Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich.
Ohne weitere Vorankündigungen rufe ich die Tages-
ordnungspunkte 31 a, 31 b und 31 d sowie die Zusatz-
punkte 7 und 8 auf:
31 a) - Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes
({0})
- Drucksache 16/12100 - Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des
Finanzmarktes ({1})
- Drucksache 16/12224 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen 16/12316, 16/12343 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Frank Schäffler
Dr. Axel Troost
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oskar
Lafontaine, Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara Höll
und der Fraktion DIE LINKE
Manager der Finanzbranche an den Kosten
der Finanzmarktkrise beteiligen
- Drucksache 16/10827 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Industriepolitische Kehrtwende - Zukunftsfonds für Industrieinnovation und Beschäftigungssicherung
- Drucksache 16/12294 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Ahrendt, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Notleidenden Unternehmen Sanierungschancen durch effizientere Gestaltung der gesetzlichen Regelungen im Insolvenzplanverfahren
geben
- Drucksache 16/12285 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar
Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sicherheit und Zukunft - Initiative für ein sozial gerechtes Antikrisenprogramm
- Drucksache 16/12292 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der
FDP-Fraktion vor. Weiterhin weise ich darauf hin, dass
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
wir später zu diesem Gesetzentwurf zwei namentliche
Abstimmungen durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Denjenigen,
die diese Debatte im Augenblick noch in den Büros verfolgen, kann ich also mitteilen, dass etwa um 10.20 Uhr
mit der namentlichen Abstimmung zu rechnen ist.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort dem Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPDFraktion.
({7})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir stehen am Ende einer ereignisreichen
Woche, in der wir als Gesetzgeber unsere Pflicht erfüllen, mit dem Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz ordnungspolitisch in einwandfreier Weise den Steuerzahler vor vermeidbaren Kosten zu bewahren. In allen
Diskussionen und Verhandlungen der letzten Wochen
ging es immer um die grundlegende Frage: Was hat der
Staat zur Bewältigung der aktuellen Finanzmarktkrise zu
tun? Welche Mittel des Steuerzahlers darf, welche muss
er in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise einsetzen?
Nach unserer Ordnungsvorstellung, die wir alle akzeptieren, trägt ein jeder Unternehmer im Falle des
Misserfolgs seines Betriebes das Risiko dafür, dass sein
Betriebsvermögen und nach persönlichen Verpfändungen und Bürgschaftserklärungen in aller Regel auch der
berühmte letzte private Hosenknopf weg sind. Dieses
Unternehmerrisiko ist ihm bewusst; es ist Teil unserer
Ordnungspolitik. Wird nun diese Insolvenzordnung
aufgrund der aktuellen Situation partiell außer Kraft gesetzt, entsteht eine Lücke, die der Staat auf ordnungspolitische Weise schließen muss, und zwar mit einem Gesetz, wie es uns heute zur endgültigen Beratung und
Abstimmung vorliegt.
Wir alle wissen und sind uns darüber einig: Bei einer
systemisch relevanten Bank darf es keine Insolvenz geben. Das haben wir am Beispiel Lehman Brothers leidvoll erfahren müssen. Das können wir angesichts der damit verbundenen Dominoeffekte nicht riskieren. Ist das
aber so, dann dürfen wir auf der anderen Seite nicht einseitig Risiken auf den Steuerzahler abwälzen, während
wir die Chance auf Gewinn weiterhin - ebenso einseitig bei dem Eigentümer lassen. Anders gesagt: Wenn der
Staat das Unternehmensrisiko übernimmt und als Retter
in der Not auftritt, dann gebührt ihm eine Gegenleistung
getreu dem römischen Motto: Do ut des.
({0})
Deshalb ist als Ultima Ratio die Enteignung nach vorangegangener Hauptversammlung und nach all den
Schritten, die wir, wie ich finde, sehr präzise in den Gesetzentwurf eingebaut haben, das angemessene und richtige Instrument. In diesem Zusammenhang von Instrumenten der sozialistischen oder kommunistischen
Planwirtschaft zu sprechen, ist für mich persönlich - ich
möchte keine alten Wunden aufreißen - eine Missachtung der Opfer der eben beschriebenen Misswirtschaft.
({1})
Das lässt mich, ehrlich gesagt, am rechtlichen Verständnis derjenigen, die das behaupten, im Hinblick auf unser
Grundgesetz zweifeln. Nach Art. 14 sind Enteignungen
möglich, aber nur zum Wohle der Allgemeinheit. Das ist
gut so. Wenn ein Grundstückseigentümer, ein Kleinbauer oder ein Hauseigentümer sein Grundstück oder
Haus für einen legalen Zweck - weil ein Messestandort
gesichert, eine Rohrleitung verlegt, eine Straße gebaut
werden soll - opfern muss, dann ist das alles legal und
verfassungsrechtlich einwandfrei. Es stellt sich aber
auch die Frage, wieso nicht auch im Zusammenhang mit
der Finanzwirtschaft ein solcher Schritt nach all den beschriebenen vorangegangenen Maßnahmen zum Wohle
der Allgemeinheit, zur Stabilisierung unserer Volkswirtschaft und zur Aufrechterhaltung der Funktion unserer
Finanzwirtschaft möglich sein soll.
Dass dies möglich und richtig ist, hat die Anhörung
am letzten Montag, wie ich finde, eindrucksvoll bestätigt. Wer gleichwohl immer noch einen ordnungspolitischen Bruch befürchtet, dem möchte ich vor Augen
führen: Die jetzige Krise ist keine Krise der Marktwirtschaft, sondern primär erst einmal Auswuchs unverantwortlichen Fehlverhaltens bedeutender Marktteilnehmer.
Von daher ist es richtig und konsequent, wenn wir sagen:
Ja, wir schützen das Finanzsystem im Ganzen; aber einzelne Eigentümer, einzelne Finanzunternehmer sind
eben nicht schützenswert.
({2})
Täten wir dies, wäre das ein Bruch mit den ordnungspolitischen Grundsätzen.
({3})
Um auch das Ende eines möglichen derartigen Prozesses zu betrachten: Unser Ziel ist es selbstverständlich
nicht, dass der Staat den Banker spielt. Die möglichst rasche, die möglichst einvernehmliche und unverzügliche
Reprivatisierung, wie es im Gesetzentwurf heißt, ist
das Ziel unserer Gesetzesbemühungen. Auch das zeigt:
Dieser Staat, wir alle handeln verantwortungsvoll.
Ich sprach eben schon an, dass eine Enteignung unter
bestimmten Bedingungen verfassungsrechtlich einwandfrei sein kann. Ich möchte aber auch darauf hinweisen,
dass wir im Hinblick auf die anstehenden Entscheidungen einen zusätzlichen Punkt zu berücksichtigen haben.
Wir haben zurzeit auf der einen Seite ein marodes Finanzinstitut, dessen Miteigentümer für den Verkauf seiner
Anteile auf Kosten der Steuerzahler eine möglichst hohe
Rendite erzielen wollen. Das ist legitim. Ebenso legitim
ist es auf der anderen Seite aber auch, klarzumachen,
dass der Marktpreis dieses Unternehmens nur deswegen
höher als null liegt, weil der Staat für das Unternehmen
bereits Garantien in Höhe von 87 Milliarden Euro bereitgestellt hat.
Wir müssen uns fragen: Was hat der Staat zu tun? Es
ist meiner Meinung nach keine 75-plus-1-Lösung möglich; dies wäre mit Risiken und Kosten verbunden. Nur
die vollständige Übernahme ist möglich. Nur so ergeben
sich bei der Refinanzierung des Institutes - das haben
uns die Fachleute am Montag eindrucksvoll vor Augen
geführt - Zinsersparnisse von 1 bis 1,5 Milliarden Euro
pro Jahr zugunsten des Steuerzahlers. Nur so können wir
im Sinne des Steuerzahlers das Eigenkapital, welches
zur Verfügung gestellt werden muss, um circa 4 bis
6 Milliarden Euro niedriger halten als bei einer 75-plus-1Lösung.
({4})
Es ist gut, dass wir das in Erwägung ziehen. Das zeigt:
Wir gehen im Rahmen des heute zu beschließenden Gesetzentwurfes sorgsam mit den uns anvertrauten Geldern
der Allgemeinheit um.
Wie präzise und fallgenau wir letzten Endes aufgrund
der Anhörung arbeiten konnten, zeigt ein weiteres Beispiel: die Laufzeit der Garantien. Selbstverständlich
bleibt es bei den drei Jahren. Die Regelung wird aber individuell angepasst. Die SoFFin erhält die Befugnis, die
Laufzeit der Garantien im Einzelfall von drei auf fünf
Jahre zu erhöhen, und zwar für maximal ein Drittel der
einem Unternehmen gewährten Garantien. Das ist gut
so. Das ist europarechtlich einwandfrei und zeigt, dass
wir bemüht sind, punktuell und zielgenau zu handeln,
ohne die Gefahr von Kollateralschäden - in diesem Fall
im Pfandbriefbereich - auch nur ansatzweise eintreten
zu lassen.
({5})
Ferner haben wir - auch das ist ein Gebot parlamentarischer Fairness - die Informationsrechte des Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses in diesem Zusammenhang gestärkt. Es ist gut, wenn wir zur
Sachlichkeit zurückkehren und weniger aufgeregt diskutieren; das ist auch eine persönliche Bitte. Wir müssen
uns überlegen, wie wir die Gelder des Steuerzahlers am
besten und am effektivsten einsetzen können, sodass die
Belastung für den Steuerzahler, für uns alle, am geringsten ist. Wir müssen fragen, was im Rahmen unseres
Rechtssystems in verfassungsrechtlich einwandfreier Art
und Weise möglich ist. Wenn wir so vorgehen, kommen
wir zu dem, was Ihnen heute als Entwurf zur Abstimmung vorliegt.
Ich danke Ihnen.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift der ersten Regierungserklärung von Schwarz-Rot
war: Mehr Freiheit wagen. Dreieinhalb Jahre später ist
davon nichts mehr zu sehen. Heute ist ein Tag der Unfreiheit.
({0})
Heute wird eine Grundachse verschoben. Heute wird ein
Tabu gebrochen. Der Schutz des privaten Eigentums
wird torpediert.
({1})
Das Rettungsübernahmegesetz ist ein Schlag gegen
unsere Wirtschaftsordnung. Sie sollten es lieber Enteignungsgesetz nennen. Das trifft nämlich zu.
({2})
Ich zitiere:
Individuelle Freiheit setzt zudem voraus, dass dem
Einzelnen ein privater Bereich, insbesondere sein
Eigentum, gesichert ist, in den andere nicht eingreifen können, auch nicht durch auf demokratischem
Wege zustande gebrachte Mehrheitsbeschlüsse.
Das ist eine Aussage der Bundeskanzlerin aus der Zeit,
als sie Erhard und Hayek noch in ihrem Kopf hatte und
sich von ihnen leiten ließ.
({3})
Hayeks Buch Der Weg in die Knechtschaft ist den Sozialisten aller Parteien gewidmet. Ich hoffe nicht, dass
wir diesen Weg gehen. Ich will, dass wir freie Bürger
bleiben. Wir dürfen keine sozialen Untertanen werden,
vor denen schon Ludwig Erhard eindringlich gewarnt
hat. Der Staat kann in der Finanzkrise nicht tatenlos zusehen. Er muss handeln.
({4})
Dabei müssen aber die Grundsätze der sozialen
Marktwirtschaft gewahrt bleiben.
({5})
Enteignung ist kein Instrument der sozialen Marktwirtschaft. Enteignung ist ein Tabubruch. Die Bundesregierung versucht, das schönzureden. Sie greift damit das
Fundament der marktwirtschaftlichen Ordnung an.
({6})
Privateigentum gehört zu den konstitutiven Prinzipien
einer Wettbewerbsordnung. All das können Sie bei
Walter Eucken und den anderen Vordenkern unserer sozialen Marktwirtschaft nachlesen.
({7})
Die Bundesregierung untergräbt das Fundament unserer Wirtschaftsordnung seit Jahren: Mit Mindestlöhnen
wird die Tarifautonomie ausgehebelt; das Außenwirtschaftsgesetz wird für protektionistische Maßnahmen
missbraucht; der Gesundheitsfonds trägt Züge der Enteignung.
({8})
Die Enteignung der HRE scheint für die Bundesregierung nur ein weiterer Schritt zu sein.
({9})
Mit dem Enteignungsgesetz gehen Sie zu weit. Man hat
den Eindruck, dass Sie sich überhaupt nicht die Mühe
machen wollen, die anderen Möglichkeiten zur Rettung
auszuschöpfen.
({10})
Den Vorschlag der eingeschränkten Insolvenz von
Michael Glos, den der neue Wirtschaftsminister aufgegriffen hat, findet man nicht im Gesetzentwurf. Der
Wirtschaftsminister hat sich im Kabinett nicht gegen den
Finanzminister und die Justizministerin durchsetzen
können.
Ihr Konzept hat sofort Nachahmer gefunden. Der
DGB-Vorsitzende, Herr Sommer, hat im Spiegel-Interview gesagt: Das muss auch für weitere Branchen gelten, in denen der Staat finanziell hilft.
({11})
Auch dort soll das Instrument der Enteignung eingeführt
werden. Sie haben einen Geist aus der Flasche gelassen,
den Sie nur schwer wieder einfangen können.
({12})
Die Professoren Beatrice Weder di Mauro und Martin
Hellwig - beide sind Mitglied in Beratergremien der
Bundesregierung - haben ebenfalls einen Vorschlag unterbreitet, der auf Enteignung verzichtet. Wir stellen unsere Vorschläge heute zur Abstimmung. Mein Freund
Otto Solms wird sie noch im Detail darlegen.
({13})
Es gibt mehrere Wege. Liebe Kollegen von der Union,
Sie haben sich von der SPD in den Schwitzkasten nehmen lassen und können sich jetzt nicht mehr befreien.
({14})
Die marginalen Änderungen, die jetzt am Gesetz vorgenommen werden, ändern nichts daran. Jetzt beschließen Sie, dass enteignet wird, falls die Aktionäre ihre Anteile nicht freiwillig abgeben.
({15})
In der vergangenen Woche hat der Kollege Meister von
der CDU/CSU noch erklärt: Steinbrück stellt sich außerhalb der sozialen Marktwirtschaft. Otto Bernhardt windet sich
({16})
und lässt im Grunde erkennen, dass das, was gemacht
wird, überflüssig ist. Der neue Wirtschaftsminister hat
davor gewarnt, ordnungspolitische Leitplanken panisch
einzureißen.
({17})
Im Kabinett hat er in den ersten acht Tagen seiner Arbeit
als Minister die Hand für ein Enteignungsgesetz gehoben. Das nenne ich nicht ordnungspolitische Konsequenz.
({18})
Die FDP hat das erste Finanzmarktstabilisierungsgesetz mitgetragen.
({19})
Das war unsere patriotische Pflicht. Genauso ist es heute
unsere Pflicht, gegen dieses Enteignungsgesetz zu stimmen.
({20})
Wir haben der Regierung damals einen Vertrauensvorschuss gewährt. Mittlerweile ist das Vertrauen restlos aufgebraucht. Die Regierung hat reklamiert, sie stehe
unter Zeitdruck. Seit September letzten Jahres kennt
man die Misere bei der HRE. Jetzt, nach einem guten
halben Jahr und nachdem man 100 Milliarden Euro
praktisch dort hineingegeben hat, ist der Zeitdruck plötzlich groß, und man sagt, man müsse etwas tun, um das
Geld des Steuerzahlers zu retten.
({21})
Herr Kollege, darf ich Sie mit Blick auf das Stichwort
Zeitdruck auf Ihre Redezeit hinweisen?
Jawohl, Herr Präsident. Ich komme zum letzten Satz.
({0})
Sie haben kein Konzept - Enteignung ist kein Konzept -,
({1})
mit dem Sie die Probleme lösen können. Sie haben keinen Plan. Sie irren und irrlichtern durch die Landschaft.
Das ist bedenklich für Deutschland.
({2})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Leo Dautzenberg das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brüderle, ich
schätze Sie sonst aufgrund der Sachlichkeit Ihrer Ausführungen; die heutigen waren aber sehr hoch gegriffen.
({0})
Es wäre sinnvoll gewesen, wenn Sie in den Gesetzentwurf und die weiteren Änderungen, die wir vollzogen
haben, geschaut hätten.
({1})
Dann könnten Sie die These, hier handele es sich ausschließlich um ein Enteignungsgesetz, selber widerlegen.
Enteignung ist in dem, was jetzt vorliegt, die Ultima
Ratio.
({2})
Vieles ist vorgelagert. Es ist nicht nur vorgelagert - Sie
hatten dazu Ausführungen gemacht -, dass zuerst der
Fall eintreten muss, dass man einer Kapitalerhöhung
nicht zustimmt. Wenn eine Bank oder ein Unternehmen
nicht in eigener Verantwortung zur Rettung beiträgt,
dann kann der Staat bzw. der Bund, der Fonds über eine
Kapitalherabsetzung verbunden mit einer Kapitalerhöhung für den Bund eingreifen, um die Gestaltungsmehrheit für die Transfersicherheit der Maßnahmen zu erreichen. Das ist anders, als Sie es hier dargestellt haben; sie
haben es so dargestellt, als würde dieses Gesetz ausschließlich auf Enteignung hinauslaufen.
({3})
Es war, werter Kollege Dr. Krüger, der Beitrag der
Union, gerade diese Richtigstellung, diese Konkretisierung im Gesetzentwurf zu erreichen, damit Sie mit diesen Thesen, die Sie hier genannt haben, nicht auf fruchtbaren Boden stoßen, sondern sich der Realität - so ist es
auch im Gesetz dargestellt - stellen müssen. Das ist eine
der Maßnahmen, die wir als Unionsfraktion in der Beratung zum Kabinettsentwurf einbringen konnten.
Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie sich dieser
Verantwortung gestellt haben. In der Tat haben Regierung und Parlament im Oktober letzten Jahres relativ
kurzfristig die richtigen Maßnahmen ergriffen, um auf
die Finanzmarktkrise, die mittlerweile auch Deutschland
erreicht hatte, zu reagieren. Dabei spielten drei Punkte
eine zentrale Rolle: Garantien, Rekapitalisierung und
Übernahme von Risikopapieren.
Herr Kollege Brüderle, Sie haben kritisiert, man hätte
schon im Herbst letzten Jahres mit der Rekapitalisierung beginnen müssen. Hier stelle ich in Ihrer Argumentation einen Widerspruch fest. Sie sind gegen eine
Verstaatlichung. Die Rekapitalisierung wäre allerdings
der erste Schritt zur Verstaatlichung gewesen.
({4})
Differenzieren Sie bitte zwischen Verstaatlichung und
Enteignung.
({5})
Meine Damen und Herren, ich gebe zu, dass auch unser
Koalitionspartner nicht immer zwischen diesen beiden
Begriffen unterscheidet.
({6})
Deshalb haben wir, die Unionsfraktion, Wert darauf gelegt, dass beide Begriffe klar getrennt werden
({7})
und dass man sich auch bei der Wahl der Instrumente an
dieser Differenzierung orientiert. Das wurde auf unsere
Initiative hin in diesem Gesetzentwurf kodifiziert.
Ich komme auf einen weiteren wichtigen Aspekt im
Hinblick auf die Garantien zu sprechen. Im Kabinettsentwurf stand, dass die Befristung der Garantien grundsätzlich auf einen Zeitraum von fünf Jahren erweitert
werden soll und dass die Befristung eines Drittels der
Garantien in den letzten zwei Jahren auf den Zeitraum
von fünf Jahren erhöht werden kann. Diese Regelung
war uns zu weitgehend. In dieser Maßnahme sahen wir
eine Gefährdung des Pfandbriefmarktes und des Anleihemarktes insgesamt. Dass diese Gefahr besteht, wurde
auch im Rahmen der Anhörung deutlich.
Jetzt ist an die Gewährung von Garantien, die eine
Laufzeit von fünf Jahren haben, eine Konditionierung
geknüpft. Eine Konditionierung kann auch bedeuten,
dass vielleicht, wenn wir im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen Risikopapiere übernehmen, bei der
Refinanzierung noch längere Laufzeiten als, wie bisher,
fünf Jahre erforderlich sein werden.
Würden wir die Laufzeit der Garantien grundsätzlich
erweitern, würden wir den Anleihemarkt insgesamt und
insbesondere den Pfandbriefmarkt gefährden. Wir würden den Markt weder stabilisieren noch, was seine Dynamik angeht, vitalisieren. Diese Maßnahme hätte vielmehr zur Folge, dass man am Markt zukünftig nur noch
für solche Anleihen, die staatlich garantiert sind, vernünftige Konditionen bekommt. Das kann nicht unsere
langfristige Zielsetzung sein. Wir müssen alles dafür tun,
dass der Kapitalmarkt bzw. der Anleihemarkt durch die
Maßnahmen, die wir ergreifen, seine ursprüngliche Dynamik zurückgewinnt.
({8})
Meine Damen und Herren, im Rahmen unserer Beratungen haben wir einen dritten Punkt im Kabinettsbeschluss verbessert - dabei geht es um das Selbstverständnis des Parlaments -: Wir haben durchgesetzt,
dass zumindest der Haushaltsausschuss und der Finanzausschuss, bevor die Verordnung zur Durchführung von
Enteignungsmaßnahmen erlassen wird, informiert werden. Es gehört zu unserem parlamentarischen Selbstverständnis, dass dies nicht allein dem Handeln der Regierung überlassen bleiben darf und wir, das Parlament, erst
aus der veröffentlichten Meinung, also aus der Presse,
erfahren, wann die Regierung welche Maßnahmen ergriffen hat.
Ein vierter zentraler Punkt, der uns bei der Verbesserung des Kabinettsbeschlusses wichtig war, betrifft die
Reprivatisierung. Die Zielsetzung der Reprivatisierung
ist im Gesetz formuliert. Wir haben allerdings dafür gesorgt, dass dieses Ziel besonders betont wird. Nun ist im
Gesetzentwurf zu lesen, dass mit der Reprivatisierung
schnellstmöglich zu beginnen ist, sobald die erforderlichen Maßnahmen beendet worden sind. Wir sind der
Auffassung, dass der Staat, somit auch der Bund, nicht
der bessere Unternehmer ist und diese Aufgabe von den
im Finanzbereich tätigen Unternehmern besser erfüllt
werden kann. Daher haben wir uns für eine Konkretisierung dieser Formulierung stark gemacht.
Die vier Punkte des Kabinettsbeschlusses, die ich erwähnt habe und die unserer Meinung nach von zentraler
Bedeutung sind, wurden in der Form, wie ich es gerade
beschrieben habe, geändert.
Meine Damen und Herren, das Ziel des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes und des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes ist die Stabilisierung und Weiterentwicklung des Finanzmarktes. Ich gebe zu: Um die
Frage der Weiterentwicklung geht es derzeit noch nicht.
({9})
Deshalb werden auch in Zukunft im Rahmen dieses Gesetzes weitere Maßnahmen erforderlich sein, zum Beispiel die Neustrukturierung der Landesbanken und, damit verbunden, die Verlustnutzung der Landesbanken
über § 8c des Körperschaftsteuergesetzes.
({10})
Wenn diese Maßnahmen nicht erfolgen, werden wir uns
mit den Ländern nicht auf eine Umstrukturierung der
Landesbanken einigen können. Ich sehe es als Führungsaufgabe des Finanzministers an, dieses Problem gemeinsam mit den Ministerpräsidenten zu lösen.
({11})
Wenn sich die Bankenstruktur nicht verändert, werden
wir mit diesem Gesetz leider nur eine Stabilisierung erreichen, aber nicht die Umstrukturierung und die Dynamik des Marktes, die wir brauchen.
Weiterhin wäre ein Vorschlag des Finanzministers zur
Übernahme der Risikopapiere erforderlich. Wenn die
Risiken, die im Abschreibungsbedarf der Banken immer
wieder neu entstehen, nicht eingedämmt werden, werden
diese Risiken den Banken auch durch die Umgestaltung
von Gesellschaften in Zweckgesellschaften nicht genommen. Ebenso werden auch Rekapitalisierungsmaßnahmen nicht erfolgreich sein, weil es immer wieder von
neuem zur Kapitalvernichtung kommt.
({12})
Diesen Weg müssen wir gehen. Wir erwarten daher in
nächster Zeit einen Vorschlag des Finanzministers dazu,
wie dieses Problem zu lösen ist.
Das Ziel dieses Gesetzes ist die Stabilisierung und die
Fortentwicklung des Marktes. Mit dem, was wir heute
entscheiden, leisten wir dazu einen wesentlichen Beitrag.
Vielen Dank.
({13})
Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entschuldigungsrede von Herrn Dautzenberg haben wir gerade mit Interesse zur Kenntnis genommen. Sie war wenig offensiv; das wird seine Gründe gehabt haben.
Trotzdem stecken wir in einer der schwersten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 80 Jahren. Das
Institut für Wirtschaftsforschung Halle - dazu hat die
FDP natürlich kein Wort gesagt - hat uns erklärt, dass
die Wirtschaftskraft wahrscheinlich um 4,8 Prozent sinken wird. Ferner wurde prognostiziert, dass wir bis Ende
2010 mit 4,5 Millionen Arbeitslosen rechnen müssen.
Dagegen müssen wir etwas tun und nicht ein so ideologisches Geschwätz bieten, wie wir es uns gerade haben anhören müssen.
({0})
Die Bundesregierung hat zunächst sehr schnell reagiert und innerhalb einer Woche einen Rettungsschirm
von 480 Milliarden Euro für die maroden Banken aufgelegt. Übrigens hat die FDP zugestimmt - das dürfen Sie
nicht vergessen -,
({1})
obwohl das Ding überhaupt nicht funktioniert.
Dann sind Sie drei Wege gegangen, die ich alle für indiskutabel halte. Sie haben - ich sage das noch einmal
ganz kurz - der IKB 8,2 Milliarden Euro zur Verfügung
gestellt. Sie haben die IKB verkauft und nicht geregelt,
dass auch nur ein einziger Euro aus den zukünftigen Gewinnen dieses Unternehmens zurückgezahlt werden
muss. Ich halte das für einen schweren Fall von Untreue.
({2})
Sie haben der Commerzbank ihren sechsfachen Wert
an Geldern zur Verfügung gestellt. Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gehört nur ein Viertel. Das ist indiskutabel. Die Gewinne gehen zu drei Vierteln an die
Privaten, die Schulden aber übernehmen allein die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Genau das geht nicht.
({3})
- Warten Sie ab. Die werden schon kommen. Dann werden wir uns darüber unterhalten. Wir können in der
nächsten Legislaturperiode gern einen Untersuchungsausschuss einleiten, um einmal all diese Fragen abzuklären.
({4})
Dann müssen Sie aber dafür stimmen. Mal sehen, ob das
klappt.
({5})
Was machen Sie jetzt bei der Hypo Real Estate? Sie
haben ihr schon 87 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. 10 Milliarden Euro kommen noch hinzu. Nun
kommt dieses Gesetz. In einem Punkt hat die FDP recht:
Nennen Sie es ehrlicherweise doch einfach Enteignungsgesetz. Warum drücken Sie sich denn aus ideologischen
Gründen davor? Wenn es so etwas ist, dann sollte man es
auch so benennen.
({6})
Das Problem ist aber, dass Frau Merkel, Herr
Steinmeier und Herr Steinbrück ganz schnell sind, wenn
es darum geht, Geld für die Banken auszugeben. Da haben sie überhaupt keine Schwierigkeiten. Wenn es aber
um die Frage geht, wie gesichert werden kann, dass die
Gelder an den Steuerzahler zurückfließen, vernachlässigen sie alle Dinge, die man eigentlich tun muss. Deshalb
nenne ich auch dies Untreue.
({7})
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ihr Enteignungsgesetz.
Das beinhaltet drei Fehler. Der erste Fehler besteht darin,
dass es Ende Juni ausläuft. Das ist völliger Quatsch. Das
ist ein viel zu kurzer Zeitraum. So kann das überhaupt
nicht funktionieren. Der zweite Fehler besteht darin,
dass es auf die HRE zugeschnitten ist. Was machen Sie
denn, wenn die Commerzbank kurz vor der Pleite steht?
Machen wir dann ein neues Gesetz? Sie hätten das generell regeln können.
({8})
Der dritte Fehler ist die Reprivatisierung. Sie haben geregelt, dass die HRE zu reprivatisieren ist, sobald sie
nachhaltig stabilisiert ist. Das ist eine ganz schwammige
Formulierung. Wir haben beantragt, folgende Formulierung aufzunehmen: „… wenn durch die Reprivatisierung
gesichert ist, dass sämtliche Steuermittel einschließlich
Zinsen wieder zurückfließen.“ Genau an dieser Stelle
aber verweigern Sie sich. Deshalb sage ich Ihnen, dass
das Ganze auf einen neuen Fall von Untreue hinausläuft.
({9})
Herr Brüderle, auch wir lehnen den Gesetzentwurf ab,
aber aus Gründen, die in völligem Gegensatz zu denen
stehen, die Sie hier benannt haben.
({10})
Was Sie unter Freiheit und Eigentum verstehen, das
müssen Sie mir einmal erklären. Wenn ein Bäcker pleite
ist, verliert er seine ganze Bäckerei. Darum kümmern
Sie sich keine Sekunde lang. Bei Herrn Flowers aber
kämpfen Sie um sein Eigentum, obwohl er uns die „pleiteste Bank der Geschichte“ hinterlässt. Das ist nicht
mehr nachzuvollziehen. Was haben Sie denn für einen
Freiheitsbegriff?
({11})
Im Übrigen empfehle ich Ihnen, Art. 14 und 15 des
Grundgesetzes zu lesen.
({12})
- Ich weiß. Die Oasen wollen Sie ebenfalls schützen.
Die Oasen gehören zu den Einrichtungen der Erde, die
jedes Steuerrecht konterkarieren. Das ist das Problem.
Deshalb müssen wir die Oasen endlich austrocknen.
({13})
Sie sagen, das Ganze sei ein sozialistischer Sündenfall und lasse irgendwie die DDR wiederauferstehen.
Wenn das Ihre Einstellung ist, meine wenigen Damen
und vielen Herren bei der FDP, dann ist die CDU nach
Ihrer Auffassung inzwischen sozialistisch geprägt. Jetzt
müssen Sie den Wählerinnen und Wählern erklären,
weshalb Sie mit so einer sozialistischen Union koalieren
wollen. Das ist nicht mehr nachvollziehbar.
({14})
- Eben.
Sie haben ein Staatsverständnis, das nicht hinzunehmen ist. Sie sitzen hier im höchsten Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland, im Bundestag, und Sie können
den Staat gar nicht leiden. Der Staat soll zwar alle Schulden tragen, aber er soll niemals etwas einnehmen. Das ist
eine derart idiotische Einstellung zum Staat, wie ich sie
wirklich selten erlebt habe.
({15})
Um aus der Krise herauszukommen, gibt es theoretisch vier Wege - darüber müssten wir uns einigen; vielleicht sollten wir uns darüber einmal vertieft unterhalten -:
({16})
- Herr Westerwelle, hören Sie einmal zu! Jetzt können
Sie etwas lernen.
Erstens: die Entwertung des Geldes, so wie das Ende
der 20er-Jahre gemacht worden ist, also eine große Inflation etc. Wenn das Geld entwertet wird, werden natürlich
auch die Schulden entwertet. Das hat aber katastrophale
Folgen für die Bürgerinnen und Bürger. Ich glaube, dass
Sie das alle nicht wollen, und wir wollen das auch nicht.
Im Übrigen gibt es im Augenblick eher Anzeichen für
eine Deflation.
Zweitens: die Sozialisierung der Verluste; das
schwebt wahrscheinlich der FDP vor. Das heißt, man
sorgt dafür, dass die Schulden auf zwei Wegen zurückgezahlt werden: indem man Sozialleistungen abbaut und
indem man Steuern dramatisch erhöht. Dazu reicht Ihre
Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent aber
nicht aus. Dazu müssen Sie ganz andere Wege gehen.
Union und SPD werden dazu vor der Wahl Nein sagen.
Ich traue Ihnen aber nicht. Ich glaube, dass nach der
Wahl genau dieser Weg beschritten werden wird. Wir
lehnen diesen Weg aber vollständig ab. Das will ich an
dieser Stelle ganz klar erklären.
({17})
Drittens - dieser Weg wäre spannend; er wäre für die
FDP aber überhaupt nichts -: eine Entschuldung, und
zwar auf eine ganz andere Art und Weise, nämlich durch
eine partielle Enteignung der Großgläubiger. Ich will es
Ihnen erklären: Man legte fest, dass Forderungen der
Banken bis zu 1 Million Euro befriedigt werden. Forderungen, die darüber hinausgehen, würden nur noch zu einem Teil befriedigt, beispielsweise zu 10 Prozent oder
zu 20 Prozent, je nachdem, wie man es verkraften kann.
Das wäre ein sehr revolutionärer Weg, den wir aber nicht
vorschlagen. Ich will Ihnen auch erklären, warum wir
ihn nicht vorschlagen.
({18})
- Ich muss Ihnen die Enttäuschung gleich servieren. Wissen Sie, warum wir diesen Weg nicht vorschlagen?
Wir schlagen diesen Weg nicht vor, weil wir die Struktur
der Großgläubiger nicht kennen. Wenn es sich beispielsweise um Pensionsfonds handelt, können wir die entsprechenden Gläubiger nicht enteignen, weil dies bedeuten würde, den Leuten die Renten zu nehmen. Das
kommt gar nicht infrage.
({19})
Wenn die Großgläubiger Banken sind, wenn sich also
Banken untereinander etwas schulden, dann ist das ein
Nullsummenspiel; dann bringt das gar nichts. Leider
werden uns aber die Auskünfte über die Großgläubiger
verweigert. Ich würde das gern wissen; dann könnte man
über diese Frage mehr nachdenken.
Ergo bleibt nur der vierte Weg. Der vierte Weg bestünde darin, dass man erst einmal die Großbanken verstaatlicht, nachdem man die Finanzwirtschaft reguliert
hat. Man verstaatlicht die Großbanken deshalb, weil die
Bundesrepublik Deutschland im Unterschied zur HRE
so schnell nicht in Insolvenz geht. Da sie nicht in Insolvenz geht, bekommt der Staat viel billiger und schneller
Kredite als die privaten Banken. Wenn er billiger und
schneller Kredite bekommt, kann er auch billiger und
schneller Kredite an die Wirtschaft und die Bürgerinnen
und Bürger geben. Das ist der Vorteil des Staatseigentums bei Banken. Ich komme noch dazu, weshalb ich bei
der Industrie wiederum gänzlich dagegen bin.
({20})
- Richtig, Herr Westerwelle. Wir haben auch gar nicht
vor, das mit Ihnen zu machen. Wir haben aber vor, Sie
dabei in jeder Hinsicht zu erdulden.
({21})
Wie könnten wir das Ganze finanzieren? Wenn wir es
gerecht machen wollen, dann brauchen wir in Deutschland wie nach 1945 wieder einen Lastenausgleich. Wir
müssten sagen: Die Vermögenden müssen 5 Prozent des
Wertes Ihres Besitzes, der 1 Million Euro übersteigt, abführen. Das wäre ein Lastenausgleich.
({22})
Ich sage Ihnen: Es gibt nicht wenige Vermögende - Herr
Kauder, Sie kennen sie nicht -, die das sogar ganz gerne
bezahlen würden. Die, die das nicht gerne machen würden, müssten das dann eben akzeptieren, ohne es gerne
zu machen. Das ist uns dann auch egal. Trotzdem wäre
das eine Lösung.
({23})
Der Lastenausgleich würde zwar nur einmalig geleistet, aber das wäre zumindest eine Geste. Es wäre ein positives politisches Symbol, wenn Sie zu dem Bäckermeister und der Verkäuferin bei Lidl nicht sagen würden,
dass Sie das schon irgendwie von ihnen bekommen, sondern wenn Sie den Vermögenden sagen würden: Leistet
hier einen Lastenausgleich; ihr habt daran schließlich
Millionen und Abermillionen verdient. Das ist doch das
Problem.
Dauerhaft brauchten wir eine Vermögensteuer, eine
Börsenumsatzsteuer, eine Steuer auf Kaufpreiserlöse
und einen neuen Spitzensteuersatz. Wir wollen aber
nicht nur Steuererhöhungen. Wir sind keine Steuererhöhungspartei. Wir wollen auch Steuern senken, zum Beispiel für die Geringverdienenden, für die durchschnittlich Verdienenden, die heute den Steuerbauch bezahlen,
und auch für das Handwerk. Wir haben hier sehr verschiedene Vorstellungen.
Herr Kollege Gysi, nennen Sie bitte nur noch die
Stichworte, die Sie dann in einer späteren Rede im Einzelnen ausformulieren können.
({0})
Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar. Es ist immer dasselbe: Wenn man hier nicht nur redet, sondern
auch etwas sagt, dann vergeht die Zeit zu schnell.
({0})
Das ist wahr.
Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Wir sind für etwas, was Sie gar nicht kennen, nämlich für Steuergerechtigkeit.
({0})
- Die Stichworte lasse ich jetzt weg.
Ich möchte aber noch etwas zur SPD sagen: Sie stellen jetzt tolle Forderungen. Sie wollen eine Börsenumsatzsteuer, eine Begrenzung der Managergehälter, eine
Austrocknung der Steueroasen, einen flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn und vieles andere. Immer
wenn das hier zur Abstimmung stand, haben Sie dagegen gestimmt. Außerdem erklären Sie, dass Sie mit der
FDP koalieren wollen. Das heißt, Sie sagen schon jetzt,
dass nichts davon Realität werden wird.
Danke.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
dem 17. Oktober 2008, also seit der Verabschiedung des
Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, retten Sie die Banken in Deutschland, und das mit, so möchte ich sagen,
mäßigem Erfolg. Das erkennt man, wenn man genau
hinschaut.
Wir haben das Finanzmarktstabilisierungsgesetz damals abgelehnt - Herr Brüderle, es gibt übrigens keine
patriotische Pflicht, falschen Gesetzen zuzustimmen -,
und zwar aus zwei Gründen: weil eine parlamentarische
Kontrolle nach der Systematik des Gesetzentwurfs nicht
vorgesehen ist und weil Sie eine effektive und intelligente Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung in diesem
Gesetzentwurf explizit nicht regeln wollten.
({0})
Ich sage Ihnen: Aus heutiger Sicht, fünf Monate später - der Commerzbank wurde ungeheuer viel Geld zur
Verfügung gestellt, und die HRE braucht immer mehr
Geld -, wäre es damals richtig gewesen, durch eine effektive Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung der
wichtigsten Banken stärker zuzulangen. Man hätte dem
Steuerzahler manches ersparen können, wenn man das
damals getan hätte.
({1})
Stattdessen haben Sie vor fünf Monaten einen Gesetzentwurf vorgelegt, der von der Bankenszene - von Herrn
Ackermann und anderen - mitgestaltet worden war. Sie
haben es zugelassen, dass Ihnen die Banken sagten, wie
sie am liebsten gerettet werden wollten. Wer von Ihnen
Erfahrung mit der Rettungsschwimmerei hat, der weiß,
dass es dort einen Grundsatz gibt: Wenn jemand zu retten ist, der in Panik um sich schlägt, dann dürfen Sie ihn
nicht fragen, wie Sie ihn retten sollen, sondern Sie müssen zupacken, und zwar gegebenenfalls auch etwas stärker, wenn er sich arg wehrt. Das haben Sie nicht berücksichtigt. Bei der Finanzmarktstabilisierung geht es um
genau den gleichen Prozess.
({2})
Wir sagen: Anders als die FDP muss man die in dem
Gesetzentwurf geregelte Enteignung völlig unideologisch sehen. Nur dann, wenn die HRE, um die es jetzt eigentlich geht, zu 100 Prozent dem Staat gehört, werden
die Refinanzierungskosten durch die gute Bonität des
Staates um immerhin 1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr
- so schätzen die Fachleute - gesenkt werden können.
Durch die von Ihnen vorgeschlagene Lösung - wenn sie
überhaupt zur Rettung der HRE beiträgt - würden die
Steuerzahler also zusätzlich mit diesen Kosten belastet.
Deswegen ist es richtig, die Enteignung als Drohkulisse
aufzubauen - es ist kein direktes Enteignungsgesetz -,
um die 100-prozentige Übernahme zu vernünftigen Konditionen, das heißt zu Marktpreisen, zu erreichen.
Ich habe den Eindruck, Herr Westerwelle und Herr
Brüderle, dass Sie auf einem ideologischen Antienteignungskurs sind.
({3})
Dabei geht es nicht um ein Enteignungsgesetz. Es geht
Ihnen gar nicht um die HRE. Sie gehen aus einem einzigen Grund so vor. Sie haben in den letzten Wochen und
Monaten eine taktische Aufstellung gewählt. Sie machen
genau das, was der CDU aus ideologischen Gründen am
meisten wehtut, egal, ob es der Sache hilft.
({4})
Herr zu Guttenberg hat uns Ihre Insolvenztheorie dargestellt. Dabei wissen wir doch: Wenn man bei einer
systemrelevanten Bank ein Insolvenzverfahren eröffnet,
dann ist der Erdrutsch nicht mehr aufzuhalten. Insofern
ist das alles ideologischer Quatsch, der nicht weiterhilft.
Einen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Sie schützen
zwar das Interesse von Anteilseignern, die spekuliert haben, aber Sie kümmern sich überhaupt nicht um das
Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
und damit der Menschen im Land.
({5})
- Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Sie reden später selber zu diesem Thema.
Ich möchte von Ihnen wissen, warum Herr Flowers
3 Euro für eine Aktie bekommen soll, die am Markt gerade noch maximal 80 Cent wert ist.
({6})
Stellt sich die FDP unter freier Marktwirtschaft vor, dass
man Anteilseigner „hochfüttert“? Was haben Sie eigentlich für ein ideologisches Konzept?
Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die Sie immer im Wort führen, helfen Sie mit dieser ideologischen
Kampagne jedenfalls nicht. Im Gegenteil, Sie schaden
ihnen, weil sie bei Ihrem Konzept die Zeche zahlen müssen.
({7})
Wir halten den Gesetzentwurf für eine Verbesserung
gegenüber dem Gesetzentwurf von Oktober. Es gibt aber
viele Punkte, die wir kritisieren. Die Transparenz, die für
die Entscheidung des Parlaments notwendig ist, ist weiterhin ausgehebelt. Wenn wir nicht unseren Abgeordneten, der dem Geheimgremium angehört, in die Zange
nehmen, dann müssen wir als Parlamentarier aus der
Zeitung erfahren, an welches Institut Sie bereits wie viel
Geld verteilt haben oder welche Bürgschaft Sie gegeben
haben. Für dieses Parlamentsverständnis, das bei Ihrem Vorhaben zum Ausdruck kommt, werden Sie von
meiner Fraktion keine Zustimmung bekommen.
({8})
- Es ist schon wichtig, wie ein Parlament mit wichtigen
Fragen umgeht. Dass wir Steuergelder ausgeben, ohne
die Konzepte wenigstens in den Fachausschüssen diskutieren zu können, ist ein Abgesang an jeden vernünftigen, aufgeklärten Parlamentarismus.
({9})
In der Summe führt das dazu, dass wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten werden. Bei
der von der FDP beantragten namentlichen Abstimmung
werden wir aber mit Ja stimmen, weil wir die Enteignungsdrohung für richtig halten; die HRE sollte wenigstens jetzt auf eine vernünftige Grundlage gestellt werden.
Ich danke Ihnen.
({10})
Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zu Beginn Art. 14 Grundgesetz zitieren:
({0}) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
Dazu stehen wir.
({1}) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
({2})
Ich hätte mir gewünscht, Herr Brüderle, Sie hätten
den zweiten Absatz in Ihrer Rede nicht verschwiegen,
sondern Sie hätten deutlich gemacht, dass es auch um
die Abwertung der Werte geht. Zum Allgemeinwohl gehört auch die Frage, wie wir mit den Steuergeldern umgehen und wie wir den Finanzmarkt stabilisieren können. Das haben Sie vergessen, und das halte ich nicht für
legitim und richtig.
({3})
Worum geht es heute? Es geht um nicht weniger als
um die weitere und gleichzeitig absolut notwendige Stabilisierung des deutschen Finanzmarktes und der HRE.
Die Notwendigkeit, zu handeln, ist in ihrer zeitlichen
Dynamik enorm. Wir hatten am Montag eine außerordentlich sachlich geprägte Expertenanhörung, was ich
sehr begrüßt habe. Diese war anders geprägt als teilweise die Reden, die wir bislang gehört haben. In der
Anhörung hat mich - ich glaube, genauso wie viele andere - besonders beeindruckt, dass sehr vielen Sachverständigen der Ernst der Lage und der zeitliche Druck der
Situation sehr bewusst war. Die Anhörung hat auch deutlich gemacht: Der Weg zur Stabilisierung, den die Bundesregierung im vorliegenden Gesetzentwurf dem Parlament vorschlägt, wurde von so gut wie keinem der
Anwesenden - einen der Betroffenen ausgenommen negativ dargestellt. Alle haben bestätigt, dass der Weg
einer Stufenlösung genau richtig ist.
Ich komme auf den Antrag der FDP zu sprechen. In
der Anhörung wurde deutlich, dass die Änderung der Insolvenzordnung mittelfristig angegangen werden muss.
Aber alle haben gesagt, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, in diesem Gesetzgebungsverfahren entsprechende Änderungen vorzunehmen. Es wäre gut, hier den
Rat der Experten ernst zu nehmen.
({4})
Für die Rechtssicherheit und die Geschwindigkeit, die
wir beim Handeln brauchen, ist es notwendig, rasch zu
einer 100-prozentigen staatlichen Kontrollmehrheit bei
der HRE zu kommen; denn wir müssen den Zusammenbruch einer systemrelevanten Bank mit anschließenden
massiven Dominoeffekten verhindern.
Lassen Sie mich in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens. Die Bundesregierung hat sich international
verpflichtet, kein systemrelevantes Institut Konkurs gehen zu lassen. Es dürfte hier im Parlament auch Konsens
sein, dass die HRE mit ihrer Bilanzsumme von circa
400 Milliarden Euro - vergleichbar derjenigen von Lehman
Brothers - und mit ihrer zentralen Rolle im Pfandbriefmarkt systemrelevant ist. Ein Zusammenbruch der HRE
ist daher für die Bundesregierung im Hinblick auf die Situation in Deutschland, aber auch wegen unserer internationalen Verantwortung nicht akzeptabel.
Zweitens. Wir wollen, dass die HRE nach einer nachhaltigen Stabilisierung erfolgreich auf dem Markt bleibt.
Das können wir aber nur mit der Übernahme einer 100-prozentigen Kontrollmehrheit erreichen. 75 Prozent plus
eine Aktie reichen hierzu definitiv nicht aus,
({5})
weil - das wissen Sie; das ist im Übrigen auch in der Anhörung bestätigt worden - bereits eine Aktie ausreicht,
um die für die HRE überlebenswichtigen Restrukturierungsmaßnahmen zu torpedieren, weil nur 100-prozentiges Bundeseigentum eine vertretbare Refinanzierung auf
dem Markt erlauben würde - das wurde schon mehrfach
angesprochen - und weil aus Marktsicht nur 100 Prozent
Eigentum des Bundes die Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung der HRE um circa 3 Milliarden Euro
reduzieren würde.
Drittens. Vor der Enteignung als Ultima Ratio werden
wir - so wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist - alle
denkbaren alternativen Schritte zu einer Enteignung gehen. Konkret heißt das, wir werden versuchen, die Zustimmung der gegenwärtigen Aktionäre zu einer Übernahme durch den Bund zu erreichen, insbesondere im
Rahmen einer Hauptversammlung. Auch dies ist im Gesetz festgelegt. Genauso klar ist aber auch, dass wir für
den Fall, dass der Weg der Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führt, von der befristeten Möglichkeit einer Enteignung der HRE Gebrauch machen, weil die Politik dann
nur noch auf diesem Weg das öffentliche Gut Finanzmarktstabilität sichern kann - damit schlage ich den Bogen zum im Grundgesetz verankerten Schutz des Allgemeinwohls -, weil die Politik dann nur noch auf diesem
Weg ihrer Verantwortung für das Allgemeinwohlinteresse gerecht werden kann, indem sie eine Enteignung
der Steuerzahler, die mit knapp 90 Milliarden Euro an
Garantien bei der HRE engagiert sind, verhindert.
Niemand in der Bundesregierung glaubt, dass der
Staat der bessere Banker ist und dass es Aufgabe des
Staates ist, dort länger engagiert zu bleiben als unbedingt
nötig. Auch dies ist im Gesetz deutlich verankert. Aber
wir sind sehr wohl der Überzeugung, dass es die Aufgabe der Bundesregierung ist, das Gemeinwohlinteresse
dort zu verteidigen, wo es bedroht ist. Das wäre der Fall,
wenn der Bund trotz seines massiven finanziellen Engagements bei der HRE keine 100-prozentige Kontrollmehrheit erlangen würde. Das wäre genauso der Fall,
wenn wir eine Preisforderung des privaten Hauptaktionärs akzeptieren würden, die weit jenseits der aktuellen
Marktpreisbewertung liegt und die zu weiteren massiven
Belastungen der Steuerzahler führen würde.
({6})
Viertens. Ich will die Änderungen nicht unerwähnt
lassen, die wir im parlamentarischen Verfahren in den
Gesetzentwurf aufgenommen haben und die an mehreren Stellen zu Klarstellungen führen. Ich will nur folgende
Punkte stichwortartig erwähnen - Herr Dautzenberg hat
das auch schon angesprochen -: die Begrenzung der Garantieverlängerung, die verbindliche Normierung der
Verfahrensschritte vor einer Enteignung, die Beteiligung
des Parlaments sowie die Verbindlichkeit der Reprivatisierung.
