Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich.
({0})
- Es kann manches sein, aber das Rederecht ist nun einmal auf die Mitglieder des Bundestages beschränkt und
gilt nicht für die Besucher unserer Plenardebatten.
Nach dieser Kurzintervention
({1})
möchte ich gerne dem Kollegen Paul Schäfer zu seinem
60. Geburtstag gratulieren, den er am vergangenen
Sonntag gefeiert hat. Alle guten Wünsche für die nächsten Jahre!
({2})
Der Kollege Martin Burkert hat sein Amt als Schriftführer niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion der SPD die Kollegin Hedi Wegener vor. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist die Kollegin Hedi Wegener hiermit zur Schriftführerin gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Programm für ein selbstbestimmtes Leben
ohne Armut - Eine Neuformulierung des Dritten Armuts- und Reichtumsberichtes
- Drucksache 16/10654 ({3})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing,
Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf
die Istbesteuerung
- Drucksache 16/9836 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Undine Kurth ({7}), Cornelia
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betäubungslose Kastration von Ferkeln beenden - Alternativen fördern
- Drucksache 16/10615 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({8})
Rechtsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Mehrwegsysteme durch Lenkungsabgabe auf
Einwegverpackungen stützen
- Drucksache 16/11449 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Prävention der Glücksspielsucht stärken
- Drucksache 16/11661 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Winfried
Hermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung
des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 16/11635 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({11})
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({13}),
Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige
Ghetto-Insassen erleichtern
- Drucksachen 16/6437, 16/10334 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Konsequenzen aus der Existenz weiterer fauler Wertpapiere bei deutschen Banken im Umfang von Hunderten Milliarden Euro
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Biogaseinspeisung und Wärmeeinsparung
jetzt voranbringen - Konsequenzen aus Erdgas-Streit und Ressourcenverknappung ziehen
- Drucksache 16/11645 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
ZP 6 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marieluise Beck ({16}), Volker Beck ({17}),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Umsetzung der EU-Zentralasienstrategie
- Drucksachen 16/8951, 16/10712 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für
Conterganbetroffene
- Drucksache 16/11639 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({18})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden. - Ich kann auch
dazu offensichtlich Einvernehmen feststellen. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2009 der Bundesregierung
Konjunkturgerechte Wachstumspolitik
- Drucksache 16/11650 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 16/10985 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({20})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Zum Jahreswirtschaftsbericht 2009 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Michael Glos.
({21})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir debattieren über den Jahreswirtschaftsbericht 2009 in der schwersten Rezession in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Wachstum in Höhe von 1,3 Prozent im Jahr 2008 müssen wir
für 2009 erstmals einen Rückgang des Bruttosozialproduktes in Höhe von zweieinviertel Prozent prognostizieren. Deutschland war lange auf der Sonnenseite der
Globalisierung. Wir waren Gewinner des weltwirtschaftlichen Aufbruchs, den es in den letzten Jahren gegeben
hat. Wir sind jetzt natürlich davon berührt, wenn es mit
der Weltwirtschaft, verursacht durch die Finanzmarktkrise, abwärtsgeht. Wir müssen dadurch Rückgänge bei
den Ausfuhren prognostizieren. Wir rechnen mit einem
Rückgang in Höhe von 9 Prozent bei den Ausfuhren. Die
Betroffenheit der deutschen Wirtschaft reicht allerdings
über den Außenhandel hinaus. Betroffen ist die Ertragskraft deutscher Direktinvestitionen im Ausland; das ist
eine ganze Menge. Betroffen ist auch die Stimmung bei
Investoren und Konsumenten.
Es gibt allerdings auch Hoffnung. Es bestehen gute
Chancen, dass der private Verbrauch als Anker der wirtschaftlichen Entwicklung wirkt. Die Konsumausgaben
werden nach unserer Prognose 2009 um 0,8 Prozent
wachsen. Das liegt unter anderem an den gesunkenen
Öl- und Energiepreisen, aber auch an der Tatsache, dass
die Inflationsrate generell zurückgeht. Allein aufgrund
der sinkenden Energiepreise haben Konsumenten und
Unternehmen eine Ersparnis von 20 Milliarden Euro.
Das ist eine gewaltige Summe. Das reicht aber natürlich
nicht, um die außenwirtschaftlich bedingten Belastungen, von denen ich gerade gesprochen habe, zu kompensieren. Unsere Antwort auf diese große wirtschaftspolitische Herausforderung ist eine konjunkturgerechte
Wachstumspolitik. Das haben wir als Überschrift über
den Jahreswirtschaftsbericht geschrieben. Ich meine, wir
müssen alles tun, um den privaten Konsum und damit
auch ein Stück die Konjunktur zu stabilisieren, neben Investitionsmaßnahmen, auf die ich noch zu sprechen
komme.
In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung
deswegen ein großes Konjunkturprogramm auf den Weg
gebracht. Es soll eine Brücke für Wachstum und
Beschäftigung hier in Deutschland bauen. Auch in der
schweren Zeit dürfen die Muskeln nicht erschlaffen. Wer
seine Muskeln nicht nutzt, wird schwächer.
({0})
Deswegen wollen wir auch in diesem schwierigen Jahr
unser Bestes tun. Ich bedanke mich bei dem Kollegen
Scholz und bei der Bundesagentur für Arbeit dafür, dass
sie entsprechende Übungsmaßnahmen ergriffen haben.
Die Schulungsmaßnahmen sollen auch die Gehirnmuskeln trainieren.
({1})
Wir wollen die Arbeitnehmer erstens im Beschäftigungsverhältnis halten, weil wir die Fachkräfte auch
nach der Krise brauchen, und zweitens wollen wir diese
Zeit für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen nutzen.
({2})
Das neue Paket setzt die Linie vom Oktober 2008
fort. Ich nenne als Beispiele die Erhöhung des Kindergelds und die Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent, ferner das 15-PunkteProgramm, das ich nicht noch einmal im Einzelnen erläutern muss. Das neue Programm, um das es geht, lässt
sich in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens. Wir entlasten Bürger und Betriebe von Steuern und Abgaben um insgesamt 18 Milliarden Euro in
diesem und im nächsten Jahr. Ihnen bleibt also künftig
mehr Netto vom Brutto. Wir wirken auch der kalten Progression entgegen. Ich freue mich, dass das endlich möglich wird. Ich habe dafür jahrelang gekämpft.
({3})
Ich möchte unseren Bundespräsidenten zitieren, der in
der Bild-Zeitung von heute schreibt:
Jetzt müssen wir unsererseits das Wachstum im Inneren stärken. Damit das nachhaltig gelingt, müssen wir auch an die denken, die hart arbeiten und
ihre Steuern und Abgaben zahlen. Ihre Anstrengungen sollen sich auch für sie selber lohnen.
({4})
Ich meine, das ist richtig. Viele Millionen von Menschen, die ihr Geld hart erarbeitet haben, wissen, wie sie
es sinnvoll ausgeben. Wenn sich jemand entschließt, sein
Geld zu sparen, dann hilft das der Versorgung der Wirtschaft mit Krediten.
Zweitens. Durch den niedrigen Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung, den wir durch die
Erhöhung des Bundeszuschusses ermöglichen, werden
Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie die über 18 Millionen Rentner entlastet. Das ist der zweite große Schritt.
Drittens. Die Bundesregierung weitet den Bürgschaftsrahmen für Unternehmen um 100 Milliarden
Euro aus; denn es darf in den kommenden Monaten nicht
zu Engpässen bei der Kreditversorgung kommen. Darum
geht es in allererster Linie. Es geht nicht darum, dass
sich der Staat als Unternehmer betätigt. Das kann die
Wirtschaft sehr viel besser. Aber wir müssen diese
schwierigen Zeiten überbrücken und sicherstellen, dass
die Unternehmen, die auch nach der Krise gebraucht
werden, diese Brücke begehen können;
({5})
denn wir rechnen bereits in der zweiten Hälfte dieses
Jahres mit einer Verbesserung.
Viertens. Wir fördern mit 18 Milliarden Euro öffentliche Investitionen. Damit werden Schulen, Hochschulen
und Krankenhäuser modernisiert. Wir erneuern auch
Schienen, Wasserwege und Straßen.
Ich hoffe, dass dieses Paket rasch umgesetzt wird,
dass vor allen Dingen die Länder, die einen Großteil dieses Paketes umsetzen müssen, sehr rasch zu Vereinbarungen mit den Kommunen kommen und dass die Kommunen das, was sie betrifft, noch in diesem Jahr in die
Tat umsetzen können. Alles in allem beläuft sich dieses
Konjunktur- oder Maßnahmenpaket, wie immer Sie es
nennen wollen, auf 80 Milliarden Euro, die schnell, zielgerichtet und vor allen Dingen dauerhaft wirksam eingesetzt werden müssen. Das ist eine bedeutende Größenordnung. Diese Hilfe geht weit über eine sektorale Hilfe
für die Automobilindustrie hinaus.
Das Programm wird also einen ganz entscheidenden
Beitrag dazu leisten, die negative Erwartungsspirale zu
durchbrechen und Vertrauen wiederherzustellen. Deshalb ist es auch ein wichtiges Signal, dass die Bundesregierung nicht nur am Ziel der langfristigen Haushaltskonsolidierung festhält. Zusätzlich bauen wir eine
Schuldenbremse ins Grundgesetz ein.
({6})
Damit stärken wir das Vertrauen der Bürger in die Zukunft, auch in die Zukunft eines handlungsfähigen Staates, Herr Kuhn.
({7})
Das sind Schlüsselfaktoren bei der Überwindung dieser
Krise.
({8})
Ich bin überzeugt: Das Paket wird wirken. Je weniger es
zerredet wird, desto stärker wird die Wirkung dieses Paketes sein; denn Wirtschaft ist ein Stück weit auch Psychologie.
({9})
Dass wir überhaupt so viel in die Hand nehmen und
mobilisieren können, hängt damit zusammen, dass in
den letzten drei Jahren sehr seriös gewirtschaftet worden
ist und dass es uns im vergangenen Jahr gelungen ist,
den öffentlichen Gesamthaushalt praktisch auszugleichen. Dadurch ist es möglich, diese Maßnahmen zu ergreifen, ohne dass wir in diesem Jahr die 3-ProzentGrenze von Maastricht übersteigen.
Wir werden mit den strukturellen Reformen auf dem
Arbeitsmarkt, die ich schon erwähnt habe, nicht nur sehr
viel bewegen. Vielmehr haben diese strukturellen Reformen überhaupt erst eine sehr gute Beschäftigungslage in
Deutschland ermöglicht, wie wir sie lange nicht mehr
hatten. Wir gehen also erstens mit einem starken Arbeitsmarkt in die Krise. Zweitens können wir große Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung vorweisen. Der
dritte wichtige Punkt ist, dass unsere Unternehmungen
gut aufgestellt sind. Sie sind im weiten Durchschnitt besser mit Eigenkapital versorgt, als es vor etlichen Jahren
der Fall war. Vor allen Dingen sind sie so gut am Markt
aufgestellt, dass sie diese Krise überwinden können. Ich
meine, dass diese Faktoren ganz entscheidend zum Aufbruch und zum Aufschwung in den vergangenen Jahren
beigetragen haben. Die Unternehmungen werden in der
großen Mehrheit selbst Wege finden, wettbewerbsfähig
aus der Rezession hervorzugehen.
Eine Katastrophe haben wir nicht, wohl aber wirtschaftlich schwierige Zeiten. Wer von einer Katastrophe
spricht, der zerstört den Optimismus, den wir brauchen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir einen guten Weg eingeschlagen haben, um gestärkt aus dieser Phase herauszugehen.
({10})
Wir müssen die Finanz- und Wirtschaftskrise vor allen Dingen mit den bewährten Mitteln der sozialen
Marktwirtschaft lösen, die uns einen fast unvergleichlichen Wohlstand bei gleichzeitiger sozialer Sicherheit gebracht haben. Natürlich müssen darüber hinaus die Finanzmärkte mit neuen Regeln versehen werden;
({11})
die Bundesregierung ist dabei, hier im internationalen
Konzert ihren Beitrag zu leisten.
Ich darf zum Abschluss noch einmal den Bundespräsidenten zitieren, der heute in dem schon erwähnten Artikel in der Bild-Zeitung sagt:
Es geht um eine Marktwirtschaft, die sich weltweit
an Solidarität und Verantwortung bindet, ohne die
Kraft von Markt und Preis und Wettbewerb auszuschalten. Es geht um einen Kapitalismus mit
menschlichem Antlitz. Dazu kann unser Land einen
guten Beitrag leisten. Dann geht Deutschland gestärkt aus der Krise hervor.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Ernst Burgbacher,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Minister Glos, möchte ich Ihnen ein Lob
aussprechen.
({0})
- Ja, Herrn Minister Glos. - Anders als Ihre SPD-Vorgänger versuchen Sie nicht, die Wachstumsprognosen
ständig politisch schöner zu machen.
({1})
Sie haben uns im Aufschwung realistische Werte vorgelegt. Sie tun das auch im Abschwung. Das halten wir für
ein gutes Vorgehen, das man auch ausdrücklich anerkennen darf.
({2})
Ob das allerdings für die Beschäftigungszahlen zutrifft, ist die Frage. Man kann eigentlich nur hoffen, dass
die Werte eintreten, die Sie prognostizieren. Wir sind da
allerdings skeptisch; möglicherweise bekommen wir
doch eine andere Entwicklung. Aber wir hoffen mit Ihnen. Wir müssen alle gemeinsam hoffen, dass wir das
Problem im Griff behalten. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Es macht überhaupt keinen Sinn, sich jetzt mit
schlechten Raten zu überbieten und alles noch schlechter
zu reden. Ein Stück Optimismus ist angesagt. Darin
stimmen wir überein.
({3})
Früher war der Jahreswirtschaftsbericht der wirtschaftspolitische Kompass der Bundesregierung. Das ist
dieses Mal leider nicht der Fall. Dieser Jahreswirtschaftsbericht ist eigentlich nur eine konjunkturpolitische Bestandsaufnahme. Das halten wir ausdrücklich für
falsch. Es gibt ein englisches Wort, das sinngemäß lautet:
Wenn Sie nicht über die Zukunft nachdenken, können Sie
keine haben. - Das trifft hier sehr stark zu. Deshalb brauchen wir einen wirtschaftspolitischen Kompass für
dieses Land. Den haben Sie, Herr Minister, leider nicht
vorgelegt.
({4})
Sie haben selbst davon gesprochen - das wird auch
im Bericht erwähnt -, dass der private Konsum die deutsche Wirtschaft stützen muss. Das ist ja richtig; nur,
meine Damen und Herren: Wer 20 Steuer- und Abgabenerhöhungen in drei Jahren beschließt, der kann nicht erwarten, dass die Binnennachfrage in Schwung kommt.
({5})
Selbst der Chefwirtschaftsweise der Bundesregierung, Bert Rürup, stellt fest - ich zitiere -:
Andererseits ist der private Verbrauch bei uns seit
Jahren flach wie ein Brett. Den Export können wir
nicht stimulieren, also bleibt uns nur die Binnennachfrage.
Aber Sie tun viel zu wenig, um die Binnennachfrage
anzukurbeln. Wenn wir sie tatsächlich stützen wollen,
dann müssen wir die Menschen jetzt entlasten. „Mehr
Netto vom Brutto“ muss jetzt gelten. Das ist das Wichtigste. Da ist bei Ihnen leider weitgehend Fehlanzeige.
({6})
Wir fordern steuerliche Entlastungen. Wir wiederholen immer wieder: Das Allermindeste wäre doch jetzt,
dass Sie die für 2010 geplanten Entlastungen vorziehen.
Was unser Land unbedingt braucht, ist ein einfaches und
gerechtes Steuersystem mit niedrigen Tarifen. Das wird
im Mittelpunkt der FDP-Forderungen stehen, weil das
das Entscheidende für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ist.
({7})
Meine Damen und Herren, wir müssen in der Entwicklung Deutschlands seit 1998 eine ganz gefährliche
Diskrepanz feststellen. Auf der einen Seite hat die große
Mehrzahl der Unternehmen die guten Jahre genutzt, um
Betriebsabläufe zu optimieren und die Kostenstrukturen
grundlegend zu verbessern und gehört damit in ihrer
Wettbewerbsfähigkeit weltweit zur Spitzengruppe. Gerade jüngste Untersuchungen bestätigen dies eindrucksvoll, übrigens auch die Tatsache, dass wir über Jahre hinweg Exportweltmeister sind. Auf der anderen Seite
steht eine weitgehend verfehlte Wachstums- und Reformpolitik. Die Einführung von Mindestlöhnen in weiteren fünf Branchen sowie die geplante Änderung des
Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen gerade in dieser Woche sind ein trauriger aktueller Beleg für diese verfehlte Wachstums- und Reformpolitik.
({8})
Auch die Unternehmensteuerreform mit ihren kostentreibenden Elementen - das werden Sie im Augenblick
vermehrt hören - geht gerade in konjunkturschwachen
Zeiten häufig an die Unternehmenssubstanz. Nimmt
man die Erbschaftsteuerreform dazu, die besonders Familienunternehmen erheblich belastet, dann zeigt sich:
Unter dem Strich ist die Wachstums- und Reformpolitik
verfehlt. Der Vorwurf, den wir Ihnen machen, lautet: Sie
haben in guten Zeiten in keiner Weise für schlechte Zeiten vorgesorgt, sondern Sie haben das Geld weiter ausgegeben. Herr Minister Glos, es stimmt ja nicht, dass Sie
ausgeglichene Haushalte vorgelegt haben. Trotz erheblich höheren Steueraufkommens haben Sie in guten Zeiten noch einen Haushalt mit über 10 Milliarden Euro
neuen Schulden vorgelegt. Das geht nicht. Das ist eine
falsche Politik.
({9})
Das, meine Damen und Herren, ist auch eine unserer
größten Sorgen. Wir brauchen mehr Entlastung. Das ist
richtig. Aber Sie nehmen jetzt eine ganze Menge Geld in
die Hand, um in ganz verschiedenen Bereichen Maßnah21570
men zu ergreifen. Sie begeben sich damit in eine Verschuldung, die zu einer schweren Hypothek für die Zeit
des Aufschwungs wird. Wir haben schon heute fast
1,6 Billionen Euro Schulden. Seit zwei Jahren versuchen
wir in der Föderalismuskommission - ich selbst bin Mitglied -, strenge Schuldengrenzen zu finden.
({10})
Was machen Sie jetzt? Alle Dämme reißen. Sie begeben
sich in eine zusätzliche Verschuldung. Ich frage Sie: Wer
soll diese noch beherrschen? Deshalb ist es unabdingbar
- das muss uns gelingen -, strengere Schuldengrenzen
einzuziehen. Das gebietet der Respekt vor den kommenden Generationen. Das gebietet aber auch die Sorge um
die Zukunft unseres Landes insgesamt.
({11})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen. Sie haben ein breites Spektrum vorgelegt und gehen jetzt auf einzelne Branchen ein. Ich frage
Sie: Ist das wirklich der richtige Weg? Was ist eigentlich
mit den anderen Branchen? Wenn das verfügbare Einkommen weiter zurückgeht, wenn die Binnennachfrage
weiter zurückgeht, dann wird es beispielsweise im wichtigen Bereich Tourismus und Gaststätten große Probleme geben. 2,8 Millionen Menschen verdienen in diesem Bereich ihr Brot. Werden wir auch denen helfen?
Es gibt nur eines, was wir jetzt tun müssen: die Bürgerinnen und Bürger entlasten, strenge Schuldengrenzen
einziehen. Wir sagen Ihnen zu: Was vernünftig ist, wird
von uns unterstützt; was falsch ist, wird genauso hart kritisiert. Das ist unsere Rolle, die wir in hoher Verantwortung vor den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
wahrnehmen werden.
Herzlichen Dank.
({12})
Ludwig Stiegler ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede
des Kollegen Burgbacher hat wieder einmal gezeigt, wie
gut es ist, dass die FDP in diesen schwierigen Zeiten
nicht regiert.
({0})
Die Weltwirtschaft ist durch das Befolgen liberaler
Prinzipien in die jetzige katastrophale Lage geraten.
Herr Burgbacher, gehen Sie in die Bibliothek und leihen
Sie sich von Keynes The End of Laissez-Faire aus. Dann
werden Sie sehen: Es ist schon früher erkannt worden,
dass man in schwierigen Zeiten nicht alles laufen lassen
kann. Bevor Sie wieder eine Steuerorgie veranstalten, lesen Sie die Ausführungen von Dominique Strauss-Kahn
vom Internationalen Währungsfonds,
({1})
in denen er deutlich gemacht hat, dass Steuersenkungen
in diesen Zeiten weitaus weniger bewirken als aktive
Maßnahmen wie Investitionen und Förderung von
Wachstum und Beschäftigung.
({2})
Meine Damen und Herren, dieser Jahreswirtschaftsbericht zeigt eine jähe Wende an. Erinnern wir uns zurück: Vor einem Jahr haben wir hier oft noch viele
Selbstgefälligkeiten über die Entwicklung der Weltwirtschaft und die Entwicklung unserer Wirtschaft hören
können. Die Frühwarnsignale wollte damals niemand
zur Kenntnis nehmen, obwohl es sie auch damals schon
gab.
({3})
Wir lernen jetzt, dass mit des Geschickes Mächten kein
ewiger Bund zu flechten ist und wir allein mit dieser jähen Wende fertig werden müssen.
Wir sollten uns an einem Tag wie dem der Debatte
des Jahreswirtschaftsberichts auch mit unserer Prognosefähigkeit auseinandersetzen. Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel daran, dass die allermeisten
unserer Institute schöne Prognosen gemalt haben, aber
damit weit hinter der Kurve lagen. Ausgerechnet die
vom Weltwirtschaftsforum in Davos haben schon im Januar gewarnt, und der Internationale Währungsfonds
hat, beschimpft von vielen, im April und dann wieder im
September sowie im Oktober - das wird auch jetzt im
Januar wieder so sein - die Realität aufgezeigt. Ich
denke, hieraus müssen wir Schlussfolgerungen ziehen.
Die Gemeinschaftsdiagnose muss überprüft werden.
Das Modell ist wohl nicht stimmig. Der Sachverständigenrat lag hinter der Kurve; sogar bei seinem WorstCase-Szenario lag er weit hinter der Kurve. Offenbar
fehlt unseren Prognostikern die internationale Sicht der
Dinge. Offensichtlich sind die Modelle nicht richtig kalibriert, und die internationale Zusammenarbeit der Wissenschaftler ist noch ausbaubar.
Daraus sollten wir auch Schlussfolgerungen für
Deutschland ziehen. Wir müssen Strukturen aufbauen,
die in der neuen Weltsituation die Lage der Weltwirtschaft stärker im Blick haben und besser überwachen
können. Wir müssen mit der OECD, dem IMF und vor
allem auch der Weltbank kooperieren, um uns ein Bild
von der Lage in der ganzen Welt machen zu können; wir
dürfen nicht nur einen nationalen oder europäischen
Blick haben. Wir müssen Antworten in Bezug auf den
von der Bundesbank in ihrem Monatsbericht Dezember
2008 mit 85 Prozent angegebenen Offenheitsgrad unserer
Volkswirtschaft geben. Keine Volkswirtschaft der Welt ist
- sowohl durch Importe als auch durch Exporte - derart
mit der Weltwirtschaft verbunden wie unsere. Man
könnte die deutsche Wirtschaft fast als Derivat der WeltLudwig Stiegler
wirtschaft bezeichnen; denn wir sind eine Funktion der
weltwirtschaftlichen Entwicklung.
Das erfordert andere institutionelle Antworten vonseiten der Bundesregierung. Bei den Forschungsinstituten sowie beim Sachverständigenrat muss insbesondere
der internationale Sektor ausgebaut werden. Ich hoffe,
dass im Rahmen der Nachbesetzung nach dem Ausscheiden von Herrn Rürup jemand dazukommt, der dazu beiträgt, dass die internationalen Zusammenhänge besser
abgebildet werden, als sie im jetzigen Mix des Rates abgebildet werden.
({4})
Meine Damen und Herren, wir müssen die internationale und die europäische Zusammenarbeit erweitern und
verbessern. Niemand kommt aus dieser Krise alleine
heraus. Schon Helmut Schmidt hat uns in seinem Büchlein gelehrt, dass die Weltwirtschaft unser Schicksal ist.
Niemand darf glauben, er könne sich auf Kosten seines
Nachbarn einen Exit aus den Schwierigkeiten leisten.
Vor diesem Hintergrund brauchen wir eine solidarische Zusammenarbeit in Europa - vor allem mit den
Staaten Mittel- und Osteuropas, die unter der Lage ganz
besonders leiden -, aber auch mit der Dritten Welt. Deshalb finde ich es gut, dass das Konjunkturprogramm der
Bundesregierung dank Heidemarie Wieczorek-Zeul auch
in diese Richtung ein Signal gesetzt hat. Das zeigt, dass
wir in der Krise nicht nur auf uns schauen, sondern auch
sehen, wie es den anderen geht; denn wir wissen, dass
wir aus der Krise nur gemeinsam wieder herauskommen
können.
({5})
Die Erweiterung der G 7 auf die G 20, die immerhin
85 Prozent der Weltwirtschaft abbilden, unterstützen wir
sehr. Dies muss eine dauerhafte Einrichtung sein, nicht
nur bei der Neuregulierung der Finanzmärkte, sondern
auch in einer abgestimmten Wirtschaftspolitik. Auch das
erfordert institutionelle Vorkehrungen: dass man sich
kennt, dass in der Wissenschaft zusammengearbeitet
wird, dass die Politik aufeinander bezogen ist.
Wir müssen alle miteinander den Internationalen
Währungsfonds stärken, der als Einziger eine Weltübersicht hat und als Einziger auch denen eine Stimme
gibt - und immer mehr geben muss -, die im Chor der
Weltwirtschaft bisher keine Stimme haben. Nur auf diese
Weise können wir aus der Krise herauskommen.
Wir müssen eines lernen: Die Überschussländer müssen mehr tun als die Defizitländer.
({6})
Das gilt für China, für Japan und auch für Deutschland.
Wir können nicht sagen: Das geht uns nichts an; wir haben unsere Überschüsse. - Nein, wir müssen hier zusammenarbeiten.
Meine Damen und Herren, als Erstes steht die Konsolidierung des Bankensystems an. Ohne Konsolidierung
der Finanzwirtschaft gibt es keine Erholung der Weltwirtschaft.
({7})
Das haben wir inzwischen wohl gelernt. Im Rahmen der
Diskussionen um die Amtseinführung von Herrn
Geithner in den USA ist deutlich geworden, dass es andernorts ebenso gesehen wird.
Dies müssen wir oft auch unserer Bevölkerung erklären. Es geht nicht darum, dass wir Aktionäre oder
Bankvorstände retten. Ohne das öffentliche Gut einer
funktionierenden Finanzwirtschaft mit einer ordentlichen Kreditversorgung werden wir nicht aus der Krise
herauskommen. Das ist die wichtigste und drängendste
Aufgabe, die in den nächsten Wochen und Monaten vor
uns liegt.
({8})
Dazu gehört die Kontrolle des Verhaltens von Vorständen. Ich bin dankbar, dass der Kollege Poß mit seinen Kollegen von der CDU/CSU gestern eine Verständigung über Managergehälter erzielt hat. Es gab falsche
Anreize auf der Mikroebene, die zu Kurzfristigkeit und
zu einer übersteigerten Risikofreudigkeit geführt haben.
Denn das Risiko musste von den Managern nicht selber
getragen werden, sondern es gab andere, die das getan
haben. Die Boni mitnehmen und den Mist den anderen
überlassen: All das muss ein Ende haben.
({9})
Diese Entwicklung muss übrigens auch in der Wissenschaft nachgearbeitet werden. Die verfluchte Principal Agent Theory besagte: Ihr müsst die Manager am
goldenen Zügel führen, damit sie die Aktionärswünsche
befriedigen. Wenn die Aktionäre viel bekommen, dann
bekommen auch die anderen viel. - Wir haben schon immer kritisiert, dass die Arbeitnehmerinteressen und die
Standortinteressen mit Blick auf die Zukunft zu kurz
kommen. Das muss jetzt bei den Reformen gründlich geändert werden. Die Leistung eines Managers darf nicht
an der Jahresperformance, sondern muss daran gemessen werden, ob das Unternehmen auch noch Jahre später
Gewinne erwirtschaftet und seine Leute beschäftigen
kann.
({10})
Das ist die Mikroebene. Aber auch auf der Makroebene müssen wir mithelfen, dass die Banken wieder in
der Lage sind, Kredite auszureichen. Wir appellieren an
die Banken, dass sie die Angebote der Förderbanken
vom Bund und von den Ländern annehmen. Den meisten
von Ihnen wird es so gehen wie mir, nämlich dass Firmen anrufen und sagen: Die Banken wissen nichts von
entsprechenden Bundesprogrammen. - Dabei hat die
Bundeskanzlerin schon letztes Jahr gesagt, dass ab
1. Dezember Anträge gestellt werden können. Es kann
nicht sein, dass sich die Banken vor ihrer Verantwortung
drücken. Wir müssen den Firmen jetzt die Möglichkeit
geben, diese schwierige Phase zu überbrücken. Wenn
der Bund einen großen Teil der sorgfältig geprüften Risi21572
ken übernimmt, dann sollten Möglichkeiten zur Kreditaufnahme auch angeboten werden. Das ist die öffentliche Aufgabe des Bankensystems.
({11})
Wir müssen unsere Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen. Wenn wir die Kriterien des Stabilitätsund Wachstumsgesetzes zugrunde legen, dann müssen
wir sagen, dass die Wirtschaft schon einige Zeit aus dem
Gleichgewicht ist. Ich habe bereits auf die laufenden hohen Überschüsse hingewiesen. Wir haben lange Zeit von
der Außenwirtschaft gelebt. Wir erleben nun, dass wir
von dieser Gleichgewichtsstörung heimgesucht werden. Diesen Punkt müssen wir angehen. Wir können uns
nämlich nicht darauf verlassen, dass wir auf Dauer von
hohen Überschüssen leben können. Ich greife das Bild
des Wirtschaftsministers auf: Wir haben ein Außenwirtschaftsbein mit starken Muskeln, in dem es jetzt einen
Krampf gibt. Wir haben aber ein nur sehr schwach entwickeltes Binnenwirtschaftsbein. Durch unsere Maßnahmen muss die Binnenwirtschaft gestärkt werden; ansonsten geht die ganze Veranstaltung schief.
({12})
Lassen Sie uns deshalb dafür sorgen, dass die Binnenwirtschaft aufholt.
Der Bauwirtschaftsindex ist von 100 im Jahr 2000 auf
70 heute abgesackt. Da gibt es noch riesige Spielräume.
Es gibt auch noch große Spielräume bei der Bildung, bei
der Umwelt, bei Forschung und Entwicklung und bei
den sozialen Diensten.
({13})
Wir müssen uns auch die Anteile der verschiedenen
Gruppen am Volkseinkommen ansehen. 2008 ist der Arbeitnehmeranteil erstmals wieder gestiegen. Herr
Burgbacher, gerade mit Mindestlöhnen werden wir dafür
sorgen, dass die Arbeitnehmeranteile am Volkseinkommen weiter steigen. Das ist die geeignete Maßnahme für
mehr Nachfrage und für mehr Massenkaufkraft. Diese
Aufgabe liegt vor uns.
({14})
Wir müssen aufpassen, dass die Disinflation - so die
Bezeichnung der Europäischen Zentralbank - nicht zu
einer Deflation führt. Da gibt es noch viele Beschwichtigungsversuche. In diesem Zusammenhang denke ich
manchmal an Biedermann und die Brandstifter von Max
Frisch. In diesem Roman haben die Hauptpersonen immer beschwichtigt, um dann hinterher überrascht zu
sein. Deshalb ist es gut, dass die Europäische Zentralbank und die anderen Zentralbanken der Welt ihre Aufgabe wahrnehmen.
Wir müssen uns auch um einen hohen Beschäftigungsstand kümmern. Deshalb heißt die sozialdemokratische Devise: qualifizieren statt entlassen. Das ist die
Botschaft an die Unternehmen.
({15})
Wir haben eine Menge Instrumente. Wir haben in
Deutschland automatische Stabilisatoren, wie es sie
sonst nirgendwo in der Welt gibt. Da sind zum Beispiel
der niedrige Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung,
das Abschmelzen der Reserven und die Bundesgarantie.
Das sind bedeutsame Stabilisatoren für das Wachstum
der Wirtschaft. Diese sollten wir aufrechterhalten. Herr
Burgbacher, ich bin dankbar dafür, dass der Finanzminister im Gegensatz zu Ihnen zu diesen automatischen
Stabilisatoren steht.
Wir müssen die fallenden Energie- und Rohstoffpreise nutzen, weil dadurch die Massenkaufkraft gestärkt wird - das ist ein gewaltiger Impuls -, und wir
müssen die diskretionären Maßnahmen angehen. Ich
meine die 80 Milliarden Euro. Das sind aber nur die direkten Effekte. Wenn man auch die Multiplikatoren berücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass eine
Reihe weiterer Impulse zu erwarten ist.
Ich denke, die deutschen Maßnahmen können sich im
europäischen und im weltweiten Kontext sehen lassen.
Wir werden damit auch den Anforderungen des Internationalen Währungsfonds gerecht. Wir müssen uns immer
klar darüber sein, dass es nicht nur um uns geht, sondern
auch um unsere europäischen Nachbarn und um unsere
Partner in der Welt. Denen, die saudumm daherreden
und sagen, von der Abwrackprämie profitierten auch die
Hersteller ausländischer Fahrzeuge, sage ich: Ein Land,
das von der Weltwirtschaft abhängig ist, kann nicht solche protektionistischen Sündenfälle begehen. Wir sind
Welthändler, und wir bleiben der Weltwirtschaft gewogen, auch wenn wir jetzt schwerpunktmäßig unsere Binnenwirtschaft stärken müssen.
({16})
Die Frage ist: Geht man pessimistisch oder optimistisch an die Sache heran? Ich bin dafür, dass man realistisch bleibt. Obama hat den Amerikanern eine sehr nüchterne Bilanz präsentiert, am Ende aber Hoffnung
gemacht, dass man es miteinander schaffen kann. Ich
denke, nach einer ernüchternden Analyse und drastischen Maßnahmen können wir gemeinsam den Weg zu
einer Erholung bahnen.
Wenn ich die jetzige Situation zum Beispiel mit der
Zeit der großen Depression vergleiche, ist es für mich
tröstlich, dass die Staaten heute zur Zusammenarbeit bereit sind. Deutschland ist nicht Objekt, sondern Subjekt
und ein wichtiger Akteur in dieser Auseinandersetzung.
Die Europäische Union ist eine starke Gemeinschaft.
Wir werden durch entschiedenes gemeinsames Handeln
und nicht durch liberales Laisser-faire aus der Krise herauskommen.
({17})
Das Wort hat nun der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann den Ausführungen des Kollegen Stiegler
zustimmen. Was er hier vorgetragen hat, ist im Grundsatz richtig und wird von meiner Fraktion unterstützt.
Die erste Aussage war, dass die jetzige Krise ohne
eine Regulierung der Finanzmärkte nicht zu bewältigen ist. Dieser Aussage kann man ohne Einschränkung
zustimmen. Die Frage ist nur: Was hat unsere Bundesregierung bisher getan, um die Regulierung der Finanzmärkte voranzubringen? Für meine Fraktion muss ich
feststellen, dass die Bundesregierung an dieser wichtigen Stelle, bei der Herausforderung, die diese wichtige
Aufgabe darstellt, völlig versagt hat.
({0})
Sie hat bisher keinerlei Maßnahmen auf den Weg gebracht, mit denen sie eine Regulierung der Finanzmärkte
ernsthaft angeht.
Da ein solcher Vorwurf, wenn er von Vertretern der
Oppositionsfraktionen vorgetragen wird, als Gerede abgetan wird, zitiere ich hier den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der dazu in einem bemerkenswerten
Aufsatz Stellung genommen hat. Er sagt zu den Maßnahmen, die bisher gehandelt werden:
Allerdings sind die meisten der prinzipiell richtigen
Punkte unscharf und deshalb sehr auslegungsfähig
formuliert.
Das trifft genau den Kern.
Vor allem aber hat sich keine der beteiligten Regierungen
- also auch die deutsche Regierung nicht in bindender Weise festgelegt. Keines der vorhandenen internationalen Organe ist mit der Verwirklichung der zahllosen Absichtserklärungen beauftragt worden.
Damit analysiert er die Situation sehr genau. Wir haben seit Monaten Kenntnis von den verheerenden Auswirkungen der Deregulierung auf den Finanzmärkten.
Warum tut diese Regierung nichts, um die Finanzmärkte
zu regulieren? Wir verstehen das einfach nicht.
({1})
Wir haben hier immer wieder einen ganzen Katalog
mit Forderungen vorgelegt. Drei Kernforderungen
möchte ich hier in Erinnerung rufen:
Erstens. Wenn man jetzt etwas besser machen will,
muss man sicherstellen, dass große Risiken nicht in
Zweckgesellschaften versteckt oder nicht in der Bilanz
ausgewiesen werden. Das ist eine pure Selbstverständlichkeit. Warum wird eine entsprechende Verordnung
oder ein entsprechendes Gesetz nicht erlassen? Das ist
doch niemandem mehr vermittelbar.
({2})
Wenn Sie den Banken weiterhin Milliarden über den sogenannten Bankenrettungsschirm geben, aber nicht sicherstellen, dass diese Milliarden nicht irgendwo verschwinden, dann ist das eine Veruntreuung von
Milliarden Steuergeldern, der Sie sich hier schuldig machen.
({3})
Ich sage: Das tun Sie. In den letzten Monaten haben Sie
Milliarden von Steuergeldern veruntreut.
Zweitens haben wir vorgeschlagen, dass die sogenannten Schrottpapiere in Zukunft verboten werden. Es
kann nicht sein, dass weiterhin Verbriefungen in der bisherigen Form in Deutschland gehandelt werden. Es kann
auch nicht sein, dass beispielsweise Kreditversicherungen in bisheriger Form in der ganzen Welt, aber auch in
Deutschland gehandelt werden.
Der dritte Vorschlag, den wir Ihnen gemacht haben
- ich greife nur drei von zehn oder zwölf unserer Vorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte auf -, ist, die
Steueroasen trockenzulegen. Ohne das Trockenlegen der
Steueroasen laufen Sie Gefahr, dass die von Ihnen zur
Verfügung gestellten Milliarden in diesen Oasen landen.
Das können Sie doch nicht ernsthaft verantworten.
({4})
Weil Vorschläge der Opposition regelmäßig abgelehnt
werden, haben wir uns erlaubt, diese drei Punkte, die
praktisch deckungsgleich mit den Vorschlägen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt sind, die er
kürzlich in einem Aufsatz genannt hat, aufzugreifen und
Ihnen in unserem Entschließungsantrag zur Abstimmung
vorzulegen. Wir sind gespannt, wie Sie darauf reagieren.
Ich sage hier nur eines: Diese Vorschläge sind konkreter
und besser als alles, was bisher von dieser Bundesregierung vorgelegt worden ist.
({5})
Sie würden sich selbst einen Gefallen tun, wenn Sie an
dieser Stelle zustimmen und dadurch den Maßnahmen,
die jetzt zu treffen sind, eine gewisse Richtung geben
würden.
Es ist wirklich ein Problem - man geht ja einfach zum
Alltag über -: Wer in der jetzigen Situation beispielsweise der Geschäftsbank Commerzbank oder der Dresdner Bank 18 Milliarden Euro gibt - was reitet Sie eigentlich, die Fusion von privaten Geschäftsbanken mit
Milliarden zu finanzieren; ist das Auftrag einer Regierung?, frage ich hier mal für die Fraktion Die Linke -,
noch mehr Milliarden im Risiko bei der HRE hat - ich
will das aus Zeitgründen gar nicht alles aufzählen - und
nicht sicherstellt, dass diese Milliarden nicht veruntreut
werden, handelt völlig verantwortungslos. Genau diesen
Vorwurf mache ich dieser Regierung.
({6})
Nächster Punkt. Herr Kollege Stiegler hat davon gesprochen, dass man konjunkturell gegensteuern müsse
und insbesondere die Binnennachfrage stärken müsse.
Wer wollte dem widersprechen? Die Frage ist aber, in
welcher Form und in welchem Ausmaß man konjunkturell gegensteuern muss. Man kann dankbar sein, dass
wiederum der ehemalige Bundeskanzler den Bezug herstellt, warum und in welcher Größenordnung man über21574
haupt gegensteuern sollte. Er stellt nämlich einen Bezug
- dies hat bisher kein Mitglied dieser Bundesregierung
getan; wahrscheinlich kommen Sie überhaupt nicht auf
diese Idee - zwischen den Konjunkturprogrammen, die
man auflegt, auf der einen Seite und dem zu erwartenden
Einbruch auf der anderen Seite her. Auf diese Idee hätte
man nun wirklich kommen können. Denn den einfachen
Zusammenhang, dass man dann, wenn der Einbruch gering ist, keine großen Anstrengungen unternehmen muss
und dann, wenn der Einbruch größer ist, größere Anstrengungen unternehmen muss, hätte selbst eine Regierung dieses Formats herstellen können. Aber bis zum
heutigen Tag ist nichts davon geschehen.
Helmut Schmidt weist in seinem Aufsatz darauf hin
- ich zitiere ihn gern, damit es nicht als Gerede der Linken abgetan wird -, dass die Vereinigten Staaten mit
6 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes konjunkturell
gegensteuern, China - das ist ein Überschussland; Herr
Kollege Stiegler, Sie haben recht mit dieser Bemerkung mit 20 Prozent und Japan - auch das ist ein Überschussland - mit 10 Prozent, während wir - auch ein Überschussland - laut den Berechnungen der Commerzbank
- ich zitiere sie ausnahmsweise - weniger als 1 Prozent
pro Jahr in die Hand nehmen, um gegenzusteuern. Welche Begründung gibt es für diese Größenordnung?
Wenn Sie beispielsweise den Ratschlägen von
Schmidt folgen würden, der gesagt hat, dass bei einem
Einbruch von 3 Prozent eine Gegensteuerung von mindestens 4 bis 6 Prozent angesagt ist, dann hieße das bei
den von Ihnen genannten 2,25 Prozent - ich nehme sie
einmal zur Grundlage, obwohl ich sie nicht ernst nehme;
ich sage Ihnen das schon jetzt; ich würde solche Prognosen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abgeben -, dass
mindestens 3,25 bis 4,25 Prozent notwendig wären. Das
sind Größenordnungen von 100 Milliarden Euro pro
Jahr, wenn man den Ausführungen des ehemaligen Bundeskanzlers folgt. Dies zeigt die Dimension, mit der man
konjunkturell gegensteuern muss.
Schon vor einigen Monaten habe ich die Erklärung
des Bundesfinanzministers, man könne den Haushalt sanieren, es bleibe beim Konsolidierungsfahrplan und man
habe weiter mit einer sinkenden Staatsquote in diesem
Jahr zu rechnen, als absoluten Unsinn bezeichnet; dies
sage ich hier erneut. Er hat damals gelacht. Dieses Lachen werde ihm noch vergehen, habe ich dann gesagt.
Mittlerweile spricht er von 40 oder 60 Milliarden Euro.
Ich sage Ihnen, dass die Vorschläge, die Sie jetzt vorlegen, völlig unzureichend sind, um den Einbruch der
Wirtschaft zu verhindern. Aufgrund Ihrer Tatenlosigkeit
sind Sie für einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit verantwortlich.
({7})
Sie veruntreuen nicht nur viele Milliarden Euro, sondern
sind auch für einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit verantwortlich.
Ich komme zum letzten Punkt, den ich ansprechen
möchte - hier unterscheiden wir uns von denen, die ich
bisher zitiert habe -: zum Abbau der Ungleichgewichte. Es ist gut, dass Sie, Herr Kollege Stiegler, das
außenwirtschaftliche Ungleichgewicht angesprochen haben. Es machte damals durchaus Sinn, ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu fordern. Das wurde
schließlich nicht einfach nur dahergesagt und als Forderung in das Stabilitätsgesetz aufgenommen.
Allerdings haben wir uns viele Jahre lang überhaupt
nicht mehr an diese Bestimmung gehalten. Keiner der
bisher von mir Zitierten hatte den richtigen Ansatz. Es
muss zunächst einmal darum gehen, das Ungleichgewicht im Innern abzubauen. Denn das Ungleichgewicht
bei Vermögen und Einkommen ist die Grundlage der
Spekulation und all der verheerenden Entwicklungen auf
den Finanzmärkten.
({8})
Es ist bedauerlich, dass selbst diejenigen, die sonst sehr
einsichtig sind, unsere Ansicht an dieser Stelle nicht teilen.
Jüngst wurde wieder einmal eine Statistik zur Vermögensverteilung veröffentlicht. Ihr Ergebnis kann man
wie folgt zusammenfassen: Reiche werden noch reicher.
Ähnlich lautet heute eine Überschrift in der Berliner Zeitung. In diesem Artikel ist zu lesen, was das DIW analysiert hat: Die Politik trägt dazu bei, dass es auch künftig
bei einer steigenden Ungleichverteilung bleibt. Die Abgeltungsteuer und die Erbschaftsteuer mit den höheren
Freibeträgen konservieren die gegenwärtige Situation.
Grundlage der Finanzspekulation sind die Ungleichgewichte der Einkommens- und Vermögensverteilung.
Wer diese Spekulation wirklich eindämmen will, der
muss schon aus diesen technischen Gründen die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung
abbauen.
({9})
Das, was Sie mit Ihrer törichten Steuerpolitik anrichten, ist allerdings nicht nur hinsichtlich der Vermögensverteilung verheerend. Genauso verheerend ist Ihre Steuerpolitik auch im Hinblick auf die Lohnentwicklung.
Herr Kollege Stiegler, an dieser Stelle muss ich eine
leichte Korrektur an dem, was Sie gesagt haben, vornehmen. Es ist richtig, dass die Lohnabschlüsse in den Bereichen, in denen es Tarifverträge gibt, im letzten Jahr
höher als üblich ausgefallen sind. Das Gesamtniveau der
Lohnentwicklung ist aber leider deutlich unterhalb der
Preissteigerungsrate geblieben. Das heißt, dass die Arbeitnehmer wie die Rentner und die sozial Bedürftigen
im letzten Jahr wieder einmal verloren haben. Das ist
eine verhängnisvolle Entwicklung.
({10})
Solange wir diese Entwicklung nicht korrigieren, ist all
Ihr Gerede von einer Stabilisierung des Binnenmarktes
völlig daneben.
({11})
Vorhin wurde Herr Rürup zitiert, der festgestellt hat,
dass im Hinblick auf den Binnenmarkt schwere VerOskar Lafontaine
säumnisse aufgelaufen seien. Dazu muss ich sagen: Er
und sein Sachverständigenrat sind dafür doch mitverantwortlich. Wer hat denn jahrelang den Quatsch von der
Lohnzurückhaltung, die uns jetzt große Probleme macht,
gepredigt?
({12})
Sie sagen, dass Sie sich eine andere Zusammensetzung des Sachverständigenrates erhoffen. An dieser
Stelle möchte ich etwas hinzufügen: Ich hoffe, dass es
auch einmal ein Mitglied des Sachverständigenrates geben wird, das der Finanzwirtschaft finanziell nicht so
stark verbunden ist, um das einmal vornehm und zurückhaltend zu formulieren.
({13})
Ich fasse zusammen:
Erstens. Wenn man eine adäquate Antwort auf die gegenwärtige ökonomische Krise geben will, dann muss
man mit der Reregulierung der Finanzmärkte beginnen.
Sie ist die Conditio sine qua non. Sonst läuft überhaupt
nichts. Leider hat die Regierung an dieser Stelle völlig
versagt.
Zweitens. Wenn man angesichts der Krise konjunkturell gegensteuern will, muss man eine Messziffer zugrunde legen. Wir haben gesagt: Bei einem erwarteten
Rückgang um 2,25 Prozent ist ein Konjunkturprogramm,
das nach den Berechnungen von Geschäftsbanken einen
geringeren Umfang als 1 Prozent des BIP hat, völlig unzureichend.
Drittens. Wenn man die jahrzehntelangen Fehlentwicklungen ernsthaft stoppen will, dann muss man endlich darangehen, die Vermögens- und Einkommensverteilung zu verändern und in Deutschland mehr soziale
Gerechtigkeit zu verwirklichen.
({14})
Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befinden uns in einer historisch neuen Situation: Wir haben eine Banken- und eine Wirtschaftskrise gleichermaßen, die sich nicht mehr nur auf Teilmärkte, sondern auf die Weltwirtschaft beziehen. Insofern ist es richtig, wenn angemerkt wird, dass wir mit
Prognosen sehr vorsichtig sein müssen. Wenn allerdings
der Bundeswirtschaftsminister bei uns im Ausschuss erklärt, dass auch er jetzt etwas vorsichtiger ist und lieber
von minus zweieinviertel anstatt von minus 2,25 Prozent
spricht, dann weiß ich nicht wirklich, ob er das alles verstanden hat.
({0})
Es geht uns nicht um einen Wettbewerb um die
schlechtesten Zahlen und um das größte Katastrophenszenario. Es geht uns vielmehr darum, eine realistische
Einschätzung vorzunehmen und substanzielle Vorschläge zu machen. Genau das verlangen wir von einem
Wirtschaftsminister: zur rechten Zeit handeln und eine
klare Perspektive aufzeigen, aber vor allem auch eine
klare Vorstellung entwickeln, wie die Wirtschaft nach
dieser Krise aufgestellt sein muss, wie die Wirtschaft
stärker und sicherer wird, um so weniger abhängig von
Schwankungen zu werden. Hierfür brauchen wir einen
Wirtschaftsminister, der eine Vision hat. Das aber vermisse ich außerordentlich bei Wirtschaftsminister Glos.
({1})
Herr Burgbacher, Sie haben ihn für seine realistischen
Einschätzungen gelobt.
({2})
Sie waren bei der Debatte zum letzten Jahreswirtschaftsbericht nicht dabei. Dort haben wir Folgendes gehört:
Deutschland bleibe auf Wachstumskurs. Der Aufschwung
komme bei den Menschen an. Die Reformen der Bundesregierung würden sich auszahlen. - Das war vor einem Jahr. Schon vor einem Jahr hat aber der Sachverständigenrat erklärt, es gebe Risikoszenarien hinsichtlich
eines Minuswachstums. Vor einem Jahr jedoch hat die
Bundesregierung einen Haushalt entworfen, der auf
komplett falschen Wachstumszahlen beruhte. Ich kann
nicht sagen, dass die Bundesregierung mit den Zahlen
sinnvoll umgegangen ist. De facto hat sie schon damals
Schönfärberei betrieben und die Zeichen der Zeit nicht
erkannt.
({3})
Was wäre damals wichtig gewesen? Wichtig wäre es
gewesen, beherzt Strukturreformen anzugehen. Was haben Sie in der Zeit gemacht, in der Sie vom konjunkturellen Aufschwung über eine lange Zeit wirklich profitiert haben, in der die Reformen, die Rot-Grün gemacht
hat, gewirkt haben? In dieser Zeit haben Sie leere Versprechungen gemacht und ungedeckte Schecks ausgestellt. Sie haben die Rente ein bisschen erhöht und das
Arbeitslosengeld I ein wenig aufgestockt. All das sind
ungedeckte Schecks. Die Steuereinnahmen waren hoch.
Aber Sie haben nicht gespart und keine Vorsorge für
schlechtere Zeiten getroffen. Sie haben damals eine katastrophal schlechte Wirtschaftspolitik gemacht. Das rächt
sich leider heute.
({4})
Was machen Sie jetzt? Sie legen im Dezember und im
Januar hektisch Konjunkturpakete in einer Größenordnung von 80 Milliarden Euro auf. Gleichzeitig erklärt
der Finanzminister, von diesen 80 Milliarden Euro erwarte er einen Wachstumsschub von 0,5 bis 0,8 Prozent.
Bei 80 Milliarden Euro, die Sie kreditfinanziert aufnehmen müssen, ein Wachstumsvolumen von 0,8 Prozent zu
benennen - das ist mager, das ist katastrophal. Wir
Grüne sagen: Wenn Sie schon so tief in die Tasche greifen müssen, wenn Sie schon den Schuldenberg noch
weiter erhöhen müssen, wenn Sie zukünftige Generationen so stark belasten müssen, dann müssen Sie mit diesen Maßnahmen einen Mehrwert schaffen. Sie müssen
wirklich Rendite für zukünftige Generationen erreichen
und entsprechende Investitionen tätigen.
({5})
Das ist die zentrale Anforderung an jedes Konjunkturpaket. Was aber machen Sie? Sie machen Klientelpolitik. Man kann ganz klar erkennen, wie sich die Große
Koalition geeinigt hat: Zwei Drittel der Ausgaben gehen
drauf für ein bisschen hier und ein bisschen dort. Man
kann ziemlich genau erkennen, wer sich wo durchgesetzt
hat.
Ein Beispiel ist der Kinderbonus von 100 Euro. Wer
von uns Kinder hat, fragt sich: Was sollen diese
100 Euro pro Kind, unabhängig davon, wie hoch das
Einkommen ist? Damit verbrennen Sie nur Geld. Sie geben Geld aus, ohne eine effektive Wirkung zu erzielen.
Schließlich ist völlig unklar, wie die Menschen das Geld
ausgeben werden. Wenn jemand seinem Kind einen
Anorak oder ein Paar Schuhe kaufen will, dann wird er
das tun - 100 Euro hin oder her.
({6})
Wenn Sie schon Geld im Zuge eines direkten Transfers
in die Hand nehmen, dann müssen Sie das den Menschen geben, die wenig Einkommen haben. Das würde
Sinn machen.
({7})
Ich komme nun zu dem Unsinn im Zusammenhang
mit der Abwrackprämie. Es ist wirklich irre, wenn man
sich anschaut, was Sie sich in den letzten Monaten im
Hinblick auf den Pkw haben einfallen lassen. Im ersten
Konjunkturpaket haben Sie eine Kfz-Steuerreform vorgesehen, die schlicht eine Steuerbefreiung für Spritfresser ist. Im zweiten Konjunkturpaket sehen Sie eine Abwrackprämie vor. Die Wissenschaftler, die Medien, alle
sagen: So ein Unsinn!
({8})
- Ich komme gleich dazu. - Als dritte Maßnahme - so
dürfen wir heute lesen - will der Bund die Kfz-Steuer
auch für große Autos senken. Drei Maßnahmen für
Pkws, drei Maßnahmen, die in dieser Form unsinnig und
rückwärtsgewandt sind. Sie haben keinen ökologischen
Kompass; das ist massiv zu kritisieren.
({9})
Für all die, die gerade gefragt haben, warum die Grünen im Bundesrat zustimmen wollen. Erstens. Die Abwrackprämie wird nicht im Bundesrat, sondern im Bundestag behandelt. Zweitens. Da wir der Großen
Koalition nicht zutrauen, dass sie in der Lage ist, dem
Steuersenkungsirrsinn der FDP etwas entgegenzusetzen,
ist es unsere Aufgabe, diesem Steuersenkungsirrsinn
nicht Tür und Tor zu öffnen. Deswegen werden wir im
Bundesrat zustimmen.
({10})
Deutschland braucht ein grünes Investitionsprogramm, wir brauchen Investitionen in den Klimaschutz,
wir brauchen Investitionen in Bildung, und wir brauchen
Investitionen in soziale Gerechtigkeit. Wieso machen
solche Investitionen Sinn? Weil sie die größte Multiplikatorwirkung haben. Wenn man sich damit auseinandersetzt, welche Maßnahmen wie viel bringen, sieht man,
dass Steuersenkungen nicht zu dem Mehrwert, den ich
beschrieben habe, führen, Investitionen dagegen schon.
Ein kreditfinanziertes Konjunkturpaket, das nicht auf
Zukunftsinvestitionen und den Strukturwandel ausgerichtet ist, das nicht auf die Bekämpfung der Klimakatastrophe und eine Verbesserung der Bildungschancen ausgerichtet ist, taugt nichts - und es verletzt zumindest
unser Gerechtigkeitsgefühl.
({11})
Im Wirtschaftsausschuss haben wir über den Export
und die Binnennachfrage diskutiert. Ich habe den Wirtschaftsminister gefragt, was aus seiner Sicht die Märkte
von morgen sind. Welches sind die ungesättigten
Märkte, die wir bedienen müssen, für die wir als Industrienation uns aufstellen müssen? Der Automobilmarkt
ist gesättigt. Wir müssen uns darüber klar werden, was
wir exportieren wollen, in welchen Bereichen wir forschen wollen und wo wir Innovationen brauchen. Die
Märkte von morgen sind die ökologischen Märkte. Da
ist es mager, dass hier in einer Debatte von einer Stunde
in keinem Redebeitrag etwas von einer Ausrichtung auf
Ökologie zu hören ist. Wir brauchen Energieeffizienz,
wir brauchen Fortschritte bei den Energietechnologien.
Die Umweltmärkte sind die ungesättigten Märkte. Hier
liegt unsere Chance als Exportnation. Es ist bezeichnend, dass darüber nichts zu hören war. Stattdessen wird
rückwärtsgewandt über Steuersenkungen oder über Hilfen für die Automobilindustrie gesprochen.
({12})
Die Märchenerzählerei geht weiter. Wenn Sie diese
Debatte und wenn Sie die gestrige Bundespressekonferenz verfolgt haben, wissen Sie, dass Wirtschaftsminister Glos für 2009 mit einem durchschnittlichen Ölpreis
von 45 Dollar pro Barrel rechnet. Im letzten Jahr ist er
von 90 Dollar ausgegangen, und selbst da lag der tatsächliche Preis deutlich höher. Wer von 45 Dollar pro
Barrel ausgeht, ignoriert, dass, wenn ein Gut knapp wird
- und die Ressource Öl wird knapp; denn natürlich wird
die Nachfrage wieder steigen -, der Preis steigt. Das sind
wirtschaftspolitische Implikationen, die zu kennen ich
von einem Wirtschaftsminister erwarte. Er kann nicht
einfach nur sagen: Der durchschnittliche Ölpreis wird
bei 45 Dollar pro Barrel liegen.
({13})
Was wir brauchen, sind Strukturprogramme. Wir
brauchen die Bürgerversicherung, eine Krankenversicherung, in die alle einzahlen, egal wie hoch ihr Einkommen ist, damit es aufhört, dass Solidarität nur zwischen
denen mit kleinen und denen mit mittleren Einkommen
stattfindet. Solidarität muss alle betreffen.
({14})
Wir brauchen ein Progressivmodell, bei dem die unteren
Einkommen entlastet werden. Wenn man konsumorientiert konjunkturpolitisch agieren will, muss man vor
allem die Abgaben, die die Menschen mit niedrigen Einkommen zu zahlen haben, senken. Die Abgaben flächendeckend, also für alle, zu senken, bringt nichts.
({15})
Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die an
Zukunftstechnologien ausgerichtet ist. Fangen Sie einmal an, eine Vision darüber zu entwickeln, wo es ökologisch hingehen soll. Wer sich heute ökologisch nicht
richtig aufstellt, hat morgen ökonomisch keine Chance
mehr. Das müssen Sie einmal begreifen; da müssen Sie
hin. Das müssen Sie umsetzen. In den Bereichen Energieeffizienz, Energietechnologie und Umwelttechnologie müssen Sie die ganzen Vorschläge, die sich in der
Diskussion befinden, einmal aufgreifen.
({16})
Sie müssen hier eine Vision und eine Vorstellung haben.
({17})
Wir brauchen eine klare Perspektive beim Bürokratieabbau, und zwar nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger. Wir alle sind
teilweise von einer bürokratischen Belastung betroffen.
Das ist ein völliger Wahnsinn. Auch hier brauchen wir
eine Vision und eine Vorstellung.
Schließlich brauchen wir eine Wettbewerbspolitik
- vor allem auf dem Energiemarkt -, die den Namen
verdient, und nicht einen Wirtschaftsminister, der als
Lobbyist für Kohle und Atomenergie auftritt.
({18})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie versuchen, diese Probleme
mit rückwärtsgewandter Politik zu lösen, dann schaffen
Sie es nicht. Sie müssen es schaffen, die Krisen dieser
Welt - Klimakrise und Wirtschaftskrise - im Zusammenhang zu sehen. Was nützt es denn, dass sich unsere
Kanzlerin und viele andere, die hier rechts von mir sitzen, vor eineinhalb Jahren Eisberge angeschaut und Eisbären gestreichelt haben, wenn sie heute davon nichts
mehr wissen wollen?
({19})
Die Klimakrise und die Wirtschaftskrise müssen im
Zusammenhang betrachtet werden. Für eine Politik, die
nach vorne gerichtet ist, brauchen wir vielleicht auch
neues Personal. Vor allem brauchen wir aber Visionen
und Vorstellungen.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Michael Meister
für CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss
zunächst einmal zugestehen, dass ich heute Morgen bei
der Rede des Kollegen Lafontaine etwas gelernt habe.
Mir war bisher das enge und innige Verhältnis entgangen, das Herr Lafontaine zum Altbundeskanzler Helmut
Schmidt hat. Ich habe das Verhältnis bisher nie so eng
und freundschaftlich gesehen. Deshalb habe ich heute
Morgen etwas dazugelernt. Ich hoffe, dass das auch von
Herrn Schmidt so gesehen wird.
(Volker Schneider ({0}) ({1}): Beide sind charismatisch! - Dr. Axel
Wahrheit bleibt Wahr-
heit!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister hat den Jahreswirtschaftsbericht
2009 vorgelegt. Ich glaube, durch die schnörkellose und
zuverlässige Art und Weise, in der das geschehen ist, ist
deutlich geworden, dass sich diese Bundesregierung in
schwierigen Zeiten, in Zeiten großer Herausforderungen,
als Anker der Stabilität und neuen Vertrauens erweist.
Dafür, dass das in dieser Weise geschieht, möchten wir
als Fraktion zunächst einmal Danke sagen.
({0})
Es gibt die Vorhaltung, das alles komme zu spät und
sei zu wenig. Ich glaube, wir sollten angesichts der Probleme, vor denen wir stehen, vielleicht etwas Demut
entwickeln. Niemand auf dieser Welt kann belastbar voraussagen, wie tief sich diese Krise noch ausdehnen
wird, und niemand kann voraussagen, wie lange sie anhält. Das ist auch ein Problem für diejenigen, die normalerweise professionell Vorhersagen erstellen. Deshalb
sollten wir mit der notwendigen Demut an diese Problematik herangehen.
Drei Dinge überlagern sich: Das Erste ist der normale
Weltkonjunkturzyklus,
({1})
dem wir als Exportnation ausgeliefert sind, das Zweite
sind die Fehlentwicklungen und Krisenerscheinungen
auf den Finanzmärkten, und zum Dritten sind es die
Strukturprobleme in einigen Branchen. Ich nenne hier
den Automobilsektor, der nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturell vor Veränderungen steht.
Eine solche weltweite Ballung von Problemen zu einem Zeitpunkt gab es in der Vergangenheit noch nie.
Deshalb stehen wir vor einer neuen und einmaligen Herausforderung. Das erfordert besondere Antworten und
einen besonders verantwortungsvollen Umgang mit diesen Antworten.
({2})
Ich glaube, wir haben durch die Politik der Großen
Koalition die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Bewältigung dieser Situation in guter Kondition anzugehen. In den vergangenen Jahrzehnten - Herr Lafontaine,
Sie haben eben dazwischengerufen; das war auch dann
so, als Sie mitregiert haben - haben wir vor jedem Abschwung innerhalb des Konjunkturzyklus erlebt, dass
die Sockelarbeitslosigkeit höher als im vorhergehenden
Zyklus war. In jedem Abschwung hat sie sich noch etwas aufgebaut. Das ist der erste Abschwung, in den wir
hineingeraten, vor dem die Sockelarbeitslosigkeit deutlich auf 3 Millionen Arbeitslose zurückgegangen ist. Wir
wissen jetzt, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich wieder mit einem Aufbau der Arbeitslosigkeit rechnen müssen. Aber wir gehen von einem deutlich niedrigeren Niveau aus. Das ist ein Erfolg der Politik, die wir in den
vergangenen Jahren hier gemacht haben.
({3})
Wir werben jetzt darum, dass trotz des Abschwungs
möglichst wenige Menschen in die Arbeitslosigkeit gehen müssen; zu diesem Zweck haben wir die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes verlängert. Unser Ziel ist
es nicht, Menschen in Arbeitslosigkeit zu bringen; vielmehr wollen wir Menschen in Arbeit halten, weil wir
wissen, dass in relativ kurzer Zeit wieder viele Arbeitskräfte gebraucht werden und wir auf einen Facharbeitskräftemangel zugehen. Deshalb ist es richtig, Menschen
in Arbeit zu halten und freie Zeit für Qualifikation zu
nutzen. Dazu setzen wir nicht nur konjunkturell, sondern
nach meiner Einschätzung auch strukturell einen richtigen Anreiz.
Wir haben den Staatshaushalt im vergangenen und
im vorvergangenen Jahr ausgeglichen. Dies trifft zwar
nicht für alle Einzelhaushalte der öffentlichen Hand zu,
wohl aber für den Staatshaushalt. Auch dies ist in
Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Damit haben
wir den Spielraum geschaffen, den wir benötigen, um
konjunkturell wirksame Maßnahmen ergreifen zu können. Ich weise darauf hin, dass wir in der Debatte über
Schulden ein bisschen zwischen strukturellen und konjunkturellen Dingen differenzieren sollten. Es täte uns
auch in der wirtschaftspolitischen Debatte gut, wenn wir
strukturell und konjunkturell wirksame Maßnahmen etwas stärker auseinanderhielten.
({4})
Das muss nicht immer gegeneinander laufen. Das,
was wir im Bildungsbereich tun, Frau Schavan, hilft uns
momentan konjunkturell und für die Zukunft strukturell.
Was wir zur Verbesserung der Breitbandversorgung tun,
hilft uns strukturell, wenn wir allen Menschen im Lande
einen Zugang zu einer ordentlichen Breitbandversorgung schaffen, und es hilft uns konjunkturell. Es gibt
aber auch einige Maßnahmen, mit denen wir einen rein
konjunkturellen Impuls setzen, etwa das Vorziehen von
Investitionen. Deshalb müssen wir bei der Debatte über
die einzelnen Maßnahmen sehr wohl abwägen, was dauerhafte Strukturpolitik ist. Auf diesem Gebiet sind wir in
den vergangenen Jahren sehr weit vorangekommen.
Aber selbstverständlich gibt es nach wie vor Defizite;
ich habe eben zwei angesprochen, an deren Behebung
wir weiterarbeiten müssen. Auf der anderen Seite gibt es
Komponenten, mit denen wir lediglich versuchen, der
konjunkturellen Entwicklung entgegenzusteuern. Ich
wünsche mir, dass diese Dinge nicht einfach vermischt,
sondern gedanklich sauber auseinandergehalten werden.
Meine Damen und Herren, wir haben vorhin von
Herrn Burgbacher gehört, dass es im Wesentlichen die
Unternehmen seien, die uns die jetzigen guten Voraussetzungen geschaffen haben. Ja, ich sage all denjenigen
ein Dankeschön, die in den Unternehmen Verantwortung
tragen und dafür gesorgt haben, dass vernünftige Strukturen vorhanden sind. Dass wir die zukunftsfähigste Automobilindustrie weltweit und die besten Zulieferer, die
es weltweit gibt, haben und hier am besten aufgestellt
sind, ist ein Verdienst der Verantwortlichen in den Unternehmen. Es gibt aber auch noch ein paar andere, die etwas getan haben. Die Arbeitnehmer in diesem Land haben durch ihre Lohnzurückhaltung einen wesentlichen
Beitrag dazu geleistet, dass wir mehr Beschäftigung und
bessere strukturelle Voraussetzungen haben. Deshalb
sage ich auch an dieser Stelle ein Dankeschön.
({5})
Ich habe uns selbst absichtlich nicht als Erste genannt.
Aber auch wir haben einen Beitrag geleistet. Wir haben
strukturelle Verbesserungen in diesem Land herbeigeführt, die dazu geführt haben, dass wir bessere Rahmenbedingungen und eine bessere Konstitution unseres Landes haben.
Jetzt mögen einige sagen, das, was wir aktuell als
vierten Teil des Stabilitätsprogramms diskutieren, sei
zu spät. Aber wenn wir jetzt den vierten Teil diskutieren,
heißt dies, dass wir vorher bereits drei Teile entschieden
haben. Der erste Teil sind die Maßnahmen, die wir Ende
letzten Jahres unter anderem zur Stärkung der Familien
auf den Weg gebracht haben. Der zweite Teil, den wir im
November auf den Weg gebracht haben, hat die Stabilisierung der Finanzmärkte zum Gegenstand. Dann haben
wir ein erstes Stabilitätsprogramm auf den Weg gebracht, das unter anderem mehr Investitionen beinhaltet.
Jetzt diskutieren wir bereits das vierte Maßnahmenpaket.
Deshalb greift der Vorwurf „zu spät“ nicht. Nach meiner
Einschätzung haben wir früher als viele andere gehandelt.
Wir haben aber immer darauf geachtet, dass das, was
wir tun, möglichst zielgenau ist und Wirkung erzielt. Es
geht doch nicht darum, möglichst viel Geld auszugeben,
sondern darum, dass mit jedem Euro, den der Staat in die
Hand nimmt, möglichst viel Wirkung bei der Bekämpfung der Probleme erzielt wird. Darauf müssen wir uns
konzentrieren, und deshalb war die Schrittfolge unserer
Arbeit verantwortungsvoll. Unsere Arbeit ist ein Beitrag
dazu, dass in diesem Lande neues Vertrauen erwächst.
({6})
Ich habe mich ein wenig gewundert, Herr Stiegler,
dass Sie gesagt haben, die Bundesrepublik Deutschland
sei mit ihrer Wirtschaftsleistung das Derivat der Weltwirtschaft. Angesichts der Herausforderung, auf den
Finanzmärkten weltweit neue Rahmenbedingungen zu
setzen, und angesichts der Herausforderung, unsere
Marktwirtschaft zu internationalisieren und deren Prinzipien zu exportieren, sollten wir unseren Anspruch etwas
höher setzen. Wir sollten den Anspruch erheben, als
größte Volkswirtschaft Europas dafür zu sorgen, dass
Europa handlungsfähig wird und dass wir mit einer gemeinsamen europäischen Stimme in der Lage sind, die
Aufgaben, die vor uns liegen, nicht nur zu bewältigen,
sondern deren Lösung bestimmend mit voranzubringen,
damit wir nicht in wenigen Jahren vor neuen Problemen
stehen, weil das, was ich angesprochen habe, unzureichend erfüllt worden ist. Deshalb wünsche ich mir, die
Dinge nicht nur hinzunehmen. Vielmehr sollten wir versuchen, sie über Europa gemeinschaftlich aktiv zu gestalten.
({7})
Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen,
dass der eine oder andere Regierungschef bei dem weltweit bedeutenden Thema Automobilindustrie nur von
seiner nationalen Automobilindustrie redet. Das hat für
mich einen relativ starken nationalen und protektionistischen Anklang. Ich möchte ausdrücklich davor warnen,
in solche Überlegungen zu verfallen. Wir brauchen
nicht, dass sich einzelne isolieren. Was wir brauchen, ist,
dass jeder zu Hause seinen Beitrag leistet. Diese Beiträge sollten wir nach Möglichkeit miteinander addieren,
damit sich ein noch größerer Effekt ergibt, als dies bei
den einzelnen nationalen Pakten der Fall ist. Also kein
Protektionismus, sondern international abgestimmte Zusammenarbeit, meine Damen und Herren!
({8})
Eine letzte Bemerkung. Ich komme zum Schluss. In
diesem Lande gibt es viele, die sagen, die jetzige Situation würde eine Schuldenbremse im Grundgesetz ad
absurdum führen. Ich bin komplett anderer Meinung.
Wir wollen die strukturelle Verschuldung ausgleichen.
Wir wollen keine strukturelle Staatsverschuldung. Aber
wir wollen ein konjunkturelles Atmen erlauben. Wenn
wir, wie im Moment, vor einer konjunkturellen Herausforderung stehen, dann muss ein solches Atmen möglich
sein. Aber nach einer gewissen Zeit muss ein Ausgleich
herbeigeführt werden.
({9})
Auch das beschließen wir jetzt übrigens, indem wir einen klaren Tilgungsplan für das festlegen werden, was
wir aus konjunkturellen Gründen tun. Das ist kein Widerspruch, sondern meiner Meinung nach eine sinnvolle
Ergänzung, die dazu beiträgt, dass neues Vertrauen und
mehr Stabilität in diesem Lande geschaffen werden.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun die Kollegin Gudrun Kopp von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Lieber Herr Meister, was Sie vorgetragen haben,
ist sehr löblich.
({0})
Wenn Sie von einer Schuldenbremse, von einer Begrenzung der Schulden, die tatsächlich notwendig ist, sprechen, stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Warum Sie aber
für das Atmen bis 2015 benötigen, erschließt sich mir
nicht. Ich finde, Sie müssten schneller reagieren und dürfen nicht die Maßnahmen, die eigentlich schon jetzt notwendig wären, über Jahre verschieben.
({1})
Herr Minister Glos, Ihr Jahreswirtschaftsbericht enthält eine, wie auch ich finde, sehr realistische Einschätzung der Sachlage. Allerdings sind Sie mir mit Ihrem
Maßnahmenpaket zur Konjunkturbelebung, wie Sie es
nennen, viel zu schnell, zu früh
({2})
- der Minister ist gerade unterwegs - und zu bescheiden
mit dem, was für die Bürger an Steuersenkungen tatsächlich übrig bleiben soll.
({3})
Die Bundesregierung bringt ein breites Maßnahmenpaket ein: dieses Konjunkturpaket im Umfang von
50 Milliarden Euro mit vielen kleinen Stellschrauben, an
denen Sie viel Geld ausgeben, mit denen Sie aber aller
Voraussicht nach leider sehr wenig Wirkung erzielen
werden. Das ist unser Hauptkritikpunkt.
Jetzt, in dieser Lage, wäre es notwendig, die Ausgaben gezielt so zu tätigen, dass damit tatsächlich Impulse
erzielt werden, dass Innovationen befördert werden. Vor
wenigen Wochen haben Sie eine enorme Erhöhung der
Beiträge zu den Krankenkassen auf 15,5 Prozent beschlossen und haben die Einführung des unsäglichen Gesundheitsfonds verabschiedet. Wenn Sie jetzt - nur wenige Wochen später - Milliarden aus Steuergeldern als
Konjunkturmaßnahme zuschießen, dann ist das doch
eine absurde Politik.
({4})
Sie müssten doch selbst darauf kommen, dass Sie strukturell auf dem falschen Weg waren. Das ist keine Frage.
Für die Verkehrsinfrastruktur setzen Sie 2 Milliarden Euro ein. Wenn man allerdings bedenkt, dass der
Individualverkehr seit 1999 erheblich gestiegen ist - die
Belastungen in diesem Bereich sind von 37 Milliarden
auf 53 Milliarden Euro gestiegen -, dann sind die von
Ihnen vorgesehenen Mittel nur ein Tröpfchen auf den
heißen Stein.
Der Kinderbonus und viele andere Punkte sind bereits
genannt worden.
Diejenigen im Hause, die offenbar meinen, dass Steuersenkungen für die Bürger mehr oder weniger herausgeschmissenes Geld oder als Almosen zu verstehen wären - dazu gehören auch die Grünen -, sind auf einem
völlig falschen Weg.
({5})
- Nein, Frau Andreae. Wenn Sie Steuersenkungen in geringem Umfang für ausreichend halten und Investitionen
in die ökologische Energiepolitik fordern, dann halte ich
Ihnen Folgendes entgegen: Was wir gerade erlebt haben
- den Gasstreit und das Bewusstwerden der Abhängigkeit von Gaslieferungen -, haben wir auch und gerade
der rot-grünen Politik zu verdanken, insbesondere den
Grünen, die den Ausstieg aus der Kohle und der Kernenergie fordern und ausschließlich auf erneuerbare Energien und Gas setzen wollen.
({6})
Die Gasverstromung, die sehr kostenintensiv ist, hat
in den letzten sieben Jahren um 58 Prozent zugenommen. Dadurch vergrößert sich die Abhängigkeit. Das
müssen Sie beachten. Wenn Sie heute sagen, dass Sie in
ökologischer Hinsicht sehr viel mehr erreichen möchten,
dann sollten Sie sich erst einmal mit den Sünden der
Vergangenheit befassen, zu denen Sie mit Ihrer Politik
beigetragen haben.
({7})
Die FDP-Bundestagsfraktion bleibt bei dem, was sie
als einzig greifbare strukturelle Maßnahme tatsächlich
für sinnvoll hält, nämlich eine strukturelle Steuerreform, die die Bürger als solche identifizieren können:
({8})
eine Reform mit einer Senkung der Steuern und Abgaben gerade bei den unteren und mittleren Einkommen.
({9})
Durch eine Forsa-Umfrage wird belegt, dass
69 Prozent der Bürger meinen, von dem Konjunkturpaket mit einem Umfang von 50 Milliarden Euro nicht
wirklich zu profitieren. Die Bürger haben ein richtiges
Empfinden. Wenn Sie schon 50 Milliarden Euro verausgaben, dann frage ich Sie, warum Sie dieses Geld nicht
dafür verwenden, die Bürger zu entlasten. Das wäre ein
Schritt, der den Bürgern und der Wirtschaft ermöglichen
würde, so zu investieren, wie sie es für richtig halten,
statt die Gelder staatlich gelenkt auszugeben. Das würde
sie weiterbringen.
Frau Kopp, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein. - Wir als Liberale sind der Ansicht, dass eine
wirkliche Steuerreform, die uns auch strukturell voranbringen würde, die einzig richtige Maßnahme wäre, um
in dieser kritischen Lage mit der Finanzmarktkrise und
der konjunkturellen Krise fertig zu werden.
Vielen Dank.
({0})
Nun erhält der Kollege Garrelt Duin für die SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist meines Erachtens gut und vernünftig, wenn man in einer Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht 2009 die
Ausgangslage sehr genau betrachtet und auch das in dem
Bericht zur Kenntnis nimmt, was die Entwicklung im
letzten Jahr beschreibt.
Der Kollege Meister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt insgesamt ausgesprochen erfreulich gewesen ist. Die Sockelarbeitslosigkeit ist deutlich geringer als nach dem letzten
Aufschwung.
2008 ist die Zahl der Beschäftigten um rund 580 000
gestiegen. Anders als oft behauptet, fand der Aufwuchs
nicht in erster Linie bei den prekären Beschäftigungsverhältnissen statt. Deutlich über 90 Prozent dieser
580 000 Beschäftigungsverhältnisse sind sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Bei über
zwei Dritteln dieser neuen Arbeitsverträge handelt es
sich sogar um Vollzeitarbeitsplätze. Dadurch haben wir
Älteren, Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen
eine wesentlich bessere Perspektive gegeben. Das ArGarrelt Duin
mutsrisiko in diesem Bereich ist gesunken. Deswegen
sollten wir uns vor Augen führen, dass die Ausgangsposition vor der aktuellen Krise wesentlich besser war,
als es uns von der Opposition versucht wird einzureden.
({0})
Wir haben zurzeit eine Entwicklung in den Betrieben,
nicht zuletzt in den sehr großen Industriebetrieben, die
uns natürlich mit Sorge erfüllt, weil wir sehr genau wissen, was mit den Beschäftigten und deren Familien passiert, wenn Kurzarbeit - ob bei MAN, Volkswagen,
Wacker Chemie, Bosch, Conti, BASF oder wo auch immer - angekündigt und durchgeführt wird. Mehrere
Hunderttausend sind inzwischen davon betroffen. Deswegen ist es richtig und gut gewesen, dass die Bundesregierung und insbesondere der Bundesarbeitsminister
sehr schnell die notwendigen Maßnahmen auf den Weg
gebracht haben. Die Verlängerung der Zahlungsdauer
des Kurzarbeitergeldes, die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge und die Vereinfachung des Verfahrens zeigen, dass wir die Kurzarbeit als Chance begreifen und mit Qualifizierung und Weiterbildung etwas für
die betroffenen Menschen tun. Wir sorgen dafür, dass sie
nicht entlassen werden, sondern dass sie sogar eine zusätzliche Perspektive entwickeln können.
({1})
Die andere Gruppe, die ich ansprechen will, sind die
Leiharbeitnehmer, insbesondere in der Industrie. Ihnen
droht, in die Arbeitslosigkeit geschickt zu werden. Das
Instrument der Leiharbeit ist - das zeigt der Blick
zurück - durchaus richtig. Es hat dazu geführt, dass wir
die Arbeitslosigkeit haben zurückführen können. Es
dient als Wiedereinstieg in Arbeit und auch dazu, bestimmte Spitzen in den Betrieben abzuarbeiten. So genutzt, ist das Instrument der Leih- und Zeitarbeit richtig
eingesetzt. Dort, wo es missbräuchlich genutzt wird, um
Stammbelegschaften zu reduzieren und Lohndumping
zu betreiben, stehen wir klar an der Seite derjenigen, die
sagen: Das ist mit uns nicht zu machen. - Diejenigen,
die das Instrument der Leiharbeit missbräuchlich nutzen,
treffen auf unseren entschiedenen Widerstand.
({2})
Wir wollen dafür sorgen, dass auch diejenigen, die in
Leiharbeitsfirmen beschäftigt sind, vom Kurzarbeitergeld profitieren können und in dieser schwierigen Phase
die Chance auf Qualifizierung und Weiterbildung haben,
damit sie nicht entlassen werden.
Frau Andreae und andere haben darauf Bezug genommen, dass wir Dinge im Zusammenhang bedenken müssen. Wenn Sie ernsthaft zur Kenntnis nehmen, was wir
im Rahmen der beiden Konjunkturprogramme machen
und worüber wir heute diskutieren, dann werden Sie
feststellen, dass genau das passiert.
({3})
Wir schreiben der Automobilindustrie natürlich in das
Stammbuch, dass sie sich in ökologischer Hinsicht anders orientieren muss, dass sie nicht glauben darf, dass
die Nachfrage nach verbrauchs- und schadstoffärmeren
Autos nachlässt, nur weil der Spritpreis zurzeit relativ
niedrig ist.
({4})
Wir stehen dafür, endlich eine ökologische Industriepolitik nach vorne zu bringen, die genau auf die Leitmärkte
setzt, die Sie eingefordert haben, ob es sich nun um die
Luftfahrt, die Medizintechnik oder um die Umwelttechnik handelt.
({5})
Hier wird gerade im Rahmen der Programme, die auf
den Weg gebracht werden, zum Beispiel im Hinblick auf
die CO2-Reduzierung genau das getan, was Sie wollen.
Das bedeutet zweierlei: Zukunftssichere Arbeitsplätze
werden geschaffen, und wir tun mehr für die Ökologie,
als das in den Jahren zuvor der Fall war.
({6})
Frau Kopp und Herr Burgbacher, im Kern geht es in
dieser Debatte um etwas anderes, als Sie haben verlautbaren lassen. Es geht den Bürgerinnen und Bürgern in
diesem Land bei der Prognose für das Jahr 2009 um Sicherheit. Es geht um die Frage, wie der Arbeitnehmer
seinen Arbeitsplatz behalten kann. Es geht nicht in erster
Linie um Brutto oder Netto oder Steuerentlastungen,
sondern es geht darum, dass wir durch gezielte Investitionen der Krise begegnen. Wir haben uns einen handlungsfähigen Staat erhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob
wir dann, wenn Sie von der FDP in den letzten zehn Jahren am Ruder gewesen wären, überhaupt noch einen derartig handlungsfähigen Staat hätten.
({7})
Der handlungsfähige Staat ist jetzt dazu in der Lage,
durch gezielte Investitionen Nachfrage zu schaffen und
so Arbeitsplätze zu sichern.
({8})
Das ist wesentlich effektiver, als mit Steuersenkungen zu
versuchen, die Leute zufriedenzustellen. Die Arbeitsplatzsicherung muss im Mittelpunkt unserer Politik stehen. Das erreicht man nicht mit den Konzepten, die Sie
heute erneut vertreten haben.
({9})
Eine Gruppe macht mir Sorgen, sehr geehrter Herr
Minister, und das sind die jungen Menschen in unserem
Land, die jetzt vielleicht noch zur Schule gehen und die
eine Perspektive brauchen. Wir haben in dem Bereich,
der die Ausbildung betrifft, durchaus Erfolge gehabt,
wie dem Jahreswirtschaftsbericht zu entnehmen ist. Im
Jahr 2008 sind 600 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Das ist ein Erfolg. Wir werden uns
noch intensiver um das Problem der Altbewerberinnen
und Altbewerber kümmern müssen, die seit Jahren einen
Ausbildungsplatz suchen. Wir müssen uns aber schon
jetzt fragen, Herr Minister, welche Auswirkungen diese
Krise auf den Ausbildungsmarkt in diesem Sommer hat.
Ich fordere Sie auf, angesichts der Bedeutung dieses
Themas schon jetzt mit den Partnerinnen und Partnern
des Ausbildungspaktes, mit der Industrie und dem Handwerk die Initiative zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass
die wirtschaftliche Entwicklung, die in den nächsten
Monaten auf uns zukommt, nicht dazu führt, dass wir erneut eine Generation von jungen Menschen ohne Perspektive auf eine sichere Ausbildung in unserem Land
haben.
({10})
Das ist vorausschauende Politik, und deswegen ist es
wichtig, dass wir damit schon jetzt anfangen.
Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir mit neuen Antworten auf die jetzige Situation reagieren und dass wir
nicht das tun, was die FDP und Teile anderer Parteien
immer wieder wollen. Wir sollten nicht das infrage stellen, was den sozialen Zusammenhalt und damit den wirtschaftlichen Erfolg in unserem Land ausgemacht hat,
nämlich die Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit, insbesondere durch die Mitbestimmung. Wenn Sie
jetzt wieder anfangen, die alten Rezepte aus Ihren
Schubladen zu holen, und erklären, man müsse hauptsächlich die Interessen des Kapitals berücksichtigen
({11})
und dafür sorgen, dass sich dieses möglichst breit und
frei entfalten kann, dann sagen wir in aller Klarheit: Gerade in dieser krisenhaften Situation ist deutlich geworden, dass Mitbestimmung zu den Eckpfeilern unserer
Gesellschaft gehört und dass daran nicht herumgebastelt
werden darf.
({12})
Ein letzter Punkt: Es geht um die Investitionen in
den Kommunen. Wir erleben zurzeit eine Diskussion in
den Kommunen darüber, was sich alles realisieren ließe.
Man hat viele Pläne in den Schubladen. Die Bundesregierung muss auch in den Verhandlungen mit den Ländern darauf achten - das ist mein dringender Appell -,
dass das Geld nicht an den klebrigen Fingern der Landesregierungen hängen bleibt. Ich habe manche Erklärungen der Länder gehört, in denen davon die Rede war,
dass Landesprogramme, die bisher unterfinanziert waren, mit dem Geld aufgestockt werden sollen. Das Geld,
das die Bundesregierung hier für kommunale Investitionen zur Verfügung stellen will, muss - das muss durch
die Verwaltungsvereinbarung, die jetzt verhandelt wird,
sichergestellt werden - zu 100 Prozent in den Kommunen ankommen. Dort sind die Investitionen notwendig.
({13})
Sorgen Sie dafür, dass das passiert!
Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Laurenz
Meyer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich für die Fraktion beim
Wirtschaftsminister bedanken,
({0})
weil dieser Jahreswirtschaftsbericht keine Gesundbeterei
enthält, sondern weil er, auch was die Zahlen betrifft, ungeschminkt die Lage zeigt und deutlich macht, dass wir
wirklich in einer exemplarischen Situation sind, wie wir
sie noch nie gehabt haben. Lieber Kollege Stiegler, ich
fand, dass die Rede des Kollegen Burgbacher für die
FDP dieser Situation angemessen war.
({1})
Das war heute die einzige verantwortungsbewusste Oppositionsrede, die hier gehalten worden ist.
({2})
Frau Andreae, so gerne ich auch Ihnen dieses Kompliment machen würde: Bei Ihnen hat man leider Gottes
bemerkt, dass Sie darunter leiden, dass die Landesregierungen, an denen Sie beteiligt sind, ihre Zustimmung
zum Konjunkturpaket schon signalisiert haben. Dann
fällt Kritik am Ganzen natürlich fürchterlich schwer.
({3})
Da muss man kleinkariert werden. Das wollten Sie vielleicht gar nicht, es ist aber der Situation geschuldet.
({4})
Wer mich heute Morgen ärgerlich gemacht hat - das
möchte ich ganz offen sagen -, ist Herr Lafontaine. Er
hat sich hier zur Regulierung und Instandsetzung der Finanzmärkte geäußert. Herr Lafontaine, da sage ich Ihnen: Um das hinzubekommen - das zeigt die jetzige
Bundesregierung - ist harte, kontinuierliche Arbeit nötig. Da sind Leute nötig, die hart und dauerhaft arbeiten
können, und nicht Leute, die bei der ersten Schwierigkeit
wegrennen. Das ist doch der Punkt.
Laurenz Meyer ({5})
({6})
Herr Lafontaine, Sie sind als Finanzminister gerade
noch so weit gekommen - das sollten Sie heute einmal
Ihren Wählern sagen -, eine Änderung bei der Unternehmensteuer durchzubringen, die den Unternehmen steuerfreie Anteilsverkäufe ermöglicht hat. Dann stellen Sie
sich heute hier hin und reden von der Ungerechtigkeit
der Welt.
({7})
Wer so etwas macht und dann, wenn die Arbeit einmal
ernst wird, gleich die Brocken hinschmeißt, der darf sich
anschließend nicht ärgern. Was die Arbeitsmentalität angeht - das muss ich hier wirklich einmal feststellen -, ist
Herr Steinbrück gegenüber Ihnen eine echte Lichtgestalt.
({8})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, heute ist viel von Multiplikatoreffekten die
Rede gewesen. Dazu hat Herr Duin gerade einen interessanten Aspekt angesprochen. Lieber Kollege Stiegler,
die Multiplikatoreffekte, die durch die Investitionsprogramme herbeigeführt werden, sind nur dann gut, wenn
das Geld zu 100 Prozent in zusätzliche Maßnahmen
fließt. Da gilt es nicht nur dafür zu sorgen, dass die Gelder von den Länderkassen in vollem Umfang zu den
Kommunen durchfließen, sondern auch sicherzustellen,
dass es zu zusätzlichen Investitionen in den Kommunen
kommt. Da ich lange genug Kommunalpolitik betrieben
habe, weiß ich, wie erfinderisch Kämmerer, Bürgermeister und Oberbürgermeister sind, wenn es darum geht, die
eigene Bilanz - in der Wirtschaft würde man das Passivtausch nennen - auf Bundeskosten zu schonen. Man
könnte zynisch sagen: Das lindert dann die Staatsverschuldung, weil insgesamt nichts zusätzlich ausgegeben
wird. Das ist aber nicht Sinn der Sache. Deswegen muss
darauf geachtet werden, dass über diese Investitionsprogramme - Frau Andreae, sie sind zielgerichtet und, ganz
im Sinne der CDU/CSU-Fraktion, in wesentlichen Teilen auf Bildung ausgerichtet - wirklich zusätzliche Maßnahmen finanziert werden.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Das
Ganze ist ein Paket, das der verzwickten Lage angemessen ist, das nämlich Rücksicht darauf nimmt, dass Teile
unserer Wirtschaft bis jetzt gar nicht betroffen sind.
Viele der Unternehmen, die ausschließlich von der Inlandsnachfrage abhängig sind, sind bisher überhaupt
nicht tangiert. Es gibt andere Unternehmen, die im Auslandsgeschäft insbesondere mit den Schwellenländern
tätig sind und in wesentlichem Maße tangiert sind. All
unsere Maßnahmen werden nie hundertprozentig bei denen wirken, die, was die Unternehmensentwicklung und
die Arbeitsplätze angeht, am stärksten unter der Krise zu
leiden haben. Deswegen ist das Bürgschaftsprogramm
- die darüber bereitgestellten 100 Milliarden Euro - von
so entscheidender, zusätzlicher Bedeutung; darauf
möchte ich noch einmal aufmerksam machen.
Wir haben viele Unternehmen, die jetzt von zwei Seiten in die Klemme geraten: Den Unternehmen bricht die
Nachfrage weg; gleichzeitig erhöhen sich die Kosten der
Unternehmensfinanzierung dadurch, dass für die Unternehmen der Realzins in der Finanzierung steigt. Auch
wenn die Nominalzinsen sinken, steigen für die Unternehmen die Realzinsen in der Finanzierung; sie werden
möglicherweise zusätzlich steigen. Wenn wir über das
Bürgschaftsprogramm einen Beitrag dazu leisten, an sich
gesunde Unternehmen für eine bestimmte Zeit im Bereich der Finanzierungskosten zu entlasten, dann tun wir
etwas Gutes für die Arbeitsplätze und für den Bestand
von Unternehmen in Deutschland. Deswegen haben wir
das nachdrücklich unterstützt.
({9})
Das ganze Paket mit dem 100-Milliarden-Euro-Programm, dem Kurzarbeitergeld, der Senkung von Steuern
und Abgaben und der Förderung von Investitionen trägt
dazu bei, die Risiken zu streuen. Deshalb ist es in sich
vernünftig. Es muss gestreut werden; wir können nicht
auf eine Karte setzen, wenn es darum geht, die Probleme
zu bekämpfen.
Ich sage noch einmal - das wird auch aus dem Jahreswirtschaftsbericht deutlich -: Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als wenn wir die Schwierigkeiten durch
Staatsmaßnahmen unterpflügen könnten. Wir können einen Beitrag dazu leisten, dass über das Loch, das sich
spontan gebildet hat und in das eine Reihe von Unternehmen in Deutschland im Moment zu fallen droht, eine
Brücke gebaut wird, damit unsere Unternehmen durchstarten können, wenn es in der Welt wieder losgeht. Ich
bin davon überzeugt: Unsere Wirtschaft ist so gut aufgestellt, dass wir, wenn wir es richtig anstellen, am Ende
gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können. Dazu
müssen wir einen Beitrag leisten. Das muss das Ziel von
Politik in diesem und im kommenden Jahr sein.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich will die Gelegenheit nutzen, um auf noch
etwas aufmerksam zu machen. Es zeichnet sich schon
jetzt ab - das klang in den Reden bereits an verschiedenen Stellen an -, dass die Energieversorgung in
Deutschland, in Europa und in der Welt der nächste Bereich sein könnte, in dem wir in eine Krise laufen. Die
Erdgasversorgung in diesem Winter hat allen Bürgern in
Deutschland wirklich bedrohlich vor Augen geführt, auf
welch dünnem Eis wir uns hier insgesamt bewegen. Deshalb plädiere ich für unsere Fraktion nachdrücklich dafür, dass der gesamte Deutsche Bundestag Risikostreuung betreibt und dass wir bei unserem Nachdenken
darüber, wie wir unsere Energieversorgung sicherstellen
wollen, nicht auf eine Karte, sondern auf mehrere Karten
setzen.
