Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich zur ersten Sitzung des Deutschen Bundestages
im neuen Jahr, die hoffentlich ihren Beitrag dazu leisten
wird, dass das Jahr 2009 deutlich besser wird als vielfach erwartet.
Ich habe diese Sitzung gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3
des Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der
Geschäftsordnung des Bundestages auf Verlangen der
Bundeskanzlerin einberufen. Deswegen steht im Mittelpunkt dieser Sitzung eine Regierungserklärung, die die
aktuellen wirtschaftlichen Perspektiven für das gerade
begonnene Jahr zum Thema haben wird.
Ich möchte einigen Kolleginnen und Kollegen zu ihren runden Geburtstagen gratulieren, die sie über den
Jahreswechsel haben begehen können. Der Kollege
Joachim Poß hat am 27. Dezember seinen 60. Geburtstag gefeiert, und der Kollege Klaus Brandner ist gestern ebenfalls 60 Jahre alt geworden.
({0})
Der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt hat am 31. Dezember seinen 65. Geburtstag begangen, und der Kollege Norbert Geis ist gestern 70 Jahre alt geworden.
({1})
Ganz offenkundig kann ich im Namen des ganzen Hauses allen Jubilaren noch einmal auf diesem Wege herzlich gratulieren und ihnen alles Gute für die Zukunft
wünschen.
Ich darf das Haus davon in Kenntnis setzen, dass der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt mit Wirkung vom Montag
dieser Woche auf seine Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet hat. Als Nachfolgerin begrüße ich
die Kollegin Dr. Eva Högl. Herzlich willkommen!
({2})
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Maßnahmen der Bundesregierung zur
Stärkung von Wachstum und Beschäftigung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Darüber besteht offenkundig Einvernehmen. Es ist damit so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt ein schwieriges Jahr. Gerade deswegen
ist heute ein entscheidender Tag. Ich sage: Es ist ein guter Tag; denn mit dem Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland gibt die Bundesregierung eine umfassende Antwort auf die weltweite Wirtschafts- und
Finanzkrise, die uns alle Handlungsoptionen eröffnet.
Und genau das ist gut für unser Land in einer solchen Situation.
({0})
Bund, Länder und Kommunen werden ein Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, das es in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland so noch nicht gegeben
hat. Zusammen mit den schon im Herbst beschlossenen
Maßnahmen werden wir über 80 Milliarden Euro einsetzen. Das ist ein Impuls von mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf zwei Jahre gerechnet. Die Bundesregierung verfolgt dabei ein großes, ja ein
überragendes Ziel. Wir wollen die Krise nicht einfach
überstehen. Deutschland soll aus dieser Krise stärker
und zukunftsfester herauskommen, als es hineingeht.
Wir wollen diese Krise als Chance nutzen.
({1})
Redetext
Viele rufen nach kurzfristigen Stabilisierungsmaßnahmen in 2009. Wir wollen diese Maßnahmen gleichzeitig
für einen Modernisierungsschub für das kommende
Jahrzehnt nutzen. Viele rufen nach Aktionen, um jetzt
Entlassungen zu vermeiden. Wir werden den Unternehmen nicht nur helfen, ihre Fachkräfte zu halten, sondern
wir werden auch eine breite Qualifizierungsoffensive
starten, um die Beschäftigungschancen im nächsten Aufschwung zu verbessern. Es werden schnelle Nachfrageimpulse gefordert, zum Beispiel durch zusätzliche Zahlungen an die privaten Haushalte. Wir bleiben nicht bei
Einmalmaßnahmen stehen, sondern wir werden die Privathaushalte verlässlich und dauerhaft entlasten.
Das ist unsere Leitlinie: Alles tun, um die Krise abzumildern, aber eben nicht dabei stehen bleiben, sondern
die Chancen suchen und finden, die diese Herausforderung mit sich bringt.
In den Mittelpunkt unserer Maßnahmen stellen wir
die Arbeitsplätze: die vorhandenen Arbeitsplätze, die
wir sichern wollen, und die künftigen, für die wir trotz
aller Sorgen des Tages jetzt die Grundlagen legen wollen.
({2})
Arbeit für die Menschen - daran richten sich alle unsere
Maßnahmen aus. Jede der Maßnahmen trägt auf ihre Art
und Weise dazu bei. Das ist unser Maßstab. Ich halte ihn
mit Blick auf die Menschen in unserem Land für absolut
richtig.
({3})
Richtig ist: Deutschland kann sich vor den Verwerfungen an den Finanzmärkten und auch vor dem weltweiten Wachstumseinbruch nicht abschotten. Wir erleben die erste umfassende Krise der Weltwirtschaft in der
modernen Globalisierung. Diesmal sind nicht nur einzelne Regionen, Länder oder Branchen davon erfasst,
nein, diese Krise geht rund um den Globus alle an.
Was zuerst Möglichkeit war und dann Wahrscheinlichkeit wurde, das ist jetzt Gewissheit. Auch Deutschland befindet sich infolge der weltweiten Krise in der
schwierigsten wirtschaftlichen Phase seit vielen Jahrzehnten. Glücklicherweise spüren das noch nicht alle in
unserem Land - ich hoffe, das bleibt auch so -, aber
manche Branchen, manche Bereiche trifft es dramatisch.
Gerade heute haben wir wieder gehört: Auftragseinbrüche im Maschinenbau um 30 Prozent allein im November 2008. Das sind Signale, die nicht übersehen werden
dürfen und zum Handeln auffordern.
({4})
Weil das so ist, ist Nichtstun keine Alternative.
({5})
Weil das so ist, reichen die herkömmlichen Instrumente
nicht aus. Die Selbstheilungskräfte des Marktes können
erst wieder voll wirken, wenn die Marktkräfte auch
wirklich funktionieren. Wenn zum Beispiel ein gesundes
Unternehmen mit Weltmarktführung für seine Investitionen heute keine Kredite bekommt oder nur Kredite zu
Konditionen, die ein rentables Wirtschaften nicht mehr
möglich machen, weil die Banken sich untereinander
noch nicht richtig vertrauen, dann muss der Markt - das
ist unsere politische Aufgabe - wieder funktionstüchtig
gemacht werden. Wir müssen den Kräften des Marktes
Hilfestellung leisten, um sie gesunden zu lassen.
({6})
Deshalb sind Strohfeuerprogramme früherer Zeiten oder
gar protektionistische Maßnahmen ungeeignet. Deshalb
darf unsere Diskussion auch nicht darauf hinauslaufen,
dass wir jetzt immer nur fragen: Ist das gut für deutsche
Produkte? Wir sind in einer weltweiten Krise. Daher ist
Protektionismus mit Sicherheit das falsche Denken.
({7})
Genau deshalb werden wir für die Offenheit der Märkte
eintreten.
Es ist sehr wichtig - das ist auch die Begründung unseres Handelns -, sich klarzumachen: Dies ist eine außergewöhnliche Situation, für die die herkömmlichen
Lehrbücher nicht ausreichen. Diese Einschätzung teilt
die gesamte Bundesregierung, und nur sie erklärt unser
Vorgehen. Deswegen greift die Bundesregierung eben
auch zu außergewöhnlichen Maßnahmen.
Die Menschen in Deutschland können sicher sein:
Wir handeln gut überlegt, und wir sind entschlossen,
Deutschland mit aller Kraft gut durch die Krise zu bringen und unser Land, wo immer es möglich ist, stärker zu
machen. Dieses Ziel zu erreichen, das kann nur gelingen,
wenn wir gleichzeitig an den wichtigsten Schlüsselstellen unserer Wirtschaft ansetzen. Die wichtigsten Schlüsselstellen, das sind die Innovationskraft der Unternehmen, die Kreativität und Ausbildung der Menschen und
die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Infrastruktur. An
genau diesen Schlüsselstellen setzt unser Maßnahmenpaket an.
Erstens. Wir starten eine Investitionsoffensive von
Bund, Ländern und Kommunen im Bildungsbereich
und bei der Modernisierung der Infrastruktur. Der Bund
wird zusammen mit den Ländern in den nächsten zwei
Jahren knapp 20 Milliarden Euro zusätzlich einsetzen.
Das wird ein richtiger und wichtiger Impuls für unsere
Infrastruktur sein. Dass wir dies auf den Weg gebracht
haben - zusammen mit den Ländern, zusammen mit den
Kommunen -, das zeigt, dass unser Land handlungsfähig
ist, nicht nur in der Bankenkrise, sondern auch, wenn es
darum geht, unser Land stärker zu machen. Dafür allen
Beteiligten herzlichen Dank.
({8})
Wir wissen, dass die Kreativität der Menschen unsere
wichtigste Produktivkraft ist. Deshalb steht der Bildungsbereich im Mittelpunkt der Investitionen; dafür
werden zwei Drittel der Investitionen, die von Bund und
Ländern gemeinsam getätigt werden, bereitgestellt. DaBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
bei geht es auch um die Verbesserung der Situation in
Kindergärten, in Schulen, in Fachhochschulen und
Hochschulen. Ich glaube, das ist genau das, was wir meinen, wenn wir sagen: Wir wollen eine Bildungsrepublik
sein. Wir setzen jetzt die notwendigen, zusätzlichen Impulse, um die Zukunft zu meistern.
Seit gestern höre ich: Es ist ja schön, wenn man die
Schulen renoviert. Aber was hilft das, wenn nicht ausreichend Personal da ist? Deshalb füge ich gleich an dieser
Stelle hinzu: Der Bundesarbeitsminister hat dafür Sorge
getragen, dass im Bereich der Kleinkinderbetreuung
- hier erhöhen wir gerade die Zahl der Betreuungsplätze,
und hier entstehen neue Rahmenbedingungen - vorrangig Qualifizierung betrieben wird, genauso wie auch im
Pflegebereich. Wir werden diese Dinge kombinieren.
Aber es kann doch wohl nicht sein, dass wir die Schulen
nicht renovieren, weil vielleicht irgendwo noch ein Lehrer fehlt.
({9})
Vielleicht kann dies dazu beitragen, dass mehr Lehrer
und Betreuer eingestellt werden.
Alles, was wir im Infrastrukturbereich machen, verbinden wir auch mit zusätzlichen Impulsen für Klimaschutz und Energieeffizienz. Das bringt uns der Erfüllung unserer Klimaschutzziele näher. Das ist ein
wichtiger Beitrag für die Zukunft.
Um die Schwerpunkte schnell, effizient und sichtbar
umzusetzen, werden die Finanzhilfen unter dem Gesamtdach des kommunalen Investitionsprogramms zur
Verfügung gestellt. Wir vereinfachen das Vergaberecht,
damit Aufträge möglichst schnell vergeben werden können. Das sichert nicht nur kurzfristig Aufträge für die
Wirtschaft und Arbeitsplätze, sondern es bringt für
Deutschland auch die Chance auf einen umfassenden
Modernisierungsschub. Ich sage: Das ist ein Qualitätssprung, der sonst viele Jahre gebraucht hätte. Bei den
Besuchen, die ich gemacht habe, habe ich gespürt - das
wird jedem so ergangen sein -, dass gerade die kommunalen Verantwortlichen sehr verantwortlich mitmachen
({10})
und dieses Programm sehr intensiv aufgreifen werden.
({11})
Zweitens handeln wir für eine gesicherte Kreditversorgung der Wirtschaft, damit Investitionen und Innovationen der Unternehmen trotz der Verwerfungen auf
den Finanzmärkten möglich bleiben. Dazu wird die Bundesregierung als Schwerpunkt ein besonderes Kreditund Bürgschaftsprogramm einrichten. Über das schon
heute laufende KfW-Sonderprogramm hinaus werden
wir mit einem Bürgschaftsvolumen von 100 Milliarden
Euro sicherstellen, dass die Kreditversorgung durch die
Banken auch funktioniert. Wir brauchen heute zusätzliche Absicherungen, damit die Banken ihrer Tätigkeit
nachkommen können.
Mithilfe der staatlichen Bürgschaften werden wir ein
Vielfaches an privaten Investitionen auslösen. Ziel dieses Bürgschaftsprogramms ist, dass keine gesunden,
wettbewerbsfähigen Betriebe, die häufig mit ausgezeichneten Weltmarktpotenzialen ausgestattet sind, aufgrund
der Verwerfung im Bankensektor verloren gehen. Das ist
ein vernünftiger Ansatz. Es geht nicht um Betriebe, die
Schwächen haben. Es geht um Betriebe mit herausragendem Potenzial, die zu jeder normalen Zeit sofort Kredite
bekommen würden und die wir jetzt besonders schützen.
({12})
Zur Stärkung der Innovationskraft der Wirtschaft gehören auch eine Umweltprämie für die Automobilwirtschaft, die Umstellung der Kfz-Steuer zum 1. Juli 2009
auf CO2-Basis und eine besondere Forschungsförderung
für innovative Antriebstechnologien.