Deshalb gilt: Wenn nicht sehr viel Geld mit unsicherem Ausgang in die systemrelevante HRE gesteckt werden soll, ist die Kontrollmehrheit von 100 Prozent unabdingbar. Insofern stellt sich die Frage nach der
Enteignung als Ultima Ratio. Die Bundesregierung kann
keine Verantwortung für den Erhalt eines systemrelevanten Instituts übernehmen, wenn ihr das Parlament dafür
nicht das Handwerkszeug zur Verfügung stellt. Deshalb
werben wir heute um Ihre Zustimmung.
({7})
Ich will Ihnen deutlich sagen: Es ist mit den Grundsätzen einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft
nicht vereinbar, wenn letztendlich die Steuerzahler eine
Bank retten und damit die Risiken tragen, die Politik als
Treuhänder der Steuerzahler aber nicht den Einfluss hat,
der notwendig ist, um entscheiden zu können, was mit
dem Geld der Menschen passiert.
Ich bin mir sicher: Niemand in den Regierungsfraktionen und auch niemand in der Bundesregierung hat
sich je gewünscht, ein solches Gesetz auf den Weg bringen zu müssen, und zwar deshalb, weil es Ausdruck der
instabilen Lage auf den Märkten in diesem Bereich ist.
Aber nun sind wir eben gefordert, auf diese Situation zu
reagieren. Das tun wir mit diesem Gesetz in der nötigen
Verantwortung, aber auch in der nötigen Konsequenz.
Deshalb werbe ich heute um Ihre Zustimmung für dieses
Gesetz.
Vielen Dank.
({8})
Dr. Hermann Otto Solms ist der nächste Redner für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich zu Beginn klarmachen: Die FDP ist
grundsätzlich gegen das Instrument der Enteignung.
({0})
Privateigentum ist ein Grundrecht. Wir spielen nicht
mit Grundrechten, sondern wir verteidigen Grundrechte.
({1})
Wenn der Kollege Gysi das „ideologisches Geschwätz“ nennt, dann zeigt das, welche geistige Herkunft er hat.
({2})
In der DDR sind im Jahre 1972 11 400 Unternehmen
enteignet worden,
({3})
und zwar praktisch ohne Entschädigung. Seitdem ist es
mit der Wirtschaft in der DDR bergab gegangen.
({4})
Anschließend hatten selbstständige Betriebe nur noch
höchstens zehn Mitarbeiter. Das ist doch die Alternative.
({5})
Wenn Herr Kuhn von den Grünen dazu aufruft, hier
nicht ideologisch zu argumentieren, dann enttäuscht
mich das schon sehr. Ich war immer der Auffassung,
dass die Grünen die Grundrechte verteidigen, so wie
auch wir das tun.
({6})
Nun brauchen Sie nicht neidisch auf die FDP zu
schauen, weil wir in der Öffentlichkeit klar positioniert
sind. Bei Ihnen weiß kein Mensch mehr, wofür Sie stehen.
({7})
Wir wollen keine Enteignung.
Wichtig ist auch: Wir brauchen das Instrument der
Enteignung überhaupt nicht.
({8})
Wir dürfen es überhaupt nicht einsetzen, wenn es Alternativen gibt. Genau das schreibt unsere Rechtsordnung
vor.
({9})
Jetzt muss ich dem Finanzminister zugutehalten, dass er
in den letzten 14 Tagen mehrere Änderungsanträge vorbereitet hat, deren Annahme dazu führt, dass der alternative Weg einer Kapitalerhöhung durch den Staat gangbar
ist und dass die Minderheitsaktionäre das nicht blockieren können. Wenn dieser Weg gangbar ist, dann dürfen
Sie gar nicht enteignen. Weil das so ist, brauchen wir
Art. 3 dieses Gesetzentwurfs, in dem es um die Enteignung geht, gar nicht.
({10})
Damit Sie sich dazu bekennen können, haben wir einen Antrag auf namentliche Abstimmung in zweiter Lesung gestellt. Wir fordern Sie auf, mit uns zusammen gegen Art. 3 dieses Gesetzentwurfs zu stimmen. Es muss
klar sein, dass der Staat zwar verstaatlichen kann - verstaatlichen ist etwas anderes als enteignen -,
({11})
aber durch ein Instrument, welches in unserer Rechtsordnung, nämlich im Privatrecht, angelegt ist: durch Kapitalerhöhung unter Ausschluss der Bezugsrechte der
Altaktionäre. So kann man vorgehen, und so muss man
vorgehen.
({12})
Wir haben dem Finanzminister eine Reihe von Alternativen vorgeschlagen. Dazu gehört die Kapitalerhöhung. Dazu gehört das Insolvenzplanverfahren. Dazu
gehört das Restrukturierungsgesetz, das der Bundeswirtschaftsminister erarbeitet hat. Dazu gehört auch der Weg
über die Gefahrenabwehr nach dem Kreditwesengesetz.
Das alles sind Wege, die gangbar sind und die nicht nur
das Problem lösen, sondern auch die Restrukturierung,
die Erneuerung, die Zukunft gestalten würden.
Es wird uns vorgehalten, dafür sei jetzt nicht die Zeit,
das müsse gründlich vorbereitet werden. Das glaube ich
wohl. Nur: Wer ist denn daran schuld, dass wir diesen
Zeitdruck haben?
({13})
Das ist doch der Bundesfinanzminister.
({14})
Auf eine Frage meines Kollegen Carl-Ludwig Thiele
musste er antworten, dass die BaFin den Bundesfinanzminister bereits im Frühjahr 2007 darauf hingewiesen
hat, dass bei Finanzholdings eine Überwachungslücke
besteht. Es hat dann schließlich bis Ende 2008 gebraucht, bis diese Lücke geschlossen worden ist.
({15})
Wäre das sofort gemacht worden, hätte es die Beteiligung der Hypo Real Estate an der DEPFA überhaupt
nicht gegeben. Das hätte die Bankenaufsicht vorher verhindern können.
({16})
Dann wären wir gar nicht in diese Situation gekommen,
und die 90 Milliarden, die der Staat jetzt zur Verfügung
gestellt hat, wären nicht nötig gewesen. Das zeigt das
dramatische Versagen des Finanzministers und der Bankenaufsicht in den letzten zwei Jahren.
({17})
Die Sprecher der Bankenaufsicht von Bundesbank
und BaFin haben in der Anhörung so getan, als gäbe es
keine Alternative zur Enteignung. Das kommt mir etwas
komisch vor. Die Mitverantwortlichen für den Schlamassel raten uns nun, gegen die Verfassung zu handeln.
Ich finde, das ist ein Skandal.
({18})
Ich will zusammenfassen: Es gibt eine glaubwürdige,
gangbare Alternative, die in diesem Gesetzentwurf angeDr. Hermann Otto Solms
legt ist. Diese Alternative muss man in dieser Situation
wählen, um Schlimmeres zu verhindern. Wir brauchen
keine Enteignung, und wir sollten Art. 3 dieses Gesetzentwurfs streichen.
Vielen Dank.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Wir ändern heute ein Gesetz, um zu verhindern, dass aus
der Finanzkrise eine Finanzkatastrophe wird. Ein Zusammenbruch der Hypo Real Estate wäre eine Bedrohung für das Zahlungssystem, für das Bankensystem in
Deutschland, aber auch darüber hinaus für die gesamte
Welt. Die Deutschen haben unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt, was der Zusammenbruch des Zahlungswesens bedeutet: Tauschwirtschaft und Zigarettenwährung statt Wohlstand und soziale Sicherheit.
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich nachdrücklich verpflichtet, keine systemrelevante Bank kippen zu lassen. Man stelle sich den Schaden vor, der entstünde, wenn ausgerechnet Deutschland hier versagen
würde. Die Glaubwürdigkeit des Exportweltmeisters
Deutschland wäre auf Jahre hinaus weltweit dahin. Sehr
geehrte Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns einig: Das sind genügend Gründe dafür, dass die Hypo
Real Estate auf keinen Fall kippen darf.
({0})
Das ändert aber nichts daran, dass um den richtigen
Weg gerungen werden muss. Der Finanzminister ist seit
Wochen davon überzeugt, dass bei der HRE nur eine
Enteignung die Lösung bringt. Deswegen wurde zunächst - bevor Verhandlungen mit Flowers stattgefunden
haben - ein Enteignungsgesetz vorbereitet. Ich glaube,
das war die falsche Reihenfolge.
({1})
Es ist das Verdienst der CSU und CDU, dass die Reihenfolge nun eindeutig geändert worden ist. Eine Enteignung ist im Gesetz klar die Ultima Ratio.
({2})
Das, was jetzt im Gesetz steht, ist eine verantwortungsbewusste Abwägung zwischen dem Schutz des Privateigentums auf der einen Seite und dem Interesse des
Allgemeinwohls in einer historisch einzigartigen Krisensituation auf der anderen Seite.
({3})
Wir beschließen ein klares Stufenkonzept, bei dem
zwingend weitere Verhandlungsschritte eingebaut sind.
Wir ermöglichen dadurch eine Verhandlungslösung mit
den Aktionären, statt sie in der Notsituation zu enteignen. Eine Voraussetzung für die Lösung ist aber auch die
ernsthafte Bereitschaft der Aktionäre, Verhandlungen zu
führen.
({4})
Dazu sind ein Stück Einsicht und ein Stück moralische
Verantwortung notwendig. Wirtschaft ist keine moralfreie Zone.
({5})
Nicht alles, was rechtlich zulässig ist, ist auch anständig.
Zum Anstand gehört auch, dass Aktionäre in dieser Krisenzeit über ihre rechtliche Verpflichtung hinaus Verantwortung übernehmen und eine angemessene Lösung mittragen.
({6})
Ich möchte hier sagen: Herr Flowers, darum bitten wir
insbesondere Sie ganz ausdrücklich.
Summa summarum erreicht das vorliegende Gesetz
drei Kernziele. Es verhindert die Katastrophe auf dem
Finanzmarkt und stabilisiert den Finanzmarkt, es wahrt
die Interessen der Steuerzahler, und es besteht die realistische Chance, eine Enteignung zu verhindern. Priorität
muss aus unserer Sicht nach wie vor ganz klar eine Verhandlungslösung haben.
Nun zu einigen Kritikpunkten der FDP. Herr Solms,
Sie haben in der ersten Lesung ebenso wie in der heutigen Lesung den Weg der Enteignung heftig kritisiert, in
der ersten Lesung aber keine eigenen Lösungen vorgeschlagen. Ich glaube, dass sich das heute vorliegende
Gesetz substanziell von den ersten Entwürfen des Finanzministers unterscheidet. Es wäre fair, dies anzuerkennen.
({7})
Sie haben vor einigen Tagen in einem Brief an den Finanzminister Lösungen vorgeschlagen. Ihre Vorschläge
sind meiner Meinung nach gut. Es sind nämlich allesamt
Vorschläge, die bereits vor Wochen von der Unionsfraktion in die Diskussion eingebracht wurden. Der erste
Vorschlag ist eine Kapitalerhöhung. Wir haben das im
Gesetz umgesetzt. Künftig muss zwingend eine Hauptversammlung stattfinden, auf der eine Kapitalerhöhung
beschlossen werden kann.
({8})
Ihr zweiter Vorschlag ist die Erweiterung des Insolvenzrechts. In einer geordneten Insolvenz soll die Bank umstrukturiert werden. Herr Solms, wir stimmen dem Anliegen ausdrücklich zu. Es war Minister zu Guttenberg,
der dazu einen konkreten Entwurf vorgelegt hat. Es war
der frühere Wirtschaftsminister Glos, der bereits vor
Monaten diesen Vorschlag eingebracht hat. In der Anhörung haben die Fachleute die Richtung des Wirtschaftsministers klar und eindeutig unterstützt. Leider - da bin
ich bei Ihnen - hat der federführende Finanzminister
Albert Rupprecht ({9})
Steinbrück den Vorschlag nicht aufgegriffen und ihn
über Wochen hin verschleppt.
({10})
Wir werden deswegen die Änderung der Insolvenzordnung für die Hypo Real Estate bis Ende März nicht hinbekommen. Es sind auch nach Meinung der Experten,
die in der Anhörung waren, noch viele Fragen zu klären.
Wir können das Problem auch nicht dadurch lösen, dass
wir, wie Sie es vorschlagen, gesetzlich regeln, dass die
HRE den Jahresabschluss erst Ende Juni vorlegen muss.
Die HRE ist ein international tätiges Unternehmen, das
nach internationalen Regeln verpflichtet ist, den Jahresabschluss Ende März vorzulegen. Das können wir auch
durch ein Bundesgesetz nicht ändern.
({11})
Wir sind dennoch mehr denn je davon überzeugt, dass
das Instrument einer geordneten Insolvenz für Finanzinstitute zügig ausgearbeitet werden muss.
Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen, die
über die aktuelle Frage zur Hypo Real Estate hinausgehen.
Erstens. Wir haben mit dem SoFFin erste Erfahrungen im
Bereich der Wettbewerbsverzerrungen gemacht. Die
Gelder an Autobanken stabilisieren den Finanzmarkt
nach meiner festen Überzeugung nicht, sondern schaden
den regionalen Raiffeisenbanken und Sparkassen. Im Ergebnis werden die kleinen Banken, die in den vergangenen Jahren vernünftig gearbeitet haben, am meisten geschädigt. Das darf nicht sein.
({12})
Wir wollten deswegen unnötige Wettbewerbsverzerrungen durch das Gesetz klarer untersagen. Leider hat die
SPD unsere Änderungsvorschläge nicht mitgetragen.
({13})
Zum Zweiten. Wir haben im Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz eine Regelung, die Landeslösungen
gegenüber SoFFin-Lösungen eklatant benachteiligt und
zudem private Lösungen beinahe unmöglich macht.
Wenn sich der SoFFin zur Stabilisierung mit Eigenkapital an einer Bank beteiligt, gehen die Verluste in der
Bank nicht unter. Wenn sich aber ein Bundesland oder
gar ein privater Investor beteiligt, gehen die Verluste unter.
({14})
Wenn wir das nicht ändern, erschweren wir Lösungen
für die Landesbanken und schließen privates Kapital zur
Stabilisierung der Banken systematisch aus.
({15})
Dann bleiben im Ergebnis nur SoFFin-Lösungen, die zuletzt der Steuerzahler zu zahlen hat. Ich bin der Meinung: Das ist Unsinn. Leider Gottes hat auch in diesem
Fall die SPD Änderungsvorschläge vonseiten der Union
nicht mitgetragen.
({16})
Nichtsdestotrotz fordern wir diese Änderungen auch
weiterhin ein.
({17})
Der Bankenrettungsschirm hat uns in den vergangenen fünf Monaten ermöglicht, Banken in der Krise zu
stabilisieren und die Katastrophe zu verhindern. Aber
die Krise ist nicht zu Ende. Die heutige Gesetzesänderung ist ein zwingend notwendiger Schritt. Weitere
Schritte müssen in den nächsten Monaten folgen.
Herzlichen Dank.
({18})
Der Kollege Dr. Gerhard Schick erhält nun das Wort
für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! In einem
hat Herr Solms recht: Die Situation, in der wir heute
sind, ist die Folge einer Serie von Fehlentscheidungen,
Fehleinschätzungen und Unterlassungen der Bundesregierung, und die muss man schon deutlich benennen.
Es ist das Ergebnis einer Sonderprüfung bei der Hypo
Real Estate liegen geblieben. Es ist der Hinweis der
BaFin, man brauche zusätzliche Prüfungsmöglichkeiten,
liegen geblieben; er wurde viel zu spät umgesetzt. Dann
hat die Bundesregierung bei dem Gesetz, das im Oktober
verabschiedet wurde, einen zentralen Fehler gemacht:
Sie hat davon abgesehen, die Banken zu zwingen, Kapital in Anspruch zu nehmen. In einer Serie von Bürgschafts- und Garantiegewährungen wurde immer mehr
Risiko auf den Staat überwälzt, ohne dass man sich irgendwelche Kontrollrechte gesichert hat. Sie sind immer
weiter in die falsche Richtung gelaufen. Erst ging es um
35 Milliarden Euro, dann um 50 Milliarden Euro. Es
folgten weitere 10 Milliarden Euro und 12 Milliarden
Euro. Heute sind die Bürgerinnen und Bürger bei der
Hypo Real Estate mit 87 Milliarden Euro im Risiko. Das
ist eine Serie von Fehlentscheidungen. Deswegen sind
wir heute in einer Zwangslage.
({0})
In dieser Zwangslage gibt es eine Scheinlösung und
zwei realistische Lösungen. Die Scheinlösung ist die,
jetzt über ein anderes Insolvenzrecht und das diesbezügliche amerikanische Vorbild zu spekulieren. Der Zeitpunkt dafür ist aber längst versäumt. Diesen Weg hätte
man vor Wochen einschlagen müssen.
Deswegen bleiben heute nur zwei realistische Varianten. Die eine Variante ist, Herrn Flowers nachzugeben,
der die Zwangssituation, in die die Bundesregierung die
Bürgerinnen und Bürger gebracht hat, zu seinem eigenen
Vorteil ausnutzen will. Die andere Variante ist, über die
Enteignung eine Möglichkeit zu schaffen, aus der Sackgasse herauszukommen. Da stellt sich bei der namentlichen Abstimmung nachher genau die Frage: Verstehen
wir uns als die parlamentarische Vertretung der Heuschrecken - so wie die FDP - oder der Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes? Darauf kommt es nachher an.
({1})
Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, der
für uns zentral ist; da frage ich mich schon, welches Rollenverständnis die Abgeordneten der Großen Koalition
haben. In den USA haben die Kongressabgeordneten an
verschiedenen Stellen durchgesetzt, dass transparent gemacht wird, wie es läuft. Da haben die Abgeordneten
den Mumm, einzufordern, dass die Bürgerinnen und
Bürger wissen müssen, wie die Konditionen sind. Auch
bei der UBS in der Schweiz können sie es genau nachlesen. Warum sollen deutsche Bürgerinnen und Bürger in
dieser Situation nicht wissen, was auf sie übertragen
wird, wo sie ins Risiko gehen und welche Konditionen
gelten? Warum sollen deutsche Bürgerinnen und Bürger
das nicht wissen? Diese Fragen müssen Sie einmal beantworten.
({2})
Das gilt auch für die Frage, wer eigentlich im Endeffekt von den Rettungspaketen begünstigt wird. Sie
sprechen hier immer von Systemrelevanz. Ja, aber wissen wir denn, wer am Ende wirklich das Geld bekommt?
Die Abgeordneten des amerikanischen Kongresses haben erzwungen, dass im Falle des großen Versicherers
AIG genau dargelegt werden muss, wer profitiert. Damit
wird zugleich mit einem Mythos aufgeräumt; manche
Banken scheinen ja zu meinen, sie würden gar nicht von
der staatlichen Hilfe profitieren. Natürlich profitieren sie
davon. Auch die Deutsche Bank profitiert von den Hilfen, weil sie indirekt begünstigt wird, wenn andere Unternehmen gerettet werden. Warum sollen deutsche Bürgerinnen und Bürger nicht erfahren, wer begünstigt
wird? Warum haben die Abgeordneten der Großen Koalition nicht denselben Mumm wie die Abgeordneten
des amerikanischen Kongresses? Wir haben das im Finanzausschuss vorgeschlagen, Sie aber haben sich für
Intransparenz entschieden, die Mauscheleien ermöglicht.
Das hat Deutschland nicht verdient.
({3})
Schließlich möchte ich noch einen Ausblick auf die
Landesbanken geben. Dieses Thema wurde ja schon
angesprochen. Ich wünsche der CDU und der CSU viel
Vergnügen. Ihre Ministerpräsidenten blockieren seit einigen Monaten eine konstruktive Lösung in der Meinung, sie könnten es selber stemmen.
({4})
Ich halte das für unverantwortlich. Wenn wir in den
nächsten Monaten wieder darüber reden, wird man sehen, dass hier genauso wie bei der Hypo Real Estate zugelassen wurde, dass vieles viel zu lange in die falsche
Richtung gelaufen ist, wodurch die Belastungen für die
Bürgerinnen und Bürger noch größer geworden sein
werden. Das ist die Wirtschaftspolitik der CDU und der
CSU. Das werden wir auch in Zukunft immer wieder
deutlich sagen.
Danke schön.
({5})
Das Wort erhält der Kollege Ortwin Runde für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Schick, auf die USA zu schauen, lohnt in der Tat.
({0})
Wir haben ja in der letzten Nacht die Information erhalten, dass im amerikanischen Kongress ein Gesetz verabschiedet wurde, demzufolge die Bonizahlungen an diejenigen, die über ein Familieneinkommen von mindestens
250 000 Dollar verfügen und bei Banken tätig sind, die
über 5 Milliarden Dollar Staatshilfe erhalten haben, in
Zukunft mit einem Steuersatz in Höhe von 90 Prozent
besteuert werden sollen.
({1})
Was lehrt uns das? Einmal lehrt es uns, dass in Amerika in der Vergangenheit bei der Ausgestaltung von Rettungsaktionen Fehler gemacht worden sind. Man hat
dort zugelassen, dass den Anteilseignern von Banken,
denen durch Steuergelder geholfen wird, Dividenden gezahlt werden, dass dort hohe Abfindungen gezahlt werden und dass Boni ausgeschüttet werden, zum Beispiel
bei der AIG Boni in einer Größenordnung von
170 Millionen Dollar.
({2})
Sie, Herr Dr. Schick, hätten ruhig sagen können, dass
das in Deutschland vernünftiger geregelt worden ist.
({3})
Wir haben nämlich festgelegt, dass die Managergehälter
bei Instituten, die Hilfen in Anspruch nehmen, begrenzt
werden, dass keine Dividenden gezahlt werden usw.
Was lehrt uns das weiterhin? Jetzt richte ich mich insbesondere an die FDP. In dieser Wüste, die die Finanzkrise angerichtet hat und unter der wir alle zu leiden haben, gibt es immer noch Oasen, die aus Steuergeldern
gespeist werden. Wer dann Kamele an diese Oasen
treibt, muss wissen, dass dies von den Steuerzahlern bezahlt werden muss.
({4})
Da entpuppen Sie von der FDP sich in der Tat als die
Schutzpatrone dieser Kamele,
({5})
sowohl Herr Westerwelle in Bezug auf die Steueroasen
in Europa als auch Sie, Herr Solms, in Bezug auf eine
mögliche Enteignung der HRE und die Interessen von
Herrn Flowers. Das ist Ihre Rolle.
({6})
- Wenn Sie wollen, von mir aus gerne. Darf er, Herr Präsident?
Nachdem ich jetzt förmlich die Anfrage zur Kenntnis
genommen habe und Sie schon im Vorgriff die Frage, die
ich eigentlich stellen müsste, ob Sie die Zwischenfrage
zulassen wollen, positiv beschieden haben, darf der Kollege Koppelin eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Runde, in der Zeit, als die Sozialdemokraten in Hamburg und in Schleswig-Holstein regierten,
hatten sie, wenn Sie so wollen, die Verantwortung für die
HSH Nordbank. Darf ich Sie einmal fragen, wie die
HSH Nordbank dazu gekommen ist, Anlegern zu empfehlen, ihr Geld in Steueroasen anzulegen? Wo waren da
die Sozialdemokraten?
Herr Koppelin, schöne Frage. Ich war selbst Aufsichtsratsvorsitzender
({0})
der Hamburgischen Landesbank. Zu der Zeit gab es
noch keinen Herrn Flowers, im Übrigen gab es auch
noch die Gewährträgerhaftung. In diesen Jahren, 1993
bis 1997, hat es ein solches Verhalten nicht gegeben,
({1})
weil es eine politische Verantwortung von mir als Aufsichtsratsvorsitzenden gab, der ich gleichzeitig Vorsitzender des Kreditausschusses war. Ich fand die
Hereinnahme von Herrn Flowers, eines Private-EquityInvestors, in die HSH Nordbank falsch.
({2})
Das ist etwas, was wir bei anderen Landesbanken nicht
haben. Jeder weiß, dass Private-Equity-Investoren das
Interesse haben, nach zwei, drei Jahren auszusteigen. Sie
müssen sich einmal bei der HSH Nordbank ansehen, wie
die Renditeerwartungen im Zusammenhang mit der Hereinnahme von Herrn Flowers gestiegen sind
({3})
aufgrund der Zielsetzung, die HSH Nordbank an die
Börse zu bringen und zu privatisieren.
Besonders bemerkenswert fand ich, dass der Aufsichtsrat sich selbst Boni für den Fall, dass Dividenden
gezahlt werden, eingeräumt hat. Das hat es zu meiner
Zeit nicht gegeben, überhaupt nicht in der Zeit, als wir in
Hamburg regiert haben.
({4})
Zu den Ausführungen zum Grundgesetz, die Sie,
Herr Solms, hier gemacht haben: Man kann nicht Art. 14
Abs. 1, die Eigentumsrechte, betonen und Art. 14 Abs. 2
und Abs. 3 vergessen.
({5})
Dass Eigentum verpflichtet, muss in Ihre Köpfe. Das
Grundgesetz liegt im Übrigen bei Ihnen in der Schublade. Nehmen Sie es heraus und lesen Sie es!
({6})
Eigentum verpflichtet; das sollten Sie ernster nehmen.
Was Sie hier vorführen, auch indem Sie Herrn
Flowers baten, bei der Anhörung anwesend zu sein, ist
schon ein tolles Stück. Dass der Herr Flowers sich am
Ende eher als Kronzeuge für die Notwendigkeit einer
Enteignungsdrohung erwiesen hat, war von Ihnen nicht
beabsichtigt.
({7})
Es sollte Ihnen zu denken geben, dass alle anwesenden
Verfassungsrechtler gesagt haben, dass dies ganz selbstverständlich ein Fall ist, in dem Enteignung im Interesse
des Gemeinwohls möglich ist. Ich darf da auf Herrn
Hopt, den bekanntesten Juristen in diesem Bereich, verweisen. Er hat gesagt, dass „der Staat eine Schutzaufgabe bei system- und existenzbedrohenden Folgen von
Marktereignissen“ hat. Dass dies eine existenzbedrohende Folge von Marktereignissen ist, ist wohl unstrittig.
({8})
Möchten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Solms zulassen?
Ja, wenn er mag.
Würden Sie mir bitte bestätigen - ich gehe davon aus,
dass Sie das wissen -, dass in der Verfassung die Möglichkeit der Enteignung sehr wohl vorgesehen ist, aber
nur unter ganz eng gefassten Bedingungen? Darunter ist
die, dass es keine andere mögliche Alternative zum Instrument der Enteignung gibt, um das gleiche Ziel zu erreichen.
({0})
Herr Solms, als jemand, der in der Praxis viel mit Enteignung zu tun hatte - im Zusammenhang mit Flughäfen, Straßenbau usw. -, weiß ich, dass man natürlich immer erst einmal versucht, im Interesse des Gemeinwohls
im Verhandlungswege das entsprechende Grundstück
oder den Vermögensgegenstand zu erwerben. Das ist
ganz selbstverständlich. Herr Solms, in dem Moment,
wo die Betroffenen renitent werden und einen Reibach
machen wollen, kann man auf die Möglichkeit der Enteignung hinweisen. Die Frage ist letztendlich, was im Interesse des Steuerzahlers zu verantworten ist.
Die Gesetze gelten ja allgemein. Deswegen will ich
einmal den konkreten Fall Flowers nehmen. Sein Eigentumsanteil an der HRE - er hat die Aktien für 22,50 Euro
pro Stück erworben; gegenwärtig ist die Aktie nur noch
0,80 Euro wert - stellt in Wirklichkeit einen negativen
Vermögenswert dar. Dieser Anteil wäre ohne die Hilfe
des Staates und ohne den Schutzschirm gar nichts wert;
Herr Flowers hätte null. Das gilt auch für alle anderen
Anteilseigner an der HRE.
({0})
Der Steuerzahler wird natürlich darauf achten, wie
weit wir uns von dieser Nulllinie im Rahmen unserer
Aktivitäten entfernen. Mit der Möglichkeit der Enteignung
zu drohen, ist deswegen das richtige Instrument.
({1})
Ich möchte noch auf einen weiteren entscheidenden
Punkt eingehen. Wir werden gerade vor dem Hintergrund des amerikanischen Beispiels sehr genau darauf
achten müssen, dass wir öffentliche Steuermittel möglichst effizient und nur in geringem Umfang einsetzen.
Das gilt auch für die Refinanzierungskosten. Aus diesem
Grunde ist jede Übernahme von nur 75 Prozent plus eine
Aktie nicht ausreichend. Welches Risiko sich ergeben
kann, ist vom früheren Leiter des SoFFin beschrieben
worden. Er hat gesagt, dass sich Jahr für Jahr über einen
Zeitraum von 30 und mehr Jahren Mehrkosten in Höhe
von 1,5 Milliarden Euro ergeben könnten und dass eine
Rekapitalisierung 4 bis 6 Milliarden Euro kosten könnte.
Den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU muss
ich deswegen sagen: Es wäre also lebensgefährlich und
nicht verantwortbar, dieses Risiko einzugehen.
({2})
Noch eine Bemerkung zur Terminsetzung. Weil der
Innenminister es so wollte, endet die Möglichkeit, ein
Enteignungsverfahren durchzuführen, am 30. Juni 2009.
Wer gibt aber Ihnen und uns die Garantie, dass die
Finanzmarktkrise und die Krise der Finanzinstitute sich
nach dieser Fristsetzung richten und wir in Zeiten des
Wahlkampfes nicht auf die Handlungsfähigkeit des Staates angewiesen sind? Ich finde die beabsichtigte Fristsetzung hochgefährlich. Das Mindeste wäre gewesen, die
Frist so festzusetzen, dass ein neu gewähltes Parlament
darüber erneut entscheiden kann. Wir hätten also die
Verpflichtung gehabt, die Frist bis dahin auszuweiten.
Ich hoffe, dass es deswegen keine Probleme gibt. Der
jetzt festgelegte Termin ist aus meiner Sicht nicht zu verantworten.
Ein letzter Punkt. Herr Rupprecht hat mit Blick auf
diejenigen, die diese Finanzkrise verursacht haben, gesagt: Wirtschaft ist keine moralfreie Zone. Ich habe den
Eindruck, dass in gar nicht einmal so kleinen Bereichen
die Wirtschaft durchaus eine moralfreie Zone war. Wenn
ich mir das Verhalten einer Vielzahl von Anteilseignern,
aber auch von Akteuren aus dem Bankwesen ansehe,
dann scheint mir das nach wie vor eine Gefahr zu sein.
Insofern sind pädagogische Hilfen der Politik für die
Wirtschaft erforderlich. Der amerikanische Kongress hat
pädagogische Hilfe geleistet, indem er sagte: Boni, die
ihr euch in irgendeiner Form aneignet, werden mit
90 Prozent besteuert.
({3})
Wir werden vor der Verantwortung stehen, sicherzustellen, dass die Mittel der Steuerzahler, die eingesetzt
worden sind, am Ende von der Finanzbranche zurückgezahlt werden. Ich darf an unseren gemeinsamen Beschluss und Prüfungsauftrag an das Finanzministerium
bzw. die Regierung erinnern, zu kontrollieren, wie durch
eine entsprechende Sonderabgabe die Mittel, die am
Ende aufgewendet worden sind, zurückfließen können.
Herr Kollege Runde.
Dafür eine Lösung zu finden, steht uns sicherlich
noch bevor.
Schönen Dank.
({0})
Bevor ich nun den letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich die Kolleginnen und
Kollegen, die in der Zwischenzeit zur namentlichen Abstimmung eingetroffen sind, bitten, Platz zu nehmen. Es
wird erstens noch ein paar Minuten dauern, und wir werden zweitens vor der namentlichen Abstimmung eine
Reihe einfacher Abstimmungen durchführen. Deswegen
noch einmal meine Bitte, Platz zu nehmen und dem letzten Redner die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen.
Nun hat der Kollege Kampeter das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen spüren in diesen Wochen die Herausforderungen,
vor die uns die wirtschaftliche Entwicklung stellt. Dass
wir heute eine Fortentwicklung des Finanzmarktrettungssystems vornehmen, macht deutlich, dass diese
Herausforderungen von der Politik entschieden angenommen werden. Unser Handeln führt entschlossen in
die Zukunft. Dieses Handeln ist ein Zeichen der Stabili22972
tät. Wir, der Deutsche Bundestag, tun im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger das, was jetzt nötig ist, um
unseren Staat nach vorne zu bringen und unser Wirtschafts- und Finanzsystem zu stabilisieren.
({0})
Ich will nicht verhehlen, dass es auch in unserer Koalition an der einen oder anderen Stelle Unbehagen und
Unsicherheit gibt. Wir verkünden hier nicht letzte Wahrheiten. Ich wünschte mir, es wäre das letzte Mal, dass
wir Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung treffen
müssten. Es ist erkennbar, dass wir auf neue Situationen
mit veränderten Maßnahmen reagieren müssen. Unsicherheit bzw. Verunsicherung ist allerdings kein Handlungskonzept.
({1})
Sich hier vorne hinzustellen und zu sagen, dass man eigentlich unsicher sei, ob man es so machen sollte, oder
zu äußern, so könne man es nicht machen, ohne zu sagen, was man machen wolle, ist keine verantwortungsvolle Politik. Dies schafft keine Stabilität in unserem
Land.
({2})
So behauptet beispielsweise die Opposition, wir würden Staatsgelder in die Hand nehmen und Banken stabilisieren, damit diese dann Dividenden zahlten. Kollege
Runde hat zu Recht festgehalten: Wir machen genau das
Gegenteil.
Herr Gysi, Sie sagen nicht die Wahrheit,
({3})
wenn Sie hier behaupten, dass wir dazu beitragen, dass
beispielsweise die von Ihnen angeführte Commerzbank
unsere Staatsgelder in Form einer Dividendenzahlung
weiterreicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wir handeln verantwortlich im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler unseres Landes.
({4})
Ich muss angesichts dessen, was die FDP vorgetragen
hat, die Frage stellen, ob die FDP die Herausforderung
begriffen hat, vor der wir stehen, oder ob es nicht verantwortungslos ist, wenn die FDP als Leichtmatrosenpartei
({5})
Vorschläge macht, deren mögliche Folgen - in der Konsequenz würden diese Vorschläge beispielsweise reihenweise zu Bankensterben führen - sie als Oppositionspartei gar nicht zu tragen hätte. So kann eine
verantwortungsvolle Opposition in diesem Hause nicht
handeln.
({6})
Ich will deutlich machen: Die Finanzkrise eignet sich
nicht für vordergründige parteipolitische Spiele.
({7})
Als jemand, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, weise
ich auf Folgendes hin: Eine christlich-demokratisch geführte Landesregierung muss jetzt bei der WestLB aufräumen. Die Verantwortlichkeiten dafür lagen in der Regierung von Herrn Clement und Herrn Steinbrück. Wir
müssen aber, anstatt parteipolitische Spielchen zu betreiben, die anstehende Aufgabe lösen. Deswegen novellieren wir heute das Finanzmarktstabilisierungsgesetz.
({8})
Eines will ich klar und deutlich sagen: Der Begriff
Bankenrettung, der hier oft gefallen ist, führt ein Stück
weit in die Irre.
({9})
Es geht doch nicht um die Rettung einzelner Banken,
sondern darum, die Bürger zu retten. Es geht darum, die
Bürger vor den Folgen einer Finanzkrise mit zusammenbrechenden Banken zu bewahren. Es geht darum, die
Bürger davor zu schützen, dass sie nicht mehr an ihre
Sparguthaben kommen, und darum, die Handwerker davor zu schützen, dass ihre Rechnungen nicht mehr auf
normalem Wege beglichen werden.
({10})
Das ist der Kern des Bankenrettungspakets. Es geht um
den Schutz vor Chaos.
Um ein Sujet aufzunehmen, das der Kollege Brüderle
vorgetragen hat: Im Kern geht es bei der Bankenrettung
um die Sicherstellung der Handlungsfreiheit. Bankenrettung ist Freiheitssicherung für die Wirtschaftssubjekte,
für die Kunden, die Senioren und die Sozialhilfeempfänger. Der Kern dieses Bankenrettungsplans ist die Aufrechterhaltung unseres Finanz- und Bankensystems.
({11})
Ohne funktionsfähige Finanz- und Bankenmärkte gibt es
kein nachhaltiges Wachstum. Ein enormer Anstieg der
Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Kollege Brüderle, dadurch droht doch der Weg in die Knechtschaft, nicht dadurch, dass wir das Bankensystem funktions- und leistungsfähig halten.
({12})
Als Haushälter halte ich wenig von der Politik der
großen Zahlen. Wir lesen in diesen Tagen viel darüber,
auch aus anderen Ländern. Der Behauptung „viel hilft
viel“ stimme ich nicht zu. Dieser Naivität dürfen wir
beim Schuldenmachen, insbesondere angesichts der Herausforderungen, die sich daraus für die nachfolgenden
Generationen ergeben, nicht auf den Leim gehen.
({13})
Auch den billigen Jakob, den uns hier manche anpreisen
- man müsse nur bei einigen etwas wegnehmen, dann
wären alle Probleme gelöst -, kann ich Ihnen nicht empfehlen. Verantwortung und Sicherheit, die wir jetzt brauchen, gibt es nicht zum Nulltarif. Der Staat muss in dieser Krise entschieden und entschlossen handeln, und er
muss unter dem Gesichtspunkt von Maß und Mitte auch
Finanzmittel in die Hand nehmen.
({14})
Verschiedentlich ist in diesem Zusammenhang auch
von Enteignung gesprochen worden. Die FDP erweckt
den Eindruck, das sei das vordergründige Ziel unserer
Aktivitäten.
({15})
Herr Kollege Solms, welches Eigentum wollen Sie eigentlich retten oder enteignen? Die Eigentümer der Bank
sind durch die Kursentwicklung enteignet worden. Die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden durch die
Maßnahmen, die wir hier heute beschließen, vor Enteignung geschützt.
({16})
Das ist doch der Kern: der Schutz vor Enteignung. Diejenigen, die in einer Größenordnung von 400 Milliarden
Euro Forderungen gegen diese Bank haben, wären doch
auch enteignet, wenn das, was Sie vorschlagen, die ungeordnete Insolvenz,
({17})
kommen würde und somit Ihre Kapitalerhöhungsstrategie scheitern würde. Unter dem Deckmantel des Arguments „Wir sind gegen Enteignung“ werden von der
FDP vielfältige andere Möglichkeiten zur Enteignung in
weitaus größerem Maße, als ihre Rettungsaktion für
Herrn Flowers es vermuten lässt, geradezu plausibel dargelegt.
Diese Form der Ungleichbehandlung von Eigentum,
diese Nichtabwägung von unterschiedlichen Eigentumsrechten in Bezug auf ein einzelnes Institut werden wir
nicht mitmachen. Wir machen das, was dem Gemeinwohl dient. Wir wägen ab und wählen das Mittel, das das
Eigentum in unserer Gesellschaft maßvoll schützt.
({18})
Deswegen ist richtig, was Karl-Theodor zu Guttenberg
vorgeschlagen hat. Er hat deutlich gemacht, dass wir für
den Finanzmarktbereich ein umfassendes Insolvenzrecht brauchen. Deswegen ist richtig, was Wolfgang
Schäuble gesagt hat: Wir müssen eine solche Enteignung
befristen. Wir wollen nämlich nicht, dass dies ein Einfallstor für umfassende Enteignungsstrategien ist. Wir
wollen auf eine spezielle Situation reagieren und müssen
deswegen jetzt ein differenziertes Instrumentarium anwenden. Das ist unser Ansatz. Er ist verhältnismäßig. Er
ist geboten. Er ist die notwendige Antwort dieser Regierung auf die Herausforderungen der Finanzmarktkrise.
In diesem Sinne werbe ich für die Zustimmung des Hauses zu diesem Gesetz.
Herzlichen Dank.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Es wäre gut, wenn es
für die einzelnen Abstimmungen, deren Bedeutung quer
durch alle Fraktionen noch einmal verdeutlicht worden
ist, ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit im Plenum
gäbe.
Mir liegen zu den eingebrachten Entwürfen eines
Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes und den
von den Fraktionen dazu eingebrachten Änderungsanträ-
gen bzw. Resolutionen eine Reihe von schriftlichen Er-
klärungen zur Abstimmung bzw. zu den Gesetzentwür-
fen vor, die wir nach unserem üblichen Verfahren dem
Protokoll beifügen.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf den Drucksachen 16/12316 und 16/12343, die
Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD sowie der Bundesregierung auf den Drucksachen
16/12100 und 16/12224 zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion der FDP
hat beantragt, über Art. 3 einerseits und über Art. 1, 2, 4
bis 6 sowie über Einleitung und Überschrift andererseits
getrennt abzustimmen. Wir verfahren jetzt nach diesem
Vorschlag.
Wir kommen zunächst zu Art. 3 in der Ausschussfas-
sung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/12317? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag abge-
lehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über Art. 3 in der
Ausschussfassung. Die Fraktion der FDP wünscht dazu
eine namentliche Abstimmung. Ich will darauf aufmerk-
sam machen, dass wir nach dieser namentlichen Abstim-
mung weitere Abstimmungen sowie eine weitere na-
mentliche Abstimmung durchführen müssen, sodass Sie
nach dieser Abstimmung bitte nicht den Plenarsaal ver-
lassen. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer
bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir
ein Zeichen zu geben, wenn wir mit der Abstimmung be-
ginnen können. - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der oder
die bei dieser ersten namentlichen Abstimmung die
Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Weitere Inte-
ressenten sehe ich nicht. Dann schließe ich die erste na-
mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
1) Anlagen 2 bis 5
Präsident Dr. Norbert Lammert
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Auszählung teile ich mit, sobald es vorliegt.
({0})
- Ich bitte Sie, freundlicherweise wieder für einen Augenblick Platz zu nehmen, damit wir, bevor die nächste
namentliche Abstimmung stattfindet, einige Abstimmungen durchführen können.
Wir stimmen zunächst über Art. 1, 2, 4 bis 6 sowie
Einleitung und Überschrift in der Ausschussfassung ab.
Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die gerade aufgerufenen Artikel sowie Einleitung und Überschrift sind mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP
und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung des
Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung insgesamt angenommen.
Zwar lagen bei den gerade durchgeführten offenen
Abstimmungen übersichtliche Mehrheiten vor. Dennoch
können wir nicht gänzlich ausschließen, dass es bei der
ersten namentlichen Abstimmung keine Mehrheit gegeben hat. Eine Mehrheit ist allerdings Voraussetzung für
die Schlussabstimmung. Daher müssen wir vor der zweiten namentlichen Abstimmung die Auszählung der Stimmen der ersten Abstimmung abwarten. Das wird sicherlich nicht allzu lange dauern. Bis dahin bitte ich um
Geduld.
Ich unterbreche so lange die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich kann Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über Art. 3 des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie der Bundesregierung mitteilen - mein herzlicher Dank gilt den
Schriftführerinnen und Schriftführern -: abgegebene
Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein haben gestimmt 106. Enthalten haben sich 4 Kolleginnen
und Kollegen. Damit ist der Art. 3 des Gesetzentwurfs
angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 535;
davon
ja: 425
nein: 106
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({7})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({8})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({14})
Peter Rzepka
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({15})
Andreas Schmidt ({16})
Ingo Schmitt ({17})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({19})
Gerald Weiß ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({21})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({22})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({23})
Marco Bülow
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({24})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({25})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({26})
Frank Hofmann ({27})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({28})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Christian Kleiminger
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({30})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({31})
Michael Müller ({32})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({33})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({34})
Marlene Rupprecht
({35})
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({37})
Silvia Schmidt ({38})
Heinz Schmitt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({41})
Swen Schulz ({42})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({43})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({44})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({45})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({46})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({47})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Nein
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({52})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({53})
({54})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Michael Brand
Uda Carmen Freia Heller
Susanne Jaffke-Witt
Manfred Kolbe
Das beim Präsidium angemeldete Interesse an Offen-
legung des Abstimmungsverhaltens einzelner Abgeord-
neter kann durch Einsicht in das Protokoll mühelos be-
dient werden. Deswegen führen wir namentliche
Abstimmungen durch.
Nun kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen auf Verlangen der
Fraktion Die Linke über den Gesetzentwurf im Ganzen
namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze wieder einzuneh-
men. - Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der oder
die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das
scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die
zweite namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen
später mitgeteilt.1)
Wir setzen nun die Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt fort. Wir kommen zur Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/12318. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Es wäre gut, wenn zumindest die Mitglieder der FDP-Fraktion dem Entschließungsantrag zustimmen würden.
({55})
Selbst einzelne Parlamentarische Geschäftsführer könn-
ten sich dieser Initiative unter Umständen anschließen. -
Ich stelle fest, dass die gesamte FDP-Fraktion, soweit
anwesend, diesem Entschließungsantrag zustimmt. Wer
1) siehe Seite 22980 D
Präsident Dr. Norbert Lammert
stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? - Wer ent-
hält sich der Stimme? - Damit ist dieser Entschließungs-
antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 31 b und
31 d sowie zu den Zusatzpunkten 7 und 8. Hier geht es
um die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
16/10827, 16/12294, 16/12285 und 16/12292 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d
sowie den Zusatzpunkt 9 auf:
32 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege
- Drucksache 16/12274 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({56})
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts
- Drucksache 16/12275 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({57})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung
- Drucksache 16/12276 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({58})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({59})
- Drucksache 16/12277 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({60})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({61}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer,
Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verfahren vereinfachen, Bürger entlasten,
Rechtssicherheit schaffen - Notwendige Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Projekts „Umweltgesetzbuch“
- Drucksachen 16/9113, 16/10393 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung ({62})
Horst Meierhofer
Sylvia Kotting-Uhl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum 75 Minuten vorgesehen. Das ist offenkundig unstreitig. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Sigmar Gabriel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was das
Thema Umweltgesetzbuch angeht, kann man der Bundeskanzlerin nur sehr wahrsagerische Fähigkeiten zuordnen. Ich lese Ihnen einmal zu Beginn etwas vor. Angela
Merkel hat am 11. Juli 2007 in Ludwigsburg Folgendes
gesagt:
Wir sind sehr dankbar, dass die Föderalismusreform I - vermeintlich zumindest; ich will nicht
ausschließen, dass es trotzdem noch Schwierigkeiten gibt - die Voraussetzung für ein Umweltgesetzbuch geschaffen hat.
In der Tat, meine Damen und Herren, so ist es dann auch
gekommen. Ich denke, die Kanzlerin wusste, worüber
sie redet. Sie wird ihre eigene Partei vermutlich gut kennen.
Wir werden heute wohl mehr über das reden, was wir
nicht geschafft haben, als über das, was wir in den Deutschen Bundestag einbringen. Dass es nach 20 Jahren
auch diese Koalition nicht geschafft hat, ein Umweltgesetzbuch mit einer Verfahrensvereinfachung auf den
Weg zu bringen, ist meines Erachtens kein Ruhmesblatt
für die Politik der vergangenen 20 Jahre, auch nicht für
diese Große Koalition.
({0})
- Ich versuche zwar, zu verhindern, dass Sie nach der
nächsten Bundestagswahl an der Erstellung des Umweltgesetzbuches beteiligt sind. Dass Sie dem aber zustimmen, dagegen habe ich natürlich nichts.
Das wäre auch deshalb sinnvoll gewesen, weil wir
uns mitten in einer nicht unerheblichen Finanz- und
Wirtschaftskrise befinden und alles tun müssen, um neben dem Aspekt des Umweltschutzes auch unseren Unternehmen die Chance zu eröffnen, sich der Überbürokratisierung zu entledigen. Genau darum ging es im
Umweltgesetzbuch.
Wir wollten eine integrierte Vorhabengenehmigung
- so steht es auch im Koalitionsvertrag - mit dem Ziel,
die Unternehmen davon zu entlasten, dass sie, wenn sie
beispielsweise eine Industrieanlage genehmigen lassen
wollen, die Bezüge zum Wasserrecht oder zum Naturschutzrecht hat, mehrere unterschiedliche Genehmigungsverfahren beginnen müssen: ein immissionsschutzrechtliches und ein wasserrechtliches.
Wir wollten endlich Sorge dafür tragen, dass daraus
ein Genehmigungsverfahren wird: ein Antrag, ein Verfahrensgang, eine Genehmigung. Das würde eine deutliche Entlastung insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen bedeuten.
Der Normenkontrollrat hat dies bestätigt, indem er
zweimal - Ende vergangenen Jahres und dann noch einmal im Januar 2009 - über seinen Vorsitzenden erklärt
hat, dass das Umweltgesetzbuch so, wie es vorgelegt
wurde, nämlich mit der integrierten Vorhabengenehmigung, ein Beitrag zur Entlastung von Unternehmen ist.
Ich zitiere:
Vielmehr sind durch Systematisierung und Vereinheitlichung von Verfahrensvorschriften eine deutliche bürokratische Entlastung und damit auch ein
Impuls für Wachstum und Beschäftigung zu erwarten.
Das war übrigens die Antwort des Normenkontrollrates
auf die Vorwürfe des bayerischen Umweltministers, das
Umweltgesetzbuch mit der integrierten Vorhabengenehmigung sei ein bürokratisches Monster. Das Gegenteil
ist der Fall.
Dass wir trotz der Wirtschaftskrise darauf verzichten,
den kleinen und mittelständischen Unternehmen endlich
ein einfaches Verfahrensrecht im Bereich Umweltschutz
an die Hand zu geben, kann ich weder aus umweltpolitischer noch aus wirtschaftspolitischer Sicht verstehen.