Laurenz Meyer ({10})
Die Politik, die Deutschland betrieben hat, nämlich
mit regenerativen Energien, Kohle, Kernenergie, Öl und
Gas, ist die richtige Politik gewesen. Nur mit einer solchen Risikostreuung werden wir erstens den Klimaproblemen begegnen können, zweitens den Energieengpass
weitgehend vermeiden können und drittens - das ist mir
auch wichtig - unsere Bürger nicht überfordern, was ihr
Portemonnaie und die Kosten für eine gesicherte Energieversorgung angeht.
({11})
Ich habe vorhin Zwischenrufe von den Grünen gehört, etwa des Inhalts: Da werden Arbeitsplätze geschaffen. - Natürlich, aber dafür - das vergessen Sie immer fallen Arbeitsplätze an anderer Stelle weg - das ist nun
einmal volkswirtschaftliches Gesetz, das ist Adam
Riese -, weil jeder Euro nur einmal ausgegeben werden
kann. Wenn der Bürger den Euro über höhere Stromkosten für die Förderung von regenerativen Energien ausgibt, dann kann er ihn nicht gleichzeitig für Autos, Möbel oder sonst was ausgeben. Das müssen auch Sie
einmal einsehen.
({12})
Wir müssen bei diesen Fragen endlich daran denken,
dass die Menschen in Deutschland mehr Netto in ihrer
Tasche behalten müssen.
Vielen Dank.
({13})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht hat eigentlich
zwei zentrale Botschaften. Die eine ist sozusagen rückwärtsgewandt und macht deutlich: Wir gehen in eine außerordentlich schwierige wirtschaftliche Situation, aber
mit einer wesentlich robusteren Wirtschaft, als wir sie
in früheren großen Wirtschaftskrisen hatten. Dass die
Wirtschaft robuster ist, liegt an konkreten politischen
Reformen, aber auch am vernünftigen Verhalten von Gewerkschaften und Unternehmen in den vergangenen Jahren.
Zu der Robustheit gehört, dass die Beschäftigungsschwelle deutlich gesunken ist. Wir brauchen wesentlich
weniger Wachstum für mehr Beschäftigung, als das in
früheren Jahrzehnten der Fall gewesen ist.
({0})
Das ist ein ganz wichtiger Punkt und erklärt auch, dass
die Sockelarbeitslosigkeit jetzt deutlich niedriger ist, als
sie zu Beginn früherer Krisen gewesen ist.
Wir haben die Eigenkapitalbasis von Unternehmen
deutlich verbessert, nämlich durch zwei Unternehmensteuerreformen, auch in unserer Verantwortung, die dazu
beigetragen haben, dass das Unternehmen belohnt wird,
das Gewinne reinvestiert und nicht in erster Linie an die
Eigentümer ausschüttet. Das hat sich bezahlt gemacht.
Das macht viele Unternehmen auch unabhängiger von
Kreditinstituten und Fremdfinanzierung.
Entgegen manchen öffentlichen Äußerungen haben
wir eine deutliche Verbesserung der Forschungs- und
Innovationssituation in den Unternehmen zu verzeichnen - was Innovation und Forschung angeht, kann es natürlich nie genug sein -, auch ausweislich der Antwort
auf die Große Anfrage zum innovativen Mittelstand. Wir
stehen weltweit auf Platz zwei, was die Forschungs- und
Innovationsintensität von kleinen und mittleren Unternehmen angeht. Auch das wird sich in der Zukunft und
auch in dieser Krise, denke ich, bezahlt machen.
({1})
Ein ganz wichtiger Punkt ist: Wir gehen mit einer völlig veränderten Ausgangslage hinsichtlich des Zustandes
der Staatsfinanzen in diese Krise hinein. Man stelle sich
einmal vor, wir hätten nicht in den vergangenen Jahren
mit Peer Steinbrück einen strammen Konsolidierungskurs gefahren, bei dem es manchmal wirklich in den
Knochen gekracht hat, auch politisch, wir hätten den
Erblastentilgungsfonds in den letzten 14 Jahren nicht
konsequent auf null heruntergefahren und wir wären mit
einer Ausgangslage, wie sie vor fünf Jahren bestand, in
diese Krise hineingerutscht: Dann hätten wir überhaupt
nicht den Spielraum, solche Programme zu fahren, wie
wir sie jetzt fahren, weder hinsichtlich der Stabilisierung
der Finanzmärkte noch hinsichtlich der Absicherung von
Wachstum und Beschäftigung.
({2})
Insofern zeigt sich jetzt, dass sich die Reformpolitik
der vergangenen Jahre wirklich gelohnt hat, weil sie die
Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Deutschland krisensicherer gemacht hat. Wenn Politik das erreicht, dann hat
sie sehr viel erreicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, andererseits sind
wir natürlich bei der Finanzkrise, die ja die Ursache für
die Weltwirtschaftskrise ist, überhaupt noch nicht über
den Berg. Dass viele Prognosen der vergangenen Monate falsch waren, nach oben oder nach unten, liegt einfach daran, dass es bislang wenig Erfahrungen sowohl
der Politik als auch der Wissenschaft gab, wie man damit
umgehen soll, wenn ein zentrales Element der Wirtschaft, nämlich der Finanzmarkt, als Ergebnis einer unverantwortlichen und völlig intransparenten Zockerei
mit dem Ziel, exorbitante Gewinne zu erzielen, die völlig außerhalb der ökonomischen Realität lagen, zusammenbricht. Damit hatte keiner Erfahrung.
Wir müssen uns aber jetzt der Verantwortung stellen.
Deswegen haben alle recht - die Bundesregierung hat
recht und alle Kollegen, die hier dazu gesprochen haben -: Wir müssen neben dem akuten Krisenmanagement alles unternehmen, damit eine solche Krise aus den
oben genannten Motiven nicht wieder entstehen kann.
Reinhard Schultz ({3})
Das heißt selbstverständlich, Spielregeln für Finanzmärkte national, europäisch, weltweit aufzustellen.
Dem Kollegen Lafontaine, der sich hier hingestellt
und gesagt hat, es sei nichts geschehen, kann ich nur entgegnen: Das ist völliger Quatsch. Wir sind im Rahmen
der Möglichkeiten sehr weit gegangen. Ich will nur einmal ein paar Beispiele nennen:
Herr Lafontaine hat gefordert, dass sich die Zweckgesellschaften künftig in den Bilanzen widerspiegeln müssen. Wir erstellen gerade auf der Grundlage einer EURichtlinie ein Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz. Das
befindet sich im Augenblick im parlamentarischen Verfahren. Das wird zu dem Ergebnis führen, dass sich die
Zweckgesellschaften in den Bilanzen von Kapitalgesellschaften, auch von Banken, widerspiegeln müssen. Ich
denke, damit ist dieser Punkt der Schularbeiten gemacht.
Wir haben darüber diskutiert, dass es offensichtlich
falsche Wetterfrösche, auch Rating-Agenturen genannt,
gibt, die die Entwicklung von Unternehmen, Banken und
Finanzmarktprodukten vorhersagen sollen. In der Pipeline befindet sich jetzt eine europäische Richtlinie, die
Regeln für Rating-Agenturen schafft, die die absolute
Unabhängigkeit von den bewerteten Finanzmarktprodukten erzwingen wird, die eine Offenlegung der Methoden erzwingen wird und die sozusagen auch eine
gewisse Marktvielfalt der Anbieter von Ratings sicherstellen soll. Auch in diesem Bereich wird, wie ich denke,
einiges getan.
Wir haben über das Verbot gewisser Finanzmarktprodukte diskutiert, die bestimmte Kriterien nicht erfüllen.
Das ist nicht ganz so einfach. Das ist vielleicht sogar die
schwierigste Aufgabe; aber auch der stellen wir uns.
Insofern glaube ich, dass neben der Bekämpfung der
akuten Krise auf dem Finanzmarkt, damit nicht alles
wegbricht, die Herstellung vernünftiger Rahmenbedingungen, denen natürlich gleichzeitig auch die Aufgabe
zukommt, Zukunftsvorsorge zu treffen, wichtig ist, damit sich Krisen aufgrund von Finanzmarktversagen so
schnell nicht wiederholen können.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/11650 und 16/10985 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu stelle ich Einvernehmen fest. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke zum Jahreswirtschaftsbericht 2009
der Bundesregierung. Interfraktionell ist vereinbart, über
den Entschließungsantrag auf Wunsch der Fraktion Die
Linke abweichend von der Geschäftsordnung sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Wer
stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf der Drucksache 16/11651? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Damit ist der Entschließungsantrag mit großer Mehrheit
abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
- Drucksache 16/10485 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über zwingende Arbeitsbedingungen für
grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen ({1})
- Drucksache 16/10486 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Arbeit und Soziales ({2})
- Drucksache 16/11669 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Werner Dreibus, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für einen sozial gerechten Mindestlohn in
Deutschland
- Drucksachen 16/1878, 16/11669 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ralf Brauksiepe
Über die noch in der Tagesordnung aufgeführten Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
den Drucksachen 16/8757 und 16/8758 ist nicht mehr zu
befinden, da die Fraktion diese Gesetzentwürfe gestern
zurückgezogen hat.
Zu den beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung
liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen sowie je ein Entschließungsantrag der FDPFraktion vor.
Ich weise darauf hin, dass zur Annahme der Gesetzentwürfe der Bundesregierung nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes die absolute Mehrheit, also 307 Stimmen,
erforderlich ist. Zur Feststellung der erforderlichen
Mehrheit werden wir später zwei namentliche Abstimmungen durchführen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dagegen höre
ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, das Wort.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist ein wichtiger Tag für viele Bürgerinnen und Bürger unseres Landes - was man nicht immer
sagen kann, wenn hier im Bundestag über Gesetze debattiert wird. Das, was wir heute zu bereden haben, wird
aber dazu führen, dass mehrere Hunderttausend Menschen in unserem Land über bessere Löhne verfügen, als
das heute der Fall ist. Wann kann man das schon sagen?
Ich glaube, dass wir heute gute Gesetze abschließend beraten werden.
({0})
Wer arbeitet, der will das in der Regel gut machen. Er
gibt sein Bestes, steckt Freude hinein und will mit Stolz
auf die Ergebnisse der Arbeit blicken. Eine Gesellschaft,
die die in der Arbeit liegende Anstrengung nicht wertschätzt, untergräbt den Zusammenhalt und damit das
Fundament, auf dem sie gegründet ist.
Wenn wir signalisieren, dass die Fähigkeiten und das
Engagement nicht so viel wert sind, dass man ein einfaches Auskommen erreichen und damit den eigenen Lebensunterhalt decken kann, dann dürfen wir uns nicht
wundern, dass sich Bürgerinnen und Bürger unseres
Landes gedemütigt und von unserem Gemeinwesen ausgeschlossen fühlen. Dies zu ändern, ist die Aufgabe der
heutigen Gesetzgebung.
({1})
Darum ist es unumgänglich und notwendig, dass wir
etwas tun, um dazu beizutragen, dass das persönliche
Engagement, die Aktivität und die Anstrengung von
Bürgerinnen und Bürger auch belohnt werden und sich
auszahlen. Im Zusammenhang mit der Diskussion über
Mindestlöhne geht es darum, dass Anstrengung sich
lohnt und auszahlt. Dies ist eine Grundlage unserer Wirtschaftsordnung.
({2})
Von selbst geht das leider nicht immer. Die Vorstellung, dass der Markt es schon alleine richten wird, ist in
diesen Tagen ja auf katastrophale Weise widerlegt worden. Weltwirtschaftlich müssen wir ausbaden, dass es
sich eben nicht als richtig erwiesen hat, die Marktwirtschaft ganz ohne Regeln funktionieren zu lassen. Alle in
diesem Hause sind sich einig, dass wir Regeln für die internationalen Finanzmärkte brauchen, um eine solche
Katastrophe, wie sie jetzt auf die Weltkonjunktur zukommt, für die Zukunft zu vermeiden.
Wir brauchen aber auch Regeln für die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Lande, die schwere Arbeit leisten
und heute nicht mit dem Einkommen zurechtkommen,
das sie dabei erhalten.
({3})
Mit der Verabschiedung der Gesetzentwürfe zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz und zum Gesetz über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen leisten wir
einen wichtigen Beitrag, um Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern in Deutschland besser als bisher zu garantieren, dass ihr Lohn nicht unter ein unerträgliches
Maß gedrückt werden kann.
Außerdem schaffen wir - auch das darf nicht vergessen werden - einen fairen Handlungsrahmen für unternehmerisches Handeln. Wenn Löhne nicht ausreichen,
um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, wird ja
nicht nur die Würde von Arbeitnehmern verletzt; es geht
auch um die Gefühle sehr engagierter, tatkräftiger
Unternehmerinnen und Unternehmer.
Ich kenne viele, die oft auch in persönlichem Kontakt
mit ihren Mitarbeitern stehen, deren Lebensverhältnisse
und Familien kennen und sich mit ihnen duzen und die
es kaum aushalten können, dass sie ihren Arbeitnehmern
wegen unerträglicher Konkurrenz- und Wirtschaftsbedingungen nicht einmal Löhne zahlen können, die ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese
Unternehmer freuen sich jetzt über die Regelungen, die
wir heute hier beraten.
({4})
Diese Unternehmer sind übrigens nicht die Einzigen,
die sich freuen. Denn es waren auch Unternehmensverbände, die vorgeschlagen und uns darum gebeten haben,
dass wir gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen,
um Mindestlöhne in ihren Branchen zu etablieren. Das
ist die Grundlage des Konsenses, den die Koalition erreicht hat. Ich glaube, auch das muss festgehalten werden. Es geht hier um etwas, was für eine soziale Marktwirtschaft unverzichtbar ist.
({5})
In das Arbeitnehmer-Entsendegesetz werden heute
Branchen auf Wunsch der Arbeitgeber und der Gewerkschaften aufgenommen, in denen eine Tarifbindung von
mindestens 50 Prozent herrscht. Über das Mindestarbeitsbedingungengesetz versuchen wir dort zu Verbesserungen zu kommen, wo Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
vor schlimmer Ausbeutung nicht schützen können. Denn
auch das ist etwas, was wir lernen mussten: Nicht jeder
niedrige Lohn ist wirklich durch Konkurrenz bedingt.
Manchmal gibt es ihn einfach nur deshalb, weil man ihn
durchsetzen kann. Das müssen wir mit den Gesetzen beenden, die wir heute auf den Weg bringen.
({6})
Eine dritte Möglichkeit, über die sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen verständigt haben, ist, dass wir auch für die Zeitarbeit eine Lohnuntergrenze festsetzen werden. Das geschieht in einem
eigenständigen Gesetzgebungsverfahren im Rahmen des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Ich glaube, auch das
ist ein guter Fortschritt. Denn dieser Bereich ist gewissermaßen ein Gradmesser für das, was in unserem Lande
passiert. Die Menschen, die dort arbeiten, arbeiten in allen Branchen. Deswegen brauchen wir auch dort eine
Regelung. Es ist gut, dass wir uns auf einen Weg dorthin
verständigt haben.
({7})
Wir wären nicht da, wo wir heute stehen, wenn die
Traditionen der Sozialpartnerschaft noch so gelten
würden, wie sie in den letzten Jahrzehnten schon einmal
gegolten haben. Aber es gab in den letzten Jahren einige,
die durch Talkshows gezogen sind und immer wieder gesagt haben, dass mit der Sozialpartnerschaft Schluss sein
muss. Sie hatten mehr Erfolg, als man sich gewünscht
hätte. Denn anders als in früheren Jahrzehnten gibt es in
unserer Volkswirtschaft große Sektoren, in denen Lohnund Arbeitsbedingungen nicht mehr durch Verständigung von Arbeitgebern und Gewerkschaften bestimmt
werden. Es herrscht dort nur noch nackte Konkurrenz,
die meistens zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht.
({8})
Aber die, die die Sozialpartnerschaft so infrage gestellt haben, hätten vorher wissen können: Wenn es nicht
die Tarifparteien und die Sozialpartner sind, die die Regelungen treffen, dann muss der demokratische Staat an
ihre Stelle treten. Genau das machen wir mit diesen Gesetzen. Denjenigen, die damals die Sozialpartnerschaft
infrage gestellt haben, muss man sagen, dass es ihnen
wie dem Zauberlehrling bei Goethe geht: „Die ich rief,
die Geister, werd’ ich nun nicht los.“ Genau das muss
man heute sagen.
({9})
Die beiden Gesetze sind alte Bekannte. Das Mindestarbeitsbedingungengesetz stammt aus der ersten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Im Jahre 1950
gab es einen Antrag der SPD-Fraktion, der 1951 mit den
Stimmen der Mehrheit des Hauses - also auch mit denen
der Union - beschlossen worden ist. 1952 trat das entsprechende Gesetz in Kraft. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz stammt aus dem Jahr 1996, also aus der Zeit einer von CDU/CSU und FDP getragenen Regierung.
({10})
Es ist dann später mit Leben erfüllt worden.
({11})
Seit diesem Zeitpunkt haben wir die gesetzlichen Grundlagen, die dazu beigetragen haben, dass es zum Beispiel
bereits heute in der Baubranche Mindestlöhne gibt.
Wir haben uns verständigt, dass jetzt sechs weitere
Branchen hinzukommen sollen: die Pflegebranche, die
Sicherheitsdienstleistungen, die Bergbauspezialarbeiten, Großwäschereien, die Abfallwirtschaft sowie Ausund Weiterbildungsdienstleistungen im Bereich der Arbeitsmarktförderung. Wenn man das alles zusammen betrachtet, dann kann man sagen: Am Anfang dieser Legislaturperiode waren 700 000 Bürgerinnen und Bürger im
Baugewerbe durch Mindestlöhne geschützt. Heute sind
es 1,8 Millionen. Jetzt kommen noch einmal 1,2 Millionen hinzu. Wenn es am Ende auch für die Leiharbeit eine
Lohnuntergrenze geben wird, dann werden fast 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Lohnuntergrenzen und Mindestlöhne geschützt sein. Das ist
eine Verfünffachung in dieser Legislaturperiode und eine
gute Anknüpfung an die sozialpartnerschaftlichen Traditionen unseres Landes.
({12})
Wenn man bedenkt, dass diese Regelung nicht in den
Wahlprogrammen aller Koalitionsparteien die gleiche
Prominenz gefunden hat, ist das ein bemerkenswerter
Fortschritt.
Meine Damen und Herren, man kann natürlich immer
auch über andere Regelungen diskutieren. Ich finde also,
dass es, wenn man einen großen Fluss überqueren will,
erfolgversprechender ist, sich von Insel zu Insel vorzuarbeiten und geduldig Brücken zu bauen, anstatt zu versuchen, einfach gerade durchzuschwimmen, um dann
womöglich mitgerissen zu werden. Die Brücken, die wir
mühsam geschaffen haben, sind stabil. Sie werden - das
ist wichtig - für Jahrzehnte halten, weil sie von einem
breiten Konsens, der über die Koalitionsfraktionen hinausgeht, getragen werden. Deshalb bauen wir hier etwas Wichtiges und Stabiles für die Zukunft.
({13})
An einzelnen Branchen kann man sehen, was getan
werden muss. Ich will exemplarisch auf die Pflegebranche zu sprechen kommen. Es handelt sich hierbei um
eine Zukunftsbranche unseres Landes. Wir alle wissen:
Dort werden immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden und beschäftigt werden
müssen. Die Arbeit, die Pflegerinnen und Pfleger leisten,
ist von unschätzbarem Wert für das Leben vieler Bürgerinnen und Bürger und für die Zukunft unseres Landes.
Mit den Löhnen, die in der Pflege teilweise gezahlt werden, kann man die Ansprüche, die an die Pflege gestellt
werden, aber gar nicht erfüllen. Es geht um qualifizierte,
schwere Arbeit, die dort geleistet wird. Deshalb muss sie
auch anständig bezahlt werden.
({14})
Man kann den Leuten nicht sagen: „Arbeitet in einem
Pflegeberuf, seid engagiert und tragt dazu bei, dass Bürger dieses Landes, die ein langes Arbeitsleben hinter
sich haben, einen erfüllten Lebensabend haben“, diesen
Leuten dann aber eine Lohnabrechnung schicken, mit
der man ihnen quasi mitteilt: „Wenn ihr nicht Geld von
eurer Familie oder einer Arbeitsgemeinschaft bekommt,
dann könnt ihr euren Lebensunterhalt nicht finanzieren.“
Das passt nicht zusammen. Das muss verändert und verhindert werden.
({15})
Ich sage das auch, weil es viele gibt, die als Arbeitgeber auch aus sozialen und karitativen Beweggründen in
diesem Bereich tätig sind und bei denen das nicht so ist.
Sie werden aber bedroht von einer Konkurrenz, die sich
aufmacht, das, was teilweise über Jahrzehnte oder sogar
ein Jahrhundert hinweg an sozialen Strukturen gewachsen ist, infrage zu stellen. Das darf nicht sein. Darum bin
ich froh, dass wir für die Pflegebranche eine Regelung
gefunden haben, die den Besonderheiten und Traditionen dieser Branche gerecht wird. Ich will zum Gepräge
dieser Branche ausdrücklich sagen, dass insbesondere in
kirchlichen Arbeitsstrukturen gute Arbeit zu fairen Bedingungen geleistet wird.
Deshalb mussten wir auf den sogenannten „Dritten
Weg“, der hier eine besondere Rolle spielt, Rücksicht
nehmen. Wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitsbedingungen in den kirchlichen und karitativen
Organisationen durch Arbeitsvertragsrichtlinien festgelegt werden, die in paritätisch besetzten Kommissionen
bestimmt werden. Das ist ein gleichwertiger Weg zu den
Tarifverträgen außerhalb des kirchlichen Bereichs. Diese
Gleichwertigkeit musste für die Pflegebranche vom Gesetzgeber berücksichtigt werden, indem wir gesagt haben: Es passt nicht, dass wir das eine Ergebnis - die Tarifverträge eines geschlossenen Systems - dem anderen
überstülpen. Genauso wie es umgekehrt nicht passt, weil
es geschlossene Systeme sind. Wir müssen sicherstellen,
dass die unterschiedlichen Traditionen weiterexistieren
können. Gleichzeitig müssen wir aber sicherstellen, dass
die Konkurrenz, die Pflege zu Dumpinglöhnen anbietet,
verhindert werden kann. Ich glaube, mit der Kommission, die wir etabliert haben, wird das gelingen.
({16})
Wir haben in diese Regelung übrigens ganz viele
Quoren hineingeschrieben, und das finde ich richtig. Angesichts der Bedeutung, die die beiden großen Kirchen
in unserem Land für den Bereich der karitativen Pflege
haben, will ich ausdrücklich sagen: Eine Mindestlohnregelung im Bereich der Pflege wird es ohne Einverständnis der Kirchen mit dieser konkreten Regelung nicht geben. Aufgrund dieser gesetzlichen Grundlage kann es
eine solche Regelung auch nicht geben.
({17})
Dass wir auch im Bereich der Weiterbildung eine
Lösung gefunden haben, finde ich gut. Ich will das ausdrücklich sagen, weil der Deutsche Bundestag in diesem
Zusammenhang eine Rolle spielt. Wir sind diejenigen,
die im Deutschen Bundestag Gelder für den Bereich der
Weiterbildung, für den Bereich der Arbeitsförderung bereitstellen. Der Bundestag bestimmt im Zusammenhang
mit der Selbstverwaltung der Arbeitsagenturen mit über
das Ausgeben von Versichertenbeiträgen und -geldern.
Wir alle haben das Problem, dass wir wegen der von uns
zu beachtenden Vorschriften nicht wirklich verhindern
können, dass an der einen oder anderen Stelle jemand
Neues auftritt und ausgebildete Akademiker oder Handwerker zu Löhnen beschäftigt, die nicht in Ordnung sind,
damit sie Arbeitslosen gute Arbeit und gute Berufe beibringen. Das kann nicht funktionieren. Deshalb bin ich
froh, dass wir hier einen Bereich haben, in dem wir einen
vernünftigen Wettbewerb um die besten und qualitätsvollsten Leistungen auf den Weg bringen können.
({18})
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Der
Druck wird zunehmen; denn 2011 werden wir die Freizügigkeit in der Europäischen Union haben.
({19})
Darauf müssen wir uns vorbereiten, indem wir sicherstellen, dass die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft
auch in der Zukunft eine Bedeutung haben. Die Gesetzesvorhaben, die heute zur Debatte und zur Entscheidung stehen, werden die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft für die Zukunft sichern.
Schönen Dank.
({20})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, gab es in
Deutschland einen Mindestlohn für knapp 700 000 Beschäftigte. Nach Verabschiedung der hier heute vorliegenden Gesetzentwürfe wird sich die Zahl der von Mindestlöhnen betroffenen Beschäftigten nahezu verfünffachen.
({0})
Ich sage bewusst der „betroffenen Beschäftigten“; denn
ob Mindestlöhne wirklich eine positive Wirkung für die
Beschäftigten entfachen, bleibt abzuwarten. Die Befürworter der Mindestlöhne sehen vor allem deren Verteilungswirkung. Mahnende Stimmen - die FDP-Bundestagsfraktion gehört ausdrücklich dazu - betonen in
Zeiten einer schweren Rezession mehr denn je die negativen Auswirkungen für die Beschäftigten - und das mit
gutem Grund.
({1})
Am Beispiel der Postdienstleistungen ließ sich sehr
schnell und deutlich beobachten, dass die Warnung vor
Arbeitsplatzverlusten infolge der Einführung von Mindestlöhnen einen sehr realen Hintergrund hat. Innerhalb
weniger Wochen sind 6 000 der 11 500 Arbeitsplätze bei
der PIN AG verschwunden. Das IWH in Halle befürchtet, dass die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 7,50 Euro einen Verlust von rund
620 000 Arbeitsplätzen vor allem im Niedriglohnbereich
zur Folge hat. Das ist für uns Anlass zur Sorge.
({2})
Offensichtlich sehen die Menschen in unserem Lande
diese Gefahr. Sie haben erkannt, dass Mindestlöhne
nichts bringen, wenn man keinen Arbeitsplatz mehr hat.
Deswegen sagen wir - nach der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtes, über den gerade diskutiert wurde, erst
recht -: Nie waren Mindestlöhne so falsch wie heute.
({3})
Die Große Koalition beharrt mit der Trägheit eines
großen Tankers auch in Zeiten der Rezession auf dem
einmal eingeschlagenen falschen Kurs. Sehen Sie: Es
macht mir Sorgen, dass die Große Koalition nicht mehr
die Rahmenbedingungen und die Konsequenzen ihres
Handelns sieht. Es geht offensichtlich, wie der Spiegel
mit Blick auf die Politik von Bundeskanzlerin Angela
Merkel unter der bildhaften Überschrift „Königin des
Ungewollten“ schreibt, nur noch darum, dass es ein Ergebnis gibt, aber nicht mehr darum, welches.
({4})
Der Union fehlt eine ordnungspolitische Leitlinie.
({5})
Der Damm, den die Union noch im Koalitionsvertrag
vom 11. November 2005 errichtet hatte, ist längst gebrochen. Damals hieß es noch, eine Ausdehnung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen werde geprüft,
wenn entsprechende soziale Verwerfungen durch
Entsendearbeitnehmer nachgewiesen werden. Herr
Brauksiepe - Sie werden ja gleich nach mir sprechen -,
können Sie mir bitte einmal erklären, wo die Entsendeproblematik bei Aus- und Weiterbildungsleistungen nach
dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch - das
ist eine der Branchen, die heute in das Entsendegesetz
aufgenommen werden sollen - nachgewiesen ist? Hier
ist der ursprüngliche Zweck des Entsendegesetzes, Verwerfungen entgegenzuwirken, die durch den Einsatz entsandter Arbeitnehmer in Deutschland entstehen können,
vollkommen aus dem Blick geraten.
({6})
Von einer Wiederbelebung des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, Herr
Brauksiepe, war im Koalitionsvertrag zwischen Union
und SPD gar nicht die Rede. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union - ich muss das hier so hart an
Ihre Adresse sagen -, es ist genau so gekommen, wie ich
es Ihnen im Dezember 2007 nach Ihrer Zustimmung
zum Mindestlohn bei Gebäudereinigern und Postdienstleistungen prophezeit habe: Sie werden von der SPD
Stück für Stück weiter über den Tisch gezogen.
({7})
Was auf der Strecke bleibt, ist die Tarifautonomie.
Der Staat mischt sich mehr und mehr in die Lohnfindung
ein, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus guten Gründen und ganz bewusst ausschließen wollten. Es
gibt erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit Ihres Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von
Mindestarbeitsbedingungen. Professor Thüsing von der
Universität Bonn schrieb in seinem Gutachten vom
Juli 2008: Das Mindestarbeitsbedingungengesetz will
keinen Mindestarbeitslohn im Sinne der Existenzsicherung festschreiben, sondern soll Grundlage der Festlegung angemessener Löhne entsprechend der jeweiligen
Tätigkeit sein. Damit tritt der Gesetzgeber in direkte
Konkurrenz zu den Tarifvertragsparteien.
({8})
Herr Brauksiepe, genauso ist es. Branchenausschüsse
sollen Mindestlöhne festlegen, die dann per Rechtsverordnung auch dort ausnahmslos bindend vorgeschrieben
werden, wo Tarifverträge mit geringeren Löhnen bestehen. Das ist - daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln eine Einschränkung des Tarifvorrangs.
({9})
Weil Sie das wissen, haben Sie unseren Antrag auf
eine erneute Anhörung gestern im Ausschuss abgelehnt.
({10})
Weil aber mindestens 18 Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU-Fraktion der gleichen Meinung sind wie wir,
hat es in Ihrer Fraktion am Dienstag einen Aufstand gegeben,
({11})
der allerdings erfolglos blieb, genauso erfolglos wie zuvor Josef Schlarmann, der Vorsitzende Ihrer Mittelstandsvereinigung, der von der Kanzlerin höchstpersönlich im Bundesvorstand der CDU zusammengefaltet
wurde,
({12})
weil er es gewagt hatte, Kritik am wirtschaftspolitischen
Kurs der Bundeskanzlerin zu äußern.
({13})
Meine Damen und Herren, die wenigen Kolleginnen
und Kollegen der CDU, die nach wie vor der gleichen
Meinung sind wie ich - ich meine zum Beispiel Laurenz
Meyer, Michael Fuchs, Peter Rauen und nicht zuletzt
Gitta Connemann, die mit der Niederlegung der Berichterstattung im Ausschuss
({14})
aus Protest gegen die Nähe der CDU zur SPD in dieser
Frage
({15})
ein deutliches Zeichen gesetzt hat, wofür ich ihr ausdrücklich meinen Respekt ausspreche -,
({16})
sind die letzten Mohikaner der Ordnungspolitik in der
Union.
({17})
Einfluss haben sie aber nicht mehr. Weil das so ist, laufen die Mittelständler, wie gerade erst bei der Wahl in
Hessen, der Union derzeit in Scharen davon. Eine neue
Heimat finden sie bei der FDP,
({18})
die in diesem Haus die einzig verbliebene politische
Kraft mit klarer ordnungspolitischer Linie ist.
({19})
Wie es weitergeht, kann man bereits erahnen. Dafür
muss man sich nur vor Augen führen, was hier und heute
noch nicht beraten wird. Herr Brauksiepe, ich meine Ihren Plan, Mindestlöhne durch Verordnung des Bundeskabinetts und ohne Mitwirkungsrecht der Tarifparteien
festzulegen.
({20})
Dieses Vorgehen soll zunächst zwar nur für den Bereich
der Arbeitnehmerüberlassung angewendet werden.
({21})
Aber wer mag mit Blick auf die ins Wanken geratene
Unionsfraktion noch glauben, dass es bei dieser einen
Lohnuntergrenze bleibt?
({22})
Weitere werden folgen.
Irgendwann werden Sie sich den Flickenteppich
branchenbezogener Lohnuntergrenzen ansehen. Dann
werden Sie sagen, dass man wirklich niemandem erklären kann, warum in der einen Branche diese und in der
anderen Branche jene Lohnuntergrenze gilt und dass es
doch besser wäre, einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen.
({23})
So könnte es kommen, wenn der Wähler dem nicht einen
Riegel vorschiebt und die Große Koalition abwählt, wovon ich nach den Wahlergebnissen vom letzten Wochenende allerdings verstärkt ausgehe.
({24})
Meine Damen und Herren, seien Sie versichert: Die
FDP hält die Fahne der Tarifautonomie hoch.
({25})
- Lachen Sie nicht! Das hat nämlich einen sehr ernsten
Hintergrund: Für uns haben Tarifverträge absoluten Vorrang vor staatlicher Lohnfestsetzung, für Sie nicht.
({26})
Wir schließen Eingriffe in die Tarifautonomie, insbesondere eine Verdrängung konkurrierender Tarifverträge,
aus. Wir lehnen gesetzliche Mindestlöhne und die Aufnahme weiterer Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ab.
({27})
Wir glauben, dass Deutschland einen funktionierenden
Niedriglohnsektor braucht, gerade in Zeiten wie diesen.
Wir wollen keine Mindestlöhne. Wir wollen ein bedarfsdeckendes Mindesteinkommen für alle Bürger. Dafür haben wir unser Konzept des liberalen Bürgergeldes vorgelegt.
({28})
Weil das so ist, lehnen wir beide vorliegenden Gesetzentwürfe ab.
({29})
Herr Scholz, der heutige Tag mag ein wichtiger sein. Er
ist aber wahrlich kein guter Tag für die Tarifautonomie
in Deutschland.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({30})
Das Wort hat nun Kollege Ralf Brauksiepe, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Menschen in Deutschland erwarten in ihrer großen
Mehrheit, dass Politik Fragen nach sozialer Gerechtigkeit beantwortet. Zu dieser Frage nach sozialer Gerechtigkeit gehören für die Menschen faire Löhne. Hierauf
geben wir heute eine sozial gerechte Antwort.
({0})
Dabei ist für uns die Linie klar: Der Staat - das haben
wir in diesen Wochen an anderer Stelle diskutiert - ist
nicht der bessere Banker. Der Staat ist nicht der bessere
Unternehmer. Der Staat ist auch nicht der bessere Tarifpartner oder der bessere Lohnfestsetzer. Deswegen ersetzen wir die Tarifvertragsparteien nicht durch die RegeDr. Ralf Brauksiepe
lungen in diesen Gesetzentwürfen, sondern stärken sie.
Das ist Ausdruck gelebter Subsidiarität.
({1})
Diesen Beitrag können wir leisten. Das schließt mit
der Modernisierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes auch ein, dass wir es da, wo die Tarifvertragsparteien aufgrund geringer Bindungswirkung nicht alleine
zu einer Lösung kommen,
({2})
mithilfe von Tarifsurrogaten und Kommissionen, in denen die Tarifpartner vertreten sind, ermöglichen, dass in
diesen Branchen faire Löhne gezahlt werden.
Es wird davon gesprochen, dass damit die Tarifautonomie angegriffen würde. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil
ist der Fall.
({3})
Jeder Tarifvertrag, der in Branchen mit geringer Tarifbindung bisher besteht, kann weiter fortbestehen. Das
haben wir deutlich gemacht. Es gibt für die Tarifvertragsparteien Luft zum Atmen. Der Folgetarifvertrag
muss nicht unmittelbar anschließen, sondern es gibt die
Möglichkeit, dass sich die Tarifvertragsparteien zusammensetzen und zu einer neuen Lösung kommen. Für jeden einzelnen bestehenden Tarifvertrag gibt es Bestandsschutz.
Lieber Kollege Kolb, vielleicht unterscheiden wir uns
in einem Punkt. Wo kein Tarifvertrag ist, da kann auch
keiner geschützt werden. In Branchen ohne Tarifbindung
gibt es auch keine Tarifverträge zu schützen. Auch das
sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Das hat etwas
mit der Wirklichkeit zu tun.
({4})
Wir schützen die bestehenden Tarifverträge. Jeder
Vertrag und jeder Folgetarifvertrag genießt Bestandsschutz. Das ist eine Stärkung der Tarifautonomie. Weder
durch das Mindestarbeitsbedingungengesetz noch durch
das Entsendegesetz wird ein einziger Tarifvertrag verdrängt. Das bedeutet eine Stärkung der Tarifautonomie.
({5})
Ich habe darauf hingewiesen, dass das auch für das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt. Wenn die FDP sagt,
sie wolle die Tarifautonomie stärken, dann müssten Sie
uns zu jeder einzelnen Branche einen Glückwunsch aussprechen, die ins Entsendegesetz aufgenommen wird;
denn wir tun all das aufgrund tarifvertraglicher Regelungen. Kein einziger Lohn wird von uns festgesetzt, sondern die Tarifvertragsparteien haben die entsprechenden
Regelungen vereinbart.
({6})
Wir haben dafür gesorgt, dass bewährte Regelungen
in Branchen, die schon vor längerer Zeit ins Entsendegesetz aufgenommen wurden, erhalten bleiben. Die Bauwirtschaft hat seit Jahren Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Lohnansprüchen vereinbart. Wir
haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung dahin gehend geändert, dass die Regelungen, die die Tarifvertragsparteien in bewährter Weise bisher freiwillig vereinbart haben, auf Dauer bestehen bleiben. Wir sichern
damit den Rahmen für die Bauwirtschaft - das ist die
bisher größte Branche im Entsendegesetz -, um die Regelungen, die Norbert Blüm und Heinrich Kolb 1996 in
der Regierungsverantwortung eingeführt haben, weiter
fortzuführen.
({7})
Ehre, wem Ehre gebührt. So werden wir es weiter machen.
({8})
Acht Branchen haben einen Antrag auf Aufnahme ins
Entsendegesetz gestellt. Ich sage in aller Deutlichkeit:
Es war nicht so, dass die einen alle Branchen und die anderen keine Branchen aufnehmen wollten und wir die
Mitte festlegen mussten. Wir haben keinen Kuhhandel
gemacht. Uns muss man auch keine Aufnahme einer
Branche ins Entsendegesetz abringen. Es ging um Sachfragen und darum, hier gemeinsame Lösungen zu finden.
Ich will hier auch klarmachen, was das mit einer ordnungspolitischen Linie zu tun hat. Wir haben klipp und
klar gesagt: Wo Tarifkonkurrenz besteht, werden wir
als Gesetzgeber nicht die Tarifkonkurrenz in der Weise
angehen, dass wir bestimmte Tarifverträge verdrängen.
Deswegen wird die Branche der Zeitarbeit nicht ins Entsendegesetz aufgenommen. Aber ich habe hier auch
schon in früheren Debatten gesagt: Wer ein Interesse an
tariflichen Mindestlöhnen hat - das haben wir -, der
muss auch ein Interesse daran haben, dass sich möglichst
viele Verhandlungspartner zu einer freiwilligen Verhandlungslösung zusammenfinden. Das muss der Anspruch
sein.
Ich zeige nur an zwei Branchen auf, lieber Heinrich
Kolb, was da passiert ist. In der Branche der Wäschereien bestand Tarifkonkurrenz: Verschiedene Arbeitgeber haben mit verschiedenen Gewerkschaften konkurrierende Verträge abgeschlossen. Wir haben gesagt: Das
entscheiden wir als Politik nicht. Die Tarifvertragsparteien haben sich zusammengesetzt und, indem sie einen
gemeinsamen Tarifvertrag geschlossen haben, die Konkurrenz aufgehoben. Das ist genau das, was wir wollen:
dass sich die Tarifpartner zusammensetzen und um eine
gemeinsame Lösung ringen. Wenn eine gemeinsame Lösung gefunden worden ist, verhelfen wir dieser gern zum
Durchbruch.
({9})
Das Gleiche ist in der Entsorgungswirtschaft geschehen. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht, dass die öffentlichen Entsorger die privaten an den Rand drücken. Jetzt
gibt es einen gemeinsamen Tarifvertrag. Erst als es diesen gab, haben wir uns bereit erklärt, die Entsorgungsbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzuneh21592
men. Die Tarifautonomie ist dadurch gestärkt worden,
dass sich die Tarifvertragsparteien in großer Einigkeit zu
einer Lösung durchgerungen haben, die nun alle in der
Branche umfasst.
In der Weiterbildungsbranche, lieber Heinrich Kolb,
sehen wir in der Tat Verwerfungen. Ich komme gerne
einmal in deinem Wahlkreis vorbei, wie ich es in vielen
anderen Wahlkreisen getan habe, und rede mit den Weiterbildungsträgern. Viele Weiterbildungseinrichtungen,
beispielsweise das Kolping-Bildungswerk, sagen uns:
Bei der Ausschreibung von der BA hat uns jemand mit
Billiglöhnen unterboten. Derselbe hat anschließend bei
uns angerufen und gefragt, ob er unsere Infrastruktur,
unser Personal, unsere Sachmittel nutzen kann, weil er
den Auftrag selber gar nicht bewältigen kann, außer Billiglöhnen nichts zu bieten hat. Das sind Verwerfungen,
die wir mit der Aufnahme dieser Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bekämpfen können.
({10})
Ein weiteres Beispiel: Für die Sicherheitsbranche
gibt es jetzt einen bundesweiten Tarifvertrag. Es ist dem
Christlichen Gewerkschaftsbund gelungen, als Lohnuntergrenze, auch in den neuen Ländern, einen Stundenlohn von 6 Euro festzusetzen. In Brandenburg hat die
Gewerkschaft Verdi bisher nur 4,87 Euro aushandeln
können. Wenn der Arbeitgeberverband, der diesen bundesweiten Tarifvertrag geschlossen hat, jetzt Verdi anbietet, die 6 Euro, die er mit dem CGB vereinbart hat, in
einem regionalen Folgetarifvertrag auch mit Verdi zu
vereinbaren, kann man nicht davon sprechen, dass irgendein Tarifvertrag verdrängt werde. Wenn Arbeitgeber
und Gewerkschaft einen neuen Tarifvertrag schließen,
ist das kein Anschlag auf die Tarifautonomie - auch
wenn die FDP es lieber sähe, dass es bei 4,87 Euro
bleibt.
({11})
Da ich weiß, wie unser Koalitionspartner zu den einzelnen gewerkschaftlichen Organisationen steht, bin ich
froh, dass es uns gelungen ist, zu diesem Ergebnis zu
kommen. Ich möchte mich dafür bei Bundesarbeitsminister Olaf Scholz herzlich bedanken. Bedanken möchte
ich mich aber auch bei Andrea Nahles; denn ich weiß,
liebe Andrea Nahles: Auf einem Juso-Bundeskongress
hättest du einen solchen Beschluss nicht herbeiführen
können. Auch in anderen SPD-Gremien hätte es für den
Kompromiss, den wir gefunden haben, keine Mehrheit
gegeben. Ich bin dankbar dafür, dass die SPD von dem
hohen Ross, auf das sie sich gesetzt hat - keine Lösung
ohne Aufnahme der Zeitarbeit! -, gestiegen ist. Damit
kein Missverständnis aufkommt, sage ich: Jeder, der
meint, durch die Aufnahme eines Paragrafen in irgendein Gesetz den Christlichen Gewerkschaftsbund in
der Zeitarbeit an den Rand drängen zu können, wird
scheitern. So etwas werden wir nicht zulassen. Wir
respektieren die Tarifautonomie, und zwar auch in der
Zeitarbeit.
({12})
Die größte Branche, die wir heute in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen, ist die Pflegebranche.
Der größte Arbeitgeber in diesem Bereich sind die Kirchen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, all denen,
die, ob in kirchlichen Einrichtungen oder in anderen Einrichtungen, im Pflegebereich - für einen geringen Lohn
und unter großen Anstrengungen - eine segensreiche Tätigkeit erbringen, von dieser Stelle aus einen herzlichen
Dank zu sagen.
({13})
In einer Sitzung mit uns als Koalition, die am
27. November 2008 stattfand, haben sich alle in der
Branche Tätigen - die tariflichen nichtkirchlichen Einrichtungen und die Kirchen, katholische Dienstgeber
und Dienstnehmer, evangelische Dienstgeber und
Dienstnehmer - im Grundsatz darauf verständigt, eine
Kommission einzusetzen, in der die kirchlichen Träger
und die anderen Träger auf Augenhöhe nach einer Lohnuntergrenze suchen. Für diesen Konsens bin ich dankbar.
Es gab ja lange Auseinandersetzungen, und über die
Jahre waren die Kirchen vielen Angriffen ausgesetzt auch von Gewerkschaften, denen der dritte Weg, der
Weg der Kirchen, nie gepasst hat. Für uns ist immer klar
gewesen, dass dieser Weg geschützt werden muss.
Ich bedauere es, dass das Bundesarbeitsministerium
die Kirchen in den letzten Tagen an der einen oder anderen Stelle nicht so frühzeitig über die letzten Details der
Verabredung informiert hat, wie ich mir das gewünscht
hätte. Das gehört zum notwendigen Respekt im Umgang
mit den Kirchen sicherlich dazu.
Ich sage aber auch: Jeder bei den Kirchen kann sich
sicher sein, dass wir mit dem, was wir formuliert haben,
exakt auf dem aufbauen, worauf wir uns im Grundsatz
schon im November verständigt haben. Der dritte Weg
der Kirchen bleibt unangetastet. Wir sagen ausdrücklich,
dass Mindestlöhne Mindestlöhne und nicht Normlöhne
sind, die Grundsatz und Maßstab für die Vereinbarung
von Pflegesätzen sein können.
({14})
Wir stellen auch ausdrücklich klar, dass die verschiedenen arbeitsrechtlichen Wege gleichrangig geschützt
nebeneinander bestehen. Das ist das, was die Kirchen zu
Recht von uns erwartet haben. Ich bin mir ganz sicher,
dass die Kirchen nach abschließender Prüfung auch zu
dem Ergebnis kommen werden, dass man diesen Weg
gemeinsam gehen kann.
Worum es wirklich geht, hat Bischof Huber schon
Ende 2007 in einem Interview erklärt, als er gesagt hat,
mit der Umsetzung des Post-Mindestlohns seien nicht
alle Probleme gelöst - ich zitiere Bischof Huber -,
weil es andere Bereiche gibt, die von dieser Problematik mindestens genauso betroffen sind - etwa die
Pflege.
So ist es. Deswegen führen wir diese Lösung herbei.
Man kann es noch sehr viel grundsätzlicher sagen.
Papst Johannes Paul II. hat schon in seiner Enzyklika
Laborem exercens deutlich gemacht:
Das Schlüsselproblem der Sozialethik ist aber die
Frage des gerechten Lohnes für die geleistete Arbeit.
Schon Leo XIII. hat in der Enzyklika Rerum novarum
geschrieben:
Dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vorzuenthalten, ist eine Sünde, die zum Himmel
schreit.
Darauf müssen wir Antworten geben - auch in dieser
Zeit.
({15})
Deshalb ist dieser Tag heute auch ein großer Tag für
die christlich-soziale Bewegung in Deutschland. Es geht
nicht darum, die Existenz sozialer Fragen zu bestreiten.
Vielmehr geht es darum, auf die sozialen Fragen die
richtigen Antworten zu geben. Es ist immer schon der
Anspruch der Christdemokraten gewesen - nicht eines
einzelnen Flügels einer einzelnen Partei -, das Richtige
zu tun.
({16})
Das ist immer der gemeinsame Anspruch der ChristlichDemokratischen Union und der Christlich-Sozialen
Union gewesen. Den setzen wir durch.
Wer dabei mitmachen will, aus welchen Motiven
auch immer - christlichen oder anderen -, ist herzlich
eingeladen. Ich freue mich, dass wir diese Lösung gemeinsam erreicht haben.
Herzlichen Dank.
({17})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen
Heinrich Kolb das Wort.
({0})
Herr Kollege Brauksiepe, Sie haben heute erneut den
Versuch unternommen, hier vorzutragen, dass das 1996
beschlossene Arbeitnehmer-Entsendegesetz etwas mit
dem zu tun hat, was Sie heute hier tun. Sie haben auch
versucht, den Eindruck zu erwecken, ich hätte 1996
maßgeblich an diesem Gesetz mitgewirkt. Dazu will ich
Folgendes feststellen:
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz von 1996 ist mit
den heutigen Regelungen absolut nicht mehr vergleichbar. Die Regelung von 1996 war befristet. Sie ist erst
1998 nach der Bundestagswahl durch Rot-Grün entfristet worden.
({0})
Die Regelung von 1996 war konsequent auf eine Entsendeproblematik zugeschnitten. Ich habe das vorhin angesprochen. Es ging um die Frage, ob durch die Entsendung ausländischer Arbeitnehmer nach Deutschland ein
Schaden entsteht. Das wurde für die Baubranche bejaht,
aber eben auch auf die Baubranche begrenzt.
({1})
Die Regelung von 1996 war daneben strikt von der
Zustimmung der beiden Tarifvertragsparteien abhängig.
Das ist heute eben nicht mehr der Fall. Damals war der
Tarifvorrang gewährleistet, heute ist der Tarifvorrang
nicht mehr gewährleistet.
({2})
Ich zitiere Herrn Hundt aus einer Stellungnahme der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
zum Thema Tarifvorrang, die, so denke ich, nicht unmaßgeblich auch von Ihrem früheren Kollegen Göhner
mit beeinflusst wurde:
In beiden Gesetzen ist das Gegenteil eines Tarifvorrangs geregelt. Die staatlichen Rechtsverordnungen
nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und nach
dem Mindestarbeitsbedingungengesetz haben Vorrang vor Tarifverträgen und verdrängen abweichende Tarifverträge. Das ist Tarifnachrang.
- So weit die Stellungnahme der BDA.
Hieran gibt es nichts zu deuteln. Herr Kollege
Brauksiepe, wenn es anders wäre, dann wäre Gitta
Connemann noch in ihrer Funktion und dann hätte sie
ihr Amt nicht niedergelegt.
({3})
Zum Schluss erkläre ich: Ich habe damals über diese
Regelungen weder verhandelt, noch habe ich ihnen zugestimmt.
Danke sehr.
({4})
Kollege Brauksiepe, bitte.
Herr Kollege Kolb, ich weise zunächst darauf hin,
dass, wie gestern bereits im Ausschuss besprochen, die
Koalitionsfraktionen einen Änderungsantrag eingebracht
haben und hier zur Abstimmung stellen, in dem es ausdrücklich heißt, dass ein gemeinsamer Antrag der
Parteien dieses Tarifvertrages Voraussetzung für das sei,
was wir hier machen.
({0})
Das ist in der Tat von der Regierung Schröder einmal abgeschafft worden. Aber wir führen es jetzt als Große
Koalition gemeinsam wieder ein. Besser können wir es
in dem Sinne, wie Sie es haben wollen, eigentlich nicht
machen.
({1})
Weil absehbar war, was Sie hier vortragen, und weil
es auch im Jahr 1996 Bleistift und Papier sowie Maschinen, um das zu drucken, gab, kann ich den Vizepräsidenten Hans-Ulrich Klose zitieren, der die Abstimmung
über das Entsendegesetz leitete:
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.
Es gab eine persönliche Erklärung der Kollegin Babel, in
der sie zum Ausdruck brachte, dass sie nicht zustimme.
Von irgendeiner ablehnenden Haltung Ihrerseits ist hier
nichts dokumentiert, Herr Kollege Kolb. Zumindest erinnere ich Sie an das, worauf der Ausschussvorsitzende
Gerald Weiß zu Recht hingewiesen hat: Auch nach Verabschiedung des Gesetzes sind Sie als Parlamentarischer
Staatssekretär nicht zurückgetreten. Das war auch richtig; denn Sie haben letztlich ein gutes Gesetz mit auf den
Weg gebracht.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Gregor Gysi, Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesarbeitsminister Scholz ist hier sehr stolz aufgetreten, allerdings, wie ich finde, ohne Grund.
({0})
Es gibt heute eine neue Statistik, mit der Sie sich noch
nicht beschäftigt haben. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt, dass die Ungleichheit
in unserer Gesellschaft weiter gestiegen ist. Die reicheren 10 Prozent der Bevölkerung besitzen inzwischen
über 61 Prozent des Vermögens; das reichste 1 Prozent
der Bevölkerung besitzt 23 Prozent des Vermögens in
Deutschland. Das sind 1,5 Billionen Euro oder 1 500 Milliarden Euro. 27 Prozent der Bevölkerung besitzen
nichts; auch diese Zahl ist gestiegen. Das war unter
Schröder so, und das ist unter Merkel so. Es gibt keinen
Grund, auf irgendetwas stolz zu sein, wenn die Ungleichheit in unserer Gesellschaft permanent zunimmt.
({1})
Ich komme zu einer anderen Frage, die auch mit den
Mindestlöhnen zusammenhängt: Die prekäre Beschäftigung hat gewaltig zugenommen, gerade seit Kanzler
Schröder, aber auch unter der Kanzlerin Merkel. Wir haben 1-Euro-Jobs, 400-Euro-Jobs, Teilzeitbeschäftigung,
befristete Beschäftigung und Leiharbeit. Dies alles
macht 25 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland aus. Interessant ist auch, dass es 19 Prozent
der Beschäftigungsverhältnisse in den alten Bundesländern und 41 Prozent in den neuen Bundesländern sind.
Diese Beschäftigungsverhältnisse haben mit alledem,
worüber wir hier reden, gar nichts zu tun. Das ist eine
wirkliche Tragik, und dieser Frage müssen Sie sich endlich einmal stellen.
({2})
Sie haben auch gesagt, Herr Kolb, dass viele Mittelständler jetzt FDP wählten. Ich glaube, nicht ein Mindestlohnbezieher käme auf die Idee, die FDP zu wählen,
nachdem er Sie hier heute gehört hat; das hoffe ich zumindest. Im Niedriglohnsektor, den Sie sehr gewürdigt
haben, sind 6,6 Millionen Menschen beschäftigt. Davon
erhalten 3,8 Millionen Menschen weniger als 50 Prozent
des Durchschnittslohns. Das sind Stundenlöhne unter
5 Euro, von denen man nicht in Würde leben kann.
Wenn Sie den Niedriglohnsektor predigen, dem Sie
selbst nicht beitreten wollen - besonders attraktiv ist er
ja nicht -, dann sollten Sie auch einmal an Art. 1 des
Grundgesetzes denken, der die Würde des Menschen garantiert. Also muss es Löhne geben, von denen man in
Würde leben kann. Solche Löhne werden zu einem großen Teil in Deutschland nicht gezahlt.
({3})
Im Übrigen ist ein gesetzlicher flächendeckender
Mindestlohn, von dem hier keine Rede ist, weil es nur
um einzelne Branchen geht - darauf komme ich gleich
noch zu sprechen -, eine wichtige Regelung. Sie treten
für den Reichtum ein und schützen ihn: Es muss kein
einziger Reicher einen Euro mehr bezahlen; selbst diejenigen, die an der Finanzkrise Milliarden verdient haben,
werden nicht mit einem einzigen Euro herangezogen.
Zahlen müssen die Rentnerinnen und Rentner, die Lohnabhängigen und die Empfänger von Sozialleistungen.
Das ist Ihre Logik.
({4})
- Ich weiß ja, dass Sie im Zusammenhang mit dem Kapitalismus auch die Gier wollen. Das ist ja alles okay.
Aber auch Großbritannien und Frankreich sind kapitalistische Länder, und trotzdem gibt es dort einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn. Sie müssten sich
also gar nicht so sehr verbiegen, wenn Sie endlich diesen
Weg gingen.
({5})
Er ist wichtig für die Europäische Union. Wir alle wollen
doch die Europäische Union.
({6})
Wenn wir die Akzeptanz für die Europäische Union erhöhen wollen, müssen wir den kleinen Unternehmen und
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sicherheit
geben. Niemand von uns hat etwas dagegen, dass ein rumänisches Unternehmen nach Deutschland kommt.
Aber wir können uns hier keine rumänischen Löhne leisten, weil wir keine rumänischen Preise haben. So einfach
ist das.
({7})
Deshalb brauchen wir zum Schutz der Leute einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, der eine
bestimmte Garantiegrenze zieht. Im Übrigen zielt ein
solcher Mindestlohn auch auf Wettbewerbsgleichheit
zwischen den Unternehmen. Dafür gibt es im Bundestag
eine Mehrheit. Sie besteht aus SPD, Linken und Grünen.
Aber die Mehrheit kommt nicht zustande, aus welchen
Gründen auch immer. Das führt natürlich auch dazu,
dass Menschen von der Demokratie enttäuscht sind; sie
sagen: Wir haben den Bundestag gewählt, jetzt gibt es
eine Mehrheit von Abgeordneten, die einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn wollen, aber diese
Mehrheit kommt nicht zustande. - Auch darüber müssen
wir nachdenken.
({8})
- Sie haben völlig recht, in Hessen ist die Mehrheit, als
sie noch anders aussah, nicht zustande gekommen. Daran haben Sie aber auch aktiv gearbeitet.
({9})
- Immerhin: Diese Mehrheit hat wenigstens die Studiengebühren abgeschafft,
({10})
die Sie beide toll finden, die aber nichts anderes bedeuten, als Menschen aus bestimmten sozialen Schichten
vom Studium auszuschließen, was wir nicht wollen, weil
wir Chancengleichheit in der Bildung fordern.
({11})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wellmann von der CDU/CSU-Fraktion?
Ja, bitte.
Herr Kollege Gysi, hätten Sie die Freundlichkeit, uns
allen noch einmal zu bestätigen, dass die Landesregierung in Deutschland, die Sie mitverantworten, der Berliner Senat, in den vergangenen Jahren 76 Millionen
Euro für Beschäftigungsförderungsmaßnahmen gestrichen hat, 21,5 Millionen Euro im Bereich der Sozialund Gesundheitshilfe gekürzt hat, 46 Millionen Euro im
Bereich der Jugendhilfe gestrichen und der Erbschaftsteuer zugestimmt hat, dass Sie - mit anderen Worten dort, wo Sie Verantwortung tragen, genau das Gegenteil
dessen tun, was Sie uns hier auftischen?
({0})
Erstens hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie zunächst darauf hinweisen, dass die Union Berlin in die
schwerste Krise seiner Geschichte mit dem größten Bankenskandal gestürzt hat, den wir bis dahin hatten,
({0})
und zwar mit Milliardenverlusten. Nur deshalb ist eine
rot-rote Regierung zustande gekommen, um dies wieder
auszugleichen.
({1})
Zweitens hätten Sie sagen müssen, dass keine der von
Ihnen genannten Maßnahmen in der jetzigen Legislaturperiode unter Rot-Rot geschehen ist. Vielmehr gibt es
jetzt einen Ausbau der Sozialleistungen.
({2})
Wir haben ein gebührenfreies Kindertagesstättenjahr.
Wir haben jetzt mehr Lehrerinnen und Lehrer. Vor allem
haben wir als erste Stadt einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit über 4 000 Beschäftigten, die
vorher arbeitslos waren. Das ist wichtig.
({3})
Wir haben noch etwas in Berlin, worauf Sie nicht hinweisen. Wir haben nicht nur ein Sozialticket, sondern
auch ein Kulturticket. Ich möchte es gern in ganz
Deutschland sehen, dass jedes Theater, jede Oper, jedes
Konzerthaus verpflichtet ist, eine Stunde vor Vorstellungsbeginn alle noch vorhandenen Karten, die bis zu
dem Zeitpunkt noch nicht verkauft sind, für 3 Euro an
Arbeitslose und Grundsicherungsrentner etc. zu verkaufen. Das gibt es nur in Berlin!
({4})
Davon brauchen wir mehr.
({5})
- Das bezahlt alles die FDP. Das stellen Sie sich so vor.
({6})
Sie haben etwas zur Tarifautonomie gesagt. Nun geht
es hier ja um tarifvertragliche Vereinbarungen, die bestätigt werden sollen. Ich finde Ihre Argumentation diesbezüglich wirklich billig. Was ist denn daran so schlimm,
einen gesetzlichen Mindeststandard einzuführen und zu
sagen: „Natürlich können die Tarifpartner immer etwas
Höheres vereinbaren. Das ist ihr gutes Recht. Aber wir
machen einen gesetzlichen Mindeststandard, der für
ganz Deutschland gelten soll“? Was, meine Damen und
Herren von der FDP, ist daran eine solche Katastrophe?
Ich verstehe nicht, wie Sie diesbezüglich argumentieren.
({7})
Wenn Sie dann noch sagen, dass es Ihnen um die Arbeitsplätze gehe und man deshalb den Niedriglohnsektor
brauche, dann haut mich das einfach um. Was für Arbeitsplätze wollen Sie denn? Solche mit 1 Euro brutto
pro Stunde? Wollen Sie denn verhindern, dass die Menschen in Würde leben können? Beides gehört doch zusammen. Wir brauchen Arbeitsplätze, aber sie müssen
auch anständig und vernünftig bezahlt werden. Das müssen wir erreichen.
({8})
- Nein, lassen Sie mich das sagen. Wir haben doch
schon über 1 Million Aufstocker.
({9})
- Doch. Ich erkläre Ihnen gleich, warum das etwas
Schlimmes ist.
({10})
Die Hälfte dieser über 1 Million Menschen arbeitet Vollzeit und verdient so wenig, dass sie auf Hartz-IV-Zuschläge angewiesen ist.
({11})
Darauf sind Sie noch stolz. Frau Merkel nennt das Kombilohn. Ich bitte Sie. Wenn Sie das in Deutschland einführen, dann ist absehbar, wie hoch die Löhne sein werden. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollen dann
das aufbringen, was am Lohn fehlt. Das ist doch absurd.
({12})
Wer gute Arbeit leistet, muss auch in Würde leben
können und entsprechend viel verdienen. Sie vergessen
diesbezüglich Art. 1 Grundgesetz.
Jetzt kommen wir zu den Gesetzentwürfen. Sie betreiben darin eine Flickschusterei, die uns nicht weiterhilft.
Ich nenne zwei Punkte, die mich richtig ärgern. Das eine
ist der unterschiedliche Mindestlohn in allen Branchen
für Ost und West. Im Jahr 19 der deutschen Einheit bei
der gleichen Kostenstruktur in Ost und West sagen Sie
mit Ihrem Gesetzentwurf wieder: Man muss im Osten
weniger verdienen als im Westen. - Das finde ich nicht
mehr hinnehmbar.
({13})
Jetzt könnten Sie einwenden - ja, ich wusste es -, dass
das doch die Tarifparteien vereinbart haben. Die kritisiere ich aber genauso dafür. Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften dürfen nicht länger niedrigere Löhne im
Osten vereinbaren. Sie bestätigen das mit Ihrem Gesetzentwurf. Das finde ich falsch.
({14})
Ich habe keine Hemmungen, auch die Gewerkschaften
zu kritisieren. Das macht mir nichts aus.
({15})
Nehmen wir zum Beispiel den Wachdienst. Sie sehen
für den Wachdienst im Osten einen Mindestlohn von
6 Euro pro Stunde vor. Von 6 Euro brutto pro Stunde
kann man nicht in Würde leben. Deshalb frage ich, warum wir keinen anderen Weg gehen.
({16})
- Von den Gewerkschaften beantragt. Dagegen kann der
Senat nichts machen.
Wir brauchen einen flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn
({17})
- was Sie sagen, stimmt nicht, weil dann die anderen
noch weniger verdienen würden -, und zwar für ganz
Deutschland: von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern.
({18})
Der zweite Punkt. Auch bei der Zeitarbeitsbranche
begehen Sie einen Sündenfall. Sie führen einen Mindestlohn ein, statt zu regeln, dass man Anspruch auf denselben Lohn hat, den ein anderer in demselben Unternehmen für die gleiche Tätigkeit verdient. Sie lassen zu,
dass man an Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern - also
an der Leiharbeit - verdient und die Stammbelegschaft
unter Druck setzt, um die Löhne zu senken. Genau das
kritisieren wir. Sie schreiben das in Ihrem Gesetzentwurf
fest.
({19})
Sie haben die Pflege sehr stark betont. Es ist zwar gut,
dass es in der Pflege zu einer Regelung kommt. Aber uns
ist noch kein Betrag bekannt. Wenn ich Sie heute richtig
verstanden habe, so sollen die Kirchen darüber entscheiden. Dann müssen wir aber mit der katholischen und der
evangelischen Kirche darüber sprechen, dass der Betrag
nicht zu niedrig werden sollte.
({20})
Warum lassen Sie sich alles aus der Hand nehmen? Wir
sind der Gesetzgeber. Wir können den flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einführen.
({21})
- So ein Quatsch. Nicht einmal vom Kommunismus verstehen Sie etwas. Sie reden hier einen Unsinn.
({22})
3 Millionen der Geringverdienerinnen und Geringverdiener in Deutschland haben nichts von Ihren heutigen
Entscheidungen. Ich habe zum Beispiel darauf hingewiesen, welche Mindestlöhne von Ihnen festgelegt werden. Welche Mindestlöhne brauchen wir? Gibt es dafür
eine Orientierung? Das ist eine spannende Frage. Ist das
willkürlich zu entscheiden, oder kann man sich nach irgendwelchen Kriterien richten?
Wir haben Frankreich als Beispiel genommen. In
Frankreich liegt der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde
bei 8,71 Euro. Ich weiß, dass zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gehört, dass man die Schwarzarbeit wirksam bekämpft und vieles andere mehr. Ich
weiß ferner, dass zunächst die Handwerker unterstützt
werden müssen. Das ist mir alles bekannt. Das haben wir
auch in den Antrag mit aufgenommen.
Reisen Sie nach Großbritannien und unterhalten Sie
sich mit der Kommission darüber, wie dort verfahren
wird! In Großbritannien gibt es weniger Schwarzarbeit
als in Deutschland, obwohl es dort einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gibt.
All das, was Sie vorbringen, stimmt also nicht. Es
bleibt die spannende Frage: Wie können wir das machen? Was ist der Maßstab? Sie haben doch mit Ihrer eigenen Gesetzgebung einen Maßstab geschaffen. Sie legen die Grenzen fest, wann ein Einkommen
pfändungsfrei ist. Was heißt das denn, meine liebe FDP?
Das heißt, in dem Fall, in dem ein Schuldner einem
Gläubiger Geld zu zahlen hat, sagt der Gesetzgeber: Die
letzten 1 000 Euro seines Einkommens dürfen nicht herangezogen werden. - Davon bekommt der Gläubiger
keinen Euro. Das legt der Gesetzgeber als Minimum
fest, das dem Schuldner bleiben muss. Wenn das der Gesetzgeber sagt, dann ist das der Standard für den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland. Nicht mehr fordern
wir; denn mit 8,71 Euro pro Stunde kommt man monatlich auf 1 455 Euro brutto. Das sind netto etwa
1 000 Euro. Genau das ist der pfändungsfreie Betrag. Ich
verstehe Sie nicht, meine Damen und Herren von der
Union. Warum regeln Sie den pfändungsfreien Betrag
und sagen nicht gleichzeitig, dass das das Minimum ist,
das man in Deutschland zu verdienen hat?
({23})
Wenn Sie dem Gläubiger sagen, dass er an diese
1 000 Euro des Schuldners nicht herandarf, dann sagen Sie
doch damit, dass dies das Minimum ist, das der Schuldner
behalten darf. Warum gibt es so viele Menschen, die von
weniger als diesem Minimum leben müssen?
Lassen Sie uns endlich den Schritt gehen! 20 Länder
der Europäischen Union, die nicht dümmer sind als wir,
sind den Weg gegangen, einen gesetzlichen Mindestlohn
flächendeckend einzuführen. Genau das brauchen wir.
Deswegen können wir Ihrer Flickschusterei nicht zustimmen.
({24})
Das Wort hat nun Kollegin Brigitte Pothmer, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offen gestanden kann ich die Aufregung, die es in der CDU/
CSU-Fraktion gegeben hat und die vom Wirtschaftsflügel getragen wurde, überhaupt nicht verstehen. Frau
Connemann, Herr Fuchs und Herr Meyer haben offensichtlich unter Protest den Saal verlassen.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen: Den Aufstand können Sie abblasen; denn auf den vorliegenden Gesetzentwürfen
steht zwar Mindestlohn drauf, aber es ist leider nur ganz
wenig Mindestlohn drin.
({1})
Diese Gesetze funktionieren nach dem Oettinger-Prinzip
„So wenig Mindestlohn wie möglich in so wenigen
Branchen wie möglich“. Das ist das Prinzip, von dem
diese Gesetzentwürfe getragen sind. Genau das ist das
Problem; Herr Gysi hat darauf hingewiesen.
Frau Nahles, Sie können die Zahlen nicht negieren.
Wie Sie wissen, arbeiten 6,6 Millionen Menschen im
Niedriglohnsektor, viele davon mit einem Einkommen
von unter 5 Euro pro Stunde, und zwar brutto. Inzwischen haben wir in Deutschland einen stärkeren Anstieg
bei den Working Poor zu verzeichnen als in den USA. Es
hat einmal einen gesellschaftlichen Konsens darüber gegeben, dass wir amerikanische Verhältnisse auf dem
deutschen Arbeitsmarkt nicht haben wollen. Wir haben
sie jetzt aber.
({2})
Was das insbesondere für den Konsum bedeutet, kann
man in den USA sehen. Den Konsum können Sie mit
diesen Löhnen auf keinen Fall ankurbeln, wie Sie es mit
Ihren Konjunkturprogrammen vorhaben.
({3})
Es besteht Grund zur Hoffnung, dass Barack Obama
zukünftig die riesige Gerechtigkeitslücke in den USA
schließen wird. Aber wer wird die Gerechtigkeitslücke
in Deutschland schließen? Die Große Koalition wird es
jedenfalls nicht sein. Ihr Konjunkturpaket vergrößert sogar die Gerechtigkeitslücke. Sie müssen endlich anerkennen: Diese Entgelte sind - darüber kann man nicht
länger hinwegtäuschen - nicht nur ein Problem für diejenigen, die davon betroffen sind, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Problem. Herr Kolb, die Politik
muss an dieser Stelle Verantwortung übernehmen und
kann nicht ständig mit dem Finger auf die Tarifparteien
zeigen.
({4})
Lieber Herr Kolb, über 6 Millionen Menschen im Niedriglohnbereich sind doch der schlagende Beweis dafür,
dass die Tarifparteien das nicht mehr regeln können.
({5})
Deswegen müssen wir politisch tätig werden.
Herr Kolb, wenn Sie sich jetzt als derjenige aufspielen, der die Tarifautonomie mit aller Kraft verteidigen
will,
({6})
dann kann ich nur sagen: Ihre Partei und insbesondere
Ihr Vorsitzender haben es in der Vergangenheit nicht als
prioritäres Ziel der FDP-Politik gesehen, die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifautonomie zu stärken.
({7})
Die Frage, die heute auf dem Tisch liegt, ist doch die,
ob die vorgelegten Gesetzentwürfe die Probleme, die
hier geschildert worden sind und die außer der FDP
eigentlich niemand ernsthaft bezweifelt, wirklich grundlegend lösen. Ich sage ganz offen: Ich habe da erhebliche
Zweifel. Wenn ich Ihnen, Herr Arbeitsminister Scholz,
zuhöre, dann habe ich nicht das Gefühl, dass Ihre Hoffnungen im Zusammenhang mit diesen Gesetzen in den
Himmel wachsen. Sie reden davon, dass diese Gesetze
vielleicht für ein paar Hunderttausend Menschen Lohnverbesserungen bringen. Das ist für die Betroffenen gut.
Das will ich hier gar nicht infrage stellen. Ich frage Sie
aber: Was ist mit den Millionen anderen? Ich frage auch
Herrn Brauksiepe: Was ist mit den Millionen anderen?
Gilt für die das Papstwort, das Sie hier vorgetragen haben, eigentlich nicht?
({8})
Mit diesen Gesetzentwürfen ist eine große Chance verpasst worden, nämlich die Chance, das ArbeitnehmerEntsendegesetz für alle Branchen zu öffnen. Warum geben wir den anderen Branchen nicht wenigstens die
Chance, in dieses Gesetz aufgenommen zu werden?
({9})
Als diese Gesetzentwürfe eingebracht wurden, wurde
noch von acht Branchen geredet, inzwischen sind es magere sechs, und die Zeitarbeit ist nicht darunter. Das
muss man an dieser Stelle deutlich sagen.
({10})
Auf welcher Grundlage die Neuregelung für die
700 000 Menschen, die in der Zeitarbeitsbranche arbeiten, kommt, wissen wir bis jetzt nicht. Bis jetzt ist das
alles ein Blind Date. Schauen wir uns einmal die Aussage von Herrn Pofalla genauer an. Er hat gesagt, dass
Löhne in der Zeitarbeitsbranche, die deutlich unterhalb
der Flächentarifverträge und unterhalb der Schwelle der
Sittenwidrigkeit liegen, zukünftig untersagt werden. Das
ist das politische Ziel der CDU. Ich frage mich, ob Herr
Pofalla überhaupt weiß, wie sittenwidrige Löhne in
Deutschland definiert werden. Sittenwidrige Löhne sind
Löhne, die ein Drittel unter den Tariflöhnen liegen.
Wenn Sie, was Sie vorhaben, den Tarifvertrag der christlichen Gewerkschaften in Ostdeutschland zur Grundlage
nehmen, dann müssen Sie wissen, dass der Stundenlohn
dort 6 Euro beträgt. Ein Drittel weniger sind nach Adam
Riese 4 Euro.
({11})
Das heißt, für Herrn Pofalla ist ein Stundenlohn von
4 Euro in Ordnung. Das ist sittenwidrig. Herr Pofalla ist
sittenwidrig.
({12})
Ein anderer schwerer Mangel in diesem Gesetzentwurf ist, dass Sie regionale Tarifverträge überhaupt
nicht zulassen. Sie wissen doch so gut wie ich, dass es
nur in sehr wenigen Branchen bundesweite Tarifverträge
gibt. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Zulassung
von regionalen Tarifverträgen die Voraussetzung dafür
ist, dass wir bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen
Lohndumping verhindern können. In allen Länderparlamenten beschließen Sie Anträge mit dem Ziel, Lohndumping bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu
verhindern. Hier hätten Sie die politische Möglichkeit,
die Voraussetzung dafür zu schaffen, aber Sie lassen sie
einfach vorüberziehen.
Und ich frage Sie: Was hat Ihr Gesetzentwurf für einen Vorteil für die Friseurin in Sachsen, die 3,06 Euro in
der Stunde verdient
({13})
- Tariflohn, richtig -, oder für die Floristin in Westdeutschland, die 5,94 Euro in der Stunde verdient,
({14})
oder für Beschäftige im Fleischerhandwerk, die
4,50 Euro in der Stunde verdienen? - Ja, Herr Kolb, das
ist der Tariflohn, aber ich frage mich, warum wir Tariflöhne auf diesem Niveau schützen sollen. Warum sollen
wir die unter Artenschutz stellen? Warum wollen wir das
eigentlich?
({15})
Die Beschäftigten haben gar nichts von diesen Gesetzentwürfen. Wir brauchen eine gesetzliche Lohnuntergrenze, die nicht unterschritten werden kann. Dann jedenfalls hätten die Betroffenen etwas davon. Diese
generelle Lohnuntergrenze fehlt in diesem Gesetzentwurf. Wir haben Ihnen heute zwei Änderungsanträge
vorgelegt. Diese Änderungsanträge bieten Ihnen die
Chance, die großen Mängel in diesem Gesetzentwurf zu
beheben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, Sie kennen diese Mängel, und Sie leiden doch
auch unter diesen Mängeln. Dann stimmen Sie unseren
Änderungsanträgen einfach zu!
({16})
Es ist schon erstaunlich, wie den Geringverdienern
über Jahre hinweg der staatliche Schutz verwehrt worden ist.
({17})
Innerhalb kürzester Zeit war diese Große Koalition bereit, für den Bereich der Banken und der Unternehmen
Unterstützung in Milliardenhöhe zu aktivieren. Es sind
genau die Propheten der Deregulierung auch in der
CDU/CSU-Fraktion, die jetzt plötzlich als entschiedenste Befürworter der Staatsintervention daherkommen. Was Sie hier in Teilen vertreten, ist Stamokap-Politik.
({18})
Herr Schröder hätte sich, als er noch Juso-Vorsitzender
war, darüber gefreut, wenn diese Positionen damals unterstützt worden wären. Ich will Ihnen jedenfalls sagen:
Wir brauchen eine Staatsintervention zugunsten der kleinen Leute. Tun Sie bitte nicht länger so, als wäre das der
Untergang des Abendlandes.
({19})
Lassen Sie mich grundsätzlich sagen: Beim Mindestlohn geht es natürlich darum, gesetzliche Regelungen für
Niedriglohnempfänger zu schaffen.
({20})
Es geht hierbei aber auch um eine wichtige symbolische
Frage: Ist die Politik bereit, wirklich als Schutzmacht der
kleinen Leute aufzutreten?
({21})
Wenn man sich Ergebnisse der Umfragen dazu anschaut,
was die Menschen von der sozialen Marktwirtschaft
und der Demokratie halten, dann erkennt man: Die Zustimmung nimmt ab; es findet eine Erosion statt, die bedrohlich ist. Es ist unsere Aufgabe, den Menschen das
Gefühl zu geben, dass die Politik bereit ist, hier Verantwortung zu übernehmen.
Für mich ist die heutige Auseinandersetzung um den
Mindestlohn zu vergleichen mit der Auseinandersetzung
um den Achtstundentag. Der Achtstundentag war einmal
ein wichtiges Symbol der Arbeiterbewegung.
({22})
Seine Einführung hat zu einem Stück mehr Gerechtigkeit geführt. Der Achtstundentag ist schwer erkämpft
worden;
({23})
er musste gegen die Interessen der Konservativen durchgesetzt werden.
({24})
- Wir waren damals nicht dabei.
({25})
Heute sind wir aber dabei. Die Tatsache, dass wir heute
dabei sind, steigert die Chance, dass sich die Mindestlohnbewegung tatsächlich durchsetzt. Wir stehen jedenfalls an der Seite dieser Bewegung.
Die Gesetzentwürfe, die Sie heute vorgelegt haben,
bringen wahrlich nicht den Durchbruch. Ich prognostiziere Ihnen aber: Der Mindestlohn wird kommen, auch
in Deutschland.
({26})
Herr Kolb, Sie stehen an dieser Stelle auf der historisch
falschen Seite.
Ich appelliere noch einmal an Sie, endlich diese
grundsätzliche Weichenstellung vorzunehmen und tatsächlich einen Beitrag zur Existenzsicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land zu
leisten.
Ich danke Ihnen.
({27})
Das Wort hat nun Kollegin Andrea Nahles für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und
Kollegen! Frau Pothmer, der Mindestlohn ist da; er muss
nicht erst kommen. Er kommt heute mit diesen beiden
Gesetzen, und das ist auch gut so.
({0})
Wir stehen oft hier und verkaufen Erfolge.
({1})
Die Frage ist: Was ist wirklich ein politischer Erfolg?
Dafür gibt es meiner Meinung nach eine ganz einfache
Definition: Wenn wir etwas tun, das den Menschen hilft,
ihr Leben besser zu meistern, das gerechte Rahmenbedingungen sowie Anerkennung für harte Arbeit
schafft - genau das tun wir -, dann handelt es sich um einen politischen Erfolg. Deshalb ist es ein solch großer
politischer Erfolg, dass wir heute das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz
verabschieden können.
({2})
Ich bin froh - das sage ich ganz offen -, dass wir es so
weit gebracht haben. Ich weiß nämlich, dass sich dafür
ganz viele bewegen mussten. So mussten sich zum Beispiel die Koalitionspartner aufeinander zubewegen; Ralf
Brauksiepe hat das eben dargestellt.
({3})
- Das ist kein Vorwurf,
({4})
aber es tut ihm Unrecht. - Aber auch die Arbeitgeber haben sich bewegt. Noch während wir über dieses Gesetz
verhandelt haben, haben sich zum Beispiel die Arbeitgeber in der Entsorgungsbranche und bei den Wäschereien
aufeinander zubewegt. Es haben sich die Kirchen bewegt, und zwar auf eine Weise, dass ich das nur mit
Hochachtung vortragen kann. Sie gehen einen eigenen
Weg, den ich respektiere und den wir auch beim Umsetzen dieses Gesetzes respektieren wollen. Sie alle haben
sich also bewegt.
Ich bin froh. Warum? Weil das, was am Ende da steht,
im Ergebnis 1,7 Millionen Menschen zusätzlichen
Schutz in Mindestlöhnen gewährt. Darum muss es uns
allen gehen. Ich bin deswegen froh und dankbar. Ich
sage: Fortschritt fällt nicht vom Himmel. Er muss erarbeitet werden. Das haben wir gemacht.
({5})
In diesem Zusammenhang darf ich auch dem Arbeitsminister danken,
({6})
der diesen Prozess intelligent, klug und mit Konsequenz
gesteuert hat.
({7})
Worum geht es eigentlich?
({8})
Es geht um hart arbeitende Leute in den Wäschereien,
vor allem Frauen, die bei Nässe, Dampf, in größter Hitze
schmutzige Wäsche reinigen. Es geht um die Entsorger,
die in den Sortieranlagen das, was wir nicht ordentlich
trennen, sortieren. Es geht um die, die den Transport aus
den Hinterhöfen hier in Berlin organisieren - der Toni
Schaaf war selber mal in dem Bereich tätig -, die die
schweren Mülltonnen rauskarren. Es geht um diejenigen
in der Pflege, die - das muss doch einmal gesagt werden nicht nur körperlich, sondern auch psychisch anstrengende Arbeit leisten - und das auch noch im Schichtdienst. Die haben anständige Löhne verdient. Dafür sorgen wir heute. Darauf sollten wir doch stolz sein!
({9})
Ich war vor wenigen Tagen bei der Prinzenproklamation in Mayen.
({10})
Da steht Markus I, der Prinz, neben mir. Während wir so
schunkeln, hin und her, frage ich: Hören Sie mal, Herr
Prinz, was machen Sie denn eigentlich beruflich?
({11})
- Ich kann halt nicht aus meiner Haut heraus. Ich muss
selbst im Karneval fragen, was die Leute schaffen. - Da
sagte er zu mir: Ich bin im Wachdienst. - Aha. - Da ist
es auf einmal ernst geworden. Er ist im Wachdienst, im
Sicherheitsdienst. Er hat eine kleine Tochter, die er nicht
sieht, weil er 220 oder 240 Stunden im Monat arbeiten
muss, um davon überhaupt existieren zu können. Auch
für Leute wie ihn haben wir Mindestlöhne durchgesetzt.
Das ist wunderbar. Das ist der beste Karneval überhaupt.
({12})
Es geht um die hart arbeitenden Menschen, ja. Es geht
aber nicht nur um die hart arbeitenden Menschen, sondern es geht auch um Wettbewerb. Dazu will ich einen
sehr klugen Satz aus dem Sachverständigenratsgutachten
dieses Jahres zitieren - das kann man nachlesen -: Wollen wir wirklich Wettbewerb? Ja, wollen wir, nämlich
Wettbewerb um Qualität, um besten Service, um Produktivität. Aber den Wettbewerb in der Fähigkeit von
Unternehmen, ihre Arbeitnehmer besonders schlecht zu
bezahlen, wollen wir tatsächlich stoppen - das geben wir
zu -, nicht den Wettbewerb insgesamt.
({13})
Es sind immer Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die
einen Antrag auf Aufnahme ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz stellen müssen; auch das hat Kollege Brauksiepe
vorgetragen. Beschäftigen wir uns einmal mit den Gründen! Warum machen Arbeitgeber so etwas Wahnsinniges
- wenn man der FDP glaubt -, nämlich Mindestlöhne zu
beantragen? Ich nenne ein paar Gründe - das ist ganz
simpel -: Es hat zum Beispiel massenhaft Verbandsaustritte gegeben. Das hat dazu geführt, dass die, die ausgetreten sind, denjenigen, die seriös sind, die anständige
Löhne bezahlen, bei den Ausschreibungen jedes Mal die
Aufträge wegschnappen. Ich sehe es nicht als unsere
Aufgabe an, denen dabei auch noch zu helfen. Das ist für
die Handwerksbetriebe in meiner Heimat in der Eifel,
Herr Rauen, nicht gut; damit das klar ist.
({14})
Ihre Ausführungen zu den Wäschereibetrieben, Herr
Brauksiepe, waren sehr interessant. Wir sind auch
schuld, dass Verwerfungen in der Weiterbildungsbranche entstehen konnten. Wir könnten da bessere Vergaberichtlinien machen. Das wäre sehr hilfreich.
({15})
- Ich kann Ihnen nur sagen: Ich hätte das gerne gemacht.
Warum das nicht gemacht wird, danach müssten Sie einmal Herrn Glos fragen. Der ist jetzt leider nicht mehr da.
Wir wollten die Vergaberichtlinien verbessern, indem
auch soziale Kriterien definiert werden.
({16})
Das ist uns nicht gelungen. Als Minimum verlangen wir
nun zumindest die Einführung von Mindestlöhnen, um
das wieder aufzufangen.
Bei der Branche Bergbauspezialarbeiten, die wir
auch aufnehmen - das mag eine kleine exotische Gruppe
sein -, geht es um ausländische Konzerne, die mit ihren
Tochtergesellschaften, die nicht tarifgebunden sind, einheimische Unternehmen kaputtmachen. Auch hier hilft
ein Mindestlohn, um einen Unterbietungswettlauf zu
verhindern. Es geht also nicht nur um Barmherzigkeit, es
geht nicht nur um Gerechtigkeit, es geht nicht nur um
Arbeitnehmerlogik, es geht auch um die Herstellung von
fairen Wettbewerbsbedingungen für anständige Unternehmen. Dafür sorgen wir in diesem Land mit der Einführung von Mindestlöhnen.
({17})
Ich glaube, dass wir wirklich sagen können: Das, was
wir machen, ist ein Erfolg. Ich sage sogar: Es ist ein großer Erfolg. Wir sind aber noch nicht ganz am Ende unseres Weges. Deswegen haben wir das Mindestarbeitsbedingungengesetz hier vorgelegt.
({18})
Das Mindestarbeitsbedingungengesetz verpflichtet uns,
dort einzugreifen, wo es die Tarifpartner alleine nicht
mehr schaffen, existenzsichernde Löhne zu organisieren,
und die Tarifbindung miserabel ist. Ich wäre doch froh,
wenn wir als Staat nicht gefordert wären. Ich will Ihnen
aber einmal eine Zahl nennen: Wenn die Tarifbindungsquote im Osten mittlerweile bei 35 Prozent und im Westen bei 61 Prozent liegt, mit von Jahr zu Jahr sinkender
Tendenz,
({19})
dann müssen wir uns irgendwann dafür entscheiden, hinzugucken statt wegzugucken. Wir dürfen uns dann nicht
mehr auf die Tarifautonomie berufen, die Sie an anderer
Stelle, wo es nur geht, aktiv untergraben. Diese darf
dann nicht mehr unsere Richtschnur sein.
({20})
Deswegen brauchen wir das Mindestarbeitsbedingungengesetz.
Es gibt gerade in diesen Tagen Meldungen darüber,
dass die Krise wieder auf dem Rücken der Ärmsten - ich
möchte fast sagen: „der ärmsten Schweine“ - ausgetragen wird.
({21})
Es sind nämlich bedauerlicherweise die Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter, die jetzt Kündigungsschreiben erhalten. Ich sage Ihnen: Es muss in dieser Krise möglich
sein, nicht nur Banken zu retten, sondern auch denen Sicherheit in Form anständiger Löhne zu geben, die sich in
besonders prekären Arbeitsverhältnissen befinden, nämlich den Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern. Deswegen
sind wir noch nicht am Ende unseres Weges.
({22})
Ich habe auch eine Bitte an die Länder. Sie haben es
nämlich jetzt in der Hand, dass das, was wir hier heute
politisch nach langem, mühevollem Weg - alle haben
sich bewegt - vorlegen, auch zügig umgesetzt wird. Wir
erzeugen heute Hoffnung. Wir erzeugen wirklich Hoffnung bei den Menschen, wenn wir sagen, dass wir ihre
Branche in das Entsendegesetz aufnehmen.
({23})
- Doch, glauben Sie es mir. Sie haben einen schwachen
Glauben, Herr Kolb. Da kann ich Ihnen aber nicht helfen. - Ich sage Ihnen ganz offen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Hoffnung, die wir heute wecken, möglichst
bald Wirklichkeit wird. Ich bitte deshalb ganz klar an
dieser Stelle darum, dass dieses Gesetz bald den Bundesrat passiert.
({24})
Es wäre schön, wenn ein paar mehr zugehört hätten.
Aber Phoenix überträgt ja live. Die Botschaft ist angekommen. Freuen wir uns und seien wir dankbar für das,
was heute hier vorliegt.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat nun Kollege Erwin Lotter, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Diese Debatte
zeigt einmal mehr: Den Kolleginnen und Kollegen links
der Mitte fehlt jeglicher arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Weitblick.
({0})
Schlimmer noch: Je länger die Große Koalition dauert,
umso mehr verirrt sich auch die Union im Nebel sozialdemokratischer Räucherkerzen.
({1})
Gut, Herr Kollege Stiegler, dass die Wählerinnen und
Wähler zumindest in den Landesparlamenten die FDP
der Union quasi als Lotse an die Seite stellen.
({2})
- Warten Sie es ab.
In einer Zeit, in der jeder mit einem Konjunkturabschwung von über 2 Prozent rechnet und in der niemand
abschätzen kann, welche weiteren Belastungen die Finanzkrise noch mit sich bringt, fällt Union, SPD, Grünen
und Linken nichts Besseres ein, als Arbeit teurer zu machen.
({3})
Aber gerade in diesen Zeiten ist Arbeit das höchste Gut.
({4})
Wir müssen alles tun, um uns dem Abschwung am
Arbeitsmarkt mit allen Kräften entgegenzustellen. Sie
tun aber genau das Gegenteil: Sie hebeln die Tarifautonomie aus. Sie vernichten Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich. Sie gefährden die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Dienstleistungsgewerbes und unserer Industrien. Anstatt jetzt, in schwierigen Zeiten, die Menschen möglichst in Arbeit zu halten, nehmen Sie von Union und
SPD den Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Möglichkeit, sich selber auf wirtschaftlich machbare Löhne zu
einigen.
({5})
Ich frage Sie: Was hat der Postbote davon, wenn er demnächst zwar theoretisch einen Mindestlohn einfordern
könnte, praktisch aber sein Arbeitsplatz nicht mehr wirtschaftlich ist und er auf der Straße sitzt?
({6})
Ich frage Sie: Was hat die Friseurin davon, wenn sie sich
demnächst zwar theoretisch auf einen Mindestlohn berufen könnte, praktisch aber der Salon, in dem sie arbeitet,
schon längst dichtgemacht hat?
({7})
Ich frage Sie: Was hat der Gebäudereiniger davon, wenn
ihm sein Chef demnächst zwar theoretisch einen höheren
Lohn zahlen müsste, praktisch aber seine Arbeit längst
von einem anderen in Schwarzarbeit erledigt wird?
Meine Damen und Herren, jeder soll von seiner Arbeit leben können. Ich bin der Letzte, der sich das nicht
wünscht. Warum aber können viele Menschen das nicht?
Die Antwort ist: weil zu viele Menschen in Deutschland
keine gute Ausbildung haben, weil wir viel zu lange die
Vereinbarkeit von Familie mit Ausbildung und Beruf
vernachlässigt haben, weil wir arbeitslose Menschen mit
den falschen Maßnahmen und durch die falschen Institutionen fördern.
({8})
Das alles sind sozialpolitische Aufgaben. Die Politik
muss diese Aufgaben bewältigen. Sie aber schieben die
Verantwortung auf die Unternehmen: Sollen die halt sehen, wie sie höhere Löhne finanzieren. Das ist Ihre Antwort auf die Not vieler Menschen, die im Niedriglohnsektor tätig sind.
Wir müssen Arbeitslosigkeit bekämpfen. Wir müssen
die Unternehmen so entlasten, dass sie Arbeitsplätze
schaffen. Wir müssen Bildung, Ausbildung und Weiterbildung stärken.
({9})
Dann wird auch das Lohnniveau wieder steigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün,
Sie haben die sogenannten Hartz-Gesetze verabschiedet.
({10})
Ich möchte Sie heute an die Maximen dieser Arbeitsmarktgesetze erinnern: Besser arbeiten, als nicht arbeiten. Besser wenig verdienen, als gar nichts verdienen.
Besser am Arbeitsleben teilhaben, als draußen vor der
Tür stehen.
({11})
Deshalb hat Rot-Grün die Möglichkeit geschaffen,
Löhne mit Arbeitslosengeld II aufzustocken, wenn sie
zur Ernährung der Familie oder des Einzelnen nicht ausreichen. Das war richtig, werte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen. Warum aber rücken Sie jetzt
davon ab?
({12})
Meine Damen und Herren, wir bewegen uns wirtschaftlich im schwersten Fahrwasser seit Jahrzehnten.
Deutschland wird von der Finanzkrise härter getroffen
werden als viele andere Staaten in Europa und der Welt.
Das ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für sozialdemokratische Planwirtschaft. Kommen Sie zur Vernunft,
und stärken Sie Arbeitsplätze, anstatt diese zu vernichten! Die Menschen werden es Ihnen danken.
({13})
Das Wort hat nun Kollege Max Straubinger, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das für die
Lohnentwicklung einzelner Branchen in unserem Land
sehr bedeutsam ist. Es handelt sich um ein gutes Gesetz;
denn damit wird der sozialen Marktwirtschaft der Vorrang gegeben und zum Ausdruck gebracht, dass nicht allein Marktwirtschaft die Grundlage unseres Handelns
sein kann, sondern dass eine soziale Komponente zur
Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
mit dabei sein muss.
({0})
Dies war bereits 1996 der Gedanke, als das Arbeitnehmer-Entsendegesetz verabschiedet worden ist, und zwar
unter Norbert Blüm und mit tatkräftiger Mithilfe des damaligen Staatssekretärs Dr. Kolb
({1})
und der FDP in der Gesamtheit. Angesichts der neuen
Bedingungen ist es auch im Jahr 2009 zu erweitern, weil
es - dem hat sich die Koalition aufgeschlossen gezeigt mittlerweile Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten gab.
Bei einer hohen Arbeitslosigkeit - im Jahre 2005 gab es
über 5 Millionen Arbeitslose - ist eine Lohnfindung allein auf tariflicher Ebene weit schwieriger als bei Vollbeschäftigung. Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben es geschafft, zum Dezember vergangenen
Jahres die Arbeitslosigkeit auf 3,1 Millionen abzubauen.
({2})
Jetzt stehen wir allerdings vor neuen Herausforderungen. Soziale Marktwirtschaft bedeutet aber auch, Planken zu setzen, damit in den unterschiedlichsten Bereichen gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden
können.
({3})
Es gibt in der Gesellschaft einen Streit darüber, welche Vereinbarungen zu treffen sind. Die einen fordern
- Herr Dr. Gysi hat dies heute für die Linke wieder vorgetragen - einen gesetzlichen Mindestlohn; auch die
Kollegin Pothmer hat einem gesetzlichen Mindestlohn
das Wort gesprochen. Wir, die Koalitionsfraktionen, treten aber für branchenspezifische Lösungen ein, weil
ein genereller gesetzlicher Mindestlohn den Anforderungen in den einzelnen Branchen nicht gerecht werden
würde.
({4})
Die Gewerkschaften fordern einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro. Ich verstehe das nicht,
weil sie damit ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten beschränken. Gesetzt den Fall, wir hätten diesen Mindestlohn eingeführt, dann wären die freien Vereinbarungen
im Wach- und Sicherheitsgewerbe mit Löhnen bis
8,32 Euro - die Kollegin Nahles und auch der Kollege
Brauksiepe haben dies bereits gelobt - und die Vereinbarungen in der Entsorgungsbranche mit Löhnen von
8,02 Euro - Herr Dr. Gysi, das gilt für ganz Deutschland,
also für Ost wie West und für Nord wie Süd, was Sie bestritten haben - verhindert worden und die Löhne wären
auf 7,50 Euro beschränkt worden.
