Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe heute keine Mitteilungen zu machen, sodass
wir ohne jeden Verzug in unsere Tagesordnung eintreten
können.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des
Finanzmarktes ({0})
- Drucksache 16/12100 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Diese Aussprache soll nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 90 Minuten dauern. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Leider ist festzustellen, dass die
schlechten Nachrichten von den weltweiten Finanzmärkten nicht abreißen. Sie verfolgen genauso wie ich die
Entwicklung in den USA insbesondere mit Blick auf den
größten Kreditversicherer der Welt.
({0})
- Muss ich mich wieder hinsetzen?
({1})
- Eigentlich ja, Herr Westerwelle. - Können Sie mich
jetzt alle verstehen?
({2})
- Nicht nur das, Herr Westerwelle. Ich bin, glaube ich,
nach wie vor der Fähigkeit mächtig, Subjekt, Prädikat
und Objekt aneinanderzureihen. Sie werden mich schon
verstehen.
({3})
Das größere Problem ist, dass Sie mich nicht verstehen
wollen oder können.
({4})
Ich begann mit einer Bemerkung, meine Damen und
Herren, die keineswegs einen erfreulichen oder spielerischen Charakter hat: Die sehr schlechten Nachrichten
von den Finanzmärkten weltweit reißen leider nicht ab.
Sie verfolgen genauso wie ich insbesondere die Nachrichten aus den USA. Allein der größte Kreditversicherer der Welt hat im letzten Quartal ein Minus von
62 Milliarden US-Dollar gemacht. Auch die Situation
des Bankenwesens in Großbritannien ist nach wie vor
sehr angespannt. Wir haben es auch mit deutschen Banken zu tun, die in ihren Abschlüssen Verluste von bis zu
6,3 Milliarden Euro - siehe Dresdner Bank - zu verzeichnen haben. Wir haben es bei den Kreditinstituten
mit einer Aktienkursentwicklung zu tun, die die Börsenkapitalisierung dieser Kreditinstitute auf bemerkenswerte, unglaublich niedrige Werte zusammenschrumpfen lässt.
Das zeigt zweierlei:
Erstens. Die Schockwellen, die von den weltweiten
Entwicklungen auf den Finanzmärkten ausgehen, haben
nichts von ihrer Intensität und Gefährlichkeit verloren.
Redetext
Wer angesichts des nach wie vor drohenden Organversagens bei den Finanzmärkten und der dahinterstehenden
Finanzmarktkrise so tut, als hätte dies in den nächsten
Jahren nicht sehr weitreichende, ich behaupte sogar epochale Auswirkungen auf die Entwicklung, der macht
sich und vielen anderen etwas vor.
Zweitens. Wir haben es nach wie vor mit einem ungelösten Problem zu tun; daran ändert auch die Aufforderung, man möge es schnell lösen, nichts. Das sind die sogenannten Schrottpapiere in den Bilanzen. Für das
Problem hat bisher weltweit kein einziges Land eine Lösung, weil zunächst das Kernproblem gelöst werden
muss. Auch wenn wir der Aufforderung, das Problem so
schnell wie möglich - vielleicht im Sinne einer Vorlage über Bad Banks zu lösen, nachkommen würden, würde
das an diesem konstitutiv schwierigen Problem gar
nichts ändern. Es sei denn, der Deutsche Bundestag ist
mit Ihrer Unterstützung bereit, die Kapitalisierung solcher Bad Banks mit öffentlichem Geld, mit Steuerzahlergeld, zu unterlegen.
In dieser äußerst prekären Situation ist es uns gelungen, den deutschen Finanzmarkt zumindest so weit zu
stabilisieren, dass nach dem Fall von Lehman Brothers
kein systemrelevantes Institut andere Institute aufgrund
eines Dominosteineffekts mit heruntergerissen hat.
Es ist freimütig, zu gestehen, dass damit verbundene
Hoffnungen auf eine Revitalisierung des Interbankenmarktes nicht eingetreten sind. Wir haben es nach wie
vor mit einem erheblichen Vertrauensverlust im Verhältnis der Banken untereinander und zunehmend mit Blick
auf die Kreditgewährung gegenüber der Realwirtschaft
zu tun. Aber es ist wichtig gewesen, dass die Regierung
insbesondere mit der Unterstützung und unter Beteiligung des Deutschen Bundestages seinerzeit im Oktober
letzten Jahres in der Lage gewesen ist, Handlungsfähigkeit zu belegen. Mit dem Finanzmarkstabilisierungsgesetz ist etwas verabschiedet worden, für das wir außerhalb, aber auch innerhalb Deutschlands durchaus
Anerkennung im Sinne eines guten Krisenmanagements
gefunden haben.
Allerdings hat sich in den letzten Monaten an der einen oder anderen Stelle die Notwendigkeit gezeigt, dieses Finanzmarktstabilisierungsgesetz zu ergänzen, damit
die ergriffenen Stabilisierungsmaßnahmen schneller und
sicherer greifen können. Ich will aus Zeitgründen nicht
auf die Einzelheiten eingehen, bei denen es insbesondere
um gesellschaftsrechtliche Veränderungen geht, sondern
sehr schnell in medias res springen mit Blick auf den
Kern dieses Artikelgesetzes, der ja Gegenstand - das ist
nachvollziehbar - sehr grundsätzlicher Debatten in
Deutschland ist. Es handelt sich um das sogenannte Rettungsübernahmegesetz, das in einer bestimmten Abfolge als letzte Option, als Ultima Ratio - von mir aus als
Ultissima Ratio -, die Enteignung bestimmter Kreditinstitute im Sinne einer Legalenteignung - von uns sehr
stark fokussiert im Wege der Rechtsverordnungen - vorsieht.
Meine Bitte ist, diese Möglichkeit nicht so grundsätzlich und nicht so prinzipienorientiert zu debattieren, dass
pragmatische und problemadäquate Lösungen verbaut
werden.
({5})
Wir beschreiten damit keinen deutschen Sonderweg,
sondern wir müssen Erfahrungen heranziehen - das tun
wir auch -, die längst in anderen Ländern gemacht worden sind. Mich erstaunt gelegentlich in den sehr grundsätzlich gehaltenen ordnungspolitischen Debatten, dass
ausgerechnet die angloamerikanischen Länder, die uns
bisher in diesen ordnungspolitischen Debatten gelegentlich wie eine Monstranz vorgehalten worden sind mit
Blick auf Staatsferne, Deregulierung - der Beschreibung, dass Politik sich im Wesentlichen aus allem herauszuhalten hat -, sehr schnell als erste den Weg von
Verstaatlichung und Enteignung gegangen sind.
Ich kann mich nicht erinnern, dass es in Deutschland
irgendeine Aufmerksamkeit geweckt hat, als die Briten
sehr schnell Northern Rock oder ein Institut wie Bradford & Bingley verstaatlicht haben. Ich kann mich nicht
erinnern, dass es in Deutschland, auch nicht der gesamten Bandbreite dieses Parlamentes, eines besonderen
Hinweises bedurft hat, als die Amerikaner - sie nennen
es Conservatorship - bei Fannie Mae, bei Freddie Mac
und bei AIG einen ähnlichen Weg gegangen sind. Deshalb sehe ich nicht ein, warum in Deutschland die Möglichkeit, diesen Weg zu gehen, plötzlich als etwas Exzeptionelles debattiert wird, das in anderen Ländern
offenbar als notwendig und problemadäquat beschrieben
wird.
({6})
Wir beschreiten keinen Sonderweg. Niemand aufseiten
der Regierung, niemand aufseiten der Koalitionsfraktionen verbindet mit dieser letzten Möglichkeit die Vorstellung, das Modell der sozialen Marktwirtschaft zu erschüttern oder auszuhöhlen.
({7})
Umgekehrt gilt: Wenn der Bund keine einzige Stimme,
keine einzige Einflussmöglichkeit, keine einzige Aktie in
einem Kreditinstitut hat, aber inzwischen 87 Milliarden
Euro öffentliche Gelder als Garantien gibt, ist in meinen
Augen irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo der
Bund, die öffentliche Hand im Interesse des Steuerzahlers, im Interesse des Haushaltes eine Kontrollmehrheit
zwingend erwerben muss,
({8})
es sei denn, jemand plädiert dafür, den bisherigen Weg
ad infinitum fortzusetzen, der da lautet: In regelmäßigen
Abständen werden diese Garantiesummen von im Augenblick 87 Milliarden Euro auf 97 Milliarden Euro auf
107 Milliarden Euro auf 117 Milliarden Euro und weiter
permanent erhöht, ohne dass erkennbar ist, dass dieses
Institut auf Dauer vor der Insolvenz bewahrt werden
kann. Dieses Institut gerät in die Gefahr einer Insolvenz.
Dies hat einen besonderen Stellenwert, nicht weil sich
das jemand im Bundesfinanzministerium oder aufseiten
der Bundesregierung ausdenkt, sondern die kundigen
Thebaner und Thebanerinnen von der Bundesbank, von
der BaFin und im gesamten deutschen Kreditwesen, die
Sie fragen können, sind davon überzeugt, dass dieses Institut eine sogenannte Systemrelevanz hat. Warum? Weil
es mit anderen Kreditinstituten derartig vernetzt ist, dass
ein Zusammenbruch oder, um es weniger dramatisch zu
beschreiben, eine Insolvenz automatisch Folgen für das
gesamte deutsche Kreditwesen hätte, und zwar über die
Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus und in
einem Ausmaß fast wie bei Lehman Brothers, wie einige
sagen.
Die Bilanzsumme dieses Unternehmens ist fast identisch mit dem Betrag, der die Probleme bei Lehman
Brothers verursacht hat. Im Übrigen spielt dieses Institut
auf dem Pfandbriefmarkt eine eminent wichtige Rolle.
Mit Blick auf die Sicherheit gerade dieses Produkts in
der breiten Wahrnehmung der Bevölkerung hätte es einen besonderen Stellenwert, wenn dieses Institut als einer der wichtigsten Marktteilnehmer bzw. Marktpartner
auf dem Pfandbriefmarkt in große Verlegenheit geraten
würde.
Meine Damen und Herren, die Begründung, warum
wir einen solch weitreichenden Schritt nicht ausschließen, wird im Wesentlich von folgenden Gründen getragen:
Dieses Institut muss restrukturiert werden. Ich will
mich im Augenblick nicht, erst recht nicht öffentlich, auf
Details einlassen, wie es beispielsweise um die Kernkapitalquote dieses Instituts bestellt ist. Wenn es aber bei
dieser Kernkapitalquote bleibt oder wenn diese Kernkapitalquote in Anbetracht nicht beeinflussbarer Marktentwicklungen weiter aufgefressen wird, dann kommen wir
eines Tages, eher früher als später, in die Verlegenheit,
dass die Existenzfähigkeit dieses Instituts hochgradig
gefährdet ist.
Wir müssen mithilfe einer Kontrollmehrheit dafür
Sorge tragen, dass die Restrukturierungsmaßnahmen bei
hoher Transaktionssicherheit gelingen. Das bedeutet,
dass die öffentliche Hand eine solche Einflussmöglichkeit braucht. Jetzt werden einige sagen: Dafür reichen
75 Prozent plus eine Aktie.
Im Hinblick auf die nächsten beiden Maßnahmen, die
zwingend notwendig sind, reichen diese 75 Prozent plus
eine Aktie aber nicht: Wir müssen dieses Institut an den
Finanzierungskonditionen des Bundes teilhaben lassen;
dafür reichen 75,1 Prozent nicht. Auch mit Blick auf die
Eigenkapitalbedingungen, die ein in der Größenordnung
von 90, 95 oder 100 Prozent im öffentlichen Eigentum
stehendes Institut in Anspruch nehmen kann, reichen
75,1 Prozent nicht.
Das heißt, mit Blick auf die Refinanzierungskonditionen, die Teilhabe an der Bonität des Bundes, und die Eigenkapitalunterlegung reichen 75,1 Prozent definitiv
nicht. Wenn Sie mir das nicht glauben, wäre ich Ihnen
sehr dankbar, wenn Sie sich bei denjenigen, die sich sehr
professionell und sehr intensiv mit diesen Fragen beschäftigen, mit den notwendigen Informationen versorgen würden.
({9})
Sie alle wissen, dass in diesem Gesetzentwurf, in diesem Teil des Artikelgesetzes, eine bestimmte Stufenabfolge vorgesehen ist; sie wird eingehalten. Sie alle wissen auch, dass wir das Ganze einer zeitlichen Befristung
unterwerfen, um jeden Verdacht, dass hier eine Art
Durchgriffsregelung getroffen wird, zu beseitigen. Ich
bitte aber um Verständnis für meine Position, die da lautet: Ein Bundesfinanzminister kann nicht von Ihnen die
Verantwortung übertragen bekommen, die Probleme eines Finanzinstituts zu lösen, wenn Sie ihm nicht den
Handwerkskasten zur Verfügung stellen, den er dafür
braucht.
({10})
Auf diesem Weg werden wir alle vorgeschalteten Stufen beachten. Das heißt, wenn dieser Gesetzentwurf in
der zweiten Lesung von Ihnen und Anfang April dieses
Jahres im zweiten Durchgang im Bundesrat verabschiedet worden ist, dann wird versucht, auf der Hauptversammlung des Unternehmens eine Kapitalerhöhung und
einen Kapitalschnitt durchzusetzen. Wenn es auf dieser
Hauptversammlung aber keine Mehrheit dafür gibt oder
wenn ein entsprechender mehrheitlich gefasster Beschluss der Hauptversammlung nicht rechtzeitig ins Handelsregister eingetragen werden kann, sodass die nach
wie vor labile Situation dieses Instituts noch lange fortdauert, möglicherweise bis in den Frühsommer dieses
Jahres, dann ist nicht ausgeschlossen, dass von der Enteignungsoption Gebrauch gemacht wird.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass diese Debatte verständlicherweise zu sehr grundsätzlichen Betrachtungen führt. Lassen Sie mich deshalb abschließend
zwei, drei grundsätzliche Bemerkungen machen. Wenn
der Wert eines Unternehmens auf nahezu null sinkt - die
Börsenkapitalisierung dieses Unternehmens ist inzwischen auf ein bemerkenswert niedriges Niveau von 250
bis 280 Millionen Euro gesunken -, dann müssen zuerst
die Kapitalgeber zur Verantwortung gezogen werden,
nicht die öffentliche Hand.
({11})
Es ist nicht nur mit der Marktwirtschaft vereinbar, sondern es ist sogar geboten, die Kapitalgeber als Erste an
dieser Operation zu beteiligen. Das ist Marktwirtschaft.
({12})
- Das gilt für andere genauso.
({13})
Anders ausgedrückt - um meinen ordnungspolitischen
Standpunkt in dieser Sache klarzumachen -: Es kann
nicht und darf nicht Aufgabe des Staates sein, Eigentümer zu retten, deren Unternehmen de facto in die Insolvenz gehen.
({14})
Wie Sie wissen, repräsentiert ein Aktionär einen größeren Anteil an der HRE, während sich der weit überwiegende Anteil im Streubesitz befindet. Es gibt Avancen bei diesem Aktionär, sich zu beteiligen, wenn
öffentliches Geld bereitgestellt wird, um die Schritte zu
ermöglichen, die wir für notwendig halten, allerdings
mit Preisvorstellungen, die um das Zwei- bis Dreifache
höher sein können als der augenblickliche Börsenwert
der HRE. Können Sie sich vorstellen, dass ich mit so einem Vorschlag an dieses Pult trete?
({15})
- Ich werde es nicht machen.
Im Übrigen: Bei einem so hohen Einsatz öffentlicher
Mittel und öffentlicher Garantien - bei denen wir aufpassen müssen, dass sie nicht fällig werden - hat der
Staat die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass nicht die
Steuerzahler enteignet werden. Das ist mein letzter ordnungspolitischer Hinweis.
({16})
Das Wort für die FDP-Fraktion erhält der Kollege
Dr. Hermann Otto Solms.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es war bezeichnend, wie der Bundesfinanzminister seine Rede begonnen hat. Er hat uns aufgefordert,
„nicht so prinzipienorientiert zu debattieren“. Das heißt
ja wohl, wir sollen prinzipienlos debattieren.
({0})
Das kann einen nicht erstaunen, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass diese Regierung es mit den Grundprinzipien der Verfassung bei Bedarf nicht immer so
ernst nimmt.
({1})
Ich erinnere nur daran, dass Sie bei der Erbschaftsteuerreform Art. 6 Grundgesetz verletzt haben, indem Sie die
Familie aufgespalten und Geschwister und Geschwisterkinder aus dem Begriff der Familie ausgeklammert haben.
({2})
Oder ganz aktuell: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Jobcenter
will Minister Scholz nicht das Recht ändern, sondern die
Verfassung. Das wäre eine Ohrfeige für das Bundesverfassungsgericht.
({3})
Und jetzt Enteignung. Die Große Koalition legt ein
Enteignungsgesetz vor. Die Regierung versucht, das als
normal oder notwendig hinzustellen. Herr Minister
Steinbrück, bei allem Verständnis für die Schwierigkeit,
eine Lösung für das Problem der Hypo Real Estate zu
finden, muss man sagen: So geht das nicht!
({4})
Enteignung ist ein Instrument der sozialistischen
Planwirtschaft, nicht aber der sozialen Marktwirtschaft.
({5})
Eigentum ist ein Grundrecht, der Schutz des Eigentums
ist ein Grundprinzip unserer Gesellschaftsordnung. Das
darf nicht aufgegeben werden. Gerade in schwierigen
Zeiten muss sich der Bürger auf die Verfassungstreue der
Regierung verlassen können, darf sie nicht zur Disposition stehen.
({6})
Merken Sie eigentlich nicht, welchen Schaden Sie anrichten, wenn Sie Gesetze vorlegen, in denen man lesen
muss: Enteignungsbehörde ist das Bundesfinanzministerium? Herr Steinbrück ist dann wohl der Enteignungsbeauftragte der Bundesregierung.
Wenn Sie gestern im Ticker das Suchwort „Enteignung“ eingegeben haben, konnten Sie zwei Meldungen
finden: „Enteignungsgesetz in Deutschland“ und „Chávez
ordnet Enteignung amerikanischer Reisfabrik an“.
({7})
In diesem Umfeld sind Sie jetzt gelandet. Herzlichen
Glückwunsch!
({8})
Eine Enteignung nach Art. 14 Grundgesetz greift ein
althergebrachtes Rechtsinstitut auf: Der Staat sollte in
Zeiten der Industrialisierung schnell Zugriff auf Grundstücke bekommen, um zum Wohl der Allgemeinheit
Straßen und Eisenbahnen bauen zu können. Was Sie jetzt
vorhaben, ist jedoch keine Enteignung nach Art. 14
Grundgesetz, es ist eher eine Vergesellschaftung nach
Art. 15 Grundgesetz. Zu dieser Vorschrift lassen sich in
Kommentaren zum Grundgesetz bezeichnende Bemerkungen finden, beispielsweise: „Verfassungsfossil in
Zeiten der Globalisierung“.
Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates äußerte Carlo Schmid - Sie werden sich an ihn erinnern -,
({9})
dass „Enteignungen nicht schlechthin aus Gründen der
Staatsräson oder administrativer Opportunität“ erfolgen
dürfen.
({10})
- Lesen Sie das nach; Carlo Schmid.
Aber genau das ist jetzt die Motivation. Ihnen sind die
Aktionäre schlichtweg lästig. Die Aktionäre, auch die
Mitarbeiteraktionäre, die Geld investiert haben, sollen
ihre Investitionen einfach loswerden. Nach allen Auskünften sind sie jedoch bereit, weitreichende Sanierungsmaßnahmen mitzutragen.
Sie behaupten, dass selbst die neuen Möglichkeiten
des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes nicht ausreichen. Können Sie diese Behauptung eigentlich belegen?
In der Begründung zum Gesetzentwurf hört sich das
nämlich ganz anders an. Danach soll die Enteignungsbehörde sich ernsthaft, aber vergeblich um einen alternativen Erwerb bemüht haben. Die Verpflichtung zur
Bemühung besteht aber nur, wenn hinreichend Aussicht
auf Erfolg gegeben ist.
({11})
Ob aber Aussicht auf Erfolg besteht, ob man sich überhaupt bemühen muss und ob die Bemühungen ernsthaft
und vergeblich waren, das entscheidet allein die Enteignungsbehörde, das Bundesfinanzministerium, nach
freiem Ermessen; so steht es im Gesetzentwurf.
Man kann es auch anders ausdrücken: Sie wollen sich
eigentlich gar nicht anstrengen. Sie suchen die vermeintlich billigste und bequemste Lösung und stellen dabei
die Grundlagen unserer Wirtschaftsverfassung zur Disposition.
({12})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung zum ersten Bankenrettungsschirm davon gesprochen, dass neues Vertrauen gewonnen werden
muss.
({13})
Ich zitiere: „Vertrauen zwischen den Banken, Vertrauen
in der Wirtschaft, Vertrauen bei den Bürgern“. Und das
wollen Sie mit Enteignungen erreichen? Damit wollen
Sie Vertrauen schaffen? Wer soll denn noch in Deutschland investieren, wenn er Gefahr läuft, dass je nach politischer Opportunität in verfassungsrechtlich gesicherte
Eigentumsrechte eingegriffen wird?
({14})
Wir brauchen privates Kapital, wir brauchen private Investoren hier in Deutschland, wir brauchen in- und ausländische Investoren, die bereit sind, gerade in der Krise
hier zu investieren.
({15})
Jetzt werden Sie behaupten, es handele sich ja nur um
einen Einzelfall. Das macht es ja noch schlimmer. Das
Vertrauen in den Rechtsstaat leidet gerade unter Einzelfallgesetzen.
({16})
Wirtschaftsminister Guttenberg, der gegenwärtig in
Verhandlungen mit Opel ist und hier nicht dabei sein
kann - das kann ich verstehen, und ich entschuldige das
gerne -,
({17})
hat aber doch gesagt, dass dies als Ultima Ratio hingenommen werden kann. Deswegen hat er in der ersten
Kabinettssitzung, an der er teilgenommen hat, diesem
verfassungswidrigen Gesetzentwurf zugestimmt,
({18})
und das ist nicht zu entschuldigen.
({19})
Dabei sind im Wirtschaftsministerium doch Alternativmodelle entwickelt worden.
({20})
Das Wirtschaftsministerium hält Enteignungen - ich zitiere - „für das problematischste aller zur Verfügung stehenden Instrumente“.
Ich weiß, jetzt rufen Sie wahrscheinlich wieder: Ultima Ratio! Wenn es eine Ultima Ratio sein soll, muss es
ja erst einmal eine Ratio gegeben haben, die ich nicht erkennen kann.
({21})
Wissen Sie, was auf den Kanonenkugeln Friedrichs
des Großen geprägt war? Ultima Ratio Regis, das ist das
letzte Mittel des Königs: Gewaltanwendung. Kugeln
schaffen Zerstörung und Gewalt. Sie schaffen mit dem
Gesetz keine physische Zerstörung, aber Sie schaffen
eine rechtliche Zerstörung.
({22})
Sie zerstören ein Grundrecht; darauf muss man hinweisen.
({23})
Das ist ein Eingriff in unsere Rechtsordnung. Die Regierung ist offenkundig mit ihrem Latein am Ende. Enteignungen in der Wirtschaft sind keine Ultima Ratio; Enteignungen bedeuten einen Offenbarungseid.
({24})
Vielen Dank.
({25})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann das
ganz - ({0})
- Herr Kollege Poß, man kann das fraglos auch völlig
anders beurteilen.
({1})
Ich habe keinen Zweifel mit Blick auf die mir vorliegende Rednerliste, dass im Laufe dieser Debatte völlig
andere Auffassungen vorgetragen werden.
({2})
Aber zulässig ist diese Auffassung allemal.
({3})
- Auch das. Das müssen wir dann wechselseitig aushalten.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Otto Bernhardt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Solms, Sie wissen, dass ich Sie
sehr schätze. Aber dieser Beitrag war Ihrer Person unwürdig. Das sage ich mit aller Deutlichkeit.
({0})
Sie haben hier den Versuch gemacht, das Verhalten derjenigen, die sich heute in einer schwierigen Situation als
letzte Möglichkeit für das Instrument der Enteignung
einsetzen, als nicht verfassungskonform zu bezeichnen.
Dies ist falsch, Herr Vizepräsident.
({1})
Schauen Sie einmal ins Grundgesetz. Dort steht deutlich, dass auch dieses Instrument, allerdings geknüpft an
enge Voraussetzungen - Entschädigung, besonderes Gesetz -, möglich ist. Aber der Eindruck, den Ihr Beitrag
erzeugt hat, ist falsch. Das stelle ich mit aller Deutlichkeit fest.
({2})
Was noch schlimmer ist, Herr Kollege: Sie haben
keine Lösung aufgezeigt.
({3})
Ihr Ehrenvorsitzender hat erklärt, man solle die Bank in
die Insolvenz gehen lassen. Das haben Sie hier nicht gesagt; das wäre vielleicht ehrlicher gewesen. Ich sage nur:
Dann hätten wir eine Katastrophe, nicht nur auf dem
deutschen Finanzmarkt.
({4})
Wir haben für diese eine zur Diskussion stehende
Bank - man weiß es nicht, aber ich hoffe, es gibt keine
vergleichbaren - aus politischer Verantwortung Prioritäten gesetzt. Die erste Priorität heißt: Diese Bank muss
gerettet werden, weil sie systemrelevant ist. Wenn sie in
die Insolvenz geht, dann erleben wir etwas Ähnliches
wie bei Lehman Brothers, und das darf uns jetzt wirklich
nicht passieren.
({5})
Dann nützt uns unser Gesetz nichts mehr, das der Deutsche Bundestag im Oktober vergangenen Jahres mit den
Stimmen der Großen Koalition und der FDP - das war
verantwortungsbewusst - verabschiedet hat, mit dem wir
bisher erfolgreich gearbeitet haben und das sich im
Grundsatz bewährt hat. Wir haben sichergestellt, dass
kein weiteres Finanzinstitut in die Insolvenz gehen
musste, und wir wollen dies auch weiterhin so halten.
Die erste Priorität ist also: Kein Institut darf in die Insolvenz gehen.
Bei der zweiten Priorität kann man schon unterschiedlicher Meinung sein. Da geht es um die Frage:
Wollen wir den Steuerzahler schonen und auf jeden Fall
auf Enteignung verzichten? Mit viel Geld in der Hand
kann man das. Nur, meine Damen und Herren, wenn wir
uns diese Bank anschauen, stellen wir fest: Sie hätte keinen Wert von 250 Millionen Euro an der Börse, wenn
wir nicht 87 Milliarden Euro und die Banken
15 Milliarden Euro Bürgschaften gegeben hätten. Das
heißt, im Grunde ist sie nichts mehr wert. Wenn wir
nichts getan hätten, hätten die Aktionäre per heute null,
um das ganz klar zu sagen.
({6})
Wir haben uns klar für die Priorität zwei entschieden:
Schonung des Steuerzahlers; denn über die öffentlichen
Finanzen brauche ich hier nichts zu sagen.
Die dritte Priorität lautet, das Ganze möglichst ohne
Enteignung durchzuführen. Es ist schon interessant, dass
in dieser Diskussion hier Verstaatlichung und Enteignung häufig nicht scharf voneinander getrennt wurden.
({7})
Verstaatlichung ist nicht das Problem, Enteignung ist das
Problem.
Das sind die Prioritäten, die wir uns gesetzt haben.
({8})
Ich bin nun wirklich einer von denen, die das Ziel
möglichst über den Verhandlungsweg erreichen wollen.
Aber, meine Damen und Herren, uns jetzt das letzte Instrument, das das Grundgesetz vorsieht, nicht zu gestatten, birgt Gefahren in sich, die in diesem Hause eigentlich niemand verantworten kann.
({9})
Um das deutlich zu sagen: Es gibt in einer Kernfrage
eine unterschiedliche Auffassung zwischen dem Minister und mir. Wir beide können für unsere Auffassung
Fachleute zitieren. Es geht um die Frage, ob 75 Prozent
und eine Aktie reichen - Otto Bernhardt sagt Ja ({10})
oder ob wir wirklich 90 Prozent brauchen, um dann die
letzten 10 Prozent einzuziehen.
Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wenn wir
wirklich 90 Prozent brauchen - die letzten 10 Prozent
können wir aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen
dann ja einziehen -, dann wird kein Aktionär mitwirken.
Ein Aktionär wird sich doch nicht selbst beerdigen. Das
heißt, wenn Ihre Auffassung richtig ist - ich sage nicht,
dass sie falsch ist, aber ich habe eine andere; wir müssen
die Diskussion wirklich führen, weil sie wichtig ist - und
wir wirklich 100 Prozent brauchen, dann ist eine Verständigung mit Aktionären natürlich nicht möglich; denn
das rechnen sie nach. Dann müssen wir die Enteignung
wählen.
Ich hoffe, die 75 Prozent und eine Aktie reichen aus.
Diesen Weg können wir wahrscheinlich ohne Enteignung begehen, weil - ich zitiere nicht aus geheimen Dokumenten, sondern aus dem, was in der Zeitung steht einer der entscheidenden Aktionäre sagt: Ich bin bereit,
den notwendigen Kapitalschnitt mitzumachen, ich bin
bereit, die notwendige Erhöhung mitzumachen, und ich
bin bereit, auf mein Bezugsrecht zu verzichten.
Dann hätten wir die 33 Prozent, die wir haben dürfen,
und mit ihm zusammen über 50 Prozent, sodass wir die
notwendigen Entscheidungen im Hinblick auf 75 Prozent und eine Aktie treffen könnten. Ich weiß es nicht.
Ich sage nur: An diesem Punkt müssen wir ein sehr sachliches Gespräch führen; denn natürlich fällt es meiner
Fraktion enorm schwer - das wissen Sie von der FDP
natürlich, weshalb Sie einen aus meiner Sicht polemischen Beitrag geleistet haben -, dieses Instrument der
Enteignung, das im Grundgesetz vorgesehen ist - ist
sage es noch einmal -, jetzt in ein Gesetz aufzunehmen.
Wir waren vor 14 Tagen mit einigen Kollegen in den
Vereinigten Staaten. Dort haben uns auch die Republikaner gesagt: Wir haben zwei Versicherungen enteignet
und sechs Banken übernommen. Wir werden noch mehr
übernehmen. Wir haben doch niemandem etwas weggenommen, weil sie nichts mehr wert waren. - Diese Mentalität haben wir aber nicht. Wir müssen ein bisschen
Rücksicht auf die Mentalität in Deutschland nehmen.
({11})
- Herr Trittin, wir haben hier eine andere Mentalität. Das
ist nun einmal so. Jeder, der politische Entscheidungen
trifft, muss dabei auch die Auffassung der Bevölkerung
im Blick haben.
({12})
Ich sage jetzt zu dem vorliegenden Gesetzentwurf,
mit dem eine Ergänzung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes vorgenommen werden soll: Nach Meinung meiner Fraktion gibt es bei vier Punkten einen Änderungsbedarf. Normalerweise spreche ich in der ersten Lesung
von Diskussionsbedarf, heute sage ich aber „Änderungsbedarf“.
Erster Punkt. Hierüber muss man sich wirklich auch
in der Sache unterhalten: Es ist vorgesehen, die Dauer
der Garantien von bisher drei Jahren auf grundsätzlich
fünf Jahre zu verlängern. Es gibt Kreditinstitute, die sagen, das sei notwendig. Die EU gibt uns die Möglichkeit, auf fünf Jahre zu verlängern. Ein Drittel der EULänder hat davon Gebrauch gemacht.
Wir befürchten, dass dies für den Pfandbriefmarkt
eine ganz gefährliche Entwicklung ist. Ich sage das mit
aller Deutlichkeit.
({13})
Der Markt der Unternehmensanleihen, der ganz langsam
wieder in Gang kommt, könnte damit zerstört werden.
Vielleicht finden wir einen Kompromiss, der lautet: ein
Drittel der Garantien bis zu fünf Jahren. Hier formulieren wir vielleicht weitere Einzelheiten.
Zweiter Punkt. Aufgrund meines Selbstverständnisses
als Parlamentarier ist es für mich klar, dass ein Passus
aufgenommen werden muss, wonach zumindest der Finanzausschuss und der Haushaltsausschuss informiert werden, bevor diese wichtige Verordnung, die
vorgesehen ist, erlassen wird. Ich glaube, das ist für den
Parlamentarismus ein ganz wichtiger Punkt.
({14})
Dritter Punkt. Wir sind uns einig, dass erst eine
Hauptversammlung durchgeführt werden muss, die
scheitert. Wir sind uns auch einig, dass erst Verhandlungen durchgeführt werden müssen, die scheitern. Wir
glauben, dies sollte man im Gesetz - wir machen Vorschläge - deutlicher formulieren.
({15})
Vierter Punkt. Dass der Staat nicht der bessere Banker
ist, wissen wir.
({16})
Dass auch andere Banken versagt haben, wissen wir
auch. Wir wollen aber die Bank, die wir dann anschließend haben, natürlich nicht auf Dauer behalten. Es ist
eine Reprivatisierung vorgesehen. Wir glauben, auch
diesen Teil sollte man ein Stückchen deutlicher formulieren.
({17})
Ich setze noch einen fünften Punkt dazu: Wenn man
sich die Begründungen anschaut, dann kann man den
Eindruck gewinnen, dass sie von einigen geschrieben
wurden - sie wurden nicht von Ihnen selber geschrieben,
Herr Minister; der Minister tut so etwas nicht -, die eigentlich nur das Ziel haben, zu enteignen. Ich sage: Das
Ziel haben wir nicht, sondern das ist für uns wirklich
eine Notmaßnahme.
({18})
Ich stelle abschließend für meine Fraktion fest, dass
sich das Gesetz, das wir im Oktober verabschiedet haben, bewährt hat. Wir brauchen ein Stück Veränderung,
damit wir den Notwendigkeiten von heute gerecht werden. Wir haben aber noch einige kritische Fragen. Vor
uns liegen eine Anhörung und Ausschussberatungen. Ich
hoffe, dass wir dann in 14 Tagen gemeinsam dieses für
Deutschland notwendige Gesetz verabschieden können.
Herzlichen Dank.
({19})
Oskar Lafontaine ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass uns diese Debatte bisher
durchaus Vergnügen bereitet, beobachten wir doch mit
großem Interesse, wie die einzelnen Fraktionen dieses
Thema behandeln.
Ich bin zum ersten Mal in der Situation, dass ich zunächst den Bundesfinanzminister in dem unterstützen
muss, was er abweichend von der Begründung des Gesetzentwurfs vorgetragen hat. Es geht hier nicht um die
Enteignung irgendwelcher Aktionäre. Das ist absolut absurd und lächerlich. Es geht darum, die Enteignung der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler endlich zu stoppen.
({0})
Die Frage ist, warum das erst jetzt passiert.
Es ist abenteuerlich, was hier vorgetragen wird. Es
gibt eine Bank mit ungedeckten Verpflichtungen in Höhe
von 100 Milliarden Euro. Der Staat muss mit
83 Milliarden Euro einspringen. Die Banken müssen mit
weiteren Milliarden einspringen, um ihre Interessen zu
wahren. Hier aber wird bei einem Börsenwert von
260 Millionen Euro von der Enteignung der Aktionärinnen und Aktionäre gesprochen. Man hat doch überhaupt
nichts begriffen. Es geht hier um nichts anderes als um
den Stopp der ständigen Enteignung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
({1})
Der zweite Punkt, in dem ich den Bundesminister der
Finanzen unterstützen muss, ist, dass er endlich unser
Argument aufgegriffen hat, dass es darum geht, günstige
Refinanzierungskonditionen durchzusetzen. Das entspricht den Tatsachen, und das wird auch überall erklärt.
Rechnen Sie einmal aus, was 0,1 Prozent, 0,5 Prozent
oder 1 Prozent von 100 Milliarden Euro sind! 1 Prozent
von 100 Milliarden Euro lässt sich leicht ausrechnen.
Was ist in den letzten Monaten an zusätzlichen Aufwendungen verplempert worden, die letztendlich zulasten
der Staatskasse gehen?
Es bestätigt sich, dass Lösungsansätze, wie sie in
Amerika, Großbritannien oder Schweden gewählt worden sind, ökonomisch oder auch einfach nur haushaltspolitisch vernünftig sind. Unsere Aufgabe ist es, die
Kosten, die dem Staat entstehen, zu minimieren. Das
heißt, wir müssen die Refinanzierungskosten der Hypo
Real Estate minimieren.
({2})
Der dritte Punkt ist, dass man die Kontrollmehrheit
braucht, um das Umleiten von Steuergeldern oder Bankengeldern in Steueroasen, Zweckgesellschaften oder
für den Kauf von Schrottpapieren usw. zu verhindern.
Das ist doch die Krux der bisherigen Praxis dieser
Regierung - damit komme ich zu meinen kritischen Bemerkungen -, dass immer noch nichts geregelt ist. In
Deutschland werden aufgrund Ihrer Verantwortung aufseiten der Regierungsbank Milliarden verschleudert,
weil Sie nicht sicherstellen, dass nicht mehr außerhalb
der Bilanz Geschäfte getätigt werden können und dass
Geschäfte nicht mehr über Steueroasen getätigt werden
können, und weil Sie weiter zulassen, dass Schrottpapiere gehandelt werden. Das ist unglaublich.
({3})
Besonders lustig wurde es, als Herr Kollege Solms an
Herrn Chávez erinnert hat. Das ist für uns ein wirklicher
Genuss: Angela Merkel, die deutsche Chávez. Das ist
wunderbar.
({4})
Wir hätten es uns nicht träumen lassen, dass hier mit solchen massiven Argumenten gegen sie vorgegangen wird.
Aber, verehrte Damen und Herren von der FDP, Sie
haben kein Verständnis von Sozialismus.
({5})
- Es ist gut, wenn Sie das einsehen.
Sozialismus ist nicht die Sozialisierung von Verlusten. Haben Sie das immer noch nicht begriffen? Die Sozialisierung von Verlusten ist brutalster Kapitalismus.
Das haben Sie einfach nicht begriffen.
({6})
- Ihr dürft ruhig klatschen. Das habt ihr ja früher schon
alle gewusst.
Die Sozialisierung von Verlusten, die zurzeit in gewaltigem Umfang weltweit stattfindet, ist kein Sozialismus, sondern brutalster Kapitalismus, der sich in millionenfacher Enteignung von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern äußert, die ihre Arbeitsplätze verlieren.