({1})
Dass der Bundesverband der Deutschen Industrie, der
die großen Unternehmen vertritt, die sich einen ganzen
Stab von Juristen leisten können, der Überzeugung ist,
ein neues Verfahrensrecht mit integrierter Vorhabengenehmigung sei unnötig, kann ich verstehen. Dort herrscht
ein wenig Denkfaulheit. Das, was die Juristen bislang
gemacht haben, haben sie gut beherrscht, und sie werden
gut bezahlt. Die großen Unternehmen können sich solche Stabsabteilungen leisten; für die kleinen Unternehmen und die Mittelständler gilt das nicht.
Ich habe den Eindruck, dass es manchen ganz recht
ist, in Zukunft wieder darüber meckern zu können, dass
das Umweltrecht so bürokratisch ist.
({2})
Ich war erstaunt: Jahrelang habe ich in den Zeitungen
gelesen - auch vom BDI -, dass das deutsche Umweltrecht wirtschaftsfeindlich sei und dass man es endlich
vereinheitlichen müsse. Jetzt wollen wir das, und plötzlich will der BDI nichts mehr davon wissen. Das zeigt
doch, dass jedenfalls auf die Funktionäre des BDI kein
Verlass ist und dass nach einer Schamfrist offensichtlich
doch lieber wieder über das deutsche Umweltrecht gemeckert wird.
Egal wie die Bundestagswahl ausgehen wird: Ich bin
mir sicher, dass dies eines der ersten Gesetze sein wird,
das der nächste Deutsche Bundestag beschließen wird.
Alles spricht für die integrierte Vorhabengenehmigung.
({3})
Von daher bin ich dann doch halbwegs optimistisch; das
Umweltrecht wird es auch in einem Dreivierteljahr noch
geben und die Genehmigungsverfahren werden weitergehen.
Da das Umweltgesetzbuch aufgrund des Widerstands
in der CDU/CSU-Fraktion nicht in der Weise zustande
kommt, dass wir endlich ein einheitliches Verfahrensrecht schaffen, müssen wir jetzt die Konsequenzen ziehen, um eine völlige Zersplitterung des Umweltrechts in
Deutschland - im Naturschutzrecht und im Wasserrecht zu verhindern. Neben den Gesetzentwürfen zur Neuregelung des Wasserrechts und des Naturschutzrechts legen wir Ihnen deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur
Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung
und ein Rechtsbereinigungsgesetz vor.
Worum geht es? Durch die Föderalismusreform I erhielt der Bund statt der Rahmengesetzgebungskompetenz
die volle Gesetzgebungskompetenz für das Naturschutzrecht und das Wasserrecht. Ich zitiere den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion vom 10. März 2006:
Durch die Föderalismusreform wird nämlich ein
Umweltgesetzbuch des Bundes möglich. Das werden wir schaffen.
Es gab damals schon Lachen aufseiten der Opposition.
Offensichtlich hatten auch Sie wahrsagerische Fähigkeiten.
({4})
Wir müssen jetzt aber ein Bundesnaturschutzgesetz
und ein Bundeswassergesetz verabschieden; andernfalls
gäbe es kein einheitliches Bundesrecht; wir hätten einen
völligen Flickenteppich von jeweils 16 Ländergesetzen
im Naturschutzrecht und im Wasserrecht. Von daher ist
es zwingend erforderlich, dass wir jetzt die entsprechenden Bundesgesetze verabschieden.
Das Gute daran ist, dass der materielle Regelungsgehalt der Gesetze unumstritten ist, sowohl bei der bayerischen Landesregierung als auch bei der Koalition und
vor allen Dingen bei den Umweltverbänden. Wir haben
natürlich Stellungnahmen dazu eingeholt. Die Umweltverbände haben uns mitgeteilt, dass sie mit den materiellrechtlichen Regelungen einverstanden sind. Deswegen
setzen wir jetzt um, was im UGB die Gesetzbücher II bis
V gewesen wären. Das Einzige, was fehlt, ist der Inhalt
dessen, was das UGB I ausgemacht hätte, in dem die integrierte Vorhabengenehmigung verankert werden sollte.
Materiell-rechtlich verabschieden wir das, was wir vorher in der Koalition und auch mit den Umweltverbänden
verabredet haben.
Sicherlich wird es - auch im Umweltbereich - viele
geben, die sich bessere Regelungen hätten vorstellen
können. Wir hatten allerdings vereinbart, dass das Umweltgesetzbuch weder Standarderhöhungen noch -absenkungen zur Folge haben sollte. Deswegen sind die umweltrechtlichen Regelungen des Gesetzes kein Versuch,
die materiell-rechtlichen Regelungen zu verändern; es
geht vielmehr darum, eine Eins-zu-eins-Umsetzung zu
erreichen, soweit das möglich ist. Das geht nicht in allen
Fällen, insbesondere wenn neuere Entwicklungen - zum
Beispiel durch Europarecht - eingetreten sind. Im Kern
geht es aber um eine Eins-zu-eins-Umsetzung, die wir
von Anfang an wollten und vereinbart hatten. Das gehen
wir jetzt auch materiell-rechtlich an. Ich glaube, das ist
jedenfalls eine gelungene drittbeste Lösung.
Die zweitbeste Lösung wäre gewesen - auch um Legenden vorzubeugen -, dass wir den Ländern ein Abweichungsrecht bei den rein gewässerrechtlichen Genehmigungsverfahren übertragen hätten. Dazu waren wir
bereit. Es wäre zwar kompliziert, aber noch hinnehmbar
gewesen. Das hat der Bayerischen Staatsregierung aber
nicht gereicht. Sie wollte ein komplettes Abweichungsrecht.
({5})
- Nein, nein, die FDP ist in Bayern auch dabei.
({6})
- Nein. Ich wäre nicht darauf zu sprechen gekommen.
Wenn Sie aber schon dazwischenrufen, dann muss ich es
doch laut sagen. Ich hatte es mir bei Herrn Kauch, den
ich sehr schätze, verkniffen. Es war nicht allein der Widerstand der bayerischen CSU;
({7})
ich verstehe das vielmehr so, dass es in Bayern eine Regierung gibt, in der die Minister der FDP etwas zu sagen
haben.
({8})
Entweder haben sie etwas zu sagen - dann haben sie
den bayerischen Ministerpräsidenten bei der Verhinderung der IVG unterstützt -, oder sie haben nichts zu
sagen. Dann sollten Sie das den bayerischen Wählerinnen und Wählern gelegentlich mitteilen. Das wird sie interessieren.
({9})
Ich glaube, dass wir gut damit fahren, die Umsetzung
jetzt vorzunehmen. Die zweitbeste Lösung wäre, wie gesagt, ein Abweichungsrecht im Wasserrecht gewesen.
Die Bayerische Staatsregierung hat ein komplettes Abweichungsrecht gefordert. Damit hätten wir in der Tat
eine Monsterbürokratie geschaffen.
Wir hatten vereinbart, beide Vorschläge zu prüfen.
Die Prüfung hat ergeben, dass wir nur einen Vorschlag
umsetzen können. Das hat nicht gereicht. Deshalb
kommt es jetzt zur Umsetzung des Wasserrechts, des Naturschutzrechtes und zu den Änderungen im Strahlenschutzrecht.
Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten nur wenige Ausführungen machen. Das bestehende Wasserhaushaltsgesetz und das Naturschutzgesetz bedürfen,
wie gesagt, der Novellierung. Ich glaube, dass es ein
Interesse an einer Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes gibt. Das Wasserrecht insgesamt gestaltet sich damit übersichtlicher und wird in der Praxis besser handhabbar. Das derzeitige Schutzniveau wird in vollem
Umfang beibehalten.
In der Abwasserbeseitigung und im Hochwasserschutz werden die jetzigen Rahmenvorschriften zur
Vollregelung ausgebaut. Dies dient der Umsetzung der
EG-Hochwasserrichtlinie. Die Zulässigkeit einer Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf private
Dritte bleibt wie bisher dem Landesrecht überlassen.
Mit der Novelle des Naturschutzrechts wird das
Naturschutzrecht in Deutschland auf einem anspruchsvollen Niveau harmonisiert. Die Novelle trägt durch die
mit ihr verbundene Rechtsvereinfachung zugleich zu einem wirksameren Vollzug im Naturschutzrecht bei.
Eine wichtige Debatte betraf die Frage der Eingriffsregelung. Was ist bei Eingriffen in die Natur an Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorzunehmen? Wir alle
wissen, dass es in der Vergangenheit zu Ersatzmaßnahmen gekommen ist, die - lassen Sie es mich so ausdrücken - begrenzt sinnvoll gewesen sind. Es war strittig,
ob das an den gesetzlichen Regelungen oder an einer
mangelhaften Verwaltungspraxis lag. Ich glaube, dass
wir gut daran getan haben, diesen Streit nicht weiterzuführen, sondern im Gesetz klarzustellen, dass beispielsweise die Nutzung von innerstädtischen Brachen - die
Revitalisierung von Brachen - sinnvoller ist, als beispielsweise gute Ackerböden für Ersatzflächen zu missbrauchen. Insofern bin ich auch den Naturschutzverbänden dankbar, dass sie in diesem Punkt unseren
Gesetzesvorschlag mitgetragen haben. Ich fand diese
Klarstellung notwendig.
({10})
Die Zeit drängt. Ab Januar 2010 verlieren das Wasserhaushaltsgesetz und das Bundesnaturschutzgesetz ihren Rechtscharakter als verbindliches Rahmenrecht.
Deshalb muss das neue Recht noch in dieser Legislaturperiode schnellstens verabschiedet werden. Sie wissen,
dass es Abweichungsrechte gibt. Allerdings sind im
Wasserrecht alle anlagen- und stoffbezogenen Regelungen des Bundes abweichungsfest. Damit ist das wichtige
Umweltschutzziel der Einheitlichkeit in einem zentralen
Bereich gewährleistet.
Beim Naturschutzrecht wollen wir klar und eindeutig
ausweisen, welche Bestimmungen den Charakter allgemeiner Grundsätze haben, damit auch dort keine Abweichungen möglich sind. Dann bestehen auch in diesem
Bereich klare Verhältnisse.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine
letzte Bemerkung zu nichtionisierender Strahlung. In
diesem Zusammenhang wurde über die Frage diskutiert,
ob man auch an dieser Stelle eingreifen muss, indem wir
den Solarienbesuch der unter 18-Jährigen verbieten.
Man muss wissen: Es gibt Selbstverpflichtungserklärungen der entsprechenden Wirtschaft, die nicht eingehalten
werden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hautkrebserkrankungen massiv. Ich glaube, dass wir dem Schutz der
Gesundheit der Kinder und Jugendlichen verpflichtet
sind, auch wenn hier gesagt wird: Jetzt greift ihr wieder
bürokratisch-regulierend ein. Ich kann mich nicht auf
der einen Seite über steigende Kosten im Gesundheitswesen beschweren und auf der anderen Seite jede
Dummheit in Deutschland dulden.
({11})
Wer Zweifel hat, dem empfehle ich, nachzulesen, was
die Strahlenschutzkommission, die Deutsche Krebshilfe
oder der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
dazu sagen. Sie fordern nachdrücklich ein Verbot des
Besuchs von Solarien von unter 18-Jährigen. Wir haben
natürlich darüber diskutiert, ob man die Altersgrenze auf
16 herabsetzen sollte. Aber leider nutzen diejenigen im
Alter zwischen 15 und 18 die Solarien überproportional.
In dieser Gruppe steigt das Hautkrebsrisiko extrem an.
Deswegen haben wir uns dafür entschieden, den vorgeschlagenen Weg zu gehen. Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf eine Mehrheit im Parlament findet.
({12})
Abschließend: Natürlich handelt es sich um ein Stück
Absurdistan, dass wir das Umweltgesetzbuch nicht insgesamt verabschieden, sondern einzelne Gesetze. Trotzdem bin ich sehr sicher, dass wir in der nächsten
Legislaturperiode eine Mehrheit für die Integrierte Vorhabengenehmigung finden werden. Ich glaube, dass wir
gut daran tun, diese Arbeitsergebnisse uns sozusagen auf
Wiedervorlage zu legen. Denn alle Experten sagen: Wir
waren in Deutschland in den letzten 20 Jahren noch nie
so weit bei der Verabschiedung eines Umweltgesetzbuches, wie wir es diesmal gewesen sind. Nun dauert es ein
paar Monate bis zur Wiedervorlage.
Angesichts der großen Arbeitsleistung vieler Beteiligter schulden wir auch denjenigen Dank, die außerhalb
der Ministerien und der Parlamente daran mitgewirkt haben. Das sind die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, die engagierten Vertreter der Wirtschaft, die das
UGB wirklich wollten, Wissenschaftler, Juristen und der
Deutsche Anwaltverein sowie insbesondere die Vertreter
der übergroßen Mehrheit der Länder. Ich will mich stellvertretend für viele bei Margit Conrad, der Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, und Tanja Gönner, der
Umweltministerin von Baden-Württemberg, ausdrücklich bedanken. Beide haben engagiert für das Umweltgesetzbuch gestritten. Beide sind sehr offensiv dafür eingetreten. Das ist in Zeiten parteipolitischer Polarisierung
vor Wahlkämpfen nicht selbstverständlich. Umso höher
soll man das fachliche Engagement der Kolleginnen und
Kollegen schätzen. Ich glaube, dass sich die Arbeit trotzdem gelohnt hat. Es wird zur Wiedervorlage kommen.
Ich danke ausdrücklich all denen, die über einen so langen Zeitraum engagiert mitgeholfen haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 31 a und
gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes bekannt:
abgegebene Stimmen 532. Mit Ja haben gestimmt 379,
mit Nein 107, enthalten haben sich 46 Kolleginnen und
Kollegen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 532;
davon
ja: 379
nein: 107
enthalten: 46
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Eberhard Gienger
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({7})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({8})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({9})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({13})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({14})
Peter Rzepka
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({15})
Andreas Schmidt ({16})
Ingo Schmitt ({17})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({19})
Gerald Weiß ({20})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Dr. h.c. Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({21})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({22})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({23})
Marco Bülow
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h.c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({24})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({25})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({26})
Frank Hofmann ({27})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({28})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Christian Kleiminger
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({30})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({31})
Michael Müller ({32})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({33})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({34})
Marlene Rupprecht
({35})
Axel Schäfer ({36})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({37})
Silvia Schmidt ({38})
Heinz Schmitt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({41})
Swen Schulz ({42})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Manfred Kolbe
Christian Freiherr von Stetten
SPD
Gert Weisskirchen
({43})
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({44})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({45})
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({46})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({47})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({48})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({49})
({50})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Michael Brand
Uda Carmen Freia Heller
Susanne Jaffke-Witt
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({51})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({52})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({53})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({54})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Nun fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der
Kollege Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion.
({55})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Umweltgesetzbuch - und damit entsprechend dem
Koalitionsvertrag eines der zentralen umweltpolitischen
Projekte der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode - ist wieder einmal gescheitert. Herr Minister
Gabriel, vielleicht zu Ihrem Trost: Sie sind nicht der
erste Umweltminister, der sich die Finger an der Idee der
Vereinfachung und Zusammenführung des Umweltrechts verbrannt hat. Es gab jahrelange Abstimmungsprozesse. Nun stehen wir so gut wie vor dem Nichts. Das
UGB hat sich in Schall und Rauch aufgelöst. Union und
SPD haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht mehr
zu Großem fähig sind.
({0})
Wie üblich, ist man sich nicht einmal darin einig, wer
an dem Ganzen die Schuld trägt. Nach dem, was der
Bundesumweltminister heute gesagt hat, oder nach dem,
was er einen Tag nach der Bekanntgabe des Scheiterns
erläutert hat, kann man glauben, die CSU sei schuld. Der
Minister hat erklärt - das fand ich bemerkenswert vor
dem Hintergrund, was Sie vorhin in unsere Richtung gesagt haben -:
Man muss sich nicht wundern, wenn in Deutschland keiner mehr die Demokratie und die Verfassung ernst nimmt, wenn die Kabinettsmitglieder,
der Bundestag und der Bundesrat die Verfassung
auch nicht mehr ernst nehmen.
Das haben Sie leider falsch dargestellt. Ich dachte eigentlich, das Ganze funktioniert so, dass Sie im Kabinett
die Kraft besitzen, zwischen CDU, CSU und SPD einen
Gesetzentwurf abzustimmen. Wenn dieser Gesetzentwurf abgestimmt ist, dann wird er in den Bundestag eingebracht. Im Bundestag haben CDU/CSU und SPD hoffentlich eine breite Mehrheit, um den Gesetzentwurf
durch den Bundestag zu bringen. Danach wird der Gesetzentwurf an den Bundesrat weitergeleitet. - Sie haben
immer wieder betont, dass 15 von 16 Ländern die gleiche Position wie Sie haben. Warum haben Sie es dann
nicht geschafft, diesen Gesetzentwurf durchzubringen,
wenn er so gut ist? Sie hatten offensichtlich Angst vor
der eigenen Courage. Ihre eigenen Minister und die
Kanzlerin haben Sie anscheinend im Stich gelassen.
({1})
Die Union erklärt natürlich, die Schuld liege beim
Bundesumweltminister. Er habe zuerst zugesichert - so
war es zumindest in der Zeitung zu lesen -, dass Ausstiegsklauseln für Bayern aufgenommen würden. Danach sollte das nur noch teilweise möglich sein, so wie
Sie es heute dargestellt haben. Der Minister habe also
kalte Füße bekommen und die Zusagen nicht eingehalten. Deswegen habe man nicht zugestimmt.
Ich sage ganz ehrlich: Für uns als FDP ist nicht wichtig, wer von Ihnen nun nicht in der Lage war, seine Truppen zusammenzuhalten, sondern für uns ist wichtig, dass
es insgesamt nicht gelungen ist. Wenn man etwas von einer Großen Koalition erwartet, dann ist das die Fähigkeit, die Länder bzw. die eigenen Minister mit uns Boot
zu holen. Das ist Ihnen leider nicht gelungen.
({2})
Nicht nur Herr Gabriel hat mit Blick auf das Umweltgesetzbuch von einem großen Wurf gesprochen. Davon
ist außer einer Zitatensammlung, die auf der Homepage
des Bundesumweltministeriums zu finden gewesen ist,
nichts mehr übrig geblieben. Dort hat sich jemand die
Arbeit gemacht, auf neun Seiten zu sammeln, was die
verschiedensten Leute zu diesem Thema gesagt haben.
Das hilft natürlich beim Redenschreiben. Insgesamt ist
es aber für das Umweltrecht keine große Hilfe.
Es ist so, dass wir jetzt vor einem Scherbenhaufen stehen und nun versucht wird, die Scherben zusammenzukehren. Man will damit das retten, was wichtig ist, um
nicht zu einer kompletten Rechtszersplitterung zu kommen. Das ist alles, was von diesem großen Vorhaben
übrig geblieben ist. Das ist aus unserer Sicht mehr als
eine magere Bilanz der großkoalitionären Umweltpolitik.
Mit dem ursprünglichen Ziel der Rechtsvereinfachung und der Entbürokratisierung der Genehmigungsverfahren hat dies leider überhaupt nichts mehr zu tun.
Prüf- und Abstimmungsprozesse bleiben so kompliziert,
wie sie waren. Auch Parallel- und Mehrfachprüfungen
bleiben leider an der Tagesordnung. Hier, Herr Gabriel,
wissen Sie uns an Ihrer Seite. Mittelständische Betriebe
ohne eigene Rechtsabteilung werden es sicherlich schwerer
haben als Großkonzerne; das ist selbstverständlich.
Wenn die CSU in Form von Minister Söder in Bayern erklärt, dass hier eine „Monsterbürokratie“ droht, dann
halte ich das für eine sehr lächerliche Aussage.
({3})
Auf Initiative der CSU - sie bestand darauf - kam es
zur Einberufung des Normenkontrollrats. Auf Anfrage
erklärte dieser Normenkontrollrat, man könne 27 Millionen Euro an Bürokratiekosten sparen. Diese Aussage
wurde aber einfach ignoriert und stattdessen ein eigener
Vorschlag gemacht, der vermutlich genauso bürokratisch
gewesen wäre. Man sieht: Es geht eigentlich um nichts
anderes als um Wahlkampf. Hier geht es nur um Profilierung: Hauptsache, man steht einmal mehr in der Zeitung.
Das scheint vielen Herrschaften schon zu reichen. Das
ist mehr als traurig und ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wirklich tragisch.
({4})
Es ist nicht so, dass sich der BDI ausschließlich gegen
das Umweltgesetzbuch gewandt hätte. Der BDI war
zwar von Anfang an kritisch, aber selbst der BDI hat zu22984
gestanden, dass ein Umweltgesetzbuch zur Entlastung
der Wirtschaft führen könnte. Ähnlich haben sich auch
andere Verbände geäußert, etwa der Bundesverband der
Energie- und Wasserwirtschaft. Die Vertreter dieser Verbände haben erklärt, es sei sinnvoll, ein Umweltgesetzbuch zu beschließen. Auch Frau Müller vom BDEW
- sie war früher einmal Staatsministerin - wurde mit den
Worten zitiert:
Wir würden es bedauern, wenn es nicht zu einer
Vereinheitlichung der umweltrechtlichen Regelungen käme.
Frau Gönner, CDU-Umweltministerin, erklärte:
Wir haben mehrfach versucht, die Kollegen in Bayern zu überzeugen.
Das scheint leider nicht gelungen zu sein. Dass nun
am Ende von den fast 1 000 Seiten des Umweltgesetzbuches nichts mehr übrig ist und dieses Vorhaben scheiterte, bevor es überhaupt ins Kabinett kam, ist wirklich
mehr als schade und wird dem Anliegen insgesamt nicht
gerecht.
Wir selbst haben frühzeitig einen Antrag eingebracht
und gesagt: Für uns ist ein Umweltgesetzbuch kein
Selbstzweck, sondern es muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Die Voraussetzungen sind aus unserer
Sicht, die Verfahren zu vereinfachen, die Bürokratie abzubauen, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaffen, ohne dabei die materiellen Umweltstandards zu verändern. Auf diesen Kompromiss haben sich alle
eingelassen. Wir sind genauso auf ihn eingegangen wie
die CDU, die SPD, die Länder - so dachte ich zumindest -,
die Umwelt- und die Industrieverbände. Man hat gesagt:
Wenn man nun wirklich ein Umweltgesetzbuch haben
will, dann darf man nicht die Standards verändern. Vielmehr muss jeder seinen Teil dazu beitragen, weil es um
die Vereinheitlichung und um die Vereinfachung geht.
Wenn uns an den Standards etwas stört, dann muss man
das später ändern.
Bei den ersten Entwürfen waren einige Punkte dabei,
die uns nicht gefallen haben. Auch wir haben kritisch
das eine oder andere angemerkt. Es gab einige Punkte,
von denen wir dachten, dass sie wenig Sinn machen.
Dazu gehört beispielsweise die Abschaffung der Bewilligungen oder alter Rechte. Das war aus unserer Sicht
unvernünftig.
Man muss dem BMU aber zubilligen, dass vielen Kritikpunkten, die wir eingebracht haben und die in unserem Antrag auch nachzulesen sind, Rechnung getragen
wurde, indem entsprechende Änderungen vorgenommen
wurden. Es war also eine große Bereitschaft vorhanden,
einen Konsens zu finden. Deswegen möchte ich an dieser Stelle betonen, dass zumindest das Verfahren, also
die Art und Weise, wie es gemacht wurde, relativ gut
war. Das gilt nicht für die Art und Weise, wie die Opposition einbezogen wurde. Aber es gilt insoweit, dass man
die Länder frühzeitig mit an den Tisch geholt hat.
Jetzt haben wir nur noch eines, und das ist eine Resteverwertung. Das ist so gut wie nichts. Jetzt geht es nur
noch darum, in dieser Legislaturperiode dafür zu sorgen,
dass wir nicht 16 unterschiedliche aufgesplitterte Naturschutz- und Wasserrechte haben.
Als nächster Punkt wird kommen - das prophezeie
ich schon einmal -: Ihr müsst jetzt auf Anhörungen und
auf dieses und jenes verzichten. Wir müssen das jetzt
möglichst schnell durchbekommen. - Ich muss ganz ehrlich sagen, es ist nicht unsere Schuld, dass Sie so lange
gebraucht haben und nicht in der Lage waren, sich zu einigen. Wir haben auch nicht den Ansatz, auf unsere
Rechte im Bundestag deswegen zu verzichten, weil Sie
uns eine Woche vor Toresschluss schnell etwas präsentieren, was viel weniger ist als das, was wir uns alle gewünscht hätten.
({5})
Wir fühlen uns auch nicht an unsere Zusage gebunden, hier nichts zu ändern; dazu waren wir bereit. Wir
werden die Änderungen und die Verbesserungen, die
nach unserer Vorstellung erforderlich sind, auch was die
verschiedenen Länder betrifft, jetzt einfach ganz allgemein einbringen. Wir werden uns nicht mehr daran halten, was wir vorher gesagt haben, wegen der Vereinheitlichung und der Vereinfachung Ja und Amen dazu zu
sagen; vielmehr werden Sie uns sehr kritisch erleben. Sie
hätten das verhindern können, wenn alle gemeinsam zu
einem Ergebnis gekommen wären. Schade, dass es aus
wahlkampftaktischen Gründen nicht möglich war, hier
zu Verbesserungen zu kommen, die wir alle mitgetragen
hätten. Das ist sehr bedauerlich.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Josef Göppel für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf! Das zeigt sich
daran, dass alle materiell-rechtlichen Festlegungen im
Umweltgesetzbuch - trotz manchen Schlingerns zwischendurch - noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Die Umweltpolitiker aller Fraktionen
hätten mit dem Rahmenrecht im Naturschutz gut leben
können. Aber die Strategen der Föderalismusreform
meinten im Jahr 2006, dass der Bund auch im Bereich
des Naturschutzes und der Wasserwirtschaft die konkurrierende Gesetzgebung haben müsse. Daraus folgt
nun eben ein Vollgesetz. Es ist kein Wunder, dass zahlreiche Verschleppungsversuche eingesetzt haben und
dass bis zum heutigen Tag aus der Sicht der Landnutzung immer wieder Verbesserungen gewünscht wurden.
Diese Verbesserungen hat - fast bis zur Selbstaufgabe das Umweltministerium zugestanden. Es geht um bauliche Nutzungen unseres Landes. Es geht um die landwirtschaftliche, die forstwirtschaftliche und die fischereiliche Nutzung. Vieles von dem ist sinnvoll, weil wir eine
gute Nutzung unseres Landes brauchen.
Auf der anderen Seite muss ich sagen: Aus Naturschutzsicht ist der Entwurf gerade noch vertretbar. WeiJosef Göppel
tere Aufweichungen kann es jetzt nicht geben, weil sonst
die Balance verloren gehen würde und der Grundsatz,
den wir damals aufgestellt haben, nämlich gegenüber
dem geltenden Recht keine Veränderungen an den Standards vorzunehmen, in eine Schieflage käme.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Vorsitzenden
der zuständigen CDU/CSU-Arbeitsgruppe, Frau MarieLuise Dött, dafür danken, dass sie in diesem langen Prozess des Abwägens mit den Interessen der Landnutzer
sehr klug auf die einzelnen Detailvorschläge eingegangen ist, sodass wir mit dem Entwurf eine Vorlage haben,
die, wie ich schon sagte, noch vertretbar ist.
({0})
Meine Damen und Herren, Landnutzung in einem
dicht besiedelten und hochindustrialisierten Land erfordert immer auch, dass Rücksicht auf die natürlichen Lebensgrundlagen genommen wird. Eine Wirtschaftsentwicklung, die auf den gesunden Naturhaushalt keine
Rücksicht nehmen würde, hätte auf Dauer keinen Erfolg.
Wenn man die Entwicklung einzelner Regionen in Europa unter dem Blickwinkel des Standortwettbewerbs
anschaut, dann sieht man, dass die Räume am meisten
prosperieren, deren Entwicklungsphilosophie die Rücksicht auf eine intakte Natur und gesunde abiotische Lebensgrundlagen enthält. Aus diesem Grunde ist dieses
Gesetzesvorhaben im Bereich Naturschutz und Wasserwirtschaft jetzt so wichtig.
({1})
Ich persönlich möchte Sie bitten, dass wir einen Punkt
noch besonders bedenken. Das ist die kooperative Einbeziehung der ortsansässigen Landwirte in Naturschutz und Landschaftspflege. Ich bin der Meinung, je
mehr wir die ortsansässigen Landwirte in die praktische
Landschaftspflege einbeziehen, desto mehr Bereitschaft
finden wir bei der ganz normalen Bewirtschaftung,
Rücksicht auf die Natur zu nehmen.
({2})
In Landschaftspflegeverbänden, in biologischen Stationen in Nordrhein-Westfalen, in den regionalen Bündnissen für Landnutzung in Schleswig-Holstein oder in
Landschaftserhaltungsverbänden in Baden-Württemberg
arbeiten jährlich 20 000 Landwirte aktiv für den Naturschutz. Diese Arbeit hat eine ganz wichtige Brückenfunktion in die Landwirtschaft hinein. Deswegen meine
ich, dass wir das Kooperationsprinzip, das freiwillige
Miteinander, verstärken sollten.
({3})
Insgesamt können wir uns, Herr Minister Gabriel, mit
diesem Gesetz in Europa sehen lassen. Wenn wir von
Indonesien und Brasilien die Erhaltung von Regenwäldern verlangen, dann werden wir immer wieder gefragt,
was wir in unserem eigenen Land tun. Ich erinnere an
das Wort eines Abgeordneten aus dem Kongo, der uns
sagte: Da, wo jetzt Ihr Reichstag steht, war einmal Erlenbruchwald. - Das Wort hat er extra gelernt. Wenn man
das erlebt, dann muss man schon sagen, dass wir international eine Verpflichtung haben, einen Weg aufzuzeigen,
wie Wirtschaftsentwicklung im Einklang mit der Natur
ereicht werden kann. Herr Minister Gabriel, bei der Eingriffsregelung ist es wirklich unverzichtbar, dass vom
abweichungsfesten Grundsatz nicht abgewichen wird
und dass Eingriffe vom Verursacher ausgeglichen werden müssen, insbesondere da der FDP-Umweltminister
des Landes Niedersachsen ganz unverhohlen ankündigt,
genau diesen Rückzug von der Eingriffsregelung zu ermöglichen.
({4})
Der Träger des alternativen Nobelpreises Michael
Succow hat vor kurzem in einer Rede in der MichaelOtto-Stiftung gesagt: Lassen wir die Natur unverändert,
dann können wir nicht existieren, zerstören wir sie, dann
gehen wir zugrunde. - Sinngemäß sagte er weiter: Die
Gratwanderung, um die es jetzt geht, besteht darin, ein
Wirtschaften im Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen zu finden. - Um nichts weniger geht es bei
den heutigen Gesetzesberatungen.
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz
Heilmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Die Umweltpolitik der Koalition ist kleinkariert und provinziell. Kleinkariert, weil Sie genauso
weiterwurschteln wie bisher. Herr Minister - nehmen
Sie es mir nicht übel -, Ihre Rede heute war nicht eine
Ihrer stärksten.
({0})
Vorgenommen hatten Sie sich ein Umweltgesetzbuch,
das alle Umweltgesetze, gleich ob im Bereich des Naturschutzes oder des Wasserrechts oder Genehmigungsverfahren, beinhalten und zusammenfassen sollte. Ein Umweltrecht aus einem Guss sollte es werden.
({1})
So verkündete es der Minister am 16. Februar 2007 unweit von hier, bei einer Konferenz in Berlin. Stärkung
des integrativen Umweltschutzes und der Europatauglichkeit, Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens,
anwenderfreundliche Ausgestaltung, das waren Ihre
Worte - Sie haben schon selbstkritisch darauf Bezug genommen -, ehrenwerte Worte, Herr Minister. Was ist davon geblieben? Nichts.
All den Umweltsünden der Koalition - ich erinnere
an die kleine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz, mit
der Sie den Artenschutz in Deutschland de facto ad absurdum führten, an das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, mit dem Sie Beteiligungsrechte der Bevöl22986
kerung erheblich einschränkten, an die Abwrackprämie,
an die Kfz-Steuer-Reform, an die Dienstwagenbesteuerung, um nur einige Beispiele zu nennen - setzen Sie
hier und heute sozusagen die Krone auf. Noch nicht einmal eine Handvoll Einzelgesetze sind von Ihrem Umweltgesetzbuch übrig geblieben.
Kollege Göppel, ich muss Ihnen widersprechen. Frau
Kollegin Dött hat sich anders geäußert. Im Umweltausschuss hat sie vor einigen Wochen gesagt: Das Umweltgesetzbuch läuft uns doch nicht davon. So ungefähr waren doch Ihre Worte, nicht?
({2})
- Wir können ja im Protokoll nachschauen. - Die Auffassung, die die Koalition und insbesondere Ihre Fraktion hier vertritt, rückt auch Ihre engagierte Naturschutzrede nicht wieder gerade, Herr Kollege Göppel.
Also weiter wie bisher! Immer hübsch Klein-Klein.
Damit leisten Sie uns allen einen Bärendienst. Dem Klimawandel, dem Artensterben, der zunehmenden Zerstörung der Umwelt kommen wir so nicht bei. All Ihre
schönen Reden, Herr Minister, ob in Bonn, Nairobi,
New York oder sonst wo auf der Welt, sind damit nicht
das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen.
Um das Schlimmste zu verhindern, wie Sie sagen,
wollen Sie jetzt Einzelgesetze. Das Schlimmste? Ja, womöglich das Schlimmste, nämlich dass die Länder von
ihren Abweichungsrechten Gebrauch machen, die sie
sich in der Föderalismusreform von 2006 vorsorglich gesichert haben. Die Abweichungsrechte sind wohl mit das
Fatalste, was die Föderalismusreform I zu bieten hatte.
Was hat es damit auf sich? In einem Satz ausgedrückt:
Egal was wir hier zum Beispiel im Bereich Naturschutz
beschließen, außer in den allgemeinen Grundsätzen dürfen die Länder ab 2010 überall abweichen. - Wer hat die
Föderalismusreform I gemacht? Ein Geschenk Gottes
war sie nicht, aber gerade Sie, Herr Minister, wurden
nicht müde, sie schönzureden.
Provinziell ist die Umweltpolitik der Koalition, zumindest eines Teils. Herr Minister, wo war die von Ihnen
gerühmte gute Zusammenarbeit mit den Ländern? Zumindest im Fall Bayern war das ein ordentlicher Trugschluss. Der bayerische Löwe hat Sie vor die Wand laufen lassen. Und die Kanzlerin, die heute durch
Abwesenheit glänzt? Was machte die Kanzlerin? Sie
glänzte durch Nichtstun.
({3})
Aber kommen wir zu dem, was Sie hier vorschlagen.
Ein wesentlicher Gesetzentwurf ist der für ein reformiertes Bundesnaturschutzgesetz. Die Reform ist nach Ihren Worten nötig, Herr Minister, weil wir die abweichungsfesten Grundsätze brauchen.
({4})
Bei Durchsicht des Gesetzentwurfs fallen auch etliche
Paragrafen auf, die den Titel „Allgemeiner Grundsatz“
tragen oder in denen die Worte „allgemeiner Grundsatz“
stehen. Also alles in Ordnung? Das könnte man denken.
Man findet sieben allgemeine Grundsätze im Entwurf;
immerhin. Aber wenn ich an das geltende Bundesnaturschutzgesetz denke, fällt mir auf: Dort sind es 15 Grundsätze. Man könnte jetzt sagen: Quantität zeugt nicht immer von Qualität. Aber schauen wir einfach einmal nach,
um zu sehen, welche Wirkung das entfaltet.
Fangen wir bei § 1 an. Dort ist eine Menge von Zielen
enthalten, und viele davon kann ich sogar unterschreiben. Zeigt das aber auch Wirkung? Nein, denn es fehlt
der Verweis auf die Verwirklichung der durchaus ehrenwerten Ziele. So entpuppen sich Ihre Ziele, die wunderbar zu lesen sind, als wirkungslose Prosa. Warum? Weil
die Verwirklichung der Ziele in § 2 festgeschrieben wird,
wo aber nichts davon steht, dass das ein allgemeiner
Grundsatz ist. Nur, von einem solchen können die Bundesländer ja nicht abweichen. Ich weiß nicht, ob das ein
Trick ist oder ob Sie das einfach übersehen haben. Ich
nehme freundlicherweise Letzteres an.
Dann komme ich noch zu der vielzitierten Eingriffsregelung. Sie ist das Kernstück des flächenbezogenen
Naturschutzes. Eine abweichungsfeste und differenzierte
Vollregelung ist zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an bundeseinheitlichem Recht notwendig. Stellen
Sie sich einmal länderübergreifende Eingriffe vor! Wie
sollen die behandelt werden, wenn am Ende zwei Regelungen vorhanden sind? Dafür befindet sich in § 13 zwar
ein allgemeiner Grundsatz, und man könnte wiederum
denken, alles sei in Ordnung. Aber auch hier muss ich
Ihnen sagen: Entweder haben Sie keine Ahnung, oder
Sie wollen uns für dumm verkaufen. Um das Ganze abweichungsfest zu gestalten, müssten wenigstens die in
§ 14 Ihres Vorschlages enthaltenen Legaldefinitionen
aufgenommen werden.
Herr Kollege, darf ich Sie an die Redezeit erinnern?
Ein Satz. - Es bleibt festzustellen: Wie Sie sehen, sind
die von Ihnen vorgesehenen allgemeinen Grundsätze
wirkungslos und zahnlose Tiger. Für einen ambitionierten Naturschutz bietet Ihr Gesetzentwurf keine Grundlage.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, erteile ich dem Kollegen Kauch das Wort zu einer Kurzintervention, die sich auf die Rede des Kollegen Göppel
bezieht.
({0})
- Er hat sich genau zu dem Zeitpunkt gemeldet, als der
Kollege Heilmann ans Mikrofon trat. Deshalb lasse ich
diese zu. So weit zur Erklärung.
({1})
- Nein. - Herr Kollege Kauch, bitte sehr.
Frau Präsidentin, Frau Humme, ich hätte das auch
eher geschafft.
Lieber Kollege Göppel, ich möchte eine Sache klarstellen, weil ich nicht möchte, dass es an dieser Stelle zu
einer Legendenbildung kommt, und lege der Unionsfraktion gerne den Sachstand dar: Die niedersächsische
Landesregierung, im Übrigen nicht nur der FDP-Umweltminister, hat uns einen Brief geschrieben, in dem es
ihr um den abweichungsfesten Kern bei der Eingriffsregelung geht. Die niedersächsische Landesregierung
greift nicht die Eingriffsregelung als solche an, sondern
stellt die Frage, ob es nicht ausreichen würde, wenn der
Bund in der Eingriffsregelung einfach nur festlegt, dass
Eingriffe in die Natur ausgeglichen werden müssen. Der
Bund will nun darüber hinaus aber auch die Hierarchie
der Maßnahmen regeln, also zum Beispiel Ersatzgeldzahlungen nur eine nachrangige Rolle zukommen lassen.
Das kritisiert die niedersächsische Landesregierung.
Man kann, wie ich denke, sehr wohl darüber diskutieren,
ob solche Festlegungen unbedingt zum abweichungsfesten Kern gehören müssen.
Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben anders als die
Unionsfraktion gegen die Föderalismusreform gestimmt,
unter anderem wegen der darin enthaltenen Regelungen
zum Naturschutz. Wir waren nämlich der Meinung, das
sollte der Bund regeln. Nachdem man nun aber eine entsprechende Grundgesetzänderung vorgenommen hat,
sollte man nicht versuchen, über die Hintertür eines Einzelgesetzes die Folgen dieser Grundgesetzänderung wieder auszuhebeln. Ich denke, es gehört zu einem fairen
Umgang dazu, dass man der niedersächsischen Landesregierung zugesteht, über diese Fragen diskutieren zu
wollen.
({0})
Herr Kollege Göppel, bitte.
Herr Kollege Kauch, ich bedanke mich für diese Klarstellung und stelle meinerseits fest, dass die nun gefundene Formulierung im Gesetzentwurf genau diesem Anliegen entspricht. Wenn wir darüber Einigkeit erzielen
könnten, würde ich mich sehr freuen.
Es geht ja darum, dass das Verursacherprinzip gilt.
Dies drückt sich eben auch in der Formulierung des abweichungsfesten Kerns aus. Im Gesetzentwurf sind ja
Flexibilisierungen enthalten. So muss ein Eingriff nicht
mehr am selben Ort ausgeglichen werden. Das bedeutet,
dass Baumaßnahmen in Berlin zum Beispiel in einer
Zone zwischen der polnischen Grenze und der niedersächsischen Landesgrenze, also im Naturraum Brandenburger Platten- und Hügelland, ausgeglichen werden
können. Neben dieser erheblichen räumlichen Flexibilisierung gibt es auch eine zeitliche Flexibilisierung, weil
Eingriffe künftig auch schon vor dem eigentlichen Eingriff über das neue Instrument eines bundesweiten Ökokontos ausgeglichen werden können.
Im Übrigen bedanke ich mich auch sehr für die positiven Worte Ihres Sprechers Meierhofer bezüglich möglicher weiterer verfahrensrechtlicher Regelungen. Wir
wissen ja nicht, ob wir auf diese nicht in einer möglichen
anderen Konstellation in der nächsten Legislaturperiode
noch zurückgreifen werden.
({0})
Nun hat das Wort die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Gabriel, Sie haben Ihre Rede heute damit
begonnen, dass Sie sagten: Wir werden heute mehr von
dem reden, was wir nicht haben, als von dem, was wir
haben. - Das will ich jetzt auch so handhaben, bevor
sich die Legende festsetzt, Sie hätten ein glorioses UGB
vorgestellt, das dann am Widerstand der Union gescheitert sei.
Der Entwurf des UGB, den Sie vorgestellt haben,
wurde nämlich keineswegs den heutigen zentralen Herausforderungen durch Klimawandel und Biodiversitätsverlust gerecht. Die Stichworte, die wir über den UGBEntwurf gestellt haben, waren: Defizite und Standardabsenkung.
Beginnen wir mit dem Klimawandel. Fakt ist, dass in
Zeiten des Klimawandels ein Umweltgesetzbuch vorgelegt wurde, das zum Klimawandel nichts sagt. Das Einzige, was sich im UGB findet, ist der Emissionshandel.
Er ist aber kein nationales Instrument, sondern von der
EU vorgegeben, also keine Leistung dieser Regierung.
Es wäre die Zeit und die Gelegenheit gewesen, für Kohlekraftwerke, die absoluten Klimakiller, Mindesteffizienzstandards und eine verpflichtende Quote für KraftWärme-Kopplung vorzugeben.
({0})
Unsere Vorschläge gingen in diese Richtung: Mindesteffizienzstandards von 58 Prozent Wirkungsgrad,
die verpflichtende Quote für KWK für 2020 von 30 Prozent.
Wenn Sie jetzt klug rechnen und darauf kommen,
dass das heißt, dass man keine neuen großen Kohlekraftwerke mehr erlaubt, dann haben Sie recht. Genau das
war unsere Absicht, und genau das wäre die Aufgabe in
dieser Zeit gewesen.
({1})
Sie wissen ganz genau, Herr Minister Gabriel, dass
große Kohlekraftwerke von 800 und mehr Megawatt,
wie sie derzeit geplant werden, dem Ausbau der erneuerbaren Energien genauso im Weg stehen wie die Atomkraftwerke, gegen die Sie ja sind. Nur, gegen die großen
Kohlekraftwerke sind Sie komischerweise nicht und
nennen einen Wirkungsgrad von 46 Prozent hocheffizient. Wer es ernst meint mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien und dem Ausbau der erneuerbaren
Energien, der darf ihnen keine nichtregelbaren Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke mehr in den Weg stellen.
({2})
Hätten wir die Chance gehabt, das UGB parlamentarisch zu verhandeln, hätten wir gefordert, bestehende
europarechtliche Spielräume zur Anforderung an Kraftwerke unter Festlegung des elektrischen Wirkungsgrades auszuschöpfen und die klassischen und bewährten
Instrumente des Immissionsschutzes und das Effizienzgebot für die dem Emissionshandel unterliegenden Anlagen wieder in Kraft zu setzen.
Richtig wäre außerdem gewesen, den Klimaschutz
grundsätzlich als Ziel des UGB festzuschreiben, ein eigenes Buch „Klimaschutz“ zu integrieren und auch Ressourcenschonung und Produktverantwortung zu benennen. Das fand sich immerhin noch im Referentenentwurf
vom 19. November 2007. Da war noch die Rede davon,
dass über den gesamten Lebensweg von Produkten der
Material- und Energieeinsatz möglichst gering gehalten
und die Entstehung von Abfällen so weit wie möglich
vermieden werden soll. Das wurde schon im Vorentwurfsstadium gestrichen. „Ökologische Industriepolitik“, Herr Minister, war damals Ihr Lieblingswort. Ohne
Ressourcenschonung und Produktverantwortung und
ohne Ausrichtung am Ziel des Klimaschutzes bleibt aber
nur Industriepolitik.
Zweiter dicker Klops ist die Eingriffsregelung. Neben den guten Grundsatz „Mache ich etwas kaputt, ersetze ich es“ stellen Sie gleichwertig den Grundsatz
„Mache ich etwas kaputt, bezahle ich es“. Natur ist aber
keine unendliche Ressource, und deswegen ist das ein
schlechter Grundsatz. Anstatt die Kaskade Vermeidung Ausgleich oder Ersatz - Abwägung - Entschädigung zu
stützen, haben Sie die Eingriffsregelung in dem damaligen Entwurf ins Belieben von Verkehrs- und Landwirtschaftsminister gestellt. Es reicht eben nicht, nur Reden
zur Biodiversität zu halten wie auf der COP 9; man muss
auch etwas tun.
({3})
Das Defizit des Tuns bei der Biodiversität, also des
Erlassens von Regeln, zieht sich durch Ihr damals vorgelegtes UGB wie ein roter Faden: nichts zu den Mindestanforderungen an den Biomasseanbau; nichts zu den
Regeln der guten fachlichen Praxis als allgemeine, abweichungsfeste Grundsätze; nichts dazu, ökologisch
sensible Gebiete vor der Gentechnik zu schützen - heute
sind Sie in der Einschätzung der Gentechnik glücklicherweise etwas weiter als noch vor einem Jahr -; nichts
zum Flächenverbrauch.
Der dritte große Klops ist Gewässerqualität, Hochwasserschutz. Das Verschlechterungsverbot in Bezug
auf die Qualität von Gewässern wurde nicht konkretisiert. Dass Wasser - wie das Klima durch den Emissionshandel - einen Preis bekommen muss, der seine
Knappheit ausdrückt, wurde völlig ausgeblendet. Dass
Randstreifen, Uferzonen und Auen nicht vernachlässigt
werden dürfen: vergessen. Nicht einmal das Verbot des
Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln in diesen Gebieten wurde festgeschrieben. Der Maßstab für
das inzwischen ungefähr dreijährliche Hochwasser soll
weiterhin der für das hundertjährliche sein, und der ursprünglich vorgesehene Vorrang natürlicher oder naturnaher Maßnahmen zum Hochwasserschutz vor technischen Maßnahmen ist ersatzlos gestrichen.
Ich könnte die Liste der Defizite fortführen: Das
Bergrecht, das eine immens große Bedeutung für Mensch
und Natur hat - das konnte man nicht zuletzt an der Asse
sehen -, fehlt. Es fehlen noch weitere Punkte: Mit Blick
auf den Kern des UGB, die integrierte Vorhabengenehmigung, haben Sie die Chance vertan, Genehmigungen
nach Ermessen und Bedarf zu erteilen. Zu den Defiziten
zählt auch die Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie verpassen
die Chance, endlich EU-konforme Umweltpolitik zu machen und die Umweltverbände den Trägern öffentlicher
Belange gleichzustellen.
Der Flurfunk hat uns gemeldet, dass Sie im Kompromissprozess sogar zugestanden hatten, den obligatorischen Erörterungstermin bei UVP-pflichtigen Genehmigungen zu einer Kannbestimmung zu machen. Das ist
ein wirklich unglaubliches Zugeständnis.
Die Opposition war übrigens während des gesamten
Prozesses auf den Flurfunk und auf Gerüchte angewiesen. Das ist ein nicht gerade übliches Verfahren, das die
ganze parlamentarische Beratung eigentlich zu einer
Farce machte. Das UGB wurde in jeder Koalitionsrunde
weitergeschliffen und war für uns schon lange nicht
mehr zustimmungsfähig.
Wenn man aus Sicht von Umwelt und Naturschutz sagen kann „Besser nichts als das, was als UGB vorgelegt
wurde“, so ist das für Sie als Regierung natürlich keine
Entschuldigung. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, ein ambitioniertes und den Aufgaben der Zukunft gerecht werdendes Umweltgesetzbuch vorzulegen. Sie haben die
nach vielen Jahren historische Chance, die durch die
Föderalismusreform und durch die Große Koalition eröffnet wurde, in den Sand gesetzt und sind gescheitert.
({4})
Herr Minister, eines geht natürlich nicht, nämlich dass
Sie sich hier als Opfer einer wild gewordenen CSU stilisieren. Zur Lauterkeit, Herr Minister, gehört schon dazu,
nicht mit unterschiedlichen Maßstäben zu messen. Wenn
Sie uns in jeder Debatte vorhalten - das haben Sie auch
gestern in der Asse-Debatte wieder gemacht -, wo Minister Trittin während der rot-grünen Koalition seine
Ziele verfehlt hat - dabei wissen Sie doch genau, dass
Ihre Forschungsministerin Bulmahn damals auf der Asse
genauso intransparent festsaß wie anschließend bis zum
Sommer 2008 die Ministerin Schavan -, dann müssen
Sie schon akzeptieren, dass man den gleichen Maßstab
auch an Sie legt.