({5})
Dies zeigt sehr deutlich: Die branchenspezifische Lösung ist die bessere Lösung und wird den einzelnen
Branchen, den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den einzelnen Regionen in Deutschland
am besten gerecht. Die Gesetzentwürfe, die wir erarbeitet haben, sind eine gute Grundlage dafür.
({6})
Herr Dr. Gysi hat nachdrücklich für einen gesetzlichen Mindestlohn plädiert. Ich hoffe nicht, dass er dabei
an den gesetzlichen Mindestlohn der ehemaligen DDR
gedacht hat.
({7})
Das würde bedeuten, dass die Menschen auf dem Niveau
der ehemaligen DDR leben müssten.
({8})
- Er lag bei ungefähr 3 Ostmark. Das muss man sich einmal vorstellen.
Das zeigt sehr deutlich: Gesetzliche Mindestlöhne
sind falsch. Es geht vielmehr darum, gute Rahmenbedingungen zu setzen, damit die Tarifparteien branchenspezifische Vereinbarungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erarbeiten können. Mit den heute
zu verabschiedenden Gesetzen kommen wir hier voran.
Uns war es wichtig, dass vor allen Dingen die Tarifautonomie und auch die Tarifpartnerschaft gestärkt
werden. Ich sage es ganz offen: Wir haben natürlich in
den vergangenen Jahren erleben müssen, dass die Tarifparteien nicht gestärkt, sondern geschwächt worden
sind. Es gab viele Austritte aus den Arbeitgeberverbänden. Ich bedaure genauso den Mitgliederschwund bei
den Gewerkschaften. Für alle, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch die Arbeitgeber, wäre es
besser, wenn es eine bessere tarifliche Struktur und eine
höhere Akzeptanz für Tarifvereinbarungen geben würde.
Ich möchte dies begründen. Wenn sehr viele Menschen gezwungen sind, selber Lohnverhandlungen zu
führen, dann besteht die Gefahr, dass bei dem Einzelnen
das Gefühl aufkommt, er sei benachteiligt und über den
Tisch gezogen worden. Der Arbeitgeber hat letztendlich
einen unzufriedenen Arbeitnehmer. Das kann nicht in
beiderseitigem Interesse sein. Deshalb ist es gut und
richtig, dass mit den beiden Gesetzen - mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und vor allen Dingen mit dem
Mindestarbeitsbedingungengesetz - etwas mehr Druck
ausgeübt wird, der dafür sorgt, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften Tarife vereinbaren. Dabei ist es hilfreich,
wenn es auf beiden Seiten viele Mitglieder gibt. Ich
glaube, das kann erreicht werden. Das ist im Sinne unserer sozialen Marktwirtschaft.
({9})
Es ist durchaus mitentscheidend, dass bestehende Tarifverträge weitergeführt werden können. Dies ist ein
Grundsatz des vorliegenden Mindestarbeitsbedingungengesetzes. Wir haben das in den Verhandlungen erreicht. Damit werden wir den Ansprüchen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch den
Ansprüchen der organisierten Arbeitgeber gerecht. Ich
glaube, dass die Tarifpartnerschaft dadurch gestärkt
wird.
Ein Weiteres ist mir wichtig: Heute wurde vielfach
der Bereich der Pflege angesprochen. Wir schaffen mit
diesem Gesetz die Grundlage dafür, dass hierfür ein
Normlohn gefunden werden kann. Das ist sehr bezeichnend; denn damit wird sichergestellt, dass der sogenannte dritte Weg der Katholischen und der Evangelischen Kirche, die die großen Sozialanbieter in unserem
Land sind, nicht tangiert wird. In einer Kommission aus
acht Mitgliedern - je ein Vertreter der Arbeitgeber und
ein Vertreter der Arbeitnehmer aufseiten der Evangelischen Kirche, der Katholischen Kirche, des öffentlichen
Dienstes und der privaten Leistungsanbieter - wird man
sich zusammensetzen und gemeinsam eine Lohnnorm
erarbeiten. Dadurch sorgen wir dafür, dass keine Partei
eine andere über den Tisch ziehen kann. Das ist meines
Erachtens eine Voraussetzung dafür, auch im Bereich der
Pflege eine Lohnuntergrenze einzuführen.
({10})
Wir schaffen mit diesem Gesetz eine weitere gute Voraussetzung für die Einführung der uneingeschränkten
Arbeitnehmerfreizügigkeit - Bundesminister Scholz
hat darauf schon hingewiesen -, die ab dem Jahr 2011
gelten wird. Um die Entsendeproblematik in den Griff
zu bekommen - insofern ist dem Antrag der Grünen zu
widersprechen -, bedarf es deutschlandweit gültiger Tarifverträge. Die Grünen plädieren dafür, dass regional
gültige Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt
werden können.
({11})
Wir tragen mit diesem Gesetzentwurf den Herausforderungen Rechnung, die die Entsendeproblematik aufgrund der Neuregelung der Freizügigkeit ab 2011 mit
sich bringen kann. In diesem Sinne haben wir ein gutes
Gesetz gefertigt, nachdem wir über einen langen Zeitraum hinweg hervorragend diskutiert haben. Ich bitte
deshalb um die Zustimmung dieses Hauses.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Kollegin Anette Kramme für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Was lange währt, wird gut.“ Viele von Ihnen
wissen, dass dieses geflügelte Wort aus einem Gedicht
von Hoffmann von Fallersleben stammt. Sie wissen aber
nicht, dass die Zusammenhänge zwischen diesem Gedicht und der Mindestlohndebatte noch weitaus größer
sind. In diesem Gedicht geht es um die Liebe zu einer
Frau. Diese gestaltet sich kompliziert. Die Liebe ist
groß, das Geld ist knapp. Und so jammert Hoffmann von
Fallersleben in diesem Gedicht:
O weh mir armen Lieutenant,
wie lange wart’ ich schon!
Bezög ich doch nur bald, ja bald
…
Das Kapitänsgehalt!
Und weiter heißt es:
Heiraten möchte ich bald, ja bald,
doch hab ich kein Gehalt.
({0})
Die Frage nach menschenwürdigen Löhnen ist alt.
Wir wissen seit langem, wie sich Armut und seine sozialen und wirtschaftlichen Folgen darstellen. Heute
geht es sicherlich weniger darum, dass arme Menschen
seltener heiraten. Aber es geht sehr wohl darum, dass
arme Menschen sich schlechter ernähren, dass arme
Menschen häufiger krank sind, dass arme Menschen weniger Möglichkeiten zur Teilhabe am öffentlichen Leben
haben, seltener das Abitur machen und noch viel seltener
studieren können.
({1})
Selbstverständlich können Mindestlöhne nicht die
Gesamtheit der Probleme von Armut lösen. Aber wir
können nicht hinnehmen, wenn zu all diesen handfesten
Nachteilen und Benachteiligungen das Gefühl der Erniedrigung kommt und wenn Menschen trotz Vollzeitarbeit von öffentlicher Fürsorge abhängig sind.
({2})
Andere Parteien tun sich da offensichtlich leichter. Vom
Anbeginn der Debatte über den Mindestlohn ging es im
Prinzip um folgende Frage: Gibt es unzumutbare Löhne?
({3})
Ich sage ganz klar: Ja, die gibt es; aber es sollte sie nicht
geben. Genau hier muss die Politik handeln.
Wir haben bei den Mindestlöhnen einen großen
Durchbruch geschafft. Aber es geht nicht einfach nur darum, dass abstrakt weitere Branchen in eine Liste aufgenommen werden, sondern es geht konkret um Menschen.
({4})
Es geht um Menschen, die als Lehrkräfte und Sozialpädagogen in der Weiterbildungsbranche derzeit mit
1 200, 1 600 oder 1 800 Euro brutto pro Monat klarkommen müssen. Es geht um Menschen, die in der
Pflege tätig sind und häufig nur Bruttostundenlöhne von
4,50 Euro, 6 oder 7 Euro erhalten. Es geht um Menschen, die in der Abfallwirtschaft arbeiten und ganz oft
nur 5 Euro brutto pro Stunde erhalten. Vor allen Dingen
will ich, dass es in Deutschland keinen einzigen Leiharbeitnehmer mehr gibt, der mit 3 Euro brutto pro Stunde
klarkommen muss,
({5})
wie es bei einem Leiharbeitnehmer aus Forchheim der
Fall ist.
Mit Verabschiedung der vorliegenden Gesetzentwürfe
werden wir 2,2 Millionen Menschen erreichen, die dann
in den Schutzbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes fallen.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zeigt Wirkung. Wir
wissen das aus dem Bereich der Bauwirtschaft. In einer
aktuellen Studie des IAB wird festgestellt: Es gibt keine
negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung. Das
heißt auf gut Deutsch: Es gibt keinen Arbeitsplatzabbau.
({6})
Auch die Gebäudereiniger, die immerhin seit anderthalb
Jahren von Mindestlöhnen profitieren, sagen das ganz
deutlich. So formuliert der Bundesinnungsmeister des
Gebäudereinigerhandwerkes:
Wir sind der eindeutige Beweis dafür, dass allgemeinverbindliche Tarifverträge und Mindestlöhne
keine Arbeitsplätze vernichten.
({7})
Meine Damen und Herren von der FDP, Ihre neuen
Lobeshymnen auf die Gewerkschaften stimmen misstrauisch.
({8})
Ich glaube, es war Ihre Partei, die noch vor einiger Zeit
davon gesprochen hat, dass es sich bei den Gewerkschaften um die größten Plagen dieses Landes handelt.
({9})
Theorie und Empirie widerlegen Ihre Aussagen zu den
Mindestlöhnen.
({10})
Für gute Arbeit der Arbeitnehmer wird es künftig gutes oder zumindest besseres Geld geben als bislang. Wir
sind mit unserer Arbeit noch lange nicht fertig.
({11})
Wir werden dafür kämpfen, dass weitere Branchen in
das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.
({12})
Wir werden dafür kämpfen, dass die Arbeit am Mindestarbeitsbedingungengesetz anfängt und wir hierüber
Branchen absichern, für die es nur eine niedrige oder gar
keine Tarifbindung gibt.
({13})
An dieser Stelle lassen Sie mich abschließend Dank
an diejenigen richten, die hier sehr viel Flexibilität und
Konstruktivität gezeigt haben, insbesondere an die Kirchen. Wir bringen hier ein lang andauerndes Verfahren
zu Ende. Wir haben nicht irgendein Ergebnis, sondern
ein anständiges Ergebnis erzielt. Wie gesagt: Was lange
währt, wird gut.
Vielen herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat nun Kollege Gerald Weiß für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Genosse Gysi,
({0})
Ihren Rezepten wollen wir nicht folgen. Eine ruinierte
Volkswirtschaft reicht.
({1})
Ihre Rezepte führen in die falsche Richtung. Ich sage für
die Union: Wir wollen keinen staatsverordneten einheitlichen Mindestlohn,
({2})
Gerald Weiß ({3})
sondern einen für allgemeinverbindlich erklärten tariflichen Mindestlohn, und zwar nur dort, wo wir ihn brauchen, um faire Bedingungen für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und die Betriebe im Wettbewerb sicherzustellen. Das ist unsere Linie.
({4})
Frau Kollegin Pothmer, Sie sagten, die Union bzw.
die Koalition wolle so wenige Mindestlöhne wie möglich. Nein, wir wollen so viele Mindestlöhne wie nötig,
um faire Bedingungen am Markt sicherzustellen. Das ist
unsere Antwort. Damit dürfte Ihre Frage beantwortet
sein.
({5})
In der Chemie- und Pharmabranche sowie in verschiedenen anderen Bereichen, zum Beispiel im Maschinenbau, funktioniert die Lohnfindung gut. Warum sollten wir dort einen Mindestlohn brauchen?
({6})
In diesen Branchen, in denen es starke Tarifparteien gibt
und in denen die Lohnfindung reibungslos funktioniert,
hat sich der Staat aus der Lohnfindung gefälligst herauszuhalten. Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen
mit der Tarifautonomie gemacht.
({7})
Herr Gysi, unsere Antwort lautet: Die Tarifautonomie
hat Vorrang. In den Bereichen aber, in denen die Lohnfindung gestört ist, in denen die Balance fehlt, in denen
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus welchen
Gründen auch immer kein Machtgleichgewicht besteht,
müssen wir helfen. Wir wollen nicht, dass die kleinen
Leute und die kleinen Betriebe durch schmutzigen Wettbewerb und Dumpinglöhne benachteiligt werden. Wir
wollen in Deutschland faire Bedingungen für die kleinen
Leute und die kleinen Betriebe.
({8})
Ich wiederhole: Wir wollen branchenbezogene tarifliche Mindestlöhne überall dort, wo wir sie brauchen. Sie
sollen allerdings die Ausnahme bleiben. Die Tarifautonomie soll Vorrang haben. Die Bedingungen für die Einführung eines Mindestlohns sind, dass er von den Tarifparteien gemeinsam zu vereinbaren ist, dass in der
jeweiligen Branche eine Tarifbindung von mindestens
50 Prozent besteht und dass seine Einführung im öffentlichen Interesse liegt. Damit setzen wir die Entwicklung
fort, die CDU, CSU und FDP im Jahre 1996 mit der Einführung des ersten Mindestlohns im Baugewerbe eingeleitet haben.
Herr Dr. Kolb, wenn Sie im Hinblick auf die Beschäftigungswirkungen eines tariflichen Mindestlohns besorgt
sind, kann ich Ihnen nur sagen: Heinrich Kolb, fürchte
dich nicht!
({9})
Denn mittlerweile ist belegt, wie sich der erste tarifliche
Mindestlohn, der damals von Kohl, Blüm und Kolb eingeführt wurde, auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat.
({10})
Das IAB - ich denke, Sie erkennen dieses Institut als seriöse Adresse an; Sie sind ja selbst ein seriöser Mann ({11})
hat in einer Studie nachgewiesen, dass die Einführung
dieses Mindestlohns nicht nur positive Einkommenseffekte hatte - daran war uns damals natürlich auch gelegen -, sondern auch positive Beschäftigungseffekte.
Ich kann Sie also beruhigen. Unser gemeinsamer gesetzgeberischer Schritt war fruchtbringend und hat geholfen.
In genau diesem Sinne wollen wir auch heute verfahren.
Wir wollen Mindestlöhne für die Branchen, in denen sie
gebraucht werden, weil zum Beispiel das Marktgleichgewicht gestört ist. Diesen Weg werden wir mit den Gesetzen, deren Entwürfe wir heute vorgelegt haben, beschreiten.
({12})
Der Gedanke „Gleiches Geld für gleiche Arbeit am
gleichen Ort“ ist nicht neu. Wir legen eine differenzierte
Lösung für die neu entstandenen Probleme vor. Die
Große Koalition hat bereits gehandelt und für Gebäudereiniger und Briefdienstleister Mindestlöhne eingeführt.
Außerdem haben wir das Tor für andere Branchen, in denen es soziale Verwerfungen gibt, geöffnet. Uns liegen
acht Anträge auf Aufnahme ins Entsendegesetz vor.
Sechs Branchen werden wir jetzt aufnehmen, weil sie
Probleme im von mir beschriebenen Sinne haben.
({13})
Was die Zeitarbeit angeht, Frau Pothmer, werden wir ein
gesondertes Gesetz erarbeiten. Für diesen wichtigen Bereich werden wir eine Lösung im Sinne einer Lohnuntergrenze finden.
Ich sage es noch einmal: Wir wollen dort, wo es notwendig ist, einen branchenbezogenen tariflichen Mindestlohn, der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam befürwortet wird. Allerdings muss eine hohe
Tarifbindung sichergestellt sein.
Was geschieht aber, wenn es in einer Branche noch
keine oder keine Tarifstrukturen mehr gibt, aus denen
sich tarifliche Mindestlöhne herausbilden könnten? In
diesem Fall werden wir im Rahmen des Mindestarbeitsbedingungengesetzes, das wir sozusagen revitalisieren, geeignete Tarifstrukturen nachbilden. Wir werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einen Tisch
bringen, um die Frage zu klären: Brauchen wir in der
Branche X einen Mindestlohn? Wenn wir einen Mindestlohn brauchen: Wie muss dieser Mindestlohn aussehen?
Dann muss der Staat sagen: Ja, es liegt ein öffentliches Interesse im Sinne der Sicherung des Wettbewerbs vor,
und deshalb müssen wir handeln. Auf der Grundlage
dieser künstlich geschaffenen Tarifstrukturen werden
Gerald Weiß ({14})
wir dann einen Vorschlag formulieren und ihn zum Mindestlohn erheben, oder wir werden es lassen.
Das ist eine subsidiäre, die Vorfahrt der Tarifautonomie respektierende und wahrende Lösung.
({15})
Das wird in Zukunft als Ausnahme von der Ausnahme
von wichtiger, aber begrenzter Funktion sein. Aber dieses Surrogat eines Mindestlohnes kann in gewissen
schwierigen Wirtschaftsbereichen Bedeutung erlangen.
Die Große Koalition geht heute also in einem großen
Konsens in der Mindestlohnfrage den Weg der Vernunft
und der Mitte weiter.
({16})
Wir gehen diesen Weg zugunsten der kleinen Leute und
der kleinen Betriebe weiter, die faire Bedingungen brauchen. Wir wollen nicht, dass die kleinen Leute und die
kleinen Betriebe unter die Räder eines unfairen, schmutzigen und vernichtenden Wettbewerbs geraten.
({17})
Deshalb wollen wir ihnen helfen.
({18})
Die Tarifautonomie bleibt gewahrt. Sie behält in der
Lohnfindung in Deutschland absolute Vorfahrt. In diesem Sinne bitte ich Sie, den beiden Gesetzesvorlagen zuzustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, Drucksache 16/10485. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11669, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11675? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen bei Stimmenthaltung der Linkspartei abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
von FDP und Linken bei Stimmenthaltung der Grünen
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die
absolute Mehrheit - das sind 307 Stimmen - erforderlich. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD verlangen
namentliche Abstimmung.
Dazu liegen vier Erklärungen zur Abstimmung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von den
Kollegen Nüßlein, Meyer ({0}), Fuchs und
Connemann1). Ich mache nochmals darauf aufmerksam,
dass wir im Anschluss daran eine weitere namentliche
Abstimmung durchführen werden. Bei der Stimmabgabe
bitte ich, wie immer, alle Kolleginnen und Kollegen,
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie
verwenden, ihren Namen tragen.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind überall
Schriftführer an den Urnen? - Von mir aus gesehen links
fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführerin. -
Jetzt können wir anfangen. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme
abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2) Wir setzen jetzt die Abstimmungen
fort.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11677.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeit-
nehmer-Entsendegesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und
Soziales empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11669, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/11676? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grü-
nen bei Stimmenthaltung der Linken abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
von FDP und Linken bei Stimmenthaltung der Grünen
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist auch zur Annahme dieses Gesetzent-
wurfes die absolute Mehrheit, das sind 307 Stimmen, er-
forderlich. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die
1) Anlage 2
2) Ergebnis Seite 21608 C
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. Ist das an allen Urnen erfolgt? -
Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme
abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe
die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort und kommen
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11678. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grünen und Lin-
ken gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch
bitte wieder Platz. Dann ist die Übersicht größer, sodass
wir die Abstimmungsergebnisse besser feststellen können.
Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck-
sache 16/11669 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/1878 mit dem Titel
1) Ergebnis Seite 21613 C
„Für einen sozial gerechten Mindestlohn in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind gerade bei einer Abstimmung. Ich bitte doch, die Hände zu heben,
damit ich das Ergebnis feststellen kann.
({1})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
FDP gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung
der Grünen abgelehnt.
({2})
- Nein, nein.
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 12 a und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen bekannt: abgegebene Stimmen 540.
Mit Ja haben gestimmt 401, mit Nein haben gestimmt
109, Enthaltungen 30. Der Gesetzentwurf ist damit mit
der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon
ja: 397
nein: 109
enthalten: 50
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({3})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({4})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({5})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({6})
Dirk Fischer ({7})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Hans-Peter Friedrich
({8})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({9})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({10})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({11})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({12})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({29})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Marlene Rupprecht
({40})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Renate Schmidt ({44})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({45})
Carsten Schneider ({46})
Ottmar Schreiner
({47})
Swen Schulz ({48})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({49})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({50})
Heidi Wright
Uta Zapf
Nein
CDU/CSU
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Marie-Luise Dött
Dr. Michael Fuchs
Jens Koeppen
Laurenz Meyer ({51})
Franz Obermeier
Andrea Astrid Voßhoff
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({52})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({53})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({54})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({55})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({56})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulrich Maurer
Dorothee Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({57})
Volker Schneider
({58})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Andreas G. Lämmel
DIE LINKE
Ulla Lötzer
Frank Spieth
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({59})
Volker Beck ({60})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({61})
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({62})
Winfried Nachtwei
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
({63})
Wir setzen die Beratung unserer Tagesordnung fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 f sowie
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf:
31 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und
notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer
Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/11385 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({64})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung truppenzollrechtlicher Vorschriften und
anderer Vorschriften ({65})
- Drucksache 16/11566 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Oktober 2004 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache 16/11567 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({66})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. November 2007 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Haschemitischen Königreich Jordanien über die
Förderung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen
- Drucksache 16/11568 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({67})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Zugang von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie Nachrichtendiensten zum VisaInformationssystem ({68})
- Drucksache 16/11569 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({69})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schutz der Bienenvölker sicherstellen
- Drucksache 16/10322 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({70})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing,
Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf
die Istbesteuerung
- Drucksache 16/9836 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({71})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Undine Kurth ({72}), Cornelia
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Betäubungslose Kastration von Ferkeln beenden - Alternativen fördern
- Drucksache 16/10615 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({73})
Rechtsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehrwegsysteme durch Lenkungsabgabe auf
Einwegverpackungen stützen
- Drucksache 16/11449 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Prävention der Glücksspielsucht stärken
- Drucksache 16/11661 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({74})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Winfried
Hermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung
des Personenbeförderungsgesetzes
- Drucksache 16/11635 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({75})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 e sowie
den Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 32 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung vom 23. März 2007 des Übereinkommens vom 20. August 1971 über die Internationale Fernmeldesatellitenorganisation
„ITSO“
- Drucksache 16/10932 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({76})
- Drucksache 16/11629 Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11629, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10932 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in der dritten Lesung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 32 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({77}) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller ({78}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nachhaltiger Entwicklung unterstützen
- Drucksachen 16/4425, 16/5310 Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer ({79})
Brunhilde Irber
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({80})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5310, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4425 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 32 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({81}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Müller ({82}), Marieluise Beck ({83}), Fritz
Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fahrplan zur Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten nach der Resolution
1701 ({84}) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 11. August 2006
- Drucksachen 16/3547, 16/6496 Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Hörster
Gert Weisskirchen ({85})
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({86})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6496, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3547 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und Linken gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 32 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({87}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck ({88}), Volker
Beck ({89}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neujustierung der Auswärtigen Kulturpolitik
- Drucksachen 16/6604, 16/7970 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Gauweiler
Monika Griefahn
Harald Leibrecht
Dr. Uschi Eid
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7970, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6604 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 32 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({90}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Trittin, Kerstin Müller ({91}), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen
Stabilisierung Pakistans
- Drucksachen 16/8752, 16/9430 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Uta Zapf
Harald Leibrecht
Dr. Norman Paech
Jürgen Trittin
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9430, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8752 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Stimmenthaltung der Linken angenommen.
Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({92}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({93}),
Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige
Ghetto-Insassen erleichtern
- Drucksachen 16/6437, 16/10334 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10334, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6437 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen nun zu dem Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung über zwingende Arbeitsbedingungen für
grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
das sogenannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz: abgegebene Stimmen 556. Mit Ja haben gestimmt 398, mit Nein
haben gestimmt 108, Enthaltungen 50. Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon
ja: 398
nein: 108
enthalten: 50
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({94})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({95})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({96})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({97})
Dirk Fischer ({98})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Hans-Peter Friedrich
({99})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({100})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({101})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({102})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({103})
Wolfgang Meckelburg
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({104})
Stefan Müller ({105})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({106})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({107})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({108})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({109})
Andreas Schmidt ({110})
Ingo Schmitt ({111})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({112})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({113})
Gerald Weiß ({114})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({115})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gregor Amann
Dr. h. c. Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({116})
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({117})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({118})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({119})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({120})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({121})
Frank Hofmann ({122})
Dr. Eva Högl
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({123})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({124})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({125})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({126})
Michael Müller ({127})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({128})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({129})
Michael Roth ({130})
Marlene Rupprecht
({131})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({132})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({133})
Silvia Schmidt ({134})
Renate Schmidt ({135})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({136})
Carsten Schneider ({137})
Ottmar Schreiner
({138})
Swen Schulz ({139})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Joachim Stünker
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Rainer Tabillion
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({140})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({141})
Heidi Wright
Uta Zapf
Nein
CDU/CSU
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Marie-Luise Dött
Dr. Michael Fuchs
Jens Koeppen
Laurenz Meyer ({142})
Franz Obermeier
Andrea Astrid Voßhoff
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({143})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({144})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({145})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({146})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({147})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({148})
Volker Schneider
({149})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Andreas G. Lämmel
DIE LINKE
Ulla Lötzer
Frank Spieth
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({150})
Volker Beck ({151})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({152})
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({153})
Winfried Nachtwei
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Konsequenzen aus der Existenz weiterer fauler Wertpapiere bei deutschen Banken im Umfang von Hunderten Milliarden Euro
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Uli Maurer für die Fraktion Die Linke.
({154})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, nachdem wir in den letzten Tagen in den deutschen Medien
immer neue aberwitzige Zahlen über den von der sogenannten deutschen Finanzindustrie aufgehäuften Giftmüll nachlesen durften.
({0})
Wenn man dem Spiegel folgt, geht es um 300 Milliarden
Schrottpapiere, wenn man den berühmten Börsenkreisen
folgt, um 600 bis 800 Milliarden Schrottpapiere, wenn
man der Süddeutschen Zeitung und dem Handelsblatt
von gestern folgt, um 1000 Milliarden sogenannte
Schrottpapiere. Die Einzigen, die informiert werden,
sind offensichtlich die sogenannten informierten Kreise
des Bundesfinanzministeriums, der Finanzaufsicht und
der führungslos gewordenen Bankenrettungsanstalt.
({1})
Das Parlament wird nicht informiert. Ehrlich gesagt
hätte ich es mir nicht träumen lassen, dass es das Schicksal eines deutschen Parlamentariers ist, sich bei Spiegel
Online über die Pläne der Bundesregierung informieren
zu müssen. Aber das ist der Zustand in diesem Haus.
({2})
Sie setzen hier Ihre Strategie der letzten Monate - die
Finanzkrise dauert schon länger -, des letzten Jahres
fort: tricksen, verschweigen, schönreden, nichts bekanntgeben. - Meine Damen und Herren, nehmen Sie
sich ein Beispiel an dem neu gewählten amerikanischen
Präsidenten, der seinem Volk wenigstens die Wahrheit
über das sagt, was los ist, und versucht, angemessene
Antworten zu formulieren.
({3})
Noch mehr alarmiert sind wir wegen der Art und
Weise, in der Sie offensichtlich mit dem Problem umzugehen gedenken. Das muss man einmal ins Deutsche
übersetzen. Sie befinden sich offensichtlich in heftigen
Diskussionen über die Gründung einer Bad Bank. Übersetzt heißt das: üble Bank.
({4})
Mittlerweile haben Sie sich, wie wir den Gazetten entnehmen, dazu durchgerungen, eine üble Bank light zu
gründen, eine leicht üble Bank oder eine üble Bank auf
leichte Art.
({5})
Man muss schon einmal diskutieren, was Sie da vorhaben. Offenkundig beabsichtigen Sie, die gesamten Spekulationsverluste der deutschen Finanzindustrie den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern und dem Staatsvermögen überzuhelfen.
({6})
Nach dem, was ich heute im Handelsblatt lese - das
ist dann die üble Bank leicht gemacht -, haben Sie vor,
das so zu machen, dass - ich zitiere - alles übernommen
wird, bei Fälligkeit dieser Papiere der Staat für die Spekulationsverluste einsteht, während Sie sich vorbehalten,
dass der Staat im Laufe von 50 Jahren einen Teil - einen
Teil! - der Gewinne dieser Banken zurückerhält.
Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass die Bürgerlichen die bürgerliche Moral vollständig untergraben.
({7})
Aber ich teile selbstverständlich den schwäbischen
Handwerksmeistern mit, was die soziale Marktwirtschaft ist. Die haben das jetzt zum ersten Mal verstanden. Soziale Marktwirtschaft nach Ihrem Credo sieht offensichtlich so aus: Wenn ein Handwerksmeister in
Konkurs geht und mit seinem Privatvermögen haften
muss, dann sagen Sie ihm „Pech gehabt!“ und wünschen
eine gute Reise.
Wenn aber ein Großspekulant in der deutschen Finanzindustrie über die Wupper geht, dann werden die
Verluste aus dem Staatsvermögen finanziert und an die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weitergegeben. Das
ist nicht nur Verschleuderung von Staatsvermögen, sondern es untergräbt auch die Moral, die Sie selber immer
den Menschen gepredigt haben.
({8})
Dem deutschen Mittelstand machen Sie nicht so ein
hochherziges Angebot.
Wozu Sie fähig sind, haben wir aus dem Beispiel der
Commerzbank gelernt. Sie haben ein Institut, das noch
ganze 3 Milliarden Euro wert ist, für sage und schreibe
18 Milliarden Euro vermutlich vorübergehend herausgekauft. Dabei haben Sie ganze 25 Prozent dieser 3 Milliarden Euro in Aktien bekommen. Das ist ein Wahnsinnsunternehmen.
({9})
Warum haben Sie das gemacht? Die Commerzbank
beteuert Tag und Nacht, sie sei nicht insolvent gewesen.
Sie haben eine vorübergehende Stabilisierung der Kurse
der Allianz bewirkt. Dieses Unternehmen hatte wahrscheinlich das größte Interesse daran. 18 Milliarden
Euro für die Stabilisierung der Kurse der Allianz! Das
muss man sich einmal vorstellen.
({10})
Dieselben Leute sind knallhart, wenn es darum geht,
die Armen in Deutschland arm zu lassen. Wenn es darum geht, die Besitzstände der Megareichen zu verteidigen, sind Sie mindestens so knallhart wie bei der Bestrafung der kleinen Leute, wie es vorhin jemand so schön
gesagt hat. Es hat uns richtig gerührt, dass Sie plötzlich
die kleinen Leute entdeckt haben.
Sie schaffen ein großes makroökonomisches Problem, das sich wie folgt darstellt: Sie sind dabei, zugunsten der Finanzindustrie das Staatsvermögen zu veruntreuen - wie es Oskar Lafontaine formuliert hat -, zu
einem Zeitpunkt, zu dem es darauf ankommen wird, die
deutsche Realwirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren und zu retten.
({11})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. - Während der amerikanische
Präsident 825 Milliarden Dollar einsetzt, um seine Realwirtschaft zu retten, sind Sie stolz auf unsere
25 Milliarden Euro und verschleudern nebenbei das
Staatsvermögen an die Finanzindustrie. Das ist ein unannehmbarer Kurs.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Leo Dautzenberg, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Maurer, wenn
Sie in klassenkämpferischer Manier fordern,
({0})
dass Maßnahmen entwickelt werden, mit denen das
Staatsvermögen geschont werden soll, dann sollten Sie
das frühere Staatsvermögen der DDR an uns zurückgeben, mit dem dann all das, was wir zu finanzieren haben,
ausgeglichen werden kann.
({1})
Die Thesen, die Sie vorgetragen haben, sind sehr widersprüchlich. Sie wissen offenbar genau, wie es beispielsweise bei der Commerzbank gelaufen sein soll.
Exakte Informationen haben wir in unseren Gremien
noch nicht. Wir konnten uns bisher nur aus der Presse informieren. Deshalb ist es erstaunlich, dass Sie genau
wissen, welche sogenannten toxischen Papiere jetzt zur
Diskussion stehen. An dieser Stelle muss erst einmal differenziert werden, worüber wir sprechen, Kollege
Maurer.
Sie haben sich auf Forderungen von CDU-Vertretern
in der Presse bezogen. Eines ist klar: Mit uns kann es
keine Einrichtung einer sogenannten Bad Bank geben, in
die alle Risikopapiere eingebracht werden, die letzten
Endes zulasten des Bundes und damit des Steuerzahlers
beglichen werden.
({2})
Das geht mit uns nicht.
({3})
Insofern ist Ihren pauschalen Vorwürfen durchaus eine
differenzierte Betrachtungsweise entgegenzuhalten. Das
wird Ihnen wahrscheinlich schwerfallen, weil es nicht in
Ihre klassenkämpferischen Parolen hineinpasst, wenn
man sachgerecht und systemgerecht an das Thema herangehen will.
Was die systemischen Risiken anbelangt, muss eines
klargestellt werden: Banken sind ab einer bestimmten
Größenordnung systemisch. Wenn man keinen Rettungsschirm aufspannt, wird das Folgen für unsere gesamte
Volkswirtschaft haben. Auch andere Bereiche können relevant sein. Deshalb haben wir im Rahmen der ersten
Maßnahmen ein Kredithilfepaket für den Mittelstand beschlossen. Danach soll die KfW gerade den Unternehmen, die jetzt in Schwierigkeiten geraten, mit Maßnahmen helfen, sodass diese Unternehmen mithilfe ihrer
Hausbank zu einer vernünftigen Kreditfinanzierung
kommen. Hier werden im Grunde Risiken von der KfW
übernommen. Gerade das, was Sie kritisieren, haben wir
mit unserem ersten Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht.
Was ist nun mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz? Im Oktober letzten Jahres ist ein Maßnahmenpaket
mit den drei Schwerpunkten Garantien, Rekapitalisierung und Übernahme sogenannter Risikopapiere beschlossen worden. Für uns ist klar, dass wir einzelnen
Forderungen aus der Kreditwirtschaft nicht nachkommen wollen, wenn Reparatur- bzw. Ergänzungsbedarf
besteht und wenn wir nicht bewerten können, inwieweit
die bisherigen Maßnahmen gegriffen haben. Momentan
läuft die Risikoübernahme. Das betrifft den Bereich der
Garantien. Wir haben bisher drei Platzierungen gehabt.
Darüber soll der Interbankenmarkt belebt werden. Nun
muss die weitere Entwicklung abgewartet werden. Wir
haben zudem Maßnahmen zur Rekapitalisierung ergriffen. Was die Übernahme sogenannter Risikopapiere anbelangt, war es immer politischer Wille, dass wir sehr
defensiv agieren, weil es nicht sein kann, dass das alles
nachher dem Steuerbürger aufgebürdet wird. Deshalb ist
eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig, genauso wie die Diskussion über bestimmte Maßnahmen.
Wir sind auf einem guten Weg.
Meine Damen und Herren von der Fraktion Die
Linke, wenn Sie die Arbeit in den Gremien begleiten,
dürften die gespenstischen Vorstellungen, die Sie entwickelt haben, nicht eintreten. Wir sind dabei, Vorschläge
zu unterbreiten. Es muss sich um einen Weg handeln, der
die Abwicklung der Maßnahmen, die dazu dienen, den
Bankenbereich von Risikopapieren zu befreien, um neue
Geschäfte zu ermöglichen, nahe der ursprünglichen Verantwortung belässt.
Diese Aktuelle Stunde geht zumindest von der Fragestellung her fehl; denn Sie, meine Damen und Herren
von der Linken, könnten die Aufgaben in den entsprechenden Gremien wahrnehmen und erörtern.
({4})
- Das hat mit geheim nichts zu tun. - Sie sollten hier
keine Showveranstaltung machen und keinen Populismus betreiben, der darauf hinauslaufen soll, dass Sie sich
in Ihrer Auffassung des Antagonismus der Klassen bestätigt sehen können.
Danke sehr.
({5})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Florian
Toncar.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In der heutigen Aktuellen Stunde erleben wir die
Fortsetzung eines bislang wenig fruchtbaren Ideenfeuerwerks zur Einleitung des Jahres der Staatswirtschaft.
Herr Maurer, ich möchte zu Ihrer Rede nur eines sagen:
Sie wettern gegen Spekulation. Sie sollten aber in den
letzten Monaten gelernt haben, dass Spekulation gerade
bei staatlichen Banken stattgefunden hat. Wenn es eine
Lehre aus der aktuellen Krise gibt, dann ist es die, dass
Verstaatlichungsfantasien im Bankenwesen offenkundig
besonders große Verluste verursachen. Sie sollten daher
von diesen Ideen Abstand nehmen.
({0})
Schauen wir uns zunächst einmal die Verfassung des
deutschen Finanzsektors an. Der letzten Bankenstatistik
der Bundesbank zufolge ist in den vergangenen Monaten
bei Krediten an inländische Unternehmen, Privatpersonen und öffentliche Haushalte ein moderater Anstieg zu
verzeichnen. Vor allem Kredit- und Großbanken zeichnen sich durch eine aktivere Kreditvergabe aus. Die
Sparkassen verharren etwa auf dem Niveau von 2007.
Zwar haben die deutschen Banken laut Bundesbank
mittlerweile Verschärfungen bei ihren Konditionen vorgenommen; doch diese bleiben in Deutschland insgesamt hinter den Vorgaben des Euroraumes zurück. Die
Bundesbank schreibt wörtlich:
Eine angebotsseitige Kreditverknappung in der
Breite des Bankensystems lässt sich … für
Deutschland aber derzeit nicht ableiten.
Die Regierung hat immer wieder die Bedeutung von
Vertrauen herausgestellt. Bevor die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen mit ihrem Ideenfeuerwerk
für eine noch umfangreichere Staatswirtschaft das verbliebene Vertrauensporzellan zerschlagen, sollten sie lieber vor der eigenen Türe kehren. Sowohl der Umfang als
auch die Zahl der Anträge für die Förderprogramme der
staatseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau haben sich
in den letzten neun Monaten halbiert. Dies hat die Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP einräumen müssen. Offensichtlich sind es gerade die KfW-Förderprogramme, die nicht attraktiv genug sind. Auch das zeigt,
dass der Staat nicht der bessere Banker ist.
({1})
Ich möchte auf das eingehen, was zurzeit in der Leitung des SoFFin passiert; denn wenn es so weitergeht,
gefährdet auch das das Vertrauen. Zwei von drei leitenden Mitarbeitern kündigen vorzeitig, es wird dort zum
Teil ohne Dienstverträge gearbeitet, und Mitarbeiter des
Leitungsausschusses liefern sich mit der Bundesregierung öffentlich ausgetragene Debatten über die angeblich notwendigen Korrekturen am Rettungspaket.
({2})
Das alles ist in der Form nicht mehr hinnehmbar. Gerade
jetzt, da eine Bank nach der anderen die Zahlen für das
vierte Quartal veröffentlicht, brauchen wir dort handlungsfähige Strukturen.
({3})
Ich denke, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an
dem die Mitglieder der Bundesregierung, vor allem die
Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister, in der
persönlichen Verantwortung sind, dafür zu sorgen, dass
dort die personelle Lage wieder so ist, wie wir sie uns
wünschen und vorstellen;
({4})
denn es handelt sich nicht um administrativen Kleinkram, den man mal eben delegieren kann, sondern es
handelt sich bei der Handlungsfähigkeit dieser Institution um eine für unsere Volkswirtschaft ganz entscheidende Frage, bei der Sie die Dinge derzeit treiben lassen.
({5})
Meine Damen und Herren, vor 80 Jahren hat der Ökonom Ludwig von Mises in seiner Kritik des Interventionismus das sogenannte Ölflecktheorem begründet. Dieses besagt, dass ein staatlicher Eingriff an einer Stelle
mehr oder weniger unausweichlich weitere Folgeeingriffe und letztlich eine Interventionsspirale nach sich
zieht.
({6})
Genau in diese Richtung gehen die zum Teil wenig konstruktiven und zusammengewürfelten Vorschläge aus
den Reihen der Bundesregierung und auch der Koalitionsfraktionen.
({7})
- Auch aus Ihrer Fraktion, Herr Dautzenberg. - Insbesondere was die Vorschläge zur personellen, inhaltlichen
und finanziellen Erweiterung des Fonds und dessen Garantierahmen angeht, aber auch was die zeitliche Verlängerung des Gesetzes insgesamt betrifft, erodiert das
Vertrauen, das der SoFFin im Finanzsektor und bei Investoren eigentlich begründen soll.
({8})
Ich denke, etwas mehr Zurückhaltung bei solchen Vorschlägen würde schon vieles besser machen.
({9})
Natürlich können wir am Rettungspaket Dinge verbessern. Wenn die Bundesregierung einen Weg aufzeigt,
wie wir Bankbilanzen schneller bereinigen können, ohne
dass für den Steuerzahler neue und unzumutbare Lasten
entstehen, dann werden wir darüber reden. Aber Aktionismus und wilde Spekulation schaden an dieser Stelle
nur.
({10})
Wir sollten die drastischen Zinssenkungen, die auf europäischer Ebene und auch in Übersee vorgenommen worden sind, wirken lassen. Die spürbare Verbilligung von
Geld, die erst in einigen Monaten voll zum Tragen kommen wird, wird dazu führen, dass sich Banken leichter
refinanzieren können und dass das Kreditangebot größer
wird. Dieses Vertrauen in die Wirkung der Maßnahmen
der Zentralbank sollten wir haben. Wir sollten es nicht
durch kurzfristige Vorschläge aufs Spiel setzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen
gemeinsam daran arbeiten, dass bei den Bürgerinnen
und Bürgern nicht der Eindruck erweckt wird, je größer
ein Kreditinstitut ist, desto größere Anstrengungen unternimmt die Politik, um für dessen Fehler einzustehen.
({11})
Deswegen muss eine Konsolidierung des Marktes an
dieser Stelle stattfinden.
({12})
Bertolt Brecht schrieb einmal: Wer auf großem Fuß
lebt, dem bezahlen sie noch den größten Schuh. - Dies
ist nicht die Linie der FDP-Fraktion.
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz haben wir in
unser aller Interesse, im Interesse der Kreditwirtschaft
ebenso wie dem der Verbraucher, einen gigantischen
Rettungsschirm für die Banken geschaffen.
({0})
Es wurde ein Fonds gegründet, der Garantien für die Refinanzierung der Finanzinstitute in einer Höhe von bis zu
400 Milliarden Euro übernimmt und zur Stärkung des
Eigenkapitals Rekapitalisierungsmaßnahmen von bis zu
80 Milliarden Euro zum Gegenstand hat. Dieser Fonds
ermöglicht auch heute schon den Ankauf risikobehafteter Wertpapiere, sofern sie vor dem 13. Oktober letzten
Jahres angeschafft wurden.Wir haben damit ein grundsätzlich wirksames Instrumentarium geschaffen, um das
Vertrauen in die Finanzmärkte zurückzugewinnen und
den Handel zu beleben.
Die aktuellen Zahlen zeigen allen Unkenrufen zum
Trotz, dass dieser Rettungsschirm angenommen wird.
Garantien in einer Höhe von mehr als 100 Milliarden
Euro und Rekapitalisierungen in einer Höhe von knapp
20 Milliarden Euro - addiert man alles - sprechen eine
deutliche Sprache. Ich sage an dieser Stelle auch: Es
könnte noch mehr sein, wenn die Banken verantwortungsbewusster ihre Chance nutzen und sich dem
SoFFin zuwenden würden.
Unabhängig von allen spekulativen in der Tagespresse geführten Diskussionen - man kann natürlich alles Mögliche andenken; man kann zurück in die 90erJahre nach Schweden schauen, man kann nach England
blicken
({1})
oder dritte, vierte und fünfte Lösungen erwägen - dürfen
wir eines nicht aus den Augen verlieren - das ist auch
Sinn und Zweck der heutigen Aktuellen Stunde -: Der
Steuerzahler darf nicht der Leidtragende sein.
({2})
Vor diesem Hintergrund ist eines klar: Die Suppe, die
sich die Banken durch ihre verantwortungslosen Finanzzockereien eingebrockt haben, müssen sie selber auslöffeln, und zwar aktiv und intensiv. Anders gesagt: Wer
den Staat nach eigenem Versagen als Müllschlucker in
Anspruch nehmen will, darf nicht auch noch Müllgebühren verlangen; nein, er muss sie zahlen. Wie auf jeder
anständigen Müllhalde muss derjenige, der den Müll
produziert hat, ihn entsorgen, und zwar von A bis Z.
({3})
Allen Forderungen nach Gründung einer sogenannten
Bad Bank bzw. schlechten Bank, bei der die faulen Kredite der Privatbanken auf Kosten der Steuerzahler abgeladen werden können, erteilen wir eine klare und deutliche Absage.
({4})
Mit uns wird es eine solche Lösung nicht geben. Egal,
welche Summe dem deutschen Steuerzahler zugemutet
werden soll, ob es, wie in der Tagespresse spekuliert
wurde, um 200 oder 300 Milliarden Euro geht, eines ist
klar: Es handelt sich um ein Fass ohne Boden, welches
niemandem zuzumuten ist. Ich empfinde es als Zumutung, dem Steuerzahler nun zu sagen, er solle das Risiko
der Banken übernehmen, die sich selbst ins Aus geschossen haben.
Unser Ziel ist es - dabei bleibe ich -, alle betroffenen
Institute unter den Rettungsschirm zu bekommen.
({5})
Sie sollen die Möglichkeiten - Kollege Dautzenberg hat
es ausgeführt - der Garantie, der Rekapitalisierung und
der Risikoübernahme ausschöpfen und nicht schon im
Vorfeld, bevor sie die Reize des SoFFin entdeckt und
ausprobiert haben, nach neuen, zusätzlichen Finanzierungsmethoden schreien. Der Staat muss den schlechten
Finanzjongleuren klarmachen, dass er lediglich eine unterstützende Funktion hat. Die Banken dürfen nicht darauf hoffen, ihre nutzlosen Wertpapiere einfach so auf
die Steuerzahler und den Staat abwälzen zu können.
Im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise - ich
komme zum Titel der Aktuellen Stunde zurück - müssen
wir noch viele Diskussionen führen; aber eines sollte uns
klar sein: Die Banken sind nicht die Opfer der Finanzmarktkrise, sondern auf der Mitverursacherseite zu suchen. Dementsprechend müssen sie zuallererst selbst
Konsequenzen ziehen und die Fehler bei sich suchen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, die aktuelle Situation eignet sich nicht für
eine Diskussion darüber, ob der Staat ein guter oder ein
schlechter Banker ist, ob man jetzt das Jahr der Staatswirtschaft ausrufen oder von Verstaatlichung träumen
sollte. Die Frage, um die es geht, ist doch eine ganz andere.
({0})
Der Staat ist gezwungen, in der Krise die Verantwortung
zu übernehmen, weil es nicht anders geht. Jetzt müssen
wir - das ist die politische Verantwortung dieses Hauses dafür sorgen, dass das so geschieht, dass die Bürgerinnen und Bürger so wenig wie möglich belastet werden.
({1})
Herr Dautzenberg, wenn das so ist, dann sprechen die
Fakten - das muss ich leider sagen - gegen das Handeln
dieser Bundesregierung. Sie haben es zwar clever versteckt: Am 23. Dezember, als alle Leute ihre Weihnachtseinkäufe gemacht haben, sind die neuen Zahlen und Informationen präsentiert worden.
({2})
Aber das Faktum, dass die Europäische Kommission bei
den Konditionen der Bundesregierung zur Rettung einer
Bank nachschrauben musste - sie hat gesagt, die Konditionen für die Banken seien zu günstig - und damit uns
Deutsche vor der Großzügigkeit der Bundesregierung
geschützt hat, muss man sich schon noch einmal genauer
anschauen.
({3})
Das spricht eindeutig gegen das Handeln dieser Bundesregierung. Da helfen die schönen Sprüche von Müllgebühren überhaupt nicht. Sie haben hier eine schlechte
Politik der Sanierung gemacht.
Das erkennt man auch, wenn man sich die aktuellen
Zustände anschaut. Im Oktober war von einem Plan B
die Rede. Nachdem die Einzelaktionen - Hypo Real Estate, IKB - nicht fruchteten, gab es den Plan B; „B“ wie
„Bankenrettung“. Inzwischen sind wir bei einem Plan C;
„C“ wie „Chaos“. Man muss sich einmal klarmachen: In
kurzer Zeit haben zwei von drei Mitgliedern des Leitungsausschusses beim Finanzmarktstabilisierungsfonds
die Arbeit niedergelegt. Ein Mitglied des Leitungsausschusses ist von der Bundesregierung woandershin versetzt worden. Was ist das anderes als Chaos? Das Ziel,
den Interbankenmarkt zu stabilisieren, ist nach Monaten
nicht erreicht. Statt einem Eingeständnis und einer wirklichen Korrektur erleben wir schleichend eine Strategieveränderung, was das Handeln der Bundesregierung angeht.
Ich möchte auch die Länderebene berücksichtigen.
Die Ministerpräsidenten, insbesondere die der Union,
meinen immer noch, man müsse jetzt kurzfristige Standortpolitik in den einzelnen Regionen machen, statt sinnvoll an einer Bankenrettung mitzuarbeiten. Was da passiert, ist wirklich unverantwortlich.
({4})
Wir brauchen dreierlei:
Das Erste ist eine klare Aufklärung darüber, wie es zu
den einzelnen Problemen kommt. Ich wiederhole, was
ich schon im Mai gesagt habe: Warum kann die Schweizer Bankenaufsicht bei der UBS für eine klare Aufklärung sorgen, und warum rettet die Bundesregierung eine
Bank nach der anderen, ohne wirklich um Aufklärung zu
bitten und die Fakten ans Licht zu bringen? Ich finde,
das ist dringend notwendig.
({5})
Der zweite Punkt. Es braucht klare Strukturen der
Verantwortlichkeit. Es muss geklärt werden, ob die
Hauptverantwortung für die Bankenrettung im Bundesministerium der Finanzen und in den einzelnen Landesregierungen liegt, die da reinfunken, oder ob wirklich
der Leitungsausschuss beim SoFFin mit der Rettung
nach klaren Vorgaben beauftragt ist. Das müssen Sie klären. Wir brauchen dazu eine klare und effektive parlamentarische Kontrolle. Bei diesem Geheimgremium ist
das leider nicht möglich. Auch da muss man dringend
noch nachsteuern. Ohne eine gute parlamentarische
Kontrolle wird es nicht gehen, wenn wir über solche
Summen reden.
({6})
Das Dritte ist eine klare Strategie. Dabei geht es um
die Frage: Wie reagiert man auf das Scheitern der bisherigen Vorgehensweise? Wir können misstrauisch sein,
wenn die Einrichtung einer Bad Bank jetzt vehement bestritten wird. Wir haben im bisherigen Verlauf der Krise
eines gelernt: Immer dann, wenn der Bundesfinanzminister hier besonders selbstbewusst sagt, etwas werde nicht
kommen, wird es auf jeden Fall kommen.
({7})
Er hat gesagt: Das ist ein US-amerikanisches Problem. Natürlich ist es auch ein deutsches Problem geworden.
Er hat gesagt: Es wird keine Rezession in diesem Ausmaß geben. - Natürlich sind wir mitten in einer solchen
Rezession. Er hat gesagt: Es wird keine Steuersenkungen geben. - Natürlich gibt es Steuersenkungen. Jetzt
sagt er: Es wird keine Bad Bank geben. - Das macht mir
große Sorge.
({8})
Für meine Fraktion kann ich sagen: Wir sind eindeutig gegen eine zentrale Sammelstelle, in die alle Probleme gleichzeitig hineingestopft werden. Wenn man
sich die Probleme schon mit dem jetzigen Volumen anschaut, wird klar: Eine solche riesige Bad Bank ist sehr
gefährlich und wird administrativ und bei der Bewertung
der Wertpapiere zu großen Schwierigkeiten führen.
Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass „Bad Bank“
nicht heißen muss, dass man alles in einem Riesentopf
macht. Es gibt da sehr unterschiedliche Strukturen mit
einer Verlagerung von Verantwortlichkeiten und Verlustrisiken. Deswegen bin ich dafür, dass wir sachlich darüber diskutieren, und zwar auch in diesem Hause.
({9})
- Doch, wir müssen auch über die Verantwortlichkeiten
reden.
({10})
Bei dem Chaos zwischen Bundesregierung und SoFFin
ist genau das zu klären. Ich würde mir wünschen, dass es
dazu in den nächsten Sitzungswochen konstruktive Vorschläge gibt. In dem Zusammenhang würde mich auch
ein Vorschlag der FDP interessieren; denn es geht nicht
an, dass man in dieser Situation nur kritisiert.
Danke schön.
({11})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Jochen-Konrad Fromme.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Finanzkrise ist ein sehr ernstes Problem, und wir
nehmen die Sorgen und Nöte der Menschen sehr ernst.
Aber die Urheber dieser Aktuellen Stunde führen offensichtlich etwas ganz anderes im Schilde. Sie wollen unser marktwirtschaftliches System verunglimpfen, weil
sie für eine andere Gesellschaftsordnung sind.
({0})
Dazu kann ich nur sagen: Es geht nicht um ein Versagen der Marktwirtschaft. Das System, das Sie so verunglimpfen, war immerhin so stark, dass es den Wiederaufbau von fünf Ländern finanzieren konnte, die Sie bzw.
Ihre Vorgänger verhunzt haben.
({1})
Herr Kollege Maurer, Sie haben sich hier beschwert,
dass Sie nicht informiert seien. Ich rate Ihnen, sich einmal mit Ihren Kollegen aus dem Haushaltsausschuss,
aus dem Finanzmarktgremium und aus dem Kreditgremium zu unterhalten; denn in den entsprechenden Vorlagen war exakt eine Information zur Commerzbank, die
Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben.
({2})
Herr Kollege Schick, Sie haben gesagt, die EU habe
unsere Konditionen nach oben korrigiert, weil wir zu
großzügig gewesen seien. Ohne Betriebsgeheimnisse zu
verraten, könnte ich sagen, dass vielleicht genau das Gegenteil der Fall gewesen ist. Deswegen sollten auch Sie
sich einmal richtig informieren.
Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch in
unserer Marktwirtschaft nicht alles so gelaufen, wie wir
uns das vorgestellt haben. In jedem System gibt es natürlich Dinge, die aus dem Ruder laufen und fehlerhaft
sind. Das war unter anderem die Ursache für die Finanzmarktkrise. Deswegen müssen wir genau da gezielt, aber
auch systemgerecht ansetzen.
({3})
Der Vorwurf, wir machten eine Politik der ruhigen
Hand, der manchmal erhoben wird, geht am Kern vorbei. Vielmehr ist jetzt eine Politik des kühlen Kopfes nötig. Wir haben ein Konzept entwickelt, das aus zwei
Schritten besteht, während andere Länder
({4})
in Hektik jeden Tag nachbessern oder etwas Neues machen müssen, weil sie nicht genug nachgedacht haben.
Deswegen sage ich: Die soziale Marktwirtschaft hat sich
bewährt. Natürlich haben in der Vergangenheit manche
Bürokratieabbau mit Regellosigkeit verwechselt.
({5})
Das ist natürlich nicht in Ordnung; denn auch eine soziale Marktwirtschaft braucht Spielregeln.
Kollege Maurer, Sie sagten, wir täten nichts für die
Realwirtschaft, sondern nur etwas für die Finanzwirtschaft. Dazu will ich Ihnen zwei Dinge sagen: Erstens
haben Sie offensichtlich das zweite Maßnahmenpaket
nicht gelesen.
({6})
Zweitens scheint Ihnen der Unterschied zwischen der
Funktion von Banken und Produktionsbetrieben überhaupt nicht klar zu sein. Kapital ist wie das Öl im Getriebe. Es ist nötig, damit eine Wirtschaft überhaupt erst
laufen kann. Ich will Ihnen das einmal am Beispiel eines
Dachdeckers deutlich machen.
Damit ein Dachdeckermeister den Auftrag, ein Dach
zu decken, ausführen kann, muss er Material einkaufen
und Löhne bezahlen. Wenn die Arbeit abgeschlossen ist,
schreibt er eine Rechnung und bekommt das Geld.
({7})
Wenn er das nötige Eigenkapital nicht hat, muss er zur
Bank gehen, um Material und Löhne vorzufinanzieren.
Das alles ist nötig, damit Arbeitsplätze überhaupt erst
entstehen können. Dem Geldwesen kommt hierbei also
eine zentrale Funktion zu. Es hat sozusagen eine vorgelagerte Funktion. Es gibt dabei aber eigentlich keine
deutliche Trennung.
Wir haben doch den Schutzschirm nicht gemacht, um
die Banken zu schützen,
({8})
also sozusagen um das Kapital zu stützen, sondern wir
haben ihn gemacht, um die Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes zu sichern. Damit helfen wir genau dem
Dachdecker
({9})
und vor allen Dingen dem Gesellen des Dachdeckers
- nur so hat er nämlich Arbeit - und all denjenigen, die
um ihr Sparguthaben fürchten müssten, wenn das Bankensystem einkrachte. Dafür haben wir das gemacht.
Genau das sind die Ziele dieses Gesetzes.
({10})
Weil Sie von der Linken es nicht begreifen wollen,
werden Sie es auch nicht begreifen.
({11})
Auch Sie haben doch alles falsch gemacht.
Meine Damen und Herren, natürlich ist bei der Verbriefung von Forderungen das Regelsystem, das für
Banken bestand, aus dem Ruder gelaufen. Banken sind
ja theoretisch in der Lage, Geld zu schöpfen, sofern es
um Buchgeld geht. Deswegen ist hier eine Eigenkapitalunterlegung zwingend erforderlich, damit nicht eine
25 000-Euro-GmbH Geschäfte in Milliardenhöhe machen kann. Die Gründung von Zweckgesellschaften hat
nun dazu geführt, dass genau dieses System unterlaufen
wurde.
({12})
Deswegen müssen wir hier mit unseren Korrekturen ansetzen.
({13})
In der Zwischenzeit müssen wir das System aber erst
einmal stabilisieren, damit es nicht einkracht und die Arbeitsplätze nicht verloren gehen. Genau das ist unser
Ziel. Wir wollen Arbeitsplätze schützen, und wir wollen
die Sparguthaben der Menschen schützen. Das ist uns
gelungen. Die Menschen in Deutschland sind nicht in
Panik verfallen. Die Wirtschaft funktioniert weiterhin.
Dass man alles besser und schöner machen kann, ist
gar keine Frage. Von daher sind wir natürlich lernfähig.
Man kann nicht alles vorhersehen. Deswegen werden
wir möglicherweise auch nachsteuern müssen. Warten
Sie aber bitte erst einmal ab, ob das, was wir jetzt auf
den Weg gebracht haben, auch wirklich greift und funktioniert. Dann können Sie gerne mit Ihrer Kritik kommen und anhand der einzelnen Funktionen sagen: Dieses
oder jenes hätten wir anders gemacht; diese Alternative
wäre besser gewesen. - Sie aber meckern und verunglimpfen nur. Da können wir Ihnen nicht folgen.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der Bankenschirm ist eine teure Fehlkonstruktion. Der gestern angekündigte Rücktritt des SoFFinChefs war nur ein Symptom dafür.
Während Herr Dautzenberg uns auffordert, Ruhe zu
bewahren,
({0})
lesen wir heute, dass die Bundesregierung bis Mitte Februar 2009 einen zweiten Bankenrettungsplan vorlegen
will. Das ist blinder Aktionismus.
({1})
Was passiert in der Realität? Die Bankenvorstände
tanzen der Kanzlerin und dem Finanzminister weiter auf
der Nase herum. Jeden Tag tauchen neue faule Kredite
auf. Jeden Tag werden die Steuerzahler mit neuen Hiobsbotschaften geschockt.
Was passiert dann? Die Bürgerinnen und Bürger sollen ihr Geld für Ackermann & Co. auf den Tisch legen,
um den Banken aus der Patsche zu helfen. Das ist eine
unglaubliche Zumutung für alle Menschen, die ihr Geld
mit ehrlicher Arbeit verdienen.
({2})
Meine Damen und Herren, niemand weiß, wie viele
Zeitbomben noch in den Tresoren deutscher Banken ticken. Niemand weiß, wann diese Zeitbomben in die Luft
gehen. Wir als Bundestag müssen endlich Beschlüsse
fassen, damit das Katz-und-Maus-Spiel der Bankenmanager beendet wird.
({3})
Mit der Kuschelpädagogik der Kanzlerin und des Finanzministers mit den Bankenvorständen muss jetzt
Schluss sein.
({4})
Das Umfrageinstitut Emnid hat im Januar dieses Jahres Folgendes herausgefunden: 76 Prozent der in einer
repräsentativen Umfrage Befragten sind der Auffassung,
dass Gesetze verabschiedet werden sollten, die den Banken Spekulationen wie in den letzten Jahren verbieten.
Genau diese Gesetze hat weder die SPD noch die
CDU noch die Bundesregierung bisher in den Bundestag
eingebracht. Das ist nicht hinnehmbar. So etwas ist grob
fahrlässig.
({5})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie
sprechen viel über Vertrauen. Schauen Sie sich die Umfrageergebnisse an! 65 Prozent der Befragten sagen, die
Absicherung notleidender Banken werde dazu führen,
dass die Gewinne bei den Banken bleiben und die Steuerzahler die Verluste tragen müssen. So haben sie das
nämlich oft genug erfahren. In dieser Art und Weise darf
nicht weiter gehandelt werden.
Das Schlimmste ist, dass die Regierung keinen Plan
hat, wie die Steuergelder der Bürger, die jetzt den Banken zugutekommen, wieder zurückfließen sollen. Das ist
ebenfalls nicht hinnehmbar.
({6})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein letztes
Beispiel aus dieser Umfrage nennen. 71 Prozent der Befragten fordern, dass bei staatlichen Bankenbeteiligungen auch die Mitbestimmung des Staates bei wichtigen
Entscheidungen garantiert sein muss. Das ist etwas anderes als Staatswirtschaft - dies einmal an die Adresse
der FDP.
({7})
Die Regierung nimmt die Mitbestimmung aber nicht
wahr. Sie steckt Milliarden in die Commerzbank, hält
sich aber vornehm aus der Geschäftspolitik der Bank
heraus.
Diese Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass die
Regierung eben nicht die Interessen der Mehrheit der
Bürger in unserem Land vertritt, sondern immer mehr
als Lobbyistin der Banken in Erscheinung tritt. Das ist
nicht die Aufgabe einer Bundesregierung.
({8})
Die Mehrheit der Menschen will endlich ein Ende
dieser Kuschelpädagogik. Sie wollen klare, strenge Regeln im Umgang mit den Banken. Die Banken müssen
jetzt an die Kandare genommen werden. Um überhaupt
sinnvolle Rettungspläne entwickeln zu können, deren
Haltbarkeit die eines Fruchtzwerge-Joghurts übersteigen, müssen wir wissen, welche faulen Kredite noch in
den Banken liegen.
Die Karten müssen endlich auf den Tisch gelegt werden. Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages
und damit die deutsche Öffentlichkeit haben ein Recht,
zu erfahren, welche faulen Kredite noch in den Banktresoren liegen.
({9})
Darum fordern wir die Bundesregierung auf, den Bundestag endlich ausführlich über die Gesamtheit dieser
faulen Kredite zu informieren.
({10})
Meine Damen und Herren, heute Morgen hat unsere
Fraktion die Vorschläge des Altkanzlers Helmut Schmidt
zur Regulierung der Finanzmärkte in den Deutschen
Bundestag eingebracht. Fatalerweise hat auch die SPD
gegen die Vorschläge ihres eigenen Parteifreundes gestimmt.
({11})
Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen: Die Bundesregierung darf nicht weiter blind den Bankenlobbyisten hinterhertraben. Haben Sie Mut! Greifen Sie, wenn schon
nicht unsere Vorschläge, dann die Vorschläge von
Helmut Schmidt auf! Jeder Tag, an dem Sie sich von den
Bankenvorständen weiter auf der Nase herumtanzen lassen, ist ein sehr teurer Tag für die Bürgerinnen und Bürger.
Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Bürgerinnen und Bürger, die in unserem Land die Werte erarbeiten und mit ihrer Hände Arbeit das Geld verdienen,
diese Zeche bezahlen müssen. Das muss ein Ende haben.
({12})
Das Wort hat der Kollege Ortwin Runde für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lötzsch, Sie machen es sich ein bisschen zu leicht.
({0})
Wenn man davon ausgeht, dass der Schlüssel zur Bewältigung der riesigen Krisen, vor denen wir stehen, in absehbarer Zukunft die Lösung der Finanzmarktkrise ist - wir
haben darüber heute Morgen im Rahmen einer anderen
Debatte gesprochen -, dann wird die Größenordnung der
Aufgabe deutlicher. Jeder, der sich ansieht, was gegenwärtig auf den Finanzmärkten los ist, der weiß, wie
schwierig diese Krise zu lösen sein wird. Wer sagt, es sei
eine Frage einer anderen Pädagogik gegenüber einigen
deutschen Bankern, der übersieht die Schwierigkeiten, in
denen die Banken in den Vereinigten Staaten,
({1})
die Banken in Großbritannien sowie die Schweizer Banken und Banken anderer Länder stecken. Machen all
diese Länder eine Kuschelpädagogik? Ihr Ansatz, Frau
Lötzsch, ist nicht zielführend, und Ihre Analyse ist nicht
hinreichend tiefgehend. Sie versuchen eher, ein kleines
Süppchen zu kochen.
In diesen Tagen, in denen wir all diese Negativbotschaften aus dem Bankenbereich und aus dem Finanzsektor erhalten, wird deutlich, wie wichtig es war, dass
die Kanzlerin und der Finanzminister eine Garantieerklärung gegenüber der Bevölkerung, was die Geldeinlagen angeht, abgegeben haben.
({2})
Wir werden diese Probleme nur lösen können, wenn
die Bevölkerung unseren Maßnahmen zustimmt. Dass
ein Einsatz von 400 Milliarden Euro plus 80 Milliarden
Euro, also ein Paket von insgesamt fast 500 Milliarden
Euro, gegenüber der Bevölkerung erklärungsbedürftig
ist, ist richtig. Unsere Aufgabe sollte aber sein, dieses
Paket zu erklären. Es kommt darauf an, deutlich zu machen, wie wichtig es ist, das Finanzmarktsystem wieder
funktionsfähig zu machen. Zu überprüfen, mit welchen
Instrumenten wir dies erreichen können, ist die Aufgabe
des Parlaments und Ziel der parlamentarischen Debatten.
({3})
Keiner kann sagen, wie die Entwicklung in der nächsten Zeit abläuft, Herr Toncar. Nach dem Bericht der Bundesbank funktioniert die Kreditvergabe weitgehend - bis
auf die Großkredite mit einem Volumen von über
50 Millionen Euro. Das ist der gegenwärtige Stand. Wie
sich das aber in der nächsten Zeit entwickeln wird, ist
eine ganz andere Frage.
Mich stimmt natürlich nachdenklich - ich habe da
große Bedenken -, dass die Leitzinssenkung nicht bei
den Unternehmen ankommt. Ich meine damit nicht nur
die Konditionen, sondern die Kreditvergabe überhaupt.
Es stimmt mich nachdenklich, dass unser geldpolitisches
Instrumentarium, mit einer Leitzinssenkung der Zentralbanken Konjunkturpolitik machen zu können, droht, zerstört zu werden. In Amerika, wo es einen Leitzinssatz
von 0 Prozent gibt, kann die Fed die Prozesse nicht mehr
steuern. Es kommt jetzt darauf an, zu schauen, wie man
das Bankensystem wieder so funktionsfähig machen
kann, dass es Vertrauen im Interbankengeschäft gibt und
dass die Kreditgeberfunktion der Banken wieder funktioniert.
Wir werden natürlich darüber diskutieren müssen, ob
das Instrumentarium, das wir entwickelt haben, flexibel
genug ist. Bisher ist es mir nicht möglich, darüber zu urteilen. Es ist nicht leicht, zu bewerten, ob durch die Vergabe von 18 Milliarden Euro - das Paket hat ein Volumen
von insgesamt 80 Milliarden Euro - die angestrebte Wirkung hinsichtlich der Rekapitalisierung und der Eigenkapitalverstärkung der Banken erzielt wird, ob das das
richtige Instrument ist. Das Gleiche gilt für die Garantien. Hier werden 107 Milliarden Euro von insgesamt
400 Milliarden Euro, die als Garantierahmen vorgesehen
sind, aufgewendet.
Natürlich werden wir schauen, welche Erfahrungen
man in anderen Ländern mit bestimmten Instrumentarien
sammelt. Wir haben festgestellt, dass ein Ankauf von
faulen Krediten in den USA bisher nicht stattgefunden
hat, obwohl das dort ursprünglich als eine Hauptstrategie
bezeichnet wurde. Das muss einen ein Stück weit nachdenklich stimmen, wenn es um das Stichwort „Bad
Bank“ geht. Herr Schick, natürlich haben Sie völlig
recht, wenn Sie sagen, dass es auch kleine Bad Banks
gibt, in die einzelne Unternehmen ihre faulen Kredite
auslagern, wobei sie die Verantwortung behalten.
({4})
Gegen eine große Bad Bank, die bedeuten würde, dass
der Steuerzahler alle Risiken übernimmt, sind wir auf jeden Fall. Das wäre keine Lösung, sondern würde uns tiefer in die Krise hineinführen.
Schönen Dank.
({5})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Albert
Rupprecht das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Durch die schnelle Verabschiedung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes am 17. Oktober haben wir in der Tat
Schaden vom deutschen Volke abgewandt.
({0})
Frau Lötzsch, dazu haben alle Fraktionen, auch die
Linke, beigetragen. Durch den Bankenrettungsschirm
haben wir verhindert, dass das Zahlungswesen in sich
zusammengebrochen ist. Durch den SoFFin haben wir
seit Dezember zudem erreicht, dass systemrelevante
Banken wesentlich stabilisiert wurden.
({1})
Natürlich sind die Dauerfragen seither: Wann haben
wir das Tal der Tränen durchschritten? Und: Reichen die
Instrumente des Rettungsschirms aus? Anlass der heutigen Aktuellen Stunde sind Pressemeldungen über toxische Wertpapiere mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro in den großen Banken. Diese Zahl ist dramatisch und zeigt, dass wir das Tal der Tränen noch nicht
durchschritten haben. Nicht wenige Fachleute erwarten,
dass es erst im zweiten Halbjahr 2009 zur Bodenbildung
kommt.
Wichtig ist dennoch, dass wir die Zahlen richtig verstehen und richtig interpretieren. Die Linken zeichnen
hier ein Bild, das falsch ist. Ihr Bild ist: Zocker in Banken verheimlichen seit Monaten die Wahrheit und wollen den Steuerzahlern wertlose Schrottprodukte unterjuAlbert Rupprecht ({2})
beln. Dieses Bild ist falsch, und deshalb sind auch die
Schlussfolgerungen der Linken falsch. Die Wirklichkeit
sieht anders aus: Die Krise führt neuerdings auch bei
Produkten, die vor sechs Monaten noch absolut werthaltig waren, zu Abschreibungsbedarf. So gibt es neuerdings auch Wertberichtigungsbedarf bei europäischen
Staatsanleihen, obwohl dies im Kern grundsolide Produkte sind. Es ist nicht so, dass der Verlust dauerhaft
sein muss. Im Gegenteil: Man kann heute davon ausgehen, dass der Wert bei einem erheblichen Teil der Produkte am Ende der Laufzeit bei 100 Prozent liegen wird. So viel zu den aktuellen Zahlen und deren Bewertung.
Die Frage ist nun, ob der 480-Milliarden-Euro-Rettungsschirm richtig aufgestellt ist, um die nächsten Monate zu meistern. Ich glaube, dass der Dreiklang aus Garantien, Kapital und Herausnehmen toxischer Produkte
sehr vernünftig und richtig ist. Die ausgereichten Garantien von 107 Milliarden Euro wirken sehr stabilisierend,
und auch die Möglichkeit, Eigenkapital zur Verfügung
zu stellen, stabilisiert.
({3})
Beim dritten Element werden Änderungen diskutiert.
Die Möglichkeit, toxische Produkte herauszunehmen, ist
im Gesetz angelegt, funktioniert in der Praxis bis dato
aber nicht. Die Dreijahresfrist ist zu kurz. Die Wirtschaftsprüfer sagen: Wegen der kurzen Zeit müssen die
Produkte in der Bilanz bleiben und belasten somit weiter
das Eigenkapital. Deswegen müssen wir das Gesetz
technisch nachbessern.
({4})
Im Übrigen ist das nichts anderes als eine Art Bad
Bank. Wertberechtigte Produkte werden aus der Bank
herausgenommen und einer Auffanglösung zugeführt,
damit die Bank stabilisiert wird. Das haben wir als Gesetzgeber so vorgesehen. Eine derartige Auffangbank,
Besserungsbank oder wie auch immer Sie es nennen
wollen,
({5})
gibt es bei den Landesbanken seit Monaten.
({6})
Um es klarzustellen: Es wird mit uns keine Lösung geben, bei der der Schrott aus den Banken ausgelagert
wird, die Steuerzahler letztendlich die Zeche zahlen und
die Banken sich aus der Verantwortung ziehen.
({7})
Ganz im Gegenteil: Bei jeder Lösung, für die wir uns
entscheiden, sollen die Alteigentümer am Ende für die
verbleibenden Defizite haften.
({8})
Wir werden in den nächsten Wochen über weitere
Punkte nachdenken, beispielsweise über die Frage: Wie
schaffen wir es, den Interbankenmarkt zu reaktivieren?
Ist dies untergesetzlich möglich? Wird sich das Problem
von alleine lösen, oder braucht es gesetzliche Maßnahmen? Darüber werden wir diskutieren. Am heutigen Tag
ist, glaube ich, noch niemand imstande, hierzu abschließend Position zu beziehen. Die Bundesländer drängen
auf Verbesserungen zur Stabilisierung ihrer Landesbanken und auf eine Behandlung, die der von Privatbanken
und anderen Instituten entspricht.
Der SoFFin war in den vergangenen Wochen ein Segen für unser Land. Dennoch lernen wir täglich hinzu.
Lassen Sie mich zum Abschluss meinen höchsten Respekt vor der Leistung der Akteure beim SoFFin ausdrücken. In kürzester Zeit mussten neue Strukturen aufgebaut werden. Natürlich müssen wir über mögliche
Verbesserungen bei der Organisation des SoFFin reden.
Genügend Mitarbeiter und klare Zuständigkeiten sind
zwingend, um diese Mammutaufgabe zu meistern. Ich
danke an dieser Stelle insbesondere und ausdrücklich
dem bisherigen Vorsitzenden des Leitungsausschusses,
Herrn Merl, für sein Wirken in den vergangenen Wochen
ganz herzlich.
Herzlichen Dank.
({9})
Die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette
Kressl hat nun das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Lassen Sie mich aufgrund des Verlaufs der Debatte zuerst eine grundsätzliche Klarstellung machen. Dieses
Parlament hat mit sehr großer Mehrheit entschieden, ein
Rettungspaket für den Finanzmarkt auf den Weg zu bringen. Dies wurde nicht gemacht, um Bankvorstände oder
einzelne Manager zu retten. Das wird zum Beispiel dadurch deutlich, dass wir entschieden haben, dass es bei
der Inanspruchnahme von Hilfen zur Stärkung der Eigenkapitalbasis Einschränkungen bei der Gestaltung der
Dividenden und der Vergütung der Vorstände gibt. Das
macht das eigentliche Ziel deutlich. Im Übrigen dürfen
diese Einschränkungen im Hinblick auf die Gehaltszahlungen und die Dividenden meiner Ansicht nach nicht
infrage gestellt werden. Ich kann die Debatten darüber
im Bankenbereich und in der Wirtschaft nicht verstehen.
Ich akzeptiere sie auch nicht.
Eines muss deutlich sein: Die Frage, ob die Versorgung mit Geld und mit Krediten funktioniert, trifft natürlich die Handwerker. Ich frage mich nach dieser Debatte
hier ernsthaft: Haben Sie eigentlich noch nicht mit
Handwerkern gesprochen? Seit Jahren erzählen sie, wie
wichtig es für sie ist, günstige Kredite zu bekommen.
Dies ist der Hintergrund dafür, dass wir gesagt haben:
Wir müssen den Finanzmarkt stabilisieren. Ich habe den
Eindruck: Wer dies anders sieht, hat noch nie mit Handwerkern gesprochen
({0})
und weiß nicht, was ihnen am Herzen liegt.
({1})
Daraus, dass diese Verbindungen nicht erkannt werden,
kann ich nur schließen, dass hier entweder absichtlich
eine andere Zielsetzung unterstellt wird oder dass die
Zusammenhänge nicht verstanden werden. Beides ist
nicht akzeptabel, um eine sachliche Debatte zu führen.
({2})
Es ist selbstverständlich, dass wir hier über die Konsequenzen der Finanzmarktkrise intensiv debattieren und
dass aufgrund der sich ständig verändernden Situation
immer wieder neu darüber diskutiert werden muss. Ich
will auf das Problem, das heute Thema der Aktuellen
Stunde ist - das war es bisher eigentlich nicht; es geht
um die Frage des sich verändernden Abschreibungsbedarfs; Herr Rupprecht hat es beschrieben -, zu sprechen
kommen. Dies muss ein Thema bleiben. Eines ist klar:
Um eine Lösung für diese Probleme zu finden, muss mit
einer soliden Sachaufklärung begonnen werden. Solide
Sachaufklärung heißt, dass wir uns die Wertpapiersituation anschauen. Es ist richtig, dass mit steigenden Ausfällen vor allem bei den gewerblichen Immobilienkrediten und den Firmenkundenkrediten gerechnet werden
muss.
({3})
Für diese Assets in den Bankenbilanzen stehen auf
dem Markt im Moment so gut wie keine Käufer bereit.
Leistungsgestörte oder faule Kredite binden bei den
Banken aber in hohem Maße Eigenkapital. Hinzu kommen andere risikobehaftete Aktiva wie zum Beispiel
ABS, die die Bankenbilanzen belasten. Es liegen allerdings noch keine endgültigen und absolut belastbaren
Analysen des Umfangs toxischer Assets vor.
Bei einem Blick in die Tagespresse - dieser sollte die
endgültige und belastbare Analyse, von der ich gerade
sprach, nicht unbedingt ersetzen - stellt man fest: Die
Schätzungen hinsichtlich des Volumens fauler Positionen reichen von einem unteren dreistelligen Milliardenbetrag bis zu 1 Billion Euro. Die Bundesbank geht davon aus, dass alle Banken zusammen über strukturierte
Produkte mit einem Nominalwert von circa 281 Milliarden Euro verfügen; ich glaube, das ist ein Wert, an
dem man sich durchaus orientieren kann. Die BaFin veranschlagt übrigens einen Betrag von 246 Milliarden
Euro.
So belastbar bzw. so wenig belastbar diese Zahlen
auch sind - im Zweifel sind sie auch schnell veränderlich; darüber haben wir gerade gesprochen -: Dieses
Problem stand bereits bei den Beratungen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes im Mittelpunkt. Deshalb
haben wir bereits im Rahmen dieses Gesetzes ein Instrument geschaffen, das die - ich sage dies ausdrücklich unbefristete Übernahme solcher Risikoaktiva durch den
SoFFin ermöglicht.
Ich will das deshalb betonen, weil in den letzten Tagen hin und wieder zu lesen war, dass es bei der Übernahme toxischer Papiere eine gesetzliche Befristung auf
36 Monate gebe. Was die Befristung angeht, so handelt
es sich um eine Befristung im Hinblick auf die Übernahme von Garantien. Für die Möglichkeit der Übernahme toxischer Papiere gibt es keine gesetzliche Befristung. Herr Krüger hat die Bedingungen vorhin
beschrieben: Es gibt einen Stichtag. Es ist also von Bedeutung, wann die entsprechenden Papiere gekauft wurden. Es ist aber nicht so, dass eine gesetzliche Befristung
auf 36 Monate gilt.
Selbstverständlich muss man analysieren, warum dieses Instrument nicht wie gewünscht in Anspruch genommen wird. Man muss allerdings auch deutlich machen:
Es kann nicht sein, dass dieses Instrument deshalb nicht
genutzt wird, weil dann die Bedingungen des SoFFin erfüllt werden müssen. Das Bestreben, den Steuerzahler zu
schützen, gebietet, dafür zu sorgen, dass dieses Instrument nicht deshalb nicht genutzt werden darf, weil dann
strengere Kriterien eingehalten werden müssen. Das Parlament muss Wert darauf legen, dass an dieser Stelle genau hingesehen wird.
({4})
Wenn trotz allem weitere oder erweiterte Instrumente
gefordert werden, so darf eines nicht vergessen werden ich habe das bereits erwähnt, möchte es aber noch einmal betonten; dies gilt auch für die Diskussion über eine
große nationale Bad Bank, die wir bereits begonnen haben -: Es darf nicht sein, dass diejenigen, die verantwortlich waren, nicht in die Haftung einbezogen werden.
({5})
Dieses Parlament muss dafür sorgen, dass der Steuerzahler so wenig wie möglich in Anspruch genommen wird.
Deshalb sagen wir eindeutig: Die Verursacher der Krise
werden auch weiterhin zur Verantwortung gezogen. Etwas anderes wird die Mehrheit dieses Parlaments nicht
entscheiden.
({6})
Weil heute über verschiedene Varianten spekuliert
wurde, will ich eindeutig feststellen: Ich glaube, es ist
nicht der beste Weg, in Form von Zeitungsüberschriften
fünf Varianten durchzudiskutieren und dadurch zur Verunsicherung beizutragen;
({7})
denn hier geht es nicht um die Frage der Transparenz.
Wir müssen nach dem Dreiklang vorgehen, den ich
gerade beschrieben habe. Wir brauchen eine gute Analyse und eine europäische und internationale Abstimmung. Diese Abstimmung spielt nicht nur in dieser
Frage eine Rolle, sondern vor allem auch dann - darüber
haben wir noch nicht gesprochen -, wenn es um die ProParl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
phylaxe geht, also um die Überwachung und die Erarbeitung strengerer Regeln für den Finanzmarkt. Auch diese
Bedingungen gehören für uns dazu. Natürlich können
wir auch gemeinsam überlegen, ob Veränderungen oder
Erweiterungen notwendig sind. Wir sollten allerdings
den von mir beschriebenen Dreiklang beachten.
({8})
Wenn die Bundesregierung zu einem Ergebnis gekommen ist, wird sie dem Parlament selbstverständlich
entsprechende Vorschläge vorlegen, mit dem Parlament
darüber diskutieren und, wie beim Finanzmarktstabilisierungsfonds, für die erforderliche Mehrheit werben.
({9})
Ich glaube, das ist ein sachgerechter Umgang mit dieser
Frage. Daran sollten wir uns alle halten.
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Otto
Bernhardt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befinden uns mitten in einer großen internationalen Finanzkrise, die in Deutschland im Sommer
2007 sichtbar wurde. Sie wurde sichtbar, als damals
zwei Kreditinstitute in eine Schieflage gerieten: die IKB
und die Sachsen LB. Durch eine konzertierte Aktion der
Bundesregierung, der Bundesbank, der BaFin und der
Bankenverbände konnten beide Institute gerettet werden.
Dann kam der 15. September 2008, jener Tag, an dem
eine der größten Banken der Welt, Lehman Brothers, in
die Insolvenz ging. Dies hat die ganze Finanzlandschaft
grundlegend verändert. Rückblickend war es ein ganz
entscheidender Fehler, diese Bank in die Insolvenz gehen zu lassen. Daraufhin wurde bei uns in Deutschland
klar, dass mit Einzelaktionen - ich sage: leider - nichts
mehr zu machen ist. Deshalb hatte sich die Große Koalition entschieden - auch die FDP hat mitgemacht -, einen
Bankenschirm einzusetzen.
Eines können wir heute feststellen: Das entscheidende Ziel war, sicherzustellen, dass keine Bank in
Deutschland in die Insolvenz geht. Dies haben wir bis
heute gewährleistet. Dies müssen wir auch in Zukunft sicherstellen. Damit hat der Schirm seine zentrale Aufgabe schon erfüllt.
({0})
Wenn ich sehe, dass inzwischen bei der SoFFin weit
über 100 Anfragen vorliegen, dass etwa 30 Prozent der
400-Milliarden-Euro-Garantien in Anspruch genommen
wurden, dass die ersten Eigenkapitalhilfen ausgezahlt
worden sind, dann kann ich nur sagen: Dafür, dass es ein
völlig neues Instrument ist, hat die SoFFin schon in den
ersten Monaten hervorragende Arbeit geleistet.
Sicher muss man jetzt die Frage stellen - diese werden wir uns ständig stellen -: Was muss verändert werden? Bei uns gibt es eine Diskussion darüber, aber noch
keine Entscheidung. Ich warne wie immer vor Schnellschüssen. Natürlich kann man über das Thema der Fristen diskutieren. Andere Länder in Europa haben Fristen
von vier oder fünf Jahren vorgesehen; die EU hat dies
akzeptiert. Aber wenn wir die Fristen zu lange ausdehnen, dann stellen wir eine Konkurrenz zu Pfandbriefen
und Unternehmensanleihen her
({1})
und machen diese Märkte automatisch kaputt. Wir sollten auch an die Zeit nach der Krise denken. Deshalb bin
ich persönlich und ist auch meine Fraktion in dieser
Frage sehr restriktiv. Ich bin allerdings nicht mehr in der
Situation, zu erklären: Das machen wir bestimmt nicht. Das habe ich einige Male in der Vergangenheit gesagt
und wurde dann durch die Fakten eingeholt. Aber bis
heute sehe ich diese Notwendigkeit nicht.
Der zweite Punkt, der diskutiert wird, ist die Frage:
Reichen die 33,3 Prozent, mit denen wir uns beteiligen?
Bei der Commerzbank sind wir mit 25 Prozent plus einer
Aktie beteiligt. Ich sage: Wenn man hier einen noch höheren Prozentsatz zulässt, dann sehe ich eine ganz große
Gefahr für die Aktienkultur in Deutschland. Wir sollten
davon ausgehen, dass wir auch nach der Krise eine gewisse Aktienkultur benötigen. Wir dürfen diesen Markt
nicht zerstören.
Das zentrale Thema in der Diskussion ist aber der
Umgang mit schlechten Papieren. Niemand kann heute
einem Papier ansehen, ob es schlecht ist oder nicht. Wir
tun so, als ob man bei der Bank auf einen Knopf drücken
müsste, um zu wissen, wie viele schlechte Papiere man
hat.
({2})
Das kann man eben nicht. Man kann nur zwei Fragen beantworten: Gibt es einen Markt für ein bestimmtes Papier? Wenn es keinen Markt gibt, dann gibt es dafür
überhaupt keinen Preis. Oder: Liegt der Preis deutlich
unter dem Nennwert? Falls ja, wissen Sie, wie viel Sie
abzuschreiben haben. Sie wissen aber nicht, wie viel Sie
in drei oder vier Jahren dafür bekommen.
({3})
Dies kann sich jeden Tag ändern. Wir sollten nicht den
Eindruck erwecken, als ob man genau feststellen kann,
was ein gutes und was ein schlechtes Papier ist und wie
schlecht ein Papier ist.
Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Natürlich sehen wir das Problem. Wir lassen uns durch diese Hunderte von Milliarden Euro jedoch nicht verunsichern.
Aber eines ist sicher: Wenn sich herausstellt, dass wir
neue Instrumente für die sogenannten schlechten Papiere
brauchen, dann wird die Große Koalition wie damals
nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Bank
handeln. Die Große Koalition hat gezeigt, dass sie auf
Herausforderungen, denen man sich stellen muss, mit
dem richtigen Instrumentarium antwortet. Dies werden
wir, falls sich neue Probleme ergeben, auch in den
nächsten Monaten tun.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Wenn Hans Eichel
und Peer Steinbrück mit ihren Vorschlägen in den letzten
zwei bis fünf Jahren international höhere Akzeptanz gefunden hätten - die Welt würde anders aussehen.
({0})
Ich erinnere daran, dass sich Peer Steinbrück dafür eingesetzt hat, dass sich auch die USA an Basel II halten.
Dann wären Zweckgesellschaftskonstruktionen, mit denen man, ohne entsprechende Eigenmittel zu haben,
Kredite international platziert, gar nicht möglich gewesen.
Was die Aufsichtsregeln, die Eigenkapitalbewertungen angeht, war unser Ziel immer, es viel näher am Handelsgesetzbuch zu halten, als dies international der Fall
war. Die Entwicklung hat gezeigt, dass es ein schwerer
Fehler war, davon abzuweichen. Die Transparenzrichtlinie, die Prospektrichtlinie - bei der es darum geht, dem
Bürger zu beschreiben, wie das Produkt, das er kauft, gestaltet ist -, all das haben unsere Finanzminister international zu platzieren versucht. Erst jetzt, nachträglich, erfahren unsere Minister, wie recht sie hatten. Nun
erfahren sie international Akzeptanz, wird erkannt, dass
mit ihren Vorschlägen viel Schlechtes hätte verhindert
werden können.
({1})
Wir haben eine große Krise. Aus dieser Krise folgt,
dass die Bürgerinnen und Bürger Angst haben. Ich
glaube - auch die Zwischenrufe deuten darauf hin -,
dass es ein Fehler ist, wenn die PDS/Linke mit dieser
Angst spielt. Die Sache ist nämlich zweischneidig: Auf
der einen Seite ist da die Sorge, dass wir mit den Steuermitteln nicht gut umgehen. Auf der anderen Seite ist da
die Angst, was passiert, wenn die Sparguthaben gefährdet sind, wenn die Kreditnehmer plötzlich Probleme
bekommen. Dann gäbe es Zwangsversteigerungen en
masse, es gäbe Geschäftsaufgaben, es gäbe Versorgungslücken, die Leute würden ihr Sparguthaben verlieren:
Wir hätten ein riesengroßes Problem.
({2})
Genau darum haben wir den Rettungsschirm gespannt. Warum ist der Rettungsschirm so gut? Er stellt
nicht nur das Vertrauen zwischen den Banken wieder
her, sondern sorgt auch dafür, dass diejenigen, die eine
Mitschuld haben - insbesondere Vorstände, Aufsichtsräte, aber auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften -, mit
in Haftung genommen werden. Wie funktioniert das? In
dem berühmten § 10 des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes geht es um die Verwendung der Mittel. Die Geschäftsmodelle werden genau angeschaut, und solange
Staatsmittel eingesetzt werden, gibt es - das ist ganz
wichtig - keine Dividende. Die Eigenmittelunterlegung
wird kontrolliert. Man sieht sofort, dass es mit diesem
Gesetz, das unter parlamentarischer Kontrolle entstanden ist, gelungen ist, die Verantwortlichen in Haftung zu
nehmen.
({3})
Letztendlich bleiben Alteigentümer und Kreditnehmer für
das, was sie getan haben - einen Kredit aufzunehmen -,
verantwortlich.
Die naive Vorstellung, Spekulationen zu verbieten,
funktioniert nicht. Bei der Planung eines jeden Projektes
braucht man eine Projektion in die Zukunft. Das ist ein
mit Unsicherheiten behaftetes Geschäft. Man muss einen
Kredit aufnehmen, der hinsichtlich Kosten und Lasten
nie seriös in die Zukunft antizipiert werden kann. Deshalb kann die naive Vorstellung eines Spekulationsverbots nicht funktionieren.
({4})
Und natürlich erwartet der Sparer, der sein Geld auf die
Bank bringt, möglichst hohe Zinsen und vergleicht, wo
er welchen Zins bekommt. Die Frage ist allerdings, ob
die Produkte, die aus diesem Leihgeschäft entstehen,
transparent sind.
An diesem Punkt setzen wir an. Es geht darum, ob
man den gebündelten Verkauf von Forderungen und das
Ratingwunder, dass durch Tranchierung aus schlechten
Krediten gute Kredite gemacht werden, unterbinden
kann.
({5})
Ich glaube, dass man das kann. Doch seien Sie bitte
nicht so naiv, zu glauben, man könne einfach alles seriös
bewerten. Ein Beispiel: Ich kaufe eine Aktie für 10 Euro.
Einen Tag später ist diese 100 Euro wert. Damit habe ich
einen Gewinn von 90 Euro gemacht. Drei Tage später ist
die Aktie nur noch 20 Euro wert. Habe ich dann wirklich
80 Euro verloren? So leicht ist das mit der Bewertung
schon in der Realwirtschaft nicht. Im virtuellen Raum
Spekulationen zu unterbinden, ist noch komplizierter.
Lothar Binding ({6})
Sie erkennen das schon jetzt an der Gesetzgebung in Bezug auf das Stabilisierungsgesetz: Wir sind mit den Gesetzen auf einem sehr guten Weg.
Man muss auch sagen, dass es in der internationalen
Finanzwirtschaft wesentlich darauf ankommt, dass man
die Risiken international dort belässt, wo sie jetzt sind.
Dass Peer Steinbrück es geschafft hat, dass nicht alle Risiken des Interbankengeschäfts auch nach Deutschland
überschwappen, ist eine sehr große Leistung. Die Abschirmung funktioniert. Jeder kümmert sich um seine
Risiken. Andernfalls würde eine gute Politik in Deutschland ja damit bestraft, dass sich die international erzeugten Risiken plötzlich alle in Deutschland finden. Genau
das soll nicht der Fall sein. Ich glaube, deshalb sind wir
mit dieser Abschirmung auf einem sehr guten Weg.
({7})
Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ortwin
Runde hat eben sehr deutlich gemacht, dass wir die Realwirtschaft nicht wieder ans Laufen bekommen, wenn
wir die Finanzwirtschaft nicht in Ordnung bringen. Ich
glaube, das ist inzwischen in London, in Amerika und in
ganz Europa gelernt worden. Deshalb können wir uns all
unsere Wünsche für die Realwirtschaft abschminken,
wenn der Kreditfluss nicht wieder in Gang kommt und
wenn damit keine ordentliche Finanzierung gelingt.
Umso wichtiger ist es eben, dass wir alles daransetzen,
unser Bankensystem zu stabilisieren und wieder ans
Laufen zu bringen.
Nun haben einige darauf hingewiesen, dass die niedrigen Zinsen der Zentralbanken nicht weitergegeben werden. Wie ist das denn? Die Banken geben nicht nur ihre
Kosten weiter, sondern sie bewerten auch die Risiken.
Solange im Interbankenverkehr das Risiko besteht, dass
man sein Geld, das man eine Nacht, eine Woche oder einen Monat lang ungesichert ausleiht, nicht mehr wiederbekommt, wird es entweder gar nichts oder nur mit hohen Risikozuschlägen geben. Deshalb haben wir ein
gemeinsames Interesse daran, das Vertrauen der Banken
untereinander wieder zu stärken.
({0})
Wir haben die entsprechenden Möglichkeiten geschaffen. Die Amerikaner haben sie auch geschaffen, sie
haben sie am Anfang aber nicht angewandt. Wer aber
Ben Bernanke gehört hat, wer jetzt sieht, was die Engländer machen, und wer sich angehört hat, was der
Geithner vor dem Senat erzählt hat, der weiß: Die Amerikaner und die Engländer sind dabei, ihre Banken mit
frischen Windeln zu versehen, und wenn sie frisch gewindelt sind, dann werden unsere Banken mit duftenden
Windeln keinen großen Erfolg bei der Refinanzierung
haben.