Da wird Leiharbeitern gekündigt. Da werden befristete
Verträge nicht mehr verlängert. Da werden Arbeitsplätze
abgebaut. Da wird Kurzarbeit eingeführt. Das bedeutet
Einkommensverluste für den betroffenen Arbeitnehmer
etwa bei Opel in Höhe von 400 Euro pro Monat. Das ist
die eigentliche staatliche Enteignung aufgrund der Verbrechen, die Banker und Finanzverantwortliche in der
ganzen Welt begangen haben. Über diese Enteignung reden wir hier.
({7})
Die entscheidende Frage ist: Welchen Begriff von
Eigentum haben Sie eigentlich? Das ist Ihr Problem.
Lachen Sie ruhig weiter. Ich kann nur auf Graf
Lambsdorff verweisen, der dazu einen Aufsatz geschrieben hat. Man muss tatsächlich darüber reden, ob seine
Überlegungen zur Insolvenz ganz falsch sind. Bei der
IKB war ich dieser Meinung. Die IKB war keine systemrelevante Bank. Sie hatte ein Bilanzvolumen, das mit
dem der Hypo Real Estate nicht vergleichbar ist. Man
hat hier rund 10 Milliarden Euro in den Sand gesetzt,
ohne dass das begründet war. Die Bilanzsumme der
Hypo Real Estate ist deutlich höher. Man würde aber
gerne erfahren, worum es eigentlich im Detail geht.
Dazu hört man überhaupt nichts. Man hat überhaupt
keine Informationen darüber, welche Risiken vorhanden
sind, wie sich das Ganze strukturiert und wer die Verluste tragen müsste. Es wird immer nur Geld nachgeschossen. Sie stehen in der Verpflichtung, die Öffentlichkeit mehr zu informieren. Das ist einer der Gründe,
warum wir hier einen Untersuchungsausschuss für
dringend geboten halten.
({8})
Nun zum Gesetz selber. Dort ist von den Zusammenhängen, die ich hier erläutere, überhaupt nicht die Rede.
Dort wird nur von Finanzsystemen, Finanzmärkten, der
Stabilisierung des deutschen Finanzmarktes und Begleitmaßnahmen gesprochen. Deswegen bin ich dankbar,
dass wenigstens ein Minister gesagt hat: Hier geht es
auch um die Menschen. Er hat zwar auf die Steuerzahler
abgestellt. Aber ich habe nachgelegt: Es geht um die Arbeitnehmer und sozial Bedürftige sowie die Rentnerinnen und Rentner. Diese haben in den letzten Jahren
8,5 Prozent Kaufkraft verloren. Drei Redner aus drei
verschiedenen Fraktionen haben gesagt - ich mache die
Fraktionen dafür nicht verantwortlich; das wäre intellektuell nicht redlich; bei einem Redner bin ich mir sicher,
dass er für die ganze Fraktion gesprochen hat -: Die
Renterinnen und Rentner müssen letztendlich durch
Leistungskürzungen für die Milliardenverluste aufkommen, die diese Ganoven zu verantworten haben. Das ist
niemandem vermittelbar. Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Art der Bezahlung nicht stattfindet. Wir
dürfen nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sowie die Renterinnen und Rentner für die Kapitalverbrechen haften lassen, die hier begangen worden sind.
({9})
Für viele Bürgerinnen und Bürger ist nicht mehr
nachvollziehbar, dass jetzt die Verantwortlichen auch
noch Forderungen aufstellen. Einer will 3,5 Millionen
Euro als Bezahlung für seine großartigen Leistungen haben. Hier stehe die Bank in der Verpflichtung. Er will
weiterhin Zusagen für 500 000 Euro Pension pro Jahr
haben. Wo ist denn in dieser Gesellschaft noch die Haftung des Einzelnen für die gewaltigen Verluste gegeben,
die er zu verantworten hat? Wir leben in einer Gesellschaft, die die Maßstäbe verloren hat, wenn es darum
geht, Verantwortlichkeiten zuzuschreiben. Das erkennen
immer mehr Bürgerinnen und Bürger und ist der Grund,
warum bei uns eine große Unzufriedenheit herrscht.
({10})
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Sie haben
vorgetragen, dass die Angelsachsen vorbildlich seien,
wenn es um Verstaatlichung gehe. Das ist aufgrund der
Zusammenhänge, die ich vorgetragen habe, kein überzeugendes Argument. Das ist überhaupt kein Wunder.
Wenn es darum geht, der Gesamtgesellschaft Verluste
aufzubürden, dann sind natürlich die Länder, die sich
dem Kapitalismus besonders verbunden fühlen, diejenigen, die am schnellsten handeln, weil sie es verstanden
haben; das ist der Zusammenhang. Deshalb ist das sozusagen kein Beweis für Ideologiefreiheit oder Pragmatismus. Die Angelsachsen wissen einfach, was sie machen.
Sie privatisieren die Gewinne und sozialisieren die Verluste. Es wäre an der Zeit, dass das auch hier so gesehen
wird und dass sich auch die FDP langsam solchen Gedanken nähert und sich die Frage stellt, wem in dieser
Gesellschaft aus welchen Gründen was gehört. Was ist
eigentlich Eigentum? Hat die Verfassungsverpflichtung,
nicht zu enteignen, Bedeutung für die große Mehrheit
des Volkes und nicht für die Minderheit derjenigen, die
Sachgegenstände oder Unternehmenskapital besitzen?
Das sind doch die großen Fragen, die jetzt in unserer Gesellschaft aufgeworfen werden.
({11})
Leider ist das Gesetz von dem Geist getragen, wie er
teilsweise von der FDP formuliert worden ist.
({12})
Das äußert sich zum Beispiel darin, dass man es ängstlich auf eine Gesellschaft zuschneidet und gleichzeitig
die Dauer der entscheidenden Artikel auf den Juni befristet. Das ist durch gar nichts zu rechtfertigen, wenn
man längerfristig denkt. Es kann doch sein, dass morgen
ein Fall ähnlicher Größenordnung auf uns zukommt.
Was wollen wir denn dann machen? Lernen wir denn
nicht aus den Vorgängen in Großbritannien oder in den
Vereinigten Staaten oder in Schweden?
Wissen wir nicht, dass viele Wissenschaftler sämtlicher ideologischer Prägungen recht haben, wenn sie sagen, dass zurzeit die Übernahme der großen Institute
durch den Staat die einfachste, die wirkungsvollste und
die billigste Lösung ist? - Das ist einfach bewiesen, und
deshalb ist dieser Gesetzentwurf in diesem Ansatz völlig
überholt und im Grunde genommen reiner Mist, um das
einmal deutlich zu sagen.
({13})
Ich möchte nur noch zu einem Zusammenhang etwas
sagen, auch wenn sich jetzt alle darüber aufregen werden. Der Sozialphilosoph Oswald Spengler, den ich hier
schon einmal zitiert habe, schrieb in seinem berühmten
Standardwerk:
Die privaten Mächte der Wirtschaft wollen freie
Bahn für ihre Eroberung großer Vermögen. Keine
Gesetzgebung soll ihnen im Wege stehen. Sie wollen die Gesetze machen, in ihrem Interesse, und sie
bedienen sich dazu ihres selbstgeschaffenen Werkzeugs, der Demokratie, der bezahlten Partei.
Wir haben hier die Frage aufgeworfen, warum der
Untersuchungsausschuss IKB nicht kommt. Das Handelsblatt schrieb: Die FDP kann nicht zustimmen, weil
ihre Spender gesagt haben: Wenn ihr zustimmt, dann
werden wir sehr ungnädig mit euch sein und euch die
Spenden streichen.
Wir haben hier einmal aufgelistet - zehn Jahre saldiert -, was in den letzten Jahren von der Finanzwirtschaft gespendet worden ist: 1,4 Millionen Euro für die
SPD, 600 000 Euro für die Grünen, 5,2 Millionen Euro
für die CDU, rund 1 Million Euro für die CSU und
2,07 Millionen Euro für die FDP.
({14})
In jedem Gemeinderat, meine sehr geehrten Damen
und Herren, ist ein Paragraph wirksam: der Ausschluss
wegen Befangenheit. Dieser Ausschluss wegen Befangenheit soll sicherstellen, dass nicht anderweitige Verpflichtungen und Interessen die Entscheidungen dieses
Parlamentes beeinflussen. Das hat einen tiefen Sinn, und
deshalb sollten wir aus dieser Bankenkrise lernen, dass
man sich nicht nur in Amerika, sondern auch hier von einer Politik lösen muss, die mittelbar durch Finanzzuweisungen aus Industrie und Bankenwelt bestimmt wird.
Das ist auch der Zusammenhang, den wir hier zu besprechen haben.
({15})
Mit anderen Worten: Einige Begründungen, die Sie,
Herr Bundesfinanzminister, hier gebracht haben, sind
durchaus akzeptabel, aber sie finden sich im Gesetzestext nicht wieder. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab,
weil er den Beweis dafür liefert, dass die Bundesregierung die Zusammenhänge in ihrer Gesamtheit nicht verstanden hat und dass sie nicht bereit ist, jetzt endlich die
Kehrtwende in der Politik zu machen, die längst überfällig ist und von dem Gedanken getragen sein müsste, dass
es nicht nur um die Enteignung von Flowers geht. Vielmehr geht es auch darum, die Enteignung von Millionen
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Rentnerinnen und Rentnern und sozial Bedürftigen zu verhindern.
({16})
Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Lafontaine, es wird nicht besser, wenn man sich
auf Spengler beruft und pauschal alle Parteien außer Ihrer hier im Hause der Korruption und der Bezahlung
durch andere bezichtigt.
({0})
Das ist eine Form der Partei- und Parlamentskritik, von
der ich glaube, dass sie schlechten Populismus bedient
und nicht der politischen Auseinandersetzung an dieser
Stelle dient.
({1})
Ohne Zweifel, meine Damen und Herren, ist die Hypo
Real Estate systemrelevant, und sie muss gerettet werden. Es geht nicht darum, Banken etwas Gutes zu tun,
sondern darum, das System wieder zum Funktionieren zu
bringen.
Das ist aber nun schon das dritte Mal, lieber Herr
Steinbrück, dass Sie das versuchen. Das, was Sie heute
praktizieren, ist nichts anderes als die dritte Nachbesserung an dieser Baustelle. Ich finde, hier muss einmal
klargemacht werden, auf welchen Irrtümern diese Vorgehensweise beruht.
Sie haben anfänglich gesagt, die Finanzkrise sei ein
rein amerikanisches Problem. Was ist passiert? - Es ist
rübergeschwappt nach Europa und Deutschland.
Sie haben zweitens behauptet, die deutschen Banken
seien gut aufgestellt. Wir bräuchten uns keine Sorge zu
machen. Worüber diskutieren wir hier zum dritten Mal? Wir diskutieren darüber, dass wir reihenweise Banken
haben, die kurz vor der Insolvenz stehen oder in anderer
Form von Krisen stecken.
Sie haben schließlich gesagt, wir bräuchten keinen
europäischen Rettungsplan. Was haben wir heute? - Wir
haben - Gott sei Dank, sage ich an dieser Stelle - einen
europäischen Rettungsplan.
Ich erinnere mich noch gut an die Äußerung, dass wir
kein Konjunkturpaket bräuchten. Wir haben inzwischen
das zweite.
Deswegen glaube ich, dass auch in der Frage Enteignung und Verstaatlichung das Grundproblem nicht darin besteht, was heute gemacht wird, sondern darin, dass
Sie es viel zu spät machen.
({2})
Sie hätten bereits im Dezember anders handeln müssen:
Anstatt auf das Prinzip der Freiwilligkeit zu setzen, hätten Sie alle Banken unter den Schutzschirm stellen müssen. Sie hätten eine klare Entscheidung zugunsten des
vernünftigsten und effizientesten Instruments treffen
müssen. Das effizienteste Instrument ist nicht, das Geschäftsvolumen zu verbürgen, sondern das effizienteste
Instrument ist es, in das Kapital der Bank selber zu investieren, das heißt teilzuverstaatlichen und gegebenenfalls auch ganz zu verstaatlichen. Das heißt, den Steuerzahler vor Enteignung zu schützen.
({3})
Was ist stattdessen passiert? Sie haben mittlerweile
18 Milliarden Euro für die Commerzbank bereitgestellt,
der Börsenwert liegt bei 3 Milliarden Euro. Sie haben
83 Milliarden Euro Steuergelder, wie Sie hier gesagt haben, für die Hypo Real Estate bereitgestellt, der Börsenwert liegt, glaube ich, bei etwa 250 Millionen Euro. Das
ist das Problem.
({4})
- Wir können uns einmal darüber unterhalten, was von
diesen Garantien am Ende kassenwirksam wird.
({5})
Es ist ein frommer Wunsch, dass das Verlustrisiko bei
5 Prozent bleibt, so wie das im Bankenrettungspaket
vorgesehen ist. Auch ich wünsche mir, dass das so
bleibt. Aber wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben,
dass Sie es selber auch nicht glauben, dass es bei diesen
5 Prozent Verlustrisiko bleiben wird.
({6})
Das heißt, es gibt einen Brand, und es gibt eine Feuerwehr, deren Feuerwehrmänner alle wasserscheu sind.
Das ist der Zustand der Großen Koalition in der Finanzkrise.
({7})
Der wasserscheueste ist übrigens der neugebackene
Wirtschaftsminister. Er hat seine Rolle in diesem Kabinett wie folgt beschrieben: Er möchte eine vernehmbare
ordnungspolitische Stimme am Kabinettstisch sein.
({8})
Ich habe mir sagen lassen, liebe Kollegen von der Union,
dass Mutti Zwischenrufe bei Tisch nicht mag.
({9})
Dann hat er am Montag in der Bild-Zeitung zur Enteignung nachgelegt: „Ludwig Erhard würde sich im Grabe
umdrehen.“ Das war am Montag. Was hat er am Mittwoch gemacht? Am Mittwoch hat er dem Gesetz zur
Enteignung im Kabinett zugestimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wie
ich höre, tragen Sie Trauer wegen Ihrer schlechten Umfragewerte. Sie sollten einmal darüber nachdenken, woher diese kommen. Sie kommen genau daher. Wenn Sie
in den eigenen Reihen Leute haben, die die dümmsten
Phrasen der FDP in der Bild-Zeitung nachplappern und
dann im Kabinett das Gegenteil praktizieren, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn viele Leute sagen:
Dann wählen wir lieber das Original.
({10})
Das macht die Dummheit dieser Phrasen aber nicht
besser. Lieber Herr zu Guttenberg, liebe FDPler, glauben
Sie denn im Ernst, dass es im Sinne Ludwig Erhards
wäre, einen Spekulanten wie Herrn Flowers mit dem
Zwei- bis Dreifachen des Marktwertes der Hypo Real
Estate zu entschädigen?
({11})
- Nein, das wäre natürlich nicht im Sinne Ludwig
Erhards. Was macht die FDP? Sie lädt in die Anhörung
des Finanzausschusses genau diesen Herrn Flowers mit
dem Ziel ein, dass er dort seine Forderungen noch einmal vortragen kann. So habe ich mir das mit dem Erbe
Ludwig Erhards immer vorgestellt.
({12})
Sie, Herr Westerwelle, haben neulich vor dem Wirtschaftsrat der Union eine bemerkenswerte Rede gehalten. Unter tosendem Applaus der dort versammelten
CDU-Mitglieder haben Sie erklärt: Ich akzeptiere nicht,
dass es eine „Enteignungsbehörde“ gibt - eine interessante Beschreibung für das Finanzministerium, Herr
Steinbrück, aber gut -. „Bürgerliche Mehrheiten betreiben keine Enteignungspolitik.“ - Das ist einfach Unsinn
und die Unwahrheit.
({13})
Selbstverständlich wird in Deutschland seit Jahrzehnten enteignet:
({14})
für den Bau von Straßen, Flughäfen, Eisenbahnlinien sowie für Bergwerke wie in Gorleben.
({15})
Deswegen steht im Grundgesetz:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
({16})
Das ist die Rechtslage. Ich darf an dieser Stelle noch hinzufügen: Das Grundgesetz ist eine sehr bürgerliche Verfassung.
({17})
Wenn darüber gestritten wird, wer es besser kann,
dann sagen wir ganz deutlich - deswegen ist es auch
richtig, am Ende zu reprivatisieren -: Nein, der Staat ist
nicht der bessere Banker, aber in der jetzigen Situation
ist der Staat der Einzige, der in der Lage ist, aktuell die
Mittel bereitzustellen, um die Pleite einer Bank wie der
HRE mit den negativen Folgen für unser Finanzsystem
zu verhindern. Das ist die Rolle, das ist die Funktion des
Staates.
({18})
Das, was heute gemacht wird, kommt zu spät, aber es
ist kein Anschlag auf unsere Wirtschaftsordnung. Diesen
Anschlag auf das Eigentum der Aktionäre, die Enteignung der Aktionäre, besorgt nicht der Staat; die haben
die Spekulationen im Kasinokapitalismus besorgt. Die
Aktionäre sind enteignet. Sie jetzt unverdient dafür zu
entschädigen, bedeutet eine Enteignung der Steuerzahler. Nein, es geht hier um etwas völlig anderes. Ich will
das an einem FDP-kompatiblen Beispiel erläutern.
Sie müssen das aber in einer sehr komprimierten
Form versuchen.
({0})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wenn
morgens die Müllabfuhr kommt, dann regen auch Sie
sich nicht darüber auf, dass Sie von Ihrem ehemaligen
Hab und Gut enteignet werden. Genau darum geht es:
den Müll wegzuräumen, zu schauen, was davon zu verwerten ist, und den Müll einem ordentlichen Recycling
zuzuführen.
Vielen Dank.
({0})
Hans-Ulrich Krüger ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bei der gesamten Diskussion in der letzten
Woche über den Einsatz staatlicher Garantien und die
zielorientierte Verwendung von Steuermitteln im Rahmen der Finanzkrise hat sich letztendlich immer - egal
ob wir uns das bewusst gemacht haben oder nicht - eine
Grundfrage gestellt: Was darf der Staat mit den Mitteln
des Steuerzahlers machen, und welche Rechte hat er
dann? - Bei jeder Insolvenz, bei jedem Konkurs irgendeines Unternehmens in Deutschland haftet der betreffende Unternehmer mit dem gesamten Betriebsvermögen für seinen Misserfolg, und er haftet in aller Regel
bis zum letzten privaten Hosenknopf, weil er nämlich
private Bürgschaften abgegeben hat, weil er Grundpfandrechte abgegeben hat, sich also mit seinem gesamten Hab und Gut für den Erfolg seines Unternehmens
verbürgt hat. Das ist sein unternehmerisches Risiko.
Das ist Teil unserer Ordnungsvorstellungen.
Pumpt nun der Staat gezielt Milliarden von Euro in
ein Unternehmen - in diesem Falle des Finanzmarktes mit dem Ziel, das Unternehmen um jeden Preis wegen
Systemrelevanz am Leben zu erhalten, dann wird diese
ganz normale Insolvenzordnung außer Kraft gesetzt. Das
unternehmerische Risiko gibt es nicht mehr; dieses trägt
der Staat. Ist der Staat der Retter in der Not, dann gebührt ihm selbstverständlich ein Äquivalent für seine
Leistung.
({0})
In diesem Zusammenhang ist es absolut legitim - ich
empfehle hier verbale Abrüstung -, das Mittel der Enteignung als die berühmte Ultima Ratio nach vorgeschalteten Bemühungen zu diskutieren. Es geht hier
nicht darum, dass sich der Staat ein kostbares Vermögen
unter den Nagel reißt, sondern darum, die enormen
Schulden eines faktisch insolventen Unternehmens zeitweise im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes zu übernehmen. In einer solchen Situation und
unter solchen Bedingungen ist das daher - das sage ich
ganz deutlich - im äußersten Notfall die Pflicht des StaaDr. Hans-Ulrich Krüger
tes, um weitere Enteignungen der Bürgerinnen und Bürger durch die dann kommende Belastung zu vermeiden.
In diesem Zusammenhang hilft ein Blick in unser gutes
altes, vom Kollegen Trittin eben erwähntes, Grundgesetz. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 lautet:
Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
Damit man die Gelegenheit hat, sich den Schaum
vom Mund abzuputzen - den habe ich bei einigen Redebeiträgen hier gesehen -, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die bayerische Landesregierung hat am
1. Juli 2008 das Bayerische Rohrleitungsenteignungsgesetz verabschiedet, um den Petrochemiestandort Bayern
zu stärken. Im Jahr 1998 hat das Land Baden-Württemberg das Landesmessegesetz beschlossen, um Enteignungen zum Zwecke des Baus und des Betriebs der Landesmesse zu ermöglichen. Ich kritisiere das weiß Gott
nicht, weil es für mich als jemanden, der aus der kommunalen Familie kommt, ein normaler Vorgang ist, dass
etwas legislativ angeordnet wird, dass es exekutiv durch
eine Behörde ausgeführt wird, die automatisch Enteignungsbehörde genannt wird, und dass judikativ überprüft werden kann, ob die Enteignung zulässig und die
Entschädigung rechtmäßig war.
Es ist also so, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
Menschen im Rahmen regionaler Standortpolitik auf ihr
Hab und Gut gegen Entschädigung verzichten müssen.
Welchen Wert hat angesichts dessen die Sicherung der
Finanzmarktstabilität zum Wohle der Allgemeinheit,
zum Schutze von uns allen in diesem Staate? Ich bitte,
hier nicht mit zweierlei Maß zu messen und keine ideologischen Scheuklappen zu tragen. Was wir wollen, hat
nichts mit Staatssozialismus zu tun; das ist keine Systemveränderung. Vielmehr geht es darum, wie Gelder des
Steuerzahlers zur Bewältigung der momentanen Notlage
am besten geschützt werden. Dem wird dieser Gesetzentwurf gerecht. Er wirkt wie ein Kompass.
Die Frage, ob ein Enteignungsgesetz für den Standort
Deutschland ein Vorteil oder ein Nachteil ist, wurde bereits gestellt. Ich glaube, ein Blick über die Grenzen lehrt
uns anderes: England - Mutterland des Kapitalismus -:
Northern Rock, Bradford & Bingley; die Beneluxstaaten: Fortis-Gruppe; Irland: Anglo Irish Bank - alles Enteignungen/Verstaatlichungen. Man muss fragen: Wo
kommen wir hin, wenn wir auf etwas Derartiges verzichten? Es geht uns natürlich nicht darum, irgendwelche
Aktionäre eines Vermögenswertes, den sie haben, zu berauben.
Schauen Sie doch einmal in die Bilanzen der Unternehmen: Diese Beraubung hat durch Vorstände, durch
gierige und abzockende Banker bereits stattgefunden. Es
geht jetzt darum, die denkbaren Alternativen zu überprüfen, um Schaden von unserer Volkswirtschaft abzuwenden. Es geht natürlich auch darum, dies in einem geordneten Verfahren zu tun. Aber da muss eines klar sein:
Geschenke sind hier nicht zu verteilen. Niemand kauft
mir eine Aktie ab, die ich zu einem Preis verkaufen will,
der doppelt oder dreimal so hoch ist wie der Börsenkurs.
Ähnliches gilt für den Staat, der en bloc überlegt, wie er
als Kontrapunkt bei etwaigen Zusagen, Garantien oder
bei der Vergabe von Eigenkapitalmitteln wirken kann,
wie er sich also in einer Situation verhält, in der er helfen
kann oder helfen muss. Die Stabilität des Finanzsystems
erfordert, dass diese Möglichkeit im Interesse des Steuerzahlers ins Kalkül gezogen wird.
({1})
Damit keiner glaubt, es gehe jetzt darum, dass der
Staat auf Dauer Banken betreiben wolle, weise ich darauf hin: In unserem Gesetzentwurf sind Reprivatisierungsmöglichkeiten vorgesehen. Eine weitere Möglichkeit ist darin vorgesehen - der Kollege Bernhardt sprach
es eben an -: Die Verlängerung der Garantien von 36 auf
60 Monate, um die Institute auf längere Zeit mit frischem Geld zu versorgen. Herr Kollege Bernhardt, da
sind wir beide derselben Ansicht: Gerade im Interesse
eines funktionierenden Pfandbriefmarktes besteht die
Notwendigkeit, zu schauen, ob Kollateralschäden erzeugt werden. Wir müssen natürlich auch nach Brüssel
schauen. Die Situation auf europäischer Ebene ist ohnehin so, dass Garantien zwar fünf Jahre gelten, dass diese
fünf Jahre aber auf einen ganz bestimmten Prozentsatz
der Garantien beschränkt sind.
Ein weiterer Punkt ist mir wichtig. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, das Finanzmarktstabilisierungsgremium über diese fundamentale Verordnung zu informieren. Selbstverständlich haben wir überhaupt keine
Bedenken - das haben Sie vielleicht durch den Applaus
der SPD an diesem Punkte vernommen -, wenn ebendiese Verordnung nicht nur in diesem Beratungsgremium, sondern auch im Finanzausschuss des Deutschen
Bundestages informativ vorgestellt wird. Aber das ist
Feinputz.
Ein weiterer Punkt scheint mir noch sehr erwähnenswert zu sein. Das Thema Bad Bank hat heute Gott sei
Dank keine Rolle gespielt. Ich begrüße ausdrücklich,
dass in dem Gesetzesentwurf keinerlei Regelungen zu
einer Bad Bank enthalten sind. Faule Kredite auf dem
Rücken der Steuerzahler abzuladen, das geht nicht, das
ist mit uns nicht zu machen, weder an dieser Stelle noch
an einer anderen Stelle.
({2})
Ich habe abschließend eine einzige Bitte: Sehr geehrter Herr Kollege Solms, schauen Sie bitte im Grundgesetz nach, nehmen Sie Ihre Scheuklappen ab, lesen Sie
die Rede, die Sie eben gehalten haben, in einer ruhigen
Stunde vielleicht einmal nach und schlagen im Brockhaus unter dem Stichwort „Scham“ nach.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort erhält der Kollege Rainer Brüderle für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
heute eine sehr bemerkenswerte Debatte: die Unionsparteien im Schulterschluss mit Oskar Lafontaine. Vielleicht wird beim nächsten Bundesparteitag der CDU eine
Freundschaftsdelegation der Castro-Brüder aus Kuba
empfangen werden; ich weiß nicht, wie die Entwicklung
da weitergeht.
({0})
Ich stelle jedenfalls fest: Vier Fraktionen in diesem
Haus wollen Enteignung. Wir wollen als einzige Fraktion keine Enteignung. Das ist der Unterschied.
({1})
Die Enteignung ist ein Offenbarungseid der Wirtschaftspolitik der Regierung. Sie ist kein Mittel der Wirtschaftspolitik in einer Marktwirtschaft. Sie schreckt Investoren ab. Sie kostet Arbeitsplätze. Sie schädigt den
Steuerzahler, weil Steuern nicht erarbeitet werden können, weil Investitionen nicht hier, sondern woanders getätigt werden. Mit solchen Gesetzen gefährden Sie massiv Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in Deutschland.
({2})
Es ist richtig, dass Vertrauen in den Finanzmarkt wiederhergestellt werden muss. Aber weshalb wollen Sie
das mit einem Enteignungsgesetz machen? Sie wollen
eine Verstaatlichung der Hypo Real Estate durch Enteignung. Das ist ein verkapptes Einzelfallgesetz;
({3})
insofern hat Otto Solms völlig recht. Da stellt sich die
Frage: Ist es verfassungskonform, ein Einzelfallgesetz
zu machen?
({4})
Ich habe im Jurastudium noch gelernt: Gesetze macht
man für alle, für die Allgemeinheit und nicht auf Einzelfälle zugeschnitten.
({5})
Wir können und wollen uns einen Zusammenbruch
der Finanzwirtschaft, des Finanzwesens nicht erlauben.
Deshalb haben wir dem Rettungsschirm zugestimmt.
Das war ein Vertrauensvorschuss für die Regierung.
Aber: Die Regierung hat sich bei Hypo Real Estate mit
rund 100 Millionen Euro Finanzhilfen und Garantien engagiert.
({6})
Jetzt, danach, kommt sie auf den Gedanken, sie müsse
durch Enteignung das Geld, das sie da hineingesteckt
hat, für die Bürger absichern. Das ist kein Krisenmanagement, keine durchdachte Strategie; das ist wirklich ein stümperhaftes Vorgehen.
({7})
Erst wird der Einzelfall, eine Bank, unterstützt. Dann
versucht der Finanzminister eine systematische Lösung.
Nun sind wir beim Einzelfallgesetz. Herr zu Guttenberg
hat zu Recht davor gewarnt, panisch ordnungspolitische Leitplanken einzureißen. Er hat inzwischen Lenkungsräte berufen. Mit der Enteignungsmöglichkeit
schaffen Sie eine schiefe Ebene. Das ist das Einfallstor.
Sie werden das Fass, das Sie mit der Enteignung jetzt
öffnen, nicht mehr dicht bekommen.
Ich will einmal zitieren, was der DGB-Vorsitzende
Sommer im Spiegel-Interview erklärt hat:
Deutschland sagt, wir lassen kein systemrelevantes
Institut baden gehen. Die logische Konsequenz ist
übrigens, dass man im letzten Schritt zur Enteignung greifen muss, sonst hat der Staat kein Druckmittel. Das muss für alle Branchen gelten, wenn
man ihnen denn hilft.
So der DGB-Vorsitzende!
Sie sehen, welchen Geist Sie mit dem Enteignungsgesetz aus der Flasche gelassen haben.
({8})
Sie bringen die Wirtschaftsordnung aus den Fugen. Sie
bekommen die schiefe Ebene nicht mehr korrigiert. Sie
sind auf einer falschen Straße, in falscher Marschrichtung, nämlich in ein System hinein, das uns schwächer
und nicht stärker macht. Sie verraten mit dem Gesetz die
soziale Marktwirtschaft.
({9})
Meine Damen und Herren, das Gesetz ist eine Zumutung für die Wirtschaft. Allein aufgrund der Tatsache,
dass wir über Enteignung diskutieren und Schwarz-Rot
diese auf den Weg bringt, wird Vertrauen in Deutschland
verspielt. Das Finanzministerium war früher dafür zuständig, die Menschen durch die Steuererhebung teilweise zu enteignen. Heute wollen Sie gleich voll und
ganz enteignen. Das ist der Unterschied zwischen der
früheren und Ihrer heutigen Politik.
Meine Damen und Herren, wir müssen dafür sorgen,
dass der Staatspegel nicht immer weiter steigt. Es muss
einen klaren Ausstiegsweg aus diesem staatlichen Engagement geben. Dieser ist jedoch in keiner Ihrer Regelungen vorgesehen. Sie wollen das alles nur befristet machen. Das ist Politik der kurzen Beine, die kennen wir
aber schon, das sind nämlich die Fehlaussagen, die Sie
damit einbringen. Vielmehr müssten Sie bei jeder dieser
Regelungen ein Ausstiegsszenario mitbeschließen, etwa
beim Engagement bei Unternehmen, etwa bei Staatshilfen. Sie tun das aber nicht.
Deshalb verändert Ihre Politik das Land grundsätzlich. Es wird eine grundsätzliche Auseinandersetzung
- auch zur Bundestagswahl - darüber geben müssen,
wohin wir wollen. Wollen wir die soziale Marktwirtschaft wieder mit Leben erfüllen, die seit Jahren in
Deutschland systematisch beschädigt wurde, erst von
Rot-Grün, jetzt von Schwarz-Rot - das ist die Fehlentwicklung, die Deutschland geschwächt hat -, oder haben
wir die Kraft, das zu korrigieren und uns zu erinnern,
was die Prinzipien waren, die Deutschlands Stärke ausRainer Brüderle
gemacht haben, die Arbeitsplätze geschaffen haben und
die Steuereinnahmen generiert haben?
Es wäre töricht, wenn wir die Prinzipien verraten
würden. Es gibt viele Schwachstellen. Postdienstleistungen beispielsweise sind immer noch von der Mehrwertsteuer befreit. Im Energiesektor haben wir keinen voll
funktionierenden Wettbewerb. Jetzt fangen wir an, den
Menschen mit dem Instrument der Enteignung vorzugaukeln, wir würden mehr Sicherheit schaffen und die
Situation verbessern. Das Gegenteil wird der Fall sein.
Sie werden einen Kurs einleiten, der zu einer „DDR
light“ führen kann. Ich sage: Eine DDR hat gelangt.
({10})
Wir müssen nicht jeden Fehler der deutschen Geschichte
wiederholen. Nie wieder Sozialismus in Deutschland.
({11})
Der nächste Redner ist Bartholomäus Kalb für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Kollege Brüderle, ich würde
niemals eine solche Nähe zu dem früheren Unrechtssystem der DDR herstellen wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bundestag
und Bundesregierung kommen meines Erachtens in dieser krisenhaften Situation ihrer Aufgabe nach, nehmen
sie sehr ernst und handeln mit einem Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein. Wir konnten und wir können
die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise schon allein deswegen nicht verhindern, weil es sich um eine
weltweite Krise handelt. Außerdem ist deren Ausgang
nicht primär bei uns zu suchen. Die Ausgangspunkte und
die größten Brandherde liegen woanders.
Trotzdem konnten und können wir uns der Entwicklung nicht entziehen, da die internationalen Verflechtungen viel zu groß sind. Im Übrigen ist es unbestritten,
dass auch bei uns durch verantwortliche und handelnde
Personen Fehler gemacht worden sind.
Wir - Parlament und Regierung - haben meines Erachtens alles getan, was nach den jeweiligen Erkenntnissen notwendig und geboten war, um die Krisen einzudämmen. Natürlich kann man heute die Frage stellen, ob
man nicht manches besser und schon früher hätte erkennen können. Ich glaube, nicht.
Bereits im Frühherbst haben einige Akteure - ich
meine, es war Herr Ackermann - geglaubt, das Licht am
Ende des Tunnels zu erkennen. Leider hat sich herausgestellt, dass dies das Licht des entgegenkommenden Zuges war.
Wir haben mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz,
mit der Haushaltsverabschiedung, mit der Beschlussfassung über das Konjunkturpaket I im November und mit
der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes und des
Konjunkturpaktes II getan, was jeweils angemessen,
richtig und geboten war.
An dieser Stelle danke ich allen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der verschiedensten Bereiche, die uns bis
an die Grenze der Leistungsfähigkeit sachkundig und
fachkundig zuarbeiten.
({0})
Trotz all unserer Bemühungen werden wir die Krise
nicht verhindern. Wir konnten sie nicht verhindern. Wir
können sie und ihre Folgen nur mindern und abfedern.
Wir müssen den Bürgern draußen auch ehrlich sagen:
Der Staat wird nicht alle Probleme lösen können.
({1})
Wir bringen heute als Fraktionsinitiative deswegen in
erster Lesung das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz ein, weil Gefahr in Verzug ist und von daher
schnellstes Handeln geboten ist.
({2})
Dabei sind sich die Koalitionsfraktionen darüber im Klaren - Kollege Bernhardt und Kollege Dr. Krüger haben
darauf hingewiesen -, dass noch einige entscheidende
Punkte im Beratungsverfahren verändert werden sowie
Klarstellungen und Präzisierungen erfolgen müssen.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, wenn wir auch
die Themenbereiche § 8 c Körperschaftsteuergesetz und
§ 10 a Gewerbesteuergesetz aufgegriffen hätten. Es geht
hier um den Verlustvortrag von Institutionen wie den
Landesbanken, die von anderer Seite gestützt bzw. gerettet werden.
({3})
Insbesondere wird es aber um die Frage gehen, welche Erfordernisse im Zweifel erfüllt sein müssen, um als
letzte Möglichkeit Schritte zur Enteignung vornehmen
zu können. Es ist jedenfalls nicht nach dem Geschmack
der Union, Maßnahmen in Betracht zu ziehen, an die zu
denken man in normalen Zeiten nicht einmal wagen
würde.
Zugleich muss per Gesetz sichergestellt werden, dass
nicht einzelne Alteigentümer bzw. Aktionäre eine Rettungsübernahme eines großen und ohne jeden Zweifel
systemrelevanten Institutes verhindern können. Das
Schicksal einer Bank, eines Institutes ist zugleich das
Schicksal vieler, wenn nicht gar aller, und damit entscheidend für die Stabilität des gesamten Finanzmarktes.
({4})
Die Aufrechterhaltung der Finanzmarktstabilität ist aber
zwingende Voraussetzung, damit sich die Krise in der
sogenannten Realwirtschaft nicht weiter verschärft.
Hierbei sind auch die Konsequenzen zu berücksichtigen,
die sich ansonsten für Arbeitsplätze, Existenzen, Wohlstand und soziale Sicherung ergeben würden. Ich zitiere,
was Nouriel Roubini im jüngsten Stern-Interview gesagt
hat:
Man muss das Bankensystem retten, ob es uns gefällt oder nicht.
({5})
Der neue US-Präsident bringt es so auf den Punkt: Wenn
der Kreditfluss austrocknet, bricht die Wirtschaft zusammen. Das ist die Lage. Das heißt in unserem Fall: So
sehr es auch Vorbehalte geben mag, wir dürfen in einer
solchen Ausnahmesituation jetzt nicht unter Berufung
auf ordnungspolitische Prinzipienreiterei Maßnahmen
unterlassen, die notwendig sind, um Schaden abzuwenden. Auch das erwarten die Bürger zu Recht von uns.
Wenn sich der Staat schon bei einem Institut in erheblichem Umfang engagiert und noch weiter engagieren
muss, dann muss auch sichergestellt sein, dass er in diesem Institut etwas zu sagen hat. Im Übrigen hat bei dem
in Rede stehenden Institut der Markt die extrem starke
Vermögensvernichtung vorgenommen: Während die
Marktkapitalisierung im Januar 2006 des in Rede stehenden Institutes über 6 Milliarden Euro betragen hat, betrug sie gestern noch 160 Millionen Euro. Auch vor diesem Hintergrund müssen wir die Dinge einordnen. Das
heißt, das staatliche Engagement, das notwendig ist und
zukünftig noch notwendig werden wird, wird ein Vielfaches des momentanen Börsenwertes bzw. der momentanen Marktkapitalisierung betragen.
