wir im Sinne der Menschen draußen reagieren.
Es geht um die Sicherung des gesamten Finanzmarktes. Die Hypo Real Estate ist dabei nur eine Säule, die
zur Systemerhaltung stabilisiert werden muss. Natürlich
ist es im Interesse der Steuerzahler, dass aufgearbeitet
und aufgeklärt wird und dass vor allem für eine weitere
Gefahrenabwehr gesorgt wird.
Jetzt braucht es eine Vertrauensbasis für den gesamten Finanzmarkt. In dieser Hinsicht hat der Bundesfinanzminister eine klare Bringschuld.
({1})
Ich sage deutlich: Es ist für mich nicht klar, wie wir die
Realwirtschaft mit funktionierenden Bankgeschäften
und mit dem Zufluss von neuem Geld kurzfristig unterstützen können. Dieser Kreislauf funktioniert im Moment noch nicht. Deswegen ist es wichtig, die Zeit darauf zu verwenden, weiterzudenken und auf der Basis
der Aufarbeitung neues Vertrauen zu schaffen. Es ist
nicht die Zeit für Versteckspiele oder für Blockaden. Wir
alle gemeinsam müssen daran interessiert sein, in die Offensive zu gehen, um die Menschen mitzunehmen und
um das Ziel der Sanierung unseres Finanzmarktes zu erreichen.
Zweifellos gibt es Defizite und Versäumnisse. Das
muss man zugeben. Es kann niemand behaupten, dass es
sie nicht gibt. Dass die Bundesbank in Irland geprüft hat
und trotzdem keine Konsequenzen bei der HRE gezogen
wurden, ist eine Tatsache.
({2})
Die Vergangenheitsbewältigung und Rückschau in Sachen HRE sind sicher spannend, weil sich herausstellen
wird, dass es Versäumnisse gegeben hat. Aber ich
möchte deutlich machen, dass die Dimension der Herausforderung sehr viel größer ist. Trotz Konjunkturpaketen und Ankündigung neuer Regulierungen sind die
Bedingungen für die Realwirtschaft nicht besser geworden. Die fundamentale Strukturkrise ist nicht durch immer neue Konjunkturpakete oder durch geldpolitische
Notoperationen zu lösen. Es ist notwendig, dass die Banken in der Lage sind, der Wirtschaft neue Geschäfte anzubieten. Nur damit kann weiterer Schaden verhindert
werden.
Der Bankensektor benötigt konkret eine Sanierung
der Bankenbilanzen.
({3})
Wir müssen uns auf die Ausgliederung toxischer Wertpapiere konzentrieren, die längst überfällig ist. Ohne
eine Bad-Bank-Lösung kommen wir aus dieser Krise
nicht heraus.
({4})
Die Deutsche Bundesbank hat schon Modelle dargestellt. Ich vermisse, dass hier gehandelt wird. Das ist ein
ernstes Problem.
({5})
Genauso wie Aufklärungsbedarf besteht jetzt Handlungsbedarf.
Ich appelliere, dass wir die Kredit- und Geldmarktbremse im Interesse der Menschen, der Wirtschaft und
der Arbeitsplätze möglichst schnell lösen. Nur so können wir weiter vorankommen. Ich fordere den Bundesfinanzminister auf, Handlungskonzepte darzustellen und
sicherzustellen, dass dem Untersuchungsausschuss Informationen zukommen, damit Vertrauen für die Zukunft geschaffen werden kann.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind bereit, Mitverantwortung für die Aufklärung zu übernehmen. Wir sind
bereit, Schaden für die Steuerzahler abzuwenden. Wir
sind bereit, zur Überwindung der Krise mit Fleiß und
Verantwortungsbewusstsein beizutragen. Das biete ich
an. Wir werden sehr sachgerecht und konsequent diesen
Untersuchungsausschuss begleiten.
Herzlichen Dank.
({6})
Jetzt spricht die Kollegin Nina Hauer für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Michelbach, gehören Sie der Partei, die den
Bundeswirtschaftsminister stellt, eigentlich nicht mehr
an? Warum stellen Sie hier Fragen, die seit Monaten unter uns Finanzpolitikern und Parlamentariern und auch in
der Öffentlichkeit besprochen werden?
({0})
Im Ausschuss waren heute Morgen alle Experten der
Bundesregierung und auch der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht anwesend. Herr
Thiele, die Fragen, die Sie hier gestellt haben, habe ich
heute Morgen im Ausschuss von Ihnen nicht gehört. Da
haben Sie nur gesessen und zugehört.