Sie sind immer sehr schnell dabei, mit dem Finger auf
andere zu zeigen. Wenn für Sie bei Herrn Trittin das Prinzip gilt „Der Minister hat gefehlt“, dann kann bei Ihnen
im Falle des Fehlens nicht das Prinzip gelten „Der Koalitionspartner ist schuld“. Wenn Sie das selbsternannte
„größte umweltpolitische Vorhaben dieser Legislaturperiode“ nicht gegen die Union durchsetzen konnten, dann
war es Ihnen entweder nicht prioritär genug - es ist ja
auch für die Medien ein eher sperriges Thema -, oder Sie
sind trotz Ihrer mehr fulminanten als folgenreichen Reden auf internationalen Konferenzen und trotz Ihrer
Robin-Hood-Inszenierung bei der Asse vielleicht doch
nicht ganz der, als den Sie sich immer gern verkaufen.
({5})
Heute legen Sie uns die Notgesetze zum Naturschutz,
zum Wasserrecht und zum Schutz vor nichtionisierender
Strahlung vor. Besonders das Naturschutzgesetz und das
Wasserhaushaltsgesetz sind in dem Prozess seit Vorlage
des UGB-Entwurfs nicht besser geworden. Dass Sie sich
so gerne an Ihrem Vorgänger abarbeiten und betonen,
was Sie so viel toller machen als er, veranlasst mich, zu
sagen: Das Bundesnaturschutzgesetz von Jürgen Trittin
war um Klassen besser als das, was Sie uns heute hier
vorlegen.
({6})
Den Kern, den Sinn der Eingriffsregel, hatten Sie
schon von Anfang an verschenkt. Wo ist die Verzahnung des Naturschutzes mit der Biodiversitätsstrategie
und dem Klimaschutzprogramm? Wo ist die Präzisierung der guten fachlichen Praxis, und wo ist die Angleichung der Klagerechte und Öffentlichkeitsbeteiligung an
das EU-Recht? Nicht in Ihrer Vorlage. Wasserschutzgesetz: dito. Pestizide und Düngemittel wollen Sie in
Gewässerrandstreifen oder Auen zulassen. Super! So betreibt man Gewässerschutz. Beim Hochwasserschutz haben Sie sich wohl vom Umweltminister Ihres Heimatlandes die Sinne vernebeln lassen. Herr Minister, mein
Lehrer - lang ist’s her - pflegte in solchen Fällen zu sagen: Setzen, sechs!
Für das Ziel der integrierten Vorhabengenehmigung sind Sie zulasten der Umwelt Kompromiss um
Kompromiss eingegangen. Die integrierte Vorhabengenehmigung bekommen wir nicht; aber Ihre Kompromisse bleiben. Vom Umweltgesetzbuch bleibt nur die
Absenkung der Standards. Das ist Ihre blamable Bilanz
in dieser Legislatur in der klassischen Umweltpolitik.
({7})
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Matthias Miersch.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich gleich vorweg für die SPD-Fraktion erklären: Wir halten am Umweltgesetzbuch in voller
Gänze fest.
({0})
Das, was wir heute einbringen, ist ein erster Schritt.
({1})
Es sind drei Kapitel des neuen Umweltgesetzbuches. Ich
bin mir sehr sicher, dass wir nach der Bundestagswahl
- in welcher Konstellation auch immer, Josef Göppel sicherlich eine Neuauflage erleben werden. Ich bin gespannt, Herr Meierhofer, ob, falls Ihre Verhandlungsführer am Verhandlungstisch sitzen, diese das Umweltrecht
so beurteilen, wie Sie das heute gemacht haben. Es war
aber eine gute Vorlage dafür.
({2})
Es gehört sich, an dieser Stelle einmal Dank an Ihr
Haus, Herr Minister, zu sagen. Da haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Monate, ja Jahre an Wochenenden und zu Nachtzeiten daran gearbeitet, diesem Projekt, das seit den 70er-Jahren immer wieder zur
Diskussion stand, zum Erfolg zu verhelfen. Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebührt an dieser Stelle ein
großes Dankeschön. Sie haben nicht zu vertreten, dass
wir heute nur den ersten Schritt tun können.
({3})
Wenn man sich den Entwurf des Umweltgesetzbuches
anschaut, kann man feststellen, dass wir in der Tat noch
nie so weit gewesen sind wie heute. Wir haben eine Vorlage, die sowohl von der Wissenschaft als auch von der
Praxis, aber auch von den beteiligten Interessengruppen
als positiv bewertet worden ist. Wir haben eine Vorlage,
die es verdient, nicht in die Schublade gelegt zu werden.
Es ist eine Vorlage, die wir stets im Hinterkopf haben
müssen, wenn wir jetzt in die Ausschussberatungen und
in die zweite und dritte Lesung gehen. Dieses Umweltgesetzbuch, liebe Kollegin Kotting-Uhl, ist von schwierigen Rahmenbedingungen geprägt gewesen. Trotzdem
ist es das beste UGB, das je dem Deutschen Bundestag
vorgelegen hat.
({4})
Wer sich anschaut, was Unbeteiligte zu diesem Entwurf gesagt haben, stellt fest, dass wir durch die Einführung des Umweltgesetzbuches einen enormen Bürokratieabbau bekommen können; der Normenkontrollrat
wurde schon erwähnt. Es könnte Einsparungen von jährlich 30 Millionen Euro geben. Die Planspiele, die vor
allen Dingen CDU-geführte Bundesländer durchgeführt
haben - beispielsweise Baden-Württemberg -, haben gezeigt, dass das Umweltgesetzbuch praxistauglich und effizient gewesen ist.
({5})
Man muss das immer wieder betonen, auch wenn die einen oder anderen sagen, es hätte besser sein können. Wir
leben bei solchen großen Gesetzeswerken immer davon,
Kompromisse schließen zu müssen. Das zeichnet auch
ein solches Gesetzeswerk aus. Umso unverständlicher ist
es für mich, dass wir nicht die Kraft gehabt haben, dieses
Umweltgesetzbuch in der Großen Koalition durchzusetzen.
({6})
Jetzt kann man natürlich sagen, ihr hättet mehr kämpfen müssen. Aber ich will an dieser Stelle feststellen: All
diejenigen, die in diesem Raum sitzen, haben gekämpft
und sich dafür eingesetzt. Ich bedanke mich ausdrücklich auch bei meinen Berichterstatterkolleginnen und
-kollegen.
Wir müssen uns schon die Frage stellen, in welcher
Zeit wir leben, wenn hauptsächlich jemand, der nicht
Mitglied des Kabinetts und des Deutschen Bundestages
ist, die Kraft und die Macht hat, ein solches Projekt zu
boykottieren. Wir müssen uns die Frage stellen, ob es
nicht die ureigene Aufgabe einer Kanzlerin ist, in diesem
Moment von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu
machen und zu sagen, dass dieses Umweltgesetzbuch,
für das sie selbst gestritten hat, alternativlos ist und Zustimmung verdient hätte.
({7})
In einer Regierungschefin, die ihre Richtlinienkompetenz hätte ausüben müssen, sehe ich die Hauptlast.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, einen kleinen
Hoffnungsschimmer gab es ja, als Sie, Herr Meierhofer,
in der Ausschusssitzung gesagt haben: Wir haben dies
im Koalitionsvertrag in Bayern bzw. im Rahmen der
Absprachen geregelt. Auch Sie sind auf den Boden der
Tatsachen zurückgeholt worden. Die CSU, die anscheinend Profilierungssüchte in dieser Richtung entwickelt
hat, hat auch Sie nicht handeln lassen. Insofern muss ich
sagen: Auch Sie haben gekämpft, aber auch Sie haben
verloren. Wir haben gemeinsam verloren. Vielleicht können wir es gemeinsam ja besser machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lassen
Sie mich einen Satz zu Ihrem Antrag sagen, der uns
heute ebenfalls vorliegt. Ihr Antrag ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Schlagworte Entbürokratisierung
und Bürokratieabbau gut klingen, es aber, sobald es ans
Eingemachte geht, richtig schwierig wird. Mit Ihrem
Antrag greifen Sie das auf, was im Zuge der Verhandlungen aufgenommen wurde. Sie haben als Erste gesagt,
dass es nicht sein kann, dass die Rechte der Leute, deren
Vorfahren im 13. Jahrhundert Wasserrechte erworben
haben, durch ein neues Gesetz in irgendeiner Form vereinheitlicht werden.
({8})
Was ist das für ein Verständnis von Bürokratieabbau,
wenn ich nicht einmal das anpacken darf, wenn ich vorher erst einmal jahrhundertealte Urkunden wälzen muss?
({9})
Es ist nun einmal so: Es ist schrecklich einfach, etwas zu
proklamieren; wenn es aber ans Detail geht, kuschen Sie.
Sie müssen sich überlegen, wie Sie sich aufstellen, und
zwar auch bei den Koalitionsverhandlungen; denn dann
- das verspreche ich Ihnen - müssen Sie über bestimmte
Hürden springen.
({10})
Ich finde, man muss an dieser Stelle auch sagen, dass
das, worüber wir heute beraten, in einem nicht ganz einfachen Umfeld passiert. Alles, was Naturschutz und
Wasserrechte anbelangt, passiert in einem schwierigen
Umfeld. Wir alle brüsten uns mit Forderungen nach biologischer Vielfalt und deren Erhalt. Wenn es aber um die
Sache geht - Josef Göppel hat darauf hingewiesen -,
dann wird es schwierig. Deswegen sind wir gut beraten,
klarzumachen, dass es einen weiteren Standardabbau
mit dieser Großen Koalition nicht geben wird.
({11})
- Frau Kotting-Uhl, ich gebe Ihnen recht. Natürlich gehört zur Kompromisssuche auch, dass man bestimmte
Dinge entscheidet. Ich glaube, dass das Erreichen unseres Ziels, ein einheitliches Umweltrecht zu schaffen, unmittelbar damit verbunden ist, dass man Standards aufund abbaut. Nehmen Sie das Beispiel Gewässerrandstreifen. Wenn Sie vereinheitlichen wollen und eine
bundeseinheitliche Regelung finden wollen, stellen Sie
fest, dass in den Bundesländern heute unterschiedliche
Regelungen existieren. Eine einheitliche Regelung
würde für das eine Bundesland einen Standardaufbau
und für das andere Bundesland eine Standardsenkung
bedeuten. Das bringt ein solches Gesetz mit sich.
Das Gleiche gilt für das, was die FDP kritisiert hat:
Rechtsunsicherheit. Wenn ich vereinheitliche, neue Gesetze und neue Begriffe konzipiere, sind diese auslegungsfähig. Die Frage ist immer, ob das Rechtssicherheit mit sich bringt. Wir können uns nur die Frage
stellen, ob unsere Arbeit überflüssig ist. Wenn ja, dann
sollten wir das lassen. Ansonsten, wenn wir Reformen
machen wollen, sollten wir mutig sein, neue Begriffe
finden und für Vereinheitlichung sorgen. Ich bitte Sie
deshalb, nicht so sehr mit Schlagworten um sich zu werfen.
Ich will drei Problemfälle ansprechen, die mir wichtig
sind:
Erstens. Wir debattieren zurzeit über die sogenannten
Baumschulen. Das scheint mir ein Problemfall zu sein,
den wir uns anschauen müssen. Auch in diesem Zusammenhang rate ich dazu, sich die einzelnen Länderregelungen, die gegenwärtig schon existieren, beispielsweise
in Baden-Württemberg, anzuschauen. Dann sollten wir
darüber diskutieren, ob die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs den Untergang des Abendlandes zur Folge
hätte oder ob er praktikable Regelungen enthält. Ich bin
mir sicher, dass die Beteiligten gemeinsam eine gute Lösung finden können.
Der zweite Problemfall sind die Sportverbände;
Stichwort: freier Zugang zur Landschaft. Wir müssen
uns anschauen, ob das Konzept ausreichend ist. Ich will
die Beratungen gerne konstruktiv begleiten.
Der dritte Punkt sind wasserrechtliche Fragen, bei denen es beispielsweise um die Einpressung von Lagerstättenwasser geht. Auch diesen Bereich will ich ausdrücklich als Baustelle benennen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, letztlich ist das Umweltgesetzbuch meines Erachtens ein Beispiel dafür,
dass wir beim Aufbau des föderalen Systems längst
nicht am Ende sind. Ich bitte darum, dass wir uns auch
künftig im Parlament die Frage stellen, ob Deutschland
im europäischen Kontext zeitgemäß aufgestellt ist. Ich
glaube, es bestehen noch viele Defizite. Die Beratungen
zum Umweltgesetzbuch haben diese Defizite in Gänze
offengelegt. Trotzdem müssen wir das Beste daraus machen. Diese drei Gesetze werden die ersten Kapitel eines
Umweltgesetzbuches sein; dessen bin ich mir sehr sicher.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.
({12})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika
Brunkhorst für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es bleibt kaum noch etwas zu sagen: tiefe Betroffenheit
an allen Ecken und Enden. Angesichts der intensiven
Vorarbeiten bereits in den 90er-Jahren unter einer Umweltministerin Angela Merkel, die heute die Chefin der
Regierung ist, und angesichts dessen, was hier von vielen Akteuren geleistet worden ist, muss man sich wirklich fragen: Wie konnte es passieren, dass es nicht zu einem Umweltgesetzbuch gekommen ist?
({0})
Ich habe leider auch nicht gehört, Herr Minister Gabriel,
dass Sie einmal mit dem Entwurf des UGB in den Koalitionsausschuss gegangen sind.
({1})
- Sind Sie? Davon habe ich nichts gehört. Na gut, dann
ist das untergegangen.
({2})
- Ja, schade; aber es kann ja noch werden.
Ich möchte noch einmal auf die Ausführungen meines
Kollegen Herrn Kauch kommen, der hier für die Niedersachsen schon eine Bresche geschlagen hat. Im Hinblick
auf die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist uns
klar - da stimmen wir mit dem Bundesumweltminister
überein -, dass wir bundeseinheitliche Vorschriften im
Naturschutzrecht brauchen. Sonst haben wir eine
Rechtszersplitterung, die weder der Umwelt noch der
Wirtschaft hilft. Das wollen auch wir nicht.
({3})
Das UGB als Gesamtpaket war immer ein Kompromiss.
Einzelne Regeln werden auch in der Zukunft umstritten
bleiben. Ich glaube, dass wir auch über das Bundesnaturschutzrecht noch viele Diskussionen führen werden.
Herr Gabriel, das wird nicht einfach durchgewunken
werden; da bin ich mir sicher.
Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ist aus
niedersächsischer Sicht ein Hauptthema; das ist hier
schon angeklungen. Wir meinen, dass die Föderalismusreform, die eine bundesrechtliche Vollregelung ermöglicht, nicht dazu führen darf, dass die Länder in ein enges
Korsett gepresst werden. Wir als FDP glauben vielmehr
daran, dass man den Ländern viel zutrauen kann und
dass man ihnen bei der Findung von Lösungen für den
Naturschutz flexible Regelungen geben sollte.
({4})
Das muss nicht automatisch zu Absenkungen von Standards führen.
({5})
Ich traue den Ländern zu, sehr verantwortungsvoll damit
umzugehen. Ein monetärer Ausgleich muss nicht per se
zu ökologischen Verschlechterungen führen. Auch da
kann man in Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden
gute Diskussionen führen und gute Lösungen finden.
({6})
Wer die Geschichte des Naturschutzes kennt, weiß,
dass es die Länder waren, die als Erste den Naturschutz
entdeckt und auch als Erste Ziele entwickelt haben. So
gab es bereits 1975 die ersten Landesnaturschutzgesetze.
Der Bund verabschiedete ein Jahr später ein entsprechendes Gesetz. Bereits 1984 hat die Bayerische Staatsregierung - ich will, dass die Bayern hier nicht völlig
verteufelt werden; mein Mädchenname ist Huber; vielleicht sagt das einigen etwas ({7})
den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu einem
Staatsziel gemacht. Wenn ich jetzt noch einen draufset22992
zen darf: Wer hat überhaupt den Naturschutz, den Umweltschutz erfunden? Schauen Sie bitte einmal in die
Freiburger Thesen der FDP von 1971.
({8})
Ein schönes Wochenende!
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Ulrich Petzold.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Minister, ich glaube, Sie haben Ihr Gesetzgebungslicht heute etwas zu sehr unter den Wahlkampfscheffel gestellt. Ihre Mitarbeiter, die wirklich sehr gut
an dem Gesetz gearbeitet haben, haben Dank verdient.
Ihr Ministerium ist nicht so schlecht.
({0})
Wir haben einen Gesetzentwurf vorliegen, durch den
die europäischen Vorgaben des Wasserrechtes umgesetzt
werden, und einen weiteren Gesetzentwurf, in dem die
Möglichkeiten aufgegriffen werden, die uns die Föderalismuskommission im Umweltbereich geschaffen hat.
Nun werden einige sagen - einige haben es ja auch
schon gesagt -: Es ist der Spatz in der Hand statt der
Taube auf dem Dach. Wir Umweltpolitiker im Deutschen Bundestag hatten uns die Taube auf dem Dach,
das Umweltgesetzbuch, gewünscht. Aber wir haben endlich das Ziel einer bundeseinheitlichen Regelung des
Wasserrechts statt vieler Landeswassergesetze erreicht.
Stückwerk ist es also nicht.
Es war beileibe keine leichte Geburt. Seit eineinhalb
Jahren beschäftigen wir uns mit der Umsetzung des
Wasserrechts. Das BMU hat dabei einen völlig neuen
Weg der Gesetzeserarbeitung eingeschlagen, indem es
gemeinsam mit den Experten der Bundesländer einen
Vorentwurf erarbeitet und ihn anschließend sofort zur
allgemeinen Diskussion ins Internet gestellt hat. Wenn
die Opposition jetzt den Vorwurf äußert, der vorliegende
Gesetzentwurf werde durch das Parlament gepeitscht
und sei nicht hinreichend beraten worden,
({1})
kann ich Sie nur fragen: Worüber haben Sie in den vergangenen Jahren mit uns diskutiert?
({2})
Das UGB II, das in wesentlichen Teilen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf übereinstimmt, ist seit November 2007 in dieser Form im Internet zu finden. In unzähligen Veranstaltungen haben wir über das UGB II
diskutiert. Öffentlicher und transparenter, als es in diesem Fall geschehen ist, kann man ein Gesetz wohl kaum
erarbeiten.
({3})
In den letzten Monaten hat der Gesetzentwurf eine
ganze Reihe von Veränderungen erfahren. Bei seiner ersten Überarbeitung habe ich in mehr als 40 Punkten Gesprächsbedarf mit dem Umweltministerium angemeldet.
Geduldig und mit großer Sachkunde wurde immer wieder auf die vorgetragenen Bedenken eingegangen. Deswegen kann ich die Kritik an den Mitarbeitern des
Ministeriums überhaupt nicht nachvollziehen.
({4})
Die Änderungswünsche von Industrie, Landwirtschaft, Wasserwirtschaft und Umweltverbänden waren
zu bedenken und oftmals gegeneinander abzuwägen. So
haben wir uns zum Beispiel sehr lange mit dem Thema
Gewässerrandstreifen beschäftigt. Hier standen sich
Extreme gegenüber. In dem einen Bundesland waren die
Gewässerrandstreifen zehn Meter breit, in einem anderen Bundesland null Meter. Dennoch haben wir hier eine
Lösung gefunden. Das gelang uns auch in vielen anderen
Fällen.
Ein Knackpunkt ist allerdings geblieben: Im UGB erfolgte eine Neuordnung der Gestattungsformen. Dies
wurde getan, um die Gestattungsformen im Immissionsrecht und im Wasserrecht in Übereinstimmung zu bringen. Gerade diese Maßnahme wurde, wie vom Minister
erwähnt, auch vom Normenkontrollrat begrüßt und im
Hinblick auf den Bürokratieabbau als förderlich bewertet.
Es war jedoch nicht möglich, ein wesentliches Problem im Rahmen des UGB auszuräumen: Mit dem Wegfall der Gestattungsform Bewilligung war der Wegfall
einer Gestattungsform im Wassergenehmigungsrecht
vorgesehen, die ein hohes Schutzniveau gegenüber den
Ansprüchen Dritter oder der Behörden bietet. Viele Bedenken richteten sich dagegen, auch wenn Bewilligungen nur noch eine geringe Rolle im Reigen der Gestattungsformen spielen. Auf der anderen Seite wäre die
gebundene Entscheidung des Immissionsschutzrechts
durch die neu eingeführte integrierte Vorhabengenehmigung in die behördliche Ermessensentscheidung des
Wasserrechts eingebettet worden. Damit wäre die gebundene Genehmigung entfallen.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Wasserrechts wird dieses Problem gelöst. Im Wasserrecht mit seinem hohen Schutzniveau
wird die Gestattungsform der Bewilligung erhalten, und
die behördliche Ermessensentscheidung wird nicht auf
das Immissionsschutzrecht ausgeweitet.
Natürlich sind längst nicht alle Probleme und Bedenken ausgeräumt. So müssen wir uns im Verfahren mit Sicherheit noch einmal mit Fragen der Reinhaltung, der
Mindestwasserführung und der Durchgängigkeit beschäftigen, wenn wir zum Beispiel die kleine WasserUlrich Petzold
kraft als erneuerbare Energie erhalten und fördern wollen.
Nicht von der Hand zu weisen ist die Forderung, der
öffentlichen Trinkwasserversorgung der Bevölkerung
Vorrang einzuräumen. Das ist allein deshalb erforderlich, weil wir sie von der Brauchwasserentnahme abgrenzen müssen.
Wir sollten heute nicht nur über die kritischen Punkte
des Gesetzentwurfes diskutieren. Die Zusammenführung
von 16 Landeswassergesetzen und einer europäischen
Richtlinie ist nach Meinung vieler Experten besser gelungen, als erwartet wurde. Durch die im Vergleich zum
alten Wasserhaushaltsgesetz übersichtlichere und systematischere Gestaltung des Gesetzentwurfs werden größere Transparenz und Verständlichkeit geschaffen. Es
erfolgen Klarstellungen der Rechtslage und der Begrifflichkeiten. Die Gestattungsformen werden gestrafft und
der Entwicklung des Umweltrechts angepasst.
Uns liegt eine europataugliche Vollregelung vor, die
über das bisherige Rahmenrecht deutlich hinausgeht. Für
Wirtschaft und Umwelt schafft dieses Gesetz mehr Klarheit. Außerdem eröffnet es aufgrund der sich ergebenden
Rechtssicherheit Chancen für Wirtschaft und Umwelt.
Ich habe eingangs vom Spatz in der Hand gesprochen.
Lassen Sie uns in den nächsten Wochen daran arbeiten,
diesen Spatz vielleicht doch in eine Taube zu verwandeln.
Danke schön.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Herren Söder und Seehofer haben offensichtlich
nicht begriffen, das ein einheitliches Umweltrecht nicht
nur der Umwelt, sondern auch dem Gros der Wirtschaft
nutzt. Als Bayerin kann ich Ihnen nur sagen: Sie machen
momentan Fundamentalopposition. Wenn ich mir anschaue, was da so passiert, glaube ich, sie wollen die
Wähler ziemlich verarschen.
({0})
Sie wollen klarmachen, dass sie in Bayern regieren.
Aber Sie regieren auch in Berlin. Das will man verschleiern, und deswegen macht man solche Dinge.
({1})
Gewonnen haben nur wenige Großunternehmen, die
glauben, sich mit ihren Stäben im Genehmigungsdschungel besser bewegen zu können als die Konkurrenz
der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die
CSU hat sich also den Konzernen und dem BDI angedient, anstatt eine Politik für Umwelt, Bevölkerung und
Mittelstand zu machen. Besonders brisant ist, dass der
Geschäftsführer des BDI der ehemalige bayerische Umweltminister ist.
({2})
Als Folge des UGB-Desasters wird nun für den Wasserbereich ein neues, eigenes Wasserhaushaltsgesetz fällig. Wir haben zwar als Oppositionspartei nicht mehr die
allerletzten Entwürfe des UGB gesehen; aber es ist bekannt, dass die Fortschritte, die in früheren Entwürfen
erzielt wurden - sie wurden einige Male genannt -, jetzt
nicht mehr enthalten sind. Das finden wir schade. Wir
wissen, dass das UGB vor allem von der CSU völlig zerpflückt wurde.
Nehmen wir beispielsweise die Anlagen an oberirdischen Gewässern und die Gewässerrandstreifen. War im
UGB-Entwurf vom November 2007 noch der Einsatz
von Pflanzenschutzmitteln und Pestiziden verboten, so
ist er nach § 38 des neuen Wasserhaushaltsgesetzes wieder erlaubt. Im Verfahren wurde die Breite des Gewässerrandstreifens im Außenbereich von ursprünglich angedachten 10 Metern auf 5 Meter gesenkt.
§ 34 Wasserhaushaltsgesetz, der die Durchgängigkeit der Gewässer behandelt, ist im Vergleich zur UGBVersion von November 2007 quasi substanzlos: War ursprünglich die geforderte Durchgängigkeit von Stauanlagen erst dann gegeben, wenn Gewässerorganismen
schadlos stromaufwärts und stromabwärts passieren
können und der Transport von Geschiebe im Gewässer
gewährleistet ist, so fehlen diese qualitativen Bestimmungen nun völlig. Das ist sehr schade, denn das wäre
revolutionär gewesen. Fischtreppen für den Aufstieg
sind ja schön und gut. Nach der ursprünglichen UGBRegelung hätten aber erstmals Konzepte dafür entwickelt werden müssen, wie Fische auch wieder schadlos
nach unten wandern können. Da sucht sich der Aal nämlich nicht die Treppe, sondern nutzt die Hauptströmung,
was ihm aufgrund seiner ungünstigen Körperform spätestens an den Turbinenschaufeln nachhaltige Probleme
bereitet.
Wenigstens ist es ein Fortschritt, dass nunmehr das
Gebot einer Mindestwasserführung greifen könnte.
Diese ist erstmals in § 33 verankert. Dadurch kann verhindert werden, dass zu viel Wasser aus einem Fluss für
Wasserkraftanlagen oder Kraftwerke abgezweigt wird
und dadurch die ökologische Funktionsfähigkeit des Gewässers Schaden nimmt. Das geschieht bislang in trockenen Sommermonaten nicht selten, weil man mit aller
Macht Kleinwasserkraftanlagen am Laufen halten will.
Allerdings ist in § 35 der ursprünglich vorgesehene
Verweis auf den Stand der Technik bei der Nutzung von
Wasserkraftanlagen gestrichen worden. Auch dies ist
eine Abschwächung.
Beim Hochwasserschutz fordert das Gesetz von den
Ländern die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten innerhalb bestimmter Fristen. Da war die Bundesregierung zögerlich. Sie hätte sich am Landeswassergesetz
von Baden-Württemberg orientieren können, was Bürokratie erspart hätte.
({3})
- Das ist ja wurscht, wenn es vernünftig ist.
({4})
Ich meine, es gibt ganz viele Dinge, die hätten getan
werden müssen. Wenn in einem Land etwas Positives
passiert, dann darf man das auch einmal loben. Wir wünschen uns natürlich, dass Sie es auch einmal akzeptieren,
wenn wir positive Dinge sagen.
Danke.
({5})
Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste! Wir sind emsig dabei, die Fragmente des
Umweltgesetzbuches irgendwie einzusammeln. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn das Umweltgesetzbuch in Gänze gekommen wäre. Aber es ist eben auch
wahr, dass es keine Einigung gab. Deswegen müssen wir
jetzt alles dafür tun, dass wir bundeseinheitliche Regelungen hinbekommen, dass es nicht wieder einen Flickenteppich gibt, dass die Umweltgesetzgebung nicht wieder
zerfasert wird, ähnlich wie es bei den Umweltzonen war,
als wir etwas Gutes wollten, aber letztendlich eine
Katastrophe entstanden ist.
Vor diesem Hintergrund möchte ich zwei Themen aus
dem ehemaligen Buch IV näher benennen. Dies sind die
Bereiche Amateurfunk und Solarien.
Beim Umweltgesetzbuch IV geht es um die nichtionisierende Strahlung, also um elektrische, elektromagnetische und optische Strahlung. Es gibt eine EU-Empfehlung, wonach die Grenzwerte ausgeweitet werden
sollen und der gesamte Frequenzbereich von 0 bis
300 Gigahertz jetzt Bestandteil des Umweltrechts werden soll. Dies soll sowohl für private als auch für dienstliche als auch für gewerbliche Anwendungen gelten.
Deswegen wurde das jetzt so aufgenommen. Meiner
Meinung nach ist damit ein sinnvoller Gleichstand aller
Bereiche der Funktechnik erreicht worden.
Es gibt natürlich auch Bedenken, dass es zu Parallelregulierungen kommen könnte. Meine Einschätzung ist
- anders als die Einschätzung der Amateurfunker -, dass
es zu keiner zusätzlichen Belastung kommt. Es gibt nach
wie vor die Verpflichtung zur Selbstanzeige, was die
Standortbescheinigung angeht. Das wird auch nach wie
vor gemacht. Wenn die Länder etwas anfordern, kann
dies über einen ganz normalen elektronischen Datenverkehr zwischen der Bundesnetzagentur und den Länderbehörden erfolgen. Das bedeutet keinen Mehraufwand
für die Funker; das ist im Sinne der Funker.
Die Technik wurde bisher im Fernmelderecht geregelt, und das bleibt auch so. Die Grenzwerte für den Gesundheitsschutz werden in der 26. BImSchV festgeschrieben, und das ist vernünftig.
({0})
Ich komme nun zu den Solarien. Wir haben vorhin
darüber gesprochen, Herr Minister. Es wird öffentlich
darüber diskutiert, dass UV-Strahlung die Haut schädigen kann, wenn nicht bedarfsgerecht vorgegangen wird.
Die Medien berichten von bis zu 3 000 Hautkrebserkrankungen bzw. -toten im Jahr. Das ist natürlich bedenklich.
Hinweise von Organisationen - die Sie angesprochen
haben -, dass dies auf die Solariennutzung zurückzuführen sei, haben Sie im Ministerium zum Anlass genommen, auf ein Verbot hinzuwirken beziehungsweise zu sagen: Wir erlauben den Besuch eines Solariums erst ab
einem Alter von 18 Jahren.
({1})
Ich erlaube mir allerdings, zu fragen, lieber Kollege
Müller, ob dieses Verbot wirklich gerechtfertigt ist, ob es
ausreichend begründet ist, ob es verifiziert ist und ob die
Kausalität zu den Solarien hergestellt ist. Ich denke, dabei haben wir noch ein bisschen Beratungsbedarf.
({2})
Es gibt andere Studien, die ganz klar zum Ausdruck
bringen, dass Solarien auch eine schützende Wirkung
bzw. Funktion haben. Ich nenne nur die Vorbräunung der
Haut und den Lichtschutz der Haut. Wenn man nämlich
ungebräunt in den Urlaub fährt und sich dort in die
Sonne legt, ist das wesentlich gefährlicher, Herr Minister, als wenn man sich bedarfsgerecht im Solarium
bräunt.
Es gibt auch andere gesundheitsfördernde Wirkungen.
Sie wissen das alle. Es gibt verschiedene Studien, die
saisonale und bei manchen auch permanente Vitamin-DMangelerscheinungen belegen. Das kann man zu
90 Prozent deckeln, wenn man sich einer bedarfsgerechten Besonnung unterzieht.
Ist also das Eingreifen gerechtfertigt? Ich denke, eine
Festlegung auf 16 oder 18 Jahre ist eine rein willkürliche
staatliche Festlegung. Wir müssen vielmehr an die Eigenverantwortung appellieren. Das ist für mich ganz
wichtig.
({3})
Meine Damen und Herren, 16-Jährige haben in verschiedenen Bundesländern die Möglichkeit, auf kommunaler Ebene zu wählen. Sie haben die Möglichkeit, mit
17 Jahren den Führerschein zu machen. Sie haben die
Möglichkeit, mit 16 Jahren eine Ausbildung zu machen.
Sie haben sogar die Möglichkeit, Wein und Zigaretten zu
kaufen. Wie sollen wir als Politiker den 16-Jährigen nun
erklären, dass sie sich nicht mehr ins Solarium begeben
dürfen? Ich kann das sicherlich nicht.
({4})
Wohin führt denn der zweite Schritt? Verbietet man
übermorgen dann vielleicht den Besuch im Freibad oder
am Strand? Ich denke, das ist nicht der richtige Weg.
({5})
Herr Müller, ich habe natürlich auch eine Anregung
und einen Kompromiss vorzuschlagen: Wir lassen auf
der einen Seite zu, dass die Jugendlichen nach wie vor
mit 16 Jahren ins Solarium gehen dürfen. Auf der anderen Seite, Herr Minister, könnten wir die jetzt freiwillige
Zertifizierung verpflichtend machen. Wir müssen sie
auch verschärfen - hier bin ich ganz auf Ihrer Seite -;
denn die Zertifizierung hat bisher nicht zur Verbesserung
der Situation beigetragen, da sie sozusagen alleine im
Raume stand.
Ich glaube, damit könnten alle leben: Wir verbessern
die Qualität in den Solarien, wir überprüfen die Gerätestandards, wir setzen einen Grenzwert von 0,3 Watt pro
Quadratmeter - wenn Sie Techniker wären, dann würden
Sie wissen, dass dann de facto gar nichts passieren kann -,
wir kennzeichnen die Geräte, wir überprüfen die Inspektionen, wir dokumentieren die Wartung, und entsprechendes Personal wird ausgebildet. Ich glaube, das ist
der richtige Weg.
Ich komme zum letzten Punkt. Durch ein Verbot würden die Jugendlichen regelrecht in die Hände von Betreibern von Hinterhofsolarien getrieben, in deren Geräte
Münzen eingeworfen werden. Ich glaube, wenn sie mit
5 Euro ungehindert im Solarium sein dürfen, dann schädigen sie sich wirklich.
Mein Fazit: Bei allen Dingen, über die wir beraten,
brauchen wir keinen Aktionismus.
({6})
- Frau Kotting-Uhl, wir brauchen Aufklärung statt Verunsicherung, Zertifizierung statt Verbote und Eigenverantwortung statt Bevormundung.
Vielen herzlichen Dank.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Andreas Jung für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist kein Geheimnis: Wir Umweltpolitiker hätten heute
lieber ein einheitliches UGB mit einzelnen Kapiteln auf
den Weg gebracht, statt nur einzelne Kapitel auf dem
Weg zu diesem UGB aufzuschlagen.
Ich denke, das eine ist, dass man sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass es hier letztlich keine
Einigung zwischen dem Umweltministerium und den
anderen beteiligten Ministerien, zwischen dem Bund
und den Ländern und zwischen den Koalitionsfraktionen
hat geben können. Das andere ist aber, dass man die, wie
ich finde, überzogenen und vor allem auch einseitigen
Schuldzuweisungen, die wir in dieser Debatte gehört haben, zurückweisen muss.
Frau Kotting-Uhl, ich möchte bei Ihnen anfangen. Sie
haben zu Recht gesagt, dass es nicht reicht, nur zu reden,
sondern dass man auch etwas tun muss. In diesem Zusammenhang will ich nur darauf hinweisen, dass das zersplitterte Umweltrecht nicht mit der Abwahl von RotGrün im Jahre 2005 vom Himmel gefallen ist, sondern
dass sich diese Zersplitterung über Jahre und Jahrzehnte
nach und nach aufgebaut hat und dass kein einziger Versuch aus den sieben Jahren rot-grüner Regierungszeit
überliefert ist, diesen Umstand zu beseitigen und ein so
ehrgeiziges Projekt wie das Umweltgesetzbuch auch nur
auf den Weg zu bringen.
({0})
Deshalb will ich sagen: Wer sich noch nicht einmal aus
der Kabine heraustraut, der sollte nicht die kritisieren,
die sich auf dem Spielfeld abmühen.
({1})
Es stellt sich auch die Frage, wie die Diskussion in
der Bundesregierung war. Minister Gabriel hat über hellseherische Fähigkeiten der Bundeskanzlerin spekuliert.
Herr Minister, ja, die Kanzlerin kennt ihre Partei, aber
sie kennt auch ihre Minister.
Ich glaube, bei der Diskussion über die Frage, warum
wir uns heute da befinden, wo wir sind, kommen wir
nicht umhin, auch den Anteil des Mitverschuldens anzusprechen, den das Bundesumweltministerium trägt, das
einen Entwurf für das im Koalitionsvertrag verabredete
Projekt erst spät vorgelegt hat, das diesen Entwurf mit
den Umweltverbänden ausführlich diskutiert hat - was
richtig war -, das den Entwurf aber zu wenig auch mit
den anderen betroffenen Akteuren in der Landwirtschaft
und in der Wirtschaft diskutiert hat und das ihn mit den
Ministerien, die diese Anliegen vertreten, nicht abgestimmt hat.
Sie haben mit diesem Gesetzentwurf vor allem ein
Ziel nicht erreicht. Sie haben vorhin gesagt, dass es eine
Verabredung gab, wonach dieses Umweltgesetzbuch ein
Projekt für Verfahrenserleichterungen und Rechtsvereinheitlichung, aber eben gerade nicht für Bürokratieaufbau
sein sollte. Deshalb habe man vereinbart, keine Standardabsenkungen vorzunehmen - das ist richtig -, aber
auch keine Standardverschärfungen.
({2})
Andreas Jung ({3})
Ihr erster Entwurf ist diesem Anspruch aber gerade
nicht gerecht geworden. Es gab nämlich an zahlreichen
Stellen in allen Büchern und Regelungsbereichen Verschärfungen und Vorschläge, die zu mehr Bürokratie geführt hätten. Wir haben eine Liste all dieser Punkte erstellt, die im Umfang an ein mittleres Telefonbuch
erinnert.
Zur Wahrheit gehört auch das, was die Kollegen
Petzold, Meierhofer und andere angesprochen haben:
dass es in zähen Verhandlungen gelungen ist, Schritt für
Schritt diese Punkte abzuarbeiten und dass es dabei auch
Entgegenkommen gegeben hat. Letzten Endes ist es aber
nicht gelungen, das Misstrauen, das durch dieses Vorgehen gesät worden ist, in allen Punkten auszuräumen.
Wenn Sie die Leute auf die Bäume treiben, muss man
sich nicht wundern, wenn nicht alle wieder herunterkommen. Es erklärt nicht alles, aber es ist ein Teil der
Wahrheit und ein Grund, warum es letzten Endes nicht
zur Einigung gekommen ist.
({4})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Teilweise
wurde durch Schwarzmalerei versucht, den Eindruck zu
erwecken, dass derjenige, der für das Umweltgesetzbuch
in der Fassung des jetzt vorliegenden besseren Entwurfs
ist, für mehr Umweltschutz ist, und dass derjenige, der
gegen diesen und andere Entwürfe argumentiert hat, dagegen ist. So einfach ist das nicht. Das haben die Ausführungen unseres „Wassermanns“ Ulrich Petzold gezeigt. Er hat darauf hingewiesen, dass die im Bereich des
Wasserrechts vorgeschlagenen Regelungen die Sorge begründen, dass der Kleinwasserkraft buchstäblich der
Hahn zugedreht wird. Bei der Kleinwasserkraft geht es
auch um die Förderung erneuerbarer Energien. Es geht
um mehr Klimaschutz und damit auch um Umweltschutz. Damit heißt es in dieser Frage nicht „BDI gegen
Umweltschutz“ oder „Kohlekraftwerke gegen Umweltschutz“. Vielmehr steht Umweltschutz gegen Umweltschutz. Wir müssen in diesem Bereich eine Abwägung
vornehmen. Das macht die Materie sehr komplex und an
mancher Stelle schwierig.
({5})
Ich komme zum Schluss. Manche Redner haben festgestellt, dass wir heute mehr über das reden, was ausgeblieben ist, als über das, was kommt. Ich rate uns allen
davon ab. Denn was die Regelungen angeht, die kommen, ist es zwar bedauerlicherweise wahr, dass die im
ersten Teil des Umweltgesetzbuchs vorgesehene integrierte Vorhabensgenehmigung noch nicht kommt. Es
kommen aber Regelungen zum Naturschutz und zur
Landschaftspflege, zum Wasserrecht und zur nichtionisierenden Strahlung. Damit bringen wir heute die materiell-rechtlichen Regelungen, die im Umweltgesetzbuch
vorgesehen waren, auf den Weg. Das macht deutlich,
dass die gute Arbeit, die in den Ministerien im Bund und
in den Ländern wie auch von den Berichterstattern und
Mitgliedern der Fraktionen im Umweltausschuss geleistet wurde, nicht vergeblich war. Wir schöpfen vielmehr
die Kompetenzen, die uns durch die Föderalismuskommission in diesem Bereich übertragen wurden, aus und
legen jetzt den Grundstein für ein Umweltgesetzbuch,
das bisher gefehlt hat. Die integrierte Vorhabensgenehmigung im Umweltgesetzbuch I ist sozusagen das Dach,
an dem wir in der nächsten Legislaturperiode weiterbauen werden.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Bezüglich der Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d
wird interfraktionell die Überweisung der Gesetz-
entwürfe auf den Drucksachen 16/12274, 16/12275,
16/12276 und 16/12277 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.
Zusatzpunkt 9. Dabei geht es um die Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag
der Fraktion der FDP mit dem Titel „Verfahren vereinfa-
chen, Bürger entlasten, Rechtssicherheit schaffen - Not-
wendige Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Pro-
jekts ‚Umweltgesetzbuch‘“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10393,
den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9113
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist
die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstim-
men der FDP-Fraktion.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b
sowie Zusatzpunkt 10 auf:
33 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Volker Schneider ({0}),
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Erhöhung der Regelaltersrente auf 67 zurücknehmen
- Drucksache 16/12295 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth,
Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kurs halten bei der Erwerbsintegration von
älteren Beschäftigten - Teilrenten erleichtern
- Drucksachen 16/9748, 16/11501 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß ({3})
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Flexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall der
Zuverdienstgrenzen
- Drucksachen 16/8542, 16/12311 Berichterstattung:
Abgeordneter Anton Schaaf
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die
Linke.
({5})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Welt hat sich verändert. Daher ist es notwendig, dass wir die Konzepte, die vielleicht dem einen
oder anderen in den letzten Jahren noch schlüssig erschienen sind, überprüfen und nachdenken, ob das alles
noch so stimmt, wie es war. Dazu gehört unter anderem
die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre.
Ich erinnere daran, dass die SPD bei der letzten Bundestagswahl mit dem Ziel angetreten ist - ich zitiere aus
dem Wahlprogramm -:
Unser Ziel ist, das faktische Renteneintrittsalter an
das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65 Jahren
heranzuführen.
Kurz darauf ging Herr Müntefering mit Frau Merkel
frühstücken. Heraus kam die Rente mit 67. Das war einer der größten Wahlbetruge, die bei der letzten Bundestagswahl begangen wurden.
({0})
Sie können hier abwinken, so viel Sie wollen. Wenn Sie
lesen können, dann werden Sie feststellen, dass das im
Wahlprogramm der SPD steht. Ich kann es Ihnen noch
einmal zitieren. Nebenbei bemerkt: Wenn natürlich hinterher Herr Müntefering sagt, „Ich finde es bedauerlich,
dass ich nach der Wahl an das erinnert werde, was ich
vor der Wahl gesagt habe“, dann wird es noch schlimmer.
({1})
Wir stehen vor der Situation, dass das Vertrauen in die
Rentenpolitik auf das Äußerste erschüttert ist. Ich habe
Ihnen ein altes Wahlkampfplakat von der SPD mitgebracht. Dort steht: „Alter ohne Sorgen - darum SPD“.
({2})
- Nein, das ist nicht Erich Honecker. Das ist das Wahlprogramm der SPD.
({3})
- Warum Sie klatschen, verstehe ich überhaupt nicht.
Heute wissen wir genau, dass ein großer Teil der
Menschen in diesem Land, wenn sie in Rente gehen,
eine Rente erhält, die nicht mehr ausreicht, um die Kosten ihres Lebensunterhalts vernünftig zu decken.
({4})
Viele Menschen werden in der Altersarmut landen, unter
anderem wegen der Rente mit 67. Die Rente mit 67 war
unnötig.
({5})
Wie Sie wissen, erhalten die Menschen, die in den
nächsten 20 Jahren weniger als drei Viertel des Durchschnitts verdienen - das sind etwa 1 900 Euro im Monat -,
im Jahre 2030 nur noch eine Rente in Höhe des Grundsicherungsniveaus. Nach Angaben des Paritätischen
Wohlfahrtsverbands wird das Durchschnittsrentenniveau
schon im Jahre 2022 unter das Niveau der Grundsicherung fallen. Erinnern Sie sich noch an das, was Sie damals plakatiert haben, meine Damen und Herren von der
SPD? Ich gebe zu, dass das länger her ist. Aber damals
waren Sie noch sozialdemokratisch.
Welches ist wirklich das Ziel Ihrer Rentenpolitik? Ihr
Ziel, das Sie mit der Rente mit 67 verfolgen, ist nicht,
die Menschen bis zum 67. Lebensjahr arbeiten zu lassen.
So viel Realitätssinn traue ich Ihnen noch zu, dass Sie
selber wissen, dass das nicht geht. Welches ist denn dann
das Ziel? Das Ziel der Rente mit 67 ist eine massive
Kürzung der Renten.
({6})
Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen.
Ein Müllfahrer, der mit 63 fertig ist, nicht mehr kann und
dann in Rente geht, muss heute einen Abschlag in Höhe
von 7,2 Prozent auf seine Rente hinnehmen. Wenn er
künftig mit 63 in Rente gehen muss - weil er nicht gesünder wird, nur weil er bis 67 arbeiten soll - wird er
Rentenabschläge in einer Größenordnung von 14,4 Prozent hinnehmen müssen. Das ist offensichtlich das, was
Sie wollen. Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Ihr Ziel
ist offensichtlich
({7})
- Sie können ruhig von dummem Zeug sprechen -, die
gesetzlichen Renten so weit zu kürzen, dass sich die
Menschen zusätzlich privat versichern müssen, weil sie
sonst im Alter an der untersten Grenze leben müssen.
Das ist das Ziel Ihrer Politik.
Zumindest jetzt, wo wir merken, dass die private Altersvorsorge nicht funktioniert, wo in Amerika ein großer Teil der Menschen damit rechnen muss, überhaupt
keine Rente mehr zu bekommen, weil die Rente verzockt wurde, und wo selbst in der Schweiz, in der es eine
zweite kapitalgedeckte Säule in der Rentenversicherung
gibt, von Monat zu Monat deutlicher wird, dass die
Rente immer weniger wird, müssten Sie doch irgendwann einmal umkehren und sagen: Die Rente mit 67 ist
Unsinn. Die Förderung der privaten Altersvorsorge ist
Unsinn. Wir brauchen eine starke gesetzliche Rente.
Diese dürfen wir nicht kaputt machen.
({8})
In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung
- auch in anderen Zeitungen stand das - war zu lesen:
Die Zahl der Lehrstellen sinkt um bis zu 10 Prozent. Die
Unternehmen bilden um bis zu 10 Prozent weniger aus.
({9})
Das ist schon der Vorlauf dessen - das ist mein Eindruck -,
dass die Unternehmen offensichtlich annehmen: Wenn
die Menschen länger arbeiten, nämlich bis zum Alter
von 67 Jahren, dann brauchen wir weniger junge Leute;
wir haben ja dann die Alten.
({10})
Offensichtlich kann es nicht anders sein. Wenn das so
ist, dann würde ich Ihnen empfehlen, einmal darüber
nachzudenken, wo denn die jungen Menschen eine Beschäftigung finden sollen, wenn die älteren Menschen
nicht aus dem Berufsleben ausscheiden: Wo sollen denn
dann die jungen Menschen arbeiten? Wenn Ihr Konzept
aufgehen und die Menschen tatsächlich zwei Jahre länger arbeiten würden, was aber nur vereinzelt funktionieren wird - das habe ich Ihnen schon erläutert -, dann
wird das Ergebnis sein, dass die jungen Menschen keinen Ausbildungsplatz und auch keinen Arbeitsplatz finden werden. Das ist die Realität. Die Alten dürfen nicht
raus, und die Jungen dürfen nicht rein. Das ist sozialdemokratische Politik. Damit schießen Sie den Vogel ab.
({11})
Jetzt kommt die Verbindung mit der Krise. Die Frage
ist: Was bedeutet das jetzt? Wir wissen, dass die Arbeitslosigkeit steigen wird. Ich gehe davon aus, dass im Frühsommer, wenn die ganzen Maßnahmen, die zurzeit noch
andauern, etwa die Kurzarbeit, nicht mehr greifen - diejenigen, die zurzeit noch in Kurzarbeit sind, werden
dann arbeitslos; in anderen Ländern ist das schon so -,
die Zahl der Arbeitslosen steigen wird. Was bedeutet es
in dieser Situation, wenn die älteren Menschen ihre
Rente erst mit 67 Jahren bekommen? Sie werden trotzdem eher aus den Betrieben ausscheiden müssen, weil es
sinnvoller ist, dass die älteren Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden, weil sonst keine jüngeren Leute
eingestellt werden.
({12})
- Da können Sie brüllen wie in einem Bierzelt. Das ist
so, Herr Kollege, auch wenn es Ihnen nicht gefällt.
({13})
Ich kann Ihnen sagen: In einer solchen Wirtschaftskrise
und der Erwartung einer hohen Arbeitslosigkeit die
Menschen länger arbeiten zu lassen, versteht in diesem
Land kein Mensch mehr.
({14})
Jetzt können Sie sagen: Das höhere Renteneintrittsalter wird erst in ein paar Jahren richtig zum Tragen kommen. Glauben Sie denn, dass die Wirtschaftskrise, auf
die wir zusteuern, in den nächsten zwei bis drei Jahren
spurlos an uns vorbeigegangen sein wird? Glauben Sie
nicht, dass es gravierende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt geben wird? Wer heute noch glaubt, er könne
so weitermachen wie früher, der befindet sich auf dem
Holzweg. Deshalb sage ich Ihnen: Nehmen Sie die
Rente mit 67 zurück!