Ich weiß sehr wohl, dass gerade das Thema Umweltprämie erhebliche Diskussionen auslöst, da man sich
fragt: Ist es eigentlich gerechtfertigt, eine Branche in besonderer Weise zu stützen? Dies hat - das muss man der
Automobilindustrie sagen - zum Teil auch damit zu tun,
dass die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern in den
vergangenen Jahren nicht immer langfristig und nachhaltig umgegangen ist - um das ganz freundlich zu sagen.
({13})
Wir haben uns für die Umweltprämie entschieden, weil
die Automobilbranche gerade in Deutschland nicht irgendeine Branche ist. Die großen Automobilunternehmen bilden mit ihrem Netz von Zulieferern einen weltweit einmaligen Technologie- und Innovationscluster.
Sie gehören zur Kernsubstanz unseres Industrielandes
Deutschland.
Weil wir diese Substanz nicht nur erhalten, sondern
auch modernisieren wollen, sagen wir: Wir entschließen
uns zu einer solchen außergewöhnlichen Hilfe. Deshalb
sind die Hilfen so konzipiert, dass sie Anreize bieten,
verbrauchsarme und klimafreundliche Fahrzeuge zu entwickeln und zu kaufen; das gilt gerade für die CO2basierte Kfz-Steuer. Das ist aus meiner Sicht eine vertretbare und akzeptable Hilfe, die gleichzeitig in die Zukunft führt.
Zur Modernisierung der Infrastruktur gehört in unserem Land natürlich auch der Ausbau des Breitbandnetzes. Wir wollen damit zeigen, dass alle Regionen unseres Landes von der Modernisierung profitieren
müssen, gerade auch die ländlichen Räume, die bis jetzt
nicht ausreichend mit Breitbandtechnologie versorgt
sind.
({14})
Deshalb wird es darauf ankommen, unser Programm
so umzusetzen, dass alle Regionen Deutschlands davon
profitieren können - nicht nur wichtige oder scheinbar
wichtige Regionen, in denen Unternehmen angesiedelt
sind oder die aus anderen Gründen bekannt sind. Ich
finde, das ist ein wichtiges Signal mit Blick auf die Gerechtigkeit in unserem Land, ein Signal an die Menschen
und vor allem an diejenigen, die in den Kommunen Verantwortung tragen und deren Engagement wir jetzt dringend brauchen.
An dieser Stelle möchte ich sagen: Unsere Hilfen für
Unternehmen sind nicht an deren Größe orientiert. Es
geht nicht darum, ob ein kleines Unternehmen einen Arbeitsplatz, ein Mittelständler mehrere Hundert Arbeitsplätze oder ein DAX-Unternehmen Zehntausende Arbeitsplätze hat. Jeder Arbeitsplatz steht in unserem
Bemühen an gleicher Stelle. Wir unterscheiden nicht;
denn für uns sind alle wichtig.
({15})
Drittens. Wir ergreifen Maßnahmen zur direkten
Sicherung von möglichst vielen Arbeitsplätzen, verbunden mit einer umfassenden Qualifizierungsoffensive.
Bei allem Einsatz - wir wissen das -: Die Bundesregierung kann nicht versprechen, dass die Krise den Arbeitsmarkt weitgehend unberührt lässt. Das wäre vollkommen unredlich. Ich kann Ihnen aber versprechen, dass
die Politik den Betrieben hilft, bis zum nächsten Aufschwung eine Brücke für die Arbeitnehmer zu bauen.
Eine solche Brücke hat in unserem Programm eine ganz
zentrale Bedeutung.
Deshalb haben wir die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld bereits im Herbst verlängert und werden jetzt die
Bedingungen dafür schaffen, dass die Betriebe dieses Instrument der Kurzarbeit auch nutzen können, indem wir
50 Prozent der Sozialversicherungskosten übernehmen
und das Angebot machen, wenn Qualifizierung angefordert wird, dann auf Antrag bis zu 100 Prozent der Sozialversicherungskosten zu übernehmen. Das ist wieder die
Kombination: Nicht einfach nur warten, nicht einfach
nur nichts tun, sondern Anreize setzen, um sich auf die
Zukunft vorzubereiten.
({16})
Das kann ein Beitrag sein, um zukünftigen Fachkräftemangel zu überwinden, und so entsteht wieder eine
Chance, aus der Krise herauszukommen.
Wir wissen, dass die Qualifizierung nicht alleine von
den Betrieben geleistet werden kann. Deshalb kommt
der Bundesagentur für Arbeit und ebenso den Trägern
der Grundsicherung, bei denen Arbeitnehmer und Arbeitsuchende aktiviert und qualifiziert werden, eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb erweitern wir hier auch
den Umfang der Stellen.
Gerade an dieser Stelle zeigt sich, wie wertvoll es ist,
dass die Bundesagentur für Arbeit mit den Reformen der
letzten Jahre wirkungsvoll umorganisiert wurde und
schlagkräftiger geworden ist. Sie wird eine sehr wichtige
Säule im Einsatz für Beschäftigung und Qualifizierung
sein. Deshalb möchte ich von dieser Stelle aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Nürnberg und auch in
den Argen vor Ort ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Von ihnen wird in den nächsten Monaten viel abhängen.
({17})
Viertens. Die Privathaushalte und auch die Personengesellschaften des Mittelstandes werden bei Steuern
und Abgaben spürbar und dauerhaft entlastet. Insgesamt entlasten wir mit den gestrigen Beschlüssen die
Bürger bei Steuern und Abgaben in den nächsten zwei
Jahren um rund 18 Milliarden Euro. Bei der Einkommensteuer wird der Grundfreibetrag angehoben, der Eingangsteuersatz auf 14 Prozent gesenkt und eine Rechtsverschiebung der Kurve vorgenommen. Damit wird der
„kalten Progression“ ein Stück weit Einhalt geboten.
Ich möchte darauf hinweisen, dass eine solche Steuersenkung die Nachfrage insbesondere bei den arbeitenden, gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit niedrigen und mittleren Einkommen
stärken wird. Genau diese sind durch die Wirkung der
„kalten Progression“ in besonderer Weise belastet. Künftig wird ihnen mehr von jedem mehr verdienten Euro
bleiben als bisher.
Diese Steuersenkung - auch das will ich noch erwähnen - entlastet auch viele Personengesellschaften gerade
im Mittelstand. Mit dieser Steuersenkung geht es um
mehr als nur um einen finanziellen Konjunkturimpuls.
Im Kern geht es mit dieser Maßnahme darum, die Leistungsgerechtigkeit und den Optimismus der Menschen
zu stärken. Deshalb ist sie eine wichtige Maßnahme in
unserem Paket.
({18})
Die Entlastungen sind keine Einmalmaßnahme, sondern wirken dauerhaft, genauso wie die Senkung der
Beiträge. Die paritätische Senkung der Beiträge zur
Krankenversicherung um 0,6 Punkte wird sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer noch einmal entlasten.
Um den Umfang einmal darzustellen: Eine Familie mit
zwei Kindern und einem Erwerbstätigen mit einem
Durchschnittseinkommen von etwa 30 000 Euro wird im
Jahr 314 Euro mehr zur Verfügung haben. Das ist ein
Beitrag, um Vertrauen zu schaffen.
Ich will an dieser Stelle noch eines deutlich machen.
Wir gehen in verschiedenen Schritten vor. Auch das ist
gestern kritisiert worden. Aber worum geht es bei diesen
Beitrags- und Steuersenkungen? Es geht darum, dass wir
Vertrauen mit Blick auf den Konsum der Bevölkerung
schaffen. Glücklicherweise befinden wir uns in einer Situation, in der die Inflationsrate und die Energiepreise in
diesem Jahr niedriger sein werden. Es gibt die Entlastungen für Familien ab 1. Januar. Es wird ab 1. Juli Rentenerhöhungen und Erhöhungen bei den Leistungen für
Hartz-IV-Empfänger geben. Es gibt die steuerlichen Entlastungen und die Gesundheitskostenentlastungen, und
dann zum 1. Januar 2010 noch einmal mehr.
Das heißt, die Menschen können darauf vertrauen,
dass das ihnen zum Konsum zur Verfügung stehende
Einkommen möglichst gleich oder höher sein wird. Das
stärkt dann die Konjunktur. Das ist ein innerer Impuls,
und das ist unsere Philosophie: Nicht einmal, sondern
dauerhaft Hoffnung geben, damit sich die Dinge möglichst vernünftig entwickeln.
({19})
Wir tun das, weil uns wichtig ist, dass alle Bürger
spüren: Es ist eine gemeinsame Herausforderung, und
deshalb soll es auch eine gemeinsame Chance geben. Jeder wird gebraucht, und jeder soll gestärkt werden. Deshalb ist der Mix aus Lohnzusatzkostensenkung und Steuersenkung auch richtig, weil die unterschiedlichen
Bevölkerungsteile unterschiedlich betroffen sind. Es gibt
auch viele, die keine Steuern zahlen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ja, es ist richtig: Wir nehmen viel Geld in die
Hand. Wir nehmen sogar sehr viel Geld in die Hand.
Aber wir haben auch darauf geachtet, dass wir den richtigen Zeitpunkt wählen. Wir sind bewusst nicht in einen
Überbietungswettbewerb auf europäischer Ebene eingestiegen. Wir sind der Überzeugung: Jetzt ist der richtige
Zeitpunkt. Wir brauchen mit unserer Antwort allerdings
den Vergleich mit den Initiativen anderer Länder wahrlich nicht zu scheuen.
({20})
Ich erinnere daran: Die Europäische Union hat - so
haben wir es im Rat beschlossen - ein gemeinsames europäisches Programm mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro gefordert. Deutschland ist jetzt mit 80 Milliarden Euro dabei. Wir leisten als größte Volkswirtschaft
unseren Beitrag. Ich finde das richtig. Aber ich finde,
wir alle können das auch selbstbewusst sagen.
({21})
Die volle Wirkung dessen, was wir hier zur Diskussion stellen, entfaltet sich im Übrigen erst im Zusammenwirken aller Maßnahmen. Ich habe von den Schlüsselstellen gesprochen, an denen wir ansetzen müssen.
Sie erfordern verschiedene Maßnahmen. Wer nur auf die
eine oder andere Maßnahme setzt, der wird eine Halbierung der Wirkung erleben.
({22})
Wer auf alle Maßnahmen setzt, der wird erleben, dass
sich die Wirkung vervielfacht. Das muss das Ziel sein;
denn eindimensionale Antworten sind in der Globalisierung definitiv zum Scheitern verurteilt.
({23})
Gerade deswegen hat sich die Bundesregierung bewusst
für einen breiten und vernetzten Ansatz entschieden. Gerade weil es heute keine isolierten nationalen Maßnahmen mehr geben kann, möchte ich noch einmal betonen,
dass dieser Pakt für Beschäftigung und Stabilität nur die
eine Seite der Medaille, der internationalen Situation ist.
Die andere Seite der Medaille ist die aktive Gestaltung
der internationalen Ordnung. Ich werde nicht lockerlassen - das gilt für die gesamte Bundesregierung -, bis
wir international eine neue Finanzmarktverfassung, einen fairen Freihandel, eine bessere Beachtung von sozialen Mindeststandards, einen Abbau der wirtschaftlichen
Ungleichgewichte und den Ausbau des internationalen
Klimaschutzregimes geschafft haben.
Die Gruppe der G-20-Länder wird - Großbritannien
hat in diesem Jahr den Vorsitz - am 2. April wieder tagen. Ich habe die europäischen Teilnehmer dieser G-20Gruppe nach Berlin eingeladen, um dieses Treffen vorzubereiten; denn die europäische Stimme wird von großem Gewicht sein.
({24})
Dahinter steht die Erkenntnis, dass wir für die Globalisierung keine ausreichende internationale Architektur
haben.
({25})
Deshalb werde ich Anfang Februar mit den internationalen Organisationen, mit OECD, WTO, ILO, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds - genauso,
wie wir das schon während unserer G-8-Präsidentschaft
gemacht haben -, wieder Gespräche führen, um alles mit
den Aktivitäten der Vereinten Nationen zusammenzuführen. Wir brauchen eine bessere internationale Architektur, die uns in Zukunft vor solchen Krisen wie der jetzigen schützt. Deutschland muss dabei eine starke, eine
führende Rolle spielen.
({26})
Ich rede nicht darum herum: Der Weg, den wir eingeschlagen haben, um unser Land durch die Krise zu bringen, bringt eine deutliche Neuverschuldung mit sich, in
diesem Jahr und auch im nächsten. Das muss klar gesagt
werden. Darum brauchen wir nicht herumzureden. Wir
haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht.