({1})
- Sie haben zwar auch Fragen gestellt. Aber entweder
haben Sie bei den Antworten nicht zugehört
({2})
oder Sie gehen lieber dahin, wo Sie für Ihre Fragen mehr
öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.
({3})
Heute Nachmittag stand Ihnen die Frau Staatssekretärin hier Rede und Antwort. Ich muss sagen: Ich kann es
schon fast auswendig, was sie Ihnen immer wieder sagt,
({4})
zum Beispiel, dass die irische Aufsicht für die DEPFA
zuständig ist, dass die Regelungen, die wir getroffen haben, was die Verantwortung der Holdings angeht, nicht
nur im Rahmen der europäischen Regelungen, sondern
auch darüber hinaus gefasst worden sind. Die Antworten
auf all die Fragen, wann wer was gemerkt hat, stellen
eine Chronologie dar, die wir seit Monaten hören. Es
wäre heute Morgen und heute Nachmittag Gelegenheit
gewesen, Fragen zu stellen.
({5})
Sie aber beantragen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, weil Sie in der Öffentlichkeit Klamauk machen wollen.
Der Bundespräsident hat übrigens gestern in seiner
Rede deutlich gemacht, wofür diese Krise nicht geeignet
ist, nämlich dafür, die Leute zu verunsichern. Er hat davor gewarnt, die Chancen, die es gibt, auf dem Finanzmarkt Regeln aufzustellen, zu verpassen, indem man
jetzt in parteipolitisches Gezänk ausbricht. Ich finde,
diese Warnung ist berechtigt; denn hier geht es um ganz
andere Dinge.
Dazu habe ich von der FDP in den letzten Monaten
nichts gehört.
({6})
Herr Thiele, Sie sprechen hier von Regelungslücken. Ich
halte das fast für lachhaft: Jede Regelung im Hinblick
auf den Finanzmarkt, über die wir in den letzten Jahren
gesprochen haben, war Ihnen zu viel.
({7})
Bei jeder Regelung, die aufgestellt wurde und mit der
überprüft werden sollte, wer was macht, gab es eine
Stimme von der FDP, die gesagt hat: Das wollen wir
nicht; das macht die Märkte kaputt. Die brauchen keine
Regelungen. Am besten ist es, wenn sich der Markt selber regelt.
Wir haben jetzt aber gesehen, dass der Markt das
nicht tut. Offensichtlich wollen Sie nicht nur in Parteipolitik verfallen; Sie wollen auch von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken.
({8})
Mir ist kein Vorschlag der FDP zur Regelung des
Finanzmarkts bekannt. Ich habe von Ihnen noch keinen
einzigen Beitrag dazu gehört, wie wir in Deutschland,
aber auch darüber hinaus in dieser Situation Regelungen
finden, aufstellen und vor allen Dingen auch politisch
durchsetzen,
({9})
die solche Katastrophen in Zukunft verhindert können.
Das Einzige, was ich von Ihnen gehört habe, war, dass
Sie sich zum Interessenbüttel eines US-amerikanischen
Milliardärs gemacht haben, den Sie in unsere Anhörung
eingeladen haben, bei der es unter anderem um die Hypo
Real Estate, vor allen Dingen aber um unseren Gesetzentwurf ging, den wir letzte Woche beschlossen haben.
Dabei ging es nicht darum, die Millionen und Milliarden
Einzelner zu retten, sondern darum, dafür zu sorgen,
dass Millionen von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern
nicht dadurch enteignet werden, dass wir versäumen,
eine Bank zu retten, die, wenn sie in die Tiefe rauscht,
andere mit sich reißt. Der einzige Beitrag, den Sie dazu
geleistet haben, war, die Interessen von Herrn Flowers
zu vertreten.
({10})
Ich muss sagen: Das ist reichlich dünn. Je länger diese
Debatte öffentlich geführt wird, je mehr die Menschen
Fragen stellen und Erwartungen äußern, desto mehr werden Sie baden gehen, da Sie keine Antworten haben und
verschiedene Interessen vertreten.