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst gilt es, einmal festzuhalten: Diese Woche
war eine ausgesprochen gute Woche für die Rentnerinnen und Rentner in unserem Land.
({0})
Am Montag hat das Statistische Bundesamt die endgültigen Zahlen vorgelegt: Zum 1. Juli dieses Jahres steigen die Renten im Westen um 2,41 Prozent und im Osten um 3,38 Prozent. Das ist eine seit vielen Jahren
wieder erfreuliche Nachricht für die über 20 Millionen
Rentnerinnen und Rentner in unserem Land.
({1})
Vom wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen
Jahre profitieren nun endlich auch die Rentnerinnen und
Rentner.
({2})
Gleichzeitig konnte in der Rentenversicherung eine
Rücklage von mittlerweile 15,6 Milliarden Euro gebildet
werden; das ist ungefähr eine Monatsausgabe. Vor vier
Jahren sah das übrigens noch dramatisch anders aus: Da
benötigte die Rentenversicherung zusätzliches Geld vom
Bund, um die Renten auszuzahlen.
Diese beiden Botschaften, endlich wieder eine deutliche und bemerkenswerte Rentenerhöhung zum 1. Juli
dieses Jahres und gleichzeitig eine hohe Rücklage in der
deutschen Rentenversicherung, zeigen: Es ist eine der
Erfolgsgeschichten dieser Großen Koalition, dass die gesetzliche Rente heute sicherer und zukunftsfester geworden ist.
Peter Weiß ({3})
({4})
Mit dem gestern beratenen Bürgerentlastungsgesetz
senken wir den Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung um 0,6 Prozentpunkte.
({5})
Auch das wird zum 1. Juli den Rentnerinnen und Rentnern zusätzlich zugutekommen, die dann wieder mehr in
ihrem Geldbeutel haben werden. Auch das ist eine gute
Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland.
({6})
Diese Politik
({7})
der Konsolidierung und Zukunftssicherung des Rentensystems beinhaltet eine ganze Reihe von Maßnahmen.
Dazu gehört als ein wesentlicher Baustein auch die
schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze bis zum
Jahre 2029 auf dann 67 Jahre. Wer dieses Reformwerk
jetzt nachträglich wieder kippen will, der zerstört die
Konsolidierungserfolge bezüglich der Rente, der macht
die Zukunft der Rentnerinnen und Rentner wieder unsicherer.
({8})
Deswegen sagen wir im Interesse der Älteren wie der
Jüngeren ein klares Nein zur Rolle rückwärts in der deutschen Rentenpolitik.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schneider?
Bitte sehr.
Herr Kollege Weiß, Sie haben eben gesagt, wir würden die Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung gefährden, wenn wir das Projekt der Rente ab
67 wieder kippen würden. Ist es richtig, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund in der Anhörung des
Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen
Bundestages den Einspareffekt dieser Maßnahme in der
Endstufe, also im Jahre 2029, auf maximal 3 bis 5 Milliarden Euro beziffert hat? Ist es weiter richtig, dass man
das durch eine Anhebung des Beitrags zur gesetzlichen
Rentenversicherung um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte, also
für den Arbeitnehmer um 0,15 bis 0,25 Prozentpunkte,
vermeiden könnte?
({0})
Sind Sie tatsächlich der Auffassung, dass das Wohl
und Wehe der gesetzlichen Rentenversicherung von diesen 0,5 Prozentpunkten abhängt, und würden Sie mir,
wenn das so ist, darin zustimmen, dass es ganz entsetzlich um unsere gesetzliche Rentenversicherung bestellt
sein muss, wenn selbst solche geringfügigen Veränderungen katastrophale Folgen für die gesetzliche Rentenversicherung haben?
({1})
Herr Kollege Schneider, die Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre ist eine Antwort auf die sich erst in
den nächsten Jahren vollziehende dramatische Veränderung des demographischen Aufbaus unserer Gesellschaft. Heute sind die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge - das sind die heute 35- bis 55-Jährigen; auch ich
gehöre zu dieser Sorte ({0})
alle noch im Arbeitsleben oder - falls sie arbeitslos sind suchen Arbeit. Diese geburtenstarken Jahrgänge werden
in den kommenden Jahrzehnten in den Ruhestand gehen.
Ihnen folgen Altersjahrgänge nach, die ein Drittel weniger Personen umfassen. Darauf muss das Rentensystem
reagieren. Deswegen ist es richtig, dass die Änderung,
die wir vorschlagen, beim Beitragssatz für Entlastung
sorgt. Nun haben Sie eine Zahl dazu genannt, was voraussichtlich im ersten Jahr an Entlastung möglich ist.
({1})
- Entschuldigung. Wir gestalten die Rentenversicherung
nicht für ein Jahr, sondern für die zukünftigen Generationen.
({2})
Deswegen - das ist genauso entscheidend - sinkt der
Rentenversicherungsbeitrag nicht noch mehr. Die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 sorgt auch dafür, dass
wieder Rentenerhöhungen für die Rentnerinnen und
Rentner möglich werden. Was die Linken hier beantragen, bedeutet schlicht Rentenkürzungen für künftige
Rentnerinnen und Rentner. Das ist die Wahrheit.
({3})
In einer solchen Debatte werden immer Unmengen
von Zahlen und Prognosen vorgetragen. Bei dem Kollegen Ernst musste man den Eindruck gewinnen, dass die
Linken sich auf die Krise geradezu freuen;
Peter Weiß ({4})
({5})
denn er hat hier Prognosen dazu vorgetragen, was sein
könnte, wenn noch mehr Leute arbeitslos würden, wenn
es weniger Ausbildungsplätze gäbe usw. usf. So kann
man natürlich auch Politik machen,
({6})
indem man einfach schreckliche Szenarien für die Zukunft aufzeigt.
({7})
Der Punkt ist: Politik muss man mit den Fakten machen, die bereits heute feststehen. Dazu möchte ich einige vortragen:
Erstens. Die steigende Lebenserwartung, die erfreulich ist, sorgt dafür, dass die meisten Menschen länger
Rente beziehen können als je zuvor. Im Jahr 1960 betrug
die durchschnittliche Rentenbezugsdauer 9,9 Jahre.
Heute liegt die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei
mehr als 17 Jahren, weil die Menschen länger leben. Damit haben sie mehr von ihrer Rente. Nach allen Prognosen werden die Lebenserwartung und damit die Rentenbezugsdauer weiter ansteigen. 2029, also in dem Jahr, in
dem die Rente mit 67 eingeführt wird, wird die Lebenserwartung noch einmal um drei Jahre länger sein als
heute. Das bedeutet, dass auch bei der Anhebung der Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung die Rentnerinnen und Rentner länger Rente beziehen können als
jede frühere Generation. Das steht schon heute fest.
({8})
Zweitens. Die Anhebung der Regelaltersgrenze sorgt
dafür, dass die Rentenfinanzen auch in Zukunft stimmen
und Rentenerhöhungen möglich sind. Wer jetzt wie die
Linken die Reform wieder kippen will - das muss jeder
wissen, der denen nachläuft -, will offenbar den Rentnerinnen und Rentnern, die in den nächsten Jahren und
Jahrzehnten in Rente gehen, nur noch Nullrunden zumuten. Das ist die Botschaft der Linken.
({9})
Sie bewahren die Menschen nicht davor, dass sie bis 67
arbeiten müssen, sondern die Konsequenz ist, dass die
Rentnerinnen und Rentner weniger Geld in der Tasche
haben.
({10})
Im Gegensatz zum vergangenen Jahrhundert wird in
den kommenden Jahren der sich deutlich beschleunigende demografische Wandel dazu führen, dass ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in den Vorruhestand geschickt werden, weil sie dringend im Arbeitsprozess gebraucht werden. Ich nenne Ihnen ein einfaches Rechenbeispiel. Der Geburtsjahrgang 1964
umfasst über 1,3 Millionen Frauen und Männer. Diese
werden im Jahr 2029 - das kann jeder nachrechnen 65 Jahre alt sein. Sie sollen nach den Vorstellungen einiger dann in Rente gehen. Neu ins Arbeitsleben kommt
dann zum Beispiel der Geburtsjahrgang 2008, also die
Jungen und Mädchen, die letztes Jahr geboren worden
sind. Wir haben letztes Jahr weniger als 700 000 Geburten in Deutschland gehabt.
({11})
Das heißt auf gut Deutsch: Weniger als 50 Personen sollen dann die Arbeit von 100 Personen übernehmen, die
in Rente gehen. Allein ein solcher Vergleich zwischen
zwei Jahrgängen zeigt, dass wir die Älteren und vor allem ihre Erfahrung brauchen, wenn wir unser Sozialsystem und insbesondere die Rente für die Zukunft konsolidieren wollen.
({12})
Dass das so sein wird, zeigt die Tatsache, dass schon
heute das faktische Renteneintrittsalter, also das durchschnittliche Alter, in dem Menschen in Rente gehen, ansteigt. Es lag im Jahr 1995 bei 62,4 Jahren und ist im
Jahr 2007 auf 63,1 Jahre angestiegen.
({13})
Wer angesichts dieser Tatsache behauptet, die Erhöhung
der Regelaltersgrenze zum Jahr 2029 bedeute eine Rentenkürzung, weil das tatsächliche Renteneintrittsalter
nicht ansteige, sagt schlichtweg die Unwahrheit; denn
das Gegenteil ist der Fall. Im Übrigen wird in der Krise
der Beweis für diese Behauptung erbracht. Wie reagieren denn - Gott sei Dank - die Arbeitgeber in Deutschland auf die Krise? Sie versuchen zunächst einmal, Arbeitnehmer nicht zu entlassen, sondern Kurzarbeit
einzuführen, auch weil wir die Bedingungen für Kurzarbeit deutlich verbessert haben.
({14})
Das machen sie nicht, weil sie besondere soziale Wohltaten verteilen wollen, sondern weil sie aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre genau wissen, dass sie
dann, wenn sie die guten Leute auf die Straße setzen,
Probleme haben werden, genügend qualifiziertes Personal für ihre Betriebe zu finden, sobald es wieder aufwärts geht. Deswegen versuchen sie es mit Kurzarbeit.
Ich finde, dass die derzeitige Kurzarbeit ein deutliches
Zeichen der Betriebe in unserem Land ist, dass sie auch
die älteren Leute brauchen und diese deswegen nicht auf
die Straße setzen.
({15})
Peter Weiß ({16})
Ein wesentliches Element der Reformpolitik in der
Rentenversicherung ist, dass wir die gesetzliche Rente
durch die zusätzliche Altersvorsorge ergänzen. Es ist
ebenfalls eine Erfolgsgeschichte der Großen Koalition,
dass sie sowohl die Rahmenbedingungen für den Aufbau
einer betrieblichen Altersvorsorge als auch die Rahmenbedingungen und die öffentliche Förderung für die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge deutlich verbessert
hat.
({17})
78 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland haben bereits heute Ansprüche in zumindest einem der zusätzlichen Altersversorgungssysteme
aufgebaut.
({18})
Deswegen sind die Zahlen, die Herr Ernst hier vorgetragen hat, allesamt falsch. Bei den allermeisten künftigen
Rentnerinnen und Rentnern werden die Altersbezüge aus
einer Kombination von gesetzlicher Rente, betrieblicher
Altersvorsorge und privater, kapitalgedeckter Altersvorsorge, der sogenannten Riester-Rente, bestehen. Sie werden dank unserer Förderpolitik, mit der wir gerade Geringverdienern helfen - bei der Riester-Rente fördern wir
bis zu 90 Prozent aus öffentlichen Mitteln, aus Staatsgeld; wo gibt es das sonst? -, den Lebensabend mit Altersbezügen verbringen, die hoffentlich deutlich über der
Grundsicherung liegen. Das sind die Fakten. Das ist auch
dank der Reformpolitik der Großen Koalition erreicht
worden, und das wird in den kommenden Jahren weiter
Wirkung zeigen.
({19})
Ich will gern zusammenfassen: Die Reformpolitik im
Bereich Rente hat dafür gesorgt, dass unser Rentensystem wieder sicherer ist, dass die Rentnerinnen und Rentner sich auf die Leistungsfähigkeit der Altersvorsorgesysteme verlassen können und dass den Veränderungen
im Altersaufbau unserer Gesellschaft, die erst in den
kommenden Jahren wirklich deutlich werden, in einer
gerechten und auf Ausgleich zwischen den Generationen
zielenden Weise Rechnung getragen wird.
Wer das alles wieder infrage stellen oder rückgängig
machen will, der zerstört das Miteinander der Generationen, der schafft Entsolidarisierung statt Solidarität, und
der zerstört die finanzielle Sicherheit der Rentenversicherung.
({20})
Ein zukunftsfestes Rentensystem baut auf Solidarität
und Solidität. Wer diese beiden Prinzipien in der Altersvorsorge angreift, wie das in den vorliegenden Oppositionsanträgen geschieht, muss mit unserem entschiedenen Nein rechnen.
Vielen Dank.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ich den Kollegen Ernst einmal außen vor lasse,
besteht Einigkeit darüber, denke ich, dass wir alle vor
dem Hintergrund einer stetig steigenden Lebenserwartung länger arbeiten müssen. Es besteht keine Einigkeit
darüber, wie dies erreicht werden kann. Die bisherigen
Erfahrungen zeigen meines Erachtens, wie es nicht geht.
Es geht nämlich nicht mit Altersteilzeit, und es geht
nicht mit strengen Zuverdienstregelungen. Ich will Ihnen
das erklären.
Die Altersteilzeit hat dazu geführt, dass ältere Arbeitnehmer systematisch aus den Betrieben gedrängt wurden mit Argumenten, Herr Ernst, wie Sie sie hier vorgetragen haben: Die Älteren dürfen den Jüngeren nicht die
Arbeitsplätze wegnehmen.
Die Zuverdienstgrenzen führen dazu, dass derjenige,
der einmal aus dem Erwerbsleben raus ist, auch auf
Dauer draußen bleibt. Wenn für einen Vollrentner unter
65 Jahren 400 Euro als Zuverdienst erlaubt sind, dann
führt das dazu, dass entweder überhaupt nicht mehr oder
schwarz gearbeitet wird.
Wir ziehen daraus Konsequenzen. Die FDP will eine
Verlängerung der Erwerbsteilhabe älterer Menschen erreichen. Wir wollen diese längere Erwerbsteilhabe auf
der Basis einer freien Entscheidung unter Wegfall aller
Zuverdienstgrenzen.
({0})
Das unterscheidet uns von der Regierung der Koalition, die mit der Rente mit 67, der Anhebung der starren
Regelaltersgrenze um zwei Jahre, auf Zwang setzt. Diese
Anhebung der starren Regelaltersgrenze trifft weder die
Erwartungen der Menschen, noch entspricht sie der
Realität; denn nur wenig mehr als 50 Prozent der über
55-Jährigen und 28 Prozent der über 60-Jährigen sind
überhaupt noch erwerbstätig. Weniger als 5 Prozent der
Menschen, die in Rente gehen, sind zu diesem Zeitpunkt
noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das muss
man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Das müssen Sie sich sagen lassen.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern,
dass die Rente mit 67 von den Menschen vor allem als
eine verkappte Rentenkürzung empfunden wird.
({1})
Auch künftig wird es so sein, dass viele Menschen aus
ganz unterschiedlichen Gründen bis zum Alter von
67 Jahren nicht arbeiten können oder - auch das gibt es nicht arbeiten wollen.
Die FDP macht den Menschen das Angebot, ab dem
60. Lebensjahr flexibel vom Erwerbsleben in den Ruhestand überzugehen. Wir glauben, dass ein solches Angebot im Ergebnis gerade nicht dazu führen wird, Herr
Schaaf, dass sich nun alle ab dem 60. Lebensjahr verrenten lassen.
({2})
Im Gegenteil: Im Bewusstsein, jederzeit den Umfang der
Erwerbstätigkeit zurückführen zu können, werden viele
länger dabei bleiben, als das bisher der Fall ist.
({3})
Diese Erwartung einer längeren Erwerbsteilhabe,
Frau Schewe-Gerigk, folgt beileibe nicht dem Prinzip
Hoffnung. Vielmehr belegen die Erfahrungen aus
Schweden, dass das genau so funktioniert.
({4})
Im schwedischen Rentensystem, in dem das normale Renteneintrittsalter wie bei uns bei 65 Jahren liegt, ist schon
jetzt ein flexibler Renteneintritt ab dem 61. Lebensjahr
möglich. Das führt zu dem Ergebnis - jetzt hören Sie genau zu -, dass in Schweden sowohl das durchschnittliche
Ist-Renteneintrittsalter im Vergleich der EU-25 am
höchsten ist, als auch die Erwerbstätigenquote Älterer,
also der 55- bis 64-Jährigen, im internationalen Vergleich, also OECD-weit, mit 72,8 Prozent am höchsten
liegt. In Deutschland liegt diese gerade einmal bei
52 Prozent. Ich weiß, das geht nicht in Ihre Köpfe. Aber
es ist so. Wir sollten die Augen davor nicht verschließen.
({5})
Wie sieht nun das FDP-Modell im Einzelnen aus?
Erstens. Ab dem 60. Lebensjahr ist, wie gesagt, der
Bezug einer Voll- oder Teilrente möglich. Voraussetzung
dafür ist Grundsicherungsfreiheit. Es wird also geprüft,
und zwar für die Bedarfsgemeinschaft - das bedeutet,
dass 90 Prozent aller Versicherten diese Möglichkeit haben werden -, ob die gesetzliche Rente plus privater
bzw. betrieblicher Altervorsorge über dem Grundsicherungsniveau liegt. Ist diese Voraussetzung gegeben, ist
der Rentenbezug möglich.
Zweitens wollen wir, dass alle Zuverdienstgrenzen
wegfallen. Versicherte sollen selbst entscheiden, ob und
in welchem Umfang sie noch erwerbstätig sein wollen.
({6})
Allerdings - auch das muss man sagen - wird dem Zuverdienst wegen der von Rot-Grün beschlossenen Absenkung des Rentenniveaus von 67 auf 52 Prozent netto
vor Steuern eine immer wichtigere Rolle zukommen.
Im Übrigen sollte man bei der Bewertung unseres
Vorschlages auch im Blick haben - ich wende mich jetzt
besonders an den Kollegen Ernst -, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt ab 2012 umkehrt. Das ist ein
Faktum; das ist demografisch absehbar. Ich sage das,
weil Sie ja immer die Befürchtung äußern, die Älteren
nähmen den Jüngeren die Arbeitsplätze weg. Wenn es
denn so ist, dass ab 2012 starke Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden und vergleichsweise schwache
Jahrgänge nachrücken, dann werden wir dringend darauf
angewiesen sein, dass Ältere bereit sind, noch oder wieder zu arbeiten. Auch das ist ein bedeutender Punkt
- deswegen führe ich ihn hier an -, warum es wichtig ist,
die Zuverdienstgrenzen konsequent zu beseitigen.
({7})
Drittens. Sozialversicherungsbeiträge werden für Zuverdienste ebenso fällig wie Rentenversicherungsbeiträge. Mit letzteren können auch neue Anwartschaften
erworben werden, die zu einem vom Versicherten wählbaren Zeitpunkt wieder zur Erhöhung der eigenen Rente
eingesetzt werden können. Auch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge werden bezahlt. Jawohl! Arbeitslosenversicherungsbeiträge werden nicht fällig. Das
macht für einen Rentner auch keinen Sinn, verschafft
aber aus der Sicht der Unternehmen den Rentnern, die
arbeiten wollen, einen Wettbewerbsvorteil, und aus Sicht
der Arbeitnehmer erhöht sich das verfügbare Einkommen.
Schließlich - das ist der letzte Punkt - gibt es einen
individuellen Zugangsfaktor. Wer länger arbeitet, erhält
eine höhere Rente. Das gibt es ja im Prinzip heute schon,
ebenso wie einen kohortenbezogenen Rentenwert, der
die durchschnittliche Rentenbezugsdauer aufgrund der
durchschnittlichen Lebenserwartung berücksichtigt.
Dieses FDP-Konzept, meine Damen und Herren, ist
ein modernes Konzept, das übrigens auch den europäischen Forderungen im Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates mit dem Titel „Angemessene und
nachhaltige Renten“ gerecht wird. In diesem Bericht
heißt es ja, dass Vorruhestandsregelungen nicht mehr gefördert werden sollen, dass gleitende Regelungen in den
Ruhestand ermöglicht werden müssen und dass Anreize
für die Beschäftigung Älterer gegeben werden sollen.
Genau das leistet unser Vorschlag.
({8})
Mit dem Vorschlag kommen wir auch den Wünschen
der Menschen entgegen. Nach den Ergebnissen einer
von Bertelsmann in Auftrag gegebenen Studie wünschen
sich zwei Drittel der Befragten, den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente flexibel gestalten zu können.
Letztlich geht es darum, das Rentenrecht von bevormundendem Denken zu befreien und den Wünschen der
Menschen Vorrang vor der willkürlichen Festlegung zu
geben, wann und wie sie ihre eigenen Rentenanwartschaften abrufen dürfen.
({9})
Wir sehen mindestens zwei Anwendungsfälle, einmal
den klassischen, nämlich die bewusste Reduktion der
Arbeitszeit und Wahl einer Teilrente, zum anderen, vielleicht in Zukunft besonders wichtig - leider, möchte ich
sagen - und von wachsender Bedeutung, die Vermeidung des Aufbrauchens eigenen Vermögens bei Langzeitarbeitslosigkeit. Mit der Entscheidung zum Bezug einer Vollrente könnte nämlich vermieden werden, dass
man aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit sein Vermögen bis auf das in den Hartz-IV-Gesetzen vorgesehene
Schonvermögen abschmelzen muss.
Zum Antrag der Linken will ich nur sagen: Er erschöpft sich leider darin, den Status quo von 2007 wiederherzustellen. Es gibt keinen Ansatz, keine Idee, wie
das Rentensystem zukunftssicher gemacht und auf die
demografische Herausforderung reagiert werden kann.
Ich nenne es, Herr Kollege Ernst, schlicht und einfach
unsozial, Realitäten vollkommen auszublenden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Sehr gerne; meine Redezeit wird nämlich langsam
knapp. - Bitte, Herr Ernst.
Bitte.
Herr Dr. Kolb, da sehen Sie, wie gern ich Ihnen zuhöre; ich möchte sogar Ihre Redezeit verlängern. Ich
habe nun das Konzept, das Sie vorschlagen, zur Kenntnis genommen. Wenn ich es richtig verstanden habe, sagen Sie, dass jemand, der aufgrund seines Rentenniveaus
über der Grundsicherung liegt, in Rente gehen können
soll. Jetzt ist es statistisch so, dass nach gegenwärtigen
Berechnungen jemand, der nur 50 Prozent des Durchschnittsverdienstes hat, künftig 68 Jahre arbeiten muss,
bevor er überhaupt über dem Niveau der Grundsicherung liegt. Ist Ihr Konzept insofern nicht eigentlich nur
für diejenigen interessant, die hohe Einkommen haben,
({0})
und würde Ihr Konzept nicht dazu führen, dass jemand,
der wenig verdient, letztendlich viel länger arbeiten
muss, als es die Regierung gegenwärtig vorsieht?
({1})
Nein, Herr Kollege Ernst, unser Konzept ist nicht nur
für diejenigen, die einen höheren Verdienst haben oder
für die gutsituierten Menschen in unserem Lande. Das
können Sie schon daran sehen, dass der DGB, der Deutsche Gewerkschaftsbund, unser Modell eines flexiblen
Renteneintritts begrüßt,
({0})
und das auch deswegen, Herr Kollege Ernst, weil es sich
sehr gut mit tariflichen Lösungen zum Beispiel für Angehörige körperlich besonders belastender Berufe kombinieren lässt. Es wird ja - das habe ich vorhin schon gesagt - die Bedarfsgemeinschaft geprüft. Das heißt, auch
die Ehefrau, die vielleicht eine gebrochene Erwerbsbiografie hat und eine geringere Zahl von Entgeltpunkten in
ihrem Erwerbsleben ansammeln konnte, kommt in den
Genuss der Wirkungen eines solchen Konzeptes. Das
zeigt sehr deutlich, dass das wirklich ein Angebot an die
breite Masse der Versicherten ist, und das lassen wir uns
weder von Ihnen noch von sonst jemandem schlechtreden.
({1})
Meine Damen und Herren, die Grünen haben zwar die
Bedeutung des flexiblen Übergangs erkannt, bleiben
aber auf halbem Wege stehen. Ich frage Sie, Frau
Schewe-Gerigk: Welchen Sinn macht es, Menschen, die
keine Ansprüche mehr gegenüber dem Staat haben, weil
sie grundsicherungsfrei sind, vorzuschreiben, was sie
verdienen dürfen? Was für ein Bild des Bürgers treibt
Sie da um, wenn Sie die Menschen so gängeln wollen?
Für uns ist das, was Sie vorschlagen, nicht akzeptabel.
Ich fasse zusammen: Der Grundgedanke des FDPKonzepts ist ein Paradigmenwechsel, ein grundlegend
neuer Ansatz bei der Gestaltung der politisch gesetzten
Rahmenbedingungen beim Übergang von der Arbeit in
die Rente. Nicht mehr ein möglichst frühes Ausscheiden
aus dem Erwerbsprozess, sondern eine möglichst lange
Teilhabe am Erwerbsleben muss zum neuen Leitbild
werden. Wer aber lange Teilhabe will, muss Flexibilität
bieten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Ernst, man kann sicherlich über die Frage,
wie man mit der demografischen Entwicklung umgeht
- beispielsweise indem man die Lebensarbeitszeit verlängert oder andere Modelle erarbeitet -, trefflich streiten. Das will ich überhaupt nicht wegdiskutieren. Das ist
ein Punkt, der im Rahmen des Koalitionsvertrages ausgehandelt worden ist, und wir halten uns selbstverständlich an Verträge. Das ist überhaupt keine Frage.
Sie vermeiden immer geflissentlich, die Überprüfungsklausel zu erwähnen. In Ihrem Antrag erwähnen
Sie sie allerdings, gehen aber davon aus, dass sie nicht
ernst genommen wird, obwohl sie im Gesetz steht. Ich
bin da völlig anderer Meinung.
({0})
Mir fällt auf, dass in Ihren Anträgen, die Rente mit
67 Jahren zurückzunehmen, die Begründung von Woche
zu Woche wechselt. Jetzt kommt Ihnen gerade zupass,
dass wir eine Weltwirtschaftskrise und Weltfinanzkrise
haben, die Sie als Begründung heranziehen. Was Sie da
machen, ist ziemlich abenteuerlich, wie ich finde. Sie
nehmen den Istzustand, schreiben ihn einfach für die
nächsten 29 Jahre fort und sagen, dass man vor diesem
Hintergrund bestimmte Dinge nicht machen darf. Das
haben Sie hier getan, und das steht faktisch so in Ihrem
Antrag. Das heißt im Klartext aber auch, dass Sie Ihre
Legitimität verloren haben. Denn unsere Aufgabe ist es,
dieser Wirtschafts- und Finanzkrise Vernünftiges entgegenzusetzen, um sie zu überwinden, damit wir zukunftsfähig bleiben. Sie haben, wenn Sie sich mit der Krise abfinden, dieses Ziel offensichtlich aufgegeben. Das ist der
erste Punkt.
({1})
Ein zweiter Punkt, der mich sehr ärgert und bei dem
ich denke, dass er einem Gewerkschafter nicht angemessen ist: Mit dem Beispiel vom Müllwagenfahrer haben
Sie mir netterweise eine Vorlage geliefert. Ich komme
ursprünglich aus diesem Bereich. In der Tat ist es so,
dass viele Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Bereich arbeiten, nicht mit dem Regelalter in die Rente eintreten. Herr Ernst, die Frage ist, was zukünftig mit ihnen
geschieht. Werden sie arbeitslos? Bekommen sie eine
Erwerbsminderungsrente, weil sie sozusagen kaputt
sind? Herr Ernst, Sie sagen: Weil die Gesundheit dieser
Menschen aufgrund ihrer Arbeit kaputt ist und sie deswegen nicht mit dem Regelalter in die Rente eintreten
können, müssen wir das Regeleintrittsalter absenken. Ich
sage: Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen
von ihrer Arbeit nicht kaputt gemacht werden. Das muss
die erste Priorität sein.
({2})
Das lassen Sie völlig außer Acht.
({3})
Das ist, finde ich, für einen Gewerkschafter ein ziemlich
starkes Stück.
Wenn man sich Ihren Antrag genau ansieht, dann
muss man sagen, dass Sie versucht haben, so etwas wie
Visionen zu formulieren - allerdings sehr unpräzise. Um
Ihre Vorstellungen zu finanzieren, wollen Sie die Erwerbstätigenversicherung einführen. Bei der Begrifflichkeit sind wir fast beieinander - aber nur bei der Begrifflichkeit -, bei der Ausgestaltung allerdings überhaupt
nicht. Denn Sie meinen mit Erwerbstätigenversicherung
nur eine gigantische Umverteilungsmöglichkeit. Sie
wollen ab einer gewissen Grenze die Ansprüche abflachen und das eingesparte Geld umverteilen, und zwar an
diejenigen, die weniger Ansprüche haben. Sie haben in
diesem Hohen Haus viele rentenpolitische Anträge gestellt, die Verbesserungen für diejenigen Menschen enthalten, die durch ihre Berufe schwer belastet werden
oder die erwerbsgemindert sind oder eine Rente nach
Mindesteinkommen beziehen. Wenn all diese Verbesserungen über eine Abflachung der Rentenansprüche finanziert werden sollen, dann muss ich feststellen, dass
Sie schon beim Eckrentner abflachen müssen.
({4})
Schauen Sie sich einmal an, welches Volumen die Forderungen in Ihren Anträgen akkumuliert ergeben!
Unser Ansatz bei der Erwerbstätigenversicherung ist
ein anderer: Alle Erwerbstätigen sollen in die Rentenversicherung einzahlen, damit alle auch Ansprüche erwerben. Es geht darum, Altersarmut zu vermeiden. Diejenigen, die zurzeit am meisten von Altersarmut bedroht
sind, sind im Wesentlichen Einzelselbstständige.
({5})
Diese sind deshalb besonders von Altersarmut bedroht,
weil sie als Selbstständige nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen und weil sie zu wenig
Einkommen haben, um sich privat vernünftig absichern
zu können.
Wir gehen von einem anderen Begriff der Erwerbstätigenversicherung aus als Sie; das muss man einmal ganz
deutlich sagen. Man darf unsere beiden Ansätze nicht
gleichsetzen.
Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Ja, gerne.
Herr Kollege Schaaf, ich möchte noch mal auf das
Beispiel vom Müllwagenfahrer zu sprechen kommen.
Ich gebe Ihnen vollkommen recht, dass es notwendig ist,
dass wir über gesundheitliche Maßnahmen reden, die es
den Menschen erlauben, länger zu arbeiten. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber ist es nicht so, dass wir zuerst die Regeleintrittsaltersgrenze heraufgesetzt haben, ohne überhaupt dafür
zu sorgen, dass die Menschen bis 65 Jahre arbeiten können? Ist es unter dieser Voraussetzung nicht so, dass
mein Beispiel vom Müllwagenfahrer vollkommen richtig ist? Wenn er statt mit 65 jetzt mit 63 Jahren in Rente
geht, muss er für diese zwei Jahre Abschläge in Höhe
von 7,2 Prozent hinnehmen. Wenn er aber bei einem ReKlaus Ernst
geleintrittsalter von 67 Jahren mit 63 Jahren in Rente
geht, dann hat er 14,4 Prozent Abschläge. Ist es unter
dieser Voraussetzung nicht nachvollziehbar, dass es den
Betroffenen so erscheint, als sei die Heraufsetzung des
Renteneintrittsalters letztendlich eine drastische Verkürzung ihrer Rente?
({0})
Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Sie machen wieder
das, was Sie vorher schon gemacht haben. Sie schreiben
den Istzustand einfach fort. Das Regeleintrittsalter von
67 gilt ja nicht ab nächstes Jahr und auch nicht ab 2012,
sondern es wird stufenweise eingeführt. Die Rente mit
67 gilt endgültig erst ab dem Jahre 2029. Ich traue meiner Partei zu, das, was sie im Konzept „Gute Arbeit“ beschrieben hat - übrigens gleichlautend mit dem DGB -,
in die politische Realität umzusetzen. Wenn man allerdings den Anspruch nicht hat, die Lebenssituation der
Menschen zu verbessern, sondern nur den Istzustand
festschreiben will und daraus Politik ableitet, dann ist
klar, dass man nicht zukunftsfähig ist. Wir sind es und
haben es an vielen Stellen nachgewiesen.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schneider?
Nein danke.
Herr Kolb, ich wollte gerade auf Ihren Antrag eingehen. Natürlich hört es sich zunächst einmal sehr schick
an, wenn Sie sagen: Lasst die Menschen freier entscheiden, wann sie in Rente gehen. - Aber dieses Mehr an
Freiheit birgt auch mehr individuelle Risiken. Man muss
gleich hinzufügen, dass dies so ist.
({0})
Ich stelle mir zum Beispiel jemanden vor, der für sich
ausgerechnet hat, er habe mit 60 Jahren einen Rentenanspruch von monatlich 700 Euro, und der sagt, er
komme mit einem Hinzuverdienst prima zurecht, das
werde schon funktionieren. Was ist mit diesem Menschen, wenn er diesen Hinzuverdienst durch Arbeit nicht
mehr hat? Er kommt dann natürlich in existenzielle
Schwierigkeiten. Darüber sind Sie hinweggegangen, indem Sie gesagt haben: Wenn er keine Grundsicherung
bezieht, dann ist es auch nicht weiter dramatisch. Dann
muss der Staat nicht helfen. - Es gibt aber andere Leistungsansprüche, die sich nicht auf die Grundsicherung
beziehen, für Menschen, die wenig Einkommen haben;
das muss man dazusagen. Unter Umständen werden an
anderer Stelle Ansprüche gegenüber dem Staat geltend
gemacht werden müssen.
Deswegen sage ich: Ihr Ansatz orientiert sich an Gutverdienenden, an Menschen, die aufgrund eines hohen
Einkommens hohe Ansprüche erworben haben.
({1})
Es können andere Möglichkeiten eingeräumt werden
- damit komme ich kurz auf den Antrag der Grünen zu
sprechen -, nämlich über die Gewährung von Teilrenten.
Irmingard Schewe-Gerigk, ich bin durchaus der Meinung,
dass man über Verbesserungen der im Zusammenhang
mit der Teilrente bestehenden Möglichkeiten diskutieren
sollte. Dabei geht es um flexiblere Zugangsmöglichkeiten und um die Hinzuverdienstfrage. Da bin ich dabei.
Ich glaube, wir brauchen eine Kombination aus verschiedenen Möglichkeiten, um flexibel in den Ruhestand
zu gehen. Dazu gehört für uns Sozialdemokraten die Altersteilzeit.
Dies gilt auch für die staatlich geförderte Altersteilzeit. Wir haben einen entsprechenden Beschluss, in dem
eindeutig gesagt wird: Wenn jemand in Altersteilzeit
geht und ein Auszubildender in eine Festanstellung ohne
Befristung übernommen wird, dann kann die Inanspruchnahme der Altersteilzeit gefördert werden. Darüber hinaus ist es so, dass die Möglichkeit zur Altersteilzeit 2009 nicht in Gänze wegfällt, sondern nur die
gesetzlich geförderte. Die Möglichkeit zur Altersteilzeit
darüber hinaus bleibt erhalten.
Die Vorstellungen zur Teilrente sind durchaus mittragbar. Wir stellen uns aber eher vor, dass es eine Kombination aus verschiedenen Möglichkeiten gibt, um flexibel in Rente zu gehen. Wir lehnen die vorliegenden
Anträge allesamt ab.
Danke.
({2})
Das Wort hat nun Kollegin Irmingard ScheweGerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rente
mit 67 ist zugegebenermaßen kein populäres Thema.
Das ist ja auch kein Wunder. Immerhin haben Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Politik fast 30 Jahre lang
für eine Politik der staatlich finanzierten Frühverrentung
geworben. Über drei Jahrzehnte war der Frühausstieg
nur mit geringen oder vielleicht auch gar keinen finanziellen Einbußen verbunden. Die Älteren sollten den
Jüngeren Platz machen; so ist es zum Jugendwahn auch
in den Betrieben gekommen.
Im Antrag der Linken zur Abschaffung des Renteneintrittsalters mit 67 taucht dieses Argument wieder auf.
Würden Sie ehrlich damit umgehen, meine Damen und
Herren von den Linken, dann müssten Sie zugeben, dass
diese Rechnung nie aufgegangen ist; Herr Ernst hat dazu
gerade noch einmal Ausführungen gemacht.
Schauen wir uns einmal die Länder mit einer höheren
Erwerbsbeteiligung Älterer an. Dort ist auch die Jugendarbeitslosigkeit niedriger als in Deutschland.
({0})
Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Zur Redlichkeit gehört auch, aktuelle Daten zu verwenden. Die Linke hat in ihrem Antrag ausschließlich
mit Daten, die bis zum Jahre 2004 vorlagen, argumentiert. Dass sich die Entwicklung verbessert hat, und zwar
in jedem Jahr in allen Altersstufen
({1})
- in allen; ich gebe Ihnen die entsprechenden Zahlen des
Statistischen Bundesamtes -, passt nicht in Ihre Ideologie.
Deutschland hat zu lange auf die falschen Instrumente
gesetzt. Noch 2007 hat allein die Bundesagentur
1,2 Milliarden Euro für die Förderung der Altersteilzeit
ausgegeben. Auch wurde die Altersteilzeit dreimal so
häufig gefördert, wie junge Beschäftigte eingestellt worden sind. Deshalb, Kollege Schaaf, habe ich das Vertrauen nicht, von dem Sie vorhin gesprochen haben. Das
interessiert aber die Linke nicht.
Viele halten es mittlerweile für selbstverständlich, vor
Erreichen der offiziellen Altersgrenze in Rente zu gehen.
Es ist eine Art Gewohnheitsrecht daraus entstanden aus verständlichen Gründen. Deshalb ist es so unpopulär, für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit einzutreten. Für die Entscheidung, das Renteneintrittsalter
schrittweise hochzusetzen, gibt es Gründe von Gewicht.
Wir von den Grünen stehen dazu.
({2})
Bis 2030 steigt die Lebenserwartung von 65-jährigen
Frauen und Männern um weitere drei Jahre; Kollege
Weiß hat es vorhin gesagt. Bei der vollständigen Umsetzung der Regelung zur Rente mit 67 im Jahre 2029 - das
Renteneintrittsalter ist dann um zwei Jahre verschoben ist die höhere Lebenserwartung nur zum Teil kompensiert worden. Mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters
wird darauf reagiert, dass die Menschen heute erfreulicherweise älter werden und durchschnittlich mehr als
17 Jahre lang Rente beziehen. Bei Frauen sind es über
20 Jahre.
Wir Grüne haben die Erhöhung des Renteneintrittsalters immer an eine Bedingung geknüpft: Die Beschäftigten müssen die Chance haben, auch tatsächlich bis zum
Renteneintrittsalter arbeiten zu können. Deshalb ist eine
Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters mit uns
nur dann zu machen, wenn die Beschäftigungschancen
von älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen erheblich verbessert werden. Da hat die Politik noch eine
ganze Menge zu tun.
({3})
Seit der ersten Debatte über die Erhöhung des Renteneintrittsalters sind schon drei Jahre vergangen. Herr
Ernst, deshalb ist es sinnvoll, zu schauen, wie sich die
Situation seither entwickelt hat. Vom Statistischen Bundesamt erfahren wir: In den letzten zehn Jahren ist die
Erwerbstätigenquote in keiner Gruppe so stark gestiegen
wie bei den 55- bis 64-Jährigen. 1997 waren 37,7 Prozent erwerbstätig, heute sind es bereits 51,5 Prozent.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schneider?
Selbstverständlich.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben eine relativ
große Kohorte, die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen, genommen. Ich bitte Sie, mir differenziert zu sagen, wie es
bei den 55- bis 60-Jährigen und bei den 60- bis 65-Jährigen aussieht. Sie haben eben behauptet, wir würden mit
den falschen Zahlen arbeiten. Ich hoffe, dass die Bundesregierung uns nicht die falschen Zahlen zur Verfügung gestellt hat. Die Bundesregierung hat uns die
Auskunft gegeben, dass die Beschäftigungsquote bei den
60- bis 65-Jährigen leider weiterhin rückläufig ist und im
Moment noch nicht einmal 15 Prozent mit 65 Jahren in
Rente gehen. Das heißt, 85 Prozent aller Rentnerinnen
und Rentner werden, perspektivisch betrachtet, mit Abschlägen in Rente gehen. Daran hat sich in diesem Dreijahreszeitraum, wie gesagt, nichts geändert; im Gegenteil: Die Zahlen sind schlechter geworden. Aber
vielleicht hat das Statistische Bundesamt ja andere Zahlen.
Das kann ich Ihnen sagen: Das Statistische Bundesamt hat 2009 deutlich gemacht, dass zwischen 2005 und
2007 nicht nur in allen Alterskohorten, sondern in jeder
Altersgruppe ein Zuwachs vorhanden war. Da Sie dieses
Argument schon im Ausschuss vorgebracht haben, habe
ich mir das genau angeschaut. Das Statistische Bundesamt schreibt nicht das, was Sie gesagt haben. Das Statistische Bundesamt schreibt vielmehr, dass es wegen des
Babybooms mehr Menschen im Alter zwischen 55 und
59 Jahren gibt und weniger Menschen im Alter zwischen
60 und 65 Jahren.
({0})
Das Statistische Bundesamt hat aber nicht gesagt, dass
die Beschäftigung in diesen Bereichen ansteigt. Ich
stelle Ihnen meine Zahlen gerne zur Verfügung. Wenn
die Bundesregierung falsche Angaben gemacht haben
sollte, Herr Staatssekretär,
({1})
werde ich sie Ihnen selbstverständlich auch geben.
({2})
Die Lebensrealität älterer Menschen, aber auch die
Realitäten des Arbeitsmarktes haben sich in den letzten
Jahren stark gewandelt. Das wird auch weiterhin so sein.
Viele Menschen wollen und können länger tätig sein.
Die Alternativen zu einer längeren Lebensarbeitszeit wären Rentensenkungen oder höhere Rentenversicherungsbeiträge.
Wir dürfen uns allerdings nicht mit dem bisher Erreichten zufriedengeben. Die Kultur der Beschäftigung
von Älteren muss verbessert werden. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur die berufliche Weiterbildung
für alle Altersgruppen, lebenslanges Lernen und altersgerechte Arbeitsplätze. Dazu gehört aber auch die Gesundheitsförderung, damit der Müllmann auch nach vielen Arbeitsjahren noch in der Lage ist, seinen Rücken
gerade zu machen.
Diese Maßnahmen sind das Gebot der Stunde. Darum
dürfen wir nicht locker lassen. Wir müssen in den nächsten 20 Jahren alles dafür tun, damit diese Menschen in
Beschäftigung kommen. Sonst wäre das in der Tat eine
durch die Hintertür eingeführte Rentensenkung. Dafür
stehen wir nicht zur Verfügung.
Jetzt frage ich mich: Was macht die Große Koalition?
Sie ruht sich auf dem Erreichten aus.
({3})
- Sie streitet sich. Na ja, in diesem Bereich streitet sie
sich gerade mal nicht. - Sie macht Wahlgeschenke, die
die Renterinnen und Rentner später zurückgeben müssen; das wissen sie nur noch nicht. Anfang dieser Woche
haben die Bundeskanzlerin und Minister Scholz die außergewöhnliche Rentensteigerung in diesem Jahr - man
muss sagen: in diesem Wahljahr - wie eine persönliche
Weihnachtsüberraschung gefeiert; auch Herr Weiß hat
das vorhin vorgetragen. Sie haben aber verschwiegen,
welche Tricks Sie angewendet haben, damit die Renten
im Wahljahr über Gebühr steigen.
({4})
Sie verschweigen, dass die Aussetzung der RiesterTreppe in den Jahren 2012 und 2013 nachgeholt werden
muss. Sie verschweigen den Erwerbstätigen, dass das
Finanzpolster der gesetzlichen Rentenversicherung
durch Ihre Wahlgeschenke schmilzt wie die Butter in der
Sonne.
({5})
Das sagen Sie den Menschen nicht. Sie sagen vor der
Wahl, dass alle mehr bekommen. Dass sie hinterher
mehr Belastungen haben werden, sagen Sie jedoch nicht.
Wer den Menschen Opfer abverlangt - die Aussicht,
länger arbeiten zu müssen, empfinden viele als Opfer -,
muss glaubwürdig an den Voraussetzungen arbeiten. Sie
alle erinnern sich daran, mit welcher Heftigkeit in diesem Hause über Sonderlösungen für Dachdecker, Krankenschwestern und ähnlich belastende Berufe gestritten
wurde. Die SPD hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt und
zwei Jahre lang in regelmäßigen Abständen angekündigt, dass sie jetzt Übergangslösungen zur Abmilderung
der längeren Lebensarbeitszeit vorschlagen will. Nach
diesen zwei Jahren habe ich, außer dass ich in den Medien immer wieder von Ankündigungen gelesen habe,
noch nichts gehört. Wir warten immer noch darauf, dass
Sie uns einen Antrag zur Erleichterung von Teilrenten
vorlegen.
Herr Kollege Schaaf hat gerade gesagt, der grüne Antrag sei gut. Schöner wäre es gewesen, die Große Koalition hätte sich auf den Weg gemacht. Denn es ist tatsächlich ein Unterschied, ob ein 50-Jähriger auf dem Bau
oder an einer Universität arbeitet. Dem einen ist es wahrscheinlich möglich, sehr viel länger zu arbeiten. Darum
schlagen wir flexible Übergangsmöglichkeiten vor. Der
Bezug einer Teilrente soll bereits ab dem 60. Lebensjahr
möglich sein. Das macht es für ältere Beschäftigte leichter, bis zur Regelaltersgrenze mit weniger Stunden zu arbeiten und mit der verbleibenden Arbeitszeit weiterhin
Rentenanwartschaften aufzubauen.
Außerdem wollen wir, dass die Altersgrenze für eine
abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente wieder auf
63 Jahre gesenkt wird. Ich habe nicht verstanden, warum
bei der Einführung der Rente mit 67 diese abschlagsfreie
Erwerbsminderungsrente auf das Alter von 65 hoch gesetzt worden ist. Das passt überhaupt nicht zusammen.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag
„Kurs halten bei der Erwerbsintegration von älteren Beschäftigten - Teilrenten erleichtern“.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Max Straubinger für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Rentendebatte über die drei
Anträge der Oppositionsfraktionen, der FDP, der Grünen
und der Linken. Es ist schon bezeichnend, dass von der
Fraktion Die Linke im Zusammenhang mit ihrem Antrag
nichts gekommen ist, außer dass sie die Rente mit 67 abschaffen will. Dass ihr rentenpolitischer Sprecher nicht
gesprochen hat, zeigt sehr deutlich, dass es mehr um
Polemik als um die Sache geht.
({0})
Dies ist typisch für die politische Auseinandersetzung
der Fraktion Die Linke in diesem Hause, aber auch draußen.
Ich glaube, dass es wichtig ist, zuerst zu verdeutlichen, dass diese Große Koalition in ihrer Regierungszeit,
in den vergangenen dreieinhalb Jahren, eine sehr erfolgreiche Rentenpolitik zustande gebracht hat. Ich darf
durchaus an die Grundlagen des Jahres 2005 erinnern.
Im Dezember 2005 war bei der gesetzlichen Rentenversicherung ein vorgezogener Bundeszuschuss des Jahres
2006 notwendig, um die Renten rechtzeitig an die Rent23008
nerinnen und Rentner auszahlen zu können. Im Dezember 2008 konnten wir vermelden, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung mittlerweile eine Rücklage in
Höhe einer knappen Monatsrente angesammelt worden
ist. Dies zeigt sehr deutlich die Erfolge dieser Bundesregierung in der Rentenpolitik und dass sich die Rentnerinnen und Rentner auf unser Rentenversicherungssystem verlassen können.
({1})
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?
Sehr gerne, Herr Präsident.
Herr Kollege Straubinger, würden Sie mir recht geben, dass 10,5 Milliarden Euro des Volumens der Nachhaltigkeitsrücklage in Höhe von etwa 15 Milliarden
Euro aus dem 13. Monatsbeitrag resultieren, den Sie Anfang 2007 erhoben haben? Würden Sie mir zustimmen,
dass es relativ dreist ist, diese zinslose Zwangsanleihe,
die Sie bei den Beitragszahlern erhoben haben, als einen
rentenpolitischen Erfolg zu verkaufen?
Es ist ein rentenpolitischer Erfolg, und die vorgezogene Beitragszahlung ist nicht dessen Grundlage. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland
insgesamt hat diesen Zuwachs mit erbracht.
({0})
Darüber können wir uns durchaus freuen.
({1})
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte deutlich
machen, dass die Rentnerinnen und Rentner auch im
Jahr 2009 an der wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklung in unserem Land teilhaben werden. Der Kollege
Weiß hat bereits darauf hingewiesen, dass die Renten im
Westen Deutschlands um 2,41 Prozent und im Osten
Deutschlands um 3,38 Prozent steigen. Somit werden
die Rentnerinnen und Rentner an der wirtschaftlich positiven Entwicklung der vergangenen Jahre teilhaben.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass die
Oppositionsfraktionen in den vergangenen Jahren, vor
allem in den Jahren 2006 und 2007, als der wirtschaftliche Aufschwung in Form von Lohnsteigerungen in größerem Maße bei den arbeitenden Menschen angekommen ist,
({2})
ständig kritisiert haben, dass die Rentnerinnen und Rentner vom wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land
nichts haben. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, die Erhöhung der Renten ist kein Wahlkampfgeschenk, sondern
das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land.
