Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/18/2009

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich an die historische Bedeutung des heutigen Tages, des 18. März, erinnern. In einem Gedenkjahr wie diesem, das uns immer wieder Gelegenheit zur Erinnerung an den langen Kampf unseres Volkes um Freiheit und Einheit und an Geschichte und Erfolg unserer freiheitlichen Demokratie bietet, sollte auch des 18. März als eines besonderen Datums gedacht werden. Am 18. März 1848 erreichte die sich radikalisierende Bewegung, die von der französischen Februarrevolution von 1848 auch in Deutschland ausgelöst worden war, ihren Höhepunkt. Überall wurden Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte, Gewährung bürgerlicher Freiheiten sowie politischer Teilhabe erhoben. Trotz Zugeständnissen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. an die aufständischen Bürger gingen preußische Truppen gewaltsam gegen Berliner Demonstranten vor. Hunderte von Menschen ließen ihr Leben in den daraufhin ausbrechenden Straßenkämpfen, über tausend wurden verletzt. Schließlich kapitulierte der König und zog seine Truppen am 19. März aus der Stadt zurück. 183 tote Revolutionäre wurden am 22. März vor dem Deutschen Dom am Gendarmenmarkt aufgebahrt. Als der anschließende Trauerzug am Stadtschloss vorbeikam, verneigte sich König Friedrich Wilhelm IV. vor den Toten. Die Revolution hatte gesiegt. Wenige Wochen später begann in der Frankfurter Paulskirche die Beratung über eine Verfassung für ein geeintes und demokratisches Deutschland. Der Berliner Aufstand markiert den ersten demokratischen Aufbruch in Deutschland, auch wenn schließlich doch die monarchischen restaurativen Kräfte wieder erstarkten und die Verfassung der Paulskirche scheiterte. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes ({0}) - Drucksache 16/12224 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/12224 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann wird so verfahren. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, kommen wir noch zu einer nachträglichen Ausschussüberweisung. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Zivildienstgesetzes und anderer Gesetze auf Drucksache 16/10995 nachträglich an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung ebenfalls beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Dr. Annette Schavan. - Bitte schön.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat sich in seiner heutigen Sitzung mit dem Bericht zum Stand des Bologna-Prozesses beschäftigt, bevor dann im April die nächste internationale Konferenz stattfinden wird, die Redetext gleichsam Bilanz über bisherige Prozesse ziehen und Schwerpunkte für die letzte Phase der Umsetzung in den Ländern beschreiben wird. Mittlerweile beteiligen sich 46 Länder. Das heißt, dass dies eine Entwicklung des Wissenschaftssystems ist, die weit über Europa hinausgeht. Dieser Prozess wird vermutlich zu den tiefgreifendsten Veränderungen und Weiterentwicklungen des Wissenschaftssystems seit langem führen. Ziele waren die Veränderung des Wissenschaftssystems als Teil des europäischen Bildungsraumes - jetzt: als Teil des internationalen Bildungsraumes -, Vergleichbarkeit der Abschlüsse, Einführung von Qualitätsstandards und - das ist ein ganz wichtiger Punkt, der bis heute zu heftigen Debatten in den Hochschulen führt die Förderung der Einsicht, dass ein Hochschulstudium nicht allein der Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Tätigkeit dient und die Studiengänge deshalb so weiterentwickelt und umstrukturiert werden müssen, dass sie mit künftigen Berufstätigkeiten in Verbindung stehen. In Deutschland sind nunmehr 75 Prozent des gesamten Studienangebots, rund 30 Prozent aller Studierenden und zwei Drittel aller Studienanfänger in den BolognaProzess einbezogen. Die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge ist ein wirksamer Hebel, wenn es um eine stärkere Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland geht. Das wird an den Mobilitätszahlen deutlich: Die Zahl ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen zum Beispiel ist von rund 108 000 im Jahr 1999 auf jetzt 188 000 gestiegen, mit steigender Tendenz. Wir haben seitens des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung Mobilität gefördert, zum Beispiel indem wir die Möglichkeiten zur Mitnahme des BAföGs verbessert haben. Jetzt sind auch diejenigen, die ab dem ersten Semester im Ausland studieren, BAföGberechtigt. Im Bereich der Qualitätssicherung ist ein Akkreditierungssystem etabliert worden. Die Idee, die vom Bologna-Prozess ausging, einen Qualifikationsrahmen zu schaffen, der in der Gemeinschaft derer, die diesen Prozess vorantreiben, zu Vergleichbarkeit und Transparenz hinsichtlich der Abschlüsse führt, ist auch von Deutschland aufgegriffen worden. Die damit verbundene Zertifizierung von Studiengängen ist in Arbeit. Der Schwerpunkt des in diesem Jahr vorgelegten Berichts - dieser Bericht wird bei der Bologna-Konferenz vorliegen - ist die soziale Dimension. Wir können feststellen, dass bezüglich der damit verbundenen und in diesem Kontext geforderten stärkeren Durchlässigkeit im Bildungssystem - sprich: besserer Zugang zum Hochschulstudium - in Deutschland durch entsprechende Beschlüsse der Landesregierungen und der Kultusministerkonferenz insbesondere in den letzten Monaten - nach den Debatten über den Bildungsbericht, nach dem Bildungsgipfel etc. - einiges auf den Weg gebracht worden ist. Sie wissen, dass die bayerische Landesregierung vor wenigen Wochen - ich glaube, das war der letzte Beschluss einer Landesregierung in diesem Zusammenhang - die Öffnung der Hochschulen für Meister, Techniker und Absolventen beruflicher Bildung beschlossen hat. Zwei große Gruppen stehen mehr oder weniger immer noch zur Debatte: die Juristen einerseits und die Mediziner andererseits. Darüber gibt es erste Debatten in den Ländern. Es gibt Landesjustizminister, die sich eine Umstellung auch bei den Juristen vorstellen können. Sie wissen, dass andere strikt dagegen sind. Ich glaube, dass es für Deutschland wichtig ist, Erfahrungen anderer Länder, zum Beispiel der Schweiz, aufzunehmen. Dieses Thema wird in den nächsten Jahren - dessen bin ich mir ganz gewiss - eine Rolle spielen. Alles in allem ist festzustellen: Der Bologna-Prozess hat in Deutschland Fahrt aufgenommen. Diejenigen, die im kommenden Wintersemester ihr Studium aufnehmen, werden ihr Studium mehrheitlich in einem neu strukturierten Studiengang absolvieren. Vielen Dank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Es gibt eine ganze Reihe von Wortmeldungen, die ich in folgender Reihenfolge aufgeschrieben habe: Cornelia Hirsch, Michael Kretschmer, Cornelia Pieper, Kai Gehring, René Röspel, Anette Hübinger, Krista Sager, Petra Sitte, Ernst Dieter Rossmann und Priska Hinz. - Wir fangen mit Cornelia Hirsch an.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Frau Ministerin, ich wollte zum Thema Mobilität nachfragen. Zum einen sind Sie auf die innerstaatliche Mobilität gar nicht eingegangen, obwohl es hier für Studierende ziemlich große Probleme gibt. Denn mit der Umstellung auf die neuen Studiengänge ist ein Studiengangwechsel innerhalb Deutschlands kaum mehr möglich. Ich hätte gern eine Stellungnahme dazu. Zum anderen haben Sie gesagt, dass die Mobilität insgesamt, europaweit an Fahrt aufnehme. Was sagen Sie dazu, dass laut Ihres Berichts nur 41 Prozent der im Ausland erworbenen Studienleistungen tatsächlich anerkannt werden? Aus unserer Sicht ist das im Zusammenhang mit der Mobilität kein Erfolg.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Zunächst noch einmal zu den Zahlen bezogen auf das Ausland. Ich habe eben nur die Zahl ausländischer Studierender in Deutschland genannt; die Zahl derjenigen, die von Deutschland aus ins Ausland gehen, ist hier nicht berücksichtigt. Die Zahl dieser Studierenden hat sich zwischen 1999 und 2007 verdoppelt. Auch ich höre anhand von Einzelbeispielen, dass es nicht immer zur Anerkennung der Studienleistungen kommt. Dies befindet sich noch im Prozess. Das Problem wird im Laufe der Zertifizierung aller Studiengänge Stück um Stück ausgeräumt werden müssen. Das wird auch ein Thema der Konferenz sein. Ziel ist die vollständige Anerkennung. Natürlich wird das Problem bei Studiengängen, die hier noch nicht umgestellt sind - die Zahl der Mediziner und Juristen ist ja nicht gering -, weiter bestehen. Ich lese gerade: 24 Prozent der Masterstudenten haben mindestens einmal den Studienort innerhalb Deutschlands gewechselt. Bei allen Zahlen, die ich nenne, muss man bedenken, dass sich 30 Prozent der Studierenden jetzt schon in einem neustrukturierten Studiengang befinden. In einem solchen Prozess kann man sagen: Das ist viel, aber das ist noch nicht genug. Angesichts all der Debatten, die wir in Deutschland geführt haben, glaube ich, dass es ein ganz gutes Ergebnis ist, dass zwei Drittel aller, die jetzt ein Studium beginnen, einen neustrukturierten Studiengang vorfinden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Das Fragerecht hat jetzt der Kollege Michael Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank. - Ich möchte Sie, Frau Bundesminister, fragen, was auf der Ministerkonferenz Ende April zum Thema Bologna besprochen werden wird. Wie geht es weiter? Wie blicken andere Länder auf den Bologna-Prozess zurück?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Vorbereitungen dieser Konferenz und die Berichte, die damit verbunden sind, zeigen, dass es in den Ländern einen großen Wunsch nach Konsolidierung gibt. Die Phasen, in denen man noch darüber diskutiert hat, ob es jetzt sinnvoll ist oder nicht, sind vorbei. Deshalb gehe ich davon aus, dass es jetzt im Wesentlichen um die Frage gehen wird: Gelingt es uns, Transparenz und Vergleichbarkeit herzustellen? Daran entscheidet sich dauerhaft die Akzeptanz. Der zweite Punkt, über den auch in den Hochschulen heftig diskutiert worden ist, lautet: Wie gelingt die Verbindung von Wissenschaft und Berufsfähigkeit? Dies betrifft auch den Schwerpunkt unseres Berichtes: die soziale Dimension des Prozesses.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön. - Cornelia Pieper.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass 75 Prozent der Studiengänge inzwischen umgestellt sind, dass wir einen guten Teil der Wegstrecke vorangekommen sind, dass wir aber nun aufpassen müssen, dass der BolognaProzess nicht ins Stocken gerät. Es ist ja so, dass sich die Hochschulen, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, weiterentwickeln und auch die Qualität der Lehre verbessern müssen. Da besteht dringender Handlungsbedarf. Sie kennen natürlich auch die Hinweise der Hochschulrektorenkonferenz und des Wissenschaftsrates, die eine drastische Unterfinanzierung der Hochschulen sehen. Deswegen möchte ich Sie, Frau Ministerin, fragen: Sollte die Hochschulfinanzierung nicht gemeinsam von Bund und Ländern nach einem nachfrageorientierten Modell, also auf der Grundlage von Kostensätzen, getragen werden? Die FDP hatte einmal ein Gutscheinmodell vorgeschlagen. Denken Sie, dass das zur Qualitätsverbesserung von Hochschulen in Deutschland beitragen kann?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Erstens. Die zentrale Maßnahme zur Verbesserung der Lehre an den Universitäten ist die Abschaffung der Kapazitätsverordnung. ({0}) Sie ist bislang das Instrument schlechthin, das im Prozess der Verbesserung der Qualität der Lehre jede damit verbundene größere Selbstständigkeit der Hochschulen verhindert. Wenn man die Kapazitätsverordnung abschafft, kann natürlich nicht nichts bleiben; das ist klar. Dann ist aber der Weg für Zielvereinbarungen zwischen den Ländern und ihren Hochschulen frei. Zweitens. Ich glaube, dass es in Ordnung ist, im Rahmen der Hochschulfinanzierung die Basisfinanzierung in der Verantwortung der Länder zu belassen. Hier brauchen wir keine neuen Ansätze. Im Rahmen der GWK wird momentan über eine Reihe anderer Finanzierungsmodelle diskutiert, etwa über das Modell „Geld folgt Student“. Ich glaube allerdings, dass es keine derartigen Veränderungen geben wird. Drittens befinden wir uns derzeit mitten in den Verhandlungen über den Hochschulpakt II. In diesem Rahmen wird der Bund einen erheblichen Beitrag leisten. Das war auch beim ersten Hochschulpakt der Fall, mit dem wir sowohl bei der Unterstützung der Forschung an den Hochschulen - faktisch wurden auch viele Stellen finanziert - als auch bei der Finanzierung zusätzlicher Studienplätze für einen großen Schub gesorgt haben. Ich sage noch einmal: Der entscheidende Punkt ist die Abschaffung der Kapazitätsverordnung. Geschieht dies nicht, wird kein Geld fließen, egal welches Finanzierungssystem angewandt wird und wie viel Geld zur Verfügung steht. Bleibt die Kapazitätsverordnung in Kraft, wird es an den Hochschulen nicht zu einer Verbesserung der Lehre kommen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Fragerecht geht jetzt an den Kollegen Kai Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Aus unserer Sicht sind die Strategien im Hinblick auf die soziale Dimension des Bologna-Prozesses, die die KMK und das BMBF beschrieben und vorgelegt haben, erschreckend, da die soziale Selektivität auch im Rahmen dieser Reform deutlich zutage tritt. Wenn man sich die Studienanfängerzahlen ansieht, stellt man fest, wie wenige Arbeiterkinder es tatsächlich auf den Hochschulcampus schaffen. Als zentrale Ursache dieses Problems wird die Finanzierbarkeit des Studiums genannt. Da wir gerade über die soziale Dimension des BolognaProzesses diskutieren, möchte ich Sie fragen: Was bedeutet es aus Sicht der Bundesregierung, dass viele Studenten ihr Studium nicht finanzieren können? Welche Veränderungen und Verbesserungen plant die Bundesregierung beim BAföG, bei Studienkrediten und bei Stipendien?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Erstens hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode gemeinsam mit dem Parlament für eine Erhöhung des BAföG gesorgt, und zwar für eine 10-prozentige Erhöhung des Förderbetrages und eine 8-prozentige Erhöhung der Freibeträge. Dadurch hat sich die Zahl der Studenten, die BAföG erhalten, deutlich erhöht. Im Hinblick auf die Durchlässigkeit des Systems stehen wir im internationalen Vergleich sowohl durch diese Maßnahme als auch durch die anderen Maßnahmen im Rahmen der Qualifizierungsinitiative ganz gut da. Das zweite Instrument, das neu geschaffen wurde, sind die Aufstiegsstipendien. Wie Sie wissen, werden in Deutschland 90 Prozent aller Stipendien im Kontext der Bundesregierung vergeben. In Zukunft gibt es nicht nur Begabtenstipendien, die von den elf Begabtenförderungswerken vergeben werden, sondern auch Aufstiegsstipendien. Der dritte Aspekt betrifft die Finanzierung des Studiums durch Studienkredite. Ein gewisser Anteil der Studenten finanziert sein Studium auf diese Weise. Allerdings glaube ich, dass für die Gruppe, die uns besonders interessiert - Studenten aus einkommensschwachen Familien, die nicht dem akademischen Milieu angehören -, die BAföG-Erhöhung und die Einführung der Aufstiegsstipendien am wichtigsten sind; allein in der ersten Runde sind in den letzten Monaten 1 500 solcher Stipendien vergeben worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege René Röspel das Fragerecht.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Gibt es Erfahrungen aus Sicht der Studierenden mit der Umstellung der Studiengänge in Deutschland im Rahmen des Bologna-Prozesses, und, wenn ja, wie sind diese Erfahrungen in den Bericht eingeflossen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es gibt ja eine schon lange dauernde Debatte, ob die neue Struktur, die Bachelor-Studiengänge, am Ende nicht zu zu großen zeitlichen Belastungen der Studierenden führt. Wo es um den Prozess der Qualitätssicherung geht und um erste Erfahrungen mit den neu strukturierten Studiengängen, sind die Studenten über die studentischen Vertretungen beteiligt. Die Umstellung entwickelt sich je nach Fakultät sehr unterschiedlich. Ich glaube, die stärksten Veränderungen erleben die Studierenden der Geisteswissenschaften. Die Studierenden waren es bislang gewohnt, ein sehr selbstbestimmtes Studium zu absolvieren; für sie bedeuten die engeren Strukturen eine größere Umstellung. Bei den Naturwissenschaften ist es nicht so; dort erleben die Studierenden die Umstellung gar nicht als so große Veränderung. Was den Bericht angeht, so ist die Studentenvertretung beteiligt gewesen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Fragerecht geht jetzt an die Kollegin Anette Hübinger.

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir stehen wenige Wochen vor der Ministerkonferenz in Leuven. Mich interessiert, welche Verhandlungsschwerpunkte auf dieser Konferenz gesetzt werden und wo Sie die wesentlichen Ansätze sehen, um mit dieser Konferenz den Bologna-Prozess weiter voranzutreiben.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das zentrale Thema der Konferenz muss sein, in welcher Weise der Bologna-Prozess in den einzelnen Ländern als Reformkatalysator gilt. So unterschiedlich die Situation in den einzelnen Ländern ist: Allein die Tatsache, dass sich 46 Länder beteiligen und weitere Länder schon Interesse bekundet haben, zeigt, dass dieser Prozess eine hohe Attraktivität hat. Mit dem Stichwort „Reformkatalysator“ verbunden ist die Frage, wie die Arbeit an den Qualifikationsrahmen und an der Verbindung der nationalen Qualifikationsrahmen mit dem gemeinsamen Qualifikationsrahmen vorankommt. Im Zusammenhang mit dieser Konferenz wird es ein Bologna-Policy-Forum geben, zu dem Minister aus 20 außereuropäischen Ländern eingeladen sind, um über die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses im Hinblick auf den außereuropäischen Raum zu diskutieren. Viele Instrumente des Bologna-Prozesses sind für das internationale Wissenschaftssystem interessant: die Qualifikationsrahmenstandards, die Leitlinien der Qualitätssicherung und auch das Kreditpunktesystem. Das alles wird außerhalb Europas mit Interesse verfolgt. Mit der Konferenz wird klar werden, wie die reformerische Wirkung im Kreis derer, die am Bologna-Prozess teilnehmen, ist und wie der nächste Schritt in Bezug auf die Einbeziehung von Ländern außerhalb der EU und nicht zuletzt auf anderen Kontinenten aussieht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Krista Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ein Problem, das im Zuge der Reform auftauchte, war, dass es schwer ist, AuslandsaufKrista Sager enthalte und Praktika in diese Struktur zu integrieren. Auch Sie selber haben ein Fragezeichen dahinter gesetzt, ob es klug ist, dass der Bachelor in Deutschland strikt sechs und der Master dann noch vier Semester dauern soll. Sehen Sie in Bezug auf diese Problemlage eine Entwicklung, kann man da Veränderungen feststellen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Erstens. Es gibt eine positive Entwicklung bei der tatsächlich wahrgenommenen Mobilität. Von 1999 bis 2007 hat sich die Zahl derer, die aus Deutschland ins Ausland gehen, verdoppelt. Zweitens. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sechs plus vier zu starr ist, dass es Varianten geben muss. Die Kultusministerkonferenz hat versichert, dass dies in ihrem Beschluss vorgesehen ist. Dies gilt vor allen Dingen mit Blick auf die sechs Semester für das Bachelorstudium. Hier wird in den nächsten Jahren die Frage beantwortet werden müssen, ob sichergestellt ist, dass diese sechssemestrigen Studiengänge international überall anerkannt werden. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es hier Flexibilität geben muss. Aus dem Kopf kann ich Ihnen nicht sagen, wo der Anspruch an Flexibilität schon umgesetzt ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass hier im Zweifelsfalle noch eine Feinjustierung stattfinden wird, sobald erste Erfahrungen vorliegen, spätestens dann, wenn es Probleme mit der Anerkennung gibt. Einzelfälle, denen wir nachgehen müssen, sind bereits bekannt geworden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Petra Sitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, immerhin 7 Prozent der Studierenden haben ein Kind. Nun heißt es im Bericht: Probleme für Studierende mit Kind ergeben sich durch ein unzureichendes Angebot an Teilzeitstudiengängen, zu wenig flexible Studienorganisation, nicht ausreichende Kinderbetreuung sowie bei der Studienfinanzierung. Sind Sie vor diesem Hintergrund der Meinung, dass die Kinderbetreuungszuschläge beim BAföG von 113 Euro bzw. für weitere Kinder von je 85 Euro ausreichen, um die zusätzlichen sozialen Belastungen abzudecken?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Es ist ein enormer Fortschritt, dass nicht nur das BAföG und die Freibeträge deutlich erhöht worden sind, sondern auch ein Kinderbetreuungszuschlag gezahlt wird. Nichts ist so gut, dass es nicht besser werden kann. Aber das Beschlossene stellt eine erhebliche Anstrengung dar. Man muss wissen, dass dieser Bericht Zeiten berücksichtigt, in denen es die BAföG-Erhöhung und den Kinderbetreuungszuschlag noch gar nicht gab. Demgegenüber stellt die aktuelle Situation eine deutliche Verbesserung dar. Jetzt organisieren wir einen Wettbewerb, der die besten Konzepte für Kinderbetreuung an Hochschulen auslotet. Das Konjunkturprogramm ist eine gute Gelegenheit, an deutschen Hochschulen mehr und bessere Kindertagesstätten zu schaffen. Allerdings gibt es in diesem Bereich viel Bewegung. Mir fällt auf Anhieb eine ganze Reihe von Hochschulen ein, die dabei sind, eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke. - Die nächste Frage stellt Dr. Ernst Dieter Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich knüpfe an die Fragen des Kollegen Kretschmer und der Kollegin Sager an. Aus früheren Bologna-Diskussionen wissen wir, dass ein Streitpunkt die Flexibilität und ein zweiter die Strukturierung des Doktorandenstudiums war. Haben Sie Pläne, diese Themen - Ihre Auffassung zu diesen Themen unterstützen wir - gezielt in die nächste Folgekonferenz einzubringen, um bei diesen beiden Punkten noch mehr Klarheit zu schaffen, oder gibt es auf der Bologna-Ebene bereits ausreichend Klarheit? In meiner zweiten Frage greife ich etwas Positives auf. In dem Bericht ist zu lesen, dass ein qualitatives Akkreditierungskriterium die Behindertenfreundlichkeit der Hochschule ist. Können Sie der Öffentlichkeit mitteilen, in welche Richtung man dort denkt, wie wir in Deutschland zu behindertengerechten und -freundlichen Hochschulen kommen können, und wie können wir dies gemeinsam unterstützen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Das Thema Struktur der Doktorandenstudien habe ich schon bei der letzten Konferenz sehr offensiv eingebracht. Letztlich hat die Konferenz die Erwartung geäußert, dass hier ein breites Spektrum an Wissenschaftskulturen akzeptiert wird; dies geht auch aus entsprechenden Formulierungen im Abschlussdokument hervor. Mir ist auch kein Fall bekannt, in dem im Nachhinein noch Probleme aufgetaucht wären. Behindertengerechtigkeit ist bereits Teil des jetzigen Schwerpunkts. Sie wird sich im Wesentlichen an entsprechenden technischen Entwicklungen und baulichen Vorkehrungen festmachen, aber auch bis hin zur Begleitung von Studierenden in besonderen Situationen reichen. Das ist im Wesentlichen Sache der einzelnen Hochschulen, in denen jetzt hier genau wie hinsichtlich der Familienfreundlichkeit sehr viel Dynamik entwickelt wird, weil das auch ein Teil der Qualitätsbewertung ist. Sie zeigen damit, dass sie diese sogenannten soften Faktoren, die sozial hochrelevant sind und international als Qualitätsfaktoren gelten, ernst nehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön. - Die nächste Frage hat die Kollegin Priska Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, es gibt immer wieder Berichte darüber, dass weniger Frauen nach dem Bachelorstudiengang in den Masterstudiengang wechseln. Wenn dem so ist, dann bedeutet das ja, dass Frauen hinterher weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt und auch weniger Chancen haben, eine Karriere wie Männer zu machen, was Gehaltseinbußen bedeutet. Können Sie diese Berichte bestätigen, und, wenn ja: Wie ist Ihre Strategie dagegen, dass Frauen weniger an Masterstudiengängen und im Anschluss an Promotionsstudiengängen teilnehmen?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Meine Mitarbeiter sagen, dass sich das noch nicht allgemein feststellen lässt. Ich kann das also noch nicht bestätigen. Ich will mir das aber gerne als einen Punkt aufschreiben, den wir in Deutschland beobachten sollten, zumal es auch bei der alten Struktur im Verlauf des Studiums - von der Immatrikulation bis hin zur Mitarbeit am Lehrstuhl - erhebliche Verlustquoten gibt. Ich schreibe mir einfach einmal die Aufgabe auf, dies festzustellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage hat der Kollege Uwe Schummer.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, hat sich die Befürchtung bewahrheitet, dass durch die Einführung des Bachelorstudiengangs die Zahl der Studienabbrecher zunimmt, und wie ist die Zahl der Studienabbrecher in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Befürchtung hat sich nicht bestätigt. Durch die letzte Umfrage wurde gezeigt, dass wir bei der Entwicklung der Studienabbrecherquote einen leichten Rückgang von 22 Prozent auf 21 Prozent zu verzeichnen haben. Das betrifft die Studienanfänger der Jahre 1999 bis 2001. Wir befinden uns also noch ziemlich am Anfang des Prozesses. Ehrlich gesagt kann man darüber jetzt also noch nicht sehr viel sagen. Aus dieser Studie ist mir auch in Erinnerung, dass es Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten gibt. Ich fasse das einmal so zusammen: Die Studienabbrecherquote in Deutschland ist noch immer zu hoch. Der Rückgang ist noch nicht signifikant, aber es gibt auch keine signifikante Erhöhung. Wie wir im internationalen Vergleich liegen, kann ich Ihnen jetzt auf Anhieb nicht sagen, aber Deutschland war eigentlich immer für eine zu hohe Verlustquote im Verlauf des Studiums bekannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Kai Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, bei der Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse wurde eine Verbesserung der Betreuungssituation, eine bessere Lehre und vor allem auch eine Gegenfinanzierung dieses gesamten Reformprozesses in Aussicht gestellt. Dieses Versprechen ist aus unserer Sicht bislang überhaupt nicht eingelöst worden. Meine Fragen lauten: Wie soll das künftig gewährleistet werden? Wird die zusätzliche und bessere Betreuungsrelation bei den jetzigen Verhandlungen über den Hochschulpakt II berücksichtigt? Wird das ein Thema bei den Verhandlungen über die Finanzierung sein?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Bei den derzeitigen Verhandlungen über den Hochschulpakt II wird an eine Erhöhung der Pro-KopfSumme von, so glaube ich, 22 000 Euro auf 26 000 Euro gedacht. Darüber wird verhandelt. Im Übrigen ist klar, dass für Verhandlungen zwischen Bund und Ländern immer nur die Zahlen angenommen werden können, die von beiden Seiten akzeptiert werden. Es ist so, wie ich es eben sagte: Eine signifikante Veränderung des Betreuungsverhältnisses gegenüber dem heutigen Zustand wird nur dann erreichbar sein, wenn die Kapazitätsverordnung außer Kraft gesetzt wird. Denn sonst können alle zusätzlichen Gelder nicht zur Verbesserung in der Lehre führen, weil es in der Kapazitätsverordnung klar definierte Zahlen gibt. Es geht nur durch den Ersatz des einen durch anderes, nämlich durch Zielvereinbarungen, die ein besseres Betreuungsverhältnis festschreiben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt die Kollegin Marion Seib.