({6})
Ich habe vorhin gesagt: Wir dürfen jetzt keine ordnungspolitische Prinzipienreiterei betreiben. Aber
ebenso rate ich uns, jetzt nicht das Kind mit dem Bade
auszuschütten. Als einen solchen Versuch betrachte ich
die Forderung, jetzt die Börsenumsatzsteuer wieder einzuführen. Wir sollten jetzt nichts tun, was geeignet ist,
den Finanzplatz Deutschland zu schwächen.
({7})
Im Übrigen werden bei den privaten Anlegern seit dem
1. Januar Spekulationsgewinne ohnehin von der 25-prozentigen Abgeltungsteuer erfasst. Vielleicht hätten wir
heute etwas weniger Probleme, wenn in der Vergangenheit nicht so viele Finanzmarktaktivitäten ins Ausland
verlagert worden wären.
({8})
Wir sollten einer solchen Entwicklung keinen weiteren
Vorschub leisten.
Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, die Stabilität des Finanzmarktes zu sichern und seine Funktionsfähigkeit wiederherzustellen.
({9})
Um das zu erreichen, müssen wir den Banken helfen,
auch wenn es uns nicht gefällt und auch wenn die Bürger
im Lande ungläubig staunend fragen, warum wir das tun.
Dazu zitiere ich Barack Obama aus seiner ersten Rede
als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika:
Ich weiß, wie unpopulär es jetzt ist, Banken zu helfen, besonders wenn man unter deren Fehlentscheidungen leidet … Aber ich weiß auch, dass man auf
Krisen nicht mit Wut reagieren oder der Stimmung
des Augenblicks erliegen darf. Unser Job ist es, das
Problem zu lösen. Unsere Aufgabe ist es, das mit
Verantwortung zu tun … Es geht nicht darum, Banken zu helfen. Es geht darum, den Menschen zu
helfen.
Dem können wir uns inhaltlich nur voll anschließen.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben mit Entwurf eines Ergänzungsgesetzes zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz den Versuch, am Bankenrettungspaket der Großen Koalition zu flicken. Sie
müssen die Höhe der möglichen Staatsbeteiligung an
einzelnen Instituten verändern, und Sie müssen die Instrumente nachjustieren, weil das bisherige Paket in vielen Punkten nicht die Wirkung zeigt, die Sie erwartet haben, und weil es - zumindest im Fall der Hypo Real
Estate - erkennbar nicht geeignet war, die Krise, die auf
uns zuläuft, zu beenden.
Sie finden heute allerdings nicht die Kraft, eine wirkliche Zwischenbilanz der Bankenrettung zu ziehen.
Sie sparen bei dem, was Sie hier nachjustieren, zentrale
Fragestellungen aus. Dazu gehören: die Frage der Parlamentsbeteiligung, die sich, wie wir befürchtet haben, als
nicht effektiv erwiesen hat, die Frage des industriepolitischen Missbrauchs des Bankenrettungspakets mit Blick
auf die Autobanken,
({0})
die Frage der Bonuszahlungen bei gestützten Banken - die
Kanzlerin fordert hier viel, aber Ihr Gesetz liefert dazu
nichts -,
({1})
die Frage der Ausschüttungen bei gestützten Banken und
die Frage der Adressaten dieses Gesetzes. Ich verweise
in diesem Zusammenhang auf die Debatte über die
Aareal-Bank. Auf diese Fragen geben Sie heute keine
Antwort.
Der nächste Fehler, den Sie in der Debatte über die
Bankenrettung machen, ist, dass Sie nur an einzelnen
Punkten korrigieren - und dies erst dann, wenn die Realität längst gezeigt hat, dass Ihr Abwehrkampf verloren
gegangen ist.
({2})
Reden wir aber über das, was Sie heute korrigieren
wollen. Bei der Hypo Real Estate hat sich gezeigt, dass
das einfache Hinterherschießen von Geld in eine Bank,
die de facto pleite ist, am Ende nicht funktioniert, wenn
Sie nicht die Kraft haben, einen Restrukturierungsprozess tatsächlich durchzusetzen.
Da müssen Sie sich, liebe Kollegen von der FDP, einmal entscheiden, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie
Marktwirtschaft, was Sie immer postulieren? Oder wollen Sie eine Selbstbedienung für gescheiterte Finanzinvestoren, was das Resultat von dem wäre, was Sie hier
reklamieren?
({3})
Was Sie, Herr Brüderle und Herr Solms, vorgetragen
haben, zeigt ein seltsames Verständnis von Unternehmertum und von Investorenrisiko. Ich führe viele Gespräche mit mittelständischen Unternehmern. Niemand
versteht, weshalb Sie die Schutzheiligen von Erpressern
in Nadelstreifenanzügen sind und dass Sie sich für Menschen einsetzen, die nicht bereit sind, ihr Investorenrisiko in aller Konsequenz zu tragen, die vielmehr mit aufgehaltener Hand vor uns stehen und Traumpreise für ihre
Aktien verlangen. Diese Menschen wissen, dass der
Staat zur Rettung beitragen muss. Der einzige Wert, den
die Hypo Real Estate für sie hat, ist das Erpressungspotenzial gegenüber der deutschen Volkswirtschaft. Ich
finde, dieses Schutzheiligentum steht niemandem an, der
sich als Marktwirtschaftler definiert.
({4})
Ich will es anders sagen: Die Hypo Real Estate will
niemand in Staatsbesitz bringen, weil er sie für ein besonderes Schnäppchen hält. Im Gegenteil: Bei dieser
Staatsinvestition wird niemals eine schwarze Null herauskommen. Das ist eine teure Rettungsaktion, und das
wird sie auch bleiben. Es geht um nichts anderes als darum, eine Bombe zu entschärfen, die mitten in unserer
Volkswirtschaft liegt, weil wir alle wissen, welche Folgen es hätte, wenn sie hochgehen würde. Mit Verlaub:
Herr Flowers sitzt auf dem Zünder, hält die Hand auf
und sagt: Vor der Entschärfung hätte ich gerne noch einmal ein paar hundert Millionen vom Steuerzahler. Das
ist Erpressung und hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun.
Das kann von diesem Parlament auf keinen Fall toleriert
werden.
({5})
Sie mögen markige Auftritte mit Wahlkampfcharakter
für verantwortbar halten. Ich bin der Auffassung, dass
man eine klare ordnungspolitische Vorstellung formulieren muss. Und ein klares ordnungspolitisches Bekenntnis zur Marktwirtschaft erfordert die Absage an einen
solchen Erpressungsversuch auf Kosten der Steuerzahler.
({6})
Lassen Sie es mich platt sagen: Sie müssen sich jetzt
einmal entscheiden, was Sie wollen. Nach den heutigen
Reden habe ich den Eindruck, dass FDP die Abkürzung
für Flowers’ Deutsche Pudel ist. Ich finde, das steht Ihnen nicht gut an.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ortwin Runde,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
können ein Resümee dieser Debatte ziehen. Ich muss sagen: Ich finde die Reaktion der beiden FDP-Redner erstaunlich. Es ist erstaunlich, dass Sie jetzt, wo wir am
Ende einer Epoche des Kapitalismus stehen - das tun
wir; wir stehen vor einer Zeitenwende -, angesichts des
Zusammenbruchs der Finanzmärkte und der Probleme,
die wir aufgrund dieser Konjunkturkrise haben, solche
Reden halten. Dazu muss ich sagen: So lassen wir Sie
nicht davonkommen.
({0})
Das ist Kasperletheater, nichts anderes. Mit Ihrer Lautstärke und Ihrer Aggressivität wollen Sie doch nur ablenken.
({1})
Wer hat sich denn immer für Marktradikalismus, den
Rückzug des Staates und Privatisierung ausgesprochen?
Wer war gegen Regelungen bezogen auf Managergehälter?
({2})
Wer war gegen Regeln für Kapitalmärkte? Das waren
doch immer Sie. Und jetzt stehen Sie vor einem Scherbenhaufen.
({3})
Was Ihnen einfällt, sind nur Elogen zum Grundgesetz. Lesen Sie doch einmal das Grundgesetz. Herr
Heuss, FDP, später hochgeachteter Bundespräsident, war
einer seiner Väter. Lesen Sie einmal nach, was er zu den
Fragen Gemeinwirtschaft und Enteignung gesagt hat.
Lesen Sie das, und Sie werden feststellen, wie weit Sie
sich von Ihren eigenen Wurzeln entfernt haben. Das ist
wirklich erschreckend.
({4})
Man muss davor warnen, zu glauben, man hätte diese
Krise nur von Anfang an richtig analysieren und das
richtige Konzept benutzen müssen. Überall auf der Welt
müssen die Maßnahmen aufgrund der Erfahrungen und
der Tiefe der Krise angepasst werden. Das ist in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und selbstverständlich auch in Deutschland der Fall.
Ich muss sagen: Wenn die FDP über Enteignung und
Verstaatlichung spricht, erkennt man Widersprüchlichkeiten besonderer Art. Überall dort, wo es schon Enteignungsbehörden gibt - für jemanden, der in einem Stadtstaat Verantwortung trägt und mit den vielen Problemen
dort zu tun hat, gehört Enteignung zur Alltäglichkeit -,
beklagen sich die FDP-Vertreter und die Vertreter der
Wirtschaft über die Schwierigkeiten bei Enteignungsverfahren. Sie sagen, das sei in anderen Ländern ganz anders und viel rigoroser geregelt.
Wo stünden wir denn heute, wenn die Amerikaner das
bei Freddie Mac, Fannie Mae und AIG nicht machen
würden? Was meinen Sie, wie interessiert unsere Kommunen daran sind, was bei AIG passiert, und wie froh
sie wären, wenn der Staat dort die volle Verantwortung
übernähme? Das ist für die Stabilisierung der Finanzsysteme weltweit von entscheidender Bedeutung. Deswegen muss ich dem Kollegen Trittin sagen: Wir werden,
wenn wir klug sind, in der Tat auch in der Zukunft noch
manche Korrekturen vornehmen bzw. vornehmen müssen.
Herr Bernhardt, ich habe mit großem Interesse Ihren
Ausführungen zugehört. Ich muss sagen: In einer Koalition über Bedingungen zu reden, halte ich für ein bisschen schwierig. Das habe ich auch schon im Ausschuss
gesagt.
({5})
Wir werden uns das Ganze anschauen. Die Frage, ob
man 75,1 Prozent oder 100 Prozent anstrebt, ist eine instrumentelle Frage. Man muss sich dabei fragen: Wie
sind die Refinanzierungskosten?
({6})
Wie erreichen wir auf dem ökonomischsten Weg ein vernünftiges Ergebnis? Die Frage, ob Garantien über drei
oder fünf Jahren laufen sollen, ist ebenfalls eine instrumentelle Frage. Ich habe den Eindruck, dass die Europäische Kommission schon gesagt hat, dass lediglich ein
Drittel der Garantien über fünf Jahre laufen soll. Insofern, glaube ich, können sich solche Punkte in einer rationalen Diskussion recht schnell klären lassen.
Bezogen auf die Fristen muss ich sagen: Wir müssen
gemeinsam überlegen, ob eine Befristung dieses Gesetzes bis zum 30. Juni dieses Jahres wirklich sinnvoll und
dem Problem angemessen ist. Wir erleben jetzt in den
Vereinigten Staaten, dass die 19 systemrelevanten Banken einem Stresstest unterzogen werden. Am Ende dieses Stresstestes wird nicht stehen, dass die eine oder andere Bank aus dem Mark herausgeht - schließlich sind
sie systemisch relevant -, sondern am Ende wird es
wahrscheinlich eine Rekapitalisierung und damit eine
Teilverstaatlichung, also einen stärkeren Einsatz vonseiten des Staates, geben.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob es nicht viel klüger wäre, in Deutschland abzuwarten, um auf Grundlage
der amerikanischen Erfahrungen tätig zu werden. Ich
sage Ihnen: Die Stabilisierung der Finanzmärkte ist
nicht nur eine deutsche, sondern eine weltweite Angelegenheit.
({7})
Wir werden unser Vorgehen immer mit dem der anderen
Länder abstimmen müssen. Anders werden wir diese
Krise nicht bewältigen können.
({8})
Politik ist meines Erachtens in dieser Zeitenwende
dazu aufgerufen, die eigene Rolle, auch im Verhältnis
zur Wirtschaft und zu den Märkten, neu zu definieren.
Wir haben die Rolle des letzten Ankers. Diese Rolle sollten wir verantwortlich wahrnehmen. Es wird immer gefragt: Wird der Steuerzahler herangezogen? Diese Frage
stellt sich nach allen Erkenntnissen schon gar nicht
mehr. Vielmehr stellt sich die Frage: In welchem Umfang wird er herangezogen? Wenn der Steuerzahler einspringen muss, dann müssen wir dafür sorgen, dass das
höchst effizient geschieht, dass wir das mit Kontrollrechten der Politik verbinden und dass wir das selbst gestalten.
Schönen Dank.
({9})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Was das Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz angeht, haben meine Vorredner auf die Punkte, die uns wichtig sind, schon Bezug
genommen.
Herr Kollege Runde, ich weiß nicht, was Sie daran
stört, dass es für uns Bedingungen gibt. Meine Fraktion
hat beschlossen, dass es vier Punkte gibt, die für uns im
Rahmen der Beratungen und somit auch für die gemeinsame Einbringung des Gesetzentwurfes von besonderer
Bedeutung sind. Natürlich ist es die Aufgabe der Redner
unserer Fraktion, darauf hinzuweisen, dass diese Punkte
für uns entscheidend sind und dass wir sie noch in den
Gesetzentwurf einfließen lassen wollen. Sollte das in einer Koalition nicht möglich sein, würden wir, wie ich
glaube, unsere parlamentarische Funktion, das zu verbessern, was aus Sicht einer Fraktion noch verbesserungswürdig ist, nicht mehr erfüllen.
({0})
Meine Damen und Herren, hier ist mit viel Wortakrobatik Aufrüstung betrieben worden. Ich finde, wir sollten
sachbezogen diskutieren und auf die Aspekte Bezug
nehmen, die im Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz vorgesehen sind.
Ich möchte betonen, dass die Große Koalition mit den
Maßnahmen, die sie im Oktober letzten Jahres beschlossen hat, den richtigen Weg beschritten hat. Mit den Maßnahmen, die wir im letzten Oktober mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht haben,
brauchen wir uns auf europäischer und internationaler
Ebene nicht zu verstecken. Vielmehr war das der Maßstab auch für andere.
Großbritannien und die USA haben im letzten Jahr einen anderen Weg eingeschlagen. Die USA haben damals
zunächst 700 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt,
um Risikopapiere aufzukaufen, später aber ihre Strategie
geändert. In England wurde die Strategie zur Finanzmarktstabilisierung schon mehrfach geändert. Insofern
kann man feststellen: Mit den Maßnahmen, die wir im
Oktober letzten Jahres beschlossen haben, sind wir auf
dem richtigen Weg.
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen
wir in Anbetracht unserer bisherigen Erfahrungen und
der Entwicklungen am Finanzmarkt ein Feintuning
durchführen und Ergänzungen vornehmen. Die Ziele,
die wir mit diesem Gesetz und dem vorherigen verfolgen, sind die gleichen: Wir wollen die Stabilisierung des
Finanzmarkts und eine Strukturveränderung im Bankensystem erreichen.
Von daher ist es eine entscheidende Frage, ob wir die
Laufzeit der Garantien, die bisher bis zu drei Jahre beträgt, grundsätzlich auf bis zu fünf Jahre erweitern. In
diesem Zusammenhang wird häufig argumentiert: Die
EU hat dem schon zugestimmt. Also machen wir das. Wir müssen dabei aber auch berücksichtigen, welche
Folgen dieser Schritt, wenn wir ihn grundsätzlich und
unkonditioniert vollziehen würden, für andere Finanzmarktprodukte, die sich am Markt bewährt haben, hätte.
Wir sind für eine Konditionierung und gegen eine grundsätzliche Verlängerung. Wir würden dem Pfandbriefmarkt und anderen Sektoren des Anleihemarktes einen
Tort antun, würden wir diese Regelung grundsätzlich
treffen und sie nicht konditionieren würden.
Unsere Zielsetzung bei der Stabilisierung des Finanzmarktes muss sein, dafür zu sorgen, dass zukünftig auch
Anleihen, die nicht staatsgarantiert sind, wieder eine
Chance am Finanzmarkt haben. Sonst gäbe es in
Deutschland nur noch Anleihen, die staatsgarantiert
sind. Das kann nicht unsere Zielsetzung sein.
({1})
Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, dass wir,
was die Laufzeit der Garantien anbelangt, Änderungsbedarf anmelden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, auf den schon hingewiesen worden ist, ist das Thema Enteignung. Verehrter
Herr Kollege Brüderle, das ist kein Gesetz, das sich auf
ein einzelnes Unternehmen bezieht. Die Formulierung
im Gesetz ist abstrakt. Sie kann auf andere Unternehmen
übertragen werden. Wir hoffen zwar, dass wir es nicht
auf andere Unternehmen anwenden müssen. Es ist aber
falsch, in diesem Zusammenhang von einem Einzelgesetz zu sprechen, das nur für ein einziges Unternehmen
gilt. Ich will darauf hinweisen: Wer, wenn nicht der
Staat, soll denn die Ordnungsfunktion wahrnehmen?
Damit komme ich zu einer weiteren Anforderung an
das Gesetz, die unserer Meinung nach sehr wichtig ist.
Eine Enteignung darf nur das letzte Mittel sein. Zuvor
müssen alle anderen Instrumente ohne Erfolg angewandt
worden sein. Im Gesetzentwurf finden sich in diesem
Zusammenhang Formulierungen wie „Sie haben keine
Aussicht auf Erfolg“ oder „Sie sind nicht mehr möglich“. Das ist zu schwammig; das muss eindeutiger formuliert werden.
Herr Kollege Dautzenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Gerne.
Herr Kollege, ich hätte eine Frage zu einer Bemerkung, die Sie gerade gemacht haben, die, wie ich glaube,
auch verfassungsrechtlich wichtig ist. Sie sagen, dieses
Gesetz sei kein Einzelfallgesetz, sondern ein abstraktes
Gesetz, das auch auf andere Unternehmen übertragen
werden könnte. Habe ich das, was Sie gesagt haben, damit richtig zusammengefasst?
Sie haben meine Ausführungen richtig zusammengefasst. Sie können das aber nicht so interpretieren, dass
wir vorhätten, dieses Gesetz auch auf andere Unternehmen anzuwenden. Schließlich müssen bestimmte Tatbestände gegeben sein, ehe dieses Gesetz angewandt werden kann. Ich sage das, um einer Fehlinterpretation
vorzubeugen.
Die Frage ist - ({0})
- Sie müssen schon ertragen, dass ich nachfrage.
Meine Frage lautet: Gibt es irgendwelche anderen
Unternehmen oder Unternehmungen oder Firmen, bei
denen Sie heute davon ausgehen, dass dieses Gesetz, das
ja bis zum Sommer befristet ist, angewendet werden
könnte? Gibt es irgendein weiteres Unternehmen, auf
das Sie dieses Gesetz anwenden wollen?
({1})
Herr Kollege, wenn wir die Zukunft kennen würden,
könnten wir das eindeutig beantworten. Man kann das
aber nicht beantworten. Deshalb ist die Formulierung im
Gesetz abstrakt, und deshalb ist es falsch - Sie interpretieren es ja so -, davon zu sprechen, dass wir dieses Gesetz im Grunde nur auf ein Unternehmen anwenden. Wir
schaffen vielmehr einen Handlungsrahmen für die Zukunft. Die Befristung ist bewusst gewählt worden. Auch
daran, dass die Verordnung nur bis zum 30. September
wirksam sein soll, sehen Sie, dass es um vorübergehende
Maßnahmen geht.
({0})
Deshalb darf ich Sie bitten, uns nicht weiter mit dem
Gespenst der Enteignung zu kommen. Sie selber bieten
keine Alternativen. Unterstellen Sie uns nicht, dieses
Gesetz sei verfassungswidrig und werde der Sachlage
nicht gerecht! Ich betone noch einmal: Es gibt ja noch
innerhalb der Koalition eine Diskussion über diesen Gesetzentwurf. Die Maßnahmen, die vor einer Enteignung
ergriffen worden sein müssen, müssen näher definiert
werden. Nur wenn diese Maßnahmen erfolglos geblieben sind, kommt eine Enteignung überhaupt infrage. Es
reicht nicht, dass das irgendwie geprüft worden ist, wie
es im Gesetzentwurf steht. Gehen Sie davon aus, Herr
Kollege Westerwelle, dass wir das richtig sehen. Ihre Interpretation können wir allerdings nicht zulassen.
({1})
Nächster Punkt. Wir brauchen - das sehe ich als Ihre
Führungsaufgabe an, Herr Finanzminister; im Gesetz ist
das noch nicht geregelt - einen Vorschlag zur Ausgliederung der Risikopapiere. Das ist das Nächste, was geregelt werden muss. Wir werden eine dauerhafte Stabilisierung des Finanzmarktes nicht erreichen, wenn die
Unternehmen diese Risiken nach wie vor in der eigenen
Bilanz führen müssen und sie nicht bereinigen können.
Wir warten auf einen Vorschlag von Ihnen.
({2})
Wir sehen es auch als Ihre Führungsaufgabe an, dass
Sie gemeinsam mit den Ministerpräsidenten die Reform
der Struktur der Landesbanken auf den Weg bringen.
Was sich bisher als Einzellösungen in den Ländern abzeichnet - dass sich die Strukturen verfestigen -, kann
nicht im Sinne des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes
sein. Die Strukturen der Banken müssen sich verändern.
Ich sehe die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind,
Herr Minister, und teile Ihre Auffassung, dass man uns
als Bund diese Aufgabe nicht ans Bein binden sollte.
Aber wir brauchen entsprechende Bemühungen; denn
wenn weiter Einzellösungen Platz greifen, fehlt die
Grundlage, um zu einer Neustrukturierung der Landesbanken zu kommen.
Ein weiterer Punkt, der meine Fraktion umtreibt. Das
Gesetz heißt Gesetz zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes. Es geht aber auch um Fortentwicklung und
Umstrukturierung. Wir müssen aufpassen, dass, wenn
sich Gesellschaften unter den Schirm des Bundes begeben, dies nicht zu Verzerrungen im Wettbewerb mit den
kreditwirtschaftlichen Unternehmen, die erfolgreich am
Markt gearbeitet haben, führt. Ihnen dürfen wir es nicht
dadurch erschweren, dass jene Unternehmen diese Hilfen jetzt nutzen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. In diesem Zusammenhang sind die Autobanken für uns durchaus ein Thema.
({3})
Wir verlangen, dass dies klargestellt wird.
Auch bei der Prüfung reicht es nicht aus, wenn es
heißt: Manche Autobanken sind Kreditinstitute im Sinne
des Kreditwesengesetzes und können somit unter den
Schirm kommen. - Das kann nicht die Entscheidungsgrundlage sein. Vielmehr muss Grundlage der Entscheidung sein, dass die Hilfe der Finanzmarktstabilisierung
dient, nicht aber der Konzern- und Industriefinanzierung
oder der Absatzförderung. Das ist ein ganz anderes Feld.
({4})
Hier müssen wir beachten, dass diejenigen Institute, die
wir auch hier in allen Erklärungen immer groß herausgestellt haben, nämlich die Sparkassen und Volksbanken,
sich in der Fläche einem Wettbewerb stellen müssen, in
dem durch den Bund gesicherte Unternehmen momentan
Konditionen vorgeben, mit denen Unternehmen, die bisher immer geholfen haben und da waren, aus Wettbewerbsgründen nicht mithalten können. Das kann nicht
richtig sein.
({5})
Genauso müssen wir den Bereich hinterfragen, den
Otto Bernhardt hier auch schon angesprochen hat: Welche Mehrheit ist gesellschaftsrechtlich und mit Blick
auf den Finanzmarkt erforderlich, um die Gestaltung bestimmen zu können? Das muss eindeutiger belegt werden. Es ist natürlich klar, Herr Minister: Wenn man
90 oder 95 Prozent hat, ist es das Einfachste.
({6})
- Nein, nicht das Einfachste, sondern das Vernünftigste
muss gemacht werden. Es kann durchaus vernünftig
sein, dass man mit unterschwelligen Mehrheiten zum
Ziel kommt.
Von daher, meine Damen und Herren, gibt es Beratungsbedarf. Wir haben bisher mit unseren Maßnahmen
den richtigen Weg beschritten. Lassen Sie uns gemeinsam an diesen einzelnen Punkten arbeiten, damit die
Zielsetzung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes und
dieses Gesetzes erreicht wird: den Finanzmarkt für unsere Bürger zu stabilisieren und ihn auch fortzuentwickeln, um zu anderen Strukturen zu gelangen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/12100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu
gibt es Einvernehmen. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten HüseyinKenan Aydin, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksache 16/12130 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({0})
Finanzausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es geht um die Bildung eines Untersuchungsausschusses, den die Regierung deshalb nicht zu fürchten scheint, weil sie sich darauf verlässt, dass es dafür
keine Mehrheit gibt, was ich für völlig daneben hielte.
Ich will versuchen, Ihnen dies zu erklären.
Dieses Parlament hat die Verantwortung für die
Steuergelder, und zwar nach dem Grundgesetz eine höhere Verantwortung als die Bundesregierung. Dieses
Parlament trifft regelmäßig Entscheidungen, Steuergelder für Privatbanken auszugeben, in verschiedener
Form, in verschiedener Hinsicht, aber es ist nicht bereit,
zu kontrollieren, was daraus wird und was damit geschieht und wie die Umstände sind. Wir wissen hier weniger als ein kleiner Beamter im Bundesfinanzministerium, und das ist nicht hinnehmbar.
({0})
Ich füge hinzu, dass es Umstände gibt, die dringend einer Klärung bedürfen.
Ich beginne einmal mit Beispielen, die gar nicht Gegenstand des Untersuchungsausschusses werden sollen,
um Ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten. Wir haben
hier darüber gesprochen und beschlossen, dass die IKB
eine finanzielle Unterstützung bekommt. Oskar Lafontaine
hat vorhin gesagt, dass sie gar nicht nötig gewesen wäre,
weil man das auch anders hätte machen können. Aber
okay, nun ist es ja beschlossen worden.
Wie sah es aus? Dem Bund gehörten 38 Prozent an
der IKB. Es wurde ein Betrag von 9,2 Milliarden Euro
bereitgestellt. Ich bitte Sie! Wenn hier manchmal um
1 Million gestritten wird, dann hat man keine Chance,
aber diese 9,2 Milliarden Euro wurden zur Verfügung
gestellt. Dann aber wurde die Industriekreditbank für
150 Millionen Euro verkauft, und zwar, um es mit
Müntefering zu sagen, an eine Heuschrecke. Ist es wahr,
dass von den 150 Millionen Euro der Bund nur
38 Prozent bekommen hat, weil er nur zu 38 Prozent Eigentümer war, und den Rest die Privaten erhalten haben?
Allerdings haben die Privaten von den 9,2 Milliarden
Euro für die Schuldentilgung nicht einen halben Euro
zur Verfügung gestellt; da waren sie plötzlich nicht zuständig. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie es
nicht geht. Aber ich will auch das alles einmal dahingestellt sein lassen.
Nun habe ich den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium gefragt: Bekommen wir das Geld wieder,
wenn die Heuschrecke wieder Gewinne macht? Darauf
hat er gesagt: Nein, da bekommen wir nie etwas wieder. Ich sage Ihnen klipp und klar: Das ist für mich ein
schwerer Fall von Untreue; das ist nicht hinnehmbar.
({1})
Was klären wir eigentlich diesbezüglich auf? Wir klären
nichts auf; wir lassen das einfach so stehen.
Nehmen wir die Commerzbank. Für die Commerzbank haben wir einen Betrag von 18,2 Milliarden Euro
zur Verfügung gestellt. Das war der höchste Betrag, der
bis dahin in der Weltgeschichte von einem Staat für eine
Privatbank zur Verfügung gestellt wurde. Inzwischen hat
die HRE allerdings alles getoppt. Wie viel gehört uns
von der Commerzbank, die noch einen Börsenwert von
3 Milliarden Euro hat? Wir haben die Commerzbank
quasi sechsmal bezahlt, aber uns gehört nur eine stille
Beteiligung - der Bund muss also auch noch den Mund
halten und darf bei den Geschäften nicht mitreden - von
25 Prozent. Das heißt, die Schulden übernehmen die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler allein, aber wenn
später Gewinne fließen, bekommen sie nur ein Viertel,
während drei Viertel privat sind. Das ist nicht mehr
nachzuvollziehen. Wo bleibt da die Kontrolle durch das
Parlament?
({2})
Nun kommen wir zur HRE. Über die HRE ist schon
beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt viel gesprochen worden; ich muss das hier nicht wiederholen. Eines
ist allerdings nicht besprochen worden, und da hätte ich
gerne Klarheit von Ihnen. Dazu gibt es auch einen Antrag des Landes Berlin, und ich bin gespannt, wie Sie
sich dazu verhalten werden. Ich meine die Reprivatisierung. Sie haben so viel Angst vor der Verstaatlichung,
also der Umsetzung des betreffenden Artikels des
Grundgesetzes, dass Sie im Gesetz gleich die Reprivatisierung regeln. Interessant ist, was da geregelt ist. Da
steht: Wenn dieses Unternehmen nachhaltig stabilisiert
ist, muss es wieder reprivatisiert werden. Dafür wünsche
ich mir folgende Bedingung: Die Reprivatisierung darf
frühestens dann stattfinden, wenn sämtliche geflossenen
Steuergelder einschließlich der Zinsen wieder an den
Bund zurückgeflossen sind. Das ist doch wohl das Mindeste.
({3})
Warum formulieren Sie nicht diese Bedingung? Meinetwegen kann das ja auch über die Erlöse durch die Reprivatisierung realisiert werden. Aber das muss doch eine
Bedingung sein!
Ich befürchte, da Sie diese Bedingung nicht formulieren, dass Folgendes herauskommt: Vielleicht fließt die
Hälfte oder ein Viertel des Geldes durch Gewinnbeteiligung oder Reprivatisierung zurück; aber mit der Privatisierung werden die Gewinne wieder privatisiert und werden in den Händen weniger Reicher landen, obwohl die
Schulden zum größten Teil von den Bürgerinnen und
Bürgern bezahlt worden sind.
({4})
Nun kommt bei der HRE noch eines hinzu. Das ist ein
Umstand, der der Aufklärung bedarf. Die HRE war früher Teil der bayerischen HypoVereinsbank. Man muss
den Managern lassen, dass sie damals durchaus schlau
waren. Sie haben sich vor fünf Jahren von der HRE getrennt. Wenn ich das richtig deute, haben sie alle toxischen Papiere, also alles, was faul war und nichts bringt,
gönnerhaft auf die HRE übertragen und den Rest selber
behalten. Sie werden sich gesagt haben: Wenn die HRE
pleitegeht, bezahlt das sicher der Staat, mit anderen Worten: die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, und wir haben nichts mehr damit zu tun. - Nun hatte aber der Gesetzgeber festgelegt: Eine Mutter haftet fünf Jahre für
alle Schulden, die bei der Tochter später entstehen. Einen Tag nach Ablauf dieser Frist sagt uns der Bundesfinanzminister, dass die Hypo Real Estate pleite ist. Da
muss doch das Parlament der Frage nachgehen, ob er das
nicht schon vorher gewusst hat, welche Informationen es
gegeben hat und ob es grobe Fahrlässigkeit oder sogar
Vorsatz war, dass man die bayerische HypoVereinsbank
aus ihrer Verpflichtung entlassen hat! Das bedarf doch
wohl der Aufklärung, bevor Sie hier Millionen und Milliarden an Steuergeldern zur Verfügung stellen.
({5})
Deshalb stellen wir den Antrag. Jetzt kommt das Argument, die Legislaturperiode sei zu kurz. Das ist völlig
falsch. Wir haben die Fragen so einfach formuliert, dass
sie in kürzester Zeit aufzuklären sind.
({6})
Wir wissen, dass wir jetzt keinen Untersuchungsausschuss einsetzen können, der für seine Arbeit drei Jahre
braucht. Aber das haben wir beachtet. Deshalb ist das
weder für die Grünen noch für die FDP ein Argument,
Nein zu sagen.
({7})
Es gibt übrigens noch eine interessante Frage, die wir
in unserem Antrag gestellt haben. Die Bankenaufsicht
hat schon vor über einem Jahr, im Jahre 2007, angemahnt, dass die Hypo Real Estate anders kontrolliert
werden solle. Warum hat das Bundesfinanzministerium
darauf nicht reagiert? Warum gab es keine Entscheidung?
({8})
Das sind doch Fragen, die man einmal stellen darf.
Das zweite Argument dagegen - neben der Kürze der
Zeit - lautet, dass wir ja ein Finanzmarktgremium haben,
das geheim tagt und alle Informationen erhält.
({9})
Ich habe unser Mitglied gefragt. Zur IKB haben sie gar
nichts erfahren. Bei der Commerzbank gab es alle Informationen, die wir auch schon in den Zeitungen gelesen
haben.
Abgesehen davon finde ich die Herangehensweise
auch völlig falsch. Wieso muss das in einem Geheimgremium behandelt werden? Ich bitte Sie: Das sind Gelder von Millionen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern.
Es geht sie doch wohl etwas an, was daraus wird. Da
kann man doch nicht sagen, dass es einen kleinen geheimen Ausschuss gibt, der darüber informiert wird.
({10})
Deshalb meine ich, dass wir diesen Untersuchungsausschuss benötigen.
Ich will an Sie appellieren: Wenn wir ein Stück
Glaubwürdigkeit auch der Politik in der Öffentlichkeit
wiederherstellen wollen, dann können solche Fragen
nicht unbeantwortet im Raum stehen bleiben. Ich sage
gar nicht, dass Herr Steinbrück das schon einen Tag vorher gewusst hat, obwohl die Vermutung naheliegt. Aber
ich sage klar: Es bedarf der Aufklärung.
(Dr. Dagmar Enkelmann ({11}): Richtig!
Wenn herauskommt, dass das Bundesfinanzministerium
schon längere Zeit vorher informiert war und den Ablauf
der Frist abgewartet hat, dann ist das sogar strafrechtlich
relevant. Das wäre ein ungeheurer Skandal, und zwar
zum Nachteil der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
({12})
Eigentlich müsste die Regierung beantragen, den Untersuchungsausschuss zu bilden, wenn sie denn das Gefühl hätte, dass sie dadurch rehabilitiert werden könnte.
({13})
Mich macht Ihre Weigerung mehr als stutzig.
Ich will jetzt noch etwas zu den Grünen und zur FDP
sagen. Es ist heute ja schon gesagt worden, dass Sie Zeit
zum Nachdenken haben wollen. Zeit haben wir aber
nicht mehr. Die Legislaturperiode ist begrenzt. Wir müssen das schnell entscheiden. Sie haben ja noch Zeit bis
zur zweiten Lesung.
({14})
Wir werden versuchen, das in den Ausschüssen schnell
zu behandeln. Ich greife Sie heute auch nicht so stark an,
weil ich ja noch Ihre Zustimmung gewinnen will.
({15})
- Kommen Sie mir jetzt nicht mit Formfehlern und damit, dass ich Sie schon einen Sonntag vorher hätte anrufen müssen. Seien Sie nicht so pingelig! Es geht hier
um die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik
Deutschland und nicht um Ihre komischen eitlen Gefühle. Das muss ich hier auch einmal klipp und klar sagen.
({16})
Lassen Sie mich noch eines sagen: Wenn Sie das nicht
tun, dann setzen Sie sich selber dem Verdacht aus, dass
das mit den Spenden zu tun hat, die Oskar Lafontaine
gerade zitiert hat.
({17})
Damit würden sie nämlich sagen, dass Sie sich eine Aufklärung bei den Banken nicht mehr trauen, weil dann die
Spenden ausbleiben.
Ich sage Ihnen: Ich bin gar nicht gegen Staatsgelder
für die Parteien. Ich weiß, dass das in der Bevölkerung
auch umstritten ist. Sie sind mir aber lieber als Ihre
Spenden von den Banken und von der Allianz. Das
macht Sie abhängig, und das müssen wir überwinden.
Zeigen Sie jetzt, dass Sie nicht abhängig sind, indem
Sie der Einrichtung des Untersuchungsausschusses zustimmen!
({18})
Der Kollege Hans Michelbach hat nun das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gysi, selbstverständlich hat das Parlament Verantwortung für die Steuergelder,
({0})
es hat aber auch die Verantwortung, einen Gesamtschaden abzuwenden, und die Verantwortung für die Rettung
von Betrieben, Banken und Arbeitsplätzen. Das ist die
Verantwortung, die wir hier ganz gezielt und konsequent
wahrnehmen.
({1})
Sie gießen nur Öl ins Feuer, haben aber keinerlei Vorschläge für die Rettung durch die Feuerwehr, die wir in
vielen Fällen leider spielen müssen.
Wir dürfen jetzt doch keinen neuen Brandherd schaffen. Die Politik muss die Feuerwehr organisieren, die
den verheerenden Großbrand in der Finanzwirtschaft bekämpft. Für Vergangenheitsbewältigung ist sicher noch
genug Zeit. Ich meine: Erst löschen, dann Verantwortung
prüfen. Natürlich ist Vertrauen gut und Kontrolle besser.
Aber: Kontrolle ja, Spektakel nein.
Im Vordergrund steht zunächst die Sicherung des
Geldmarktes. Hierfür haben wir alle Anstrengungen zu
übernehmen. Es darf in Deutschland keinen panischen
Sturm der Sparer und Anleger geben. Das wurde bisher
Gott sei Dank auch verhindert. Es war wichtig, dass wir
diesen gemeinsamen Auftrag erfüllt haben. Jetzt hier einen spektakulären Untersuchungsausschuss zu beschließen, wäre nach meiner Ansicht höchst fahrlässig.
Eine parlamentarische Bewertung und Kontrolle in
Sachen Hypo Real Estate ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber nicht im Rahmen eines Untersuchungsausschusses. Im Übrigen haben wir als Mitglieder des
Finanzausschusses die Möglichkeit, die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages aufzusuchen. Dort stehen alle relevanten Fragen zur Beantwortung an.
({2})
Das heißt, Herr Gysi, Sie müssten sich einmal der Aufgabe widmen, die Geheimschutzstelle des Deutschen
Bundestages aufzusuchen. Es ist aber eben eine Geheimschutzstelle; sie ist nicht öffentlich. Sie nutzen deshalb
lieber dieses öffentliche Podium, um Populismus und
Verunsicherung zu betreiben. Darum geht es hier.