Auch ich habe sie mir nicht leicht gemacht. Ich will
deutlich sagen: Es ist bisher die schwerste innenpolitische Entscheidung, die ich als Bundeskanzlerin zu treffen hatte. Aber ich glaube, wir haben sie so getroffen,
dass wir der außergewöhnlichen Dimension dieser Krise
gerecht werden. Eine solche Antwort ist nicht nur notwendig, sondern definitiv geboten, weil nichts tun - daran möchte ich noch einmal erinnern - schwerstwiegende Folgen hätte, nicht nur wegen des Rückgangs bei
Aufträgen und Arbeitsplätzen in der Krise, die an sich
schon erhebliche Mindereinnahmen für die staatlichen
Kassen bedeuten würde, sondern vor allem auch, weil zu
viele Quellen unseres Wohlstands in Gefahr geraten
würden und versiegen könnten, weil im nächsten Aufschwung dann wichtige Firmen, wichtiges Know-how,
wichtige Facharbeiter einfach nicht mehr da gewesen
wären, um wieder neues Wachstum in Deutschland zu
schaffen. Ich denke, wir alle sollten vermeiden, dass wir
in eine Situation kommen, in der wir sagen müssen: Hätten wir doch damals etwas getan, hätten wir das, was uns
stark macht, gerettet. - In diese Situation möchten wir
nicht kommen, möchte ich nicht kommen. Deshalb handeln wir so, wie wir handeln.
({27})
Die Neuverschuldung ist nicht Ausdruck einer falschen Politik, sondern sie ist Ausdruck der Krise selbst.
Sie ist Bestandteil der Herausforderung, die wir zu meistern haben. Dafür werden wir - auch das ist schon heute
absehbar - viel Ausdauer und Geduld brauchen. Aber
auch das können wir schaffen. Wer Schulden aufnimmt,
muss sie zuverlässig tilgen. Wir haben im Übrigen beim
Erblastentilgungsfonds bewiesen, dass wir das können.
Er wurde 1995 eingerichtet und hatte damals einen
Schuldenstand von umgerechnet 171 Milliarden Euro.
Jetzt ist er getilgt.
({28})
Viele sagen, das habe 14 Jahre gedauert. Darauf sage
ich: Aber es ist geschafft. - Um die Verlässlichkeit der
Politik zu zeigen, muss man auch einmal sagen, wenn
man so etwas geschafft hat. Die deutsche Einheit war
doch keine Kleinigkeit. Wir können sagen, dass wir das
gehalten haben, was wir versprochen haben.
({29})
Daraus erwächst auch das Vertrauen, dass wir, wenn wir
jetzt wieder einen Fonds einrichten und einen Tilgungsplan verabreden - der Finanzminister wird dazu Vorschläge machen -, die Schulden genauso tilgen, wie wir
sie früher getilgt haben. Dafür stehe ich ein, dafür stehen
wir ein.
Wir werden darüber hinaus - auch angesichts dieser
Krise - nach Beratungen in der Föderalismuskommission eine Schuldenbremse einführen, also für die zukünftigen, die normalen Zeiten verabreden, dass wir kein
Defizit oberhalb von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erlauben dürfen. Es ist interessant: Dinge, die fast
unerreichbar schienen, scheinen jetzt wieder in Reichweite. Ich jedenfalls werde mit aller Intensität dafür eintreten - ich weiß, dass die Mitglieder der Föderalismuskommission das auch tun -, dass wir das jetzt schaffen
und die Schuldenbremse ins Grundgesetz bringen, um
für zukünftige Generationen ein klares Zeichen zu setzen.
({30})
In diesem Jahr wird die Bundesrepublik Deutschland
60 Jahre alt. Ein Drittel dieser Zeit, nämlich fast
20 Jahre, gehen Ost und West einen gemeinsamen Weg.
Vor 20 Jahren, am 9. November, war der Fall der Berliner Mauer. Die beiden Daten, finde ich, zeigen uns, dass
Deutschland schon ganz andere Herausforderungen gemeistert hat. Das ist Grund zur Zuversicht; das ist Grund,
auf Deutschlands Kraft und Stärke zu vertrauen. Das Allerwichtigste, so heftig der Wachstumseinbruch auch
ausfallen kann, ist: Dies ist keine Krise - das, finde ich,
ist die wichtige Botschaft - der ökonomischen, sozialen
oder finanziellen Grundstrukturen unserer Bundesrepublik Deutschland.
({31})
- Ich kann mir denken, dass Sie da lachen. Das ist gerade der Unterschied zwischen uns.
({32})
Unsere Wirtschaft ist stark. Unsere Produkte sind
weltweit wettbewerbsfähig. Wir haben 1,5 Millionen
neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in den
letzten drei Jahren geschaffen. Das soziale Netz ist stabil; es ist durch die Reformen der letzten Jahre gestärkt
worden. Wir hatten 2007 und 2008 einen ungefähr ausgeglichenen Haushalt. Heute sind die Zahlen gekommen: Das Bruttoinlandsprodukt weist ein Wachstum von
minus 0,1 Prozent auf, die Verschuldung von Deutschland ist nahezu ausgeglichen. Das gibt uns mehr
Handlungsspielräume. Dies alles zeigt: Die soziale
Marktwirtschaft bewährt sich in der Globalisierung.
Deutschland ist im Kern gesund und stark.
({33})
Finanzielle Exzesse und mangelndes soziales Verantwortungsbewusstsein haben die Welt dagegen genau in
diese Krise geführt. Nur wenn wir diese Ursache klar benennen, dann können wir die Welt tatsächlich gemeinsam mit anderen Staaten aus dieser Krise führen. Dazu
brauchen wir klare Grundsätze. Der Staat ist der Hüter
des wirtschaftlichen und sozialen Ordnungsrahmens.
Der Wettbewerb braucht Augenmaß und soziale Verantwortung. Das sind die Prinzipien unserer sozialen
Marktwirtschaft. Sie gelten bei uns, aber es hat sich gezeigt, dass genau das nicht reicht. Diese Prinzipien müssen weltweit beachtet werden. Erst das wird die Welt aus
dieser Krise führen.
Die Krise wird nicht spurlos an uns vorübergehen. Sie
wird uns auch in der nächsten Zeit viel abverlangen. Es
kommt jetzt mehr denn je auf den Zusammenhalt aller
Kräfte in unserer Gesellschaft an, auf das, was wir Gemeinsinn nennen: Betriebe und Behörden, Banken und
Sparkassen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verbände
und Bürgerinitiativen, jeder ist aufgerufen, wenn er
kann, seinen Teil dazu beizutragen. Ich werde in den
nächsten Monaten - wie auch die Mitglieder der Bundesregierung - immer wieder das Gespräch mit allen
Gruppen in der Gesellschaft suchen.
Der Pakt für Beschäftigung und Stabilität bietet für
jeden einen Ansatzpunkt, seinen Teil der Verantwortung wahrzunehmen. Er ist ein Pakt für alle, und deshalb
ist er ein Pakt für Deutschland, so haben wir ihn konzipiert: für die Unternehmen, indem sie jetzt ihre Beschäftigten halten, für die Arbeitnehmer, indem sie sich weiterqualifizieren, für die Ingenieure und Forscher, indem
sie neue Ideen entwickeln und Innovationen vorantreiben, für die ehrenamtlich Tätigen, indem sie mithelfen,
unsere soziale Infrastruktur stabil zu erhalten, für die
Verbraucher, indem sie sich umweltbewusster verhalten.
Vertrauen wir auf das, was wir gut können, was wir vielleicht sogar besser können als andere! Das ist gerade
jetzt wichtig. Es ist mehr als manche denken; davon bin
ich überzeugt.
Ich sage Ihnen: Die Regierung hat jetzt viel Arbeit
hinter sich. Aber sie hat in den kommenden Monaten
auch einiges an Arbeit vor sich. Ich sage Ihnen: Das werden wir mit Verantwortung, Kraft und Zuversicht und,
wie ich hoffe, auch mit der Unterstützung dieses Hohen
Hauses tun.
Herzlichen Dank.
({34})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist in der Tat eine ganz außergewöhnliche Sitzung des Deutschen Bundestages und ein außergewöhnlicher Tag, schon deshalb, weil wir Deutsche noch sehr
lange an dem abzahlen werden, was heute von der Regierung vorgeschlagen wird und durchgesetzt werden
soll. Die wenigsten, die hier sitzen, werden den Zeitpunkt erleben, an dem zurückgezahlt ist, was Sie heute
beschließen.
({0})
In Wahrheit ist das nicht das größte Konjunkturpaket in
der Geschichte unseres Landes. Es ist bisher nichts anderes als das größte Schuldenpaket in der Geschichte unseres Landes.
({1})
Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen: Nichtstun ist keine
Alternative. Da haben Sie recht. Aber das Falsche zu
tun, ist auch keine Alternative, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger.
({2})
Diese Regierung wird damit als eine Regierung der Rekorde in die Geschichte eingehen. Sie stehen damit für
die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig werden Sie die
Regierung sein, die wie noch nie eine Regierung seit
Gründung der Republik Schulden gemacht hat.
({3})
Wir werfen Ihnen nicht vor, dass die Krise da ist. Wir
haben Ihnen nie vorgeworfen, dass die Krise der Weltwirtschaft auch Deutschland trifft.
({4})
Was wir Ihnen vorwerfen, ist, dass Sie in guten Zeiten
nicht für die schlechten Zeiten vorgesorgt haben.
({5})
Hätten Sie in Zeiten des Aufschwungs etwas an Überschüssen erwirtschaftet, wären Sie heute glaubwürdiger,
wenn Sie sagen, dass Sie Schulden machen müssen.
({6})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, das sei keine
Zeit für die herkömmlichen Lehrbücher. Für die herkömmlichen Lehrbücher mag es nicht die Stunde sein;
aber für ein Lehrbuch wäre es die richtige Stunde, nämlich für Ludwig Erhards Wohlstand für alle. Das wäre
die richtige Lehre: sich auf die Kräfte der sozialen
Marktwirtschaft nicht nur in Worten, sondern auch in
Taten zu besinnen. Eine Lehre des Wirtschaftswunders,
eine Lehre der sozialen Marktwirtschaft ist: Aufschwung
gibt es nur, wenn sich Leistung für die Bürger lohnt.
Deswegen brauchen wir vor allen Dingen eine Entlastung durch ein einfaches und gerechteres Steuersystem
mit niedrigeren Tarifen. Das wäre das beste Konjunkturprogramm für diese Republik. Dazu fehlen Ihnen der
Mut und die Einigkeit.
Die Schulden, die Sie in diesen Tagen beschließen
und durchsetzen wollen, verbauen die Zukunft, und
- was viel schlimmer ist - sie nehmen auch den Spielraum für einen wirklichen Neuanfang. Sie wollen das
größte Schuldenpaket, das eine Regierung bisher vorgelegt hat, diesem Hohen Haus schmackhaft machen, indem Sie gleichzeitig sagen, Sie würden 2015 eine Schuldenbremse einführen. Wer am selben Tag das größte
Schuldenpaket in den Deutschen Bundestag einbringt
und sagt, irgendwann werden wir eine Schuldenbremse
einführen, der ist nicht glaubwürdig. Das glauben Ihnen
nicht einmal die eigenen Leute. Der haushaltspolitische
Sprecher der Unionsfraktion, Herr Kampeter - er sitzt in
der ersten Reihe, geduckt, gebückt;
({7})
keine Sorge, man kann es verstehen -, selbst sagt:
Deutschland öffnet die Schuldenschleusen; das ist eine
Form von Konfettipolitik. Das ist das, was Herr
Kampeter sagt - nicht die FDP sagt das -, das sagt der
haushaltspolitische Sprecher Ihrer Fraktion über das,
was Sie hier heute vorlegen. Das ist kein gutes Zeugnis
für Ihren Koalitionskompromiss.
({8})
Das, was Sie vorlegen, ist ein Sammelsurium. Es ist
ein Paket, das nicht wirken kann, weil es ihm einerseits
an der Linie fehlt und weil es andererseits an dem Mut
fehlt, die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen. Das, was Sie bisher an Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger in dieser schweren Zeit vorschlagen, ist nichts anderes als eine Steuerentlastung auf
Taschengeldniveau. Damit kann man keine Wirtschaft
anspringen lassen. Ob es 5 Euro Steuerentlastung sind
oder 15 Euro - wie Sie behaupten -, Deutschland wird
deswegen mit Sicherheit nicht in einen Konsumrausch
verfallen. Das ist zu kurz gesprungen. Sie flickschustern,
anstatt ein einfaches und gerechteres Steuersystem mit
niedrigeren Tarifen zu beschließen. Das müsste der zentrale Stein dieses Konjunkturpaketes sein; aber das tun
Sie nicht.