({11})
Wir haben heute eine Anhörung zum Thema Steuerhinterziehung durchgeführt. Letzte Woche hat Ihr Parteivorsitzender in einem bemerkenswerten Auftritt die
Steueroasen in anderen europäischen Ländern verteidigt
({12})
und so getan, als ob das überhaupt nichts mit der Finanzmarktkrise zu tun habe. Das ist vielleicht nicht die Ursache; aber natürlich hat die Finanzmarktkrise etwas damit
zu tun, dass es Staaten gibt, die ihre Wertschöpfung darauf aufbauen, dass sie Steuerflüchtlingen Zuflucht gewähren.
({13})
- Das hat er sehr wohl so gesagt.
Damit hätte sich die FDP auseinandersetzen können;
dies gilt auch für alle anderen Vorschläge. Wir haben
letzte Woche über die G 20 diskutiert. Wir haben über
eine Vielzahl von Maßnahmen - auch im Ausschuss gesprochen. Dazu habe ich von der FDP nichts gehört.
Aber jetzt, da Sie hoffen, durch parteipolitisches Gezänk
und dadurch, dass man so tut, als ob die Regierung nicht
verantwortlich gehandelt hat, Aufmerksamkeit zu erreichen, kommen Sie auf den Plan und wollen diese für
sich in Anspruch nehmen.
({14})
Ich muss sagen: Das wird schiefgehen. Ich glaube,
dass die Bürgerinnen und Bürger klug genug sind, zu sehen, welche Intentionen sich dahinter verstecken und
dass es natürlich nicht darum geht, wirklich kritisch
nachzufragen und in dieser Krise verantwortlich zu handeln, sondern nur darum, den Eindruck zu erwecken, die
Regierung habe nicht gehandelt. Das hat sie. Die Frau
Staatssekretärin hat es in vielen Antworten auf Anfragen
und in vielen Redebeiträgen hier und im Ausschuss dargestellt. Wer zugehört hat, hat verstanden, um was es bei
diesem Punkt geht.
Vielen Dank.
({15})
Jetzt spricht Leo Dautzenberg für die CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Aus parlamentarischer Sicht
und aus parlamentarischem Selbstverständnis ist es klar,
dass Fraktionen, die Aufklärungsbedarf haben, diese
Aufklärung auch bekommen sollen.
({0})
Dem werden wir nicht im Wege stehen.
({1})
Deshalb verstehe ich nicht genau - Frau Hauer, ich spreche Sie und die anderen Redner der SPD an -, wieso
Aufregung herrscht. Wir können das Vertrauen der Bürger in politisches Handeln doch nur dadurch zurückgewinnen, dass wir dem Misstrauen offensiv gegenübertreten und darlegen, wie die Dinge abgelaufen sind.
({2})
Die Einlassungen des Präsidenten in der heutigen Anhörung des Finanzausschusses enthielten ein für uns in
der Tat neues Faktum. Frau Staatssekretärin, das war für
das Ministerium vielleicht nicht neu, für uns Parlamentarier aber schon.
({3})
Er sagte, dass auf Fachebene bereits 2006 über die
Finanzholdings befunden wurde, und zwar sowohl seitens der Bundesbank als auch seitens der BaFin, also der
Prüfbehörde.
({4})
Dabei ging es nicht nur um die HRE. Wenn ich die Zahl
richtig im Kopf habe, ging es um 34 oder 35 Finanzholdings mit einer solchen Struktur, die nicht über das
KWG erfasst werden und einer Aufsicht unterstehen.
Dieses Problem war 2006 schon bekannt.
({5})
Unabhängig von dem Fall HRE hätte man aktiv werden müssen. Das ist dem Ministerium damals mitgeteilt
worden. Soweit ich weiß, hat das Ministerium die
Rechts- und Fachaufsicht über die Prüfer inne. Im
Grunde wurde aber erst 2008 eine Initiative zur Änderung des Gesetzes unternommen,
({6})
und zwar nur, weil wir gerade über die Reform des
Pfandbriefrechts beraten haben. In diesem Zusammenhang konnte die Aufsicht hinsichtlich der Struktur der
Finanzholdings verändert werden.
({7})
Die Form wurde dahin gehend geändert, dass die Holding nicht nur auf eigenen Antrag unter eine verschärfte
Aufsicht gestellt werden kann, sondern auch, wenn seitens der Aufsicht ein Grund dafür gesehen wird.
({8})
Das ist im Grunde die Entwicklung gewesen. Man darf
ruhig einmal nachfragen, was aus den Erkenntnissen von
2006 im Regierungshandeln geworden ist.
({9})
Es ist legitim, das erfahren zu wollen.