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, die Studiengänge der Naturwissenschaften haben den Bologna-Prozess sehr gut angenommen und umgesetzt. Aber wie geht es in den Studiengängen Jura und Medizin weiter?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Schwerfällig. Zum Studiengang Jura gibt es in einzelnen Ländern erste Diskussionen. Die Justizminister von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind der Meinung, dass jetzt auch Lösungen für die Juristen gefunden werden müssen. Die Schweiz ist ein Beispiel dafür, wie man vorgehen kann und dass die Umstellung keine schlimmen Folgen hat. Das Bundesjustizministerium ist bislang anderer Meinung, sodass ich davon ausgehe, dass es noch ein bisschen Zeit braucht. Wichtig ist, dass zunächst einmal in den Ländern Konsens erzielt wird. Beim Studiengang Medizin ist es vergleichbar. Sie alle kennen den Einwand: Wer will schon von einem Bachelor operiert werden? Tatsache ist aber, dass etwa 50 Prozent der Absolventen aus Medizinstudiengängen nicht den Arztberuf ergreifen und dass es ein paar Hundert Gesundheitsberufe gibt. Insofern ist auch in diesem Bereich eine Umstellung sehr wohl denkbar, wenn man nicht ausschließlich den Facharzt im Blick hat, sondern auch das breite Spektrum der Gesundheitsberufe. Meine Prognose ist: Es wird noch etwas dauern, aber über kurz oder lang wird die Umstellung auch in Deutschland kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Krista Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein Problem, über das viele Studierende klagen, besteht darin, dass im ersten Reformschritt bei der Umstellung der Studiengänge auf die Bachelorstruktur zum Teil eine sehr starke Verdichtung eingetreten ist, Inhalte eines Diplomstudiengangs in einen Bachelorstudiengang hineingepresst worden sind und die Studierbarkeit nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben ist. Wie hoch ist der Anteil der Hochschulen, die inzwischen die Studierbarkeit ihrer Studiengänge evaluiert und eine Neujustierung der Studiengänge vorgenommen haben? Gibt es dabei Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen? Wo stehen wir in dieser Frage in Deutschland?

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Die Evaluierung der Studiengänge erfolgt im Kontext von Akkreditierung. Mir liegt keine Übersicht vor, wie hoch der Anteil der Hochschulen ist, die gegebenenfalls schon Feinjustierungen vorgenommen haben. Ich halte das aber für zwingend, weil sich die Umstellung auf die Bologna-Regelungen nicht darauf beschränken kann, nur das Etikett auszuwechseln und ansonsten die Dinge so zu lassen, wie sie sind. In der Hochschulrektorenkonferenz gibt es eine Reihe von Fachleuten für den Bologna-Prozess, die die Hochschulen beraten. Ich glaube, dass die Vertreter der Studierendenorganisationen es deutlich artikulieren sollten, wenn sie den Eindruck haben, dass alles beim Alten geblieben ist und nur mit einem neuen Etikett versehen wurde. Auch innerhalb der Hochschulen muss es entsprechende Debatten geben. Ich sage das, weil ich glaube, dass das an der einen oder anderen Stelle der Fall ist. Es sind alle Instrumente vorhanden, um dies festzustellen und zu korrigieren. Dieser Prozess muss sich innerhalb der Hochschulen, die viel Wert auf ihre Autonomie legen, und der sie begleitenden Institutionen vollziehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke. - Wenn es keine Fragen außerhalb dieses Themenbereichs an die Bundesregierung gibt, dann könnte ich noch eine letzte Frage des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann zulassen. Ist das der Fall? - Bitte schön, Herr Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. - Frau Ministerin, weil Sie verstärkt die Kapazitätsverordnung angesprochen haben, nur so viel: Wir kennen Ihre Meinung, müssen sie aber nicht teilen. Ich möchte Sie zu etwas anderem befragen. Lange war streitig, ob die Beratungsleistung in Bezug auf den Bologna-Prozess an den Hochschulen von Bund und Ländern ausreichend und gut organisiert ist. Vielleicht können Sie dazu eine Einschätzung abgeben, was das in Zukunft in Bezug auf das gemeinsame Aufgabenfeld bedeutet, ob wir noch Beratungsleistungen an den Hochschulen mitorganisieren müssen oder ob das ein Selbstläufer ist.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Mir liegen keine Anforderungen vor, das Beratungssystem, das im Wesentlichen von der Hochschulrektorenkonferenz zur Verfügung gestellt wird, zu erweitern und zu verbessern. Wenn es Bedarf gibt, kann man darüber sprechen. Ich nehme Bezug auf das, was Frau Sager gesagt hat. Wenn nun 75 Prozent der Studiengänge umgestellt sind, ist entscheidend, dass diejenigen, die beraten, den Problemen, die immer wieder benannt werden, nachgehen und im Zweifelsfall Feinjustierungen vornehmen. Allerdings werden Sie feststellen - das hat etwas mit der jeweiligen Wissenschaftskultur zu tun -: In den Naturwissenschaften funktioniert das alles ziemlich gut. Diese haben keine so große Verdichtung erlebt, weil sie schon immer klare Strukturen hatten. Das gilt auch für die technischen Wissenschaften. Die größte Umstellung - auch in mentaler Hinsicht - erfahren natürlich die Geisteswissenschaftler. Sie brauchen etwas Zeit. Jeder, der Geisteswissenschaften studiert hat, weiß, was ich meine.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich beende die Regierungsbefragung. Vielen Dank, Frau Ministerin Schavan. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde - Drucksachen 16/12246, 16/12269 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/12269 auf. Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner zur Verfügung. Wir kommen zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Volker Schneider: Wann ist die Deutsche Rentenversicherung Bund erstmals über den zu erwartenden statistischen Einmaleffekt der Lohnentwicklung in Ostdeutschland durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, informiert worden, und wie genau erklärt sich die rechnerische Höhe des Einmaleffekts, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms den das BMAS in seiner Pressemitteilung zur Rentenerhöhung 2009 mit einem höheren Lohnniveau in den neuen Bundesländern als in den vergangenen Jahren begründet ({0})? Bitte schön, Herr Brandner.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Schneider, wir hatten schon heute Morgen im Ausschuss Gelegenheit, über Ihre Fragen zu diskutieren. Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Zuerst will ich feststellen, dass die Rentenanpassung immer nach Recht und Gesetz erfolgt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund wurde am 16. März 2009 über die Höhe der Rentenanpassung, wofür die zugrunde liegende Lohnentwicklung maßgebend ist, informiert. Die Renten in den alten Bundesländern steigen danach zum 1. Juli 2009 um 2,41 Prozent und in den neuen Bundesländern - hier gibt es eine deutlich stärkere Rentenanpassung - um 3,38 Prozent. Die Rentenanpassung 2009 ergibt sich daraus, dass die anpassungsrelevanten Löhne im Westen um rund 2,1 Prozent und im Osten um rund 3,1 Prozent gestiegen sind. Der höhere Wert im Osten ist darauf zurückzuführen, dass das Statistische Bundesamt für die letzten Jahre in den neuen Bundesländern nun ein höheres Lohnniveau ausweist als im vergangenen Jahr. Nach Aussage des Statistischen Bundesamtes ist hierfür die turnusmäßige Neuberechnung der Bruttolöhne und -gehälter in den einzelnen Bundesländern verantwortlich. Verschiedene, neue und aktualisierte Quellen vor allem aus dem Bereich der Personalstandsstatistik führten zu Veränderungen der Angaben in bestimmten Bereichen wie der öffentlichen Verwaltung. Die Renten sollen zeitnah den Löhnen folgen. Daher ist die Verwendung aktueller Daten unumgänglich. Um eine Rentenanpassung zum 1. Juli durchführen zu können, muss auf die im März vorliegenden Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes Bezug genommen werden. Diese Daten werden vom Statistischen Bundesamt im Zuge der regelmäßigen Berichterstattung auf der Basis erst später verfügbarer, zusätzlicher statistischer Informationen regelmäßig aktualisiert. Es sind also alle Daten eingeflossen, die zum Zeitpunkt der Bewertung vorhanden waren. In Bezug auf die Rentenanpassungen sind solche Korrekturen aus unserer Sicht unproblematisch; denn bei der Berechnung der Veränderungsrate der Löhne werden die aktuellen Daten auf die Werte bezogen, mit denen auch die letzte Rentenanpassung berechnet wurde. Auf diese Weise wird immer auf den aktuellsten Stand der verfügbaren statistischen Informationen Bezug genommen, und eine statistische Aktualisierung früherer Werte wird automatisch berücksichtigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Nachfrage, Herr Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wir bemühen uns seit einiger Zeit - das haben wir unter anderem heute Morgen im Ausschuss getan -, einmal differenzierter zu erfahren, welche Korrekturen es denn gegeben hat; darauf zielte auch diese Frage. Ich stelle zunächst einmal fest: Sie geben dazu erneut keine Auskunft. Aber ich will Ihnen, was die Auswirkungen anbelangt, vielleicht etwas auf die Sprünge helfen. Durch das Verfahren, das Sie beschrieben haben, ist das Entgelt für das Jahr 2007 im Osten im Nachhinein tatsächlich um 218 Euro angehoben worden. Nun weiß natürlich jeder: Würden wir im Vergleich dazu ermitteln, wie die Löhne gestiegen sind, dann müsste die Lohnsteigerung, würden wir dieses angehobene Entgelt zugrunde legen, eigentlich geringer ausfallen. Sie würde nämlich nur bei 2,1 Prozent statt bei 3,1 Prozent liegen. Daher frage ich Sie: Ist es nicht so, dass die ungewöhnlich hohe Steigerung der Renten im Osten weniger ein Verdienst der Politik der Bundesregierung ist, sondern vielmehr auf statistische Fehler zurückzuführen ist, die dazu geführt haben, dass die Löhne im Osten sowohl in den Jahren 2004 und 2005 als auch in den Jahren 2006 und 2007 zu niedrig angesetzt waren, was erst durch das von Ihnen beschriebene Verfahren korrigiert wurde, die Rentnerinnen und Rentner Ost also in den Jahren 2004 bis 2007 eigentlich zu niedrige Renten bezogen haben, und dass die tolle Steigerung, die sie jetzt erfahren, zu einem ganz großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie jetzt eigentlich das bekommen, was ihnen schon ab 2004 zugestanden hätte? ({0}) - Das war eine Frage. ({1})

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Zuallererst möchte ich festhalten: Der Zwischenrufer hat völlig recht. Sie haben eine Feststellung getroffen. Sie wollten mir auf die Sprünge helfen, haben es aber tatsächlich nicht getan. Sie haben eine klare Auskunft bekommen, Herr Schneider; denn ich habe Ihnen die Bezugsquelle konkret genannt, habe Ihnen gesagt, woher die statistischen Werte kommen, die für die Rentenberechnung zugrunde gelegt werden, nämlich dass es die des Statistischen Bundesamtes sind, das die Daten regelmäßig aktualisiert. Diese aktualisierten Daten sind Grundlage für die Rentenberechnung. Des Weiteren haben Sie ausgeführt, die Rentenerhöhung sei nicht das Verdienst der Bundesregierung, weil die Bundesregierung die Löhne und Gehälter nicht entsprechend verändert oder festgesetzt habe. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass nicht die Bundesregierung die Löhne und Gehälter festsetzt, sondern dass das Sache der Tarifvertragsparteien oder auch der einzelvertraglichen Parteien ist. Die Bundesregierung wird höchstens im Rahmen von Mindestlöhnen auf der Basis von Tarifverträgen Lohnregelungen vereinbaren. Insofern hat die Bundesregierung auch nie für sich in Anspruch genommen, dass die Rentensteigerung ihr Verdienst sei; vielmehr ist es im Osten wie im Westen so, dass die Renten den Löhnen folgen. Sie haben ferner auf statistische Fehler hingewiesen. Ich sage Ihnen: Sie haben, ohne dafür einen Beleg zu benennen, einfach behauptet, es gäbe statistische Fehler. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass das Statistische Bundesamt Daten, die aktuell einfließen, aufnimmt und in die Berechnungen einstellt. Wenn Sie dazu Fragen haben, bitte ich Sie, sie an das Statistische Bundesamt zu richten und sie sich von dort beantworten zu lassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage, bitte.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, das ist doch einigermaßen unbefriedigend. Sie arbeiten schließlich mit den Daten des Statistischen Bundesamtes. Können Sie mir bestätigen, dass die Jahresarbeitsentgelte für den Osten rückwirkend für 2004 um 30 Euro, für 2005 um 50 Euro, für 2006 um 130 Euro und für 2007 um 3 Euro, also insgesamt - wie ich gesagt habe - um 218 Euro, angehoben wurden und dass nun mit einem Verdienst 2007 von 22 322 Euro gerechnet wird, statt - wie bisher - mit einem Verdienst von 22 104 Euro? Ist es richtig, dass sich daraus ergibt, dass in diesem Jahr im Osten eine Lohnentwicklung von 2,1 Prozent zugrunde gelegt werden müsste, was dazu führen würde, dass die Rentenanhebung im Osten niedriger wäre als die Rentenanhebung im Westen, dass man aber stattdessen mit 3,1 Lohnentwicklung arbeitet, damit man jetzt quasi das aufholt, was in der Vergangenheit - warum auch immer - falsch ermittelt wurde, oder sage ich hier etwas Falsches?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Ich stelle zuerst fest, dass nichts falsch ermittelt worden ist. Ich habe Ihnen vielmehr die Berechnungsgrundlage der gesetzlichen Rente erläutert. Sie haben bisher keinen Beleg dafür gebracht, dass eine falsche Ermittlung durch die Bundesregierung oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stattgefunden hat. Ich habe weiter erläutert, dass die statistischen Daten auch im Nachhinein regelmäßig überprüft werden und Faktoren, die Berücksichtigung finden müssen, in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einfließen. Die Daten sind also am aktuellen Tag nicht hundertprozentig korrekt. Dies haben wir bewusst immer hingenommen, weil wir wollen, dass sich die Rentenanpassung an aktuellen Werten orientiert. Da im nächsten Jahr die Differenz zwischen den Werten von 2009 und 2008 ermittelt wird und diese Differenz rentenrechtlich berücksichtigt wird - entweder rentensteigernd oder rentenmindernd -, ergeben sich für die Menschen in diesem Land, auch für die in den neuen Bundesländern, keine Nachteile.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung insbesondere aufgrund der Ergebnisse des aktuellen Besuchs des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie in den USA zur Fortführung des Automobilunternehmens Opel im Rahmen einer europäischen Lösung und unter Beteiligung des Bundes, der Bundesländer, in denen Opel-Standorte sind, sowie der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Bitte schön.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Dr. Enkelmann, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung prüft zurzeit in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen, mit seiner amerikanischen Mutter und unter Einbeziehung der amerikanischen Regierung die Möglichkeit zur Fortführung des Automobilunternehmens Opel. Dafür müssen aber gewisse Voraussetzungen gegeben sein, nämlich ein wirtschaftlich und rechtlich tragfähiges Zukunftskonzept. Das liegt noch nicht vor.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage, Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war ein bisschen dürftig, Frau Staatssekretärin. Eines der Probleme betrifft die Patente. Sie selbst haben, nachdem Herr zu Guttenberg zurück war, gesagt, es scheine so, dass die Patente beim US-Finanzministerium verpfändet seien. Gibt es, sollte es gelingen, eine Lösung im Sinne eines eigenständigen Unternehmens Opel herbeizuführen, tatsächlich die Chance eines Zugriffs auf diese Patente? Diese wären für das Unternehmen lebenswichtig. Das ist meine erste Nachfrage. Meine zweite werde ich dann anschließen.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Wenn Sie in Ihrer dringlichen Frage nach den Patenten gefragt hätten, hätte ich sie gleich beantwortet. Ich beantworte sie jetzt wie folgt: Die Patente sind verpfändet - heute früh waren im Wirtschaftsausschuss Vertreter von Opel bei uns -, Fakt ist aber auch, dass die Patente nicht sicherungsübereignet sind. Für eine zukünftige Selbstständigkeit des Unternehmens Opel werden die Patente eine wichtige Rolle spielen. Das heißt, dass dann, wenn die Contracts zwischen GM, dem Treasury und der Opel AG gemacht worden sind, Gespräche geführt werden müssen, wie mit den Patenten zukünftig zu verfahren ist. Sie haben vollkommen recht: Das ist für die Überlebensfähigkeit, für das zukünftige Weiterexistieren von Opel von grundsätzlicher Bedeutung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Noch eine Nachfrage?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe noch eine Nachfrage. - Es wäre wahrscheinlich ein sehr großer Druck der Bundesregierung notwendig, um tatsächlich an die Patente zu kommen. Jetzt zu meiner zweiten Nachfrage: Heftige Kritik an der Reise von Herrn zu Guttenberg übt unter anderem der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer, der unter anderem von Politikmarketing spricht und der behauptet, CDU und CSU würden den Autobauer Opel gar nicht retten wollen. Er spricht von Hinhaltetaktik und äußert den Vorwurf, man lasse Opel totlaufen usw. Er fordert in diesem Zusammenhang eine deutliche Aussage der Bundesregierung hinsichtlich einer Staatsbeteiligung an Opel. Teilen Sie diese Auffassung? Wird in der Bundesregierung überhaupt geprüft, ob dieses Unternehmen mithilfe einer staatlichen Beteiligung - auch wenn sie nur vorübergehend ist - gerettet werden kann?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Die Bundesregierung denkt nicht an eine Staatsbeteiligung. Der Minister ist in Amerika gewesen. Wir sehen diesen Besuch als einen Fortschritt an. Immer noch sind sehr viele Fragen offen; inzwischen sind aber einige Fragen geklärt worden. Im Rahmen dieses Besuches ist festgestellt worden - dafür waren wir sehr dankbar -, dass sich GM eine Minderheitsbeteiligung vorstellen könnte; bis jetzt ist das immer ganz offen gewesen. Eine solche Beteiligung ist eine Voraussetzung dafür, dass Opel in eine rechtliche Selbstständigkeit entlassen werden kann. Es wurde auch ganz deutlich, dass ein großes Interesse am Weiterbestand von Adam Opel Europe besteht. Auch das wurde bisher in diesem Zusammenhang noch nicht so klar und deutlich gesagt. Eine enge Zusammenarbeit wurde vereinbart. Zukünftig wird von der Regierung ein Koordinator eingesetzt werden, der im stetigen Kontakt mit den einzelnen Akteuren ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt stellt die Kollegin Sevim Da_delen eine Frage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Wöhrl, Sie haben in Ihrer Antwort gesagt, dass Fragen geklärt worden sind. Es gibt unterschiedliche Medienberichte über den Besuch des Bundeswirtschaftsministers. Die Financial Times Deutschland schreibt, der Einstieg des Bundes sei ausgeschlossen und die Ergebnisse des mit Spannung erwarteten Treffens dürften in Deutschland vor allen Dingen für Enttäuschung sorgen. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung in der Lage wäre, uns, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, über diese Ergebnisse zu unterrichten - offensichtlich ist dies gegenüber der Financial Times Deutschland bereits geschehen -: Welches sind also die konkreten Ergebnisse der Gespräche, die die Bundesregierung in den USA vor kurzem geführt hat, abgesehen von der Vereinbarung, dass in der nächsten Zeit ein Koordinator eingesetzt werden soll?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Für uns als Bundesregierung ist es vor allem notwendig gewesen, verschiedene Punkte gegenüber den Akteuren in Amerika klarzustellen. Es ist eindeutig, dass in Amerika momentan die wichtigen Ereignisse stattfinden müssen. Es müssen Contracts zwischen dem Mutterkonzern und der amerikanischen Regierung geschlossen werden. Der amerikanischen Regierung muss ein Konzept vorgelegt werden; ein solches Konzept liegt noch nicht vor. Danach müssen Verträge mit der Adam Opel AG geschlossen werden. Erst wenn das geschehen ist, können wir hier über dieses Konzept entscheiden. Für uns war es sehr wichtig, in diesem Gespräch darzulegen, dass wir nicht in Vorleistung gehen werden, bevor dieses Konzept auf dem Tisch liegt. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Man hat manchmal das Gefühl gehabt, dass auf amerikanischer Seite von falschen Voraussetzungen ausgegangen wird. Wir sind Treuhänder von Steuergeldern. Wir tragen Verantwortung dafür, dass Steuergelder in ein zukunftsfähiges, wettbewerbsfähiges Konzept fließen. Diesbezüglich sind noch nicht alle Fragen beantwortet. Der Minister hat bei seinen Gesprächen auf die offenen Fragen direkt und explizit hingewiesen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt der Kollege Volker Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie haben davon gesprochen, dass eine Reihe von Fragen offenbleibt. Sie haben mit Recht davon gesprochen, dass eine Reihe dieser Fragen existenziell ist. Eine dieser Fragen ist, ob Opel wie bisher im GM-Verbund nur europaweit Autos verkaufen darf oder ob es das, wie es die Arbeitnehmervertreter fordern, zukünftig auch weltweit tun darf. Hat das bei den Gesprächen in den USA eine Rolle gespielt und, wenn ja, mit welcher Tendenz?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Es hat heute Morgen bei uns im Ausschuss eine Rolle gespielt; dieses Thema wurde auch von den Arbeitnehmervertretern angesprochen. Außerdem wurde angesprochen, dass ein Mehrheitsaktionär gesucht wird. Wenn eine rechtliche Selbstständigkeit, also die Loslösung vom Mutterkonzern, gegeben ist, dann wird angestrebt, die eigenen Produkte weltweit zu vertreiben. Man sieht darin auch eine Notwendigkeit. Ich glaube, diesen Argumenten kann man sich anschließen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege Bodo Ramelow.