Nun sind wir uns vollkommen darin einig, dass das
nicht zulasten der Steuerzahler gehen kann - das ist völlig klar - und dass die Methoden sehr unterschiedlich
sind.
({1})
Die Engländer haben jetzt dieses Ring-fencing-Modell
eingeführt, sodass bei jeder einzelnen Bank die problematischen Assets ermittelt werden. Das sind ja illiquide
und keine wertlosen Assets. In der Endfälligkeit können
sie wieder zu 100 Prozent erfüllt werden.
({2})
- Das ist der Vorteil der Evolution, auf die man im
Darwinjahr hinweisen kann.
({3})
Wenn eine bestimmte Maßnahme nicht funktioniert,
dann muss man sich vergleichbar der Evolution neue
Dinge ausdenken.
({4})
- Ich werfe ihnen jedenfalls nicht vor, dass man in
schwierigen Zeiten, wie die Natur, durchaus auch mit
Trial and Error vorgeht. Für mich ist aber viel entscheidender, dass sich die Banken untereinander wieder vertrauen.
Schauen Sie: Was ist denn jetzt die Alternative? Wo
sind denn die Risiken? Schauen Sie sich doch einmal die
Bilanzen der Zentralbanken an. Der ganze Mist ist doch
zum großen Teil als Collateral in den Zentralbankbilanzen - sowohl der Fed als auch der Europäischen Zentralbank und der Bundesbank - enthalten. Es ist ja nicht so,
als ob es nicht schon heute solche Maßnahmen gäbe. Allein zur Liquiditätsversorgung über Nacht werden solche
Papiere in der Europäischen Zentralbank in ganz großer
Breite als Collateral genommen. Darum müssen wir
nach Wegen suchen, wie wir es hinbekommen, dass die
Banken wieder einander vertrauen. Eine Möglichkeit bestünde hier in einer Clearingstelle, die als Drittpartei auftritt.
Meine Damen und Herren, darüber, dass wir keine
Anerkennung finden, denke ich auch immer nach. Eigentlich müsste jeder, der noch sein Gehalt überwiesen
bekommt, dem Deutschen Bundestag dankbar sein, dass
wir den Kollaps des Finanzsystems verhindert haben.
Das stand im Herbst ja auf dem Spiel. Selbst die Linke
könnte ihre Operationen nicht mehr finanzieren, wenn
wir das Bankensystem nicht gerettet hätten.
({5})
- Ich will gar nicht von Fluchtgeld reden; so weit gehe
ich jetzt gar nicht. Das ist ja wahrscheinlich in illiquiden
Fonds angelegt.
Hier zeigt sich das Problem der Prävention: Wer in
Deutschland Prävention betreibt, bekommt keine Anerkennung. Das Geschrei ist immer erst dann groß, wenn
das Kind im Brunnen liegt, und der Retter ist allemal
besser als derjenige, der einen Sturz in den Brunnen verhindert.
Die Linke beklagt sich über mangelnde Information.
Ich empfehle die Website www.dgap.de; dort finden sich
die Quartalsberichte und alles, was Sie wissen wollen.
Sie müssen sich nur die Mühe machen, es zu lesen.
({6})
Ich habe aber das Gefühl, dass Sie den Rat befolgen, den
Henri Nannen einmal jungen Journalisten gegeben hat:
Kinder, recherchiert nicht so viel, es schreibt sich dann
so schlecht. Bei Ihnen gilt: Recherchiert nicht so viel, es
hetzt sich dann so schlecht.
({7})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b so-
wie den Zusatzpunkt 5 auf:
13 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter,
Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Energiekosten sozial ausrichten - Sozialtarife
einführen, wirksame Strompreisaufsicht
schaffen, Energiesparen ermöglichen
- Drucksachen 16/10510, 16/11626 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill,
Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
E.ON-Netz in die öffentliche Hand übernehmen
- Drucksachen 16/8494, 16/11627 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Biogaseinspeisung und Wärmeeinsparung
jetzt voranbringen - Konsequenzen aus Erdgas-Streit und Ressourcenverknappung ziehen
- Drucksache 16/11645 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir debattieren jetzt unter anderem über einen
Antrag der Linken, an dem deren Politikverständnis und
-ansatz exemplarisch deutlich wird. Sie fordern nämlich
wieder einmal unreflektiert den Einsatz des Staates, und
zwar nicht bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen, sondern Sie wollen, dass der Staat als Unternehmer
auftritt, indem er beispielsweise Eigentümer der Netze
wird.
({0})
- Das ist ein Ausnahmefall. Aber bei Ihnen ist so etwas
der Regelfall. Das hat sich ja in der DDR bewährt. Sie
denken in den Kategorien der klassischen Umverteilungspolitik: Auf der einen Seite lassen Sie nichts unversucht, die Energiepreise möglichst hochzutreiben, indem
Sie aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen, vor
Ort den Neubau von Kraftwerken verhindern und an der
Steuerschraube drehen wollen; auch beim Emissionshandel kann es nicht teuer genug sein. Wenn dann aber
endlich die Strompreise so hoch sind, dass sie niemand
mehr bezahlen kann, dann soll nach Ihrer Auffassung
der Staat auftreten und nach bester DDR-Mentalität eine
Umverteilung zugunsten einer bestimmten Klientel vornehmen, die Sie sich dann aussuchen. Das ist Ihr Politikansatz, den wir selbstverständlich nicht teilen. Wir
denken nicht, dass die Antwort im Staat als Unternehmer
zu suchen ist, sondern wir brauchen richtige Rahmenbedingungen, damit der Wettbewerb funktioniert und so
die Strom- und sonstigen Energiepreise für die Verbraucher bezahlbar bleiben.
({1})
Lassen Sie mich Ihnen darlegen, was wir getan haben.
Hier sind drei Bereiche zu sehen: erstens das Netz als natürliches Monopol, zweitens die Erzeugung, das Messen,
der Vertrieb - dies ist ein Wettbewerbsbereich ohne Monopole, bei dem der Wettbewerb allerdings zum Teil
noch nicht richtig funktioniert - und drittens staatliches
Handeln, worauf ich auch noch eingehen werde.
Was haben wir beim Netz erreicht? Wir sind 2005 in
die Regulierung eingestiegen. Von 2005 bis heute sind
die Netznutzungsentgelte kräftig gesunken, was eine
entlastende, kostendämpfende Wirkung hat. Wir haben
im Bereich der allgemeinen Tarife - das sind die Tarife,
die die Haushaltskunden zahlen - die Netznutzungsentgelte von 2006 auf 2007, also in der ersten Regulierungsperiode, von 7,3 Cent pro Kilowattstunde auf
6,3 Cent gesenkt. In der nächsten Periode, von 2007 auf
2008, sind sie nochmals, auf 5,92 Cent pro Kilowattstunde, gesenkt worden. Das heißt, der 2005 mit der Regulierung eingeschlagene Weg wirkt.
Insgesamt ergibt sich von 2006 bis heute für die
Haushalte ein Entlastungsvolumen in Höhe von
1,6 Milliarden Euro, die den Haushalten letztlich mehr
zur Verfügung stehen. Im Gegenzug wurden - insbesondere in der ersten Periode - auch noch kräftige Erhöhungen der Netznutzungsentgelte verhindert. Im Ergebnis ist
die Entlastungswirkung sogar noch größer.
Der Anteil der Netznutzungsentgelte beim Haushaltsstrom - da fragen Sie zu Recht nach den Erfolgen unserer Politik - ist von 38 Prozent im Jahre 2006 über
32 Prozent im Jahre 2007 auf 27 Prozent im Jahre 2008
gesenkt worden.
Am 1. Januar dieses Jahres haben wir die Anreizregulierung zur langfristigen Kostensenkung gestartet. Das
heißt, wir haben keine kostenorientierte Regulierung
mehr, bei der die Unternehmen die Kosten aufsummieren und dies im Detail nachgeprüft wird, sondern wir haben eine Anreizregulierung, die jedem Unternehmen
entlang eines Effizienzpfades, den es zu beschreiten hat,
gewisse Obergrenzen für die Erlöse vorgibt. Die Betriebe sind frei in ihrem unternehmerischen Handeln.
Wird die vorgegebene Erlösobergrenze unterschritten,
kann das Unternehmen den Differenzbetrag einheimsen.
Wird die Obergrenze überschritten, hat das Unternehmen Pech gehabt. Das ist eine differenzierte Antwort,
die langfristig wirkt, bei der aber nicht mit staatlichen
Eingriffen an dem einen oder anderen Ende herumlaboriert wird, womit das Ganze letztlich im besten Fall verschlimmbessert wird.
Was haben wir im Wettbewerbsbereich gemacht? Zunächst einmal ist die Kraftwerksanschlussverordnung zu
nennen, die den Neubau und den Anschluss neuer Kraftwerke aller Art - dezentrale Kraftwerke, Kraftwerke auf
der Grundlage erneuerbarer Energien, aber auch konventionelle Kraftwerke - von Wettbewerbern erleichtert.
Wir haben im letzten Jahr das Smart Metering eingeführt, also die Technologie zur Liberalisierung des Zähler- und Messwesens. Das bedeutet, der Konsument bekommt künftig nicht mehr nur einmal im Jahr eine
Rechnung, während er sonst monatlich Abschlagszahlungen leistet, sondern er weiß genau, wie hoch sein
Stromverbrauch ist und wofür er den Strom verbraucht
hat, und kann entsprechend reagieren. Künftig werden
den Haushaltskunden - nicht nur Industrie und
Gewerbe - lastvariable Tarife angeboten, auf die sie ihr
Verbrauchsverhalten ausrichten können. Das heißt, der
Konsument gewinnt an Souveränität und kann selber etwas zur Senkung seiner Energie- bzw. Stromrechnung
beitragen.
Auch der Anbieterwechsel insgesamt ist erleichtert
worden. Heute ist es möglich, den Stromanbieter genauso leicht zu wechseln wie zum Beispiel die Bank
oder andere Dinge mehr. Das ist ein formalisierter Vorgang, vor dem niemand Angst haben muss. Im Bereich
der Telekommunikation ist das schon seit langem gang
und gäbe. Auch hier zeigen uns die Zahlen, dass wir auf
dem richtigen Weg sind. Allein im letzten Jahr haben
doppelt so viele Menschen in Deutschland den Anbieter
gewechselt wie in den ersten fünf Jahren nach der Liberalisierung 1998 insgesamt. Auch hier sind wir auf dem
richtigen Weg.
Wir haben mit dem KWK-Gesetz, das zum 1. Januar
in Kraft getreten ist, auch die dezentrale Erzeugung gestärkt. Derjenige, der zukünftig in seinem Haus oder in
einem Mehrfamilienhaus dezentrale Kraft-WärmeKopplungsanlagen installiert, also nicht nur Wärme,
sondern auch Strom erzeugt, hat eine Abnahmegarantie
und Planungssicherheit. Das führt dazu, dass wir dort
nicht nur die Unabhängigkeit stärken, sondern durch die
dezentrale Erzeugung auch einen Beitrag zur Netzstabilität leisten können, wodurch vielleicht manche Maßnahme zum Infrastrukturausbau in den Netzen überflüssig wird, sodass es auch hier zu einer Entlastung kommt.
Ich kann die Liste noch lange fortsetzen. Es wird
deutlich, dass es sich um einen Strauß von Maßnahmen
bzw. um einen Instrumentenmix handelt, der insgesamt
wirkt und dem Verbraucher mit einem funktionierenden
Wettbewerb zugute kommt, im Gegensatz zu dem von
Ihnen geforderten staatlichen Eingriff in Form eines Sozialtarifs für einzelne Gruppen, für deren Entlastung
dann die anderen aufkommen müssen. Wer soll denn
sonst den Sozialtarif zahlen?
({2})
Ein Facharbeiter bekommt von Ihnen keinen Sozialtarif.
Er muss vielmehr den Sozialtarif der anderen mit aufbringen.
Last but not least komme ich mit einigen Sätzen zum
Staat, der nämlich nach wie vor den größten Anteil an
den Energiekosten trägt. Von 1998 bis 2005, als wir mit
der Großen Koalition Regierungsverantwortung übernommen haben, ist der Staatsanteil an den Strompreisen
- die SPD hört das vielleicht nicht so gerne; es ist aber
so - dramatisch gestiegen, und zwar von 25 Prozent auf
über 40 Prozent. Auf diesem Stand ist er bis heute geblieben.
({3})
Die Stromsteuer, die erneuerbaren Energien, die
Kraft-Wärme-Kopplung und vieles andere mehr sind
zum Teil zwar durchaus sinnvoll, im Ergebnis muss aber
der Stromverbraucher dafür zahlen. Insofern meinen wir,
dass die Grenze der Belastungen erreicht ist. Mit dem
Emissionshandel haben wir jetzt Instrumente an der
Hand, um das Ziel zu erreichen, die externen Kosten zu
internalisieren, sprich: die Kosten für den Umweltschutz
auf den Strom umzulegen.
Mit dem Emissionshandel werden wir zukünftig Einnahmen erzielen, die zum einen für die CO2-Reduktion
und weitere Klimaschutzmaßnahmen in ihrer ganzen
Bandbreite eingesetzt werden sollen. Dazu haben wir
uns europaweit verpflichtet. Wir wollen und werden
diese Mittel zum anderen aber auch für Senkungen in
diesem Bereich nutzen. Mit uns wird es keine weiteren
Erhöhungen der Stromsteuer oder Ähnliches geben.
({4})
Im Gegenteil: Wir wollen diese Mittel dafür einsetzen,
den Staatsanteil zu verringern und die Belastungen der
Bürger zu lindern.
Die Entlastungen kommen allen zugute. Davon haben
alle etwas, statt dass durch eine staatliche Umverteilungsbürokratie nur einzelne entlastet werden. Ich
glaube, es ist der richtige Weg, die Rahmenbedingungen
durch den Staat verlässlich und sicher so zu gestalten,
dass diejenigen, die sich innerhalb dieser Rahmenbedingungen bewegen, erfolgreich arbeiten und die Erfolge
des Wettbewerbs - das ist soziale Marktwirtschaft dann auch dem einzelnen Verbraucher zukommen lassen
können. Das ist unser Ansatz. Es geht uns nicht um den
Staat als Unternehmer durch die Verstaatlichung von
Netzen oder Sonstigem.
({5})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
Gudrun Kopp.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Kollege Pfeiffer, Sie haben sehr viel Richtiges gesagt. Es
war vor allen Dingen insofern richtig, als es tatsächlich
notwendig ist, sich mit Steuern und Abgaben auf Energie
zurückzuhalten. Sie sollten eher gesenkt als immer weiter erhöht werden.
Was Sie heute verbal vorgetragen haben, finde ich
zwar völlig in Ordnung, aber ich vermisse die Taten. Sie
sollten daran arbeiten, die Steuer- und Abgabenlast für
die Verbraucher und die Wirtschaft tatsächlich zu senken.
({0})
Das Gleiche gilt auch für viele andere Fragen wie den
Energiemix. Wir haben im aktuellen Gasstreit - um die
Konsequenzen daraus geht es auch in einem der Anträge
der Fraktion Die Linke - auch die Frage stellen müssen,
ob wir, was den breiten Energiemix einschließlich Kernenergie, neue Kohlekraftwerke, Gas und erneuerbare
Energien angeht, gut aufgestellt sind. Dazu ist - wie
auch heute Morgen von der Union - sehr viel Richtiges
zu hören, nämlich dass wir diesen breiten Energiemix
brauchen. Was Sie immer wieder wiederholen, ist zwar
richtig, aber das politische Handeln sieht nach wie vor
anders aus. Wir haben einen eingeschränkten Energiemix,
der uns in großem Maße von Energieimporten - insbesondere von russischem Gas - abhängig macht. Das
macht uns in besonderer Weise verwundbar. Deswegen
ist eine Diversifizierung von Lieferwegen, Lieferländern
und Anlagen in besonderem Maße notwendig.
Es ist erfreulich, dass derzeit der Ölpreis weltweit im
Keller ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat im Rahmen der Debatte über den Bundeswirtschaftsbericht
2009 ausgeführt, er gehe davon aus, dass die Verbraucher in diesem Jahr aufgrund des Ölpreises auf den Weltmärkten in einem Umfang von circa 20 Milliarden Euro
entlastet werden. Das ist schon fast ein Konjunkturprogramm. Das hilft der Wirtschaft und den privaten Verbrauchern.
({1})
Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Schraube kann und
wird wahrscheinlich wieder nach oben gehen. Auf die
derzeit niedrigen Preise kann man sich leider nicht verlassen.
({2})
Es ist richtig, als Staat, als politisch Handelnde Steuern und Abgaben zu senken. Daher wäre es richtig, wenn
der Staat die Einnahmen aus dem Emissionshandel und
den ersten Versteigerungen - dieses Instrument ist richtig; in diesem Jahr sind es 500 Millionen Euro - den Verbrauchern in Form von Energiepreissenkungen zurückgäbe. Das wäre eine Möglichkeit, sehr konsequent zu
handeln. Aber leider sieht die Regierung das nicht vor.
Bei der Stärkung des Wettbewerbs durch Regulierung
sind wir auf einem guten Weg. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass wir uns sehr viel mehr Wettbewerb beim Gas wünschen und beim Aufbrechen der
Strukturen noch nicht sehr viel weitergekommen sind.
Hier hat die Regierung bislang noch nicht konsequent
gehandelt.
Zum Thema Netze: Ich verweise ausdrücklich darauf,
dass es sich beim Wunsch nach Verstaatlichung der
Netze um eine ideologische Überzeugung handelt. Das
hat mit Sachverstand und sozialer Marktwirtschaft wirklich nichts zu tun. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Wir haben ein anderes Modell vorgeschlagen,
über das schon im Deutschen Bundestag diskutiert
wurde. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, wollen, dass
die Übertragungsnetze der vier großen Energieversorger
in Deutschland in die Hand einer nationalen Netz AG
gegeben werden und dass die Übertragungsnetzbetreiber
Anteile im Wert ihrer Netze erwerben und erhalten, dass
aber die Netzeigner über Investitionen in den dringend
notwendigen Netzausbau, insbesondere an den Grenzkuppelstellen, damit Wettbewerb entstehen kann, nicht
selbst entscheiden. Sie sollen von den Einnahmen und
Gewinnen profitieren, die eine solche Netz AG macht,
und quasi Eigner der Netze bleiben. Es handelt sich also
nicht um eine Enteignung.
({3})
- Das macht die Netz AG, also diejenigen, die in der
Netz AG die Netze verwalten und entsprechend verwerten.
Den Vorschlag, eine nationale Netz AG zu errichten,
hat die EU-Kommission begrüßt. Das wäre in der Tat der
richtige Weg, zu einer Entflechtung zu kommen, die uns
nicht in rechtliche Schwierigkeiten bringt.
Bei den Netzen ist noch Folgendes zu bedenken: Wir
haben aufgrund der Regulierung und der guten Arbeit
der Bundesnetzagentur Senkungen der Netzkosten zugunsten der Verbraucher erreicht; das ist sehr positiv.
Aber ich verweise auf eine mögliche negative Entwicklung. Wenn es dazu kommen sollte, dass in Deutschland
zunehmend mehr Erdverkabelungen vorgenommen werden, dann hieße das, dass die Netzentgelte wieder enorm
stiegen; denn je nach geologischen Gegebenheiten liegen die Mehrkosten beim Zwei- bis Zehnfachen. Das ist
nicht unproblematisch, auch nicht in ökologischer Hinsicht. Wir müssen darauf achten, dass nicht dauernd eine
Erdverkabelung gefordert wird. Das wäre auch in technischer Hinsicht nicht ohne Probleme, wie uns Fachleute
gesagt haben. Das heißt, der Netzausbau muss auch bei
den Freileitungen erfolgen.
Bei dem jetzt in der Beratung befindlichen sogenannten EnLAG, dem Energieleitungsausbaugesetz, bei dem
es um Planungsvereinfachungen, Verfahrensverkürzungen und damit um eine schnellere Umsetzung von Netzausbauten geht, was wir sehr begrüßen und unterstützen,
müssen wir darauf achten, Kosten zu minimieren. Weiterhin müssen wir darauf achten, dass bestehende Leitungen weiter ausgebaut werden. Die Qualität der Netze
ist ein wichtiger Punkt; denn je mehr Einspeiser wir haben, desto höher werden die Anforderungen an die Qualität der Netze. Das dürfen wir nicht übersehen.
({4})
Der Gasstreit hat gezeigt, dass es absolut notwendig
ist, Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Energiesicherheit ständig gleichrangig auf dem Schirm zu haben. Deshalb ist es wichtig, einen echten Energiebinnenmarkt innerhalb der EU zu schaffen. Alle 27 Mitgliedstaaten
müssen daran arbeiten, dass dieser EU-Binnenmarkt
endlich geschaffen wird und dass eine Verschmelzung
der Fernnetze erfolgt. Wir müssen bei der Gasbevorratung zusammenarbeiten und den Bau bzw. den Betrieb
von Pipelines politisch begleiten und befördern. Ich
meine nicht eine staatliche, sondern eine politische Begleitung. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Ostseepipeline für Gas
({5})
oder die Nabucco-Pipeline. Das ist ein wichtiger Punkt.
Letzten Endes wäre es auch notwendig, die planerischen
und rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von
Flüssiggas zu schaffen, damit wir auch in dieser Hinsicht
weiterkommen und mehr Gasanbieter am deutschen und
europäischen Markt auftreten. Dadurch und durch eine
breite Diversifizierung im Kraftwerksbereich machen
wir uns unabhängiger von Lieferungen bestimmter Länder
Kollegin Kopp, achten Sie bitte auf das Signal.
- ja -, die vor allen Dingen politisch sehr instabil
sind.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Manfred
Zöllmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier - an
diesen Film fühlt man sich erinnert, wenn man diese Debatte verfolgt und sich die Anträge ansieht. Ich meine
hier ganz besonders den Antrag zu den Sozialtarifen, den
die Fraktion Die Linke gestellt hat. Egal wie die Debatte
verläuft, egal welche Argumente vorgebracht werden,
egal wie die Rahmenbedingungen sind, die Linke wiederholt sich immer wieder und will nur eines: Sie will
verteilen um jeden Preis.
Vielleicht ein Hinweis: Heute Morgen kam im Fernsehen die Nachricht, dass zum 1. Februar 150 Gasanbieter ihre Preise senken wollen.
({0})
Als Sie Ihren Antrag gestellt haben - ich erinnere mich
noch sehr genau an die Debatte -, gab es in der Tat eine
Explosion der Energiepreise. Wir müssen aber seit einiger Zeit einen dramatischen Rückgang dieser Preise feststellen.
({1})
- Selbstverständlich ist er dramatisch.
({2})
Ich nenne Ihnen, Herr Hill, einfach einmal die Zahlen. Der Preis je Barrel Öl betrug knapp 150 Dollar, jetzt
liegt er bei ungefähr 40 Dollar je Barrel. Wenn Sie damals spekuliert hätten,
({3})
dann hätten Sie viel Geld verloren. - Das wollen Sie verbieten. Daher würde das nicht passieren. - Wir haben es
also mit einem Markt zu tun, auf dem eine ganz hohe
Preisvolatilität herrscht, das heißt, der Preis steigt, und
der Preis sinkt. Auch ich selbst rechne nicht damit, dass
er so niedrig bleiben wird.
({4})
Er wird sich verändern, aber die Rahmenbedingungen
haben sich doch sehr stark geändert. Ihr Motto, das
Motto der Linkspartei, lautet nach wie vor: Wenn sich
die Realität verändert, dann ist das schlecht für die Realität.
In Ihrem Antrag fordern Sie, dass alle Energieversorgungsunternehmen für Haushalte mit geringem Einkommen verpflichtende Sozialtarife, die mindestens 50 Prozent unter dem günstigsten Tarif des Energieversorgungsunternehmens liegen, anbieten müssen.
({5})
Welche Konsequenzen hätte eine Umsetzung dieser
Forderung? Ihre Philosophie ist einfach zu erklären: Die
Förderung des Energieverbrauchs hätte Vorrang gegenüber der Energieeinsparung.
({6})
Dies ist angesichts der Klimaproblematik wirklich eine
absurde Position.
Zudem wäre eine Umsetzung Ihrer Forderung das
Ende der kleinen Energieerzeuger. Ihnen würde nämlich
ökonomisch der Garaus gemacht.
({7})
Die örtlichen Stadtwerke in meiner Heimatstadt Wuppertal könnten bei solch einer Preisgestaltung nicht überleben. Verlierer wären diejenigen, die zum Beispiel auf
den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, der vielfach - so auch in Wuppertal - von den örtlichen Stadtwerken betrieben und im Querverbund teilfinanziert
wird. Im Übrigen hat diese Koalition den steuerlichen
Querverbund bei Stadtwerken gesetzlich abgesichert;
dafür hat der Finanzminister gesorgt.
Sie hingegen wollen mit Ihrer dogmatischen Politik
die Stadtwerke regelrecht zerschlagen. Ihr Antrag ist ein
Programm zur Vernichtung der kommunalen Stadtwerke; denn als Grundversorger haben die Stadtwerke
besonders häufig einkommensschwache Kunden zu beliefern. Was wäre die Konsequenz? Der Weg würde direkt zu noch mehr Konzentration und zu noch mehr
Marktmacht weniger großer Energieversorgungsunternehmen führen, mit dem Ergebnis weiter steigender
Preise.
All dies hatten wir schon in der Diskussion über diesen Antrag in erster Lesung ausgetauscht. Ich frage
mich, ob es eigentlich in Ihrer Fraktion niemanden gibt,
der Ihren Unfug überdenkt und über die Folgen der Umsetzung dessen, was Sie vorschlagen, nachdenkt. Dies
scheint nicht der Fall zu sein. Ein Hinweis: Man muss in
der Politik grundsätzlich die Konsequenzen seiner Forderungen bedenken. Wenn man das nicht will - ich unterstelle eigentlich nicht, dass man das nicht kann -,
dann blamiert man sich, wie Sie es mit diesem Antrag
tun.
Niemandem sind die Energiepreise gleichgültig. Sie
sind für viele Haushalte eine Belastung. Wir Sozialdemokraten haben immer deutlich gemacht: Wir wollen
eine Strategie verfolgen, mit der die einkommensschwachen Haushalte und die Umwelt entlastet werden.
({8})
Energiesparen ist der beste Weg zu niedrigeren Ausgaben, und zwar dauerhaft. Das wollen wir fördern.
Wie kann das, gerade bei einkommensschwachen
Haushalten, erreicht werden? Es liegen inzwischen erste
Erfahrungen aus Pilotprojekten und wissenschaftlichen
Untersuchungen vor. In Freiburg und Berlin wurde ein
Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit durchgeführt, bei
dem Energieeffizienzmaßnahmen in Hartz-IV-Haushalten ergriffen wurden. Durch den Einsatz von Stromsparlampen, Steckerleisten und Zeitschaltuhren konnte eine
jährliche Stromeinsparung von 215 Kilowattstunden pro
Haushalt realisiert werden. Allein durch die Verhinderung des Stand-by-Betriebs bei Fernsehgeräten kann
eine durchschnittliche jährliche Stromeinsparung von
38 Kilowattstunden pro Gerät erzielt werden. Ein weiteres großes Einsparpotenzial gibt es insbesondere bei
Kühl- und Gefriergeräten.
Im Ergebnis ist deutlich geworden, dass allein mit den
angesprochenen Maßnahmen eine durchschnittliche Reduktion des Stromverbrauchs um 18 Prozent erzielt werden kann. Dies bedeutet für diese Haushalte natürlich
eine erhebliche Einsparung. Die Caritas in Frankfurt hat
ein Projekt mit dem Ziel durchgeführt, Arbeitsmarkt-,
Sozial- und Umweltpolitik miteinander zu verbinden.
Sie hat ein freiwilliges, kostenloses Energieberatungsangebot für Haushalte mit geringem Einkommen eingeführt, bei dem Langzeitarbeitslose, Hartz-IV-Empfänger,
die Beratung übernehmen. Wir wissen, dass die betroffenen Haushalte nicht leicht zu erreichen und auch nicht
leicht für Energiesparmaßnahmen zu sensibilisieren
sind.
Im Ergebnis zeigt sich, dass sich der Einsatz von
Langzeitarbeitslosen als Energiesparberater bewährt hat.
Durch eine einmalige Investition von 51 Euro konnte für
die einkommensschwachen Haushalte pro Jahr eine dauerhafte Ersparnis von 140 Euro bei Wasser und Strom erzielt werden. Das war mit den einfachsten Mitteln möglich; Stichworte: Energiesparlampen, Steckdosenleisten
mit Kippschalter, Sparduschen usw.
Zusätzlich wurden die Haushalte beim Kauf energieeffizienter Elektrogeräte, zum Beispiel Kühlschränke,
unterstützt. Ich glaube, dass ein Zuschuss zu einem besonders energiesparenden Haushaltsgerät sehr viel sinnvoller ist als das, was Sie hier vorschlagen, nämlich
einen - vermeintlich - niedrigeren Stromtarif, der keinerlei Anreiz bietet, Strom einzusparen.
({9})
Dieses Projekt wird jetzt bundesweit betrieben. Es ist
beispielhaft dafür, Menschen sinnvoll zu beschäftigen,
ihre Ausgaben zu senken und in genauso sinnvoller
Weise dem Umwelt- und Klimaschutz zu dienen.
Ihre Forderung hört sich sehr einfach und griffig an.
Wenn man aber in die Details hineinschaut, dann erkennt
man: Das ist in dieser Form überhaupt nicht umsetzbar;
zu den Folgen habe ich eben schon etwas gesagt. Wer
bekommt wann welchen Tarif? Wollen Sie eine Kopfpauschale? Wollen Sie eine Haushaltspauschale? Gibt es
einen Basisverbrauch? Was geschieht, wenn man darüber liegt? Was passiert, wenn jemand in einen Haushalt einzieht oder aus einem Haushalt auszieht? Wer
kontrolliert das? Welche Konsequenzen hat das für ein
Energieunternehmen? Unternehmen, die eine Vielzahl
solcher Kunden haben, wären sehr stark belastet; ich
habe das eben am Beispiel der Stadtwerke deutlich gemacht. Sollen wir dann vielleicht einen Ausgleichsfonds
einrichten,
({10})
sozusagen einen Gesundheitsfonds Energie mit Risikostrukturausgleich? In anderen Bereichen haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht. - Was Sie vorschlagen, ist nichts anderes als eine politische Seifenblase.
Unser Ziel ist es, einkommensschwache Haushalte
von Energiekosten zu entlasten. Wir wissen, dass das jetzige Energiepreisniveau nicht auf Dauer so bleiben wird.
Kollege Zöllmer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Oh ja. - Es muss uns gelingen, sozial- und umweltpolitische Belange miteinander zu verbinden. Im Mittelpunkt der Überlegungen muss immer der Effizienzgedanke stehen. Beispiele dafür habe ich genannt.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion die Linke spricht nun der Kollege
Hans-Kurt Hill.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Zöllmer, ich möchte mich für Ihren schönen Vortrag bedanken. Das war wirklich sehr aufschlussreich.
Wenn Sie unseren Antrag richtig lesen und auch in die
Details einsteigen, wie Sie gesagt haben, dann werden
Sie sehen, dass wir an all diese Dinge gedacht haben und
dafür auch Lösungen präsentieren.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben zur Jahreswende
ihre Stromrechnung erhalten und stellen sich natürlich
die Frage: Wo können wir noch sparen, um an die zusätzlichen Euros zur Bezahlung der Stromrechnung zu
kommen? - Wir sprechen dabei nicht von einer kleinen
Gruppe, Herr Pfeiffer, sondern wir reden von insgesamt
7 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Wir reden von
800 000 Menschen oder Haushaltungen, die vor einer
Stromsperre standen oder von einer Stromsperre betroffen waren.
Meine Damen und Herren von der Koalition, nutzen
Sie doch die Wirtschaftskrise, um den Zugang zu Energie sozial und umweltgerecht zu gestalten, wie Herr
Zöllmer angekündigt hat! Das muss in Zeiten sinkender
Energiepreise gelingen. Wann, wenn nicht jetzt? Oder
wollen Sie zusehen, wenn die nächste Welle der Energiepreissteigerungen - sie wird kommen - unsere Gesellschaft vollends spaltet, und zwar in diejenigen, die sich
Energie noch leisten können, und diejenigen, die in
Deutschland wirklich in Energiearmut leben? Das wollen und können wir von den Linken nicht hinnehmen.
Die Große Koalition der kleinen Schritte hat die Energiefragen allein den Energiekonzernen überlassen. Damit haben Sie sträflich versagt, meine Damen und Herren. Die Folgen sind marktferne Kartelle, überhöhte
Strom- und Heizkostenrechnungen sowie - das sage ich
Ihnen auch - ein Scheitern beim Klimaschutz. Wer wie
Wirtschaftsminister Glos weiter auf gigantische Kohlekraftwerke und gefährliche Atomkraft setzt, der will,
dass es so weitergeht wie bisher. Aber nicht mit uns,
meine Damen und Herren!
Die Linke fordert von Ihnen wirklich eine radikale
Wende in der Energiepolitik. Das Ziel ist eine nachhaltige, am Gemeinwohl ausgerichtete Energiewirtschaft.
Ich sage Ihnen: Die Wirtschafts- und Finanzkrise macht
ein Vorziehen der Energiewende auf jeden Fall erforderlich. Das bringt nämlich neue Beschäftigung, hilft, die
Wirtschaft zu stabilisieren, und führt zu einer sicheren
Energieversorgung, und zwar zu bezahlbaren Preisen.
({0})
Wir brauchen kein Energiewirtschaftsgesetz, das die Interessen des Kartells der Energiekonzerne schützt. Nein,
wir brauchen ein Gesetz, das für bezahlbare Energiepreise steht und nicht der Erzielung von Renditen in
Höhe von 25 Prozent, die für die Aktionäre der großen
Energieversorger bestimmt sind, dient. Wir brauchen ein
Gesetz, dem Klimaschutz wichtiger ist als die Marktmonopole.
Wir müssen helfen - da gebe ich Ihnen, Herr Zöllmer,
vollkommen recht -, Energiesparen zu erleichtern, die
Energieeffizienz deutlich zu verbessern und den Anteil
an erneuerbaren Energien schneller zu steigern.
({1})
Dazu müssen wir Geld in die Hand nehmen, Herr
Zöllmer, verbesserte Förderanreize schaffen und gesetzliche Vorgaben machen, die auch greifen. Die Linke
macht hierzu sieben Vorschläge, die sofort umgesetzt
werden könnten:
Erstens: eine soziale und ökologische Ausrichtung
des Energiewirtschaftsgesetzes, damit Gemeinwohl vor
Profit kommt.
Zweitens: gezielte und kostenfreie Energieberatungen
für alle Privathaushalte, um die machbaren Einsparpotenziale auszuschöpfen.
Drittens: für Haushalte mit kleinem Geldbeutel Sozialtarife, die deutlich unter den Normalkosten liegen.
Nur so können Menschen vor Energiearmut bewahrt
werden.
Viertens: eine kostenfreie Sockelversorgung zulasten
von Energieverschwendung. So werden Haushalte mit
geringem und mittlerem Energieverbrauch ebenfalls finanziell entlastet.
Fünftens - ich sage es immer wieder -: eine wirksame
Strompreisaufsicht, um der Preistreiberei ein Ende zu
setzen und Tarife überprüfbar zu machen.
Sechstens: die Abschöpfung der überhöhten Profite
bei den Energiekonzernen, um langfristigere Maßnahmen für Energieeffizienz, Energieeinsparung und Zuschüsse für energiesparende Geräte zu finanzieren.
Siebtens: Überführung der großen Strom- und Gasnetze in die öffentliche Hand, um eine sichere, bezahlbare
und klimafreundliche Energiewirtschaft im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher zu garantieren.
Nehmen Sie endlich das Heft in die Hand und handeln Sie. Das wäre wichtig für die Menschen in unserem
Land.
({2})
Was hat uns der aktuelle Gasstreit zwischen Kiew und
Moskau gezeigt? Deutschland und Europa sind weitgehend machtlos. Warum? Weil Sie sich in eine Rolle der
Abhängigkeit begeben haben. Frau Kopp hat eben Wirtschaftsminister Glos zitiert; auch ich zitiere ihn gerne. Er
hat gesagt: Die Abhängigkeit in diesem Bereich muss
verringert werden. Aber statt auf die Verlängerung der
Laufzeit von Atomkraftwerken zu setzen, für die Uran
nötig ist, das auch aus dem Ausland kommt, statt auf
eine Ostseepipeline zu setzen, die uns noch abhängiger
von russischem Gas macht und nicht gemeinschaftlich
im Rahmen der Europäischen Union initiiert worden ist,
statt auf eine Nabucco-Pipeline im Süden zu setzen,
({3})
deren Gas am Ende ebenfalls von Gazprom kontrolliert
wird, sollte die Kanzlerin lieber auf die EU einwirken,
das Geld in effiziente und erneuerbare Energien zu stecken, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
schneller zu verringern, und nicht als Bremsklotz fungieren.
Sehen Sie doch endlich die Notwendigkeit ein, den
Anteil von Biogas im Erdgasnetz zu steigern, anstatt die
ineffiziente Verbrennung von Agrosprit in Autos zuzulassen.
Es ist auch sinnvoll, das Volumen der Gasspeicher zu
verdoppeln. Gemeinsam mit anderen EU-Staaten müssen wir in den Häfen Terminals zur Anlandung von Flüssiggas aus anderen Förderländern bauen. So können
Engpässe durch Lieferprobleme oder auch bei großer
Nachfrage ausgeschlossen werden.
Übrigens: Die Forderung nach mehr Atomenergie ist
in diesem Zusammenhang nichts als dumme Polemik
und zeugt von völliger Unkenntnis der Sachlage.
({4})
Machen Sie die Menschen doch nicht glauben, sie
brauchten zum Heizen ein Atomkraftwerk. Hören Sie
endlich auf, Energiepolitik nach Gutsherrenart zu machen. Das können wir uns überhaupt nicht leisten. Lassen Sie uns die Krise dafür nutzen, um in der kurzen
Atempause sinkender Energiepreise den Umbau der
Energieversorgung schneller voranzutreiben. Wir müssen weg von einer fossil-atomaren und profitgetriebenen
Energiewirtschaft hin zu einer am Gemeinwohl orientierten und dezentralen Energiestruktur,
({5})
und zwar basierend auf effizienten und erneuerbaren
Energien.
({6})
Ich fasse zusammen: Unsere energiepolitischen Maßnahmen lösen hohe Investitionen in der Wirtschaft aus.
Bis 2020 entstehen so circa 300 000 neue Arbeitsplätze
im Energiebereich. Die Windkraft hat in Europa in den
vergangenen fünf Jahren 33 neue Arbeitsplätze pro Tag
geschaffen. So schaffen wir es, den Anteil erneuerbarer
Energien mindestens auf ein Drittel zu steigern.
Das stabilisiert auch die Energiepreise und entlastet
somit die Wirtschaft und die privaten Haushalte gleichermaßen; denn spätestens in zehn Jahren ist heimisch
erzeugte erneuerbare Energie kostengünstiger als der
krisenanfällige fossil-atomare Energiemix.
Kollege Hill, achten Sie bitte auf die Zeit.
Fazit: Ein kluger Umgang mit Energie sorgt gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz und ist
im Übrigen die beste Außenpolitik.
Vielen Dank.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Hans-Josef Fell.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die in den letzten Jahren gestiegenen Energiepreise sind für viele Energiekunden in der Tat eine zunehmende Belastung. Gerade in den Schichten mit geringen Einkommen werden die Probleme zunehmend
existenziell. Über 1 Million Menschen in Deutschland
haben keinen Strom, weil sie die Stromrechnungen nicht
zahlen können. Die Große Koalition hat es bis heute
nicht geschafft, dieses Problem an der Wurzel anzupacken, und lässt viele Menschen, die ohnehin schon am
Rande der Gesellschaft stehen, mit den Problemen der
steigenden Energiekosten alleine.
In den vergangenen acht Jahren sind die Strompreise
ohne Steuern und Abgaben um 51 Prozent gestiegen.
Gleichzeitig haben sich die Gewinne der vier großen
Stromkonzerne mehr als verdreifacht. Diesem Treiben
sehen Sie fast tatenlos zu, weshalb deren Gewinne 2008
erneut gestiegen sind und sie erneut die Strompreise erhöhen.
Nun unterstützen Sie mit der Abwrackprämie auch
noch den Kauf neuer spritfressender Autos. Statt endlich
massiv auf Strategien von erdölfreien Kraftfahrzeugen
zu setzen, treiben Sie die Autofahrer in die nächste Falle
der Benzinpreissteigerungen. So lösen Sie keine Energie- und keine Wirtschaftsprobleme,
({0})
sondern weisen auch den deutschen Automobilherstellern den Konkursweg von General Motors und Chrysler.
Genauso wie die Manager der Automobilkonzerne
haben Sie nichts von den ökologischen Hintergründen
der Energie- und Finanzkrise gelernt. Sie bleiben weiter
in der Denkweise der unbegrenzten Verfügbarkeit der
fossilen Rohstoffe, statt von den Realitäten der Ressourcenverknappung und Erderwärmung zu lernen.
Ihre Politik der Konzernunterstützung lässt sich auch
im Energiemarkt für Treibstoffe ablesen. Die einzige Alternative für die Verkehrsteilnehmer, sich von der Abhängigkeit der Mineralölkonzerne zu befreien, haben Sie
mit einer verfehlten Biokraftstoff-Politik brutal vernichtet. Biodiesel und reine Pflanzenöle, von Mittelständlern
und Landwirten produziert, haben Sie unter Vertrauensbruch bezüglich der getätigten Investitionen immer weiter besteuert und so viele Arbeitsplätze vernichtet. Obwohl Sie davon reden, die Rezession zu bekämpfen,
drehen Sie weiter an der Steuerschraube der reinen Biokraftstoffe und vernichten auch noch die letzten heimischen Produzenten. Die Quittung haben Sie 2008 schon
bekommen. So ist die Verwendung von Biokraftstoffen
im letzten Jahr um 22 Prozent eingebrochen.
Die Klimaschutz- und Energiepolitik der Großen Koalition ist ein einziges Desaster. Sie lassen die Energiekunden in der Abhängigkeit der großen Energiekonzerne, die statt Klimaschutz und bezahlbarer
Energiepreise nur noch Gewinnmaximierung im Sinne
haben.
({1})
Durch den rasanten Rückgang der Erdölpreise ist
zwar etwas Entspannung in die soziale Problematik gekommen. Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Das Problem wird uns erneut massiv einholen, wenn wir nicht
gegensteuern, und zwar schnell.
Weder in dem Antrag der Linken noch in den Stellungnahmen und Ablehnungsgründen der Großen Koalition sowie der FDP werden ernsthafte und tiefgründige
Ursachenanalysen betrieben, geschweige die entscheidenden Lösungsansätze vorgestellt - obwohl ich zugestehen will, dass sie bei den Linken teilweise auftauchen.
Mit seinem steilen Anstieg auf fast 150 Dollar pro
Barrel im letzten Sommer hat der Erdölpreis die anderen
Energiekosten mit nach oben gezogen. Wegen der rasant
gestiegenen Benzinpreise konnten viele US-Hausbesitzer Zins und Tilgung für ihre faulen Kredite nicht mehr
bezahlen, womit die Finanzkrise richtig Fahrt aufgenommen hat.
({2})
Die Missachtung ökologischer Tatbestände wie der
Endlichkeit der Ressourcen steckt als eine wichtige Ursache hinter der Weltrezession, die nun die Ölpreise hat
wieder sinken lassen. Die Verknappung der konventionellen Energierohstoffe wird uns in den nächsten Jahren
aber weiter begleiten und damit die konventionellen
Energiepreise wieder nach oben treiben.
Kritische Wissenschaftler haben längst nachgewiesen,
dass das globale Maximum der Erdölförderung, der sogenannte Peak of Oil, überschritten ist und in den kommenden Jahren immer weniger Erdöl zur Verfügung
steht. Auch die russisch-ukrainische Erdgaskrise hat
möglicherweise ihren versteckten Hintergrund in Lieferschwierigkeiten von Gazprom.
({3})
Dem Rückgang der Erdgasförderung aus den großen russischen Erdgasfeldern und dem fehlenden Investment für
Neuerschließungen steht ein rasant steigender russischer
und europäischer Erdgasbedarf gegenüber. Gleichzeitig
sinken die Erdgasförderungen in Deutschland, Großbritannien, in den Niederlanden und anderswo immer
schneller. Das übersehen Sie trotz des von Ihnen belächelten Wissens der Insider. Sie haben diese Entwicklung nicht vorhergesehen, und jetzt stehen Sie vor der
Erkenntnis, dass die kritischen Ressourcenforscher recht
hatten. Durch Diversifizierungen und neue Gaspipelines
lässt sich dieser Rückgang in den kommenden Jahren
nicht mehr auffangen. Übersehen wird häufig, dass eine
neue Gaspipeline keine Gasquelle ist.
Meine Damen und Herren, die entscheidenden Antworten für den Verbraucher auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der steigenden Energiepreise sind
die gleichen, die wir für den Klimaschutz benötigen. Es
sind die Umstellung auf erneuerbare Energien und die
Energieeinsparung. Herr Zöllmer, Sie haben sehr stark
die Energieeinsparung in den Mittelpunkt gerückt. Ohne
Zweifel ist das sehr wichtig, aber die Umstellung auf erneuerbare Energien ist genauso wichtig. Die Kilowattstunden Solarstrahlung und Wind sind genauso kostenlos wie die eingesparten Kilowattstunden. Einzig und
allein die Technikkosten schlagen zu Buche. Aber die er21638
neuerbare Energie selbst ist mit Ausnahme der Bioenergie kostenlos.
Nicht nur Klimaschutz, ungelöste Fragen der Atomenergie und machtpolitische Hintergründe werden die
konventionellen Energien in den nächsten Jahren immer
teurer machen, sondern auch das unterschätzte Problem
der Verknappung von Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas,
Kohle und Uran.
Es ist notwendig, die Macht der Konzerne einzuschränken, damit überhöhte Gewinne nicht zulasten der
Energiekunden gehen. Es ist notwendig, die Tarifstrukturen sozial gerecht zu gestalten, zum Beispiel mit der
Abschaffung von Grundgebühren und der Bereitstellung
eines Energiegrundkontingentes mit günstigen Preisen.
Doch diese Maßnahmen reichen nicht aus. Wir müssen
die Gesellschaft aus der Abhängigkeit der fossilen und
atomaren Rohstoffe herausführen. Nur dies macht uns
unabhängiger von den Machtspielen der großen Konzerne wie Gazprom.
Wir legen heute mit unserem Antrag eine Antwort auf
die Gaskrise vor. Biogaseinspeisung, Sonnenkollektoren
und Hausdämmungen sind nicht nur Klimaschutzmaßnahmen, sondern sie machen uns auch zunehmend unabhängiger von den immer teurer werdenden russischen
Gaslieferungen. Packen wir endlich eine europäische
Biogasstrategie an! Bringen wir eine solare Offensive
auf den Weg, und sorgen wir für eine vollständige Gebäudesanierung in wenigen Jahrzehnten! Die Große
Koalition ist meilenweit davon entfernt, diese Maßnahmen zu realisieren, und wird daher Hauptverursacher der
kommenden Energiepreiskrisen sein.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
mit unseren Vorschlägen können wir auch die Wirtschaftskrise bekämpfen, indem wir viele neue Arbeitsplätze schaffen. Ihr Konjunkturpaket dagegen missachtet
weitgehend diese Chancen.
({4})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Franz
Obermeier.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die beiden Anträge von den Linken, über die wir heute diskutieren, sind zwar sehr differenziert. Aber sie sind zwei
Seiten derselben grauslichen Medaille: Staatlich festgelegte Preise, Verstaatlichung und Planwirtschaft sind der
wesentliche Inhalt. Wie wir dazu stehen, ist dem Parlament und der Öffentlichkeit weitgehend bekannt.
Was uns bis heute noch nicht so recht bekannt war,
Herr Fell, ist Ihre widersprüchliche - und desolate Auffassung, die Sie soeben geäußert haben. Ich möchte
die Kolleginnen und Kollegen im Parlament - besonders
Sie, Herr Fell - daran erinnern, welche fatalen Aussagen
Sie in den vergangenen Jahren in Bezug auf Gasnutzung
und Gaskraftwerke gemacht haben. Heute befinden sich
große Gaskraftwerke in Bau, teilweise sind sie schon am
Netz. Nun beschweren Sie sich darüber, dass die Preise
angezogen haben, als wüssten Sie nicht, dass Angebot
und Nachfrage den Preis diktieren.
({0})
Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Fell, war das
Schwächste, was Sie in der zurückliegenden Zeit in Sachen Energiepolitik zum Besten gegeben haben.
({1})
Auch die Verbindung, die Sie zwischen der Kreditkrise in den USA und den Benzinpreisen gezogen haben,
bezeichne ich als hanebüchen.
({2})
Von den Punkten, die dazu geführt haben, dass die USA
eine Kreditmarktkrise bekommen haben, ist das der allerletzte.
Dazu, dass Sie die Lieferprobleme des Unternehmens
Gazprom mit den Schwierigkeiten in der Ukraine in Verbindung gesetzt haben, sage ich: Falscher geht es nicht
mehr, Herr Fell. Daran liegt es bestimmt nicht.
({3})
Die Tatsache, dass Sie der Öffentlichkeit einen solchen
Stuss erzählen, kennzeichnet das komplette Scheitern
der Energiepolitik der Grünen.
({4})
Was Sie hier zur Schrottprämie gesagt haben, war
pure Polemik. Herr Fell, Sie müssen sich mit der Frage
auseinandersetzen, wie die produzierten Fahrzeuge, die
heute zu Hunderttausenden auf Halde stehen, an den
Markt abgegeben werden können, wie die Automobilhersteller zu ihrem Geld für die bereits produzierten Autos kommen. Das ist die entscheidende Frage, wenn es
darum geht, wie wir das Ganze auf den richtigen Weg
bringen können.
Jetzt will ich noch einiges zu den Anträgen sagen. Die
Strompreise sollen staatlich festgesetzt werden, es soll
eine Sockelversorgung, eine Vergünstigung für Bezieher
sozialer Leistungen in Höhe von 50 Prozent, eine höhere
Besteuerungen der Energieunternehmen zur Deckung
des Freifahrtscheins für Strom, einen Energiesparfonds,
eine neue Strompreisaufsicht, einen neuen Verbraucherbeirat, einen Klimascheck in Höhe von 250 Euro pro
Jahr, ein Verbot von Stromsperren usw. geben. Warum
wollen Sie das eigentlich nur für die Einkommensschwachen haben? Trifft die Energiepreisentwicklung nicht
auch die Haushalte mit mittlerem Einkommen? Warum
sagen Sie nicht, dass Sie für die etwas machen wollen?
An dieser Stelle tolerieren Sie die Doppelbelastung. Die
Haushalte mit mittlerem Einkommen zahlen nämlich die
Zeche für die sozialen Vergünstigungen. Wir halten das
grundsätzlich für
({5})
den falschen Weg; denn das führt mit Sicherheit zu völlig falschen Effekten.
({6})
Wir haben in der Vergangenheit schon festgestellt: Wenn
der Staat in dieser Form eingreift, führt das nicht dazu,
dass sich die Verbraucher zu einem effizienten Verhalten
im Umgang mit Strom und Energie leiten lassen.
({7})
Jetzt will ich etwas über die Zielgruppe sagen. Wenn
ich das alles richtig sehe, dann haben wir bei den Arbeitslosengeld-II-Empfängern eine Regelung, nach der
neben den Regelsätzen, die gezahlt werden, auch die angefallenen Heizkosten vergütet werden. Bei den sogenannten Sozialhilfeempfängern, also bei denjenigen, die
aus dem Arbeitsmarktprozess mehr oder weniger ausscheiden, werden neben den Mietkosten die Heizkosten
und die Stromkosten erstattet.
({8})
Also reden wir hier über den Teil der Arbeitslosengeld-IIEmpfänger, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wenn ich das Ganze richtig verstehe, dann sind die
Gesetze so angelegt, dass ein konkreter Anreiz besteht,
aus der Arbeitslosengeld-II-Regelung, aus dieser Einjahresregelung, so sage ich das einmal, herauszukommen.
Kollege Obermeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Reinke?
Ja, bitte.
Vielen Dank für die Möglichkeit, etwas richtigzustellen. Frau Bundeskanzlerin Merkel hatte ebenfalls die
Idee, dass die Energiekosten zusätzlich gewährt werden.
Dem ist nicht so.
({0})
- Ich muss keine Frage stellen. Schauen Sie einmal in
die Geschäftsordnung.
({1})
Im Regelsatz sind monatlich 26,24 Euro dafür enthalten. Ich denke, wenn man das einmal nachrechnet, sieht
man, dass das nicht einmal die Hälfte der Kosten deckt.
Das möchte ich richtigstellen; dazu muss ich keine Frage
stellen.
Danke schön.
({2})
Die Frage hat sich mir jetzt nicht erschlossen; zumindest ist sie nicht angekommen. Die Belehrung hätten Sie
sich sparen können; denn dann müssten Sie auch fordern, dass wir diesen Teil der Energiekosten voll erstatten. Das wollen wir mit Sicherheit nicht.
Ich war bei den Ausführungen zur Zielrichtung. Diese
betrifft den Teil der nichterwerbstätigen Personen in unserem Land, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die bestehenden Gesetze sind so ausgelegt, dass ein
Anreiz bestehen soll, Arbeit anzunehmen. Wir alle wissen ganz genau, dass ein Teil der Bevölkerung, der sich
in dieser Situation befindet, nicht gerade stark geneigt
ist, Arbeit anzunehmen.
({0})
- Ein Teil der betroffenen Bevölkerung ist nicht stark geneigt; zu dieser Aussage stehe ich.
Wir wollen die Anreize, Arbeit aufzunehmen, nicht
durch die Umsetzung Ihrer Forderungen schwächen; das
wäre ein grundlegender Nachteil. Die Statistiken zeigen,
wie erfolgreich die Regelungen in der Vergangenheit
waren und wie erfolgreich wir in den Regionen unseres
Landes waren, in denen Arbeit zur Verfügung steht, die
sogenannten Langzeitarbeitslosen zu einem hohen Prozentsatz wieder in Arbeit zu bringen. Das sind genau die
Effekte, auf die wir abstellen wollen und können. Der effiziente Umgang mit Energie muss bei unseren Bürgern
noch weiter ins Bewusstsein gerückt werden. Für meine
Begriffe ist das der beste Schutz.
Zur Strompreisaufsicht: Wir hatten bis vor kurzem in
allen Ländern eine Strompreisaufsicht; meistens war sie
bei den Wirtschaftsministerien angesiedelt. Diese Strompreisaufsicht war nicht immer ein Segen für die Entwicklung der Energieverwendung und die Entwicklung
der Strompreise für die Verbraucher. Die CDU/CSUBundestagsfraktion wehrt sich vehement dagegen, neue
Instrumente einzuführen, die zur Folge haben, dass für
die Masse der Bevölkerung die Energiepreise weiter
steigen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Instrumente nutzen, um die Energie möglichst effizient einzusetzen, die Nachfrage zu reduzieren und die Preise auf
ein Niveau zu bringen, über das man sagen kann, dass es
für die Bevölkerung vertretbar ist.
Ich will zu den Anträgen der Nachfolgepartei der
SED noch sagen: Sie können das noch so oft beantragen
- ich glaube, dass wir hier heute zum dritten Mal darüber
reden -, Sie werden für derartig absurde Vorschläge
keine Mehrheit bekommen. Wir halten sie für einen Verstoß gegen die soziale Marktwirtschaft und werden sie
deswegen ablehnen.
Herzlichen Dank.
({1})
Der Kollege Hans-Kurt Hill hat jetzt das Wort zu einer Kurzintervention.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Kollege
Obermeier, vielen Dank für Ihre detaillierten Ausführungen insbesondere zu den Tarifen und zu dem, was die
CDU/CSU will. Über die Nachfolgesituation der CDU/
CSU will ich mich hier mit Ihnen nicht auseinandersetzen.
Gehen Sie mit mir einer Meinung, dass diejenigen,
die viel Geld verdienen, statistisch gesehen mehr Strom
verbrauchen als diejenigen, die wenig Geld in der Tasche haben? Das ist der erste Punkt.
Zweiter Punkt. Ich komme noch einmal auf die Ausführungen von Herrn Pfeiffer zurück. Demnach sollen
die Tarifstrukturen einen Anreiz bewirken, dass diejenigen, die bisher viel Strom verbrauchen, weniger verbrauchen. Sparsames Verhalten soll über die Tarifstrukturen
entsprechend belohnt werden. Das wäre eine Möglichkeit, die auch einen sozialen Gesichtspunkt hat. Das
heißt, dass diejenigen, die viel Strom verbrauchen, dazu
bewegt werden müssen, weniger Strom zu verbrauchen.
Dann würden wir mehr Effizienz erzielen. Das intendieren wir in der Sache auch mit unserem Antrag.
Allerdings gibt es Haushalte - Sie haben sie angesprochen -, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Stromkosten zu bezahlen, selbst dann nicht, wenn man sie reduziert. Angesichts dessen stelle ich die Frage: Wie
wollen Sie diesen Menschen helfen, wenn der dafür vorgesehene Anteil der Sozialhilfe bzw. des Arbeitslosengeldes oder der vorgesehene Anteil von Hartz IV nicht
mehr ausreicht, um diese Kosten zu bezahlen, sodass den
Leuten - 800 000 sind es - der Strom gesperrt wird?
Wenn man keinen Strom mehr hat, dann hat man weder
eine funktionierende Heizung noch Warmwasser. Man
hat gar nichts mehr und sitzt, außer im Sommer, nur
noch im Dunkeln.
Herr Obermeier, bitte.
Herr Hill, das, was Sie zum Besten gegeben haben, ist
schlichtweg falsch. Wir reden gerade nämlich nicht über
die Heizkosten. Ich habe vorhin dargelegt, dass die Heizkosten sowohl von Arbeitslosengeld-II-Beziehern als
auch von Empfängern der klassischen Sozialhilfe, wenn
sie sich in einem bestimmten Rahmen bewegen, ohnehin
bezahlt werden.
({0})
- Entschuldigung! Ich war 18 Jahre lang Kommunalpolitiker und an führender Stelle tätig; ich weiß, wovon ich
rede.
({1})
- Das hat mit Hartz IV nichts zu tun, sondern mit der Arbeitslosengeld-II-Regelung und mit der klassischen Sozialhilfe.
({2})
Jetzt will ich Ihnen etwas zu den von Ihnen erwähnten
Verbrauchsmodellen sagen. Glauben Sie allen Ernstes,
dass die Haushalte, die insolvent werden, wegen der
Stromkosten insolvent werden?
({3})
Herr Hill, sie werden deswegen insolvent, weil es sich
bei den Personen, über die wir gerade reden - es sind übrigens nicht viele -,
({4})
um Leute handelt, die mit dem Geld, das sie bekommen,
nicht so umgehen können, wie es sich gehört. Sie geben
ständig mehr Geld aus, als sie einnehmen. Auch wenn
man diesen Leuten mehr Geld gibt, werden sie insolvent
- das verspreche ich Ihnen -, weil sie dann nämlich auch
entsprechend mehr ausgeben.
Das lässt sich anhand der Statistiken, die ausweisen,
welche Haushalte insolvent werden, beweisen. Sie müssen sich einmal anschauen, welche Einkommensgruppen
das betrifft. Das sind nämlich zum Großteil nicht diejenigen, um die es Ihnen geht
({5})
- Sie müssen mir schon zuhören; sonst bekommen Sie
das, was ich sage, wieder nicht mit -, sondern Leute, die
weitaus mehr verdienen und mehr Geld zur Verfügung
haben, um ihren Haushalt zu führen, als die Personen,
über die wir gerade reden. Das müssen Sie verinnerlichen.
({6})
Sie retten niemanden, indem Sie den Stromkostenzuschuss erhöhen.
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Axel Berg
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Sie haben es gehört:
Wir haben es heute mit einem Wiedergänger zu tun;
denn diese Anträge lagen uns bereits mehrmals vor. Sie
sind leider schon fast eine olle Kamelle. Aber wir haben
ja Zeit und können uns immer wieder mit ihnen beschäftigen.
({0})
Was Ihren ersten Antrag betrifft, will ich auf die
Strom- und Gaspreisaufsicht auf Länderebene eingehen.
Die staatliche Preisaufsicht - es gab sie viele Jahrzehnte
lang - hat sich allerdings immer nur auf den Vertrieb bezogen.
({1})
Ich denke, an dieser Stelle hilft uns kein Rückfall in die
Zeiten der staatlichen Preisaufsicht. Was wir brauchen,
ist Wettbewerb.
({2})
Im Stromendkundenmarkt kommt dieser Wettbewerb
ganz langsam, peu à peu, in Gang. Letztes Jahr haben
fast anderthalb Millionen Stromkunden ihren Versorger
oder zumindest den Tarif ihres bisherigen Versorgers gewechselt. Eine staatliche Preisaufsicht allein würde diesen zart aufkeimenden Wettbewerb gleich wieder zunichte machen. Dann wäre alles vergeblich gewesen.
Selbst im Gasmarkt kann man einen gewissen Wettbewerb um die Endkunden erkennen, wenn er auch - hier
bin ich ganz Ihrer Meinung - noch viel zu gering ausgeprägt ist.
Mit der Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen haben wir dem Bundeskartellamt Ende
letzten Jahres im Kampf gegen missbräuchlich überhöhte Endkundenpreise mehr Macht gegeben. Die Regulierungsbehörde funktioniert. Ich denke, das ist der richtige Weg. Dabei sehen wir schon die ersten Erfolge.
({3})
Eine staatliche Preisaufsicht auf Länderebene, Herr
Hill, konnte die Verbraucher in der Vergangenheit niemals vor Preiserhöhungen schützen. Vor zehn Jahren haben wir genauso wie heute gejammert. Ich sehe keinen
Ansatz, wie die Wiedereinführung dieser Preisaufsicht
die Menschen in Zukunft vor Preiserhöhungen schützen
soll.
Richtig ist allerdings, dass die Energiekostenentwicklung der letzten Jahre für immer mehr Haushalte eine
immer größere Belastung darstellt. Ich möchte ausdrücklich Herrn Fell unterstützen, der ausgeführt hat, dass die
„subprime loan crisis“ auch mit den Energiekosten zu
tun hat.
(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
Es war eben so, dass die armen Leute gerade noch in der
Lage waren, ihre faulen Kredite zu bedienen. Als aber
dann die Energiekosten nach oben geschossen sind,
konnten sie nicht mehr beides wuppen. Dadurch ist die
ganze Lawine ins Rollen gekommen.
Es ist richtig, dass die Energiekostenentwicklung in
den letzten Jahren eine immer größere Belastung darstellt. Wir haben etwas dagegengesetzt: Stichwort Integriertes Energie- und Klimaprogramm. Wir haben die
Kraft-Wärme-Kopplung gefördert. Wir haben den Einsatz erneuerbarer Energien im Strom- und Wärmesektor
verstärkt. Das verringert unsere Importabhängigkeit und
mindert die Belastung der privaten Haushalte. Ich denke,
dass unsere Politik gerade den kleinen Leuten hilft, für
die sich Die Linke stark macht. Seit Jahren gibt es das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Jetzt haben wir für
dieses Programm die Mittel noch erhöht, um noch mehr
Anreize zur energetischen Gebäudesanierung zu setzen.
Dazu findet sich leider kein Wort des Lobes im Antrag
der Linken.
Ein weiteres Element des IEKP ist das Gesetz zur Liberalisierung des Zähl- und Messwesens. Dr. Pfeiffer
ging kurz darauf ein: Ab 2010 sollen intelligente Stromund Gaszähler dafür sorgen, dass die Waschmaschine
dann läuft, wenn der Strom billig ist, und nicht unbedingt dann, wenn die Hausfrau die Idee hat, die Maschine anzustellen. Wir wollen mehr Transparenz schaffen und so zu einer gezielten Verbrauchssteuerung
kommen. Das kann durchaus funktionieren. Deswegen
haben wir die Energieversorgungsunternehmen in die
Pflicht genommen, ab 2010 tageszeit- und lastvariable
Tarife anzubieten. Damit eröffnen sich für die Verbraucher und für die Energieversorger neue Möglichkeiten.
Wir sollten der Sache eine Chance geben.
Ich bedauere es außerordentlich, dass eine, wie ich
denke, tolle Idee des BMU, des Umweltministeriums,
verworfen wurde, nämlich die Idee zur Effizienzsteigerung. Die Stromversorger - so war die Idee vom BMU sollten verpflichtet werden, jedes Jahr 1 Prozent weniger
Strom zu verkaufen und für jede Kilowattstunde, die sie
darüber hinaus verkaufen, eine Sanktion zu zahlen. Das
hätte die EVU verpflichtet, ihre Kunden zum effizienten
Umgang mit Energie anzuhalten, um ebendiese Sanktionen, diese Strafzahlungen zu vermeiden.
Leider hat sich das Wirtschaftsministerium gegen
diese Regelung gestellt. Ich denke, noch rußt es im Wirtschaftsministerium zu sehr. Dort hat sich noch nicht die
Erkenntnis durchgesetzt, dass die Energieversorger - ich
rede jetzt durchaus pro Energieversorger und pro große
Konzerne; das ist für mich vielleicht ungewöhnlich langfristig nur dann erfolgreich sein können, wenn sie irgendwann mehr durch Kilowatteinsparungen als durch
den Verkauf vieler Kilowattstunden verdienen.
Ich komme zu Ihrem zweiten Antrag, liebe Linke, in
dem Sie die Einführung von Sozialtarifen verlangen. Ich
persönlich warne vor dieser Idee. Staatlich verordnete
Sozialtarife böten keinerlei Anreiz mehr zum sparsamen
Umgang mit Energie. Wir müssten sogar befürchten,
dass es Fehlanreize in Richtung Energieverschwendung
geben würde. Das würde ausgerechnet die ärmeren Menschen treffen, die die höchsten laufenden Kosten haben.
Ich sage es mal so: Arme Menschen wohnen in schlecht
isolierten Wohnungen und legen sich abends die Heizdecke über die Knie.
Sie haben auch die Stromheizung angesprochen, die
beim Bauen neuer Häuser nicht mehr verwendet wird.
Selbst uns von der SPD-Fraktion ist bewusst, dass insbesondere Haushalte mit niedrigen Einkommen, oft auch
Bezieher von Transferleistungen, ganz besonders von
steigenden Energiekosten betroffen sind, sofern ihnen
- das müssen wir natürlich auch berücksichtigen - nicht
die Mehrkosten vom Amt gezahlt werden - Stichwort
Heizkostenerstattung -, was natürlich für die Betroffenen auch kein Anreiz ist, effizient mit Energie umzugehen.
Wir halten es für absolut verfehlt, Sozialpolitik über
Zwangstarife bei den Energieversorgern zu betreiben.
Vielmehr sollten wir dann die klassische Sozialpolitik
bemühen. Genau das haben wir getan. Deswegen haben
wir die Novelle des Wohngeldgesetzes gemacht, wodurch
die Fördersätze um rund 60 Prozent erhöht und eben auch
die Heizkosten einbezogen werden. Auch wir nehmen
an, dass die Nebenkosten weiter steigen werden, weil Öl
und Gas teurer werden. Ich halte es für abenteuerlich,
wenn im Jahreswirtschaftsbericht davon ausgegangen
wird, dass Öl dieses Jahr im Durchschnitt 45 Dollar pro
Barrel kosten wird.
Deswegen haben wir die Wohngeldnovelle vergangenes Jahr vorgezogen. Wir haben das BAföG um 10 Prozent erhöht. Wir haben das Kindergeld um 10 Euro pro
Kind und Monat erhöht. Mit dem zweiten Konjunkturprogramm gibt es noch einmal 100 Euro pro Kind, und
der Eckregelsatz für die 6- bis 13-Jährigen wird angehoben. Davon profitieren insbesondere Transferleistungsbezieher. All das, liebe Kollegen von der Linken, zeigt,
dass wir etwas für diejenigen tun, für die auch Sie sich
stark machen.
({4})
Dass staatliche Vorgaben, wie Sie sie fordern, funktionieren, dafür gibt es weltweit kein Beispiel.
({5})
Stattdessen sollten wir die Energieversorger durch Wettbewerb dazu bringen, attraktive Tarife anzubieten - auch
wenn wir diesen Wettbewerb zugegebenermaßen noch
nicht haben. Mehr Wettbewerb schaffen, genau darum
geht es bei der Einführung tageszeit- oder lastvariabler
Tarife.
Trotz dieser Maßnahmen - das muss uns klar sein kann Energie, solange sie aus fossilen Energieträgern
stammt, auf Dauer nicht billig sein. Dagegen spricht die
Endlichkeit der Rohstoffe, dagegen spricht der steigende
Energiehunger der Schwellenländer, ganz zu schweigen
von den Kosten der Anpassung an den Klimawandel, die
ja auch der Staat, der Steuerzahler tragen muss. Lassen
Sie uns bei Erzeugung und Verbrauch von Energie auf
Effizienz setzen - und natürlich auf den Ausbau der erneuerbaren Energien.
Zum Schluss möchte ich auf die Forderung der Linken, dass die öffentliche Hand das Netz übernehmen
soll, eingehen. Eon und Vattenfall haben bekanntermaßen vor, ihr Netz zu verkaufen. Um es klar zu sagen: Wir
befürworten die Gründung einer nationalen Netzgesellschaft. Allerdings ist uns eine privatwirtschaftliche Lösung lieber als eine Verstaatlichung der Netze.
({6})
Von dem radikalen Vorschlag, dass sich der Staat die
Netze durch Vergesellschaftung einverleiben solle, halte
ich überhaupt nichts. Das wäre mit dem Grundgesetz nur
schwer vereinbar, und selbst wenn, drohten extreme
Schadensersatzzahlungen, für die auch wieder der Staat,
der Steuerzahler aufkommen müsste. Lassen Sie uns zusammenarbeiten, Herr Hill!
Jahrzehntelang haben die Netzbetreiber die Stromkunden abgezockt. - Für so eine Aussage bekomme ich
keinen Beifall von der Union. - Jetzt, da wir ein anständiges Kartellrecht haben, jetzt, da wir die Regulierungsbehörde haben, funktioniert die Abzocke nicht mehr,
werden die Gewinne, die die Netze bringen, kleiner.
Kein Wunder, dass die Zocker ihr Interesse an den Netzen verlieren, verkaufen wollen, solange es noch geht,
auch vor dem Hintergrund, dass enorme Investitionen
anstehen. Ausgerechnet jetzt wollen Sie von der Linken
die Energieversorger, die Netzbetreiber aus der Verantwortung entlassen und die Steuerzahler den Ausbau der
Netze zahlen lassen. Das ist keine soziale Politik, auch
wenn es so ausschaut.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Sie
sind schon über die Redezeit; deswegen lasse ich auch
nicht zu, dass der Kollege Hill eine Zwischenfrage stellt.
({0})
Ein letzter Gedanke, zur Biogaseinspeisung. Vor wenigen Stunden haben die Grünen zu dieser Debatte einen
Antrag eingebracht. Der Gasstreit zwischen Russland
und der Ukraine zeigt uns, wie abhängig wir von Importen sind. Ein Umlagesystem für die Einspeisung von
Bioerdgas, ähnlich wie beim EEG, halte ich aber nicht
unbedingt für nötig. Mit der Gasnetzzugangsverordnung
haben wir bereits für einen diskriminierungsfreien Zugang zum Gasnetz gesorgt. Lassen Sie uns die Erfahrungen mit dieser Verordnung abwarten! Im Prinzip ist es
ein guter Vorschlag, eine europäische Einspeisestrategie
anzustreben. Das Nebeneinander und Gegeneinander der
Netze ist nicht gut. Doch wir sollten erst einmal sehen,
was bei dem, was wir gemacht haben, herauskommt!
Schon in einem halben Jahr werden wir klüger sein. Lassen Sie uns dann noch einmal über eine Gesamtstrategie
für Erdgas sprechen!
({0})
Mehr zu sagen, dazu reicht die Zeit nicht.
Ich danke Ihnen.
({1})
Eine Kurzintervention des Kollegen Hill.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Ich hätte gerne eine
Zwischenfrage gestellt. Das ging nicht; jetzt müsst ihr
eine Kurzintervention aushalten.
Herr Berg, ich hätte Ihnen gern eine Frage gestellt;
Sie werden sie mir schnell beantworten. Frau Kopp hat
die Gesellschaft angesprochen, die die Netze, die jetzt
auf dem Markt angeboten werden, übernehmen soll.
Ich glaube, wenn die Netze auf dem freien Markt angeboten werden, dann besteht eine erhebliche Gefahr darin, dass irgendwelche Banken oder Heuschrecken in
den Besitz dieser Netze kommen, diese Netze auslaugen
und die fehlenden notwendigen Investitionen nicht tätigen. Gibt es bei Ihnen bereits eine Vorstellung dazu?
Das Angebot zur Zusammenarbeit nehme ich natürlich gerne an.
Herr Berg.
Ein konkretes Angebot kann ich Ihnen jetzt noch
nicht machen. Lassen Sie uns fröhlich darüber diskutieren.
Ich habe nichts per se gegen Heuschrecken. Irgendjemand muss investieren. Entscheidend bei der ganzen
Sache ist, dass der Netzbetreiber selbst nichts mit den
Energieversorgern zu tun hat. Selbst als Fan der erneuerbaren Energien möchte ich nicht, dass hier ein Unternehmen beteiligt ist, das mit erneuerbaren Energien wirtschaftet.
Ich denke immer an ein etwas simplifizierendes Beispiel: Wenn das deutsche Autobahnnetz Volkswagen gehören würde, dann würde Volkswagen wahrscheinlich
schon dafür sorgen, dass auf den Autobahnen mehr VWs
als andere Autos herumfahren.
({0})
Deswegen dürfen die Energieversorger selbst nicht daran beteiligt sein.
Gegen Heuschrecken oder andere Investoren, die ein
Interesse daran haben, dass möglichst viel Strom durch
ihr Netz fließt - wenn viel Strom fließt, dann können sie
auch viel Geld damit verdienen -, habe ich keine Bedenken. Wir müssen doch Anreize setzen; denn sonst investiert niemand.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „Energiekosten sozial ausrichten - Sozialtarife
einführen, wirksame Strompreisaufsicht schaffen, Ener-
giesparen ermöglichen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11626, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/10510 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Eon-Netz in die
öffentliche Hand übernehmen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/11627, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/8494 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher eben-
falls angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11645 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünscht die Federführung beim Ausschuss
für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer für
diesen Überweisungsvorschlag ist, der möge die Hand
heben. - Die Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit
ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung durch
die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und
FDP und Ablehnung der übrigen Kolleginnen und Kolle-
gen abgelehnt.
Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD - Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - ab-
stimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? - Wer stimmt dagegen? - Die Enthaltungen? -
Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung ({0})
- Drucksachen 16/10531, 16/10721 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 16/11679 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Frank Schäffler
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/11680 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mitarbeiterbeteiligung - Eigenverantwortliche Vorsorge stärken
- Drucksachen 16/9337, 16/11679 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Frank Schäffler
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Es ist beabsichtigt, hierzu Eineinviertelstunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erstes erteile ich dem
Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Klaus
Brandner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den letzten Monaten hat die Finanzmarktkrise Europa erreicht und sich zu einer globalen Wirtschaftskrise verfestigt. Auch Deutschland kann sich
dieser Abwärtsentwicklung nicht entziehen. Die Unternehmen zahlreicher Branchen sind bereits betroffen.
Viele Menschen sind, wie wir wissen, tief verunsichert.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen sich um
ihren Job, ihr Sparvermögen und ihre private Vorsorge.
Der Zeitpunkt für den Start eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung scheint
da alles andere als ideal zu sein. Denn welches Unternehmen denkt jetzt in der Krise daran, erstmals Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich über den Tariflohn hinaus zu beteiligen? Und umgekehrt, wer
möchte bei fallenden Märkten in Beteiligungen investieren? Wir sollten uns aber nicht beirren lassen: Gute Politik ist Politik mit Weitblick, mit einem Blick also, der
über den Horizont dieser Krise hinausreicht. Wenn man
einen weiteren Schritt machen kann, lieber Kollege
Weiß, dann sollte man ihn auch gehen. Deshalb hat sich
die Koalition auf den Weg gemacht.
Sie alle wissen, es gibt gute Gründe, den Ausbau der
Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu stärken, um den Beschäftigten einen fairen Anteil am Erfolg der Unternehmen zu ermöglichen. Nicht von ungefähr fordern alle
Bundestagsparteien seit langem, dieses sozialpolitische
Vorhaben umzusetzen. Gerade in den letzten Wochen hat
sich gezeigt, dass kurzfristige Erfolgsmaximierung ein
Rezept ist, das auf längere Sicht nicht funktioniert. Mitarbeiterkapitalbeteiligung steht hingegen für Unternehmen, die vorausschauend denken, langfristig kalkulieren
und wissen, dass diese Beteiligung nicht nur die Finanzkraft, sondern auch die Innovationsfähigkeit von Unternehmen stärkt.
Wissenschaftliche Studien zu diesem Thema zeigen
darüber hinaus, dass eine partnerschaftliche Unternehmensführung mit einer Kapitalbeteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Betriebe erfolgreicher und stabiler macht, gerade in rauen Zeiten. Diese Liste der
empirisch belegten Vorteile für Unternehmen lässt sich
leicht ergänzen. Ich denke an die Stärkung der Eigenkapitaldecke, an Liquiditätsvorteile oder aber an Zinsersparnisse, um nur noch einige weitere Punkte zu nennen,
die für ein Mitarbeiterkapitalbeteiligungsmodell sprechen.
Doch ich weiß, dass für Unternehmen, die bereits erfolgreich mit Beteiligungsprogrammen gearbeitet haben,
die immateriellen Vorteile genauso wichtig sind. Gerade
angesichts der demografischen Entwicklung wird es für
die Betriebe immer wichtiger, kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur zu finden, sondern auch zu
halten: Mitarbeiter, die sich für das Unternehmensziel
einsetzen und mit ihm identifizieren und die motiviert
zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Anders als externe Investoren stehen solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in turbulenten Zeiten zu ihrem Unternehmen. Sie kennen den Wert ihrer Beteiligung; denn sie
stehen jeden Tag im Betrieb und arbeiten mit dem Anlagevermögen, das ihrem eingesetzten Kapital gegenübersteht. Gerade dieser Vorteil von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen bestätigte sich übrigens aktuell in vielen
Gesprächen mit Unternehmern, die wir in diesem Zusammenhang geführt haben.
Gute Gründe, einen fairen Anteil am wirtschaftlichen
Erfolg ihres Unternehmens zu erhalten, gibt es natürlich
auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
selbst. Sie haben durch ihre Leistungen, aber auch durch
die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre viel dazu beigetragen, dass die meisten Betriebe heute der Krise gestärkt begegnen können. Deshalb wollen wir verhindern,
dass im nächsten Aufschwung die Schere zwischen
Lohn- und Gewinneinkünften weiter aufgeht. Zwischen
2003 und 2007 sind Gewinne und Kapitaleinkommen
um 37,6 Prozent gestiegen, die Arbeitseinkommen dagegen nur um 4,3 Prozent. Nicht zuletzt aus gesamtwirtschaftlichen Gründen - Stichworte sind Kaufkraft und
Binnennachfrage - müssen wir hier dringend eine
Trendumkehr erreichen.
Die Vorteile der Mitarbeiterbeteiligung liegen also auf
der Hand. Dennoch sind wir in Deutschland von einer
echten Beteiligungskultur noch weit entfernt. Lediglich
in 2 Prozent aller Betriebe in Deutschland sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Kapital und nur in
9 Prozent sind sie am Gewinn beteiligt. In kleineren und
mittleren Unternehmen fällt die Mitarbeiterbeteiligung
sogar noch geringer aus. Gerade für diese Betriebe - Unternehmen, die in der überwiegenden Mehrzahl nicht an
der Börse gehandelt werden - sind die heutigen Möglichkeiten zur Mitarbeiterbeteiligung nicht attraktiv, da
sie erstens mit hohem bürokratischen Aufwand und hohen Kosten verbunden sind und zweitens für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weder leicht handelbar noch
insolvenzsicher sind.
Sie wissen: Nach wie vor ist der Mittelstand der Beschäftigungsmotor unseres Landes. In den kleineren und
mittleren Unternehmen sind rund 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten tätig. Gerade deshalb müssen wir hier ansetzen, wenn wir zu einer nennenswerten Ausweitung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung
kommen wollen. Und genau das ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigt.
Dazu wollen wir die steuerliche Förderung ausbauen.
Die finanzielle Förderung der Mitarbeiterbeteiligung
wird mit dem Gesetzentwurf deutlich attraktiver, indem
wir vermögenswirksame Leistungen für Anlagen in Beteiligungen verbessern. Hinzu kommt, dass künftig Mitarbeiterbeteiligungen bis zu einer Höhe von 360 Euro steuerund abgabenfrei bleiben; bisher waren es 135 Euro. Der
Betrag wird also fast verdreifacht. Die steuerliche Förderung greift aber nach wie vor nur dann, wenn sich das
Angebot zur Beteiligung an alle - ich betone: an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richtet, die ein
Jahr oder länger in dem Unternehmen beschäftigt sind.
Das ist uns wichtig, weil es Solidarität praktiziert und so
Solidarität im Unternehmen fördert.
Alle Beschäftigten, vom Pförtner bis zur Führungskraft, sollen zukünftig grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen, wenn sie aufgrund ihrer Betriebszugehörigkeit maßgeblich am Erfolg des Unternehmens
beteiligt waren, und sie sollen von dieser neuen gesetzlichen Möglichkeit profitieren.
Die vielfach geäußerte Sorge, dass die Mitarbeiterkapitalbeteiligung die betriebliche oder private Altersvorsorge unattraktiv machen könnte, ist aus meiner Sicht
unbegründet. Hier ist kein Konkurrenzverhältnis gegeben. Ich stelle fest: Der Gesetzentwurf baut keine neuen
Hinderungsgründe für den Aufbau einer zusätzlichen
privaten Altersvorsorge auf. Eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung wird nur dann steuerlich begünstigt, wenn sie
zusätzlich, also „on top“, zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn aus freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers
gewährt und nicht auf bestehende Ansprüche angerechnet wird.
Entgeltumwandlungen, wie wir sie bei der betrieblichen Altersversorgung kennen, sind bei diesem Modell
ausgeschlossen. Hinzu kommt: Die Höhe der förderfähigen Mitarbeiterkapitalbeteiligung - 360 Euro jährlich bleibt weiterhin weit hinter den förderfähigen Beiträgen
bei der betrieblichen Altersvorsorge zurück. Es handelt
sich um eine andere Anlageform. Bei der geförderten
Altersvorsorge ist das Ziel die Alterssicherung. Das
heißt, zumindest die Rückzahlung der eingezahlten Beiträge ist dort garantiert. Dies ist bei der Mitarbeiterkapitalbeteiligung anders.
Mit der Fondslösung haben wir ein weiteres innovatives Beteiligungsmodell geschaffen. Zum einen ermöglicht der Fonds kleineren und mittleren Betrieben eine
attraktive und unbürokratische Form der Beteiligung.
Zum anderen eröffnen wir mit dem Fonds eine risikoarme Anlageform für Arbeitnehmer, die auch einen Arbeitsplatzwechsel unproblematisch übersteht.
Die Beratungen im Finanzausschuss haben dabei zu
einer noch praktikableren und attraktiveren Ausgestaltung des Fonds geführt. Die Mindestgrenze für die Anlage in die teilnehmenden Unternehmen wurde auf
60 Prozent des Fondsvermögens abgesenkt. Damit besteht mehr Spielraum für Risiko-Rendite-Erwägungen.
Außerdem wurde der Anlegerschutz erhöht. Jetzt ist sichergestellt, dass nicht alle Fondsmittel in nur eines der
teilnehmenden Unternehmen investiert werden. Im Interesse der Risikostreuung gilt eine Höchstgrenze von
20 Prozent pro Unternehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf möchten wir erreichen, dass mittelfristig
1 Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr
als bisher direkt oder indirekt an ihrem Unternehmen beteiligt sein werden. Davon werden Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ebenso wie die Unternehmen profitieren.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster Schritt.
Wir haben die steuerliche Förderung angehoben. Für
kleine und mittlere Betriebe ist mit dem Fonds ein taugliches Angebot geschaffen worden, um ihnen die Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang war es auch wichtig, ein Instrument zu
schaffen, das dem Aufbau einer betrieblichen Altersvorsorge nicht im Wege steht.
Es kommt darauf an, dass Unternehmen zusätzlich in
die Leistungen ihrer Beschäftigten investieren. Wir
freuen uns, dass auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
dies begrüßt und sich positiv zu diesem ersten Schritt erklärt hat. Ich finde, es ist ein Gebot der Fairness den Arbeitnehmern gegenüber, sie gebührend an den Leistungen zu beteiligen. Es lohnt sich für die Unternehmen,
diese Beteiligung durchzuführen.
Wir hoffen, dass wir mit dem Gesetzentwurf einen
weiteren Schritt zu einer erfolgreichen Beteiligungskultur in diesem Land tun. Ich bitte Sie um Unterstützung.
({0})
Der Kollege Frank Schäffler hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung hatte ursprünglich einen hehren Anspruch: Beteiligung der Mitarbeiter
am Erfolg, Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen
und Stärkung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen.
Jetzt muss man sich fragen, was davon übrig geblieben ist. Aus unserer Sicht ist ein halbherziges, in sich
widersprüchliches und sehr kompliziertes Gesetzeswerk
übrig geblieben, das unser Steuerrecht zusätzlich verkompliziert.
Der Gesetzentwurf ist ein erneuter, typischer fauler
Kompromiss dieser Großen Koalition, der über reine
Symbolpolitik nicht hinauskommt. Sie schmücken sich
mit der Erhöhung der Arbeitnehmer-Sparzulage und
steuerlichen Erleichterungen für die Überlassung von
Mitarbeiterbeteiligungen. Dabei wissen doch alle, dass
die geplanten Fördersätze und Steuerfreibeträge nicht
annähernd das ausgleichen, was diese Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen den Arbeitnehmern
durch Steuer- und Abgabenerhöhungen in dieser Legislaturperiode aus der Tasche gezogen haben.
({0})
Ihre Förderbeträge sind sehr „beeindruckend“. Sie
stellen 360 Euro pro Jahr für eine direkte Kapitalbeteiligung steuer- und abgabenfrei. Trotz dieses geringen Betrages ist der von Ihnen eingeschlagene Weg falsch;
denn Sie kannibalisieren die betriebliche Altersvorsorge.
Ich komme zum nächsten Bereich. Auch die Förderung der vermögenswirksamen Leistungen verliert seit
Jahren in der Praxis an Bedeutung. Hier ist es umgekehrt: Sie muss nämlich voll versteuert und verbeitragt
werden.
Die tarifpolitische Entwicklung in Deutschland verläuft von einer Förderung der vermögenswirksamen
Leistungen hin zu einer Förderung der betrieblichen Altersvorsorge. Das halte ich auch für absolut notwendig.
Ihre Vorschläge tragen daher nicht dazu bei, die Vermögensbildung zu fördern. Stattdessen gefährdet der
Ausbau der Mitarbeiterkapitalbeteiligung die betriebliche Altersvorsorge. Ihr Gesetzentwurf ist höchstens gut
gemeint, aber nicht gut gemacht.
Die manchmal geäußerte Vorstellung, betriebliche Altersvorsorge und Mitarbeiterbeteiligung müssten und
könnten völlig voneinander getrennt werden, ist absolut
unrealistisch. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können einen Euro nur einmal ausgeben. In Unternehmen, die
heute schon Aktienprogramme und parallel dazu die
Entgeltumwandlung anbieten, treten bereits jetzt sehr
starke Substitutionseffekte auf. Wenn die steuerliche
Förderung jetzt ausgebaut wird, ist ein Zurückdrängen
der betrieblichen Altersvorsorge in diesen Unternehmen
zu erwarten.
({1})
Gerade die unteren Einkommensgruppen werden
dann keine betriebliche Altersvorsorge, sondern nur
noch kurz- und mittelfristig angelegtes Vermögen aufbauen. Sie erweisen damit der Vermögensbildung einen
absoluten Bärendienst.
Wir, die FDP-Fraktion, meinen: Mitarbeiterbeteiligung kann eine gute Sache sein. Das Vorhaben der Bundesregierung ist aber alles andere als ein Meilenstein. So
führt sie im Investmentgesetz eine neue Fondskategorie
ein, das sogenannte Mitarbeiterbeteiligungssondervermögen. Damit soll auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Mitarbeiter
am Produktivkapital zu beteiligen. Die in diesem Sondervermögen angesammelten Mittel sollen gleichzeitig
der Mittelstandsfinanzierung dienen und diese Unternehmen stärken. Jetzt frage ich Sie: Wie soll dieses Ziel mit
dem Gesetzentwurf erreicht werden? Wie soll das gehen? Ein Gegengewicht zur Belegschaftsaktie wird der
Fonds nur bilden können, wenn er einerseits über die
Identifikation mit dem eigenen Unternehmen die Motivation stärken kann und andererseits eine vergleichbare
Fungibilität wie die Belegschaftsaktie erreicht. Diese
Anreize werden mit dem Gesetzentwurf absolut nicht erreicht. Ich sehe keine gesteigerte Bindung des Mitarbeiters an sein Unternehmen.
Der wichtigste Punkt ist: Das Anlagerisiko in dem
konstruierten Branchenfonds ist gerade für Geringverdiener - genau an diese richtet sich der Fonds - viel zu
hoch. Mindestens 60 Prozent des Fondsvermögens sollen im Zweifel nur in wenige - zum Beispiel in fünf beteiligte Unternehmen investiert werden können. Mit
dem Grundsatz der Risikomischung, den wir im Investmentgesetz sonst immer ziemlich hochhalten, hat das
überhaupt nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Das erhöht
wesentlich die Risiken für den Kleinsparer - um niemand anderen geht es hier - und setzt ihn zusätzlichen
Gefährdungen aus. Gerade die Kleinverdiener sind aber
darauf angewiesen, in besonderem Maße Altersvorsorge
und Vermögensaufbau zu betreiben,
({2})
und das mit einer Anlage, mit der sie im Alter bzw. im
Laufe ihres Lebens rechnen können.
Jeder, der an der Börse Geld investiert, sollte die Anlageregel beachten, das Anlagevermögen ausreichend zu
diversifizieren. Niemand sollte daher sein Geldvermögen ausschließlich in eine Handvoll Unternehmen oder
in eine Branche investieren. Da sie grundlegenden Regeln entgegensteht, hat die Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung in der vorgesehenen Form ein einseitiges Anlagerisiko zur Folge. Ich warne davor, den
Mitarbeiterfonds als vermeintlich sichere Anlage anzupreisen. Es kann nur der Aspekt der Risikodiversifizierung richtig sein. Alles andere wäre aus meiner Sicht
völlig falsch. Gerade das aktuelle Marktumfeld zeigt
uns, wie schädlich eine solche Politik sein könnte. Ich
bin überzeugt, dass viele mittelständische Unternehmen
die Einrichtung dieser Fondskategorie nicht nutzen werden. Der Grund ist, dass viele mittelständische Unternehmen bei der Mitarbeiterbeteiligung auf die Gewinnbeteiligung und nicht auf die Kapitalbeteiligung setzen.
Wie eine Umfrage in den Reihen der Familienunternehmen zeigt, steht eine Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital bei der Mehrzahl der befragten Unternehmen und
vielen Mitarbeitern nicht zur Diskussion. Vielmehr wird
von diesen Unternehmen vorgeschlagen, sich verstärkt
auf die Gewinnbeteiligung zu fokussieren, die schon
aufgrund ihrer Einfachheit weit verbreitet ist und gut
umgesetzt werden kann.
Darauf zielt unser Antrag, der Ihnen heute vorliegt:
Wir wollen eine Förderung aus einem Guss. Das heißt,
es soll eine direkte Mitarbeiterkapitalbeteiligung an einem Unternehmen geben und daneben eine Vermögenspolitik auf breiter Ebene, verknüpft mit der Förderung
einer vernünftigen Altersvorsorge über die Gewinnbeteiligung. Die größte und aus ordnungspolitischer Sicht
sauberste Lösung, die der Gesetzgeber zur Förderung
der Vermögensbildung hat, ist die nachgelagerte Steuerbelastung von investierten Lohnzahlungen. Wir meinen,
dass künftig für die betriebliche Altersvorsorge und die
Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivvermögen die
gleichen steuerlichen Förderungen gelten sollen.
Wir wollen den Widerspruch, der durch die unterschiedlichen Förderwege besteht, auflösen und das System verständlicher machen. Dafür schlagen wir die Einführung eines Altersvorsorgekontos vor. Für die
Einzahlungen auf dieses Konto, das ein zertifizierter
Sparvertrag zwischen dem Altersvorsorgesparer und einem Produktanbieter sein soll, haben wir die Gewinnbeteiligung im Auge, die Sie, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU und der SPD, völlig außen vor lassen. Dabei ist eine echte Gewinnbeteiligung in Form von
Erfolgsprämien deutlich vielversprechender als die
Zwangsjacke, die Sie den Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die ausschließliche Förderung von Kapitalanteilen vorschreiben.
({3})
Die Gewinne hingegen kann jeder im Rahmen des Altersvorsorgekontos dort anlegen, wo er die höchste Rendite oder das niedrigste Risiko für sich sieht. Über das
Altersvorsorgekonto könnten Arbeitnehmer flexibel in
Investmentfonds investieren, die gleichzeitig ihrem und
anderen Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung stellen könnten. Das hilft dem deutschen Mittelstand, der
dringend auf Kapital angewiesen ist.
So wünschenswert mehr Mitarbeiterbeteiligung an
Unternehmen ist, so sehr bleibt es doch fraglich, ob die
bürokratische Branchenfondslösung und höhere Freibeträge dieses Ziel tatsächlich erreichen können, wie Sie
das wollen. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, mit
neuen Subventionen Fehlanreize zu setzen und über die
Risiken, die diese Anlagen haben, hinwegzutäuschen.
Sie dürfen die Menschen über Risiken nicht im Unklaren
lassen. Alles in allem ist Ihr Vorhaben überflüssig. Es
gibt bessere Möglichkeiten, die Mitarbeiter am Erfolg zu
beteiligen. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eduard Oswald für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Frank Schäffler, Ihre Einschätzung ist mir wirklich zu pessimistisch. Wir alle sehen - das hat die Debatte gezeigt -, dass es immer mehrere Wege gibt, um
zum Ziel zu kommen. Ich meine, wir sollten diesem Gesetzentwurf jetzt eine Chance geben.
({0})
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen - das ist
die Meinung unserer Fraktion - einen fairen Anteil am
Erfolg der Unternehmen erhalten. Wir wollen die Sozialpartnerschaft, eine Partnerschaft zwischen Kapital und
Arbeit, und die Partnerschaft zwischen Unternehmern
und Arbeitnehmern soll sich in der betrieblichen Wirklichkeit wiederfinden und diese gestalten. Ohne Zweifel
ist Sozialpartnerschaft eines der Erfolgsgeheimnisse für
Wohlstand und sozialen Frieden in diesen Jahrzehnten.
Kollege Klaus Brandner, Sie haben eine sehr gute und
umfassende Darstellung gegeben, die in der Großen Koalition insgesamt Konsens ist.