Zweiter Punkt: Finanzmarktgremium 10 a. Die Union
ist nach wie vor der Überzeugung, dass es richtig ist,
dass das ein Kontroll- und Informationsgremium und
kein Beschlussgremium ist, Herr Bonde. Handeln im
Sinne des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ist ausschließlich Handeln der Exekutive, weil diese die Kenntnis und damit auch die Verantwortung hat.
({10})
Wir können die Entscheidung nachvollziehen. Wir haben
das Informations- und Kontrollrecht, aber nicht das Entscheidungsrecht. Ich lege für meine Fraktion nach wie
vor Wert darauf, dass das so bleibt.
Die Informationen müssen aber auch gegeben werden. Die Regierung und das Finanzministerium müssen
das als Bringschuld verstehen.
({11})
Es kann nicht sein, dass wir immer hinterherhecheln
müssen. Frau Staatssekretärin, ich war, wenn ich das so
sagen darf, etwas pikiert über Ihre Bemerkung zum
Thema Vertraulichkeit bzw. Geheim. Sie haben den Eindruck erweckt, dass das, was in der Presse gestanden hat,
aus dem Gremium kam. Wenn Sie das so gemeint haben,
ist das wirklich das Allerletzte. Wir konnten nämlich erst
am Montag das in der Zeitung lesen, was wir angeblich
behandelt haben, was im Gremium aber nie behandelt
worden ist.
({12})
Ihr Pressesprecher, der jetzt Oberbürgermeister in Kiel
werden soll, hat das Handelsblatt montags immer mit Informationen darüber beglückt, was wir am Montag im
Gremium machen sollten.
({13})
Auch das gehört der Vollständigkeit halber dazu. Diese
Beschuldigung weise ich also zurück. Es ist immer die
einfachste Masche, die undichte Stelle den Parlamentariern zuzuordnen. Das geht so nicht.
({14})
Bringen Sie die Informationen rüber, die wir in diesem
Gremium brauchen!
Wir sollten alle Aufgeregtheiten ablegen, der Sache
dienen und das aufarbeiten, was war.
({15})
Wir sollten aber auch das tun, was noch erforderlich ist.
Wir haben den Finanzmarkt stabilisiert. Mit Ausnahme
der Linken und der Grünen haben wir das gemeinsam
gemacht, mit der FDP. Die weiteren notwendigen
Schritte haben wir vor gut einer Woche unternommen.
Lieber Kollege Thiele, da habe ich nicht verstanden, warum die FDP immer nur einseitig über Enteignung diskutiert. Als Ultima Ratio ist die Enteignung aus der Sicht
der sozialen Marktwirtschaft möglich, damit wir die Gestaltungsmehrheit bekommen. Man sollte sie aber nicht
allein in den Fokus stellen. Frau Staatssekretärin, wir
brauchen dringend eine Regelung für die Verlustverrechnung - die Unionsfraktion fordert das seit Januar, jetzt
kommt die Reaktion des Bundesrates -, gerade hinsichtlich der Landesbanken. Wir wollen sie auf die gewerbliche Wirtschaft erweitern.
({16})
Wir fordern schon seit Wochen, dass ein Vorschlag zur
Ausgliederung der sogenannten Risikopapiere vorgelegt
wird. Wenn das nämlich nicht passiert, wird es dauerhaft
eine Baustelle. Dann machen wir Finanzmarktstabilisierung, aber nicht -weiterentwicklung.
Vielen Dank.
({17})
Der Kollege Jörg-Otto Spiller hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Dautzenberg, ich finde es gut, wie
sich die Wählerinnen und Wähler in Kiel entschieden
haben. Ich bedauere allerdings, dass das Bundesfinanzministerium einen sehr tüchtigen Mitarbeiter verliert.
Die Entscheidung der Kieler muss man aber respektieren.
({0})
Die weltweite Finanz- und Bankenkrise ist geprägt
durch eine Erkenntnis: Es hat sich bestätigt, dass das
Übermaß an Vertrauen in die Selbstregulierung des
Marktes nicht gerechtfertigt ist. Wir haben bei vielen
großen Instituten - ganz besonders ausgeprägt in London und in den USA, wo der Glaube an die Heilkräfte
des ungehemmten Marktes besonders verankert war gesehen, dass dies ein Irrglaube ist.
Im Deutschen Bundestag gibt es eine Fraktion, die in
den letzten Jahren bei fast allen wirtschaftspolitischen
Debatten gesagt hat: Am wichtigsten ist es, ein Übermaß
an Regulierung, an Regeln, an Vorschriften und an staatlichen Aufsichten zu reduzieren.