Bodo Ramelow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003824, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, ich würde gern drei Tatbestände erwähnen, bevor ich meine Frage stelle. Sie haben in Interviews von der Option gesprochen - so berichten zumindest die Medien -, deutsches Insolvenzrecht anzuwenden. Ferner habe ich gelesen, dass unter Verweis auf Sie gesagt wurde, die finanziellen Mittel von Opel würden derzeit wohl bis April reichen. Mich hat in dem Zusammenhang die Frage umgetrieben, ob das nur Barmittel oder auch Kreditlinien oder noch andere Positionen sind; denn Herr zu Guttenberg weist ja darauf hin, dass GM allein für Entwicklungsarbeit Opel 1 Milliarde Euro schuldet. Ein weiterer Tatbestand: Im November sind auf die deutschen Werke Bürgschaften in Höhe von 1,5 Milliarden Euro gezogen worden, die GM im Rahmen des Cash-Managements in die USA abgezogen hat. Berücksichtige ich diese drei Komponenten, dann bleibt für mich die Frage: Wie wirkt sich aus Ihrer Sicht nach deutschem Insolvenzrecht der Tatbestand des Abzugs dieser Gelder aus, wenn vorher in den USA Gläubigerschutz nach Chapter Eleven beantragt würde?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ich glaube, Sie haben mich falsch interpretiert. Ich habe auf eine Frage bezüglich des Insolvenzrechts nur geantwortet, dass wir ein sehr modernes Insolvenzrecht haben und dass in Deutschland viele Unternehmen aus einer Insolvenz gestärkt hervorgegangen sind. Ich habe nicht gesagt, dass es Planungen gibt, das Insolvenzrecht auf Opel anzuwenden, sondern nur auf die allgemeine Frage, wie ich das deutsche Insolvenzrecht bewerte, geantwortet, dass ich es nicht als Makel, sondern als Teil unserer sozialen Marktwirtschaft sehe. Fakt ist auch, dass das Insolvenzrecht zurzeit keine Rolle spielt, sondern dass wir alle gemeinsam eine Lösung dafür suchen, Opel rechtlich selbstständig zu machen und aus dem Verbund der Mutter GM herauszulösen. Wenn ein Konzept vorliegt, sind wir auch gern zur Unterstützung bereit. Ob Gläubigerschutz nach Chapter Eleven beantragt wird, wird sich in den nächsten Monaten entscheiden. Bis jetzt wurde uns gesagt, dass die finanziellen Möglichkeiten sehr knapp sind und dass es schon im März um die Überlebensfrage gehen kann. In den USA wurde deutlich, dass bei der Mutter Einsparungen stattgefunden haben, sodass jetzt ein Überleben bis April möglich ist. Wir müssen abwarten, wie die US-amerikanische Regierung entscheidet. Sie wird erst dann entscheiden, wenn GM ein Konzept vorgelegt hat. Ein solches Konzept liegt bis jetzt noch nicht auf dem Tisch. Fakt ist aber auch, dass Opel kein eigenes Konto hat; zurzeit läuft alles über ein Cash-Management. Wir müssen dafür sorgen - das war heute früh schon Thema -, dass sich das Unternehmen mit seinen Verträgen schon jetzt so aufstellt, dass es sofort handeln kann, wenn in den USA das Konzept vorliegen wird, und keine Verzögerungen eintreten. Das Unternehmen sucht zurzeit Investoren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage stellt die Kollegin Heike Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass Sie mit Steuergeldern verantwortungsvoll umgehen möchten und Konzepte einfordern, bevor Geld fließt. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das Vorgehen der Bundesregierung in den letzten Monaten bezüglich der meines Erachtens doch sehr vorschnellen Bereitstellung von Cash? Wenn wir uns das bei den Banken anschauen - ich nenne zum Beispiel die IKB, die Commerzbank und die Hypo Real Estate -, dann kommen wir zu dem Schluss, dass weder das Ziel erreicht wurde, nämlich die Kreditvergabe wieder in Gang zu bringen, noch verantwortungsvoll mit Steuergeldern in Milliardenhöhe umgegangen wurde.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ich glaube schon, dass wir sehr verantwortungsvoll mit Steuergeldern umgegangen sind, vor allem, wenn man berücksichtigt, was geschehen wäre, wenn wir das nicht gemacht hätten. Vielleicht gehen Sie einmal in sich und überlegen sich, was passiert wäre, wenn die Menschen am Tag darauf hätten feststellen müssen, dass kein Geld mehr von Geldautomaten ausgezahlt worden wäre. Fakt ist auch, dass wir bei der Hypo Real Estate mit Bürgschaften arbeiten und nicht Geld zur Verfügung stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Die dringlichen Fragen sind jetzt beantwortet. Sie sind allerdings weiter gefragt; denn die Fragen, die diesen Sachzusammenhang betreffen, werden vorgezogen. Deswegen kommen wir jetzt zur Frage 22 der Kollegin Sevim Dağdelen: Wann konkret gedenkt die Bundesregierung ihre Entscheidung über Art und Umfang von Hilfsleistungen für die Adam Opel GmbH zu treffen, nachdem sie diese Entscheidung ursprünglich bereits für März 2009 angekündigt hatte, nun aber nicht vor April 2009 treffen will, und inwieweit scheitert eine rasche Lösung daran, um seitens der Bundesregierung „nach Argumenten zu suchen, um Opel nicht zu helfen“, obwohl es sich bei der Adam Opel GmbH sehr wohl um ein „systemrelevantes Unternehmen“ handelt, das wegen der Anzahl an Arbeitsplätzen im Unternehmen und im Zuliefererbereich „entscheidend für den Wohlstand der gesamten Gesellschaft“ ist ({0})? Bitte schön.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Diese Frage geht in die gleiche Richtung wie die Frage von Frau Dr. Enkelmann. Auch zu dieser Frage kann ich nur sagen, dass die Bundesregierung eine Entscheidung treffen wird, sobald ein tragfähiges, belastbares Zukunftskonzept vorliegt. Für die Entscheidung über den Einsatz staatlicher Hilfen sind, wie gesagt, unter anderem die volkswirtschaftliche Förderungswürdigkeit, andere Finanzierungsmöglichkeiten und die langfristige Tragfähigkeit des vom Unternehmen vorzulegenden Plans zu prüfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Dağdelen?

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Zunächst muss ich Ihre Eingangsfeststellung korrigieren: Die Frage von Frau Dr. Enkelmann bezog sich auf die Möglichkeiten, die die Bundesregierung zur Fortführung des Automobilunternehmens Opel sieht. Meine Frage stellt darauf ab, dass in den letzten Monaten von Arbeitsgruppen der Bundesregierung zum Thema Opel die Rede war und es immer wieder Verlautbarungen von Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung gab, dass man im März zu einer Entscheidung kommen wolle. Dann hieß es, Ende März wolle man entscheiden. Jetzt sind wir schon bei April. Nimmt die Bundesregierung zur Kenntnis, dass zum Beispiel allein in Europa 400 000 Arbeitsplätze betroffen sind und Hunderttausende Menschen jeden Tag Zukunftsängste haben bzw. verunsichert sind, vor allen Dingen wegen der unterschiedlichen Berichterstattung und der unterschiedlichen Aussagen von Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung, insbesondere ihrer Minister? Wie steht sie zu der Einsicht, dass man, ehe man öffentliche Gelder für etwas ausgibt, erst einmal selber ein Konzept erstellen sollte und sagen sollte, unter welchen Bedingungen man überhaupt bereit ist, öffentliches Geld zur Rettung von Opel zu geben?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Die Regierung - ich kann, wie ich glaube, im Namen aller sprechen - macht sich sehr viele Gedanken und auch Sorgen um die Opelaner und ihre Familien und wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um einen rechtlich selbstständigen Weiterbestand zu ermöglichen. Fakt ist aber auch: Wir sind nicht das Unternehmen. Das Unternehmen muss erst einmal ein tragfähiges Konzept auf den Tisch legen. Solange das nicht vorliegt und unsere Fragen, die ja in diesem Konzept aufgegriffen werden sollen, nicht beantwortet sind, können wir nicht handeln. Es ist zum Beispiel immer noch nicht dargelegt, auf welche Weise dem Abschottungsprinzip Geltung verschafft werden könnte, damit die Gelder hier in Deutschland bleiben. Ich glaube, es liegt im Interesse von niemandem von uns, wenn wir fast 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, dieses Geld aber nicht in Deutschland bleibt und nicht die hiesigen Arbeitsplätze, sondern Arbeitsplätze in Amerika oder irgendwo anders gesichert werden. Deswegen müssen wir vorsichtig und überlegt an die Sache herangehen, damit wir das Ziel, das wir haben, auch erreichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, Herr Präsident, ganz kurz. - Selbstverständlich, Frau Wöhrl, haben wir alle das gleiche Interesse daran, dass öffentliche Gelder, also Steuergelder, nicht in die USA abfließen, sondern den Betroffenen zugutekommen und entsprechenden Bedarf abdecken. Es lässt aber schon zu wünschen übrig, wenn man auf eine entsprechende Entscheidung monatelang warten muss. Meine zweite Frage zielt auf eine Meldung in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung ab, nach der es laut Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Vertreterinnen und Vertreter ist, dass Autos von Opel über die Grenzen Europas hinaus exportiert werden dürfen. Ist dies auch Bestandteil der Gespräche gewesen, die die Bundesregierung in den USA geführt hat, oder, falls nicht, gedenkt die Bundesregierung diese vor allen Dingen vonseiten der Belegschaft erfolgte Anregung aufzunehmen und in die weiteren Gespräche einfließen zu lassen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Frage war schon einmal gestellt; aber vielleicht wiederholen Sie Ihre Antwort.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Das Wichtigste, was man aus den Gesprächen in Amerika mitnehmen kann, ist, dass die Mutter bereit ist, ein Minderheitsaktionär zu werden. Das ist die erste Voraussetzung für eine mögliche Selbstständigkeit des Unternehmens. Wichtig ist allerdings auch, einen Mehrheitsaktionär, einen Investor zu finden. Dann kann Opel rechtlich selbstständig seine Produkte über die Grenzen Europas hinaus verkaufen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Enkelmann, Sie hatten noch eine Frage. Bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie hatten unter anderem gesagt, dass das Unternehmen gefordert ist, Investoren zu suchen. Nun gestaltet sich die Suche möglicherweise schwierig, wenn ein Teil der Rahmenbedingungen bis heute nicht geklärt ist, zum Beispiel die Frage der Patente, über die wir vorhin schon gesprochen haben. Wäre es nicht möglich, dass zur Gewinnung von Investoren auch eine staatliche Bürgschaft als Sicherheit dienen könnte? Wird das in der Bundesregierung ernsthaft geprüft?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Uns wurde heute Morgen im Wirtschaftsausschuss vonseiten des Unternehmens mitgeteilt, dass es Interessenten gibt und dass innerhalb der nächsten vier Wochen mit diesen Interessenten Kontakt aufgenommen wird, um das Interesse zu prüfen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen; das ist ja im Übrigen auch Ihre Pflicht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ({0}) - Das habe ich nicht gesehen; jetzt sind wir schon weitergegangen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur Verfügung. Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Christine Scheel auf: Was sind die steuerlich relevanten Gründe, dass die Adam Opel GmbH im Zeitraum 2005 bis 2007 von den deutschen Finanzämtern Erstattungen in Höhe zweistelliger Millionensummen erhalten hat ({1}), obwohl sie laut Interview von Betriebsratschef Klaus Franz 2006, 2007 und bis September 2008 schwarze Zahlen geschrieben hat ({2})? Frau Kressl, bitte schön.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegin Scheel, Sie fragen nach sehr konkreten steuerlichen Sachlagen, bezogen auf einen konkreten Steuerpflichtigen. Nach § 30 der Abgabenordnung gibt es das Steuergeheimnis, das verhindert, dass ich Ihnen diese Fakten hier öffentlich mitteile.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kollegin Scheel?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, mir ist sehr wohl bekannt, dass es in der Abgabenordnung das Steuergeheimnis gibt. Allerdings hat in einer Situation wie der derzeitigen, in der über staatliche Hilfen, über eventuelle Bürgschaften des Staates - wir hatten das Thema ja auch in den vorherigen Fragen - diskutiert wird, die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran, ob Opel Zahlungen in Deutschland geleistet hat. Vor dem Hintergrund dieses öffentlichen Interesses sind in verschiedenen Zeitungen, zum Beispiel in der Welt, Summen genannt geworden. Danach hat es im Jahr 2005 eine Rückerstattung von rund 48,5 Millionen Euro, im Jahr 2006 eine Zahlung in der Größenordnung von etwa 960 000 Euro - also nicht einmal 1 Million Euro - und im Jahr 2007 eine Zahlung von 18,5 Millionen Euro gegeben. Schlussfolgerung: In diesen drei Jahren wurde insgesamt mehr rückerstattet als gezahlt. Ich glaube, dass es in der derzeitigen Situation, auch in politischer Hinsicht, durchaus - trotz des Steuergeheimnisses - adäquat wäre, vonseiten des Bundesfinanzministeriums wenigstens grobe Angaben darüber zu bekommen, ob in Deutschland Rückerstattungen geleistet wurden, ohne dass eine Zahlung erfolgt ist, ob das verrechnet wurde oder wie sich die Zahlen zusammensetzen. Ist es also letztendlich so, dass die Gewinne abgeflossen sind, aber die Verluste hier geltend gemacht wurden? Ich glaube schon, dass die Bevölkerung einen Anspruch darauf hat, zu wissen, ob vonseiten des Unternehmens mit GM eine Firmenstrategie gefahren wird, die da heißt: Das Positive kommt dem amerikanischen Steuerzahler zugute, und das Negative wird in Deutschland angesetzt.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich versuche einmal, eine Frage herauszufiltern. Diese muss ich wiederum damit beantworten, dass Sie sich auf Presseberichte beziehen. Sie wissen aber, dass ich hier die Bundesregierung vertrete und § 30 Abgabenordnung beachten muss. Insofern habe ich nicht das Recht, diese Presseberichte zu bestätigen oder zu dementieren. Das sind völlig andere Ebenen. Ich betone noch einmal ausdrücklich: Als Vertreterin der Bundesregierung habe ich nicht das Recht, Steuergeheimnisse in der Öffentlichkeit preiszugeben. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht, will ich zusätzlich darauf hinweisen, dass nicht ohne Grund Prüfung und Entscheidung in Sachen Bürgschaften - das Gleiche gilt für den Bereich SoFFin - gemäß der Gesetzgebung dieses Hauses einem geheim tagenden Gremium anvertraut werden, dem Finanzmarktgremium. Sie dürfen nicht vergessen: Wenn die Bekanntgabe von Steuergeheimnissen zu wirtschaftlichen Konsequenzen für ein Unternehmen führen würde, würden Sie mich zu Recht fragen, wie ich dazu komme, auf die Geschäftsentwicklung eines Unternehmens Einfluss zu nehmen, indem ich hier Steuergeheimnisse preisgebe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Nachfrage? - Bitte schön.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, vielleicht finden wir einen gemeinsamen Nenner, was die Informationsfreigabe vonseiten des BMF anbelangt. Dazu gehört die Frage, inwieweit sich beispielsweise die Änderungen im Körperschaftsteuerrecht für die Adam Opel GmbH ausgewirkt haben. Vielleicht können Sie etwas dazu sagen, ob sich ab dem Jahr 2005 aufgrund von Steuerrechtsänderungen die Situation verändert hat. Wir wissen ja, dass Gewinne gemacht wurden, und unser Interesse muss es sein, dass die anfallenden Steuern beim Fiskus in Deutschland bleiben und nicht in die Vereinigten Staaten abfließen.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Wenn wir uns darauf einigen, dass wir hier über die geänderte gesetzliche Grundlage und nicht über Fragen im Zusammenhang mit einem einzelnen Unternehmen sprechen, dann kann ich Ihnen sagen: Es ist sicherlich klar, dass Regelungen der Unternehmensteuerreform - ich nenne beispielsweise das Stichwort „Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ - dazu führen können, dass Unternehmen ihre Verluste, die zum Beispiel durch konzerninterne Verrechnungspreise verursacht werden, nicht mehr in der Form steuerlich geltend machen können. Ich betone allerdings noch einmal: Ich darf über die kon22670 krete Situation eines einzelnen Unternehmens keine Auskunft geben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe nun die Frage 14 der Kollegin Christine Scheel auf: Ist es zutreffend, dass das gesamte Währungsrisiko von der Adam Opel GmbH getragen werden musste, oder haben andere Gründe wie konzerninterne Verrechnungspreise und Gebühren für die Nutzung von Patenten und Lizenzen für einen steuerlich relevanten Verlust gesorgt, und hat sich infolge der Unternehmensteuerreform ab 2008 daran etwas relevant geändert? Frau Staatssekretärin, bitte schön.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Vielen Dank. - Ich muss Ihnen jetzt in anderen Worten die gleiche Antwort geben, nämlich dass sich Ihre Frage auf Steuergeheimnisse eines einzelnen Unternehmens bezieht. Ich bin, wie gesagt, nicht befugt, Ihnen hierüber konkrete Auskünfte zu erteilen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte schön.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht wissen Sie isoliert, ob die Währungsrisiken in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten getragen wurden?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Frau Kollegin, ich kann nicht erkennen, wieso dies isoliert dargestellt werden könnte. „Isoliert“ heißt: auf das Unternehmen bezogen. Dies bedeutet, dass ich Ihnen wieder sagen muss, dass ich über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eines konkreten Unternehmens keine Auskünfte geben kann. Ich wäre, ehrlich gesagt, sehr froh, wenn wir zu einer allgemeinen Frage kommen könnten, damit ich Ihnen eine konkrete Auskunft geben kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann haben Sie jetzt die Möglichkeit, eine allgemeine Frage zu stellen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß nicht, ob ich die Frau Staatssekretärin mit meiner Frage jetzt beglücke - aber das ist mir ziemlich egal -: Frau Staatssekretärin, können Sie ausschließen, dass es in den letzten Jahren unter dem Strich zu mehr Rückerstattungen als zu Zahlungen gekommen ist?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Wenn ich dies ausschließen würde, würde ich Ihnen eine konkrete Information geben. Insofern kann ich dies weder ausschließen noch bestätigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Damit sind die mit den dringlichen Fragen in Zusammenhang stehenden Fragen beantwortet. Wir kommen nun zu dem normalen Ablauf der Fragestunde. Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Dr. Martina Bunge sollen schriftlich beantwortet werden. Gleiches gilt für die Frage 3 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl auf: Weshalb basierte die Auskunft des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, gegenüber dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, der von der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe, WAK, an das Atommülllager Asse II abgegebene Müll gehe nicht auf Energieversorgungsunternehmen, EVU, zurück, auf dem Asse-Statusbericht des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz vom 1. September 2008 ({0}), wo das BMBF doch seit jeher wusste, woher der Input aller die Asse betreffenden WAK-Kampagnen stammt ({1}), und, ganz konkret, welche Formulierung hat das BMBF bei seiner Auskunft gegenüber dem BMU verwendet? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Zu der von Ihnen aufgeworfenen Frage, sehr geehrte Frau Kollegin, möchte ich Ihnen antworten, dass die Aussage meines Kollegen, des Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Müller, in der Fragestunde vom 15. Oktober 2008 nach wie vor richtig ist. Seine damalige Aussage erklärt sich folgendermaßen: Die von der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe in das Atommülllager Asse angelieferten Abfälle sind bei der Wiederaufbereitung als Betriebsabfall der WAK entstanden und gingen insofern in das Eigentum und damit in die Verantwortung der öffentlichen Hand über. Dies beruht insbesondere auf der Tatsache, dass die damalige Gesellschaft für Kernforschung, die GfK - das ist das heutige Forschungszentrum Karlsruhe -, die WAK im Auftrag des Bundes als Prototypanlage mit dem Ziel geplant und errichtet hat, eine sichere Betriebsführung nachzuweisen, die chemischen und technischen Prozesse der Wiederaufarbeitung zu optimieren und somit eine industrielle NutParl. Staatssekretär Thomas Rachel zung dieser Technik zu etablieren. Unabhängig von der Herkunft der wiederaufbereiteten Brennelemente wurde der seinerzeitige Betrieb der WAK nach damaliger - übrigens parteiübergreifender - allgemeiner Sichtweise dem öffentlichen Interesse zugeordnet. Darüber hinaus hätte man mit einer Wiederaufarbeitung von Brennelementen allein aus Forschungsreaktoren den Nachweis einer Nutzungsmöglichkeit dieser Technik nicht führen können. Daher stammt der von der WAK an die Schachtanlage Asse II abgegebene Abfall zwar aus der Wiederaufarbeitung von Brennelementen der EVUs, ist aber gleichwohl nicht diesen, sondern der öffentlichen Hand zugeordnet. Im Statusbericht des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz wird dies ebenso festgestellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Frau Kotting-Uhl? - Bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär Rachel, es bleibt meiner Meinung nach eine Nichtübereinstimmung zwischen der Aussage einerseits, die Staatssekretär Müller damals mir gegenüber aufgrund der ihm vom Bundesforschungsministerium gegebenen Aussage gemacht hat, nämlich dass der Müll, der aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe in die Asse eingeliefert worden sei, nicht aus Atomkraftwerken stamme, und andererseits dem Inhalt des Inventarberichts von 2002, in dem Kampagnen aus dem Atomkraftwerk Obrigheim in die Wiederaufarbeitungsanlage benannt werden und dargestellt wird, dass dieser ursprünglich aus Obrigheim stammende Müll dann als Müll aus der Wiederaufarbeitungsanlage in die Schachtanlage Asse geliefert worden ist. Können Sie diesen Widerspruch aufklären?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin, einen Widerspruch in der von Ihnen beschriebenen Art und Weise sehe ich nicht. Mein Kollege, Staatssekretär Müller, hat erklärt, dass das Aktivitätsinventar, also das radioaktive Material, ganz überwiegend aus der WAK stammt. Dies ist korrekt beschrieben. Die Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe ist im Eigentum und in der Verantwortung der öffentlichen Hand gewesen. Dies war auch die klare Meinung der damaligen Forschungsminister und auch parteiübergreifend die allgemeine Sicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage? - Bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär Rachel, was Sie mir jetzt als Antwort gegeben haben, war keine Antwort auf meine Frage. Hierüber gibt es keinen Dissens. Natürlich wissen wir beide und alle anderen, die sich damit befassen, dass der Großteil des Atommülls - nicht vom Volumen her, aber von seinem Potenzial der Radioaktivität her - in der Asse aus der Wiederaufbereitungsanlage kommt. Das ist kein Geheimnis, darüber brauchen wir hier nicht zu reden. Weder meine damalige Frage noch meine heute schriftlich eingereichte Frage, die Sie mir jetzt beantwortet haben, noch meine mündliche Frage beziehen sich darauf, ob dieser Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage kommt oder ob die Wiederaufbereitungsanlage eine öffentliche Forschungsanlage ist; das wissen wir alle. Die Frage zielt auf den Ursprung dieses Atommülls. Woher kam der Atommüll in die Wiederaufbereitungsanlage? Die damalige Aussage war - Staatssekretär Müller war nur der Übermittler der Nachricht, die er aus dem Forschungsministerium bekam -: Nein, dieser Atommüll kommt nicht aus Atomkraftwerken. In die Asse wurde nichts über die Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe eingelagert, was ursprünglich aus Atomkraftwerken kam. - Das widerspricht - das muss ich leider wiederholen - dem Inventarbericht 2002. Diesen Widerspruch möchte ich nach wie vor gerne aufgeklärt haben.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Auch durch die Wiederholung eines vermeintlichen Widerspruchs entsteht kein wirklicher Widerspruch. Staatssekretär Müller hat korrekt geantwortet: Die in die Asse eingelieferten Bestandteile stammen aus der Wiederaufbereitungsanlage. Sie sind in dem Moment, in dem sie in der WAK entstanden sind, in den Besitz des Bundes gelangt. Insofern ist die Frage, woher sie stammten, an dieser Stelle rechtlich nicht relevant. Entscheidend ist, dass sie im Eigentum des Bundes seit dem Moment sind, in dem sie in der WAK angefallen sind. Insofern ergibt sich die rechtliche Verpflichtung des Bundes.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat die Kollegin Brigitte Pothmer eine Frage.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie uns erläutern, wie es zu erklären ist, warum der Bundesumweltminister in vielen Presseveröffentlichungen und überall da, wo er öffentlich auftritt, immer wieder behauptet, dieser Müll sei von den EVUs produziert worden und deswegen müssten sich diese als Verursacher auch an den Kosten für die Sanierung der Asse in größerem Umfang beteiligen, wenn doch der Müll aus der öffentlichen Hand stammt, wie Sie hier deutlich sagen?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Zunächst möchte ich feststellen: Sie haben jederzeit die Gelegenheit, den Bundesumweltminister oder das Bundesumweltministerium zu diesen Äußerungen zu befragen. Ich weise aber ausdrücklich darauf hin, dass die Staatssekretärin Klug aus dem Bundesumweltministerium in einer der letzten Fragestunden hier im Bundestag klar formuliert hat: Für die Bundesregierung ist es unstreitig, dass es keine rechtliche Handhabe gibt, den EVUs für die in der Asse eingelagerten Abfälle 30 Jahre später rückwirkend neue Kosten in Rechnung zu stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort zur nächsten Frage geht an die Kollegin Cornelia Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich möchte gerne wissen: Welche Mittel zur Aufbereitung des atomaren Abfalls sind der öffentlichen Hand mit den Materialien übergeben worden, die in die Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe zur Wiederaufbereitung gelangt sind?