Wir wissen natürlich, was dahintersteckt. Meine Damen und Herren, Sie sprechen viel von der Konjunktur,
Sie sprechen viel von der Wirtschaft, aber was bei diesem Paket in Wahrheit mitschwingt, sind vor allen Dingen Ihr innerparteilicher und Ihr innerkoalitionärer Konflikt. In Wahrheit ging es um die Frage: Wie konnten Sie
in der Koalition noch einmal zueinanderfinden? Jeder
legte etwas auf den Tisch, damit am Schluss ein Paket
geschnürt werden konnte - teuer, mit Schulden für die
Bürgerinnen und Bürger und mit wenig Wirkung. In
Wahrheit ist es ein Paket, dessen - wenige - Entlastungen erst zur Mitte dieses Jahres wirken und in Kraft gesetzt werden sollen, ein Zufall, dass das wenige Wochen
vor der Bundestagswahl ist. Mit diesem Paket kümmern
Sie sich weniger um die Konjunktur als vielmehr um
Ihre Wahlkampfinteressen, was man schon daran sieht,
dass nach der Bundeskanzlerin und meiner Wenigkeit
gleich der Kanzlerkandidat der SPD hier sprechen wird.
Allein die Rednerliste zeigt, worum es mit diesem Paket
in Wahrheit geht: viel Wahlkampf und wenig Zukunft
für Deutschland.
({9})
Das Schicksal ist: Es ist mutmaßlich der teuerste
Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland, der hier in diesem Hause beschlossen werden soll. Was ist zu tun? Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass es eine echte Entlastung der Bürgerinnen und
Bürger gibt bei den Steuern, bei den Abgaben und ausdrücklich auch bei der Bürokratie.
Ich will zum Punkt Steuern noch etwas im Detail sagen. In diesem Jahr wollen Sie die Bürgerinnen und Bürger bei den Steuern um 3 Milliarden Euro entlasten. Wir
vergleichen das einmal mit dem, was in anderen Ländern
erörtert wird. Es sind allein 300 Milliarden Dollar, die
der künftige Präsident Obama beim Thema „Entlastung
der Bürgerinnen und Bürger“ auf den Tisch legt. Sie sagen, wir hätten für Steuersenkungen kein Geld. Wer
wie Sie in diesem Paket für alles Geld hat - bis hin zu einer Abwrackprämie -, der kann nie wieder behaupten,
wir hätten kein Geld für Steuersenkungen. Sie wollen es
nicht. Sie können es nicht. Das sollen die Bürgerinnen
und Bürger wissen.
({10})
Gleichzeitig erklären Sie, Sie würden die Beiträge zur
Krankenversicherung senken. Das ist, mit Verlaub gesagt, nichts anderes als eine Veräppelung der Bürgerinnen und Bürger in dieser Republik. Wann hat es das in
Deutschland jemals gegeben, dass eine Gesundheitsreform zum 1. Januar eines Jahres in Kraft tritt und dass
man bereits zwei Wochen später die Milliarden suchen
muss, um den gröbsten Schrott dieser Gesundheitsreform wieder einigermaßen wegzukehren? Es ist eine
Veräppelung der Leute, wenn Sie ihnen per Gesundheitsreform erst höhere Beiträge verordnen, um ihnen dann
eine Brosame als Entlastung zurückzugeben. Das ist
keine Entlastung. Was Sie hier beschließen, ist eine
Frechheit.
({11})
2 500 Euro für alte Autos, 100 Euro fürs Kind, das ist
ein Wettbewerb der Hilflosigkeit - übrigens mit einer
sehr aussagekräftigen Schieflage. Was ist denn mit Ihren
Reden über Familie, wenn Sie in diesem Paket eine solche Gewichtung vornehmen?
({12})
Ich will klar sagen: Es ist richtig, dass Sie in die Bildung investieren. Das unterstützen wir. Es ist ausdrücklich auch richtig, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie darauf
hinweisen: Natürlich muss bei baulichen Maßnahmen
ebenfalls etwas geschehen. Gleichzeitig ist es aber auch
notwendig, darauf hinzuweisen, dass natürlich nicht nur
der Putz an den Wänden bröckelt, sondern dass auch die
Bibliotheken und die Lehrmittel immer schlechter werden. Dies wird eine gemeinsame große Aufgabe sein,
auch in der Bildungspolitik. Übrigens kann man an dem,
was Sie zur Bildungspolitik beschließen, erkennen
- mindestens jetzt kann man es erkennen -, wie falsch
die Zerfledderung der Bildungslandschaft durch die Föderalismusreform gewesen ist.
({13})
Es ist richtig, dass Sie die Mittel für Investitionen in
die Infrastruktur erhöhen. Allerdings sind in den vergangenen zehn Jahren die Abgaben und Steuern für die
Autofahrer und den Straßenverkehr von 37 auf 53 Milliarden Euro gestiegen. Sie haben in unglaublichem
Maße zugegriffen. Das Plus von 2 Milliarden Euro, das
jetzt gewährt werden soll, haben die Autofahrer in den
letzten Jahren bereits x-fach eingezahlt.
({14})
Schließlich fehlt aus unserer Sicht vor allen Dingen
der Ausstieg aus der ideologischen Energiepolitik. Allein wenn man die Energieinfrastruktur modernisieren
würde, könnten sich private Investitionsmittel in einem
Volumen von 20 bis 40 Milliarden Euro bewegen lassen.
Das würde den Staat nichts kosten, und es hätte große
Wirkung.
Meine Damen und Herren, dieses Paket ist nicht überzeugend. Es ist ein Sammelsurium. Das Schlimme an
diesem Paket ist in Wahrheit, dass es schnell verpufft,
aber die Schulden bleiben: für viele Jahrzehnte, für die
nächsten Generationen. Es wird wenig bringen, unglaublich viel kosten. Ich sage Ihnen gleichwohl zu: Es wird
in diesem Haus und auch in der anderen Kammer natürlich konstruktive Beratungen geben. Was in diesem Paket sinnvoll ist, werden wir mittragen. Aber Sie können
nicht erwarten, dass wir ein Paket unterstützen, mit dem
in Wahrheit die Steuern nicht gesenkt, die Schulden aber
erhöht werden und bei dem für die Konjunktur herzlich
wenig herumkommt. Deutschland hat Besseres verdient
als diese Flickschusterei der Großen Koalition.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Nächster Redner ist der Bundesminister des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir leben in der Tat, Herr Westerwelle, in außergewöhnlichen Zeiten. Die Weltwirtschaft ist in die
schwerste Krise seit 80 Jahren gerutscht, und - das ist
wichtig zu sagen - diese Krise wird um uns, wird auch
um unser Land keinen Bogen machen. In dieser Situation muss allen klar sein: Abwarten war und ist keine
Option. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Krise geradezu wie ein Tsunami unsere industriellen Strukturen
zerstört, dass wettbewerbsfähige Unternehmen schließen
müssen, dass Entlassungswellen unser Land erschüttern.
Deswegen muss und musste die Bundesregierung handeln, und zwar schnell und entschlossen. Genau das haben wir getan.
({0})
Wer nach der Schuld fragt, liegt falsch. Es ist ja so:
Weder die Ursachen der Finanzmarktkrise noch die Ursachen der Wirtschaftskrise kommen von hier oder sind
hausgemacht. Wir können aber sehr wohl bei uns zu
Hause etwas gegen die Krise und vor allen Dingen gegen
die Folgen dieser Krise tun. Deshalb und nur deshalb
verstärken wir öffentliche Investitionen. Wir sichern dadurch Arbeitsplätze. Wir verhindern Entlassungen durch
Qualifizierung, durch Umschulung, durch Erweiterung
und Erleichterung von Kurzarbeit. Wir entlasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wir stärken private Nachfrage.
Wir unterstützen Familien und Kinder. Das alles sind
Maßnahmen, die sinnvoll und vernünftig sind, weil sie
die Krisenfolgen abmildern, und das ist notwendig.
({1})
Wir mussten in diesen letzten drei Monaten ein ums
andere Mal erleben, dass Märkte und noch mehr die Akteure und Claqueure auf diesen Märkten versagt haben.
Wenn sie nicht weiterwussten und gar nichts mehr ging
- das haben wir erlebt -, dann erscholl der Ruf nach dem
Staat. Ich sage Ihnen angesichts von Finanzkrise und
Wirtschaftskrise ganz ehrlich: Ich finde es sehr beruhigend, dass der Staat in Deutschland handlungsfähig ist
und dass sich die Politik auch in diesen schwierigen Zeiten ihrer Verantwortung stellt, nicht ausweicht, sondern
das tut, was von ihr erwartet wird. Das ist gut für
Deutschland. Das ist gut für die Politik in Deutschland.
({2})
Wir legen Ihnen heute in der Tat das größte Konjunktur- und Stabilitätsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik vor. Es ist kein Diskussionsbeitrag, kein Palaver, sondern ein in den letzten drei bis vier Wochen gut
vorbereitetes Paket. Nur so vorzugehen, das ist der Situation angemessen.
Ich sage mit großem Ernst - das meine ich auch so -:
In diesem Jahr muss sich Politik bewähren. Politik muss
Substanz liefern, muss Mut zur Verantwortung zeigen.
Mit Show und Mätzchen werden wir in diesem Jahr ganz
sicherlich nicht durchkommen.
({3})
Herr Westerwelle, ich schätze Sie - Sie wissen das als politischen Gesprächspartner.
({4})
Ich sage Ihnen aber ebenso deutlich: Mit Spötterei werden Sie hier nicht durchkommen.
({5})
Ich habe die von Ihnen verwendeten Begriffe einmal
mitgeschrieben: Wahlkampfklingelei, Schrott, Wettbewerb der Hilflosigkeit, Flickschusterei. Sie können diese
riesige Kraftanstrengung, die wir hier unternehmen, mit
solchen Begriffen belegen. Helfen - das prophezeie ich
Ihnen - wird Ihnen das politisch nicht. Deswegen sage
ich Ihnen, Herr Westerwelle: Die FDP ist an den wichtigen Weggabelungen dieser Republik immer den Weg der
Vernunft gegangen. Ich hoffe und setze darauf, dass das
auch bei dieser Anstrengung so sein wird.
({6})
Ich bin froh, dass wir in den letzten Jahren - das war
nicht immer ganz einfach, wie sich sicherlich alle erinnern können - den Weg gegangen sind, unser Land zu
modernisieren. Die Früchte dieser Politik sind eine
starke Wirtschaft, wie wir sie heute haben, Sozialkassen,
die wieder Reserven angesammelt haben - 17 Milliarden
Euro allein bei der Bundesagentur für Arbeit -, und konsolidierte Haushalte. Nur diese Früchte unserer Politik
versetzen uns jetzt in den Stand, entschlossen zu handeln.
({7})
Das zeigt wieder einmal: Politik muss auf Langfristigkeit angelegt sein. Das zahlt sich aus; nur dadurch wird
Politik handlungsfähig.
({8})
Meine Damen und Herren, 50 Milliarden Euro sind in
der Tat eine gewaltige Summe. Aber nicht allein die
Summe ist ein entscheidendes Merkmal dieses Konjunkturprogramms. Vielmehr ist entscheidend, dass das Konjunkturprogramm sinnvoll, wirksam und gründlich
durchdacht ist. Wir reagieren eben nicht nur auf die
Krise, sondern wir nutzen sie ganz bewusst. Wir wollen
unser Land auch in dieser Krise moderner machen. Deshalb darf man bei diesem Konjunkturprogramm nicht
nur sehen, dass es mit 50 Milliarden Euro ausgestattet
ist, sondern man muss auch feststellen, dass es ein intelligentes Konjunkturprogramm ist.
({9})
Wir legen mit diesem Programm einen Mix von Maßnahmen vor, die sich gegenseitig verstärken und erst in
der Kombination wirken. Wir investieren in Infrastruktur. Wir sichern und fördern Beschäftigung. Wir geben
Anreize für mehr Konsum. Wir gehen gezielt in die Förderung von Innovationen. Außerdem tun wir etwas für
die ökologische Erneuerung: durch die Umweltprämie
für Altfahrzeuge, die Neuordnung der Kfz-Steuer, Maßnahmen zur Energieeffizienz in den Gebäuden, die Forschungsprämie. Alle Maßnahmen zusammen dienen
dazu, dass unsere Wirtschaft beim nächsten Aufschwung
in den Zukunftsmärkten wieder vorne liegt.
({10})
Nicht zuletzt ist dieses Programm auch ein klares Signal an die Länder in Europa, nämlich das Signal: Wir
nehmen unsere Verantwortung als stärkste Volkswirtschaft in der Europäischen Union an. Wir nehmen Geld
in die Hand, um diese schwierige Zeit durchstehen zu
können, gemeinsam mit den anderen Europäern. Darüber reden wir in Europa.
Europa ist wichtig; aber in dieser Situation, in der wir
über ein nationales Programm reden, ist es vielleicht
noch wichtiger, eine gemeinsame Kraftanstrengung in
Deutschland, und zwar in der ganzen Gesellschaft, einzufordern. Politik kann diese Krise am Ende nicht allein
bewältigen. Aber Politik kann - das habe ich gestern gesagt - in einer solchen Situation Vorbild sein, und das
werden wir jetzt zeigen. Wie das geht, haben wir mit unserem kommunalen Infrastrukturprogramm demonstriert. Das ist ein Bündnis mit Ländern und Kommunen,
das für mich, auch im Sinne der Vorbildfunktion, ein
Herzstück des gesamten Konjunkturpakets ist.