({1})
Deregulierung, lieber Kollege Thiele, war die Hauptforderung der FDP bei fast allen wirtschaftspolitischen
Themen.
({2})
Jetzt schaffen Sie es, mit einer wirklich originellen Ablenkungsaktion die internationale Finanzmarktkrise als
ein Behördenversagen darzustellen.
({3})
Das ist schon bemerkenswert.
({4})
Wo fängt denn eigentlich die Verantwortung der
Unternehmen an? Doch wohl im Unternehmen selbst.
({5})
Ich sage Ihnen einmal, wie das bei der Hypo Real Estate
war - Sie können aber auch andere Banken nehmen,
zum Beispiel UBS oder britische oder amerikanische
Banken -: Es war ein Versagen des Risikomanagements,
ein Versagen der Erfassung von Risiken.
({6})
Ich bleibe beim Fall Hypo Real Estate.
({7})
Sie hatte in ihrem Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr
2007 einen Prüfungsvermerk der KPMG. Dort wurde
festgestellt, dass alles in Ordnung sei.
({8})
Noch im Juni 2008 stand im Quartalsbericht der Hypo
Real Estate, man habe einen Stresstest gemacht und dabei herausgefunden, dass selbst bei einem Worst-CaseSzenario sichergestellt sei, dass in jedem Falle die Liquidität der Bank und der Holding gewährleistet sei.
({9})
Das ist natürlich auch von der KPMG abgehakt worden:
alles okay.
Jetzt sage ich Ihnen: Wir können uns, wenn Sie das
wollen, natürlich damit befassen. Das ist Ihr Recht; da
muss man gar nicht zustimmen. Wenn 25 Prozent der
Mitglieder dieses Hauses einen Untersuchungsausschuss
verlangen, wird einer eingesetzt. Man muss sich aber
überlegen, wie viel Kraft man darauf verwenden will,
das aufzuarbeiten. Das kann man natürlich alles machen.
Mich jedoch interessiert etwas anderes viel mehr. Die
Bundesregierung hat heute beschlossen, einen GesetzJörg-Otto Spiller
entwurf zur Stärkung der Bankenaufsicht durch Bundesbank und BaFin einzubringen. Mich interessiert viel
mehr, wie wir damit umgehen. Es kann sein, dass wir zu
dem Ergebnis kommen, dass man das eine oder andere
zusätzlich machen kann, damit die Aufsicht besser funktioniert. Nach vorne gerichtet zu schauen, finde ich viel
interessanter, als einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
({10})
Natürlich würden auch wir uns in einem Untersuchungsausschuss einbringen.
({11})
Aber ich sage Ihnen: Die Schritte, die nach vorne gerichtet sind, halte ich für wesentlich wichtiger.
({12})
Auch im Hinblick auf das anstehende G-20-Treffen gilt:
Wir werden nicht alles allein auf nationaler Ebene regeln
können.
({13})
Wenn Sie sich auf Ablenkungsmanöver beschränken
wollen, machen Sie das ruhig. Versuchen Sie, Ihren
Wählern einzureden, der wichtigste Beitrag, den Sie zur
Aufarbeitung dieses niederschmetternden Marktversagens leisten können, bestehe darin, den Vorwurf des Behördenversagens zu erheben. Ich glaube, die Wählerinnen und Wähler in Deutschland werden Ihnen das nicht
lohnen.
({14})
Der Kollege Hans-Ulrich Krüger hat jetzt für die
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zum Recht der Oppositionsfraktionen im
Deutschen Bundestag, einen Untersuchungsausschuss zu
beantragen
({0})
und einzusetzen, haben sich bereits viele Redner geäußert.
({1})
Dazu ist alles Notwendige gesagt. Aber die Argumentationshilfen, die bemüht wurden, haben bei mir, ehrlich
gesagt, manchmal einen etwas gespenstischen Eindruck
hinterlassen. Teilweise hatten sie sogar den Charakter einer Farce.
Der Kollege Claus von der Fraktion Die Linke führte
aus, es ginge nach wie vor um das ominöse Datum
29. September 2003 bzw. das Ende der fünfjährigen Verjährungsfrist am 28. September 2008; darauf legte er in
seiner Rede sein Hauptaugenmerk. Ich muss Ihnen sagen: Wenn es Ihnen darum geht, diese Frage aufzuklären, dann geht ein Untersuchungsausschuss auf jeden
Fall fehl.