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Alles, was von den verschiedenen Beteiligten zur Wiederaufarbeitung an die Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe gegeben wurde, wurde im Statusbericht klar zugeordnet. Sie können die Zuordnung den Seiten 102 und 103 des entsprechenden Statusberichts entnehmen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt auch eine Frage der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass die Problematik, mit der wir uns gerade beschäftigen, keine wirklich neue Problematik ist? Wenn ja: Wie lange beschäftigt das Thema „Unterbringung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen in der Schachtanlage Asse“ die Bundesregierung schon? Könnten Sie mir bitte darüber Auskunft geben, wie die letzte Bundesregierung, insbesondere das Bundesumweltministerium, mit dieser Fragestellung umgegangen ist? ({0}) Auch wenn ein Betreiberwechsel stattgefunden hat, ist festzustellen, dass die oberste Strahlenschutzbehörde seit Menschengedenken - jedenfalls, solange ich das verfolge - dem Bundesumweltminister untersteht. ({1})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Zuständigkeit haben Sie korrekt beschrieben. Das Bundesamt für Strahlenschutz spielt eine ganz besonders wichtige Rolle. Durch den Übergang der Verantwortung vom BMBF auf das Bundesumweltministerium zum 1. Januar 2009 hat es neue Verantwortung bekommen. Das BMBF versucht selbstverständlich, das BMU bei dieser Aufgabenerfüllung begleitend zu unterstützen. Sie fragten nach der generellen Einordnung. Ich will uns alle an dieser Stelle daran erinnern, dass die friedliche Nutzung der Kernkraft ein wesentliches Element der Modernisierungspolitik der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt gewesen ist. Damals gehörte die Herstellung eines Kreislaufs radioaktiver Brennstoffe dazu. In diesem Zusammenhang setzte man auf die Wiederaufbereitung in der WAK. Diesbezüglich bestand über die vielen Regierungen hinaus Kontinuität. Das war übrigens auch zwischen allen damals im Bundestag vertretenen Parteien Konsens. Der eine oder andere kann sich das heute vielleicht nicht mehr vorstellen, aber in den ausgehenden 60er- und in den 70er-Jahren wurde die Kernkraft als wichtige Zukunftstechnologie angesehen. Die Erforschung der Wiederaufbereitung und die Herstellung einer funktionsfähigen Wiederaufbereitungsanlage wurden als öffentliche Aufgaben angesehen. Darum hat die WAK als öffentliche Einrichtung diese Aufgabe übernommen. Der Beschluss, der im Konsens gefasst wurde, ist von den damals zuständigen Fachministern - das waren Horst Ehmke und Hans Matthöfer - umgesetzt worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Kotting-Uhl auf: Würden das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, BMWi, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, und das Bundesministerium der Finanzen, BMF, es jeweils grundsätzlich begrüßen oder nicht begrüßen, wenn die Energieversorgungsunternehmen sich an den Sanierungs- und Schließungskosten für das Atommülllager Asse II beteiligten - vergleiche Aussage der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Astrid Klug, vom 4. März 2009, hierzu gebe es in der Bundesregierung unterschiedliche Auffassungen -, und inwiefern vertritt die gesamte Bundesregierung - insbesondere auch das BMBF - die Position, dass 74 Prozent des radioaktiven Inventars in der Asse direkt oder indirekt den Kernkraftwerken zugeordnet werden können?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Kotting-Uhl, auf Ihre Frage darf ich wie folgt antworten: Die Kosten für die Stilllegung der Asse wurden bislang vom Bund getragen; das ist Ihnen bekannt. Für die Einordnung in den aktuellen politischen Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch in der aktuellen Novelle zum Atomgesetz in § 57 b festgestellt wird, dass der Bund die Kosten für die Stilllegung der Asse trägt. Das zur Einsortierung des aktuellen Diskussionsstandes. Sie haben darüber hinaus nach der Darstellung in Prozent gefragt. Von den 90 Prozent der Aktivität des radioaktiven Inventars - also nicht des Abfallgebindes in der Asse -, die auf die WAK zurückgehen, stammen 80 Prozent von Sekundärabfällen aus Wiederaufarbeitungsleistungen der WAK für die EVUs. Mithin sind 71 Prozent des radioaktiven Inventars in der Asse Sekundärabfälle aus der Wiederaufbereitung von Brennelementen. Hinzu kommt, dass circa 3 Prozent des radioaktiven Inventars direkt von den Kernkraftwerksbetreibern in die Schachtanlage Asse II als eigener Abfall eingelagert wurden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident. - Es geht weniger um eine Nachfrage als um die Wiederholung meiner Frage, die nicht beantwortet wurde. Ich lese sie Ihnen vor: Würden das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, BMWi, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, und das Bundesministerium der Finanzen, BMF, es jeweils grundsätzlich begrüßen oder nicht begrüßen, wenn die Energieversorgungsunternehmen sich an den Sanierungs- und Schließungskosten für das Atommülllager Asse II beteiligten …? Meine Frage war nicht, was wir auf Antrag der Koalitionsfraktionen mit der Novelle zum Atomgesetz beschlossen haben. Mir ist sehr wohl bewusst, was wir dort beschlossen haben; denn ich war an der Debatte beteiligt. Meine Frage bezog sich auf die Einschätzung bzw. die eventuell unterschiedlichen Einschätzungen der Ministerien. Ich will als Hinweis noch ein Zitat der Staatssekretärin Klug aus der Fragestunde vom 4. März 2009 anführen: Die Frage, ob sich die EVUs wegen der beschriebenen Umstände an den Kosten der Stilllegung der Asse beteiligen sollten, obwohl sie rechtlich nicht dazu herangezogen werden können, wird innerhalb der Bundesregierung unterschiedlich beurteilt.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin, lassen Sie mich zunächst festhalten, was unstreitig ist. In der Bundesregierung ist unstreitig, dass es keine rechtliche Handhabe gibt, ({0}) die EVUs für in der Asse entstandene Kosten heranzuziehen. Dies findet seinen Ausdruck in der aktuellen Novelle zum Atomgesetz. Frau Kollegin Klug hat dies übrigens, wie ich glaube, fünfmal in entsprechenden Antworten in der letzten Fragestunde erläutert. Bundesumweltminister Gabriel hat darüber hinaus gesagt, dass es eine moralische Verantwortung der EVUs gebe; dies ist die Position von Herrn Gabriel. Er hat angekündigt, darüber Gespräche mit den EVUs zu führen. Diese gilt es abzuwarten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, danke schön. - Wenn das BMU nun plant, Gespräche zu führen, möchte ich das BMBF an dieser Stelle fragen, ob es nach dem öffentlichen Bekanntwerden des Asse-Skandals im Sommer 2008 Gespräche mit den EVU darüber geführt hat, wie man mit dem Asse-Skandal oder auch der Kostenfrage umgehen soll.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Die Frage kann ich Ihnen so aus der Hand nicht beantworten. Die Frage der Kosten haben wir rechtlich geprüft. Das Ergebnis bleibt - das hat Ihnen Staatssekretärin Klug in der letzten Fragestunde gesagt, und das sage ich Ihnen heute -: Es gibt rechtlich keinerlei Handhabe. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kotting-Uhl, aber nicht jetzt, sondern in der nächsten Fragestunde. ({0}) Ihr Fragerecht ist erschöpft. Jetzt kommen wir zur Nachfrage der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, auch ich will meine Frage von vorhin noch einmal aufgreifen. Ich hoffe, Sie geben mir recht, wenn ich sage, dass die Information über den Zustand der Asse und auch die Frage der Gebührenträger - wer, wann, wo und wofür gezahlt hat - nicht vollständig neu sind. Vielmehr sind das Tatsachen, die man schon vor einigen Jahren - schon vor zehn Jahren - sehr wohl hätte kennen können, wenn man es denn gewollt hätte. Deshalb noch einmal ganz konkret: Was hat die Vorgängerregierung bezüglich der Sanierung der Asse unternommen? Was hat insbesondere der oberste Strahlenschützer, der Bundesumweltminister - das Ministerium war damals, wie ich mich schwach erinnere, in grüner Hand -, getan, um die Zustände in der Asse, die wir alle gemeinsam zu Recht beklagen, zu verbessern? ({0})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Ich stimme Ihnen zu, Frau Kollegin, dass sich am Zustand der Asse, aber auch an der Frage der Gebührenträger nichts Grundlegendes geändert hat. Insofern glaube ich, dass mancher, der heute bei diesem Thema lautstark argumentiert, klug beraten ist, erst einmal zu überlegen, in welcher Art und Weise er in der Zeit der eigenen Verantwortung dort agiert hat. Dies ist nicht immer der Fall. Unabhängig davon glaube ich, dass wir von der Öffentlichkeit daran gemessen werden, ob wir ein geeignetes Konzept zur Schließung der Asse finden, mit dem wir sicherstellen, dass für die in der Umgebung lebende Bevölkerung keinerlei Probleme entstehen. Wie Sie wissen, prüft das Bundesumweltministerium, nachdem das BMBF Vorarbeiten geleistet hat, in dieser Legislaturperiode verschiedene Schließungskonzepte. Ich gehe davon aus, dass der Bundesumweltminister, der jetzt zuständig ist, dem Parlament das von ihm präferierte Konzept der Schließung zu einem geeigneten Zeitpunkt präsentieren wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Kollegin Brigitte Pothmer hat noch eine Frage. Bitte schön.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich würde gerne wissen, ob das Bundesforschungsministerium die politische Forderung des Bundesumweltministers, die EVUs, also die Verursacher, an den Kosten der Schließung der Asse zu beteiligen, grundsätzlich unterstützt und ob es sich dafür einsetzt, diese Forderung, falls der Weg über nachgelagerte Gebühren aufgrund rechtlicher Schwierigkeiten ausscheidet, auf anderem Wege zu erfüllen.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Aus Sicht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung liegt die Verantwortung klar bei der WAK und damit - da sie eine Einrichtung des Bundes gewesen ist - beim Bund, für die Kosten der Einlagerung in die Asse aufzukommen und die daraus entstehenden Konsequenzen zu tragen. Eine darüber hinausgehende rechtliche Verpflichtung gibt es nicht. Ob Bundesfinanzminister Steinbrück freiwillige Leistungen Dritter an die Staatskasse ablehnen würde, weiß ich nicht. Ich vermute, nein. Diese Frage sollten Sie allerdings direkt an den Finanzminister richten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Die Frage 6 der Kollegin Gesine Lötzsch soll schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Hellmut Königshaus: Kann die Bundesregierung nach Einsichtnahme in das Wortprotokoll der Beweisaufnahmesitzung des 1. Untersuchungsausschusses vom 22. Januar 2009 nunmehr bestätigen, dass entgegen ihrer Darstellung in der Beantwortung meiner schriftlichen Frage 14 auf Bundestagsdrucksache 16/12073 der Vertreter der Bundesanwaltschaft sich sehr wohl dahin gehend geäußert hat, dass auch das Festhalten eines Zivilisten in dem US-Militärgefängnis in Mannheim, das nicht vom Truppenstatut gedeckt ist, keine Straftat sei - Zitat, Seite 48 des Protokolls: „Selbst wenn es ein Verstoß gegen das NATOTruppenstatut gewesen wäre, sehe ich keine Straftat“ -, und wie bewertet sie dies?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Lieber Herr Kollege Königshaus, Ihre Frage enthält zwei Aussagen, die man auseinanderhalten muss. Zur ersten Aussage. Sie unterstellen, dass in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre schriftliche Frage 14 auf Bundestagsdrucksache 16/12073 die Aussage des Zeugen der Bundesanwaltschaft in der Beweisaufnahmesitzung des 1. Untersuchungsausschusses vom 22. Januar 2009 unzutreffend dargestellt ist. Diesen Vorwurf weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Ihre schriftliche Frage lautete - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -: Teilt die Bundesregierung die im 1. Untersuchungsausschuss in der Sitzung vom 22. Januar 2009 geäußerte Auffassung der Bundesanwaltschaft, dass eine Inhaftierung von Zivilisten, die nicht den USStreitkräften angehören, in dem US-Militärgefängnis in Mannheim ohne entsprechende Anordnung eines deutschen Richters rechtmäßig wäre, und was gedenkt sie andernfalls im Hinblick auf das Verfahren 3 BJs 23/06-2 in dienst- und/oder strafrechtlicher Hinsicht zu veranlassen? Hierauf habe ich für die Bundesregierung nach Ausführungen zum NATO-Truppenstatut und vor Ausführungen zu dem konkreten Sachverhalt, um den es in der Vernehmung ging, geantwortet - ich darf wieder zitieren -: Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der vom 1. Untersuchungsausschuss als Zeuge vernommene Vertreter der Bundesanwaltschaft in der 113. Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses am 22. Januar 2009 die in der Fragestellung unterstellte Aussage nicht getroffen hat. An dieser Aussage hält die Bundesregierung fest. Die entsprechende Passage auf Seite 48 des Protokolls des 1. Untersuchungsausschusses lautet - ich zitiere erneut, Herr Präsident -:

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn zu einem Militärgefängnis, das ja aufgrund des Truppenstatuts betrieben wird, wo also Angehörige des Militärs festgehalten werden dürfen, auf einmal Hinweise auf Personen auftauchen, die dort nicht rechtmäßig, weil nämlich gar nicht dem Truppenstatut unterfallend, festgehalten werden dürfen, haben Sie gemeint, da gäbe es keine Anhaltspunkte für eine Straftat? Zeuge Wolf-Dieter Dietrich: Selbst wenn es ein Verstoß gegen das NATO-Truppenstatut gewesen wäre, sehe ich keine Straftat. Der Zeuge hat also gerade keine Aussage zur Rechtmäßigkeit des Festhaltens nach dem NATO-Truppenstatut getroffen. Dies hatten Sie, Herr Kollege Königshaus, in Ihrer schriftlichen Frage aber unterstellt. Der Zeuge hat sich lediglich mit der Frage einer möglichen Strafbarkeit befasst. Ich denke, ich darf hier von Jurist zu Jurist feststellen, dass zwischen Rechtmäßigkeit und Strafbarkeit schon ein Unterschied besteht. Nun zu der zweiten Aussage in Ihrer Frage; sie betrifft die Äußerung des Zeugen zur Strafbarkeit. Der Bundesanwalt hat sich bei seiner Vernehmung als Zeuge an der von Ihnen in Ihrer Frage und nun auch von mir zitierten Stelle seiner Aussage dahin gehend geäußert, dass er es nicht als Straftat ansehe, wenn Zivilisten in einem US-Militärgefängnis auf deutschem Boden unter Nichteinbeziehung der deutschen Behörden festgehalten werden. Auf die nochmalige intensive Nachfrage des Kollegen Hartmann hat er dann aber, wie man sieht, wenn man Seite 50/51 des Protokolls liest, eine solche allgemeine Aussage vermieden. Er hat sich vielmehr auf den konkreten Einzelfall bezogen, mit dem sich der Untersuchungsausschuss befasst hat: Das war die Aussage eines Anwohners des US-Militärgefängnisses in Mannheim, er habe dort im Jahre 2002 oder 2003 erst- und letztmalig drei Gefangene in orangefarbenen Overalls gesehen. Zu diesem Einzelfall hat der Zeuge dargelegt, warum die Bundesanwaltschaft nicht tätig geworden ist. Insgesamt, lieber Kollege Königshaus, räume ich aber ein, dass sich der Bundesanwalt bei seiner Vernehmung als Zeuge missverständlich eingelassen hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Jetzt haben Sie ein Florettgefecht zwischen zwei Juristen erlebt. ({0}) Da versteht man, warum die Rechtsfindung in Deutschland so außergewöhnlich schwierig ist. Jetzt hat der Kollege Königshaus eine Nachfrage.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Lieber Herr Staatssekretär, Ihre letzte Aussage war die, auf die ich mich gefreut hatte. Die Aussage des Zeugen war missverständlich unter der Voraussetzung, dass er eben nicht gemeint hat, dass der Tatbestand, der juristisch unter dem Begriff „Freiheitsberaubung“ zu subsumieren wäre, keinerlei Raum offenlässt für eine Differenzierung zwischen rechtmäßig und strafbar. Noch ist in Deutschland verboten, jemanden ohne Rechtsgrundlage seiner Freiheit zu berauben.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Darf ich um Ihre Frage bitten? ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deshalb die Frage: Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass er sich nur missverständlich ausgedrückt habe und genau dies ausschließen wollte, oder glauben Sie, bei dem, was missverständlich herübergekommen ist, wollte er - genau umgekehrt - in Wirklichkeit sagen, dass dies selbstverständlich strafbar sei? Was wäre denn nun nach Ihrer Auffassung die richtige und klare Aussage gewesen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Lieber Herr Kollege Königshaus, es steht mir nicht an, Ihre Fragen im Untersuchungsausschuss zu kritisieren. Hätte ich dort als Bundesanwalt gestanden, hätten Sie von mir allerdings eine andere Antwort bekommen.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darum hatte ich ja gebeten.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Nun passen Sie gut auf: Sie berufen sich hier - ({0}) - Wir verstehen uns so gut, dass ich so etwas sagen darf. Darüber müssen Sie sich nicht aufregen, Frau ScheweGerigk. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir haben jetzt hier keine freie Diskussion, sondern eine Fragestunde, die nach den Spielregeln unserer Geschäftsordnung abläuft.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sie wissen, dass ich das locker durchziehen würde. Ich fahre fort: Wir haben eine Aussage eines Zeugen, der, wenn ich mich richtig erinnere, an diesem US-Militärgefängnis spazieren gegangen ist, übrigens dem Zentralgefängnis der US-Streitkräfte für ganz Europa. Dort hat er drei Menschen in Overalls gesehen; das Weitere schenke ich mir. Daraus schließen Sie nun, es seien gefangene Zivilisten gewesen. Hier kann man einen ganzen Strauß von Möglichkeiten ins Auge fassen: Es können Kriegsgefangene gewesen sein. Das weiß ich nicht; ich sage es nur einmal so. ({0}) Es können Zivilisten von irgendwoher gewesen sein, aber auch Menschen aus dem zivilen Gefolge der USStreitkräfte. Außerdem können es auch Soldaten gewesen sein. Angesichts eines solchen Straußes von Möglichkeiten hätten Sie doch eigentlich erwarten können, dass Ihnen der Bundesanwalt gesagt hätte: Sehr geehrter Herr Königshaus, sagen Sie bitte etwas genauer, was Sie von mir wissen wollen. Dann hätte er vielleicht theoretisch sagen können: Wären es Kriegsgefangene gewesen, könnte es vielleicht eine Straftat nach dem Völkerstraf22676 gesetzbuch gewesen sein. Sollten es aber Soldaten oder Gefangene des zivilen Gefolges gewesen sein, wäre es keine Straftat. Alles, was ich sage, ist rein theoretisch.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das war keine Antwort auf meine Frage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hartenbach, das Publikum wird den Sachverhalt kaum nachvollziehen können.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das ist doch ganz klar: Er hat sich missverständlich ausgedrückt, mehr nicht. Sie müssten bei Ihrer nächsten Frage schon einmal ganz konkret sagen, was Sie von mir hören wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es kann nicht sein, dass jetzt die Staatssekretäre den Abgeordneten einen Auftrag geben, was sie fragen sollen. Die Abgeordneten stellen ihre Fragen aus eigener Erkenntnis.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich wollte ihm nur helfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Königshaus, Ihre zweite Nachfrage.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich nehme diese freundliche Hilfestellung natürlich gerne an, will aber doch auf eines hinweisen: Bei der Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit überprüft man normalerweise zunächst die Rechtslage - nach ihr hatte ich gefragt -, und anschließend prüft man, ob darunter ein bestimmter Sachverhalt zu subsumieren ist. Hier geht es um die Frage des Tatbestandes. Hat der Bundesanwalt nach Meinung der Bundesregierung die Auffassung vertreten, dass es strafbar sei, wenn es sich um Zivilisten - also um einen Fall, der nicht dem Truppenstatut unterliegt - handelt und solche Menschen in diesem Militärgefängnis auf deutschem Boden ersichtlich gegen ihren Willen und ohne rechtmäßige Mitwirkung deutscher Behörden festgehalten werden?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Königshaus, Sie können nicht von mir verlangen, dass ich auf eine rein hypothetische Möglichkeit - ich habe eben alle vier Möglichkeiten aufgezählt eine Antwort gebe.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, ich habe nach der Rechtslage gefragt.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Nein, das kann ich nicht. Ich habe eben alle vier Möglichkeiten aufgezählt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das war die Antwort. - Ich rufe jetzt die Frage 8 auf: Sieht die Bundesregierung nach den in der vorgenannten Sitzung gemachten Zeugenaussagen im Fall der Coleman Barracks den Verdacht einer noch nicht verjährten Straftat gegeben, und gedenkt sie, jetzt doch straf- oder dienstrechtliche Maßnahmen einzuleiten? Ich bitte Sie, zu berücksichtigen, dass die Zusatzfragen und die Antworten so formuliert werden, dass die Öffentlichkeit sie verstehen kann. ({0}) - Ich bin ein schlichter Ökonom. Für mich ist es schwierig, dieser juristischen Sprache zu folgen, sofern ich dies auf mich beziehen darf. ({1})

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Nein, nein, ich habe Ihre Frage korrekt beantwortet. Ich sage es noch einmal: Auf hypothetische Fragen gebe ich keine hypothetischen Antworten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte, nun die Frage 8 des Kollegen Königshaus zu beantworten.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sie werden sich nicht wundern: Die Bundesregierung sieht keinen Anlass zu straf- oder dienstrechtlichen Maßnahmen. Daran ändert auch die Zeugenaussage in der Beweisaufnahmesitzung des 1. Untersuchungsausschusses am 22. Januar 2009 nichts. Mit Ihrer Frage zielen Sie auf die Aussage eines Anwohners des US-Militärgefängnisses Coleman Barracks ab, der angegeben hat, er habe dort im Jahr 2003 - eventuell war es auch schon im Jahr 2002; das weiß man nicht genau - drei Gefangene in orangefarbenen Overalls gesehen, die an Händen und Füßen zusammengekettet gewesen seien. Sie seien seiner Ansicht nach keine US-Militärangehörigen gewesen, da sie, wie er sich ausdrückte, einer anderen Rasse angehörten als die US-Soldaten, die in Mannheim Dienst taten. Die Bundesanwaltschaft war im Jahr 2006 - also drei Jahre nach diesem angeblich beobachteten Vorfall - von dem Anzeigeerstatter in einem bei ihr geführten Ermittlungsverfahren auf diesen Vorfall hingewiesen worden. Dieses inzwischen eingestellte Ermittlungsverfahren hatte den Verdacht zum Gegenstand, dass im US-Militärgefängnis in Mannheim in der Zeit von April bis Anfang September 2006 Personen gefangen gehalten, verParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach nommen und gefoltert werden, die nicht der US-Armee angehörten. Einen Hinweis auf den Vorgang aus dem Jahr 2002 bzw. 2003 erhielt die Bundesanwaltschaft im November 2006 auch vom Bundeskriminalamt. Dieser Hinweis ging auf denselben Anwohner des US-Militärgefängnisses in Mannheim zurück. Das Bundeskriminalamt bat um Mitteilung, ob dieser neu mitgeteilte Sachverhalt zu dem Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gehöre. Dies hat die Bundesanwaltschaft verneint. Die Bundesanwaltschaft ist im Jahr 2006, als sie der Hinweis erreichte, unter Berücksichtigung aller ihr bekannten Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass dadurch kein Anfangsverdacht einer weiteren Straftat begründet war, für deren Verfolgung sie zuständig wäre. Sie hat daher auch kein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Sachverhalts eingeleitet. Die Bundesanwaltschaft hat außerdem keinen Anfangsverdacht für eine Straftat gesehen, für deren Verfolgung eine Landesstaatsanwaltschaft zuständig gewesen wäre. Der Sachverhalt ist übrigens ausführlich in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre schriftliche Frage 14 auf Bundestagsdrucksache 16/12073 dargestellt. Auf diese Antwort möchte ich verweisen. Die Beurteilung des Anfangsverdachts einer Straftat obliegt übrigens nicht der Bundesregierung, sondern der Bundesanwaltschaft als der zuständigen Staatsanwaltschaft. Sie richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wie sie sich der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis darf ich nun die entsprechende Vorschrift zitieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Herr Staatssekretär, wir wollen hier keine Gesetzesvorlesung durchführen.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Es würde aber gut passen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es wurde ja nur gefragt, ob straf- oder dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden sollen. Darauf können Sie mit Ja oder Nein antworten.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Nein, das haben wir nicht vor. - Das Zitat hätte aber dazugehört. Warum nicht?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir befinden uns hier nicht im Juristischen Seminar, sondern im Deutschen Bundestag.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Nun gut, dann versuche ich es nachher noch einmal.