({3})
Meine Damen und Herren, derzeit müssen wir wirtschaftliche Schwierigkeiten bewältigen. Wir können daher nicht davon ausgehen, dass wir das Erreichte in den
nächsten 30 Jahren fortschreiben können, auch wenn
diese Vorstellung der Denkweise der Linken entsprechen
mag.
In der DDR gab es Fünfjahrespläne - möglicherweise
erinnern Sie sich -, die einfach fortgeschrieben wurden.
Dadurch ist der Lebensstandard der Menschen allerdings
immer weiter gesunken. Das ist Ihre Politik, Herr Kollege Ernst.
({4})
Wir hingegen schaffen die Grundlagen für wirtschaftlichen Aufschwung. Wirtschaftlicher Aufschwung bedeutet mehr Arbeitsplätze
({5})
und mehr Chancen für die Menschen in unserem Land.
Ich bin überzeugt, dass unser Rentenversicherungssystem, das sich bewährt hat, auch in Zukunft die Grundlage der Alterssicherung sein wird.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Ja.
Herr Straubinger, da Sie jetzt schon zum zweiten Mal
in einer Replik auf mich die DDR und mich in einem
Zusammenhang erwähnt haben, will ich Sie darauf hinweisen: An Ihrer Aussprache erkenne ich, dass wir aus
derselben Gegend kommen. Ich wusste gar nicht, dass es
dort einmal eine SED und Fünfjahrespläne gab. Das
müssen Sie mir erläutern.
({0})
Herr Kollege Ernst, Sie sind derjenige, der mit diesem
Denken behaftet ist.
({0})
Sie kommen zwar aus dem Westen Deutschlands, haben
sich aber offensichtlich, was Ihre Denkweise betrifft, Ihren Kolleginnen und Kollegen von der PDS und der SED
angeglichen. Sie denken in Fünf-, Zehn-, Fünfzehn- und
Zwanzigjahresplänen, wie in einer Planwirtschaft. Das
ist Ihr falsches Denken.
({1})
Verehrte Damen und Herren, weil der Kollege Ernst
unser Rentensystem vorhin als unsozial bezeichnet hat,
möchte ich daran erinnern, welche sozialpolitischen Folgen die Politik des rot-roten Senats in Berlin für die Bürgerinnen und Bürger hat. Auch Kollege Ernst äußerte
sich nach dem Motto: Arbeit macht krank. Darüber bin
ich verwundert. Ich glaube nicht, dass man den Bürgerinnen und Bürgern mit der These „Arbeit macht krank“
etwas Negatives suggerieren sollte.
Meines Erachtens ist Arbeit zunächst einmal Erfüllung. Die Arbeit, die man hat, muss so organisiert sein,
dass die Menschen immer länger arbeiten können. Das
ist auch möglich; denn die Lebenserwartung steigt von
Jahr zu Jahr. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Anhebung des Renteneintrittsalters letztendlich alternativlos.
Denn es ist notwendig, dafür zu sorgen, dass ein vernünftiges Verhältnis zwischen Beitragszahlerinnen und
Beitragszahlern sowie Rentnerinnen und Rentnern besteht. Die Belastungen durch den demografischen Faktor
kann die junge Generation nicht alleine schultern. Das
Programm der Linken bedeutet letztendlich eine Belastung für die jüngere Generation in unserem Land: heute
einen frühen Renteneintritt versprechen, aber die dadurch entstehenden Belastungen auf die junge Generation abwälzen. Das ist unseriös und nicht hinnehmbar.
Dasselbe gilt im Prinzip auch für das Programm der
FDP.
({2})
Vorhin hat der Kollege Schneider die Frage gestellt, wie
viele Personen zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr
noch erwerbstätig sind. Wenn ich mich richtig erinnere,
wurde dargelegt, es seien knapp über 10 Prozent.
({3})
Das widerlegt die These der FDP, die davon ausgeht:
Wenn die Leute früher in Rente gehen können, dann
werden sie hinterher länger arbeiten.
Mittlerweile ist es doch so - das ist eine praktische
Entscheidung -, dass die Bürgerinnen und Bürger lieber
früher in Rente gehen als später. Vielleicht werden Frühverrentungsprogramme und Sonstiges im Einzelfall
nicht gerne angenommen; aber sie werden von sehr vielen durchaus willkommen geheißen. Ich sehe das auch
bei uns in den Betrieben, wo fast jeder sagt: Wenn ich
mit 60 Jahren bei ausreichender Rente in den Ruhestand
gehen kann, dann ist mir das allemal lieber, als bis zum
65. Lebensjahr an der Werkbank sitzen zu müssen. Das
ist eben einfach die Lebenswirklichkeit. Ich glaube, dass
das Modell der FDP an dieser Lebenswirklichkeit vorbeigeht.
Die FDP bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, ob
jemand, der mit 60 in Rente gehen würde, Abschläge erwarten müsste. Dazu ist in Ihrem Antrag nichts vermerkt. Es heißt nur, jeder solle ab dem 60. Lebensjahr in
Rente gehen können. Danach könne man etwas hinzuverdienen, müsse es aber nicht. Ich gebe manchen Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich recht, die sagen, dies
sei nur ein Programm für die Besserverdienenden in unserem Land. Dies kann meines Erachtens nicht richtig
sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Ja.
Kollege Straubinger, Sie haben eine ganze Reihe von
Aspekten angeführt; ich möchte mich - auch mit Blick
darauf, dass die Zeit schon fortgeschritten ist - auf einen
Aspekt konzentrieren.
Ich habe ausdrücklich gesagt, dass wir einen Paradigmenwechsel, ein anderes Leitbild brauchen. Wir sollten
gemeinsam der Auffassung sein, dass es nicht wie bisher
weitergehen kann. Es ist so gewesen, dass die Älteren in
den Betrieben mehr oder weniger sanften Druck erfahren
haben, nach dem Motto: Bist du nicht bereit, in den vorgezogenen Ruhestand zu gehen?
Reden Sie doch einmal mit den Menschen, die im
Vorruhestand sind! Das ist beileibe nicht nur eitel Sonnenschein und Freude.
({0})
Es kommt eben auch zum Tragen, dass Arbeit durchaus
auch Lebensinhalt ist; im Leben vieler Menschen, die
bereit gewesen wären, länger tätig zu sein, tut sich plötzlich eine Lücke auf, die nicht vorhergesehen worden ist.
Ich glaube, dass der Wechsel des Leitbildes durchaus
auf fruchtbaren Boden fallen kann; aber die Politik muss
sich an die Spitze der Bewegung setzen. Stimmen Sie
mir zu?
Kollege Kolb, ich glaube, es hat bereits einen Wechsel des Leitbildes gegeben. Ob der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten zwei bis drei Jahren wurde nicht
nur die Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut, sondern wurden in den Betrieben auch viele ältere Menschen in Arbeit gehalten. Mittlerweile haben sich in den Betrieben
die Ansichten geändert; der Jugendwahn wurde überwunden. Früher war es doch immer so, dass am liebsten
ein 25-Jähriger mit 25-jähriger Berufserfahrung angeworben wurde; das gibt es aber nicht.
Es ist bei den Betrieben angekommen, dass wir gerade auf die Berufserfahrung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf keinen Fall verzichten können.
({0})
Deshalb haben wir in der Koalition veranlasst, dass ob
der wirtschaftlichen Krise, die wir derzeit zu bewältigen
haben, ein längerer Bezug des Kurzarbeitergeldes möglich ist, damit den Betrieben nicht wertvolle Erfahrung
verloren geht. Wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts
geht - da bin ich sehr optimistisch -, dann kann die wirtschaftliche Erfahrung der älteren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zum Wohl des Betriebes genutzt werden. Hier haben wir keinen Dissens. Ich glaube nicht,
dass wir dieses Ziel dadurch erreichen, dass wir den Eintritt in die Frühverrentung wesentlich erleichtern. Das ist
zu Ihrem Antrag zu sagen, Herr Kollege Kolb.
({1})
Ich glaube auch, dass Teilverrentungsmöglichkeiten
durchaus diskussionswürdig sind. Wir sollten aber nicht
vergessen, dass wir bereits Möglichkeiten der Teilverrentung haben, auch wenn sie nur in geringem Maße angenommen werden.
Unsere Bundesregierung hat zudem die Insolvenzsicherung für Arbeitszeitkonten geschaffen. Ob wir dies
möglicherweise noch erweitern, darüber können wir in
der Zukunft eine sehr fruchtbare Diskussion führen. Daran teilzunehmen, dazu sind alle aufgerufen. Die entsprechenden Anträge von FDP, Bündnis 90/Die Grünen
und Linken werden wir jedoch ablehnen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat nun Gregor Amann für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss auf die Gründe für die langfristige Anhebung
des Renteneintrittsalters auf 67 nicht groß eingehen;
denn Herr Weiß hat das schon vor mir getan. Er hat zu
Recht festgestellt, dass diese Gesellschaft demografischen Veränderungen unterliegt. Ob Herr Ernst das anerkennen will oder nicht: Es ist so. Sie haben die seit Jahren sinkende Geburtenrate, die kontinuierlich steigende
Lebenserwartung und auch die steigende Rentenbezugsdauer erwähnt. Das alles bringt unser umlagefinanziertes
Rentensystem in Probleme.
Meine Erfahrung ist: Wenn man Menschen sachlich
erläutert, dass die Rentenbezugsdauer in der zweiten Lebenshälfte kontinuierlich steigt, dann verstehen die allermeisten, dass der Lebensarbeitszeitblock in der Mitte
nicht immer gleich bleiben kann.
Zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem
Thema gehört auch, dass man die Sorgen der Menschen
ernst nimmt. Natürlich gibt es Menschen, die sich fragen: Schaffe ich das überhaupt? Kann ich so lange arbeiten? Was ist, wenn ich vorher kaputt bin? Mit diesen
Fragen und Sorgen müssen wir uns auseinandersetzen;
die Sozialdemokraten tun das auch. Aus meiner Sicht
gehören dazu drei Aspekte, die man diskutieren muss.
Das ist erstens das Thema „Erwerbsminderungsrente“,
das ist zweitens das Thema „flexible Übergänge in die
Rente“, und das ist drittens das Thema „Humanisierung
der Arbeitswelt“.
({0})
Die Linken haben zu keinem dieser Themen etwas zu
sagen. Die vorliegenden Anträge der Grünen und der
FDP setzten sich mit diesem Thema auseinander; das
kann man positiv feststellen. Ich kann allerdings nicht
alles, was darin enthalten ist, unterstützen.
Ich möchte zuerst etwas zum Thema Erwerbsminderungsrente sagen. Ich bin davon überzeugt, dass hier
noch einiges getan werden muss. Untersuchungen
zeigen, dass Erwerbsminderungsrenten durchaus eine
Ursache für Altersarmut sind. Einfach gesagt: Die
durchschnittliche Höhe der Erwerbsminderungsrente ist
zu niedrig.
Allerdings müssen wir uns mit diesem Thema unabhängig von einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren beschäftigen. Auch wenn wir das Alter auf 60 Jahre, wie es
im Antrag der FDP gefordert wird, oder noch weiter senken, wird es immer Menschen geben, die vorher aus
gesundheitlichen Gründen in Rente gehen müssen. Deswegen müssen wir uns mit der Höhe der Erwerbsminderungsrente beschäftigen.
({1})
Es ist kein Geheimnis, dass die SPD hierzu Arbeitsgruppen eingesetzt hat. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen werden in der nächsten Zeit zu seriösen Vorschlägen über eine Verbesserung der Rechtslage führen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten dazu; ich möchte
das jetzt nicht im Detail ausführen. Man kann über die
Abschläge reden; das ist eine sehr teure Lösung. Man
kann auch über die Zurechnungszeiten und deren Bemessungsgrundlage sprechen.
Das zweite sehr wichtige Thema sind flexible Übergänge in die Rente. Der Antrag der Grünen geht in der
Tat in die richtige Richtung, wenn es um die Teilrente
geht. In ihm wird aber auch die Abschaffung der Altersteilzeit gefordert. Das lehnen wir Sozialdemokraten ab.
Altersteilzeit ist eines von mehreren Instrumenten, wie
man einen flexiblen Übergang in die Rente erreichen
kann. Die Erwerbstätigenquote Älterer - wir haben die
Zahl schon mehrmals gehört - ist in den vergangenen
Jahren in der Tat angestiegen, obwohl Altersteilzeit gefördert worden ist. Was behauptet wird, ist also falsch.
({2})
Ich will auch noch kurz auf die Humanisierung der
Arbeitszeit eingehen, die ich sehr wichtig finde. Toni
Schaaf hat es schon angesprochen - man muss diesen
Punkt in diesem Zusammenhang immer wieder nennen -: Die beste Altersvorsorge ist, möglichst lange zu
guten Bedingungen im Erwerbsleben verbleiben zu können.
({3})
Deshalb muss ein Teil der Antwort auf die Frage, ob
man überhaupt so lange arbeiten kann, immer mit der
Forderung nach alterns- und altersgerechter Arbeit verbunden sein. Wir dürfen uns nicht mit Arbeitsbedingungen abfinden, die übermäßigen Verschleiß bedeuten.
Statt zu akzeptieren, dass sich Menschen kaputtarbeiten,
sodass sie mit Erwerbsminderungsrenten und Berufunfähigkeitsrenten aus dem Arbeitsleben ausscheiden, sollten wir die Humanisierung der Arbeitswelt wieder viel
stärker in den Mittelpunkt stellen.
({4})
Ich glaube, es gibt hier gar nicht so sehr ein Erkenntnisdefizit, sondern eher ein Umsetzungsdefizit. Ich will
hier auf INQA, die Initiative Neue Qualität der Arbeit,
verweisen, die ein gutes Beispiel dafür ist, wie praxistaugliche Lösungen gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt werden können.
Ich will noch einmal auf den Antrag der Linken eingehen. Durch diesen Antrag und auch Ihren Beitrag,
Herr Ernst, wird in meinen Augen sehr deutlich gezeigt,
dass Sie an einer seriösen Auseinandersetzung mit dem
Thema Rentenpolitik überhaupt nicht interessiert sind.
({5})
Sie sind entweder nicht willens oder nicht fähig - vielleicht auch beides nicht -, sich an der eigentlichen Aufgabe dieses Hauses zu beteiligen: konstruktiv an der Gesetzgebung mitzuwirken. Ihr Antrag ist nichts anderes
als die Aneinanderreihung altbekannter Textbausteine.
Es ist nichts Neues darin, er enthält keine neuen Argumente und keine neuen Forderungen.
({6})
Wir haben das alles hier schon zigmal diskutiert, und es
wurde schon zigmal darüber abgestimmt. Die große
Mehrheit dieses Hauses hat das wiederholt abgelehnt.
({7})
Wenn Sie diese vielfach diskutierten und mehrfach
abgestimmten Versatzstücke jetzt noch einmal in Antragsform einbringen, dann demonstrieren Sie damit,
dass Sie die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie überhaupt nicht verstanden haben.
({8})
Dieser Eindruck schwindet nicht etwa, sondern er wird
sogar noch stärker, wenn man sich mit dem Inhalt des
Antrags beschäftigt.
Er beginnt mit: „Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise …“ - Im zweiten Satz steht:
Die geplante Heraufsetzung des Renteneintrittsalters
- es geht laut Titel um die Heraufsetzung auf 67 wird die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der sich
zuspitzenden Krise gravierend verschärfen. Die
Krise wird …
Sie wissen genauso gut wie alle anderen hier, dass die
Anhebung des Renteneintrittsalters nicht in diesem Jahr
und auch nicht 2010 oder 2011 beginnt; sie fängt im
Jahr 2012 an. In diesem Jahr wird das Renteneintrittsalter um einen Monat heraufgesetzt. Diese Anhebung
endet im Jahr 2029, also in 20 Jahren. Dann erst wird der
erste Rentner mit 67 Jahren in Rente gehen.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat aber bereits begonnen. Wir reden vom Jahr 2009 und nicht vom
Jahr 2029. Wer also so tut, als gäbe es irgendeinen Zusammenhang - egal ob einen positiven oder einen negativen - zwischen der aktuellen Wirtschaftskrise und der
Anhebung des Renteneintrittsalter, zu der es in den
Jahren 2012 bis 2029 kommt, der verschaukelt die Menschen.
({9})
Es ist noch viel schlimmer: Für jemanden, der wissentlich die Unwahrheit sagt - Sie alle kennen die Fakten -, für den gibt es in der deutschen Sprache noch ganz
andere Begriffe.
({10})
Glauben Sie doch nicht, dass Sie das den Menschen beibringen können.
({11})
Wenn Sie in einem Antrag so tun, als hätten die
aktuelle Wirtschaftskrise und die Rente mit 67 irgendetwas miteinander zu tun, dann zeigen Sie, dass Ihnen
sowohl die Rentenpolitik als auch die Wirtschaftskrise
völlig bedeutungslos sind. Es geht Ihnen nicht um die
Sache und auch nicht um die berechtigten Sorgen der
Menschen; Sie sind an Lösungen nicht interessiert. Sie
benutzen diese Ängste nur, um Ihre eigenen Interessen
zu bedienen. Ich finde das unerträglich.
({12})
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit durch die Beantwortung einer Zwischenfrage des Kollegen Ernst verlängern?
Ich war am Ende meiner Rede, aber gerne.
({0})
Herr Kollege Amann, Sie haben mich gerade der wissentlichen Unwahrheit bezichtigt. Nachdem Sie das Gegenteil von dem getan haben, was in Ihrem Wahlprogramm steht, frage ich Sie - erstens -: War das nun eine
wissentliche Unwahrheit, oder haben Sie die Erkenntnisse, die Sie hier vorgetragen haben, erst nach der letzten Bundestagswahl gewonnen?
Zweitens. Sie haben sehr viel von Demografie gesprochen. Gehen Sie mit mir davon aus, dass wir in
20 Jahren ein größeres Bruttoinlandsprodukt als jetzt haben? Gehen Sie wie ich davon aus, dass es dann also einen größeren Kuchen als jetzt gibt? Gehen Sie wie ich
davon aus, dass es aber weniger Menschen geben wird,
die sich diesen Kuchen im Jahr 2030 teilen werden?
Wird das zu verteilende Kuchenstück größer oder kleiner, wenn der Kuchen größer wird und ihn sich weniger
teilen müssen?
Wie hängt dieser Tatbestand nach Ihrer Auffassung
mit der von Ihnen geplanten Heraufsetzung des Renteneintrittsalters zusammen, mit der Sie dem demografischen Wandel begegnen wollen? Wird nicht der
Produktivitätsfortschritt in den nächsten Jahren die Auswirkungen der demografischen Entwicklung ausgleichen, wodurch Rentensteigerungen und die Beibehaltung des Renteneintrittsalters möglich wären?
Herr Ernst, zum ersten Teil Ihrer Zwischenfrage muss
ich feststellen, dass Sie wissentlich die Unwahrheit sagen: Sie bringen Wirtschaftskrise und Renteneintrittsalter in einen Zusammenhang und tun so, als könnte man
die Rente mit 67 als Teil des Konjunkturprogramms zurücknehmen, um die Wirtschaftskrise abzuwenden.
({0})
Beides hat nichts miteinander zu tun. Es liegen 20 Jahre
dazwischen. Das heißt, dass Sie wissentlich die Unwahrheit sagen.
({1})
Den zweiten Punkt finde ich viel wichtiger. Sie führen
immer wieder das Argument an, dass die Rente durch
den Produktivitätsfortschritt immer weiter angehoben
werden kann. Ich habe gehört - auch wenn ich es kaum
glauben kann -, dass Sie Gewerkschafter waren oder immer noch sind. Sie wissen genauso gut wie ich, dass der
Produktivitätsfortschritt in erster Linie für Tarifsteigerungen genutzt wird.
({2})
Sie können das nicht zweimal verfrühstücken.
({3})
Sie können ihn zwar auch für die Rente nutzen; das heißt
aber, dass in den folgenden Jahren auf Lohnsteigerungen
verzichtet werden muss. Man kann den Produktivitätsfortschritt nicht zweimal verfrühstücken. Das ist eine
Milchmädchenrechnung.
({4})
Der demografische Wandel wird dazu führen, dass
wir das Renteneintrittsalter anheben müssen. Das haben
wir auf den Weg gebracht, und das ist sinnvoll und notwendig.
({5})
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
gebe ich Kollegin Katja Mast, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Werte Kollegen Antragsteller von der Linken, zuerst einmal halte ich wie mein Kollege Gregor Amann fest: Die
schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters beginnt
2012 und endet 2029. Die Wirtschaftskrise liegt bis dahin hoffentlich weit hinter uns.
Die in Ihrem Antrag hergestellte Verbindung zwischen Wirtschaftskrise, Altersarmut und Erhöhung des
Renteneintrittsalters geht am Problem vorbei.
({0})
Arm im Alter sind nämlich diejenigen, die nicht genug
verdienen konnten, um ordentliche Rentenansprüche zu
erwerben.
({1})
Noch schlimmer ist aber, dass Sie mit den Ängsten
der Menschen spielen, ohne sachgerechte Antworten zu
finden. Altersarmut hat erst in abgeleiteter Form etwas
mit dem Renteneintrittsalter zu tun. Altersarmut hat etwas damit zu tun, wie lange man arbeiten und wie viel
man verdienen kann. Würde Ihre Annahme stimmen,
dass die Altersarmut auf die Rente mit 67 zurückgeht,
({2})
dann gäbe es heute gar keine Altersarmut; wir müssten
uns erst 2029 damit beschäftigen. Das ist aber nicht der
Fall. Da noch immer viele - insbesondere Frauen Minirenten beziehen, die nicht zum Leben ausreichen,
haben wir beispielsweise die Grundsicherung im Alter
eingeführt. Sollte Ihr Antrag als Beitrag zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise gedacht sein, dann werfen Sie
ihn in den Papierkorb! Er ist das Papier nicht wert, auf
dem er gedruckt ist.
({3})
Verantwortung sieht anders aus. Wenn man will, dass
Menschen am Erwerbsleben teilhaben und später eine
gute Rente beziehen, dann muss man eine gute Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik machen. Hören Sie endlich auf,
Ihre Konzeptionslosigkeit in der Arbeitsmarktpolitik
durch radikale Forderungen in der Rentenpolitik zu verdecken!
({4})
Sie lamentieren nur, dass Menschen mit Abschlägen
in Rente gehen. Das Problem besteht vielmehr darin,
dass viele Menschen trotz langjähriger Beschäftigung
nicht genug verdienen, um eine gute Rente zu haben.
({5})
Menschen brauchen Arbeit. Sie müssen Familie und Beruf vereinbaren können, und sie brauchen einen ordentlichen Verdienst. Darauf gibt Ihr Antrag keine Antworten.
({6})
Auch 90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts
haben wir immer noch nicht das Ziel „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ erreicht. Ihr Antrag ist nicht an konkreten Antworten auf diese brennenden Fragen interessiert,
sondern zielt nur auf kurzfristige Effekthascherei in der
Öffentlichkeit. Er ist ein Schaufensterantrag.
({7})
Antoine de Saint-Exupéry, der Autor des Kleinen
Prinzen, hat gesagt: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ Ihr Antrag
macht keine Zukunft möglich. Er gibt keine Antworten
auf die Fragen, wie wir es schaffen, dass Arbeit Menschen nicht krankmacht, dass diejenigen, die kaputt von
Arbeit sind, in Würde in Rente gehen können, dass wir
für schwere Arbeit auch mehr für die Rente einzahlen,
dass wir neue Modelle entwickeln, die das Know-how
Älterer im Betrieb halten, und dass Betriebsräte, Gewerkschaften und Arbeitgeber unser Engagement für
gute Arbeit und Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz
mit voller Tatkraft unterstützen.
Ja, wir Sozialdemokraten wollen, dass Arbeit nicht
krank- und kaputtmacht. Ja, wir wollen, dass Teilhabe
durch Arbeit für jede Frau und jeden Mann möglich ist.
Damit das klar ist: Wir wissen, dass hierzu ein flächendeckender Mindestlohn und auch die Regulierung der
Leiharbeit notwendig sind.
({8})
Ja, wir wollen eine gute Rente für jeden Mann und jede
Frau. Das ist der Grund für unsere Initiativen zur Humanisierung der Arbeitswelt wie die Initiative „50 plus“,
die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“, WeGebAU und
vieles mehr. Verantwortung bedeutet immer: das Ganze
im Blick haben und viele Schritte gehen. Damit ist es
uns gelungen, das Renteneintrittsalter deutlich zu erhöhen. Das war Arbeitsmarkt- und nicht Rentenpolitik.
Jeder von uns weiß, es gibt Berufe, die kann auch
heute keiner bis 65 ausüben. Ich denke dabei an die
Krankenschwester, den Dachdecker, den Gießer, den
Stahlarbeiter, den Altenpfleger und viele mehr. Ihr Antrag kapituliert vor dieser Situation.
({9})
Ihr Antrag sagt nichts dazu, wie Sie Arbeit menschlicher
machen wollen. Ihr Antrag sagt nichts dazu, wie diese
Menschen würdevoll in Rente gehen sollen. Ihr Antrag
ist keine Lösung, sondern ein Problem.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12295 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Kurs halten bei der Erwerbsintegration von
älteren Beschäftigten - Teilrenten erleichtern“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/11501, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9748 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Fraktion der FDP „Flexibler Eintritt in
die Rente bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/12311, den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/8542 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c
auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung ({0})
- Drucksache 16/12278 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Exzesse bei Managergehältern verhindern
- Drucksache 16/12112 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Steuerabzug bei Manager-Abfindungen begrenzen
- zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE
Begrenzung der Managervergütung fördern
- Drucksachen 16/7530, 16/7743, 16/8994 Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Dr. Barbara Höll
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über unangemessene Managergehälter, Millionenabfindungen und -boni wird nicht nur in Deutschland, sondern inzwischen weltweit geführt. Wir haben
darüber schon im letzten Jahr im Deutschen Bundestag
aus Anlass mehrerer Aktueller Stunden debattiert und
uns über einen längeren Zeitraum mit diesem Thema beschäftigt.
US-Präsident Obama hat es angesichts des jüngsten
Bonusskandals beim Versicherungsriesen AIG, der nur
noch dank exorbitanter Staatshilfen existiert, auf den
Punkt gebracht: „Es geht hier nicht um Dollar und Cent,
es geht um fundamentale Werte.“ Überall im Lande gebe
es Menschen, die hart arbeiteten und ihren Pflichten
nachkämen, ohne dafür Staatshilfen und millionenschwere Bonuszahlungen zu erhalten. Alles, was diese
Menschen verlangten, sei, dass alle nach denselben Regeln spielten. Das sei eine Moral, die man einfordern
müsse.
Es geht beim Thema Managergehälter also um die
Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung. Die Ereignisse
der letzten Wochen und Monate haben es klar gezeigt:
Die auf extrem hohe Kurzfristboni ausgerichteten Vergütungsstrukturen im Bankensektor waren eine wesentliche Ursache der weltweiten Finanzkrise. Das haben auch
die Finanzaufseher der ganzen Welt in einem Untersuchungsbericht so festgestellt. Die Folgen dieser Vergütungsstrukturen vernichten oder bedrohen heute die Arbeitsplätze, die Einkommen und den Wohlstand von
vielen Millionen Menschen auf allen Kontinenten.
Das heißt aber auch - ich widerspreche dem, was
auch hier im Bundestag von verschiedenen Sprechern
gesagt wurde und was viele in Deutschland immer noch
meinen -: Übermäßige Managervergütungen sind keine
Privatangelegenheit von Unternehmen, die sie gewähren, und von Managern, die sie kassieren. Es handelt
sich im Zweifel um Verträge zulasten Dritter:
({0})
zulasten der Steuerzahler und zulasten all derjenigen, die
ohne eigenes Zutun die Folgen der Krise ausbaden müssen. Das ist der Kern unserer Diskussion, der oft nicht
beachtet wird.
Schärfere Regeln zur Begrenzung von Managergehältern herbeiführen zu wollen, ist kein Ausdruck irgendwelcher Neidkomplexe, sondern eine schlichte Notwendigkeit, wenn wir die moralischen und die
ökonomischen Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung
sichern wollen. Die Explosion der Vorstandsgehälter, die
wir seit den 90er-Jahren in Deutschland, völlig abgekoppelt vom allgemeinen Gehaltsniveau, erleben mussten,
muss gestoppt und zurückgeführt werden.
({1})
Heute liegen die Vergütungen der Vorstandsvorsitzenden
im Schnitt beim 45- bis 50-Fachen des durchschnittlichen Belegschaftsgehalts, in Einzelfällen noch weit
darüber. Früher lag diese Relation - sie war lange Zeit
stabil - bei rund dem 20-Fachen.
Der Ansatz zur Begrenzung der Managergehälter, den
wir Sozialdemokraten seit Ende 2007 erarbeitet und im
Frühjahr 2008 in unserem Parteipräsidium beschlossen
haben und der den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf
prägt, setzt darauf, die Aufsichtsräte stärker in die Pflicht
zu nehmen; denn genau sie sind in unserer Rechts- und
Wirtschaftsordnung für die Managervergütung verantwortlich. Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen nicht
den Gesetzgeber an ihre Stelle setzen. Wir wollen, dass
die Aufsichtsräte - die Vertreter der Arbeitnehmerseite
in den Aufsichtsräten genauso wie die Vertreter der Anteilseigner - ihrer Verpflichtung genau im Sinne dessen
nachkommen, was der eben von mir zitierte US-Präsident gesagt hat.
({2})
Durch dieses Gesetz werden die Aufsichtsräte in die
Lage versetzt, Managervergütungen durchzusetzen, die
besser als bisher dem Geist einer sozialen Marktwirtschaft entsprechen. Es geht dabei auch um eine Mentalitätsänderung. Es wird an den Aufsichtsräten, nicht an
den Bundestagsabgeordneten liegen, diese Regeln mit
Leben zu erfüllen. Das müssen wir in unserer Wirtschaftsordnung klarstellen.
({3})
Im Zentrum unseres Gesetzentwurfs stehen also Regelungen zu Verschärfungen der inhaltlichen und verfahrensmäßigen Vorgaben zu Vorstandsvergütungen gemäß
Aktienrecht. Variable Vergütungsanreize sollen sich
künftig am langfristigen Unternehmenserfolg, nicht an
kurzfristigen Börsenkursentwicklungen ausrichten. Aktienoptionen, die als Gehaltsbestandteil ausgegeben werden, sollen künftig erst nach vier anstatt, wie bisher,
schon nach zwei Jahren eingelöst werden können. Die
Aufsichtsräte sollen die Entscheidung über die Vorstandsvergütung nicht mehr an separate und geheim tagende Ausschüsse delegieren können, sondern sie sollen
stets im Aufsichtsratsplenum entscheiden. Geheime
Kungelrunden standen schon im Zentrum des Mannesmann-Skandals. Auch bei den jüngst diskutierten Zahlungen bei der Post wurde auf den Beschluss in einem
solchen Kleinstgremium hingewiesen.
Die Aufsichtsräte bekommen auch schärfere Regelungen für eine nachträgliche Herabsetzung von Vorstandsvergütungen an die Hand, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens das gebietet. Gleichzeitig
wollen wir die Haftung der Aufsichtsräte für unangemessene Vergütungsentscheidungen verschärfen.
({4})
Wir wollen, dass durch Änderungen im Handelsgesetzbuch noch mehr Transparenz bei der Veröffentlichung
von Pensionszahlungen und sonstigen Nebenleistungen
geschaffen wird.
Meine Damen und Herren, ganz bewusst setzt der Gesetzentwurf auf eine Stärkung der Verantwortung der
Aufsichtsräte und nicht etwa der Hauptversammlung
und der dort ausschließlich vertretenen Aktionäre. Letzteres spielte in der Debatte der letzten Wochen und Monate eine Rolle. Auch aus den Reihen unseres Koalitionspartners heraus ist gefordert worden, dass die
Hauptversammlung entscheidet.
({5})
Aber was hieße es denn, die Hauptversammlung über
die Vorstandsgehälter entscheiden zu lassen? Dort sitzen
doch nicht nur geduldige Kleinanleger; heutzutage dominieren in den Hauptversammlungen oftmals gerade
die Vertreter von Hedgefonds oder anderen kurzfristig
agierenden Anlegern, die am Unternehmen gar nicht
langfristig interessiert sind. Wenn künftig ausschließlich
diese Leute über die Vorstandsgehälter entscheiden würden, dann hieße das doch wirklich - das zu Ihrem Einwurf, meine Damen und Herren von der FDP -, den
Bock zum Gärtner zu machen,
({6})
Da helfen dann auch keine verharmlosenden Vokabeln
wie etwa das Wort von der sogenannten Aktionärsdemokratie.
Für uns Sozialdemokraten bedeutete Demokratie
noch nie, dass derjenige mit dem meisten Geld das Sagen hat. Demokratie im Wirtschaftsleben heißt für uns,
dass die Belange aller Beteiligten, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Anteilseigner und auch der
Allgemeinheit eine angemessene Beachtung finden.
({7})
Im Shareholder-Value-Fieber der letzten Jahre ist das
aber aus dem Blickfeld geraten. Deshalb haben wir
Sozialdemokraten uns in den Vorarbeiten der Koalition
zu diesem Gesetzentwurf auch für eine entsprechende
Ergänzung des § 76 Abs. 1 des Aktiengesetzes starkgemacht. Wir wollen die Unternehmensleitung explizit auf
diese Vielfalt von Interessen am Unternehmen verpflichten. Bisher konnte sich unser Koalitionspartner CDU/
CSU noch nicht zu einer solchen Änderung durchringen.
({8})
Wir hoffen, dass das im parlamentarischen Verfahren
noch geschieht.
Vielleicht hilft Ihnen dabei ja, meine Damen und Herren von der Union, die Aussage des früheren General-Electric-Chefs Jack Welch die jüngst in Zeitungen zu
lesen war - ich zitiere -:
Genau betrachtet, ist Shareholder-Value die blödeste Idee der Welt.
({9})
Shareholder-Value ist ein Ergebnis, keine Strategie.
Weiter sagte er:
Die wichtigsten Interessengruppen sind die eigenen
Mitarbeiter, die eigenen Kunden und die eigenen
Produkte.
({10})
Dem muss man, glaube ich, nichts hinzufügen.
Darüber hinaus setzen wir Sozialdemokraten auf die
späte Einsicht unseres Koalitionspartners in der Frage
der Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit überhöhter Vorstandsvergütungen und -abfindungen als Betriebsausgaben. Dies wäre ein wichtiges Zeichen an die
Unternehmen, dem auch die Steuersystematik nicht entgegensteht - ganz im Gegenteil. Unser Körperschaftsteuerrecht kennt seit Jahrzehnten eine entsprechende
Abzugsbeschränkung für die Vergütung von Aufsichtsräten.
Die Koalition will diese Fragen parallel zum jetzt anlaufenden Gesetzgebungsverfahren weiter beraten - so
ist es im Koalitionsausschuss vereinbart - und Beratungsergebnisse, wenn möglich, noch in das Gesetzgebungsverfahren einspeisen.
Dasselbe gilt für Themen, die ebenfalls Gegenstand
der Beratungen des Koalitionsausschusses am Monatsanfang waren: die Reduktion der Anzahl von Aufsichtsratsmandaten, die Einbeziehung der Vergütungsstrukturen von Finanzinstituten in die Finanzmarktaufsicht
- eine Art TÜV für Finanzprodukte - oder auch die Ein23016
führung einer Börsenumsatzsteuer. Aus Sicht der SPD
wäre es unbedingt wünschenswert, am Ende des Gesetzgebungsverfahrens ein noch umfassenderes Paket als das
heutige vorliegen zu haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat nun Kollegin Mechthild Dyckmans für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie mein Vorredner, der Kollege Poß, bereits gesagt hat, haben wir schon mehrmals über die Managergehälter gesprochen. Gerade die Vorstandsvergütungen
in Aktiengesellschaften - darum geht es bei diesem Gesetzentwurf - sind in der letzten Zeit wiederholt Gegenstand der Diskussion gewesen, auch in diesem Haus. Es
ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln,
dass zum Beispiel Banken, die hohe Verluste machen,
sich unter den Schutzschirm des Staates stellen und auch
noch Milliarden an Steuermitteln bekommen, dass sie
weiterhin hohe Boni an ihre Mitarbeiter zahlen und dass
eine Rückzahlungspflicht nicht gegeben ist.
Das ist den Menschen kaum zu erklären.
({0})
Die Verträge lassen aber bisher nichts anderes zu. Da
glaube ich - in dieser Frage bin ich mit meiner Fraktion
einer Meinung -: Wenn sich ein Unternehmen unter den
Schutzschirm des Staates stellt, dann muss der Staat Regeln für die Höhe der Managergehälter aufstellen. Aber
in den anderen Fällen, in denen Unternehmen ohne die
Hilfe des Staates auskommen, muss der Gesetzgeber
sehr zurückhaltend agieren. Ein gefühltes Unbehagen in
Teilen der Bevölkerung darf nicht zur Richtschnur gesetzlichen Handelns werden.
({1})
- Sehr schön, wunderbar. - Wir müssen etwas differenzieren. Wir haben in Deutschland insgesamt über
14 000 Aktiengesellschaften. Schon diese Zahl macht
deutlich, dass es Unterschiede gibt. Das sind zum Teil
kleine, mittlere und Familienunternehmen. Die können
wir doch nicht alle in einen Topf werfen. Nur ein geringer Teil der Aktiengesellschaften, nämlich nur 5 Prozent, sind überhaupt an der Börse notiert. Es geht also
für uns, die FDP, darum, was die Aufgabe des Staates bei
der Festsetzung von Managervergütungen ist. Da gilt für
uns zunächst einmal der Grundsatz der Vertragsfreiheit,
natürlich unter Einhaltung der Vorgaben unserer Rechtsordnung. Deshalb finde ich es auch richtig, dass dieser
Gesetzentwurf erst einmal keine gesetzlichen Obergrenzen für Vorstandsgehälter festlegt; denn das ist nicht
Aufgabe des Gesetzgebers.
({2})
Wir haben gehört, dass die Diskussion sehr emotional
geführt wird. Der Kollege Poß hat gesagt, dass es große
Unterschiede innerhalb der Koalition gibt. Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, ist der kleinste gemeinsame
Nenner, auf den sich die Koalition verständigen konnte.
Bevor ich in die Einzelheiten gehe, möchte ich eines sagen: Fast alles, was in diesem Gesetzentwurf steht und
was gefordert wird, wäre bereits nach der geltenden
Rechtslage möglich gewesen.
({3})
- Jawohl. - Die Vergütung der Vorstandsmitglieder muss
bereits heute den Aufgaben und der Lage der Gesellschaft angemessen sein.
({4})
Die Bezüge können gekürzt werden, wenn sich die Lage
der Gesellschaft verschlechtert und die Weitergewährung unbillig wäre. Das Vergütungssystem für den Vorstand einschließlich der wesentlichen Vertragselemente
soll nach dem Corporate-Governance-Kodex bereits
heute vom Aufsichtsratsplenum entschieden werden.
Vorstand und Aufsichtsrat haften bereits nach geltendem
Recht für schuldhafte Verletzungen der Sorgfaltspflichten. Damit will ich sagen: Auch bei der Festsetzung von
Managergehältern hat die Kontrolle versagt. Die bestehenden Regelungen sind nicht angewandt worden. Auch
das hat der Kollege Poß schon gesagt. Das Problem ist,
dass die Kontrolle versagt hat und die Aufsichtsräte die
Möglichkeiten, die sie haben, nicht wahrgenommen haben.
Kommen wir nun zu den Einzelheiten. Richtig ist - da
bin ich Ihrer Ansicht -, dass sich die Vergütungsstruktur
am langfristigen Erfolg des Unternehmens ausrichten
soll. Sie haben schon gesagt, dass die variable Vorstandsvergütung dazu geführt hat, dass gerade Banken
unkalkulierbare Risiken eingegangen sind. Wir sind Ihrer Meinung, dass sich in dieser Hinsicht etwas ändern
muss. Wir sind auch der Meinung - Herr Poß, das wird
Sie vielleicht wundern -, dass die Entscheidung über die
Vergütung dem Plenum des Aufsichtsrats überlassen
werden soll und nicht der Hauptversammlung. Die
Hauptversammlung soll zwar die Grundsätze festlegen,
aber die Entscheidung über die Vergütung soll beim Plenum liegen. Auch das sieht der Corporate-GovernanceKodex schon zum Teil vor. Ich möchte Sie bitten, in der
Gesetzesbegründung den Corporate-Governance-Kodex
richtig zu zitieren; denn Sie schreiben in der Begründung, der Aufsichtsrat solle nur über das Vergütungssystem beraten. Nein, der Corporate-Governance-Kodex
sieht vor, dass er über das Vergütungssystem und die wesentlichen Vertragselemente zu beschließen hat. Also
auch das ist bereits heute so.
Sie wollen ferner die Möglichkeiten der nachträglichen Herabsetzung der Vorstandsbezüge durch den Aufsichtsrat erweitern oder verschärfen. Sie wollen, dass der
Aufsichtsrat in Zukunft kein Ermessen mehr hat, sondern die Herabsetzung vornehmen muss, wenn zwei
Voraussetzungen gegeben sind: zum Ersten die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft und zum Zweiten dann, wenn die Weitergewährung der Bezüge unbillig wäre.
In der Begründung führen Sie erstens aus, dass eine
Verschlechterung der Lage der Gesellschaft vorliegt,
wenn es zu Entlassungen oder Lohnkürzungen kommt.
Frage: Wie viele Entlassungen sind notwendig? Mit
Blick auf die Verschlechterung verzichten Sie auf das
Wesentlichkeitsmerkmal. Das scheint mir zu einer großen Rechtsunsicherheit zu führen.
In der Gesetzesbegründung führen Sie zweitens aus,
dass es nicht nur auf die Unbilligkeit für die Gesellschaft
ankommt. Sie haben einen Satz aus der Begründung herausgenommen, der in der Formulierungshilfe des BMJ
enthalten war, nämlich den Satz: Unbillig kann die Weitergewährung auch sein, wenn sie von einer allgemeinen
Betrachtung aus unbillig erscheint. - Dieser Satz ging
einigen Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU
offensichtlich - zu Recht - zu weit.
({5})
Worauf sich die Unbilligkeit aber jetzt bezieht, verschweigt die Koalition.
({6})
Es muss auf die Unbilligkeit für das Unternehmen ankommen. Das muss meines Erachtens wieder aufgenommen werden.
Natürlich ist dafür zu sorgen - ich habe es schon gesagt -, dass der Aufsichtsrat seiner Kontrollpflicht hinsichtlich der Vergütung der Vorstandsmitglieder gerade
in Krisenzeiten nachkommt. Tut er dies nicht, muss er
haften. In der Presse wurde großspurig angekündigt
- Sie haben es eben wieder gesagt -, die Haftung des
Aufsichtsrats werde verstärkt. Das Aktiengesetz sieht
aber schon heute eine starke Haftung vor. Die Anfügung
der beiden Sätze an den § 116 des Aktiengesetzes bringt
keine materiellen Änderungen. Das sagen Sie in der Begründung auch. Die geplante Änderung hebt lediglich
die Sorgfaltspflichten noch einmal besonders hervor.
Das schadet nichts, aber das nützt auch nichts.
Wichtig ist, die Professionalität und Effizienz der
Aufsichtsräte zu verbessern. Dazu haben wir einen Antrag eingebracht. Wir wollen die Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Person auf fünf Handelsgesellschaften begrenzen. Wir wollen die Größe der Aufsichtsräte auf
maximal zwölf Mitglieder begrenzen. Wir wollen die
Wählbarkeit des früheren Vorstandsvorsitzenden zum
Aufsichtsratsvorsitzenden desselben kapitalmarktorientierten Unternehmens für die Dauer von drei Jahren ausschließen und die Arbeit des Aufsichtsrats insgesamt
professionalisieren. Das ist der richtige Ansatz.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines ansprechen.
Sie wollen, dass Mitglied des Prüfungsausschusses des
Aufsichtsrats nicht sein kann, wer in den letzten drei
Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft war. Bitte bedenken Sie noch einmal, dass das für sämtliche Aktiengesellschaften gelten würde, also auch für kleine und
mittlere Aktiengesellschaften und Familienunternehmen. Gerade bei denen ist von besonderer Wichtigkeit,
dass der Wissenstransfer gewährleistet wird. Hier sollte
für diesen Personenkreis die Möglichkeit bestehen, doch
Mitglied des Aufsichtsrats und natürlich auch des wichtigen Prüfungsausschusses zu werden.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Ich
war schon sehr großzügig.
Ja, Herr Präsident; ich komme zum Schluss.
Einschränkungen bei der steuerlichen Berücksichtigung der Vorstandsbezüge lehnen wir ab.
Ich danke Ihnen - auch Ihnen, Herr Präsident.
({0})
Nun hat das Wort Kollege Otto Bernhardt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt insbesondere zwei Gründe dafür, dass der Gesetzgeber nach
Auffassung der Großen Koalition in der Frage der Managerbesoldung tätig werden muss.
Der erste Grund. Es gibt unangenehme Einzelerscheinungen, die geeignet sind, unser gesamtes marktwirtschaftliches System in ein falsches Licht zu bringen. Ich
will nicht diverse Einzelbeispiele nennen, aber ich sage:
Dafür, dass eine Firma, die fast 1 Milliarde Euro Verlust
macht, dennoch 12 Millionen Euro Boni auszahlt, hat
niemand Verständnis.
({0})
Wenn wir uns nun anschauen, bei welchen Firmen so
etwas passiert, dann müssen wir erstaunt feststellen, dass
es sich dabei zum Teil um Firmen handelt, bei denen wir
als Staat durchaus etwas zu sagen haben.
({1})
Wahrscheinlich ist es rechtlich in Ordnung, dass man
seine Altersversorgung kapitalisieren lässt. Nur, die
20 Millionen Euro, die jetzt im Raum stehen, stören den
sozialen Frieden. Ich sage mit aller Deutlichkeit, meine
Damen und Herren: Das geht nicht.
({2})
Das ist der eine Grund, warum ich sage, wir müssen tätig
werden. Wenn wir hier nicht tätig werden, werden Teile
der Bevölkerung dafür kein Verständnis haben.
({3})
Es gibt aber auch einen zweiten Grund: Es hat sich
nämlich in der Tat bei der Analyse der internationalen
Finanzkrise herausgestellt, dass insbesondere der Tatbestand, dass im Finanzbereich die Vergütungen sehr stark
von kurzfristigen Erfolgen abhängig sind, unangenehme
Entwicklungen - ich drücke es jetzt einmal neutral aus beschleunigt hat. Das heißt, auch angesichts der Erfahrungen aus der Finanzkrise mussten wir tätig werden.
Das sagt nichts über den Wert der Arbeit der CrommeKommission. Diese hat gute Arbeit geleistet. Es zeigt
sich aber, dass bestimmte Vereinbarungen von 90 Prozent der Firmen eingehalten werden, von 10 Prozent der
Firmen jedoch nicht, und nur der Gesetzgeber dafür sorgen kann, dass bestimmte Vereinbarungen von allen eingehalten werden.
({4})
Deshalb haben wir hier einen ganz klaren Auftrag, in
Aktion zu treten.
Wir hatten nie die Absicht - den Sozialdemokraten
unterstellt man das ja gerne, uns nicht -, Höchstgrenzen
für Gehälter festzulegen. Dass man das bei einer Firma
machen muss, die den Staat um Hilfe bittet, ist richtig.
Die Begrenzung auf 500 000 Euro in diesen Fällen geht
in Ordnung. Hier muss man vielleicht sogar noch mehr
regeln. Aber in anderen Fällen wollten wir das nie, genauso wenig wie die FDP. Das ist völlig klar.
Ein Streitpunkt ist die steuerliche Absetzbarkeit von
Vergütungen. Wir werden weiter darüber diskutieren.
Wir hatten Bedenken, diese einzuschränken. Sie sagen,
dass das geht, wie man an den Aufsichtsratsvergütungen
sehen kann. Da haben Sie recht. Wir sind allerdings der
Meinung, dass es sich dabei um einen Sündenfall handelt, den man nicht noch einmal wiederholen sollte.
Ich halte an dieser Stelle fest, dass viele nicht geglaubt haben, dass es trotz der in diesem Bereich sicher
nicht zu unterschätzenden Unterschiede der Großen Koalition gelungen ist, sich auf sechs konkrete Punkte zu
einigen. Ich will die einzelnen Punkte jetzt nicht nennen.
Sie sind hier im Einzelnen vom Kollegen Poß dargelegt
worden. Ich sage nur: Das ist ein großer Schritt in die
richtige Richtung. Hiervon wird eine Signalwirkung ausgehen.
({5})
Die größte Wirkung hat für mich - ich sehe das an der
eingehenden Post von Betroffenen - der Tatbestand, dass
in Zukunft der gesamte Aufsichtsrat über bestimmte
Dinge diskutieren muss. Bei der Post wäre manches
nicht passiert, wenn es statt in einem kleinen Gremium
im Gesamtaufsichtsrat hätte beschlossen werden müssen. Wenn 12 oder 14 Leute ganz offen über alles diskutieren, dann fallen bestimmte Entscheidungen anders aus
als bisher.
({6})
Jetzt gibt es in beiden Fraktionen und auch darüber
hinaus weitergehende Wünsche. Ich sage für meine
Fraktion: Wir werden über jeden Wunsch, der geäußert
wurde, auch im Anhörungsverfahren, in aller Ruhe miteinander diskutieren.