Wir wollen in Deutschland mehr Arbeitnehmerbeteiligung an Gewinn und Kapital. Wir haben das gesellschaftspolitische Ziel, dass die Arbeitnehmer ein Stück
weit mehr zu Mitunternehmern werden. Mitarbeiterkapital ist ein guter Weg zur Eigentumsbildung und führt zu
einer höheren - ich glaube, das ist notwendig - emotionalen Bindung der Arbeitnehmer an ihren Betrieb. Wir
brauchen einen neuen Schwung für eine Beteiligungskultur. Genau dies soll durch dieses Gesetz erreicht werden. Wir hoffen sehr, dass dieses Gesetz 1 Million Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich motivieren wird,
diesen Schritt zu tun.
Wir als Union bekennen uns zum Eigentum und zum
freien, sozial verantwortlichen Unternehmertum. Für uns
ist Eigentum eine Grundlage für Einkommen und dient
der Vorsorge. Auch wenn Altersvorsorge sicher mehr als
bloßes Ansparen ist, so gilt doch zugleich, dass jede
langfristig angelegte Eigentumsbildung ein Beitrag zur
Vorsorge für die Zukunft ist. In einem Unternehmen sind
alle Beteiligten aufeinander angewiesen. Übrigens gilt
das in den Zeiten, in denen wir uns befinden, stärker
denn je.
({1})
Ein gutes Unternehmen setzt auf ein gemeinsames
Leitbild, auf Anerkennung und Förderung der Mitarbeiter, auf sozialpartnerschaftlich gelebte Verantwortung innerhalb des Unternehmens. Wer sich in unserem Lande
in den Betrieben umsieht, entdeckt, dass - gottlob! - die
Mehrzahl der Unternehmer und Arbeitnehmer im Sinne
einer Partnerschaft vernünftig zusammenwirken, übrigens vor allem in Familienunternehmen, in Unternehmen also, in denen der Eigentümer oder seine Familie
selbst im Betrieb mitarbeitet und natürlich daran interessiert ist, dass über Generationen hinweg ein Miteinander
zwischen Eigentümerfamilie und Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern besteht.
Gewinne und Kapitaleinkommen sind in den vergangenen Jahren - das kann man nicht wegdiskutieren stärker gestiegen als Arbeitseinkommen. Dieser Trend
wird sich möglicherweise im Zuge der Globalisierung
verstärken. Gerade weil die Kapitaleinkünfte deutlicher
als die Löhne steigen, setzen wir mit der Aufstockung
der Mitarbeiterbeteiligung ein klares Signal für die wirtschaftliche Zukunft der Arbeitnehmer. Das ist ein wichtiger Schritt für eine Balance der Einkommensverhältnisse in unserem Land. Deshalb gilt es, das
Kapitaleinkommen möglichst vielen Beschäftigten als
weitere Einkommensmöglichkeit zu eröffnen. Ich
glaube, dass der heute abschließend zu beratende Gesetzentwurf dazu beitragen wird.
Wir werden also die betriebliche Mitarbeiterkapitalbeteiligung durch eine Anhebung des steuer- und sozialversicherungsfreien Höchstbetrages für die Überlassung
einer Mitarbeiterbeteiligung an arbeitgebenden Unternehmen von 135 Euro auf 360 Euro stärken. Dies ist ein
deutlicher Schritt und eine der wichtigsten Änderungen.
Ich muss jetzt nicht auf alle Details des Gesetzes eingehen; wir haben in allen damit befassten Ausschüssen intensiv darüber beraten. Es geht nun darum, dass sich
auch die Unternehmen mit diesem Gesetz auseinandersetzen.
Echte Sozialpartnerschaft gibt es nur auf der Basis gegenseitiger Freiwilligkeit. Auch wenn es Mitarbeitern
wie Unternehmen freisteht, ob und wie sie die Mitarbeiterbeteiligung nutzen und ausgestalten, so appelliere ich
doch an die Unternehmen, sich die Chance, die dieses
Gesetz bietet, nicht entgehen zu lassen, und auch an die
Gewerkschaften, auf die Chancen dieses Gesetzes hinzuweisen. Einen gesetzlichen oder tariflichen Zwang wird
es nicht geben. Es besteht aber für Unternehmen die
Möglichkeit, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch
emotional an das Unternehmen zu binden. Die neuen
Chancen sollte man nutzen.
Ich darf für meine Fraktion dem Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, unserem früheren Kollegen Karl-Josef Laumann, dem früheren Vorsitzenden der CSU und bayerischen Finanzminister
Erwin Huber sowie Minister Scholz einen Dank übermitteln; denn die drei haben Mitte April vergangenen
Jahres die Ergebnisse der koalitionsinternen Arbeitsgruppe vorgestellt.
Manchen geht nun dieser Gesetzentwurf nicht weit
genug.
({2})
Diesem Schritt, den wir heute gehen, müssen weitere
folgen. Jeder weiß aber, dass nur ein gewisser Finanzrahmen zur Verfügung stand. Ich meine, wir sollten jetzt
die Chance nutzen, für dieses Gesetz und die Möglichkeiten, die es beinhaltet, zu werben. Dieses Gesetz bietet
die Chance, die Vision von Ludwig Erhard wieder stärker in den Blick zu nehmen: Eigentum für alle. Deshalb
bitte ich um Ihre Zustimmung.
({3})
Der Kollege Dr. Herbert Schui hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf der Regierung eines Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes gibt sich brav, bieder, sozial gerecht. Im
Grunde genommen handelt es sich aber um nichts weiter
als einen ausgekochten Trick. Das Gesetz soll uns weismachen, dass die Regierung einige große wirtschaftliche
Gegenwartsfragen erkannt hat und lösen will. Welche
Fragen?
Erstens. Der Lohnanteil am Volkseinkommen sinkt
Jahr für Jahr. Wäre die Verteilung wie im Jahr 2000,
dann hätten die Leute, die für Lohn arbeiten, jetzt
135 Milliarden Euro mehr, die sie ausgeben könnten.
Das hätte einem Konjunkturpaket I entsprochen, ohne
dass sich der Staat hätte verschulden müssen.
Ihr Gesetz, so schreiben Sie, soll die Beschäftigten
gerecht und ausgewogen am Ertrag der Volkswirtschaft
beteiligen. Sind Sie sicher, dass die Unternehmen in
Form von Beteiligungen nun das verschenken, was sie in
den Lohnverhandlungen nicht hergeben wollten?
Zweitens. Das Vermögen ist mehr denn je ungleich
verteilt. Das DIW hat gerade neue Zahlen herausgegeben. Nachgewiesen wird das individuelle Nettovermögen von Personen, die älter als 17 Jahre sind, also nicht
das Vermögen der Haushalte. Die am besten gestellten
10 Prozent dieser Personen hatten 2002 einen Anteil am
gesamten Nettovermögen Deutschlands in Höhe von
57,9 Prozent, 2007 sind es bereits 61,1 Prozent gewesen.
Interessant wird es, wenn man nach der beruflichen
Stellung dieser Personen fragt. Das Vermögen konzentriert sich auf die Selbstständigen. Am höchsten ist es bei
den Selbstständigen mit mehr als zehn Mitarbeitern.
Drittens. Nicht nur die Verteilung ist falsch. Der Finanzmarkt bestimmt zunehmend die Produktion. Nicht
zuletzt unter dem Druck von Banken und Finanzinvestoren trifft die Geschäftsführung der Unternehmen
falsche Entscheidungen. Es setzt sich das kurzfristige
Gewinninteresse der Finanzinvestoren durch; die langfristige, solide Entwicklung des Unternehmens bleibt auf
der Strecke.
Viertens. Unternehmen werden verkauft, verlagert,
geschlossen; Unternehmensteile werden ausgegliedert.
Das Ausmaß der Leiharbeit nimmt zu. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. All das ist zwar nicht wirtschaftlich im eigentlichen Sinne, aber es ist rentabel für
die Anteilseigner, für die Finanzinvestoren.
Fünftens. Die Produktplanung der Unternehmen ist
oft falsch. Bei Forschung und Entwicklung wird am verkehrten Ende investiert. Die Autoindustrie ist ein Beispiel. Sie hat sich zunehmend auf die Herstellung von
Autos verlegt - ({0})
- Jetzt kommen wir zur Produktpalette, Herr Kollege;
denn das ist der entscheidende Punkt. Autos soll sie ja
produzieren, solange sie Autoindustrie ist.
({1})
- Ach, nein; nun lassen Sie mich doch mit Ihrem Trabi in
Frieden! Damit habe ich nichts zu tun.
({2})
Die Autoindustrie hat sich zunehmend auf die Herstellung von Autos verlegt, die - das ist das Problem - von
denen gekauft werden, die in den vergangenen Jahren
immer reicher geworden sind. Das waren Autos mit hohem Benzinverbrauch und vielen PS. Diese Kundschaft
zu bedienen, war wichtiger, als die Schadstoffziele zu erreichen, auf die sich die Autohersteller in freiwilliger
Selbstverpflichtung festgelegt haben. Das ist der entscheidende Punkt, Herr Kollege.
({3})
Dieses Ziel, also die Produktion schadstoffarmer Autos,
steht bei der Entwicklungstechnologie und Planung
hintan.
Diese fünf Fragen müssen nun vorrangig angegangen
werden.
Was dagegen die Regierung mit diesem Gesetz anpacken will, hat die CDU klar auf den Punkt gebracht. Ein
Antrag des Bundesvorstands der CDU an den Dresdner
Parteitag von 2006 trägt die Überschrift „Soziale Kapitalpartnerschaft“. Herrliche Bezeichnung!
({4})
- Ich lobe es ja. Seien Sie doch nicht so! - Darin heißt
es:
Gewinn- und Kapitalbeteiligung vermag einen fairen Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg auch dann sicherzustellen, wenn sie um der Wettbewerbsfähigkeit und
der Beschäftigungssicherung willen zu Zugeständnissen in der Nominallohnpolitik bereit sind.
Das soll wohl jetzt Programm werden - in Form des
Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes. Dabei handelt es
sich um Investivlohn auf freiwilliger Basis und weiter
gar nichts.
Der Lohnverzicht der vergangenen Jahre hat die Krise
nicht verhindert; mehr noch: Der Lohnverzicht hat das
Vermögen von denjenigen vergrößert, die einen Großteil
davon im großen, im freien, im liberalisierten Finanzkasino durchgebracht haben. Das war das Ergebnis des
Verzichts.
Nun soll erneut auf Lohn verzichtet werden - versüßt
mit der Hoffnung darauf, von den Unternehmen Beteiligungen geschenkt zu bekommen: bis 360 Euro im Jahr
steuer- und abgabenfrei. Wer sich krummlegt, mutig ist
und trotz sinkender Aktienkurse und drohender Bankrotte
mit seinem Gesparten Beteiligungen kauft, der bekommt
eine Arbeitnehmersparzulage. Vorgesehen sind nicht wie
bisher höchstens 72 Euro, sondern 80 Euro im Jahr, also
8 Euro mehr. Die Frage ist nun, ob das die Kursverluste
an der Börse ausgleicht. Ich zweifle sehr daran. Wer dagegen als Bankier Geld verplempert hat, bekommt aus
dem Finanzmarktstabilisierungsfonds mehr. Wer zahlt in
letzter Instanz diese Extrasparzulage von 8 Euro im
Jahr? 56 Prozent der Steuereinnahmen der Gebietskörperschaften stammen aus der Lohnsteuer und der Mehrwertsteuer. Rund 4 Euro von dem, was es zusätzlich an
Sparzulage gibt, zahlt der Sparer an sich selbst. So bleiben 4 Euro netto übrig; die kommen anderswoher.
Was ist zu tun gegen die ungleiche und zunehmend
ungleicher werdende Einkommens- und Vermögensverteilung? Wie kann man es schaffen, dass die Produktion
nicht vom Finanzmarkt, sondern vom langfristigen Interesse der Arbeitenden und der Verbraucher bestimmt
wird? Wie kann man dafür sorgen, dass eben nicht ausgelagert, verkauft und geschlossen wird, dass nicht das
geschieht, was der Finanzinvestor will, weil es mehr Gewinn bringt? Wie lässt sich erreichen, dass die Unternehmen mit ihren technischen Entwicklungen den Anforderungen der langen Frist folgen?
Da muss Gegenmacht her. Deshalb fordert die Linke
in ihrer „Frankfurter Erklärung“: Die Belegschaften
müssen in den Unternehmen bei den grundlegenden Fragen, so bei Entlassungen, Unternehmensverkäufen, Auslagerungen und Ausgliederungen, wirklich mitentscheiden.
Gegenwärtig ist die Macht, die Entscheidungsbefugnis
falsch verteilt. Das Management braucht dringend ein
Korrektiv, wodurch Missstände beseitigt und Fehlentscheidungen verhindert werden. Die Lösung ist mehr
Mitbestimmung.
({5})
Die Mitbestimmung muss also auf eine erweiterte
Grundlage gestellt werden. Deshalb fordert die Linke,
dass die Belegschaften bis zu 49 Prozent an größeren
Unternehmen beteiligt werden, und dies vor allen Dingen dann, wenn die Unternehmen staatliche Unterstützung erhalten. Diese Mitarbeiterbeteiligung ist keine
Verstaatlichung. Der Zweck dieser Beteiligung ist, zu
verhindern, dass diejenigen, die den Reichtum erarbeiten, von Jahr zu Jahr ärmer werden und gleichzeitig das
Vermögen und das leistungslose Einkommen von großen
Familiendynastien und deren Erben begründen.
All diese brennenden Gegenwartsfragen - die Einkommens- und Vermögensverteilung, die Unternehmenspolitik - geht die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nicht an. Es ist ein Talmigesetz. Eine
wirkliche Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital der
Unternehmen und damit an den Unternehmensentscheidungen sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Das einzig Positive, wenn überhaupt, ist die geringe Erhöhung der
Sparzulage.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Die Kollegin Dr. Thea Dückert hat jetzt das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Eingangsbemerkung: Die Rede des Staatssekretärs,
mit der er den Gesetzentwurf vorgestellt hat, war für
meine Begriffe sehr bezeichnend, aber auch entlarvend
für das, worüber wir heute hier diskutieren. Er hat sich
nämlich quasi entschuldigend dazu geäußert, dass hier in
Zeiten der Finanzkrise, in Zeiten, wo es sehr viele unsichere Finanzanlageprodukte gibt, eigentlich ein Finanzanlageprodukt vorgestellt wird. Herr Brandner, Sie
haben gesagt, das sei weitsichtig. Ich finde, dass Sie damit gleichzeitig umschreiben, was hier gemacht wird: Es
wird nämlich nicht wirklich über Arbeitnehmerbeteiligung am eigenen Unternehmen geredet, und es handelt
sich auch nicht um einen Vorschlag dazu, wie wir in diesem Bereich weiterkommen, sondern Sie haben das
Ganze in der Tat auf die Einführung eines neuen Finanzanlageproduktes reduziert.
({0})
Das ist wirklich schade; denn die Idee der Mitarbeiterbeteiligung ist unglaublich zentral und wichtig im Zusammenhang mit den Überlegungen, wie man zu einer
neuen, modernen Unternehmenskultur kommen kann.
Zu dieser Unternehmenskultur gehört: Corporate Governance, familienfreundliche Unternehmen, Frauen, die in
die Vorstandsetagen aufrücken, Job Enrichment und ein
anderer Umgang mit der Lebensarbeitszeit über Lebensarbeitszeitkonten. Dies umschreibt die neuen Betriebe,
die nach vorne gerichtet sind. Dazu gehört auch die Mitbestimmung. Dazu gehören innovative, neue Formen der
Beteiligung von Arbeitnehmern an den Unternehmen.
Davon ist in Ihren Vorschlägen überhaupt nichts zu
sehen. Warum ist das so schade? Die Praxis zeigt, dass
die Mitarbeiterbeteiligung in großen wie in kleinen Unternehmen, in denen es sie bereits gibt, dazu führt, dass
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich nicht nur
stärker mit den Betrieben identifizieren, sondern auch
die Chance haben, ihre innovativen Ideen einzubringen,
dass der Krankenstand geringer und die Motivation höher ist. Unterm Strich - das ist statistisch nachgewiesen - liegt hier eine Win-win-Situation vor.
({1})
Beide haben Vorteile, die Arbeitnehmer in Bezug auf
ihre Arbeitsplätze und die Unternehmen in Bezug auf
ihre Produktivität. Aus diesem Grund streiten wir für
eine moderne Mitarbeiterbeteiligung. Deswegen haben
wir schon lange vor der Regierung einen Antrag eingebracht, der sich mit den gesamten Facetten der Mitarbeiterbeteiligung beschäftigt.
Ihr Finanzanlageprodukt ist vielleicht gut gemeint,
aber in jedem Fall schlecht gemacht,
({2})
schlecht gemacht mit Steuergeldern. Warum? Letzten
Endes locken Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
ihr Geld in Anlageformen zu investieren, die unter Renditegesichtspunkten schlechter sind als andere - das ist
in den Anhörungen bestätigt worden -, oder in die Anlageformen, wenn das Geld im eigenen Unternehmen und
nicht in einem Branchenfonds angelegt wird, die ein
doppeltes Risiko bergen, nämlich das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren und gleichzeitig das Geld, das im
eigenen Betrieb angelegt ist. Sie stellen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern keine Insolvenzsicherung
an die Seite. Das ist der Vorwurf von unserer Seite; denn
dieses doppelte Risiko ist nicht zu akzeptieren.
({3})
Um bei der Mitarbeiterbeteiligung weiterzukommen,
schlagen Sie zwei Wege vor: eine steuerliche Begünstigung und den Branchenfonds.
Das Instrument der steuerlichen Begünstigung ist
hauptsächlich an große Unternehmen gerichtet, an Aktiengesellschaften, an Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Dort funktioniert es; das sieht man. Diese
Unternehmen werden gestützt. Des Pudels Kern ist allerdings, dass in einem großen Teil dieser Aktiengesellschaften - Sie brauchen sich nur VW anzuschauen diese Mitarbeiterbeteiligung über verschiedene Optionsmodelle ermöglicht wird. Das heißt, dass die hier eingesetzten Steuergelder zu Mitnahmeeffekten führen werden. - Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist: Wir können sehen, dass mit diesen Begünstigungen die Bezieher höherer, aber nicht die
Bezieher geringerer Einkommen mit unsicheren Arbeitsplätzen unterstützt werden. Diese haben Sie - diese Anmerkung sei mir gestattet - in Ihren Änderungsanträgen
noch kurzfristig ausgeschlossen. Wenn Sie Vermögensbildung auf dieser Ebene wirklich voranbringen wollen
- das nehmen Sie ja für sich in Anspruch -, dann stellt
sich doch die Frage, warum Sie im Vorfeld den Sparerfreibetrag halbiert haben. Er bedeutete eine Unterstützung der Bezieher von geringeren Einkommen bei der
Vermögensbildung, meine Damen und Herren.
({4})
Das zweite Element ist der Branchenfonds. Mitarbeiterbeteiligungs-Sondervermögen heißt dieses Kind, ein
großes Wort. Dabei handelt es sich um einen großen Irrtum, wie man feststellt, wenn man an beide denkt, sowohl an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
kleinen Betrieben als auch an die Unternehmen. Warum?
Die Beteiligung an den kleinen und mittleren Unternehmen muss ermöglicht werden. Wir haben in unseren Anträgen dargestellt, dass es viele Rahmenbedingungen
gibt, die man verbessern kann. Bei Ihnen ist eines klar:
Ein großer Vorteil der Mitarbeiterbeteiligung, nämlich
die Stärkung der Eigenkapitaldecke in den kleinen Unternehmen, wird durch Ihre Vorschläge nicht erreicht,
sondern ausgehöhlt. Die Gutachter und die Wirtschaftsverbände haben Sie darauf hingewiesen - das ist auch
logisch -, dass ein Unternehmen sein Eigenkapital, das
es für seine Beteiligung am Branchenfonds zur Verfügung stellen muss, möglicherweise gar nicht in dieser
Höhe herausbekommt. Das bedeutet unterm Strich: Die
Eigenkapitaldecke bzw. die Flexibilität, das Eigenkapital
zurückzubekommen, wird gerade für die kleinen und
mittleren Unternehmen verschlechtert. Das kann doch
nicht sein, wenn es um die Vorteile der Beteiligung von
Mitarbeitern geht.
({5})
Ein anderer Punkt kommt bei Ihnen gar nicht vor: Wir
haben Probleme bei der Unternehmensnachfolge, insbesondere bei kleinen und mittleren Betrieben. Insofern
wäre es ein Gewinn, wenn die bereits bestehenden Garantieprogramme für Belegschaften über Bürgschaftsbanken für kleine Betriebe ausgebaut werden würden,
damit es möglich wird, dass auch Belegschaften die Betriebe in der Unternehmensnachfolge weiterführen. Das
gibt es schon, aber sie brauchen Unterstützung. In Ihren
Programmen gibt es dazu nichts; sie sind auf große Unternehmen gerichtet.
({6})
Meine Damen und Herren, Sie haben in Ihren Ausführungen versucht, Schwachstellen zu heilen, beispielsweise die, dass die Rendite wegen der Bindung an die
einzelne Branche, die möglicherweise schlechte Zukunftsaussichten hat, im Vergleich zu anderen Anlagen
schlechter ausfällt. Sie haben versucht, dies ein bisschen
abzufedern - das ist Ihnen auch ins Stammbuch geschrieben worden -, aber Sie haben das Problem natürlich nicht beseitigen können, weil die Bindung an die
Branche erhalten bleibt, egal mit welchem Prozentsatz.
Bei dem Produkt, das Sie verkaufen wollen, zahlen die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Geld, bekommen
aber eine schlechte Rendite. Das kann doch nicht sein.
({7})
Am Verrücktesten empfinde ich Folgendes: Sie
möchten gern, dass die Menschen in solche Anlagen investieren, und zwar mit Steuergeldern unterlegt. Wenn
sie aber ihr Geld dort anlegen, Pech haben und Umstände eintreten, unter denen sie ihr Geld aus dem Fonds
zurückbekommen wollen, dann müssen sie eventuell
aufgrund der von Ihnen vorgegebenen Fristen sieben
Jahre lang warten.
({8})
Meine Damen und Herren, das kann doch wirklich nicht
sein. Stellen Sie sich vor, die eigene Lebenssituation verändert sich oder man erkennt, dass die Branche den Bach
runtergeht, und man will an sein Geld und kommt nicht
heran. Das ist wirklich unglaublich.
({9})
Frau Dückert!
Ich muss zum Schluss kommen; ich weiß es. Ich will
nur in Richtung FDP noch einen Punkt anmerken: Man
sollte diese Form der wenig risikogestreuten Anlagen in
einer Branche nicht für die Altersvorsorge schmackhaft
machen. Das ist ein großer Fehler, den die Koalition hier
macht.
({0})
Es ist ein großer Fehler, weil ein Euro nur einmal ausgegeben werden kann und nicht mit hohem Risiko angelegt
werden sollte.
({1})
Wir haben ein Altersvorsorgekonto vorgeschlagen, welches Sie abgeschrieben haben, aber eben leider nur zur
Hälfte. Gucken Sie sich das noch einmal an! Unser Altersvorsorgekonto bietet wirklich eine Garantie für die
Altersvorsorge.
Frau Dückert!
Das hilft den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Ich danke Ihnen.
({0})
Der Kollege Jörg-Otto Spiller hat jetzt das Wort für
die Fraktion der SPD.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Worauf basiert Deutschlands Wirtschaftskraft?
Sie basiert auf dem Wissen, dem Können, dem Fleiß und
der Sorgfalt
({0})
von Millionen arbeitenden Menschen, auf der Weitsicht,
dem Wagemut, der Fähigkeit zur Innovation von Unternehmern und Managern sowie auf der ganz überwiegend
erstklassigen technischen Ausrüstung der Unternehmen.
Alle diese Faktoren gehören zusammen. Natürlich muss
auch in Zukunft in Ausbildung, Bildung, Forschung und
Entwicklung investiert werden, und natürlich können
wir nur darauf bauen, dass es auch weiterhin dynamische
Manager, Unternehmensführungen gibt, die Zukunftsmärkte erkennen und sich trauen, entsprechend zu investieren. Es wird aber auch weiterhin so sein, dass unsere
Wettbewerbsfähigkeit davon abhängt, dass wir eine
glänzende technische Ausstattung haben. Lohnstückkosten und wettbewerbsfähige Preise hängen ganz wesentlich davon ab, dass man eine gute technische Produktionsausstattung hat. Das ist Kapital. Kapital ist nicht
bloß Geld, sondern es schlägt sich in Produktionsfähigkeit nieder.
Wir haben hier bereits über die Tendenzen bei der
Lohnquote, der Gewinn- und der Vermögensertragsquote gesprochen. Meine Vermutung ist, dass der Anteil
der Vermögens- und Gewinnerträge eher steigen wird,
weil die Kapitalintensität der Produktion nicht abnehmen, sondern steigen wird. Wenn wir wettbewerbsfähig
bleiben wollen - und das wollen wir -, wird die Kapitalintensität steigen müssen. Natürlich hoffen wir als
Sozialdemokraten, dass es den Gewerkschaften in den
Tarifverhandlungen immer wieder gelingen wird, anständige Löhne und Gehälter durchzusetzen. Das schon gleichwohl ist es hochwahrscheinlich, dass die Kapitalintensität tendenziell steigt.
Diese funktionale Aufteilung zwischen den Erträgen
aus dem Kapital und Löhnen und Gehältern ist nicht
identisch mit einer personellen Zuordnung. Uns interessiert natürlich schon, wem das wachsende Produktivkapital gehören wird. Ich sage - ich glaube, darüber gibt es
breiten Konsens in der Großen Koalition -: Wir möchten, dass das zusätzliche Kapital nicht nur bei denen landet, denen schon das bisherige Kapital gehört. Wir
möchten eine breite Streuung des Eigentums, des wachsenden Kapitals, das wir aus ökonomischen Gründen
brauchen.
({1})
Das ist kein neuer Gedanke. In der Geschichte der
Bundesrepublik ist schon sehr früh, nicht erst zu Zeiten
der ersten Großen Koalition, über dieses Thema beraten
worden; das reicht in die Frühzeit der Bundesrepublik
zurück. Das Ergebnis, der jetzige Zustand, ist nicht ausreichend. Wir haben eine unbefriedigende Verteilung
von Produktivvermögen in der deutschen Gesellschaft.
({2})
Wir möchten, dass sich das ändert. Herr Schäffler ist daran nicht interessiert.
({3})
- Das haben Sie vorhin gesagt. Das ist ein legitimer
Standpunkt. Sie sagen, Sie interessieren sich nicht so
sehr dafür.
({4})
Wir finden das aber wichtig und möchten Impulse geben. „Impulse“ heißt nicht, dass wir einfach Steuern verteilen wollen und der Reiz eines solchen Programms in
den Zuschüssen besteht - überhaupt nicht. Das sind Anstöße.
({5})
Mehr brauchen wir auch nicht. Wenn Sie Dirigismus
wollen, wenn Sie wollen, dass sozusagen alles verordnet
wird und es nicht mehr darauf ankommt, ob eine solche
Anlage Sinn macht, dann gehen unsere Meinungen auseinander. Wir sind der Meinung, dass es nicht allein auf
die Förderung ankommt. Vielmehr ist die Förderung ein
Impuls, ein Anstoß.
({6})
Ich will noch ein paar Sätze über die Kernpunkte dieses Entwurfs sagen.
Zunächst einmal fördern wir Beteiligungsangebote,
die sich an alle Beschäftigten des Unternehmens richten;
das hat der Kollege Brandner bereits gesagt. Es ist weit
verbreitet, dass in Unternehmen, wenn sie überhaupt
eine Beteiligung anbieten, eine Differenzierung vorgenommen wird insofern, als leitende oder außertarifliche
Angestellte großzügiger behandelt werden als andere
Mitarbeiter. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass alle,
die mindestens ein Jahr in dem Unternehmen beschäftigt
sind - nicht unbedingt der Werkstudent, der dort in den
Semesterferien jobbt -, in solche Angebote einbezogen
werden.
Wir sagen, dass es sich um zusätzliche Leistungen
handeln muss, die freiwillig gewährt werden, nicht um
die Umwandlung von tarifvertraglich oder arbeitsvertraglich vereinbartem Arbeitsentgelt. Außerdem fördern
wir in gleicher Weise die direkte Beteiligung an dem Unternehmen wie die indirekte Beteiligung über Fonds, deren Kapitalbestände nach einer Anlaufzeit von drei Jahren zu wenigstens 60 Prozent in die Unternehmen
zurückfließen sollen, die das Geld aufgebracht haben.
Ich will ganz offen sagen: Zu Beginn unserer Diskussionen haben wir Sozialdemokraten gesagt, dass uns der
Fonds wichtiger ist. Die Kollegen von der Union sagten:
Wir haben nicht viel gegen den Fonds, aber wir möchten
die direkte Beteiligung besonders fördern.
({7})
Wir haben deshalb eine gleichmäßige Förderung beschlossen. Dass es Unternehmen gibt, die ihren Beschäftigten schon jetzt entsprechende Angebote machen, weiß
jeder; in großen Unternehmen ist das relativ leicht über
Belegschaftsaktien zu realisieren. Leider geschieht dies
in den kleineren Unternehmen recht selten. Bisher sind
nicht mehr als insgesamt rund 2 Millionen Beschäftigte
auf diese Art und Weise an ihrem Unternehmen beteiligt.
Wir haben auch über eine Insolvenzsicherung diskutiert; Frau Dückert hat dieses Thema angesprochen. Wie
kann man sicherstellen, dass eine solche Arbeitnehmerbeteiligung am Unternehmen nicht zu einem „Klumpenrisiko“ führt, also dazu, dass Arbeitsplatz und Ersparnisse gefährdet sind? Frau Dückert, es ist leider so: Alle
Lösungen - wir haben das genau recherchiert -, bei denen mit Versicherungen gearbeitet wird, die das Risiko
halbwegs kostendeckend absichern, führen zu keiner
Rendite. Das kann man alles vergessen. Deswegen haben wir gesagt: Wer sich nicht dafür entscheiden möchte,
sich am eigenen Unternehmen zu beteiligen, soll eine
Fondslösung wählen, wobei wir uns sehr wünschen, dass
es bei solchen Lösungen ein partnerschaftliches Miteinander gibt. Am besten kann man so etwas in einer Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung aushandeln. Das halte ich für den allerbesten
Weg.
Frau Dr. Dückert, Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag, es komme nicht auf das reine Finanzanlageprodukt an.
({8})
Sie wollen eine partnerschaftliche Unternehmenskultur
fördern.
({9})
Aber der Blick in Ihren Entschließungsantrag lässt Zweifel an Ihrer politischen Kultur aufkommen. Man wundert
sich. Sie möchten, dass der Deutsche Bundestag, nachdem wir dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung beschlossen haben, anschließend die Bundesregierung auffordert,
({10})
die geplanten Mitarbeiterbeteiligungs-Sondervermögen
nicht in das Investmentgesetz einzuführen. Ebenso wollen Sie die Förderung nicht in das Gesetz aufnehmen.
({11})
Sie wollen, dass der Bundestag entscheidet, die Regierung möge das Gesetz, das der Bundestag gerade beschlossen hat, wieder aufheben.
({12})
Von der PDS sind wir das Fremdeln mit der Demokratie
gewöhnt. Dass sich jetzt auch die Grünen so verhalten,
finde ich allerdings sehr merkwürdig.
In einem Punkt haben Sie recht: Natürlich gehört eine
Unternehmenskultur dazu. Es wird auch so sein, dass
sich in diesem Bereich nur gut geführte Unternehmen
engagieren werden.
Herr Kollege Spiller, möchten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Dr. Dückert zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Spiller, ich unterbreche Sie nur ungern;
aber so viel Zeit muss sein.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen
könnten, dass wir die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag nicht auffordern, erst etwas zu beschließen und es dann nicht in Kraft zu setzen, sondern
dass unser Antrag darauf zielt, zu verhindern, dass Sie
diese Form des Branchenfonds und des Sondervermögens beschließen.
Außerdem verweisen wir auf einen Antrag, den wir
schon vor zwei Jahren eingebracht haben und in dem wir
in aller Breite auf die Punkte, die ich vorhin angesprochen habe, eingegangen sind. Es ging zum Beispiel darum, wie wir familiengeführte Unternehmen, die einen
Nachfolger haben, unterstützen und dafür sorgen können, dass sie zu mitarbeiterbeteiligten Unternehmen
werden. Auf diesen Punkt und viele andere Aspekte haben wir in unserem damaligen Antrag hingewiesen. Ich
frage Sie: Haben Sie vergessen, dass wir diesen sehr
breit angelegten Antrag hier im Deutschen Bundestag
schon einmal debattiert haben? Wir waren nämlich
schneller als Sie.
Vielleicht haben Sie den Entschließungsantrag, den
Sie eingebracht haben, nicht genau genug gelesen. Daher
lese ich Ihnen einmal vor, was dort steht. Sie schreiben:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die geplanten Mitarbeiterbeteiligungssondervermögen … nicht als neue Fondskategorie in das Investmentgesetz einzuführen,
2. ebenso auf die Ausweitungen der steuerlichen
Förderung im Einkommenssteuergesetz und im
5. Vermögensbildungsgesetz zu verzichten …
({0})
Was ist denn das für ein Parlamentsverständnis? Der
Bundestag soll die Bundesregierung auffordern, Gesetze
zu beschließen oder Gesetze nicht anzuwenden. Irgendwo gibt es hier eine Lücke. Das hat nichts mit Unternehmenskultur zu tun, sondern mit einem Defizit an
politischer Kultur. Dass die Grünen ein solches Defizit
haben, wundert mich allerdings ein wenig, da sie sonst
eigentlich durchaus einen Sinn für das Thema Zivilgesellschaft haben.
({1})
Ich gebe Ihnen den Ratschlag, mit der deutschen Sprache ein bisschen sorgfältiger umzugehen.
({2})
Das, was Sie in Ihrem Entschließungsantrag geschrieben
haben, kann man nicht unkommentiert stehen lassen.
Was Ihren damaligen Antrag angeht, muss ich leider
feststellen: Sie haben im Wesentlichen die Liste, die Ih21654
nen die Lobbyisten der Fondsbranche vorgelegt haben,
abgeschrieben.
({3})
Wir alle kennen diese Forderungen. Auch wir haben uns
damals mit ihnen auseinandergesetzt. Sie allerdings haben sie in Ihren Antrag aufgenommen.
Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf vorsichtig formuliert, sie erwarte,
dass sich die Zahl der Arbeitnehmer, die in irgendeiner
Weise, ob direkt oder indirekt, an ihren Betrieben beteiligt ist, mittelfristig, also nach zwei, drei Jahren, von
etwa 2 Millionen auf etwa 3 Millionen erhöht. Das wäre
eine stolze Steigerungsrate. Wir hoffen natürlich, dass
noch wesentlich mehr Mitarbeiter an ihren Unternehmen
beteiligt werden; denn wir bauen darauf,
Herr Kollege!
- dass gut geführte Unternehmen darauf setzen, mit
ihren tüchtigen Mitarbeitern zusammenzuarbeiten und
gemeinsam wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg zu erzielen.
({0})
Für den Bundesrat hat jetzt der Minister Karl-Josef
Laumann das Wort.
({0})
Karl-Josef Laumann, Minister ({1}):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es
mir sehr wichtig war, heute in dieser Debatte für die
Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu sprechen, und
zwar nicht nur, weil ich etwas mit dem Zustandekommen des Gesetzes zu tun habe. Mir ist es auch wichtig,
zu sagen, dass die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein uraltes Anliegen der christlich-sozialen Bewegung in
Deutschland ist. Das lässt sich auch an vielen Anträgen
in der Geschichte des Bundestages dokumentieren.
({2})
In Nordrhein-Westfalen haben die Ideen im Hinblick
auf die Mitarbeiterkapitalbeteiligung immer eine große
Rolle gespielt. Schon unser erster Ministerpräsident Karl
Arnold wollte 1951, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber
je 2 Pfennig eines Stundenlohnes in die Mitarbeiterkapitalbeteiligung stecken.
({3})
Ich finde vor allen Dingen seine Begründung interessant, aus der ich nun zitiere:
Der Arbeitnehmer soll nicht nur in der Gegenwart
leben, er soll als Eigentümer sich für sein Schicksal
und für die Zukunft seiner Familie verantwortlich
fühlen. Das eigene Vermögen soll seine Abhängigkeit als Arbeitnehmer mildern, seine wirtschaftliche
Freizügigkeit verstärken und ihm auf die Dauer
eine neue Einkommensquelle sichern.
Die Begründung ist heute noch so gut, dass man keine
bessere zu diesem Thema finden könnte.
({4})
Dieser Gedanke macht sehr deutlich, dass Mitarbeiterkapitalbeteiligung mehr ist als nur Alterssicherung.
Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist auch mehr als nur Vermögensbildung. Dahinter steckt eine Philosophie der sozialen Partnerschaft in den Unternehmen. Das Thema
Mitarbeiterkapitalbeteiligung kann nur jemand begreifen, bei dem wirtschaftliche und soziale Kompetenzen
zusammenkommen. Denn ich kenne kaum ein Thema,
das diese beiden Kompetenzen so miteinander verbindet
wie die Frage der Kapitalbeteiligung.
Ich meine, dass wir in der Koalitionsarbeitsgruppe,
zusammen mit der Bundesregierung, ein gutes Konzept
auf den Weg gebracht haben. Uns war vor allen Dingen
wichtig, dass im Rahmen der Mitarbeiterkapitalbeteiligung bestehende Beteiligungsmodelle fortgeführt werden können. Uns war auch wichtig, dass sie freiwillig
und für alle offen ist. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass
sie nicht nur für einzelne Teile der Belegschaft gelten
darf, sondern dass sie für alle offen ist.
({5})
Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung darf kein Bestandteil
des Lohnes sein und nicht in Konkurrenz zur Altersversorgung treten. Dafür haben wir eine ganz vernünftige
Lösung gefunden.
({6})
Wenn man in der jetzigen Zeit und im Rahmen der
allgemeinen politischen Debatte über Mitarbeiterkapitalbeteiligung spricht, denkt manch einer: Na ja, passt das
jetzt in die Zeit, in der wir unsere Erfahrungen auf den
Kapitalmärkten gemacht haben?
({7})
Das kann ich schon verstehen. Ich bin mir aber ziemlich
sicher, dass langfristig wieder eine Entwicklung eintreten wird, in der die Kapitaleinkünfte und die Gewinne
stärker steigen als die Löhne; das hat Herr Spiller in seiner Rede sehr nachvollziehbar dargestellt. Deswegen ist
es schlau, sich diese Idee durch die aktuelle Krise nicht
kaputt machen zu lassen, sondern den Gesetzesvorschlag
zu verabschieden; er ist reif dafür.
Ich möchte einen weiteren Gedanken einbringen, der
mir in diesen Tagen oft durch den Kopf geht: Wir bekommen alle mit, dass die Auftragslage in vielen UnterMinister Karl-Josef Laumann ({8})
nehmen zurzeit nicht gut ist, dass Kurzarbeit angemeldet
wird, und zwar in sprunghaft steigenden Zahlen. Die Arbeitnehmer nehmen Kurzarbeit und vieles andere in
Kauf. Kurzarbeit bedeutet bekanntermaßen, dass, wer
keine Kinder hat, 40 Prozent, wer Kinder hat, 33 Prozent
seines Einkommens verliert. Das ist für einen Arbeitnehmerhaushalt durchaus ein Thema. Da ist es nur recht und
billig, dass die Arbeitnehmer, wenn es wieder besser
wird, wenn die Krise vorbei ist, stärker an den Erfolgen
der Unternehmen beteiligt werden.
({9})
Ein weiterer Gedanke ist mir in dieser Debatte wichtig: Ich glaube, dass der Mitarbeiterbeteiligung ein gutes
Menschenbild zugrunde liegt, aus meiner Sicht das
christliche Menschenbild. Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Eigentum der Wirtschaft hat etwas mit der
Würde von Arbeit zu tun. Die Würde von Arbeit drückt
sich natürlich auch durch die Bezahlung der Arbeit aus.
({10})
Erwerbsarbeit, die nichts wert ist, hat meiner Meinung
nach keine Würde. Ehrenamtliche Arbeit, das sage ich
ausdrücklich, ist etwas anderes. Aber für Erwerbsarbeit
gilt das, und deswegen sind die Gesetze, die heute Morgen verabschiedet worden sind, ein Schritt in die richtige
Richtung.
Eine Beteiligung der Arbeitnehmer ist jedoch etwas
anderes als nur ein Schritt in die richtige Richtung. Mit
der Systematik dieses Gesetzes schaffen wir zum ersten
Mal einen Rahmen, der der Mitarbeiterbeteiligung in
Deutschland einen richtigen Schub geben kann.
({11})
Ich war lange im Bundestag. Wir haben schon damals
viel in dieser Richtung beschlossen. Aber es ging immer
mehr in Richtung Vermögensbildung. Die Mitarbeiterbeteiligung hat oft darunter gelitten, dass zwar alle sie gut
fanden, aber kaum einer etwas für sie getan hat. Die Gewerkschaften standen unter Druck, in erster Linie über
Lohnerhöhungen zu verhandeln; das wollten ihre Mitglieder lieber. Darüber hinaus hatte ein Teil der Gewerkschaften früher die Philosophie: Lasst uns die Arbeitnehmer lieber nicht am Eigentum der Unternehmen
beteiligen, sonst denken sie nicht mehr so, wie wir es
wollen. - Dieser Gedanke ist falsch. Denn wer Eigentum
hat, denkt meistens richtig. Das Thema Mitarbeiterbeteiligung ist also oft zu Tode gelobt worden.
Heute tun wir in der Systematik einen gewaltigen
Schritt, denn wir sagen ausdrücklich: Wir wollen die
Mitarbeiterbeteiligung. Man kann die Förderbeträge als
lächerlich bezeichnen.
({12})
Aber in der Summe belasten sie den Staat. Deswegen
muss die Mitarbeiterbeteiligung mit wenig Geld vom
Staat auskommen.
({13})
Die Mitarbeiterbeteiligung soll aber auch gar keine
Staatsveranstaltung werden, sie soll eine Veranstaltung
werden, bei der der Staat einen Impuls gibt, damit die
Entwicklung in die richtige Richtung geht. Es liegt jetzt
ganz daran, wie die Sozialpartner in unserem Land die
Möglichkeit der Mitarbeiterbeteiligung aufgreifen. Ein
Unternehmer ohne soziale Kompetenz wird dieses
Thema nie aufgreifen. Auch eine Arbeitnehmervertretung, die nur daran denkt, was heute im Portemonnaie
ist, wird dieses Thema nicht aufgreifen. Die Mitarbeiterbeteiligung werden diejenigen aufgreifen, die für nachhaltige Politik und für humane Arbeitsbedingungen sind.
({14})
Deswegen ist heute ein guter Tag für die Arbeitnehmer
und für die Wirtschaft in Deutschland.
Schönen Dank.
({15})
Der Kollege Klaus-Peter Flosbach hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das den
Beschäftigten von Unternehmen neue und bessere Möglichkeiten bietet, sich an Unternehmen, insbesondere am
eigenen Unternehmen, zu beteiligen. Wir von der Union
bekennen uns, wie Karl-Josef Laumann gesagt hat, seit
jeher zur sozialen Kapitalpartnerschaft und zu einer breiten Kultur der Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital
der Unternehmen.
Wir wollen diesen Gesetzentwurf jetzt verabschieden,
um damit auch die Akzeptanz des Themas Mitarbeiterbeteiligung insgesamt zu erhöhen. Es geht hier aber
nicht um Gewinnbeteiligung, es geht auch nicht um die
betriebliche Altersversorgung, sondern es geht um eine
unternehmerische Beteiligung. Ich bitte Sie alle, in dieser Diskussion nicht alle Bereiche miteinander zu verbinden oder zu vermischen. Das ist unzulässig und nicht
in Ordnung.
({0})
In Deutschland sind derzeit etwa 8 Prozent der Mitarbeiter in den verschiedenen Unternehmen - ob groß oder
klein - an diesen beteiligt. In Europa sind insgesamt
etwa 20 Prozent der Mitarbeiter an ihren Unternehmen
beteiligt. Die Erfahrungen dort haben gezeigt, dass mit
staatlicher Unterstützung und mit staatlichen Anreizen
insgesamt eine deutliche Steigerung bei der Beteiligung
der Mitarbeiter an ihren Unternehmen erreicht werden
konnte. Wir hier in Deutschland und gerade auch wir in
der Union propagieren nach wie vor das Prinzip von
Ludwig Erhard, wonach wir in diesem Land eine Gesellschaft von Teilhabern erreichen wollen.
({1})
Wir erleben das in vielen Betrieben: Zahlreiche Möglichkeiten werden in diesem Bereich genutzt. Wir kennen das aus den größeren Betrieben. Dort sind es die Belegschaftsaktien. In den kleinen Betrieben sind es eher
die stillen Beteiligungen. Wir kennen aber auch Genussscheine und Mitarbeiterdarlehen. In der Summe ist es
nach wie vor so, dass etwa 2 Millionen Mitarbeiter an ihren Unternehmen beteiligt sind.
Durch die öffentliche Diskussion in den letzten zwei
Jahren - das ist auch der Vorteil an dieser Diskussion ist die Sensibilität für dieses Thema insgesamt spürbar
gewachsen. Auch durch viele Äußerungen unserer Bundeskanzlerin und des Bundespräsidenten
({2})
sowie durch die Aufforderung, sich diesem Thema zu
nähern, ist das Interesse spürbar gewachsen. Wir wollen
nun mit der Koalition die Möglichkeiten erweitern und
das Volumen erhöhen, um dem Ziel, eine zweite Einkommensquelle für die Mitarbeiter in Unternehmen zu
schaffen, ein Stück näherzukommen.
Die Basis für diese Mitarbeiterbeteiligung liegt zunächst allerdings beim Arbeitgeber; denn er muss
360 Euro als Beteiligungssumme zusätzlich und freiwillig auszahlen. Wenn es freiwillig und zusätzlich ist, dann
entfallen auf diese Zahlungen keine Sozialversicherungsbeiträge und keine Steuern, das heißt, diese Beträge können netto in die Kapitalbeteiligung fließen.
Frau Dückert, in diesen Genuss kommen allerdings nicht
nur die Besserverdienenden, sondern alle Arbeitnehmer,
sofern sie dem Unternehmen mindestens ein Jahr angehören. Dies ist die Voraussetzung für die Steuerfreiheit.
Wohin fließt nun dieses Kapital? Dafür gibt es zwei
Möglichkeiten. Das Kapital kann, wie bisher, selbstverständlich in das eigene Unternehmen fließen. Es gibt
aber auch eine neue Form, nämlich die Möglichkeit, dass
es in einen Investmentfonds - wir nennen sie Mitarbeiterbeteiligungsfonds, die neu aufgelegt werden - fließen
kann. Diese Fonds unterliegen wie andere Fonds der
Aufsicht und der üblichen Kontrolle. Es ist dennoch ein
neues Feld für die Investmentgesellschaften.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will nicht verheimlichen, dass wir an dieses Thema Mitarbeiterbeteiligung von unterschiedlichen Seiten aus herangegangen
sind.
({4})
Auch wir haben gesagt: Lasst uns den steuerlichen Freibetrag auf 500 Euro erhöhen, und ermöglichen wir jedem einzelnen Arbeitnehmer, beispielsweise 500 Euro
durch Entgeltumwandlung für diesen Bereich aufzuwenden; denn für die betriebliche Altersvorsorge haben wir
ja insgesamt einen Betrag von etwa 4 500 Euro zur Verfügung.
Unser Koalitionspartner ging eher von einem Deutschlandfonds aus, also von einer breiten Streuung im
Rahmen eines Investmentfonds. Herr Spiller, ich denke,
wir haben uns zusammengerauft und etwas Gemeinsames gefunden:
({5})
Wir können jetzt auf beiden Wegen gehen, nämlich sowohl die Beteiligung am eigenen Unternehmen als auch
die Anlage im Fonds ermöglichen.
Wir haben aber auch Einschränkungen vorgenommen. Wenn jemand in einen Fonds investiert, dann müssen zumindest 60 Prozent der eingezahlten Beträge wieder in die beteiligten Unternehmen zurückfließen. Auch
bei den Fonds wollen wir die Bindung zum Unternehmen erhalten. Es kann niemand sagen, dass es keine Bindung gibt, weil es ein Fonds ist.
Wenn wir uns einmal die Geschichte der betrieblichen
Altersversorgung ansehen und dabei die Vereinbarungen
der Tarifparteien weglassen, dann sehen wir, dass die betriebliche Altersversorgung gerade im mittelständischen
Bereich wie hier jetzt eine einseitige Altersversorgung
war, nämlich eine Arbeitgeberleistung, um die Mitarbeiter an den Betrieb zu binden. Deshalb kann man nicht
davon ausgehen, dass nur deshalb, weil das Geld erst in
einen Fonds und über diesen Fonds in das Unternehmen
fließt, keine Bindung gegeben ist.
Wir haben die Anlaufphase ausdrücklich auf drei
Jahre erweitert, damit die Investmentgesellschaften
Möglichkeiten haben, sich auf diese neuen Formen einzustellen. Gerade für uns Abgeordnete sollte es eine
Pflicht sein, dieses Thema in der Heimatregion zu verbreiten und möglichst regionale Fonds zu finden, an denen sich die Mitarbeiter in der jeweiligen Region beteiligen können.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, natürlich
konkurriert diese Form der Anlage mit der betrieblichen
Altersvorsorge.
({6})
Aber wir können nicht davon ausgehen, dass wir eine
unternehmerische Beteiligung genauso wie eine betriebliche Altersvorsorge bewerten. Hier gibt es Garantien
und Sicherheiten, weil Renteneinkünfte gesichert sein
müssen. Weil es bei der unternehmerischen Beteiligung
auch um Rendite geht, muss man aber bereit sein, ein
höheres Risiko einzugehen. Es kann nicht sein, dass wir
von vornherein jede unternehmerische Beteiligung gegen die Insolvenz absichern. Dies passte nicht zu der
Anlageform, es verkomplizierte diese Entlohnungsform,
es widerspricht dem Sinn einer Unternehmensbeteiligung und ist eher kontraproduktiv.
({7})
Seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen wir diesen Gesetzentwurf und halten es auch für
richtig, dass das Fünfte Vermögensbildungsgesetz so angepasst wird, dass bei Einkommen bis 20 000 Euro für
Ledige oder 40 000 Euro für Verheiratete der Fördersatz
auf 20 Prozent erhöht wird. Hier wird ein weiterer Baustein gesetzt, neben dem Arbeitseinkommen ein zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften.
Wie intensiv die Mitarbeiterbeteiligung von den Unternehmen angenommen wird, hängt natürlich davon ab,
wie für dieses Thema geworben wird und wie viele Informationen bei den Unternehmen ankommen. Ich erwarte hier eine breit angelegte Informationskampagne
der Bundesregierung, mit der Informationsdefizite bei
den Unternehmen abgebaut werden, Vorurteilen entgegengetreten wird und für die gesellschaftspolitische Bedeutung der Mitarbeiterbeteiligung geworben wird.
Die meisten Unternehmen wissen, dass es aufgrund
des internationalen Wettbewerbsdrucks und der Globalisierung wesentlich darauf ankommt, wie stark die Wurzeln der heimischen Betriebe sind. Dazu gehören heute
die Mitwirkung und die Bindung der Mitarbeiter, insbesondere die Bindung der Fachkräfte. Kein Unternehmen
kann sich heute gegenüber den Mitarbeitern den Fragen
nach Transparenz sowie sozialer und ökonomischer Verantwortung entziehen.
Wir betreten mit diesem Gesetz ein Stück Neuland.
Ich bin sicher, dass wir auf große Zustimmung bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern stoßen und dass damit ein
neues Kapitel der Mitarbeiterbeteiligung aufgeschlagen
wird.
Ich bedanke mich.
({8})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11679,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10531 und 16/10721 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von FDP und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit demselben Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/11681. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und Enthaltung
der FDP mit den Stimmen der Koalition und der Linken
abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die - Tagesordnungspunkt 14 b - Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Mitarbeiterbeteiligung - Eigenverantwortliche Vorsorge stärken“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11679, den Antrag der FDP auf Drucksache 16/9337
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
und der Linken bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf :
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu den Änderungen vom
28. April und 5. Mai 2008 des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds ({0})
- Drucksache 16/10535 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 16/11664 Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Es ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Ich sehe keinen Widerspruch. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Ortwin Runde für die SPD-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es gibt Beratungsgegenstände mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten für
das Parlament. Bei dem Entwurf eines Gesetzes zu den
Änderungen des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds ist die Einflussmöglichkeit so wie
bei Staatsverträgen: Wir können den Gesetzentwurf annehmen oder ablehnen. Dazwischen gibt es nichts.
({0})
Die Relevanz der Beratung ist relativ gering.
({1})
Was aber das Ganze spannend macht, ist der Zeitpunkt, zu dem der Gesetzentwurf zu den Änderungen
des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds eingebracht wird. Der Vorgeschichte können
wir entnehmen, dass es etwa zwei Jahre gedauert hat,
ehe sich die Länder, die den Internationalen Währungsfonds konstituieren, auf leichte Veränderungen bei den
Stimmrechten und auf eine Veränderung, was das Anlageverhalten des Währungsfonds angeht, geeinigt haben.
Dieser Zeitraum macht deutlich, wie schwierig es ist,
dort international zu einem Konsens zu kommen. Wenn
Gläubigerländer Stimmrechte abzugeben haben, sind sie
ziemlich zähleibig. Ehe solche Veränderungen eintreten,
vergeht einige Zeit.
Man hat sich hier nach langen Beratungen darauf geeinigt, in einem gewissen Umfang den Veränderungen in
der Weltwirtschaft Rechnung zu tragen und dem stärkeren Gewicht der Schwellenländer entsprechend diese
stärker im Internationalen Währungsfonds zu beteiligen.
Man hat sich darauf verständigt, in den Entscheidungsgremien vor allem dem afrikanischen Kontinent andere
Mitwirkungsmöglichkeiten einzuräumen. Dies sind kleine
Reformschritte. Das Ganze macht einen ein Stück nachdenklich, auch was die Geschwindigkeit hinsichtlich der
Reformfähigkeit solcher Institutionen angeht, und konfrontiert einen ein Stück mit der Realität in diesen internationalen Gremien.
Neben diesen Veränderungen, die aus meiner Sicht
von unserer Seite angenommen werden sollten - die
SPD wird die Bundesregierung hier entsprechend unterstützen - , gibt es aber Entwicklungen, die uns nachdenken lassen, wie die weitere Rolle des Internationalen
Währungsfonds sein sollte. Wir hatten heute schon eine
Diskussion, in der es darum ging, mit welcher Geschwindigkeit und mit welchem Nachdruck wir das internationale Finanzsystem neu regeln müssen, mit welchem Nachdruck wir eine neue Finanzarchitektur
anstreben müssen. Die Frage nach der Geschwindigkeit
sollte uns veranlassen, auch zu überlegen, welche Institutionen eine Rolle in einer künftigen Finanzarchitektur
spielen können.
Der Internationale Währungsfonds bietet sich an, weil
er eine große Kompetenz in der Einschätzung von wirtschaftlichen Entwicklungen hat. Er bietet sich auch deshalb an, weil er schon heute im Bereich der Hilfen für
Staaten, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, eine
Rolle spielt und in den letzten Monaten auch zunehmend
an Bedeutung gewonnen hat, was Hilfe für Staaten wie
Island, Ungarn und andere mehr angeht.
Es stellt sich die Frage, ob der Internationale Währungsfonds dort eine Rolle bei der Beaufsichtigung künftiger wirtschaftlicher Entwicklungen, des Finanzsystems
und der Aufsichtsinstanzen in den einzelnen Nationen
übernehmen könnte. Fraglich ist auch, ob er eine Rolle
in der Frage der Regulierung spielen könnte.
Die Diskussionen, die wir geführt haben, haben deutlich gemacht, dass die Regulierungsaufgabe für ihn weniger infrage kommt.
({2})
Die Regulierungsaufgabe ist sinnvollerweise beim Financial Stability Forum - eventuell in Zusammenarbeit
mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich anzusiedeln. Darin sind die Institutionen, die mit der
Bankaufsicht zu tun haben, und die entsprechenden
Staaten vertreten.
({3})
Deswegen ist die Ansiedlung von Regulierungsbefugnissen auf dieser Ebene wohl vorzuziehen.
Die Funktionen, die demgegenüber der Internationale
Währungsfonds wahrnehmen kann, haben mehr mit Surveillance bzw. der Aufsicht über das Gesamtsystem und
dessen Entwicklung zu tun. Das heißt, er könnte die internationalen Aufsichtssysteme und die nationalen Aufseher überwachen. Er hat die makroökonomischen Fähigkeiten zur Analyse, wobei man feststellen muss: Was
die Kompetenzen angeht, ist in den Anhörungsverfahren
deutlich geworden, dass die makroökonomischen Fähigkeiten noch zu ergänzen wären, wenn der Internationale
Währungsfonds diese Aufsichtsfunktion wahrnehmen
sollte. Das wird ein entscheidender Punkt sein. Dass man
neben der makroökonomischen Qualität und Kompetenz
auch mikroökonomische Fähigkeiten zur Bewertung von
Finanzsystemen und Aufsichtssystemen im Finanzbereich neu entwickeln muss, ist, glaube ich, in den Diskussionen deutlich geworden.
Eine entscheidende Frage ist aber auch, ob neben der
Kompetenz auch die notwendige Akzeptanz derjenigen
vorhanden ist, für die der Internationale Währungsfonds
eine solche Aufgabe wahrnehmen könnte. Dabei ist festzustellen, dass die Akzeptanz in der Vergangenheit
durch die Dominanz der Amerikaner und der europäischen Länder bei Unterrepräsentanz der Schwellenländer und der ärmeren Länder beeinträchtigt war.
Alle diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten als
Gläubigerländer Erfahrungen mit dem Internationalen
Währungsfonds gemacht haben, haben eher eine negative Einstellung, sodass nach der Reform, die wir heute
beschließen wollen, weitere Veränderungen notwendig
sind, um die Akzeptanz zu erhöhen. Das heißt, es müsste
eine weitere Änderung in der Richtung erfolgen, dass
der Internationale Währungsfonds die wirtschaftliche
Kraft und die wirtschaftlichen Veränderungen im Verhältnis der Länder zueinander anders widerspiegelt.
Zur Frage der Akzeptanz gehört auch, dass der Internationale Währungsfonds in den letzten Jahren Teil eines
Systems war, das nicht nur zur Krise des Finanzsystems
und der Realwirtschaft geführt hat. Die gegenwärtige Situation bedeutet so etwas wie eine Bankrotterklärung des
wirtschaftspolitischen Leitbildes, das auch der Internationale Währungsfonds gehabt hat. Insofern kommt es
auch darauf an, ihn mit einem anderen wirtschaftspolitischen Leitbild auszustatten. Das wird ein ganz entscheidender Punkt sein.
Wenn wir weitere Veränderungen durchsetzen und
umsetzen wollen, werden wir über die europäische Überrepräsentation in den Gremien des Internationalen WähOrtwin Runde
rungsfonds nachdenken müssen. Wenn man bedenkt, dass
8 der 24 Mitglieder des Entscheidungsgremiums europäische Länder sind, dann wird deutlich, dass hier ein Ungleichgewicht herrscht. Hier wird auf die Europäer die
Aufgabe zukommen, ihre Rolle neu zu definieren. Es
wird nicht nur darum gehen, die Dominanz der Amerikaner, die sie aufgrund ihres Vetorechts und ihrer Einflussmöglichkeiten haben, zu mindern. Auch die Europäer
werden ein Stück weit zurückstecken müssen, um den
Internationalen Währungsfonds zu einer Aufnahme zu
befähigen.
Was die künftige Finanzarchitektur und die Veränderung des Leitbildes angeht, finde ich, dass die Vorschläge und Vorstellungen, die Helmut Schmidt entwickelt hat und die auch in dem enthalten sind, was die
Bundesregierung in den Verhandlungen in Washington
eingebracht hat, tragfähig sind. Das bedeutet, dass wir
von der Idee einer marktradikalen Selbstregulierung
wegkommen müssen. Für die Finanzinstitutionen müssen klare Regelungen gelten. Es wird darauf ankommen,
solche klaren Regelungen schnell umzusetzen. Helmut
Schmidt hat recht, wenn er sagt: Die Regierungschefs
der G 20, also der 20 wirtschaftlich stärksten Länder,
sind am ehesten in der Lage, zu entsprechenden Übereinkommen zu gelangen.
({4})
Er skizziert zudem kurz, wie die Spielregeln in Zukunft
aussehen müssen. Alle privaten Finanzinstitute und alle
marktgängigen Finanzinstrumente sollen demnach derselben Banken- und Finanzaufsicht unterstellt werden.
Für alle sollen also geregelte Bereiche gelten. Dies ist
ein wichtiger und zentraler Punkt.
Darüber, dass eine entsprechende Eigenkapitalunterlegung vorgesehen ist, herrscht, glaube ich, in allen unseren Diskussionen Einvernehmen. Darüber, dass Geschäfte außerhalb der Bilanz und der Gewinn- und
Verlustrechnung verboten und unter Strafe gestellt werden sollen, haben wir schon verschiedentlich diskutiert.
Laut Helmut Schmidt sollen Instrumente wie Short-Selling, also Leerverkäufe, untersagt werden - auch das
halte ich für einen wichtigen Punkt -, weil diese systemdestabilisierend wirken. Ein weiterer entscheidender
Punkt ist, dass Finanzeinlagen und Finanzkredite zugunsten solcher Unternehmen und Personen verboten
werden sollen, die in Steuer- und Aufsichtsoasen rechtlich registriert sind. Die Schließung der Steueroasen
wird ein entscheidender Punkt sein, wenn man später zu
einem klar geregelten Bereich kommen will. Wir haben
dann neben dem IWF die G-20-Länder und das Financial
Stability Forum als Institutionen einer künftigen Finanzarchitektur.
Helmut Schmidt äußerte einige Zweifel, ob mit den
Amerikanern und Engländern ein entsprechendes Regelwerk durchgesetzt werden kann. Wenn ich mir den Bericht, den Paul Volcker, ein enger Berater von Barack
Obama, als ehemaliger Finanzminister für die Gruppe
der 30 vorgelegt hat, ansehe, dann bin ich etwas hoffnungsvoller gestimmt als noch vor kurzer Zeit, dass es
gelingen wird, gemeinsam mit den großen Ländern innerhalb der G 20 zu Regeln für die Finanzmärkte und
damit zu einer Bewältigung der Krisen, vor denen wir
stehen, zu kommen.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig Thiele
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Auch ich hoffe, dass sich mit der amerikanischen Präsidentschaft Verbesserungen vollziehen
und wir zu weiteren Reformen im IWF kommen. Ich
glaube, insofern können wir gemeinsam sagen, dass wir
alle Hoffnung haben, dass Amerika eine führende Rolle
spielen wird. Die ersten Zeichen der neuen amerikanischen Regierung sind gut, und man sollte sie an dieser
Stelle entsprechend nutzen.
Der vorliegende Gesetzentwurf zielt darauf ab, die
Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die vom Gouverneursrat des IWF im Frühjahr 2008 beschlossenen Änderungen des IWF-Übereinkommens ratifiziert werden.
Hier möchte ich gleich für die FDP erklären: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu.
({0})
Die vorgesehenen Änderungen des IWF-Übereinkommens bringen die langjährige Diskussion über eine Reform der Quoten und Stimmrechte zu einem vorläufigen
Abschluss, vorläufig deshalb, weil die Diskussion über
weitere Reformen schon läuft. Aber wer weiß, dass hier
185 Staaten beteiligt sind, und wer weiß, wie sich die
Meinungsbildung in einer Großen Koalition oder in einer Koalition überhaupt vollzieht, der muss schon darüber erfreut sein, dass überhaupt Einigkeit erzielt
wurde. Ich hoffe, dass dies angesichts der Dramatik der
Finanzkrise zukünftig etwas flotter passieren wird und in
die Dinge schneller weitere Bewegung kommt.
({1})
Entscheidend vorangebracht wurde die Reform damals auf der IWF-Sitzung in Singapur im September
2006. Mehrere Mitglieder dieses Hauses haben an den
Diskussionen teilgenommen. Dort verständigte man sich
auf eine Quotenerhöhung zugunsten der bisher stark unterrepräsentierten Länder China, Brasilien, Korea, Mexiko und Türkei, auf eine Erhöhung der Basisstimmen
eines jeden Mitgliedstaates und auf eine Anpassung und
Überprüfung der Quotenformel. Nach den jetzt zur Diskussion stehenden Änderungen werden die IWF-Quoten
und damit auch die Stimmrechte deutlich zugunsten der
hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft zurzeit noch unterrepräsentierten Länder angehoben. Profiteure der Quotenerhöhung sind die aufstrebenden Volkswirtschaften,
insbesondere Korea - für Korea erhöht sich die Quote
um 106 Prozent -, China - die Erhöhung beträgt 50 Prozent - und Brasilien, dessen Quote sich um 40 Prozent
erhöht. Damit wird dem stark gewachsenen Gewicht der
Schwellenländer in der Weltwirtschaft Rechnung getragen. Die Quoten- und Stimmrechtsverteilung wird damit
gerechter. Die Akzeptanz des Fonds in den Mitgliedsländern wird dadurch erhöht. Damit verbunden ist aber
auch eine erhöhte Verantwortung der nunmehr bessergestellten Staaten für die Stabilität der internationalen
Währungs- und Finanzsysteme. Erreicht werden konnte
die Reform der Quoten und Stimmrechte nur deshalb,
weil insbesondere Deutschland, aber auch andere Mitgliedsländer des IWF auf einen Teil der ihnen rechnerisch zustehenden Quoten verzichtet haben.
Auch die vorgesehene weitere Reform der Finanzausstattung des IWF verdient Unterstützung. Bisher erzielt
der IWF den größten Teil seiner Einnahmen aus der Kreditvergabe. Die vor der Finanzkrise stark rückläufige
Vergabe von Krediten und die frühzeitige Rückzahlung
von Krediten früherer Krisenländer hatten erhebliche
Einnahmeeinbußen des IWF zur Folge. Dagegen ist
während der Finanzkrise in Asien Ende der 90er-Jahre
und in der gegenwärtigen Finanzmarktkrise das Kreditvolumen mit den daraus resultierenden Einnahmen gestiegen. Das ist eigentlich eine unglückliche Konstruktion;
({2})
denn die primäre Aufgabe des IWF besteht gerade in der
Stärkung der Finanzstabilität, damit IWF-Kredite erst
gar nicht notwendig werden. Durchaus vorstellbare Konfliktsituationen, in denen der IWF aus finanziellem Eigennutzen an einer Kreditvergabe an Mitgliedstaaten interessiert sein könnte, sollten aus unserer Sicht so weit
wie möglich vermieden werden.
({3})
Der IWF muss seinen Auftrag auch in Nichtkrisenzeiten
mit geringer Kreditvergabe effektiv wahrnehmen können. Die Abhängigkeit des Fonds von der Kreditvergabe
muss deshalb aus unserer Sicht verringert werden.
Künftig wird es im internationalen Finanzsystem
oder, moderner ausgedrückt, in der internationalen Finanzarchitektur zu einem Bedeutungszuwachs beim
IWF kommen, auch wenn der Fonds - wie auch die anderen internationalen und nationalen Einrichtungen nicht rechtzeitig und vor allem nicht in der gebührenden
Form auf die Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrise
aufmerksam gemacht hat. Der IWF hat zwar im Vorfeld
der Krise vor möglichen Risiken an den Finanzmärkten
gewarnt, diese Warnung jedoch zu allgemein gehalten
und somit keine nennenswerten Reaktionen ausgelöst.
Dies sollte die Rolle des IWF bei der Sicherung der Finanzmarktstabilität im Grundsatz jedoch nicht infrage
stellen. Die Krise sollte vielmehr Anlass dazu sein, die
Fähigkeiten des Fonds zur Krisenprävention zu stärken.
Aufgrund der Mitgliedschaft von weltweit 185 Staaten,
seines breiten personellen Unterbaus und seiner Erfahrung in makroökonomischen Analysen scheint der IWF
jedenfalls zur Sicherung der Finanzstabilität geeignet zu
sein.
Die G 20 haben den IWF bereits beauftragt, eine führende Rolle bei der Erarbeitung der Lehren aus der Krise
zu übernehmen. Dabei soll der Fonds mit anderen Institutionen wie dem Forum für Finanzstabilität kooperieren.
Die Verstärkung der wirtschaftspolitischen Überwachung
der Mitgliedstaaten, vor allem aber des Finanzsektors,
scheint beim IWF gleichfalls gut aufgehoben. Hier ist
die Zusage aller G-20-Staaten ermutigend, ihre Finanzsektoren einer Gesundheitsprüfung zu unterziehen. Dazu
gehört vor allem die Überprüfung der nationalen Aufsichtssysteme und -behörden, die in Deutschland bereits
2003 stattgefunden hat, aber - überraschend ist das nicht in den Vereinigten Staaten und China bisher noch aussteht.
Die von den G 20 geforderte Stärkung der Frühwarnkapazitäten wird eine zentrale Aufgabe des IWF und des
Forums für Finanzstabilität sein. Eine Garantie gegen
künftige Finanzkrisen können jedoch auch der Fonds
und das Forum nicht geben. Jede Krise hat ihre eigene
Ursache, und die Globalisierung macht die Finanzmärkte immer komplexer.
Ein verbessertes Frühwarnsystem steigert jedoch die
Chancen zur Erkennung systemischer Risiken. Wenn
diese Risiken erkannt sind, ist das entschlossene Handeln der Verantwortlichen in den Aufsichtsbehörden,
Notenbanken und Regierungen entscheidend. Insofern
ist es gut, dass wir einheitlich dazu beitragen, die Finanzkrise zu bekämpfen, die Ursachen zu analysieren
und hier zu Einigungen zu kommen. Wichtig ist an dieser Stelle: Wir brauchen ein Frühwarnsystem mit klaren
Regeln und Aufsichtsbehörden, die sich nicht nur um
Details bei den Kreditinstituten kümmern, sondern den
systemischen Risiken nachgehen, damit diese frühzeitig
erkannt werden.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Runde hat schon darauf hingewiesen, dass es wohl kaum
einen dramatischeren Zeitpunkt geben könnte, um über
den Internationalen Währungsfonds zu debattieren. Die
schwerste Finanzkrise seit 1929 hält die Welt in Atem.
Die Defizite im internationalen Finanzsystem liegen offen zutage. Es hat sich gezeigt, wie unzureichend die Regulierung und Beaufsichtigung in Teilbereichen der Finanzmärkte ist.
Krisen bieten aber immer auch Chancen. Weltweit
wird zurzeit die Frage diskutiert, wie derartige Krisen
künftig vermieden oder abgeschwächt werden können.
Allenthalben ist von einer neuen internationalen Finanzarchitektur die Rede. Im Zentrum aller Reformüberlegungen steht dabei auch der Internationale Währungsfonds. Unsere Debatte darf sich deshalb nicht nur auf die
jetzt beschlossenen Reformschritte beschränken; denn es
liegt auf der Hand, dass wir damit erst am Anfang einer
weitreichenden Neubestimmung der Aufgaben und
Strukturen des IWF stehen.
Zunächst jedoch zum vorliegenden Gesetzentwurf.
Als der Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds im letzten Jahr den Änderungen des IWF-Übereinkommens zugestimmt hat, ging damit - wie bereits von
mehreren Rednern betont - eine zweijährige intensive
Verhandlungsrunde zu Ende. Im Ergebnis sind insbesondere zwei wichtige Teilaspekte als Änderungen vorgesehen:
Erstens wird durch eine Quoten- und Stimmrechtsreform das intransparente Nebeneinander mehrerer Quotenformeln durch eine einheitliche Berechnungsgrundlage ersetzt. Zudem wird das wirtschaftliche Gewicht
der Schwellenländer, die in den letzten Jahren dynamisch gewachsen sind, angemessen berücksichtigt. Im
Gegenzug hat Deutschland beispielsweise auf einen kleinen Teil seines Stimmrechts verzichtet. Das ist meiner
Meinung nach ein notwendiger Schritt in die richtige
Richtung.
Zweitens wird durch eine Reform des Einkommenssystems die Finanzierung des IWF zukünftig unabhängiger von seiner Kreditvergabe. Denn aufgrund der
positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwellenländern ist die Kreditvergabe des Fonds in den letzten
Jahren stark zurückgegangen und hat damit die Finanzierungsbasis des Fonds verschlechtert. Wir wollen nicht
hoffen, dass die Krisen wiederum so stark werden und
die Kreditvergabe auch an europäische Staaten so groß
wird, dass er darüber seine Einnahmesituation verbessern kann.
Um den IWF auch zukünftig auf eine solide finanzielle Basis zu stellen, soll ein Teil seiner Goldreserven
verkauft und das Geld auf einem Investitionskonto gewinnbringend angelegt werden. Damit wird der Fonds
endlich aus der paradoxen Situation befreit, finanziell
auf Krisen angewiesen zu sein, um seiner eigentlichen
Aufgabe - Krisenprävention und -verhinderung - besser
nachkommen zu können.
Es bleibt festzuhalten: Die Neuordnung der Quoten
und Stimmrechte und das neue nachhaltige Finanzierungsmodell haben die Reform des Internationalen Währungsfonds ein gutes Stück vorangebracht.
({0})
Damit ist die Reform des IWF allerdings nicht abgeschlossen. Während wir heute über die Umsetzung der
IWF-Reformen des vergangenen Jahres entscheiden, ist
die Diskussion über die zukünftige Rolle des IWF in einer neuen internationalen Finanzarchitektur in vollem
Gange.
In der Tat scheint das einzig Gute der Finanzkrise darin zu liegen, dass in der Politik - jetzt auch in den angelsächsischen Ländern - eine weit größere Akzeptanz
für regulatorische Maßnahmen zur Krisenprävention
herrscht, ein Vorhaben, das die Bundesregierung bereits
zu Zeiten des deutschen G-8-Vorsitzes auf den Weg gebracht hat.
Es macht Mut, dass sich die G-20-Staaten auf dem Finanzgipfel in Washington dazu verpflichtet haben, die
Bretton-Woods-Institutionen zu reformieren. Jetzt geht
es um die Frage, wie diese Vorgabe der G 20 umgesetzt
werden kann.
({1})
Welche Aufgaben soll der Internationale Währungsfonds
in Zukunft übernehmen? Welche Strukturreformen sind
nötig, damit der IWF seine neuen Aufgaben auch effektiv erfüllen kann? Auf diese Fragen muss eine schnelle
Antwort gefunden werden; denn das Zeitfenster für eine
umfassende Neuordnung der Finanzmärkte ist leider
möglicherweise nur so lange offen, wie die Krise andauert. Das gilt insbesondere für den amerikanisch dominierten Einfluss auf den IWF.
Meine Damen und Herren, die Kernaufgabe des Internationalen Währungsfonds besteht in der Vermeidung
von Krisen. In der Vergangenheit ist dies dem Fonds allerdings regelmäßig nicht gelungen, ob in der AsienKrise oder im Vorfeld der heutigen Krise. Zu erwarten
ist also vor allem, dass die Krisenprävention des IWF
treffsicherer wird.
Das zentrale Instrument zur Erreichung dieses Ziels
ist - der Kollege Runde hat es schon erwähnt - die sogenannte Surveillance. Surveillance meint in diesem Zusammenhang erstens die wirtschaftspolitische Überwachung der Mitgliedstaaten und zweitens die
Überwachung der nationalen Aufseher. Diese Aufgabe
übt der IWF unter anderem durch seine Finanzsektorbewertungsprogramme bereits aus. Das muss weiter ausgebaut werden. Wir begrüßen daher die Zusage aller G-20Länder, an diesem Programm teilzunehmen. Ehe diese
Aufgabe erfüllt werden kann, muss klar sein, dass die
Länder daran teilnehmen. Gerade die USA waren bisher
nicht bereit, diese Aufsicht, die Surveillance, mitzutragen.
Weitere Verbesserungen der Surveillance, insbesondere durch eine noch stärkere Ausrichtung der Analyse
auf die Wechselwirkungen zwischen Finanzsektor und
realwirtschaftlicher Entwicklung, sind jedoch weiterhin
erforderlich. Weitergehende Vorschläge, den IWF als einen globalen Finanzaufseher über weltweit operierende
Finanzinstitute auszubauen, betrachte ich durchaus noch
kritisch. Die fachlichen Kompetenzen des IWF liegen
auf der makroökonomischen Ebene. Diese sollten weiter
ausgebaut werden.
Im Allgemeinen ist die Regulierung und die Durchsetzung von Regulierung Aufgabe des Financial Stability Forum. Alle drei Bereiche - IWF, Finanzstabilitätsforum und nationale Aufsichtsbehörden - müssen zur
Bewältigung dieser Aufgabe stärker zusammenarbeiten.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns über die
jetzt vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen hinaus
weiterhin über die Bundesregierung für die Reform des
IWF im Sinne der genannten Zielsetzungen einsetzen sowie unsere Aufgaben im Financial Stability Forum
wahrnehmen, werden wir damit wichtige Grundlagen für
eine zukünftige internationale Finanzarchitektur legen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Axel Troost von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
vorliegende Gesetz erweckt unter den derzeitigen Bedingungen einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise
schon einen eigentümlichen Eindruck. Wie keine andere
internationale Institution steht der IWF für das neoliberale Leitbild freier Kapital- und Gütermärkte.
({0})
Insbesondere steht er dafür, dass eine globale Institution
von wenigen wirtschaftlich mächtigen Ländern, vor allem der G-7-Gruppe, beherrscht wird. Er wurde und
wird eingesetzt, verschuldeten Entwicklungs- und
Schwellenländern von außen eine Politik aufzuzwingen,
die diesen Ländern in der Regel wenig oder nichts gebracht hat, in vielen Einzelfällen sogar dramatischen
Schaden angerichtet hat.
({1})
Als Beispiele sei hier nur auf die katastrophalen Folgen
seiner Strukturanpassungsprogramme und auf das totale
Versagen bei der Finanzkrise in Südostasien Ende der
90er-Jahre verwiesen.
Es gibt also gute Gründe dafür, dass der IWF in fast
allen Ländern des Südens das Image eines imperialen
Einpeitschers genießt.
({2})
Allen voran wird er als verlängerter Arm der USA wahrgenommen; aber auch Japan und Deutschland als die
zweit- und drittgrößten Mächte im IWF werden zu Recht
für diese Politik mit verantwortlich gemacht.
Das vorliegende Gesetz stellt vor diesem Hintergrund, zynisch gesagt, eine kleine Neujustierung zweier
konkurrierender Prinzipien im IWF dar, nämlich einerseits des Demokratieprinzips der UNO und andererseits
des Prinzips des neokolonialen Feudalismus.
({3})
Ein gewisser Grundbetrag der Stimmrechte im IWF wird
nach dem Demokratieprinzip vergeben - je Land eine
Stimme -, der Rest wird nach wirtschaftlicher Macht
vergeben. Das vorliegende Gesetz erhöht nun den demokratischen Grundbetrag von unerträglichen 2 Prozent auf
nicht weniger beschämende 5,5 Prozent. Anders ausgedrückt: Im IWF soll in Zukunft 3,5 Prozent weniger Feudalismus drin sein: statt früher 98 Prozent nun nur noch
gut 94 Prozent.
({4})
Noch ein Wort zum Rückgang der deutschen Anteile:
Hatten bislang die G-7-Länder knapp 44,6 Prozent der
Stimmanteile, werden sie künftig 44,5 Prozent der
Stimmanteile haben. Das ist sozusagen die Reform.
({5})
Natürlich könnte man sagen, das sei ein Schritt in die
richtige Richtung. 3 Prozent weniger Diktatur sind ein
Schritt in die richtige Richtung; aber 3 Prozent weniger
Diktatur sind trotzdem kein Grund, sich für dieses Gesetz starkzumachen. Nicht nur aus diesem Grund lehnen
wir das Gesetz ab.
({6})
Ein anderer Kritikpunkt betrifft den zweiten Teil des
Gesetzentwurfes. Aufgrund seines zu Recht schlechten
Rufes haben es die Entwicklungs- und Schwellenländer
mit allen Mitteln vermieden, mit dem IWF Geschäfte zu
machen. Dies trifft gerade auf die großen Schwellenländer in Asien, aber auch in Lateinamerika zu. Dies hat
- das haben wir schon gehört - zu entsprechenden Einnahmeausfällen geführt. Diese müssen nun sozusagen ausgeglichen werden, indem zugelassen wird, dass das Vermögen des IWF auch anderweitig angelegt werden kann.
Diese Bestandssicherung des IWF liegt aus unserer
Sicht aber überhaupt nicht im Interesse der Menschen
mit einem Anspruch an globale Gerechtigkeit und globale Demokratisierung. Die Linke ist keineswegs ein
Gegner multilateraler Finanzinstitutionen. Ganz im Gegenteil: Für die Bewältigung der aktuellen Krise wäre
uns nichts lieber als ein funktionsfähiges globales, multilaterales Institutionengefüge. Der IWF ist in dieser Form
aber eben keine multilaterale demokratische Finanzinstitution, sondern eine Feudalinstitution.
({7})
Das Finanzierungsproblem des IWF hätte eine
Chance geboten, ihn hinreichend zu schwächen, um endlich den Weg für einen wirklichen Neuanfang zu nutzen.
Dies ist leider nicht passiert, im Gegenteil. Die nicht
ganz unschuldigen Finanzkrisenopfer Pakistan, Ungarn,
Lettland, Island und die Ukraine müssen für ihre Rettungskredite hohe Zinsen zahlen. Damit gibt es jetzt wieder neue Finanzierungsmöglichkeiten. Das bedeutet,
dass die Reformfenster, die hier eben angedeutet worden
sind, letztlich nicht genutzt werden können.
Insofern sagt die Linke als einzige Fraktion in diesem
Parlament Nein zu diesem Gesetz. Anders ausgedrückt:
Der IWF braucht nicht 3 Prozent weniger Feudalismus,
sondern der größte Teil der Welt braucht 100 Prozent
weniger von diesem IWF.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollte man inmitten der Finanzkrise mit etwas
mehr Verve und auch mit mehr Beteiligung dabei sein,
wenn es um den zentralen Akteur geht, auf dem bezüglich einer Neubegründung des Weltfinanzsystems viele
Hoffnungen ruhen. Meines Erachtens wäre das notwendig.
Der Grund für diese fehlende Verve liegt darin - es ist
schon erwähnt worden -, dass wir jetzt einen aus der
heutigen Perspektive gesehen kleinen Baustein vor uns
liegen haben, für den man sehr lange gebraucht hat. In
Zukunft muss es genau umgekehrt funktionieren: Man
muss in einem kurzen Zeitraum etwas sehr Großes verändern. Deswegen lohnt es sich auch, stärker in diese
Richtung und weniger auf die Details der Quotenveränderung zu schauen, wenn wir heute miteinander über den
Internationalen Währungsfonds diskutieren.
({0})
Über diese Quotenveränderung stimmen wir gleich
ab. Ich finde, dass sie in die richtige Richtung geht; denn
sie führt zu einer Stärkung der Entwicklungsländer, gerade der kleinsten und ärmsten Länder. Weil wir das für
den richtigen Weg halten, werden wir zustimmen.
Zwei zentrale Probleme des Internationalen Währungsfonds machen deutlich, dass etwas noch nicht
stimmt. Das erste Problem sind die USA, die sich dem
Kapitel Surveillance bisher verweigert haben und ihr Finanzsystem nicht in dieser Form überprüfen lassen wollen. Dies ist vielleicht einer der Gründe, warum wir
heute eine internationale Finanzkrise dieses Ausmaßes
haben. Der Internationale Währungsfonds oder eine andere Institution wird die Aufgabe der Surveillance natürlich nur dann erfüllen können, wenn auch die USA bereit
sind, sich überprüfen zu lassen, anstatt eine Sonderrolle
zu spielen. Bei den internationalen Verhandlungen wird
das ein zentraler Knackpunkt sein, an dem man die neue
Administration in den USA wird messen müssen.
({1})
Das zweite Problem des Internationalen Währungsfonds ist, dass er bei den Entwicklungs- und Schwellenländern das Vertrauen völlig eingebüßt hat. Durch viele
falsche Empfehlungen - die ja nicht nur Empfehlungen
waren, sondern deren Umsetzung erzwungen wurde - ist
in großen Teilen der Welt keine Legitimation mehr vorhanden. Daran wird auch die jetzt vorgesehene Quotenänderung nichts korrigieren können.
Aber es besteht nicht nur ein Legitimationsproblem.
Darüber hinaus haben viele Staaten versucht, sich durch
sehr große Währungsreserven abzuschotten. Sie haben
das Ziel verfolgt, eine eigene Versicherung aufzubauen,
weil sie die Versicherung IWF nicht mehr für tragfähig
und plausibel gehalten haben. Auch diese internationalen Ungleichgewichte sind eine Basis der heutigen
Krise. Deswegen wird es darum gehen, zentrale Veränderungen vorzunehmen. Sie werden durchaus den Kern
des Internationalen Währungsfonds betreffen. Mehr
noch als die jetzige Stimmrechtskorrektur ist selbstverständlich eine wirkliche Demokratisierung notwendig.
Einen weiteren Aspekt müssen wir ebenfalls ganz
klar sehen und der Bundesregierung noch einmal als Auftrag mitgeben - auch wenn wir wissen, dass darüber diskutiert wird, kann man es nicht stark genug betonen -: Die
Institution selbst muss deutlich anders aufgestellt werden. In der Anhörung wurde nachdrücklich herausgestellt, dass die makroökonomische Perspektive auf die
weltwirtschaftlichen Entwicklungen einerseits und der
mikroökonomische Blick auf den Finanzsektor andererseits bislang völlig auseinanderfallen, sodass die Ursachen, die zu der jetzigen Krise geführt haben, auch in der
Analyse des Internationalen Währungsfonds nicht wirklich ausgemacht werden konnten. Es wird also tatsächlich um die Management- und Organisationsstruktur,
aber ebenso um die ausreichenden und richtigen personellen Ressourcen gehen. Gerade angesichts der neuen
Finanzmarktentwicklungen sollten die Mittel für den
Fonds auch in dieser Hinsicht aufgestockt werden.
({2})
Langfristig gehen unsere Überlegungen zur internationalen Finanzarchitektur allerdings über den Internationalen Währungsfonds hinaus. Sie bedarf einer
neuen Organisationsform - auch die Kanzlerin hat diesen
Gedanken aufgegriffen - im Rahmen der Vereinten Nationen in Form eines Wirtschaftsrats, die demokratisch legitimiert ist und die sich vor allem mit anderen Fragen,
mit ökologischen und sozialen Standards, verknüpft,
über die international diskutiert wird.
Das ist nichts, was heute auf dem Tisch liegt; aber ich
halte es für wichtig, dass wir beim Thema „internationale Finanzarchitektur“ nicht zu kurz springen und nicht
auf dem heutigen Stand der Diskussion bleiben, sondern
uns tatsächlich überlegen, wie wir zu einer Struktur
kommen, die solche Krisen, wie wir sie jetzt erleben,
weniger leicht möglich macht, und die in der Krise eine
glaubwürdige Versicherung ist, um Ländern zu helfen,
die in Probleme geraten. Wir hoffen, dass es international in diese Richtung weitergeht. Auch da bestehen
große Erwartungen; denn das Ziel, das beim G-20-Finanztreffen in Washington formuliert wurde, muss die
Richtschnur für das internationale Finanzsystem sein:
Kein Land, kein Institut und kein Produkt dürfen außerhalb von Aufsicht sein. Das ist noch längst nicht erreicht,
aber dorthin muss der Weg führen, und in diese Richtung
müssen wir weiterarbeiten.
Danke schön.
({3})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Otto Bernhardt von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die 185 Mitgliedstaaten des Internationalen
Währungsfonds haben sich in einem zweijährigen Prozess auf zwei kleine Veränderungen geeinigt.
({0})
Beide sind sinnvoll und notwendig; insofern ist dies sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ich
verhehle nicht, dass ich natürlich für diejenigen Verständnis habe, die monieren, dass in einem zweijährigen
Prozess lediglich so geringe Veränderungen erreicht
wurden. Dennoch ist klar, dass wir dem zustimmen. Der
Kollege Runde hat recht: Es ist im Grunde genommen
wie bei einem Staatsvertrag. Wir können Ja oder Nein
sagen. Der Gedanke, wir blockierten diese Schritte, wäre
selbstverständlich unverantwortlich.
Der Internationale Währungsfonds hat in der Welt ein
Imageproblem; das muss man konstatieren. Dieser
Fonds ist - ich sage es einmal vereinfacht - ein bisschen
europa- und amerikalastig, zumindest im Ansehen,
({1})
und die Entwicklungs- und die Schwellenländer stehen
dem Unternehmen distanziert gegenüber.
({2})
Natürlich wird das Ansehen des Internationalen Währungsfonds aufgrund der Veränderungen bei den Quoten
und im Stimmrecht der Entwicklungs- und Schwellenländer, vorsichtig gesagt, nur geringfügig steigen.
({3})
Ich sage das deshalb mit allem Ernst, weil wir uns vor
dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise selbstverständlich einig sind, dass wir mehr Kompetenzen auf
internationale Behörden übertragen müssen. Wir sind
uns alle einig, dass wir mehr Transparenz und mehr Reglementierung brauchen und dass nationale Einrichtungen nicht ausreichen.
Als wir uns im Anhörverfahren mit der Frage beschäftigten, ob zum Beispiel der Internationale Währungsfonds neue Funktionen übernehmen könne - mir
persönlich geht es vor allem um eine Aufsicht für die international tätigen Banken -, vermittelte sich mir folgender Eindruck: Mit einer Institution, die zwei Jahre benötigt, um diese kleinen Schritte zu unternehmen, werden
wir die erforderlichen grundlegenden Veränderungen
kaum hinbekommen. In diese Überlegungen will ich die
Weltbank nicht einbeziehen, die bestimmte Funktionen
sicherlich übernehmen könnte, andere aber nicht.
Es gäbe natürlich einen dritten Weg. Die Frage ist - ich
habe sie in der Anhörung gestellt -: Müssen wir vor dem
Hintergrund der neuen Aufgaben eine neue Institution
schaffen? Persönlich bin ich zu dem Ergebnis gekommen: Wir haben zurzeit leider keine Zeit, um eine neue
Institution aufzubauen. Da schließt sich der Kreis: Wir
müssen im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten
alles tun, damit der Internationale Währungsfonds und
die Weltbank gestärkt werden. Wir haben keine andere
Möglichkeit.
Die Frage, was der Internationale Währungsfonds
wirklich leisten kann, wird auch von Fachleuten sehr unterschiedlich beurteilt. Ich persönlich glaube, wir müssen die vorhandenen Kapazitäten nutzen. Der Internationale Währungsfonds ist keine kleine Einrichtung. Diese
Einrichtung hat immerhin 2 700 Mitarbeiter. Der Einfluss Deutschlands als einer von 185 Staaten - wir haben
sozusagen einen Anteil von 5 Prozent und gehören damit
schon zu den Großen - ist begrenzt. Das entscheidende
Problem aber ist, dass die USA und Europa alles blockieren können; denn um etwas durchsetzen zu können,
braucht man eine Mehrheit von 85 Prozent. Wenn ich
mich nicht verrechnet habe, können die USA auch nach
diesen kleinen Veränderungen noch immer allein alles
blockieren, und wenn sich drei europäische Länder einig
sind - Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland -, dann reicht auch das.
Abschließend sage ich deshalb: Wir sind froh, dass es
gelungen ist, einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass wir einen starken Internationalen Währungsfonds und eine
starke Weltbank benötigen. Ich verhehle nicht, dass wir
uns mehr hätten vorstellen können; aber Politik ist bekanntlich die Kunst des Möglichen.
Danke schön.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
den Änderungen des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11664, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10535 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Umsetzung der EU-Zentralasienstrategie
- Drucksachen 16/8951, 16/10712 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Sind Sie damit einverstanden? Gibt es WiderVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
spruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Marieluise Beck von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion hat diese Zentralasiendebatte auf die Tagesordnung setzen lassen, weil es uns wichtig ist, diese
Region im Fokus zu behalten, auch wenn sich die Krisen
derzeit an anderen Orten abspielen und unsere Aufmerksamkeit ablenken.
Die Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
vor zwei Jahren haben wir begrüßt. Die EU hat ihre
Sichtbarkeit in der Region erhöht. Schwachstelle der
Zentralasienstrategie bleibt allerdings die Durchsetzung
von Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit. Ich
möchte hier durchaus konzedieren, dass wir alle wissen,
wie schwer es ist, die richtige Strategie im Umgang mit
autoritären und diktatorischen Regimes zu finden. Nicht
ohne Grund pendelt die Diplomatie zwischen „carrots
and sticks“, und es ist nicht immer ganz offensichtlich,
wo welches Instrument am effektivsten greift. In einem
allerdings bin ich mir sicher: Wer den usbekischen Geheimdienstchef einlädt, der für Andischan verantwortlich ist, hat jeden politischen Kompass verloren.
({0})
Nun ein paar Worte zur Energiepolitik. Leider verfolgt die EU bei der Energiepolitik einen überholten Ansatz, indem sie an alten Rezepten für fossile Energieträger festhält. Ihr Konzept konzentriert sich auf Gas- und
Ölpipelines. Das ist übrigens ein generelles Problem der
EU-Energieaußenpolitik. Neue Pipelines können zwar
unsere Bezugsquellen diversifizieren; es bleibt aber immer eine gewisse Anfälligkeit für Konflikte bestehen.
Das haben uns im August 2008 der Georgien-Krieg und
zu Neujahr der Gasstreit eindrucksvoll vor Augen geführt.
Deshalb ist es unklug, in Zentralasien zu viel auf
diese eine Karte zu setzen und andere wichtige Bereiche
zu vernachlässigen, zumal die EU bisher wenig erreicht
hat. Es gibt Zweifel, ob die Nabucco-Pipeline überhaupt
realisiert werden kann. Es gibt auch Zweifel, ob Turkmenistan nicht bereits all seine Gasvorräte an andere
bzw. mehrmals verkauft hat.
({1})
Hinzu kommt: Es ist in unserem Interesse, dass diese
Region nicht all die Fehler wiederholt, die wir als Industrienationen mit der rücksichtslosen Verwendung von
Ressourcen begangen haben.
({2})
Eine nachhaltige Energiepolitik der EU in Zentralasien
sollte daher stärker auf Energieeffizienz und erneuerbare
Energien setzen. Mit nachhaltigem Wirtschaften können
wir Zentralasien tatsächlich eine Alternative zu russischer und chinesischer Energiepolitik bieten.
({3})
Auf diese Weise können wir die Staaten Zentralasiens
übrigens auch für den Kampf gegen den Klimawandel
gewinnen. Die Klimaerwärmung stellt zusammen mit
dem Kampf um das Wasser ein enormes Konfliktpotenzial in der Region dar. Die Klima- und die Wasserfrage
sind für die zentralasiatische Region wie siamesische
Zwillinge.