({3})
Sicherlich sind zunächst ein konkretes Krisenmanagement und eine zielführende Bestandsaufnahme im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mit allen
Fachleuten sinnvoll. Wir sollten jetzt öffentliche Verunsicherung vermeiden, da ein Sturm auf die Geldhäuser das
gesamte Wirtschaftssystem zum Einsturz bringen könnte.
Die Finanzmarktkrise eignet sich nicht für diesen politischen Schlagabtausch.
Ich meine auch, dass wir politischen Krisentrittbrettfahrern mit großer Mehrheit in diesem Hohen Hause entgegentreten sollten. Ich habe den Verdacht, dass Sie,
Herr Gysi, und die Linke auf einen politischen Gewinn
aus der Finanzmarktkrise spekulieren.
({4})
Notwendig ist aber etwas anderes. Es ist notwendig, eine
neue Vertrauensbasis für den Finanzmarkt zu finden;
denn der Finanzmarkt ist höchst nervös und verunsichert. Der Interbankenhandel ist nach wie vor ausgetrocknet; vielen Betrieben fehlen die für den Erhalt der
Arbeitsplätze notwendigen Finanzmittel. Insofern haben
wir eine Verantwortung für die Betriebe.
Veröffentlichungen zum Finanzmarkt sind immer
kursrelevant. Wenn falsche Informationen veröffentlich
werden, hat das bestimmte Auswirkungen. Insofern müssen wir verantwortungsbewusst vorgehen. Wozu führt es,
wenn man einen politischen Schlagabtausch durchführt?
Die Auswirkungen können so groß sein, dass Betriebe
einbrechen und Arbeitsplätze vernichtet werden. Auch
dafür haben Sie in der Vergangenheit leider nicht die Verantwortung übernommen, die Sie eigentlich hätten. Wir
stellen uns dieser Verantwortung und sind deswegen
nicht bereit,
({5})
Ihre Forderung nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mitzutragen.
Dass bei verschiedenen Banken Grundsätze soliden
Managements verletzt wurden, steht, glaube ich, außer
Frage. Der Verdacht der Marktmanipulation ist erhärtet.
Pflichtwidrige Kapitalvernichtung muss auch strafrechtlich verfolgt werden; darin sind wir uns einig. In Sachen
Hypo Real Estate ermittelt die Staatsanwaltschaft bereits
gegen mehrere Vorstandsmitglieder. Die Union hält
diese Ermittlungen für erforderlich, um die Aufklärung
der Vorgänge in der Vergangenheit zu ermöglichen. Jetzt
muss zunächst einmal die Justiz Sorge dafür tragen, dass
die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen aus
dem privaten Vermögen der Manager sichergestellt wird.
({6})
Herr Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Gerne.
Herr Kollege, geben Sie mir recht, dass das Auskunftsverhalten der Bundesregierung mit dazu beiträgt,
dass wir nach anderen Wegen suchen müssen, um als
Bundestagsabgeordnete die notwendigen Informationen
zu bekommen? Ich stelle seit Oktober vergangenen Jahres jeden Monat Fragen nach diesen Vorgängen - zum
Beispiel auch zur Hypo Real Estate - und bekomme jedes Mal von der Bundesregierung die Auskunft, dass
man mir darauf leider keine Antwort geben könne. Über
noch nicht abgeschlossene Vorgänge gebe es keine Auskunft. Oder es heißt, das betreffe Geschäftsgeheimnisse
dieser Bank, weswegen ich keine Information bekäme.
Stimmen Sie mir zu, dass das Auskunftsverhalten der
Bundesregierung gegenüber einzelnen Abgeordneten
entscheidend dazu beiträgt, dass man nach neuen, anderen Wegen suchen muss, um als Bundestagsabgeordneter
seinen Pflichten nachzukommen und seine Rechte wahrzunehmen?
Herr Kollege Ströbele, ich frage Sie: Waren Sie schon
einmal in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages, und haben Sie sich die Antworten angeschaut,
die hierzu gegeben werden?
({0})
Herr Kollege Ströbele!
Ich kann Ihnen sagen: Meine Fragen sind beantwortet. Ich kann natürlich nicht für Sie Fragen stellen; das
müssen Sie selber tun. Ich jedenfalls sehe im Moment
keinen Anhaltspunkt für eine Pflichtverletzung des Bundesfinanzministers und des Bundesfinanzministeriums.
Wenn Sie einen anderen Eindruck haben, dann müssen
Sie - das ist Ihr gutes Recht als Parlamentarier - dies
weiter kontrollieren und untersuchen.
({0})
Damit habe ich überhaupt keine Probleme. Es gibt die
Möglichkeit, im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages entsprechend tätig zu werden. Ich schlage ohnehin vor, dass wir, wenn dieser Brandherd gelöscht ist,
die Verantwortlichkeiten prüfen.
({1})
Damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich bin für die
parlamentarische Kontrolle. Hier haben wir schon viel
geleistet.
({2})
Aber ich bitte jetzt um Verständnis; denn wir können im
Moment keine neuen Verunsicherungen auf dem Finanzmarkt gebrauchen. Wir müssen verantwortungsbewusst
handeln, um die Auswirkungen zu begrenzen.
({3})
Wir sollten die Politik nicht schlechter machen.
({4})
Ich kann nur sagen: Wir haben mit den Gesetzen, die
wir beschlossen haben, insgesamt eine Stabilisierung des
Finanzmarktes erreicht. Keine systemrelevante Bank in
Deutschland ist in Schwierigkeiten geraten und in die Insolvenz gegangen. Das ist der richtige Weg. Wir müssen
letzten Endes Sparer und Anleger vor diesem Sturm bewahren. Das ist gut gegangen. Wir sollten gemeinsam
stolz darauf sein, dass dies gelungen ist.
({5})
Aufgrund der weitreichenden Verflechtungen der Hypo
Real Estate mit anderen Finanzinstituten, hätte ein Unterlassen der Rettungsaktion zu einer bedrohlichen Fortsetzung der Finanzmarktkrise in Deutschland geführt, mit
schwerwiegenden Schäden im Hinblick auf Wachstum
und Arbeitsplätze sowie den deutschen Finanzmarkt. Einen gefährlichen Dominoeffekt gilt es nach wie vor zu
verhindern. Von der Insolvenz einer systemrelevanten
Bank wäre auch der Zahlungsverkehr betroffen; das
möchte ich ausdrücklich betonen. Der Ausschluss eines
derartig großen Marktteilnehmers würde erhebliche Verwerfungen im nationalen und europäischen Zahlungsausgleich nach sich ziehen. Höhere Transaktionsvolumina an den Devisen-, Wertpapier- und Derivatemärkten
wären dann nicht mehr darstellbar. Ein erhebliches Problem stellten die Auswirkungen auf den deutschen
Pfandbriefmarkt dar; das ist heute schon angeklungen.
Die Hypo Real Estate ist einer der beiden größten Emittenten auf dem deutschen Pfandbriefmarkt. Pfandbriefe
sind bekanntlich durch eine getrennte Deckungsmasse
besonders geschützt und gelten daher als solide. Die Insolvenz eines großen Pfandbriefemittenten hätte aber im
gegenwärtigen Marktumfeld das Vertrauen in den Pfandbrief und somit in eines der wenigen nach wie vor funktionsfähigen Refinanzierungsinstrumente insbesondere
in der deutschen Kreditwirtschaft untergraben. Deswegen müssen wir hier besonders verantwortungsbewusst
handeln. Andernfalls gäbe es erhebliche negative Folgen
für die Refinanzierung gerade mittelstandsorientierter
Kreditinstitute.
Da wir beklagen, dass es eine Kreditklemme für den
Mittelstand gibt, müssen wir Vorsicht walten lassen, dass
sich diese nicht verschärft. Die Auswirkungen eines
Ausfalls der Hypo Real Estate würden breit gestreut Versorgungswerke, Berufsgenossenschaften sowie deutsche
Länder und Kommunen erfassen, die dort teilweise dreistellige Millionenbeträge angelegt haben. Deshalb noch
mal zur Verdeutlichung: Bei der Stützung der Hypo Real
Estate ging und geht es ganz wesentlich darum, die Substanz der deutschen Volkswirtschaft zu schützen, und
deswegen können wir hier keine weiteren Verunsicherungen gebrauchen. Es wäre fahrlässig, falsche Informationen zu verbreiten und zur Verunsicherung beizutragen. Die Rettung der Hypo Real Estate war und ist im
Interesse der Aufrechterhaltung der Stabilität an den Finanzmärkten und zur Sicherung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger unabdingbar.
Natürlich sollten Bürgschaftsvereinbarungen keine
unüberschaubaren Lasten für die Steuerzahler darstellen.
Ihr Vorwurf, Herr Gysi, dass wir keine Verantwortung
für die Gelder der Steuerzahler übernehmen würden, ist
natürlich nicht nur provokant, sondern unrichtig; er ist
falsch. Diese Aussage ist fahrlässig und von Populismus
getragen. Sie wollen nichts anderes sein als der Gewinner aus der Krise. Das lehnen wir ab, meine Damen und
Herren.
({6})
In dieser Krise ist es die fundamentale Aufgabe des
Staates, das Vertrauen in den Finanzmarkt wieder herzustellen und eine weitere Zuspitzung der Finanzmarktkrise zu verhindern. Deshalb dürfen wir keine politisch
begründeten Spektakel veranstalten. Wir müssen letzten
Endes deutlich machen, dass wir eine Lösung für die
Hypo Real Estate - möglichst ohne Enteignung in Form
einer Übernahme von 75 Prozent plus einer Aktie - finden. Das ist der richtige Weg. Das wollen wir tun. Damit
übernehmen wir auch die Verantwortung für die Gelder
unserer Steuerzahler.
Wir müssen insgesamt Schaden von der sozialen
Marktwirtschaft abwenden. Der sozialen Marktwirtschaft verdanken wir den Aufstieg Deutschlands nach
den Schrecken des Zweiten Weltkrieges, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft, den Wohlstand unseres
Landes und ein umfassendes soziales Sicherungssystem.
Insofern glaube ich, dass die soziale Marktwirtschaft
auch in dieser Frage das richtige Heilmittel ist. Dies erfordert natürlich offene Märkte, Freiheit und einen Staat,
der sich auf die Festlegung der Rahmenbedingungen beschränkt. Unsere ordnungspolitische Maxime lautet: soziale Marktwirtschaft statt Staatskapitalismus. Das ist
der richtige Ansatz, den wir verantwortungsbewusst für
die Lösung dieses Problems gewählt haben.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing.
({0})
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Michelbach, es geht
hier nicht um die Frage, ob es zu einer Enteignung
kommt oder nicht. Dass die Union enteignen möchte, haben Sie heute Morgen schon deutlich machen können.
Es geht auch nicht um die Frage, ob die Hypo Real
Estate in die Insolvenz geschickt werden soll, sondern es
geht um die Frage, ob sich die Bundesregierung in Sachen HRE bisher korrekt verhalten hat.
In der Tat wirft die Vorgehensweise der Bundesregierung in Sachen Hypo Real Estate viele Fragen auf.
({0})
Wenn man allein an das Kommunikationschaos der ersten Tage denkt: Zuerst hat Herr Steinbrück angekündigt,
die Hypo Real Estate werde abgewickelt. Später hat er
so nicht verstanden werden wollen und ließ mitteilen,
dass seine Forderung nur auf den Fall der Insolvenz bezogen gewesen sei. - Man fragt sich schon: Wie kommt
ein Bundesfinanzminister dazu, die geordnete Abwicklung eines DAX-Konzerns anzukündigen? Auf welcher
Rechtsgrundlage wurde das angekündigt? Was hatte dieser Mann eigentlich von Anfang an vor, meine Damen
und Herren? Das muss man doch mal fragen.
({1})
Die FDP war es, die damals heftig kritisiert hat, dass
sich der Bundesfinanzminister in einer Situation, in der
Fingerspitzengefühl gefordert gewesen wäre, wie ein
Elefant im Porzellanladen verhalten hat.
({2})
In einer Situation der leisen Töne hat Steinbrück laut gedröhnt. Es wäre wirklich eine spannende Frage, zu untersuchen, inwieweit die dilettantische Kommunikation des
Bundesfinanzministers die Krise bei der HRE noch befördert hat.
({3})
Auf jeden Fall ist bis heute noch nicht geklärt, ob
Steinbrücks Forderung nach einer geordneten Abwicklung einfach Nonsens eines Finanzministers war oder ob
es ein Steinbrück’scher Versprecher war und dem Minister genau das herausgerutscht ist, was er eigentlich von
Anfang an vorhatte, nämlich die Hypo Real Estate zu
zerschlagen, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
jetzt mit der Enteignung weiter vorantreiben.
({4})
Das Krisenmanagement des Finanzministers war
bisher bestenfalls unprofessionell, schlimmstenfalls unverantwortlich. Herr Michelbach, Sie reden davon, man
müsse jetzt besonders verantwortungsbewusst handeln.
Ich sage Ihnen: Schauen Sie sich doch einmal das bisherige Vorgehen des Bundesfinanzministers an!
({5})
Die Merkwürdigkeiten - oder soll ich vielleicht sagen: die Unwahrheiten? - gingen weiter. In der Fragestunde des Deutschen Bundestages erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl auf eine
Frage des Kollegen Thiele, dass die deutsche Finanzaufsicht in Irland nicht geprüft habe und gar nicht prüfen
könne. Zeitgleich erklärte der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Jochen Sanio, vor
dem Finanzausschuss, dass man selbstverständlich in Irland geprüft habe. Der Präsident der Bundesbank, Axel
Weber, versicherte den Abgeordneten des Deutschen
Bundestages, man habe ein sehr klares Bild über die
Situation der DEPFA, der Tochter der HRE, in Irland gehabt. - Fest steht, dass die Abgeordneten des Deutschen
Bundestages, und zwar nicht nur die der FDP, sondern
auch die der CDU/CSU, der SPD, der Grünen und der
Linken mit der Unwahrheit konfrontiert worden sind.
({6})
Das ist eine Tatsache. Darüber müssen wir heute Klartext reden. Es sind schon Leute wegen anderer Dinge in
Deutschland von öffentlichen Ämtern zurückgetreten.
Ich will Frau Kressl ausdrücklich in Schutz nehmen.
Sie war nämlich nicht die einzige, die diese falsche
Information verbreitet hat. Auch der Finanzminister
höchstpersönlich hat auf meine Frage, warum die deutsche Finanzaufsicht nicht zumindest in Kooperation mit
den irischen Behörden geprüft habe, barsch darauf hingewiesen, dass dieses rechtlich überhaupt nicht möglich
sei. Belehrt hat er mich noch, ich müsse so etwas als Jurist begreifen. Dabei hat er die Unwahrheit gesagt.
({7})
Heute wissen wir, dass dies vielleicht rechtlich nicht
möglich gewesen war, aber die Prüfung praktisch stattgefunden hat. Die Nase von „Peernocchio“ müsste in Sachen HRE mittlerweile Meterlänge überschritten haben.
Bis heute hat sich die Bundesregierung zu dieser
Fehlinformation des Deutschen Bundestages nicht erklärt. Statt sich hier hinzustellen und alle lauthals darüber zu belehren, was man nicht könne und deshalb
nicht stattgefunden habe, hätte man sich dafür entschuldigen sollen, dass man die Abgeordneten in einer Situation, in der sie eine schwere Entscheidung treffen mussten - es ging schließlich um zig Milliarden Euro -, mit
falschen Informationen versorgt hat. Das wäre eine Entschuldigung wert.
({8})
Es mag typisch für den Bundesfinanzminister sein, alles
zu tun, aber keine eigenen Fehler einzugestehen.
({9})
Als wäre die Geschichte nicht schon grotesk genug:
Peer Steinbrück schafft es immer noch, einen draufzusetzen. Auf die Frage der FDP, wie man denn mit den Berichten der Finanzaufsicht umgegangen sei - sie stammen immerhin schon aus der Mitte des Jahres 2008 -,
erklärte das Ministerium, der Bericht sei auf Referatsleiterebene zur Kenntnis genommen und abgeheftet worden. Dies finde man richtig, und so werde man das auch
in Zukunft tun. - Es gibt Berichte, in denen vor gigantischen Risiken für den Finanzstandort Deutschland gewarnt wird, und das Bundesfinanzministerium heftet sie
auf Referatsleiterebene ab, anstatt auf Hausleitungsebene zu handeln.
({10})
Wer die Finanzaufsicht in Deutschland wirklich stärken
will, muss an der größten Schwachstelle ansetzen: Sie ist
das Bundesfinanzministerium. Ein Minister, der alarmierende Berichte der Finanzaufsicht zur Sache einer Arbeitsebene degradiert, hat sich nicht verantwortlich verhalten.
({11})
Was bringt es denn, wenn man in einem Haus zig
Feuermelder installiert, aber die Signale, wenn sie Alarm
schlagen, einfach ignoriert, um dann verwundert festzustellen, dass die Hütte abgebrannt ist, woraufhin die
Fehler natürlich nur bei anderen gesucht werden? Die
deutsche Finanzaufsicht hat eine entscheidende Schwachstelle. Diese wollen wir behoben sehen. Ihr Name ist
Bundesministerium der Finanzen. Hier müssen endlich
die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.
({12})
Wenn man wissen will, was in diesen Berichten steht,
dann heißt es: Die erklären wir zur Verschlusssache. Warum eigentlich? Entweder sie enthalten keine brisanten Hinweise - dann kann man sie offenlegen -,
({13})
oder sie enthalten schwerwiegende Hinweise auf Gefahren, und dann ist das keine Angelegenheit für die Referatsleiterebene.
({14})
Es ist doch offensichtlich, dass die Bundesregierung alles unternimmt, um sich selbst zu schützen. Wahrscheinlich ist es tatsächlich so: Während bei der deutschen
Finanzaufsicht bereits alle Alarmglocken geschellt haben, verharrte das zuständige Ministerium im Dornröschenschlaf. Jede Finanzaufsicht kann nur so gut sein wie
die sie kontrollierende Behörde. In Deutschland hat die
Finanzaufsicht gewarnt. Das Ministerium hat die Berichte entweder nicht gelesen, deren Brisanz nicht erkannt oder sich bewusst für das Nichtstun entschieden.
Wir würden das gerne wissen, weil das ganz entscheidende Fragen im Zusammenhang mit der HRE sind. Die
Risiken für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler steigen, und die Mitglieder der Regierung schweigen. Das
ist nicht in Ordnung.
({15})
Wenn Herr Steinbrück jetzt die Backen aufbläst und
vom Versagen der Banken, der Märkte und was weiß ich
von wem noch alles schwadroniert, dann sollte er endlich auch seine eigene Verantwortung wahrnehmen. Eine
Erfolgsbilanz, ein professionelles Krisenmanagement
sieht anders aus als das, was dieser Finanzminister in Sachen HRE geboten hat.
({16})
Als später herauskam, dass die Ankündigung der geordneten Abwicklung der Hypo Real Estate zeitgleich mit
dem Ablauf der Verjährungsfrist nach dem Umwandlungsgesetz erfolgte, sagte der zuständige Finanzminister vor diesem Hohen Hause auf meine Frage, derart
komplexe Fragen könne er nicht beantworten. Geraume
Zeit später ist ihm dann eingefallen, dass das eine rein
zufällige zeitliche Übereinstimmung war. Was, bitte
schön, ist an einer solchen Antwort so komplex? Es erhöht doch nicht die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, wenn man wochenlang überlegen muss, um mit
einer so lapidaren Ausrede den Deutschen Bundestag abzuspeisen.
({17})
Der Bundesfinanzminister hat in Sachen HRE unzählige Fragen aufgeworfen und unzählige Fragen unbeantwortet gelassen.
({18})
Die FDP hat ihm mit einer umfangreichen Kleinen Anfrage jetzt die Möglichkeit gegeben, endlich Klarheit in
die Vorgänge zu bringen. 100 Milliarden Euro öffentliche Gelder sollten eigentlich Grund genug sein, um den
Anspruch der Öffentlichkeit auf eine umfassende Information zu begründen. Es ist übrigens bezeichnend, dass
die Bundesregierung, obwohl doch angeblich alles klar
ist und alles mehrfach diskutiert worden ist, die Frist zur
Beantwortung der Kleinen Anfrage um einen ganzen
Monat hinausgeschoben hat. Warum brauchen Sie denn
so viel Zeit, um all das aufzuschreiben, was Sie angeblich schon immer der Öffentlichkeit gesagt haben?
({19})
Wir werden auf Ihre Antworten warten, und wir werden
diese genauestens prüfen.
Die Fehlinformationen, die der Bundesfinanzminister
ganz persönlich zu verantworten hat, stellen ihn in Sachen HRE unter Generalverdacht.
({20})
Er hat alles getan, um Misstrauen gegen diesen Minister
zu begründen. Wir werden das prüfen, auch wenn wir
den Antrag der Linken auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses jetzt nicht unterstützen. Das kann
sich ändern. Das ist auch alles andere als ein Blankoscheck oder gar ein Vertrauensbeweis für den Bundesfinanzminister. Es ist für uns aber auch eine Stilfrage,
jetzt zunächst einmal die Antwort der Bundesregierung
auf unsere Anfrage abzuwarten. Es gehört zum üblichen
parlamentarischen Vorgehen, dass man die geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeiten ausschöpft, um dann über
weitreichendere Möglichkeiten nachzudenken.
Wenn wir schon bei der Stilfrage sind, Herr Kollege
Gysi: Es ist kein besonders guter politischer Stil, erst
überhaupt nichts zur Aufklärung beizutragen, dann bei
der FDP alles abzuschreiben
({21})
und sich dann hier hinzustellen und die Vermutung zu
äußern, die FDP könne, obwohl sie die Speerspitze der
Aufklärung in Sachen HRE ist, aus irgendwelchen abstrusen Motiven heraus die Aufklärung bremsen. Das ist,
finde ich, wirklich eine Stilfrage.
({22})
Dass Sie bei uns abschreiben, ist das eine; das andere ist,
dann auch dazu zu stehen. Sie sind nicht die Speerspitze
der Aufklärung in Sachen HRE, wahrhaftig nicht.
({23})
Ich hätte mich in der zurückliegenden Zeit über mehr
Unterstützung gefreut.
({24})
Es war die FDP, die sich in Sachen HRE um Aufklärung
bemüht hat. Das Verhalten der Bundesregierung mag
noch so destruktiv sein, insbesondere das von Herrn
Steinbrück, der durch seine elegante Art jedes Vertrauen
verspielt, aber wir verstehen, dass man nicht alles jederzeit der Öffentlichkeit bekanntgeben kann. Wenn man
aber die Opposition hinter die Fichte führt und die Öffentlichkeit mit Falschinformationen täuscht, dann hat
man doch das Vertrauen nicht mehr, das man in einer
solchen Krise braucht.
({25})
Das ist doch ein schwerer Fehler dieses Ministers.
Herr Kollege Wissing!
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Gerichtet an die Bundesregierung, kann ich nur sagen: Nutzen Sie die Chance, die wir Ihnen jetzt bieten!
Bringen Sie Licht in diese Affäre! Hören Sie auf mit der
Geheimniskrämerei! Ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen! Nach all dem, was vorgefallen ist, nach allen
Fehlinformationen, sind Sie der Öffentlichkeit Aufklärung und vor allen Dingen die Wahrheit schuldig.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Reinhard Schultz,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Oskar Lafontaine hat in der Debatte zuvor, in der es um
die Novelle zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz ging,
die Katze aus dem Sack gelassen, als er gesagt hat: Wir
brauchen einen Untersuchungsausschuss, damit die Öffentlichkeit erfährt, was da passiert ist.
Ein Untersuchungsausschuss ist fast das Geheimste,
was es geben kann - abgesehen von seinem Schlussbericht. Die Mitglieder eines Untersuchungsausschusses
unterliegen der strikten Vertraulichkeit und Geheimhaltung.
({0})
Die Dinge, die dort debattiert werden, können nur nach
Beschlussfassung des Untersuchungsausschusses veröffentlicht werden.
({1})
Das gilt insbesondere dann, wenn es um interne Daten
geht. Wenn also unternehmensbezogene Daten behandelt
werden, ist davon auszugehen, dass ein solcher Untersuchungsausschuss in der Regel unter Geheimhaltungsbedingungen tagt.
({2})
Ich glaube gerne, dass Sie vorhaben, den Untersuchungsausschuss zu einem Instrument der Öffentlichkeitsarbeit zu machen; dann stünde man allerdings selber
mit einem Bein vor dem Staatsanwalt. Ich glaube, das ist
Ihre Absicht. Dies werden wir jedoch nicht unterstützen.
Sie von der Linkspartei bedauern, dass es ein beherztes Krisenmanagement gibt, das das Ansehen der Bundesregierung in der Öffentlichkeit insgesamt deutlich
gestärkt hat. Trotz dieser Krise steigen Ihre Zustimmungsraten erstaunlicherweise nicht; sie sinken. Nun
wollen Sie Terrain wiedergutmachen, indem Sie hier
eine populistische Arie vortragen. Sie tun so, als würden
alle, wie Herr Wissing gesagt hat, „hinter die Fichte geführt“. Das Gegenteil ist der Fall.
({3})
Wir halten einen Untersuchungsausschuss überhaupt
nicht für notwendig, weil in der Vergangenheit kontinuierlich und umfassend informiert worden ist.
({4})
Wenn bestimmte Informationen noch fehlen - Herr
Wissing hat darauf hingewiesen -, dann bestehen selbstverständlich parlamentarische Möglichkeiten, an diese
Informationen zu kommen. Dass Herr Wissing und die
FDP das eine oder andere noch wissen wollen, das verstehe ich; manche Sachen will auch ich noch wissen.
({5})
Jeder hat selbstverständlich das Recht und die Möglichkeit, sich die notwendigen Informationen zu beschaffen,
etwa durch Fragen, durch die Einsicht in Akten in der
Geheimschutzstelle und anderes.
Herr Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Ja, klar. Wir sind alte Freunde.
Herr Kollege, ich lade Sie ein zur nächsten Sitzung
des Untersuchungsausschusses am 27. März, wenn ich
mich richtig erinnere. Sie werden hoffentlich feststellen,
dass nicht nur die Zuschauerbänke, sondern auch die
Pressebänke besetzt sind. Sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass Untersuchungsausschüsse grundsätzlich öffentlich tagen, das heißt, dass das, was da verhandelt wird, grundsätzlich - es gibt Ausnahmen - in der
Zeitung stehen kann und soll, ohne dass irgendwelche womöglich strafbare - Indiskretionen begangen werden?
Grundsätzlich stimme ich Ihnen selbstverständlich zu.
Aber: Wenn Daten und Informationen wie diejenigen,
die derzeit in der Geheimschutzstelle für Berechtigte zur
Einsicht offenliegen, behandelt werden, dann werden
diese Sitzungen ebenfalls vertraulich sein.
Herr Ströbele, dass Sie selber ein Weltmeister in der
Gratwanderung zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit sind, das gestehe ich Ihnen unter sportlichen Gesichtspunkten zu. Der Regelfall ist aber, dass Vertrauliches vertraulich zu bleiben hat.
Herr Schultz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Gysi?
Gysi?
({0})
Ja, gerne.
({1})
- Nein.
Herr Kollege Schultz, wie kommen Sie darauf, dass
die Frage der Information durch das Bundesfinanzministerium, zum Beispiel über die Mithaftung der bayerischen HypoVereinsbank und den Ablauf der Frist, irgendetwas mit Geheimnissen der HRE zu tun hat? Das
berührt sie überhaupt nicht. Warum kann das nicht öffentlich geklärt werden? Ich verstehe Ihre Auffassung,
dadurch werde irgendetwas Geheimes veröffentlicht,
wirklich nicht. Es ist doch gerade das Anliegen, dass die
Öffentlichkeit weiß, ob es solche Informationen gab und
wie mit denen umgegangen wurde.
({0})
Herr Gysi, Sie haben völlig recht: Es gibt Informationen, die öffentlich erörtert werden können. Dafür haben
wir auch die Instrumente. Wir haben Ausschusssitzungen. Wir haben die Parlamentsdebatten. Wir haben das
Fragerecht, von dem die FDP in intensiver Weise Gebrauch macht. Es werden dann Antworten gegeben. Es
gibt keinen Grund, in der Situation, wie wir sie jetzt haben, in Form eines Untersuchungsausschusses sozusagen ein Instrument des Misstrauens einzusetzen, das
suggeriert, Bundesregierung und Parlament wären wechselseitig gesprächsunfähig und wichtige Informationen
würden dem Parlament bewusst vorenthalten. Das ist
nicht der Fall.
Wir haben als Finanzausschuss zahllose Berichte zu
dem Vorgang „Hypo Real Estate“ bekommen, einen Bericht am 7. November 2008, Aufzeichnungen vom
10. November 2008, Aufzeichnungen im Haushaltsausschuss am 22. Januar 2009. Wir haben den gemeinsamen
Brief zur Kenntnis bekommen, in dem die Bundesbank
und die BaFin den Finanzminister Steinbrück am
29. September 2008 ausführlichst über die Frage der
Handhabung der Aufsichtspflichten informiert haben.
Bereits beantwortet ist eine Kleine Anfrage der FDP. Die
Antwort stammt vom 21. November 2008 und enthält
ohne Frage durchaus wichtige Erkenntnisse für die weitere Diskussion.
Das Thema DEPFA und anderes sind natürlich immer
von besonderem Interesse. In der Geheimschutzstelle
liegen zahllose Dokumente vor. Wir haben den Bericht
der BaFin vom 6. März 2008 an das BMF, in dem die
Auswirkungen der Subprime-Krise auf die Entwicklung
der Hypo Real Estate ausführlich dargestellt werden.
Wir haben da das Schreiben der BaFin vom 20. März
2008 an das BMF mit Vermerk der BaFin vom 20. März
2008 über die Lage bzw. über neuere Entwicklungen bei
einigen Pfandbriefbanken einschließlich Hypo Real
Estate. Wir haben den Bericht der BaFin vom 28. März
2008 über die aktuelle Lage im vierten Quartal 2007,
also rückwirkend, unter Berücksichtigung auch der
Hypo Real Estate. Wir haben den Bericht der BaFin vom
12. Juli 2008 mit der aktuellen Lage im Bankensektor im
ersten Quartal 2008 einschließlich konkreter Hinweise
auf Hypo Real Estate. Wir haben in der Geheimschutzstelle den Bericht der BaFin vom 15. August 2008 zur
aktuellen Lage im Bankensektor im zweiten Quartal
2008, ebenfalls mit Hinweisen auf diese kritische Bank.
Wer sich die Mühe machen würde, das wirklich durchzuarbeiten, hätte es nicht nötig, hier einen Untersuchungsausschuss zu beantragen, sondern würde vielleicht weiterführende Fragestellungen entwickeln, wie
das einige offensichtlich getan haben. Die Fragen würden
dann ebenfalls beantwortet. Es ist auch nicht auszuschließen, dass weitere Dokumente in die Geheimschutzstelle gelegt werden. Aber die Gratwanderung zwischen
dem berechtigten Kontrollinteresse des Parlaments auf
der einen Seite sowie dem Schutzinteresse Privater und
hinsichtlich des Vollzugs in Aufsichtsbehörden des Bundes auf der anderen Seite muss gewährleistet werden.
Dafür sieht unsere Geschäftsordnung Wege vor.
Das Ausmaß der Krise bei der Hypo Real Estate hat
sich erst allmählich, im Laufe der Zeit herausgestellt. Es
gab erste Anzeichen im Jahreswechsel 2007/08. Ab Februar 2008 haben Bundesbank und BaFin zunächst freiwillig wöchentlich, später täglich Liquiditätsberichte
über die Hypo Real Estate herausgegeben, die auch zur
Verfügung stehen. Monatelang war die Refinanzierung
der Hypo Real Estate problemlos, auch wenn man Gefahrenanzeichen hatte, sodass ein massives Eingreifen
nicht erforderlich war. Erst ab dem 15. September, dem
Zusammenbruch von Lehman Brothers, wurde es auch
für die Hypo Real Estate eng, weil sie keine Finanzierungsmöglichkeiten im Interbankenmarkt mehr gesehen
hat und weil dadurch die irische HRE-Tochter DEPFA
quasi finanziell trockengelegt worden war.
Das alles ist nachvollziehbar und ist bis ins Letzte
dargestellt worden. Ab da war es notwendig, zu handeln.
Damit war auch das erste Rettungspaket mit einem Liquiditätsrahmen von 50 Milliarden Euro begründet, an
Reinhard Schultz ({0})
dem sich die Banken beteiligt haben. Dafür sind Sicherheiten in Form von Wertpapieren in Höhe von 60 Milliarden Euro hinterlegt worden, auf deren Verwertung
und Verwaltung der Bund Einfluss nehmen kann. Später
ist ein zweites Rettungspaket mit weiteren Garantien von
52 Milliarden Euro erforderlich gewesen. Die Begründung ist hier mehrfach vorgetragen worden, im Detail
auch in den Ausschüssen, im Haushaltsausschuss, im Finanzausschuss, zum Teil in öffentlicher, zum Teil in
nichtöffentlicher Sitzung.
Insofern ist der Vorwurf, es würde etwas Wichtiges
geheim gehalten oder es gebe eine Informationslücke
zwischen Parlament und Regierung, vom Grundsatz her
völlig falsch und kann von uns überhaupt nicht nachvollzogen werden. Dass es zwischendurch die eine oder andere Irritation gegeben hat, das ist überhaupt nicht zu
bestreiten.
Ich selbst habe von diesem Pult aus in der festen Gewissheit, dass die mir vorliegenden Informationen richtig sind, gesagt, dass die BaFin die DEPFA nicht kontrolliert hat. Ich fühlte mich genauso - - Ich will einen
eleganteren Ausdruck wählen. Auf jeden Fall war ich ein
bisschen irritiert,
({1})
als der Präsident der BaFin in einer gemeinsamen Anhörung bekanntgegeben hat: Selbstverständlich haben wir
aufgrund einer freiwilligen Vereinbarung außerhalb des
Rechtsweges eine Möglichkeit gefunden, die DEPFA zu
prüfen.
Der Finanzminister, Nicolette Kressl, ich und alle anderen sind anders informiert worden. Das ist in hohem
Maße ärgerlich. Das ist aber innerhalb eines kurzen Zeitfensters korrigiert worden. Das war weder eine bewusste
Irreführung von uns noch von Ihnen. Ansonsten müsste
ich jetzt auch einen Untersuchungsausschuss für erforderlich halten. Das ist aber Quatsch.
In einer solchen eskalierenden Situation, in der alle
rund um die Uhr arbeiten, gibt es schon einmal Informationslücken zwischen den Behördensträngen und auch
zwischen dem Ministerium und nachgeordneten Behörden. Daraus muss man lernen; denn das sollte nicht passieren. Das ist aber doch kein Hinweis darauf, dass das
Parlament grundsätzlich und bewusst - um Ihren Ausdruck zu benutzen - hinter die Fichte geführt wird.
Die generelle Lage, die Lage der Banken und die daraus folgende Krise für die gesamte Wirtschaft, ist viel
zu ernst, als dass wir uns jetzt den Luxus erlauben könnten, solchen kleinen populistischen Spielereien wie einem Untersuchungsausschuss näherzutreten.
Vielmehr sind wir alle - Regierungskoalition und Oppositionsfraktionen - aufgerufen, nach Wegen zu suchen, wie wir diesem Land helfen können, wie wir den
Interbankenmarkt unterstützen können, dass Kredite
wieder billiger werden und die Wirtschaft wieder auf die
Beine kommt. Wir sollten nicht im Vorfeld von Wahlkämpfen ein Geklüngel machen, wie dies auf Antrag von
Herrn Gysi geschieht, der offensichtlich bislang niemanden gefunden hat, der ihm erzählt hat, was in der Geheimschutzstelle steht. Er will es exklusiv und persönlich in einem Untersuchungsausschuss haben. Dafür ist
uns dieses Instrument aber zu schade; denn es ist bei
sehr ernsten Fällen angebracht. Hier ist es nicht angebracht.
Herr Kollege Schultz, ich habe immer darauf gewartet, dass Sie einmal Luft holen. Herr Kollege Thiele
würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Ich habe die Qualität eines Tiefseetauchers und brauche deswegen keine Luft. - Wer wollte fragen?
Herr Kollege Thiele.
Auch ein netter Kerl. Ja.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Schultz, wir haben vorhin unter dem ersten Tagesordnungspunkt einen Gesetzentwurf beraten, mit dem möglicherweise die Hypo Real Estate enteignet werden soll.
Wir unterhalten uns hier über ein mögliches Fehlverhalten seitens der Aufsicht und auch seitens des Finanzministers. Sie haben selbst beschrieben, wie überrascht
wir waren, als wir im Herbst vergangenen Jahres im Finanzausschuss erfahren haben, dass die Hypo Real
Estate als Dax-Unternehmen überhaupt nicht der Bankenaufsicht unterliegt.
Das zuständige Ministerium ist das Finanzministerium. Einem Spiegel-Bericht zufolge ist schon im Frühling 2007 das BMF von der BaFin darauf hingewiesen
worden, dass hier eine Regelungslücke besteht. Es gibt
auch ein Tätigwerden durch Unterlassen. Das habe ich
dem Finanzminister bereits in der Pfandbriefdebatte vorgeworfen. Er trägt Verantwortung, aber davon ist nirgendwo etwas zu spüren.
Halten Sie es für gerechtfertigt, dass das Finanzministerium keine gesetzgeberische Maßnahme ergriffen hat,
nachdem dem Finanzministerium die Lücke bekannt
war, um die Regelungslücke zu beschließen? Zu Recht
ist kein Bereich unserer Wirtschaft so reguliert wie der
Finanzsektor. Wenn bisher in diesem Bereich eine Regulierungslücke aufgetreten und das BMF an das Parlament herangetreten ist, ist diese Lücke immer geschlossen worden. Niemand hat sich dagegen gewendet, im
Übrigen auch nicht die FDP.
Können Sie mir insofern sagen, warum das BMF
nichts unternimmt? Nur auf die Geheimschutzstelle zu
verweisen, in der alles Mögliche enthalten sei, das ist
meines Erachtens dem Informationsfluss des Finanzministeriums nicht angemessen. Sondern hier stellt sich
vielmehr die Frage, warum überhaupt nichts geschehen
ist; denn es hätten bereits Lücken geschlossen werden
können, sodass derzeitige Probleme nicht aufgetreten
wären.