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre Nachfrage, Kollege Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, dieser Vorfall hat sich ja zu einer Zeit ereignet, als die Bundesregierung sehr umfangreiche Stellungnahmen zu Vorfällen abgegeben hat, bei denen orangefarbig gekleidete Menschen gegen ihren Willen an einem Ort festgehalten wurden, für den die Bundesanwaltschaft nicht direkt zuständig ist. Könnte es sein, dass sich die Bundesregierung in einem solchen Fall, der sich auf ihrem eigenen Boden ereignet, wesentlich intensiver darum kümmern müsste, als einzig und allein festzustellen, sie habe keinen weiteren Anhaltspunkt als den, dass auch die Frankfurter Stadtreinigung - so hat nämlich der Bundesanwalt begründet, warum er keine weiteren Ermittlungen angestellt habe - orangefarbene Overalls trägt? Ich möchte aber hinzufügen, dass sie auch keine Hand- und Fußfesseln tragen und nicht im Gänsemarsch geführt werden.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Königshaus, ich gebe zu, dass diese Äußerung sicherlich nicht korrekt war. Aber ich darf Ihnen mitteilen, dass es auch in den US-Militärgefängnissen bei der Inhaftierung der eigenen Gefangenen drei Sicherheitsstufen gibt und dass die als besonders gefährlich eingeschätzten eigenen Militärgefangenen ebenfalls orangefarbene Overalls tragen. ({0}) - Nein. Das habe ich Ihnen auf Ihre Frage hin mitgeteilt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wir haben nicht nur die Aussage eines Zeugen, der diesen Vorfall beobachtet hat, sondern darüber hinaus Zeugenaussagen, in denen konkret von Folterungen berichtet wurde, sogar sehr dezidiert, sehr klar und insbesondere unter Benennung des infrage kommenden Täterkreises. Hält es die Bundesregierung für richtig, dass keiner dieser Zeugen, die greifbar gewesen wären, befragt wurde, mit dem Argument, man suche einen bestimmten anderen Zeugen, den man nicht mehr habe ausfindig machen können, und zwar aufgrund der Aussage eines Mitarbeiters der amerikanischen Militärbehörde, der gerade zu denen gehörte, die unter Verdacht stünden, wenn es denn eine Straftat war? Findet die Bundesregierung das richtig, und meint sie nicht, dass weitere Nachforschungen erforderlich sind, insbesondere da es sich hierbei auch um einen Verstoß gegen das Völkerstrafrecht handeln könnte, der nicht verjährt? Schließlich haben wir einen hohen moralischen Anspruch, was Den Haag betrifft.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege, Sie hypothetisieren schon wieder. Ich werde Ihre hypothetischen Fragen - Sie haben, glaube ich, drei Konditionen genannt - nicht beantworten. Ich kann Ihnen - um zur Sachlichkeit zurückzukommen nur so viel sagen: Der Zeuge, der die drei in den orangefarbenen Overalls gesehen haben will, wusste nicht einmal, in welchem Jahr das war, und hat sich erst drei Jahre später bei der Polizei gemeldet. ({0}) - Nein, Moment. Es ist rein hypothetisch, was Sie sagen. Wir reden jetzt darüber, ob der Bundesanwalt etwas Falsches gesagt hat. Darum ging es in Ihrer Frage. ({1}) - Doch. Das ist der Gegenstand der heutigen mündlichen Frage. - Der Anwohner hat vergeblich versucht, weitere Zeugen zu finden. Auch wenn es der Herr Präsident bzw. möglicherweise jetzt auch die Frau Präsidentin mir untersagen, verweise ich auf § 152 StPO, in dem klar geregelt ist, dass ein Ermittlungsverfahren dann einzuleiten ist, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Aus meiner eigenen Erfahrung als Staatsanwalt hätte ich erhebliche Zweifel, auch wenn ich es nicht bis ins Letzte geprüft habe.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur Verfügung. Die Frage 9 der Kollegin Veronika Bellmann wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Cornelia Behm auf: Wie viele Grundstücke mit baulichen Zeugnissen der deutsch-deutschen Teilung in Brandenburg werden derzeit von der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, BVVG, verwaltet, und wie plant die Bundesregierung mit diesen Grundstücken und den darauf befindlichen Bauwerken umzugehen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kollegin, sofern unter Grundstücken mit baulichen Zeugnissen der deutsch-deutschen Teilung Grundstücke im Bereich der ehemaligen Grenze, die zum Beispiel mit Überwachungstürmen und Grenzabfertigungsanlagen bebaut sind, zu verstehen sind, verfügt die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH - im Folgenden nenne ich sie BVVG - lediglich über das sogenannte Panzerdenkmal in Kleinmachnow. Dies könnte vom Land Brandenburg oder der Gemeinde Kleinmachnow übernommen werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich bin erstaunt, dass es wirklich nur um das eine Objekt geht. Ich würde gerne wissen, welche konkreten Festlegungen vonseiten der Bundesregierung für den Erhalt dieses Objektes bei Verkauf oder Abgabe an Land und Kommune vorgesehen sind.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Ich möchte auf den ersten Teil Ihrer Frage eingehen, um das Ganze deutlich zu machen. Ich hatte meine Ausführungen auf den Bereich der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze beschränkt. Wenn es darum geht, inwieweit die BVVG in Brandenburg außerhalb des Bereichs der ehemaligen Grenze über bauliche Zeugnisse der deutsch-deutschen Teilung verfügt, ist eine besondere Recherche notwendig. Diese wäre aber in der Kürze der Zeit nicht machbar gewesen. Daher kann ich dazu keine Aussage machen - nicht, dass der Eindruck entsteht, dass ich Ihre Frage nicht zur Gänze beantworten will. Zu Ihrer Frage nach dem Umgang der Bundesregierung mit der genannten Liegenschaft: Da die BVVG dieser Liegenschaft keinen positiven materiellen Wert beimisst - ich weiß, dass es auch andere Werte gibt -, wäre eine unentgeltliche Abgabe ausnahmsweise möglich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Möglicherweise hat das besagte Objekt keinen materiellen Wert. Aber in diesem konkreten Fall - ich kenne ihn - handelt es sich um ein in die Denkmalliste des Landes Brandenburg eingetragenes Denkmal. Meine Frage lautet daher: Gibt es bei einem Verkauf oder einer Abgabe Festlegungen zum Erhalt solcher Objekte?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Ich kann keine Aussage zur brandenburgischen Rechtslage machen. Was bei einer Abgabe oder einem Verkauf geschieht, hängt von den konkreten Verhandlungen und Vereinbarungen ab. Ich habe vorhin gesagt, dass wir uns das vorstellen könnten. Aber bis gestern lag meines Wissens noch keine konkrete Anfrage vor.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Jürgen Koppelin werden schriftlich beantwortet, ebenso wie die Frage 15 des Kollegen Hans-Christian Ströbele. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick auf: Von welchen Staaten oder Territorien, in denen die Commerzbank inklusive ihrer Tochter Dresdner Bank tätig ist, hat die Bundesregierung - bitte auch jeweils Anzahl der Angestellten und Höhe des Anlagevolumens angeben - Kenntnis? Bitte, Frau Kressl.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Sehr geehrter Herr Kollege Schick, nach Kenntnis der Bundesregierung sind Commerzbank oder Dresdner Bank in den folgenden Staaten tätig: USA, Luxemburg, Polen, Großbritannien, Irland, Volksrepublik China, Singapur, Tschechien, Russland, Japan, Ukraine, Spanien, Ungarn, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Schweiz, Südafrika, Liechtenstein, Slowakei, Österreich, Vereinigte Arabische Emirate, Brasilien, Gibraltar, Indien, Kanada, Monaco und Malaysia. Sie haben zusätzlich nach den einzelnen Bilanzsummen und der Anzahl der Angestellten in den verschiedenen Staaten gefragt. Dabei muss ich auf § 9 des KWG verweisen, wonach es sich hierbei grundsätzlich um vertrauliche bankinterne Kennzahlen handelt, die wir hier nicht weitergeben können.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unter den von Ihnen genannten Ländern bzw. Territorien befinden sich einige, mit denen die Bundesregierung durchaus öffentlich darüber diskutiert, wie mit den Steuergesetzen und dem Bankgeheimnis umzugehen sei. Mich interessiert, wie die Bundesregierung die Tatsache bewertet, dass eine Bank wie die Commerzbank - inklusive ihrer Tochterunternehmen -, an der der Staat mit 25 Prozent plus einer Aktie sowie in weiterem Umfang mit einer stillen Einlage beteiligt ist, in diesen Ländern bzw. Territorien tätig ist und ob die Bundesregierung gedenkt, mit ihren Vertretern im Aufsichtsrat Maßnahmen zu ergreifen und Aktivitäten zu entfalten.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Grundsätzlich lege ich Wert darauf, deutlich zu machen, dass die Tatsache, dass die Commerzbank auch in solchen Staaten aktiv ist, nicht bedeutet, dass sie Steuerhinterziehung ihrer Kundschaft unterstützt. Ich glaube, das noch einmal festzuhalten ist wichtig, weil leicht eine Unterstellung in die Fragestellung implementiert werden kann. Sie wissen auch, dass dies regelwidrig wäre und entsprechende Konsequenzen zur Folge hätte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte da noch einmal konkret nachfragen. Die Commerzbank-Tochter Dresdner Bank wirbt auf ihren Webseiten mit den attraktiven Steuergesetzen, beispielsweise in Monaco, und weist darauf hin, dass ihre Angestellten sich dort strikt an das Bankgeheimnis gebunden sehen. Würden Sie eine solche Geschäftspolitik einer Bank, die sich teilweise im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland befindet, für gut heißen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Dr. Schick, ich vermute, Sie zielen mit Ihrer Frage auch darauf ab, wie die Vertreter, die die Bundesregierung in den Aufsichtsrat entsenden wird - ich betone „entsenden wird“, weil wir das formal noch nicht vollziehen können -, auf diese Frage eingehen werden. Ich gehe davon aus, dass die Vertreter, die von der Bundesregierung entsandt werden, im Rahmen der grundsätzlichen Leitlinien - nicht des operativen Geschäfts; da muss man beim Aufsichtsrat unterscheiden - pflichtgemäß auch diese Fragen aufgreifen werden. Ich kann aber, darf und werde nicht das konkrete Verhalten dieser Vertreter entsprechend vorwegnehmen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Dr. Gerhard Schick auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von der Betreuung deutscher Steuerpflichtiger durch die Commerzbank in Gebieten, die nicht die Standards der OECD für Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen einhalten, und welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Aktivitäten der Commerzbank in diesen Steueroasen zu unterbinden?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Diese Frage, die sich auf den gleichen Sachverhalt bezieht wie die vorherige, ist sehr allgemein formuliert. Dazu können wir sagen: Wir haben keine konkreten Kenntnisse darüber, in welcher Form Steuerpflichtige betreut werden. Wir gehen allerdings - da will ich auf die Aussage von vorhin zurückkommen - davon aus, dass weder die Commerzbank noch andere Banken ihre Kunden bei Steuerhinterziehung unterstützen oder Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten. Ich muss davon ausgehen, weil, wie betont, alles andere sowohl regelwidrig als auch - um das ganz deutlich zu sagen - nicht zu akzeptieren wäre.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In einem Bericht einer Schweizer Zeitung, des TagesAnzeigers, wird darüber berichtet, dass Schweizer Kunden in Filialen der Dresdner Bank in Deutschland eine Beratung erfahren, die ihnen durchaus dabei helfen könnte, Steuerhinterziehung zu betreiben. Jetzt gibt es gerade einen Konflikt, im Rahmen dessen die Bundesrepublik Deutschland der Schweiz und Schweizer Banken vorwirft, Selbiges mit deutschen Steuerpflichtigen zu tun. Wie bewerten Sie diesen Sachverhalt vor dem Hintergrund genau dieser Forderung der Bundesregierung?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Ich will zunächst noch einmal sehr deutlich machen, dass alle Maßnahmen, die rein hypothetisch - ich sage nochmals: ich unterstelle das keiner Bank und kann das auch keiner Bank unterstellen - zu einer Unterstützung von Steuerhinterziehungen führen würden, von uns nicht akzeptiert werden können. Über die von Ihnen angesprochene konkrete Frage hinaus, auch was die von der Bundesregierung entsandten Vertreter im Aufsichtsrat angeht, die ich schon vorhin beantwortet habe, will ich deutlich machen, dass in der Bundesregierung durchaus zu Recht darüber diskutiert wird, inwieweit eine Gesetzgebung dazu beitragen kann, Steuerhinterziehung und Geschäfte mit Steueroasen schwieriger zu gestalten.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In § 5 der Finanzmarktstabilisierungsfondsverordnung heißt es, dass an Unternehmen, die Stabilisierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen, Anforderungen gestellt werden sollen, um eine solide und umsichtige Geschäftspolitik zu gewährleisten. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass zu einer soliden und umsichtigen Geschäftspolitik auch gehört, sämtliche Aktivitäten, die einer Steuerflucht deutscher Steuerpflichtiger in entsprechenden Territorien Vorschub leisten könnten, zu unterlassen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Die Überzeugung der Bundesregierung, dass solche Maßnahmen nicht unterstützt werden dürfen, kann sich nicht nur auf das Finanzmarktstabilisierungsgesetz beziehen. Es ist vielmehr völlig klar, dass die Bundesregierung nie akzeptieren würde - es geht nicht nur um die Auffassung der Bundesregierung, sondern das ist auch eine rechtliche Frage -, dass Hilfe zur Steuerhinterziehung geleistet wird. Ich vermute, dass sich die Frage darauf bezieht, inwiefern in die Verträge, die von dem SoFFin ausgehandelt werden, entsprechende Maßnahmen konkret hineingeschrieben werden. Das ist eine Frage - das wissen auch Sie -, die in dem entsprechenden 10-a-Gremium jeweils im konkreten Fall besprochen werden muss.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Frage 18 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird schriftlich beantwortet. Wir sind deshalb am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar Wöhrl. Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Ernst Burgbacher werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Irmingard ScheweGerigk auf: Wie begründet die Bundesregierung die Entscheidung vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, den Lenkungsrat Unternehmensfinanzierung ohne Berücksichtigung des im Bundesgremienbesetzungsgesetz verankerten Gebots der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern besetzt zu haben, und wie ist diese Entscheidung mit der Forderung der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, nach einem gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Führungspositionen in der öffentlichen Verwaltung vereinbar?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ich beantworte die Frage wie folgt: Die acht vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg, für den Lenkungsrat Unternehmensfinanzierung berufenen Mitglieder wurden im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit und ihre besonderen Erfahrungen in Wirtschafts- und Finanzfragen ausgewählt. Hierbei wurde auch das im Bundesgremienbesetzungsgesetz verankerte Gebot der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern berücksichtigt. Die Bemühungen, für dieses Amt auch eine Frau zu finden, waren leider nicht erfolgreich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde es etwas merkwürdig, wenn man hört, dass es in Deutschland für die Besetzung dieses wichtigen Gremiums keine Frauen geben soll. Ich frage Sie, wie die Bundesregierung künftig sicherstellen möchte, dass ein Gesetz, das vom Bundesparlament beschlossen worden ist, von Teilen der Bundesregierung auch umgesetzt wird.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ich kann Ihnen sagen, wie es bei dem Lenkungsrat gewesen ist. Wir haben wirklich versucht, geeignete Persönlichkeiten unter Berücksichtigung der Frage, was die Aufgabe des Gremiums sein soll - beratende Funktion bei der Unternehmensfinanzierung -, zu finden, die besondere Erfahrungen, Qualifikationen, Reputation in Wirtschaft und Wissenschaft sowie Flexibilität besitzen und verfügbar sind; denn die Gremien werden oft kurzfristig einberufen. Es war sehr schwierig, jemanden zu finden. Die Bemühungen - damit komme ich zu Ihrer Frage - haben leider nicht zum Erfolg geführt. Man kann niemanden zwingen, in ein Gremium zu gehen. Daher waren die diesbezüglichen Anfragen nicht von Erfolg gekrönt.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht können Sie beim nächsten Mal auf das Parlament zurückgreifen und dort nachfragen. So gibt es zum Beispiel unter den Wirtschaftsweisen eine hochqualifizierte Frau. Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade über die Unabhängigkeit derjenigen gesprochen, die im Lenkungsrat sind. Bei diesen acht Herren - man kann fast von einer Tafelritterrunde sprechen, die Herr zu Guttenberg einberufen hat - handelt es sich bis auf eine Person - eine Person ist ein Wissenschaftler, der unabhängig ist - um engagierte Lobbyisten, die im eigenen Interesse handeln. Darum meine Frage: Sind Sie nicht wie ich der Meinung, dass es hier einen Interessenkonflikt geben könnte?

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Ich bin nicht Ihrer Auffassung. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs für Wirtschaft und Technologie. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Frage 23 des Kollegen Bonde wird schriftlich beantwortet. Ebenso werden die Fragen 24 und 25 des Kollegen Wolfgang Gehrcke schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Elisabeth Scharfenberg auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Kritik der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer, CSU, an den Vereinbarungen nach § 115 des Elften Buches Sozialgesetzbuch, SGB XI, über die Veröffentlichung und Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen in der ambulanten und stationären Pflege - „Schulnotensystem“ - in der Süddeutschen Zeitung vom 11. März 2009, wonach dieses Konzept seinen Zweck verfehle, durch mehr Transparenz und Vergleichbarkeit der Leistungen Missstände abzustellen, und der Forderung Christine Haderthauers an die Bundesregierung, diese Vereinbarung der Selbstverwaltung zu ändern?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Scharfenberg, der Gesetzgeber hat entschieden, dass im Rahmen der Neuregelung der Qualitätsvorschriften des SGB XI die Transparenz als Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung von Pflegekassen und Leistungserbringern auch dadurch hergestellt werden soll, dass die Pflegequalität im Interesse all derjenigen, die Pflegeleistungen für ihre Angehörigen oder für sich selbst suchen, in Zukunft stärker kontrolliert wird. Wie Sie wissen, gab es im ganzen letzten Jahr vielerorts große Überschriften, die zum Thema hatten, dass Pflege nicht sachgerecht durchgeführt wird, dass es im Bereich der Pflege einzelne schwarze Schafe gibt. Unser Anliegen war, mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz endlich zu einer transparenten Struktur zu kommen. Wir haben gemeinschaftlich entschieden, dass Qualität einfach dokumentierbar und messbar sein soll. Auch die CSU im Bundestag und das Land Bayern haben dieser neuen Qualitätsmessung in Pflegeheimen grundsätzlich zugestimmt. Die Vertragsparteien in der Pflegeselbstverwaltung haben sich auf dieser gesetzlichen Grundlage bemüht, ein inhaltlich tragfähiges Verhandlungsergebnis zu erzielen. Die Selbstverwaltung hat nun ein Bewertungssystem vorgeschlagen, das die Kriterien der Pflegequalität dokumentiert. Erstmals sind damit Transparenz und Vergleichbarkeit von Pflegequalität auf einer bundesweit einheitlichen Grundlage möglich. Insofern halte ich das Notensystem in der Pflege für einen deutlichen Fortschritt, vor allen Dingen für diejenigen, die mehr wissen wollen als das, was in einer Hochglanzbroschüre steht, die ihnen vorgelegt wird, die also erfahren wollen, wie die Pflegequalität in der jeweiligen Einrichtung ist. Die Bundesregierung betrachtet die Vereinbarungen als wichtigen ersten Schritt. Wir haben die beteiligten Gruppen immer in ihrer Forderung unterstützt, dass man zu einem einfachen und transparenten System zurückfindet. Wir haben deshalb mit den an der Selbstverwaltung Beteiligten gesprochen. Wir haben darum gebeten, dass die Bewertungssystematik verdeutlicht wird. Durch die optische Darstellung der einzelnen Noten sollte beispielsweise klar werden, dass eine schlechte Pflegequalität in einem Heim, für die es die Note Vier bekommt, nicht durch eine gute Verpflegung, für die es die Note Eins bekommt, ausgeglichen werden kann. Die Selbstverwaltung hat unsere Hinweise aufgegriffen: Die Note Vier wird optisch deutlicher dargestellt; auch die Gewichtung ist klar. Zum Beispiel fließt die Qualität der Pflege mit 52 Prozent in die Gesamtnote ein. Dem werden Ausstattungsmerkmale eines Heimes oder die dortige Verpflegung nachgeordnet. Wir erhalten das, was die Selbstverwaltung vorgelegt hat, für konsensfähig. Wir haben im Prozess Anregungen gegeben. In unserem System ist zunächst einmal die Selbstverwaltung gefordert. Wir können dieses System unterstützen und begleiten. Wir sind froh, dass unsere Hinweise aufgegriffen wurden: Beurteilungen ab Note Vier werden optisch deutlicher dargestellt; man macht klar, wie die einzelnen Noten zu gewichten sind. Wir wollen, dass dieses neue System möglichst bald kommt, damit diejenigen, die eine Heimeinrichtung für sich selbst oder für ihre Angehörigen suchen, wissen, ob sie für ihr gutes Geld auch eine gute Qualität bekommen. Ich glaube, auf eine solche Information haben die Menschen sehr lange gewartet. Deswegen kann ich die Kritik aus Bayern sowohl am Vorhaben als auch an der Art der Durchführung in keiner Weise verstehen. Meines Erachtens geht sie nach dem langen Diskussionsprozess zum jetzigen Zeitpunkt in die falsche Richtung. Eigentlich haben wir das gemeinsam beschlossen und auf den Weg gebracht. Ich halte der Kollegin Haderthauer zugute, dass sie neu in diesem Amt ist. ({0}) Das erklärt vielleicht, dass sie den langen Vorlauf nicht kannte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, Sie hätten Hinweise dazu gegeben, wie das System nachzubessern ist, und erklärt, das solle möglichst bald geschehen. Können Sie die Zeitangabe „möglichst bald“ genauer fassen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich möchte noch einmal hervorheben, dass wir bereits in diesem Abstimmungsprozess sind. Uns hat die Selbstverwaltung Anfang dieser Woche eine überarbeitete Version vorgelegt, in der die Abwertungen deutlicher werden. Bislang war es so, dass eine Durchschnittsnote am Ende auch gegeben wurde, wenn ein Bereich mangelhaft war. Unseres Erachtens muss man aber deutlich machen: Wenn in einem zentralen Bereich, in der Pflege beispielsweise, die Note „mangelhaft“ vergeben wird, dann kann es nicht zu einer Gesamtnote kommen. Diese Anregungen sind aufgegriffen worden. Uns wurde, wie gesagt, schon am Dienstag eine überarbeitete Version vorgelegt. Statt eine öffentliche Kritik zur Unzeit zu formulieren, hätte man besser mit konkreten und in der Sache wichtigen Beiträgen an der Verbesserung des Systems gearbeitet. Wir sind froh darüber, dass unsere Ideen aufgegriffen wurden. Ich darf an dieser Stelle noch einmal hervorheben: Es ist dadurch ein bundeseinheitliches System. Es ist ein klares System. Jeder weiß, was Schulnoten bedeuten, was beispielsweise eine Eins oder eine Fünf bedeutet. Wir wollten etwas entwickeln, das für die Menschen leicht nachvollziehbar ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Frage.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Als bayerische Abgeordnete kann ich Ihnen darin zustimmen, dass aus den Reihen der CSU oft zur Unzeit Kritik kommt. Nun würde mich Folgendes interessieren: Hat sich die CSU bei den Verhandlungen zum Pflege-Weiterentwicklungsgesetz für eine entsprechende Ausgestaltung eingesetzt, gerade bei § 115 SGB XI? Das hat Frau Haderthauer ja kritisiert. Es bestand für die CSU als Regierungspartei doch die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen und auf eine positive Gestaltung zu drängen. Das wäre besser gewesen, als jetzt im Nachhinein zu kritisieren.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich möchte nicht aus den internen Verhandlungen zitieren. Ich habe Ihnen vorhin das Ergebnis dargestellt. Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz ist mit großer Mehrheit, auch mit einem einstimmigen Votum der Regierungsparteien, verabschiedet und auch von der Union in ihrer Gesamtheit mitgetragen worden. Es gab damals keinen Dissens; im Gegenteil. Man hat von uns immer gefordert - darin waren sich alle Pflegefachleute einig -, dass die Qualität in den Einrichtungen messbar und dokumentierbar ist. Beiden Anforderungen wird dieser Vorschlag gerecht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Elisabeth Scharfenberg auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung des Weiteren aus der Kritik an den Vereinbarungen nach § 115 SGB XI, beispielsweise der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer ({0}) oder auch weiterer Akteure im Rahmen eines Beitrags der ARD-Sendung Report Mainz ({1}), wonach eine schlechte Beurteilung einer Pflegeeinrichtung/eines Pflegedienstes in einem Kriterium durch die positive Bewertung in einem anderen Kriterium ausgeglichen werden könne oder dass an der Entwicklung der Kriterien nach § 115 SGB XI die maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinderten Menschen sowie unabhängige Verbraucherorganisationen nicht in ausreichendem Maße beteiligt worden seien?