Jenseits des Dilemmas über die richtige Strategie im
Umgang mit autoritären Regimes sind wir uns in der
Analyse sicher einig: Die größten Entwicklungshemmnisse für die Region sind mangelnde Rechtsstaatlichkeit
und die besorgniserregende Menschenrechtslage. Ohne
Verbesserungen in diesen Bereichen wird es keine Stabilität und Sicherheit in dieser Region geben. Die zentralasiatischen Staaten werden sich nicht entwickeln und die
Korruption nicht bekämpfen können, wenn sie nicht zulassen, dass ihre Gesellschaften sich frei entfalten.
({4})
Das ist die Botschaft, die wir zu übermitteln haben.
Für die Umsetzung einer solchen werteorientierten Politik brauchen wir als Partner dringend eine lebendige Zivilgesellschaft. Deswegen muss die Zentralasienstrategie die Stärkung der Bürgergesellschaft in ihrem
Programm deutlicher akzentuieren.
({5})
Das bringt mich schließlich zu einem weiteren wichtigen Thema; es ist sozusagen das Dauerthema für die Außenpolitiker. Es gibt eine Hürde, auf die wir als Außenpolitiker, vor allem aber die betroffenen Menschen,
immer wieder treffen. Das ist die Visumpolitik. Alle zentralasiatischen Staaten beklagen einstimmig die restriktive Visumpolitik der EU. Das betrifft auch den Austausch von Wissenschaftlern und Studenten, die
Durchführung von Seminaren und Begegnungen, die es
eigentlich geben sollte. Wenn wir den gegenseitigen
Austausch und das Reisen erschweren, konterkarieren
wir unsere Bemühungen, eine Öffnung dieser Länder
herbeizuführen, und stellen unsere eigene Glaubwürdigkeit infrage. Die aber brauchen wir dringend, wenn wir
als Vermittler von demokratischer und wirtschaftlicher
Entwicklung in dieser Region erfolgreich sein wollen.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Eduard Lintner von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Beck, zunächst einmal
möchte ich der Fraktion der Grünen dafür danken, dass
sie uns mit ihrer Großen Anfrage die Möglichkeit eröffnet, heute über dieses Thema im Plenum des Deutschen
Bundestages eine Debatte zu führen, und zwar auch deshalb, weil ich bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen
kann, wie weitsichtig und vorsorgend die Bundesregierung im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
gehandelt hat, als sie am 22. Juni 2007 erstmals vom Rat
politische Leitlinien für ein wesentlich größeres Engagement der EU in Zentralasien, die sogenannte EU-Zentralasienstrategie, beschließen ließ.
({0})
Angesichts der schlechten Erfahrungen, die viele EUMitgliedstaaten in der jüngsten Vergangenheit mit der
angeblichen Sicherheit der Versorgung vor allem mit
Gas aus Russland gemacht haben, ist es dringend notwendig und auch plausibel, immer wieder auf diese Leitlinien zurückzukommen und sich dafür stark zu machen,
dass möglichst viele der dort zu findenden Vorschläge
möglichst schnell realisiert werden.
Die EU-Zentralasienstrategie beinhaltet eine Fülle
von Handlungsvorschlägen und Handlungsfeldern, von
denen viele noch nicht einmal annähernd umgesetzt worden sind. Es gibt also viel zu tun. Ich kann die Bundesregierung nur auffordern, weiterhin entschlossen zu handeln und die Dinge anzupacken.
Schon heute können wir erfreulicherweise feststellen,
dass wir Europäer und die EU als Institution in dieser
Region präsent, bekannt und ganz überwiegend auch geschätzt sind. Das hilft uns natürlich bei der positiven Gestaltung unserer Beziehungen zu den dortigen Regierungen genauso, wie es unseren Wirtschaftsvertretern Türen
für Geschäftsbeziehungen und Investitionen öffnet eine für die Schaffung guter, ausbaufähiger und nachhaltiger Beziehungen, wie ich meine, besonders geeignete
Methode.
Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um eine Einbahnstraße handelt. Auch wir haben ein erhebliches Interesse
daran, die Beziehungen zu den südkaukasischen und
zentralasiatischen Ländern zügig auszubauen und intensiv zu nutzen. Das hängt natürlich damit zusammen Sie haben es angedeutet -, dass wir so die Möglichkeit
haben, unsere gefährliche Abhängigkeit von Russland,
was die Versorgung vor allem mit Gas angeht, zu reduzieren, und zwar mithilfe der bekannten und von Ihnen
erwähnten Nabucco-Pipeline. Auch wenn wir die Frage,
ob sie ausreichend mit Gas gefüllt werden kann, im Moment noch nicht beantworten können, steht fest: Das Gas
ist zumindest vorhanden. Es wird Aufgabe der Verhandlungen sein, dafür zu sorgen, dass das Gas in diese Pipeline gelangt.
Meine Damen und Herren, auch die Schaffung zusätzlicher Verkehrsverbindungen von Europa über die
Türkei, den Südkaukasus und das Kaspische Meer nach
Zentralasien und noch weiter stellt für beide Seiten eine
überaus interessante Perspektive dar. Nicht zu vergessen
ist, dass ein wichtiger Strang zur Versorgung unserer
Bundeswehreinheiten in Afghanistan über diese Region
verläuft. Was die Bedeutung unserer Beziehungen zu
Zentralasien angeht, gibt es daher in diesem Hause - das
glaube ich feststellen zu können - kaum einen Dissens.
Auch in Ihrem Entschließungsantrag ist viel Gutes
und Richtiges zu lesen. Aber meines Erachtens sind die
Prioritäten da und dort falsch gesetzt. Deswegen kann
Ihr Antrag auch kein geeignetes Mittel sein, um die Beziehungen zwischen der EU und den zentralasiatischen
Staaten auszubauen. So ist es beispielsweise sicherlich
richtig, die Förderung erneuerbarer Energien in Zentralasien zu fordern. Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt einen höheren Stellenwert als den fossilen Energieträgern einzuräumen, hieße aber, den zweiten Schritt vor dem ersten
zu tun.
({1})
Frau Kollegin Beck, das ändert nichts an der Erkenntnis,
dass erst durch die Verwertung der fossilen Energievorkommen in diesen Staaten genügend Wirtschaftskraft
und Kapital geschaffen wird, um in ausreichendem Maße
Geld in erneuerbare Energien investieren zu können. Im
Übrigen - ich hoffe, hier sind wir uns wieder einig könnte Europa durch den Import von relativ klimafreundlichem Erdgas aus Zentralasien seine CO2-Bilanz
aufbessern.
Meine Damen und Herren, die energiepolitische Zusammenarbeit muss in der EU-Zentralasienstrategie einen zentralen Platz einnehmen. Wichtiger und richtiger
wäre es, in einem Entschließungsantrag, wie er uns heute
vorliegt, auch die Frage der Anbindung Zentralasiens an
den europäischen Energiemarkt zu thematisieren und
sich beispielsweise für den Bau der Nabucco-Pipeline
einzusetzen, die in Ihrer Großen Anfrage noch einen
prominenten Platz eingenommen hat, in Ihren Ausführungen aber etwas zu kurz gekommen ist und zu skeptisch beurteilt wurde.
Auch auf dem Gebiet der Menschenrechte stellen die
Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen
in ihrem Entschließungsantrag Forderungen auf, die auf
den ersten Blick gut und richtig erscheinen.
({2})
Sie übersehen aber leider all das, was bereits verwirklicht worden ist - und das ist einiges. Mit allen Staaten in
Zentralasien hat die EU bereits Menschenrechtsdialoge
aufgenommen; diese können natürlich nicht sofort und
durchschlagend etwas bewirken. Sie sind aber ein Zeichen dafür, dass wir uns nachhaltig für die Menschenrechte einsetzen. Wie Sie wissen, strebt ein Teil dieser
Staaten den Status des Beobachters beim Europarat an.
Das zeigt, dass sie sich mittelfristig an der Demokratie
als Staatsform orientieren wollen.
Eine Schwachstelle der EU-Zentralasienstrategie ist
zum Beispiel die Nichterwähnung der Brückenfunktion
der südkaukasischen Staaten. Diese Staaten müssen ein
notwendiger Teil einer jeden Zentralasienstrategie sein.
Diese Staaten, die sich eindeutig zu Europa bekennen
und Teil unserer Werte- und Kulturgemeinschaft sind,
verfügen über althergebrachte Verbindungen in den zentralasiatischen Raum. Sie sind schon aus geografischen
Gründen ein ideales Sprungbrett. Diese Regionen müssen deshalb ein Teil der Strategie sein. Es wäre also sinnvoll, unsere Zentralasienpolitik enger als bisher mit ihren zu vernetzen.
Dieser Punkt bringt mich zu einer eher allgemeinen
Kritik. Die EU hat in den letzten Jahren mit der Mittelmeerunion, der Östlichen Partnerschaft, der Zentralasienstrategie und anderen Instrumenten eine Vielzahl
von Institutionen geschaffen, um die Beziehungen zu
unseren Nachbarn besser zu gestalten. All diese Initiativen sind für sich genommen durchaus richtig. Sie lassen
aber das notwendige Maß an Kohäsion und Koordination vielleicht doch vermissen. Eine engere Abstimmung
der verschiedenen Instrumente wäre daher geboten.
Aber auch dieser Punkt wird - wie so viele andere - in
Ihrem Antrag leider nicht angesprochen.
Zum Schluss ein zuversichtlicher Blick: Angesichts
der Dynamik der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in dieser asiatischen Region und im Südkaukasus werden wir sicher noch öfter die Gelegenheit haben,
uns in diversen Gremien und im Plenum mit dieser Thematik zu beschäftigen. Das kommt allen zugute: den Beziehungen zwischen unseren Ländern, der Politik der
Bundesregierung, weil sie sich auf diese Weise einer
breiten Zustimmung im Parlament stets sicher sein kann,
und vor allem auch den Menschen, weil sie sich durch
unser stetes Interesse und unsere Unterstützung auf ihrem Weg in eine moderne demokratische Ordnung begleitet und unterstützt fühlen können.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Link von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zentralasien ist für die EU zweifellos von strategischer Bedeutung. Die Bedeutung dieser Region wird für Europa auch
in Zukunft weiter wachsen. Dabei geht es ausdrücklich
nicht nur um Energiefragen, sondern gerade auch um
Menschenrechts- und Sicherheitsfragen.
Das Thema Bundeswehr ist erwähnt worden. Das Angebot Tadschikistans, dass die Bundeswehr auch über
Land zusätzlich zu den bisherigen Transporten, die über
Usbekistan führen, Transporte durchführen kann, liegt
aktuell auf dem Tisch. Das ist ein Punkt, der im Hinblick
auf die Bedeutung Zentralasiens ins Auge sticht. Ein
weiterer Punkt ist die Wichtigkeit Zentralasiens bei der
wirksamen Bekämpfung des Drogenhandels.
Schließlich ist hier noch - Frau Beck, ich habe mich
ein wenig gewundert, dass in Ihrem ansonsten wirklich
sehr gelungenen Entschließungsantrag dieses Thema nur
am Rande gestreift wurde - die Bedeutung Zentralasiens
bei der Bekämpfung des militanten Islamismus zu nennen.
({0})
- Es ist ein heikles Thema, aber es ist außerordentlich
wichtig. Denn wir wissen, dass Zentralasien bei der akuten Bekämpfung und vor allem bei der vorbeugenden
Bekämpfung eine ganz wichtige Rolle spielen wird.
Wieso? Weil in allen 15 zentralasiatischen Staaten - ich
will es einmal vornehm formulieren - Herrscher regieren, die in unterschiedlichen Abstufungen des Autoritarismus eine militante Reaktion der Bevölkerung geradezu provozieren.
Deshalb begrüßen wir als FDP, dass sich die Bundesregierung mit dem Ansinnen, eine gemeinsame Zentralasienstrategie zu schaffen, durchgesetzt hat. Die EU
braucht aus all den erwähnten Gründen einen gemeinsamen Ansatz für Zentralasien.
Wir von der FDP hätten uns - aber das ist vielleicht
zu weit vorausgedacht - eine offizielle gemeinsame
Strategie gewünscht. Es wäre schön gewesen, wenn in
dem Entschließungsantrag der Grünen eine offizielle
Gemeinsame Strategie nach Art. 13 Abs. 2 EU-Vertrag
gefordert worden wäre. Es wäre gut, wenn wir zu einer
solchen gemeinsamen Strategie kämen - schon damit die
Stetigkeit gewährleistet ist. Denn im Moment hängt dies
davon ab, inwieweit die jeweilige EU-Präsidentschaft
die Zentralasienstrategie vorantreibt. Wenn wir die
GASP wollen, müssen wir sie nach dem EU-Vertrag gestalten. Das ist etwas, worauf wir drängen werden.
({1})
Wie wichtig das ist, sieht man daran, dass Kasachstan
2010 den OSZE-Vorsitz übernimmt. Die EU hat das unterstützt. Deshalb kommt die Zentralasienstrategie genau
richtig. Kasachstan ist ein zentralasiatischer Staat mit
enormem Potenzial. Dieses Potenzial, auch das politische Potenzial, ist bisher allenfalls ansatzweise entwickelt worden. Was Kasachstan im Hinblick auf Energie
zu bieten hat, ist bekannt. Was seine politischen Fähigkeiten angeht, denke ich, dass Kasachstan ein Land ist,
das uns noch positiv überraschen kann. Es würde mich
freuen, wenn Kasachstan uns positiv überraschte. In dieser Woche hat es uns nämlich wieder negativ überrascht:
Gestern wurde ein Prozess gegen die Oppositionsführer
eröffnet - ein eminent politischer Prozess. In dieser Woche ist der Korrespondent von Radio Free Europe in
Kasachstan ermordet worden - auch nicht gerade ein
Zeichen dafür, dass sich in Kasachstan eine Zivilgesellschaft entwickelt.
Unsere Forderungen an die Bundesregierung sind
klipp und klar: Sie soll bei der Umsetzung der Zentralasienstrategie darauf achten, dass Kasachstan die Zusagen einhält, die es gegeben hat, damit wir es dabei unterstützen, dass es 2010 den OSZE-Vorsitz übernimmt.
({2})
Michael Link ({3})
- Das ist in der Tat kein Selbstläufer.
({4})
Wir dürfen den OSZE-Vorsitz nicht zu Markte tragen.
Kasachstan muss sich jetzt bewähren; das muss es leisten. Das müssen wir im Auge behalten.
({5})
Die Zentralasienstrategie umfasst im Wesentlichen
drei Bereiche: Energie, politischer Dialog, Menschenrechte. Im Energiebereich wird vielleicht am deutlichsten, was angestrebt wird. Aber wie die Bäume werden
auch die Pipelines nicht in den Himmel wachsen: Selbst
wenn es zu dem Gasdeal zwischen der EU und Turkmenistan, der jetzt angedacht ist, kommen sollte, würde
das den Gasbedarf der EU nur um 2 Prozent entlasten.
Das zeigt, dass noch viel erreicht werden muss.
Beim politischen Dialog mit Zentralasien ist vieles erreicht worden. Es wäre zu wünschen, dass zwischen den
Partnern stärker differenziert wird.
Usbekistan - damit bin ich beim dritten Bereich: bei
den Menschenrechten - ist der Partner, bei dem bisher
wahrscheinlich am meisten erreicht wurde. Vielleicht
kommt daher der interessante Schwenk, den Islam
Karimow, der usbekische Präsident, letzte Woche gemacht hat. Er ist aus der - in Klammern: von Russland
gesponserten - Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft
ausgetreten und hat sich wieder stärker der EU zugewandt. Islam Karimow ist bisher für jeden Zickzackkurs
gut gewesen. Somit bleibt abzuwarten, wie sich die
Dinge entwickeln. Das sollten wir beobachten. Vor allem
sollten wir darauf achten, wie es um die Achtung der
Menschenrechte steht.
Frau Beck, Sie haben völlig recht: Die Vorfälle in Andischan dürfen wir nicht vergessen. Andischan ist ein
Fanal, das sich unter den gegenwärtigen Zuständen in
Usbekistan leider wiederholen könnte. Wir müssen ein
Zeichen setzen, dass das unter Menschenrechtsaspekten
nicht akzeptabel ist.
({6})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Die FDP unterstützt die Zentralasienstrategie. Die Grünen haben einen guten Entschließungsantrag eingebracht. Wir werden diesem Antrag zustimmen. Wir würden uns
wünschen, dass die Zentralasienstrategie Teil der offiziellen GASP der EU wird.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Hedi Wegener von der
SPD-Fraktion.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Exzellenzen!
Strastwuitje! Herzlich willkommen in diesem Hohen
Hause! Es geht um Ihre Länder.
Liebe Zuschauer, wenn wir jetzt einen Test schreiben
würden, in dem gefragt würde, welche Länder eigentlich
zu Zentralasien gehören - wir reden hier ja jetzt schon
eine ganze Zeit lang darüber -: Wüssten Sie das eigentlich? Wüssten Sie eigentlich, über welche Länder wir
hier jetzt sprechen? Es sind Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan und Kasachstan.
({0})
Einigen wir uns einmal darauf, dass es zwei wüssten.
Durch den aktuellen Gasstreit wurde jetzt gezeigt, wie
wichtig die Diskussion über diese Länder ist und welche
Folgen der Streit auch für Europa hat. Die Zentralasienstrategie ist gerade zur richtigen Zeit erschienen.
Sie ist ja auch in der EU schon debattiert worden. Ein
Architekt der Zentralasienstrategie sitzt hier auf der Regierungsbank. Wir haben 2007 ja schon einmal darüber
gesprochen. Sie bildet eine ausgezeichnete Grundlage
dafür, die Beziehungen zwischen Europa und Zentralasien kontinuierlich zu gestalten.
Die Strategie ist sozusagen eine Klammer, um aus
zahlreichen unterschiedlichen Beziehungen einzelner
europäischer Länder zu Zentralasien einen Gesamtansatz
zu bilden. Die Strategie wurde im Übrigen in enger
Kooperation mit unseren Partnern in Ihren Ländern erarbeitet. Meine Erfahrung ist allerdings, dass noch viel
Zeit vergehen wird, bis sich Zentralasien als Region versteht und vielleicht sogar den Integrationsprozess der
Europäischen Union zum Vorbild nimmt. Europa
möchte Sie auf diesem Weg begleiten.
Wir sind überzeugt, dass sich viele Probleme - Wasser, Umwelt, Sicherheit - nur regional lösen lassen. Wir
haben es schon gehört: Die Voraussetzungen der einzelnen Staaten sind natürlich sehr unterschiedlich. Gerade
deshalb beinhaltet die Strategie neben den regionalen
Aspekten auch bilaterale Ansätze. Genau diese Verbindung führt zu der hohen Akzeptanz bei unseren Partnern.
Der Bundesrepublik wird hinsichtlich der Zentralasienstrategie immer wieder vorgeworfen, dass wir einzig und allein aus wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen kritiklos mit Präsidialherrschaften und zum Teil
auch mit Diktaturen zusammenarbeiten. Wer die Strategie liest und die Antwort auf die heute behandelte Große
Anfrage kennt, der muss erkennen, dass die Unterstellung nicht zutrifft. Das wissen die Antragsteller eigentlich; wir sind ja auch schon gemeinsam in der Region
gewesen.
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind zentrale Punkte der Strategie und immer wieder eingeforderte Grundlagen. Insbesondere die Bundesrepublik legt
ihren Schwerpunkt auf die Kooperation und die Rechtsstaatlichkeit.
Eine immer wiederkehrende Forderung betrifft den
Boykott und den Abbruch der Beziehungen zu UsbekisHedi Wegener
tan. Ich persönlich halte Boykott und Isolation für den
falschen Weg und finde Annäherung und Kooperation
besser. Der richtigste Weg ist eben der Dialog - aber
nicht um jeden Preis; das stimmt. Es gehört aber auch zu
einem fairen Umgang miteinander, die Bemühungen des
Gesprächspartners anzuerkennen.
Kehren wir also einmal vor unserer eigenen Haustür.
Deutschland hat sich zu Recht für die Lockerung der
Sanktionen gegen Usbekistan eingesetzt. Was erleben
wir? Schon wenige Tage später wurde einer der Hauptbeschuldigten von Andischan offiziell nach Berlin eingeladen. Ich halte das für ein zweischneidiges Schwert.
War das nötig und richtig? ({1})
Schweigen auf allen Seiten.
({2})
Ich bin mir bewusst, dass die Lage in vielen Ländern
in puncto Menschenrechte noch immer unbefriedigend
ist. Im Oktober letzten Jahres war Frau Tojibaeva hier in
Berlin zu Gast. Sie haben sie zum Teil ja auch empfangen.
({3})
- Und wer stellt den Innenminister, dem der Geheimdienst unterstellt ist?
({4})
Frau Tojibaeva hat mich als Menschenrechtlerin sehr beeindruckt.
({5})
Sie hat Folter und Misshandlungen über sich ergehen
lassen und ist trotz dieser Erfahrungen für einen Dialog.
Ein anderer Vorwurf, der immer wieder erhoben wird,
ist der der Doppelstandards. Es wird behauptet, wir redeten mit dem einen, weil er Öl hat, während wir einen anderen Diktator als solchen bezeichneten und ein Gespräch verweigerten. Hierin sehe ich tatsächlich eine
echte Gefahr. Für uns Abgeordnete weise ich diesen Vorwurf eindeutig zurück. Wir sprechen mit allen: mit den
Regierungen, den Parlamentariern, der Opposition und
Menschenrechtlern. Viele Kolleginnen und Kollegen bemühen sich um ein Gesamtbild. Das Entstehen eines solchen Eindrucks von Doppelstandards können wir auch
durch die Einladungspolitik der Bundesregierung vermeiden. Wen empfängt die Regierung, und wen empfängt sie nicht?
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden gleich
auch über den Entschließungsantrag der Grünen abstimmen. Im Hinblick auf diesen Antrag bin ich froh, sagen
zu können, dass wir eigentlich schon eine ganze Menge
von dem, was dort beantragt wird, erledigt haben. Das
Außenministerium unter Frank-Walter Steinmeier und
besonders Staatsminister Gernot Erler sind auf diesem
Gebiet engagiert und setzen die im Antrag genannten
Punkte um. Ich stehe in regelmäßigem Kontakt mit den
Botschaftern und weiß, dass sich alle Beteiligten sehr für
die Freilassung von Gefangenen einsetzen.
Die Grünen sprechen in ihrem Entschließungsantrag
auch den Vorsitz Kasachstans in der OSZE an. Deutschland hat die Bemühungen Kasachstans um den OSZEVorsitz immer unterstützt. Das sind Vorschusslorbeeren.
Natürlich muss Kasachstan die Werte der OSZE nicht
nur im eigenen Land umsetzen, sondern wir erwarten
auch, dass es sich bei seinen Nachbarstaaten, die ebenfalls alle Mitglieder der OSZE sind, für diese Werte einsetzt. Wir erwarten ferner, dass Kasachstan Fortschritte
macht: Es muss die Zulassung von Parteien erleichtern,
und die Medien gehören nicht nur in eine Hand. Weil
Deutschland sich für Kasachstan eingesetzt hat, begleiten und unterstützen wir Kasachstan auf diesem Weg,
unter anderem durch die Ausbildung von Diplomaten.
Meine Damen und Herren, Exzellenzen, was ist unser
Interesse an Zentralasien? Wir wollen eine stabile Region, in der die Menschen in Sicherheit leben, nicht zuletzt deshalb, weil wir wissen, dass eine Lösung der
Krise in Afghanistan ohne ein stabiles Zentralasien nicht
möglich ist, aber auch, weil wir ein Interesse an den
Energievorkommen in Zentralasien haben. Das ist keine
Schande, und das macht uns nicht zu schlechten Menschen, solange wir dieses Begehren mit unseren europäischen Werten und Prinzipien in Einklang halten.
Deutschland wird zu Recht als ein enger Freund Zentralasiens gesehen. Freundschaft bedeutet aber auch,
dass wir offen und ehrlich Dinge ansprechen, von denen
wir überzeugt sind, dass man sie ein bisschen besser machen kann.
Spasibo, recht herzlichen Dank.
({7})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
beschränke mich auf den Entschließungsantrag der Grünen und gehe daher nur mittelbar auf die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage ein.
Die Durchsetzung rechtsstaatlicher Standards, die
Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte und die
Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure sind Forderungen, die wir teilen und unterstützen. Uns befremdet aber
der paternalistische Gestus, der sich durch den gesamten
Entschließungsantrag der Grünen zieht. Dies erinnert
stark an das Konzept der „externen Demokratieförderung“, die wir etwa aus Lateinamerika kennen.
({0})
Hier geht es offenbar weniger darum, Länder auf ihrem
eigenen selbstbestimmten Entwicklungsweg zu unterstützen, als darum, die eigene Gesellschaftsordnung anderen aufzudrängen, als ob etwa die Menschenrechtslage
in den Mitgliedstaaten der EU - auch in Deutschland über jeden Zweifel erhaben wäre.
Unsere Hauptkritik bezieht sich aber auf etwas anderes: auf Ihre Aussagen zur Energiepolitik. Da heißt es im
vierten Spiegelstrich Ihrer Forderungen:
- eine effektive Kooperation mit den Staaten Zentralasiens in den Bereichen Erneuerbare Energien,
Energieeffizienz und Energieeinsparungen aufzubauen statt einer Fokussierung auf Öl und Gas.
Nun sind das ja an sich richtige Forderungen, die wir unterstützen. Aber wir können doch nicht die Augen vor
den Realitäten, vor dem Energiereichtum Zentralasiens
verschließen.
In der Großen Anfrage war in Frage 19 die Rede von
der Diversifizierung der Transportwege für zentralasiatisches Gas unter Umgehung Russlands. Die Bundesregierung hat sich für eine solche ausgesprochen. Zugleich
hat sie erklärt, dass es dabei nicht um eine Umgehung
Russlands gehe. Darauf gehen Sie in Ihrem Entschließungsantrag nicht ein. Sie stellen sich einem wichtigen
Problem in dieser Frage nicht. Ich weiß nicht, ob die
Bundesregierung erwartet, es werde ihr geglaubt, bei den
verschiedenen Pipelineprojekten - auch für Erdöl - gehe
es nicht um die Umgehung Russlands. Man braucht sich
doch nur die Streckenführungen der gebauten, der in
Bau befindlichen und geplanten Leitungen anzuschauen.
Es sticht doch geradezu ins Auge, dass politische und
geologische Schwierigkeiten in Kauf genommen werden, nur um Streckenführungen zu finden, die russisches
Territorium nicht berühren. Dabei wird es für manchen
wohl noch erhebliche Überraschungen geben, etwa für
die Union, die in ihrer Mehrheit die Türkei auf keinen
Fall in die EU aufnehmen will, aber wie selbstverständlich auf die Gaspipeline Nabucco setzt, die in ihrem
Kernstück über türkisches Territorium verläuft.
Ebenso wenig wie das Gasproblem bei der Betrachtung des Verhältnisses der EU zu Zentralasien ausgeblendet werden kann, darf von dem Bestehen der russisch-zentralasiatischen Energiegemeinschaft abgesehen
werden. Energielieferungen aus den zentralasiatischen
Ländern sind vernünftig und dauerhaft nicht gegen Russland, sondern nur in Kooperation mit Russland zu gestalten und zu sichern.
Über die Frage der Energieversorgung hinaus gilt: Es
kann keine erfolgreiche EU-Zentralasienpolitik geben,
wenn die Partnerschaft EU-Russland nicht positiv weiterentwickelt wird.
Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gibt keinen Anstoß für eine vernünftige
Weiterentwicklung der Politik der EU und Deutschlands
im zentralasiatischen Bereich, sondern umgeht, wie
manche meiner Vorredner schon angesprochen haben,
wesentliche Fragen. Wir lehnen ihn daher ab.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/11648. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Zustimmung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 auf:
17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP
Angemessene und zukunftsorientierte
Unterstützung der Contergangeschädigten
sicherstellen
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD
Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für einen umfassenden Ansatz beim
Umgang mit den Folgen des ConterganMedizinskandals
- Drucksachen 16/11223, 16/8754, 16/8748,
16/11625 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Blumenthal
Marlene Rupprecht ({1})
Jörn Wunderlich
Britta Haßelmann
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Soforthilfe zur Teilhabe-Ermöglichung für
Conterganbetroffene
- Drucksache 16/11639 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Antje Blumenthal von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
vergangenen Jahr haben wir für die contergangeschädigten Menschen einiges vorangebracht und auch erreicht.
Auch in diesem Jahr legen wir die Hände nicht in den
Schoß. Das zeigt der hier vorliegende Antrag. Die Anhörung im Mai vergangenen Jahres hat uns verdeutlicht,
dass es an verschiedenen Stellen anzusetzen galt und
auch noch gilt. Auch meine Treffen mit Betroffenen, die
Forderungen des Bundesverbandes Contergangeschädigter und der Conterganstiftung haben gezeigt, mit welchen Problemen die Betroffenen zu kämpfen haben.
Wir müssen leider immer noch feststellen, dass die
contergangeschädigten Menschen auf Hindernisse in den
Bereichen Gesundheit, Pflege, Assistenz und Mobilität
stoßen und ihnen der Zugang zu benötigten Hilfen immer noch erschwert wird. Obwohl sich eine interministerielle Arbeitsgruppe zusammengefunden hat und Gespräche mit Organisationen des Gesundheitswesens
geführt wurden, haben die contergangeschädigten Menschen weiterhin Probleme, die benötigten und die ihnen
zustehenden Leistungen zu bekommen. Deshalb sind wir
aufgefordert, sie dabei zu unterstützen, dass sie alle Leistungen erhalten, die möglich sind, und dass die Bewilligung zügig und unbürokratisch abläuft. Mit einem
Rundbrief hat das Gesundheitsministerium die Spitzenverbände der Krankenkassen und andere zuständige Institutionen aufgefordert, den Betroffenen den Zugang zu
Heil- und Hilfsmitteln zu erleichtern.
({0})
- Der Beifall ist zwar schön, aber leider lässt die Wirkung in einzelnen Bereichen noch auf sich warten. Ich
denke, hier müssen wir wachsam bleiben.
Ein weiterer Schritt - das freut mich persönlich besonders - ist die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.
Seit 2005 hat sich meine Fraktion dafür eingesetzt, dass
Ohnarmer, von denen viele Contergangeschädigte sind,
Parkerleichterungen erhalten. Dies wurde nun endlich
umgesetzt.
({1})
Der Gesundheitszustand vieler contergangeschädigter
Menschen hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Alterungsprozesse setzen bei ihnen früher
ein und verlaufen schwieriger, das heißt schmerzvoller.
In der Anhörung wurden uns die gesundheitlichen Probleme von den Betroffenen eindrucksvoll geschildert.
Diese gesundheitlichen Probleme führen zu erheblichen
Einschränkungen im Beruf und in der Mobilität, das
heißt in ihrem gesamten Alltag.
({2})
Eine umfassende gesundheitliche Versorgung ist deshalb
dringend notwendig. Sie muss auf die speziellen Bedarfe
der Betroffenen abgestimmt sein.
Wie die Anhörung aber auch gezeigt hat, gibt es kaum
Ärzte, die sich mit Conterganschädigungen umfassend
auskennen. Die meisten Geschädigten haben ihre Hausärzte und Orthopäden vor Ort und werden von diesen
selbstverständlich gut betreut. Aber ein Erfahrungsaustausch zwischen den Medizinern erfolgt leider bisher
nicht im notwendigen Umfang.
Wir müssen deshalb dabei helfen, dass die Betroffenen mit ihren individuellen Problemen umfangreich medizinisch versorgt und betreut werden. Der Erfahrungsaustausch unter den Experten muss verstärkt werden.
Viele Betroffene wissen in vielen Fällen nicht, an wen
sie sich wenden können. Sie wissen nicht, wer sich in ihrem Umfeld mit ihren Schädigungen auskennt. Sie wissen aber auch nicht immer, wo sie welche Leistungen beantragen können. Deshalb ist ein umfassendes
Beratungsangebot notwendig. Wir beraten derzeit darüber, eine telefonische Beratungsstelle einzurichten. Wir
denken dabei zum Beispiel an eine Lösung wie das Alzheimer-Telefon, das sich hervorragend bewährt hat. Unter einer bundesweit einheitlichen Telefonnummer könnten sich dort Angehörige, Betroffene, aber auch Ärzte in
gesundheitlichen, sozialen oder rechtlichen Fragen beraten lassen. Betroffene könnten sogar als Beratungspersonen in diese Beratungsstelle einbezogen werden; denn
viele Betroffene haben aus eigener bitterer Erfahrung gelernt.
In unserem Antrag fordern wir die Vergabe eines Forschungsauftrages. Es soll dabei ermittelt werden, wie die
körperlichen Verschleißerscheinungen aussehen, wie sie
sich weiterentwickeln, welche Beeinträchtigungen aufgrund der Folge- und Spätschäden entstehen, wie die besonderen Bedarfe der Betroffenen sind und welche
Hilfsmittel benötigt werden.
Die Ergebnisse der Studie werden uns helfen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Betroffenen besser unterstützen zu können. Die Vorbereitungen zu diesem Forschungsprojekt sind bereits getroffen, sodass ich
sicher bin, dass der Forschungsauftrag im ersten Halbjahr 2009 vergeben werden kann.
Eine weitere Forderung unseres Antrages ist es, ein
Netzwerk für Dysmelie-Betroffene aufzubauen. Das sind
Menschen, die fehlgebildete Gliedmaßen haben, die jedoch nicht von dem Wirkstoff Thalidomid verursacht
wurden. Sie haben aber mit denselben Problemen zu
kämpfen. Erkenntnisse über diese Behinderung aus dem
deutschen und europäischen Raum könnten gebündelt
und Ärzten und Betroffenen zum Beispiel in Form einer
Wissensdatenbank zur Verfügung gestellt werden.
Wir haben die Idee der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ein Netzwerk aufzubauen, aus deren Antrag übernommen, und wir haben Gespräche über einen möglichen interfraktionellen Antrag geführt. Leider konnten
wir uns nicht verständigen. Deshalb freue ich mich umso
mehr, dass die Zusammenarbeit mit der FDP gelungen
ist.
({3})
Lassen Sie mich noch einige Worte zur aktuellen
Situation sagen. Viele von uns erhalten Briefe, in denen
contergangeschädigte Menschen ihren Unmut äußern. Es
geht dabei auch immer wieder um die monatlichen Entschädigungsleistungen. Ich darf deshalb noch einmal
darauf hinweisen, dass wir die Situation der contergangeschädigten Menschen in finanzieller Hinsicht verbessert haben. Statt der ursprünglich geplanten 5-prozentigen Erhöhung haben wir die Conterganrenten zum 1. Juli 2008 verdoppelt, das heißt um 100 Prozent erhöht. Der
Höchstsatz ist damit von 545 auf 1 090 Euro erhöht worden. Lassen Sie mich hinzufügen: Die Conterganrente ist
steuerfrei und wird nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet. Hinzu werden noch in diesem Jahr jährliche
Sonderzahlungen kommen. Die von der Firma
Grünenthal zugesagten 50 Millionen Euro und weitere
50 Millionen Euro aus dem Stiftungskapital werden bald
jährlich an die Contergangeschädigten ausgezahlt. Das
heißt, nach den bisherigen Planungen werden den Betroffenen jährlich ungefähr 3 000 Euro zusätzlich zur
Verfügung gestellt werden können.
({4})
Über die Art und Weise der Auszahlung beraten wir
momentan im Zusammenhang mit unserem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Deshalb ist der Antrag der Linken überflüssig. Sie
fordern eine sofortige Auszahlung der Grünenthal-Gelder. Ich weiß aber von Betroffenen, dass nicht alle eine
sofortige Ausschüttung der Sonderzahlungen wünschen,
sondern eine Auszahlung über einen bestimmten, das
heißt längeren Zeitraum bevorzugen. Hier besteht noch
Beratungsbedarf.
Uns ist bewusst, dass es noch viele Probleme zu lösen
gilt. Trotzdem können wir ein wenig stolz auf das bisher
Erreichte sein. Wie schon anfangs gesagt, legen wir die
Hände nicht in den Schoß, sondern arbeiten weiter an
Lösungen. Dazu gehört auch der Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes, den wir
demnächst einbringen werden.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Conterganskandal war einer der schwersten Medizin- und
Arzneimittelskandale der Bundesrepublik. Der Lebensleistung der contergangeschädigten Menschen gilt mein
größter Respekt.
({0})
Unsere Aufgabe hier im Parlament ist, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen und die vorhandenen zu
überprüfen. Die FDP will das und hat deshalb gemeinsam mit CDU, CSU und SPD einen Antrag vorgelegt,
über den wir heute beraten und abstimmen. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, Verbesserungen in
den Bereichen Gesundheit, Pflege, Mobilität, Assistenz
und Versorgung zu erreichen; darauf hat schon Frau
Blumenthal hingewiesen. Wir finden es richtig, dass es
einen Forschungsauftrag geben wird, der im ersten Halbjahr 2009 vergeben wird. Herr Kurth, obwohl es nicht an
Versuchen gemangelt hat, ist es nicht zu einem gemeinsamen Antrag gekommen, den alle unterstützen; das bedauere ich.
({1})
Wir werden sehen, welche schwerwiegenden Gründe Sie
haben, die Sie daran hindern, selbst bei einem solchen
Thema einen fraktionsübergreifenden Antrag zu unterstützen.
Im letzten Jahr sind die Conterganrenten durch einstimmigen Beschluss verdoppelt worden. Die FDP will
schon jetzt absehbare Änderungen des Conterganstiftungsgesetzes unterstützen. Ein entsprechender Entwurf
wird in den nächsten Monaten vorgelegt. Die Firma
Grünenthal wird, wie wir wissen, das Stiftungskapital
durch eine freiwillige Spende um 50 Millionen Euro erhöhen. Der Bund wird voraussichtlich diesen Betrag um
weitere 50 Millionen Euro aufstocken, die aus einer
langfristigen Kapitalisierung des Stiftungsvermögens erwirtschaftet werden sollen. Hieraus soll jeder Anspruchsberechtigte eine jährliche Einmalzahlung als
Sonderleistung erhalten.
Die Forderung nach einer sofortigen Einmalauszahlung der 50 Millionen Euro, wie sie von einigen Betroffenen und den Linken aufgestellt wird, hält die FDP für
nicht sinnvoll.
({2})
Damit würde jeder Betroffene einmalig 18 000 Euro erhalten. Es ist aber leicht zu erkennen, dass die Betroffenen einen wesentlich höheren finanziellen Vorteil aus einer jährlich wiederkehrenden Sonderzahlung in Höhe
von 3 000 Euro ziehen werden,
({3})
was eine langfristige Auflösung des Stiftungsvermögens
einschließt und bedeutet, dass das Stiftungsvermögen
somit dem Personenkreis zufließt - das wollen wir -, der
einen berechtigten Anspruch darauf hat. Insgesamt können die Conterganopfer von diesem Jahr an mit bis zu
16 000 Euro jährlich rechnen, und zwar einmal mit dem
Rentenhöchstsatz von jährlich 13 080 Euro - das sind
1 090 Euro monatlich - und zum anderen mit der jährlich wiederkehrenden Einmalzahlung in Höhe von
3 000 Euro. Ich glaube, es ist ganz wichtig - wir kennen
ja die Steuerbelastung in der Bundesrepublik Deutschland -, dass diese Leistungen für die Contergangeschädigten einkommensteuer- und anrechnungsfrei sind. Bei
all dem verständlichen Frust, den die Betroffenen über
die Politik der letzten Jahrzehnte im Bereich Contergan
hatten, bewerte ich das seit dem Ende letzten Jahres Erreichte als äußerst positiv.
({4})
Des Weiteren arbeitet eine interministerielle Arbeitsgruppe an Erleichterungen für Geschädigte. Wenn es
jetzt eine Parkerlaubnis auch für Contergangeschädigte
gibt, dann wird das die Mobilität sicher sehr verbessern.
Es gibt aber noch andere Menschen mit Behinderung,
die diese Erlaubnis immer noch nicht haben. Das aber ist
ein anderes Feld.
Einige Forderungen der FDP gehen über den gemeinsamen Antrag, den wir heute verabschieden werden, hinaus. Wir sehen in zwei Punkten keinen Prüfbedarf. Das
betrifft einmal die Dynamisierung des Rentenanspruchs.
Die vor der Erhöhung der Conterganrenten zum 1. Juli
2008 letzte Rentenerhöhung lag vier Jahre zurück. Obwohl sich die Altersrente mit der Rente für Contergangeschädigte keinesfalls vergleichen lässt, wäre es vorstellbar, die jährliche prozentuale Anpassung der Altersbezüge
auf die Conterganrenten zu übertragen. Das wäre ein unbürokratischer Weg. Gleichzeitig - vielleicht sind wir
uns darin einig - sollte die Conterganrente in geeigneten
Zeiträumen, zum Beispiel nach fünf Jahren, grundlegend
überprüft werden, damit den Contergangeschädigten
eine aufgrund des fortschreitenden Alters notwendige
weitere Hilfe gegeben werden kann; denn der Hilfebedarf wird - das können wir uns vorstellen - weiter zunehmen.
Zum anderen möchte ich den Fristausschluss ansprechen. Bis zum 31. Dezember 1983 mussten die Ansprüche bei der Conterganstiftung geltend gemacht werden,
um eine Zahlung zu erhalten. Es stellte sich aber heraus,
dass es Conterganschädigungen gibt, die nicht so ohne
Weiteres erkennbar sind. In der Regel handelt es sich dabei um die Schädigung der inneren Organe. Die Opferzahl wird weltweit auf circa 100 geschätzt. Ich finde,
auch diese Opfer sollten eine Entschädigung bei uns in
Deutschland erhalten.
({5})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Die FDPBundestagsfraktion wird mit den Kollegen und Kolleginnen der anderen Fraktionen dieses Thema über diese
Legislaturperiode hinweg - das müssen wir uns gegenseitig in die Hand versprechen - begleiten, damit die
nächste Regierung in die Lage versetzt wird, den Beschluss von heute zeitnah umzusetzen.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Rupprecht
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute drei Anträge. Wir haben gehört, was Inhalt
des Antrags der Koalition und der FDP ist. Ich glaube,
dass bei beiden Vorrednerinnen deutlich wurde, dass wir
dieses Thema mit großer Ernsthaftigkeit behandeln. Das
würde ich grundsätzlich auch allen anderen Fraktionen
unterstellen. Es kam zumindest in den Gesprächen, die
wir geführt haben, zum Ausdruck, dass wir wissen, dass
Menschen durch das Verhalten anderer geschädigt wurden und dass sie es verdienen, nicht zum Objekt parteipolitischen Gezänks zu werden.
Ich will kurz zurückblicken und schildern, wie es im
letzten Jahr begann. Wir vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sind nur deswegen für diesen
Bereich zuständig, weil es sich damals um Kinder handelte, die betroffen waren. Eigentlich sind behinderte
Menschen in dem Bereich Arbeit und Sozialordnung angesiedelt. Es ist für viele befremdlich, dass auf einmal
der Ausschuss für Familie für behinderte Menschen zuständig ist. Es stand damals die wiederkehrende Rentenanpassung bzw. Entschädigungsanpassung an. Eine
Erhöhung um 5 Prozent war angedacht. Wir haben gedacht, dass es ein Erfolg sei, wenn wir etwas mehr heraushandeln könnten. Die Rente ist jetzt doppelt so hoch
wie vorher. Damit hat niemand gerechnet, auch nicht die
Betroffenen. Ich habe etliche E-Mails und Briefe von
Betroffenen bekommen, die froh waren, dass das Gesetz
zum 1. Juli in Kraft getreten ist und sie nun jeden Monat
höhere Renten beziehen. Das sollten wir zur Kenntnis
nehmen, bevor wir beginnen, das Erreichte zu zerpflücken.
Wir haben dann gemerkt, dass die Rentenanpassung
nicht ausreicht, weil die Anliegen der Betroffenen weit
darüber hinausgehen. Daraufhin ist der erste Antrag der
Koalition entstanden. Wir wollten all die Aspekte, die
uns die contergangeschädigten Menschen vorgetragen
und schriftlich dargelegt haben, aufnehmen. Es war uns
ein wichtiges Anliegen, die Ansprüche der Contergangeschädigten auf Leistungen nach den anderen Sozialgesetzbüchern wie dem Sozialgesetzbuch XII - Sozialhilfe und dem Sozialgesetzbuch XI - Pflege - sowie im Gesundheitsbereich zu wahren. In all diesen Bereichen
wurde Contergangeschädigten der Zugang zu Leistungen verwehrt, obwohl sie einen Anspruch darauf gehabt
hätten.
Marlene Rupprecht ({0})
Nicht alle contergangeschädigten Menschen sind so
fit wie die, die wir in den Medien sehen, die gelernt haben, mit ihrer Situation so umzugehen, dass sie sich zumindest wehren können. Für diejenigen, die wir nicht in
den Medien sehen, müssen wir besonders einstehen.
Wir haben deshalb gesagt: Das Ministerium muss sich
darum kümmern, dass die Sozialversicherungen ihre
Pflicht erfüllen. Wir wissen, dass die Sozialversicherungen ihre Pflicht - nicht nur hier, sondern querbeet manchmal nur zögerlich erfüllen. Ich glaube, hier ist
sanftes Zureden nicht immer ausreichend; hier ist
manchmal der Morgenstern besser als das Florett;
({1})
denn nur so verstehen die Sozialversicherungen, worum
es geht. Ich denke, es ist ermüdend, wenn jemand lange
für seine Rechte kämpfen muss; nicht jeder hat die Kraft
dazu.
Es ist uns ein wichtiges Anliegen, für die Rechte der
Betroffenen einzustehen. Das Bundesministerium für
Verkehr hat - vielleicht, weil es vor dem Morgenstern
Angst hatte - von vornherein gesagt: Wir nehmen eine
Änderung vor; wir sind eh dabei, Änderungen vorzunehmen. Deswegen ist es für die Contergangeschädigten zu
Erleichterungen beim Parken gekommen.
Wir haben auch erkannt, dass wir eigentlich relativ
wenig über Behinderte im Alter wissen. Das ist ein trauriges Kapitel: In der NS-Zeit haben keine behinderten
Menschen überlebt, die jetzt alt wären; denn sie alle
wurden damals umgebracht. Wir brauchen dringend Forschung für Menschen mit Behinderung, speziell für contergangeschädigte Menschen, damit wir erfahren, welche Anforderungen sie an ein Leben im Alter haben.
({2})
- Herr Dr. Seifert, wir reden nachher darüber. - Wir haben gesagt: Hier bedarf es der Forschung. Wir wollen
das gründlich angehen und es nicht auf die lange Bank
schieben; es soll noch in diesem Frühjahr damit begonnen werden.
Nachdem klar war, dass wir an dem Vertrag mit dem
Verursacher, der Firma Grünenthal, nichts mehr ändern
können - die Bundesrepublik ist in die Nachfolge getreten -, hat man mit dem Unternehmen - hier danke ich besonders den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU und der SPD, Frau Falk und Frau Humme Verhandlungen geführt. Dabei hat man die Summe ausgehandelt, die Grünenthal schon einmal bezahlt hat, um
zusätzliche Entschädigungen zahlen zu können.
Herr Seifert, man könnte natürlich sagen: Wir zahlen
einmal aus. - Das klingt wunderschön. Aber die Summe,
die wir jetzt auf einmal hätten zahlen können, hätte einer
jährlichen Auszahlung über sechs Jahre entsprochen.
Wir haben dagegen gesagt: Wenn die Contergangeschädigten aus dem Stiftungsvermögen stattdessen jährlich
3 000 Euro erhalten, dann haben sie lange etwas davon,
nämlich 35 Jahre lang. Sie müssen nicht alles auf einmal
erhalten; denn ich nehme nicht an, dass sie übermorgen
sterben. Ich nehme vielmehr an, dass sie alt werden und
auch in ein paar Jahren etwas davon haben wollen. Wir
wollen gern auch Einmalzahlungen vornehmen. Wie sie
ausgestaltet werden, werden wir sehen.
In einem dritten Schritt werden wir das Conterganstiftungsgesetz ändern. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, darauf hinzuweisen, dass es noch offene Fragen gibt. Die
Betroffenen hatten über zehn Jahre lang Zeit, sich zu
melden. Es gab verschiedene Gründe, warum sie sich
nicht bis zum Jahr 1983 gemeldet haben. Wir prüfen derzeit und wägen ab, wie viele Betroffene es tatsächlich
gibt und wie man ihnen helfen kann.
Ich kann versprechen, dass wir keine Schnellschüsse
machen. Dafür ist das Thema viel zu ernst. Heute liegt
noch kein endgültiger Gesetzentwurf vor, weil wir derzeit dabei sind, alle Punkte, die wir für richtig und abwägenswert halten, zu überprüfen und rechtliche Gutachten
einzuholen. Ich glaube, dass wir mit dem Conterganstiftungsgesetz und der darin vorgesehenen Entschädigung
den Umgang mit behinderten Menschen ein Stück in die
richtige Richtung gerückt haben, wie heutzutage Behindertenpolitik gemacht wird, nämlich dahin gehend, dass
wir eine inklusive Politik für Menschen machen, die,
egal wodurch, behindert sind und das Recht auf Teilhabe
an der Gesellschaft haben.
Wir wollen zur Sicherung dieser Teilhabe beitragen.
Ich will nicht, dass ein Parlament in vier Jahren wieder
so weitreichende und umfassende Reformen angehen
muss. Deshalb wird der Gesetzentwurf sorgfältig geprüft
und erst dann vorgelegt. Es finden auch Gespräche mit
betroffenen Menschen statt, sodass es nicht heißen wird:
Alles wird über uns, aber nicht mit uns gemacht. Vielmehr heißt es dann ganz im Sinne der EU-Vorgabe:
Nichts ohne uns über uns. Ich denke, dass wir diese Vorgabe in diesem Prozess einhalten.
Ich bitte Sie und lade Sie ein, mitzumachen - auch
Dich, lieber Markus Kurth, ich habe Dich schätzen gelernt -, auch wenn Wahlen bevorstehen. Euer Antrag
enthält nichts anderes als unserer. Deshalb wäre es
schön, wenn ihr euch entschließen könntet, mitzumachen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ilja Seifert von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas
mehr als einem Jahr gab es einen Film im Fernsehen,
und seitdem reden alle wieder über die Contergangeschädigten. Seit fast einem Jahr wird pausenlos kostenlose Imagewerbung für die Firma Grünenthal gemacht,
weil sie versprochen hat, noch einmal gnädigerweise
50 Millionen Euro zu geben. Von den Betroffenen höre
ich, dass sie von den versprochenen 50 Millionen Euro
noch keinen Cent gesehen haben.
Nun sind Sie der Meinung, dass es falsch wäre, das
Geld auf einmal auszuzahlen, weil es viel mehr wäre,
wenn man es über viele Jahre hinweg zahlt. Lassen Sie
bitte schön das Selbstbestimmungsrecht gelten, sodass
jeder selbst bestimmen kann, ob er das Geld sofort auf
die Hand oder auf 35 Jahre verteilt haben möchte.
({0})
Dann wollen wir doch einmal sehen, wie die betroffenen
Menschen selbst entscheiden. Wenn diese Entscheidung
gelten würde, dann wäre das Selbstbestimmung im
Sinne von „nichts über uns ohne uns“.
Aber Sie entscheiden. Wir können gerade beobachten,
wie die Finanzen funktionieren. Sie geben das Geld in
einen Fonds, und je nachdem, was die Kapitalisierung
bringt, können sie etwas auszahlen. Aber wenn die Betroffenen Pech haben und es wieder eine Finanzkrise
gibt, bekommen sie eben nichts. Das kann doch nicht
wirklich Ihr Ziel sein.
({1})
- Aber selbstverständlich. Sie wollen das Geld kapitalisieren. Das steht doch in Ihrem Referentenentwurf. Sie
brauchen das bloß nachzulesen.
({2})
- Jetzt habe gerade ich das Wort. Ich will es nur noch
einmal sagen.
({3})
- Das ist ja auch gut so. Zwischenrufe sind immer etwas
Positives.
Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen das bekommen, was sie brauchen.
Sie haben ja darauf hingewiesen - das finde ich sehr
positiv -: Die meisten der Contergangeschädigten sehen
wir alle nicht. Sie kommen kaum aus ihrem Bett und erst
recht nicht aus ihrer Wohnung heraus. Deswegen kann
ich es inzwischen auch nicht mehr hören, wenn wir hier
feierlich immer wieder bekunden, wie toll wir die Lebensleistung der Contergangeschädigten finden, die sich
trotz ihrer schweren Behinderung und anderer Probleme
durchgekämpft haben. Ja, natürlich ist das toll. Aber dabei handelt es sich nicht um die Mehrheit. Wir sollten sie
nicht bewundern, sondern sollten ihnen helfen, mit ihrer
Situation fertig zu werden.
({4})
- Sie von der FDP sind doch immer diejenigen, die sagen: Gebt den Leuten das Geld in die Hand, dann können sie selber entscheiden, was für sie richtig ist. Oder
ist es nicht so? Jetzt sind Sie aber auf einmal dafür, die
Auszahlung auf 35 Jahre zu verteilen. Die Leute sind
jetzt 50 Jahre alt. In 35 Jahren würden sie - das kann ich
sogar mit meinem DDR-Abitur ausrechnen - 85 Jahre alt
sein. Sie haben ja gerade selbst gesagt, dass mit hoher
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie, weil
sie schneller altern, gar nicht so alt werden. Das ist eine
infame Herangehensweise an die Frage der Auszahlung.
({5})
- Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas
sagen wollen, dann beantworte ich sie gerne. - Ich will
nur darauf hinweisen: Lassen Sie die Menschen selbst
entscheiden.
Der nächste Punkt. Sie loben sich immer, dass die
monatliche Nachteilsausgleichszahlung verdoppelt worden ist. Aber das wurde doch auch höchste Zeit. Sie hätten es niemals gemacht, wenn es den Film nicht gegeben
hätte.
({6})
- Aber ja! Sie hatten 5 Prozent vorgeschlagen. Das
wurde doch gerade noch einmal wiederholt.
({7})
- Ich will nur darauf hinweisen, wie es gewesen ist.
Nun zur Ausschlussfrist. Es wäre überhaupt kein Problem, die Ausschlussfrist sofort aufzuheben. Sie, Frau
Lenke, haben ja gesagt, das sei auch einer Ihrer Vorschläge. Sie haben sich aber nicht einmal in diesem
Punkt bei dem angeblich gemeinsamen Antrag durchgesetzt.
({8})
Uns wurde nicht einmal angeboten, etwas Gemeinsames
zu machen.
Ihr heute vorgelegter Antrag enthält nur Prüfaufträge.
Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Es
gibt kaum ein Gebiet auf der Welt, das so gut erforscht
ist wie die Conterganproblematik. Wir brauchen keine
weitere Forschung. Fragen Sie lieber die Leute selbst,
was sie haben wollen und was sie brauchen, und sie werden es Ihnen sagen. Wir brauchen kein weiteres Geld für
Forschung auszugeben. Es darf auch nicht die Stelle dafür aus dem Stiftungsvermögen bezahlt werden, sondern
diese müsste der Staat finanzieren.
Alles, was Sie jetzt machen wollen, geht zulasten der
Conterganbetroffenen. Machen wir das nicht!
Ich habe die Befürchtung, es ist ein neuer Film nötig,
der diesmal zeigt, wie die Menschen, die von Contergan
geschädigt wurden, jetzt leben. Vielleicht würden Sie
dann eine andere Entscheidung treffen und nicht alles
auf die lange Bank schieben, wie Sie es heute tun.
({9})
Ich bedaure das sehr. Handeln Sie, statt Prüfaufträge in
Bereichen zu geben, wo längst alles klar ist.
Danke schön.
({10})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
werden fast 50 Jahre nach dem größten Medizinskandal
in Deutschland von den Folgen einer damals unzureichenden Haftungs- und Entschädigungsregelung eingeholt.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, begrüßen durchaus einige
Punkte, die sich während des Prozesses der Aufarbeitung
der damaligen Entschädigungsregelung ergeben haben
und die Sie in Ihren Antrag aufgenommen bzw. eingebracht haben, wie etwa die automatische Dynamisierung
der monatlichen Entschädigungszahlungen oder den
Vorschlag - den begrüße ich ausdrücklich -, ein europaweites Netzwerk für Dysmelie zur gegenseitigen Information und Beratung einzurichten. Insofern hat die
gemeinsame Anhörung auch positive Ergebnisse für uns
alle gebracht.
({0})
Der Grund, aus dem wir uns bei dem Antrag der Koalitionsfraktionen und der FDP aber nur enthalten können und nicht zustimmen können, liegt darin, dass es bei
der Überprüfung der finanziellen Entschädigung keine
Bewegung gibt. Ich sage ausdrücklich: Überprüfung.
Ohne Zweifel war die Verdoppelung der Rente für Conterganopfer, die ja eigentlich eine Entschädigungsleistung darstellt, richtig. Deswegen haben wir Grünen dem
auch zugestimmt. Angesichts der historischen Besonderheit muss dies jedoch überprüft und möglicherweise
auch verändert werden.
({1})
Schließlich gab es in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kein Arzneimittelgesetz und auch nur
ein unterentwickeltes Entschädigungsrecht. Heutzutage
würden bei ähnlich gelagerten Fällen von fremdverschuldeter Verursachung einer Behinderung ganz andere
Summen gezahlt.
Ein Beispiel: Bei einem groben Behandlungsfehler
während eines Geburtsvorgangs im Jahr 2002 mit nachfolgender schwerer Behinderung des Kindes sprach fünf
Jahre später, im Jahr 2007, die Zivilkammer des Landgerichts Dortmund dem geschädigten Kind ein Schmerzensgeld in Höhe von 300 000 Euro sowie die Erstattung
der bis zum fünften Lebensjahr des Kindes aufgelaufenen und nicht von der Krankenkasse erstatteten zusätzlichen Pflege- und Therapiekosten in Höhe von 66 000
Euro zu. Überdies wurden die Beklagten verpflichtet,
sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die in Zukunft entstehen werden.
Natürlich kann man Lebensschicksale nicht ohne
Weiteres in Geld umrechnen oder gegeneinander aufrechnen. Dieses Urteil - es gibt auch andere - kann aber
als Indiz dafür dienen, dass die Entschädigung der Conterganopfer zumindest überprüft werden muss.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von
Union, SPD und FDP, irgendwie ahnen Sie ja, dass die
Korrektur der Entschädigungsrente die Schadensersatzfrage nicht befriedigend löst. Sonst würden Sie nicht
eine Studie in Auftrag geben wollen, deren Ziel es ist,
die Bedarfe der Contergangeschädigten erneut zu erheben und zu erforschen.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen begrüßen ausdrücklich, dass eine Bestandsaufnahme durchgeführt werden
soll. Die Ergebnisse müssen aber auch Folgen haben.
({2})
Ich verstehe, dass die Antragstellerinnen von Union,
SPD und FDP hier keine falschen Hoffnungen wecken
wollen. Das will auch ich ausdrücklich nicht. Man kann
aber doch nicht eine Untersuchung ankündigen und
gleichzeitig verkünden, dass es am Ende nicht mehr
Geld gibt, auch wenn die Ergebnisse dies möglicherweise angebracht erscheinen lassen.
Abschließend wiederhole ich gerne, was ich bereits
bei der ersten Beratung der Anträge gesagt habe. Der
Bund ist gefordert, da er mit dem Conterganstiftungsgesetz die Gewährleistung der Haftung übernommen hat
und Haftungsnachfolger ist. Eine sachgerechte, dem modernen Entschädigungsrecht gerecht werdende individuelle Bestandsaufnahme ist notwendig. Nur so kann ein
Nachteilsausgleich gestaltet werden.
({3})
Solange dieser nicht derart gestaltet ist, können wir uns
bei Ihrem Antrag nur enthalten.
Eine unvoreingenommene Überprüfung ist nicht nur
recht und billig, sondern auch Teil der historischen wie
der praktischen Verantwortung der Bundesrepublik
Deutschland. Wir als Mitglieder des höchsten Verfassungsorgans des Staates sollten dieser Verantwortung
auch gerecht werden.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/11625.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Annahme des Antrags der Fraktionen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 16/11223
mit dem Titel „Angemessene und zukunftsorientierte
Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/8754 mit dem Titel
„Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Un-
terstützung der Contergangeschädigten sicherstellen“ für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11625 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/8748 mit dem Titel „Für ei-
nen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen
des Contergan-Medizinskandals“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/11639 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Jens
Ackermann, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Lockerung des Verbots wiederholter Befristungen
- Drucksache 16/10611 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen, unbefristete Beschäftigung stärken
- Drucksache 16/9807 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Gitta Connemann, CDU/CSU, Anette Kramme und
Josip Juratovic, SPD, Dirk Niebel, FDP, Kornelia
Möller, Die Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die
Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/10611 und 16/9807 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({2}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer
({3}), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Annette Faße, Sören Bartol,
Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Infrastruktur und Marketing für den Wasser-
tourismus in Deutschland verbessern
- Drucksachen 16/10593, 16/11303 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt sollen die Re-
den zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich
um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Renate
Blank, CDU/CSU, Annette Faße, SPD, Patrick Döring,
FDP, Dorothée Menzner, Die Linke, Bettina Herlitzius,
Bündnis 90/Die Grünen.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11303, den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/10593 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den
Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner
Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Tarifflucht verhindern - Geltung des Günstigkeitsprinzips bei Betriebsübergängen nach
§ 613 a BGB sicherstellen
- Drucksache 16/10828 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
1) Anlage 3
2) Anlage 4
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch die Reden
folgender Kolleginnen und Kollegen hierzu zu Proto-
koll zu nehmen: Matthäus Strebl, CDU/CSU, Andreas
Steppuhn, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Ulla Lötzer,
Die Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10828 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Anette
Hübinger, Ilse Aigner, Michael Kretschmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Gesine Multhaupt,
Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem
durch eine differenzierte Gleichstellungspolitik vorantreiben
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Frauen auf dem Sprung in die Wissenschaftselite
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({6}), Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE
Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisierung der Nachwuchsförderung und
der Beschäftigungsverhältnisse herstellen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr
Chancengerechtigkeit und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Kai Gehring, Priska Hinz ({7}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gleichstellung und Genderkompetenz als
Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Inno-
vation in der Wissenschaft
- Drucksachen 16/9756, 16/9604, 16/8742,
16/5898,16/8753, 16/11631 -
1) Anlage 5
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Gesine Multhaupt
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Krista Sager
Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sol-
len zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um
die Reden der Kolleginnen und Kollegen Anette
Hübinger, CDU/CSU, Gesine Multhaupt, SPD, Cornelia
Pieper, FDP, Dr. Petra Sitte, Die Linke, Krista Sager,
Bündnis 90/Die Grünen.2)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 16/11631. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 16/9756 mit dem Titel „Qualitäts-
sicherung im Wissenschaftssystem durch eine differen-
zierte Gleichstellungspolitik vorantreiben“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9604 mit
dem Titel „Frauen auf dem Sprung in die Wissenschafts-
elite“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit
den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.
Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/8742 mit dem Titel
„Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisie-
rung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungs-
verhältnisse herstellen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Frak-
tion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen
angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/5898 mit dem Titel „Mehr Qualität und
Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gen-
der-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke und der Fraktion der FDP
angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8753
mit dem Titel „Gleichstellung und Genderkompetenz als
2) Anlage 6
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Innovation in der
Wissenschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einheitliches Stromnetz schaffen - Unabhängige Netzgesellschaft gründen
- Drucksache 16/9798 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Auch diese Reden nehmen wir zu Protokoll. Es han-
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD,
Gudrun Kopp, FDP, Ulla Lötzer, Die Linke, Hans-Josef
Fell, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9798 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises ({9})
- Drucksache 16/10492 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10})
- Drucksache 16/11666 Berichterstattung:
Abgeordnete Doris Barnett
- Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/11667 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Volker Kröning
Roland Claus
Anna Lührmann
1) Anlage 7
Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Kai Wegner, CDU/
CSU, Doris Barnett, SPD, Ulrike Flach, FDP, Petra Pau,
Die Linke, Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.
Wir diskutieren heute abschließend den Gesetzentwurf
der Bundesregierung zum sogenannten ELENA-Verfahrensgesetz. „ELENA“ steht kurz für „Elektronischer Entgeltnachweis“ und ist das mit Abstand wichtigste Projekt
unserer Bundesregierung zur Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisierung in dieser Legislaturperiode.
Angesichts des gesellschaftlichen, technologischen
und demografischen Wandels sieht sich der Staat einer
ständig wachsenden Zahl von Aufgaben gegenüber. Um
dieser Herausforderung gerecht zu werden, ist die stetige
Modernisierung unserer Behörden praktisch zu einem
notwendigen Daueranliegen des Staates geworden. Verwaltungsmodernisierung ist aber nicht nur Selbstzweck;
vielmehr bin ich der Meinung, dass die Bürgerinnen und
Bürger sowie die Unternehmen in unserem Land einen
Anspruch darauf haben, dass staatliche Aufgaben in hoher Qualität, serviceorientiert und effizient erfüllt werden. Im Sinne von mehr Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger sowie der Wettbewerbsfähigkeit unserer
Wirtschaft ist es deshalb notwendig, dass wir sukzessive
bestehende Innovationspotenziale für eine bessere Verwaltung nutzen. Und genau das ist das Anliegen des
ELENA-Verfahrens. Denn das Verfahren revolutioniert
die Art und Weise, wie wir in unserem Land Verwaltung
organisieren.
Derzeit stellen die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern
Jahr für Jahr rund 60 Millionen Bescheinigungen für Behörden und Gerichte aus. Diese Bescheinigungen sind
vom Arbeitgeber auszustellen und vom Arbeitnehmer im
Zusammenhang mit dem Bezug von Sozialleistungen dem
jeweiligen Amt vorzulegen. Konkret bedeutet das: Wenn
ich als Vater beispielsweise Elterngeld beziehen möchte,
benötigt das zuständige Amt zur Berechnung der Höhe
meines Anspruchs die notwendigen Informationen zu
meinem Einkommen. Obwohl die notwendigen Daten bei
meinem Arbeitgeber elektronisch vorliegen, werden sie
mir derzeit in Papierform ausgehändigt. Ich bin dann in
der Pflicht, meine Einkommensdaten der Behörde zu
überbringen, die die Daten wiederum in ihre Datenbank
eingibt, um meinen Antrag zu bearbeiten.
Dieser Medienbruch ist unnötig und bedeutet für alle
am Verfahren Beteiligten einen Arbeits- und Zeitaufwand,
der im Zeitalter der elektronischen Kommunikation und
Datenverarbeitung höchst kostspielig ist. So schätzt der
Normenkontrollrat, dass alleine durch die circa 6,5 Millionen Arbeitsbescheinigungen, die für die Beantragung
und Berechnung des Arbeitslosengeldes I erforderlich
sind, jährliche Kosten in Höhe von rund 100 Millionen
Euro entstehen.
Mithilfe des elektronischen Einkommensnachweises
kann dieser kostspielige Medienbruch überwunden werden. So können die Unternehmen künftig im ELENA-Ver21680
fahren die Einkommensdaten der Mitarbeiter monatlich
automatisiert elektronisch an eine zentrale Datenbank
melden.
Für die Übermittlung der Daten an die Zentrale Speicherstelle bedarf es dabei keines neuen Verfahrens. Vielmehr wird das bestehende DEÜV-Verfahren genutzt, über
das schon heute Arbeitgeber die Daten ihrer Mitarbeiter
an die Sozialversicherung übermitteln. Durch die Nutzung dieses bereits gut funktionierenden Verfahrens ist
der mit ELENA verbundene Investitionsaufwand denkbar
gering. Der Arbeitgeber, der schon heute Daten per
DEÜV-Verfahren meldet, benötigt lediglich ein SoftwareUpdate.
Während die Umstellungskosten des Verfahrens gering
sind, ist das Potenzial, Kosten einzusparen, gewaltig. Bereits für die sechs Bescheinigungsarten, die nach dem Gesetzentwurf in das ELENA-Verfahren einbezogen werden,
ergibt sich für die Unternehmen eine Nettoentlastung von
rund 86 Millionen Euro pro Jahr. Dabei werden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen entlastet. Denn Analysen belegen, dass gerade hier der Arbeitsund Zeitaufwand und damit die Kosten zur Erstellung einer Bescheinigung am höchsten sind: Während bei einem
großen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern und entsprechender Personalabteilung die Kosten im Schnitt bei
rund 6,18 Euro liegen, fallen die Kosten bei einem kleinen Unternehmen im Schnitt fast dreieinhalb Mal so hoch
aus, nämlich 21,38 Euro.
Aber auch für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet
die Einführung des ELENA-Verfahrens eine Entlastung.
Diese lässt sich zwar weniger eindrucksvoll mit Zahlen
belegen, als das bei der Wirtschaft der Fall ist, doch zeigt
sie sich den Bürgern in einer effizienteren Verwaltung.
Denn mit dem elektronischen Entgeltnachweis wird sich
die Bearbeitung von Anträgen beschleunigen und die
Zahl der Verfahrensfehler minimieren. Die Bürger sind
außerdem nicht mehr in der Pflicht, sich Bescheinigungen bei ihrem Arbeitgeber oder ehemaligen Arbeitgebern
ausstellen zu lassen, sondern können direkt in der Behörde die notwendigen Daten abrufen lassen.
Mir ist durchaus bewusst, dass es infolge zahlreicher
Fälle von Datenmissbrauch, die uns hinlänglich aus der
Presse bekannt sind, zu einer tiefen Verunsicherung in der
Bevölkerung in Bezug auf das Speichern von Daten gekommen ist. Deshalb ist es wichtig, zu betonen, dass das
ELENA-Verfahren die höchsten Sicherheitsstandards erfüllt. Das gilt sowohl für die Verschlüsselung der Daten
als auch die Möglichkeit des Abrufs.
Das Verfahren wurde von Anfang an gemeinsam mit
dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz ausgearbeitet und gewährleistet die volle Kontrolle des Bürgers
über seine gespeicherten persönlichen Daten. Mittels der
Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur,
im Rechtsverkehr heute schon gleichbedeutend einer real
geleisteten Unterschrift, wird sichergestellt, dass nur mit
Einwilligung des Bürgers die notwendigen Daten aus der
Speicherstelle abgerufen werden können. Niemand kann
folglich eigenmächtig auf Daten aus der Zentralen Speicherstelle zugreifen. Der Bürger muss die abrufende
Stelle immer dazu autorisieren; anders ist ein Datenabruf
nicht möglich. Darüber hinaus hat der Bürger jederzeit
das Recht, vom Arbeitgeber gemeldete Daten einzusehen.
Auch eine Verwendung der Daten zu anderen Zwecken
ist - das ist gesetzlich geregelt - ausgeschlossen.
Gerade vor diesem datenschutzrechtlichen Hintergrund halte ich die im Gesetzentwurf aufgezeigte Vorgehensweise zum Aufbau des ELENA-Verfahrens für gerechtfertigt. So werden in einem ersten Schritt die
notwendigen technischen Voraussetzungen für das Verfahren gelegt, um dann in einer Einführungsphase die
Datensicherheit und Funktionsfähigkeit des bereits erfolgreich erprobten Verfahrens zu bestätigen. Das ist
technisch notwendig und aus datenschutzrechtlicher
Sicht sinnvoll. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vernünftigerweise vor, bis zum Abschluss dieser ersten
Phase lediglich sechs Bescheinigungspflichten in das
ELENA-Verfahren einzubeziehen. Das mag einigen kurzfristig zu wenig sein; für mich ist allerdings in diesem Zusammenhang die mittelfristige bis langfristige Perspektive entscheidender.
Denn dieser Gesetzentwurf legt den Grundstein für ein
umfassendes elektronisches Verfahren, dessen Potenzial
mit der Einbeziehung von sechs Bescheinigungen mit einer Nettoentlastung von rund 86 Millionen pro Jahr bei
weitem noch nicht ausgereizt ist. Der Normenkontrollrat
schätzt, dass mit jeder Entgeltbescheinigung, die zukünftig auf dem ELENA-Verfahren basierend übermittelt wird,
eine Nettoentlastung der Wirtschaft von 5 Millionen Euro
einhergeht. Ich bin der Überzeugung, dass wir es uns
schlichtweg nicht leisten können, dauerhaft auf das volle
Potenzial des ELENA-Verfahrens zu verzichten. Die Bundesregierung täte deshalb gut daran, nach einem erfolgreichen Abschluss der Einführungsphase alle Entgeltbescheinigungen ohne Ausnahme in das Verfahren zu
integrieren. Das wäre ein klares Bekenntnis zu einer konsequenten Verwaltungsmodernisierung und hätte im Übrigen auch Signalwirkung für unsere IT-Branche.
Das ELENA-Verfahren bietet ein riesiges Potenzial,
Bürokratie in unserem Land abzubauen, und wird unsere
Verwaltung im Sinne von mehr Service und mehr Bürgerfreundlichkeit modernisieren.
Etwas stiefmütterlich behandelt, weil von der Öffentlichkeit eher unbeachtet, werden wir heute ELENA verabschieden. Damit wird ein Meilenstein in Sachen Bürokratieabbau und bessere informationelle Selbstbestimmung
gesetzt. Arbeitgeber werden mit wenigen Veränderungen
die schon bisher an die gesetzliche Krankenversicherung
und an die Rentenversicherung übermittelten Daten jetzt
auch per Knopfdruck an eine dritte Stelle, die Zentrale
Speicherstelle, ZSS, schicken. Das hört sich zwar unspektakulär an, hat aber für die Arbeitgeber weitreichende
Folgen. Auch wenn manch eines der Unternehmen stöhnt,
weil der abzusetzende Datensatz doch noch das eine oder
andere Datum braucht, sollten alle bedenken, was ihnen
zukünftig erspart bleibt: viel Papierkram und viel Geld,
und zwar nach heutigen Schätzungen über 80 Millionen
Euro pro anno.
Jedes Jahr werden circa 60 Millionen Entgeltbescheinigungen aus den verschiedensten Gründen angefordert
und ausgestellt. Der eine braucht sie, um Leistungen der
Zu Protokoll gegebene Reden
Arbeitslosenversicherung zu beantragen, der andere, um
einen Wohnberechtigungsschein zu beantragen, der dritte
braucht das Papier, um einen Kredit zu beantragen. Und
jedes Mal muss die Personalabteilung - oder bei Kleinunternehmen der Steuerberater - die Lohnunterlagen heraussuchen, Berechnungen anstellen, Formulare ausfüllen. Manchmal, wenn sich ein Fehler eingeschlichen hat,
kann das auch ein zweites und drittes Mal notwendig sein.
Das kostet auf der Arbeitgeberseite Zeit und Geld. In
Großunternehmen geht das zwar heute relativ schnell
dank gut funktionierender EDV und kostet im Durchschnitt 6 Euro pro Bescheinigung. In kleinen und mittleren Unternehmen, die vielleicht nicht einmal eine eigene
Gehaltsabrechnung haben, kann das schnell ins Geld gehen; denn bei einem Steuerberater kann ein solches Dokument bis zu 36 Euro kosten.
Der Arbeitnehmer, der die Bescheinigung braucht, ist
oft verzweifelt, weil das Ausstellen der Bescheinigung
nicht sofort erfolgen kann, sondern dauert, manchmal
mehrere Wochen. Zunächst müssen ja die Unterlagen herausgesucht werden, und in kleinen Betrieben, die wenig
Fluktuation haben, muss man sich oft erst durch diese
Formulare durcharbeiten. Aber wir kennen auch die Beschwerden, wenn ein Petent arbeitslos ist, sein Arbeitslosengeld aber nicht berechnet werden kann, weil der ehemalige Arbeitgeber die Bescheinigung einfach nicht
ausfüllt bzw. seinen ehemaligen Arbeitnehmer warten
lässt. Dieser bekommt dann zunächst kein Arbeitslosengeld, hat Probleme mit dem Vermieter, weil er seine Rechnungen nicht bezahlen kann usw. Wie gesagt, wir alle kennen solche Vorkommnisse.
Mit ELENA werden diese Probleme bald der Vergangenheit angehören. Der Arbeitnehmer, der auf seiner
Scheckkarte oder einer eigens dafür vorgesehenen
Schlüsselkarte seinen individuellen ELENA-Schlüssel
hat, braucht keine Bittgänge mehr zu machen. Er bzw. sie
kann mit diesem Schlüssel zum Beispiel in der Arbeitsagentur am eigens dafür aufgestellten Terminal zusammen mit dem dafür bestimmten und zertifizierten Mitarbeiter der Arbeitsagentur, der wiederum über eine gesonderte Schlüsselkarte für spezielle Abrufe verfügt, auf
seine Daten in der Zentralen Speicherstelle zugreifen.
Mithilfe dieser Daten erstellt dann das ELENA-Programm umgehend den notwendigen Entgeltnachweis, der
als unabdingbare Grundlage für die Lohnersatzleistung
der Arbeitsagentur dient. Die Leistungsberechnung für
den Arbeitnehmer kann also umgehend erfolgen, was
eine große persönliche Erleichterung ist.
Ich habe bewusst den Vorgang ausführlich geschildert,
um zu dokumentieren, um wie viel einfacher wir das Leben für die Menschen machen können; ihre informationelle Selbstbestimmung, der Datenschutz also, wird darüber hinaus auch allzeit gewahrt. Sicher, das Verfahren
kostet auch Geld. Der Arbeitnehmer zahlt für seinen individuellen Schlüssel 10 Euro für drei Jahre. Benutzt er
ihn nicht, dann hat er in dieser Zeitspanne zwar diese
Ausgabe. Umgekehrt kann er aber, wenn er einen Entgeltnachweis einmal schnell braucht, auch ganz unkompliziert an dieses wichtige Dokument kommen. Außerdem
können wir heute noch nicht wissen, wie sich in den kommenden Jahren und bei wachsenden Nutzungsmöglichkeiten die Preisentwicklung für einen solchen Schlüssel
entwickelt.
Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich den Mitarbeitern im Ministerium und in den Fraktionen danken, die
über Jahre geduldig an diesem Projekt, das wirklich wegweisend ist für eine moderne Verwaltung, für Bürokratieabbau und für informationelle Selbstbestimmung, gearbeitet haben. Aber diese ELENA zeigt auch, was ein
Parlament zu leisten imstande ist. Denn von einer guten
Idee bis zu einem Gesetz, das breit akzeptiert wird, das
zwar zu Beginn auch etwas Aufwand verursacht, aber
später gut funktioniert und allen Beteiligten Zeit und Geld
spart, ist es ein weiter Weg. Auf diesem Weg haben wir uns
auch sachverständigen Rat geholt, unter anderem vom
Bundesdatenschutzbeauftragten. Seine Änderungs- und
Ergänzungsvorschläge haben wir ins Gesetz übernommen. Und ihn, als obersten Datenschützer der Republik,
werden wir auch mit der Aufbewahrung des Master-Keys
betrauen. Denn keine andere Stelle in der Republik hat
bezüglich Datensicherheit eine so hohe Reputation wie
diese Funktion und Person.
Zum Schluss möchte ich einen Blick in die Zukunft wagen: Auch wenn die Länder sich dieses Mal noch nicht
entscheiden konnten, das Verfahren auch auf die Beantragung von Wohngeld anzuwenden, so habe ich die Hoffnung, dass sich bald die Vorteile von ELENA zeigen.
Denn dann wird das notwendige Vertrauen in dieses Verfahren dazu führen können, auch Nachweise für andere
Leistungen mit ELENA zu erstellen. Sicher haben viele
Bürger noch Bedenken, ob ihre Daten auch wirklich geschützt sind. Wenn sie aber sehen, dass sie sich auf dieses
Verfahren verlassen können, dann steht dem lernenden
System ELENA nichts mehr im Wege, auch andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung und der Sozialsysteme
einzubeziehen. Profitieren werden wir alle. Deswegen
verdient die „schöne ELENA“ auch etwas mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit.
Das Beispiel der Einführung des elektronischen Einkommensnachweises ist symptomatisch für die Art, wie
die Bundesregierung E-Government und E-Health behandelt.
Als Liberale begrüßen wir den Abbau bürokratischer
Regeln und die Nutzung moderner Technik zur Entlastung
der Wirtschaft. Die Möglichkeiten von ELENA sind vielfältig, sie werden aber von der Bundesregierung nicht genutzt. Nur acht von 45 Nachweisverfahren wurden ins
ELENA-Verfahren aufgenommen. Noch in letzter Minute
haben Sie durch eine Intervention des Bundesrates die
Wohnraumförderung aus dem Katalog gestrichen.
Der Umgang mit ELENA reiht sich damit ein in die unrühmliche Geschichte der IT-Politik der Bundesregierung. Denken wir an die elektronische Gesundheitskarte,
die in deutlich abgespeckter Form, mit weniger Serviceleistungen, erheblich später und dafür teurer kommen
soll, wenn sie denn überhaupt kommt. ELENA folgt diesem Schema: Das System kann viel mehr, wird aber nicht
vollständig genutzt. ELENA wird deutlich teurer, sowohl
für die Wirtschaft, die Anschaffungskosten für die Lese21682
geräte hat, als auch für den Arbeitnehmer, der den Datenabruf zukünftig bezahlen muss. Sie verschieben das
zwar auf das Jahr 2019, damit keiner der Verantwortlichen mehr im Amt ist, aber Fakt ist, dass eine Leistung,
die der Arbeitnehmer bisher umsonst erhielt, nämlich die
Zusendung eines Einkommensnachweises, zukünftig bezahlt werden muss.
Wenn man sich über Technikskepsis der Bürger beklagt, dann hat das auch damit zu tun, dass neue Technologien, jedenfalls wenn der Staat sie einführt, für den Bürger immer zunächst das Signal höherer Kosten bedeuten.
Diese Bundesregierung ist eben nicht Vorreiter, wenn es
darum geht, IT-Verfahren nutzbringend, kostengünstig
und bürgerfreundlich einzusetzen, sondern sie beschränkt
sich auf Minimallösungen, die dann verfahrensaufwendig
und teuer sind, weil die Kosteneffekte erst bei größeren
Einheiten und umfassenden Nutzergruppen auftreten.
Auch bei ELENA wird der mögliche Nutzerkreis nicht
ausgeschöpft. ELENA wird bei der Bundesagentur für Arbeit eingeführt, bei Ländern und Kommunen dagegen
nicht. Es gibt also weiterhin zwei Datenübermittlungsverfahren parallel. Sicher werden einige Länder nachziehen.
Aber warum muss das immer Jahrzehnte dauern und zu
unterschiedlichen Softwarestandards führen? Deutschland, der Flickenteppich der Anwendungssoftware!
Wir sehen die Mühsal Ihrer Politik auch bei der zähen
Einführung von IT-Verantwortlichen in den Ministerien,
beim Bundes-CIO und einer zentralen Beschaffung. Wir
als Liberale haben die Bundesregierung und die nachgeordneten Behörden regelmäßig aufgefordert, auf teure
Eigenbasteleien zu verzichten und sich am Markt zu
orientierten. Eigene große IT-Projekte, von Hercules bis
Quero, sind regelmäßig gescheitert oder wurden mit jahrelangen Verzögerungen und massiven Kostensteigerungen umgesetzt.
ELENA ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Auch datenschutzrechtlich bleiben Fragen offen. Wir brauchen
ELENA beispielsweise, um ein Bürgergeldsystem einzuführen, das wir als FDP schon bald ein Jahrzehnt fordern. Aber brauchen wir die zentrale Sammelstelle in dieser massiven Form, wenn wir dem Bürgergeld noch
keinen Schritt näher kommen?
In der Abwägung der Vorteile von ELENA und der Bewertung der Mängel in der Umsetzung kann für meine
Fraktion keine Zustimmung herauskommen. Wir sind
zwar für ELENA, aber kritisieren die zu geringen Vorteile, die der Gesetzesentwurf bringt. Deshalb werden wir
uns bei der Abstimmung über den vorliegenden Entwurf
enthalten.
ELENA ist der Kosename für ein elektronisches Großprojekt der Bundesregierung. Ausgeschrieben heißt
ELENA „elektronischer Entgeltnachweis“. Konkret bedeutet das: Die Löhne und Gehälter aller abhängig Beschäftigten sollen künftig elektronisch erfasst und zentral
gespeichert werden. Die so gebündelten Daten wiederum
können gelten als Beleg gegenüber Behörden oder Gerichten, sobald Bürgerinnen oder Bürger ihren Anspruch
auf staatliche Leistungen geltend machen wollen. Das
Verfahren sei modern und spare obendrein Verwaltungskosten, werben die ELENA-Befürworter.
Die Linke zählt ausdrücklich nicht zu den Befürwortern. Wir werden das Gesetz ablehnen. Der erste Grund
für unser Nein ist übergreifend. 2008 war ein Jahr der
Datenpannen und Datenskandale. Sie zeigten: Datenschutz wird auch hierzulande immer kleiner geschrieben.
Deshalb fordert die Linke ein Moratorium für alle elektronischen Großprojekte, die den Datenschutz noch weiter gefährden könnten. ELENA mit sensiblen Lohndaten
gehört für uns ebenso dazu wie die elektronische Gesundheitskarte mit sensiblen Krankendaten. Bei ELENA handelt es sich übrigens um eine Vorratsdatenspeicherung.
Das heißt, die Lohn- und Gehaltsdaten von rund 30 Millionen Bürgerinnen und Bürgern werden für den Fall gespeichert, dass sie irgendwann einmal Anspruch auf Zusatzleistungen haben könnten. Dasselbe Prinzip kennen
wir von den Telekommunikationsdaten. Auch sie werden
auf Vorrat gespeichert für den Fall, dass eine Bürgerin
oder ein Bürger sich als kriminell oder als Terrorist erweisen könnte. Die Linke lehnt solche Vorratsdatenspeicherung ab, also auch ELENA.
Nun argumentieren die ELENA-Befürworter damit,
dass die elektronische Erfassung der Lohn- und Gehaltsdaten im Vergleich zum bisherigen Papierverfahren
86 Millionen Euro Bürokratiekosten pro Jahr sparen
würde. Nehmen wir einfach mal an, die Zahl stimmte.
Dann stellt sich doch die Frage, ob ein vermeintlicher
Gewinn von 86 Millionen Euro rechtfertigt, dass sensible
Daten von 30 Millionen Bürgerinnen und Bürgern von
Staats wegen auf Vorrat erfasst werden? Ich finde, nein.
Denn die Risiken sind weit höher als der Nutzen.
Aber auch der Nutzen ist höchst umstritten. Darauf
hatte übrigens auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme verwiesen. Wenn überhaupt 86 Millionen Euro
positiv zu Buche schlagen, dann bestenfalls bei großen
Unternehmen. Die kleinen Betriebe indes zahlen drauf.
Auch den Kommunen entstehen durch ELENA zusätzliche
Kosten. Finanziell gewinnen dürften bestenfalls die Firmen, die Komponenten für das System ELENA liefern.
Das wiederum riecht nach einem Lobbygesetz. Auch deshalb wird die Linke nicht zustimmen.
Nach jahrelanger Diskussion wird nun das Gesetz zum
elektronischen Entgeltnachweis, ELENA, beschlossen.
Dank ELENA wird die Papierflut von jährlich 60 Millionen Entgeltnachweisen schon bald der Vergangenheit angehören. Damit werden sowohl Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer als auch Unternehmen auf sinnvolle Weise
von bürokratischem Aufwand entlastet.
Doch ELENA hat leider nicht nur schöne Seiten: Damit das neue elektronische Verfahren funktioniert, müssen
massenweise Daten gesammelt und gespeichert werden,
Daten, die einkommensrelevante Informationen über 35
bis 40 Millionen abhängig Beschäftigte beinhalten. Hier
entsteht ein neues Zentralregister, in dem auf Vorrat Informationen gesammelt werden, die ein Großteil der potenziellen Nutzer niemals abrufen wird. Dass man mit solchen sensiblen Daten nicht leichtfertig umgehen darf,
müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Nicht
zuletzt die Skandale um verschwundene Kontodaten haZu Protokoll gegebene Reden
ben uns das deutlich vor Augen geführt. Deswegen haben
wir immer wieder gefordert, dass die Speicherung solcher Informationen an starke datenschutzrechtliche Regeln geknüpft werden muss. Das betrifft nicht nur die sichere technische Verschlüsselung, sondern auch den
Schutz vor Missbrauch. Denn man kann nie wissen, welche Begehrlichkeiten bei einer so umfangreichen Datensammlung wie ELENA irgendwann erwachsen könnten.
Die Sachverständigen im Berichterstattergespräch haben
uns in diesem Punkt bestätigt. Unsere zwei Änderungsanträge im Wirtschaftsausschuss zielten genau auf diese vom
Bundesdatenschutzbeauftragten benannten Schwachstellen des bisherigen Entwurfs: Zum einen haben wir die Löschung veralteter, irrelevanter Daten gefordert und zum
Zweiten die Einrichtung einer unabhängigen Treuhänderstelle zur Verwaltung des Datenbankhauptschlüssels
der zentralen Speicherstelle verlangt.
Die zeitnahe Löschung der Daten ist nun in das Gesetz
aufgenommen worden, doch bei der Einrichtung der unabhängigen Treuhänderstelle hapert es nach wie vor.
Zwar hat nun auch die Große Koalition erkannt, dass es
eine solche Einrichtung geben muss. Doch anstatt sie bei
der Bundesnotarkammer anzusiedeln, die erwiesenermaßen die technischen Voraussetzungen besitzt, um den
Datenbankhauptschlüssel zu verwalten, wollen sie die
Treuhänderstelle beim Bundesdatenschutzbeauftragten
unterbringen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat
sich jedoch mehrfach - im Berichterstattergespräch und
in mehreren Schreiben - entschieden dagegen ausgesprochen, diesen Schlüssel in seinem Hause zu verwalten. Es
ist vollkommen unverständlich, warum entgegen seinem
ausdrücklichen Wunsch solche Entscheidungen getroffen
werden. Denn es spricht einiges dagegen, dass die Verwaltung des Schlüssels damit an der richtigen Stelle landet: Dem Haus des Bundesdatenschutzbeauftragten fehlen bisher personelle und finanzielle Mittel dafür. Vor
allem aber stellt sich die Frage, was datenschutzrechtlich
passiert, wenn der Bundesdatenschutzbeauftragte selbst
eine operative Aufgabe wie die Verwaltung eines Datenbankhauptschlüssels übernimmt. Schließlich muss auch
bei dieser Tätigkeit jemand kontrollieren, ob der Datenschutz eingehalten wird. Und es macht offensichtlich wenig Sinn, dass ein Kontrolleur sich selbst kontrolliert.
ELENA bleibt eine Antwort auf dieses Problem schuldig. Auch deswegen wäre die Bundesnotarkammer eine
wesentlich bessere Wahl zur Einrichtung der Treuhänderstelle gewesen. Ihre Unabhängigkeit ist außerdem zusätzlich dadurch gesichert, dass sie in keiner Weise an die
Bundesregierung gebunden ist.
Neben den Details des ELENA-Verfahrensgesetzes
darf eines nicht vergessen werden: Bürokratieabbau
muss mehr beinhalten als die bloße Elektronisierung bestimmter Verfahren. Zum Entgeltnachweis gehören zurzeit 45 Informationspflichten, die man unserer Ansicht
nach relativ problemlos auf acht reduzieren könnte. Die
Bundesregierung muss endlich umfangreiche Schritte
einleiten, um überflüssige Vorschriften und Informationspflichten abzuschaffen.
Insgesamt ist ELENA ein Schritt in die richtige Richtung, aber es gibt noch diverse andere Baustellen, auf denen wir den Bürokratieabbau vorantreiben können. Dabei
spielt E-Government eine zentrale Rolle. E-Government
ist für uns eine Idee mit Zukunft; denn richtig umgesetzt,
vereinfacht es viele Verfahren und nutzt den technischen
Fortschritt zum Wohle von Bürgern, Staat und Unternehmen. Doch wenn dies mit der massenhaften Sammlung
und Speicherung sensibler Daten einhergeht, muss das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung unbedingt
gewahrt werden.
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11666, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10492 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der FDPFraktion und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich ({1}), Patrick Döring, Joachim
Günther ({2}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes - Wettbewerb im öffentlichen Personenfernverkehr zulassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes - Fernlinienbusverkehre ermöglichen
- Drucksachen 16/384, 16/842, 16/3905 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Sören Bartol von der SPDFraktion.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich merke, ein Ruck geht durch dieses Haus.
({0})
Das freut mich; denn wir beschäftigen uns jetzt mit einem nicht unwichtigen Thema.
Eines muss ich Ihnen lassen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP: Mit Ihrer Forderung nach einer
Liberalisierung des Marktes für Fernbuslinien sind Sie
ziemlich hartnäckig.
({1})
Aber Ihre Forderung wird auch durch dauernde Wiederholungen fast immer gleicher Anträge nicht richtiger.
Aus meiner Sicht, die sich sicherlich mit der des Kollegen Hofbauer, der gleich reden wird, decken wird, ist
und bleibt es richtig, funktionierende Bahnverbindungen
vor Konkurrenz von der Straße zu schützen. Erklärtes
Ziel der Koalition ist es, den umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene zu stärken. Wir tun dies entsprechend unserem Gemeinwohlauftrag aus dem Grundgesetz mit erheblichen Investitionsmitteln. Wir würden
uns, glaube ich, einen Bärendienst erweisen, wenn wir
zuließen, dass die Bahn auf gut funktionierenden Strecken Konkurrenz durch Busse bekommt.
({2})
Erstens. Die von Ihnen geforderte Liberalisierung,
meine Damen und Herren von der FDP, führt zu Rosinenpickerei auf den Strecken und zu Zeiten mit hohem
Fahrgastaufkommen. Sie gefährden damit die Wirtschaftlichkeit von Bahnverbindungen und nehmen Preiserhöhungen und vor allen Dingen Streckenstilllegungen
in Kauf. Letztlich geht das zulasten der Fahrgäste.
Zweitens. Vielfach werden Nahverkehrsverbindungen
durch Fernverkehrszüge abgedeckt; das wissen wir.
Wenn diese wegfallen, muss die öffentliche Hand einspringen und Nahverkehrsleistungen bestellen. Sie
würde damit zum Ausfallbürgen auf Strecken, die dann
nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind.
Drittens. Mit der Liberalisierung des Fernverkehrsmarktes für Busse würden Sie uns ausländische Konkurrenz ins Land holen.
({3})
- Das ist ganz gefährlich.
Bei den EU-Verhandlungen zum Road Package ist absehbar, dass ein Kabotageverbot noch stärker als bisher
an eine entsprechende Regelung im nationalen Recht geknüpft sein wird. Verzichten wir im deutschen Recht auf
diesen Konkurrenzschutz, öffnen wir damit die Straßen
für ausländische Busunternehmer. Wir alle wissen, dass
diese oft günstigere Fahrpreise anbieten können. Diese
Billigkonkurrenz auf deutschen Straßen können auch
Sie, meine Damen und Herren von der FDP, nicht wollen.
({4})
Ich verkenne gar nicht, dass Busse etwa im Reisebusverkehr, zumal wenn sie voll besetzt sind, auf längeren
Strecken eine sichere und umweltfreundliche Alternative
sein können. Verschiedene Studien kommen jedoch im
Verkehrsträgervergleich zwischen Bus und Bahn je nach
Voraussetzungen zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem von welcher Auslastung sie ausgehen
und inwieweit sie die Infrastrukturkosten berücksichtigen.