Lieber Herr Thiele, ich habe vorhin versucht darzustellen, dass trotz vermuteter Lücken die Bankenaufsicht
- BaFin und Bundesbank - von Ende 2007 an, mit einer
erhöhten Schlagzahl ab Februar 2008 und bis heute im
Falle der Hypo Real Estate und deren Töchter massiv tätig geworden ist.
Natürlich habe ich mich darüber geärgert, dass ich
selber über die Frage der Kontrolle der DEPFA falsch informiert war. Objektiv gesehen war es aber eine gute
Nachricht, dass die BaFin einen Weg gefunden hatte, die
DEPFA zu kontrollieren. Eine reale Lücke bei der Kontrolle der HRE sehe ich also überhaupt nicht.
Ihr Hinweis hat auch überhaupt nichts mit den Informationsrechten des Parlamentes zu tun, die nur in einem
Untersuchungsausschuss zu verwirklichen wären.
({0})
Wenn Sie vermuten, dass es eine gesetzgeberische Lücke gibt, dann könnten Sie über eine parlamentarische
Initiative versuchen, Gesetze zu verändern. Das ist keine
Frage, die in einem Untersuchungsausschuss zu klären
ist. Hier sind auch keine Fragerechte tangiert. Wenn Sie
eine Lücke vermuten, können wir darüber reden. Diese
Frage hat aber damit, worum es in dieser Debatte im
Kern geht, überhaupt nichts zu tun.
Es stimmt auch nicht, dass die Finanzaufsicht keine
Kontrolle ausgeübt habe. Ich habe Ihnen eben haarklein
dargestellt, welche Kontrollberichte vorliegen. Über deren Qualität können Sie sich gerne selbst ein Bild machen; diese sind Ihnen ja zugänglich.
({1})
Aber Kontrollen haben stattgefunden.
Es geht heute nicht darum, wie wir unser parlamentarisches Informationsrecht einfordern und ob wir kollegial versuchen - da schließe ich selbstverständlich auch
die Parlamentarier der Koalition ein -, alle wichtigen Informationen aus der Regierung herauszukitzeln, sondern
es geht darum, ob wir einer populistischen Kleinfraktion
auf den Leim gehen und einen Untersuchungsausschuss
einrichten wollen, der ausschließlich ihrem Wahlkampf
dient und damit eher zur Verwirrung als zur Stabilisierung des Finanzmarktes beiträgt.
Vielen Dank.
({2})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem
Kollegen Troost.
Nachdem es hier jetzt mehrfach angesprochen worden ist, möchte ich, da einige das vielleicht nicht wissen,
klarstellen: Die Geheimschutzstelle ist nicht irgendeine
Bibliothek, in der sich Tausende Dokumente befinden,
die man einsehen kann, sondern dort werden zur Verfügung gestellte Dokumente zur Einsicht bereitgehalten.
Man kann natürlich nur solche Dinge einsehen, zu denen
auch Dokumente erstellt worden sind.
Hier wird die ganze Zeit am Thema vorbeigeredet. Es
geht nicht um die Frage, wie das Krisenmanagement bei
der HRE im Jahre 2008 abgelaufen ist. Es geht vielmehr
um die Frage, ob, ohne dass eine entsprechende Sonderprüfung stattgefunden hat, die fünfjährige Verjährungsfrist schon abgelaufen ist und ob sich aus dem Ablaufen
dieser Verjährungsfrist Risiken ergeben haben, die nun
die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen zu bezahlen haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen: Es gab schon im Jahre 2003 im Zusammenhang
mit der HRE einen Artikel im Handelsblatt, der sich mit
der Frage einer Bad Bank für die HRE beschäftigte.
Über das Thema wird also in der Tat seit fünf Jahren diskutiert. Darum, nur darum geht es bei der Untersuchung.
All das, was Sie hier vortragen, hat mit dem eigentlichen
Antragsgegenstand überhaupt nichts zu tun.
({0})
Herr Kollege Schultz.
Lieber Herr Kollege Troost, drei Bemerkungen zu Ihrer Intervention.
Erstens. Die Frage nach Ablauf der Verjährungsfrist
ist einer von zahlreichen Punkten in der Begründung Ihres Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
({0})
Ich bin überzeugt davon, dass darüber in einer der nächsten Sitzungen des Finanzausschusses ordentlich diskutiert werden kann. Aus meiner subjektiven Erinnerung
heraus war das bislang kein wesentlicher Diskussionspunkt in der Debatte um die HRE gewesen. Wenn Sie
das nachholen wollen, machen wir da selbstverständlich
mit.
Zweitens. Selbstverständlich liegen in der Geheimschutzstelle die Dinge, die die Bundesregierung für relevant zur Information über bestimmte Fragen, die sie
öffentlich nicht beantworten kann, hält. Wenn ein Untersuchungsausschuss eingesetzt würde, würde man ja auch
nicht mit dem Rollkommando irgendeiner Staatsanwaltschaft das Bundesfinanzministerium oder die BaFin aufsuchen, sämtliche Akten mitnehmen und diese dann
durchwühlen. Vielmehr müsste man auch im Rahmen eines Untersuchungsausschusses über Fragen Auskünfte
von der Bundesregierung einfordern
({1})
Reinhard Schultz ({2})
und würde dann als Antwort von der Bundesregierung
das geliefert bekommen, was sie nach bestem Wissen
und Gewissen für informationsrelevant hält. Insofern
macht das keinen Unterschied.
Drittens. Wenn Sie mehr wissen bzw. mehr Dokumente einsehen wollen als die, die in der Geheimschutzstelle vorliegen, müssen Sie danach fragen. Wir werden
uns dem nicht versperren und gerne dazu beitragen, dass
die Datenbank, die bisher schon über IKB und HRE angelegt wurde - das ist ja schon ein ziemlicher Oschi -,
weiter angereichert wird.
Dem Informationsbegehren des Parlaments steht
nichts entgegen. Dafür bedarf es keines Untersuchungsausschusses.
Nächster Redner ist der Kollege Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wäre sinnvoll, wenn die FDP auf dem Boden bleiben
würde. Denn die große Speerspitze der Aufklärung hat
sich im letzten Spätsommer leider in die Büsche geschlagen, als es um einen Untersuchungsausschuss ging. Daher glaube ich, dass Sie an dieser Stelle etwas modester
auftreten könnten.
({0})
Für meine Fraktion kann ich sagen: Wenn man wirklich einen gemeinsamen Untersuchungsauftrag formulieren will, dann muss man es etwas anders machen, als einen Antrag wie den heute zu beratenden vorzulegen.
({1})
Es ist besser, man setzt sich einmal zusammen und
schaut sich die entscheidenden Punkte an, die untersucht
werden sollen. So etwas läuft in der Regel nicht über
Handzeichen im Parlament, sondern die einzelnen Abgeordneten müssen die Forderung nach Einrichtung eines
Untersuchungsausschuss unterzeichnen, bis das notwendige Quorum erreicht ist. So wäre es richtig. Wir sind
aber nicht pingelig; uns geht es um die Sache. Deswegen
schauen wir uns die einzelnen Punkte genau an.
Bei der Hypo Real Estate geht es um das sechstgrößte
Finanzinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Da es
ein im DAX notiertes Unternehmen ist, ist es in besonderer Weise kapitalmarktrelevant. Diese Fakten muss
man im Hinterkopf haben, wenn man die Entwicklung,
die zu dieser Situation geführt hat, bewerten will.
Der Bericht des Finanzministeriums besagt, dass aus
früheren Zeiten wegen der Fristentransformation bei der
DEPFA, der irischen Tochter der Hypo Real Estate, eine
höhere Anfälligkeit für exogene Veränderungen vorhanden war. Das war bekannt. Es gab noch weitere Punkte
mit Blick auf die HypoVereinsbank - Herr Troost hat sie
gerade angesprochen -, die bekannt waren.
Im März 2008 wackelte eine große amerikanische Investmentbank, nämlich Bear Stearns, was zu einer exogenen Veränderung und zu einigen Verspannungen auf
den Kapitalmärkten führte. Man hätte also erwarten können, dass nach dem 31. März 2008 in Bezug auf das
sechstgrößte Finanzinstitut, bei dem eine höhere Anfälligkeit bekannt war, alle relevanten Informationen sofort
und mit höchster Wahrnehmungsstufe aufgegriffen werden. Das Finanzministerium hat aber zugeben müssen,
dass das nicht der Fall war.
({2})
Bei einem ersten Bericht der Finanzaufsicht, der vor
dem 31. März erschien, müssen wir feststellen, dass eine
Befassung des Abteilungsleiters nicht erfolgte. Im August 2008 gab es einen weiteren Bericht über die gesamte Finanzwirtschaft, in dem auch die HRE-Gruppe
dargestellt wurde. Wir konnten feststellen, dass eine Befassung der Leitung des BMF nicht erfolgt war. Auf
meine Anfrage, was die Bundesregierung organisatorisch unternommen hat, um dieser Finanzkrise Herr zu
werden, bekam ich die schöne Auskunft: Die Bundesregierung hat ein professionelles Krisenmanagement geschaffen.
Wie passen diese Sachen zusammen? Machen Sie
sich da einmal ehrlich! Man wusste doch längst, dass es
erstens im März 2008 einen exogenen Schock gab und
dass zweitens das sechstgrößte deutsche Finanzinstitut
verstärkt anfällig ist. Trotzdem behauptete der Finanzminister, die deutsche Finanzwirtschaft sei stabil aufgestellt. So haben das Finanzministerium und damit die
Bundesregierung, die Sie tragen, auf die Krise reagiert.
Das ist grobe Fahrlässigkeit.
({3})
Man kann also sagen: Noch bevor es Ende September
bei der Hypo Real Estate richtig zum Krachen kam, hat
man alle möglichen Warnzeichen ignoriert und sich
nicht auf die Krise vorbereitet. Peer Kopf-in-den-Sand
hat auch in dieser Frage alle möglichen Risiken negiert,
anstatt Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Dieses Krisenmanagement ist alles andere als professionell gewesen.
Es ist ein Holpern und Stolpern, gepaart mit der Hybris
des Finanzministers. Das muss man deutlich zu Protokoll geben.
({4})
Deswegen müssen wir jetzt dafür sorgen, dass es besser wird. Die Krise - da zitiere ich den Finanzminister
von heute Morgen - wird weitergehen, und weitere
Schockwellen sind abzusehen.
Damit nicht noch einmal wichtige Informationen liegen bleiben und es mit dem Holpern und Stolpern nicht
weitergeht, müssen wir dafür sorgen - das ist die Aufgabe dieses Parlaments -, dass aus der Wilhelmstraße
nicht nur große Töne kommen, sondern ein wirklich professionelles Krisenmanagement. Man muss sich rechtDr. Gerhard Schick
zeitig vorbereiten, um im Ernstfall gut handeln zu können. Wir brauchen jetzt eine Aufklärung, damit nicht
weitere Steuermilliarden verloren gehen.
({5})
In diesem Zusammenhang ist die Frage wichtig, was
es mit dem 28. September auf sich hat. Das ist nichts,
was wir aus den Daten bezüglich der DEPFA herauslesen
können, sondern es geht darum, was das Bundesfinanzministerium gewusst und gemacht hat. Man muss
sich folgendes Bild vor Augen führen: Für das Management ist das Bundesfinanzministerium zuständig, und die
Kontrolle dieses Managements ist Aufgabe dieses Parlaments. Wir würden jeden Aufsichtsrat eines Privatunternehmens von diesem Parlament aus massiv beschimpfen,
wenn er bei Verdacht einer solchen Pflichtwidrigkeit
keine unabhängige Sonderprüfung in Auftrag geben
würde. Deswegen brauchen wir in diesem Fall eine bestmögliche Aufklärung; denn wir haben als Sachwalter der
Bürgerinnen und Bürger genau diese Aufgabe wahrzunehmen.
({6})
In diesem Zusammenhang spricht der Kollege
Schultz für die SPD-Fraktion von Luxus. Das empört
mich, Herr Schultz. Das ist nicht Luxus, sondern die
Kernaufgabe parlamentarischer Arbeit, und die müssen
auch Sie als Regierungsfraktion leisten.
({7})
Deswegen, glaube ich, ist es richtig, dass wir diese
Fragen jetzt gemeinsam im Ausschuss angehen. Über
die Fragenliste wollen wir jetzt keine Urheberrechtsdiskussion führen; ich glaube, das ist nicht der richtige Moment dafür. Ich erwarte, dass wir in der nächsten Finanzausschusssitzung - das sage ich hier für meine
Fraktion - nicht mit einem engen Zeitraster arbeiten,
sondern mit offenem Ende tagen - bis die Fragen beantwortet sind - und die Sache klären. Wir lassen uns nicht
länger mit immer neuen Terminen vertrösten. In der
nächsten Finanzausschusssitzung muss diskutiert werden, bis die Fragen geklärt sind. Das erwarten wir.
({8})
Wenn die Bundesregierung weiterhin auf das verweist
- mein Kollege Christian Ströbele hat das schon gesagt -,
was sie alles nicht sagen kann, und weiterhin mauert,
dann kann es den Untersuchungsausschuss geben. Wir
müssen ihn möglicherweise einrichten. Der Ball ist bei
der Bundesregierung. Sie entscheiden, ob Sie die Informationen auf den Tisch legen, damit wir nicht den
nächsten Schritt machen müssen.
Für Bündnis 90/Die Grünen sage ich ganz klar: Wir
sind bereit zur bestmöglichen Aufklärung. Der Ball ist
bei der Bundesregierung. Liefern Sie die Informationen.
Die Bürgerinnen und Bürger haben bei einem Fall, bei
dem es für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um
ein Risiko von grob 100 Milliarden Euro geht, einen Anspruch darauf, dass die Unterlagen nicht nur in der Geheimschutzstelle liegen, sondern der Sachverhalt öffentlich maximal aufgeklärt wird.
Danke schön.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Verlauf der bisherigen Diskussion zeigt,
dass zumindest die drei Oppositionsparteien zur Entwicklung bei der Hypo Real Estate noch eine ganze
Reihe offener Fragen haben. Im Interesse der Zusammenarbeit ist es zwingend erforderlich, dass die hier gestellten Fragen - das gilt insbesondere für den kritischen
Punkt „fünf Jahre und ein Tag danach“ - aufgeklärt werden.
({0})
Zu fragen ist, ob das sinnvollerweise durch einen Untersuchungsausschuss zu geschehen hat. Darüber kann
man sicher unterschiedlicher Meinung sein. In der Tat
kommt, wer sich die Entwicklung bei der Hypo Real
Estate anschaut, zu dem Ergebnis, dass es dort manche
Ungereimtheit gibt.
({1})
Man stellt sich natürlich die Frage, wie ein solches Institut - sechstgrößte Bank in Deutschland - über Jahre
hinweg eine Finanzierung betreiben kann, obwohl jedem
- ich sage das einmal so lax -, der im ersten Jahr einer
Banklehre oder im ersten Semester eines betriebswirtschaftlichen Studiums ist, klar ist, dass es eine gewisse
Verbindung zwischen den Krediten auf der einen Seite
und der Refinanzierung auf der anderen Seite geben
muss.
Das Vorgehen, dass dieses Institut in erheblichem
Umfang auf der einen Seite Kredite mit festen Konditionen und fester Laufzeit für zehn Jahre herausgegeben hat
und auf der anderen Seite einen erheblichen Teil kurzfristig finanziert hat, funktionierte eine Zeit lang, aber jedem war klar oder musste klar sein
({2})
- die Frage ist, warum niemand es gemerkt hat -, dass es
irgendwann einmal sein kann, dass die Refinanzierung
kurzfristig teurer ist als die langfristige Ausleihe. Dann ist
man mit diesem Geschäftsmodell am Ende, um es ganz
klar zu sagen. Eine Zeit lang funktionierte das prima; ich
habe mir die Zahlen einmal angesehen. Sie haben in der
Regel 4 Prozent Zinsen auf der einen Seite bekommen
und für 3 Prozent auf der anderen Seite eingekauft.
1 Prozentpunkt bei einer Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro macht einen Rohertrag von 4 Milliarden.
3 Milliarden Euro brauchte man für den Aufwand,
1 Milliarde Euro war Gewinn.
Jetzt sind wir in der Situation, dass sie ohne unsere
Hilfe gar kein Geld bekommen würde. Aber selbst mit
unseren Bürgschaften - das ist einer der Gründe, warum
wir da leider stärker eingreifen müssen - muss sie deutlich mehr für die Refinanzierung zahlen, als sie auf der
anderen Seite bekommt. Das heißt, sie hat zurzeit täglich
operative Verluste. Das ist - ganz simpel dargestellt die Situation.
Vor diesem Hintergrund, glaube ich, ist es notwendig,
dass wir uns trotz des völlig überfüllten Kalenders in unseren Sitzungen des Finanzausschusses - ich habe
manchmal den Eindruck, die Arbeit bestehe zurzeit fast
nur aus Finanzpolitik - die Zeit für dieses Thema nehmen. Denn die Debatte hat mir gezeigt, dass es hier im
Raum Misstrauen gibt.
({3})
Nicht gut fand ich Ihren Hinweis, Herr Kollege Gysi,
dass vielleicht einige nicht bereit sind, aufzuklären, weil
irgendwo Spenden gezahlt werden. Ich finde, das passt
nicht in diese ernste Debatte, Herr Kollege. Meine Bereitschaft, aufzuklären, hat damit nichts zu tun. Ich weiß
gar nicht, was da geflossen ist; es wird immer irgendwie
veröffentlicht. Ich glaube, diese Verbindung sollte man
nicht herstellen.
Mir geht es um etwas ganz anderes. Wenn diese Fragen nicht aufgeklärt werden - das ist nur über die Öffentlichkeit möglich,
({4})
so nett es in internen Gremien auch ist -, dann steht im
Raum Zweifel, und aus Zweifel wird Misstrauen. Deshalb kann ich nur sagen - ich hoffe, es wird so kommen -,
dass sich insbesondere der in dieser Debatte heftig angegriffene Finanzminister möglichst selber dieser Diskussion im Ausschuss stellen sollte. Ich glaube, das ist für
ihn und für uns wichtig.
({5})
Herr Kollege Bernhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Aus Schleswig-Holstein immer besonders gern.
({0})
Herr Kollege Bernhardt, herzlichen Dank. - Ich finde
es erfreulich, dass Sie anerkennen, dass die Fragen, die
aus den Oppositionsfraktionen kommen, berechtigt sind
und einer Aufklärung bedürfen. Ich habe den Eindruck,
dass Sie selber auch noch Fragen haben.
Ich darf Sie erstens fragen: Sie sind Mitglied dieser
Koalition. Diese Koalition stellt ja bekanntlich den Finanzminister; es ist zwar nicht Ihre Partei, aber Sie haben vielleicht eher den Zugang zu ihm als wir. Wären
Sie bereit, uns hier zuzusagen, dass Sie massiv beim Finanzminister intervenieren werden, damit die Fragen,
auch speziell die Fragen meiner Fraktion,
({0})
endlich zügig beantwortet werden, und zwar so, dass die
Antworten Aufschluss bringen oder dass wir damit arbeiten können? Das war ja eines der großen Probleme
bisher.
Ich darf zweitens fragen: Wie beurteilen Sie eigentlich, dass das Finanzministerium bei so einer ernsten
Diskussion - Ihr Beitrag geht in die gleiche Richtung kneift? Wäre es nicht besser, wenn das Finanzministerium hier heute einen Redner stellen würde, der im Namen des Finanzministeriums erklärt, dass es bereit ist,
alle offenen Fragen zügig zu beantworten? Dann hätte
sich die Frage der möglichen Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vielleicht erledigt.
Zunächst meine Antwort auf Ihre zweite Frage: Das
Finanzministerium ist hier durch einen Parlamentarischen Staatssekretär hochkarätig vertreten.
({0})
Dennoch hätte es nicht geschadet, wenn das angegriffene
Finanzministerium in dieser Debatte gesprochen hätte.
Um auf Ihre erste Frage zu kommen: Ich werde dem
Finanzminister dringend empfehlen, sich Ihren Fragenkatalog, den Fragenkatalog der FDP, der meines Erachtens den überwiegenden Teil der offenen Fragen richtig
erfasst, anzusehen. Ich kann dem Ministerium nur empfehlen, diese Fragen im Detail zu beantworten und ergänzend eine weitere Beratung im Finanzausschuss zu
diesem Thema anzusetzen, bei der der Finanzminister
möglichst anwesend ist.
Eines ist für mich klar: Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu beantragen, ist das gute Recht der
Opposition. Wenn die Fragen der drei Oppositionsfraktionen nicht hinreichend beantwortet werden - übrigens
haben auch die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen
Fragen -, werden sie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen. Das ist ihr gutes Recht.
({1})
Ich sage Ihnen aber: Ich bin mir nicht sicher, ob das
der beste Weg ist, die Geschehnisse aufzuklären. Kollege Gysi hat zwar gesagt, seine Fragen seien so leicht
zu beantworten, dass die Aufklärung in wenigen Wochen
abgeschlossen sei. Nimmt man einen Kalender zur
Hand, stellt man aber fest: Wenn wir die Beratungen
nicht bis zum 3. Juli dieses Jahres beendet haben, ist das
Thema erledigt; wer weiß, welche Bereiche noch bis zur
Sommerpause geklärt werden müssen.
Wenn die drei Oppositionsfraktionen zu dem Ergebnis kommen, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses notwendig ist, wird das selbstverständlich
getan. Dann werden wir konstruktiv mitarbeiten. Ich
glaube aber, dass das Ministerium in der Lage sein wird,
die von Ihnen gestellten Fragen zu beantworten. Diese
Chance sollte es nutzen.
Jetzt wissen wir, welche Fragen die Linken haben. Im
Grundsatz kennen wir auch die Fragen der Grünen.
({2})
Dem Ministerium ist also bekannt, wo noch Informationsbedarf besteht. Deshalb bleibe ich dabei: Das Ministerium sollte die offenen Fragen kurzfristig umfassend
beantworten. Ich bin sicher, dass im Finanzausschuss
schon relativ bald eine weitere Beratung stattfinden
wird. Dann muss die Entscheidung fallen.
Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Die Vorfälle,
die sich bei der HRE ereignet haben, sind von ganz besonderer Qualität. Sie müssen umfassend aufgeklärt
werden. Allerdings habe ich Zweifel, dass der Weg, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, richtig ist. Ich
hoffe, dass das Ministerium seine Chance nutzt und dafür sorgt, dass wir umfassend informiert und aufgeklärt
werden, ohne dass es der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bedarf.
Herzlichen Dank.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Carsten Schneider, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man merkt: Der Wahlkampf wirft seine Schatten voraus.
({0})
Bereits heute Morgen um 9 Uhr haben wir eine Debatte
geführt, in der es unter anderem darum ging, als letzte
Möglichkeit das Instrument der Enteignung vorzusehen,
um im Hinblick auf den Finanzmarkt die Interessen des
Staates und des Allgemeinwohls zu wahren.
({1})
Obwohl wir über dieses Thema bereits heute Morgen
sehr ausgiebig diskutiert haben, gibt es jetzt noch
75 Minuten obendrauf. Ehrlich gesagt habe ich allerdings den Eindruck, dass alle Fragen in dieser Debatte
bereits beantwortet worden sind.
({2})
Herr Kollege Gysi, vielleicht sehen Sie das deshalb
anders, weil in der Debatte heute Morgen nicht Sie geredet haben, sondern Ihr Kollege Lafontaine. Es scheint,
als hätten Sie vereinbart, dass jeder von Ihnen 15 Minuten Redezeit hat. Das nehme ich gerne hin. Schließlich
haben wir jetzt noch ein bisschen Zeit.
({3})
Bisher ging es darum, ob es zur Aufklärung der Vorkommnisse im Umfeld der Hypo Real Estate der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bedarf. Im Mittelpunkt standen die von der Fraktion Die Linke gestellten
Fragen. Außerdem wurde gefragt, warum sich die Bundesregierung heute nicht zu diesem Thema äußert. Das
ist ganz einfach: Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist ein Kernrecht des Parlaments. Der
Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament gebietet es, dass sich die Bundesregierung nicht einmischt.
Das Parlament muss sich mit dieser Frage befassen und
letztendlich auch entscheiden; das ist doch klar.
({4})
- Ich verstehe nicht, warum Sie jetzt lachen.
({5})
Wollen Sie etwa im Ernst, dass die Bundesregierung
sagt, dass sie keinen Untersuchungsausschuss will?
({6})
Über diese Frage muss im Parlament und im Finanzausschuss diskutiert werden. Dort muss die Möglichkeit bestehen, Fragen zu stellen. Dann muss das Parlament eine
Entscheidung treffen.
Im Übrigen tagt gerade das SoFFin-Kontrollgremium,
das wir im Zuge der Gesetzgebung zur Stabilisierung der
Finanzmärkte eingesetzt haben. Ich hätte es, ehrlich gesagt, nicht schlecht gefunden, wenn ich an dieser Sitzung
hätte teilnehmen können. Das ist aber leider nicht möglich.
({7})
- Herr Thiele, ich glaube, dass das Thema, um das es
geht, der Aufklärung bedarf. Daher ist es durchaus sinnvoll, dass sich auch die SPD-Fraktion zu Wort meldet
und mit denjenigen, die sich in diesem Bereich engagieren, diskutiert.
Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass
die Tagesordnung des Finanzausschusses voll und die
Zeit, in der er tagen kann, begrenzt ist. Herr Kollege
Koppelin, wie Sie wissen, tagt der Haushaltsausschuss
Carsten Schneider ({8})
oft stundenlang. Mit den Vorkommnissen bei der Hypo
Real Estate haben wir uns sogar nächtelang herumgeschlagen.
({9})
Alle Fragen, die von den Abgeordneten der Oppositionsfraktionen, aber auch von den Abgeordneten der
Koalitionsfraktionen gestellt worden sind, wurden im
Ausschuss beantwortet. Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die kleine Anekdote mit Herrn Sanio, auf die
Herr Kollege Schultz hingewiesen hat. Von daher wurde
dem Wunsch nach Aufklärung sowohl im Haushaltsauschuss als auch im Finanzausschuss bisher in vollem
Umfang Genüge getan.
Die Fragen, mit denen sich, wie Sie es fordern, ein
Untersuchungsausschuss befassen soll, sind weder im
Haushaltsausschuss noch im Kontrollgremium - es tagt
zwar geheim; aber diese Anmerkung darf ich machen gestellt worden. Warum nutzen Sie nicht die vorhandenen parlamentarischen Möglichkeiten und Rechte, Auskunft zu erlangen? Das erschließt sich mir nicht.
({10})
Sie können Ihre Fragen stellen, und die Fragen sollen
auch beantwortet werden. Das ist Usus. Niemand hat ein
Interesse daran, etwas zu verschleiern.
Aber Sie müssen auch die besondere Situation, in der
wir gerade sind, sehen. Das ist natürlich ein Trial-andError-Prozess. Niemand hat voraussehen können, wie
sich die internationalen Kapitalmärkte im letzten halben
Jahr entwickelt haben. Dann aber den Mitarbeitern der
Abteilung VII des Bundesfinanzministeriums, die Tag
und Nacht die Finanzmarktaufsicht wahrnehmen, vorzuwerfen, sie würden nicht tätig, ist eine Dreistigkeit und
Unverschämtheit.
({11})
- Frau Kollegin Höll, Sie scheinen sich nicht bewusst zu
sein, was diese Mitarbeiter in den vergangenen Monaten
geleistet haben.
Im Übrigen: Im Aufsichtsrat der Hypo Real Estate
- das sage ich auch in Richtung der Kollegen von der
FDP-Fraktion - saß weder ein Mitglied der Bundesregierung noch ein Mitglied des Parlaments. Da saßen Ihre
Freunde aus dem Unternehmens- und Bankenbereich
- auch ein ehemaliger Bundesbankpräsident, nämlich
Herr Tietmeyer, und zwar nicht nur bei der Hypo Real
Estate, sondern früher auch bei der DEPFA - und wurden sehr gut dafür bezahlt, die Aufsicht zu führen. All
diesen Aufsehern ist bezüglich der Finanzierung nichts
aufgefallen. Aber dem Deutschen Bundestag und der
Bundesregierung habe etwas auffallen müssen, sie hätten
das letztendlich früher erkennen müssen? Das ist doch
hanebüchen.
Meine Damen und Herren, ich halte viel von dem Instrument des Untersuchungsausschusses. Die Einsetzung
eines Untersuchungsausschusses ist parlamentarisches
Recht. Aber man muss aufpassen, dass man dieses Instrument nicht entwertet.
Ihre Forderung ist nichts anderes als eine Wahlkampfposse. Wenn Sie, liebe Kollegen von der Linksfraktion,
wirklich ein politisches Interesse an Aufklärung hätten,
hätten Sie sich mit den anderen beiden Oppositionsfraktionen, mit der FDP und den Grünen, zusammengesetzt
und einen Katalog von Fragen, mit denen sich ein solcher
Untersuchungsausschuss befassen soll, abgestimmt. So
hätten Sie ein reales Interesse an der Einsetzung eines solchen Ausschusses gezeigt. Das haben Sie nicht getan; von
daher kann ich das nur als Wahlkampfklamauk abtun.
Herr Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?
Gern.
Herr Kollege Schneider, Sie haben in Ihrem Redebeitrag einleitend darauf hingewiesen, dass aus Ihrer Sicht
alle Fragen beantwortet seien. Ich bringe hier nur als
Beispiel dafür, dass diese Fragen nicht beantwortet sind,
eine Frage aus der Kleinen Anfrage meiner Fraktion auf
Drucksache 16/10417, und zwar Frage 15:
Gab es nach dem Erwerb der irischen DEPFA plc
einen Hinweis oder die Forderung der BaFin an das
Bundesministerium der Finanzen ({0}), die Prüfungsrechte auf die DEPFA auszuweiten?
Antwort der Bundesregierung:
Auch nach Auffassung der BaFin unterliegt die
DEPFA plc als juristische Person des irischen
Rechts der Hoheitsgewalt des irischen Staates, so
dass unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten eine
einseitige Ausweitung der Prüfungsrechte der
BaFin durch den Bundesgesetzgeber ausscheidet.
Wie man eine klare Frage durch eine Nichtantwort
nicht beantwortet, ist hier exemplarisch dargestellt.
Denn es ist nichts darüber gesagt worden, ob sich die
Aufsicht an das Finanzministerium gewandt hat; genau
das war aber der Kern der Frage. Wenn die Bundesregierung klare Fragen so unklar beantworten zu können
glaubt, sind die Zweifel nicht ausgeräumt, sondern verstärkt.
({1})
Sehen Sie das auch so, Herr Kollege Schneider?
Nein, das sehe ich nicht so, lieber Kollege Thiele. Im
Gegenteil, alle Fragen, die in den Sitzungen des Haushaltsausschusses sowie in dem geheim tagenden Kontrollgremium gestellt worden sind, sind von allen Beteiligten - vom Bundesfinanzminister, vom zuständigen
Abteilungsleiter sowie vom Staatssekretär - ausreichend
und umfassend beantwortet worden. Von daher teile ich
Ihre Auffassung nicht.
Carsten Schneider ({0})
({1})
- Ich will gerne auch noch eine Frage der Kollegin Höll
beantworten, wenn das zur Aufklärung beiträgt.
Frau Kollegin Höll, Sie können eine Zwischenfrage
stellen.
Herr Kollege Schneider, könnten Sie wenigstens zur
Kenntnis nehmen, dass nach Meinung mehrerer Abgeordneter, die Mitglied des Finanzausschusses sind, weder der Herr Finanzminister noch die Beamten des Finanzministeriums schlüssige Antworten auf unsere
Fragen im Finanzausschuss gegeben haben? Seit September stellen wir, über die Fraktionsgrenzen hinweg,
entsprechende Fragen. Das ist doch wohl ausreichend
dafür, zu behaupten, dass die Fragen nicht eindeutig beantwortet worden sind, und zu fordern, das Parlament
noch einmal mit diesen Fragen zu befassen. Stimmen Sie
mir zu, dass es sehr wichtig ist, diese Fragen jetzt zu klären? Es geht darum, für die Zukunft endgültig Klarheit
darüber zu haben, wie die Dinge strukturiert sein müssen, damit so etwas nicht noch einmal passiert.
Verehrte Kollegin Höll, ich kann Ihnen keine Auskunft darüber geben, was im Finanzausschuss besprochen wurde, weil ich nicht an der entsprechenden Sitzung
teilgenommen habe. Ich kann Ihnen nur sagen: Bei den
Sitzungen des Haushaltausschusses, an denen ich teilgenommen und in denen ich - ebenso wie viele andere Kollegen, auch Kollegen aus Ihrer Fraktion - Fragen gestellt
habe, sind diese Fragen von den verantwortlichen Personen ausreichend und umfänglich beantwortet worden. Etwas anderes kann ich leider nicht sagen. Sie tun dem
Ganzen unrecht, wenn Sie hier mit Vermutungen und Behauptungen in die Debatte gehen und diese dann als
Wahrheit verkaufen. Das, was Sie sagen, ist einfach nicht
richtig.
Sicherlich bin auch ich der Meinung, dass es im Rahmen der Finanzaufsicht noch Regelungs- und Änderungsbedarf gibt. Das gewährleistet die Bundesregierung
allerdings mit ihrem im Zulauf befindlichen Gesetzentwurf. Ob wir ihn abschließend so beschließen, müssen
wir dann entscheiden. Nichtsdestotrotz ist eine Betrachtung der Risiken vom heutigen Standpunkt aus, also im
Nachhinein, etwas ganz anderes als eine Risikobetrachtung vor einem Jahr. Es bringt nichts, jetzt klug daherzureden und zu sagen, Sie hätten das alles gewusst und gesehen. Das gilt auch für Herrn Lafontaine, der natürlich
immer alles wusste; aber das ist ja bekannt.
Kollege Bernhardt hat auf die Fristenkonkurrenz und
die Kenntnisse hingewiesen, über die sogar jemand im
ersten Jahr einer Banklehre verfügt. Diese These teile
ich. Allerdings betrifft dies nicht nur die Hypo Real Estate. Schauen Sie sich vielmehr die amerikanischen Banken an, die kapitalmarktabhängig und nur gering über
Einlagen finanziert sind: Es gibt in den USA praktisch
keine Investmentbanken mehr nach klassischem Modell.
Dies ist also kein rein deutsches Problem.
Herr Kollege Schneider, gestatten Sie eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Koppelin?
Nein, Kollege Koppelin. Ansonsten gern; aber ich
meine, dass jetzt genug gesagt worden ist. Ich bin der
Auffassung, dass wir mit dieser Debatte zum Ende kommen sollten. Selbst wenn ich noch Redezeit habe, verzichte ich jetzt gern darauf. Die Bundesregierung hat die
Möglichkeit, im Finanzausschuss und im Haushaltsausschuss alle Fragen zu beantworten
({0})
- natürlich auch hier, Herr Kollege Koppelin -, weil niemand etwas zu verbergen hat.
({1})
Vor allen Dingen müssen wir uns damit beschäftigen
- dies soll im April in London geregelt werden -, wie
wir in Zukunft den Finanzmarkt stärker regulieren, kontrollieren und für ihn im Interesse des Gemeinwohls Verhaltensregeln aufstellen.
({2})
Ich bin gespannt, ob die FDP diesen Vorschlägen dann
tatsächlich folgen wird.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/12130 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den Finanzausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 sowie Zusatzpunkt 9
auf:
21 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Sicherheit, Stabilität und Demokratie im Südkaukasus fördern
- Drucksache 16/12102 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Marieluise Beck ({1}), Volker
Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratie und Sicherheit im Südkaukasus
stärken
- Drucksache 16/12110 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Meckel, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir widmen uns jetzt einer Region in unserer
europäischen Nachbarschaft, die im letzten Jahr die
ganze Welt in Schrecken versetzt hat, und zwar als in
Georgien ein Krieg ausbrach - für manche Insider nicht
ganz unerwartet, aber insgesamt doch unerwartet -, der
viele Fragen aufgeworfen hat und der uns bis heute nicht
in Ruhe lässt, weil die Folgen in keiner Weise bearbeitet
oder ausgestanden sind.
Ich halte es für wichtig, die kurz vorher vom Bundesaußenminister in Bezug auf Abchasien gestartete Versöhnungsinitiative hervorzuheben, die nicht nur damals
unmittelbar durch die Konfliktparteien im Rahmen des
Krieges und seiner Folgen beiseitegewischt wurde, sondern auch speziell durch die spätere Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland, welche wir
in keiner Weise akzeptieren können.
Ich finde es wichtig, dass wir heute über unseren Antrag diskutieren und dass sich Bündnis 90/Die Grünen
mit einem eigenen Antrag der damit verbundenen Intention angeschlossen haben. Denn wir dürfen diese Region
nicht aus dem Auge verlieren, indem wir gewissermaßen
einfach zum außenpolitischen Tagesgeschäft zurückkehren. Krisen haben wir in anderen Bereichen genug; darüber ist auch in der vorigen Debatte intensiv diskutiert
worden.
Dass wir hier aufmerksam bleiben, ist aus vielerlei
Gründen wesentlich. Erstens ist der Südkaukasus weiterhin eine Region voller Krisen und Konflikte, die keineswegs eingefroren sind, wie von manchen über Jahre hinweg behauptet wurde. Zweitens ist es eine Region, die
eine Verbindung zu Zentral- und Südwestasien darstellt
und nicht zuletzt für unsere Energieversorgung von Bedeutung ist. Im Laufe der letzten anderthalb Jahre haben
wir deutlich gemerkt, wie notwendig es ist, dass wir in
unserer Energieversorgung unabhängig von Russland
werden. Vor diesem Hintergrund spielt die NabuccoPipeline eine Rolle, die wesentlich mit dieser Region zusammenhängt. Drittens ist es aber auch eine Nachbarregion, die als Kulturregion über Jahrhunderte wesentlich
mit Europa verbunden war und erst im 20. Jahrhundert
durch die jahrzehntelange Einbeziehung in die kommunistische Sowjetunion ein Stück weit aus dem Blickfeld
Europas geraten ist.