({11})
Der Bund gibt 10 Milliarden Euro, um in den Kommunen eine Welle von Aufträgen für Handwerker und
Bauwirtschaft auszulösen und Arbeitsplätze zu sichern.
Wir betonen: Der Schwerpunkt soll darauf liegen, Kindergärten und Schulen zu verbessern. Denn da ist, wie
wir alle wissen, noch viel zu tun. Noch nie in der Geschichte - das haben uns die Repräsentanten der Kommunen gesagt - hat es einen solchen Schulterschluss von
Bund, Ländern und Gemeinden wie in diesem Programm gegeben.
Nachdem das gelungen ist, appelliere ich an alle, die
jetzt an der Umsetzung arbeiten: Verzetteln wir uns bitte
nicht wieder in ein Gezerre um Zuständigkeiten! Handeln wir gemeinsam, so wie die Menschen es von uns erwarten! Genau so - und nur so - schaffen wir Vertrauen
in diesem Lande.
({12})
Ich bleibe auch dabei: Unser Programm hat zwei Bestandteile. Aus meiner Sicht sind es zwei Seiten derselben Medaille. Wir geben jetzt einen kräftigen Impuls für
die Konjunktur. Aber wir müssen mit Beginn des nächsten Aufschwungs genauso entschieden gegensteuern.
Neuverschuldung und Tilgung gehören zusammen.
Entsprechend zu handeln, sind wir uns und der nächsten
Generation schuldig. Deshalb müssen wir es schaffen.
Herr Westerwelle, wenn ich das noch ergänzen darf:
Ich habe die feste Absicht, das noch zu erleben.
({13})
Wenn ich mich erinnere, hat das Abtragen der Schulden
des Erblastentilgungsfonds 14 Jahre gedauert. In 14 Jahren wäre ich 67 Jahre alt. Diese Lebenserwartung muss
mir auch die Opposition zugestehen.
({14})
Ich sage noch etwas dazu, warum ich dieses Konjunkturpaket wirklich für einen großen politischen Erfolg
halte. Wir zeigen damit, dass sich wirtschaftliche Notwendigkeit und soziale Gerechtigkeit in diesem Paket ergänzen. Davon profitieren auch all die Menschen überdurchschnittlich, die in den letzten Jahren weniger zum
Zuge gekommen sind: Menschen, die arbeiten gehen,
Familien mit Kindern, 17 Millionen Rentner und auch
die 6- bis 13-jährigen Kinder von Langzeitarbeitslosen.
({15})
Wir sind dafür eingetreten, dass vor allen Dingen die
Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen von
den Maßnahmen profitieren. Das erwartet man auch von
Sozialdemokraten. Darüber hinaus ist es auch unter
Konjunkturgesichtspunkten hochvernünftig. Warum?
Weil in einer Flaute nur die Maßnahmen wirksam sind,
bei denen zusätzliches Geld tatsächlich im Konsum landet und eben nicht auf dem Sparbuch. Das ist der Grund,
warum wir Bezieher kleiner Einkommen besonders begünstigen wollen. Sie wissen, am liebsten hätten wir es
über eine Senkung der Abgaben gemacht. Aber wenn es
schon über Steuerentlastungen erfolgen soll, dann soll
dies möglichst für die kleinen und mittleren Einkommen
gelten.
Unter dem Strich kann man sagen: Gute Konjunkturpolitik und eine sozial gerechte Politik gehen zusammen;
sie müssen kein Widerspruch sein. Das beweist unser
Paket. Deshalb kann ich dieses Paket nicht nur gut vertreten, sondern bin hochzufrieden mit dem Gesamtergebnis.
({16})
So wichtig dieses Konjunkturpaket auch ist, es kann,
gemessen an den politischen Aufgaben, die vor uns liegen, nur ein Zwischenschritt sein. Die Menschen erwarten von der Politik ganz sicherlich Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur. Wenn wir - wie auch viele
Menschen im Lande - in dieser Situation von einer Zeitenwende sprechen, dann wollen sie wissen: Wie geht es
darüber hinaus weiter? Wie stellen wir sicher, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt? Wie sieht der politische Rahmen aus, mit dem wir wirksam dafür sorgen,
dass der Ehrliche nicht der Dumme ist? Es geht um einen Rahmen, in dem wir die Stellschrauben so ausrichten, dass Unternehmen wieder langfristig denken und
langfristig investieren. Dafür zu arbeiten, dass ein solcher Rahmen mit klaren Regeln und Maßgaben entsteht,
das wird die große Aufgabe in diesem Jahr sein.
({17})
Wir können und müssen uns dabei klarmachen: Die
Gründe für die Finanzkrise liegen ganz sicherlich in der
übergroßen Risikobereitschaft und auch in der übergroßen Gier vieler Einzelner. Aber die Ursache ist natürlich
eine andere: Dies war ein Finanzwirtschaftssystem, das
auf dieses Verhalten nicht ausgelegt war, das Tür und
Tor geöffnet und sogar Anreize für unverantwortliches
Verhalten geboten hat. Mit anderen Worten: Wer eine
Rendite von 25 Prozent erbringen muss, weil er anderenfalls seinen Job in der Finanzwelt verliert, handelt eben
nicht so, wie das dem langfristigen Interesse der Unternehmen entspricht.
({18})
Darin liegt die Ursache der Krise. Da müssen wir heran.
Diese Weltwirtschaftskrise konnte nur entstehen, weil
in der internationalen Finanzwirtschaft ein Markt ohne
Regeln mit zu wenig Aufsicht und zu wenigen Kontrollmechanismen bestand, ein Markt, der sich seine Regeln
sozusagen selber geschrieben hat. Sie wissen, nationale
Politik allein ist dagegen machtlos.
({19})
Auf der internationalen Ebene bestand über viele Jahre
hinweg nicht nur Handlungsunfähigkeit, sondern, wenn
ich es richtig in Erinnerung habe - der Finanzminister
wird es bestätigen -, Handlungsunwilligkeit.
Jetzt, da wir eine Phase haben, in der Einsicht
herrscht, könnte darin eine historische Chance liegen,
die wir nutzen müssen. Wir müssen jetzt mit aller Kraft
an einer Weltwirtschaftsordnung arbeiten, die Krisen
dieses Ausmaßes in Zukunft verhindert.
({20})
Das geht nur international. Wer Markt und Gemeinwohl
in eine neue Balance bringen will, muss noch viel stärker
als bisher international handeln. Er muss sich in den zentralen Feldern der Wirtschafts-, der Finanz-, der Sozialund der Umweltpolitik enger abstimmen. Deshalb ist es
gut, dass sich die G-20-Staaten zusammengefunden haben. Es ist gut, dass wir uns auf der europäischen Ebene
vorher abstimmen und dann möglichst mit einer Stimme
sprechen.
({21})
Aber ich sage auch: Die Nachricht von der neuen
Zeit, die neue Antworten verlangt, muss auch in Brüssel
bei den Institutionen der Europäischen Union ankommen. Wenn die Europäische Union eine gute Zukunft haben soll, dann dürfen die Kommissare und die leitenden
Angestellten der Europäischen Union nicht mehr länger
nur allein - auch das muss natürlich sein - das Lied vom
ungehinderten Wettbewerb und vom freien Binnenmarkt
singen, sondern müssen realisieren, dass etwas passiert
ist. Die Menschen erwarten mehr, und deshalb muss
auch Europa mehr leisten.
({22})
Krisenzeiten sind Gestaltungszeiten. Das gilt für jedes
Land, für jede Regierung und auch für jede Partei. Die
nächsten 18 bis 24 Monate werden - ich bin mir da sehr
sicher - darüber entscheiden, wie die Weltwirtschaftsordnung und die Gesellschaftsordnung in der Zukunft
aussehen werden, jene Ordnungen, in denen unsere Kinder leben werden. Dies ist natürlich eine Aufgabe der
Bundesregierung. Diese Aufgabe nehmen wir an. Wir
werden schon im März bei der nächsten Zusammenkunft
des Koalitionsausschusses auf der nationalen Ebene darüber beraten, was wir tun müssen, um Regeln für Transparenz und Kontrolle auf den Finanzmärkten zu schaffen, und wie wir mit Managergehältern umgehen. All
das werden wir tun. Aber dies, worüber ich rede, ist natürlich nicht nur eine Aufgabe der Politik und der Regierungen. Dies ist auch eine Aufgabe der Verbände, der
Kirchen, der Gewerkschaften, also der ganzen Zivilgesellschaft.
({23})
Wir sollten in diesem Zusammenhang einen engen Dialog nicht nur mit der Opposition hier im Hause, sondern
auch mit der Zivilgesellschaft als Ganzes führen. Ich bin
mir sicher, dass das geht.
Diesen Appell möchte ich auch an die Verantwortlichen in der Wirtschaft richten. Das, was diese Krise ausmacht, ist eine tiefgreifende Legitimationskrise der inzwischen globalisierten Marktwirtschaft. Eine solche
Krise kann die Politik nicht allein überwinden. In den
vielen Gesprächen, die ich in der letzten Zeit mit Wirtschaftsvertretern führte, bemerkte ich, dass sie spüren,
dass man hier etwas tut. Auch dort gibt es Bewegung,
Bewegung in den Köpfen. Auch dort suchen viele nach
neuen Orientierungen. Es gibt Manager in der Leitungsebene, die erkennen, dass der kurzfristige Renditedruck
des Kapitalmarktes die Unternehmen nicht immer nach
vorne gebracht hat, und deshalb für eine Neuordnung der
Märkte offen sind. Ich finde es schade, dass sich bisher
nur wenige aus der Wirtschaft öffentlich an dieser Diskussion beteiligen. Ich bin mir sicher, dass wir eine solche Diskussion brauchen, insbesondere in einer solchen
Situation, in der deutlich wird, dass Fehler, die in der
Vergangenheit gemacht wurden, die Legitimität des
Wirtschaftssystems und vor allen Dingen die Legitimität
des politischen Rahmens, der dieses System trägt, berührt oder sogar beschädigt haben.
Deshalb sage ich: Das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft ist notwendig - das fällt uns leicht -; aber das
Bekenntnis allein - da bin ich mir sicher - wird nicht
ausreichen.
({24})
Wenn wir den Vertrauensverlust wirklich aufarbeiten
wollen, dann müssen wir um Zustimmung und Akzeptanz werben. Ich bin überzeugt: Erfolgreich wird dieses
Werben nur dann sein - es gibt eine einzige Voraussetzung -, wenn unser Handeln, auch unser Wirtschaften
den Maximen dieser sozialen Marktwirtschaft wirklich
entspricht, das heißt, wenn Rücksicht auf die Menschen
genommen wird, auch und gerade in Zeiten der Krise.
({25})
Mich beeindruckt - damit komme ich zum Schluss -,
dass einzelne Unternehmen - Siemens gehört dazu - ihre
aus dem Unternehmen heraus verursachte Krise dazu
nutzen, sich neu zu erfinden und neue Regeln der Nachhaltigkeit und Transparenz aufstellen, dabei aber eben
auch - deshalb komme ich an dieser Stelle darauf zu
sprechen - Arbeitsplätze garantieren und auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Das nenne ich Verantwortung für das Gemeinwohl in der Krise. Ich würde davon in der deutschen Wirtschaft gerne noch mehr sehen,
damit die Menschen merken: Auch die Wirtschaft meint
es in dieser Situation ernst.
({26})
Der Weg durch eine solche Krise ist nicht einfach. Er
bedarf einer Richtung. Wir sind im Augenblick gemeinsam dabei, den Kompass neu zu justieren. Die Bundesregierung hat ihren Beitrag dazu geleistet. Ich finde, sie hat
einen guten Beitrag geleistet.
Herzlichen Dank.
({27})
Oskar Lafontaine ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung stellt uns das nach ihren eigenen Worten größte Konjunkturprogramm nach dem
Kriege vor. Wenn die Öffentlichkeit diese Bemerkung
hört, dann ist sie geneigt zu glauben, dass damit die entscheidende Antwort auf die Krise gegeben wird, der wir
uns gegenübersehen.
Dieses „größte Konjunkturprogramm nach dem
Kriege“ - ich beziehe mich auf die Vorlage, um die es
jetzt geht - umfasst pro Jahr - nur darüber kann man reden, wenn man redlich argumentieren und die Öffentlichkeit nicht täuschen will - 1 Prozent des Bruttosozialproduktes. Würde man das Konjunkturprogramm I
hinzunehmen, wären es 1,2 bis 1,3 Prozent. Darüber reden wir hier. Die Frage ist, ob diese Antwort ausreichend
ist, um die Verwerfungen, die sich jetzt abzeichnen, auch
nur teilweise abzumildern.