Die Idee der Grünen, die Liberalisierung des Fernbusverkehrs mit einer Mautpflicht zu verknüpfen, scheint
auf den ersten Blick gar nicht so uncharmant. Aber die
Probleme folgen in meinen Augen auf dem Fuße. Wie
wollen Sie eigentlich eine Abgrenzung zum Gelegenheitsverkehr schaffen? Gerade für den mittelständischen
Bustourismus ist es lebenswichtig, dass Busse von der
Mautpflicht ausgenommen sind. Ich glaube, das wollen
wir auf keinen Fall infrage stellen.
({5})
Dass neben den Lkws auch noch Linienbusse die Autobahnen verstopfen, können Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, nicht wirklich wollen. Unser
Ziel - das ist auch eigentlich Ihr Ziel - lautet doch, mehr
Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bekommen
und nicht umgekehrt.
Fernlinienbusse haben in der Regel eine große Bedeutung in den Ländern, in denen das Schienennetz schlecht
ausgebaut ist, zum Beispiel in Osteuropa, oder in denen
sich aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte Bahnstrecken einfach nicht lohnen, zum Beispiel in Skandinavien. Als Vorbilder für Deutschland taugen diese Länder
in meinen Augen überhaupt nicht.
Das deutsche Schienennetz ist im internationalen Vergleich hervorragend. Die Studie des Instituts für Mobilitätsforschung zum Verkehrsinfrastruktur-Benchmarking
in Europa von 2007 bescheinigt ihm eine sehr hohe
Dichte und eine sehr hohe Transportkapazität. Auch für
die Orientierung an der Bevölkerungsverteilung, für die
Bahnhofsdichte und Erreichbarkeit gibt es im internationalen Vergleich gute Noten. Das haben wir alle hier in
diesem Haus - einige von uns erst seit kürzerer Zeit über viele Jahrzehnte mit staatlichen Investitionen aufgebaut. Ich glaube, wir werden und sollten das nicht
leichtfertig aufs Spiel setzen.
({6})
Auch die Bundesländer sind wiederholt zu dem Ergebnis gekommen, dass sie am Eisenbahnschutz des
§ 13 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes festhalten wollen. Ich weiß, dass sich da einiges tut; es gibt
auch andere Entwicklungen. Trotzdem ist der Konkurrenzschutz eine gute und sehr differenzierte Regelung:
Fernbuslinien sind dann nicht ausgeschlossen, wenn ein
Verkehr nicht ausreichend bedient wird. Überall dort, wo
sich die Bahn zurückgezogen hat, können Fernlinienbusse eingesetzt werden. Eine generelle Öffnung des
Marktes - damit komme ich zum Schluss - kann ich
nicht gutheißen. Billigkonkurrenz kennen wir vom Flugverkehr. Im Landverkehr wollen wir sie jedenfalls nicht.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fast hätten wir es geschafft, diese Debatte genau am Jahrestag unseres Antrags, „schon“ drei Jahre nach seiner
Einbringung, im Plenum zu führen. Unser Antrag, über
den wir heute reden, ist nämlich am 18. Januar 2006 von
uns eingebracht worden.
({0})
- In diesem Falle - Herr Kollege Bartol, Sie haben recht sind wir hartnäckig. Es gibt sogar noch einen zweiten
Antrag von uns - wir haben ihn am 19. September 2007
eingebracht -, den wir Ihnen ebenfalls noch in dieser Legislaturperiode im Ausschuss präsentieren werden.
({1})
Über was reden wir, liebe Kolleginnen und Kollegen?
§ 13 des Personenbeförderungsgesetzes, um den es heute
geht, ist das letzte Relikt der Schutzgesetze aus den
30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals hat man in
einer wirtschaftlichen Krise mehrere Gesetzesvorhaben
mit dem Ziel, die Bahn vor dem Verkehrsträger Straße
zu schützen, beschlossen. Diese Gesetze sind im Laufe
der Zeit von der Realität in ihr Gegenteil verkehrt worden. Sie haben der Bahn geschadet und sind aufgehoben
worden, die letzten erst in den 90er-Jahren. Damals wurden zum Beispiel auch die vorgeschriebenen Tarife für
Straßentransporte aufgehoben. Was übrig geblieben ist,
ist dieses Relikt.
Herr Kollege Bartol, ich komme sofort auf das zu
sprechen, was Sie gesagt haben. Wenn es darum geht,
eine Fehlallokation der Mittel der öffentlichen Hand zu
vermeiden, muss man sich dem Nahverkehr zuwenden.
Dort, wo die öffentliche Hand Verkehre bestellt, ist es
Unsinn, auf der gleichen Strecke Wettbewerb zuzulassen.
({2})
Der wesentliche Unterschied, Herr Kollege Bartol, ist
folgender - das haben Sie vielleicht bis jetzt noch nicht
begriffen -: Der Nahverkehr wird von der öffentlichen
Hand bestellt, der Fernverkehr wird schon jetzt von der
Bahn eigenwirtschaftlich erbracht. Bei eigenwirtschaftlicher Leistungserbringung macht es Sinn, Wettbewerb
zuzulassen. Durch die von Ihnen genannten Billigflieger
wurde zumindest eines erreicht: Die Preise für die Tickets sind nicht teurer, sondern billiger geworden.
({3})
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie den Markt auch im
Fernverkehr öffnen, wird der Fahrgast davon profitieren,
da die Fahrpreise sinken werden. Das ist unser eigentliches Ziel, und nur so funktioniert das.
({4})
Sie hingegen wollen die Fahrpreise künstlich verteuern.
({5})
Überraschenderweise werden mittlerweile überwiegend
Linien befahren, die zufälligerweise der Deutschen Bahn
gehören. Deswegen regt man sich darüber auch nicht
auf.
({6})
Das war schon in der Vergangenheit der Fall, zum Beispiel auf den Strecken München-Berlin und Hamburg-Berlin. Das ist Fernverkehr. Genau das wollen wir
generell erlauben. Es ist nämlich so, dass das, was Sie
wollen, im Einzelfall dadurch verhindert wird, dass die
Bahn dann immer sagt: Da bedienen wir schon.
Auch wenn das in der Realität richtig wäre, muss ich
sagen: Ich komme aus einer Region, in der der Fernverkehr der Deutschen Bahn sehr übersichtlich ist. Es gibt
aber durchaus Leute, die gerne einmal von Bayreuth
oder Nürnberg nach Dresden fahren würden. Für diese
Strecken gibt es aber kein Fernverkehrsangebot, sondern
bestenfalls einen Nahverkehrszug. Diese Personen
zwingt man gewissermaßen, auf den Pkw auszuweichen.
Das ist noch unsinniger. Wenn man schon ausweichen
muss, dann bitte sinnvollerweise auf den Bus.
Herr Kollege Bartol, wir wollen, dass der Gesetzgeber vorausschauend agiert und nicht abwartet, bis etwas
per Gesetz zu regeln ist. Das ist aufgrund eines Urteils
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes gerade erst
wieder der Fall. Es hat sich nämlich endlich ein Privater
getraut, eine Fernverkehrslinie zu beantragen. Und siehe
da: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat
sich „erdreistet“, in zweiter Instanz zu entscheiden, dass
das zuzulassen ist. Außerdem hat er keine Revision zugelassen. Donnerwetter! Jetzt überlegt die Deutsche
Bahn, ob sie gegen die Nichtzulassung der Revision
klagt. Wenn sie das nicht tut, wird es in Deutschland tatsächlich einen singulären Fernbuslinienverkehr geben,
und zwar von Frankfurt nach Hamburg, und das nur,
weil die Deutsche Bahn endlich einmal vor Gericht verloren hat.
Ich sage Ihnen: Das würde die Schleusen öffnen, aber
nicht, weil es der Gesetzgeber so möchte, sondern, weil
ein Gericht dies erzwungen hat. Das ist allerdings immer
nur die zweitbeste Lösung, da man als Gesetzgeber auch
die Möglichkeit hat, dies auf andere Art und Weise zu
regeln. Genau das wäre der richtige Weg.
({7})
Deswegen sage ich Ihnen voraus: Sie können die Anträge der Opposition - der Antrag der Kollegen von den
Horst Friedrich ({8})
Grünen ist dem unseren sehr ähnlich - natürlich mit Ihrer Mehrheit ablehnen. Sie können aber wahrscheinlich
nicht verhindern, dass Busunternehmer sich trauen, vor
Gericht zu gehen und sich gegen die Bahn in Linienkonzessionen einklagen.
Deswegen halten wir es für sinnvoller, den Antrag
jetzt anzunehmen und mittels moderner Gesetzgebung
endlich die Historie aus den Jahren 1930 bis 1932 für die
Jahre 2009 ff. zu beenden. Nehmen Sie unseren Antrag
daher endlich an! Dann sparen Sie sich viel Ärger vor
Gericht.
({9})
Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun der Kollege
Klaus Hofbauer das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Erneut behandeln wir heute den Antrag
der FDP. Die Kollegen der Grünen haben sich unterdessen dem Ansinnen angeschlossen, § 13 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz dahin gehend zu ändern, dass die
Möglichkeit von Parallelverkehren zugelassen wird.
Herr Kollege Friedrich, ich glaube, dass sich die
Situation nicht grundlegend geändert hat. Wir haben hier
bei uns in Deutschland - das darf ich in diesem Zusammenhang erwähnen - einen öffentlichen Nahverkehr, der
beispielgebend ist.
({0})
Man kann eines sagen: Weil die politischen Rahmenbedingungen stimmen und weil die richtigen Weichen gestellt worden sind, haben wir in Deutschland einen guten
öffentlichen Nahverkehr. Das sollten wir einmal ganz
klar und deutlich sagen.
({1})
Ich befürchte eines, Herr Kollege Friedrich: Wenn Ihr
Antrag durchgeht und Ihre Forderung umgesetzt wird,
werden wir ein großes Problem bekommen. Denn diese
Entscheidungen sind mit Sicherheit mittelstandsfeindlich.
({2})
Es werden Konzerne, insbesondere ausländische Konzerne, auf den deutschen Markt kommen und unserer
Schiene Konkurrenz machen.
({3})
Durch die Bahn und die privaten Omnibusunternehmen
haben wir in Deutschland einen großen Vorteil, und zwar
ein hervorragendes öffentliches Nahverkehrsnetz. Das
sollten wir sehen.
({4})
Folgendes ist uns bekannt und wurde bereits vom
Kollegen Bartol angedeutet: Wir führen in den Ländern
eine Diskussion, die zurzeit sehr unterschiedlich abläuft.
Eine Kommission hat beschlossen, dass dieses Thema
im Frühjahr noch einmal auf Länderebene diskutiert
wird.
({5})
Wir sollten diese Diskussion auf jeden Fall abwarten.
Wir von der CDU/CSU sind - das gilt auch für die Koalition insgesamt - ganz klar der Meinung, dass wir ganz
gewaltig darauf zu achten haben, den Fernverkehr auf
der Schiene zu stärken.
Wir wissen - auch im Hinblick auf die Teilprivatisierung der Bahn -, dass wir noch einige Diskussionen darüber führen werden, wie es in Deutschland im Fernverkehr insgesamt weitergehen wird. Diese Diskussionen
müssen wir abwarten. Wir bedauern es ganz gewaltig,
dass die Teilprivatisierung bisher nicht umgesetzt werden konnte. Wir werden noch eine große Diskussion
zum Thema Fernverkehr erleben.
Im Hinblick auf die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist der Fernverkehr von ganz entscheidender
Bedeutung. Darüber haben wir diskutiert, und dazu gibt
es unterschiedliche Meinungen. Deswegen wäre es in
der jetzigen Phase unverantwortlich, den Fernverkehr,
insbesondere auf der Schiene, durch solche Entscheidungen zu schwächen und in die falsche Richtung zu lenken.
({6})
Wir treffen hier eine politische Entscheidung. Herr Kollege Friedrich, der Fernverkehr war bei der Diskussion
über die Teilprivatisierung der Bahn ein Thema.
({7})
- Das ist im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung
diskutiert worden.
Wir haben uns bemüht, verschiedene Punkte aufzunehmen. Auch deswegen sind wir von der CDU/CSUFraktion der Auffassung, dass wir die Bahn in der jetzigen Phase durch eine solche Entscheidung nicht schwächen dürfen. Wir sollten vielmehr Akzente setzen, um
sie zu stärken.
Ich bitte auch, zu sehen, dass die Grünen die Mautpflicht für Omnibusse wieder einführen wollen. Damit
wird das System gewaltig verteuert. Ich verstehe nicht,
warum die Grünen die Straße auf diese Art und Weise
noch mehr belasten wollen. Es gehört doch angeblich zu
ihren Zielen, die Schiene zu stärken.
({8})
In diesem Zusammenhang werden wir die zukünftige
Diskussion abwarten müssen. In der jetzigen Phase halten wir Anträge der FDP und der Grünen nicht für richtig. Wir werden sie deshalb ablehnen.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die
Kollegin Dorothée Menzner.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Fassung des Personenbeförderungsgesetzes schließt Wettbewerb im Personenfernverkehr aus.
Wo Schienenverbindungen existieren, wird ein paralleler
Busverkehr nicht genehmigt.
Das will die FDP mit ihrem Antrag ändern. Sie folgert
aus dem jetzigen Zustand, die Bürger würden bevormundet, weil die Wahl einer Alternative verhindert würde.
Auch Sie von der FDP haben sich mit allen Fraktionen
dieses Hauses 1993 für mehr Verkehr auf der Schiene
eingesetzt.
({0})
Haben Sie diesen Konsens verlassen?
({1})
Wie Sie wissen, gibt es seit Jahren eine Sonderregelung für Buslinienverkehr von und nach Berlin. Viele
deutsche und europäische Städte sind mit Berlin durch
Buslinienfernverkehr verbunden. Die Firma BEX bietet
zum Beispiel Berlin-München und zurück regulär für
88 Euro an.
({2})
Wenn man keine Bahncard besitzt, kostet diese Reise mit
der Bahn, zweite Klasse, gut 200 Euro. Das mag auf den
ersten Blick für die Initiative der FDP sprechen.
Wenn man aber berücksichtigt, dass BEX eine 100-prozentige Tochter der DB AG ist,
({3})
muss man sich fragen, was für eine Politik das öffentliche Unternehmen DB AG betreibt. Ganz offensichtlich
eine, die mit dem fraktionsübergreifenden Konsens
„Mehr Verkehr auf die Schiene“ nichts zu tun hat. Da
gilt es anzusetzen, statt Türen für die Herren vom Potsdamer Platz zu öffnen. Der Bundestag hat die DB AG
zum globalen Logistiker werden lassen. Rendite und
Marktanteil sind wichtiger als erschwingliche und umweltfreundliche Mobilität. Hier müssen wir ansetzen.
Wir, der Gesetzgeber, sind der Eigentümer. Als solcher
müssen wir unser Augenmerk darauf richten, dass die
Prioritäten richtig gesetzt sind. Wir dürfen real existierenden Problemen der Bahn wie zu hohe Preise,
schlechte Verbindungen und mangelnder Service nicht
mit einer Vermeidungsstrategie, nämlich indem wir
Fernverkehrsbusse zulassen, begegnen.
Ich möchte zu bedenken geben, dass eine privatisierte
Bahn noch weniger unserer Kontrolle unterliegt. Das ist
einer der Gründe, warum die Linke die Kapitalprivatisierung ablehnt.
({4})
Dass dieses Haus und dass das Verkehrsministerium
die Einflussmöglichkeiten, die sie haben, nicht ausschöpfen, darf man allerdings nicht dem DB-Vorstand
vorwerfen.
Die Linke will, dass der Bahnverkehr öffentlichem
Einfluss unterliegt. Wir stehen einem Fernverkehrsgesetz zur Gewährleistung von Fernverkehrszügen positiv
gegenüber. Wir verschließen uns auch nicht, wenn es darum geht, dort, wo es keine Schienenverbindungen gibt,
Busunternehmen die Lücke füllen zu lassen. Aber das
muss man im Einzelfall prüfen. Das ist in dem FDP-Antrag so nicht vorgesehen. Nach Ihrem Antrag sollen offenbar Dämme geöffnet werden, um das gesamte Verkehrswesen dem Markt zu unterstellen.
({5})
Private Unternehmen picken die Rosinen, und die Allgemeinheit trägt die Kosten des Restes. Durch alle Beispiele wird uns gelehrt: Der freie Wettbewerb im Personenverkehr funktioniert so nicht.
({6})
Leider entspricht auch der Antrag der Bündnisgrünen
nicht den Notwendigkeiten einer nachhaltigen Verkehrspolitik. Die Krux des Fernverkehrs liegt nicht in fehlender Konkurrenz, sondern darin, dass wir mehr Verkehrsanteile von Bus und Bahn generieren müssen, und in der
Frage, wie wir das können.
({7})
Die Konkurrenz ist der private Pkw. Davon lese ich in
keinem dieser Anträge etwas. Ich lese nichts davon, wie
Sie die Menschen davon überzeugen wollen, dass sie
vom Pkw auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Noch
mehr Konkurrenz und noch mehr Verkehr - jetzt wollen
Sie mit Bussen auf die Autobahnen - ist keine Lösung.
Deswegen lehnen wir als Fraktion Die Linke beide Anträge ab.
Danke.
({8})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die letzte knappe halbe Stunde war ja durchaus amüsant, wenn man sich näher mit der Verkehrspolitik beschäftigt. Die Vertreter der Großen Koalition
schwingen sich zu den Verteidigern des Systems Schiene
auf.
Wir haben in den letzten drei Jahren im Verkehrsausschuss eigentlich fast nichts anderes als den Versuch des
Verkehrsministeriums erlebt, das System Schiene durch
eine vollkommen unsinnige Teilprivatisierung der
DB AG mehr oder weniger stark zu zerstören bzw. zu
zertrümmern.
({0})
Das ist von Teilen der Opposition abgewendet worden. Seien wir großzügig: Eigentlich haben alle Fraktionen
der Opposition dagegen gekämpft. Es gab auch aufgeklärte Journalisten und eine geschickte Lobbyarbeit.
Schließlich wurde uns auch noch - es gibt ja keinen
Schaden ohne Nutzen - durch die Finanzkrise geholfen,
sodass wir die Bahn retten konnten. Das hätte der Bahn
wirklich einen schweren Schaden zugefügt. Das ist abgewendet worden. Ich finde Ihre Reden deswegen etwas
pharisäerhaft.
({1})
Zum Fernlinienbusverkehr. Es ist sozusagen wirklich
ganz schräg, dass die Bahn in dem einen Fall so extrem
verteidigt wird. Was ist denn der Hauptkonkurrent des
Fernlinienbusverkehrs? - Das ist der Pkw-Verkehr. Wer
würde denn in einem Fernlinienbus fahren? - Das wären
Leute, die dadurch die Möglichkeit hätten, direkt von
Stadt zu Stadt zu reisen. Wie groß ist denn das Fernliniennetz der DB AG noch? - Das Bahnnetz hat nur
noch 34 000 Streckenkilometer.
({2})
Demgegenüber gibt es über 300 000 Streckenkilometer
im Bereich der Bundesfernstraßen.
Das ist doch ein völlig anderes Verhältnis. Es gibt Unmengen an Verbindungen, die die Bahn gar nicht anbieten kann, weil die Schienen entweder noch nie lagen
oder aufgrund des Versagens des Verkehrsministeriums
inzwischen herausgerissen worden sind. Dafür soll der
Fernlinienbusverkehr zugelassen werden.
Wie schaut es denn ganz plastisch aus, wenn ein Privater das anbietet? Im Gegensatz zu Ihnen, die vor ausländischen Konzernen warnen, kennen wir die Unternehmer, die dort gerne fahren würden. Das sind
Mittelständler. Wie schaut es denn aus? Sie würden diesen Verkehr gerne anbieten. In der Regel gäbe es überhaupt keinen Parallelverkehr. Sie würden neue Angebote
machen. Und wer beschwert sich? - Die DB AG sagt,
dass das nicht geht. Sie ist mehr oder weniger Nutznießer und halb Genehmigungsbehörde. Das ist grundsätzlich zu ändern. Dann hätten die Leute nämlich ein neues
Angebot. Das ist das Ziel.
({3})
Es gibt zwei mehr oder weniger umweltfreundliche
Mobilitätsangebote: den Fernlinienbusverkehr und den
Verkehr auf der Schiene. Was ist jetzt zugelassen? - Jetzt
gibt es den Pkw-Verkehr,
({4})
jetzt gibt es völlig problemlos den innerdeutschen Luftverkehr - noch dazu von der Kerosinsteuer befreit -, und
jetzt gibt es den Fernverkehr auf der Schiene. Das sind
also zwei sehr problematische und ein einigermaßen
ökologischer Verkehrsträger. Der andere umweltfreundliche Verkehrsträger ist fast komplett verboten. Ist das
sinnvoll? - Nein, das ist nicht sinnvoll.
({5})
Es kommt noch etwas hinzu, das Grüne und FDP
nach allem, was man sehen kann - das sage ich einmal
ganz entspannt -, von den anderen drei Fraktionen
scheinbar unterscheidet: Wir haben eine etwas andere
Vorstellung von Freiheit. Wir machen die Gesetze nicht
in erster Linie für Konzerne, sondern für Menschen. In
diesem Fall sind die Menschen Fahrgäste.
({6})
Die Fahrgäste müssen nicht unbedingt von uns bevormundet werden. Man muss den Fahrgästen nicht sagen,
sie sollten dies oder jenes tun. Man kann den Menschen
doch eine Auswahl lassen und einen Wettbewerb um
Qualität anbieten. Wir wollen keinen Wettbewerb um die
billigsten Löhne und schlechtesten Standards, sondern
Wettbewerb um Qualität. Dann sollten wir den Fahrgast
entscheiden lassen und schauen, was herauskommt. Ich
kenne viele Länder, in denen der Fernlinienbusverkehr
eine ganz hervorragende Alternative ist.
({7})
Diese Alternative wollen wir den Menschen auch in
Deutschland zur Verfügung stellen.
Danke.
({8})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf
Drucksache 16/3905. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/384
mit dem Titel „Novellierung des PersonenbeförderungsVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
gesetzes - Wettbewerb im öffentlichen Personenfernverkehr zulassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/842 mit dem Titel „Novellierung des
Personenbeförderungsgesetzes - Fernlinienbusverkehre
ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
({0})
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2009
({1})
- Drucksache 16/10663 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- Drucksache 16/11628 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Herbert Schui
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kollegen Hans Michelbach, Garrelt Duin,
Ernst Burgbacher, Dr. Herbert Schui und Hans-Josef
Fell.
In der Krise geht es ganz wesentlich darum, die Substanz der deutschen Volkswirtschaft zu schützen. Die Betriebe und ihre Arbeitnehmer, insbesondere im Mittelstand, sind der Schlüssel für Wohlstand und Wachstum in
Deutschland. In Bereichen wie Energie und Umweltschutz, Medizintechnik, Verkehrstechnik, Maschinenbau
und moderne Werkstoffe entstehen die Arbeitsplätze der
Zukunft. Damit diese Chancen erhalten bleiben, ist vor
allem eine sichere Kreditversorgung für die Unternehmen
notwendig.
Unser Ziel, die Finanzierungsbedingungen für den
Mittelstand konkret und gerade jetzt zu verbessern, hat
oberste Priorität. Denn nach wie vor haben vor allem
kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlichkeiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, ein zu geringes Eigenkapitalpolster
oder Probleme bei der Fremdfinanzierung. Dies verschärft sich natürlich in Zeiten der Finanzkrise noch.
Wenn ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern gerade auch über Gründungen von Unternehmen spreche,
dann sagen sie mir: Das zentrale Problem ist die Finanzierung.
Die KfW hat einige nicht akzeptable Managerfehler zu
verkraften und es ist ein starker Gewinneinbruch zu erwarten. Dies darf aber nicht zulasten der Mittelstandsförderung gehen. Mein Ziel als Vorsitzender des Unterausschusses „ERP-Wirtschaftspläne“ ist es, die Substanz
und Förderkraft des ERP-Sondervermögens in voller
Höhe zu erhalten. Deshalb hat der Unterausschuss
„ERP-Wirtschaftspläne“ auch darauf gedrungen, dass
zwischen dem BMF und dem BMWi eine Vereinbarung
zum dauerhaften Ausgleich der Verluste bei der KfW geschlossen wird. Unter Begleitung des Bundesrechnungshofes wurde im Dezember vergangenen Jahres kurzfristig
eine Vereinbarung erarbeitet, die den dauerhaften Erhalt
der Substanz des ERP-Sondervermögens gewährleistet.
Die Vereinbarung gewährleistet den Erhalt des fortgeschriebenen Gegenwertaufkommens des ERP-Sondervermögens nicht nur im Hinblick auf die Ausfälle infolge der
IKB-Belastungen, sondern auch bei sonstigen Belastungen aus dem Ergebnis der KfW. Trotz der Finanzkrise und
„geschwächter“ KfW wird also die ERP-Wirtschaftsförderung im bisherigen Umfang und bisheriger Qualität
fortgeführt. Das ist die gute Nachricht.
Mit dem ERP-Wirtschaftsplan 2009 kann ein Volumen
von rund 4,8 Milliarden Euro für neue Zusagen in 2009
für die einzelnen Förderschwerpunkte bereitgestellt werden. Diese Steigerung im Vergleich zum 4-MilliardenEuro-Planvolumen des Jahres 2008 ergibt sich aus den
Maßnahmen der Bundesregierung zum Wachstumspaket.
Mit Bundesmitteln wird der ERP-Startfonds um
200 Millionen Euro, das ERP-Innovationsprogramm um
300 Millionen Euro sowie das Energieeffizienzprogramm
und 300 Millionen Euro aufgestockt.
Die Schwerpunkte der ERP-Finanzierungshilfen in
2009 sind: die Förderung von Existenzgründungen und
Wachstumsfinanzierungen, der Aufbau und die Modernisierung bestehender Unternehmen im Osten und in regionalen Fördergebieten im Westen, die Innovationsförderung, die Förderung von Umweltschutzinvestitionen,
die Förderung von Beteiligungskapital. Rund 1,7 Milliarden Euro Fördervolumen stehen für Maßnahmen in den
neuen Bundesländern zur Verfügung. Mit diesen Ansätzen
kann der zu erwartenden Nachfrage nach ERP-Darlehensmitteln in 2009 entsprochen werden.
In den rund 4,8 Milliarden Euro sind rund 1,6 Milliarden Euro für Mezzanin-Produkte der Programme „ERPKapital für Gründung“ und „ERP-Innovationsprogramm“ vorgesehen. Mit der verstärkten Gewährung von
eigenkapitalähnlichen Nachrangdarlehen wird der häufig gegebenen Eigenkapitalschwäche bei Gründern und
kleinen und mittleren Unternehmen und den höheren Risiken von innovativen Vorhaben Rechnung getragen.
Betrieblicher Umweltschutz kann im ERP-Umweltund Energiesparprogramm gefördert werden. Der Planansatz von jetzt 2,2 Milliarden Euro beinhaltet auch den
seit dem 1. Januar 2008 gestarteten „Energie-Effizienzfonds für kleine und mittlere Unternehmen“. Der ERPWirtschaftsplan 2009 leistet mit diesen Förderansätzen
einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen und der
Freien Berufe und trägt zur Schaffung neuer und zur Sicherung bestehender Arbeitsplätze bei.
Das von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ schlägt sich auch im ERP-Wirtschaftsplangesetz 2009 nieder. Um auch in schwierigen Zeiten
Innovationen und Energieeffizienz zu fördern, werden die
Mittel der KfW im Bereich der Innovationsförderung und
-umsetzung deutlich verstärkt. Gleichzeitig soll die KfW
ihr Angebot an Beteiligungskapital aufstocken, damit innovative Unternehmen einfacher zu einer Anschlussfinanzierung finden. Aus diesem Grund werden der ERPStartfonds um 200 Millionen Euro sowie das ERP-Innovationsprogramm und das ERP-Energieeffizienzprogramm um jeweils 300 Millionen Euro aufgestockt.
Damit erhöht sich das Zusagevolumen des ERP-Wirtschaftsplans für 2009 von ursprünglich 4 Milliarden
Euro auf nunmehr 4,8 Milliarden Euro.
Die Mittel für die Aufstockung der drei ERP-Programme werden aus dem Einzelplan 09 des Bundeshaushalts zur Verfügung gestellt. Dafür sind in 2009 insgesamt
19 Millionen Euro vorgesehen sowie weitere 161 Millionen Euro Verpflichtungsermächtigungen bis 2019. Die
Zinszuschüsse aus dem Bundeshaushalt zur Leistungssteigerung mittelständischer privater Unternehmen der
gewerblichen Wirtschaft erhöhen sich von ursprünglich
21,68 Millionen Euro auf 40,68 Millionen Euro.
Ich kann Ihnen heute versichern, dass ich mich auch in
Zukunft dafür einsetzen werde, dass dem Mittelstand weiterhin so viel Förderung wie möglich zugutekommt. Denn
eins weiß ich als Unternehmer nur zu gut: Die Gründung
und der Erhalt eines Unternehmens und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen stehen und fallen mit der Finanzierung.
Wenn man sich die Geschichte der ERP-Förderung
anschaut, liest sie sich wie die Erfolgsgeschichte des
Wirtschaftsstandortes Deutschland: angefangen vom rudimentären Wiederaufbau über die Unterstützung exportintensiver Industrien und Investitionen sowie den Umweltschutz bis hin zu Beteiligungskapital für technische
Innovationen. Anhand dieser Entwicklung wird ganz klar,
welche Bedeutung das ERP für zahlreiche Wirtschaftsunternehmen, aber auch für die wirtschaftliche Position
Deutschlands weltweit hat.
Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2009. Insgesamt sieht der Gesetzentwurf zur Förderung der deutschen Wirtschaft die
Bereitstellung von 462 Millionen Euro vor. Das Zusagevolumen des ERP-Wirtschaftsplans 2009 für Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft - insbesondere des
Mittelstandes - und Angehörige freier Berufe hat ursprünglich 4 Milliarden Euro betragen. Durch das von
uns beschlossene Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ wurde eine Aufstockung der Innovationsförderung sowie der Maßnahmen
zur Umwelt- und Energieeinsparung um insgesamt
800 Millionen Euro erforderlich.
Diese Zahlen bestätigen, dass die ERP-Förderung für
den Standort Deutschland von herausragender Bedeutung und eine wichtige Basis ist. Vorrangiges Ziel ist und
bleibt es, die Investitionsfähigkeit mittelständischer Unternehmen langfristig zu sichern und die Gründung neuer
Unternehmen zu unterstützen. Das Fördervolumen und
die Förderintensität des ERP bleiben dabei bestehen. Das
in der KfW angelegte Sondervermögen bleibt ausdrücklich weiterhin der Wirtschaftsförderung erhalten. Wir
wollen mit der Umsetzung des Wirtschaftsplans 2009 weiterhin zukunftsorientierte Akzente setzen. Unsere Politik
setzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Belebung und
Stützung der wirtschaftlichen Dynamik im Mittelstand.
Die ERP-Förderung von Existenzgründern sowie kleinen und mittleren Unternehmen stärkt den Standort
Deutschland und damit die Position im Rahmen des
europäischen und des globalen Standortwettbewerbs.
Daher ist das ERP gerade in strukturschwachen Regionen ein wichtiges Fördermittel. Mit dieser bedarfsorientierten Förderung haben wir genau ins Schwarze getroffen.
Nicht zuletzt stellt die ERP-Förderung einen wichtigen
Beitrag zur Lösung der Beschäftigungsprobleme dar.
Denn neue Betriebe und die Ausweitung mittelständischer Unternehmen wirken sich positiv und nachhaltig
auf den Arbeitsmarkt aus.
Die Finanzierung betrieblicher Umweltprojekte und
neuer Energiequellen leistet einen wichtigen Beitrag für
unsere ökologischen Zielsetzungen.
Gerade in diesen unsicheren Zeiten, in denen sich die
weltweite Wirtschaft befindet, ist es wichtig, den Unternehmen den Rücken zu stärken und ihnen nachhaltige
Strukturen zu bieten. Wir dürfen nicht zulassen, dass die
Krise die Schließung zahlreicher wettbewerbsfähiger Unternehmen zur Folge hat und Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr sind. Die ERP-Förderung ist an dieser
Stelle ein Standbein einer nachhaltigen Mittelstandspolitik. Und das ist doch genau das, was wir mit unserer
Politik erreichen wollen: Wir wollen den Mittelstand in
Deutschland auch in Krisenzeiten stärken.
Mittlerweile werden seit mehr als einem halben Jahrhundert kleine und mittlere Unternehmen über das Sondervermögen des European Recovery Program gefördert.
Bereits 1949 kam es zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den USA zu einem Abkommen über
wirtschaftliche Zusammenarbeit, das am 1. Februar
1950 in Kraft trat. Das Abkommen bestimmte die Verwaltung einer Summe von damals 6 Milliarden DM als sogenanntes Sondervermögen. Dieses sollten Unternehmen
Zu Protokoll gegebene Reden
zum Aufbau der durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten
deutschen Wirtschaft erhalten. Im Laufe der Jahre wuchs
das ERP-Sondervermögen auf einen Bestand Ende 2007
von mehr als 13 Milliarden Euro. Diese erheblichen finanziellen Mittel kamen und kommen der mittelständischen Wirtschaft in Form von vergünstigten Krediten und
sonstigen Förderleistungen zugute. Das Instrument der
Mittelstandsförderung über ERP-Mittel ist gerade in der
jetzigen Situation des wirtschaftlichen Abschwungs besonders bedeutsam.
Für das laufende Jahr beträgt das Fördervolumen
368 Millionen Euro. Insbesondere der Mittelstand und
die freien Berufe erhalten im Rahmen der veranschlagten
Mittel zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital.
Damit leistet das ERP-Sondervermögen einen erheblichen Beitrag zur Wirtschaftsförderung.
Der Mittelstand ist auf diese Fördermittel angewiesen.
Deshalb ist es für die FDP auch bedauerlich, dass das
Bundesfinanzministerium eine frühzeitige Verabschiedung des Wirtschaftsplanes vereitelt hat. Dass dieser
Wirtschaftsplan erst im Jahr 2009 und nicht bereits am
Ende des vergangenen Jahres verabschiedet werden
konnte, liegt an den schwierigen Verhandlungen, die mit
dem Bundesfinanzministerium über den Substanzerhalt
des ERP-Sondervermögens geführt werden mussten. Wir
haben im ERP-Unterausschuss dafür gestritten, dass der
Substanzerhalt des ERP-Vermögens, das heißt die gesamte Fördersumme von 13 Milliarden Euro, auch in Zukunft für die Mittelstandsförderung zur Verfügung steht.
Wir haben dafür gestritten, dass das Finanzministerium
den gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen
nachkommt und letztlich zumindest für das Wirtschaftsjahr 2009 eine vertragliche Vereinbarung erreicht.
Dennoch muss auch hier in aller Offenheit gesagt werden, dass wir uns vor allem eine Vereinbarung gewünscht
hätten, die die gesetzlichen Verpflichtungen des Finanzministeriums enthalten hätte, vor allem also einen umfassenden und dauerhaften Substanzerhalt, einen Erhalt der
Fördermasse des ERP-Vermögens für den deutschen Mittelstand. Der beste Substanzerhalt wäre es jedoch gewesen, wenn die unsägliche Übertragung des ERP-Sondervermögens auf die KfW rückgängig gemacht worden
wäre. Dies haben wir wiederholt gefordert, und dies wäre
der beste Weg zu einem gesicherten Substanzerhalt.
Aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs an den Unterausschuss für die ERP-Wirtschaftspläne vom 12. Juni
2008 zur Umsetzung der Neuordnung des ERP-Sondervermögens wird ersichtlich, dass die Neuordnung des
Sondervermögens zu einer Hebung von stillen Reserven
und deren Transfer zum Bundesministerium der Finanzen
geführt hat. Das BMF erlangte hierdurch einen finanziellen Vorteil von rund 373 Millionen Euro auf Kosten des
ERP-Sondervermögens. Diese Summen hätten ebenfalls
in den Wirtschaftsplan eingestellt werden müssen und
dem Fördervolumen hinzugerechnet werden sollen. Im
Interesse des deutschen Mittelstands und zur Stimulierung des Investitionsverhaltens von kleinen und mittleren
Unternehmen bedarf es kurzfristig geeigneter Maßnahmen zum langfristigen Erhalt von Substanz und Fördervolumen des ERP-SV im vereinbarten Rahmen. Ohne derartige Regelungen weist der Wirtschaftsplan in wichtigen
Bereichen Fehler auf, die eine Ablehnung rechtfertigen.
Die mittelständische Wirtschaft hätte es verdient, mit allen erdenklichen finanziellen Mitteln gefördert zu werden.
Diesem Anspruch wird der vorgelegte Wirtschaftsplan
leider nicht gerecht.
Die Finanzkrise zeigt: Die Neuordnung des ERP-Sondervermögens war eine völlig verfehlte Entscheidung.
Die Übertragung des ERP-Sondervermögens an die KfW
bzw. zum Teil in den Bundeshaushalt schafft eine Lage, in
der zunehmend ungewiss ist, ob das Sondervermögen seinen Aufgaben bei der Mittelstandsförderung geordnet
nachkommen kann. Der Grund hierfür ist vor allem, dass
die KfW im Rahmen der Finanzkrise vermehrt von anderen Aufgaben in Anspruch genommen wird.
Leistungsfähiger ist das Sondervermögen durch die
Eingliederung nicht geworden. Dies war schon zum Zeitpunkt seiner Neuordnung abzusehen. Alle Kritiker der
Opposition, die zu diesem Zeitpunkt Zweifel hatten am
Substanzerhalt des Vermögens, müssen sich bestätigt sehen. Die Regierungsfraktionen sind zu immer komplizierteren Sicherungsaktionen gezwungen.
Wie in den mündlichen und schriftlichen Verlautbarungen deutlich zu spüren ist, wissen selbst die Spitzen der
beiden beteiligten Ministerien nicht, welche Sicherungen
des Sondervermögens auf welche Weise funktionieren
sollen. Der Substanzerhalt ist offenbar nicht gewährleistet. Mit Krediten von der KfW an das ERP-Sondervermögen wird versucht, das zu verschleiern. Solche Winkelbuchungen können zwar die Liquidität sicherstellen,
nicht aber die Substanz.
Die Koalitionsfraktionen sollten daher den Mut aufbringen, die am 26. Juni 2007 in Kraft getretene Neuordnung des ERP-Sondervermögens wieder rückgängig zu
machen. Eine noch bessere Lösung wäre, das Sondervermögen zu einem Fonds auszubauen, der industriepolitisch handlungsfähig ist. In der gegenwärtigen Krise ist
hier vor allem an die Zulieferindustrie der Autobranche
zu denken oder an Unternehmen des Maschinenbaus,
denen die sinkenden Exporte sehr zu schaffen machen.
Allgemein führt an einer Umstellung auf wertschöpfungsintensive Qualitätsprodukte sowie energie- und rohstoffeffiziente Produkte und Produktionsweisen kein Weg
vorbei. Dies ist vorzuziehen einem Anpassungsmechanismus, den der Markt erzwingt: Schließung von Werken,
Streichung von Arbeitsplätzen, steigende Unternehmenskonzentration, Personalkosteneinsparungen oder Streichung von Umweltauflagen.
Um das zu vermeiden, ist Industriepolitik notwendiger
denn je. Kredite oder Subventionen des ERP-Sondervermögens in einem industriepolitischen Fonds müssten an
Bedingungen geknüpft werden, die solch einen Umbau
ermöglichen. Der Fonds selbst unterliegt dabei wieder
der Kontrolle des Parlamentes, wie es vor Neuregelung
des ERP-Sondervermögens bereits der Fall war. So könnten sinnvolle Innovationen durch das ERP-Sondervermögen angestoßen werden. In einem zweiten Schritt könnten
die Konzerne mit ihren Gewinnen an den Kosten des
Fonds beteiligt werden, um ihn weiter auszubauen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Der hier zur Abstimmung stehende ERP-Wirtschaftsplan enthält natürlich keinerlei Ansatz zu einem industriepolitisch handlungsfähigen Fonds. Dennoch wäre es
falsch, den Wirtschaftsplan abzulehnen. In einer Situation, in der die Kreditbeschaffung für viele KMU schwieriger wird, trifft eine Ablehnung vor allem die Unternehmen und nicht die Regierung. Davon hätte niemand was.
Die Finanzierungen aus dem ERP-Sondervermögen werden im Moment besonders benötigt. Daher stimmen wir
diesem Gesetz zu.
Wenn es darum geht, Geld zu verbrennen, hat die Bundesregierung wahre Meisterschaft entwickelt. Nur wenige Wochen nachdem der Bundestag von der Bundesregierung dazu gedrängt wurde, einen Großteil der ERPMittel an die KfW zu geben, wurde die KfW vom Bundesfinanzminister dazu bemüßigt, einen relevanten Teil ihres
Eigenkapitals bei der IKB zu verbrennen. Das ERP-Sondervermögen hatte das Pech, dass es mittlerweile den
größten Teil seines Vermögens in die KfW investiert hatte.
Folglich muss es auch einen großen Teil der Verluste tragen. Der Schaden für das ERP-Sondervermögen dürfte
zwischen 4 und 4,5 Milliarden Euro betragen. Die Bundesregierung und die KfW taten alles, um diesen Substanzverlust zu übertünchen. Allerdings ließ sich das geschrumpfte Vermögen in der Finanzplanung nicht mehr
verheimlichen. Insbesondere die Berichte des Bundesrechnungshofes zeigten auf, dass die Substanz des ERPSondervermögens reduziert ist und dass in den nächsten
Jahren ein Rückgang der Förderung zu befürchten ist.
Die Tragik für den Mittelstand liegt darin, dass genau
dann, wenn die KfW und das ERP-Sondervermögen besonders gebraucht werden, diese staatlichen Geldgeber
ausgedörrt sind. Jetzt zu Beginn der Wirtschaftskrise sind
die wichtigsten Finanzierungsinstrumente weitgehend
lahmgelegt.
Das BMF hatte im Februar 2008 zugesagt, dass die
Schäden, die das ERP-Sondervermögen aus den IKB-Verlusten erleidet, ausgeglichen werden sollen. Im BMF
hatte man aber keine Sekunde daran gedacht, dieses Versprechen zu halten. Es bedurfte monatelangen parteiübergreifenden Drucks des ERP-Unterausschusses, bis
sich das BMF dazu durchringen konnte, seine Zusage vor
Jahresende 2008 auch einzuhalten. Mittlerweile liegt
eine Teillösung des Problems vor. Die Förderfähigkeit
des ERP-Sondervermögens ist auf absehbare Zeit sichergestellt. Das Gleiche lässt sich für die Substanz des ERPSondervermögens leider nicht behaupten. Diese ist aufgrund des Zusammenschrumpfens der stillen Rücklagen
in der gebeutelten KfW deutlich geschrumpft. Immerhin
konnte man sich in Abstimmung mit dem Bundesrechnungshof aber auf einen Substanzbegriff einigen, der eine
Bodenlinie gezogen hat, auf deren Basis man jetzt weiterarbeiten kann.
Angesichts der heutigen Wirtschaftslage sollte es aber
nicht mehr darum gehen, das Schlimmste bei dem wichtigsten Förderinstrument des Mittelstandes zu verhindern. Vielmehr müsste das ERP-Sondervermögen gerade
jetzt gestärkt werden, damit es in der Kreditklemme den
mittelständischen Unternehmen aushelfen kann. Doch
weder im ersten noch im zweiten Konjunkturpaket hat die
Bundesregierung diesbezüglich Maßnahmen ergriffen.
Dies sollte korrigiert werden. Die Bundesregierung will
Hunderte Milliarden für die Finanzmärkte zur Verfügung
stellen. Die Stärkung des ERP-Sondervermögens und der
KfW hat sie in all der Eile übersehen. Dies muss jetzt korrigiert werden.
Wir können dem vorliegenden Wirtschaftsplan nicht
zustimmen, weil der faktische Substanzverlust der stillen
Rücklagen mit dem Wirtschaftsplan abgesegnet wird. Zudem sind Substanzerhalt und Förderkraft nicht langfristig
garantiert. Das Bundesfinanzministerium hatte sich dagegen gesträubt, eine entsprechende Garantieerklärung
abzugeben. Damit bleibt die Sorge berechtigt, dass das
Bundesfinanzministerium auch in Zukunft versucht sein
könnte, sein Wort zu brechen. Die Details des Wirtschaftsplans zeigen erneut grundsätzlich die große Bedeutung
des ERP-Sondervermögens auf - auch und gerade in Krisenzeiten. Die Regierungspolitik der letzten Jahre zeigt
leider auf, dass die Bundesregierung hier großen Schaden angerichtet wird, der auch mit den jüngsten Beschlüssen nicht gänzlich behoben wird.
Wir kommen nun zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11628, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/10663 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDPFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Dr. Norman Paech, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge
aus Afghanistan
- Drucksachen 16/5141, 16/6778 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Hartfrid Wolff ({1})
Josef Philip Winkler
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Auch hier werden, wie in der Tagesordnung ausgewiesen, die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt
sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Helmut Brandt, Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff, Sevim
Dağdelen und Josef Philip Winkler.
Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der Fraktion Die Linke vom 25. April 2007. In ihrem Antrag fordert die Fraktion Die Linke die Bundesregierung auf, sich
aufgrund humanitärer Aspekte für eine Aussetzung der
Abschiebungen von Flüchtlingen aus Afghanistan einzusetzen.
Der Antrag der Fraktion Die Linke ist aus mehreren
Gründen abzulehnen. Zum einen verkennt der Antrag die
Rechtspraxis sowie die Zuständigkeiten in unserem föderalen System. Der zweite wesentliche Grund für die Ablehnung ist der, dass der Antrag der Fraktion Die Linke
durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom
24. Juni 2005 überholt ist.
Die von der Innenministerkonferenz beschlossenen
Grundsätze zur Behandlung afghanischer Staatsangehöriger, die nicht über einen legalen Aufenthaltstitel verfügen, sehen konkret Folgendes vor: Abgeschoben werden
nur Straftäter und sonstige Personen, die die innere Sicherheit in Deutschland gefährden. Darüber hinaus werden alleinstehende Männer, die sich zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung der Innenministerkonferenz am 24. Juni 2005 noch nicht länger als sechs Jahre in Deutschland
aufgehalten haben, zurückgeführt. Besondere Bleiberechtskriterien wurden für Familien mit minderjährigen
Kindern entwickelt.
Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass Flüchtlinge
aus Afghanistan mit großer Sensibilität zu behandeln sind
und vor einer Abschiebung in jedem einzelnen Fall sorgfältig geprüft werden muss, ob diese insbesondere vor
dem Hintergrund humanitärer Erwägungen vertretbar ist
oder nicht.
Afghanistan befindet sich nach einem 23 Jahre dauernden Bürgerkrieg und kriegerischen Auseinandersetzungen nach wie vor in einem schwierigen und langwierigen Wiederaufbauprozess. Es werden auch in Zukunft
noch viele Anstrengungen nötig sein, um die bereits erzielten Stabilisierungserfolge zu sichern und die Zukunftsperspektiven für die afghanische Bevölkerung zu
verbessern. Auch die in vielen Regionen nach wie vor
sehr schwierige Sicherheitslage in Afghanistan kann und
soll nicht in Abrede gestellt werden. All dies wurde durch
die Innenministerkonferenz hinreichend gewürdigt und
bei ihrem Beschluss auch berücksichtigt. Dementsprechend eng wurden die Kriterien und der Personenkreis
für eine mögliche Rückführung gefasst.
Aufgrund dieser sehr restriktiven Grundsätze erfolgen
derzeit auch nur wenige zwangsweise Rückführungen;
dies auch, da der Vorrang gilt, dass freiwillige Rückkehrungen unterstützt werden sollen.
So wurden im Jahr 2007 95 Personen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Im Jahr 2008, und
zwar in der Zeit von Januar bis November 2008, waren es
83 Afghanen, die abgeschoben wurden, also kein signifikanter Anstieg der Zahl der Betroffenen.
An dieser Stelle ist übrigens ein Vergleich mit unseren
Nachbarstaaten interessant. Eine Betrachtung der Rückführungszahlen unserer europäischen Nachbarländer,
beispielsweise aus Großbritannien oder aus Frankreich,
offenbart nämlich, dass deutlich weniger Afghanen aus
Deutschland in ihr Heimatland zurückgeführt werden als
aus unseren Nachbarländern. Großbritannien hat mit der
afghanischen Regierung ein Abkommen geschlossen, das
die Rückführung von bis zu 80 Personen pro Monat erlaubt. Tatsächlich werden von dort derzeit circa 50 Personen pro Monat zurückgeführt.
Die deutschen Zahlen und der europäische Vergleich
zeigen, dass die zuständigen Behörden der Bundesländer
in dieser Problematik mit dem nötigen Augenmaß verfahren. Damit ist der mit diesem Antrag verbundene Versuch,
das rechtsstaatliche Handeln insbesondere des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge infrage zu stellen,
gescheitert.
Beachtlich sind auch andere Zahlen, die in diesem Zusammenhang einmal genannt werden sollen. So sind seit
der Entmachtung des Taliban-Regimes allein 4,5 Millionen Afghanen aus den unmittelbaren Nachbarländern
Pakistan und Iran zurückgekehrt. Diese Zahl unterstreicht, dass grundsätzlich die Menschen auch bestrebt
sind, wieder in ihr Heimatland zurückzukehren und am
Wiederaufbauprozess teilzuhaben. Dieser stellt für Afghanistan eine ganz besonders große Herausforderung
dar.
Unser Land trägt in erheblichem Maße dazu bei, dass
der Wiederaufbau in Afghanistan voranschreitet. Dabei
ist auch nicht zu verkennen, dass sich die Menschenrechtssituation in Afghanistan sukzessive verbessert.
Traurig ist allerdings in diesem Zusammenhang auch,
dass sich die Linke gerade bei notwendigen Beschlüssen
zur Sicherung und Wiederherstellung eines stabilen Friedensprozesses in Afghanistan immer wieder verweigert.
Ich bin der Ansicht, dass der Beschluss der Innenministerkonferenz alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Dazu gehört selbstverständlich auch unser
Interesse daran, keine Afghanen, die sich in Deutschland
strafbar gemacht haben und die ein Sicherheitsrisiko für
uns darstellen, hierzubehalten. Vielmehr unterstützen wir
hier eindeutig die von der Innenministerkonferenz im
Jahr 2005 bereits gefassten Beschlüsse.
Dazu gehört ebenso die nach wie vor prekäre Sicherheitslage in Afghanistan. An dieser Stelle möchte ich noch
einmal betonen, dass die Bundesländer und auch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen, ob eine Abschiebung erfolgen
kann oder nicht, und dabei insbesondere auch humanitäre Gesichtspunkte angemessen berücksichtigen und
prüfen.
Dazu gehört aber auch nicht zuletzt die Erwägung,
dass Afghanistan darauf angewiesen ist, dass die Afghanen in ihr Heimatland zurückkehren, die aufgrund ihrer
Leistungsfähigkeit und ihrer Erfahrungen im Ausland in
der Lage sind, sich am Wiederaufbau Afghanistans aktiv
zu beteiligen. Für den gesamten Wiederaufbauprozess
sind sie ein unverzichtbarer Teil.
Abschließend möchte ich noch auf eine Entscheidung
des Verwaltungsgerichtshofes in Kassel aus dem vergangenen Jahr verweisen. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes besteht gerade kein genereller Abschiebeschutz für Flüchtlinge aus Afghanistan. Vielmehr
können nach dieser Entscheidung in einem entsprechenden Musterprozess junge, arbeitsfähige Männer ohne
familiäre Bindungen in ihr Heimatland abgeschoben
werden. Das Gericht hat dabei hervorgehoben, dass Ausnahmen nur dann gelten, wenn besondere individuelle
und existenzielle Risiken bestehen. Genau dies sind die
Kriterien, die von den Innenministern der Länder und
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewendet werden.
Wir alle, auch Sie von der Fraktion Die Linke sollten
aktiv daran mitwirken, dass der Wiederaufbauprozess in
Afghanistan erfolgreich abgeschlossen werden kann, sodass die Afghanen, die im Ausland Zuflucht gesucht haben, in ihr Heimatland zurückkehren können.
Zweifelsohne ist die Sicherheitslage in Afghanistan alles andere als zufriedenstellend. Zwar seien Fortschritte
im Norden und Westen des Landes klar erkennbar, so der
Außenminister nach einem Besuch im Juli 2008 in Afghanistan, allerdings könne nicht verschwiegen werden, dass
sich die Sicherheitslage sogar verschlechtert habe.
Dem muss Rechnung getragen werden. Allerdings
kann zum Beispiel subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG immer nur nach einer Einzelfallprüfung
erteilt werden und nicht generell. Dabei ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine
Aussetzung der Abschiebung einer Bevölkerungsgruppe
nur dann möglich, wenn man die Bevölkerungsgruppe
generell sehenden Auges in den Tod treiben würde. Davon
gehen die Gerichte bezüglich Afghanistans jedoch zurzeit
nicht aus. Bei der Einzelfallprüfung muss stets eine extreme Gefahr vorliegen. In Anbetracht der derzeitigen
Lage in Afghanistan bejaht das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge ({0}) eine solche extreme Gefahr in
der Regel für besonders gefährdete Personengruppen wie
alleinstehende Frauen mit kleinen Kindern, kranke und
alte Menschen. Insofern ist das, was der vorliegende Antrag fordert, bereits herrschende Entscheidungspraxis
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
Auch die geltende Beschlusslage der Innenministerkonferenz zu Rückführungen nach Afghanistan sieht eine
differenzierte Vorgehungsweise vor, wobei Straftäter und
alleinstehende junge Männer, die sich noch nicht länger
als sechs Jahre in Deutschland aufhalten, vorrangig abgeschoben werden sollen. Im Jahr 2008 hat das BAMF
insgesamt 3 765 Widerrufsprüfungsverfahren bei Afghanistanflüchtlingen eingeleitet. Diese relativ hohe Zahl erklärt sich aus der Verpflichtung des Amtes, gemäß § 73
Abs. 2 a AsylVfG nach drei Jahren bei einer positiven
Entscheidung das weitere Vorliegen der schutzbegründenden Voraussetzungen zu überprüfen und daraufhin
eine Mitteilung an die Ausländerbehörde zu machen, und
nicht etwa daraus, dass das BAMF der Meinung war, bezüglich Afghanistan habe sich die Situation entschärft.
Das Gegenteil ist der Fall, wie man am Ausgang der
Überprüfungsverfahren erkennen kann: In lediglich
204 Fällen erfolgte ein Widerruf. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle, nämlich bei 3 561 Personen - das
sind etwa 95 Prozent - war dies nicht der Fall.
Es ist mithin nicht zu erkennen, dass das BAMF hier einer Ermahnung und des Hinweises auf die prekäre Lage
in Afghanistan bedarf. Im Regelfall werden zudem die
Personen, bei denen nach Überprüfung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes kein Widerruf
erfolgt ist, nun eine Niederlassungserlaubnis erhalten
können.
Von den 560 im vergangenen Jahr in der Zeit von Januar bis November 2008 gestellten Erstanträgen von
Flüchtlingen aus Afghanistan wurden bis jetzt
5 Personen als Asylberechtigte anerkannt, 70 Personen
erhielten den Flüchtlingsstatus nach der GFK gemäß
§ 60 Abs. 1 AufenthG, und 86 Personen erhielten Abschiebeschutz. In 135 Fällen kam es zu einer sonstigen
Erledigung des Verfahrens; in lediglich 56 Fällen kam es
zu einer Ablehnung. Auch diese Zahlen belegen, dass das
BAMF mit Flüchtlingen aus Afghanistan durchaus verantwortungsbewusst und mit Augenmaß vorgeht. Soweit
also die Arbeit des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge in dem Antrag angesprochen ist - und damit
die unmittelbare Zuständigkeit des Bundesministers des
Inneren -, wird dem Anliegen der Antragsteller weitestgehend entsprochen.
Im Übrigen muss ich leider empfehlen, den Antrag abzulehnen, denn mehr als die oben dargestellte differenzierte Behandlung durch die Länderinnenminister
- vergleiche auch ihre Beschlusslage auf den Innenministerkonferenzen - ist von dort nicht erreichbar.
Menschenrechtsgruppen warnen schon seit langem
vor einer Abschiebung von Flüchtlingen in das vom Krieg
zerstörte Land. Es gebe für sie keine ausreichende Sicherheit und Versorgung. Grundsätzlich ist allerdings zu
sagen: Ein genereller Abschiebestopp, wie ihn die Linkspartei hier für Afghanistan ({0}) fordert, ist ein Notfallinstrument für akute
Krisenentwicklungen. Afghanistan ist aber fraglos eine
Dauerkrise.
Gerade vor dem Hintergrund der Verantwortung für
andere Fälle muss die Notwendigkeit eines Abschiebestopps immer genau geprüft werden. Der generelle Abschiebestopp ist ein Instrument, das nicht inflationär
verwendet werden darf. Die Linke spricht sich gegen das
Engagement der Bundeswehr in Afghanistan aus, durch
das die Situation der Menschen dort bereits wesentlich
verbessert wurde. Die Einbringung dieses Antrages wirkt
auch vor diesem Hintergrund widersprüchlich. Die Linke
hält die Zivilbevölkerung sogar gerade durch die internationalen Truppen - das heißt: auch durch die Bundeswehr für bedroht. Solche populistischen Schuldzuweisungen
kann die FDP nicht mittragen.
Die Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union durch die Bundesregierung
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({1})
und der Kompromiss der Innenministerkonferenz zum
Bleiberecht sind in mancherlei Hinsicht problematisch.
Die Zuwanderung insgesamt bedarf der Erörterung. Ein
umfassendes Konzept zur Zuwanderungssteuerung fehlt
nach wie vor. Der Antrag der Linkspartei ist in seiner
Analyse der politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan zudem nicht mehr auf dem aktuellen
Stand.
Vor diesem Hintergrund bezweifelt die FDP, dass ein
genereller Abschiebestopp, wie ihn die Linkspartei fordert, die richtige Antwort ist. Wir sind allerdings der Auffassung, dass die Menschenrechtslage in Afghanistan
weiterhin der kritischen Aufmerksamkeit bedarf. Natürlich müssen wir leider davon ausgehen, dass es politische
Verfolgung in Afghanistan auch heute noch gibt. Aber dafür besteht nach wie vor das Recht für politisch Verfolgte,
in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.
Eine individuelle Prüfung ist immer möglich, auch
jetzt schon. Dauerhafte Probleme mit der Menschenrechtslage in einem bestimmten Land können mit einem
generellen Abschiebestopp als politischem Instrument
nicht gelöst werden. Dazu ist das Asylrecht das richtige
Instrument. Die FDP lehnt daher den Antrag der Linkspartei ab.
Seit 2001 bombt die USA mit ihren NATO-Verbündeten, Deutschland inbegriffen, in Afghanistan. Nachdem
die NATO-Mitgliedstaaten Art. 5 des Bündnisvertrags
aktiviert hatten und die Anschläge auf das World Trade
Center und das Pentagon als einen bewaffneten Angriff
auf das Bündnisgebiet erklärten, befinden sich Deutschland und die übrigen NATO-Staaten bis heute im Krieg.
Inzwischen sind über 55 000 ISAF-Soldaten am Hindukusch. Deutschland ist mit 3 400 stationierten Soldaten
der drittgrößte Truppensteller nach den USA und Großbritannien.
Die proklamierten Ziele der Militäreinsätze sind Terrorismusbekämpfung sowie Demokratisierung und Wiederaufbau. Sogar die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, sollen der Legitimation für
diesen Krieg dienen. Diese Ziele sind nicht erreicht - wie
auch, waren sie doch nur ein Vorwand. Vielmehr ist das
Gegenteil eingetreten: Bislang hat die Bundesregierung
mehr als 3 Milliarden Euro im Rahmen von ISAF und
etwa 1 Milliarde Euro im Rahmen von OEF ausgegeben.
Demgegenüber wurden nur 1,2 Milliarden Euro für den
zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Da den Bauern keine
vernünftige Alternative zum Mohnanbau geboten wurde,
nimmt die Opiumproduktion ständig zu. Warlords und die
Taliban finanzieren dadurch die Waffen für ihren Krieg,
und ein Großteil des Landes wird inzwischen von den Taliban kontrolliert.
Systematische Akte der Einschüchterung, einschließlich willkürlicher Tötungen, Entführungen und anderer
Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit und der Freiheit
durch regierungsfeindliche Elemente und lokale Warlords, durch militärische Kommandeure und kriminelle
Gruppen sind genauso an der Tagesordnung wie Selbstmordattentate und Anschläge. Laut einem im September
2008 veröffentlichten Bericht des Human Rights Teams
waren zwischen Januar und August 2007 1 040 Zivilisten
Opfer bewaffneter Konflikte. Im selben Zeitraum des Jahres 2008 stieg die Zahl der Todesopfer auf 1 445.
Die Versorgung der Menschen ist in vielen Zonen Afghanistans wegen der Auseinandersetzungen kaum möglich. Die zunehmende Unsicherheit für humanitäre Helferinnen und Helfer erschwert diese zusätzlich. So erhöht
die unsichere Nahrungsmittelversorgung noch die Zahl
der Binnenvertriebenen.
Das Land ist Warlords und Drogenbaronen in die
Hände gespielt worden, die bis auf die Knochen frauenfeindlich sind. „Die Frauen leiden mehr denn je. Die
Selbstmordrate unter Frauen war noch nie so hoch.“ Das
berichtete die afghanische Frauenrechtlerin Malalai
Joya Ende 2007 in einem Interview. Selbst die Bundesregierung kommt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage
der Grünen - Drucksache 16/10804 - nicht umhin, zugeben zu müssen, dass Frauen zu den besonders gefährdeten Einzelpersonen und Gruppen gehören. Hervorgehoben werden aber auch rückkehrende Flüchtlinge. Dort
leben sie in der Gefahr, zwangsrekrutiert, ermordet oder
entführt zu werden, oder aber der Armut zu verfallen. Weder die afghanische Regierung noch internationale
Hilfsorganisationen können abgeschobene Flüchtlinge
vor konkreten Gefahren für Leib und Leben wirksam
schützen. Sie sind erneut zur Flucht gezwungen.
Zudem verschärfen sie die vor Ort bestehende unhaltbare humanitäre Situation. Das Nachbarland Iran hat
seit April 2007 mit der zwangsweisen Abschiebung von
afghanischen Flüchtlingen begonnen. Von April bis Juni
2007 sollen fast 100 000 unregistrierte und registrierte
Flüchtlinge ausgewiesen worden sein. Viele von ihnen leben in Afghanistan in der Wüste mit völlig unzureichendem Zugang zu Wasser, Grundnahrungsmitteln und
Wohnraum. Von der Ausweisung aus dem Iran sind insgesamt rund 920 000 Menschen bedroht. Nach Angaben des
Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen
({0}) löste die zwangsweise Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Iran in Afghanistan erhebliche Spannungen aus. Diese Erkenntnis über die katastrophale Situation in Afghanistan führt aber nicht etwa dazu,
afghanische Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz vor
der Gewalt suchen oder sogar hier aufgewachsen sind,
nicht abzuschieben. Bereits im Juni 2005 hatten die Innenminister der Länder grundsätzlich die „Rückführung“ aller afghanischen Flüchtlinge beschlossen. Zunächst wurden Straftäter und alleinstehende Männer
abgeschoben. Später dann auch afghanische Familien
mit Kindern.
2007 musste dann Hamburgs Innensenator auf öffentlichen Druck hin auf die geplante und bereits eingeleitete
Abschiebung von Familien mit Kindern verzichten - weniger ein Akt der Humanität als ein Eingeständnis des
Versagens der Kriegsstrategie in Afghanistan. Denn dies
unterstreicht, dass eine angeblich stabile Sicherheitslage
zur Begründung von Abschiebungen nicht mehr herangezogen werden konnte.
Mit dem Einzug der Linksfraktion in den Deutschen
Bundestag vertrat meine Fraktion die Auffassung, dass
Zu Protokoll gegebene Reden
Sevim Daðdelen
Abschiebungen nach Afghanistan vor dem Hintergrund
der Sicherheitslage und des Massenelendes von Hunderttausenden unverantwortlich sind, und legte einen
entsprechenden Antrag vor. Darin forderten wir einen
umgehenden Abschiebestopp für alle afghanischen
Staatsangehörigen. Ich appelliere in dieser Frage insbesondere an die SPD in der Hoffnung, dass sie sich wie
im Hessischen Landtag im April des letzten Jahres unserer Initiative für einen Abschiebestopp von afghanischen
Flüchtlingen anschließt. Dort haben sich SPD und Grüne
in dieser Frage auf die Seite unserer Fraktion gestellt und
dem Antrag so zu einer Mehrheit verholfen.
Angesichts der geschilderten konkreten Gefahren für
Leib und Leben der Flüchtlinge aus Afghanistan, der sie
bei einer Abschiebung ausgeliefert wären, lässt sich aktuell weniger denn je die Forderung nach einem humanitär begründeten Abschiebestopp auf einzelne Gruppen
beschränken. Eine Beschränkung des humanitären
Schutzes auf Familien mit Kindern ist angesichts der
durch willkürliche Gewalt und extreme Not geprägten
Lage, die alleinstehende Männer und kinderlose Ehepaare ebenfalls trifft, nicht zu begründen.
Doch unser Antrag ging darüber hinaus und hat auch
in einem weiteren Punkt eher an Bedeutung gewonnen:
den afghanischen Flüchtlingen, die sich nun schon seit
Jahren hier aufhalten, endlich Aufenthaltserlaubnisse zu
erteilen. Es ist nämlich völlig ungewiss, ob und wann sie
nach Afghanistan zurückkehren können. Das Aufenthaltsgesetz selbst sieht vor, dass ein Abschiebungsstopp gemäß § 60 a Abs. 1 AufenthG längstens für Zeiträume von
bis zu sechs Monaten erlassen werden darf. Für darüber
hinausgehende Zeiträume sollen Aufenthaltserlaubnisse
gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt werden. Darüber
hinaus müssen die Mitgliedstaaten der EU nach der sogenannten Qualifikationsrichtlinie eine Aufenthaltserlaubnis gewähren, wenn „eine ernsthafte individuelle
Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines
internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“ vorliegt.
Zumindest die rechtlichen Verpflichtungen gegenüber
den afghanischen Flüchtlingen gilt es endlich uneingeschränkt umzusetzen, statt immer weiter die Truppen in
Afghanistan aufzustocken und den Menschen in Afghanistan das Leben zur Hölle zu machen.
Der vorliegende Antrag umfasst vier Forderungen:
Erstens. Die Bundesregierung soll sich gegenüber den
Bundesländern für eine Aussetzung von Abschiebungen
nach Afghanistan - gemäß § 60 a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - einsetzen.
Zweitens. Der Bundesinnenminister soll gegenüber
den Bundesländern sein Einverständnis zu einer Aufenthaltsgewährung aus humanitären Grünen erklären, dessen es nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz zur Wahrung
der Bundeseinheitlichkeit bedarf.
Drittens. Der Bundesinnenminister soll dafür sorgen,
dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
BAMF, keine Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen von
Personen aus Afghanistan widerruft.
Viertens. Der Bundesinnenminister soll dafür sorgen,
dass Flüchtlinge aus Afghanistan zumindest einen subsidiären Schutz gemäß der EU-Qualifikationsrichtlinie erhalten.
Das Hauptanliegen des Antrages - nämlich die Forderung nach einem Abschiebungsstopp - war zur Einbringung des Antrags richtig und ist es leider immer noch.
Das gilt auch dann, wenn wir hinsichtlich der Frage, inwiefern auch militärisches Engagement in Afghanistan
zur Verbesserung der Situation notwendig ist, andere Einschätzungen haben als die Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion. In einer Zeit, in der uns täglich Meldungen
über die sich verschärfende Sicherheitslage in Afghanistan erreichen, kann es nicht angehen, gleichzeitig Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Ich zitiere aus der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2009:
Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt.
Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch
terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte
bewusst sein.
Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe
ISAF kann es landesweit zu Attentaten kommen.
Die Sicherheitskräfte der Regierung sind nicht in
der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.
In ganz Afghanistan besteht das Risiko, Opfer einer
Entführung zu werden. Auch in der Hauptstadt Kabul
können Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden. Im übrigen Land bestehen teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken.
Eine Unterscheidung zwischen deutschen Reisenden
und afghanischen Flüchtlingen bezüglich der vom Auswärtigen Amt geschilderten Sicherheitslage in Afghanistan
halte ich für makaber.
Umso unverständlicher und verantwortungsloser
finde ich hier die ablehnende Haltung der Abgeordneten
der Großen Koalition zu dem vorliegenden Antrag. Der
geforderte Abschiebestopp ist richtig. Hamburg hatte bereits im vergangenen Jahr den ersten Schritt gemacht und
zumindest für Familien mit Kindern einen Abschiebestopp für mindestens ein Jahr erlassen. Das ist vor allem
deswegen wichtig, weil nach der im Jahr 2005 von der
Innenministerkonferenz beschlossenen gestaffelten Rückführung nach Afghanistan inzwischen auch Familien mit
Kindern an der Reihe sind.
Inzwischen hat der Hamburger Innensenator Christoph
Ahlhaus am 15. Dezember 2008 sogar mitgeteilt, dass afghanischen Staatsangehörigen, die sich seit mehr als
18 Monaten im geduldeten Aufenthalt befinden, Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden. Grundlage für diese Bleiberechtsentscheidung ist die Tatsache, dass eine Ausreise
nach Afghanistan gegenwärtig nicht zumutbar möglich
ist und auch in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird.
Sie sehen also, dass eine humanitäre Lösung für afghanische Flüchtlinge möglich ist, wenn der politische
Wille da ist.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6778, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/5141 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke sowie Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts
- Drucksache 16/11339 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch hier wurden die Reden zu Protokoll gegeben,
und zwar von folgenden Kolleginnen und Kollegen:
Dr. Günter Krings, Dirk Manzewski, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Roland Claus, Jerzy Montag und vom
Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Deutschland ist das Land der Patente. Bei den Anmeldezahlen von europäischen Patenten liegen wir mit etwa
24 000 einsam an der Spitze. Die danach folgenden Franzosen kommen gerade einmal auf ein Drittel der Anmeldungen.
Auch im internationalen Vergleich können sich die
deutschen Patentanmeldungen sehen lassen. Bei der
Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf gingen
2006 fast 17 000 Patentgesuche aus der Bundesrepublik
ein. Nur die USA und Japan können höhere Zugangszahlen ausweisen.
Nichtigkeitsverfahren effektiver ausgestalten: Sosehr
wir uns über diese Zahlen freuen können, bleibt es unsere
Aufgabe als Politiker, ein ebenso erfolgreiches Patentgerichtsverfahren auszugestalten, was der Vorrangstellung
Deutschlands bei den Patentverfahren gerecht wird. Dabei gibt es keine Zweifel über die Qualität der Patentrechtsprechung in Deutschland. Allerdings bekommen
wir es mit einem immer länger dauernden Patentgerichtsverfahren zu tun. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bietet hier gute und richtige Ansatzpunkte für eine
Straffung des prozessualen Verfahrens, ohne dabei zu einer Verschlechterung der Rechtsprechung zu gelangen.
Das Nichtigkeitsverfahren, um dessen Neuordnung es in
diesem Gesetzentwurf geht, wird nämlich heutzutage oftmals aus prozesstaktischen Gründen missbraucht.
Verletzungsverfahren zieht sich in die Länge: Die Beliebtheit der deutschen Patentgerichtsbarkeit auch im
Ausland zeichnet sich insbesondere durch die Schnelligkeit des Patentverletzungsverfahrens aus. In letzter Zeit
vermehren sich allerdings die Anzeichen, dass Verletzungsverfahren bewusst in die Länge gezogen werden.
Das geschieht nicht durch das Verletzungsverfahren
selbst, sondern hängt mit dem Nichtigkeitsverfahren zusammen. Laufen nämlich Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren nebeneinander, kommt es in der Regel zur Aussetzung des Verletzungsverfahrens. Der Patentverletzer
kann diese Situation ausnutzen, um möglichst lange von
seiner Pseudo-Erfindung zu profitieren, zum Schaden für
den Patentinhaber und Erfinder.
Qualifizierter Hinweis: Es ist daher mehr als vernünftig, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Dies erledigt die
Einführung des qualifizierten Hinweises für die Prozessparteien durch das Bundespatentgericht in das Patentgesetz. Die Richter werden damit angehalten, ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage im Verfahren
zu widerlegen. Die Prozessparteien können sich so besser
auf die entscheidungsrelevanten Aspekte des Gerichts
einstellen. Mit dem Hinweis verbunden wird eine Fristsetzung, in der die Beteiligten die Gelegenheit haben, ihren Vortrag anhand der gerichtlichen Anmerkungen
nachzubessern.
Schutz vor überraschendem Vortrag: Damit wird vor
allen Dingen ein Missstand behoben, der bis heute zu den
größten Ärgernissen der Patentverfahren zählt und zur
Verfahrensverlängerung maßgeblich beiträgt. Kurz vor
oder sogar erst in der mündlichen Verhandlung wartet
eine Partei oftmals mit einem neuen Vortrag auf. Die gegnerische Seite hat dann keine Gelegenheit mehr, diesen
Vortrag zu parieren. Dem Gericht bleibt somit nichts anderes übrig, als der Gegenseite eine entsprechende Frist
einzuräumen. Gerade diese Verzögerungstaktik wird mit
dem neu einzuführenden qualifizierten Hinweis beendet.
Orientierung an ZPO: Es ist aber kein Sonderrecht,
das hier geschaffen wird, sondern wir passen die Regeln
des Nichtigkeitsverfahrens an die Grundsätze der Zivilprozessordnung an. Seit 2002 sind die entsprechenden
Änderungen der ZPO in Kraft. Sie haben sich bewährt,
sodass ich sicher bin, dass sie sich auch im Nichtigkeitsverfahren bewähren werden. Wir leisten mit der Anpassung im Patentverfahrensrecht lediglich einen Beitrag
zur Einheit der Prozessrechtsordnung.
Berufung im Nichtigkeitsverfahren: Die Orientierung
an den ZPO-Vorschriften bliebe allerdings unvollständig,
wenn sie sich nicht auch auf das Berufungsverfahren erstrecken würden.
Volle Tatsacheninstanz: Zurzeit ist die Berufung gegen
das Urteil einer Nichtigkeitsklage der ersten Instanz noch
als volle Tatsacheninstanz ausgestaltet. Dies wirkt umso
schwerer, da das Berufungsgericht aufgrund der patentspezifischen Offizialmaxime den Sachverhalt seinerseits
vollständig zu ermitteln hat. Verfahren ziehen sich somit
zwangsläufig in die Länge, obwohl dies nicht sein müsste,
da beim Bundespatentgericht bereits in besonderer Weise
qualifizierte Richter die Tatsachen ermittelt haben.
Unterschied zum Zivilprozess: Allerdings verkenne ich
den Unterschied zu einem normalen zivilprozessrechtlichen Verfahren nicht. Es ist sicherlich nicht leicht, wenn
in der Klagebegründung auf den Stand der Technik abgestellt wird, diesen umfassend zu ermitteln. Diese Besonderheit sollte nicht kleingeredet werden. Gleichwohl
erreichen wir durch die bessere Strukturierung der Tatsachenfeststellung in der ersten Instanz eine erhöhte
Transparenz, die im Ergebnis dazu führt, dass das Berufungsgericht künftig lediglich in Ausnahmefällen eine
Sachverhaltsermittlung durchführen muss.
Nur noch Rechtsmittelinstanz: Es ist daher nur konsequent, die Berufung im Grundsatz als reine Rechtsmittelinstanz auszugestalten. Das erspart den Berufungsrichtern am Bundesgerichtshof im Regelfall die Bestellung
eines Sachverständigen, durch die sich der Prozess
zwangsläufig in die Länge zieht. Die Verfahren können
nun deutlich schneller zum Abschluss gebracht werden.
Halbierung der Verfahrensdauer: Das von der Bundesregierung angestrebte Ziel, eine Halbierung der zurzeit etwa vier Jahre dauernden Berufung am Bundesgerichtshof, halte ich für erstrebenswert und auch durchaus
für realistisch. Und angesichts der konkreten Novellierungsvorschläge wird sich dies auf die Qualität der Entscheidungen auch nicht negativ auswirken. Wir schieben
lediglich dem Missbrauch durch künstlich in die Länge
gezogene Verfahren einen Riegel vor und sorgen so für
eine schnellere Entscheidung der Gerichte bei gleichbleibender Qualität.
Arbeitnehmererfindung: Neben den angestrebten patentprozessualen Änderungen sind die Änderungen zum
Arbeitnehmererfindungsgesetz ein zentraler Bestandteil
dieser Gesetzesnovelle. Die Vorschriften zur Arbeitnehmererfindung bestehen seit mehr als 50 Jahren im Kern
unverändert fort. Der größte Teil der Patentanmeldungen
in Deutschland geht auf das Arbeitnehmererfindungsgesetz zurück. Diese Erfolgsgeschichte hat jedoch einige
Schönheitsfehler.
Vorschriften zu kompliziert: In der Praxis wird bemängelt, dass einzelne Regelungen zu kompliziert sind und
damit auch sehr fehleranfällig. Die BGH-Entscheidung
aus dem Jahr 2006 zu der Frage, wann ein Patent, in diesem Fall waren es Haftetiketten, an den Arbeitnehmer zurückfällt, hat den Reformbedarf offengelegt. Da der
Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber keine förmliche Erfindungsanmeldung im Sinne des § 5 Arbeitnehmererfindungsgesetz hatte zukommen lassen, verlor der Arbeitgeber das Recht an dem Patent wieder, weil er nicht
innerhalb von vier Monaten seine Inanspruchnahmeerklärung abgab, obwohl ihm die einzelnen Umstände
der Patentanmeldung bekannt waren.
Inanspruchnahmefiktion: Die von der Bundesregierung geplante Änderung der Inanspruchnahmeerklärung
in § 6 Arbeitnehmererfindungsgesetz unterstützen wir daher ausdrücklich. Zukünftig soll das vom Arbeitnehmer
eingereichte Patent nach vier Monaten automatisch dem
Arbeitgeber zufallen.
Zweifel des Bundesrats: Der Bundesrat hat hierzu eingewandt, dass der Zeitraum von vier Monaten bei bestimmten Patenten zu kurz sein kann. Aber der Einwand
der Bundesregierung hierzu erscheint letztlich überzeugend. Da die Vorschrift über die Länge der Frist zur Inanspruchnahme dispositives Recht ist, können die Vertragsparteien die Frist jederzeit ändern, was an sich auch
im gegenseitigen Interesse ist. Ob hier allerdings wirklich
eine gesetzliche Regelung notwendig ist, wird noch einmal eingehender im Gesetzgebungsverfahren zu hinterfragen sein.
Zum Schluss bleibt festzuhalten: Deutschland ist nicht
nur das Land der vielen Patente, sondern Deutschland ist
auch das Land der guten Patentgerichtsbarkeit. Jedoch
kann man sich auf den einmal erworbenen Lorbeeren
nicht ausruhen, sondern muss sich immer wieder im europäischen und auch internationalen Wettbewerb beweisen. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir heute eine
wichtige Wegmarke in diese Richtung setzen. Die Verkürzung der Verfahrensdauer beim Bundespatentgericht und
beim Bundesgerichtshof sichern im Ergebnis die Qualität
der Rechtsprechung. Ein absichtliches Hinauszögern
durch Verfahrenstricks wird in Zukunft nicht mehr so einfach möglich sein.
Wir tragen mit der Novellierung der alten juristischen
Erkenntnis Rechnung, dass Gerechtigkeit verweigert
wird, wenn Urteile verzögert werden.
Wir debattieren hier heute über den Gesetzesentwurf
der Bundesregierung zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts. Durch diesen Gesetzesentwurf sollen vor allem Verfahrensabläufe vereinfacht und überflüssige oder überholte Regelungen gestrichen werden.
Das klingt erst einmal gut. Verfahrensabläufe zu vereinfachen und überflüssige Regelungen zu streichen, findet
immer meine Zustimmung. Vorausgesetzt natürlich, sie
machen Sinn. Die Intention dieses Gesetzesentwurfs wird
deshalb von mir auch ausdrücklich begrüßt.
Ich freue mich auch darüber, dass wir hier heute
Abend Gelegenheit haben, den Gesetzesentwurf ausführlich anzudebattieren, denn bei all dem Lob möchte ich Sie
gerne auf drei Punkte des Gesetzesentwurfs aufmerksam
machen, über deren Sinn ich gerne mit Ihnen in den anstehenden Beratungen diskutieren würde.
Das betrifft zum einen die Neuregelung bei den sogenannten Arbeitnehmererfindungen. Anders als bislang,
muss der Arbeitgeber danach nicht mehr ausdrücklich
erklären, dass er die Erfindung seines Arbeitnehmers in
Anspruch nehmen will. Dem Arbeitgeber soll vielmehr
nunmehr das Recht zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmererfindung schon dann zustehen, wenn er binnen einer
Frist von vier Monaten nicht ausdrücklich die Nichtannahme einer ihm gemeldeten Erfindung erklärt. Begründet wird der Vorschlag damit, dass in der Vergangenheit
häufig Frist- oder Formfehler dazu geführt hätten, dass
der Anspruch des Arbeitgebers leer lief und die Erfindung
des Arbeitnehmers für diesen zwar frei, aufgrund seiner
finanziellen Situation aber nicht zu realisieren sei.
Richtig ist, dass die angedachte Neuregelung diese
Probleme beseitigen würde. Ich stelle mir jedoch die
Frage, ob wir hierdurch nicht ein Problem durch das andere ersetzen würden. Denn abgesehen davon, dass ein
Arbeitnehmer, wenn er dann die Rechte hätte, seine Erfindung seinem Arbeitgeber ja noch einmal anbieten
könnte, besteht natürlich ebenso die Gefahr, dass Arbeitgeber aufgrund der automatischen Fiktion zwar die
Zu Protokoll gegebene Reden
Rechte an der Erfindung erhalten, aber gar kein großes
Interesse an deren Verwertung haben und diese dann einerseits nicht nutzen, andererseits hierdurch aber auch
eine Verwertung durch den Arbeitnehmer verhindern. Insofern möchte ich schon die Frage aufwerfen, ob es nicht
doch sinnvoller ist, den Arbeitgeber entscheiden zu lassen, ob die Nutzung einer Erfindung für ihn und seinen
Betrieb sinnvoll ist oder nicht.
Probleme habe ich auch mit der angedachten Abschaffung des § 145 PatG. Nach dieser Vorschrift ist der Inhaber mehrerer Patente verpflichtet, die Verletzung all derjenigen Patente möglichst gleich gemeinsam geltend zu
machen, die durch dieselbe Handlung eines Dritten betroffen sind. Mit dieser Vorschrift soll dem Missbrauch
von wirtschaftlicher Übermacht bei Patentrechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden. Hintergrund hierfür ist die
Befürchtung, dass finanzstarke Rechteinhaber, also insbesondere Konzerne, ansonsten trotz derselben Rechtsverletzung und mitunter sogar in Kenntnis, dass gar keine
Verletzung vorliegt, zunächst das eine und dann die anderen eigenen Patente als verletzt geltend machen, um den
kleinen Konkurrenten in der Ausübung seines Patents zu
hindern bzw. dessen Kostenbelastung so in die Höhe zu
treiben, dass dieser aufgibt oder unvernünftige Vergleiche eingeht.
Natürlich geht § 145 über die sonstigen entsprechenden Regeln des Zivilprozesses hinaus, und gutwillige Patentrechtsinhaber würden gezwungen werden, den Prozessstoff gegebenenfalls unnötig zu erweitern. Insoweit
hat die Bundesregierung unbestritten recht. Wenn aber
zudem darauf hingewiesen wird, dass sich praktisch diese
Missbrauchsgefahr kaum realisiert habe, dann spricht
dies für mich zunächst erst einmal dafür, dass sich die
Vorschrift offenbar bewährt und vor diesem Missbrauch
geschützt hat. Und an bewährte Vorschriften sollte man
nur ganz vorsichtig herangehen. Denn dass die Befürchtungen des damaligen Gesetzgebers nicht so ganz aus der
Luft gegriffen sind, wird man wohl zugestehen müssen,
und hieran hat sich meiner Auffassung nach auch nichts,
aber auch gar nichts geändert. Ich meine, wir sollten
hierüber jedenfalls ausführlich diskutieren.
Zuletzt habe ich noch ein Problem mit den beabsichtigten Änderungen des Patentnichtigkeitsverfahrens.
Derzeit ist die Rechtslage so, dass mit den Bestandsfragen des Patents in erster Gerichtsinstanz das Bundespatentgericht befasst ist. Das macht Sinn, weil dieses
auch über sogenannte technische Richter verfügt. Gegen
Entscheidungen dieses Gerichts ist die Berufung zum
BGH gegeben, der, anders als sonst, in diesen Verfahren
eine zweite Tatsacheninstanz eröffnet. Die Bundesregierung möchte nun auch in diesen Verfahren die Sachaufklärung alleine der ersten Instanz auferlegen und die Arbeit des BGH auf die Rechtskontrolle beschränken.
Natürlich hat die Bundesregierung recht, wenn sie
darlegt, dass die Berufungsverfahren vor dem BGH immer mehr zunehmen und die Verfahrensdauern dementsprechend immer länger werden. Zuzugestehen ist
auch, dass lange Nichtigkeitsverfahren schlecht für die
Nutzung des geistigen Eigentums und damit für die Wirtschaft sind. Nur das Patentnichtigkeitsverfahren kann
man nicht einfach mit anderen Zivilverfahren gleichsetzen. Es ist mit ganz anderen Schwierigkeiten verbunden,
zumal man, wenn man sich zum Beispiel auf den Stand der
Technik beruft, auf das gesamte bisher bekannte Fachwissen zurückgreifen muss. Die Bundesregierung gesteht
deshalb auch selbst ein, dass dieses praktisch nie lückenlos überschaubar und abschließend recherchierbar sei,
zumal es oft auch auf die Bewertung einzelner Elemente
der erfindungsgemäßen Lehre durch das Gericht ankomme, inwieweit weitere tatsächliche Umstände oder
weiterer druckschriftlicher Stand der Technik für das Verfahren von Bedeutung sind, auf die sich der Kläger in der
ersten Instanz nicht bezogen hat.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wenn es denn
der Sache dient, sollten wir den entsprechenden Vorschlag der Bundesregierung so umsetzen. Ich meine jedoch, dass dies hier nicht ganz unproblematisch ist und
zumindest eine Diskussion hier im Bundestag erforderlich macht.
Innovationen und Erfindungen sind für die volkswirtschaftliche Entwicklung unseres an Rohstoffen armen
Landes und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands von zentraler Bedeutung. Der rechtliche
Rahmen für einen ausreichenden und effektiven Schutz
von Erfindungen spielt deshalb eine zentrale Rolle, und
die FDP unterstützt jede Maßnahme, die zu einer Verbesserung dieser Rahmenbedingungen beiträgt.
Die FDP spricht sich seit Jahren in allen Politikfeldern für einfache und schlanke Regelungen aus. Die Vereinfachung und Beschleunigung der gerichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit dem Patentrecht sowie die
Modernisierung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes
weisen daher in die richtige Richtung. Das Arbeitnehmererfindungsgesetz ist von besonderer Bedeutung, denn
der überwiegende Teil der in Deutschland angemeldeten
und erteilten Patente geht auf sogenannte Diensterfindungen zurück. Das Arbeitnehmererfindungsgesetz hat
sich dabei als Instrument zum Ausgleich der Interessen
von erfinderisch tätigen Arbeitnehmern und ihren Arbeitgebern im Grundsatz bewährt. Seit seinem Inkrafttreten
im Jahr 1957 ist es jedoch unverändert, und seit Jahren
ist immer wieder Kritik an den zum Teil komplizierten Regelungen und den langwierigen Verfahren des Arbeitnehmererfinderrechts geübt worden.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die ein
aufwendiges System zur Prüfung und Betreuung von
Diensterfindungen in der Regel nicht unterhalten können,
werden hier oftmals vor erhebliche Probleme gestellt.
Wenn das Arbeitnehmererfindungsgesetz nun vereinfacht
werden soll, dann ist das zu begrüßen. Richtig erscheint
dabei, bei dieser Gelegenheit die umstrittene „Haftetikett-Entscheidung“ des Bundesgerichtshofs zu korrigieren und die Inanspruchnahme von Diensterfindungen
durch eine gesetzliche Fiktion erheblich zu erleichtern.
Die Ersetzung der Schriftform durch die Textform im Arbeitnehmererfindungsgesetz kann in der Praxis unmittelbare Erleichterungen sowohl für den Arbeitgeber als auch
für den Arbeitnehmer bedeuten, weil dadurch die heute
Zu Protokoll gegebene Reden
üblichen modernen Kommunikationsmittel ({0})
nutzbar werden.
Der Regierungsentwurf sieht dagegen keinerlei Änderungen bei den Bestimmungen über die Vergütung der Arbeitnehmererfindungen vor. Das ist fragwürdig. Ob nicht
auch bei diesem komplizierten und mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbundenen Regelsystem Vereinfachungen möglich sind, muss im weiteren parlamentarischen Verfahren deshalb noch einmal sorgfältig geprüft
werden. Das gilt vor allem für die sehr aufwendigen Berechnungsanforderungen, die möglicherweise durch ein
System gestaffelter Pauschalzahlungen ersetzt werden
können. Der Bürokratieaufwand bei der Anwendung des
Arbeitnehmererfindungsgesetzes muss in allen Bereichen
so weit wie möglich reduziert werden. Wenn wir dieses
Ziel umfassend erreichen, dient dies nicht nur den Unternehmen, sondern zugleich auch den Arbeitnehmern, die
von einem nachvollziehbaren und kostengünstigen Verfahren ebenfalls profitieren.
Schließlich müssen wir prüfen, ob die Mehrbelastung
des Bundespatentgerichts, die durch die geplanten Neuregelungen im Patentrecht möglicherweise entsteht, ohne
eine Verlängerung der Verfahrensdauer bewältigt werden
kann. Falls dies nicht der Fall ist, muss dieses Gesetz
flankierend von einer angemessenen Personalausstattung des Bundespatentgerichts begleitet werden.
Auch wenn das Gesetz im Prinzip in die richtige Richtung geht, sind doch noch viele wichtige Fragen offen.
Der Teufel steckt bei einem solchen Gesetz, das vor allem
verfahrensrechtliche Fragen regelt, immer im Detail. Ob
die Vorschläge der Bundesregierung in jeder Hinsicht
den Bedürfnissen der Praxis gerecht werden, müssen wir
in den kommenden Beratungen deshalb diskutieren.
Meine Fraktion wird sich konstruktiv daran beteiligen,
damit das Patentrecht noch in dieser Legislaturperiode
tatsächlich modernisiert werden kann.
Diese Debatte darf allerdings nicht den Blick darauf
verstellen, dass im Patentrecht vor allem auf europäischer Ebene wichtige Aufgaben nach wie vor nicht gelöst
sind. Das gilt insbesondere für die Schaffung sachgerechter Rahmenbedingungen für ein Gemeinschaftspatent.
Die FDP erwartet, dass die Bundesregierung sich in den
verbleibenden Monaten dieser Legislaturperiode auch in
Europa engagiert.
Mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung
und Modernisierung des Patentrechts erledigt die Bundesregierung wichtige Hausaufgaben, und sie hat dafür unsere Zustimmung. Die Neufassung der Vorschriften über
das Nichtigkeitsberufungsverfahren kann in der Tat helfen, den mittlerweile ins Beängstigende angewachsenen
Berg an unerledigten Verfahren abzuschmelzen. Von den
Vereinfachungen auf dem Gebiet der Arbeitnehmererfindungen können in der Tat wichtige Impulse für die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgehen, sich ideenreich und erfinderisch an der Entwicklung
neuer Produkte und der Modernisierung von Produktionsverfahren zu beteiligen. Und es ist gut, dass weitere
Schritte zur Harmonisierung von nationalem und Gemeinschaftsrecht gegangen worden sind. So kann der Bundestag mit diesem Gesetz das Seinige tun, um der neuen Präsidentin des Deutschen Patent- und Markenamtes, Frau
Cornelia Rudloff-Schäffer, der ich namens meiner Fraktion Die Linke herzlich zur Amtseinführung gratuliere,
den Amtsantritt zu erleichtern.
Noch viel mehr aber wäre getan, wenn diesem Vereinfachungs- und Modernisierungsgesetz nun noch eines zur
entschiedenen Stärkung der personellen und materiellen
Ausstattung des Patent- und Markenamtes folgte. Die Bundesregierung kann an der Tatsache, dass im Amt insgesamt
um die 230 Stellen fehlen, nicht länger vorbeigehen. Die im
parlamentarischen Verfahren 2008 zusätzlich gewährten
Stellen, die insbesondere auf die Initiativen der Berichterstatter für den Einzelplan 07 zurückgehen, haben die
Stellensituation nur sehr, sehr bescheiden verbessert: Die
Zahl der Dauerstellen ist um ganze 0,9 Prozent angewachsen. Das reicht natürlich nicht aus.
Um es in aller Klarheit zu sagen: Ein zu gering ausgestattetes Patentamt ist kein Problem der Verwaltung, es
ist ein Problem der wissenschaftlichen, technologischen
und wirtschaftlichen Entwicklung. Und zwar vor allem
eines der Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen. So oft auch immer von der Regierung das
Versprechen abgegeben wird, man wolle sich vor allem
um diese Unternehmen kümmern: Es nützt dieses Versprechen wenig, wenn es nicht mit der Bereitschaft zur
raschesten Bearbeitung von Patentanmeldungen verbunden ist. Wo die Bearbeitungszeit für ein angemeldetes Patent einige Jahre beträgt, hat ein kleines Unternehmen
keine Chance. Es will vom Erfindergeist seiner hoch spezialisierten kleinen Belegschaft leben, baut ganz darauf,
seine Innovationen schnell und gewinnträchtig zu vermarkten - und kann es nicht, weil es so lange auf die
Patenterteilung warten muss, dass in der Zwischenzeit
anderswo schon ganz andere Lösungen geboren worden
sind. Auf diese Weise werden gerade jene Ansätze, die tatsächlich ins wissenschaftlich-technische Neuland führen
und damit wirklich Zukunft verheißen, frühzeitig zunichte
gemacht.
Wir diskutieren das Gesetz zur Vereinfachung und
Modernisierung des Patentrechts in einer Zeit, die sich
immer eindringlicher als Krisenzeit erweist. Da muss
auch der Ruf nach einem Umsteuern immer lauter
werden. Die Finanzmittel, die nötig wären, um die Geschwindigkeit der Patenterteilung der Geschwindigkeit
der wissenschaftlich-technischen Neuerungen anzupassen, sind sehr, sehr viel geringer als die, die gegenwärtig
zur Rettung der Banken ausgegeben werden. Im Gegensatz zum Bankenrettungsgeld aber verspricht Geld, das in
die Beschleunigung der Patenterteilung gesteckt wird,
nachhaltig positive Resultate. Für eine bessere Finanzausstattung wäre im Grunde keine gesetzliche Änderung
notwendig. Sie könnte im Rahmen der jährlichen Haushaltsberatungen realisiert werden. Da der Etat des Justizministeriums für eine erhebliche Aufstockung aber
nicht die erforderlichen Spielräume enthält, schlägt
meine Fraktion regelmäßig vor, die nötigen Mittel aus
dem Wirtschaftsministerium bereitzustellen. Aus Ressortegoismus wird dies dann ebenso regelmäßig abgelehnt.