Die Nachkriegssituation in Georgien ist keineswegs
beruhigend oder befriedigend. Es gibt verschiedene Initiativen, zum Beispiel die Beobachtermission der Europäischen Union, die eine bedeutende, aber auch sehr
schwierige Arbeit leistet, jedoch nach wie vor keinen
permanenten Zugang zu Südossetien und Abchasien hat.
Glücklicherweise - das ist einer der kleinen Erfolge der
Genfer Gespräche im Februar - wird der Zugang für internationale Beobachter wenigstens bei akuten Vorfällen
ermöglicht,
({0})
und es wurde immerhin ein heißer Draht zwischen den
Konfliktparteien geschaffen. Wir müssen jetzt besonders
darauf achten, dass die Genfer Gespräche in Zukunft
nicht nur für die praktischen Fragen, sondern auch für
die grundsätzlichen Fragen einen angemessenen Rahmen bieten. Da wird noch viel Arbeit nötig sein, insbesondere um Russland davon zu überzeugen; denn bisher
war man nicht bereit, einen neuen Termin festzulegen.
Russland ist in besonderer Weise zu konstruktiver Zusammenarbeit aufgerufen. Angesichts der russischen
Politik und insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Vorschlags, die europäische Sicherheitsarchitektur
miteinander zu diskutieren, sollte Russland sehr genau
prüfen, ob gerade das Verhalten im Südkaukasus einem
solchen Anliegen - das man durchaus diskutieren kann wirklich förderlich ist. Wenn Russland die OSZE, die es
der NATO als Sicherheitsorganisation vorzieht und für
deren Stärkung es sich stets eingesetzt hat - es ist immerhin eine gesamteuropäische Organisation -, immer
wieder in ihrer Arbeit behindert, sodass die OSZE-Mission in Georgien nicht fortgesetzt werden kann, sondern
nur eine Militärmission für eine begrenzte Zeit erfolgt,
dann ist das, wie ich denke, ein wirkliches Problem.
Russland hat an anderer Stelle nach dem Krieg
- durchaus mit dem Interesse, sein Image zu verbessern;
aber das ist ja legitim - die Präsidenten Alijew aus Aserbaidschan und Sarkissjan aus Armenien eingeladen, um
eine Friedensinitiative zu starten. Nun müssen wir deutlich sagen: Das darf keine Eintagsfliege sein, sondern
das muss nachhaltig sein. Hier ist etwas mehr Initiative
nötig. Insbesondere ist es wichtig, solche Initiativen mit
den Partnern in der Minsk-Gruppe abzusprechen und
nachhaltig voranzubringen.
({1})
Gerade der Berg-Karabach-Konflikt ist kein eingefrorener Konflikt. Vielen ist hierzulande nicht bewusst, dass
es fast jede Woche zu Zwischenfällen kommt und dass
es dabei auch Tote und Verwundete gibt. Die MilitärausMarkus Meckel
gaben sind - insbesondere in Aserbaidschan, aber durchaus auch in Armenien - immens, und manche Töne, die
man hört - ebenfalls in erster Linie aus Aserbaidschan;
glücklicherweise sind solche Töne nach dem Konflikt im
letzten August seltener zu hören -, dass man das nur militärisch lösen könne, müssen einem Sorge bereiten.
Deshalb müssen wir darauf dringen, dass die Konflikte,
insbesondere dieser Konflikt, friedlich politisch gelöst
werden. Auch wir müssen hierfür mehr Initiativen ergreifen.
({2})
Schwierig scheint mir, dass die Gesellschaften in beiden Ländern nicht wirklich auf eine Lösung vorbereitet
werden. Wenn man die beteiligten Politiker fragt, über
welche möglichen Kompromisse in ihrem Land diskutiert wird, dann muss man feststellen, dass nicht viel vorgebracht werden kann. Beide Gesellschaften werden auf
die Maximalpositionen eingeschworen. Das ist ein wirkliches Problem.
Gut ist, dass sich im Verhältnis zwischen Armenien
und der Türkei inzwischen einiges bewegt. Auch auf der
Münchner Sicherheitskonferenz wurde deutlich: Nach
dem beachtenswerten Besuch von Präsident Gül in Armenien anlässlich eines Fußballspiels hat es eine Fülle
von Kontakten auf verschiedenen Ebenen gegeben. Man
hat Stillschweigen bewahrt. Gleichzeitig muss man aber
auch sagen, dass man noch nichts Konkretes gesehen
hat.
Wir unterstützen insbesondere die Hoffnung in diesem Land, dass dies zu einer Normalisierung, zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und dann auch zu
einer Grenzöffnung führt, die übrigens nicht nur für Armenien, sondern auch für den Osten der Türkei von zentraler Bedeutung ist. Es ist in Europa zu wenig bekannt,
dass es auch aus dem Osten der Türkei immer wieder
Initiativen gegenüber der eigenen Regierung gegeben
hat, diese Grenze zu öffnen und damit im Hinblick auf
die wirtschaftliche Entwicklung einen wesentlichen
Schritt voranzukommen.
Ich möchte hier deutlich unterstreichen: Der Schlüssel für die Bewältigung der Situation ist die Realisierung
der Demokratie. Dies geht alle drei Staaten an. In Georgien hat es nach dem Krieg zwar einen gewissen Burgfrieden innerhalb des Landes gegeben; aber inzwischen
ist auch dort der Streit wieder ausgebrochen. Es ist die
Frage zu stellen, ob die demokratischen Institutionen
wirklich funktionieren. Diese Frage ist auch hier mit
Nein zu beantworten.
Aber auch Aserbaidschan und Armenien sind von
großen Demokratiedefiziten geprägt. Die letzten Wahlen
sind in Legitimation und Verlauf fragwürdig. Übrigens:
Wenn man feststellt, dass man im Hinblick auf die Auswertung der Langzeitbeobachtung nachjustieren muss
- das ist uns in der OSZE mehrfach passiert -, dann
muss man sich fragen, ob die OSZE-Beobachtung richtig ausgestaltet ist. Wir sollten dieses Instrument, wie ich
finde, noch einmal genauer betrachten und größten Wert
darauf legen, dass es sich wirklich um eine Langzeitbeobachtung handelt, dass rechtzeitig Visa ausgestellt
werden und man strategischer vorgeht.
Ich möchte mit dem Blick darauf schließen, dass gerade Armenien und Aserbaidschan, die beiden Konfliktpartner im Hinblick auf den Berg-Karabach-Konflikt,
aufgefordert werden müssen, nicht nur die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, sondern in Zukunft ein
Parlament zu schaffen, das die Bevölkerung wirklich repräsentiert, Oppositionsparteien zuzulassen, sie arbeiten
zu lassen und ihnen einen Zugang zu den Medien zu
schaffen sowie - ich glaube, das ist ganz besonders
wichtig - die politischen Gefangenen freizulassen; denn
die jetzige Situation ist in keiner Weise akzeptabel.
Wir sollten uns diesen Ländern mit Aufmerksamkeit,
Engagement, Hilfe durch die EU und auch bilateral zuwenden. In den Fragen der Demokratie sollten wir immer klare Positionen vertreten.
Ich danke Ihnen.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Link, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir, die FDP, begrüßen es, dass CDU/CSU und SPD sowie die Grünen Anträge zum Südkaukasus vorgelegt haben. Wir hatten einen eigenen Antrag eingebracht, über
den wir im Dezember letzten Jahres ausführlich diskutiert haben. Heute haben wir das nicht wiederholt, um
nicht aus rein formalen Gründen das Gleiche noch einmal zu behandeln. Wichtig ist, dass das Thema diskutiert
wird, und in den Ausschussberatungen werden wir ja
auch noch darüber debattieren. Vielleicht schaffen wir es
ja dann doch noch, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten.
Wir haben in unserem Antrag damals ausdrücklich
betont, dass die Entwicklung im Südkaukasus leider weit
vom Idealzustand entfernt ist; wir alle wissen das. Wir
haben damals gesagt, dass unsere Verweise auf die
Rechtsstaatlichkeit, die Medienfreiheit, die Einhaltung
der Menschenrechte und nachhaltige politische und wirtschaftliche Reformen keine wohlfeilen Ratschläge an die
drei Staaten sind, sondern dass das die Standards sind
- das müssen wir ausdrücklich sagen -, die diese drei
Staaten als Vollmitglieder im Europarat und als vollwertige Teilnehmer an der OSZE unterschrieben haben.
({0})
Diese Punkte sind keine Rhetorik; es handelt sich um die
selbst eingegangenen Verpflichtungen, an die wir diese
Michael Link ({1})
drei wichtigen Partner immer wieder erinnern, auch
wenn es unbequem ist.
Wir haben dieses klare Bekenntnis, das wir leider bisher immer wieder mit wenig Erfolg angemahnt haben, in
Ihrem Antrag gefunden, Herr Meckel. Aber gestatten Sie
mir den Hinweis: Ich finde, der Antrag verliert sich in
manchen Punkten ein bisschen in Beliebigkeit. Der Antrag der Grünen ist sehr viel konkreter. Deshalb bin ich
gespannt, wie wir in der Phase der Ausschussberatungen
weiterkommen.
Der Rückblick auf 2008 zeigt die massive Verschlechterung der Situation im Südkaukasus. Die Konsolidierung autoritärer Strukturen ist in diesen drei Staaten leider immer noch im Gange. Ich habe den Eindruck,
wir gehen in der Diskussion von einer Transformation
im Sinne einer linearen Bewegung aus. Es ist aber eher
eine Spirale pseudodemokratischer, aber auch autoritärer
Entwicklungen. Das kann uns nicht zufriedenstellen, vor
allem dann nicht, wenn es um Vollmitglieder des Europarats geht.
Der verheerende russisch-georgische Krieg im August 2008 hat gezeigt, wie sehr die drei südkaukasischen
Staaten im Guten wie im Schlechten miteinander verbunden sind. Denn es ging beileibe nicht nur um Georgien und Russland. Auch Armenien und Aserbaidschan
haben massiv darunter gelitten. Für beide waren wichtige Transportwege für längere Zeit unterbrochen. Das
zeigt, wie eng alles zusammenhängt. Deshalb müssen
wir dringend berücksichtigen, dass die regionale Vernetzung zwischen den drei Staaten das Gebot der Stunde ist.
Das ist ein weiter Weg, der aber beschritten werden
muss.
Ein demokratischer, stabiler und wirtschaftlich prosperierender Kaukasus ist aus unserer Sicht essenziell,
um tatsächlich dauerhafte Friedenslösungen finden zu
können. Die Lösung dieser Konflikte ist allerdings mit
der Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und
Südossetiens durch Russland unnötig und zur Unzeit
enorm erschwert worden. Russlands Missachtung der
völkerrechtlichen Prinzipien der territorialen Integrität
und Souveränität war - vorsichtig ausgedrückt - wenig
professionell und gerade auch mit Blick auf die eigene
Situation Russlands im Nordkaukasus sehr unbedacht.
({2})
Es bleibt abzuwarten, wie sich das weiterentwickelt.
Insofern sind deutliche Worte auf der einen Seite gegenüber Russland angebracht, das die territoriale Integrität Georgiens verletzt, aber auch gegenüber Armenien,
das die territoriale Integrität Aserbaidschans verletzt.
20 Prozent des Territoriums Aserbaidschans sind völkerrechtswidrig besetzt. Auch dieser Zustand ist nicht haltbar.
({3})
Wenn wir aber fordern, die territoriale Integrität zu respektieren, dann muss auch die andere Seite mitmachen „it takes two to tango“, wie es so schön heißt. Das heißt,
Georgier und Aserbaidschaner müssen sich gegenüber
den abtrünnigen Territorien so attraktiv verhalten, dass
durch vertrauensbildende Maßnahmen zumindest wieder
eine Gesprächsbasis entsteht und langfristig vielleicht
wieder über Kooperationsmodelle geredet wird.
Rhetorik reicht also nicht aus; es gehört auch der
wirkliche Wille der anderen Seite dazu, sich so zu verhalten, dass wieder Vertrauen für eine Zusammenarbeit
zum Beispiel der Abchasen und Südosseten mit Georgien und der Karabacher mit Aserbaidschan entstehen
kann. Ich weiß, dass das ein sehr weiter Weg ist, aber wir
müssen ihn einfordern.
Gestatten Sie mir den Hinweis auf die Aktualität des
Ganzen. Man gewinnt manchmal den Eindruck, dass
sich die Geschichte fast wiederholt. Im Windschatten der
globalen Krise vollzieht sich zurzeit eine langsame Eskalation: Säbelrasseln auf beiden Seiten bis in die Einzelheiten wie Überflug über fremdes Territorium und
Verletzung der Souveränität. All das, was sich im April/
Mai letzten Jahres massiv zugespitzt hat und später in
den russisch-georgischen Krieg mündete, wiederholt
sich jetzt weitgehend im Windschatten anderer Ereignisse.
Gerade heute läuft über den Ticker, dass Russland
plant, zusätzlich zu der schon beschlossenen Marinebasis am Schwarzen Meer in Abchasien eine auf 49 Jahre
gepachtete Militärbasis zu eröffnen. Das sind Schritte einer weiteren Eskalation, die absolut nicht ins Weltbild
passen. Deshalb müssen wir gegenüber den russischen
Partnern deutlich machen - ich hoffe, dass die Bundesregierung das auch massiv tut -, dass dies das Letzte ist,
was wir brauchen können. Das Letzte, was wir als Europäer für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
brauchen können, ist ein weiterer sich langsam anheizender Konflikt, bei dem einige im Windschatten anderer Krisen versuchen, vermeintliche Lösungen zu finden.
({4})
Hier müssen wir aufpassen; denn die Kriegsgefahr im
Südkaukasus ist nicht gebannt.
({5})
Die Östliche Partnerschaft ist zurzeit das Gebot der
Stunde. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen,
sprechen das in Ihrem Antrag an. Ich hätte mir aber einen deutlicheren Hinweis gewünscht; denn die Stimmen,
die wir aus dem Rat in Brüssel hören, wenn es darum
geht, wie Frankreich und Deutschland agieren, legen die
Vermutung nahe, dass das aus unserer Sicht sehr wichtige Konzept der Östlichen Partnerschaft von Anfang an
verwässert wird. Die Östliche Partnerschaft stellt eine
Weiterentwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik dar.
({6})
Russland wollte nicht, obwohl wir es immer angeboten
haben, an der ENP teilnehmen. Wir verhandeln mit
Russland über ein ganz wichtiges Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen. Aber wir sollten diese beiden
Michael Link ({7})
Formate nicht vermischen; das ist außerordentlich wichtig. Es handelt sich um zwei verschiedene Formate.
({8})
- Herr Weisskirchen, die Stimmen, die wir aus dem Rat
hören, sind ziemlich eindeutig. Eine Vermischung gefährdete beide Formate.
Wir wollen den Erfolg der Östlichen Partnerschaft.
Wir sollten daher diese Partnerschaft mit sechs Partnerländern, darunter drei südkaukasische - so ist es geplant -,
nicht von Anfang an verwässern. Wir sollten diese Partnerschaft wie geplant zu einer bilateralen Partnerschaft
ausbauen und testen, wozu die drei südkaukasischen Gesellschaften im Rahmen der Partnerschaft wirklich bereit
sind. Es geht um Menschenrechte, Demokratie und Medienfreiheit. Dorthin wollen wir diese Länder führen; das
alles steht auf dem Spiel.
Herr Kollege Link!
Hier können wir etwas erreichen, wenn wir gemeinsam an der Östlichen Partnerschaft arbeiten.
Ich danke für die Geduld, Frau Präsidentin.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schon erwähnt worden: Der Krieg zwischen Russland und Georgien hat die Aufmerksamkeit
der ganzen Welt auf Südkaukasien gelenkt und jedermann drastisch vor Augen geführt, dass die dort beheimateten Konflikte keinesfalls „frozen“ sind, wie sie umschrieben werden, sondern sehr schnell in heiße Kriege
umschlagen können. Damit sind sie für den Frieden in
diesem Teil der Welt höchst gefährlich.
({0})
Daher ist es nicht nur angebracht, sondern höchste Zeit,
dass sich nach der UNO, dem Europaparlament, dem
Plenum des Europarats und anderen Parlamenten heute
der Deutsche Bundestag mit der Situation in und unseren
Beziehungen zu den Staaten dieser Region befasst.
Seit dem Waffenstillstand von 1994 hält Armenien
rund 20 Prozent der Fläche des Nachbarn Aserbaidschan
besetzt; neben dem von Aserbaidschan beanspruchten
Gebiet Berg-Karabach unstreitig aserbaidschanisches
Territorium. Bis heute haben weder Resolutionen der
UNO und anderer multinationaler Gremien noch bilaterale Appelle die armenische Regierung dazu bewegen
können, eine friedliche Lösung des Konflikts endlich
ernsthaft in Angriff zu nehmen. Jetzt allerdings, da der
Krieg um Südossetien und Abchasien die gefährliche
Brisanz solcher Konfliktlagen für alle sichtbar gemacht
hat, sollten alle Staaten, die dazu einen Beitrag leisten
können, die Beteiligten nachhaltig zu einer endgültigen
Lösung drängen. Auch die Bundesrepublik kann dazu einen wirksamen Beitrag leisten.
({1})
Eine Lösung dieses Problems liegt im Übrigen in unserem ureigenen Interesse. Der Südkaukasus hat nicht
nur eine wichtige Brückenfunktion im Hinblick auf Europa und Asien. Mit seinem Reichtum an Öl und Gas
können gerade Aserbaidschan und die Staaten jenseits
des Kaspischen Meeres dazu beitragen, unsere bekanntermaßen schon gefährliche Abhängigkeit von Russland
bei der Versorgung mit diesen lebenswichtigen Rohstoffen zu vermindern. Mit der Nabucco-Pipeline gibt es
eine konkrete, baureife Planung in dieser Richtung.
Für den Weg zur Lösung gibt es bewährte Regeln
- darauf ist gelegentlich schon hingewiesen worden -,
auf die sich die Völker aufgrund leidvoller Erfahrungen
geeinigt haben, nämlich die Regeln des Völkerrechts.
Die Geschichte lehrt uns, dass es insbesondere ein bestimmtes Völkerrecht ist, das geradezu konstitutiv für
das friedliche und gedeihliche Zusammenleben von Völkern und Staaten ist. Damit meine ich die strikte Achtung der territorialen Integrität der Staaten und das Verbot gewaltsamer Veränderungen von Grenzen.
({2})
Überall dort, wo dieses fundamentale Völkerrechtsprinzip verletzt wird - genauso wie im Fall Berg-Karabach -,
werden Tausende oder sogar Millionen Menschen zu
Flüchtlingen, leben die Familien generationenlang in
Not und Elend, wachsen sich Trauer und Entsetzen zu
Hass aus und wächst letztlich das Streben nach Rache
und Vergeltung. Damit setzt sich eine teuflische Spirale
in Bewegung, die im Endergebnis meist - siehe das Geschehen in und um Georgien - zu einem neuen Krieg
führt.
Aber nicht nur das unmittelbare Leid der Betroffenen
ist zu beklagen. Vielmehr treten auch kollaterale Schäden auf. Die schwelenden Konflikte behindern oder verhindern gar die gedeihliche und schnelle Entwicklung
der gesamten Region. Angesichts ihrer strategischen
Lage und des Reichtums an dringend benötigten Rohstoffen könnte sie im planmäßigen und friedlichen Zusammenwirken ein für ihre Völker geradezu goldenes
Zeitalter schaffen, wenn sie sich dazu bereitfänden.
Meine Damen und Herren, der Südkaukasus muss den
schwierigen Weg zur Bereinigung der dortigen Probleme
nicht ganz alleine gehen. Sowohl die EU als Institution
mit den Instrumenten ihrer Nachbarschaftspolitik und ihrem speziellen Konzept von einer östlichen Partnerschaft
als auch einzelne Staaten wie etwa Deutschland helfen
dabei. Mit dem Angebot der EU sind sehr konkrete Perspektiven verbunden, zum Beispiel letztlich das Modell
der Assoziierung. Dieses beinhaltet wiederum im Detail
attraktive Verbesserungen für die Bevölkerung, so etwa
Erleichterungen beim Erhalt von Visa, mehr Rechtssicherheit durch den Aufbau verlässlicher Rechtsstaatlichkeit oder etwa gemeinsame Anstrengungen im Umwelt-,
Klima- und Naturschutz.
Unser Antrag gibt, glaube ich, die Breite und Vielgestaltigkeit unseres Angebots sehr gut wieder. Auch die
im Paket enthaltenen humanitären Hilfen für die insgesamt 1 Million Flüchtlinge und Binnenvertriebenen und
die Unterstützung etwa beim Ausbau der Infrastruktur
kämen nicht nur dem Staat, sondern gerade dem einzelnen Menschen persönlich zugute. Ich möchte deshalb
die drei Staaten im Südkaukasus ausdrücklich auffordern, sich auf diese intensive Zusammenarbeit auch einzulassen und die gegebenen Instrumente dynamisch und
nachhaltig zu nutzen.
({3})
Wir dürfen allerdings nicht übersehen, dass es noch
andere Mitspieler gibt, ohne deren konstruktive Mitwirkung sich Probleme wie die mit Berg-Karabach praktisch nicht lösen lassen. Damit meine ich vor allem
Russland. Auch Russland sollte sich im eigenen Interesse an der Lösung beteiligen. Dabei dürfen die Verantwortlichen in Moskau ruhig daran denken, dass es auch
für sie selbst von großem Vorteil sein kann, gute Beziehungen zu prosperierenden Staaten in der Nachbarschaft
zu pflegen. Denn auch das lehrt die Geschichte: Von
friedlichen und geordneten Verhältnissen profitieren immer beide Seiten, also ebenso die Nachbarstaaten.
({4})
Außerdem verschaffen solche positiven Schritte weltweit Reputation, Respekt und Anerkennung und schaffen nicht Misstrauen und Ablehnung, wie dies im Falle
der Abspaltung von Südossetien und Abchasien von Georgien eben der Fall ist. Es ist eigentlich geradezu peinlich für das große Russland, dass außer ihm selbst nur
das ferne Nicaragua das Ergebnis des russischen Eingreifens völkerrechtlich anerkannt hat.
({5})
Selbst im Kreise angeblich befreundeter Staaten wie
der in der Schanghai-Gruppe stießen die Russen auf
strikte Ablehnung und waren total isoliert.
({6})
Meine Damen und Herren, wenn schon die Argumente des Völkerrechts die Russen nicht überzeugen,
bleibt zu hoffen, dass zumindest diese miserable Bilanz
sie davon überzeugt, dass sie mehr davon haben, an einer
vernünftigen Lösung mitzuwirken, statt die Lösung vor
und hinter den Kulissen zu blockieren und zu hintertreiben. Um ein wenig zu dieser Bereitschaft beizutragen,
haben wir uns die Möglichkeit dieser Debatte geschaffen. Ich plädiere sehr dafür, dass wir unsere Aufmerksamkeit weiterhin auf dieses Gebiet der Welt richten. Ich
glaube, eine solche Aufmerksamkeit kann ein Mittel
sein, das dazu beiträgt, dass die dort vorhandenen Probleme tatsächlich gelöst werden können.
Vielen Dank.
({7})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hakki Keskin, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach der FDP und der Linken haben nun auch
die Koalitionsfraktionen und die Grünen darüber nachgedacht, wie Frieden und Stabilität im Südkaukasus gefördert werden können. Leider bleiben jedoch der Koalitionsantrag, aber auch der Antrag der Grünen in einigen
wesentlichen Punkten zu vage und unzureichend.
Wie ist die Situation? Infolge des georgisch-russischen Krieges im August 2008 sind Abchasien und Südossetien von Russland und Nicaragua als unabhängige
Staaten anerkannt worden. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass der Westen mit der Anerkennung des
Kosovo möglicherweise eine entsprechende Vorlage für
dieses Vorgehen geliefert hat.
({0})
Fakt ist: Georgien wurde vor allem von den USA
massiv aufgerüstet und mit einer NATO-Beitrittsperspektive versehen, um die militärische Einkreisung Russlands fortzusetzen. Diese Politik der Bush-Administration war und bleibt falsch,
({1})
da sie den Geist des Kalten Krieges atmet. Vor diesem
Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass die Koalitionsfraktionen am NATO-Beitritt Georgiens festhalten
wollen. Dabei mehren sich selbst in den USA in der
neuen Administration unter Obama kritische Stimmen,
die für ein Umdenken plädieren.
Die Linke empfiehlt die kooperative Einbindung Russlands in eine europäische Sicherheitspolitik - ich bin davon überzeugt, dass eine solche neue Strategie gerade für
die Sicherheit Westeuropas von sehr großer Bedeutung
ist - und darüber hinaus den Verzicht auf die Aufnahme
Georgiens in die NATO. Radikale Abrüstungsvorschläge
hat neuerdings auch Obama gemacht. Zuvor hat sich auch
Russland für radikale Abrüstungsvorschläge ausgesprochen. In diesem Sinne sollten wir unsere Bemühungen
fortsetzen, um den Aufbau eines neuen regionalen Sicherheitssystems im Südkaukasus zu ermöglichen.
Dies ist dringend notwendig, auch um einen erneuten
Ausbruch des ungelösten Berg-Karabach-Konflikts zu
verhindern, wie die vorangegangenen Redner zu Recht
unterstrichen haben. Die Moskauer Erklärung der Präsidenten Armeniens, Aserbaidschans und Russlands über
einen Gewaltverzicht ist ein wichtiges Signal, das unterstützt werden sollte.
Der Berg-Karabach-Konflikt muss, bevor es zu einer
neuerlichen Eskalation kommt, friedlich und nach völkerrechtlichen Prinzipien beigelegt werden. Meine Kollegen Markus Meckel und Herr Lintner haben sich
hierzu schon geäußert. Übrigens bemüht sich diesbezüglich auch die Türkei um die Entschärfung dieser Konfliktlage und um eine friedliche Lösung dieses Problems.
Wir schlagen Folgendes vor. Erstens. Zwischen den
Konfliktparteien müssen vertrauensbildende Maßnahmen
vereinbart werden. Zweitens. Die armenischen Truppen
müssen aus den besetzten Gebieten um Berg-Karabach
schnellstmöglich und vollständig abgezogen werden. Es
wurde hier schon gesagt, dass immerhin rund 20 Prozent
des Territoriums Aserbaidschans von Armenien besetzt
sind.
Im Gegenzug muss es Sicherheitsgarantien der OSZE
geben, damit die über 1 Million Flüchtlinge beider Seiten in ihre Heimatorte zurückkehren können. Drittens
muss Berg-Karabach ein Höchstmaß an Autonomie unter Wahrung der territorialen Integrität Aserbaidschans
gewährt werden. Alternativ dazu wären auch einvernehmliche Gebietsaustausche möglich.
Das Ziel müsste sein, einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden Kulturnationen Armenien und Aserbaidschan zu ermöglichen. Dies würde zur Entspannung
nicht nur in dieser Region, sondern darüber hinaus auch
in der Welt beitragen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will am Anfang das unterstreichen, was auch
Michael Link gesagt hat. Wenn man sich die Situation an
den Grenzen von Südossetien und Abchasien anschaut,
dann stellt man fest, dass sie dramatischer ist, als es häufig in Westeuropa wahrgenommen wird. Deshalb ist es
gut, dass wir heute über die Situation diskutieren und
versuchen, unsere national-deutschen Kräfte, die wir haben, mit den Kräften der Europäer, aber auch mit all denjenigen zu bündeln, die an diesem Konflikt beteiligt
sind, um zu Lösungen zu kommen.
Wir brauchen eine Deeskalation, weil sich an den
Grenzen Georgiens ein neuer Konflikt aufbaut. Wir müssen sehr viel sensibler als in der Vergangenheit darauf
achten, dass dieser Konflikt nicht wieder heißläuft. Das
heißt unter anderem auch, dass wir ein großes Interesse
daran haben müssen, dass dort internationale Beobachtungsstrukturen aufgebaut werden, die mehr Eingriffsmöglichkeiten bieten, als es bei unserer Monitoringmission bisher der Fall ist. Wir brauchen dort eine sehr viel
bessere Präsenz.
({0})
Die Debatte, die wir über den Südkaukasus führen, ist
eine unter Freunden. Der aserische Botschafter ist heute
bei uns, und auch die Vertreter der georgischen Botschaft sind da.
({1})
Das ist ein sehr gutes Zeichen. Wir diskutieren unter
Freunden. Wir haben gemeinsame Interessen, ja, wir haben auch wirtschaftliche Interessen. Wir sind mit dieser
Region solidarisch, und wir haben, was sich in der Mitgliedschaft im Europarat ausdrückt, dieselben Werte, um
die es uns geht. Diese möchte ich in Solidarität, aber
auch mit Kritik ansprechen.
Wenn man in dieser Region Frieden und Stabilität
schaffen will, dann sind Voraussetzung dafür der Aufbau
der Demokratie, die Anerkennung der Minderheitenrechte und die Durchsetzung der Spielregeln des Europarats. In dieser Beziehung gibt es noch Defizite.
({2})
Ein zentraler Punkt - das haben mehrere gesagt -, um
Stabilität herzustellen, ist die Beachtung des Völkerrechts und der territorialen Integrität. Wenn man sich
aber darauf beschränkt, wird man die Konflikte in dieser
Region nicht lösen. Schauen Sie sich die uralten Konflikte zwischen Abchasiern, Georgiern, Osseten usw. an!
Schauen Sie sich die kulturelle Vielfalt des Kaukasus an,
aber auch die Unterschiede der vielen Völker in dieser
Region! Wir werden mit der Forderung nach territorialer
Integrität nur dann Erfolg haben, wenn die Selbstbestimmungsrechte von Minderheiten sichergestellt werden.
Darüber muss miteinander diskutiert werden. Wir werden die Menschen dort nicht zueinanderführen können,
wenn sie das Gefühl haben - das gilt auch für die kleinen
Länder -, von der Mehrheit unterdrückt zu werden. Dieses Gefühl gab es.
({3})
Unsere Solidarität und unsere Erfahrung sind wichtig,
damit dort Fortschritte erzielt werden können.
Eine Schlüsselrolle - das möchte ich zum Schluss ansprechen - wird Russland spielen. Deshalb ist die Integration Russlands in Konfliktlösungsstrategien notwendig. Ich halte es allerdings für falsch, wenn wir als
Europäische Union im Rahmen der Partnerschaft mit
den östlichen Staaten Russland als zweiten großen Partner etablieren. Das wird in dieser Region zu der Wahrnehmung führen, dass zwischen der EU auf der einen
und Russland auf der anderen Seite ein Zwischenraum
existiert, über den die großen Mächte reden. Das kann
nicht unser Interesse sein; vielmehr sind die osteuropäischen Länder und der Südkaukasus gleichberechtigte
Gesprächspartner der Europäischen Union und keine
Verhandlungsmasse zwischen der EU und Russland.
({4})
Das muss sehr deutlich werden.
Wir müssen den Russen klarmachen: Wir unterstützen
Zwei-plus-Eins-Gespräche, wie sie vor kurzem mit dem
Präsidenten von Armenien und dem Präsidenten von
Aserbaidschan in Moskau stattgefunden haben. Das internationale Format - Stichwort: Minsk-Forum - ist die
Konfliktlösungsstruktur.
({5})
Das Ganze darf aber nicht dazu führen - wie jetzt in
Moldau versucht wird -, dass Russland Zwei-plusEins-Formate anwendet und den Schiedsrichter bei der
Lösung dieser Konflikte spielt. Wir brauchen internationale Konfliktlösungsstrategien und -strukturen, in die
alle eingebunden sind. Russland ist nicht der Player, der
dafür sorgen kann.
Ich bewerte Abchasien anders. Aus meiner Sicht hat
Russland im Zusammenhang damit keine Niederlage erlitten. Für die Russen wäre es eine Katastrophe, wenn
Abchasien von allen europäischen Ländern anerkannt
würde und wenn dort, in Abchasien, plötzlich Botschaften aller europäischen Länder wären; das wollen die
Russen nicht. Sie sind mit der Situation der isolierten
Anerkennung durchaus einverstanden; das entspricht
nämlich ihrer Form von Nachbarschaftspolitik. Die russische Sicht ist, dass sich die anderen heraushalten.
Ich glaube, es ist wichtig, den russischen Freundinnen
und Freunden deutlich zu machen: Neoimperiale Strukturen sind konfliktverschärfend. Wir brauchen Konfliktlösungen, und dazu kommt es nur, wenn Akzeptanz vorhanden ist.
Vielen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Steffen Reiche.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Botschafter der Republik Aserbaidschan! Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.
Das ist schon im Hinblick auf Israel und die EU gesagt
worden; es gilt aber auch für den Südkaukasus. Das ist
eine Gegend, wo auf kleinstem Raum besonders viele Ethnien mit verschiedenen Sprachfamilien und Alphabeten
miteinander leben. Die Verständigung dort ist schwierig.
Es hat die südkaukasische Union, viele Jahrzehnte
friedlichen Zusammenlebens, gegeben - bis 1989. Die
EU und Deutschland sind gefordert, sich stärker einzubringen. Es geht im Südkaukasus um den Frieden in
Europa; denn diese drei Länder gehören zu Europa. Sie
brauchen und sie haben eine europäische Perspektive.
Diese drei Länder verbindet der Blick nach Europa, die
Sehnsucht nach den europäischen Werten, nach Wohlstand, nach unserem Rechtssystem und nach der Demokratie. Die europäische Nachbarschaftspolitik war eine
wichtige Entscheidung, und es ist gut, dass dieses Anliegen jetzt in der östlichen Partnerschaft intensiviert wird.
Die europäische Nachbarschaftspolitik und die östliche Partnerschaft sind nicht etwa ein Warteraum, sondern ein Trainingsort, eine Möglichkeit zur Vorbereitung
eines späteren Beitritts. Genauso wie es für die Türkei
eine Beitrittsoption gibt, so gibt es - nach guter Vorbereitung, nach Klärung der Konflikte - eine ebensolche
Perspektive für diese drei Staaten des Südkaukasus.
Diese Länder sollten die europäische Nachbarschaftspolitik nutzen, um die Rechtsangleichung Stück für
Stück voranzutreiben. Man kann den Acquis communitaire in diesen Ländern auch schrittweise einführen und
damit Voraussetzungen, ja Tatsachen schaffen. Diese
drei Länder können sogar versuchen, mit den türkischen
Bemühungen Schritt zu halten bzw. die Türkei in diesem
Prozess in manchen Bereichen zu überholen.
Meine Fraktion unterstützt und anerkennt in besonderer Weise das Bemühen der Türkei um Lösungen in dieser Region, also die Kaukasus-Plattform, vor allem den
Prozess, der zwischen Ankara und Jerewan mittlerweile
in Gang gekommen ist und der hoffentlich noch in diesem Jahr zur Öffnung der Grenzen führen wird, zu diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien und der damit eine neue Basis für den Handel
zwischen beiden Ländern darstellt.
({0})
Russland ist gefordert, gerade weil die Region für
Russland so wichtig ist und sozusagen als weicher Unterleib Russlands gilt. Daher muss Russland seine eigenen Bemühungen in dieser Region intensivieren und dabei im Blick behalten, dass weder die europäische
Nachbarschaftspolitik noch die östliche Partnerschaft
gegen Russland gerichtet sind; vielmehr sind sie der notwendige Beitrag zur Konfliktlösung. Wir leisten damit
für diese drei Mitgliedsländer des Europarats unseren
Beitrag als Partner im Europarat. Russland sollte die
Entwicklung nicht behindern, sondern eigene Impulse
geben.
Das Prinzip der territorialen Integrität von Staaten gilt
natürlich auch im Südkaukasus, sowohl für Georgien als
auch für Aserbaidschan; für Georgien im Verhältnis zu
Russland, für Aserbaidschan im Verhältnis zu Armenien.
Die Provinzen müssen so schnell wie möglich an Aserbaidschan zurückgegeben werden.
({1})
Eine maximale Autonomie für Nagornij Karabach und
die Zukunft des Gebietes müssen dann in einem Friedensvertrag geregelt werden.
({2})
Das ist im aserbaidschanischen, im armenischen und im
europäischen Interesse, weil sich Zeitfenster irgendwann
schließen, zum Beispiel für die Entscheidung über die
Nabucco-Pipeline. Es wäre für alle von Vorteil, wenn
diese Pipeline durch Armenien geführt werden könnte.
Aber das ist erst nach einem Friedensvertrag möglich.
Armenien ist im Prozess der europäischen Nachbarschaftspolitik besonders erfolgreich. Das soll und muss
Steffen Reiche ({3})
anerkannt werden. Zugleich - das darf konstatiert werden - schreitet die Anerkennung der Katastrophe für das
armenische Volk von 1915 als Genozid weiter voran.
Die Friedenslösung ist ein Fortschritt für alle, aber sie ist
nicht ohne Zumutungen für alle möglich. Die Zivilgesellschaften sind darauf leider viel zu wenig vorbereitet.
Die beiden Präsidenten haben hierbei eine zentrale Aufgabe.
Wir als Europäische Union müssen uns in besonderer
Weise darum bemühen, dass es Visaerleichterungen gibt,
wie sie im Sommer des vergangenen Jahres in Aussicht
gestellt worden sind. Deshalb bitten wir das Innenministerium dringend, nun endlich alles in seiner Macht Stehende zu tun, um in der EU die Voraussetzungen dafür
zu schaffen. Es stärkt die Zivilgesellschaft, wenn diese
Erleichterungen auch für die drei Länder des Südkaukasus gelten.
({4})
Das gibt Entwicklungsimpulse und stärkt das Bewusstsein der Bürger dafür, gleichberechtigte Teile der europäischen Völkergemeinschaft zu sein.
({5})
Die Fußballdiplomatie im Sommer hat Bewegung in
völlig verhärtete Beziehungen gebracht. Aserbaidschan
hat sich erfolglos um die Austragung der Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2012 bemüht. Aber warum
sollte nicht für 2016 von zwei oder drei Staaten ein solcher Antrag gestellt werden? Das wäre ein Durchbruch.
Für die südkaukasischen Völker gilt, dass sie selbst
Verantwortung für den Frieden übernehmen müssen. Wir
als Europäische Union, als Bundesrepublik Deutschland
müssen sie unterstützen. Vor allem müssen wir überlegen, wie zu erreichen ist, dass Goethe-Institute und die
politischen Stiftungen in allen drei Ländern präsent sind,
sodass nicht von einem Land aus die beiden anderen
Länder sozusagen mit versorgt werden müssen.