Wir haben ja insbesondere zwei Punkte, die von den
Sozialdemokraten vorgebracht wurden, nicht aufgenommen: zum einen die verpflichtende Bindung des Handelns des Vorstandes an das Gemeinwohl und zum anderen die Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit
von Vergütungen.
Die Sozialdemokraten haben einige der von uns angeführten Punkte nicht aufgenommen. So gab es bei uns
die Überlegung, ob man nicht, da die Eigentümer ja am
ehesten in der Hauptversammlung zusammenkommen,
in dieser über bestimmte Grundpositionen bei der Einkommensstruktur beraten und entscheiden sollte. Bei
uns gab es ferner die Überlegung, ob nicht ein Aufsichtsrat mit 20 Mitgliedern - das ist ja die derzeit geltende
Obergrenze - zu groß ist. Wir hätten es lieber gesehen,
wenn die Zahl der Mitglieder etwas reduziert worden
wäre. Das sind Punkte, über die man diskutieren kann.
Eines sage ich hier mit allem Nachdruck: Die Beschäftigung mit den weiterführenden Wünschen darf
nicht dazu führen, dass wir irgendwann im Juni feststellen müssen, dass wir es nicht mehr schaffen, dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
({7})
Ich sage sehr deutlich: Mir persönlich wäre es sympathischer, wir verabschiedeten diese sechs Punkte - vielleicht können wir uns ja über noch mehr einigen -, als
dass wir das Ganze untergehen ließen und ganz große
Dinge für die nächste Legislaturperiode versprächen.
({8})
Ich weiß - ich ertappe mich auch immer wieder dabei -,
dass wir gerne große neue Vorhaben für die nächste Legislaturperiode ankündigen. Aber was wir in dieser
schaffen können, sollten wir in dieser machen.
({9})
Ich möchte abschließend ein herzliches Wort des
Dankes an die Kollegen in der Arbeitsgruppe richten,
insbesondere an den Mitvorsitzenden, den Kollegen Poß.
({10})
Ich glaube, das, Herr Kollege Poß, was wir gemeinsam
mit unseren Kollegen erarbeitet haben, kann sich sehen
lassen. Ich gehe davon aus, dass wir spätestens im Juni
dieses Jahres die von uns erarbeiteten Punkte verabschieden, damit das entsprechende Gesetz noch im
Sommer dieses Jahres in Kraft treten kann.
Ich sage noch einmal: Wir müssen handeln. Die Auswüchse geben ein falsches Bild in der Öffentlichkeit.
Der Tatbestand, dass die internationale Finanzkrise ihre
Ursache zum Teil auch in der Besoldung von Managern
hat, zwingt uns zum Handeln.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat nun Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst
zu Herrn Poß: Es freut mich, dass Sie in einigen Punkten
aus meiner Sicht durchaus in die richtige Richtung gehen
und weiter gehen als der Beschluss, den Sie in der Koalition gefasst haben. Wenn ich höre, was Sie in der nächsten Zeit koalitionspolitisch vorhaben, frage ich mich allerdings, inwiefern Sie glauben, dass Sie das mit der
FDP durchsetzen können.
({0})
Sie merken ja, dass Ihr Vorschlag, der jetzt in der Diskussion ist, der FDP schon zu weit geht.
Herr Bernhardt, Sie haben gesagt, aus zwei Gründen
müsse etwas geschehen. Der eine Grund ist, dass damit
das wirtschaftliche System in Misskredit gebracht worden ist. Ich wundere mich nur, warum diese Debatte über
die Managergehälter erst entstanden ist, als wir vor zwei
Jahren den Antrag eingebracht haben, die Managergehälter zu begrenzen.
({1})
Ein bisschen Verhältnis zur Wahrheit muss man doch
noch haben. Vorher hat das keinen Menschen interessiert. Es war die Linke, die gefordert hat, die Managergehälter zu begrenzen. Wären wir nicht in der größten
Finanzkrise der letzten 60 Jahre, dann hätten Sie dieses
Thema wahrscheinlich nach wie vor nicht angepackt.
Das ist die Wahrheit.
({2})
Meine Damen und Herren, die Linke hat 2007 einen
Gesetzentwurf zur Begrenzung der Managergehälter
vorgelegt. Sie haben ihn abgelehnt mit der Begründung,
das sei ein Eingriff ins Eigentumsrecht.
({3})
- Einen kleinen Moment, Herr Kollege. - In dem Antrag, den wir heute hier einbringen, fordern wir, dass wenigstens in den Unternehmen, in denen der Bund Eigentümer ist, diese Regelung getroffen wird. Da ist das
Eigentumsrecht nicht berührt. Sie haben in den Unternehmen, in denen der Bund Eigentümer ist - bei der
Bahn, bei der Post oder sonst wo -, in den letzten zwei
Jahren nichts gemacht,
({4})
sondern einfach weitergemacht wie bisher. Das ist meines Erachtens ein Skandal. Denn dies Thema berührt die
Öffentlichkeit.
({5})
Das Argument von damals ist überholt. Wir haben unter anderem vorgeschlagen, den Betriebsausgabenabzug
im Hinblick auf Managergehälter auf 1 Million Euro zu
begrenzen. Nicht einmal dazu konnte sich diese Koalition durchringen. Das wäre nun wirklich nicht viel. Wir
wollen die Besteuerung ändern: bei Bezügen ab 1 Million Euro 60 Prozent, ab 2 Millionen Euro 65 Prozent.
Das ist eine indirekte Begrenzung der Managergehälter,
nicht einmal eine direkte.
In den Vereinigten Staaten - auch dort gibt es übrigens Verträge; dass es Verträge gibt, ist ja ein Argument,
das Sie immer anführen - greift der Gesetzgeber direkt
in die Verträge ein. Wir trauen uns nicht einmal, Regelungen für eine höhere Besteuerung durchzusetzen. In
den Vereinigten Staaten wird über 100 Prozent Besteuerung diskutiert, und 90 Prozent werden beschlossen. Die
Große Koalition mit ihren Beschlüssen erinnert mich in
diesem Punkt an Hasen, die davonlaufen, wenn es ernst
wird.
({6})
- Was würden Sie denn sagen, wenn ein Abgeordneter
hier eine Besteuerung von 100 Prozent fordern würde?
Dann würden Sie sagen, der kommt aus der DDR. Das
wird aber in Amerika gefordert.
Die Bundesregierung schlägt Regelungen vor. Diese
Regelungen sind absolut unzureichend. Ich kann Ihnen
auch sagen, warum: weil das mit den Aufsichtsräten
nicht funktioniert. Sie wissen genau, dass nach dem Mitbestimmungsgesetz die Aufsichtsräte so besetzt sind,
dass die Arbeitgeberseite immer die Mehrheit hat.
Ebenso wissen Sie um die Verflechtung der Aufsichtsräte untereinander. Glauben Sie tatsächlich, dass da eine
Krähe der anderen die Augen aushackt?
({7})
Keinesfalls! Vielmehr werden Sie zwar eine größere
Transparenz erreichen - das stimmt -; aber Sie werden
keinesfalls dazu beitragen, dass die Managergehälter geringer werden.
Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Poß?
Ja, gerne.
Kollege Ernst, nur eine kurze Frage, um die Debatte
aus Zeitgründen nicht allzu sehr zu verlängern. Ist Ihnen
bekannt, dass die Vorschläge, die in dem vorliegenden
Gesetzentwurf enthalten sind, sowie das, was ich ergänzend vorgetragen habe, der Beschlusslage des Deutschen
Gewerkschaftsbundes einschließlich aller Mitgliedsgewerkschaften, zum Beispiel auch der IG Metall, entsprechen?
Kollege Poß, das ist mir sehr wohl bekannt. Aber ist
Ihnen bekannt, dass die Forderungen des DGB in diesem
Punkt weiter gehen als das, was Sie beschlossen haben?
({0})
In dem Fall würde ich Sie bitten, sich im Internet anzuschauen, was auf der Geschäftsführerkonferenz der
IG Metall in dieser Woche beschlossen wurde. Dann
würden Sie vielleicht merken, dass Sie der Zeit hinterherlaufen. - Im Übrigen habe ich nichts dagegen, wenn
Sie sich bei meiner Antwort auf Ihre Frage setzen. Das
ist nicht so tragisch.
Sie erwecken den Eindruck, als würden Sie wirklich
etwas ändern. Aber praktisch werfen Sie Nebelkerzen.
Wir haben bei den Managergehältern ein Riesenproblem. Es geht um Abzocke, um Unverhältnismäßigkeit
und - da gebe ich Herrn Bernhardt vollkommen recht um Sprengstoff mit einem enormen Potenzial innerhalb
der Bevölkerung. Ich habe den Eindruck, dass Sie diese
Gefahr noch nicht ausreichend erkannt haben.
Herr Funke von der Hypo Real Estate will einklagen,
dass sein Gehalt von vermutlich 1,3 Millionen Euro weitergezahlt wird, obwohl er einen Job gemacht hat, der
absolut daneben war. Da fragt sich der normale Mensch,
der seinen Job verliert und dann bei Hartz landet: Was ist
eigentlich mit mir? Herr Zumwinkel lässt sich seine
Rentenansprüche in Höhe von 20 Millionen Euro auszahlen, obwohl er vorbestraft ist und er seinen Job offensichtlich auch nicht ordentlich gemacht hat. Die Gehälter
der Manager von DAX-Unternehmen haben sich von
1997 bis 2007 um 240 Prozent erhöht. Ich habe heute in
der Zeitung gelesen, dass trotz der stärksten Lohnzuwächse seit 13 Jahren den deutschen Arbeitnehmern im
Jahr 2008 erneut weniger Geld in den Taschen geblieben
ist. Darüber regen sich die Bürger auf. Wenn Sie dieses
Thema nicht angehen, dann werden Sie in der nächsten
Zeit Proteste in nicht gekanntem Ausmaße erleben.
Was mich natürlich freut, ist, dass Sie sich diesem
Thema überhaupt zuwenden. Ich habe hier einige Zitate
aus einer der letzten Debatten zu diesem Thema, insbesondere von Herrn Krings aufseiten der CDU/CSU. Als
wir vorgeschlagen haben, in diesem Bereich Regelungen
zu treffen, hat er gesagt - ich zitiere aus dem Protokoll
vom 16. November 2007 -:
Der Schutz der Schwachen steht im Mittelpunkt unserer sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet aber
nicht, das Einkommen derjenigen, die mehr verdienen, zu deckeln.
Das widerspricht inzwischen eklatant der hier von Ihnen
vorgetragenen Position. Weiter unten heißt es im Protokoll:
Die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel nach dem
Motto: Was man oben abschneidet, kommt unten
an. Unsere Volkswirtschaft, unsere soziale Marktwirtschaft ist eine dynamische Veranstaltung. Die
CDU/CSU-Fraktion wird sich daher gegen einen
solchen billigen Populismus entschieden wehren.
Ich freue mich, dass Sie sich unserem Populismus inzwischen angeschlossen haben, meine Herren, und dass Sie
nach außen so tun, als würden Sie wirklich etwas ändern
wollen.
({1})
Zu den variablen Bestandteilen - Sie wollen nun bei
Aktienoptionen eine Frist von vier anstatt von zwei Jahren - heißt es in dem Protokoll zu ihrer Verteidigung
- das hat mich schon ein wenig auf die Palme gebracht -:
Weil variable Bestandteile wie vor allem Aktienoptionen die Verantwortung und das Engagement eines Managers noch einmal steigern. Das gilt übrigens für alle Ebenen eines Unternehmens.
Es freut mich, dass die Realität Sie dazu gezwungen hat,
Ihre Positionen zu verändern. Ich bedaure aber, dass es
immer erst eine halbe Katastrophe geben muss, bevor
Sie zur Vernunft kommen.
Ich danke fürs Zuhören.
({2})
Das Wort hat nun Christine Scheel für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben es heute mit einem Gesetzentwurf zu tun, der das
Ziel hat - ich zitiere -, „die Anreize in der Vergütungsstruktur für Vorstandsmitglieder in Richtung einer nachhaltigen und auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung zu stärken“. Der Titel ist gut. Die Frage
ist nur, ob der Gesetzentwurf dem Anspruch gerecht
wird, den der Titel suggeriert.
Ich würde sagen, dass dieser Gesetzentwurf ein großkoalitionärer Minimalkonsens ist - das ist in der Debatte
deutlich geworden - und dass er dem, was vonseiten vieler Vertreter und Vertreterinnen der Koalition, auch von
der Bundeskanzlerin, gesagt wurde, nicht entspricht. Die
Bundeskanzlerin hat schon im letzten Jahr gesagt, dass
millionenschwere Fantasieabfindungen gegeißelt werden müssen. Auch Finanzminister Peer Steinbrück hat
sich gegen Boni für Versager ausgesprochen. Unser
neuer Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg
findet, dass bei den Manager-Boni nicht nur einmal die
Grenzen des Anstandes überschritten worden sind. Alle
drei haben recht.
Die Frage aber ist: Wird in dem, was jetzt vorgelegt
worden ist, der Anspruch, der formuliert worden ist, umgesetzt? Wir sagen: Dies ist nicht so. Es ist in großen
Teilen ein Papiertiger. Es sind in einem großen Umfang
sehr wachsweiche Formulierungen vorgelegt worden,
die in der Konsequenz nicht zu dem führen, was suggeriert wird.
Auch wir finden, dass es nicht Aufgabe der Politik
sein kann, über konkrete Höhen von Managervergütungen zu entscheiden. Es kann aber auch nicht sein, dass
man seitens der Politik, wie es Kollege Poß unlängst getan hat, nur den Kopf über die Selbstbedienungsmentalität schüttelt, die wir in den letzten Monaten und Jahren
erlebt haben. Deswegen muss sich die Politik bekennen,
bis zu welcher Höhe Managergehälter und auch Abfindungen für Managerinnen und Manager gesellschaftspolitisch akzeptabel sind.
({0})
Es geht nicht darum, deren Höhe zu begrenzen, sondern
darum, dass wir ein Signal setzen. Ein Signal kann sein,
zu sagen: Es erfolgt im Zusammenhang mit dem Steuerrecht eine Begrenzung. Eine Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs ist kein Widerspruch zur Marktwirtschaft;
das wurde schon gesagt. Auch in den USA ist es so, dass
Managerbezüge in börsennotierten Unternehmen nur bis
zu 1 Million US-Dollar als Betriebsausgabe steuerlich
absetzbar sind.
Wir schlagen vor, Managergehälter nur bis zu einer
Höhe von 500 000 Euro voll steuerlich absetzen zu können. Das entspricht übrigens der allgemein akzeptierten
Vergütungshöhe, die im Zusammenhang mit dem Bankenrettungsfonds vorgesehen ist. Dabei muss man sagen,
dass natürlich alle fixen und variablen Gehaltsbestandteile zusammengerechnet werden müssen, um von vornherein Gestaltungsmöglichkeiten zu vermeiden.
({1})
Wir meinen, dass kurzfristige und auf den schnellen
Erfolg ausgerichtete Boni die Brandbeschleuniger der
Krise gewesen sind. Ich glaube nicht, dass dies von irgendjemandem hier - selbst von der FDP nicht - bestritten wird. Schauen wir uns einmal die Realität an: Die
millionenschweren Vergütungen zum Beispiel der
Porsche-Führungsspitze bestehen zu 97 Prozent aus variablen, also erfolgsbezogenen Anteilen. Der Erfolg von
2008 stammt ganz wesentlich aus hochriskanten Spekulationen im Zusammenhang mit der VW-Aktie. Das
kann auch nach hinten losgehen. Dies kann sehr vielen
Unternehmen massiven Schaden zufügen. Ich erinnere
beispielsweise an die Fehlspekulationen von Adolf
Merckle und anderen. Das heißt, hier werden falsche
Anreize für das Management gesetzt. Chance und Risiko
stehen in einem Missverhältnis. Daran hat sich bisher
wenig geändert. Nur zwei von 30 DAX-Unternehmen
haben bisher die Berechnung ihrer Managerboni an den
empfohlenen Kriterien einer guten Unternehmensführung ausgerichtet. Das heißt, wir brauchen konkrete und
konsequente Regelungen. Davon ist der Gesetzentwurf
leider sehr weit entfernt.
({2})
Die Grünen schlagen vor, variable Vergütungsbestandteile auf ein Viertel der Gesamtvergütung zu begrenzen und langfristig auszurichten. Wir schlagen vor:
Dem Erfolgsbonus soll ein Malus bei Verlusten gegenüberstehen. Wir schlagen vor, dass Aktienoptionen langfristig, das heißt erst nach zehn Jahren, ausgeübt werden
dürfen, weil sich erst dann zeigt, ob ein Manager wirklich nachhaltig gewirtschaftet hat. Dies erhöht übrigens
den Anreiz, länger in einem Unternehmen zu bleiben.
Wir sehen ja, dass der häufige Wechsel in den Vorstandsetagen dazu führt, dass in einer ganzen Reihe von Unternehmen die Vorstandspensionen die Vergütungen des
aktiven Vorstands insgesamt übersteigen. Das ist die derzeitige Realität. Deswegen greifen die vier Jahre, die die
Große Koalition im Zusammenhang mit der Einlösung
von Aktienoptionen festgelegt hat, zu kurz. Eine Haltefrist von vier Jahren ist übrigens in vielen Unternehmen
schon heute Realität. Das ist nichts Neues.
Einen Totalausfall leistet sich der Gesetzentwurf beim
Thema Managerhaftung. Es stimmt zwar, dass Manager
schon heute voll dafür geradestehen, wenn sie dem Unternehmen durch Gesetzesverstöße oder grobe Fahrlässigkeit einen finanziellen Schaden zugefügt haben. Dies
ist aber eine eher theoretische Möglichkeit. Nur der Aufsichtsrat selbst kann letztendlich diese Möglichkeit
wahrnehmen. Das geschieht aber kaum; das sehen wir in
der Realität. Selbst wenn ein Haftungsfall eintritt, sind
sie wegen ihrer Haftpflichtversicherung heute de facto
keinem Haftungsrisiko in Bezug auf ihr Privatvermögen
ausgesetzt.
Auch hier sollte es Änderungen geben. Wir schlagen
vor, dass Manager gegenüber den geschädigten Anlegern
bei Falschinformationen zukünftig mit ihrem Privatvermögen haften. Die Managerhaftpflichtversicherung soll
zwingend mit einer angemessenen Selbstbeteiligung des
Managers am Schadenersatz verbunden werden. Außerdem muss gesichert sein, dass die Versicherungsbeiträge
aus dem Gehalt des Managers geleistet werden.
Meine letzte Bemerkung gilt dem Kontrollsystem,
also dem Aufsichtsrat. Hierauf legt die Große Koalition
zwar den Schwerpunkt, aber selbst da bleibt sie sehr inkonsequent. Dieses Gremium ist nicht frei von Interessenkonflikten. Nicht selten sind die Entschädigungen
des Aufsichtsratsvorsitzenden an die Vorstandsbezüge
gekoppelt. Häufig sitzen in den Aufsichtsräten Vorstände
anderer Unternehmen. Darum gibt es Interessenkollisionen. Wir meinen, dass an dieser Stelle ein Mitbestimmungsrecht der Aktionärsversammlung notwendig ist,
um einen Schritt voranzukommen.
Fazit: Wir brauchen klare Begrenzungen bei Managervergütungen. Wir brauchen eine persönliche Haftung
und bessere Kontrollmöglichkeiten. Der Staat muss für
wirtschaftliches Handeln einen Rahmen setzen. Gewinnchancen ohne persönliches Risiko und mit wenig Kontrolle öffnen Gier und verantwortungslosem Handeln
Tür und Tor. Das haben wir in der Vergangenheit erlebt.
Deswegen ist es notwendig, dass wir zu mehr Pragmatismus kommen. Das hat mit Ideologie gar nichts zu tun.
Ich hoffe sehr, dass wir im Finanzausschuss noch die
eine oder andere Nachbesserung des Gesetzentwurfs
hinbekommen. So, wie er jetzt ist, ist er nicht sehr viel
wert.
Danke.
({3})
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
Alfred Hartenbach.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
spreche hier zwar für die Bundesregierung; das verbietet
mir aber nicht, in meinen Erinnerungen an meine Zeit als
sozialdemokratischer Abgeordneter zu kramen. Wenn
heute jemand für sich reklamiert, das Ei des Kolumbus
gefunden zu haben, möchte ich an eine Klausurtagung
der SPD-Fraktion in Leipzig erinnern - Joachim, du
wirst dich erinnern -, auf der der damals noch junge
Kollege Christian Lange dieses Thema sehr klar angesprochen und in den Vordergrund gestellt hat. Nun will
gut Ding Weile haben; schließlich sind in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher
Fragen zu beantworten. Heute legen wir einen, wie ich
glaube - ich darf das vorweg sagen; ich wiederhole es
gleich -, vernünftigen und verfassungsfesten Gesetzentwurf vor.
Es ist an der Zeit, dass wir uns nicht nur mit der Bewältigung der Finanzmarktkrise, sondern auch mit der
Analyse und Beseitigung ihrer Ursachen befassen. Die
vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass
die Vorstellung, der Markt werde es richten, der Staat
möge sich aus dem Wirtschaftsleben heraushalten, naiv
ist. Der Markt braucht Regeln, wenn er funktionieren
und sich nicht selbst zerstören soll. Nicht das schnelle
Geld oder der rasche Börsenerfolg stabilisieren unser
Wirtschafts- und Sozialsystem. Eine der Lehren, die wir
aus dieser Krise ziehen müssen, ist, dass von kurzfristig
ausgerichteten Vergütungsinstrumenten fehlerhafte Verhaltensanreize ausgehen können, die zum Eingehen unverantwortlicher Risiken verleiten; das haben vor mir
viele andere bereits gesagt. Diese nüchterne volkswirtschaftliche Analyse deckt sich mit der spontanen Entrüstung der Menschen über exorbitante Vergütungen und
Bonuszahlungen trotz massiver Verschlechterung der
Lage des Unternehmens.
Über eines sind sich alle einig: In vielen Unternehmen wurde in der Vergangenheit zu stark auf das Erreichen kurzfristiger Ziele wie Umsatzzahlen oder Börsenkurse zu bestimmten Stichtagen geschaut. Häufig hat
man das langfristige Wohlergehen des Unternehmens
aus den Augen verloren. Die Politik muss daher eingreifen.
({0})
Der vorliegende Gesetzentwurf stärkt und konkretisiert die Anreize in Richtung einer nachhaltigen und auf
Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung. Er
beruht auf den Beschlüssen der Koalitionsarbeitsgruppe
„Managervergütung“, die unter der Leitung der finanzpolitischen Sprecher der SPD- und der CDU/CSU-Fraktion sehr konstruktiv und vernünftig gearbeitet hat. Leider - das darf ich als Sozialdemokrat sagen - sind noch
nicht alle Vorschläge der SPD-Seite konsensfähig gewesen. Aber die vorliegenden Regelungen sind wichtig und
wirkungsvoll. Wir vom Bundesministerium der Justiz
waren von der Arbeitsgruppe gebeten worden, die gefassten Beschlüsse in die Form eines Gesetzentwurfs zu
gießen. Das haben wir gerne und, ich glaube, mit Erfolg
getan.
Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf Folgendes vor
- lieber Joachim Poß, ich muss es wiederholen; ich hatte
aber einmal einen Deutschlehrer, der sagte, Wiederholung mache anschaulich -:
Erstens. Der Aufsichtsrat wird ausdrücklich verpflichtet, bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des Vorstandes dafür zu sorgen, dass langfristige Verhaltensanreize zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung
gesetzt werden.
Zweitens. Der Aufsichtsrat hat die Bezüge des Vorstandes auf ein angemessenes Maß herabzusetzen, wenn
sich die Lage der Gesellschaft so verschlechtert, dass die
Weitergewährung der Bezüge unbillig wäre; das ist ein
durchaus verifizierbarer juristischer Begriff. Dies ist eine
dringend benötigte Vorschrift, die unter anderem sicherstellt, dass Vorstände, die Unternehmen an den Rand des
Abgrunds geführt haben und deshalb entlassen werden,
nicht noch die volle Vertragsauszahlung und überhöhte
Ruhegelder verlangen können.
({1})
Drittens. Aufsichtsräte müssen die Vergütung angemessen festsetzen. Sie werden durch eine ausdrückliche
Schadenersatzregelung daran erinnert, das zu tun. Das
war bisher nicht so, verehrte Frau Kollegin Dyckmans.
Viertens. Der Aufsichtsrat darf die Entscheidung über
die Vorstandsverträge nicht mehr vollständig auf einen
Ausschuss delegieren. Mit anderen Worten: Das Gemunkel in kleinen Zirkeln hat damit ein Ende.
Fünftens. Häufig werden in Aktiengesellschaften vom
Aufsichtsrat Prüfungsausschüsse gebildet. Zukünftig
können ehemalige Vorstandsmitglieder für eine Karenzzeit von drei Jahren nicht Mitglied eines solchen Ausschusses werden. Das ist eine, wie ich meine, sinnvolle
Regelung zur Vermeidung typischer Interessenkonflikte. Vielleicht kann man in den Beratungen erreichen,
dass die Frist noch ein wenig verlängert wird; das wäre
nicht schlecht.
({2})
Sechstens. Aktienoptionen können zukünftig erst
nach vier und nicht wie bisher nach zwei Jahren eingelöst werden; auch das ist neu, Frau Kollegin Dyckmans.
Das zeigt, was der Gesetzentwurf mit langfristigen Verhaltensanreizen meint.
Siebtens. Schließlich - Herr Bernhardt, ich habe
einen Punkt mehr als Sie - wird die Transparenz der
Vorstandsvergütung gegenüber den Aktionären und der
Öffentlichkeit im Falle der Beendigung der Vorstandstätigkeit verbessert.
Wir sind überzeugt, dass diese rechtlichen Instrumente
dafür Sorge tragen werden, dass bei der Vergütung von
Vorständen verstärkt Anreize für eine nachhaltige und
auf Langfristigkeit ausgerichtete Unternehmensentwicklung gesetzt werden.
Einige Regelungsvorschläge greift der Gesetzentwurf dagegen bewusst nicht auf, zum Beispiel die Begrenzung der Höhe der Vorstandsbezüge. In einer sozialen Marktwirtschaft ist es immer noch Sache der
Vertragsparteien - hier geht es auch darum, wie weit
man an der Verfassung vorbeischrammen könnte -, das
Gehalt untereinander auszuhandeln. Das ist grundsätzlich nicht Sache des Staates oder der Politik. Frau
Scheel, die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft
ist gerade bei großen Publikumsgesellschaften nicht
dazu geeignet, das Gehalt auszuhandeln; Herr Poß und
Herr Bernhardt haben das schon dargestellt. Aus diesem
Grund sind wir uns darüber einig, dass das der Aufsichtsrat machen muss.
Ich betone, Frau Dyckmans, dass wir uns vor allen
Dingen mit der von Ihnen geforderten Professionalisierung und Beschränkung der Aufsichtsräte nicht anfreunden können. Was heißt denn Professionalisierung?
({3})
Dürfen dann künftig nur noch promovierte Wirtschaftsprüfer oder Wirtschaftsökonomen in einen Aufsichtsrat?
Wie verhält es sich mit der Beschränkung?
({4})
Das, was Sie wollen, läuft darauf hinaus, die Mitarbeitervertretungen erheblich einzuschränken. Genau das
werden Sie mit uns nicht erreichen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wir haben
- das möchte ich betonen - sicherlich einen ersten guten
Schritt getan. Aus unserer Sicht ist die Diskussion noch
nicht abgeschlossen. Wir arbeiten auf der Ebene der
G-20-Staaten und der Europäischen Union weiterhin an
der Schaffung einheitlicher internationaler Standards,
die nicht nur die Vorstandsebene, sondern alle Hierarchieebenen in Unternehmen, vor allem im Bankenbereich, betreffen sollen.
Ich bedanke mich und wünsche uns allen gute Beratungen.
({5})
Das Wort hat nun Kollege Jürgen Gehb für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine
veritable Position, als Schlussredner in einer so hitzigen
Debatte reden zu dürfen.
({0})
Das Stichwort „Managergehälter“ lieferte nicht nur, aber
insbesondere in den letzten Tagen so ziemlich alles, was
zu einer hitzigen Debatte führen kann, allerdings eher in
der Öffentlichkeit als hier. Ich finde, dass diese Debatte,
wenn man von einem Ausreißerfall absieht, relativ sachlich war.
({1})
Den Zuhörern und Zuschauern möchte ich sagen: Wir
müssen unterscheiden. Manager ist nicht gleich Manager.
Wir müssen bei der Vergütungsregelung trennen zwischen Banken, die staatliche Unterstützung nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz erhalten, und solchen
Unternehmungen und Unternehmensteilen, die keinerlei
staatliche Unterstützung erhalten. Eine weitere Kaste
will ich ebenfalls außen vor lassen: die vielen Eigentümer kleiner und mittelständischer Unternehmen, die
bis auf ihre Socken haften. Auch sie werden jetzt über
einen Kamm geschoren. Obwohl sie jeden Tag ordentlich ihre Arbeit erledigen und sich Sorgen um ihre Arbeitnehmer machen, geraten sie alle jetzt in Misskredit.
({2})
Diese Unternehmer muss man von vornherein von dieser
Diskussion ausnehmen.
({3})
Auch die Manager der 14 000 Aktiengesellschaften,
die keine staatliche Unterstützung bekommen, sind nicht
alle Zumwinkels, nach dem Motto Pars pro Toto. In meinem Kasseler Wahlkreis gibt es die Unternehmen Wintershall sowie Kali und Salz. Das sind prosperierende
Unternehmen, deren Manager ich persönlich kenne. Mit
einigen bin ich sogar freundschaftlich verbunden.
({4})
Sie rackern viel und haben Sachverstand. Sie sind Denker und Lenker.
Warum haben wir in den letzten 60 Jahren den Wohlstand, den wir jetzt haben, eigentlich erreicht? Ist unser
Gemeinwesen etwa ein dümpelndes Gemeinwesen?
Nein. Wir sind eine prosperierende Gemeinschaft; das
muss man einmal sagen. Man darf nicht immer nur an
den Krankenfällen laborieren.
({5})
Man darf die Augen aber auch nicht davor verschließen.
Der Gesetzgeber handelt schließlich ähnlich wie ein
Arzt. Er regelt eigentlich nur die pathologischen Fälle.
Hier wird der Eindruck erweckt, als habe die Vergütung bzw. Haftung von Managern bis zu dieser Debatte
im rechtsfreien Raum stattgefunden. Damit komme ich
zu Ihnen, Frau Scheel. Sie lagen mit Ihrem Beitrag halb
daneben. Sie haben gesagt: Manager haften nur bei gro23024
ber Fahrlässigkeit. - Schauen Sie sich die einschlägige
Vorschrift an! Machen Sie sich einmal diese Mühe!
„Tolle lege“ - nimm und lies -, das hilft manchmal.
({6})
Nach § 80 ff. des Aktiengesetzes haften Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder wie sorgfältige, gewissenhafte Geschäftsleiter. Hier findet man den höchsten Verschuldensmaßstab, den es überhaupt gibt.
({7})
Für sie gilt nicht das Prinzip „Diligentia quam in suis“
- nach dem Motto: Der ist auch zu Hause ein Hallodri -,
sondern sie haften wie gewissenhafte, sorgfältige Geschäftsleiter.
({8})
Das ist noch weniger als leichte Fahrlässigkeit. Das ist
das Höchstmaß an Sorgfalt.
In einem anderen Punkt gebe ich Ihnen recht: Wo kein
Kläger, da kein Richter.
({9})
Jemand, der, auf Deutsch gesagt, Mist gebaut und nicht
diesen Vorschriften entsprechend gehandelt hat, muss
natürlich zur Rechenschaft gezogen werden.
({10})
Da liegt der Hase im Pfeffer; das hat Frau Dyckmans
schon gesagt. Wir müssen uns die Besetzung der Aufsichtsräte vornehmen. Diese Gremien existieren inzwischen in einer Art Parallelgesellschaft mit zum Teil inzestuösen Merkmalen.
({11})
Hier muss man eingreifen, aber nicht mit gesetzlichen
Regelungen. Wir sind dafür der völlig falsche Adressat.
Herr Ernst, bei den Regelungen, die Sie eben an den
Pranger gestellt haben, handelt es sich um individuelles
Fehlverhalten von Aufsichtsratsmitgliedern. Damals waren es übrigens ein Staatssekretär des Finanzministeriums, das von Hans Eichel geführt worden ist, und zwei
Funktionäre von Verdi. Denen müssen Sie einmal ans
Portepee fassen!
({12})
Im Grunde genommen begegnen wir hier wieder einmal dem Phänomen, dass der Gesetzgeber nicht der richtige Adressat ist, sondern dass es ein Defizit bei der Anwendung des geltenden Rechts gibt. Es handelt sich um
ein Vollzugs- und Anwendungsdefizit. Deswegen: Hören
Sie bitte mit Ihren Märchen von Haftungsverschärfungen und rechtsfreiem Raum auf! Eigentlich reicht unser
Gesetz aus.
Die sechs Punkte, die der Kollege Otto Bernhardt aufgeführt hat, sind jetzt in Gesetzesform gegossen. Im
Rechtsausschuss - in allen einschlägigen Ausschüssen,
insbesondere aber im Rechtsausschuss - müssen wir uns
damit noch einmal sehr gewissenhaft auseinandersetzen.
({13})
Ich muss Ihnen sagen, dass die Aufgabe des Begriffs
der Unbilligkeit in Bezug auf ein Unternehmen ein Unding ist.
({14})
Ich habe extra darauf hingewiesen, dass dieser Satz aus
der Begründung herausgenommen werden soll. Trotzdem steht er noch im Entwurf.
Es kann doch nicht sein, dass man wie auf dem offenen Basar das Volk fragt: Findet ihr es richtig, dass
Wedeking 100 Millionen Euro kriegt
({15})
oder der Fußballspieler Arne Friedrich 3 Millionen
Euro? - Hat darüber schon einmal jemand nachgedacht?
Soll ein Fußballspieler eigentlich weniger Geld kriegen,
wenn er nicht das Tor trifft? Soll er noch Geld mitbringen, wenn er ein Eigentor schießt? Wie soll man das machen? - Es ist das Geld des Eigentümers. Wenn der Chef
von Hoffenheim einen Mittelstürmer einkauft und ihm
20 Millionen Euro im Monat gibt, dann können wir alle
hier sagen: „Das ist doch unmöglich, das stört den sozialen Frieden“, aber es ist verfassungsrechtlich möglich.
Ich will Ihnen eines sagen: Es soll auch möglich bleiben.
({16})
- Völlig richtig: Es ist unanständig. Jetzt will ich dir
aber etwas sagen, Hedi: Wir sind pausenlos drauf und
dran - das war auch beim Antidiskriminierungsgesetz
so -, zu glauben, dass der Gesetzgeber den Bürger
Mores lehren kann und ihm durch gesetzliche Verordnung Anstand oktroyieren kann. Das ist ein unmögliches
Unterfangen.
({17})
Es wird immer Fälle geben, in denen sich einzelne Menschen nicht an unsere Regeln halten.
Im Datenschutz ist es übrigens genauso. Dauernd
kommt der Ruf nach strengerem Datenschutz. Alles, was
dort moniert wird, verstößt gegen geltendes Recht. Man
kann das Recht noch so scharf machen, ohne dass man
damit alle Verstöße ausschalten könnte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Wenn er es ernst meint, ja.
({0})
Herr Dr. Gehb, ich habe mich gefragt, ob Sie das gerade ernst gemeint haben. Sie sagen auf der einen Seite:
Die Aufsichtsräte sollen es richten. Auf der anderen
Seite halten Sie ein Plädoyer, dass die Aufsichtsräte es
nicht gerichtet haben. Dem muss ich jetzt entnehmen
- verstehe ich Sie richtig? -, dass Sie eigentlich gar
nichts regeln wollen, sondern eigentlich nur den Appell
äußern wollen, man möge doch bitte in den Aufsichtsräten dafür sorgen, dass das, was passiert ist, nicht mehr
passiert. Nun ist es aber passiert.
Glauben Sie tatsächlich, dass Ihre Appelle ausreichen? Glauben Sie, dass die Menschen, die dafür verantwortlich sind, dass es momentan so hohe Managergehälter gibt - Sie sagen, es sind die Aufsichtsräte -, plötzlich
ganz anders denken? Ich mache einmal ein Beispiel:
Glauben Sie wirklich, dass Sie eine Metzgervereinigung
dazu bringen könnten, plötzlich Vegetarier zu werden?
Die Antwort ist eigentlich ganz leicht: Das glaube ich
nicht. - Ich bin jetzt zwar der Redner; aber ich würde Sie
gerne fragen: Glauben Sie eigentlich, dass Sie mit den
Regelungen, die Sie fordern, alle Auswüchse beheben
könnten? Das ist doch ein krasser Irrglaube. Man würde
in der Bevölkerung den falschen Eindruck wecken, der
Gesetzgeber werde es schon richten. Wir können es nicht
richten.
({0})
Wenn wir über diesen Gesetzentwurf beraten, müssen
wir noch auf etwas anderes achten: nicht nur auf die
Frage der Unbilligkeit, sondern auch auf die Frage der
Langzeitanreizwirkung. Wir haben festgestellt, dass die
Begründung im Regierungsentwurf bzw. in der Formulierungshilfe so verstanden werden konnte - immerhin
bestand die Möglichkeit -, dass Festvergütungen nicht
mehr möglich sind. Nur auf meinen Hinweis bzw. den
Hinweis der CDU/CSU hin wurde die Formulierung aufgenommen:
Unbeschadet der Möglichkeit, eine Festvergütung
zu vereinbaren, …
Ich muss Ihnen etwas ehrlich sagen: Nur gegen meinen erbitterten Widerstand wird es einen Mindestschadensersatz geben. Das erinnert mich sofort an angloamerikanische Rechtsfiguren wie Punitive Damages,
also Strafschadensersatz. Wer glaubt, über zivilrechtliche oder wirtschaftsrechtliche Regulierungen von hinten durch die Brust ins Auge Pönalen einführen zu können, muss wissen: Das wird mit mir und auch mit der
CDU/CSU nicht möglich sein. Mindestschadensersatz
ähnelt Strafschadensersatz. Es gibt eine Möglichkeit des
Schadensersatzes. Seit Mommsen ist ganz klar - das ist
die berühmte Differenzhypothese -: Id quod interest.
Die Vermögensverhältnisse vor dem schädigenden Ereignis werden mit den Vermögensverhältnissen danach
verglichen; die Differenz wird ausgeglichen. Das ist kein
Strafschadensersatz und auch kein Mindestschadensersatz.
Der Entwurf, der jetzt vorliegt, ist ein guter Schritt,
ein gelungener Versuch, im Spannungsfeld von grundrechtlich verbürgter Privatautonomie und der Bekämpfung von Auswüchsen eine Regelung zu finden; aber er
muss jetzt - das ist typischerweise auch bei anderen Fragen der Fall - im Gesetzgebungsverfahren mit Argusaugen betrachtet werden.
Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Herr Ernst, Sie haben vorhin über Amerika geredet und
mich gefragt, was ich sagen würde, wenn hier ein Abgeordneter eine Besteuerung von 100 Prozent fordern
würde, ob er aus der DDR käme oder nicht aus
Amerika? Ich kann Ihnen nur eines sagen: heute die
Löhne, morgen die Preise und übermorgen die Mieten.
Selbst um den Preis, dass es diese Auswüchse auch weiterhin geben wird, möchte ich weder Managergehälter
der Höhe nach festsetzen noch die Bananen- und Kartoffelpreise festsetzen noch die Mieten, die in Berlin, Hamburg oder München bezahlt werden. Dann ist mir unsere
Gesellschaftsordnung zehnmal lieber.
Wo diejenigen hingekommen sind, die das gemacht
haben, das sehen Sie, meine Damen und Herren. Das ist
für mich das Horrorgespenst schlechthin. Dann lasse ich
es lieber so, wie es jetzt ist, ohne dass ich nicht zugeben
will, dass ich die Empörung des kleinen Mannes und der
kleinen Frau teile.
({1})
Unser Gemeinwesen ist so gut, wie es jetzt ist, weil wir
fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben,
weil wir aber genauso gut hervorragende Denker und
Lenker haben, die unsere Unternehmen so weit zum Prosperieren gebracht haben, dass wir dort sind, wo wir jetzt
sind. So soll es auch bleiben. Wenn wir die Auswüchse
ein bisschen kappen können, haben wir alles erreicht,
was ein Gesetzgeber erreichen kann. Mehr können wir
nicht erreichen.
Ich schließe mit einem schönen lateinischen Spruch,
wie ich es immer gern tue: Impossibilium nulla est
obligatio. Zu Deutsch: Eine unmögliche Leistung kann
von niemandem verlangt werden.
Vielen Dank und ein schönes Wochenende, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wurde Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/12278 und 16/12112 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/8994.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7530
mit dem Titel „Steuerabzug bei Manager-Abfindungen
begrenzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit
ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7743 mit dem Titel „Begrenzung der Managervergütung fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
- Drucksache 16/7413 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 16/12300 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Nach einer interfraktionellen Verabredung sind die
Reden zu Protokoll gegeben worden, und zwar von den
Kollegen Peter Jahr, Hans-Michael Goldmann, Wilhelm
Priesmeier, Kirsten Tackmann und Undine Kurth.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Tierschutzgesetzes. Der Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12300,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/7413 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge-
gen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen
bei Stimmenthaltung der Linken angenommen.
1) Anlage 6
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist damit mit dem gleichen Stimmverhältnis wie
zuvor angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck
({1}), Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige
Unternehmen ({2})
- Drucksache 16/9780 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3})
- Drucksache 16/11312 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute Koczy,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Korruptionsbekämpfung bei Hermesbürgschaften
- Drucksache 16/11211 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Wir haben über dieses Thema, das wir für wichtig erachten und das aufgrund des Gesetzentwurfs der
Grünen heute, am Freitagnachmittag, zu später Stunde
wieder auf dem Programm steht, schon mehrfach diskutiert.
({0})
Nachdem wir uns hier schon einmal zu diesem Thema
getroffen haben, war ich der Meinung, dass wir auch die
Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll geben können. Die Kolleginnen und Kollegen waren aber
offenkundig anderer Auffassung. Deshalb stehe ich noch
einmal hier.
Was uns an dem Gesetzentwurf der Grünen nicht gefällt, ist, dass es eigentlich nicht um die Frage „pro oder
kontra Korruptionsregister“ geht.
({1})
Wir sind dafür, ein solches Korruptionsregister einzuführen, allerdings wohlüberlegt und vor dem Hintergrund,
dass Korruption natürlich kein deutsches Problem ist.
Korruption ist in unserer globalisierten Welt ein internationales Problem.
In Deutschland wird Korruption hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Außenhandel problematisch. Man
kann das deutlich belegen. Auf dem Korruptionsindex
von Transparency International belegt Deutschland
Rang 13. Immer dann, wenn es bei uns zu Korruptionsfällen kommt, sind unsere Unternehmen mit den Gepflogenheiten anderer Länder in Kontakt gekommen, die auf
den Rängen 50 und schlechter verzeichnet sind.
({2})
Das heißt für uns: Wir müssen diese Thematik auf europäischer oder sogar internationaler Ebene aufgreifen insbesondere im Zeitalter der Wirtschaftskrise.
Jetzt aber zu dem, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf
fordern. Ich meine, dass es insbesondere bei dem Verfahren noch etliche Probleme gäbe, wenn wir das so machten, wie Sie es wollen.
({3})
Es ist mir noch immer nicht klar, auf welcher Grundlage
der Eintrag in das sogenannte Korruptionsregister vorgenommen werden soll. Aus Ihrem Gesetzentwurf geht
hervor, dass schon der reine Verdacht der Korruption
ausreichen könnte. Ich bin der Meinung, dass zumindest
eine rechtskräftige Verurteilung vorliegen müsste.
({4})
- Es kommt nicht darauf an, ob das Jahre später ist oder
nicht, Herr Kollege Ströbele. Man kann jemanden, der
unter Verdacht steht, nicht einfach vorverurteilen.
({5})
Letztendlich ist das eine Vorverurteilung;
({6})
denn Ihr Korruptionsregister soll ja eine Konsequenz haben. Ich weiß nicht genau, was Sie wollen; aber ich
nehme an, dass Sie diese Firmen dann zum Beispiel von
öffentlichen Aufträgen ausschließen wollen.
({7})
Wenn Sie das tun, dann ist das eine Vorverurteilung.
Ich gehe sogar noch weiter: Wenn man ein solches
Register anlegt, dann muss aus meiner Sicht klar sein,
dass ein Richter verfügen muss, dass das entsprechende
Unternehmen in das Register einzutragen ist, und nicht
irgendeine Behörde.
({8})
Es handelt sich aus meiner Sicht nämlich um eine empfindliche Zusatzstrafe, die vielleicht sogar noch mehr
wiegt als das letztendlich verhängte Bußgeld;
({9})
denn die ökonomische Konsequenz einer solchen Notierung kann ganz erheblich, wenn nicht sogar existenzgefährdend sein. Deshalb kann das nicht irgendeine Behörde auf Grundlage irgendeines Verdachts machen.
Herr Kollege Ströbele, ich entnehme Ihren Zwischenrufen, dass Sie genau das wollen. Das werden wir sicherlich nicht mitmachen.
({10})
Ein Korruptionsregister ist okay, aber es muss eben an
sehr enge Kriterien geknüpft werden. Wenn es zu keiner
Vorverurteilung kommt
({11})
und das Unternehmen erst dann in das Register eingetragen wird, wenn es rechtskräftig verurteilt ist und der
Richter die Eintragung angeordnet hat, dann könnte man
über so etwas reden.
({12})
Es gibt aber noch mehr Probleme. Was ist mit einem
Konzern, wenn ein Tochterunternehmen der Korruption
überführt wird? Gilt die Regelung nur für die Tochter,
oder ist der gesamte Konzern in Sippenhaft zu nehmen?
Nehmen wir einen anderen Fall. Wenn ein Arbeitnehmer unter Korruptionsverdacht steht - nach Ihren Vorstellungen reicht der Verdacht schon aus -, gilt das dann
für das gesamte Unternehmen? Wer wird in das Korruptionsregister eingetragen?
Das ist eine Reihe von ungeklärten Fragen, die man
aus meiner Sicht klären müsste, wenn man sich einer
solchen Materie annähert.
({13})
- Wir werden das bei Gelegenheit tun.
({14})
Wir haben aber momentan andere Sorgen hinsichtlich
unserer Wirtschaft, als ein Korruptionsregister einzuführen. Vielleicht ist das an den Grünen vorbeigegangen.
Ich kann mir das schier nicht vorstellen. Aber dass es an
Ihnen vorbeigegangen ist, Herr Ströbele, wie so manches
andere auch, kann ich mir lebhaft vorstellen. Das scheint
deutlich und in erheblichem Maße der Fall zu sein. Deshalb sind wir sehr zurückhaltend, was Ihren Antrag angeht.
Sie haben das Thema Hermesbürgschaften aufgegriffen. Ich halte fest, dass im Rahmen des Hermesinstruments nur solche Exporte deckungsfähig sind, die sehr
strengen Fachprüfungen standhalten. Grundvoraussetzung für die Deckungsübernahme ist, dass der Exportoder Kreditvertrag nicht durch eine ungesetzliche Handlung zustande gekommen sein darf. Im Mai 2008 wurde
beim Internetauftritt der Bundesregierung zu den Hermesdeckungen dem Thema Korruption sogar eine eigene
Seite gewidmet, auf der die Bundesregierung über die
Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen informiert und
die Unternehmen zur Implementierung von entsprechenden unternehmensinternen Verfahren auffordert.
Ich halte es für problematisch, dass Sie eines der erfolgreichsten Außenwirtschaftsinstrumente Deutschlands
als Korruptionsbeförderer brandmarken wollen. Das
kann ich offen gesagt nicht nachvollziehen.
({15})
Um die Potenziale in schwierigen Märkten nutzen zu
können, brauchen Unternehmen eine wirksame und flexible Unterstützung durch staatliche Exportkreditgarantien und Investitionsgarantien. Euler Hermes überprüft
schon beim Aufkommen eines Verdachts regelmäßig
und in standardisierten Verfahren seine Kreditnehmer.
Diese Überprüfung beinhaltet, wie man mir sagte, erstens die Suche nach konkreten Anhaltspunkten für Korruption, zweitens die Aufforderung an den Antragsteller,
einen Fragenkatalog zu Vertretern bzw. Agenten und
Provisionen zu beantworten, und drittens die Aufforderung an den Antragsteller, die unternehmensinternen
Präventionsmaßnahmen darzustellen.
Was kann man in diesem Rahmen darüber hinaus tun?
Sämtliche Mitarbeiter der Kredit- und Schadensbereiche
wurden ausführlich geschult und gleichzeitig durch Informationsveranstaltungen für das Thema Korruption
sensibilisiert. Ich darf auch darauf hinweisen, dass Vertreter von Transparency International häufig an diesen
Veranstaltungen teilnehmen und insofern miteingebunden sind.
Ich halte darüber hinausgehende Forderungen für unnötig, da wir in Deutschland bereits über ein ausreichendes Instrumentarium für die Aufdeckung, Verfolgung
und Ahndung von Korruptionsdelikten verfügen. Ich
glaube, dass wir auch der Bundesregierung insgesamt
keine Halbherzigkeit bei der Korruptionsbekämpfung
unterstellen können.
({16})
Die Bundesregierung war Treiber bei den Verhandlungen der OECD zu einer gemeinsamen Vorgehensweise
bei der Korruptionsbekämpfung. Deutschland zählt zu
den Erstunterzeichnern der entsprechenden OECD-Konvention. Es ist unnötig zu erwähnen, dass wir auch bei
der Umsetzung unter den ersten waren. Forderungen,
Unternehmen, denen Korruption nachgewiesen wurde,
von zukünftigen Deckungen auszuschließen, gehen über
die OECD-Vereinbarungen hinaus. Aber auch dabei tun
wir das Notwendige und Richtige und brauchen keine
Belehrungen seitens der Grünen.