Deshalb wäre dann doch eine gesetzliche Klarstellung
Zu Protokoll gegebene Reden
geboten, wonach die finanzielle Unterstützung des Patentund Markenamtes in München und Jena durch das Bundeswirtschaftsministerium erfolgen kann, die Zuordnung
des Amtes zum Justizressort jedoch nicht infrage gestellt
wird. Die Fraktion Die Linke wird daher das Thema der
besseren Finanz- und Personalausstattung des Patentund Markenamtes auch künftig nicht aus den Augen verlieren.
Eine Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts kann niemand schlecht finden. Aber es ist schon
notwendig, genau zu prüfen, was sich hinter den Vorschlägen der Bundesregierung verbirgt. Um es vorweg zu
sagen: nach unserer Auffassung viel Gutes. Es gibt im gerichtlichen Verfahren der Patenterteilung einen Bedarf
an Entbürokratisierung und Vereinfachung. Gerichtliche
Verfahren mit bis zu vier Jahren Dauer sind eindeutig zu
lang. Zu komplizierte Vorschriften hemmen die Anmeldung und Durchsetzung von Patenten und führen zu unnötigem Aufwand. Deshalb begrüßen wir Grünen den
vorgelegten Gesetzentwurf, der in vielen Punkten eine
Vereinfachung und Modernisierung der geltenden Vorschriften zum Ziel hat.
Nun zu den Punkten, die noch einer vertieften Überprüfung bedürfen. Das Bundespatentgericht soll die einzige Tatsacheninstanz werden; das verwirrenderweise
„Berufung“ genannte Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof wird auf die Verletzung von Bundesrecht beschränkt
und somit zu einer Revision. Das Verfahren folgt den Reformen im Zivilprozessrecht, deren Auswirkungen immer
noch strittig diskutiert und nicht ausreichend evaluiert
sind. Wir werden zu beraten haben, ob wir mit einer Beschneidung der Rechtsmittel wirklich richtig liegen. Wir
sind uns doch einig, dass grundsätzlich die Verkürzung
von gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten problematisch ist.
Dafür sollen dem Bundespatentgericht erweiterte Hinweispflichten auferlegt werden, verbunden mit einer
möglichen Fristsetzung zur Stellungnahme an die Parteien. Deren Einführung soll einer besseren und strafferen Prozessführung dienen. So weit, so gut. Aber was bedeutet dies für die konkrete Arbeit der Richterinnen und
Richter am Bundespatentgericht? Wie viel Mehraufwand
ist damit tatsächlich verbunden? Können die Richterinnen und Richter diesen Mehraufwand ohne neue Stellen
bewältigen, oder wird dies wieder zu längeren Verfahrensdauern führen? Wir hätten dann mit Zitronen gehandelt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
§ 83 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs erscheint uns bis jetzt
verunglückt und unnötig. Wenn weder nach Auffassung
des Gerichts noch nach dem Vorbringen der Parteien ein
bestimmter Umstand für die Entscheidung bedeutungslos
und auch zur Konzentration der Verhandlung nicht vonnöten ist, dann wird das Gericht darauf - selbstverständlich - nicht hinweisen. Dafür bedarf es keiner gesetzlichen Regelung. So aber können sich an der Frage der
geforderten Offensichtlichkeit neue Unsicherheiten und
Auseinandersetzungen entzünden. Wir meinen, dass § 83
Abs. 1 Satz 2 wieder gestrichen werden sollte.
Ein weiteres Problem ist die vorgesehene Präklusion.
Die Verfahrensökonomie spricht dafür, das Grundrecht
des rechtlichen Gehörs dagegen. Eine Zurückweisung
der durch die Prozessparteien vorgebrachten Argumente
darf nur sehr restriktiv und im verfassungsrechtlichen
Rahmen der Art. 3 und 103 GG erfolgen. Wir müssen sicherstellen, dass die Hinweise an die Parteien nicht mit
zu kurzen Fristen verbunden und nur unter strikter Beachtung der Auswirkungen einer Präklusion für die Parteien erfolgen dürfen.
Die Bestrebungen, mit dem Gesetzentwurf das Arbeitnehmererfinderrecht zu vereinfachen und den Verwaltungsaufwand dabei zu verringern, begrüßen wir nachdrücklich. Die derzeitige Rechtslage, nach der bei der
Meldung einer Arbeitnehmererfindung an den Arbeitgeber das Schriftformerfordernis besteht, ist praxisuntauglich. Zwar ist eine schriftlich niedergelegte Fixierung der
Anmeldung für die Rechtssicherheit zweifelsohne erforderlich. Dabei ist jedoch die Textform völlig ausreichend
und bietet bei einer großen administrativen Erleichterung
den notwendigen Schutz. Reagiert der Arbeitgeber vier
Monate auf die ihm eingereichte Erfindung nicht, wird
jetzt zugunsten des Arbeitnehmers von einer Inanspruchnahme der Arbeitnehmererfindung durch den Arbeitgeber ausgegangen. Das ist eine sehr vernünftige und von
uns begrüßte Neuerung.
Erfindungen sind das Lebenselixier dynamischer Wissensgesellschaften. Ein Industrieland, das - wie Deutschland - nur über wenig materielle Rohstoffe verfügt,
braucht zur Sicherung seines Wohlstands viele und originelle technische Ideen, die zügig in marktfähige Produkte umgesetzt werden. Doch das reicht nicht aus: Damit dieser in deutschen Büros und Laboren erarbeitete
Wissensvorsprung auch tatsächlich der deutschen Wirtschaft zugutekommt, damit technische Erfindungen vor
Nachahmung und Fälschung geschützt werden, bedarf es
eines funktionierenden Patentsystems. Dazu gehört aber
ein Gerichtswesen, das Patentinhabern und ihren Wettbewerbern zügig, kostengünstig und mit hoher Qualität zu
ihrem Recht verhilft. Die deutsche Patentjustiz ist in Europa führend; mehr als die Hälfte aller Patentprozesse
mit grenzüberschreitendem Bezug werden vor den deutschen Gerichten abgewickelt.
Die Bundesregierung lässt sich durch diese Erfolgsbilanz jedoch nicht dazu verleiten, sich auf erworbenen
Lorbeeren auszuruhen. Vielmehr gilt: Treten Fehlentwicklungen im Patentsystem auf, müssen sie abgestellt
werden. Erweisen sich Regelungen in der Patentpraxis
als ineffektiv, müssen sie verbessert werden. Dauern Verfahren zu lange, müssen sie gestrafft werden. Diesen Zielen dient der Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, der Ihnen heute zur ersten
Lesung vorliegt. Ich greife nur zwei Kernelemente heraus:
Erstens die Verkürzung der Patentprozesse. Die sogenannten Nichtigkeitsverfahren sollen gestrafft werden. In
diesen Verfahren überprüfen die Gerichte, ob ein Patent
zu Recht erteilt wurde oder für nichtig erklärt werden
muss. Zu diesem Zweck haben wir mit dem Bundespatentgericht ein hoch spezialisiertes Bundesgericht, das diese
Zu Protokoll gegebene Reden
Fragen unter Beteiligung technischer Richter in der ersten Instanz entscheidet. Hier wollen wir die Streitentscheidung möglichst konzentrieren und insgesamt beschleunigen. Die Senate sollen die Parteien frühzeitig
und mit Fristsetzung auf entscheidungserhebliche Fragen
aufmerksam machen.
In der zweiten Instanz in Nichtigkeitssachen muss in
Zukunft nicht mehr der gesamte Streitstoff erneut verhandelt werden. Der Bundesgerichtshof wird sich im Berufungsverfahren vielmehr darauf konzentrieren können,
die Entscheidungen des Bundespatentgerichts auf Fehler
zu überprüfen. Damit streben wir an, die Verfahrensdauer
von teilweise über vier Jahren zu halbieren.
Zweitens. Wir vereinfachen die Verwertung von sogenannten Arbeitnehmererfindungen, also von Erfindungen, die von Beschäftigten im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse gemacht werden. Arbeitnehmererfindungen
stellen den Großteil, schätzungsweise bis zu 80 Prozent,
aller Erfindungen dar. Wir wollen das bewährte System
des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmererfinders
nicht antasten, aber im Interesse aller Beteiligten das
Verfahren vereinfachen. Dazu soll es künftig eine Inanspruchnahmefiktion geben: Arbeitnehmererfindungen
gelten nach vier Monaten als vom Arbeitgeber in Anspruch genommen, wenn er sie nicht vorher freigibt. Das
dient beiden Seiten, da das Unternehmen in der Regel
bessere Möglichkeiten hat, die Erfindung zu verwerten.
Die komplizierten Formalien des Arbeitnehmererfindungsgesetzes haben in der Praxis immer wieder zu Problemen bei der Zuordnung und Nutzung des Patents zu
Arbeitgeber und Angestellten geführt, insbesondere
dann, wenn der Beschäftigte aus dem Unternehmen ausgeschieden war.
Ein wirksamer Rechtsschutz für technische Erfindungen ist Grundlage dafür, das Innovationspotenzial unserer Wirtschaft voll auszuschöpfen. Mit der Ihnen vorliegenden Novelle wollen wir nur einige wenige, dafür aber
wichtige Stellschrauben des deutschen Patentsystems den
Bedürfnissen der Praxis anpassen. Der Patent- und Patentgerichtsstandort Deutschland wird damit weiter gestärkt.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/11339 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck ({0}), Rainder Steenblock,
Volker Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stärkung des Hohen Repräsentanten der EU
in Bosnien-Herzegowina
- Drucksache 16/11074 Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben: Dorothee Bär, Detlef Dzembritzki,
Dr. Rainer Stinner, Monika Knoche und Marieluise Beck.
Nach langer Zeit des Leidens hat das ehemalige
Jugoslawien endlich wieder eine Perspektive. Erst vor
wenigen Wochen konnte ich mir bei meiner Reise in das
Kosovo selbst einen Eindruck von der gegenwärtigen
Situation machen. Wir alle wünschen uns, dass die Nachfolgestaaten Jugoslawiens langfristig stabil werden.
Die Präsenz des Hohen Repräsentanten in Bosnien und
Herzegowina war ursprünglich dafür vorgesehen, diesen
Prozess positiv zu beeinflussen und zu beschleunigen.
Sehen wir uns jedoch den Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom November letzten Jahres an,
lassen die Erfolge des Hohen Repräsentanten zu wünschen übrig. Bei der Verfassungsreform sind keine Fortschritte zu sehen. Die geschaffenen Institutionen arbeiten
langsam und nicht effektiv, die Arbeitslosigkeit ist immer
noch sehr hoch. Auch die organisierte Kriminalität ist
weiterhin besorgniserregend. Im Kampf gegen Korruption, Drogenhandel und Geldwäsche konnten 2008 keine
nennenswerten Ergebnisse vorgewiesen werden. So kann
es nicht weitergehen.
Frau Künast, Sie schaden Bosnien und Herzegowina
mit Ihrem Antrag mehr, als dass Sie helfen. Eine kleine
Anmerkung zu Ihrem Antrag: Der Titel Ihres Antrags ist
falsch. Es gibt keinen „Hohen Repräsentanten der EU“ in
Bosnien und Herzegowina. Der Hohe Repräsentant und
der EU-Sonderbeauftragte sind derzeit vereint in einer
Person. Ein „Hoher Repräsentant der EU“ existiert in
Bosnien und Herzegowina allerdings nicht. Wir müssen
nicht die Position des Hohen Repräsentanten stärken,
sondern die der Strukturen Bosniens und Herzegowinas.
Die Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft
vor Ort und die umfassenden Bonner Befugnisse haben
den landeseigenen Politikern die Luft abgeschnürt. Der
Hohe Repräsentant kann nicht nur demokratisch gewählte
Minister, Richter und Bürgermeister entlassen, sondern
auch neue Behörden schaffen und Gesetze erlassen. Das
Resultat: Diese Vollmachten des Hohen Repräsentanten
werden von den Politikern Bosniens und Herzegowinas
als Grund für die eigene Untätigkeit vorgeschoben. Die sogenannten „Bonn Powers“ sind keine beschleunigende
Kraft im Stabilisierungsprozess Bosniens und Herzegowinas sondern eine politische Bremse. Demokratie per Dekret kann und darf nicht funktionieren. Wir müssen daher
Bosniens und Herzegowinas Eigenverantwortlichkeit unterstützen und die Reformbereitschaft der landeseigenen
Politiker verstärkt fördern.
Der Gebrauch der Bonner Befugnisse hat in der Vergangenheit viel zur Stabilisierung Bosniens und Herzegowinas beigetragen; das steht außer Frage. Die ursprüngliche Hauptaufgabe des Hohen Repräsentanten war,
erneute Kampfhandlungen zu verhindern. Dies ist ihm
mithilfe der internationalen Präsenz vor Ort im vollen
Umfang gelungen. Heute haben die „Bonn Powers“ aber
angesichts des wachsenden Selbstbewusstseins der
Akteure Bosniens und Herzegowinas und der geänderten
außenpolitischen Rahmenbedingungen immer weniger
Bedeutung. Sobald die Internationale Gemeinschaft
keine Einigkeit zeigt - und dies ist, wie wir alle wissen,
leider sehr oft der Fall - sind die Bonner Befugnisse
wirkungslos. Präzedenzfälle zeigen, dass die Bonner Befugnisse nur dann Wirkung haben, wenn der Friedensimplementierungsrat über ihre Anwendung einig ist. Im
Oktober 2007 musste Miroslav Lacjcak bereits angekündigte Eingriffe auf Grundlage der Bonner Befugnisse
abmildern, da sich die bosnischen Serben der russischen
Unterstützung im Friedensimplementierungsrat sicher
sein konnten und die internationale Gemeinschaft zu
Sanktionen nicht bereit war. Auch das Debakel um die
Polizeireform ist uns allen noch in guter Erinnerung.
Wir fordern deshalb, dass das Büro des Hohen Repräsentanten geschlossen wird und der Hohe Repräsentant
durch einen neuen EU-Sonderbeauftragten ersetzt wird.
Wir fordern darüber hinaus, dass die Bonner Befugnisse
abgeschafft werden. Nur so können wir die Effizienz der
internationalen Präsenz in Bosnien und Herzegowina
fördern. Die Abschaffung der Bonner Befugnisse soll
aber nicht heißen, dass der neue EU-Sonderbeauftragte
keinerlei Kompetenzen vor Ort hat. Er muss in der Lage
sein, auf krisenhafte Entwicklungen reagieren zu können,
zur Not auch mit belastenden Maßnahmen, wie zum Beispiel Sanktionen. Denn eines ist klar: Internationale
Unterstützung ist für Bosnien und Herzegowina weiterhin
von großer Bedeutung. Der Frieden dort ist noch nicht
vollständig selbsttragend.
Vor allem aber ist es wichtig, dass der neue EU-Sonderbeauftragte die Eigenständigkeit Bosniens und Herzegowinas respektiert und unterstützt. 80 Prozent der
Bevölkerung sprechen sich für einen Beitritt Bosniens
und Herzegowinas in die EU aus: Das Land will Teil der
Europäischen Gemeinschaft sein. Diese Motivation dürfen wir nicht ungenutzt im Sande verlaufen lassen.
Die Institution des Hohen Repräsentanten und der
Bonner Befugnisse haben nicht zum gewünschten Erfolg
geführt. Ich appelliere daher an Sie: Wir dürfen nicht
weiter zusehen, wie Bosnien und Herzegowina unter der
Hand des Hohen Repräsentanten entgleitet. Wir müssen
jetzt handeln für ein Bosnien und Herzegowina mit Perspektive, für ein Europa mit Zukunft.
Die von der EU-Kommission Ende vergangenen Jahres vorgelegten Fortschrittsberichte für die Beitrittskandidaten zeigen, dass es für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens noch viel zu tun gibt auf dem Weg in die
Europäische Union. Obwohl sowohl die einzelnen Staaten als auch die verschiedenen Handlungsfelder differenziert betrachtet werden müssen, ist doch festzustellen,
dass das Reformtempo in der Region insgesamt leider
deutlich hinter den Anforderungen hinterherhinkt. Dies
betrifft insbesondere auch Bosnien-Herzegowina, für das
nur begrenzte Fortschritte in Bezug auf die politischen
Kriterien der Europäischen Partnerschaft festzustellen
sind.
Natürlich muss man auch hier einen differenzierten
Blick auf die Entwicklungen werfen. Es wäre falsch, wenn
man in diesem Zusammenhang nicht auch die positiven
Entwicklungen erwähnt, die das Land in einigen Bereichen ja auch gemacht hat. So entsprach die Durchführung der Kommunalwahlen im Oktober 2008 internationalen Standards, und bei der Reform der öffentlichen
Verwaltung und des Justizsektors hat es deutliche Fortschritte gegeben. Die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens, SAA, im Juni 2008
ist ja auch die Folge der guten Ergebnisse in den von der
EU festgelegten Schlüsselbereichen - zum Beispiel der
Polizeireform und der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof - gewesen.
Doch trotz der genannten Fortschritte gibt es gerade
in Bosnien-Herzegowina Entwicklungen, die Anlass zu
der Sorge geben, dass das Ziel der vollständigen europäischen Eingliederung nicht so schnell erreicht werden
kann, wie es wünschenswert ist. Kern des Problems ist
- und das benennt auch der Fortschrittsbericht sehr deutlich - der fehlende Konsens bei entscheidenden Punkten
des Staatsaufbaus. Die nationalistischen Kräfte der Entitäten, die sich in gegenseitigem Misstrauen und mit teilweise hetzerischer Sprache gegenüberstehen, das Verharren in immer wiederkehrenden, rückwärtsgewandten
Streitigkeiten über das Dayton-Abkommen - das alles
sind Dinge, die in Bosnien-Herzegowina dazu führen,
dass der Fortschrittsbericht eine Verlangsamung der Reformen feststellt, ja dass man sogar fürchten muss, dass
bisherige Fortschritte gefährdet sind.
Solange sich muslimische, kroatische und serbische
Politiker weiter unversöhnlich gegenüberstehen, solange
die partikularen Interessen der ethnischen Gruppen und
Parteien im Vordergrund stehen und zum Beispiel die entscheidende Frage bei der Besetzung von Posten nicht die
fachliche Kompetenz, sondern die ethnische Zugehörigkeit ist, so lange werden die Fortschritte des Landes gering bleiben und sich nur auf einzelne Bereiche beschränken. Bei allem wirklich guten Willen und allem Einsatz,
den die europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft einbringen, um Bosnien-Herzegowina bei seiner Entwicklung zu helfen und das Land auf dem Weg in
die Europäische Union zu unterstützen: Hier stoßen wir
an die Grenzen dessen, was von außerhalb geleistet werden kann.
Echte Fortschritte - eine wirkliche Entwicklung zum
Beispiel beim Funktionieren der demokratischen Institutionen - wird es nur geben, wenn die handelnden bosnisch-herzegowinischen Politiker endlich bereit sind,
mehr Eigenverantwortung für ihr gesamtes Land zu
übernehmen. Dazu gehört vor allem die Verfassungsreform als Basis für eine weitere positive Entwicklung.
Wenn wir - und das sollten wir tun - mehr eigenverantwortliches Handeln von den Politikern in Bosnien-Herzegowina einfordern, dann müssen wir uns auch fragen, wie
wir diese Eigenständigkeit begünstigen und fördern wollen und an welchen Stellen die bisherigen Instrumente
möglicherweise angepasst werden müssen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die bosnisch-herzegowinische Politik allzu oft hinter der internationalen Präsenz
versteckt hat. Der Hohe Repräsentant und die Bonner Befugnisse haben dann als Feigenblatt für die eigene Untätigkeit gedient. Es ist in unserem Interesse, dass ein solZu Protokoll gegebene Reden
ches Wegducken vor der Verantwortung in Zukunft nicht
mehr möglich ist.
In der Vergangenheit waren der Hohe Repräsentant
und die Bonner Befugnisse sicherlich notwendige Instrumente, die ja auch zur Stabilisierung Bosnien-Herzegowinas beigetragen haben. Doch es ist zweifelhaft, ob die
Mittel in der aktuellen Konstellation, in der nun mehr Eigenverantwortung und auch mehr Engagement für den
Weg des Landes in die Europäische Union gefordert sind,
noch das richtige Signal an die bosnisch-herzegowinische Politik sind. Hinzu kommt, dass die exekutiven Sonderbefugnisse des Hohen Repräsentanten durch geänderte außenpolitische Rahmenbedingung bereits an
Bedeutung verloren haben. Die „Bonn Powers“ - das hat
sich gezeigt - können nur dann ihre Wirkung entfalten,
wenn die Mitglieder im Friedensimplementierungsrat in
der Frage ihrer Anwendung einig sind. Dies ist - das hat
die jüngere Vergangenheit gezeigt - in vielen Fragen, gerade was die Rolle Russlands betrifft, nicht mehr Fall.
Der politische Wert der Bonner Befugnisse ist deshalb
deutlich schwächer geworden, und es besteht die Gefahr,
dass sie durch andere außenpolitische Faktoren ihre
Wirksamkeit ganz verlieren.
Der institutionelle Ausdruck der besonderen Unterstützung, die Bosnien-Herzegowina bei seiner Entwicklung durch die Europäische Union erhält, sollte daher der
EU-Sondergesandte sein. Er kann das Signal in Richtung
eines stärkeren Engagements und einer verantwortungsvolleren Wahrnehmung der bosnisch-herzegowinischen
Eigenverantwortung sein. Daher sollte der EU-Sondergesandte, ausgestattet mit besonderen Kompetenzen - die es
ihm ermöglichen, notfalls auch mit belastenden Maßnahmen auf eine Verschlechterung der Situation in BosnienHerzegowina zu reagieren -, den Hohen Repräsentanten
ersetzen. Im Rahmen der politischen Möglichkeiten der
EU kann der Sondergesandte so die Effizienz der internationalen Präsenz fördern und gleichzeitig den Schwerpunkt auf den Reformweg in Richtung der europäischen
Eingliederung setzen.
80 Prozent der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina,
so zeigen es uns die Umfragen, unterstützen die EU-Perspektive ihres Landes. Dies ist eine Gemeinsamkeit, die
als Grundlage für die Entwicklung eines gesamtstaatlichen Selbstbewusstseins aller Bürger Bosnien-Herzegowinas genutzt werden kann. Sie kann aber auch der Hebel
sein, um bei den politischen Kräften in Bosnien-Herzegowina die Reformbereitschaft und einen verantwortungsvolleren Politikstil zu fördern.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag der
Grünen ab. Er beschreibt zwar sehr richtig die Probleme
des Landes, fehlendes gesamtstaatliches Bewusstsein,
fehlende Verfassungsreform, mangelnde Eigenverantwortung und weiterhin Festhalten am ethnischen Denken; das ist ja alles richtig. Die Verfassung muss geändert
werden. Sie genügt weder den Kriterien effizienter Staatsführung noch den Anforderungen für eine weitere Annäherung an die Europäische Union. Weite Kreise in Bosnien-Herzegowina sind entweder nicht willens oder nicht
in der Lage, aus ihrem ethnisch geprägten Dunstkreis hinauszutreten und gesamtstaatlich zu denken und zu handeln. Aber die Frage ist doch: Wie kann man das ändern?
Die Grünen und - wie ich ja leider weiß - auch die Koalitionsfraktionen hängen immer noch der Illusion an,
man könne diese Probleme von außen lösen, man könne
sie lösen durch eine stärkere Rolle des Hohen Repräsentanten und durch die Anwendung der Bonn Powers, der
quasidiktatorischen Vollmachten. Diese Ansicht halte
ich, halten wir Liberale für komplett falsch. Ich schätze
die Initiatorin des Antrags, die Kollegin Beck, sehr; wir
arbeiten in der Parlamentariergruppe Bosnien-Herzegowina ja auch hervorragend zusammen. Aber hier muss
ich Ihnen vorwerfen: Sie verharren in falschem Angstdenken. Sie tun genau das, was Sie bosnisch-herzegowinischen Vertretern vorwerfen, und zwar völlig zu Recht. Die
Lösung der Probleme Bosnien-Herzegowinas lässt sich
nicht bei der internationalen Gemeinschaft suchen. Mehr
als zehn Jahre nach dem Krieg, nach Dayton, muss die
Gesellschaft die Kraft finden, eigene konstruktive Schritte
zu gehen. Die internationale Gemeinschaft kann helfen,
aber sie kann nicht mehr bestimmen.
Seien wir doch realistisch: Die Gefahr eines heißen
Krieges in Bosnien-Herzegowina besteht nicht. Dazu fehlen alle Voraussetzungen, innen- wie außenpolitisch. Eine
solche Kriegsgefahr wäre aber das einzige, was die Beibehaltung der Bonn Powers inhaltlich noch rechtfertigen
könnte. Ich sehe im Übrigen auch die Abspaltungsrethorik des Ministerpräsidenten der Republika Srpska, Dodik,
nicht als grundsätzliche Gefahr für die Einheit BosnienHerzegowinas. Faktisch kann Dodik kein Interesse an einer echten Spaltung des Landes haben. Er lebt doch davon, dass er sich gegenüber den anderen Parteien als Retter und Verteidiger der Republika Srpska gerieren kann.
Der Hohe Repräsentant hat in Bosnien-Herzegowina
faktisch jedes Ansehen verloren. Ich will das gar nicht der
Person des Amtsinhabers vorwerfen; nach mehr als einem Jahrzehnt ist eine solche Entwicklung unausweichlich. Ein solches Amt nutzt sich zwangsläufig ab. Gerade
das Herumgeeiere der EU in der Frage der Polizeireform
hat diese Entwicklung noch beschleunigt. In früheren
Jahren war das Amt notwendig, da waren auch die Bonn
Powers notwendig. Heute ist die Ausübung der Vollmachten völlig undenkbar. Was würde denn passieren, wenn
etwa der Hohe Repräsentant Dodik absetzen würde, einen mit großer Mehrheit demokratisch gewählten Politiker? Es ist undenkbar. Es geht einfach nicht mehr. Es fehlt
jegliche moralische Autorität der internationalen Gemeinschaft für einen solchen Schritt. Er würde von der
Bevölkerung in keiner Weise mehr akzeptiert werden.
Wenn man das weiß, dann sollte man nicht an der Fiktion
solcher Kompetenzen festhalten. Das schadet nur der eigenen Glaubwürdigkeit.
Die Zeit der Bonn Powers ist allerspätestens mit dem
Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens der EU mit Bosnien-Herzegowina zu Ende gegangen. Dieses Ende ist nicht zu bedauern, im Gegenteil. Es
bietet die Chance, den Politikern des Landes nun ernsthaft die Eigenverantwortung nicht nur zuzutrauen, sonZu Protokoll gegebene Reden
dern auch zuzumuten - ohne Ausreden, ohne Rückversicherung. Anders ist Demokratie nicht zu schaffen.
Vor einigen Tagen sah ich einen Fernsehbericht über
Sarajevo, den Ort, der einmal wegen der Ausrichtung der
Winterolympiade weltweit bekannt wurde. Heute schneidet ein Teil die „serbischen“ von den „muslimischen“
Skihängen ab. So tief ist die ethnische Trennung 14 Jahre
nach Dayton noch präsent in einem Protektoratsstaat der
EU, der doch eigentlich ein Paradeexemplar für die gelungene europäische Idee der Multiethnizität sein sollte.
Der Vielvölkerstaat Jugoslawien wurde mit tatkräftiger Unterstützung Deutschlands entlang ethnischen Linien aufgeteilt. Es entstanden unbedeutende Kleinstaaten, die allesamt in großer Abhängigkeit zur EU stehen.
Was als Selbstbestimmungsrecht von nationalistisch-sezessionistischen Kräften im ehemaligen Jugoslawien eingefordert wurde, ist in der Praxis des 21. Jahrhunderts zu
einem ausgrenzenden Nationalismus geraten.
Nur in Bosnien-Herzegowina wird nachhaltig an einem Staatsgebilde festgehalten, das als Idee in Kosovo
selbst unter Bruch des Völkerrechts durch Separation in
allerjüngster Zeit nicht mehr aufrechterhalten wurde, obgleich Serbien die territoriale Integrität des Kosovo zu
Recht als Bestandteil ihrer Staatlichkeit betont. Doppelte
Standards also sind hier zu konstatieren. Die bosnischen
Serben sollte nicht zu Serbien und die bosnischen Kroaten nicht zu Kroatien, weil die EU einerseits ein maximal
schwaches Serbien wollte, andererseits keinen „muslimischen“ Staat mitten in Europa dulden wollte. Grüne und
SPD haben dieses Zwangsgebilde dann als angeblich erstrebenswerte Multiethnizität verkauft.
Die Forderung der Grünen-Fraktion heute im Bundestag nach Stärkung des Hohen Kommissars in BosnienHerzegowina nun ist schwerlich als konform mit dem
Dayton-Abkommen zu bezeichnen. Denn der Staat Bosnien, der durch das Kriegergebnis stark föderalisiert
wurde, soll, wenn ich die Intention ihres Antrages richtig
verstehe, reunitarisiert werden. Das alles, um eine EUBeitrittsreife zu erlangen. Mit der Stärkung des Hohen
Repräsentanten würden aber die den Serben eingeräumten Autonomierechte - siehe Dayton-Abkommen - nachträglich rückgängig gemacht werden. Es ist fraglich, ob
sich mit derartigen Politikvorschlägen die ursächlichen
Fragen des nicht gelungenen Staatsgebildes lösen lassen.
Weiter ist zu bedenken, dass Bosnien nicht wegen
Dayton dysfunktional ist, sondern wohl eher, weil sowohl
kroatische als auch serbische Kräfte kein wirkliches Interesse daran haben, in einem gemeinsamen Staat mit Bosniaken zu leben. Der westliche Umgang mit dem jugoslawischen Gesamtstaat und mit Serbien gibt den bosnischen Serben und Kroaten auch hinreichend Grund für
eine solche Argumentation und Haltung, beachtet man
die jüngste Abtrennung des Kosovo aus Serbien.
Hilfreicher ist es da, an einem regionalen Integrationskonzept zu arbeiten, das auf die „harten“ Grenzen verzichtet, denn man sollte beachten, dass die Grenzen
zwischen Bosnien und Kroatien bzw. Serbien auf ökonomischem, kulturellem und familiärem Gebiet kaum vorhanden sind. Sicherheitsgarantien seitens der Regionalmächte Kroatien und Serbien für den Bestand eines
„Rumpfstaates“ Bosnien wären ein notwendiges Element
im Rahmen eines regionalen Integrationskonzeptes. Ein
regionales Integrationskonzept mit „weichen“ Grenzen
widerspricht nicht einer EU-Integration.
Diskutieren wir auf der Grundlage des Völkerrechts,
ob das Selbstbestimmungsrecht für bosnische Kroaten
und Serben so weit reicht, dass sie über einen Verbleib im
Staat Bosnien entscheiden können. Wichtig wäre in jedem
Fall, bezüglich all seiner Ausformungen, die der zerfallene Staat Jugoslawien nach sich gezogen hat, einheitliche Standards und Maßstäbe anzuwenden. Das tun die
Grünen in diesem Antrag nicht. Wir lehnen ihn ab.
Dreizehn Jahre nach Abschluss des Vertrags von
Dayton hat sich zweierlei erwiesen: Der Krieg zwischen
Serben, Kroaten und Bosniern konnte zum Ersten mit
dauerhaftem Erfolg beendet werden. Das ist nicht wenig,
denkt man an die Hunderttausende Opfer und fürchterlichen Verbrechen, die der nationalistische Wahnsinn
zwischen 1992 und 1995 bewirkt und verursacht hat.
Doch die Abwesenheit von Krieg und Gewalt kann nicht
einziges Ziel verantwortlichen Handelns sein - weder der
politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina selbst noch in
der internationalen Gemeinschaft, die in Dayton die Verantwortung für das Land übernommen hat. Das Ziel war
nicht weniger als die Heranführung an die Europäische
Union und zugleich das Angebot an die Verantwortlichen
in den vereinbarten sogenannten „Entitäten“.
Zum Zweiten siecht der in Dayton als Zugeständnis an
die Nationalisten vereinbarte staatliche Kompromiss auf
halbem Weg zur staatlichen Souveränität dahin. Von
gesamtstaatlicher Verantwortung ist in Bosnien-Herzegowina nach wie vor nicht viel zu sehen, nicht zu reden
von Reformen, die einen Beitritt zur Europäischen Union
ermöglichen würden. Dafür sehe ich drei Gründe:
Das ist einmal die Problematik der Konstruktion von
Dayton, die nationalistische Interessen zulasten eines
multiethnischen Zusammenlebens bediente und bis heute
bedient, dazu noch ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Rollen als Aggressor oder Opfer. Das
Dilemma besteht darin, dass jeweils eine Seite per Veto
Entwicklungen verhindern kann, die der anderen Seite
zugutekommen. Dies gilt insbesondere für Entscheidungen der Republika Srpska zulasten der bosnisch-kroatischen Entität.
Dann die Folgen dieser Weichenstellung, nämlich die
bis heute vorherrschende oder zumindest als Bremse wirkende Rolle nationalistischer Parteien, die eifersüchtig
über ihren Einfluss wachen. Schließlich das offenbar trotz
aller anderslautenden Beteuerungen erlahmte Interesse
der internationalen Gemeinschaft, namentlich der Europäischen Union, an der Entwicklung in Bosnien-Herzegowina.
Zu Protokoll gegebene Reden
Marieluise Beck ({0})
Natürlich ist es frustrierend, mit anzusehen, wie jeder
Versuch gesamtstaatlicher Zuständigkeit, jedes Bemühen
um eine Verschlankung der Bürokratie und Verwaltung,
jeder Schritt hin zu einem Bewusstsein für den Gesamtstaat ungeachtet der jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit
von den Politikern der Regierungsparteien torpediert
wird. Und natürlich ist es richtig, die Übernahme von
Eigenverantwortung durch die Handelnden im Land
selbst zu fordern.
Die ständig wiederkehrende Debatte über eine Auflösung des OHR und damit die Aufhebung der Bonn Powers
und insgesamt der Verantwortung der UN für das
Dilemma in Bosnien-Herzegowina sind kontraproduktiv
für die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina. Nicht nur
werden die Mitarbeiter des OHR und dieser selbst demotiviert, sondern auch die nationalistischen Politiker im
Land reiben sich die Hände, wird ihnen doch freies Feld
angeboten. Seit Jahren werden die durchaus vorhandenen
kommunalen Initiativen für eine Politik jenseits ethnischer Privilegien durch die Ebenen der Entitäten und des
handlungsunfähigen Gesamtstaats behindert. Diese gilt es
zu stärken, und auch dazu ist die Institution des OHR da.
Um es klar zu sagen: Die UN, der Sicherheitsrat, in
dem nicht zuletzt zwei EU-Mitgliedstaaten mit Vetorecht
sitzen, sind verantwortlich für die Umsetzung ihrer
Beschlüsse und Bedingungen. Das bedeutet: Bevor die
Bedingungen von Dayton nicht erfüllt sind, geschweige
denn ihre Notwendigkeit überwunden ist, müssen die UN
diese Verantwortung auch wahrnehmen.
Zu den Hintergründen der stagnierenden Entwicklung
in Bosnien-Herzegowina gehört - wie auch in anderen
Staaten des westlichen Balkans - die andauernde Behinderung der praktizierten Reisefreiheit. Wer nicht erlebt
hat, was es bedeutet, aus welchen Gründen auch immer
sein kleines Heimatland nicht verlassen zu können, wird
es schwer haben, zu ermessen, welche Tragweite die
Beschränkung auf die Situation in diesen Ländern hat.
Sogar wir erleben doch, wie sich hiesige Debatten immer
wieder um sich selbst drehen, wie begrenzt der tägliche
Horizont ist. So ist es natürlich auch in Bosnien-Herzegowina. Die Menschen wollen, sie müssen diesen Horizont erweitern, besonders junge Menschen.
Zwar sind die Visagebühren immerhin auf 35 Euro gesenkt worden, auch gibt es ganze Gruppen von Menschen,
die von Gebühren ganz befreit sind. Doch auch 35 Euro
sind in Bosnien-Herzegowina eine Menge Geld, besonders für junge Leute. Und jenseits dessen gibt es weitere
Behinderungen: Die notwendigen Antragsgespräche zum
Beispiel werden häufig von externen Vermittlern übernommen. Die Realität hat daraus einen profitablen
Zwischenhandel mit der begehrten Ware der Befürwortung gemacht. Auch die Bearbeitungsdauer ist oft länger
als vorgesehen, was zu verpassten Reisen führt. Alles in
allem ist die Situation unbefriedigend, frustrierend,
demütigend.
Zu befürchten ist zu alledem, dass Bosnien-Herzegowina auf dem Weg in Richtung EU den Anschluss an seine
Nachbarn verliert. Kroatien ist schon kurz vor dem Beitritt,
die neue serbische Regierung wird immer wieder hofiert,
um sie ihren Gegnern gegenüber zu stärken. Es droht
schließlich die perverse Situation, dass die Opfer von
Srebrenica ein zweites Mal bestraft werden. Das zu
verhindern, muss unser Anliegen sein. Deshalb ist es
notwendig, jede Möglichkeit zu suchen, die Gesellschaft
Bosnien-Herzegowinas endlich zu einer modernen, weltoffenen, multikulturellen Gesellschaft zu machen - etwas,
was in Sarajewo bis 1992 schon zu besichtigen war.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11074. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist damit gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen
aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Michael Leutert, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Sri
Lanka
- zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Volker Beck ({1}), Undine Kurth
({2}), Monika Lazar und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Asylsuchende aus Sri Lanka besser schützen
- Drucksachen 16/4203, 16/4427, 16/9111 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Kammer
Hartfrid Wolff ({3})
Josef Philip Winkler
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Hans-Werner Kammer,
Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und Josef
Philip Winkler.
Diese Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken sind im Innenausschuss so etwas wie eine unendliche Geschichte geworden. Immer wieder wurde der
Punkt vertagt, obwohl aus meiner Sicht schon viel eher
über die Anträge hätte entschieden werden können. Dies
sage ich auch an die Adresse unseres Koalitionspartners.
Denn: Über einen Abschiebestopp entscheiden die Länder und nicht der Bund im Alleingang. Die Bundesregierung hat sich auf der Innenministerkonferenz vergeblich
für eine differenzierte Lösung, nämlichen einen partiellen
Abschiebestopp für Tamilen aus dem Norden und dem Osten eingesetzt. Es ist uns jedoch gelungen, eine Einstellung der rund 250 Widerrufsverfahren zu erreichen. Gegen einen Abschiebestopp spricht außerdem, dass
europaweit und auch aus Indien Tamilen nach Sri Lanka
zurückkehren. Darüber hinaus wäre ein genereller AbHans-Werner Kammer
schiebestopp aus meiner Sicht auch kontraproduktiv und
löst die Probleme nicht. Dies habe ich ja bereits in diesem
Hohen Hause ausgeführt.
Das Waffenstillstandsabkommen zwischen der LTTE
und der Regierung wurde am 2. Januar 2008 von der Regierung aufgekündigt; seitdem konnten fast alle von der
LTTE kontrollierten Gebiete durch Regierungstruppen
wieder zurückerobert werden. Damit hat sich die Lage
militärisch sehr zugunsten der Regierung geändert. Mit
einer Einnahme der letzten von den Rebellen gehaltenen
Orte ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Es ist noch
völlig offen, ob es der Regierung gelingt, die Lage zu stabilisieren.
Wir können aber davon ausgehen, dass die LTTE aus
dem Untergrund heraus einen Guerillakrieg führen wird.
Damit wird die LTTE noch gefährlicher. Sie ist bereits ein
trauriger Rekordhalter des Todes: Die LTTE führt mit
rund 250 ihr zugeschriebenen Anschlägen die Statistik
der weltweit verübten Selbstmordattentate an. Bis zu
40 Prozent aller Selbstmordattentäter sind übrigens
Frauen, ein weiterer trauriger Rekord. Zahlreiche unschuldige Zivilisten sind bei den feigen Anschlägen zu
Tode gekommen. Nach Aussagen der LTTE wollen sie mit
den Anschlägen Großoffensiven der Regierungstruppen
abwehren. Somit ist sie schon auf dem Weg in den Untergrund.
Ferner hat die LTTE in den letzten Jahren vor sogenannten ethnischen Säuberungen in den von ihr kontrollierten Gebieten nicht haltgemacht. Auch tamilische Mitbürger, die die LTTE nicht unterstützen, werden immer
wieder Opfer von Repressalien seitens der separatistischen Rebellen.
Außerdem geht die LTTE weiterhin ihren kriminellen
Tätigkeiten im Ausland nach, indem sie von Landsleuten
unter anderem hier in Deutschland Gelder erpresst, um
damit ihre Anschläge in Sri Lanka zu finanzieren. Der
Mittelbedarf dürfte sich auf dem Weg zur Guerillatruppe
noch weiter verstärken. Wir laufen bei Verzicht auf die
Einzelfallprüfung Gefahr, dass die LTTE auch in
Deutschland weiterhin ihren kriminellen Machenschaften nachgeht. Wer von den tamilischen Landsleuten in
Deutschland nicht zahlt, der muss damit rechnen, dass
die selbsternannte Befreiungsarmee LTTE bei seinen Angehörigen in Sri Lanka Gewalt anwendet. Dies ist auch
im Verfassungsschutzbericht nachzulesen. Deshalb ist für
mich der Wunsch nach einem totalen Abschiebestopp
nicht nachvollziehbar. Ich wünschte, die Kolleginnen und
Kollegen der Linken hätten nicht nur das Kapitel über die
eigene Partei im Verfassungsschutzbericht gelesen; dann
wäre ihnen dies vielleicht auch klar geworden.
Die LTTE ist keine Organisation, die sich lediglich für
die Rechte der tamilischen Bevölkerung einsetzt. Nein, sie
ist eine separatistische Terrororganisation, die von der
EU auch als solche gestuft wurde. Als solche wird sie
auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Terror, Mord,
Erpressung, Fälschung, Geldwäsche gehören ebenso zum
Repertoire wie die erwähnte Erpressung von Schutzgeldern.
Ebenfalls traurig ist die Gewaltbilanz der Regierung.
Auf die singhalesisch geführte Regierung muss internationaler Druck ausgeübt werden, dass diese in den eroberten Gebieten die Wahrung der Menschenrechte sicherstellt. Dazu gehört ein Ende der Vertreibungen in den
besetzten Gebieten ebenso wie ein Ende der Repressalien
gegen regierungskritische Stimmen. Ich unterstütze die
Forderung des Kollegen Klimke, der unlängst die Regierung aufgefordert hat, wieder den Verhandlungsweg zu
beschreiten. Es muss stärkeren internationalen Druck auf
die Konfliktparteien in Sri Lanka geben, ihre Auseinandersetzungen auf dem Verhandlungswege zu lösen. Die
LTTE hat ja bereits vor einigen Tagen eine erste Bereitschaft zu Friedensgesprächen erkennen lassen.
Ferner sehe ich auch uns in der Pflicht, stärker die
Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. So führt
das niederländische Hilfswerk Open Doors Sri Lanka auf
Rang 30 seines Index, der die Verfolgung der Christen
nachzeichnet. Es steht hinter Nationen wie China Rang 12 -, Kuba - 24 - oder Libyen - 26 -, aber noch vor
Ländern wie Algerien - 31 -, der Türkei - 35 - oder
Syrien - 45. Auch damit muss Schluss sein. Beide Konfliktparteien müssen erkennen, dass sie mit Gewalt die
humanitäre Unterstützung der internationalen Organisationen und der Staatengemeinschaft erschweren und somit ihrer eigenen Bevölkerung sowohl auf singhalesischer Seite als auch auf tamilischer Seite schaden.
Gerade nach der Tsunami-Katastrophe halte ich dies für
einen wichtigen Aspekt.
Unter dem Bürgerkrieg leidet natürlich auch das
Image Sri Lankas als Urlaubsland. Dieser Aspekt sollte
der Regierung nochmals deutlich gemacht werden. Eine
Änderung unserer bisherigen Flüchtlingspolitik löst die
Probleme nicht, sondern wir laufen Gefahr, gewissen
Kräften, die weiter an der Spirale der Gewalt drehen, hier
einen Entfaltungsraum zu bieten. Wir sollten vielmehr auf
internationalen Druck setzen.
Darüber hinaus wird besonders gefährdeten Personen
durchaus subsidiärer Schutz gewährt. Im vergangenen
Jahr hat sich die Zahl der Asylanträge sri-lankischer
Staatsangehöriger lediglich auf durchschnittlich sieben
pro Monat erhöht. Damit liegt die Zahl der Anträge noch
relativ niedrig und erlaubt auch weiterhin eine Einzelfallprüfung.
Differenziert zu betrachtende Probleme erfordern differenzierte Lösungen. Deshalb folgen wir als CDU/CSUFraktion der Beschlussempfehlung des Ausschusses und
lehnen die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken ab.
Wir alle wissen, die Lage in Sri Lanka ist besorgniserregend. Im Januar 2008 hat die Regierung das Waffenstillstandsabkommen mit der LTTE, das seit 2002 bestanden hatte, aufgekündigt. Seitdem hat sich der Bürgerkrieg
in seiner Intensität verstärkt und auch solche Teile des
Landes erfasst, die bislang nicht erfasst waren. Die Menschen sind verstärkt von terroristischen Anschlägen bedroht, auch in Landesteilen, die bislang als unproblematisch galten. Vor diesem Hintergrund teile ich einige
Zu Protokoll gegebene Reden
Anliegen, die in den heute diskutierten Anträgen vorgebracht werden. Gleichwohl sehe ich keine Notwendigkeit,
sie, wie in den Anträgen formuliert, an die Bundesregierung heranzutragen.
In der Sache berechtigt, doch überholt ist das Anliegen
der Fraktion Die Linke, wonach der Bundesminister des
Innern aufgefordert werden soll, dafür zu sorgen, dass
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF,
keine Widerrufe von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen gegenüber Personen aus Sri Lanka ausspricht. Eine
Einstellung der Widerrufspraxis war dringend geboten.
Deshalb hat sich auch die SPD-Bundestagsfraktion hierfür eingesetzt. Mit Erfolg: Das BAMF führt aktuell keine
Widerrufsverfahren mehr gegenüber Flüchtlingen und
Asylberechtigten aus Sri Lanka durch. Ich bedanke mich
ausdrücklich insbesondere bei Staatssekretär Peter
Altmaier dafür, dass er in dieser Weise tätig geworden ist.
In der Sache ebenso berechtigt, doch gleichfalls überholt ist ein weiteres Anliegen, das sich in beiden Anträgen
findet. Die Bundesregierung solle sich gegenüber den
Bundesländern für einen sofortigen Abschiebungstopp
für Asylsuchende aus Sri Lanka einsetzen. Das aber hat
die SPD-Bundestagsfraktion gegenüber dem Bundesminister des Innern bereits angeregt. Dieser hat sich seinerseits gegenüber den Ländern zumindest für einen teilweisen Abschiebestopp eingesetzt. Er sollte für Tamilen aus
dem Norden und Osten der Insel gelten. Die IMK hat sich
gegen einen Abschiebestopp ausgesprochen. So bedauerlich das ist, müssen wir es doch hinnehmen.
Sie sehen, die Bundesregierung hat alles in ihrer
Macht Stehende getan, um den Anträgen in ihren wesentlichen Punkten zu entsprechen. Der in den Anträgen enthaltenen Aufforderung bedarf es daher nicht.
Lassen Sie mich abschließend auf das Anliegen der
Fraktion Die Linke eingehen, wonach der Bundesminister des Innern aufgefordert werden soll, sein Einverständnis gegenüber den Bundesländern zu erklären, Flüchtlinge aus Sri Lanka nach § 23 Abs. 1 AufenthG
aufzunehmen. Das heißt, es sollen Flüchtlinge aus dem
Ausland aufgenommen werden. Der Bundesminister des
Innern hat im vergangenen Jahr erhebliche Anstrengungen unternommen, dem § 23 Abs. 1 AufenthG zu praktischer Bedeutung zu verhelfen. Sie verdienen unseren Respekt. Sie wurden aber nicht im Zusammenhang mit Sri
Lanka, sondern mit irakischen Flüchtlingen unternommen. Diese Initiative hat die SPD-Fraktion von Beginn an
unterstützt. Doch haben wir uns stets dafür eingesetzt,
§ 23 AufenthG im Sinne des vom Flüchtlingshilfswerk der
Vereinten Nationen, UNHCR, vertretenen ResettlementKonzeptes anzuwenden. Es wendet sich an Flüchtlinge,
die bereits in einem Erstaufnahmestaat sind, dort aber
langfristig keine Perspektive haben und deshalb in einem
aufnahmebereiten Drittstaat aufgenommen werden.
Deshalb habe ich Bedenken, das, was wir in Bezug auf
irakische Flüchtlinge gefordert haben, unbesehen auf die
Lage in Sri Lanka zu übertragen. Durch den Krieg im Irak
sind fast 2 Millionen Menschen in die umliegenden Staaten Syrien, Jordanien und den Libanon geflohen, wo sie
chancen- und perspektivlos gestrandet sind. Die Probleme in Sri Lanka liegen jedoch eher im Bereich der Binnenflüchtlinge. Nach Angaben von Amnesty International
gibt es allein in der Region Wanni derzeit etwa 300 000
Binnenflüchtlinge. Sie haben nicht nur ihre Heimat verloren, sondern leiden auch Not durch mangelndes Trinkwasser, mangelnde Ernährung und mangelnde Gesundheitsversorgung. Ihre Versorgungslage wird noch
dadurch verschlechtert, dass die Regierung den Zugang
für internationale Hilfsorganisationen massiv erschwert.
Hier scheinen mir entwicklungs- und außenpolitische Initiativen mit Blick auf die Binnenflüchtlinge geeigneter.
Ich schlage daher vor, die Anträge abzulehnen.
Ein genereller Abschiebestopp, wie ihn Grüne und
Linkspartei fordern, birgt grundsätzlich immer auch Risiken. Vor allem kann eine so totale Unterschutzstellung von
Menschen aus Sri Lanka dazu führen, dass terroristische
Aktivitäten dann aus Deutschland unterstützt werden
könnten. Insofern ist immer auch Vorsicht geboten, und
dieser Aspekt ist auch nicht zu vernachlässigen. Gerade
vor dem Hintergrund der Verantwortung für andere Fälle
muss die Notwendigkeit eines Abschiebestopps genau
geprüft werden. Der generelle Abschiebestopp ist ein politisches Instrument im Falle einer akuten Entwicklung,
die rasches Handeln erfordert. Dieses Instrument darf
nicht inflationär verwendet werden.
Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist unzweifelhaft eine langfristige Entwicklung. Allerdings hat sich zuletzt akut dort
die Lage so verschärft, dass die zuständigen deutschen Stellen ihren Umgang mit der Situation überdenken müssen.
Die Menschenrechtslage in Sri Lanka hat sich verschlechtert. 1983 entbrannte ein Bürgerkrieg im Inselstaat Sri
Lanka. Die demokratisch gewählte Regierung stand in
einem bewaffneten Kampf gegen die tamilische Separatistenorganisation „Befreiungstiger von Tamil Eelam“, LTTE,
die im Norden und Osten des Landes einen unabhängigen
Staat der Tamilen anstrebte. Im Februar 2002 wurde ein
Waffenstillstandsabkommen zwischen Regierung und LTTE
unterzeichnet. Die Friedensverhandlungen, von Norwegen
vermittelt, sind allerdings seit 2003 wieder ausgesetzt.
Nach der Wahl von Präsident Rajapakse im November
2005 kam es erstmalig im Februar 2006 wieder zu direkten Gesprächen zwischen der Regierung und der LTTE.
Danach kam es zu zunehmenden Verletzungen des
Waffenstillstands mit wochenlangen Kämpfen an verschiedenen Orten im Osten und Norden des Landes, die
nach Regierungsangaben mehr als 3 000 Tote gefordert
haben. Die Regierung und die wichtigste Oppositionspartei „Vereinigte Nationalpartei“, UNP, haben im
Oktober 2006 eine Zusammenarbeit vereinbart, vor
allem auch, um eine Lösung des jahrzehntelangen ethnischen Konflikts zu erreichen. Da die LTTE als terroristische Organisation auch außerhalb des Tamilengebietes
gegen ihre Gegner vorgeht, ist die Menschenrechtslage in
Sri Lanka schwierig. Auch seitens der Regierung von Sri
Lanka ist wohl angesichts der Bürgerkriegssituation
nicht zu erwarten, dass die Menschenrechtslage kurzfristig gebessert werden kann, wenn kein Waffenstillstand
erreicht wird.
Der UNHCR hat seine Stellungnahme überarbeitet und
ist nunmehr auf der Grundlage langwieriger Recherchen
Zu Protokoll gegebene Reden
Hartfrid Wolff ({0})
zu der Einschätzung gelangt, dass sich die Sicherheitslage in Sri Lanka verschlechtert hat. Auch Pro Asyl teilt
diese Bewertung. Es ist deshalb unterstützenswert, auf
das Bundesamt für Migration einzuwirken, Widerrufe von
Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen auszusetzen, es sei
denn, dass die Betreffenden von hier aus Unterstützungsmaßnahmen für terroristische Ziele organisieren. Es ist
darüber hinaus notwendig, Flüchtlinge aus Sri Lanka
nicht im Flughafenverfahren abzuweisen und ihre Asylantragsstellung nicht als „offensichtlich unbegründet“
abzuweisen.
Wir sind der Auffassung, dass die Menschenrechtslage
in Sri Lanka weiterhin der kritischen Aufmerksamkeit bedarf. Deshalb unterstützen wir das Anliegen der Linkspartei, dass sich die Menschenrechtslage in Sri Lanka in
den Lageberichten des Auswärtigen Amtes unverstellt
widerspiegeln muss. Daraus müssen sich entsprechende
Konsequenzen bei der Anerkennungspolitik der zuständigen Stellen ergeben. Die FDP stellt sich deshalb trotz
mancher kritischer Erwägungen auf die Seite von Grünen
und Linkspartei für eine humanitär orientierte Hilfe für
die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sri Lanka.
Wir beraten heute abschließend über einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Sri Lanka und unsere Forderung, Asylsuchende aus Sri Lanka einreisen zu lassen und
nicht im Flughafentransit festzuhalten.
Wie Sie alle wissen, hat sich die Situation in dem Inselstaat in den letzten Jahren kaum verbessert. Im Gegenteil
müssen wir mit einer weiteren Verschlechterung rechnen;
denn der Generalstab der Armee Sri Lankas hat erklärt,
er kontrolliere nun wieder weitgehend den Norden der Insel. Die Infrastruktur der Tamil Tigers ist schwer beschädigt, ihr Hauptquartier wahrscheinlich zerstört. Doch
damit sind die Tamil Tigers keineswegs geschlagen; vielmehr ist nun ein unberechenbarer Kampf aus dem Untergrund zu befürchten, der ebenso unberechenbare Vergeltungsaktionen des Militärs nach sich ziehen wird. Bereits
jetzt sind staatlich gedungene Killerbanden unterwegs,
die nicht nur Mitglieder der Tamil Tigers ermorden, sondern alle Vertreter der tamilischen Interessen. Erst gestern gab es mehrere Tote durch Bombenangriffe der Armee und durch ein Attentat der Tamil Tigers.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe weist in einem Bericht von Ende 2008 auf das Schicksal der Binnenflüchtlinge und -vertriebenen hin. Seit der erneuten Zuspitzung
des Konflikts nach 2002 sind viele Menschen gleich
mehrfach geflohen, zunächst aus dem Osten in den Norden, dann wieder zurück. Insgesamt sind eine halbe Million Menschen vertrieben worden, einige gleich mehrfach:
Der Tsunami an Weihnachten 2004 hat zu einer massenhaften Flucht geführt, die Fortführung der Kriegshandlungen
Anfang 2007 genauso, der Zyklon Nisha und das Hochwasser Ende 2008 lösten weitere Fluchtbewegungen aus.
Das Hochwasser vor wenigen Wochen hat 370 000
Menschen zur Flucht gezwungen. Die Regierung in Colombo behindert die humanitäre Hilfe: Hilfsorganisationen haben keinen Zugang, lediglich Nahrungsmittellieferungen sind zugelassen worden. Inzwischen haben sich
auch die Hilfswerke der UN zurückgezogen, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Die Kenntnisse über die Situation
vor Ort werden immer lückenhafter, weil von außen niemand mehr in die am meisten betroffenen Gebiete kommt,
Journalisten und Mitglieder von Hilfsorganisationen
müssen mit gezielten Mordanschlägen rechnen.
Die Flüchtlinge aus Sri Lanka werden also in ein Land
abgeschoben, in dem sie nicht nur Angst vor dem Terror
der Tamil Tigers, der Staatsgewalt und verschiedener von
ihr geduldeter paramilitärischer Gruppen haben müssen.
Sie werden in ein politisch, wirtschaftlich und sozial zerrüttetes Land geschickt, in dem ohne entsprechende Beziehungen ein wirtschaftliches Überleben kaum möglich
ist, in dem es keine angemessene medizinische Versorgung für Traumatisierte gibt, in dem in vielen Regionen
das Recht des Stärkeren herrscht. Dies gilt insbesondere
im Osten Sri Lankas, wo neben Singhalesen und Tamilen
die Muslime eine weitere große Bevölkerungsgruppe stellen. Die häufig auftretenden Konflikte um Landbesitz sind
stark ethnisiert, Muslime werden aus der Verwaltung und
den politischen Prozessen komplett ausgegrenzt.
Menschenrechtsgruppen haben damit zu rechnen, Repressionen bis hin zu Mordanschlägen ausgesetzt zu sein.
Besonders schlimm sind die Zwangsrekrutierungen auch
von Kindern und Jugendlichen durch die Tamil Tigers
und andere paramilitärische Gruppen. Diese drohen
selbstverständlich auch jenen Kindern und Jugendlichen,
die aus Deutschland nach Sri Lanka abgeschoben werden.
Auch wenn die Regierung und die Koalition versuchen, ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen:
Die Situation in Sri Lanka ist und bleibt aus humanitärer
Sicht untragbar. Ich appelliere daher an Sie alle: Stimmen
Sie unserem Antrag zu und stellen Sie so sicher, dass die
Bundesrepublik ihren humanitären Verpflichtungen
nachkommt!
Die bisherigen Beratungen - vor allem im Innenausschuss - über das Anliegen der vorliegenden Anträge
sind ein menschenrechtliches Armutszeugnis.
Worum geht es? Wir fordern in unserem Antrag einen
Abschiebungsstopp insbesondere für Tamilen nach Sri
Lanka. Hintergrund ist die dramatische Sicherheits- und
Menschenrechtslage dort. Außenminister Steinmeier hat
sich erst gestern noch besorgt über die humanitäre Lage
im Nordosten Sri Lankas geäußert. Wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen der Armee und den tamilischen Rebellen seien mehr als 300 000 Menschen von jeder internationalen Hilfe abgeschnitten. Frank-Walter Steinmeier
rief die Konfliktparteien zu einer politischen Lösung und
zu einer Waffenruhe auf. Die Armee hatte in den vergangenen Wochen weite Teile der bislang von Rebellen gehaltenen Gebiete eingenommen. Internationale Hilfsorganisationen wurden angewiesen, die Kampfzone zu
verlassen.
Das bundesdeutsche Aufenthaltsgesetz sieht für Situationen dieser Art die Möglichkeit der Aussetzung der AbZu Protokoll gegebene Reden
schiebung vor. Davon hatten auch einige Bundesländer
für sechs Monate Gebrauch gemacht. Nun benötigte man
für eine Verlängerung die Zustimmung des Bundesinnenministeriums. Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom Februar 2008 kommt zu den Ergebnissen,
dass Tamilen im Generalverdacht stehen, die LTTE zu unterstützen und mit staatlichen Repressionen rechnen müssen und dass es innerhalb Sri Lankas keine Gebiete mehr
gibt, in denen die beschriebenen Verfolgungshandlungen
nicht ausgeübt werden, auch wenn die Intensität der Bedrohung sich in den einzelnen Landesteilen unterscheidet. Die nach dem Waffenstillstand 2002 bestehende
Möglichkeit, sich im ganzen Land ohne große Einschränkungen zu bewegen und niederzulassen, existiert nicht
mehr. Aufgrund der Sicherheits- und Menschenrechtslage
haben die Schweiz und die Niederlande Abschiebungen
nach Sri Lanka ausgesetzt.
Trotz dieser klaren Lageeinschätzung des Auswärtigen
Amtes, das durch die Angestellten der deutschen Botschaft in Colombo in der Lage ist, sich einen umfassenden
Eindruck von der Situation in Sri Lanka zu machen,
wollte das Bundesinnenministerium dieser eindeutigen
Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht vertrauen.
Denn dies hätte zum Erlass eines generellen Abschiebungsstopps für Tamilen führen müssen. Wenn ein Generalverdacht gegenüber Tamilen attestiert wird und keine
sogenannte inländische Fluchtalternative in Sri Lanka
existiert, dann heißt dies in der Konsequenz, dass ein Abschiebungsstopp erlassen werden muss.
Da ein Abschiebungsstopp aber politisch - auch wenn
es sich nur um wenige Flüchtlinge aus Sri Lanka handelt,
die sich hier in Deutschland befinden - um jeden Preis
vermieden werden soll, war sich das Bundesinnenministerium nicht zu schade, eigene Mitarbeiter nach Colombo
zu einer „Fact-finding-Mission“ zu entsenden. Das Ergebnis war beeindruckend: Wir konnten uns im Innenausschuss lange Ausführungen über Straßensperren und Autofahrten rund um Colombo anhören. Schlussendlich
wurde die Sicherheitslage aber von den Mitarbeitern des
Bundesinnenministeriums ebenfalls als dramatisch eingeschätzt. Trotzdem wollte sich das BMI nicht für den Erlass eines generellen Abschiebungsstopps für Tamilen gegenüber den Bundesländern aussprechen. Grund: Man
befürchtet einen Anstieg von Asylanträgen tamilischer
Asylbewerber in Deutschland. Alle Hinweise darauf, dass
es sowieso nur sehr wenige Menschen aus Sri Lanka
schaffen, Europa bzw. Deutschland zu erreichen, verhallten. Die Abgeordneten der Großen Koalition stimmten
dem dann aus Überzeugung, teils aus Koalitionsräson zu,
und dies bei einer menschenrechtlichen Frage, bei der es
doch eigentlich fraktionsübergreifend Konsens geben
müsste, dass man alles unternehmen muss, um Menschen
nicht durch die Abschiebung nach Colombo Gefahren für
Leib und Leben auszusetzen.
Zwar hat das Bundesinnenministerium den Ländern
mitgeteilt, dass aufgrund der Verschlechterung der Sicherheitslage von einer Rückführung von Tamilen, die
aus dem Norden und Osten Sri Lankas stammen, abgesehen werden soll. Bereits eingeleitete Asylwiderrufsverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
gegenüber Tamilen sollen eingestellt werden; generell
sollen aufgrund der Unabsehbarkeit der Entwicklung in
Sri Lanka auch keine Widerrufsverfahren bei Tamilen neu
eingeleitet werden. Ich bleibe aber auch nach diesen Zugeständnissen des Bundesinnenministeriums der Meinung, dass angesichts der weiterhin dramatischen Lage
der Menschen in Sri Lanka - insbesondere der Tamilen Abschiebungen von Tamilen generell weiterhin unverantwortlich sind. Die vorgeschlagene Einschränkung auf Tamilen, die aus dem Norden oder Osten Sri Lankas stammen, reicht bei dem Rückführungsverbot nicht aus. Wenn
ein Generalverdacht gegenüber allen Tamilen attestiert
wird - siehe Lagebericht des Auswärtigen Amtes -, dann
muss die logische Konsequenz doch die Aussetzung der
Abschiebung aller Tamilen sein.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksacke 16/9111.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/4203 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke sowie bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4427
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul
Schäfer ({0}), Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine NATO-Erweiterung - Sicherheit und
Stabilität mit und nicht gegen Russland
- Drucksache 16/11247 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben: Bernd Siebert, Markus Meckel,
Dr. Rainer Stinner, Paul Schäfer, Kerstin Müller.
Der Antrag der Linken zeichnet ein Bild von der Sicherheitslage in Europa, mit dem eine mögliche Erweiterung
der NATO in einen negativen Bezug zu den Sicherheitsinteressen Russlands gesetzt wird. Diesem Sicherheitsverständnis der Linken muss ich entschieden widersprechen.
Die NATO ist niemandes Feind und bedroht niemanden.
Die NATO ist ein reines Verteidigungsbündnis, dessen
fundamentaler Zweck es ist, den Frieden im euro-atlantischen Raum zu bewahren und für die Sicherheit seiner
Mitglieder zu sorgen. Die seit 1990/91 durchgeführte
Aufnahme von neuen Mitgliedern - allesamt ehemalige
Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts oder wie im Fall
der baltischen Staaten ehemalige Sowjetrepubliken - hat
dem übergreifenden Ziel der NATO gedient, den Frieden
in Europa zu stärken, die Sicherheit der NATO insgesamt
zu festigen und den Stabilitätsraum der NATO auf die
neuen Mitglieder auszudehnen. Die Attraktivität des Bündnisses ist ungebrochen. Die bisherigen Erweiterungen sind
daher als historischer Erfolg in Bezug auf die Erhöhung
der Stabilität in Europa, auf die Friedensbewahrung und
Kooperation mit ehemaligen gegnerischen Staaten zu
werten.
Die Vision eines geeinten Europa in Freiheit und Frieden - dies ist die Vision der NATO und dies ist die Triebkraft für die Erweiterungsrunden der Vergangenheit und
auch der Zukunft. Wir stehen jetzt vor der Aufnahme Kroatiens, Albaniens und - wenn der griechische Einspruch
wegen des Staatsnamens ausgeräumt ist - Mazedoniens.
Braucht es noch mehr Beweise? Die Tür bleibt offen. Das
ist das erklärte Ziel des nordatlantischen Bündnisses, und
dies ist auch unsere Überzeugung. Wir müssen andererseits
allerdings auch darauf bestehen, dass der Aufnahmeprozess nach den Regeln, die sich das Bündnis gegeben hat,
abläuft und allein die Gesamtheit der NATO-Mitglieder
darüber entscheidet, wer in das Bündnis aufgenommen
wird und wer nicht.
Wenn ich hier auf den Antrag der Linken verweisen
darf, in dem der Satz steht, dass Russland nicht das
„Recht“ eingeräumt worden sei, Mitglied des Bündnisses
zu werden, dann ist dazu festzustellen: Ja, so ist es gerade
nicht, dass jemand einen Aufnahmeantrag stellt, der gar
nicht eingeladen wurde, Mitglied des Bündnisses zu
werden, und dessen Antrag dann nicht abgelehnt werden
kann. Das würde ja die Prinzipien und Werte des Bündnisses auf den Kopf stellen.
Jedes NATO-Gipfeltreffen hat bisher erklärt, dass die
Tür offen steht, dass jedoch Neuaufnahmen nur in Übereinstimmung mit Art. 10 des NATO-Vertrags möglich
sind, wenn darüber hinaus weitere Bedingungen erfüllt
und Leistungen erbracht worden sind.
In Art. 10 des NATO-Vertrags ist seit 1949 festgeschrieben: „The Parties may, by unanimous agreement, invite
any other European State in a position to further the principles of this Treaty and to contribute to the security of the
North Atlantic area to accede to this Treaty.“
Zusätzlich konkretisierte die NATO ihre Erwartungen
an neue Mitglieder in der „Study on NATO Enlargement“
von 1995. Notwendig ist die Erfüllung politischer, ökonomischer und militärischer Ziele, bevor eine Aufnahme
stattfinden kann. Der sich bewerbende Staat muss nachweisen, dass er eine funktionierende Demokratie ist, die
auf marktwirtschaftlichen Prinzipien basiert, dass die
Minderheitenrechte in seinem Land in Übereinstimmung
mit den Leitlinien der OSZE garantiert sind, dass offene
Streitigkeiten bzw. Konflikte mit Nachbarn beigelegt und
eine Rahmenvereinbarung mit diesen Nachbarn für eine
friedliche Lösung dieser Streitigkeiten geschlossen wurde
- niemand darf seine historischen Lasten und Probleme
in das Bündnis hineintragen -, dass er die Fähigkeit und
den Willen besitzt, militärische Beiträge für die Allianz zu
leisten und die Interoperabilität seiner Streitkräfte mit
den Kontingenten des Bündnisses gewährleistet ist, dass
er bereit ist, Formen der zivil-militärischen Zusammenarbeit innerhalb der verfassungsmäßigen Strukturen eines
Landes zu gestalten.
Das Ziel des nordatlantischen Bündnisses ist somit
klar: Mehr Sicherheit und Stabilität in Europa, mehr
Demokratie, mehr Menschenrechte, mehr Rechtsstaatlichkeit und weniger Bedrohung, weniger Nationalismus
und kein Rückfall in nationale Militärstrukturen. Die
NATO garantiert insgesamt die Sicherheit ihrer Mitglieder; sie verhindert damit die Re-Nationalisierung der
Verteidigungspolitiken ihrer Mitgliedstaaten.
Die Linke sorgt sich in ihrem Antrag um die Sicherheitsinteressen Russlands und befürchtet von einer - ich
zitiere - „zweiten Erweiterungsrunde der NATO in den
postsowjetischen Raum und somit abermals direkt an die
Grenzen der Russischen Förderation“ nicht kooperative,
sondern „konfrontative Sicherheit gegen Russland“.
Es ist eine makabere Sichtweise oder mindestens ein
sehr unglücklicher Ausdruck, dass souveräne Staaten wie
die Ukraine oder Georgien, die eine langfristige Beitrittsperspektive für die NATO haben, für die Linke lediglich einen „postkommunistischen Raum“ darstellen. Eine solche
Sichtweise ist oder wäre aus unserer Sicht verhängnisvoll
und nicht akzeptabel, wird dadurch doch der Gedanke
transportiert, diese Staaten könnten womöglich keine oder
nur eingeschränkte Souveränität beanspruchen und müssten ihre Sicherheitsinteressen mit dem großen Nachbarn
Russland abstimmen.
Nach unserer Überzeugung, die in der gesamten NATO
geteilt wird, sind die Ukraine und Georgien souveräne
Staaten und können über die Realisierung ihrer Sicherheit
selbst entscheiden. Russland hat seinerseits das Recht auf
eigene Sicherheit, die jedoch nicht auf Kosten von Nachbarstaaten realisiert werden darf. Wenn die NATO also - wie
schon im Fall der baltischen Staaten - mit der Aufnahme
der Ukraine und Georgiens eines Tages eine weitere
gemeinsame Grenze mit Russland erhalten wird, führt das
nicht - wie von der Linken befürchtet - zur Konfrontation,
sondern zu mehr Sicherheit für alle. Wir erinnern uns,
dass im Vorfeld der Aufnahme der baltischen Staaten in
die NATO ebenfalls von interessierter Seite eine angebliche Kriegsgefahr festgestellt oder vorhergesehen wurde.
Nichts davon ist geschehen. Heute redet niemand - auch
die damaligen Kritiker und „Propheten“ nicht - mehr davon, dass im Baltikum womöglich neue Konflikte mit
Russland entstehen könnten.
Ich stelle fest: Die NATO bedroht niemanden, auch
Russland nicht - selbst dann nicht, wenn die Ukraine
oder Georgien eines Tages in die NATO aufgenommen
werden. Im Gegenteil: Russland kann sicher sein, dass
vom Vertragsgebiet der NATO keine Bedrohung für seine
Souveränität ausgehen wird. Der Stabilitätsgewinn liegt
also nicht nur bei den beiden Staaten Ukraine und GeorZu Protokoll gegebene Reden
gien, die eine Aufnahmeperspektive von der NATO erhalten haben, sondern auch bei Russland selbst.
Die NATO hat auf dem Gipfeltreffen in Bukarest am
3. April 2008 das Bestreben der Ukraine und Georgiens,
in die NATO aufgenommen zu werden, begrüßt. Beide
Länder haben schon einen Teil der Vorgaben, die das
Bündnis von neuen Mitgliedern erwartet, erfüllt oder sind
weiter dabei, diese zu realisieren. Beide Länder sind auf
dem Wege der Reformen hin zu mehr Demokratie und
werden dann, wenn das Bündnis die erreichten Ergebnisse für ausreichend bewertet, in den „Membership
Action Plan“ der NATO aufgenommen.
Hier kommt auch Russland wieder ins Spiel: Für die
abtrünnigen Gebiete Georgiens, die mithilfe Russlands in
die Sezession gegangen sind, und für die Krim, deren
Zugehörigkeit zur Ukraine in Russland nicht so richtig
akzeptiert wird, muss es eine Lösung geben, die dem
Völkerrecht genügt. Nicht imperiales Machtstreben, sondern Herrschaft des Rechts und unbedingte Achtung des
Völkerrechts sind Erfordernisse der Zukunft - für Georgien und für Russland.
Da wir von der friedensstiftenden und friedenserhaltenden Rolle der NATO überzeugt sind, kann es für uns kein
Abweichen von einer als richtig erkannten Politik geben.
Russland ist für die Zukunft ein sehr wichtiger Kooperationspartner, das ist uns allen klar. Die NATO hat auch stets
betont, wie wichtig Russland für sie als Kooperationspartner ist und welch großes Interesse die nordatlantische
Allianz an einer echten und effizienten Kooperation mit
diesem Land hat.
Aber auf der anderen Seite sind da auch irritierende
Zeichen: Das Zudrehen des Sperrhahns der Erdgasleitungen Richtung Westen hat einige betroffene europäische
Länder gerade in diesen Tagen und Wochen die Macht
Russlands spüren lassen. Umso mehr müssen wir daran
arbeiten, Russland zu einem verlässlichen Sicherheitspartner für uns alle zu machen, freilich ohne Abstriche an
derjenigen Errungenschaft, die uns über mehr als fünf
Jahrzehnte Freiheit in Frieden und Wohlstand garantiert
und gesichert hat: an unserer nordatlantischen Allianz
und Wertegemeinschaft.
Die NATO darf in diesem Jahr das sechzigjährige Jubiläum ihres Bestehens feiern. Dabei kann sie auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken: Aus dem einstmals zur
kollektiven Verteidigung geschlossenen Bündnis hat sich
eine Organisation entwickelt, die längst nicht nur auf dem
Gebiet der eigenen Mitgliedstaaten - und somit insbesondere in Europa - zum Garant für Stabilität und Sicherheit
geworden ist. Vielmehr hat die NATO nach dem Ende der
Ost-West-Konfrontation eine große Integrationsleistung
vollbracht und sich erfolgreich neuen Aufgaben zugewandt. Dabei waren es vor allem die jungen Demokratien
Mittel- und Osteuropas, die ihre Sicherheit nicht mehr national organisieren wollten und daher über die Partnerschaft für den Frieden hinaus die Bedingungen für eine
Aufnahme in die NATO schufen. Deutschland hat diesen
Prozess damals unterstützt.
Mit der Zustimmung zur deutschen Einheit gestand die
Sowjetunion 1990 dem wiedervereinigten und außenpolitisch souveränen Deutschland zu, weiter der NATO anzugehören. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat schließlich Russland 1991 auch die Souveränität seiner vormals
sowjetischen neuen Nachbarstaaten unmissverständlich
anerkannt. Zweifellos gehört zur Souveränität eines Landes auch die Freiheit der Bündniswahl. Lassen Sie mich
eines klar und deutlich sagen: Russland hat nicht das
Recht, ein Veto gegen einen Beitritt seiner Nachbarn zur
NATO einzulegen. Die Bemühungen der NATO um eine
Integration Georgiens und der Ukraine sind nicht gegen
Russland gerichtet. Wir und unsere NATO-Partner haben
auch kein Interesse an einem Konflikt mit Russland. Daher müssen wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel
und Formate nutzen, um Meinungsverschiedenheiten aus
dem Weg zu räumen. Der NATO-Russland-Rat darf eben
genau dann nicht abgesagt werden, wenn er zur Wiederherstellung eines vertrauensvollen Verhältnisses gebraucht wird - wie im Falle des russisch-georgischen
Konfliktes. Dennoch arbeitet die NATO bereits auf vielen
Feldern sehr erfolgreich mit Russland zusammen. Wir
müssen uns nur darauf besinnen und gemeinsam den sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart
entgegentreten.
Gerade in dieser Gegenwart hilft es nicht weiter, wenn
in Russland gezielt mit antiwestlicher Stimmungsmache
gegen die NATO und ihre vormals sowjetischen Partnerländer versucht wird, den Patriotismus weiter zu stärken.
Derartige Demonstrationen der Stärke tragen nur zur
Selbstüberschätzung der eigenen Rolle in der Welt bei
und zielen letztlich wohl eher darauf ab, die Bevölkerung
von alltäglichen sozialen Problemen abzulenken. Der latente Schmerz über den Verlust der Datschen an der
georgischen Schwarzmeerküste sowie der Ukraine als
Wiege der Kiewer Rus wird von Teilen der russischen
Elite dazu instrumentalisiert, den Nachbarn im „nahen
Ausland“ die Achtung ihrer Souveränität zu versagen.
Dies ist zutiefst anachronistisch und für uns völlig inakzeptabel. Vielmehr müsste Russland ein vitales Interesse
daran haben, von stabilen und sicheren Partnern umgeben zu sein und sich im Rahmen der Zusammenarbeit mit
der NATO gemeinsam den eigentlichen sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zuzuwenden.
In ihrem Antrag haben die Kolleginnen und Kollegen
der Fraktion Die Linke die Rolle der Aktionspläne zur
NATO-Mitgliedschaft grundsätzlich missverstanden: Die
Heranführung an NATO-Standards bezieht sich auf diejenigen Aspekte, welche für eine effektive und erfolgreiche
Zusammenarbeit im Rahmen der Bündnisaktivitäten notwendig sind. Dazu zählen vor allem Maßnahmen und
Fortschrittsberichte zur Reform der Streitkräfteorganisation und der Kommandostrukturen, zur Steigerung der Interoperabilität der Streitkräfte sowie zur Vorbereitung aller beteiligten Stellen auf die Zusammenarbeit mit den
NATO-Strukturen.
Es ist und bleibt indes eine unbedingte Voraussetzung
für die Erteilung von Aktionsplänen zur NATO-Mitgliedschaft, dass die betreffenden Partnerländer die politischen Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllen. Diese
Zu Protokoll gegebene Reden
erst zu schaffen, kann auch nicht Aufgabe dieses Instruments sein. Ohnehin bieten wir im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik, der Schwarzmeersynergie
sowie künftig der Östlichen Partnerschaft unseren Nachbarn Rat und Unterstützung an.
Deutschland hat sich daher beim NATO-Gipfel in Bukarest mit Recht dafür eingesetzt, dass Georgien und die
Ukraine zwar die grundsätzliche Zusage erhielten, jedoch noch nicht den gewünschten Aktionsplan. Beide
Länder waren weder damals noch heute innenpolitisch
reif dafür. Nach dem russisch-georgischen Konflikt vom
August 2008 und der Gaskrise der letzten Wochen hat das
Vertrauen in die Verlässlichkeit unserer georgischen und
ukrainischen Partner einen zusätzlichen Dämpfer erhalten. Es liegt nun an den Regierungen, den demokratischen Wandel in ihren jeweiligen Ländern voranzubringen. Wirkliche Reformen und tatsächlicher Fortschritt
hin zu innenpolitischer Stabilität und außenpolitischer
Verlässlichkeit sind die besten Argumente, um die NATOMitglieder zum nächsten Schritt zu überzeugen.
Es ist deshalb richtig und wichtig, die Perspektive eines NATO-Beitritts für Georgien und die Ukraine auch
weiterhin aufrechtzuerhalten. Zugleich sind wir uns des
guten Rechts und sogar der Verpflichtung gewiss, den
Zeitpunkt für die Erteilung von Aktionsplänen entsprechend den Bedingungen in beiden Ländern sowie mit
Blick auf die Integrationskapazität der Bündnisstrukturen
selbst zu bestimmen. Seien Sie versichert, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns bei dieser Entscheidung
weder drängen noch beeinflussen lassen.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag der
Linksfraktion ab, weil mit ihm ein richtiges Ziel mit unvollständigen und falschen Mitteln erreicht werden soll.
Sicherheit und Stabilität mit und nicht gegen Russland ein schönes, wichtiges und richtiges Ziel. Wer könnte etwas dagegen haben? Die Linksfraktion will dieses Ziel jedoch dadurch erreichen, dass sie dem vergangenheitsorientierten russischen Denken in Einflusszonen nachgibt,
anstatt zu versuchen, es zu ändern. Es ist ja schon erstaunlich, wie schnell und geradezu leichtfertig eine
Fraktion, die sonst immer das Völkerrecht für sich in Anspruch nimmt, über das unbestreitbare Recht souveräner
Staaten hinweggeht, ihre Bündnisse frei zu wählen. Für
uns Liberale ist dieses Recht grundsätzlich unverhandelbar.
Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob Georgien und
Ukraine derzeit selber in der Verfassung sind, als Mitglieder der NATO infrage zu kommen. Wir Liberale sehen die
NATO als Wertegemeinschaft. Wer Mitglied der NATO
werden will, muss sich an den Kriterien Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Willen zur friedlichen Nachbarschaft messen lassen. Bei Georgien sind da erhebliche
Zweifel angebracht. Auch die innenpolitische Situation in
der Ukraine spricht derzeit nicht für einen Beitritt. Es ist
fraglich, ob es überhaupt eine Mehrheit in der dortigen
Bevölkerung für einen Beitritt gibt. Deshalb war die Entscheidung der Bundeskanzlerin, in Bukarest eine Aufnahme beider Länder in das MAP abzulehnen, richtig. An
den Gründen hat sich bis heute nichts geändert.
Grundsätzlich aber hält die FDP an der Politik der offenen Tür der NATO fest. Wann konkret ein Beitritt sinnvoll ist, muss dann jeweils unter Berücksichtigung unserer Interessen und natürlich auch der regionalpolitischen
Auswirkungen beurteilt werden. Wir lassen aber nicht zu,
dass irgendein drittes Land ein Vetorecht bekommt.
Es liegt in unserem ureigensten Interesse, ein gedeihliches Verhältnis zu Russland zu haben. Deutschland, die
Europäische Union und die NATO insgesamt haben mit
Russland eine ganze Reihe von gemeinsamen Interessen.
Die großen Probleme der Weltpolitik, von Klimawandel
über Energiesicherheit bis zur Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und internationalem Terrorismus,
lassen sich mit Russland besser lösen als ohne Russland.
Es muss aber auch klar sein, dass von einer Wertegemeinschaft mit Russland derzeit leider nicht die Rede sein
kann. Deshalb können wir heute mit Russland auch keine
strategische Partnerschaft haben. Wir können und sollten
auf eine solche Partnerschaft hinarbeiten, aber als Zustandsbeschreibung ist der Begriff falsch.
Trotzdem gibt es, wie gesagt, Interessenüberschneidungen. Darüber müssen wir mit Russland reden. Deshalb haben wir es für einen großen Fehler gehalten, dass
die NATO den NATO-Russland-Rat ausgesetzt hat. Gerade wenn man unterschiedliche Ansichten hat, muss
man miteinander reden, ruhig und unaufgeregt, aber klar
und deutlich. Deshalb begrüßt die FDP auch, dass die EU
nun Gespräche über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland wieder aufgenommen
hat.
Russland ist kein einfacher, aber ein notwendiger Gesprächspartner. Wir wollen in den Feldern, wo uns gemeinsame Interessen verbinden, Fortschritte erreichen.
Wir sind der Überzeugung, dass es zwischen Russland
und der NATO keinen grundsätzlichen Interessengegensatz gibt, der eine Konfrontation von Einflusszonen unvermeidlich macht. Davon wollen wir die russische Führung überzeugen.
Der Antrag der Linksfraktion ist dafür kontraproduktiv, und deshalb lehnen wir ihn ab.
Fast 20 Jahre sind seit der Auflösung des Warschauer
Pakts vergangen. Mit der Pariser Charta 1990 eröffnete
sich die große Chance auf ein vereinigtes, friedliches
Europa. Die Weichen schienen auf Dialog, Annäherung
und Abbau der Rüstungspotenziale gestellt; die KSZE
erschien als geeigneter sicherheitspolitischer Rahmen,
um diesen Prozess zu gestalten. Diese historische Chance
ist vertan worden.
Die NATO, der der Gegner abhanden gekommen war,
war sehr schnell bemüht, sich neue Aufgaben, nun im
Weltmaßstab, zuzuweisen, und begann damit, die eigenen
Streitkräfte gemäß des neuen Auftrags der internationalen Krisenreaktion umzubauen und umzurüsten.
Was mit Maßnahmen der Vertrauensbildung zwischen
den vormaligen Kontrahenten - „Partnership for Peace“ begann, wurde in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zu
einem Expansionsprojekt der Allianz umorientiert. Die
Zu Protokoll gegebene Reden
Paul Schäfer ({0})
NATO wurde, nicht zuletzt unter dem Vorzeichen USamerikanischer Interessenpolitik, darauf ausgerichtet, den
eigenen Einflussbereich weit nach Osten auszudehnen.
Damit sollte zugleich das entscheidend geschwächte
Russland dauerhaft niedergehalten werden. Dieser ausgreifende hegemoniale Anspruch hatte weitreichende
negative Folgen für den euro-asiatischen Raum: Die
OSZE wurde mehr und mehr marginalisiert und vor allem
damit betraut, den Nachlass des sowjetischen Imperiums
in Osteuropa und Zentralasien zu verwalten.
Wohin dieser Kurs geführt hat, kann man heute in Osteuropa, Südosteuropa und dem Kaukasus besichtigen.
Die Staaten der Region - vor allem um das Schwarze
Meer herum - sind nach wie vor weit entfernt davon, die
regionalen Konflikte eigenständig und friedlich beizulegen. Das Beispiel Zypern belegt auf das Eindrücklichste,
wie wenig die NATO dafür geeignet ist, Konflikte zwischen Mitgliedstaaten friedlich, konstruktiv und erfolgreich bearbeiten zu können. Vielmehr scheint es umgekehrt, dass die Mitgliedschaft in der NATO die Suche nach
tragfähigen regionalen Lösungen eher erschwert als erleichtert.
Trotzdem hält die NATO an diesem Weg fest. Mit Georgien und der Ukraine sollen bald die nächsten Staaten
in das Militärbündnis integriert werden. Zwar konnten
sich die USA auf dem letzten NATO-Gipfel in Bukarest im
April 2008 nicht mit ihrem Wunsch durchsetzen, sowohl
Georgien als auch die Ukraine in den Membership Action
Plan der NATO aufzunehmen. Insbesondere die Bundesregierung hat sich diese Entscheidung des NATO-Rats als
Erfolg auf ihre Fahne geschrieben - und damit die
Öffentlichkeit doch sehr hinters Licht geführt. Denn
gleichzeitig wurde ausdrücklich in der Abschlusserklärung
festgehalten, dass ein solcher Aktionsplan der nächste
Schritt der Ukraine und Georgiens auf ihrem „direkten
Weg“ in die NATO ist. Ende Dezember haben sich die
NATO-Staaten deswegen erneut getroffen. Es ist abzusehen,
dass auf dem Jubiläumsgipfel der NATO im Frühjahr neben
der Entscheidung über die Erarbeitung eines neuen strategischen Konzepts auch grundsätzlich über die weitere
territoriale Expansion des Militärbündnisses entschieden
wird.
Die Linke fordert die Bundesregierung auf: Nehmen
Sie endlich eine klare und unzweideutige Position im
NATO-Rat ein! Verweigern Sie definitiv die Zustimmung
zu weiteren Erweiterungsrunden! Eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine bedeutet keinen Sicherheits- und
Stabilitätszugewinn für Europa. Mit der Aufnahme in die
NATO würde die Vision eines friedlichen Europas auf
absehbare Zeit eine Utopie bleiben.
Der georgisch-russische Krieg muss doch auch den
größten Realpolitikern deutlich vor Augen geführt haben,
welche Unwägbarkeiten mit einer georgischen NATOMitgliedschaft verbunden sind. Wäre Georgien zu diesem
Zeitpunkt NATO-Mitglied gewesen, hätte der regionale
Krieg eine nicht mehr zu kontrollierende Eigendynamik
entfalten können. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine
würde die permanente innenpolitische Krise noch weiter
verschärfen und das innere Gefüge des Staates erschüttern, da die jeweiligen Lager sich ziemlich exakt entlang
der Trennlinie zwischen der pro-westlichen West- und der
pro-russischen Ostukraine verteilen. Sind die anderen
europäischen Staaten hierauf vorbereitet, sind wir auf die
Konsequenzen für die Energiepolitik vis-à-vis Russland
bzw. auf das ukrainische Verhalten gegenüber Russland
vorbereitet?
Das Festhalten an der Osterweiterung der NATO ist
und bleibt eine falsche Strategie. Es lässt zudem eindeutige Rückschlüsse auf den wahren Charakter der NATO
zu: Bei der Erweiterungspolitik ging es zu keinem Zeitpunkt um die Sicherheitsinteressen der Aufnahmestaaten,
sondern um eine Ausgrenzung Russlands, um die Einordnung der neuen Staaten in den eigenen Machtbereich und
um den Umbau zu einer weltweit agierenden Interventionsmacht. Für die Neumitglieder bedeutete dies vor allem
eine umfassende und kostspielige Modernisierung ihrer
Streitkräfte nach westlichen Standards und mit westlichen
Rüstungsgütern. Verlangt und gefördert wurde die Aufstellung kleinerer spezialisierter Einheiten, die dann bei
US- oder NATO-Interventionen die Kontingente der großen Truppensteller ergänzen sollten. Verlangt wurde die
Öffnung des eigenen Territoriums für die temporäre Stationierung von US-Streitkräften zur Vorbereitung militärischer Interventionen - siehe Bulgarien und Rumänien.
Zusammen mit den Plänen für die Stationierung des
US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien und
den einseitig von der NATO aufgestellten Zusatzbedingungen für den KSE-Vertrag steht die Osterweiterung vor
allem für den Versuch, die europäische Zukunft ohne
Russland gestalten zu wollen. Dass dies zum Scheitern
verurteilt ist, zeigt der Blick in die Geschichtsbücher.
Dass dies der falsche Weg zum europäischen Frieden ist,
sagt der normale Menschenverstand. Europa braucht
keine neue Konfrontationspolitik. Europa braucht eine
Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in der OSZE oder anderen Institutionen, um die
legitimen Sicherheitsbedürfnisse der europäischen Staaten einvernehmlich und kooperativ zu gewährleisten. Die
kategorische Absage an jegliche künftige Ausdehnung
der NATO ist dabei ein erster Schritt.
Die Wahl von Barack Obama und seine beeindruckende Vereidigung vor drei Tagen haben weltweit große
Hoffnungen geweckt. Veränderungen auf nahezu allen
Politikfeldern sind nach der Ära Bush dringend nötig:
Rückkehr zur Einhaltung der Menschenrechte auch im
Kampf gegen den Terrorismus, Rückkehr zu einer starken
transatlantischen Partnerschaft und mehr Bereitschaft zu
multilateralem Handeln, eine Abkehr von einseitigen militärischen Alleingängen sind Erwartungen, die Barack
Obama schon im Wahlkampf geweckt hat. Transatlantische Partnerschaft ist weitaus mehr als die NATO, dennoch ist sie ein wichtiger Bestandteil. Ihre ungebrochene
Attraktivität auch jenseits der traditionellen Mitgliedstaaten Westeuropas hat sich in den beiden Erweiterungsrunden seit 1994 gezeigt.
Die bisherigen Erweiterungen der NATO waren nicht
zuletzt Folge des Bedürfnisses der neuen, mittel- und ostZu Protokoll gegebene Reden
Kerstin Müller ({0})
europäischen Mitglieder nach verläßlichem Schutz vor
Bedrohung. Das Interesse der USA an diesen Erweiterungen und die gleichzeitige massive Kritik aus Russland
spiegeln das Denken des Kalten Krieges wieder. Es unterstellt die wechselseitige Bedrohung der beiden Blöcke
und das Denken in Einflusszonen. Zu welcher Seite ein
Staat gehört, heißt dann, dass er nicht zur anderen Seite
gehört.
Dieses Blockadedenken hat sich aber überlebt. Die
Sowjetunion, der die NATO einst versprach, sich nicht in
ihre Einflusszone einzumischen, existiert nicht mehr. Die
NATO selbst versteht das Russland von heute nicht als ihren militärischen Gegner. Der Prozess der Überwindung
des Blockdenkens gerade auf sicherheitspolitischem und
militärischem Gebiet ist für beide Seiten schwierig und
von starken Phantomschmerzen begleitet. Und er zeigt,
dass wir umdenken müssen. Das gilt für jede US-Regierung, für jede russische Regierung, für die Politik in jedem Mitgliedstaat der NATO.
Dabei ist auch vor Einseitigkeiten und Vereinfachungen zu warnen. Nehmen wir das Beispiel Georgien und
Ukraine: Das massive Interesse der Regierung Bush an
einem NATO-Beitritt beider Länder zur Erweiterung der
Einflusszone der USA nach Osten verdeckt den ausdrücklichen eigenen Wunsch Georgiens nach Beitritt. Das war
schon lange vor dem Krieg mit Russland im August 2008
so. Aus dem gleichen Grund erzeugte dieses Interesse die
klare russische Ablehnung. Die alten Denkmuster bedienen sich also gegenseitig. Die NATO als Verteidigungsbündnis gegenüber dem Ostblock hat ausgedient. Bedingung der Mitgliedschaft ist heute die Erfüllung
demokratischer, rechtsstaatlicher und sicherheitspolitischer Standards, die sowohl Stabilität nach innen wie
Sicherheitsgewinn für alle ermöglichen.
Von einem Beitrittsautomatismus kann also keine Rede
sein. Aber von einem solchen Sicherheitssystem kann kein
Staat ausgeschlossen werden, schon gar nicht durch die
Ablehnung durch Dritte. Dennoch ist klar: Instabile Staaten wie Georgien und die Ukraine scheitern schon an diesen Kriterien und sind daher schon deshalb bis auf Weiteres nicht fähig, Mitglieder der NATO zu werden.
Es sprechen aber noch weitere politische Gründe gegen einen NATO-Beitritt auf absehbare Zeit. Er sollte
auch nicht konfrontativ gegen Russland vollzogen werden. Die alte Bush-Administration hat leider diesen Eindruck erweckt. Denn das bringt - das hat der GeorgienKrieg gezeigt, aber auch der Konflikt um die Raketenabwehr in Polen und Tschechien - nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für die Region und letztlich auch für Gesamteuropa.
Insofern, meine Damen und Herren von der Linken,
teile ich durchaus die Grundbotschaft Ihres Antrages,
aber große Teile Ihrer Argumente überhaupt nicht. Wie
die NATO sich insgesamt weiterentwickeln wird, ist heute
noch nicht absehbar. In jedem Fall muss eine Partnerschaft auch mit Nichtmitgliedern der NATO wie Russland
entwickelt werden, die auf Dialog und Kooperation beruht. Partnerschaft innerhalb der NATO und gegenüber
Nichtmitgliedern sowie der Aufbau von Vertrauen statt
Konfrontation sind Voraussetzungen für eine neue Rolle
der NATO. Jetzt ist die Chance da, die Fehler der BushRegierung zu überwinden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11247 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Mitarbeit und
berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages
auf Mittwoch, den 28. Januar 2009, 13 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen einen
schönen Abend.