({6})
Ich freue mich, dass Ende dieses Monats Staatsminister Erler die Region besucht. Ich werde für die parlamentarische Freundschaftsgruppe an dieser Reise teilnehmen. Vielleicht kommen wir in diesen Fragen zu kleinen
Fortschritten, die Voraussetzung für größere Fortschritte
sind.
Vielen Dank.
({7})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Manfred Grund von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Länder des Südkaukasus, also Georgien, Aserbaidschan und
Armenien, sind im postsowjetischen Raum die wohl instabilste Region. Am 8. August letzten Jahres ist aus
einem der eingefrorenen Konflikte, dem Konflikt um
Südossetien und Abchasien, nach wechselseitigen Provokationen ein heißer Krieg geworden - mit dem Ergebnis, dass auf mittlere Frist diese Territorien für Georgien
wohl verloren sind, von russischen Truppen besetzt, völkerrechtswidrig anerkannt durch Russland und durch
Nicaragua. Das ist eine Situation, die uns überhaupt
nicht zufriedenstellen kann.
Armenien, Aserbaidschan, Nagornij Karabach, das ist
der zweite eingefrorene Konflikt. 20 Prozent des aserbaidschanischen Territoriums sind besetzt. Es gibt mehr
als eine halbe Million Binnenflüchtlinge. Es gibt Vertreibung. Auch da stehen sich Nachbarn in Feindschaft gegenüber.
Man muss den drei Ländern sagen, dass man sich
seine Nachbarn nicht aussuchen kann. Das gilt für Georgien in Bezug auf Russland. Russland wird immer ein
großer Nachbar sein, nicht der große Bruder, aber ein
großer Nachbar. Das gilt für Aserbaidschan und Armenien in gleichem Maße.
Herr Kollege Keskin hat den Konflikt um Abchasien
und Südossetien mit der Entscheidung verglichen, das
Kosovo völkerrechtlich anzuerkennen. Hier sind Äpfel
mit Birnen verglichen worden.
({0})
Warum? Zum einen hat Russland in Bezug auf Südossetien behauptet, es sei ein Genozid an Südosseten mit russischem Pass verübt worden. Im ehemaligen Jugoslawien hat es tatsächlich einen Völkermord gegeben, auch
in Teilen des Kosovo. Zum anderen ist über den Status
des Kosovo auf der Grundlage der UN-Resolution 1244
mehr als acht Jahre lang - auch unter Mitwirkung von
Russland - verhandelt worden. Letztendlich hat Russland eine Lösung unterhalb der Eigenstaatlichkeit des
Kosovo verhindert, sodass die Situationen nicht miteinander zu vergleichen sind.
Warum haben wir als Deutschland, als Europa ein so
großes Interesse an dieser Region? Es ist unsere Nachbarschaft, und wir haben ein Interesse, das nicht nur auf
Fragen der Stabilität, sondern auch der Energieversorgung beruht.
Die Nabucco-Pipeline ist angesprochen worden.
Aserbaidschan hat sich bereit erklärt, jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Gas zum Transport nach Europa zur
Verfügung zu stellen. Westeuropa braucht jährlich insgesamt 700 Milliarden Kubikmeter Gas. Diese 30 Milliarden Kubikmeter Gas aus Aserbaidschan befreien uns
also nicht von der sehr großen Abhängigkeit von Russland, aber sie diversifizieren die Herkunftsländer bzw.
Herkunftsquellen und machen uns etwas unabhängiger
von russischem Gasvorkommen und russischen Pipelines. Diese Maßnahme ist nicht als gegen Russland gerichtet zu verstehen, aber sie erhöht unsere Versorgungs22626
sicherheit, wie auch die Pipeline durch die Nordsee dies
tun wird.
Die Europäische Union hat nicht nur den Ländern des
Kaukasus, sondern auch den Staaten Osteuropas, die
nicht Mitglied der Europäischen Union sind, eine östliche Nachbarschaft angeboten, also Moldau, der Ukraine,
Weißrussland und auch den Staaten des Kaukasus, um
sie in dem Raum zwischen der Europäischen Union und
Russland nicht preiszugeben. Diese Staaten sind nicht
Vorhof oder Hinterhof Russlands. Wenn sich Georgien
und auch die Ukraine in freier Selbstbestimmung aussuchen wollen, mit wem sie in der Sicherheitsstruktur und
-architektur kooperieren, so ist es das Recht dieser Völker, und Russland hat dagegen kein Veto einzulegen.
Das müssen wir in den Gesprächen gegenüber Russland immer wieder sagen, auch im Rahmen dessen, was
Medwedew, der russische Präsident, als neue europäische Sicherheitsarchitektur an den Horizont gemalt hat,
ohne es mit Inhalten auszufüllen. Es muss klar sein, dass
die Souveränität der Völker zu respektieren ist, ihre
Selbstbestimmung gewahrt bleibt, zu wählen, in welchem Sicherheitsbündnis sie sein möchten, aber auch
welche Entwicklung sie insgesamt nehmen.
Wir als Europäische Union und als Bundesrepublik
Deutschland haben in Form von wirtschaftlicher Kooperation viel anzubieten. Dies betrifft auch den Rechtsstaatsdialog, den Umweltschutz, die Energieeffizienz,
die Energieversorgung, die Energiesicherheit, die Kooperation der Parlamente und die Deeskalation. Es gibt
einige Gesprächsformate - die politischen Stiftungen
sind dabei sehr vorbildlich -, die diese drei Länder zusammennehmen, also Georgien, Aserbaidschan und Armenien, und versuchen, ein wenig Vertrauen zu schaffen.
Das können wir anbieten. Daran sollten wir festhalten.
Die Beratungen der verschiedenen Anträge im Ausschuss, die wir vielleicht noch zusammenführen können,
werden sicher zu einem guten Ergebnis führen, sodass
ich sehr dankbar für die heutige Diskussion und auch für
die Gemeinschaft der Demokraten in diesem Hause bin.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/12102 und 16/12110 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Nicole Maisch, Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Finanzmarktwächter im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher einführen
- Drucksache 16/11916 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Nicole Maisch von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Finanzkrise hat es ans Licht gebracht - wir
haben es hier schon häufiger diskutiert -: Es gibt immer
noch große Defizite im Bereich Verbraucherschutz auf
den Finanzmärkten, beim Thema faire Finanzberatung,
in der Verbraucherbildung und auch bei der Regulierung
der Finanzmärkte. Leidtragende dieser Defizite sind
nicht nur die Banken, sondern vor allem die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die Große Koalition hat mit ersten Maßnahmen reagiert; diese sind nach unserer Ansicht noch etwas zu
dünn.
({0})
Leider kann man in fünf Minuten nicht alle Defizite aufzählen.
({1})
Deshalb möchte ich mich darauf beschränken, darzustellen, was getan werden muss. Wir haben Ihnen ein ganzes
Maßnahmenpaket an Vorschlägen vorgelegt. Einer davon, den ich heute näher erläutern möchte, ist unser grüner Finanzmarktwächter.
Was ist ein Finanzmarktwächter? Ein Finanzmarktwächter ist ein sektorspezifisches Instrument, eine
schlagkräftige Verbraucherschutzorganisation nach britischem Vorbild, die in bestimmten Sektoren - die Briten
haben die liberalisierten Märkte der Daseinsvorsorge,
zum Beispiel die Energie- und Wasserversorgung sowie
das Verkehrswesen, aber auch den Finanzmarkt gewählt tätig ist. Wir unterbreiten Ihnen einen Vorschlag, wie man
dieses britische Modell auf die deutschen Verhältnisse
und unsere bewährten Strukturen von Verbraucherzentralen und vzbv übertragen kann.
Was soll ein Finanzmarktwächter leisten? Er soll das
strukturelle Ungleichgewicht zwischen Banken sowie
Bankkundinnen und -kunden minimieren, er soll proaktiv und bissig den Verbraucherrechten auf den Finanzmärkten mehr Durchschlagskraft verleihen.
Wie soll er das machen? Durch Marktbeobachtung,
durch Verbraucheraufklärung und - auch das stellen wir
uns vor - durch Schlichtung.
Marktbeobachtung ist ein Thema, das in Deutschland
im Moment noch nicht ausreichend funktioniert. Es bedarf einer Organisation, die Fehlfunktionen auf dem
Markt frühzeitig erkennt und diese Erkenntnisse - das ist
das Wichtige - an die zuständigen Regulierungsbehörden weiterleiten kann. Frau Schieder und ich haben im
Verbraucherausschuss bereits darüber diskutiert: Ein Finanzmarktwächter ersetzt nicht die Regulierung, sondern ist so etwas wie ein freundlicher Gegen- oder Mitspieler der Regulierungsbehörden, indem er Maßnahmen
bei diesen anschiebt bzw. diese darauf hinweist, was
denn zu tun ist.
({2})
Die Briten bezeichnen das als „supercomplaint“. Nachdem ich mir schon den Begriff des Marktwächters von
der SPD ausgeliehen habe, möchte ich meiner Hoffnung
Ausdruck verleihen, dass Ihnen auch für den Begriff
„supercomplaint“ noch ein schönes deutsches Wort einfällt.
Thema Verbraucheraufklärung: Wir haben von der
Hotline des vzbv, die das Ministerium im Zuge der Krise
geschaltet hat, erfahren, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher unglaublich wenig über Geldanlagen und
private Altersvorsorge wissen. Das heißt, hier gibt es ein
reales Defizit. Wir brauchen bessere Möglichkeiten der
Verbraucheraufklärung durch Information und Beratung.
Auch die Koalitionsfraktionen haben verschiedene Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel die Einführung eines
Finanz-TÜVs. Hier stellt sich die Frage, wer einen solchen TÜV durchführen soll. Das wäre eine Aufgabe, die
ein solcher Finanz-Watchdog wahrnehmen könnte.
({3})
Lassen Sie mich noch einen Satz zur Finanzierung sagen: Natürlich ist klar, dass Verbraucheraufklärung und
Verbraucherschutz staatliche Aufgaben sind und mit öffentlichen Mitteln gefördert werden müssen. Gerade in
Zeiten, in denen die öffentliche Hand Schutzschirme in
Milliardenhöhe über den Banken aufspannt, ist es aber
durchaus auch an der Zeit, zu fragen, was die Banken im
Gegenzug den Bürgerinnen und Bürgern dafür geben. So
denke ich, dass auch die Banken, der betroffene Sektor,
sich an der Finanzierung der Tätigkeit eines solchen
Marktwächters beteiligen sollten.
({4})
Der Finanzmarktwächter ist keineswegs als Kritik an
dem gedacht, was wir in Deutschland bisher an gut funktionierenden Strukturen im Verbraucherschutz haben,
sondern er ist eine Weiterentwicklung, ein sektorspezifisches Instrument unter dem Dach von Verbraucherzentralen und vzbv. Die Verbraucherzentralen haben mit der
Verbraucherzentrale Finanzen ein ähnlich strukturiertes,
sektorspezifisches Modell vorgelegt. In diese Debatte
fügt sich unser Marktwächter also hervorragend ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Abschluss sagen: Jährlich gehen den Privathaushalten 20 Milliarden Euro durch falsche Finanzberatung
verloren. Da muss die Politik reagieren, sonst laufen wir
Gefahr, dass breite Bevölkerungsschichten das Vertrauen
in die privaten Vorsorgesysteme, aber auch in die Gestaltungskraft von Politik in diesem Bereich verlieren. Das
sollten wir auf keinen Fall riskieren.
({5})
Der Verbraucherschutz stärkt das Vertrauen in die Finanzmärkte. Funktionierende Finanzmärkte gibt es nicht
ohne Vertrauen. Deshalb bitte ich Sie in den nun folgenden parlamentarischen Beratungen um wohlwollende
Prüfung unseres Konzepts. Sie haben einige, aber immer
noch zu wenige unserer Konzepte aufgenommen. Ich
denke, den vorliegenden Vorschlag werden Sie wohlwollend prüfen und dann in die Tat umsetzen.
Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt Segner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin
von den Grünen, wir von der CDU/CSU nehmen den
Verbraucherschutz auf dem Finanzmarkt sehr ernst. Das
gilt auch für die Bundesregierung. Deshalb hat die Bundeskanzlerin zu Beginn der Bankenkrise im vergangenen
Jahr den Bürgerinnen und Bürgern zugesagt, dass ihre
Konten und ihre Sparbücher auf den Banken in Deutschland sicher sind.
({0})
Am Ende des Jahres 2008 hat die Bundesregierung
ein 480-Milliarden-Euro-Paket geschnürt, um Banken zu
stützen und um für Vertrauen zu werben. Die Mehrheit
dieses Hauses hat diesem Paket zugestimmt. Wenn wir
draußen in unseren Wahlkreisen unterwegs sind, fragen
uns die Menschen mit Recht: Für Banken und Manager
habt ihr viel getan, aber was macht ihr für uns, für den
kleinen Mann und für den Verbraucher?
({1})
- Ja, auch die kleine Frau.
Wir haben das 480-Milliarden-Euro-Paket nicht für
die Manager geschnürt, sondern gerade für den kleinen
Mann und den Verbraucher, damit ihre Ersparnisse sicher sind.
({2})
Das zweite Paket haben wir zur Unterstützung der Wirtschaft, des Mittelstandes und des Handwerks beschlossen. Es hilft aber auch dem Verbraucher, weil es Arbeitsplätze sichert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch Deutschlands gab es zwei Männer, die eine besondere Vision hatten: Konrad Adenauer hatte die Vision
„Nie wieder Krieg!“.
({3})
Das ist nur mit einem vereinten Europa zu erreichen.
Ludwig Erhard hatte die Vision „Nie wieder Hunger!
Wohlstand für alle!“. Das geht nur - davon war er überzeugt - mit der sozialen Marktwirtschaft.
({4})
- Ich komme nachher noch darauf zu sprechen.
Wenn wir in diesem Jahr 60 Jahre Grundgesetz und
60 Jahre Bundesrepublik Deutschland feiern, dann heißt
das 60 Jahre - zumindest für den westlichen Teil
Deutschlands - Frieden und Freiheit.
({5})
Den heutigen Wohlstand haben uns nicht Enteignungen,
die Planwirtschaft und schon gar nicht der Kommunismus gebracht, sondern die soziale Marktwirtschaft und
der Fleiß der Bürger in diesem Land.
({6})
Ich sage Ihnen: Das, was sich die Menschen mühevoll
erarbeitet haben - da sind wir uns wahrscheinlich alle einig -, dürfen wir von raffsüchtigen Managern nicht kaputt machen lassen.
({7})
Deshalb brauchen wir in Zukunft konservative Banken
und vertrauenswürdige Anlageberater.
({8})
Über den Verlust des Vertrauens in die Banken brauchen wir uns nicht zu wundern. Wenn Anleger mit der
Absicht in die Banken gingen, eine risikolose Anlage zu
finden, wurden sie oft überredet, eine riskante Anlage zu
wählen.
({9})
Heute stehen viele Verbraucherinnen und Verbraucher
mit leeren Händen da, weil sie ihrem Berater vertraut haben. So ist - Sie haben es schon erwähnt - großer Schaden für die Verbraucher entstanden, insbesondere dann,
wenn die Rücklage für die Altersversorgung vorgesehen
war.
({10})
Die Menschen im Land verstehen die Welt nicht
mehr, wenn eine Kassiererin wegen einer angeblichen
Veruntreuung von 1,30 Euro ihren Arbeitsplatz verliert,
während Manager, die Milliarden Euro in den Sand gesetzt haben, immer noch auf ihren Stühlen sitzen und
Bonuszahlungen erhalten.
({11})
- Ich komme darauf noch zu sprechen. Seien Sie nicht so
ungeduldig, liebe Kollegin.
({12})
Lassen Sie mich an dieser Stelle den vielen guten Anlageberatern Dank sagen, die ihre Kunden nach bestem
Wissen und Gewissen beraten haben. Einige schwarze
Schafe haben das Vertrauensverhältnis zwischen Verbrauchern und Beratern gestört.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag einen Finanzmarktwächter, der bei den Verbraucherzentralen angesiedelt werden soll. Ich halte nichts von einem Finanzmarktwächter; denn die Verbraucherzentralen sind nur in
Ballungsgebieten, in den Großstädten angesiedelt.
({13})
Die Menschen im ländlichen Raum wären dann weiterhin auf ihre Berater und Banker angewiesen.
({14})
Deshalb müssen wir die Berater und die Banken stärker in die Pflicht nehmen.
({15})
Sinnvoller als die Einführung von Finanzmarktwächtern
ist es, die Qualifikation der Anlageberater zu verbessern,
die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche zu verlängern, die Einführung eines Finanz-TÜVs zu prüfen,
Provisionen und Kosten offenzulegen und die Dokumentation der Beratung zu verbessern,
({16})
damit Verbraucher Falschberatungen leichter nachweisen können.
({17})
Natürlich sollen auch die Verbraucherzentralen eingebunden werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen
Dank an die Verbraucherzentralen richten, die in den
letzten Wochen und Monaten viele verunsicherte Verbraucher beraten haben.
({18})
Die von den Grünen geforderten Finanzmarktwächter
lehnen wir ebenso wie die Ampelkennzeichnung, die Sie
fordern, ab.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
wenn es um den Verbraucherschutz geht, liegen wir gar
nicht so weit auseinander. Lassen Sie uns in diesem
Sinne gemeinsam um die bestmögliche Lösung ringen,
um den Schutz des Verbrauchers zu verbessern.
Ich bedanke mich.
({20})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege HansMichael Goldmann von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Fast hätte ich gesagt: Liebe Überlebende der Sitzungswoche!
({0})
- Wir sind hier ja in einem kleinen vertrauten Kreis zusammen. Sie müssen sich jetzt unter Verbrauchergesichtspunkten nicht so verausgaben, also nicht so laut
dazwischenschreien.
({1})
Wir brauchen Produktwahrheit und Produktklarheit,
Frau Maisch. Wir brauchen eine bessere Aufsicht, aber
ganz sicherlich keine Verstaatlichung der Verbraucherzentralen. In Ihrem Antrag kommt sehr viel von dieser
Richtung zum Ausdruck.
({2})
Wir brauchen nicht den Wächterstaat, Frau Maisch, sondern wache Bürger in diesem Staat, die im Grunde genommen die Finanzgeschäfte, die sie machen, ein Stück
kontrollieren können. Deswegen brauchen wir Informationen, Bildung und starke Verbraucherzentralen. Daher
ist Ihr Ansatz, die Verbraucherzentralen sozusagen
zwangszuverpflichten, diese Staatsaufgabe zu übernehmen, falsch.
({3})
Dieser Ansatz wird in dem Antrag sehr deutlich zum
Ausdruck gebracht; ich halte das für falsch. Aus meiner
Sicht ist das Problem mit Ihrem Antrag nicht zu lösen.
Ich halte nichts davon, die Verbraucherzentralen sozusagen zu einem verlängerten Arm der staatlichen Aufsicht zu machen. Das ist nicht Aufgabe der Verbraucherzentralen. Das wollen die Verbraucherzentralen auch
nicht; das wissen Sie sehr genau. Sie machen sich mit
Ihrem Antrag auf den Weg zu dem, was der SPD-Vorsitzende vorgeschlagen hat. Man könnte das als MünteTÜV für Geldprodukte bezeichnen. Das ist meiner und
unserer Meinung nach der falsche Weg.
({4})
- Nein, Frau Rawert, das läuft auf Verstaatlichung hinaus. Damit haben Sie seit heute Morgen besondere Erfahrungen gesammelt.
({5})
Die Verbraucherzentrale zu einer Behörde zu machen,
ist sicherlich der falsche Weg. Hinzu kommt eine Frage,
über die Sie, Frau Maisch, einmal nachdenken müssen:
Welche Konsequenzen müssten die Verbraucherzentralen möglicherweise ziehen, wenn die Beratung nicht
dem entspricht, was der Kunde bei der Abwicklung des
Finanzgeschäftes erwartet hat? Wollen Sie sie dann in
die Haftung nehmen? Ich glaube, das geht nicht.
Ich bin der Meinung, dass wir Verbraucherzentralen
nicht als halbstaatliche Hilfssheriffs brauchen, sondern
als unabhängige und qualifizierte Berater des Verbrauchers in Ergänzung der fachlichen Qualifikation der
Berater in den Banken oder anderen Anbieterorganisationen. In dieser Funktion sollten wir die Verbraucherzentralen stärken; denn wir brauchen eindeutig mehr Beratungskapazität im Finanzbereich. Wir brauchen ein
Konzept zur langfristigen finanziellen Absicherung dieser Aufgabe. Darum können wir gerne gemeinsam ringen. Da sind auch die Banken in der Pflicht.
Wir wollen den Verbraucherzentralen gerne dabei helfen. Wir wissen, dass sie in dieser kritischen Situation
total überfordert und kaum in der Lage waren, vernünftige Auskünfte zu geben. Die Zahlen sind uns bekannt:
Hunderttausende von Anrufen und eine sehr schwache
Personaldecke. Darüber können wir uns im Ausschuss
sicherlich verständigen. Aber wir können uns nicht darüber verständigen, dass wir die Verbraucherzentralen
sozusagen aus der objektiven Beratung herausnehmen,
indem wir sie in staatliche Verpflichtungen einbinden.
({6})
Wir müssen für die Unabhängigkeit von amerikanischen Ratingagenturen kämpfen - wir müssen die Abhängigkeit beseitigen -, indem wir europäische Ratingagenturen schaffen.
({7})
Wir müssen die staatliche Aufsicht effektiver machen
und die Bankaufsicht von der BaFin auf die Bundesbank
verlagern. Habe ich auch da recht, Herr Runde?
({8})
- Sie halten an der treuen, unqualifizierten BaFin fest?
Habe ich das richtig verstanden? Sie meinen, Sie könn22630
ten die BaFin noch retten? Davon bin ich nicht überzeugt.
({9})
Ich glaube, es ist richtig, diese Aufgabe auf die Bundesbank zu verlagern,
({10})
und - da sind wir uns vielleicht ganz schnell einig - wir
brauchen ein Verbraucherinformationsgesetz, das auf die
Ansprüche im Finanzbereich erweitert wird. Es ist ja an
sich ein dolles Ding: Sie haben ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg gebracht, das sich im Kern mit
Lebensmitteln befasst, aber den Bereich, der die Menschen in der jetzigen Situation am meisten berührt, ausklammert. Das ist eine Witzvorstellung.
({11})
- Herr Kelber, haben Sie das Gesetz gelesen? Geben Sie
mir recht?
({12})
- Oh, oh, Herr Kelber.
Wir haben vor kurzem im Ausschuss gefordert, nicht
daran festzuhalten.
({13})
- Wenn Sie gleichzeitig reden, wenn ich rede, ist es
schwierig für mich, Sie zu verstehen. Da Sie vom Typ
her zurückhaltend sind, wie ich weiß, hören Sie doch
einmal zu.
Wir haben im Ausschuss mehrere Male einen Antrag
bezüglich der Überprüfungsphase für das Verbraucherinformationsgesetz gestellt. Das muss man sich einmal
vorstellen: Sie machen ein Gesetz, in das Sie schreiben,
dass Sie nach zwei Jahren überprüfen wollen, wie
schlecht es war.
({14})
Wir haben gesagt, dass wir das vorziehen möchten, weil
die Erkenntnis vorhanden ist, dass das Verbraucherinformationsgesetz überhaupt nicht taugt. Deswegen, meine
ich, sollten wir einen ersten Schritt gehen, indem wir sagen: Finanzgeschäfte werden Bestandteil des Verbraucherinformationsgesetzes, und wir fordern die Anbieter
und die Berater von Finanzprodukten auf, im Bereich
der Produktwahrheit und Produktklarheit durch Qualifikation der Berater darauf hinzuarbeiten. Das ist der richtige Weg. Einen Finanzmarktwächter zu installieren, der
unter staatlicher Aufsicht steht, ist der falsche Weg.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marianne Schieder
von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Selbstverständlich wissen wir alle, dass die
Finanzmarktkrise nicht nur Banken und Wirtschaft trifft,
sondern gerade auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Daher macht sich die SPD-Bundestagsfraktion
schon seit Monaten sehr intensiv Gedanken darüber, mit
welchen Maßnahmen die Rechte der Verbraucherinnen
und Verbraucher nachhaltig gestärkt werden können.
Erste Ergebnisse dieser Beratungen finden sich in
zwei Gesetzentwürfen, die am 18. Februar dieses Jahres
vom Bundeskabinett beschlossen wurden. Auf den Weg
gebracht wird damit eine wesentlich verbesserte Beratungs- und Dokumentationspflicht. Banken werden
künftig verpflichtet, jede Anlageberatung zu protokollieren und dem Kunden das Beratungsprotokoll auszuhändigen. Dazu gehören insbesondere die Angaben und
Wünsche des Kunden, die vom Berater erteilten Empfehlungen und die maßgeblichen Gründe für diese Empfehlungen. So wird sicherlich die Sorgfalt bei der Beratung erhöht, und Anlegerinnen und Anleger können eine
fehlerhafte Beratung leichter beweisen.
({0})
Außerdem wird die bestehende kurze Sonderverjährungsfrist bei Schadensersatzansprüchen wegen Falschberatung bei Wertpapieranlagen gestrichen und an die
regelmäßige Verjährungsfrist des BGB angepasst. Das
bedeutet: Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung verjähren nicht mehr drei Jahre nach Vertragsschluss. Die Dreijahresfrist beginnt vielmehr erst dann,
wenn der Anleger von dem Schaden erfahren hat, und
die Verjährung greift nach spätestens zehn Jahren.
Im Interesse der Finanzmarktstabilität und zur Erhaltung des Verbrauchervertrauens wird die Änderung der
EU-Einlagensicherungsrichtlinie umgesetzt. Die Mindestdeckung für Einlagen wird somit bereits ab dem
30. Juni 2009 auf 50 000 Euro und ab dem 31. Dezember 2010 auf 100 000 Euro angehoben. Die bisherige
Verlustbeteiligung des Anlegers in Höhe von 10 Prozent
wird abgeschafft und die Auszahlungsfrist auf höchstens
30 Arbeitstage verkürzt. Diese und weitere Maßnahmen
des Gesetzentwurfs dienen zur Stärkung des Vertrauens
in das deutsche Kredit- und Wertpapierwesen und insbesondere in die Leistungsfähigkeit der Entschädigungseinrichtungen.
Mehr als 200 000 oder vielleicht sogar noch mehr
verschiedene und zum Teil höchst komplizierte Finanzprodukte werden in Deutschland angeboten. Ein Produkt, das für den einen Kunden richtig ist, kann für einen
anderen Kunden völlig falsch sein. Eine gute Beratung
muss von den Verhältnissen des Kunden ausgehen und
sicherstellen, dass nicht um der Provision willen bestimmte Produkte bevorzugt verkauft werden.
({1})
Private Anlegerinnen und Anleger, insbesondere natürlich solche mit kleinem Vermögen, sollen sicherer als
bisher aus dem großen Angebot wählen können und sowohl hinsichtlich der Wahl ihres Beraters als auch bei
der Auswahl geeigneter Finanzprodukte darauf vertrauen können, dass gewisse Mindeststandards eingehalten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
auch wir halten den Vorschlag der Verbraucherzentrale
Bundesverband, einen Finanzmarktwächter einzusetzen,
für sehr überlegenswert und prüfen derzeit sehr intensiv,
ob und wie eine solche Einrichtung installiert werden
kann.
({2})
Obwohl Sie bei uns, was diesen Punkt angeht, offene
Türen einrennen, können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, allerdings aus einem anderen Grund. Es ist nämlich
nicht möglich, zu gewährleisten, dass ein solcher Finanzmarktwächter, der die Finanzmärkte ganz gezielt im
Sinne des Verbrauchers beobachten und entsprechende
Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben soll, ein
unparteiischer und neutraler Richter und Schlichter ist.
({3})
In diesem Punkt ist Ihr Antrag, wie ich meine, nicht vertretbar. Daher können wir ihn nicht unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion prüft nicht nur die Einrichtung eines Finanzmarktwächters,
({4})
sondern wir unterstützen nachhaltig auch die Forderung
von Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück nach
Schaffung eines Finanz-TÜVs.
({5})
Die Aufgabe eines solchen Finanz-TÜVs besteht darin,
Finanzprodukte anhand von zukünftig verpflichtend zu
erstellenden Kurzinformationen, die Angaben über die
wesentlichen Charakteristika, die Risiken und die Kosten enthalten, zu prüfen und zu bewerten. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen möglichst schnell erkennen können, mit welchem Risiko das Produkt, das
ihnen angeboten wird, behaftet ist
({6})
und wie hoch Abschlusskosten und Provisionen sein
werden. Ein Standard für diese Kurzinformationsblätter
und die Verpflichtung, sie zu erstellen, wird auf europäischer Ebene festgelegt werden. Es gibt schon einen Vorschlag der EU-Kommission. Wir werden die Aufgabe
haben, die konkreten Vertriebsbedingungen in Deutschland zu vereinbaren.
Lieber Herr Kollege Goldmann, ich höre Ihnen gerne
zu, weil Ihre Reden auch einen gewissen Unterhaltungswert haben. Aber wenn Sie ständig meinen, gegen solche
Maßnahmen reden zu müssen, frage ich Sie, warum der
von Ihnen favorisierte neoliberale Marktradikalismus
nicht funktioniert hat.
({7})
Wir wären nicht in der heutigen Situation, wenn das
Ganze funktionieren würde.
({8})
- Herr Kollege Goldmann, lassen Sie uns in Ruhe nach
sinnvollen, finanzierbaren und praktikablen Lösungen
im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher suchen!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade im
Privatkundengeschäft gab es auf dem Finanzmarkt in
den letzten Jahren systematische Fehlentwicklungen.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher waren und sind
mit einem Markt konfrontiert, auf dem sich die Anbieterseite zum Teil völlig verzockt hat. Dieser unkontrollierte Markt der Finanzprodukte ist geprägt von Intransparenz und Unübersichtlichkeit. Die jetzige Krise zeigt
in erschreckendem Maße, wie ungeschützt die Verbraucherinnen und Verbraucher bislang agieren mussten. Das
Ungleichgewicht zwischen Anbieter- und Verbraucherseite ist immens.
Wir sind der Meinung, dass neben verschiedenen
Maßnahmen, die zu ergreifen wir bereits in Anträgen gefordert haben, unbedingt eine unabhängige, starke Institution aufgebaut werden muss, die den Finanzmarkt verbraucherorientiert beobachtet und ihn kontrolliert, warnt,
wenn entsprechende Entwicklungen zu beobachten sind,
und im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher
einschreitet, wenn dies geboten ist.
({0})
In Deutschland gibt es mit den Verbraucherzentralen
eine gute Grundlage; denn sie machen weite Teile dieser
Arbeit bereits.
({1})
Sie könnten diese Arbeit noch umfassender und intensiver machen, wenn ihre finanzielle und personelle Ausstattung nicht immer schlechter würde. Die Linke hat
deshalb bereits vor einiger Zeit gefordert, bei den Verbraucherzentralen und beim Verbraucherzentrale Bundesverband eine sogenannte Verbraucherzentrale Finanzen einzurichten.
({2})
Diese soll den Finanzmarkt verbraucherorientiert beobachten und kontrollieren, sie soll dokumentieren und im
Bedarfsfall warnen sowie als Beschwerdeführer bei der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auftreten. Sie soll des Weiteren Verbraucherbeschwerden managen, die Geschädigten kollektiv rechtlich vertreten,
Abmahnungen verschicken und Klagen führen. Sie soll
selbstverständlich auch, wie es die Verbraucherzentralen
bereits tun, Finanzberatungen durchführen. Außerdem
soll sie zur Bildung der Verbraucher im Bereich Finanzen beitragen.
Ob eine solche Einrichtung Verbraucherzentrale Finanzen oder Finanzmarktwächter oder anders heißt, ist
für mich nebensächlich. Auch über die detaillierte Ausgestaltung der konkreten Aufgaben, die diese Einrichtung erfüllen soll, können wir sprechen. Wichtig und
dringend ist aber, dass ein Beschluss gefasst und eine
solche unabhängige Institution, die mit Rechten ausgestattet und in der Lage ist, den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten, rasch ins Leben
gerufen wird. Natürlich braucht eine solche Einrichtung,
damit sie ihre Aufgaben wahrnehmen kann, eine entsprechende finanzielle Ausstattung.
({3})
Dazu müssen natürlich die Verursacher des Problems zur
Kasse gebeten werden:
({4})
die Banken, die Versicherungen und die Finanzinstitute.
Versicherungen, Banken und andere Finanzdienstleister haben in den vergangenen Jahren enorm profitiert.
Wie durch diese Krise offenkundig wurde, wurden den
Verbraucherinnen und Verbrauchern Geldanlagen verkauft, die definitiv nicht sicher waren, sondern sogar
hochspekulativ, und die an der Lebensrealität und an den
Einkommensverhältnissen vieler Kleinanlegerinnen und
-anleger komplett vorbeigingen. Deshalb ist es längst
überfällig, dass Verbraucherinnen und Verbraucher vor
der Abzocke auf diesem Finanzmarkt geschützt werden
und die Regierung Regelungen und Mechanismen
schafft, die genau dies gewährleisten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
nun der Kollege Ortwin Runde von der SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe noch gebliebene versammelte
Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer und -hörer! Herr Goldmann, das Leitbild des wachen Bürgers
kennen wir; das ist ja auch ein schönes Bild. Aber die
Bürger, um die es hier geht, sind diejenigen, die plötzlich
hellwach geworden sind,
({0})
weil sie Lehman-Zertifikate erworben haben und anschließend sehen mussten, dass diese Zertifikate sie ins
tiefe Unglück stürzten. Deswegen geht es beim Verbraucherschutz um die hellwachen Bürger, die erschreckt
sind, weil etwas schiefgegangen ist.
({1})
Insofern hat der „Münte-TÜV“ seine Berechtigung
({2})
- Sie müssen richtig offiziell fragen; dann verlängert
sich meine Redezeit -, denn solche Bürger würden auch
hellwach, wenn bei ihrem Auto plötzlich die Bremsen
versagten.
({3})
Hier ist also ein entsprechender TÜV notwendig.
({4})
Wenn wir über Finanzmärkte reden, muss man feststellen: Das Vertrauen ist der Anfang von allem.
Herr Kollege Runde, erlauben Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?
Natürlich. Ich habe sie ja herausgelockt.
Sie haben ja darauf gewartet.
Vielen Dank, Herr Goldmann.
Herr Runde, ich halte es für prima, was Sie sagen.
Aber können Sie mir die Frage beantworten, wie diese
Produkte „betüvt“ worden wären? Sagen Sie es am besten mit Jahreszahlen. Welche TÜV-Plakette hätte dieses
Produkt im Jahre 2008 erhalten, eine grüne? Hätte es
2007 eine „hellgrüne“ TÜV-Plakette erhalten?
({0})
Herr Goldmann, das geht doch gar nicht!
- Sie wissen doch selbst, dass das gar nicht geht. Sie
müssen dann auch noch einmal sagen, was Lehman angeboten hat: Es wurden gar keine einzelnen Produktlinien, sondern häufig Mischprodukte angeboten. Wie wären sie „betüvt“ worden?
Vielen Dank für diese komplexe Frage; sie verlängert
meine Redezeit ganz ungeheuer.
Am Beispiel der Lehman-Zertifikate kann man sich
darüber unterhalten, was alles schief gelaufen ist. Erstens sind bei den Ratingagenturen die Interessen beim
Bewerten und Beraten vermischt worden. Zweitens gab
es Probleme und Systemfehler bei der Beratung in den
Banken, aber auch bei Sparkassen usw.,
({0})
und zwar aufgrund der Anreizsysteme: Lehman-Zertifikate haben hohe Provisionen für die vermittelnde Bank
gebracht, genauso wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Produkte an den Mann und an die Frau
gebracht haben. Daran sieht man die verschiedenen Fehler im System.
({1})
Dieses Beispiel zeigt: Es ist nötig, die Anreizsysteme
für Vermittler und für die Banken, die solche Produkte
vertreiben, zu verändern. Darüber müssen wir im Zusammenhang mit einem TÜV, Herr Goldmann, nachdenken. Das ist dann Verbraucherschutz. Da geht es nicht
um den wachen Bürger, sondern da muss man Systemsicherheit garantieren. Also schönen Dank für die Frage.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen
Dreiklang für die Finanzmärkte: Erstens müssen wir die
Finanzmärkte stabilisieren. Zweitens brauchen wir eine
bessere Regulierung der Finanzmärkte. Drittens benötigen wir im Bereich des Verbraucherschutzes eine Art Finanz-TÜV. Erforderlich ist gegenseitiges Vertrauen als
Garantie und Schlüssel der Systemstabilität. Ich bin erfreut, dass wir im Parlament über die Regierungskoalition hinaus Übereinstimmung darin haben, dass Verbraucherschutz auch auf dieser Ebene ansetzen muss, und
zwar mit hoher Geschwindigkeit.
({3})
Dazu befinden sich zwei Gesetzentwürfe bereits im
Gesetzgebungsverfahren. Wir haben vonseiten der SPD
in den letzten Tagen ein Maßnahmenpaket entwickelt, das
die Gesetzentwürfe noch ergänzt. Dazu gehören der
Marktwächter und Forderungen bezüglich der Änderung
der Anreizsysteme. Dazu gehört, dass alle Produkte geregelt werden müssen, dass es kurze, verständliche Informationen zu den Produkten geben muss. Ich bin froh, dass
es da ganz offenkundig eine große Übereinstimmung in
der Debatte gegeben hat. So wird es uns gelingen, diese
Gesetzentwürfe genauso schnell wie die großen Pakete
für die Banken und zur Konjunkturstabilisierung zu beraten und zu einvernehmlichen Ergebnissen für den Verbraucherschutz zu kommen. Ich wünsche uns allen viel
Vergnügen bei der Arbeit. Damit können wir auch beruhigt ins Wochenende gehen.
Schönen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11916 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Leibrecht, Hartfrid Wolff ({0}), Sibylle
Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Unzumutbare Hindernisse beim Ehegattennachzug abbauen
- Drucksache 16/11753 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. Gibt es
dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Harald Leibrecht für die antragstellende FDP-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit den unzumutbaren Hindernissen beim Ehegattennachzug debattieren wir heute ein wichtiges Thema,
mit dem ich mich schon seit einiger Zeit - zusammen
mit meinen liberalen Kollegen Hartfrid Wolff und
Sibylle Laurischk - beschäftige. Seit der Änderung des
Aufenthaltsgesetzes aus dem Jahre 2007 wird von Personen, die ein Visum für den Ehegattennachzug beantragen, ein Nachweis der Fähigkeit zur Verständigung in
einfacher deutscher Sprache verlangt. Es geht also darum, dass die nachziehenden Ehepartner wenigstens ein
Mindestmaß an deutschen Sprachkenntnissen nachweisen sollen, bevor sie ein Visum für die Bundesrepublik
erhalten.