Wenn man diese Größenordnung sieht, dann muss
man sie mit zwei anderen Zahlen konfrontieren, die ich
hier noch einmal in Erinnerung rufen will. Wir hatten in
den letzten Jahren eine strukturelle Veränderung der
Staatsausgaben in großem Umfang. Die strukturelle
Veränderung hat die Bundesregierung selbst angegeben:
Sie beträgt 118 Milliarden Euro pro Jahr. Das heißt, nach
Auskunft der Bundesregierung geben wir im Vergleich
zum Jahre 2000 118 Milliarden Euro pro Jahr weniger
aus. Wenn man diese strukturelle Fehlentwicklung jetzt
mit Ihrem Konjunkturprogramm vergleicht, dann muss
man zu dem Ergebnis kommen, dass Ungleichgewichte,
wie sie in den letzten Jahren aufgebaut worden sind, mit
diesem Strukturprogramm nicht beseitigt werden.
({0})
Die Staatsausgaben werden im Vergleich zu anderen
Ländern immer noch deutlich zu gering sein. Ich nenne
zwei Zahlen. Würden wir so viel Geld für Bildung ausgeben wie der Durchschnitt der OECD-Staaten, dann
müssten wir pro Jahr 25 Milliarden Euro mehr ausgeben.
Würden wir für die Infrastruktur so viel Geld ausgeben
wie der Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft,
dann müssten wir pro Jahr 25 Milliarden Euro mehr ausgeben. Das heißt, verglichen mit diesen Zahlen ist das
jetzige Konjunkturprogramm völlig unzureichend, weil
es insbesondere in die öffentliche Infrastruktur viel zu
wenig investiert.
({1})
Zweiter Punkt. Das noch größere Ungleichgewicht,
das sich aufgebaut hat und zu dem Sie keinen einzigen
Satz gesagt haben, ist die soziale Schieflage in der
Gesellschaft. Allein bei den Löhnen gibt es ein Sinken
der Lohnquote, das sich folgendermaßen umrechnet:
Hätten wir heute noch die Lohnquote des Jahres 2000,
dann hätten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland 140 Milliarden Euro pro Jahr mehr Einkommen. Das setzt sich fort über die Renteneinkommen
und natürlich auch über die sozialen Leistungen. Gegen
diese Schieflage, gegen dieses große soziale Ungleichgewicht unternehmen Sie mit Ihrem Konjunkturprogramm überhaupt nichts.
({2})
Der Treppenwitz ist, dass Sie es auch noch verschärfen. Das ist eine Dreistigkeit sondergleichen. Herr Bundesaußenminister, Sie haben hier gesagt, dass Sie die
Bezieher der kleinen Einkommen mit diesem Konjunkturprogramm stärken wollen. Sie tun doch das Gegenteil; die Zahlen zeigen das eindeutig. Ich will Ihnen das
jetzt hier vorlegen. Es war richtig, dass der Bundesfinanzminister - leider ist er ja umgefallen - immer wieder
darauf hingewiesen hat, dass die Hälfte der Haushalte in
Deutschland keine Lohn- und Einkommensteuern zahlen. Das ist die Hälfte der Haushalte, die das Geld am
nötigsten brauchen. Seine Schlussfolgerung war richtig:
Wenn man etwas zur Stärkung der Nachfrage tun will,
muss man den Haushalten Geld geben, die es am nötigsten brauchen, und nicht den Haushalten, die es nicht
brauchen. Das ist der Fehler Ihres Konjunkturprogramms.
({3})
Nun kommen wir einmal zu den Zahlen. Man glaubt
es kaum, wenn man es liest. Ich las heute in der Tageszeitung Die Welt - das ist also keine bösartige Unterstellung der Fraktion Die Linke -: Für diejenigen mit
17 500 Euro Jahresbrutto, die in Steuerklasse III sind
und zwei Kinder haben, gibt es im Jahr eine Entlastung
von 26,25 Euro. Für jemanden, der in derselben Steuerklasse ist und 110 000 Euro Jahresbrutto hat - das ist
etwa das, was ein Bundestagsabgeordneter an Einkommen ausweisen kann -,
({4})
gibt es eine Entlastung von 379,33 Euro. Das heißt, Sie
entlasten sich deutlich stärker, zehnfach stärker, als denjenigen, der einen geringen Lohn hat. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit.
({5})
Das heißt, Sie haben überhaupt nicht erkannt, dass es
in der jetzigen konjunkturellen Situation notwendig
wäre, die sozialen Ungleichgewichte in unserer Volkswirtschaft anzugehen. Deshalb sagen wir hier für die
Fraktion Die Linke noch einmal: Es wäre viel sinnvoller
gewesen, den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von
8,71 Euro wie in Frankreich einzuführen. Das hätte einen viel größeren Wirkungseffekt.
({6})
Es wäre viel sinnvoller gewesen, die Renten um
4 Prozent anzuheben. Die Rentnerinnen und Rentner waren in den letzten Jahren immer diejenigen, die auf Erhöhungen verzichten mussten. Es wäre viel sinnvoller gewesen, den Hartz-IV-Satz auf 435 Euro anzuheben. Es
ist doch nicht mehr nachvollziehbar, dass Sie einer Geschäftsbank mal eben 18 Milliarden Euro zuschieben,
aber für die Hartz-IV-Empfänger keine 7 Milliarden
Euro übrig haben. Das alles, was Sie hier vorlegen, ist
doch bodenlos.
({7})
Man kann nicht über das hinwegsehen, was sich jetzt
anbahnt. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben gesagt,
Deutschland muss stärker werden. Es ist immer wunderbar, wenn Sie von Deutschland sprechen; denn dann
stellt sich jedes Mal die Frage, wer eigentlich gemeint
ist. Deutschland sind doch die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer - die hatten aber Reallohnverluste zu verzeichnen. Deutschland sind doch die Rentnerinnen und
Rentner - die hatten in den letzten Jahren aber eine immer geringere Kaufkraft. Deutschland sind doch die Bezieher sozialer Leistungen - die hatten allerdings Kürzungen zu verkraften. Jetzt wollen Sie denen, die in
Zeiten einer wachsenden Wirtschaft Verluste zu verzeichnen hatten, weismachen, sie würden gestärkt aus
dieser Rezession hervorgehen. Frau Merkel, wollen Sie
diese Auffassung ernsthaft vertreten? Wie wollen Sie das
denn anstellen?
Ich will Ihnen einmal etwas zum aktuellen Einkommen
eines Stahlarbeiters sagen. Noch vor drei Monaten
machte er Überstunden. Er verdiente ungefähr 4 000 Euro
pro Monat und konnte teilweise sogar steuerfreie Sonderschichten fahren. Die fallen jetzt natürlich alle weg.
Er wurde auf Kurzarbeit gesetzt und erhält nur noch
67 Prozent seines Einkommens. Das sind in manchen
Fällen pro Monat fast 2 000 Euro weniger. Einen solchen
Stahlarbeiter entlasten Sie nach der Tabelle, die mir vorliegt, im Jahr um insgesamt rund 200 Euro. Das ist die
Wirklichkeit, über die wir hier reden. Lassen Sie mich an
dieser Stelle eine spannende Frage, mit der wir uns auch
beschäftigen müssen, stellen: Wer bezahlt eigentlich die
Zeche für die Milliardenschecks, die Sie verteilen? Wer
bezahlt dafür die Zeche?
({8})
So, wie Sie Ihre Steuerpolitik in den letzten Jahren
angelegt haben, werden Sie die Milliardenschulden, die
Sie jetzt auftürmen, nutzen, um Ihre Politik der brutalstmöglichen Umverteilung von unten nach oben fortzusetzen. Darauf muss die Linke hinweisen.
({9})
Wir müssen deshalb darauf hinweisen, weil Sie die
Katze in dieser Woche Gott sei Dank aus dem Sack gelassen haben. Da sagte ein Abgeordneter der CDU: Jetzt
müssen die Rentnerinnen und Rentner antreten, um diese
Milliardenschulden zu bezahlen.
({10})
Da sagte ein Abgeordneter der SPD: Jetzt müssen die
Rentnerinnen und Rentner antreten, um diese Milliardenschulden zu bezahlen. Und da sagte ein Abgeordneter der FDP: Jetzt müssen die Rentnerinnen und Rentner
antreten, um diese Milliardenschulden zu bezahlen. Auf der anderen Seite trauen Sie sich aber nicht, eine
Vermögensteuer zu erheben, und das, obwohl in dieser
Volkswirtschaft riesengroße Ungleichgewichte entstanden sind. Das ist ein Skandal erster Ordnung.
({11})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede ein einziges Mal das Wort
„Ungleichgewichte“ in den Mund genommen. An dieser Stelle wurde ich aufmerksam; denn ich war gespannt,
was sie dazu sagt. Sie sagte, sie wolle die internationalen
Ungleichgewichte beseitigen. Mich würde wirklich interessieren, was Sie damit eigentlich meinen. Meinen Sie
tatsächlich, dass Sie die Exportüberschüsse Deutschlands abbauen wollen, oder was haben Sie mit „internationalen Ungleichgewichten“ gemeint? Bevor Sie die internationalen Ungleichgewichte abbauen, müssen Sie
erst einmal die Ungleichgewichte im eigenen Land abbauen:
({12})
die sozialen Ungleichgewichte, die Ungleichgewichte
bei den Einkommen und die Ungleichgewichte bei den
Vermögen.
Ich kann die Bevölkerung nur warnen. Ihren eigenen
Jahreswirtschaftsberichten zufolge hat Ihre Politik der
letzten Jahre zu folgender Entwicklung geführt - dies
kann man der drittletzten Seite des Jahreswirtschaftsberichts entnehmen -: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen nichts dazu, die Rentnerinnen und
Rentner bekommen nichts dazu, und die Sozialhilfeempfänger bekommen ebenfalls nichts dazu. Zuwächse haben
nur die Bezieher von Vermögens- und Gewinneinkommen zu verzeichnen, und zwar in einer Größenordnung
von 7 Prozent. Wer, wenn es um steuerpolitische Maßnahmen geht, nicht in der Lage ist, den Reichen ans Geld
zu gehen, der hat bei der Bewältigung dieser Krise schon
jetzt in dramatischer Weise versagt.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Kauder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es ist schon etwas Außergewöhnliches, wenn der Deutsche Bundestag zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommt und wenn er sich mit einem bestimmten
Thema nicht im Rahmen der ganz normalen Plenardebatten beschäftigt, sondern dafür eine Sondersitzung
durchführt.
Der Anlass, aus dem wir uns heute zusammenfinden,
rechtfertigt diese Sondersitzung auf jeden Fall. Es geht
nämlich um etwas Außergewöhnliches. Für den Fall,
dass Sie von der Linken oder der eine oder andere Abgeordnete der übrigen Oppositionsfraktionen es noch nicht
mitbekommen haben sollte - als ich mir Ihre Reden angehört habe, habe ich diesen Eindruck zum Teil gewonnen -, sage ich Ihnen: Jeden Tag erreichen uns erneut
Meldungen darüber, was in der deutschen Wirtschaft los
ist. Ich kann über meinen Wahlkreis - es ist ein ländlicher Wahlkreis - und die dort ansässigen Zulieferer zur
Automobilindustrie sprechen. Dort wird Kurzarbeit angemeldet. Es ist nicht so, dass wir es nur mit einer konjunkturellen Delle zu tun haben. Wir haben es mit einer
Wirtschaftskrise zu tun, die ganz außergewöhnliche
Maßnahmen erfordert. Dem wird die Große Koalition
gerecht.
({0})
Man kann im Hinblick auf das, was heute von der
Bundesregierung vorgestellt worden ist, durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Natürlich gehört es zu einer parlamentarischen Diskussion dazu, sich darüber
auseinanderzusetzen und zu diskutieren, welcher der
richtige Weg ist und ob die einzelnen Maßnahmen tatsächlich greifen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
es ist aber in einer solchen Zeit überhaupt nicht angebracht, mit Häme und in einer Art und Weise zu diskutieren, die die Menschen nicht mehr als konstruktiven,
soliden Beitrag zur Debatte in einer schwierigen Zeit
verstehen. Es darf nicht sein, dass alles schlechtgemacht
wird, nur weil es nicht von der eigenen Truppe vorgeschlagen worden ist. Das finde ich in der aktuellen Situation nicht angemessen.
({1})
Es handelt sich hier um eine Situation, die nicht nur
unser Land betrifft. Wir haben es mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun. Deshalb ist völlig klar, dass wir eine
Antwort auf folgende Frage finden müssen: Wie können
wir die Stabilität in der Weltwirtschaft wiederherstellen?