Vielen herzlichen Dank.
({17})
Die Rede der Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt haben Sie recht, Herr Nüßlein: Sie
fordern Nachdenken. Aber dazu haben Sie mindestens
sechs Jahre lang Zeit gehabt. Im Jahr 2002 hatte RotGrün den ersten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung
eines bundesweiten Korruptionsregisters vorgelegt. Diesen haben Sie damals abgelehnt. Sie haben ihn dann zu
Fall gebracht. Deshalb hat das Gesetz keine Gesetzeskraft erlangt. Spätestens seit dem Jahr 2002 hätten Sie
also Gelegenheit gehabt, nachzudenken. 6 Jahre lang!
Entweder haben Sie offenbar nicht nachgedacht, oder
das Nachdenken war erfolglos. Jedenfalls ist nichts dabei herausgekommen. Das ist Ihre Politik in Bezug auf
die Bekämpfung der Korruption: Worte und nochmals
Worte, aber keine Taten. Sie tun nichts.
({0})
- Sie haben damals über den Bundesrat verhindert, dass
ein fertiges Gesetz, dessen Entwurf der Deutsche Bundestag in dritter Lesung verabschiedet hatte, Gesetzeskraft erlangen konnte. Nun stehen wir heute wieder vor
demselben Problem.
Das ist kein Spleen des Abgeordneten Ströbele oder
der Fraktion der Grünen; vielmehr hat der Bundesrat den
Deutschen Bundestag noch im Juli 2008 aufgefordert
- hören Sie zu, Herr Kollege Nüßlein! -, den Entwurf eines Gesetzes über die Einführung eines bundesweiten
Korruptionsregisters vorzulegen. Das heißt, wir folgen
einem Petitum des Bundesrates, natürlich unserer eigenen Intention und nicht zuletzt der mehrfachen Aufforderung von Transparency International. Diese Organisation sagt immer wieder: Ein solches Korruptionsregister
fehlt zur Bekämpfung der Korruption in Deutschland.
({1})
1) Anlage 7
Nun komme ich auf Ihre Bedenken zu sprechen. In
den meisten großen Bundesländern gibt es bereits ein
Korruptionsregister. Es gibt ein Korruptionsregister in
Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
In all diesen Landesregelungen - manchmal handelt es
sich um Gesetze, manchmal nur um Verordnungen - wird
davon ausgegangen, dass ein mehr oder weniger starker
Verdacht ausreichen muss, um ein Unternehmen in einem Korruptionsregister aufzuführen, damit die Alarmglocken bei den Behörden klingeln und sie prüfen können, ob sie mit einem solchen Unternehmen ein größeres
Geschäft machen wollen oder nicht. Das heißt, Sie werfen all diesen Bundesländern, in denen Sie die Regierung
führen, vor, etwas Rechtsstaatswidriges zu praktizieren.
Das ist natürlich absoluter Unsinn.
({2})
Denn es geht hier nicht um eine Vorverurteilung, sondern darum, dass ein starker, richterlich bestätigter Verdacht vorhanden ist, dass es eine Auffälligkeit gab, eine
Bestechung vorliegt oder andere Tatbestände erfüllt
sind, die auf Korruption schließen lassen. Wenn man es
so macht, wie Sie es vorschlagen, nämlich Registrierung
nach einer rechtskräftigen Verurteilung, dann wird man
erst Jahre nach einem solchen Delikt aktiv. Dann gibt es
möglicherweise die betreffende Firma oder die betreffende Person gar nicht mehr, die deshalb verurteilt
wurde. Man kann dann nicht mehr tätig werden. Es geht
aber darum, eine Gefahr für die öffentliche Verwaltung
zu bannen, damit sie keine Gelder verschwendet.
({3})
Wir fordern deshalb die Einführung eines solchen Registers. Vorliegen müssen entweder eine strafrechtliche
Verurteilung, der Erlass eines Strafbefehls - das heißt,
auch hier war ein Richter tätig und hat geprüft - oder ein
dringender Tatverdacht, der durch einen Richter festgestellt werden muss. Aufgrund eines dringenden Tatverdachts kommen Sie unter Umständen auch ohne eine
Verurteilung ins Gefängnis, nämlich in Untersuchungshaft. Wenn ein Richter einen dringenden Tatverdacht
feststellt und die anderen Haftgründe vorliegen, können
Sie auch vor einer Verurteilung sogar der Freiheit verlustig gehen, also ins Gefängnis kommen, und zwar manchmal für lange Zeit, für Monate oder sogar für Jahre.
Kollege Ströbele, achten Sie bitte auf die Zeit.
Was wir fordern, hat wesentlich geringere Folgen.
Wir wollen den Staat und die Allgemeinheit davor schützen, dass Firmen, die mit Bestechung und anderen Korruptionshandlungen unlauteren Wettbewerb gegenüber
anderen betreiben, den Staat erheblich schädigen und
deshalb schädlich für die Allgemeinheit sind. Deshalb
brauchen wir ein Korruptionsregister. Ihnen stünde es
gut an, endlich den Worten Taten folgen zu lassen und
diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tagungsmanagement ist eine hohe Kunst. Es war ausschließlich dem Zufall geschuldet, dass man mich zwischendurch erwischt hat, um mir mitzuteilen, dass die
Debatte jetzt stattfindet. Ich konnte gerade noch duschen, aber habe es nicht mehr geschafft, eine andere
Hose anzuziehen. Aber ich habe immerhin eine an.
({0})
Herr Ströbele, die Tatsache, dass Sie versuchen, uns
hier vorzuführen, ist manchmal schon ärgerlich. Trotzdem zur Sache: Wir haben bereits mehrere Debatten zu
diesem Thema gehabt, sowohl anlässlich der ersten Lesung Ihres Antrages, das Korruptionsregistergesetz zu
verabschieden, als auch im Zusammenhang mit den Debatten um die Reform des Vergaberechts. Wir, die Koalition, haben Ihnen erklärt, dass wir es für falsch halten,
ein eigenständiges Register einzuführen.
({1})
Wir als Koalition - das steht auch im Bericht - wollen bei
der Reform des Vergaberechts, beschlossen vom Deutschen Bundestag, das zentrale Gewerberegister, in dem
schon Tatbestände enthalten sind, zu einem Korruptionsregister weiterentwickeln, in dem neben anderen schweren Straftaten auch die korruptionsbezogenen Straftaten
registriert werden. Allerdings - da gebe ich Herrn
Nüßlein, der gerade ein Bonbon zu sich nimmt, völlig
recht - gilt das nur im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung.
Herr Ströbele, Sie sind in all dem, was Sie tun, ein
ausgesprochener Rechtsstaatler. Dass Sie sich dazu versteigen, jemandem aufgrund eines Verdachtes ein Berufsverbot erteilen und dieses Verbot möglicherweise auf
die ganze Firma ausdehnen zu wollen, halte ich für einen
ziemlich dicken Hund. Das ist in keiner Weise verhältnismäßig.
({2})
Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass Ihr verehrter
Parteivorsitzender Müntefering im Jahr 2002 mit der
versammelten Fraktion der Sozialdemokraten und mit
uns gemeinsam ein Gesetz auf den Weg gebracht und im
Deutschen Bundestag verabschiedet hat, wobei er sich in
der Öffentlichkeit anlässlich der damaligen Korruptionsfälle, etwa in Köln, in den auch SPD-Vertreter verstrickt
waren, vehement dafür eingesetzt hat, ein solches Korruptionsregistergesetz zu machen, und vor der damaligen
Bundestagswahl den Deutschen Bundestag geradezu beschworen hat, ein solches Gesetz zu verabschieden, weil
es dringend notwendig und natürlich rechtsstaatlich ausreichend gesichert sei? Die versammelte SPD-Fraktion
hat daraufhin mit der versammelten Fraktion der Grünen
dieses Gesetz im Deutschen Bundestag mit Mehrheit beschlossen, und beide Fraktionen haben darin nichts
Rechtswidriges und schon gar nichts rechtsstaatlich Bedenkliches gesehen.
Mir ist das selbstverständlich bekannt, weil ich dabei
war. Wir hatten in der Koalition vereinbart, ein eigenständiges Register einzuführen. Das wäre eine Lösung;
das ist keine Frage. Allerdings galt das auch damals
nicht völlig uneingeschränkt. Das galt nur für diejenigen,
die unter einem schweren Verdacht standen. Aber aus
heutiger Sicht, wo neben dem wichtigen Ziel der Korruptionsbekämpfung auch die Frage von Bürokratieabbau sowie andere Fragen zu behandeln sind, sagen wir:
Wir nutzen ein bestehendes Instrument, nämlich das zentrale Gewerberegister. Damit erreichen wir dasselbe,
ohne eine zusätzliche Plattform zu schaffen. Das ist eine
relativ bürokratiearme, transparente Lösung für alle, die
öffentliche Aufträge vergeben oder sich an solchen Vergaben als Auftragnehmer beteiligen wollen.
Außerdem sage ich Ihnen, Herr Ströbele: Je länger ich
mich persönlich damit befasst habe, umso mehr bin ich
der Auffassung, dass ein Berufsverbot für eine ganze
Firma nur aufgrund des Verdachtes, dass sich vielleicht
der eine oder andere fehlverhalten hat, für mich völlig
ausgeschlossen ist.
({0})
Für den Fall, dass wir das Vergnügen haben sollten,
noch einmal so etwas Ähnliches wie eine rot-grüne Regierung zu veranstalten, dann wird diese Regelung - das
sage ich Ihnen schon jetzt - auf jeden Fall nur bei einer
rechtskräftigen Verurteilung gelten. Die Verabredung in
der Großen Koalition ist - der Auftrag an das Bundeswirtschaftsministerium ist ergangen -, Vorschläge zu machen, um das zentrale Gewerberegister weiterzuentwickeln. Ich gehe davon aus, dass das Ministerium daran
arbeitet.
Nun könnte man natürlich fragen: Warum liegt das
noch nicht auf dem Tisch? Sie wissen selber - jetzt beende ich die Beantwortung der Zwischenfrage, um
meine Redezeit nicht von 9 Minuten auf 30 Minuten
auszudehnen -, wie das ist.
Ich komme nun zu meiner ursprünglichen Rede zurück.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Montag?
Von wem?
Des Kollegen Jerzy Montag.
Montag oder Freitag?
Montag.
Ja, klar.
Danke, Herr Kollege. Es ist offensichtlich die Zeit der
Witzchen im Bundestag ausgebrochen.
Das ist um diese Tageszeit am Freitag immer so.
Ich werde Sie deshalb auch nicht fragen, weswegen
Sie es an einem Freitag um 15 Uhr für notwendig gehalten haben, eine Hose anzuziehen. Aber ich frage Sie, ob
Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Einrichtung eines Korruptionsregisters mitnichten ein Berufsverbot für irgendjemanden bedeutet, sondern lediglich eine Möglichkeit für diejenigen staatlichen
Instanzen ist, die einen Auftrag an eine Firma zu vergeben haben, in eine sachgerechte Prüfung darüber einzutreten, ob es nicht vielleicht falsch wäre, einen Auftrag
einer bestimmten Firma zu erteilen. Sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass ein solches Korruptionsregister in dieser Form von der CSU in Bayern, von der CDU
in Baden-Württemberg und von der SPD in NordrheinWestfalen bereits eingeführt worden ist
({0})
- in Rheinland-Pfalz und in vielen anderen Ländern
auch - und dass ein solches nach Auffassung von Organisationen wie - unter anderem - Transparency International absolut notwendig ist, um Korruption zu bekämpfen?
Zunächst einmal stimme ich Ihnen in Ihrer Aussage
nicht zu, dass die Eintragung in ein Korruptionsregister
oder ein vergleichbares Register zu einer sachgerechten
Prüfung führt; vielmehr ist es ein Signal an die Vergabestelle, eine eingetragene Firma aus der Liste der Firmen
zu streichen, die angeschrieben werden. Das wird in den
Ländern auch so gehandhabt. Oder glauben Sie, dass die
Vergabestelle in Kleinkleckersdorf, die einen Auftrag zu
Reinhard Schultz ({0})
vergeben hat, noch hinterhersteigt, um anstelle der
Staatsanwaltschaft mit detektivischen Mitteln zu überprüfen, was da dran ist? Vielmehr ist die Ampel dann für
dieses Unternehmen auf Rot gestellt, und es wird an öffentlichen Aufträgen nicht mehr beteiligt. Das wird das
Ergebnis sein.
({1})
Was im Übrigen Ihre freundliche Frage zu meiner
Hose angeht, so habe ich das getan, was Sie auch einmal
tun sollten, nämlich Sport treiben. Diese Möglichkeiten
sollte man im fortgeschrittenen Alter nutzen, damit man
um diese Tageszeit noch einigermaßen fit ist.
Zu der Frage, ob wir es mit der Korruptionsbekämpfung ernst meinen, kann ich nur sagen: Ich habe hier
mehrfach vorgetragen, dass es insbesondere im kommunalen Baubereich eine ungeheuer große Zahl von Korruptionsfällen gibt. Der kommunale Bau steht von der
Zahl der Verfahren her an der Spitze. Es gibt vom Bundeskriminalamt und von Transparency International Untersuchungen darüber, die zeigen, dass da wirklich ein
Sumpf trockengelegt werden muss, und das wollen wir
auch.
({2})
Wir sind auch dafür, dass die Länder - wie einige es
schon getan haben - Schwerpunktstaatsanwaltschaften
damit beschäftigen, damit die Verfahren nicht völlig versickern. Dann würde jemand, wenn er denn tatsächlich
schuldig ist, auch relativ schnell rechtskräftig verurteilt
werden können. Dafür treten wir voll ein. Aber wir sind
nicht der Meinung, dass wir neben das zentrale Gewerberegister, das wir - im Gegensatz zu den Ländern - auf
Bundesebene haben, noch eine andere Dokumentation
stellen sollten.
({3})
Wenn Sie sich mit dem zentralen Gewerberegister befassen würden, dann wüssten Sie, dass da schon Tatbestände über Unternehmen festgehalten werden, die außerordentlich schwerwiegend sind.
({4})
Der Bundesrat hat - im Gegensatz zu Ihren Äußerungen nicht empfohlen, ein Korruptionsregister einzurichten,
sondern er hat empfohlen, ein Register über schwere
Verfehlungen in seiner gesamten Breite zu schaffen. Das
ließe sich hervorragend in das zentrale Gewerberegister
einpassen, das beim Bundesamt für Justiz geführt wird.
Das ist dann für jeden zugänglich. Das wäre, denke ich,
der geeignete Ort.
Ich glaube nicht, dass wir jetzt ernsthaft darüber streiten sollten, ob wir ein oder zwei Register schaffen sollten; vielmehr geht es darum, dass wir diese Tatbestände
überhaupt nach außen dokumentieren,
({5})
damit jede Vergabestelle, die an öffentlichen Auftragsvergaben beteiligt ist, die Möglichkeit hat, sich rechtzeitig darüber zu informieren, welche Firmen korrupt sind
oder nicht. Da, denke ich, liegen wir nahe beieinander.
Deswegen haben wir ja auch damals zusammen etwas
gemacht.
({6})
Ich bin auch der Meinung, dass schnell eine Lösung gefunden werden muss. Wir gehen jetzt einen etwas bürokratieärmeren Weg.
Ich komme jetzt zu Ihrem Antrag über die Hermesbürgschaften. Selbstverständlich gibt es auch in diesem
Zusammenhang Korruption. Es reicht mir auch nicht
aus, wenn jemand sagt, dass Bestechung ein wichtiges
Wettbewerbselement in manchen merkwürdigen Ländern ist. Das ist so - keine Frage -, aber das Argument
reicht nicht aus, wenn wir hier eine Antikorruptionskultur errichten wollen. Wir können uns also nicht wie ein
Potentat in einem afrikanischen Staat verhalten, sondern
wir gehen mit Korruption, auch wenn sie im Ausland
stattfindet, rechtsstaatlich so um, als wenn sie hier stattfinden würde. Ich bin der Meinung, dass ein Tatbestand
dann, wenn er bekannt wird, dokumentiert werden muss.
Wir werden Ihren Antrag behandeln. Er wird heute in die
Ausschüsse überwiesen, und wir werden die eine oder
andere Lehre daraus ziehen.
Mir ist allerdings aufgefallen, dass Sie in Ihrem Antrag Zeitabläufe vorschlagen, die dem Bestreben zuwiderlaufen, sehr schnell zur Absicherung von Exportbürgschaften zu kommen; denn auch das Ziel müssen wir
haben. Sie fordern, 90 Tage bevor der Interministerielle
Ausschuss über eine Bürgschaft entscheidet, müssten der
Öffentlichkeit die Rahmendaten über alle Projekte bekanntgegeben werden. Damit verzögern Sie die Bürgschaftsvergaben ganz erheblich. Nicht nur wegen dieser
Wirtschaftskrise, aber jetzt natürlich erst recht, wollen
wir, dass Projekte, die absicherungsfähig wären, so
schnell wie möglich abgesichert werden. Deswegen
muss man ein schnelles, aber auch transparentes Verfahren finden. Wir sind gern bereit, auch darüber nachzudenken. Wir haben das vielfach getan, übrigens auch die
Regierung, die wir einmal gemeinsam gestellt haben. In
diese Zeit fielen Regelungen, die mit der OECD vereinbart worden sind. Man kann auch noch deutlich darüber
hinausgehen. Damit habe ich keine Probleme. Allerdings
muss die Balance erhalten bleiben, sodass Bürgschaften
überhaupt noch möglich sind.
Wir haben jetzt auch im Inland einen riesigen Bürgschaftsrahmen geschaffen. Auch in diesem Zusammenhang könnten Sie den Antrag stellen, bei der Absicherung der Kredite der KfW ebenso wie bei Bürgschaften
für größere Volumina auf dem deutschen Markt eine ge23032
Reinhard Schultz ({7})
naue Prüfung durchzuführen. Ich bin der Meinung, dass
man das tun müsste. Allerdings, denke ich, werden Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorgelegt. Bei einem
dringenden Verdacht gibt es sicherlich keine Bürgschaft.
Wenn man das formalisieren will, dann kann man das
tun. Ich aber bin der Meinung, dass das nicht zu einer
Verzögerung zum Beispiel des Konjunkturprogramms
führen darf. Man muss also schauen, was man erreichen
kann.
Man kann durch Überbürokratisierung viele wichtige
und sinnvolle wirtschaftliche Vorgänge so lähmen, dass
zum Schluss nichts mehr passiert. Umgekehrt darf das
natürlich kein Argument dafür sein, in der Korruptionsbekämpfung nachzulassen. Diese Balance müssen wir
erreichen. Mit der Reform des Vergaberechts und der
Ankündigung, eine Regelung im zentralen Gewerberegister einzuführen, was dem Korruptionsregister nahekommt, haben wir einen wichtigen Schritt gemacht. Allerdings gibt es den wesentlichen Unterschied, dass ein
Unternehmen erst dann dort aufgelistet wird, wenn es
ein rechtskräftiges Urteil gibt. Weitere Schritte werden
folgen.
Vielen Dank.
({8})
Die Rede des Kollegen Professor Herbert Schui für
die Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) Ich
schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf ei-
nes Korruptionsregistergesetzes. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/11312, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/9780 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen
die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11211 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Lebensmittel- und Futter-
mittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
- Drucksache 16/8100 -
1) Anlage 7
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0})
- Drucksache 16/12315 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Marlies Volkmer
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Ulrike Höfken
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen.
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Franz-Josef
Holzenkamp für die Unionsfraktion, Dr. Marlies
Volkmer für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann
für die FDP-Fraktion, Karin Binder für die Fraktion Die
Linke und Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches
sowie anderer Vorschriften. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12315,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8100 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Zulassung von gentechnisch veränderten Or-
ganismen auf wissenschaftliche Grundlage
2) Anlage 8; die Rede der Abg. Karin Binder ({2}) wird später abgedruckt.
Vizepräsidentin Petra Pau
stellen - Agrarischen Veredlungsstandort
Deutschland sichern
- Drucksachen 16/8929, 16/11165 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel HappachKasan für die FDP-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bedanke mich auch besonders für die freundlichen
Glückwünsche; ich habe allerdings nicht Geburtstag. Jeder weiß: Geteiltes Leid ist halbes Leid, und geteilte
Freude ist doppelte Freude. Deswegen habe ich Ihnen
diesen hübschen Blumenstrauß mitgebracht.
Thema ist der Antrag mit dem Titel „Zulassung von
gentechnisch veränderten Organismen auf wissenschaftliche Grundlage stellen“; die Frau Präsidentin hat es vorgelesen. Jeder, der verfolgt, was in der EU in Brüssel
passiert, weiß: Bei Abstimmungen im Agrarministerrat
und im Umweltministerrat enthält man sich in der Regel,
wenn es um transgene Pflanzen, um gentechnisch veränderte Pflanzen geht. Die Minister waschen die Hände in
Unschuld; die Kommission entscheidet. Das ist eine unwürdige Prozedur. Minister kommen zusammen, ohne
letztlich zu entscheiden, verzögern das Verfahren, und
dann entscheidet die Kommission. Das ist nicht gut.
Deswegen wollen wir ein anderes Verfahren.
({0})
Wir sind der Auffassung, dass wir Entscheidungen
über die Zulassung von Sorten auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen müssen. Wir sehen mit Betroffenheit, dass die Bundesregierung diesem Anspruch nicht
gerecht wird. Sie sagt immer wieder, dass das Ganze auf
wissenschaftlicher Grundlage geschehen soll, aber wenn
sie die Chance hat, so zu entscheiden, tut sie es nicht.
({1})
Die Bundesregierung hat eine Hightech-Strategie ausgerufen, aber im Bereich der Biotechnologie bremst sie
die Unternehmen aus. Das ist widersprüchlich und unglaubwürdig.
({2})
Die Tatsache, dass in Deutschland der Rektor einer
Universität aufgrund krimineller Zerstörungen von Freisetzungsversuchen die weitere Durchführung dieser Versuche untersagt hat, ist für den Wissenschaftsstandort
Deutschland, für die Freiheit von Forschung und Lehre
ein absoluter Skandal.
({3})
Die jetzige Ministerin fordert, wie ihr Vorgänger, dass
die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen auf
wissenschaftlicher Grundlage erfolgen soll. Wir fordern
das auch. Sie könnte es schon jetzt umsetzen, aber sie tut
es nicht. Ich bedauere sehr, dass die frühere forschungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, die sich
in dieser Funktion großes Ansehen erworben hat, jetzt
als Ministerin am Gängelband ihres Vorgängers hängt.
Das ist keine gute Sache für den Agrarstandort Deutschland.
({4})
Die Ministerin fordert heute, dass die Regionen über
den Anbau von Sorten entscheiden. Das ist abenteuerlich
und absolut ungeheuerlich. Das ist Aufgabe der Landwirte. Sie brauchen die Freiheit, zu entscheiden, welche
Sorte sie anbauen. Es ist nicht Aufgabe eines Kommunalparlaments oder einer Landesregierung, das zu entscheiden.
({5})
Was hielten Sie denn davon, wenn Hamburg oder
Schleswig-Holstein bestimmten, bayerische Autos dürften bei ihnen nicht mehr fahren?
({6})
Die Tierhaltung in Deutschland ist ein ganz bedeutender Wirtschaftsfaktor. Sie ist auf Eiweißimporte angewiesen. Zum Import von Eiweißfuttermitteln gibt es in
Deutschland keine Alternative. Insbesondere Schweineund Geflügelhaltung sind beispielsweise auf Sojaimporte angewiesen. Deshalb muss jeder, der auf diese
Eiweißimporte verzichten will, sagen, welche Einkommensalternativen er den Landwirten, den fleischverarbeitenden Betrieben und den Betrieben der Ernährungsindustrie anbieten will. Wir haben ja Regionen in
Deutschland, in denen Tierhaltung ein ganz bedeutender
Wirtschaftsfaktor ist. Das trifft nicht nur auf Niedersachsen zu, sondern auch auf Nordrhein-Westfalen, auf Baden-Württemberg und auf Bayern. Zum Erhalt dieser
Standorte ist der Import von Eiweißfuttermitteln unerlässlich.
({7})
Die EU hat im vergangenen Jahr 16 Millionen Tonnen Soja importiert, China 36 Millionen Tonnen. 75 Prozent der angebauten Sojapflanzen sind gentechnisch verändert. Diese Sorten bieten nach Einschätzung der Landwirte erhebliche Vorteile. Amerikanische Landwirte
rechnen mit einem Einkommensvorteil von über 40 Dollar pro Hektar. Diesen Einkommensvorteil wollen sie
sich selbstverständlich nicht entgehen lassen.
In den USA und Südamerika sind neue Sorten zugelassen worden. 24 Genkonstrukte befinden sich im
Genehmigungsverfahren. Wir haben jedoch ein asym23034
metrisches Zulassungsverfahren, was für unsere Veredlungswirtschaft erhebliche Nachteile bedeutet. Selbst
kleinste Beimengungen nicht zugelassener Sorten können aufgrund des Nulltoleranzprinzips dazu führen, dass
die Mischung hier bei uns nicht zugelassen wird. Das ist
nicht in Ordnung. Wir wollen ein Abgehen vom Nulltoleranzprinzip; wir wollen das Schweizer Modell übernehmen und einen Toleranzschwellenwert von
0,5 Prozent einführen.
({8})
Ich glaube, nur mit einem solchen Toleranzschwellenwert kann die Ernährungswirtschaft hier bei uns in
Deutschland im derzeitigen Umfang aufrechterhalten
werden. Zugleich wäre damit die von den Landwirten,
aber auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern geforderte Qualität sichergestellt.
Ich habe Ihnen eine Blume mitgebracht, an der ich Ihnen das derzeitige Zulassungsverfahren in der EU verdeutlichen möchte. Diese blauen Nelken werden in Australien seit 1996 angebaut. Sie beruhen auf einer
Nelkensorte, die nicht in den USA, nicht in Australien
({9})
- nein, auch nicht da -, sondern von einem Unternehmen
in Baden-Württemberg, genauer genommen in Stuttgart
gezüchtet wurde. Dieses Unternehmen erhält nach wie
vor Lizenzgebühren aus dem Verkauf dieser Pflanzen.
({10})
2004 hat Australien den Antrag gestellt, den Import dieser Pflanzen in die EU zuzulassen. 2007 erhielten sie die
Zulassung. Drei Jahre dauert in der Europäischen Union
die Zulassung einer blauen Nelke, nur weil sie auch den
Farbstoff einer Petunie enthält. Ich halte das für abenteuerlich.
({11})
Das ist für eine aufgeklärte Region wie Europa, das ist
für das Abendland einfach ein Drama, wenn - ({12})
Frau Kollegin Happach-Kasan, achten Sie bitte auf
die Zeit.
Ich achte auf die Zeit und komme zum Schluss: Ich
wollte Ihnen anhand dieses Beispiels einmal zeigen, wie
schön eine gentechnisch veränderte Pflanze ist und dass
die Zulassungsverfahren viel zu lange dauern. Zugleich
möchte ich Sie auffordern, dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion hier und heute zuzustimmen.
Danke schön.
({0})
Auch wenn Ihr Motiv zum Mitbringen des Blumen-
straußes, nämlich die Rede anschaulich zu illustrieren,
sicherlich aller Ehren wert ist, bin ich gehalten, auf die
Verabredung im Ältestenrat hinzuweisen, dass wir auf
das Mitbringen jeglicher Gegenstände zum Redepult
verzichten. Wie gesagt, ich erkenne Ihre Motive durch-
aus an. Es ist nur ein freundlicher Hinweis, damit es
auch in späteren Debatten gerecht zugeht.
Die Reden des Kollegen Dr. Max Lehmer für die Uni-
onsfraktion sowie der Kolleginnen Dr. Kirsten
Tackmann für die Fraktion Die Linke, Elvira Drobinski-
Weiß für die SPD-Fraktion und Ulrike Höfken für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir zu Proto-
koll.1)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel: „Zulassung von
gentechnisch veränderten Organismen auf wissenschaftliche Grundlage stellen - Agrarischen Veredlungsstandort Deutschland sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11165,
den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8929
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke, der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz,
Josef Philip Winkler, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos
umsetzen - Erklärung zur UN-Kinder-
rechtskonvention zurücknehmen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Diana Golze, Jörn Wunderlich, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für die Rücknahme der Vorbehaltserklä-
rung zur UN-Kinderrechtskonvention und
eine - hiervon unabhängige - effektive Um-
setzung der Kinderrechte im Asyl- und Auf-
enthaltsrecht
- Drucksachen 16/1064, 16/8885, 16/12266 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
1) Anlage 9
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich sage es Ihnen ganz offen und ehrlich: Irgendwie
fühle ich mich bei dieser Debatte gelähmt. Eigentlich haben wir zu diesem Thema im Bundestag schon alles gesagt, was man dazu sagen kann, und das schon mehrfach. Mein Fazit daraus lautet: Die Bundesregierung will
auf die Bundesländer Rücksicht nehmen; sie muss das
aber nicht. Weil die Bundesregierung aber rücksichtsvoll
gegenüber den Bundesländern ist, ist sie rücksichtslos
gegenüber Flüchtlingskindern.
({0})
Ich freue mich aber, dass zumindest bei diesem
Thema die kleinen Fraktionen zusammenhalten und die
sehr dicken Bretter bohren, die hier gebohrt werden
müssen. Wir dürfen damit nicht aufhören, weil es um
mehr geht als um einen Schlagabtausch der verschiedenen Parteien.
Ich glaube, dass hinter der Rücksichtslosigkeit eines
steckt: dass die Große Koalition, vor allem die Fraktion
der Union, eigentlich ein gestörtes Verhältnis zu Kinderrechten hat.
({1})
Ich zitiere aus Ihrem Bericht:
Eine Rücknahme der Erklärung gegen den Willen
der Länder komme für die Bundesregierung nicht in
Betracht. Dies entspreche der kontinuierlichen Haltung der Bundesregierung …
So antworten Sie auf die Anfrage meiner Fraktion.
Dennoch trauen Sie sich nicht, weder im Ausschuss
noch im Bundestag, darüber abzustimmen. Sie trauen
sich nicht, Ihre Meinung auch im Bundestag offen zu sagen. Stattdessen gibt es einen erzwungenen Bericht. Ich
erwarte von Ihnen Antworten auf die Fragen: Warum
trauen Sie sich nicht, die Debatte im Ausschuss zu führen? Warum lehnen Sie die Anträge nicht einfach ab,
wenn die Sache so glasklar ist, wie Sie es darstellen? Sie
ist es nämlich nicht. Warum trauen Sie sich nicht, zu Ihrer Meinung zu stehen, wenn Sie denn eine Meinung haben sollten? Warum drücken Sie sich davor? Warum
sind Sie zu feige, das zu sagen, was Sie meinen, wenn
ohnehin klar ist, dass Sie das Ganze wie bisher handhaben wollen?
Die Antwort gebe ich Ihnen gleich mit, denn das liegt
auf der Hand: Die Große Koalition will nicht Farbe bekennen.
({2})
Das Ganze ist Ihnen zu kritisch. Lieber verschieben Sie
kritische Anträge, als irgendetwas dazu zu sagen. Das ist
Drückebergerei; anders kann man das nicht bezeichnen.
({3})
Seit Oktober 2006, seit dem ersten Antrag, haben Sie
das Thema fünfmal im Ausschuss und im Plenum abgesetzt. Jetzt setzen Sie das fort, und das soll bis zum Ende
der Wahlperiode so weitergehen. Aber Sie können das
Thema nicht wirklich von der Tagesordnung absetzen,
denn es gibt immer noch unbegleitete minderjährige
Kinder, die zum Beispiel am Frankfurter Flughafen ankommen, und deren Situation können wir uns vorstellen.
({4})
Jedes Mal sagt die Koalition, dass sie zu diesem
Thema leider keine abgestimmte Meinung bilden
konnte. Sie hatten zweieinhalb Jahre Zeit; das hat Ihnen
wohl nicht gereicht. Wie lange soll das denn noch dauern? Viel mehr Zeit bleibt Ihnen nämlich nicht.
Noch eines: Die Bundesregierung wird am 5. April
vor der UN-Kinderrechtskonvention Bericht erstatten
müssen. Was werden Sie tun? Werden Sie das verschieben?
({5})
- Ausschuss oder nicht; der Bericht muss geliefert werden.
({6})
- Es ist eigentlich egal, wo Sie Bericht erstatten werden.
Entscheidend ist: Was wird in diesem Bericht stehen?
Werden Sie sich auch dann davor drücken? Werden Sie
das Thema wieder verschieben? Werden Sie sagen: Wir
hatten keine Position, liebe UN, von uns gibt es keinen
Bericht? Wie werden wir dastehen? Wir sind im Ausland, in der EU und vom UN-Ausschuss mehrfach gerügt worden wegen unserer Haltung. Werden Sie diese
Rüge wieder hinnehmen? Werden Sie Deutschland wieder so darstellen, als würden Kinderrechte bei uns keine
Rolle spielen? Das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
kann und werde ich nicht mittragen. Sie werden sich
diese Rüge gefallen lassen müssen.
Wir fordern Sie auf, Ihren Bericht zu erstellen. Wir
sind gespannt darauf, was Sie hineinschreiben werden.
Eigentlich müssten Sie zugeben, dass Sie handlungsunfähig sind. Bei Ihnen bleiben die Kinder auf der Strecke.
Das ist ein kinderrechtliches Trauerspiel.
({7})
Das Wort hat der Kollege Thomas Mahlberg für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Deligöz, ich hatte gerade das Gefühl, ich
nehme an einer anderen Antragsberatung teil. Sie beantragen einen formalen Akt. Aber es ist unbestritten, dass
die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage ihrer
Rechtsverordnungen die Verpflichtungen aus der UNKinderrechtskonvention uneingeschränkt erfüllt. Darüber sind sich zumindest diejenigen einig, die an diesem
Prozess beteiligt sind.
({0})
Wenn Sie davon sprechen, dass in unserem Land Kinderrecht keine Rolle spielen und dass die Union ein gestörtes Verhältnis zu den Kinderrechten hat,
({1})
dann muss ich Ihnen als jemand, der dem Bundestag erst
seit letztem Jahr angehört, erwidern: Ich habe das Gefühl, dass gerade Familien und Kinder sowie Kinderrechte im Mittelpunkt der Bundespolitik stehen. Das ist
auch genau das Feedback, das ich draußen bekomme.
({2})
Mitnichten kann man davon sprechen, dass Kinderrechte
hier keine Rolle spielen.
({3})
Die Gruppe der 16- bis 17-Jährigen, um die es hier
geht, umfasst, wenn ich der Statistik Glauben schenken
kann, rund 300 bis 350 Kinder im Jahre 2008. Wir reden
auf der einen Seite über den formalen Akt, und wir reden
auf der anderen Seite natürlich über die Frage, ob diese
Kinder in irgendeiner Weise benachteiligt sind.
({4})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es stimmt, dass es bisher
einen großen Widerstand der Länder gibt - wenn ich es
richtig sehe, sträuben sich nach wie vor insgesamt zwölf
Bundesländer -, die Vorbehaltserklärung zurückzunehmen. Aber keines dieser Länder handelt nicht auf Basis
der UN-Kinderrechtskonvention. Es ist unbestritten,
dass alle Kinderrechte uneingeschränkt beachtet werden.
Gerade die unbegleiteten minderjährigen Kinder genießen einen besonderen Schutz.
({5})
Sie haben letztendlich die Möglichkeit, an allen sozialen
Maßnahmen teilzunehmen. Es gilt im Übrigen auch der
Grundsatz - das weiß ich von meinen Kollegen aus dem
Bereich Innenpolitik -, dass bei den minderjährigen unbegleiteten Kindern in Asylverfahren besondere Sorgfalt
angewendet wird. Man geht auf diese Zielgruppe in besonderer Weise ein, und man geht mit diesen Kindern
sensibel um.
({6})
Anders als Sie das gerade dargestellt haben, haben die
Kinder Zugang zu allen Infrastruktureinrichtungen. Ich
nenne in diesem Zusammenhang die Teilhabe am Gesundheitssystem, den kostenlosen Schulbesuch und
Maßnahmen der Jugendhilfe. Dazu gehört natürlich auch
die Aufnahme in Pflegefamilien oder in Jugendhilfeeinrichtungen.
({7})
Es wird also entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention vor Ort Politik gemacht.
Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Deligöz?
Klar.
Herr Kollege Mahlberg, wenn das alles so stimmen
würde, wie Sie behaupten, hätten wir bestimmte Probleme nicht. Wir haben sie aber.
Vor zwei Wochen ist ein 16-jähriges Mädchen aus Somalia in Frankfurt nach Deutschland eingereist. Sie ist
mehrfach vergewaltigt worden und hochschwanger. Sie
wurde in einer Sammelunterkunft am Frankfurter Flughafen untergebracht, weil sie trotz ihrer 16 Jahre als
Volljährige galt und somit keine Rechte als Kind hatte.
Wie kann so etwas zustande kommen? Wie erklären Sie
sich solche Fälle? Diese Fälle gibt es in Deutschland, obwohl Sie behaupten, dass es sie nicht gäbe.
Wenn Sie der Meinung sind, dass die Kinderrechte
bei Ihnen eine große Rolle spielen, dann muss ich fragen: Warum stimmen Sie nicht einfach ab? Warum verschieben Sie die Abstimmung, mittlerweile zum fünften
Mal? Ich habe immer noch keine Antwort von Ihnen erhalten.
Frau Kollegin Deligöz, ich glaube, zum Stellenwert
der Kinderrechte innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe ich schon etwas gesagt. Ich persönlich
habe das Gefühl, dass gerade Kinder und Familien im
Fokus unserer Politik stehen.
({0})
Was die Abstimmung angeht: Es ist unstreitig, dass es
eine belastbare Vereinbarung zwischen Bund und den
Ländern gibt, die schon sehr lange zurückliegt, eine Vorbehaltserklärung bei der UN zu hinterlegen. Den Ländern ist zugesichert worden, dass diese Vorbehaltserklärung so lange Bestand hat, bis die Länder einer
Rücknahme zustimmen. Das heißt, dies ist eine Frage
der Verlässlichkeit. Ich bin der Meinung, dass Sie schon
vor Jahren in der rot-grünen Bundesregierung die Gelegenheit gehabt hätten - wenn Sie es gewollt hätten -,
entsprechend zu handeln.
({1})
Sie selber haben doch dieses Problem in die nächste Legislaturperiode transportiert.
({2})
Insofern sitzen wir im gleichen Boot.
Nichtsdestotrotz haben - damit will ich zum Schluss
kommen - Kinderrechte eine große Bedeutung. Wir
müssen versuchen, die Frage der Vorbehaltserklärung im
Konsens mit den Ländern zu lösen. Es macht keinen
Sinn, wenn sich nach wie vor zwölf Bundesländer aufgrund von Problemen, die entstehen, weil falsche Erwartungen in die Welt gesetzt wurden, zur Wehr setzen. Es
ist richtig, zu versuchen, die Länder zu überzeugen und
sie mit ins Boot zu nehmen. Man muss gemeinschaftlich
versuchen, die Länder dazu zu bringen, an dieser Stelle
zu einer gemeinsamen Handlungsweise zu kommen.
Vielen Dank.
({3})
Die Rede der Kollegin Miriam Gruß für die FDP-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um gleich Missverständnisse auszuräumen: Unsere
Ausschussvorsitzende, Frau Griese, kann heute nicht an
dieser Debatte teilnehmen, weil sie an Reihungskonfe-
renzen in NRW teilnehmen muss. Diese sind zwar etwas
ungünstig angesetzt; aber so ist es eben. Ihre Rede wurde
zu Protokoll gegeben; der Bericht des Ausschusses liegt
vor.
1) Anlage 10
Ich finde es schlicht und ergreifend beschämend, dass
wir heute zum x-ten Mal über diese Thematik im Plenum
reden und darüber beraten, ob wir die Vorbehaltserklärung zurücknehmen oder nicht. Die letzte Debatte dazu
fand vor einem Jahr statt. Eigentlich könnten wir uns die
Debatte heute sparen. Wir hätten uns die Tonaufnahme
der damaligen Sitzung anhören können und hätten keine
Veränderung im Vergleich zur Situation von vor einem
Jahr festgestellt.
({0})
- Moment.
Wir haben am 5. April 1992 die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland in Kraft treten lassen. In den
17 Jahren seither gab es im Bundestag viele Beschlüsse
zur Rücknahme der Vorbehalte. Es gab zahlreiche Anträge der Bundesländer im Bundesrat, zuletzt im Juni
2008, und zwar seitens der Länder Bremen, Berlin und
Rheinland-Pfalz. Dieser Antrag wurde ebenfalls abgelehnt.
Worum geht es? Es geht - das hat auch die Kollegin
Deligöz gesagt - um eine kleine Gruppe junger Menschen, nämlich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Alle anderen Punkte der Vorbehaltserklärung sind
hinfällig, weil wir sie per Gesetz beseitigt haben.
Manchmal frage ich mich, warum wir uns so schwertun, internationale Verpflichtungen ernst zu nehmen.
({1})
Es geht darum, internationale Verpflichtungen nicht als
Schauanträge anzusehen. Wir müssen unser innerstaatliches Recht daraufhin überprüfen, ob wir dem entsprechen, was wir unterzeichnet haben. Wir müssen diese
Abkommen ratifizieren und dann auch in Kraft treten
lassen. Wir aber tun so, als ob das zwar für alle Kinder
auf der Welt gilt, aber nicht bei uns hier.
Wir reden permanent von der kinderfreundlichen Gesellschaft. Ich kann es wirklich nicht mehr hören.
Manchmal frage ich, ob es an der Sturheit liegt, warum
wir nicht handeln. Bei uns im Schwäbischen gibt es folgenden Spruch: „An der Stell’ hat mein Vater bremst,
und da brems ich auch, und wenn’s bergaufwärts geht.“
({2})
Will heißen: Das haben wir schon immer so gemacht,
das machen wir so, und deshalb wird es weiter so gemacht. Liegt es an einer tiefsitzenden Xenophobie, also
an Fremdenangst, oder ist es die Angst vor der Entstehung von Kosten in den Ländern? Aber was soll das,
wenn nur für 300 bis 350 Jugendliche Maßnahmen der
Jugendhilfe, des Gesundheitsdienstes und der Schulbildung finanziert werden müssen? Wenn ich mir unsere
Beschlüsse der letzten Monate anschaue, dann muss ich
sagen: Es kann doch nicht sein, dass wir vor überbordenden Kosten Angst haben müssten.
({3})
Marlene Rupprecht ({4})
Auch kann es nicht sein, dass wir Angst davor haben,
dass auf einmal ganz viele Menschen in dieses Land
stürmen, sodass wir dann wiederum Angst davor haben
müssten, überschwemmt zu werden. Ich kann mir das
kaum vorstellen.
Herr Kollege Mahlberg, Sie sagten, dass wir keinen
Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren machen. Wenn wir in der
Rechtswirklichkeit keine Unterschiede mehr haben,
dann frage ich mich, warum wir es nicht schaffen, dafür
zu sorgen, dass auch rechtlich kein Unterschied mehr besteht. Die Kinderkommission hat diesbezüglich bei den
Bundesländern angefragt. Ich sage Ihnen: Es gibt einen
Unterschied - da waren sich alle Fraktionen einig -;
denn Schulbesuch und Jugendhilfemaßnahmen sind
nicht in allen Bundesländern selbstverständlich. Es
kommt darauf an, wie das einzelne Bundesland das regelt. Damit verletzen wir internationales, gezeichnetes
Recht.
({5})
Das schadet nicht nur den 350 Kindern, sondern auch
dem Ansehen der Bundesrepublik. Wenn wir der UN unseren Bericht vorlegen - da gebe ich der Kollegin
Deligöz recht -, wird uns wieder vorgehalten werden:
Ihr wollt in der ersten Liga spielen, schafft es aber nicht,
das zu bereinigen. Ich halte das für eine Katastrophe.
An dieser Stelle möchte ich allen Nichtregierungsorganisationen dafür danken, dass sie so viel Durchhaltevermögen und einen so langen Atem aufbringen. Ich
danke ihnen dafür, dass sie an dem Thema dranbleiben
und immer wieder nachbohren. Ich fordere Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen unseres Koalitionspartners, und den Bundesrat auf - ansonsten bin
ich ein versöhnlicher Mensch -: Um Himmels willen,
zwingen Sie uns nicht, noch mehr Geschäftsordnungsstrategien anzuwenden, um zu verhindern, dass das
Thema im Ausschuss stirbt. Zwingen Sie uns nicht dazu.
Wenn man Kinderrechte ernst nimmt, dann lässt man
sich nicht über den Koalitionsvertrag zum Handeln
zwingen. Ich sage Ihnen: Ich werde das nicht hinnehmen, auch in dieser Legislaturperiode nicht. Ich habe
bisher alle Anträge unterzeichnet. Ich hoffe, dass Sie
vernünftig sind und wir die Sache gemeinsam angehen
können. Es wäre sowohl für die Koalition als auch für
uns Parlamentarier blamabel, wenn wir das nicht hinbekommen würden.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und euch ein
schönes Wochenende.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Da wir nun schon zum zweiten Mal diese GODebatte führen, hatten wir viel Zeit, darüber nachzudenken, warum das so ist. Ich habe mir zur Vorbereitung genau dieselben Fragen wie die Kollegin Ekin Deligöz von
den Grünen gestellt: Warum ist das eigentlich so? Warum müssen wir wieder über eine GO-Debatte eine Diskussion über dieses Thema erzwingen?
Ich komme zu demselben Schluss wie meine Kollegin
von den Grünen: Die Koalition - ich schaue in Richtung
der Union - möchte diese Entscheidung nicht treffen und
schon gar nicht in einem Wahljahr.
({0})
Sie will sich nicht festlegen. Sie will in einem Wahljahr
nicht sagen: Für uns kommt das Unionsinteresse vor
dem Kinderrecht. Das ist meine feste Überzeugung. Herr
Singhammer bestätigt mich in dieser Überzeugung. In
einem Artikel der Zeitschrift Das Parlament vom
16. März dieses Jahres hat er gesagt - das ist noch gar
nicht so lange her; deshalb wird sich Herr Singhammer
vielleicht noch erinnern, was er gesagt hat -, Grund für
die Absetzung des Antrags der Grünen und unseres Antrages von der Tagesordnung des Ausschusses sei ein
weiterer Antrag der Grünen gewesen, der die Forderung
enthielt, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen.
Erstens: Das war ein ganz anderer Tagesordnungspunkt. Sie hätten diesen Antrag nicht von der Tagesordnung zu nehmen brauchen, bloß weil Sie nicht über die
Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz reden
wollten.
Zweitens widerspricht es der Aussage Ihres Kollegen
Herrn Mahlberg, der eben meinte, die Union finde Kinderrechte sehr wichtig, und diese ständen im Mittelpunkt
des Interesses.
({1})
Das ist doch geheuchelt; denn Sie können nichts anderes
sagen. Er hat nicht einmal seine Redezeit ausgeschöpft,
weil auch er auf unsere Frage, warum Sie sich nicht endlich stellen, keine Antwort geben kann.
({2})
Sie wollen weder die Kinderrechte im Grundgesetz,
noch wollen Sie die Gleichbehandlung aller Kinder in
Deutschland.
({3})
Es gibt ein weiteres Problem. Sie versuchen, verschiedene Argumente anzuführen. Eines der Argumente
ist - es wurde eben wieder genannt -, die Länder müssten dem zustimmen, und man solle keine Entscheidung
gegen die Länder treffen. Das zeigt mir: Sie haben nicht
einmal die Überschrift unseres Antrages gelesen, die da
nicht nur heißt „Für die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention“, sondern auch für
„eine - hiervon unabhängige - effektive Umsetzung der
Kinderrechte im Asyl- und Aufenthaltsrecht“. Sie können jetzt und hier, auch wenn Sie den Vorbehalt nicht zurücknehmen, die Situation dieser Kinder und Jugendlichen verbessern. Sie als Bundesgesetzgeber müssen das
tun.
Es darf nicht so weitergehen wie in dem Fall, den
Ekin Deligöz eben beschrieben hat, dass eine 16-jährige
Schwangere in einer Massenunterkunft untergebracht
wird und dass ihr nur eine basisgesundheitliche Versorgung zur Verfügung steht, weil es im Asylbewerberrecht
so geregelt ist. Sie können doch nicht wirklich wollen,
dass das weiterhin der Fall ist. Sie können jetzt handeln,
indem Sie ins Asylbewerberleistungsgesetz und ins
Asylverfahrensgesetz schreiben, dass sich die Maßnahmen am Kindeswohl auszurichten haben. Dann könnten
Sie schon jetzt die Situation der Betroffenen verbessern,
selbst wenn Sie sich nicht zur Rücknahme der Vorbehalte durchringen können.
Ich muss mich dem anschließen, was zu dem Bericht,
der jetzt wieder abgegeben werden soll, gesagt wurde.
Mir ist es peinlich, meiner Fraktion ist es peinlich und
vielen Nichtregierungsorganisationen ist es peinlich,
dass Deutschland wieder eine Rüge bekommen wird,
und das nur, weil die Union sich hier nicht bewegt und
die Koalition keine Entscheidung voranbringt. Meine
Fraktion und ich sind der Auffassung: Kinderrechte
müssen für alle in Deutschland lebenden Kinder gelten,
und zwar unabhängig von ihrer Nationalität, von ihrem
Sozialstatus oder ihrem Aufenthaltsstatus. Wir werden
uns weiterhin dafür stark machen.
Vielen Dank.
({4})
Die Rede der Kollegin Kerstin Griese für die SPD-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)
Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. März 2009, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.