Dieser auf eine bessere Integration abzielende Ansatz
ist per se nicht zu verurteilen.
({0})
Allerdings sind die Konsequenzen für die betroffenen
Menschen seit der Gesetzesänderung zum Teil fatal. Das
rührt aus unserer Sicht von einer mangelnden Verwaltungspraxis her.
({1})
Der Erwerb und Nachweis der Sprachkenntnisse, also
der Besuch von Sprachkursen, ist für die Betroffenen
oftmals mit erheblichen Hindernissen - mit hohen Kosten und einer weiten Anreise - verbunden; denn meist
sollen diese Sprachkurse und Sprachtests an Goethe-Instituten absolviert werden, unabhängig davon, wie weit
diese vom Wohnort der Betroffenen entfernt sind. Bitte
verstehen Sie mich nicht falsch: Die Goethe-Institute
bieten einen erstklassigen Sprachunterricht an.
({2})
Das tun aber auch andere Sprachschulen, und darum
geht es.
({3})
Die Notwendigkeit, eine bestimmte Anzahl an Stunden eines Deutschsprachkurses vorzuweisen, ist aus unserer Sicht nicht gegeben, von der Notwendigkeit, diese
- quasi als Monopol - an den Goethe-Instituten zu absolvieren, ganz zu schweigen. Der Nachweis der deutschen
Sprachkompetenz auf dem Niveau A1 nach dem europäischen Referenzrahmen kann ohne Zweifel auch auf
andere Art und Weise als durch das Zertifikat „Start
Deutsch 1“ des Goethe-Instituts erbracht werden.
Bevor hier nun gleich einige von Ihnen einwenden
werden, dass auch schon jetzt die Möglichkeit besteht,
die Deutschkurse an anderen Sprachschulen durchzuführen, möchte ich Sie direkt darauf hinweisen, dass uns
durchaus bewusst ist, dass dies theoretisch bereits möglich und vom Gesetzgeber auch so vorgesehen ist. In der
Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Uns erreichen
Briefe von deutschen Ehepartnern, in denen deutlich gemacht wird, dass an den deutschen Auslandsvertretungen in der Regel immer nur auf das Angebot der GoetheInstitute verwiesen wird, selbst dann, wenn sich dieses
im Nachbarland befindet. Ich denke, dass das doch wirklich gar keinen Sinn macht.
Abgesehen von dieser unbefriedigenden Praxis sollten wir uns noch einmal in Erinnerung rufen, um welches Sprachniveau es sich im Fall des Ehegattennachzugs handelt. Ob es für den Erwerb dieser einfachen
Kenntnisse notwendig ist, zu weit entfernten Sprachschulen oder gar in andere Länder zu reisen und dazu
noch Hunderte Euro - manchmal bis zu 1 000 Euro - für
diese Kurse auszugeben, halte ich besonders mit Blick
auf den gesetzlich vorgesehenen Schutz der Ehe, um den
es hier und heute ja geht, für äußerst fragwürdig.
Mehrere deutsche Oberverwaltungsgerichte haben im
letzten Jahr bereits Prozesskostenhilfe für Klagen gegen
die Verweigerung von Ehegattenvisen wegen Nichtvorlage der geforderten Sprachnachweise gewährt und in ihren Urteilen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das
Vorhandensein eines bestimmten Sprachniveaus nicht allein durch das Zertifikat „Start Deutsch 1“ des GoetheInstituts nachgewiesen werden kann,
({4})
sondern dass auch andere Deutschsprachkurse durchaus
zum geforderten Sprachniveau führen.
({5})
Bei einem mir vorliegenden Fall wurde die ausländische Frau eines Medizinerehepaares nach der Hochzeit
in Deutschland unter Ankündigung ihrer Ausweisung
zur Ausreise bewegt. Dies wurde damit begründet, dass
nach der neuen Regelung aus dem Jahr 2007 Verlängerungen der Aufenthaltsgenehmigung bei der entsprechenden deutschen Botschaft erfolgen müssen. Dort
wurde zunächst darauf verwiesen, dass 200 Stunden
Deutschunterricht nachzuweisen sind. In meinen Augen
ist das doch völlig absurd und der betroffenen Frau unwürdig.
({6})
Diese Vorgehensweise ist vor dem Hintergrund, dass
die Ehefrau bereits über Grundkenntnisse der deutschen
Sprache verfügt, finanziell abgesichert ist
({7})
und einen Hochschulabschluss hat, wie es in der Härtefallregelung für einen reibungslosen Ehegattennachzug
verlangt wird, nicht nachvollziehbar.
({8})
Nun kann dieses frisch verheiratete Paar damit rechnen,
für zwei bis drei Monate getrennt zu sein. Wo bleibt hier
der Anspruch auf den besonderen Schutz der Ehe?
({9})
Wenn uns also daran gelegen sein sollte, dass das Aufenthaltsgesetz neben der auch aus unserer Sicht berechtigten Forderung eines Nachweises einfacher Deutschkenntnisse nicht auch noch eine Vielzahl anderer nicht
zu rechtfertigender Hindernisse für die Betroffenen mit
sich bringt, dann sollten wir die gerade genannten Beispiele ernst nehmen; denn von einem Schutz der Ehe
kann bei der derzeit teilweise herrschenden Verwaltungspraxis wohl kaum die Rede sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wäre Ihnen sehr
dankbar, wenn wir dieses Problem fernab aller parteipoHarald Leibrecht
litischen Überlegungen noch vor dem Ende der Legislaturperiode beheben könnten.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Leibrecht, ich will zu Beginn ausdrücklich
begrüßen, dass die FDP-Fraktion mit dieser Debatte
deutlich macht, dass Sie im Grundsatz unser Anliegen,
vor dem Familiennachzug einfache deutsche Sprachkenntnisse nachzuweisen, unterstützen
({0})
und dass Sie massiv Ergänzungen und Änderungen in
der Verwaltungspraxis einfordern, die ich ausdrücklich
unterstütze.
({1})
Ich sage Ihnen dazu ausdrücklich zu, dass wir auch seitens des Innenausschusses, an den der Antrag zur Mitberatung überwiesen wird, intensiv das Gespräch mit dem
Auswärtigen Amt suchen werden, um die Anliegen, die
wir als Gesetzgeber im Innenausschuss mit dieser Regelung im Aufenthaltsgesetz verbunden haben, zu verwirklichen.
Ich will noch einmal betonen, dass der Nachweis einfacher Deutschkenntnisse vor dem Ehegattennachzug
vor allen Dingen als Instrument im Kampf gegen
Zwangsehen dienen soll und des Weiteren integrationspolitisch eine große Bedeutung hat.
({2})
Denn wir wissen um die wichtige Funktion der Kurse in
den Goethe-Instituten, die nicht nur Sprachkenntnisse
vermitteln, sondern zum Beispiel auch über Grundzüge
des Lebens in Deutschland - was integrationspolitisch
wertvoll ist - und über Fragen der Gleichberechtigung
von Mann und Frau informieren.
Aus Gesprächen mit Stadtteilmüttern aus Neukölln
wissen wir - auch wenn Sie das immer wieder bestreiten, Frau Dağdelen -,
({3})
dass gerade diese Informationen und Vermittlung von
Lebenswirklichkeiten in den Goethe-Instituten vor dem
Familiennachzug manche fundamentalistisch geprägte
Familie von einer Zwangsverheiratung ihrer Kinder absehen lässt.
({4})
Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Laurischk?
Ja. Herzlich gerne, Frau Laurischk.
Herr Kollege Grindel, Sie haben ausgeführt, dass die
FDP den Erwerb der deutschen Sprache im Rahmen des
Ehegattennachzugs für richtig hält. Sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass wir die unterschiedliche Gewichtung je nach Nationalität der Ehegatten kritisieren?
Wir kritisieren auch, dass es Nationalitäten gibt, bei denen keine Deutschkenntnisse verlangt werden.
Ich bin dankbar für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, zwei Punkte aufzuzeigen. Erstens war dies
- das bekenne ich freimütig - ein Zugeständnis an unseren Koalitionspartner, der mit Hinweis auf die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland
darauf hingewiesen hat, dass es nicht angeht, dass einem
hochqualifizierten Wissenschaftler beispielsweise aus
den USA oder aus Japan zur Auflage gemacht wird, dass
seine Frau, die vielleicht englisch, französisch und spanisch spricht, zusätzlich einfache Deutschkenntnisse
nachweisen muss, insbesondere dann, wenn er sich nur
für drei Jahre in Deutschland aufhalten sollte. Das haben
wir akzeptiert, weil wir, wie gesagt, den Spracherwerb
integrationspolitisch und zur Verhinderung von Zwangsehen einsetzen wollen. Statt eine zusätzliche Hürde im
weltweiten Kampf um die klugen Köpfe zu errichten,
wollen wir den Arbeitsmarkt für solche hochqualifizierten Kräfte öffnen.
Ich sage Ihnen aber ausdrücklich zu - wenn wir nach
der Bundestagswahl gemeinsam die Gelegenheit dazu
haben, dann sollten wir das im Aufenthaltsgesetz regeln -,
dass wir dann, wenn ein besonderer Integrationsbedarf
begründet ist, auch von den Nationalitäten, die zurzeit
im Aufenthaltsgesetz pauschal von der Regelung ausgenommen werden, den Nachweis einfacher Deutschkenntnisse verlangen sollten. Darin stimme ich Ihnen
ausdrücklich zu, weil ich einsehe, dass die bestehende
Regelung gerade in der türkischen Community durchaus
als eine gewisse Diskriminierung gesehen wird, weil die
Türkei in dieser Hinsicht als Hauptherkunftsland gilt.
Es geht uns nicht darum, einzelne Nationalitäten zu
diskriminieren.
({0})
Es geht uns vielmehr um eine vorbereitende Integration,
indem einfache Deutschkenntnisse verlangt werden.
Frau Dağdelen hat eben in einem Zwischenruf gefragt, in welcher Parallelwelt ich lebe. Gerade die Situation, dass junge Menschen, die 18 bis 20 Jahre in
Deutschland leben, ihre Ehegatten im Heimatland suchen oder in Einzelfällen suchen müssen,
({1})
ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, Herr Kollege,
ein Hinweis darauf, dass sie offenbar in der von Ihnen
angesprochenen Parallelwelt leben. Wir wissen, dass in
diesen Familien oftmals nicht deutsch gesprochen wird
und keine Deutschkenntnisse vorhanden sind.
({2})
Unser Ansatz ist, zum Beispiel durch den verlangten
Nachweis einfacher Deutschkenntnisse denjenigen, die
hierherkommen, die Botschaft zu vermitteln: „Ohne
Deutsch geht es nicht“, damit sie ihren Kindern eine gute
Perspektive geben können. Wir wollen frühzeitig den
Effekt erzielen, dass sie einsehen, dass man in diesem
Land nur dann eine gute Perspektive hat, wenn man
Deutschkenntnisse nachweist. Das steckt hinter unserer
Initiative im Aufenthaltsrecht.
({3})
Herr Kollege Leibrecht, ich will Ihnen eines zugestehen - damit haben Sie völlig recht -: Auch ich bin über
die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes durch das
Auswärtige Amt verwundert. Herr Staatsminister Gloser,
ich bin über den entsprechenden Runderlass nicht glücklich. Es ist ganz klar: Ob diejenigen, die ein Visum zum
Zwecke des Familiennachzugs bekommen wollen, einfache Deutschkenntnisse nachgewiesen haben, hat nur
einer zu beurteilen, nämlich der Mitarbeiter in der Visastelle. Wie das nachgewiesen wird, ob durch ein Zertifikat des Goethe-Instituts oder durch andere Sprachschulen, ist völlig egal. Die entsprechenden Zertifikate
können nur ein Instrument sein, um diese Kenntnisse
nachzuweisen. Am Ende muss aber derjenige das beurteilen, der in der Visastelle über das Visum entscheidet.
Ich halte es übrigens mit Blick auf die auswärtige
Kulturpolitik für nicht wünschenswert - ich nehme an,
Kollege Leibrecht, dass Sie das genauso sehen -, dass
das Auswärtige Amt die Goethe-Institute in die Rolle
bringt, eine Art verlängerter Arm der Ordnungsbehörden
in Deutschland zu sein. Es ist nicht gut für die GoetheInstitute, wenn in den entsprechenden Ländern der Eindruck entsteht, dass diese Institute über das Erlangen der
entsprechenden Zertifikate darüber entscheiden, ob man
nach Deutschland reisen darf oder nicht. Das ist nicht die
Aufgabe der Goethe-Institute.
({4})
Die Goethe-Institute müssen vielmehr als Dienstleister
in diesen Ländern auftreten, die unseren ausländischen
Mitbürgern, die zu uns kommen wollen, Hilfestellung
geben, genauso wie die anderen Sprachschulen. Aber
letztendlich trifft das Auswärtige Amt durch die Visastellen die Entscheidung, wer die gesetzlichen Vorschriften einhält und wer nicht.
Herr Gloser, wir haben eine ganze Reihe von Auslandsvertretungen - insofern kann das keine Frage der
Ausbildung und Qualifikation der Mitarbeiter in den Visastellen sein -, in deren Nähe keine Sprachkurse angeboten werden. Aber auch dort muss der einzelne Mitarbeiter in der Visastelle eine Entscheidung treffen, ob die
gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Das ist
Aufgabe des Auswärtigen Amtes und seiner Mitarbeiter
in den Visastellen, und zwar nicht nur in bestimmten
Ländern Schwarzafrikas oder in entlegenen Regionen
Asiens, wo es nur wenige Fälle gibt, sondern auch in der
Türkei und in anderen Ländern, in denen die Zahl der
Fälle relevant ist.
Herr Kollege Leibrecht, Sie haben völlig recht: Es
muss deutlich werden, dass die Antragsteller alle Angebote nutzen können, egal ob es sich um die Angebote der
Deutschen Welle - bis hin zu Hörkassetten - oder um die
Angebote eines weitverzweigten Netzes von Sprachschulen handelt. Es gibt mittlerweile gerade in der Türkei eine Vielzahl von Sprachschulen, die von Rückkehrern - auch in entlegenen Regionen - betrieben werden.
Diese sehen darin auch eine wirtschaftliche Perspektive.
Sie setzen ihre Erfahrungen aus ihrem Aufenthalt in
Deutschland um und bieten Kurse an, in denen die Antragsteller die notwendigen Qualifikationen erwerben
können. Dies ist nicht unbillig; denn wir wissen - um
beim Hauptherkunftsland, der Türkei, zu bleiben -, dass
dort so verzweigte Familiennetzwerke bestehen, dass es
durchaus üblich ist, in größere Städte zu gehen und dort
bei Familienangehörigen zu leben, um zeitweise berufstätig zu sein. Das kann man auch nutzen, um einen Kurs
der Goethe-Institute oder anderer Sprachschulen zu besuchen.
Einen Punkt will ich ansprechen, der mir in Ihrem
Antrag problematisch erscheint. Das ist die allgemeine
Härtefallregelung. Herr Leibrecht, wir haben darüber bei
den Beratungen über das Aufenthaltsgesetz intensiv gesprochen. Das gesamte Aufenthaltsrecht ist leider durch
die Problematik geprägt, dass überall dort, wo man für
bestimmte, schwierige Fälle die Tür einen Spalt aufmacht, viele kommen, die man nicht im Land haben will.
Deswegen haben wir von einer allgemeinen Härtefallregelung abgesehen. Wir haben uns auf die Fälle konzentriert, in denen aus humanitären Gründen keine
Deutschkenntnisse verlangt werden können. Das sind
vor allen Dingen ältere Menschen und Behinderte. Ansonsten haben wir in der Tat eine Wertentscheidung getroffen. Der integrationspolitische Ansatz „Ohne
Deutsch geht es nicht“ ist uns so wichtig, dass es uns
recht und billig erscheint, von jedem, der zu uns kommen will, einen Nachweis einfacher Deutschkenntnisse
zu verlangen. Deswegen haben wir von einer allgemeinen Härtefallregelung abgesehen.
({5})
- A1, genau, Herr Wieland. Das ist ein so niedriges Niveau,
({6})
dass dieses durchaus mit den Instrumenten, die in den
Herkunftsländern vorhanden sind, auch erreicht werden
kann.
Und das Argument: „Wir haben auch hier in Deutschland das Angebot an Integrationskursen“, verfängt deshalb nicht, weil wir wissen, dass die Familien, die es
besonders nötig haben, die bisher einen Bogen um Integrationsangebote gemacht haben, in denen eben nicht
Deutsch gesprochen wird, gerade diejenigen sind, von
denen diese Angebote der Integrationskurse nicht angenommen werden.
Das heißt, diejenigen, die es eigentlich am nötigsten
haben, sehen wir in den Kursen nicht. Deswegen kommt
es auf die vorbeugende Integration in den Herkunftsländern an, und das kann nicht dadurch ersetzt werden, dass
man sagt: Na ja, sie müssen ja hier in die Integrationskurse gehen. - Sie wissen es ganz genau: Das Aufenthaltsrecht gibt es nicht her, jemanden abzuschieben, nur
weil er die Integrationskurse nicht besucht. Insofern
wäre es ein ganz stumpfes Schwert, hier Verpflichtungen
einzuführen. Es wird auch nicht in die Praxis umgesetzt.
Von daher kann ich an dieser Stelle nur sagen, dass
Ihre Anregungen völlig zu Recht bestehen. Wir brauchen
eine bessere Lösung, was den Nachweis der Deutschkenntnisse angeht. Vom Grundsatz her ist es gerechtfertigt, diesen Nachweis zu fordern. Ich habe deutlich gesagt: Das Einzige, was wir an Ihrem Antrag kritisieren,
ist die allgemeine Härtefallregelung, die nicht sinnvoll
ist.
Ich lade Sie jedoch ein - und ich würde mich herzlich
freuen, wenn sich das Auswärtige Amt mit einbringt -:
Lassen Sie uns hier zu praktikableren Lösungen kommen. Herr Gloser, der Staatssekretär im Innenministerium sitzt neben Ihnen. Daher sage ich: Eine ähnliche Situation hatten wir schon einmal. Damals ging es darum,
dass Aussiedler ihre Deutschkenntnisse nachweisen
mussten. Damals entsandten wir Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in die Visastellen, damit diese die Botschaftsmitarbeiter bei der Feststellung der Sprachkenntnisse unterstützten. Vielleicht
können wir das auch in diesem Bereich machen. Dann
könnten Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge gerade in den großen Konsulaten und Botschaften in der Türkei und in den anderen Hauptherkunftsländern unterstützend tätig werden.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sevim Dağdelen von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Grindel, ich kann
nicht anders, aber ich muss schon gestehen: Wenn ich
rein hypothetisch zugestehen würde - das tue ich hiermit
allerdings nicht, weil ich grundsätzlich bezweifle, dass
es Parallelwelten gibt -, dass es Parallelwelten gibt, dann
würde ich sagen, dass Sie in einer Parallelwelt und nicht
auf dem Boden der Verfassung leben.
({0})
Denn wir halten es für legitim, dass die Menschen frei
auswählen können, wen sie heiraten und woher diese
Person kommt. Pauschale Verdächtigungen, dass Menschen, die aus ländlichen Regionen kommen, nicht integrierbar seien, werfen bei mir die Frage auf, ob jemand,
den man heiraten will und der aus einer ländlichen Region in Deutschland kommt, bei Ihnen auch noch einmal
hinsichtlich seiner Integrierbarkeit getestet werden
muss.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die türkischen Tageszeitungen Zaman und Türkiye berichteten
Anfang dieser Woche - ich zitiere -: Spracherfordernis
für die Familienzusammenführung hat noch eine Familie
getroffen.
Worum ging es dabei? - Es ging um eine schwangere
Frau in der Türkei. Sie musste zwischen ihrer Stadt und
dem deutschen Konsulat in Izmir hin und her pendeln.
Für diese Frau hat die Neuregelung zum Ehegattennachzug tragische Folgen. Wegen des Stresses hat sie nämlich ihr Baby verloren.
Es gibt weitere Fälle wie beispielsweise den Fall der
Familie Akkus aus Herne. Das Erschütternde ist, dass
diese Fälle keinerlei Umdenken bei der Bundesregierung
auslösen. Ganz nach dem Motto: „Lieber eine Unschuldige zu viel, als eine Schuldige zu wenig“ werden solche
tragischen Fälle von der Bundesregierung bewusst in
Kauf genommen. Als Argumente für die Sprachanforderungen dienen dabei die Bekämpfung der Zwangsverheiratung und bessere Integrationschancen in Deutschland.
Belege dafür bleibt uns die Bundesregierung seit der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes trotz meiner wirklich konsequenten Kleinen Anfragen bisher schuldig.
({2})
Das ist auch kein Wunder, meine Damen und Herren,
denn es gibt all diese Belege nicht. Da helfen auch die
merkwürdigsten unbewiesenen Behauptungen des Bundesinnenministers nichts. Da wird zum Beispiel im
Nachbericht zum Rat der Justiz- und Innenminister am
26. und 27. Februar 2009 in Brüssel das Problem arrangierter Ehen thematisiert und dann darauf verwiesen,
dass 40 Prozent der in Deutschland geborenen türkischstämmigen Personen Ehepartner aus ländlichen Regionen der Türkei geheiratet haben und diese zudem in
Deutschland schwer integrierbar seien. Ich frage mich:
Was eigentlich ist die Grundlage für so eine Aussage unserer Bundesregierung? Offensichtlich ist für die Bun22638
desregierung eben doch die Herkunft aus einer ländlichen Region gleichbedeutend mit arrangierten Ehen, so
wie ich das zuvor schon gesagt habe. Ich finde, das ist
ein Skandal und gehört abgeschafft.
({3})
Wenn die Bundesregierung schon nicht verhindern
kann, wer wen heiratet, so macht sie doch eines: Sie
schikaniert und diskriminiert die Ehegatten, ohne für die
von ihr geschürten Vorurteile auch nur ansatzweise belastbare Daten zu haben. Etwas Belastendes hat die Bundesregierung aber in ihrer Antwort auf meine letzte
Kleine Anfrage auf der Drucksache 16/11811 geliefert:
Seit Einführung der Spracherfordernisse ist die Zahl der
Ehegattennachzüge um insgesamt 22 Prozent zurückgegangen. Der Rückgang beträgt bei einzelnen Herkunftsländern bis zu 67 Prozent. Die Zahl der Ehegattennachzüge aus der Türkei ging um 33 Prozent zurück.
Angesichts dieser verfestigten Entwicklung wie die
FDP in ihrem Antrag davon zu sprechen, dass die in der
Praxis wirkenden Folgen „vom Gesetzgeber weder vorgesehen noch intendiert“ seien, kann wohl kaum ernst
genommen werden. Das ist eine zynische Formulierung.
Wir können diesem Antrag so selbstverständlich nicht
zustimmen.
({4})
Der Antrag der FDP geht von völlig falschen Annahmen aus. Hier hat sich nicht einfach eine Praxis herausgebildet, die zusätzliche Hürden produziert. Hier gibt es
eine gezielt geschaffene Rechtslage, die diese Praxis zur
Folge haben soll. Wer diese Praxis ändern will, muss die
Rechtslage ändern. Für die Linke gilt das Grundrecht auf
Schutz von Ehe und Familie unabhängig von der Herkunft. Wir halten es für unerträglich, dass dieses Grundrecht nur für Menschen aus bestimmten Ländern und
auch noch aus bestimmten Regionen gelten soll.
({5})
Wir halten das für verfassungswidrig. Deshalb fordern
wir eine Abschaffung dieser Regelungen, weil sie einfach verfassungswidrig und inhuman sind. Sie sind ausgrenzend, diskriminierend und nicht zuletzt rassistisch.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Griefahn von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit der Reform des Zuwanderungsgesetzes von
2007 wird der Nachweis von einfachen Deutschkenntnissen verlangt, wenn ein Ehepartner zu ihrer oder seiner
Familie nach Deutschland ziehen will. Was heißt das,
um das einmal präzise zu fassen? Man muss 600 Wörter
kennen. Ich habe mehrfach nachgefragt, wie groß der
allgemeine Wortschatz in Deutschland ist. Er umfasst
meist nicht mehr als 500 Wörter. Also sind 600 Wörter
nicht so wenig, wie immer dargestellt wird.
({0})
Ich bitte, das zu berücksichtigen, wenn es heißt: Das
kann man mal eben schnell lernen. - Also, so einfach ist
das nicht.
({1})
Es ist zweifellos wichtig, Maßnahmen zu treffen, damit sich Einwanderer besser in Deutschland integrieren
können. Doch ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich
während der ganzen Debatte um das Zuwanderungsgesetz an so manchen Punkten Bauchschmerzen hatte, die
nicht weggegangen sind. Die bestehenden rigiden Regelungen führen dazu, dass die für Deutschland und die
deutsche Gesellschaft wichtige und auch notwendige
Zuwanderung eher verhindert als befördert wird. Diese
Diskussion führen wir immer wieder.
Herausgekommen ist ein Koalitionskompromiss - das
ist so -, der durch die Mitwirkung von uns als SPD meiner Ansicht nach moderater und zuwanderungsfreundlicher ausgefallen ist, als er es ohne uns gewesen wäre.
Aus diesem Grund fällt es mir nicht schwer, einzugestehen, dass ich die Sprachtests, auf deren Einführung die
Innenpolitiker der Union damals bestanden haben, nicht
für die optimale Regelung halte.
({2})
Man muss aber Folgendes zugestehen - dieser weiterführende positive Aspekt der Sprachkurse ist inzwischen
belegt -: Eine Umfrage beim Goethe-Institut in Ankara
hat ergeben, dass 82 Prozent der Sprachschüler nach bestandener Prüfung weiter Deutsch lernen wollen,
({3})
obwohl immerhin 66 Prozent die Prüfung ohne das Gesetz nicht abgelegt hätten. Trotzdem glaube ich: Die gewünschte Integration lässt sich auch anders und vor allem weniger repressiv realisieren. In diesem Punkt
stimme ich dem Antrag der FDP zu.
Die Sprachtests sind immer dann nicht verpflichtend,
wenn Abkommen zwischen Deutschland und anderen
Staaten bestehen. Für Bürger der Europäischen Union
wäre ein solcher Sprachtest wegen der garantierten Freizügigkeit rechtswidrig. Ebenso bestehen bilaterale Abkommen mit anderen Staaten wie zum Beispiel mit den
USA. Insofern empfinde auch ich diesen Zustand als
Ungleichbehandlung und kann mir kaum vorstellen, dass
dieser konkrete Punkt vor Gerichten Bestand hätte.
Trotzdem werden wir als SPD dem Antrag nicht zustimmen, weil schlicht mehrere andere Fehler darin sind.
Zum Beispiel ist die Rede davon, dass der Besuch eines Sprachkurses vor der Prüfung vorgeschrieben sei.
Herr Grindel, da haben Sie wiederum recht. Das ist
schlicht falsch. Das ist nicht vorgeschrieben. Wie EheSevim DaðdelenSevim Dağdelen
gatten diese Sprachkenntnisse erwerben, ist ihnen völlig
freigestellt.
({4})
Nur die Prüfung ist verpflichtend. Wenn aber bei der Antragstellung einfache Deutschkenntnisse für den Konsulatsmitarbeiter bereits erkennbar sind, dann ist gar kein
Sprachnachweis notwendig. Es gibt noch eine weitere
falsche Behauptung in dem Antrag. Wenn durch Krankheit oder Behinderung der Ehegatten solch eine Prüfung
unzumutbar ist, dann besteht sehr wohl nach dem Ausländergesetz ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand, sodass solch eine Prüfung erst gar nicht vorausgesetzt
wird.
Lieber Herr Leibrecht, ich habe Verständnis dafür,
dass Sie als Abgeordneter der FDP das schwere Los haben, immer, überall und ohne Rücksicht auf Verluste den
freien Wettbewerb hochzuhalten. Bei diesem Beispiel ist
das aber nur bedingt sinnvoll. Es ist richtig, dass momentan grundsätzlich nur das Sprachzertifikat des
Goethe-Instituts ohne weitere Prüfung anerkannt wird.
Es wird jedoch daran gearbeitet, verstärkt andere gleichwertige und zuverlässige Zertifikate anderer Anbieter
zuzulassen. Für die Prüfungen haben wir mit dem
Goethe-Institut aber einen Partner, der hohe Qualität verlässlich garantieren kann. Auch das muss man einmal
feststellen. Das sagt jeder.
({5})
Welche anderen Anbieter von Zertifikaten das in gleichem Maße gewährleisten können, muss man sich eben
genau anschauen. Sie können sich denken, dass bei solchen Zertifikaten leider auch Missbrauch möglich ist.
Den wollen wir natürlich ausschließen. Ich habe keine
Lust, wieder eine Debatte wie die zu führen, die wir damals im Visaausschuss hatten. Damals ging es darum,
dass Visa auf merkwürdige Weisen erlangt worden sind.
({6})
Insofern muss man auch das thematisieren. In Regionen,
in denen es weder ein Goethe-Institut noch einen Lizenznehmer gibt, der die Prüfung abnehmen kann, werden
die Deutschkenntnisse an den Auslandsvertretungen mithilfe eines Handbuchs festgestellt.
Frau Kollegin Griefahn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel?
Nein, Herr Grindel hat doch schon geredet. Jetzt rede
ich erst einmal weiter.
({0})
Damit wird gewährleistet, dass das Zertifikat überall erlangt werden kann. Sie sehen aber nicht zuletzt an diesem Punkt, dass sowohl das Auswärtige Amt als auch
das Goethe-Institut bei den Sprachtests immer noch vor
großen Herausforderungen stehen. Ich finde, sie mühen
sich wirklich, ihre Aufgabe zu erfüllen. Es gibt eine ganz
große Diskussion auch mit anderen Instituten, mit dem
Deutschen Volkshochschul-Verband und anderen, die
versuchen, Angebote zu machen. Ich glaube, dass es
wichtig ist, immer wieder zu überprüfen, wie Aufgaben
erfüllt werden können. Es wird deutlich, dass Ehegatten,
die vor dem Sprachtest einen Kurs am Goethe-Institut
und nicht bei einem anderen Anbieter besucht haben, mit
viel größerer Wahrscheinlichkeit das Zertifikat erlangen.
Wir haben festgestellt, dass die Quote derjenigen, die
den Test bestehen, wesentlich höher ist, wenn sie am
Goethe-Institut waren. Aber es ist eben keine Pflicht.
Ein letzter Punkt aus dem Antrag, zu dem ich noch etwas sagen will: Sie schreiben, dass sich durch den
Sprachnachweis das Visumverfahren verlängert habe.
Das ist eine sehr individuelle Frage, über die der jeweilige Bearbeiter der deutschen Vertretung entscheiden
muss. Wenn es möglich ist, nimmt der Bearbeiter die
Visumanträge der Ehegatten bereits an, um mit der Bearbeitung zu beginnen, auch wenn der Sprachnachweis
noch fehlt. In diesem Falle kann der ganz normale Beantragungsprozess schon laufen, während der Antragsteller
noch deutsch lernt. Es bleibt allerdings gar nichts anderes übrig, als diese Entscheidung nach Ermessen zu fällen; denn zum Teil sind manche Dokumente der Antragsteller nur mit sehr viel Aufwand zu prüfen oder auch
unvollständig. Wenn gar nicht wahrscheinlich ist, dass
das Sprachzertifikat vorgelegt werden kann, würde die
sofortige Bearbeitung die Auslandsvertretung zusätzlich
belasten; denn sie muss immer den Unterlagen hinterhertelefonieren, und das ist in vielen Ländern ein großes
Problem. Wenn es sehr viele Antragsteller gibt, werden
die Mitarbeiter - auch das haben wir hier schon mehrfach diskutiert - sehr belastet. Dann müssten wir noch
mehr Mitarbeiter zur Verfügung stellen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Die Praxis der Sprachtests ist bei weitem nicht so einfach, wie
sich das manche bei der Ausarbeitung des Zuwanderungsgesetzes 2007 vorgestellt haben. Man kann aber
klar sagen, dass sich die Auslandsvertretungen und die
Goethe-Institute ständig um Verbesserungen bemühen.
Wir haben einen engen Kontakt mit dem Auswärtigen
Amt. Ich frage nach jeder Reise, die mit dem Ausschuss
oder in anderer Funktion gemacht wird, nach. Ich kann
der Kritik der FDP in einigen Punkten nicht zustimmen,
und deswegen werden wir als SPD den Antrag ablehnen.
({2})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Wolfgang Wieland von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwas Besonderes, freitags als letzter Redner hier
das Wort zu erhalten. Herr Kollege Leibrecht, auch um
Sie herum ist es schon etwas einsam geworden. Ich
hoffe, dass in Ihrer liberalen Fraktion Ihr soeben eingenommener Standpunkt „Wir begrüßen es im Grundsatz,
dass der Spracherwerb des nachziehenden Ehegatten
nunmehr im Ausland geschehen muss“ genauso isoliert
bleibt, wie Sie im Moment hier sitzen. Dieser Punkt ist
ein später Triumph für unser „Duo infernale von der
Visastelle“, Grindel/Uhl; das haben sie immer gewollt.
({0})
Das haben sie in der Koalition durchgesetzt. Im Innenausschuss hat die FDP sogar dagegengehalten. Das ist
ein deutscher Sonderweg.
({1})
- Na, aber selbstverständlich.
({2})
- Schauen Sie sich die Metock-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes an.
({3})
- Na, selbstverständlich. - Danach sind wir jetzt verpflichtet, beispielsweise einem Österreicher, der im Bundesgebiet lebt, den Nachzug seiner indischen Ehefrau zu
gestatten, und zwar ohne vorherigen Spracherwerb der
Ehefrau.
({4})
In einem vergleichbaren Fall wäre einem Deutschen der
Nachzug seiner Ehefrau aber nach wie vor verboten. Erklären Sie doch einmal irgendjemandem, dass das vernünftig, gut und richtig ist.
({5})
Frau Dağdelen hat schon darauf hingewiesen, dass
der geschätzte Bundesinnenminister im Ministerrat vergangenen Monat - das ist also noch gar nicht so lange
her - erklärt hat: Wenn ihr uns mit solchen Urteilen
kommt, dann müssen wir die europäische Rechtslage ändern.
({6})
Das heißt, Sie wollen die anderen europäischen Staaten
dazu verpflichten, diesen unsinnigen Sonderweg zu beschreiten.
({7})
Etwas Ähnliches haben Sie mit der Visa-Warndatei
und mit der Einladerdatei jetzt vor: das Einschlagen eines deutschen Irrwegs.
({8})
Sie wollen, dass zusätzlich zu dem europäischen VisaInformationssystem VIS eine nationale Einladerdatei geschaffen wird. Dabei sollen alle registriert werden, die
jemanden aus dem Ausland einladen. Wenn die Zahl
fünf überschritten ist, dann heißt es: Geht nicht mehr.
({9})
- Ja, selbstverständlich. - Man gilt dann als unzulässiger
Einlader. Wie sonst sollen die Visastellen darauf reagieren?
({10})
Was sonst soll diese Visumzählerei? Sich so etwas auszudenken - es tut mir leid, das sagen zu müssen, Herr
Kollege Grindel -, ist nur mit einer Traumatisierung
durch den Visa-Untersuchungsausschuss zu erklären.
({11})
Der Antrag der FDP rennt zum Teil offene Türen ein;
das wurde hier gesagt. In ihm sind richtige Punkte enthalten, etwa die Schaffung einer Härtefallkommission.
Leider werden einige Probleme völlig außen vor gelassen. Was ist beispielsweise mit Analphabeten? Bisher
wird ihnen gesagt: Lernt erst einmal Lesen und Schreiben, dann lernt Deutsch; wenn ihr das Pech habt, dass es
bei euch keine Konsularabteilung gibt - das ist beispielsweise in Eritrea der Fall -, dann geht in euer Nachbarland und stellt dort einen Antrag. - Das alles ist unzumutbar und hat mit dem Schutz von Ehe und Familie
überhaupt nichts zu tun.
({12})
- Informieren Sie sich einmal, bevor Sie so etwas ins
Gesetz schreiben! Informieren Sie sich einmal über die
Schwierigkeiten! Frauen aus dem Jemen, in dem es
überhaupt kein Goethe-Institut gibt, wird gesagt: Na,
dann lernt die deutsche Sprache eben mit Kassetten.
Wenn diese Frauen entgegnen: „Aber wir haben keinen
Stromanschluss in unserem Dorf“, wird ihnen entgegnet:
Lasst euch von euren Ehegatten Batterien schicken oder
benutzt eine Handkurbel. Auf einen solchen Irrsinnsstandard haben Sie das Ganze mit einer völlig untauglichen Maßnahme zurückgeschraubt.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie der Kollege
Edathy hier sagte: Ich stimme diesem Gesetz zu in der
Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht es aufheben wird.
({13})
- Na ja, das war etwas widersprüchlich; das hat er selber
so gesehen. - Diese Hoffnung bleibt natürlich. Die kleiWolfgang Wieland
nen Verbesserungen können eine von Grund auf falsche
Maßnahme nicht zu einer richtigen machen.
Vielen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11753 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanis-
tan forcieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Pau,
Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte und
der Fraktion DIE LINKE
Änderung des Bundespolizeigesetzes für
Auslandseinsätze der Bundespolizei
- zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von
Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit -
Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan
drastisch beschleunigen
- Drucksachen 16/3648, 16/3421, 16/6931,
16/12133 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu nehmen. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall. Es handelt sich um die Reden der Kolle-
ginnen und Kollegen Clemens Binninger, CDU/CSU,
Wolfgang Gunkel, SPD, Birgit Homburger, FDP, Ulla
Jelpke, Die Linke, Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/
Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/12133.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/3648 mit dem Titel „Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan forcieren“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von FDP und Linken sowie Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/3421 mit dem Titel „Änderung des Bundespolizeigesetzes für Auslandseinsätze
der Bundespolizei“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6931
mit dem Titel „Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit - Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan drastisch
beschleunigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. März 2009, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.