Es geht also nicht nur darum, eine nationale Antwort zu
finden, sondern auch darum, die Antwort auf die Frage,
wie internationale Stabilität hergestellt werden kann, zu
suchen.
Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das
stolz darauf war und auch in Zukunft stolz darauf sein
sollte, Exportweltmeister zu sein und zu bleiben, weiß,
dass diese Position nur erreicht und gehalten werden
kann, wenn die Weltwirtschaft wieder in Ordnung
kommt. Das wird nicht gelingen, wenn sich die großen
Wirtschaftsnationen ihrer Verantwortung für die Weltwirtschaft nicht bewusst sind.
Dies gilt vor allem für die Vereinigten Staaten von
Amerika, von denen diese ganze Krise ausgegangen ist.
Der neuen Administration und dem neuen amerikanischen Präsidenten Obama muss man deshalb sagen: Lassen Sie sich nicht darauf ein, was Ihnen der eine oder andere in Ihrem Land einreden will. Mit Protektionismus,
dem Abschotten der amerikanischen Märkte und dem
einseitigen Stützenwollen der amerikanischen Industrie,
wird dieses Problem, das aus den USA zu uns gekommen ist, nicht aus der Welt geschafft werden.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es natürlich auch darum geht, die Finanzmärkte
wieder in Ordnung zu bringen. Es sind nationale Maßnahmen notwendig, und diese wurden im vergangenen
Jahr im Rahmen des ersten Konjunkturpakets ergriffen.
Natürlich reicht dies aufgrund der weltweiten Verflechtung nicht. Deshalb glaube ich, dass ein weiterer Hinweis an die Vereinigten Staaten notwendig ist. Die Entwicklung erreichte einen Höhepunkt, als man Lehman
Brothers in den Konkurs gehen ließ. Jetzt muss man dafür sorgen, dass im Finanzmarktbereich neues Vertrauen
entsteht. Dabei hat auch Amerika die Aufgabe, sich nicht
national abzuschotten. Ein Land, das ohne Finanzbeziehungen zu China nicht in die Zukunft gehen kann, muss
in dieser globalen Krise um seine Verantwortung in der
Welt wissen.
({3})
Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, bin ich Ihnen dankbar,
dass Sie auch die internationale Dimension deutlich gemacht haben.
Warum lege ich so großen Wert darauf, dies noch einmal zu sagen? Es geht mir darum, deutlich zu machen,
dass diese Krise mehr ist als nur eine konjunkturelle Irrfahrt in den Nationalstaaten Europas. Der Hinweis, was
weltweit getan werden muss und was die Bundesregierung jetzt in den Diskussionen über die Weltwirtschaft
anpackt, ist das eine. Das andere ist, auf die Herausforderung auch national so zu reagieren, wie es in unseren
Möglichkeiten liegt.
In diesen Tagen wird sehr viel darüber gesprochen, ob
eine Maßnahme marktwirtschaftlich oder ordnungspolitisch richtig ist und ob man dieses oder jenes machen
müsse. Ich glaube, in diesen Tagen muss zunächst einmal eine ganz einfache Frage gestellt und dann beantwortet werden: Was erwarten die Menschen von unserer
sozialen Marktwirtschaft, unserer Demokratie und unserem Land?
({4})
- Herr Kuhn, Sie haben schon bessere Beiträge eingeworfen als jetzt. Daran merke ich, dass Sie noch nicht
auf dem Niveau meiner Ausführungen angekommen
sind.
({5})
Ich glaube, die Antwort muss heißen: Die Menschen
erwarten von ihrem Staat, von ihrem Land Sicherheit in
existenziellen Fragen, und zwar in der äußeren und in
der inneren Sicherheit. Sie erwarten auch, dass dieser
Staat das Richtige für eine Grundentscheidung tut, die
den Menschen Sicherheit gibt, nämlich den Erhalt der
sozialen Marktwirtschaft auch in schwierigen Zeiten.
Darum geht es jetzt.
({6})
Die soziale Marktwirtschaft hat nicht nur eine ordnungspolitische Dimension, sondern sie hat auch gesellschaftliche Implikationen und Bedeutung. So haben wir
von der Union jedenfalls soziale Marktwirtschaft immer
verstanden. Das heißt in dieser konkreten Situation
zweierlei - das wird mit dem Paket auch gemacht -: Wir
tragen Verantwortung dafür, dass die Menschen in diesem Land mit einer Perspektive durch diese schwierige
Situation kommen können. Dass sie eine Perspektive haben, heißt: Wir müssen dafür sorgen, dass sie ihre Existenzgrundlage - nämlich ihren Arbeitsplatz - erhalten
können. Das ist das entscheidende Thema. Alles, was
wir machen, dient dazu, den Menschen zu helfen, durch
diese Krise zu kommen und mit der nötigen Stabilität in
die Zukunft schauen zu können. Das bedeutet, in unserer
nationalen Wirtschaft Arbeitsplätze zu erhalten. Genau
dies wird gemacht.
({7})
Das ist die Aufgabe der sozialen Marktwirtschaft: die
Existenzgrundlage in unserer Gesellschaft zu sichern.
Das Programm auf seine Richtigkeit und Wirksamkeit
zu überprüfen - soweit man das heute überhaupt voraussagen kann, lieber Kollege Westerwelle -, heißt, zu fragen: Wird das Programm dem Maßstab gerecht, den
Menschen zu helfen, eine Perspektive zu haben, und Arbeitsplätze zu erhalten? Wenn man diesen Maßstab anlegt, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition,
und in dieser Krise gutwillig seinen Beitrag leisten will,
dürfte es sehr schwerfallen, Punkte zu finden, die diesem
Ziel nicht dienen. Deswegen kann ich nur sagen: Die
Große Koalition hat zum zweiten Mal außerordentlich
rasch gehandelt.
In einem Wahlkampfjahr äußert sich der eine oder
andere. Für mich ist es nach fast 20 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag neben dem, was wir jetzt
alles machen müssen, eine außerordentliche Erfahrung,
dass es trotz Wahlkampfes, trotz einer kurz bevorstehenden Landtagswahl und trotz der Tatsache, dass wir uns in
diesem Jahr neu positionieren und dass jeder in der Koalition versucht, seine Chancen zu nutzen, gelungen ist,
ein solches Programm - nicht unter parteipolitischen Gesichtspunkten, sondern in Abwägung dessen, was dem
Land dient - aufzulegen. Ich finde, das muss deutlich gemacht werden,
({8})
genauso wie die Tatsache, dass diese Große Koalition
unter Führung der Bundeskanzlerin ihre Aufgaben und
ihre Verantwortung ernst nimmt und dem Land dient.
Die wichtige Botschaft lautet: Die Regierung sorgt für
solide Stabilität in diesem Land. Die Menschen wissen,
dass diese Regierung ihre Aufgaben auch in einem Superwahljahr ernst nimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher, dass
uns die aktuelle Krise in besonderer Weise fordern wird.
Wenn ich in die Geschichte zurückblicke, weiß ich, dass
wir immer wieder vor schwierigen Situationen standen
und diese immer gemeistert haben. Das ist allerdings nur
dann möglich, wenn man zuversichtlich ist, dies zu
schaffen, den Kompass richtig ausrichtet und sich danach orientiert. Wir haben einen Kompass und eine klare
Orientierung, die uns auch in schwieriger Zeit nicht vom
Weg abbringen, sondern auf dem Weg halten. Es sind
unsere Überzeugungen von der sozialen Marktwirtschaft, die dieses Land in 60 Jahren stark und wettbewerbsfähig gemacht haben.
({9})
Dabei bleibt es auch: sozial und Markwirtschaft. Wenn
das entsprechend umgesetzt wird, führt dies zu den richtigen Ergebnissen.
In diesem Jahr können wir auf 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland und auf bald 20 Jahre deutsche Einheit
zurückblicken. Wenn man einen Blick zurückwirft, wird
man feststellen: Das ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte in diesem Land. An dieser Erfolgsgeschichte
haben alle, die im Deutschen Bundestag vertreten sind,
sowohl in Oppositionszeiten als auch während der Re21440
gierungsbeteiligung ihren Anteil, bis auf die ehemalige
PDS und die Linke, und das war auch immer gut so.
({10})
Wenn man die heutige Rede von Oskar Lafontaine gehört hat, kann man nur sagen: Man kann und muss sich
in der Opposition mit dem auseinandersetzen, was die
Regierungsfraktionen vorlegen. Aber Ihr heutiges Niveau, Herr Lafontaine, wird der konkreten Situation
nicht gerecht und ist für mich erneut ein Beweis dafür:
Sie dürfen in diesem Land keine Verantwortung tragen.
Das wäre ein großer und entscheidender Fehler.
({11})
Ich habe gesagt, dass 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland eine gemeinsame Erfolgsgeschichte darstellen, an
der alle, bis auf diejenigen, die ganz links sitzen, beteiligt
waren. Wir sind nun wieder in einer besonderen Situation
und stehen vor großen Herausforderungen. Ich bin sicher: Wir schaffen das. Ich lade Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, ein, erneut Ihren Beitrag
dazu zu leisten, dass die Erfolgsgeschichte auch im
60. Jahr der Bundesrepublik Deutschland weitergehen
kann. Ich bin deshalb dankbar, Herr Westerwelle, dass
Sie nicht gesagt haben: Wir lehnen im Bundesrat alles
einfach ab. - Der Bundesrat dient sicherlich der Vertretung der Interessen der Bundesländer. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Es gibt kaum ein anderes vom Deutschen
Bundestag beschlossenes Programm, das so viele Länderinteressen berücksichtigt wie das jetzige. Werden Sie
also in den Bundesländern, in denen Sie an der Regierung beteiligt sind, den Länderinteressen gerecht!
({12})
Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Merkel, Ihr Versuch, in das Programm, das
heute vorliegt, mehr Sinn hineinzuinterpretieren, als drin
ist, hat uns bislang nicht überzeugt.
({0})
Ich will in aller Ruhe darstellen, woran das liegt.
Vorweg muss ich eine Bemerkung zu dem 100-Milliarden-Euro-Schirm, den Sie jetzt für die Wirtschaft
aufspannen wollen, machen. Die Begründung, die von
Ihnen vorgebracht wurde, ist die Kreditklemme. Das
heißt, dass die Banken doch nicht Kredite für Investitionen in dem Umfang bereitstellen, wie es nötig wäre. Ich
kann nur sagen: Diese Begründung kann doch jemanden,
der die letzten Wochen politisch einigermaßen mitverfolgt hat, nicht überzeugen. Wir haben einen Finanzmarktschirm von 480 Milliarden Euro für die Banken
mit dem Ziel und der Aufgabe aufgelegt, dass diese der
Wirtschaft Kredite zur Verfügung stellen. Jetzt tun sie es
nicht ausreichend. Und was machen Sie? Sie spannen
einfach noch einen Garantieschirm extra für die Wirtschaft auf, wobei dann Herr Glos entscheidet, was ein
solider Betrieb ist. Das ist der falsche Weg.
({1})
Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Wenn der Finanzmarktschirm nicht funktioniert, dann korrigieren Sie ihn.
Er funktioniert nicht, und das mit Ansage. Wir haben ihn
damals abgelehnt, weil uns klar war, dass Sie gegenüber
den Banken zu wenig Klarheit - Stichwort Teilverstaatlichung - praktizieren. Jetzt gibt es hintenherum einen
zweiten Schirm nach der Methode „Viel hilft viel“. Es ist
aber Murks, was Sie da wieder angestellt haben.
({2})
Jetzt wird die Commerzbank teilverstaatlicht, aber
gleichzeitig rühmt sich der Finanzminister, dass er zwar
das Geld zur Verfügung stellen und Anteile kaufen will,
aber keinen effektiven Einfluss auf das Geschäft der
Commerzbank ausüben will. Wir haben bereits - auch
das muss man zur Kenntnis nehmen, wenn man über
Milliardenbeträge redet - 18,2 Milliarden Euro des Bundes in der Commerzbank, einer Bank, die vielleicht gerade einmal 4 Milliarden Euro wert ist. Die ganzen Erwartungen, dass man mit einem wirtschaftlich positiven
Ergebnis herauskommt, sind absurd. In einer solchen Situation kommen Sie mit einem weiteren Schirm für die
Wirtschaft. Ich sage Ihnen klar, weil all das schuldenfinanziert ist: Man kann künftigen Generationen nicht erklären, warum Sie mit diesem Eintreten bei der Commerzbank der Allianz, die die Dresdner Bank loswerden
wollte, das Risiko einer verhängnisvollen Fusion abnehmen. Das macht aber jetzt der Staat.
({3})
So kann man Ordnungspolitik nicht machen. Was Sie,
Frau Merkel, da machen, nenne ich einen ordnungspolitischen Blindflug. Die berühmte schwäbische Hausfrau,
die Sie oft zitiert haben, wird mit dem Programm, das
Sie jetzt auf den Tisch gelegt haben, keine Konsumorgie
veranstalten. Das kann ich Ihnen versprechen.