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Scharfenberg, ich antworte Ihnen gern darauf. Die Verbände der pflegebedürftigen und behinderten Menschen wurden im Rahmen eines schriftlichen Anhörungsverfahrens beteiligt. Ansonsten haben die einzelnen Parteien der Selbstverwaltung gemeinschaftlich an dem neuen Notensystem gearbeitet. Es ist also im Konsens entwickelt worden. Zu der Frage, was zur Abwertung führt und wie Transparenz hergestellt wird, habe ich Ihnen gerade schon erläutert, dass es gegenüber dem ersten Vorschlag Veränderungen gibt. Sie sind uns am Dienstag dieser Woche vorgestellt worden. Wir sind sehr froh darüber, dass die Selbstverwaltung auf die Vorschläge, die das Bundesgesundheitsministerium unterbreitet hat, eingegangen ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Für wie zielführend hält es die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt von Transparenz und Übersichtlichkeit, dass es parallel zu dem Verfahren nach § 115 SGB XI noch andere Ansätze gibt, zum BeiElisabeth Scharfenberg spiel das sogenannte Heimverzeichnis, das vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz finanziell gefördert wird? Ist an eine Zusammenführung in irgendeiner Form gedacht?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich glaube, es handelt sich hier um unterschiedliche Ansätze. Bund und Länder waren sich eigentlich einig, dass das Schulnotensystem für die Heime das einzige System bleiben soll, das bundesweit die Qualität der Einrichtungen misst. Es ist natürlich auch wichtig, dass man Grunddaten erhebt, um einen Überblick über die Zahl der Einrichtungen in einer Region zu erhalten. Aber die Pflegequalität sollte - das haben wir im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz so geregelt - nur durch ein bundesweites System ermittelt werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, meine letzte Frage. - Hält es die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Transparenz und Übersichtlichkeit für förderlich, dass die Ergebnisse der Qualitätsprüfung nach § 115 SGB XI nicht bundesweit auf einem Internetportal, sondern auf 16 Internetportalen - das heißt, es gibt pro Bundesland jeweils eins - veröffentlicht werden? Wenn ja, warum?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Liebe Frau Kollegin Scharfenberg, wir haben ein föderales System, gerade im Bereich der Heimstrukturen. Sie wissen, dass das Heimrecht im Zuge der Föderalismusreform in die Verantwortung der Länder übergegangen ist. Insofern glauben wir, dass es Sinn macht, wenn jedes Bundesland separat informiert. Entscheidend ist aber, dass die Qualität überall in Deutschland künftig in jedem Heim und in jeder anderen Betreuungseinrichtung, die Altenpflege betreibt und Pflegebedürftige hat, nach einheitlichen Kriterien gemessen wird und damit von Flensburg bis Bayern dasselbe Notensystem herrscht, damit einer, der innerhalb Deutschlands umzieht, eine nach denselben Kriterien erstellte Beurteilung der Einrichtungen vorfindet. Das ist ein deutlicher Fortschritt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. Ilja Seifert werden schriftlich beantwortet. Wir sind deshalb am Ende dieses Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Achim Großmann. Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Wann tagte der Prüfungsausschuss der Deutschen Bahn AG seit dem Amtsantritt von Hartmut Mehdorn als Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Bahn AG, und welche Themen wurden auf den jeweiligen Prüfungsausschusssitzungen behandelt?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Hofreiter, der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn AG konstituierte sich mit seiner ersten Sitzung am 29. September 2003. Danach fanden weitere Sitzungen zweimal jährlich, ab 2006 fünfmal jährlich statt. Gegenstände der Sitzungen des Prüfungsausschusses waren im Wesentlichen Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements, die Erörterung der Abschlüsse der Deutschen Bahn AG und des Konzerns sowie die Vorbereitung der Beschlüsse des Aufsichtsrates über den Jahresabschluss des vorangegangenen Geschäftsjahres, die Wahl des Jahresabschlussprüfers für das laufende Geschäftsjahr, die Budgetplanung, die Mittelfristplanung, Quartalsberichte, Halbjahresabschlüsse, die Weiterentwicklung des Bereichs Compliance sowie die interne Revision. Die Inhalte unterliegen der Verschwiegenheitspflicht nach § 395 Abs. 1 des Aktiengesetzes.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da sich die zweite Frage auf einen ähnlichen Sachverhalt bezieht, könnte sie der Herr Staatssekretär gleich mitbeantworten?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich auch die Frage 31 auf: Wie hat der Prüfungsausschuss der Deutschen Bahn AG die diversen Konzernmitarbeiterausspähaktionen im Hause Mehdorn behandelt, und welche Konsequenzen sollen für die Zukunft gezogen werden?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Das mache ich gerne. - Nachdem, Herr Kollege Hofreiter, die Zusammenarbeit der Deutschen Bahn AG mit der Firma Network Anfang Juni 2008 durch die Presse publik wurde, erfolgte auf Initiative der Bundesregierung - ich wiederhole: auf Initiative der Bundesregierung - eine Unterrichtung durch die Deutsche Bahn AG über die Zusammenarbeit in den Sitzungen am 23. Juni 2008, am 8. September 2008 und am 4. Dezember 2008, am 30. Januar 2009 und am 18. Februar 2009. In den ersten beiden Sitzungen im Juni und September 2008 wurden jeweils nur Zwischenberichte gegeben, weil die vom Vorstand der Deutschen Bahn AG eingeleiteten Prüfungen nicht abgeschlossen waren. Der Sachstand vom Dezember 2008 wurde dem Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in einem Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit Datum vom 9. Januar 2009 mitgeteilt. Die Sitzung des Prüfungsausschusses am 30. Januar 2009 kam auf Verlangen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zustande. Der Aufsichtsrat wurde von mir über das Ergebnis der Sitzung informiert. Erst in dieser Sitzung, also am 30. Januar 2009, das heißt nach der Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 28. Januar 2009, berichtete die Deutsche Bahn AG dem Prüfungsausschuss über das Daten-Screening von 173 000 Mitarbeitern. Im Ergebnis seiner Sitzung vom 18. Februar 2009 hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG die KPMG AG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, mit der umfassenden und unabhängigen Untersuchung der Deutschen Bahn AG im Hinblick auf Verstöße gegen die Compliance, unter anderem bei der Korruptionsbekämpfung und dem Abgleich von Mitarbeiterdaten seit Mitte der 90er-Jahre, beauftragt und die Rechtsanwälte Gerhart Baum, früherer Bundesinnenminister, und Frau Professor Dr. Däubler-Gmelin, frühere Bundesjustizministerin, mit der Begleitung der von der KPMG AG durchgeführten Untersuchung und der rechtlichen Bewertung ihrer Ergebnisse betraut. Darüber hinaus hat der Aufsichtsrat einen Compliance-Ausschuss eingerichtet, der sich explizit mit den gegen die Deutsche Bahn AG erhobenen Vorwürfen befasst und bis zur vollständigen Aufklärung die Untersuchungen federführend begleitet. Nach Abschluss dieser Untersuchungen wird über die weiteren Schritte beraten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist über die Probleme zum ersten Mal am 23. Juni 2008 im Prüfungsausschuss berichtet worden.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

In dieser Sitzung, die, wie gesagt, von der Bundesregierung beantragt worden ist, hat Herr Dr. Schaupensteiner im Grunde genommen das Gleiche gesagt wie in der Verkehrsausschusssitzung, an der auch Sie teilgenommen haben. Das heißt, es gab die gleichen Informationen über die Zusammenarbeit, die damals auch dem Verkehrsausschuss gegeben worden sind.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch drei Zusatzfragen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die muss ich ja nicht unbedingt alle stellen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, müssen Sie nicht.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Bundesregierung war im Prüfungsausschuss also nicht früher informiert bzw. hatte nicht mehr Informationen als der Verkehrsausschuss. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Was die Frage der ersten Information anbetrifft, haben Sie mich zutreffend verstanden. Sie wissen, dass Anfang Juni 2008 infolge der Medienberichterstattung über die Bespitzelungen bei der Telekom die Öffentlichkeit über einen Artikel im Handelsblatt auf die Zusammenarbeit mit Network aufmerksam gemacht worden ist. Der Bahnvorstand sagt uns bis zum heutigen Tage, zu diesem Zeitpunkt habe er von der Zusammenarbeit zum ersten Mal Kenntnis erhalten.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das heißt, Sie können auch ausschließen, dass die Bundesregierung im Prüfungsausschuss vorher, als Sie noch kein Mitglied des Ausschusses waren - damals waren es Herr von Randow und dann Herr Hennerkes, wenn ich das richtig im Kopf habe; es gab ja dort schon einige Staatssekretäre -, informiert worden ist?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass ich erst später - erst seit Dezember 2008 - Mitglied des Prüfungsausschusses geworden bin. Ich habe auch keinen Zugriff auf die früheren Protokolle. Ich habe Ihnen das zur Kenntnis gegeben, was ich sagen kann, auch auf der Basis dessen, was ich von meinen Kolleginnen und Kollegen, unter anderem von Herrn Hennerkes und Herrn von Randow, erfahren habe, die ich dazu natürlich befragt habe. Demnach gab es im Prüfungsausschuss vorher keine Berichterstattung zum Thema Network.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Frage 32 der Kollegin Veronika Bellmann wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 33 und 34 des Kollegen Peter Hettlich. Ich rufe deshalb die Frage 35 des Kollegen Dr. Stephan Eisel auf: Welche akustischen Messungen zur unterschiedlichen Lärmbelästigung durch Diesel- bzw. Elektrolokomotiven liegen der Bundesregierung vor?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Eisel, nach bisher vorliegenden Erkenntnissen aus Feldversuchen der Deutschen Bahn AG ergeben sich bei der Vorbeifahrt von Zügen mit Lokomotiven keine signifikanten Unterschiede bei der Lärmemission von Elektro- und Dieseltraktion, da die Geräuschentwicklung im Wesentlichen vom Wagenzug ausgeht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage gezielt nicht beantwortet. Meine Frage lautet: Welche akustischen Messungen zur unterschiedlichen Lärmbelästigung durch Diesel- bzw. Elektrolokomotiven liegen der Bundesregierung vor?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich habe diese Messungen nicht im Einzelnen aufgeführt, aber ich habe Ihnen die Ergebnisse bekannt gegeben. Wenn Sie Wert auf zusätzliche Informationen legen, dann werde ich im zuständigen Referat nachfragen. Ich habe Ihnen geantwortet: „Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen aus Feldversuchen …“. Das ist ein Hinweis darauf, wie diese Daten gewonnen worden sind. Wenn Sie die Frage bis in die Tiefe beantwortet haben wollen, dann müssen wir uns bei der Deutschen Bahn AG erkundigen, wo diese Feldversuche stattgefunden haben und wer sie durchgeführt hat. Dann könnte ich Ihnen diese Daten nachliefern. Aber bitte denken Sie daran, dass wir gehalten sind, bei der Beantwortung von Fragen immer auch die Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gegen die Nachlieferung der Daten habe ich nichts. Sie haben gesagt, die Rollgeräusche der Züge seien entscheidend. Meine Zusatzfrage lautet daher: Gehen Sie davon aus, dass die von den Lokomotiven verursachten Geräusche nicht zu diesen Geräuschen gehören?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Dr. Eisel, die Rollgeräusche von Elektro- und Diesellokomotiven sind gleich zu bewerten, so sagen uns alle Fachleute. Während bei Elektrolokomotiven vor allem die Lüftergeräusche höhere Schallemissionen erzeugen, tritt bei den Diesellokomotiven bei Volllastbetrieb - zum Beispiel beim Anfahren - das Motorgeräusch einschließlich Turbolader in den Vordergrund. Bei Triebfahrzeugen mit Dieselmotor und elektrischer Kraftübertragung - sei es nun ein Generator, sei es ein elektrischer Fahrmotor - überlagern sich die Geräusche der verschiedenen Aggregate.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage des Kollegen Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, dass der Stromabnehmer von Elektrolokomotiven sehr wohl in die Lärmberechnung eingeht? Wenn die Frage nach der Lärmbelastung korrekt beantwortet werden soll, muss auch dieser Lärmbeitrag gemessen werden.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich habe gerade in der Antwort auf die Zusatzfrage von Herrn Dr. Eisel gesagt, dass bei Elektrolokomotiven vor allem die Lüfter höhere Schallemissionen erzeugen. Daraus folgt, dass ich nicht von einer abschließenden Aufzählung aller Emissionsquellen gesprochen habe. Es kommen natürlich noch einige andere Quellen hinzu. Auch wenn ich Ihnen zustimmen würde, würde es so sein, dass einige Geräuschquellen weiterhin unberücksichtigt wären, über die wir dann auch noch sprechen müssten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Jetzt rufe ich als letzte Frage in dieser Fragestunde die Frage 36 des Kollegen Dr. Stephan Eisel auf: Welche europäischen und nationalen Rechtsvorschriften müssten verändert werden, um den Einsatz von Diesellokomotiven auf voll elektrifizierten Strecken einzuschränken bzw. auszuschließen, und welche Initiativen beabsichtigt die Bundesregierung in diese Richtung?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Die europäischen Richtlinien zur Liberalisierung und Öffnung der Eisenbahnmärkte sehen nicht vor, den Einsatz von Diesellokomotiven auf elektrifizierten Strecken zu verbieten. Eine nationale Rechtsvorschrift, die eine bestimmte Traktionsart - zum Beispiel Lokomotive mit Verbrennungsmotor - ausschließt oder beschränkt, müsste daher insbesondere auch im Hinblick auf die im europäischen Recht festgelegten Anforderungen an den diskriminierungsfreien Netzzugang geprüft werden. Eisenbahnunternehmen sind in ihrer Entscheidung derzeit grundsätzlich frei, für ihre Transporte in Abhängigkeit von den jeweiligen Verhältnissen - zum Beispiel teils elektrifizierte, teils nicht elektrifizierte Streckenabschnitte - selbst die geeigneten Lokomotiven zu wählen. Inwieweit dabei künftig Umweltgesichtspunkte zu berücksichtigen sind, bedarf einer weiteren Prüfung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann gibt es keine nationalen Vorschriften, aber Vorschriften auf europäischer Ebene. Meine Frage war, welche Vorschriften verändert werden müssten, um den unsinnigen Zustand zu beenden, dass auf vollelektrifizierten Bahnstrecken laute und erschütterungsintensive Dieselloks eingesetzt werden.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich habe schon davon gesprochen, dass die Europäische Union als ersten Grundsatz die Diskriminierungsfreiheit vorsieht. Nun haben Sie in Europa die Situation, dass sich Strecken mit elektrischer Oberleitung und Strecken ohne elektrische Oberleitung abwechseln. Daher ist es sehr schwer, einen diskriminierungsfreien Zugang zu gewährleisten, wenn es entsprechende Reglementierungen geben würde. Herr Dr. Eisel, ich glaube, dass keine Richtlinie geändert werden müsste. Man sollte sich vielmehr darüber Gedanken machen, ob man im Rahmen der Lärmrichtliniengesetzgebung der Europäischen Union ordnungspolitisch Möglichkeiten findet, auf hoch lärmbelasteten Strecken bestimmte Traktionen vorzuschreiben. Vielleicht kann dies zu Beginn über gesplittete Trassenpreise geschehen, indem man die Züge, die einen höheren Lärm emittieren, mit deutlich höheren Trassenpreisen belegt. Ich denke, das wäre ein richtiger Einstieg. Wir alle machen uns ja Gedanken darüber, wie wir Lärm reduzieren können. Der Intention Ihrer Frage kann ich sehr zustimmen; die verstehe ich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie können noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege.

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vor dem Hintergrund, dass die EU-Kommission lärmabhängige Trassenpreise vorsieht, frage ich, ob die Bundesregierung bereit ist, darüber nachzudenken, dass eine Voraussetzung für lärmabhängige Trassenpreise die Messung des Lärms ist. Dies betrifft auch die Lokomotiven.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sie wissen, dass die Ermittlung von Lärm über Berechnungsformeln erfolgt. Diese sind gerichtsfest. Wir haben gerade die Schall 03 weiterentwickelt, sodass die technischen Grundlagen für die Bewertung von Lärm vorliegen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 37 bis 39 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, die Fragen 40 bis 43 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die Fragen 44 bis 48 aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts und die Fragen 49 bis 58 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern werden wie in der Geschäftsordnung vorgesehen behandelt. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit der Aktuellen Stunde beginnen, bitte ich Sie, sich für einen Nachruf von den Plätzen zu erheben. ({0}) Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind ebenso wie wir tief erschüttert und voller Entsetzen über den Amoklauf, der sich am 11. März 2009 in der Albertville-Realschule in Winnenden ereignet hat. Ein ehemaliger Schüler ist am Mittwochmorgen vergangener Woche in die Schule eingedrungen und schoss gnadenlos auf Schüler und Lehrer. Hierbei und bei seiner anschließenden Flucht tötete der 17-Jährige insgesamt 15 Menschen, bevor er sich selber umbrachte. Nach dem furchtbaren Geschehen in Winnenden fragen sich viele, was einen Jugendlichen dazu veranlasst, seine Mitmenschen zu erschießen und ihren Familien so großes Leid zuzufügen. Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es ebenso wenig wie einfache Lösungen, um solche Bluttaten zukünftig zu verhindern. Sprachlos bleiben wir zurück und müssen darüber nachdenken, was wir alle gemeinsam gegen derart schreckliche Taten unternehmen können. Unser aufrichtiger Dank gilt den Lehrern der Schule für ihren selbstlosen Einsatz. Unter Lebensgefahr und obwohl manche von ihnen bereits verletzt waren, brachten sie ihre Schüler in Sicherheit und verhinderten somit weitere Opfer. Dieses Verhalten verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung. Wir danken auch den Polizistinnen und Polizisten für ihr couragiertes Auftreten. Allen Einsatzkräften vor Ort herzlichen Dank für ihre Fürsorge und Unterstützung. Den Verletzten, von denen einige noch immer stationär behandelt werden müssen, wünschen wir eine schnelle und vollständige Genesung. Der Deutsche Bundestag trauert mit den Angehörigen der Opfer, ihren Familien, Freunden und allen, die ihnen nahestanden. Wir drücken unser tiefempfundenes Mitgefühl und unser Beileid aus. Vielen Dank. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Kinder, Jugendliche, Familien stärken - Konsequenzen nach dem Amoklauf Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ilse Falk, CDU/CSU-Fraktion.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, wir trauern mit den Eltern und Familien der Opfer, die ihr Liebstes verloren haben. Wir leiden mit Schülern und Schülerinnen, mit ihren Lehrern und Lehrerinnen, die das Grauen miterleben mussten. Hilflos stehen wir vor der Trauer und Not der Eltern und Schwester des Täters, die den Sohn und Bruder verloren haben und dessen Tat sie in Abgründe blicken lässt, die sie sich sicher nie haben vorstellen können. Wir suchen nach Wegen aus der Hilflosigkeit und werden als Politiker nach Antworten gefragt, die solche Taten in Zukunft verhindern könnten; als ob man nur ein paar Stellschrauben drehen müsste und alles wäre wieder im Lot. Ich will die fünf Minuten Redezeit, die uns in der Aktuellen Stunde zur Verfügung stehen, nutzen, den Blick auf einige Fragen zu richten, mit denen wir uns viel intensiver auseinandersetzen müssen: Was ist mit unserer Gesellschaft eigentlich los? Was läuft so gründlich schief, dass wir zum Beispiel eine ständig steigende Zahl psychisch kranker Erwachsener und eben auch Kinder zu verzeichnen haben? Warum gibt es so viel Vereinsamung bei Kindern und Erwachsenen in unserem Land? Warum flüchten sich immer mehr Kinder und auch Erwachsene in die Scheinwelt von Fernsehen, Videos, Internet oder Computerspielen, häufig mit gewaltverherrlichendem Inhalt, und leben dort ihre Fantasien aus? Warum glauben viele Medien, nur noch mit Sensationsjournalismus Quote machen zu können? Bestimmt die Nachfrage das Angebot oder umgekehrt? Können Bilder wirklich Interesse am Mitmenschen ersetzen und das Reden über ihn das Reden mit ihm? Ich glaube, es ist wichtig, sich auch bei diesen Fragen Zeit für gut bedachte Antworten zu nehmen. Natürlich sind die Eltern die zuvörderst in der Verantwortung Stehenden, die zunächst einmal wissen sollten, was überhaupt das eigene Kind bewegt, was es in der Abgeschiedenheit des technisch hochgerüsteten eigenen Zimmers macht. Erlauben Sie daher, dass ich hier aus einem, wie ich finde, klugen Kommentar des Spiegel zitiere, der an Eltern viele eindringliche Fragen richtet. Dort heißt es: Wie heißt eigentlich der Klassennachbar Ihres Kindes? Welches Buch liest es gerade? Liest es überhaupt? Wie lange hat sich Ihr Kind gestern bei SchülerVZ herumgetrieben - und mit wem? Über welchen Lehrer hat es sich zuletzt geärgert? Und was haben Sohn oder Tochter am kommenden Wochenende vor? Wann haben Sie Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter zuletzt etwas erklärt, womit die Kinder wirklich etwas anfangen konnten? Viele Aufgaben, die früher in der Familie erbracht wurden, können heute guten Gewissens anderen übertragen werden, aber nicht das Kümmern um die Seelen des Kindes. Dazu braucht es Eltern, die Familie, kurz: Menschen, die man hören und fühlen kann, denen man vertraut und die einen einfach in den Arm nehmen, wenn Freude oder Kummer einen zu überwältigen drohen. Dazu braucht es Eltern, die ihr Kind so lieben, wie es ist, und die es nicht mit Erwartungen überfrachten und Enttäuschungen spüren lassen, wenn es sie nicht erfüllt; Eltern, die aber auch Grenzen ziehen und Nein sagen, wenn es für das Kind besser ist. Kinder suchen Grenzen in ihrem Lebensraum. Aber tatsächlich wird ihre Welt immer grenzenloser. Das verunsichert im realen Leben und lässt die Flucht in die grenzenlose virtuelle Welt umso verlockender erscheinen. Das ist offensichtlich für Jungen besonders reizvoll und lässt uns fragen, was wir an ihnen versäumen. Haben wir so wenig andere Orte, an denen sich gerade Jungen erproben und ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln können? Mir ist klar, dass ich viele Fragen stelle, wo Antworten erwartet werden. Ich will aber doch wenigstens mit einer Teilantwort schließen, die allerdings weder einfach noch bequem ist. Wir alle sind gefordert, nicht nur in der Not Anteil am Nächsten zu nehmen, sondern zu allen Zeiten. Eine Gesellschaft ist nur dann lebensfähig, wenn Familien stark sind, wenn Nachbarschaft trägt, wenn sich jede und jeder Einzelne für das Ganze mitverantwortlich fühlt. Der Staat, also wir, hat für gute Rahmenbedingungen zu sorgen und Hilfe zu geben, wo die eigenen Kräfte schwach sind oder gar versagen. So wichtig es ist, in der Trauer zusammenzustehen, so wichtig ist es, alltägliche Sorgen und Nöte und hoffentlich auch Freude zu teilen. Das geht nur, wenn wir uns kennen und wenn wir Interesse aneinander haben. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollegen Hartfrid Wolff, FDP-Fraktion, das Wort.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Diese Debatte heute hat nichts mit einer üblichen Aktuellen Stunde zu tun. Diese Debatte kann keine Lösung präsentieren. Betroffenheit und Trauer sind für mich bestimmend. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen hat uns alle erschüttert und fassungslos gemacht. Unser Mitgefühl gilt den Opfern, den Verletzten, den Angehörigen der Ermordeten und allen, die diese fürchterliche Tat miterleben mussten. In der katastrophalen Situation waren zahllose Retter schnell vor Ort. Die Polizei war nach nur drei Minuten am Ort des Geschehens und griff beherzt ein. Dies in einer solchen Situation zu tun, diesen Mut aufzubringen, ist in höchstem Maße beachtenswert. Der Stuttgarter Regierungspräsident hat auf das großartige Verhalten der Lehrer in der Albertville-Realschule hingewiesen; die Frau Präsidentin hat das ebenfalls getan. Ich kann nur sagen: Für mich sind die Lehrerinnen und Lehrer Helden. Obwohl manche schon verletzt waren, haben sie die Schüler noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht, die Türen verschlossen und die Schülerinnen und Schüler beruhigt. Ihnen und allen Helfern gilt unser Dank für ihren umsichtigen, großartigen Einsatz. Alle Helfer und Seelsorger wurden mit furchtbaren Eindrücken unmittelbar konfrontiert. Viele sind noch immer vor Ort und stehen den Trauernden zur Seite. Die Last dieser Ereignisse wird sie noch lange bedrücken. Winnenden ist nicht mehr dieselbe Stadt. Das schockierende Verbrechen lässt uns alle ratlos zurück. Wir fragen betroffen, wie so etwas geschehen konnte und wie wir uns in Zukunft davor schützen können. Eine Diskussion hierüber muss stattfinden. Dabei müssen wir vor allem die Opfer im Blick haben. Ihnen sind wir es schuldig, dass wir die richtigen Schlüsse ziehen. Ich glaube aber auch, dass es für eine sachliche, eine politische und eine gesetzgeberische Schlussfolgerung noch viel zu früh ist. In letzter Zeit wurden unglaublich viele Vorschläge gemacht. Ich sage Ihnen zu, dass sich die FDP mit den seriösen Vorschlägen intensiv auseinandersetzen wird. Eine sachliche und umsichtige Prüfung der Ratschläge muss in Ruhe geschehen. Aktionismus hilft weder den Betroffenen noch dient er der notwendigen Aufarbeitung der tragischen Geschehnisse. Hartfrid Wolff ({0}) Als Abgeordneter aus dem Wahlkreis Winnenden meine ich, es ist richtig, wenn wir, die hauptamtlichen Politiker dieser Republik, nicht gleich mit vorgefertigten Lösungen kommen. Wie Menschen vor dieser Gewalt bewahrt werden können, wie Vereinzelung verhindert werden kann und der Zusammenhalt in einem Gemeinwesen funktioniert, sind komplexe Fragen. Wir brauchen eine tiefgehende Diskussion, die nicht schon eine Woche nach der grausamen Tat erfolgen sollte. Wir brauchen noch Raum für Trauer. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Caren Marks, SPDFraktion.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Einfache Antworten und schnelle Lösungen sind nicht das Gebot der Stunde. Das müssen wir uns zunächst eingestehen, wenn wir heute über Konsequenzen nach dem Amoklauf reden. Wir sind noch immer zutiefst erschüttert über die Geschehnisse in Winnenden. Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer und mit allen Betroffenen. Wie konnte es zu dieser schrecklichen Tat kommen? Was sind die näheren Umstände? Die Erfahrungen mit Amokläufen in zurückliegenden Jahren haben gezeigt: Eine solche Tat ist in letzter Konsequenz nicht zu erklären. Sie ist immer eine menschliche Tragödie. Auch weitreichende gesetzliche Regelungen können eine Tat wie diese nicht verhindern. Dafür sind die Hintergründe von Gewalt zu komplex und zu vielfältig. Reflexartige Rufe nach schärferen Gesetzen greifen deshalb zu kurz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen bedürfen in besonderem Maße unserer Aufmerksamkeit und unseres Schutzes. Was können wir Kinder-, Jugendund Familienpolitikerinnen und -politiker tun? Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist das Prinzip des Aufwachsens in öffentlicher Verantwortung zentrale Verpflichtung für unser politisches Handeln. Alle Kinder und Jugendlichen müssen gleiche Lebenschancen haben, und zwar unabhängig vom Wohnort und vom Geldbeutel der Eltern. Kinder und Jugendliche sollen unter optimalen Bedingungen aufwachsen; so lautet auch die zentrale Empfehlung des Elften Kinder- und Jugendberichts. Wir haben eine öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern. Deshalb stehen wir für eine Politik, die Jugendarbeit, Jugendhilfe und Maßnahmen der Gewaltprävention fördert. Öffentliche Verantwortung bedeutet für uns ausdrücklich nicht die alleinige Verantwortung des Staates für Erziehung und Bildung. Die öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern steht neben der Verantwortung der Eltern. Es geht darum, Eltern effektiv zu unterstützen, und zwar bei der Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder durch die Angebote von Kitas, durch mehr Ganztagsschulen und durch Beratungs- und Hilfsangebote für Kinder, Jugendliche und Eltern vor Ort. Wir haben auf diesen Gebieten in den letzten zehn Jahren in Regierungsverantwortung viel erreicht. Wir haben den Kinder- und Jugendschutz, das Strafrecht hinsichtlich gewaltverherrlichender Computerspiele und das Waffenrecht geändert. Das waren allesamt sinnvolle und wichtige rechtliche Regelungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben also gute gesetzliche Regelungen; dennoch verhindern sie solche Gewalttaten nicht. Wir müssen vor allem an anderen Lösungsansätzen weiterarbeiten. Kinder und Jugendliche brauchen Anerkennung, und zwar von Anfang an. Der bekannte Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer benennt die drei wichtigen Orte, wo eine solche Anerkennungskultur gelebt werden muss: in der Schule, in der Familie und in der Gruppe der Gleichaltrigen. Die Schule muss nicht nur Lern-, sondern auch Lebensort sein. Die Familie muss auffangen, wenn Probleme auftauchen. Die Gleichaltrigen müssen das Anderssein akzeptieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, einfache Antworten und schnelle Lösungen sind also nicht das Gebot der Stunde. Wichtig ist vielmehr, Kindern und Jugendlichen Anerkennung zu geben, sie ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und ihnen Lösungen für die Bewältigung von Krisen aufzuzeigen. Alle müssen lernen, hinzuschauen. Ich werbe deshalb für eine Kultur des Hinsehens. Das gehört zu dem, was Kinder und Jugendliche brauchen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele große und kleine Zeitungen titeln heute: Konsequenzen aus Amoklauf umstritten. Ich halte das für keinen Makel, allemal nicht nach einem so furchtbaren Ereignis wie dem Amoklauf in Winnenden. Ich wünsche mir allerdings, dass die Medien morgen titeln: Politisch unstrittig ist, dass es Konsequenzen geben muss. Das sind wir den Leidtragenden des Amoklaufes in Winnenden schuldig. Das sind beileibe nicht nur die unmittelbar Betroffenen und ihre Familien in dieser Kleinstadt. Dieser Amoklauf hat Traumata wiederbelebt, zum Beispiel in Erfurt, und er weckt unkalkulierbare Ängste in vielen Orten und in vielen Herzen. Nun wäre es fahrlässig, würden wir im Nachdenken und in dieser Debatte den Fokus allein auf das Waffenrecht lenken. Es wäre allerdings auch fahrlässig, das Waffenrecht auszublenden. Nach vielfältigen Schätzungen gibt es in Deutschland bis zu 40 Millionen Schusswaffen in Privatbesitz. Seit dem Amoklauf in Erfurt im Jahre 2002 hat die Zahl der Waffen in Privatbesitz sogar zugenommen. Die Linke will, dass die Zahl privat genutzter Schusswaffen drastisch reduziert wird, dass der unerlaubte Zugriff auf diese Waffen erschwert wird, dass wir die Übersicht über den privaten Waffenbesitz bundesweit verbessern und dass die staatliche Kontrolle über privat gelagerte Schusswaffen wirksam erhöht wird, übrigens auch im Interesse der Waffeninhaber. Wir wollen keine unzumutbaren Repressionen für jene, die eine verlässliche Arbeit leisten, zum Beispiel im Sport, oder für jene, für die zur Hege und Pflege der Wälder und Forsten auch die Jagd gehört. Aber mir kann niemand erklären, warum Bürger für ihr häusliches Wohlbefinden 16 oder mehr Schusswaffen brauchen. Eine gute Analyse muss allerdings tiefer gehen; die Kollegen und Kolleginnen vor mir haben darauf schon hingewiesen. Aus meiner Sicht spielt hierbei auch unser Schulsystem eine Rolle. Es mangelt nicht an Untersuchungen, die belegen: Das dreigliedrige System grenzt aus und schafft Verlierer, und das trotz aller Anstrengungen engagierter Pädagoginnen und Pädagogen. Auch daraus gilt es Konsequenzen zu ziehen. Noch ein Wort zur Bildung. Es wird wieder hitzig debattiert, welche Videospiele für Jugendliche verboten und welche Internetseiten zensiert werden sollten. Man braucht mich nicht zu bekehren. Ich weiß, dass vieles auf dem Markt ist, wodurch Gewalt verherrlicht wird und was möglicherweise sogar zur Nachahmung verlockt. Ich will aber nicht, dass wir auf einem Nebenplatz kämpfen, während auf dem Centercourt der Wettkampf zwischen Hase und Igel stattfindet: zwischen dem Hasen namens Verbot oder Zensur und dem Igel namens Internet. Gegen Gefahren aus dem weltweiten Gewebe hilft letztendlich nur eines: Medienkompetenz. Medienkompetenz ist eine soziale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Es wäre ohnehin nicht redlich, würden wir nur die gespielte Gewalt beklagen, während die alltägliche Gewalt mancherorts als Tugend gilt. Jugendliche machen schon in ihrem jungen Alter die Erfahrung, dass nur der Starke und nicht der vermeintlich Schwache zählt, sei es auf dem Schulhof, sei es in der Gesellschaft generell. Das Leben prägt also falsche Werte. Ich finde, auch das muss sich ändern. Es gibt viele Gründe, warum man gründlich über Konsequenzen nachdenken sollte, auch wenn ein Bundesminister gestern klarstellte: Der Amoklauf von Winnenden ist nicht repräsentativ und nicht typisch. Mit Verlaub: Es wäre furchtbar, wenn es anders wäre. Die Linke jedenfalls ist bereit, eine konstruktive und nachdenkliche Debatte zu führen, allerdings eine Debatte mit Konsequenzen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Bundesministerin Dr. von der Leyen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jugendlicher tötet 15 Menschen und dann sich selbst. Wir sind fassungslos, sprachlos. Fragen wabern durch den Raum: Was war? Warum? Wir spüren die Ohnmacht. Gleichzeitig fragen wir nach Möglichkeiten, etwas zu tun. Auf der einen Seite übertönt dieser laute Ruf nach Erklärungen und Konsequenzen allzu leicht die Situation der Betroffenen, die eher nach leisen Tönen fragt. Die Trauer braucht Zeit. Die Trauer braucht sicher auch Rituale wie Trauergottesdienste, sie braucht Orte, wo Menschen miteinander trauern können. Sie braucht Ruhe. Wir sollten der Trauer die Zeit geben, die sie braucht. Auf der anderen Seite sollten wir, weil brennende Fragen im Raum stehen, eine ausgewogene Diskussion führen. Ich hoffe, dass es uns diesmal besser gelingt als in anderen Fällen, die Vielfalt der Ursachen in den Blick zu nehmen. Ja, es geht auch um Waffen und Computerspiele, aber nicht nur. Das Waffengesetz ist in den letzten Jahren zweimal verschärft worden. Das Jugendschutzgesetz ist verschärft worden, um Kinder und Jugendliche vor gewaltverherrlichenden Computerspielen zu schützen. Die Gesetze sind da. Entscheidend ist, dass sie eingehalten werden. Der Vollzug vor Ort muss kontrolliert werden, damit die Gesetze wirken. Ich möchte den Blick aber auch auf die anderen Themen richten. Gesetze sind wichtig; aber sie schaffen nur den allgemeinen Rahmen. Wenn wir die Warnsignale, die Jugendliche aussenden, früher wahrnehmen und früher erkennen wollen, müssen wir die Lebenswelt der Jugendlichen besser verstehen. Wer ist den Jugendlichen wichtig? Es sind vor allem drei Gruppen: Es sind die Gleichaltrigen. Es sind die Lehrerinnen und Lehrer, die Menschen in der Jugendarbeit, die Erwachsenen, die sie treffen. Und es sind natürlich die Eltern. Der Amoklauf von Winnenden ist, soweit wir wissen, nicht vorher im Internet angekündigt worden. Aber die meisten Taten haben ihre Vorboten, oft in den Chatrooms, oft in den Peergroups, oft in den E-Mails, in denen sich die Jugendlichen miteinander austauschen. Es sind Gleichaltrige, die die Warnsignale als Erste wahrnehmen. Wir Erwachsene müssen akzeptieren, dass die Jugendlichen im Netz viel versierter sind als wir, viel mehr Medienkompetenz haben als wir, sich im Netz viel selbstverständlicher bewegen als wir. Diese Medienkompetenz anzuerkennen als Teil der Partizipation von Jugendlichen, als Teil des Erwachsenwerdens, als Teil des Übernehmens von Verantwortung, das ist vielleicht ein Schlüssel zur Prävention. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, auch nicht für die Jugendlichen. Auch da können sie in Verantwortung hineinwachsen. Was auffällt, ist, dass die Jugendlichen, wenn sie sich in ihren Chatrooms bewegen, keinerlei Anlaufstelle haben, wenn sie Hilfe brauchen, wenn ihnen etwas unheimlich ist, wenn sie merken, dass sie von Problemen überwältigt werden, wenn sie die Warnsignale anderer mitbekommen. Sie wissen nicht, an wen sie sich in so einem Fall wenden können. Hier müssen wir die Frage stellen, wie wir präsenter sein können mit Hilfsangeboten, mit einer Anlaufstelle im Netz - im übertragenen Sinne so etwas wie 110 im Netz -, damit sich die Jugendlichen, wenn sie in Not sind, an jemanden wenden können. Das ist sicherlich eine der Fragen, die wir in Zukunft beantworten müssen. Ein Zweites ist mir wichtig. Jugendliche leben natürlich nicht nur in der virtuellen Welt, sie leben auch in der realen Welt. Dort verbringen sie täglich viele Stunden in der Schule. Auch die Schule ist ihr Bezugsraum. Ja, Krisenpläne an den Schulen sind wichtig, die Schulen müssen mit diesem Thema umgehen. Aber sie dürfen nicht zu Orten der Angst werden. Sie müssen gute Orte sein, sie müssen Orte des Gesprächs und des Miteinanders sein. Hier liegt, so schwer es ist, der Schlüssel bei den Lehrerinnen und Lehrern. Lassen wir den Lehrerinnen und Lehrern eigentlich genügend Raum und Zeit, um nicht nur Wissen zu vermitteln, um nicht nur Pauker zu sein, sondern auch mit all ihrer Persönlichkeit, mit all ihren Kompetenzen, mit all ihrer Leidenschaft und all ihren Erfahrungen mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen? Lehrerinnen und Lehrer sind als Persönlichkeit starke Vorbilder und Gesprächspartner der jungen Menschen. Schule braucht Raum und braucht Zeit, damit die Lehrerinnen und Lehrer dieses Gespräch suchen können. Zeit braucht Personal; aber diese Investition nicht zu tätigen, kommt uns viel teurer zu stehen. Zum dritten Punkt. Unverzichtbar in der Welt der Jugendlichen sind die Eltern, auch wenn sich die Jugendlichen gerade in der Pubertät von den Eltern abgrenzen wollen, ja abgrenzen müssen. Wir brauchen, so anstrengend es ist, mehr Erziehungspartnerschaft, mehr Erziehungsgemeinschaft zwischen Schule und Eltern. Viele Eltern sind verunsichert: Was ist normal bei Jugendlichen, was nicht? Wie steht mein Kind da? Was kann ich tolerieren, was nicht? Vor allem bei Kindern in der Pubertät ist es durchaus anstrengend, Werte zu vermitteln und Grenzen zu setzen. Auch Erwachsene geraten bei dem Prozess des Erwachsenwerdens von Jugendlichen immer wieder an ihre eigenen Grenzen. Aber gerade in dieser Zeit ist es umso wichtiger, den Kontakt zu den Jugendlichen zu halten. Besser, die Eltern liegen mit ihren Kindern über Computerzeiten, Schule und Freunde im Dauerclinch, als dass sie sie einfach dieser Welt überlassen. Aus Anlass des Amoklaufs und dessen, was sich uns daraus an brennenden Fragen stellt, werden wir mit der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung als konkretes Unterstützungsangebot für Jugendliche und Eltern eine Onlineberatung und Gruppenchats im Netz anbieten, weil hier die Schnittstelle zwischen der Welt des Internets und der Lebenswelt von Jugendlichen einerseits und den Angeboten von Erziehungsberatung und Jugendhilfe andererseits zu sehen ist. Ein Letztes ist mir wichtig: Wir dürfen Winnenden nicht aus den Augen verlieren, wenn das große öffentliche Interesse vorbei sein wird. Es gibt eine Zeit, in der die Trauer im Mittelpunkt steht. Dies ist die wichtige Zeit, in der intensiv darüber diskutiert wird, was man tun kann und muss. Dann aber folgt, wie wir wissen, ein Aufmerksamkeitsloch, in das oft auch die Nachsorge für die Betroffenen fällt. Man will einfach nichts mehr davon hören. Diesem Reflex sollten wir nicht nachgeben. Vielmehr sollten wir mit zeitlichem Abstand noch einmal hinschauen, wie die Stadt Winnenden, die Gemeinschaft der dort lebenden Menschen, die Schülerinnen und Schüler und die betroffene Schule mit diesem schrecklichen Tag umgegangen und wieder zu sich gekommen sind und was wir von ihnen lernen können. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Amoklauf an der Albertville-Realschule von Winnenden ruft Fassungslosigkeit, Trauer, Entsetzen und Empörung hervor. Für meine Fraktion sage ich, dass den Angehörigen und Freunden der Opfer unser tiefes Mitgefühl gilt. Die Frage nach dem Warum werden wir leider nie beantworten können. Es ist diesem schrecklichen Ereignis angemessen, dass wir als Abgeordnete in dieser Debatte nachdenklich und besonnen reagieren und nicht vorgaukeln, wir hätten als Prävention gegen Amokläufe irgendwelche Patentrezepte in der Tasche oder könnten gar absolute Sicherheit schaffen. Dies können wir alle miteinander definitiv nicht. ({0}) Deshalb ist richtig, worauf viele schon hingewiesen haben: Aktionistische und eindimensionale Forderungen werden dem furchtbaren Ereignis und der Komplexität von Amokläufen nicht gerecht. Es reichte aber auch nicht aus, wenn aus der Ratlosigkeit Sprachlosigkeit in der politischen Debatte würde. Vielmehr müssen wir heute damit beginnen, über politische Konsequenzen zu diskutieren, allein deshalb, weil seit Mittwoch letzter Woche - man mag dies geschmacklos oder richtig finden; es ist zum Teil auch eine Form der Verarbeitung Experten, Verbände und Politiker bereits Vorschläge gemacht haben. Daher ist es unser aller Aufgabe, alle Maßnahmen zu prüfen, ob sie dazu geeignet sind, das Risiko von Amokläufen zu minimieren. Entscheidend und besonders wirksam ist aus unserer Sicht eine Kultur des Hinsehens im sozialen Umfeld. Im Vor- und Nachhinein sind immer wieder Anzeichen von drohenden Gewaltexzessen erkennbar, sei es in der Nachbarschaft oder in Internetchats. Das wichtigste Frühwarnsystem sind deshalb aufmerksame Eltern, Freunde, Mitschüler und Lehrkräfte. Schulen müssen Orte der Anerkennung sein, in denen Mobbing, Kränkungen und Demütigungen entgegengewirkt wird. Neben einer angemessenen Ausstattung der Jugendhilfe müssen in den Schulen selbst deutlich mehr Schulpsychologen und Sozialarbeiter eingesetzt werden. Wir brauchen vor Ort eine breite Sensibilisierung für verschiedene Formen von Ausgrenzung, für Gewaltbereitschaft und vor allem für soziale Isolation, weil sie bei den Amokläufen ein sehr wichtiger Faktor gewesen zu sein scheint. Polizeien und Schulen müssen mit Krisenplänen auf das Risiko von Amokläufen vorbereitet sein, bundesweit und flächendeckend. Ebenso muss es allerorts Strukturen geben, durch die sichergestellt ist, dass die Opfer fachkundig betreut werden. Den professionellen Helferinnen und Helfern in Winnenden ist in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu danken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch überzogene Forderungen nach Metalldetektoren, Chipkarten und Einlasskontrollen an allen Schulen wird dagegen wenig geholfen. Dadurch würde allenfalls eine scheinbare, aber keine tatsächliche Sicherheit erreicht. Ich finde auch, dass Schulen jetzt nicht zu Festungen oder Hochsicherheitstrakten werden dürfen, sondern Schulen sind gerade darauf angelegt, dass sie offene Orte des Lernens und Lebens bleiben müssen. Ebenso wenig hilfreich sind neue Debatten über ein Verbot von Computerspielen. Darüber wird heute im Ticker erneut rauf und runter diskutiert. Deutschland hat bereits einen verantwortungsvollen Jugendmedienschutz. Gewaltverherrlichende und gewaltbeherrschte Computerspiele können verboten werden, und sie werden es auch. Wichtig ist nur, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen in der Praxis eingehalten werden. Ministerin von der Leyen hat ja gerade selber auf Vollzugsdefizite hingewiesen. Gewaltspiele - das wissen wir - können auf Jugendliche dann riskant wirken, wenn sie mit Sucht und mit Isolation einhergehen. Deshalb müssen wir dort ansetzen. Wenn sich Jungs mehrere Stunden täglich in virtuellen Welten bewegen, dann stellt sich die Frage nach negativen Folgen und auch nach Alternativen: nach alternativen Freizeitangeboten und danach, ob es ein Jugendzentrum vor Ort gibt oder nicht. Wir als Grüne haben schon mehrfach vorgeschlagen, bei der Altersfreigabe endlich das Suchtpotenzial von Computerspielen zu berücksichtigen. Das kann die Bundesregierung konkret umsetzen. Die Eltern wiederum müssen zu Hause sehr genau hinschauen, was im Kinder- und Jugendzimmer tatsächlich gespielt wird und wie lange es gespielt wird. Deshalb ist auch eine bessere Medienerziehung in den Schulen und in den Jugendeinrichtungen besonders wichtig. Ich will in dieser Aktuellen Stunde deutlich sagen, dass wir auch beim Waffenrecht einen deutlichen Handlungsbedarf sehen; denn ganz entscheidend ist doch offensichtlich, dass wir eine massive Verringerung der Verfügbarkeit von Waffen erreichen. In diesem Sinne brauchen wir ein restriktives und striktes Waffengesetz und eine Gesellschaft, in der es Zugangsbeschränkungen und Abrüstung gibt; denn Jugendliche ohne Waffen können kein dermaßen verheerendes Verbrechen begehen; das ist ganz klar. Die Große Koalition und wir alle müssen uns schon fragen lassen: Warum gibt es noch immer kein nationales Waffenregister? Wir haben das mehrfach eingefordert. Warum werden Millionen von Waffen in Deutschland so selten kontrolliert? Wir wollen hier eine höhere Kontrolldichte. Warum ist es legal möglich, dass jemand mehr als ein Dutzend Waffen zu Hause aufbewahren kann? Hier müssen wir über Obergrenzen diskutieren. Wieso werden gefährliche Schusswaffen zu Hause verbotenerweise im Nachttisch anstatt zentral oder getrennt von der Munition gelagert? All das sind Fragen, über die wir in den nächsten Monaten in Ruhe diskutieren müssen. Wir müssen prüfen, ob wir durch die Umsetzung dieser Punkte - angefangen vom Waffenregister bis hin zu wirksamen Blockiersystemen - eine Risikominimierung erreichen. Es ist ganz wichtig, dass wir diese Aufgabe wahrnehmen, diese Fragen stellen und sie in den nächsten Monaten in Ruhe und nicht überstürzt, aber im Bewusstsein unserer Verantwortung für ein gewaltfreies Zusammenleben in dieser Gesellschaft auch beantworten. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die SPD-Fraktion gebe ich der Kollegin Monika Griefahn das Wort.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh darüber, dass sich in den letzten Tagen ebenso wie in der heutigen Debatte gezeigt hat, dass wir gegenüber Erfurt und Emsdetten in der politischen Kultur ein wichtiges Stück vorangekommen sind. Bisher sind überwiegend besonnene Kommentare und Vorschläge zu hören. Und das ist gut so. Eine solch schreckliche Tat ist weder monokausal noch einfach zu erklären. Dieses Mal gibt es politisch glücklicherweise nur einzelne Versuche, neue Medien allein als Sündenbock hinzustellen oder eben einzelne Maßnahmen als die seligmachenden zu beschreiben. Ich denke, durch plakative Verbotsforderungen werden uns Lösungen vorgegaukelt. Deswegen sind sie nicht die richtigen. Wir haben in den letzten Jahren viel dafür getan, dass wir in Deutschland inzwischen eines der wirksamsten Systeme für den Jugendmedienschutz in Europa haben. Selbstverständlich müssen wir politisch diskutieren, was unabhängig davon noch weiter zu tun ist. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob man Waffen wirklich zu Hause lagern muss oder ob sie nicht im Schützenverein gelagert werden sollten. Auch über den Vollzug der bestehenden Gesetze muss diskutiert werden. Es ist jetzt schon möglich, gewaltverherrlichende Computerspiele und Filme - auch das ist wichtig; es geht nicht nur um Spiele, sondern auch um Filme - zu verbieten. Bei der Altersfreigabe wird sehr genau darauf geachtet, welche Medien ab welchem Alter freigegeben werden können. In dieser Hinsicht sind andere Länder viel großzügiger. Auch das müsste stärker harmonisiert werden. Wir müssen uns auch mit der aufsuchenden Sozialarbeit befassen und prüfen, wo es Probleme gibt und ob ausreichend Personal vorhanden ist. Wichtig ist außerdem - auch über dieses Thema wird viel zu wenig diskutiert - die Frage nach der Medienkompetenz von Eltern und Lehrern. Wie werden sie aus- und fortgebildet? Wie können sie mit Medien umgehen? Angebote wie „Spielräume“ für Eltern, durch die sie sich ein Bild machen können, womit sich ihre Kinder beschäftigen, gibt es viel zu wenig. Einige Länder und die Kirchen haben etwas getan. Ich glaube, dass wir auch das weiter im Blick behalten müssen. Denn wir können nicht ignorieren, dass die Jugendlichen in der Onlinewelt leben. Wir als Eltern können nur versuchen, das nachzuvollziehen und zu verstehen und dann auch aktiv mit unseren Kindern zu diskutieren. Ein weiterer Punkt, über den wir auch schon in einer Anhörung im Ausschuss intensiv diskutiert haben, ist die Onlinesucht. Notwendig ist, dass sie als Krankheit anerkannt wird, um dadurch Hilfe zu ermöglichen, indem zum Beispiel die Krankenkassen eine Therapie bezahlen. Ich hoffe, dass wir damit weiterkommen. Ich persönlich finde auch den Vorschlag sinnvoll, Testkäufe von altersbeschränkten Medien oder von Alkohol zu verstärken. Denn nicht die Gesetze sind das Problem, sondern es ist immer wieder der Vollzug. Die Begriffe „Killerspiel“ oder „Killerfilm“ sind unsinnige Kategorisierungen. Nicht jeder wird abhängig, der etwas ausprobiert. Wie für das Rauchen gilt, dass man nicht automatisch nikotinabhängig wird, sondern damit auch wieder aufhören kann, führen auch Spiele nicht gleich in die Abhängigkeit. Aber nicht nur politisch droht der Reflex von schnellen und einfachen Erklärungen. Bei den Medien bleibt im Wettlauf um die erste Nachricht, die schnellste Erklärung und das beste Foto guter Journalismus leider oft auf der Strecke. In den letzten Tagen gab es erschreckende Beispiele dafür. Um an Sensationen und Bilder zu kommen, wurden Schüler dafür bezahlt, dass sie bestimmte Antworten geben oder Blumen niederlegen und sich dann weinend umarmen. Auch wurden Bilder des Täters und der Opfer aus persönlichen Internetprofilen übernommen und sogar von Gedenkstätten gestohlen. Im Internet - zum Beispiel bei Twitter, dem hochgelobten neuen Medium - waren es diesmal zuallererst Journalisten, die pietätlos über die Opfer spekulierten oder sich persönlich inszenierten. Ein Fernsehsender kaufte ein Handyvideo und vermarktete die letzten Minuten des Amokläufers. Ein weiteres Beispiel ist das Angebot eines Internetportals, die Tat sozusagen nachzuspielen. Das alles ist zutiefst makaber und hat mit Journalismus nichts zu tun. ({0}) Es schadet den Betroffenen. Es schadet einer sachlichen Aufklärung. Es schadet auch dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Medien selbst. Auf diese Weise werden die Medien selbst zu Waffen. Seit dem Amoklauf gab es allein in Baden-Württemberg über 50 Trittbrettfahrer, die die Polizei mit Drohungen in Atem hielten. Ich habe in meinem Wahlkreis Ähnliches erfahren, als ich am Wochenende beim Polizeiball war. Allein in meinem Wahlkreis gab es in letzter Zeit drei Fälle von Trittbrettfahrern, die untersucht werden mussten. Das geht nicht an. Es ist schon seit Jahrzehnten wissenschaftlich belegt, dass eine übermäßige Berichterstattung die Täter zu Helden macht und Nachahmungstaten provoziert. Das ist auch der Grund, warum zum Beispiel bei der Deutschen Bahn Suizidversuche nicht mehr bekannt gegeben werden. Seitdem ist die Zahl der Nachahmer erheblich zurückgegangen. Das halte ich für richtig. Wir in Deutschland müssen uns gerade in solchen Fällen auf journalistische Ethik, Sorgfaltspflicht und Verantwortungsbewusstsein verlassen können. Jede Redaktion muss sich jetzt fragen, welche Konsequenzen sie für die eigene Berichterstattung ziehen muss. Der Pressekodex definiert schon jetzt die Grenzen der Recherche und verpflichtet zum Schutz der Persönlichkeitsrechte. Nach den eklatanten Verstößen der letzten Tage erwarte ich, dass sich Verlage und Sender an einen Tisch setzen und ihre ethischen Grundsätze weiterentwickeln und diese endlich verbindlich machen. Das ist dringend notwendig, damit Opfer wie die Bürger von Winnenden nach dem Amoklauf nicht durch die Art und Weise der Berichterstattung ein zweites Mal zum Opfer werden. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir trauern. Wir sind entsetzt über das Böse, das mit dem Amoklauf über unschuldige Menschen gekommen ist. Viele versuchen, zu ergründen, was schiefgelaufen ist. Bei aller Ungewissheit steht eines fest: Mit der Gewalttat wurden das Lebensrecht und das Recht auf Unversehrtheit unschuldiger Menschen missachtet und der Grundwert der Gewaltfreiheit auf das Schlimmstmögliche verletzt. Schlaglichtartig wird klar, dass das Zusammenleben in unserem Land nur auf einem festen Fundament von Werten gelingen kann. Deshalb lohnt es sich, diejenigen zu ermuntern und zu ermutigen, die Werte und Tugenden vermitteln können, und all diejenigen zu stärken, die mutig Orientierung geben und damit verhindern, dass Jugendliche in Gefahr geraten, ein Leben in der Grauzone zu führen: beliebig, wertefrei und ohne Verantwortung. In einer Welt mit neuen Unübersichtlichkeiten reicht es immer weniger, sich mit einem zunehmend konturlosen Toleranzbegriff zu begnügen. Vielmehr gilt es, die Werte klar beim Namen zu nennen, die unverzichtbar sind: die Menschenwürde sowie der Respekt und die Achtung vor der Person des anderen. Rücksicht, Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit lassen das Zusammenleben gelingen. Durchsetzungsfähigkeit oder ein Training für den Ellenbogeneinsatz allein schaffen weniger Gemeinsamkeit und enden allzu oft in Vereinzelung. Familien und Eltern prägen die ersten Gemeinschaftserfahrungen und die personalen Verhaltensmuster von Kindern. Wir wollen deshalb den Eltern Mut machen und sie unterstützen, wenn sie ihren Kindern Werte vermitteln. Wir wissen: Kein Politikprogramm kann Mütter und Väter ersetzen, die ihren Kindern nach dem Essen bei den Hausaufgaben helfen, den Fernseher auch einmal ausschalten, Videospiele wegräumen und ihren Kindern vorlesen. Dieser Satz, hinter den ich mich stelle, stammt vom neu gewählten amerikanischen Präsidenten. Geben wir den Familien die Rahmenbedingungen an Zeit und die finanziellen Möglichkeiten, dass sie diese schwierige Aufgabe wirklich wahrnehmen können! Wir wollen den Erzieherinnen und Erziehern sowie den Lehrern, die vielfach verunsichert sind, den Rücken stärken und ihnen klar sagen: Wir stehen hinter ihnen, wenn sie Offenheit, Fleiß, Gerechtigkeitsgefühl und Pflichtbewusstsein vermitteln. Wir unterstützen die Ausbilder in der Arbeitswelt, wenn sie versuchen, soziale Kompetenz zu vermitteln. Pünktlichkeit, Höflichkeit und Leistungsbereitschaft sind nichts Schlechtes. Wir appellieren an die öffentlichen Miterzieher, die Medien, verantwortungsvoll mit ihrer Erziehungsmacht umzugehen. Metzelszenen, gewaltverherrlichende Darstellungen und Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel einer vermeintlichen Gerechtigkeit, das genügt nicht, um sich auf den Schutz der Informationsfreiheit zu berufen. Wir wissen, dass nur eine kleine Minderheit von jungen Menschen dafür anfällig ist, Scheinwelt und Wirklichkeit bei dauerndem Konsum von Gewaltspielen nicht mehr unterscheiden zu können. Aber jeder Einzelne ist zu viel. Es macht eben besorgt, wenn die natürliche Erfahrung von Gewalt in der Realität, welche im Regelfall mit Schmerz, Tränen, oft auch mit Blut verbunden ist, von einer Wohlfühlatmosphäre überdeckt wird, die herrscht, wenn am Bildschirm, zurückgelehnt in einem angenehmen, körperangepassten Sessel, Gewaltorgien gespielt werden. Wenn sich herausstellt, dass Gewaltspiele eine hohe Gefahr von Abhängigkeit erzeugen können, dann, glaube ich, muss in der Tat die Altersgrenze erhöht werden, und wir müssen auf Nummer sicher gehen. Wir feiern in diesem Jahr 60 Jahre Grundgesetz. Das Grundgesetz hat in seiner Präambel den Anker geworfen: Verantwortung vor Gott und den Menschen. Wir sollten gemeinsam alles unternehmen, damit junge Menschen in unserem Land nicht den Eindruck gewinnen, dass dieser feste Anker gelichtet würde. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Hermann Scheer, SPD-Fraktion.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Ereignisse, die, obwohl sie inzwischen schon mehrfach vorgekommen sind, vielen doch immer wieder undenkbar erscheinen und die einen sprachlos machen, weswegen es schwer ist, die richtigen Worte dafür zu finden, wenn es überhaupt richtige Worte dazu gibt. Trotzdem können wir natürlich nicht sprachlos bleiben. Wir können auch nicht untätig und gedankenlos bleiben. Das haben alle heutigen Redner schon betont. Auch das, was an medialer Diskussion stattfindet, hat vielfach - das halte ich für erfreulich - in den letzten Tagen ein sehr hohes Niveau, vor allem was die Tiefenbetrachtungen angeht, die diese Dinge vielleicht erklärbar machen; verständlich gemacht werden können sie nicht. Nun haben wir es schon mit einer Serie zu tun, wenn wir nicht nur den Blick auf Bad Reichenhall, Erfurt und jetzt auf Winnenden richten, sondern auch das betrachten, was in anderen Ländern, selbst schon in Skandinavien, in den USA, auch in anderen europäischen Ländern immer mal wieder passiert, mit möglicherweise kürzer werdenden Zeitfrequenzen, Verlockungen und Versuchungen, wie es ja die Reaktionen im Internet, die Kollegin Griefahn eben genannt hat, auch schon signalisieren. Da es leider kein Einzelereignis ist, setzen wir hiermit eine Debatte fort, die schon nach Erfurt sehr intensiv geführt worden ist. Wir müssen uns fragen: Welche Lernerfahrungen haben wir seither gemacht? Sind wirklich alle die Dinge, die damals besten Wissens und Gewissens versucht worden sind, ausreichend gewesen? Wo kann man aktuell tatsächlich etwas zur Minderung - möglicherweise zur Abschreckung - von Versuchungsmöglichkeiten tun? Das gilt besonders für Waffen, aber auch für das, was in den Gewaltdarstellungen bestimmter Medien immer wieder auftaucht. Eben weil es kein Einmalereignis ist, ist die generelle Frage: Welches kulturelle Defizit haben wir eigentlich? Was ist geschehen? Liegt das zumindest nicht auch daran, dass es No-Future-Mentalitäten gibt, ein Phänomen, das sich ausbreitet? Hat das etwas mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen und negativen Zukunftserwartungen zu tun, was vielerlei Gründe haben mag? Die Gründe können soziale Probleme, das Klimaproblem oder andere sein, die bei Einzelnen zu extremistischen und nihilistischen Ausdrucksformen führen, wie es bei dem Jugendlichen in Winnenden offenkundig der Fall war. Liegt es vielleicht nicht auch daran, dass sich das Wettbewerbsprinzip der Wirtschaft zu einem Prinzip des jeder gegen jeden in der Gesellschaft mit dem Ergebnis entwickelt hat, dass die Schule mehr und mehr nur Ausbildungsstätte für den Wettbewerb und die eigene individuelle Zukunft fast hat werden müssen und nicht mehr eine Schule ist, in der das Leben mitgelernt wird, sie also nicht mehr eine Lebensschule ist, die sie natürlich immer nur zum Teil sein kann? Zur Lebensschule gehören auch die Familie, Vereine und die soziale Um22694 gebung. Wenn solche Probleme vorhanden sind - dafür gibt es viele Anzeichen -, dann ist auch eines klar: Sie liegen tief und sind mit kurzfristigen Maßnahmen allein nicht überwindbar. Es geht hier um die Frage, wie gesellschaftliche Werte entstehen und was die Ursache von Wertezerfall ist. Es findet ein Wertezerfall statt - das ist offensichtlich -, der nicht weitergehen darf. Die andere Frage ist, wo wir einen unmittelbaren Handlungsbedarf haben. Ich glaube schon, dass Jugendliche, so sehr sie heute eine technische Kompetenz haben, weil sie mit den neuen Technologien anders als früher sozialisiert werden, noch lange keine Medienkompetenz haben. Das heißt für uns, zu fragen, ob es dem Niveau einer Kulturgesellschaft entspricht, dass Dinge gezeigt werden, die zur Abstumpfung und Verrohung führen können und bei diesen oder jenen unter Umständen fast assoziativ die Bereitschaft, so etwas zu machen, provozieren. Es werden Dinge gezeigt, die ich, wenn ich zufällig darauf stoße, sofort abschalte, weil ich sie nicht sehen kann. Das gilt für viele andere auch. Solche Gewaltdarstellungen abzustellen ist nicht eine Frage von Aktionismus, sondern das ist eine Frage von Common Sense, von im besten Sinne des Wortes gesundem Menschenverstand. In keinem Programm der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, steht, welche Maßnahmen jetzt konkret ergriffen werden können, was weitere Beschränkungen im Waffenrecht und den Zugang zu Waffen betrifft. Dass etwas getan werden muss, ist meines Erachtens offenkundig. Gelegenheiten machen Täter, sie erleichtern Taten zumindest von Assoziationstätern, die diese Taten nicht begehen würden, wenn sie keinen Zugang hätten. Bei Massakern, die in bestimmten Medien oder in Internetplattformen gezeigt werden, müssen wir uns die Frage stellen, selbst wenn es nicht zu solchen Taten kommt, ob wir uns erlauben sollen, auf diesem Wege Jugendlichen das Bild einer Welt zu zeigen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ich bin fertig, Frau Präsidentin -, wie sie mit Sicherheit nicht sein kann, nicht sein soll und nicht sein darf. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will freimütig bekennen, dass ich die Politik in diesen Tagen in einem Dilemma sehe. Eigentlich müssten wir erst einmal die Ermittlungsergebnisse des schrecklichen Amoklaufs von Winnenden abwarten, bevor wir uns dazu äußern. Gleichzeitig werden uns Fragen nach den politischen Konsequenzen gestellt, denen man nicht ausweichen möchte. Natürlich frage ich mich als Berichterstatter für das Waffengesetz - wir haben die letzte Gesetzesnovelle erst 2008 verabschiedet -: Haben wir da alles richtig gemacht? Haben wir vielleicht mögliche Sicherungsmaßnahmen übersehen? Wenn wir über die Konsequenzen dieses schrecklichen Amoklaufs debattieren, dann muss es nach meiner tiefen Überzeugung in der Tat um eine neue Kultur der Aufmerksamkeit, um intensives Kümmern, um Zuwendung und um das Bemerken von Verzweiflung und Hass gehen. Ich glaube, die schon reflexartige Forderung nach einer Verschärfung des Waffenrechts allein greift da deutlich zu kurz. Politik muss sich gerade in diesen Tagen davor hüten, den Menschen Scheinlösungen anzubieten. Man kann ein noch so scharfes Waffengesetz machen: Es gibt keine absolute Sicherheit, wenn dagegen in fahrlässiger und unverantwortlicher Weise verstoßen wird. Lieber Herr Kollege Gehring, da reicht eben schon eine Waffe, und dagegen hilft auch kein Waffenregister. Selbst wenn wir alle legalen Waffen aus Privathaushalten verbannten, böte das angesichts der vielen illegalen Waffen, die in unserem Land leider in Umlauf sind, keine absolute Sicherheit. Auch das müssen wir unseren Bürgern offen sagen. Ich finde, unsere Aktuelle Stunde ist sehr differenziert und nachdenklich. Liebe Kollegin Griefahn, ich hätte mir in der Tat eine solche Reaktion auch in manchen Medien gewünscht - es gab auch Ausnahmen -, die vor Ort, also aus Winnenden, berichtet haben. Manchmal hat die Berichterstattung die notwendige Distanz und den Respekt vor den Trauernden in der Tat vermissen lassen. Ich habe mich erinnert an die Medienberichterstattung über die Geiselnahme in Gladbeck und an die damalige Diskussion, die im Nachhinein geführt worden ist. Viele haben gesagt: So etwas wiederholt sich nicht; wir haben aus den Erfahrungen von Gladbeck gelernt. Ich stelle fest: Es gibt, auch im Bereich der Medien, Anlass für eine neue Diskussion. Wir suchen nach Lösungen. Wir suchen nach den richtigen Konsequenzen. Da müssen wir zwischen der Verbesserung von Gesetzen und der Verbesserung des Gesetzesvollzugs differenzieren. Ich finde, auch jeder Einzelne kann dabei einen Beitrag leisten. Zum Beispiel hat mir in diesen Tagen ein Lehrer geschrieben, er habe in seiner Klasse Schülerinnen, die den Waffenschrank ihres Vaters öffnen könnten; die Waffen lägen dort teilweise offen herum. Ich habe ihn in meinem Antwortschreiben gefragt, warum er seine Erkenntnisse nicht unverzüglich der zuständigen Ordnungsbehörde mitgeteilt habe. Wenn es begründete Zweifel an der sicheren Aufbewahrung von Waffen gibt, dann kann die Waffenbehörde in der Tat sofort einschreiten. Die öffentliche Debatte in diesen Tagen muss auch zur Konsequenz haben, dass man sich nicht scheut, solche Hinweise den Sicherheitsbehörden zu geben. Auch das heißt „Kultur des Hinsehens“, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir führen eine Debatte über das anlasslose Kontrollieren von Personen, die legal eine Waffe besitzen. Ich will nur darauf hinweisen, dass es schon heute viele Landkreise und Städte gibt, in denen verantwortliche Mitarbeiter von Behörden genau dies tun: Sie führen stichprobenartig solche Untersuchungen durch. Wir hören, dass es in keinem einzigen Fall so ist, dass sie keine Möglichkeit des Zutritts zu einer Wohnung bekommen. Insofern müssen wir vielleicht die Praxis mit dem abgleichen, was wir möglicherweise gesetzgeberisch vorhaben. Wir müssen vor allen Dingen schauen, ob wir in unseren Behörden personell all das leisten können, was vorgeschlagen wird. Ich bin sehr dafür, dass wir beim Gesetzesvollzug einen intensiven Erfahrungsaustausch zwischen Ländern, Bund und Kommunen vornehmen. Zu diesem Erfahrungsaustausch gehört für mich auch die Prüfung - ich will darauf hinweisen -, ob wir nicht in allen Ländern auf der Ebene von Polizeiinspektionen in der Tat spezielle Kriseninterventionskräfte brauchen, wie sie in Baden-Württemberg nach dem Amoklauf von Emsdetten eingeführt worden sind. Sie kamen in Winnenden sehr schnell vor Ort zum Einsatz. Sicher muss man auch hier die Ermittlungsergebnisse abwarten. Erste Berichte lassen aber den Schluss zu, dass die Beamten, die sehr schnell am Tatort waren, noch Schlimmeres verhütet haben. Ihnen gebührt der Dank des ganzen Deutschen Bundestages. ({0}) Lassen Sie mich am Ende folgenden Gedanken formulieren: Wir sollten gemeinsam mit dem Deutschen Schützenbund und dem Deutschen Jagdschutz-Verband in einen Dialog über mögliche Konsequenzen eintreten. Ich wünsche mir eine Diskussion mit Schützen sowie Jägern und ihren Vertretern - und nicht gegen sie -, weil sie wertvolle Arbeit leisten und es nicht verdienen, unter Generalverdacht gestellt zu werden. Wir brauchen für die Diskussionen, die jetzt zu führen sind, alle, die mithelfen, dass es besser wird. Vielen Dank fürs Zuhören. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Kucharczyk, SPD-Fraktion.

Jürgen Kucharczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die aktuellen Geschehnisse in Winnenden und Wendlingen machen uns sehr betroffen, ja fassungslos. Umso wichtiger ist, dass wir genau hinsehen und schauen, wo die Ursachen wirklich liegen. Blinder Aktionismus im Anschluss an schreckliche Taten hilft uns nicht weiter. Festzustellen ist: Dieser Amoklauf ist die Verzweiflungstat eines Einzelnen, eines Einzelgängers, der jeden sozialen Halt verloren hat. Unsere Aufgabe ist nun, die richtigen Schlüsse daraus abzuleiten und das Sozialisations- und Hilfenetz so eng zu knüpfen, dass keine Kinder und Jugendlichen durchfallen. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten 25 Jahren sicherlich sehr stark verändert. Dem müssen wir gerecht werden, und zwar ohne den Fokus ausschließlich auf die schreckliche Tat zu richten. Eltern und Erziehungsberechtigte müssen in der Lage sein, Kindern und Heranwachsenden Leitplanken zu setzen und ihnen aufzeigen, dass Engagement in Sportvereinen, in der Kultur, in der Kunst oder zum Beispiel beim THW sinnvoller ist als das stundenlange einsame Sitzen vor dem PC. Es ist deshalb wichtig, etwa die Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen schneller voranzutreiben. Schüler und Eltern müssen wir im Umgang mit den Medien sensibilisieren. Bereits im letzten Jahr haben wir im Zuge der Novellierung des Jugendschutzgesetzes mit der Vergrößerung der Alterskennzeichnung die richtigen Weichen gestellt. Zudem ist eine breite gesellschaftliche Debatte über gewalthaltige Computerspiele unter ethischen Gesichtspunkten nötig. Ohne solche Spiele generell verteufeln zu wollen, stelle ich mir doch die Frage: Wollen und brauchen wir den freien Zugang zu Spielen, in denen auf bestialische Weise gemordet und gefoltert wird? Unter den sogenannten Ego-Shootern gibt es himmelweite Unterschiede in der Brutalität. Es ist klar: Wir wollen keinen Generalverdacht an Schulen. Einlasskontrollen oder Videoüberwachung sind keine Option. Dass die Schulen nun mehrfach Schauplatz von Verbrechen waren, steht auch in Verbindung mit dem Leistungsdruck, unter dem schon Kinder und Jugendliche leiden, mit zu wenig Raum für Entfaltung von Talent und Kreativität sowie insbesondere mit fehlender Anerkennung. Da finden wir, wie ich meine, einen wichtigen Ansatzpunkt. Schule ist mehr als eine reine Lernfabrik. Sie ist der Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche die meiste Zeit des Tages aufhalten, an dem sie sich wohlfühlen, sich gegenseitig respektieren lernen und ihre Persönlichkeit formen und finden sollen. Deshalb muss in den Ganztagsschulen Platz für Kreativität und Abbau von Aggression geschaffen werden. Mehr sportliche Betätigung und auch die Anerkennung von Fähigkeiten im Rahmen informeller Bildung wären da ein guter Weg. Es ist ferner wichtig, dass Sozialpädagogen und Vertreter der Jugendhilfe auch im Schulbetrieb früh eingesetzt werden. Die Zahl der Schulpsychologen und Sozialarbeiter muss erhöht werden, und zwar signifikant. Die zusätzlich erforderlichen Lehrkräfte und Pädagogen müssen in der Zuständigkeit der föderalen Ebenen im Fokus stehen. Dort, wo möglich, werden wir als Koalition auch weiterhin alles daransetzen, die Finanzausstattung der Länder und Kommunen zu verbessern. Schlussendlich müssen wir aber auch transparent diskutieren, was machbar ist. Allein Gesetze zu verschärfen, das ändert die Situation oder die Zustände nicht automatisch. Vieles hängt vom Vollzug vor Ort ab. Das Waffengesetz zum Beispiel gibt nach der letzten Novellierung genug Handlungsmöglichkeiten. Ist es aber richtig, dass Waffen und Munition zu Hause aufbewahrt werden? Vereinswaffen könnten ebenso beim Schützen22696 verein gelagert werden, die Munition grundsätzlich zentral im Verein oder bei Sicherheitsunternehmen. Darüber müssen wir sicherlich mit den Betroffenen, den Vereinen, den Verbänden und auch den Jägern, reden. Uns allen ist bewusst, dass Taten ähnlichen Ausmaßes sich wiederholen können. Deshalb muss es für uns eine Verpflichtung sein, Gesetze, Verordnungen und Erlasse auf die gesellschaftlichen Anforderungen zu überprüfen und dementsprechend anzupassen. Uns liegen viele Erkenntnisse und Studien zu jugendrelevanten Themen vor, in denen sowohl die Wissenschaft als auch die Praktiker zu Wort kommen. Nehmen wir Kinder und Jugendliche ernst und die entsprechenden Vorschläge zum Anlass, sachlich, zielorientiert und in ihrem Interesse die Welt zu gestalten! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Michaela Noll, CDU/ CSU-Fraktion.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum? Ich glaube, diese Frage hat sich jeder in Deutschland gestellt, wahrscheinlich nicht nur einmal, sondern mehrfach. Warum konnte das geschehen? Warum war niemand in der Lage, rechtzeitig entsprechende Signale vom Täter wahrzunehmen? Ich glaube auch, dass manche Eltern mit ihren Kindern gesprochen haben und sich gefragt haben: Weiß ich wirklich, was in meinem Sohn, der mitten in der Pubertät ist und vielleicht abends stundenlang Computerspiele spielt, vorgeht? Ich denke, diese Frage haben sich viele Eltern gestellt. Für mich ist das, was geschehen ist, nach wie vor unvorstellbar. Trotzdem müssen wir uns fragen: Was war die Ursache? Deshalb möchte ich ein Dankeschön an alle Kolleginnen und Kollegen aussprechen. Ich freue mich über die Art und Weise, wie wir die Debatte hier heute führen. Alle waren bereit, zu sagen: Wir haben noch keine Antworten, wir haben auch noch keine richtigen Lösungen. Gleichzeitig haben wir aber auch alle gesagt: Wir alle brauchen Zeit für Trauer. Die Opfer brauchen Zeit. Und wir brauchen Zeit für Antworten. Auch die aktuelle Gewaltstudie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen passt nicht auf diesen Fall. Die Eltern selber sagten, der Junge sei unauffällig und nie gewalttätig gewesen. Das heißt, es gibt keine Patentrezepte. Manche fordern nun eine Verschärfung des Waffenrechts. Darin sehe ich ebenso wie mein Kollege Grindel, der darauf vorhin schon ausführlich eingegangen ist, keine Lösung. Andere sehen einen Zusammenhang mit bestimmten Computerspielen. Dieses Thema wurde ja mehrfach von den Kolleginnen und Kollegen angesprochen. Wir haben 2002 das Jugendschutzgesetz novelliert. Aber trotzdem - erlauben Sie mir die Frage -: Wie viel virtuelle Gewalt können Kinder und Jugendliche tatsächlich verkraften? Welche Wirkung haben diese Spiele? Gibt es nicht doch einen Zusammenhang zwischen Gewaltspielen in der virtuellen Welt und der Desensibilisierung von Jugendlichen? Kann irgendeiner von uns sagen, was die Langzeitwirkungen sind? Ich glaube es nicht. Es macht schon einen Unterschied, ob man ab und zu ein Gewaltspiel spielt oder ob man es wie manche Jugendliche Tag für Tag, Nacht für Nacht, Woche für Woche spielt, und zwar nicht eine Stunde, sondern vier bis zehn Stunden. Wir sollten deshalb ruhig einmal - ich fand es nämlich sehr wichtig, was Sie, Frau Griefahn, gesagt haben - das Thema Onlinesucht ansprechen und die Sucht als solche wahrnehmen. Wir sollten auch darüber diskutieren, ob wir wirklich vertreten können, dass das virtuelle Töten von Menschen durch aktive Beteiligung an einem solchen Spiel einen Freizeitwert in unserer Gesellschaft bekommen hat. Was ist die Ursache für diesen Werteverfall? Auch darüber, finde ich, sollten wir reden. Es gibt viele Parallelen bei denjenigen, die das sogenannte School Shooting, also Amokläufe an Schulen, begangen haben: Sie hatten relativ intensiven Kontakt zu Waffen, sie spielten Gewaltspiele am Computer, sie litten oft unter mangelnder Anerkennung, und manchmal zogen sie sich zurück in die Isolation. Ist es nicht Aufgabe der ganzen Gesellschaft, entsprechende Signale, wenn es denn welche gibt, auch wahrzunehmen? Aber gerade in der Phase der Pubertät - Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen - ist es für die Jugendlichen unheimlich schwierig, ihre Rolle zu finden, herauszufinden, wohin sie gehören. Deswegen ziehen sich manche Jugendliche in ein virtuelles Leben aus zweiter Hand zurück. Ich bitte alle Eltern: Lassen Sie Ihre Kinder nicht entgleiten! Viele Eltern wissen meiner Meinung nach manchmal nicht, wie ihre Kinder in dieser Zeit tatsächlich ticken. Pubertierende tauchen ab. Aber hier sehe ich Handlungsbedarf. Hier geht es auch um die Sprachlosigkeit der Eltern; denn 40 Prozent der Jugendlichen - das hat gerade die UNICEF-Studie aus dem Jahr 2007 gezeigt sprechen nach eigenen Angaben nicht mit ihren Eltern. Aber wo nicht mehr miteinander gesprochen wird, kann nichts mehr vermittelt werden, auch keine Werte. Deshalb mein Appell an die Eltern: Bitte kehren Sie Ihren Kindern nie den Rücken! Geben Sie ihnen die Hand, auch wenn es manchmal in der Pubertät nicht einfach ist! Insbesondere geht es um die Situation der Jungen. In all den Fällen, von denen ich gelesen habe, waren die Täter nämlich immer Jungen. Ich bin froh und möchte auch unserer Ministerin dafür danken; dass wir die Jungen mehr in den Fokus genommen haben. Die Polizeistatistik sagt, dass die Jungen fünfmal mehr an Gewalttaten beteiligt sind als Mädchen. Deswegen müssen wir hier weiterarbeiten. Die Anfrage der FDP geht in die gleiche Richtung. Bei den Jungen besteht Handlungsbedarf; das wird mir immer wieder bestätigt. Wir müssen uns um die Jungen kümmern. Das ist der richtige Weg. Was kann Schule tun? Schule kann eine Menge tun. Das hat sich auch jetzt gezeigt. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Schulen bedanken, die Schulbriefe an Eltern und an Lehrer geschickt haben. Sie haben versucht, Fragen zu beantworten und den Eltern und Angehörigen Ängste zu nehmen, und es ist ihnen gelungen. Ich möchte, da ich zum Schluss kommen muss, mit einem Appell aus einem Schulbrief von einer Berliner Schule, der mir vorliegt, schließen. Darin schreibt die Direktorin an ihre Schüler: Lasst uns sensibel sein, lasst uns aufmerksam sein! Ist da vielleicht jemand in unserer Nähe, der Zuwendung braucht, der sich vielleicht ausgegrenzt fühlen könnte? Jemand, der unsere Hilfe dringend braucht, aber nicht imstande ist, sie laut einzufordern, oder dessen Hilferufe nicht verstanden werden? Lasst uns aufeinander achten, niemand darf dauerhaft am Rand stehen. Ich glaube, dieser Appell sollte nicht nur den Schülern gelten; wir alle sollten ihn uns zu Herzen nehmen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. März 2009, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.