({2})
Denn Sie begehren nicht Auskunft über Tatsachen, sondern Auskunft über eine Rechtsfrage, die - die Juristen
sagen bewusst, ein Blick ins Gesetz erleichtere die
Rechtsfindung - schnell, klar und einfach beantwortet
werden kann.
Bei der Fünfjahresfrist geht es nicht um irgendwelche
Ansprüche der HRE, die zum Beispiel hätten verjährt
sein können. Nein, es geht um Ansprüche, die Altaktionäre oder Altgläubiger - bezogen auf den 29. September
2003 - gegen die Mutter HVB hatten.
({3})
Wenn es bei der HVB zu Pflichtverletzungen gekommen
wäre - das weiß niemand -, dann wäre, hätte ein Prozess
stattgefunden, der Kläger ein Altaktionär oder Altgläubiger der HVB gewesen, und zwar bezogen auf den
29. September 2003, und die Beklagte wäre die HVB gewesen.
Es ist egal, ob und wann seitens des Bundesfinanzministeriums Garantien ausgesprochen worden sind.
Diese Frage ist rein juristisch völlig gegenstandslos; sedis materiae sind § 25 und § 133 des Umwandlungsgesetzes, wenn ich das richtig im Kopf habe. Wenn dies
also der Hauptgrund für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist, dann sage ich nur: Sorgfalt lässt
grüßen.
Sie haben außerdem gefragt, wann wo welche Berichte von der BaFin angefordert worden seien und wann
welcher Kenntnisstand vorgelegen habe. Darüber können wir natürlich diskutieren; das ist völlig richtig. Aber
eines dürfen wir nicht vergessen: Im Frühjahr 2008 hat
jemand, der auch in der Anhörung zu Gast war, für das
Finanzinstitut, das wir heute beäugen, nach Prüfung des
Münchener Instituts und nach Prüfung des irischen Instituts sowie nach einem sehr intensiven Due-DiligenceVerfahren 1,1 Milliarden Euro, sprich 22,50 Euro pro
Aktie, gezahlt. Ohne Prüfung, ohne Sachkenntnis, ohne
tiefes Schürfen in der Bilanz? Wohl kaum. Diese beiden
Punkte stehen also auf mehr als tönernen Füßen. Vor diesem Hintergrund sehe ich der Entscheidung über die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit absoluter Gelassenheit entgegen.
Ein weiterer Punkt, der heute angesprochen worden
ist, betrifft den Finanzmarkt. Ich bin froh, dass die Exekutive die Verantwortung für Einzelfallentscheidungen
im Zusammenhang mit Garantien, Risikoübernahmen
und Rekapitalisierungen trägt; meiner Meinung nach ist
gar keine andere Form der Verantwortungszuweisung
möglich. Ich bin allerdings traurig darüber, dass in der
aktuellen Debatte, die wir heute führen, zu kurz kommt,
dass es uns in dieser Situation darum geht - gehen muss! -,
die Belastung für den Steuerzahler möglichst gering zu
halten, sprich: bei der Enteignung der Hypo Real Estate
zu einer Lösung zu kommen, die 1 bis 1,5 Milliarden
Euro jährlich an Zinsen spart und bei der 4 bis 6 Milliarden Euro weniger an Eigenkapital zugeschossen werden
müssen als bei jedweder anderen Lösung.
Man muss doch sagen: Lieber Eigentümer, ohne die
Maßnahmen des Staates wäre der Wert deines Unternehmens null; von daher ist die im Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz getroffene Regelung, nach Börsenkurs zu enteignen, das Höchstmögliche, was geleistet
werden kann.
Das sind die entscheidenden Punkte, über die wir uns
unterhalten müssen, wenn wir unserer gesellschaftlichen
und unserer politischen Verantwortung nachkommen
wollen.
Wenn Sie einen Untersuchungsausschuss einsetzen
wollen, gut, dann tun Sie das! Aber ich hoffe, dass der
eine oder andere Kollege in diesem Hause einen Kommentar zum Umwandlungsrecht zur Hand nimmt; er
wird dann sehen, dass der Bezugspunkt, mit dem ein
skandalöses Verhalten insinuiert wird, schon aus rechtlichen Gründen schlicht rückhaltlos ist.
Ich danke Ihnen.
({4})
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Genießen Sie mir bitte den Abend und die gewonnenen Einsichten!
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. März 2009,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.