({4})
Was Sie da machen, gleicht einem Sammelsurium:
9 Milliarden Euro für die CSU - die hat sich schon verabschiedet -, 9 Milliarden Euro für die SPD, und so haben Sie immer weiter eingesammelt. Sie sagen, das
werde am Schluss zu einer klaren Richtung führen. Herr
Ramsauer, das ist Geld künftiger Generationen. All das
ist über Schulden kreditfinanziert. Dieses Geld auszugeben, ist nach unserer Überzeugung nur dann legitim,
wenn es gezielt in solchen Bereichen ausgegeben wird,
von denen auch die künftigen Generationen direkt etwas
haben.
({5})
Deshalb sagen wir: Investitionsprogramm ja, aber konzentriert auf Maßnahmen für Klimaschutz, Bildung und
zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit.
Schauen wir uns einmal die Abwrackprämie an, die
Sie Umweltprämie nennen. Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, selten hat man mit dem Wort UmweltpräFritz Kuhn
mie mehr Schindluder getrieben als in diesem Zusammenhang.
({6})
Man erhält 2 500 Euro für das Abwracken eines Autos,
wenn man sich ein neues kauft. Es gibt aber keinerlei
Auflagen, wie hoch der CO2-Ausstoß dieses neuen Autos maximal sein darf. Die EU-Abgasnorm Euro 4 sagt
nichts über CO2, sondern nur etwas über andere Abgase.
Das heißt, Sie subventionieren kräftig den Kauf klimaschädlicher Fahrzeuge. Das ist keine zukunftsweisende
Investitionspolitik, sondern eine ganz miese Subventionspolitik im alten Stil.
({7})
Die Konjunkturwirkung Ihrer Maßnahmen ist sehr
fragwürdig, Herr Kauder. Es ist nicht gesichert, dass die
Steuererleichterungen konjunkturell irgendetwas auslösen. Es kann sein, dass die Leute das Geld sparen. Ich
sage Ihnen: Die Nachzahlungen zu den Heizkostenabrechnungen 2008, die dieser Tage eingehen, sind ein
Vielfaches von dem, was Sie an Steuererleichterungen
vorschlagen. Den Leuten kommt es darauf an, was sie im
Geldbeutel übrig haben. Deswegen sind wir skeptisch.
({8})
Eine viel bessere konjunkturelle Wirkung hätten Sie
erzielen können, wenn Sie konzentriert denjenigen, die
wenig haben, geholfen hätten, zum Beispiel durch eine
Arbeitslosengeld-II-Erhöhung, durch eine konsequente
Haltung beim Mindestlohn und vor allem, indem Sie die
Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich gezielt senken.
Denn dort kommt es an und wirkt konjunkturell.
({9})
Ich finde, Herr Kauder, was Sie im Bereich der Krankenversicherung machen, ist der reine Hohn. Derzeit erhöhen sich die Krankenversicherungsbeiträge mancher Krankenkassen um über 2 Prozentpunkte, und am
1. Juli sagen Sie den Leuten: Jetzt sinken sie wieder um
0,6 Prozentpunkte. Das nenne ich Voodoo-Ökonomie.
Sie müssen sich schon ungeheuer einen hinter die Binde
gießen, damit Sie glauben, dass die Leute so blöd sind,
deswegen dem Konsum zu verfallen, weil Sie eine solche Zaubernummer vorführen.
({10})
Ich komme zu den Investitionen. Gemessen an den
50 Milliarden Euro finden wir den Investitionsanteil des
Bundes mit 14 Milliarden Euro zu gering. Er ist zu wenig zielgerichtet und vor allem zu gering. Frau Merkel,
auf eine Frage gehen Sie nicht ein, nämlich ob das Geld
wirklich bei den Gemeinden ankommt. Das schieben Sie
auf die Länder, die dafür Sorge tragen sollen. Aber wir
wissen von der Kitafinanzierung, dass die Länder nicht
alle Mittel des Bundes wirklich an die Gemeinden weitergegeben und auch den Eigenanteil nicht so wie
versprochen eingebracht haben. Deswegen sage ich:
Langfristig muss das Kooperationsverbot - ein Ergebnis
der Föderalismuskommission I - wieder fallen. Es geht
nicht, dass der Bund seine Programme für die Kommunen in dieser komischen Art und Weise über die Länder
abwickeln muss, ohne wirkliche Garantien zu haben,
dass dies geschieht.
({11})
An einer Stelle in der Rede von Frau Merkel - sie hat
sich verdrückt - ging es um das Thema Bildung und Beton. Wir sagen: Wer wirklich in die Zukunft investiert,
der muss in Schulgebäude investieren. Das ist logisch.
Aber Bildung ist mehr als Beton. Bildung ist auch die
Lehre, die Ausbildung, die Betreuung und die Erziehung. Wer in diesem Bereich nichts tut, wie Sie mit diesem Programm, der kann nicht den Anspruch erheben, er
würde in das Zukunftsfeld Bildung investieren.
({12})
Deswegen sage ich Ihnen klar: Kommen Sie endlich zu
einem vernünftigen Investitionsbegriff, der nicht nur die
Schulgebäude umfasst, sondern auch das Lehrpersonal,
die Hochschullehrer, die Kindergärtner und Kindergärtnerinnen und Erzieher. Wir haben dafür den Bildungssoli
als Finanzierungsquelle vorgeschlagen, weil wir der
Meinung sind, dass ohne neue Finanzierungsmittel die
ganze Bildungsdiskussion, die Sie gelegentlich hier und
auf Bildungsgipfeln pathetisch führen, keinen realökonomischen Hintergrund hat.
Jetzt möchte ich auf das Konjunkturpaket und die damit verbundene Tilgung der Schulden eingehen. Erst
einmal ist festzustellen, dass der Begriff Tilgungsfonds
ein Euphemismus ist. Tatsächlich nehmen Sie außerhalb
des Haushalts neue Kredite auf, von denen Sie jetzt noch
nicht entschieden haben, ob und wie Sie sie tilgen wollen. Außerdem ist die Tilgungssumme nicht 50 Milliarden Euro, sondern nur 11,3 Milliarden Euro. Das ist eine
Mogelpackung, die Sie im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zelebrieren. Bislang liegt kein Konzept auf
dem Tisch, wie Sie die Schulden wirklich tilgen wollen.
Nur für einen Teil der Schulden haben Sie das bisher
versprochen.
({13})
Nun wollen Sie eine Schuldenbremse ab dem Jahr
2015 vereinbaren. Diese Schuldenbremse ist rein aus
schlechtem Gewissen entstanden. Warum sagen Sie
nicht in der Föderalismuskommission: Wir führen beim
Bund die Schuldenbremse ab 2010 ein? Sie beginnt dann
halt in einer Abschwungphase und nicht in einer Aufschwungphase. Bei dem Konzept der Ausgleichskonten
für die Schuldenbremse ist es völlig egal, ob Sie im Abschwung oder im Aufschwung starten. Nein, Sie geben
jetzt das Geld aus und vereinbaren, dass eine Schuldenbremse erst später eingeführt wird. Über die Länder reden Sie nicht, weil Ihnen das Thema Altschuldenhilfe
für die Länder unangenehm ist.
Ich ziehe ein Fazit: Sie handeln wie Alkoholabhängige, die weiter trinken wollen und sagen: Jetzt trinken
wir noch fünf Jahre kräftig weiter, und dann unterwerfen
wir uns einem Trinkverbot. Herr Kauder, so einfach, wie
Sie es hier getan haben, kann man mit dem Geld künftiger Generationen nicht umgehen.
({14})
Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Steinmeier, haben
nicht den großen, superintelligenten Mix auf den Tisch
gelegt - das haben Sie gestern in der Öffentlichkeit angekündigt -, sondern ein Sammelsurium aus Einzelinteressen der Koalitionsparteien vorgelegt, in das Sie jetzt
Sinn hineinzuinterpretieren versuchen. Sie geben zu viel
Geld für zu wenig Richtung, für zu wenig Konjunktureffekte aus, und Sie schauen, dass Sie über den kalten Januar kommen. In den nächsten Monaten wird man sehen, was daraus wird.
Vielen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck.
({0})
Matthias Platzeck, Ministerpräsident ({1}):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss sich eigentlich ganz schön wundern. Dieses unser Land ist in einer außergewöhnlichen Situation:
Vor uns liegt vielleicht eines der kompliziertesten und
schwierigsten Jahre der bundesdeutschen Geschichte,
und die Bundesregierung macht das, was in solch einer
Situation von den Menschen im Land zu Recht erwartet
wird, nämlich zügig, entschlossen und klar zu handeln,
ohne dass sie dabei sagen kann - wir betreten nämlich
alle zusammen Neuland -, dass jede Maßnahme bis zum
Letzten ausgelotet ist und wir genau wissen, wie was
wirkt. Aber sie handelt! Und was hören wir von der versammelten Opposition in diesem Hohen Hause? Besserwisserei, Beckmesserei und Spötterei.
({2})
Das erwarten die Menschen in unserem Lande nicht,
meine Damen und Herren, und das haben sie auch nicht
verdient.
Verehrter Kollege Westerwelle, die Bundesregierung
mag ja an vielem schuld sein: An dieser Weltwirtschaftskrise ist sie mit Sicherheit nicht schuld.
({3})
Schuld an dieser Weltwirtschaftskrise sind eher die, denen Sie immer gern das Feld geöffnet haben,
({4})
die Sie ohne Spielregeln agieren lassen wollten.
({5})
Sie haben einmal den Spruch geprägt: Auf jedem
Schiff, das dampft und segelt, braucht es einen, der alles
regelt. Wenn ich Ihre Reden von vor einem Jahr mit denen vergleiche, die Sie im letzten Herbst gehalten haben
und die Sie jetzt wieder halten, dann muss ich sagen:
Das Schiff reißt das Ruder jedes Vierteljahr herum. Das
tut diesem Land nicht gut.
({6})
Belastbare Umfragen im Osten Deutschlands aus
den letzten Wochen zeitigen aus meiner Sicht Ergebnisse, die uns Sorgen machen müssen. 52 Prozent der
Ostdeutschen zwischen Rostock und Suhl sagen: Die soziale Marktwirtschaft ist für sie nicht mehr eine zukunftsfähige Organisationsform der Gesellschaft. 43 Prozent beantworten die Frage, ob sie die sozialistische
Planwirtschaft wiederhaben wollen, mit Ja.
({7})
Ich glaube nicht, dass das wirklich so gemeint ist.
Aber es drückt etwas aus: Es drückt Sorgen und auch
eine gewisse Ratlosigkeit aus. Das haben wir aus meiner
Sicht hochgradig ernst zu nehmen. Viele Menschen in
Ostdeutschland haben sich erst in den letzten Jahren aus
der schwierigen Phase der Nachwende hochgearbeitet,
haben eine Basis, ein Fundament geschaffen - nach ganz
schwierigen Jahren. Sie haben natürlich Angst, dass dieses Fundament schon jetzt nicht mehr trägt.
Deshalb bin ich dankbar - das sage ich der Bundesregierung ausdrücklich -, dass hier ganz klare Zeichen gesetzt wurden. Wenn man sich in dieser schwierigen Zeit
verschuldet, dann müssen Grundbedingungen erfüllt
sein: die Grundbedingungen der Nachhaltigkeit. Die
Maßnahmen müssen möglichst viele erreichen. Es muss
das Thema Arbeitsplätze im Zentrum stehen. Ich finde
das in diesem Programm wieder.
({8})
Es gibt diese und jene Maßnahme, zu der auch ich sage:
Mein Gott! Aber in der Summe stimmt dieses Programm. Ich werde mich mühen - meine Kollegen mit Sicherheit auch -, dass wir es schnell und unbürokratisch
umsetzen.
({9})
Wenn ich eben einen Vorwurf an die Opposition gerichtet habe, dann deshalb - das sage ich mit vollem
Ernst -: Ein solches Programm in einer solch außergewöhnlichen Situation hat mehrere Wirkmechanismen.
Einer ist mit Sicherheit die psychologische Ebene.
({10})
Ministerpräsident Matthias Platzeck ({11})
Wir tun uns in Deutschland einen Tort an, wenn wir ein
so großes Programm auflegen, uns solch einen Rucksack
mit Schulden aufsetzen und das Ganze sofort wieder zerreden; denn dann ist dieser Wirkmechanismus zerstört,
und da hat Opposition in diesem Land eine große Verantwortung.
({12})
Wenn wir dabei sind, uns mit dieser Krise auseinanderzusetzen und sie zu bekämpfen, wenn wir also in der
Phase der Arbeit an den Folgen sind, dann sollten wir
nicht die Ursachen vergessen. Wir neigen dazu - wir
Menschen sind so gestrickt -, dass wir dann nur nach
vorn und nicht mehr nach hinten schauen. Hier ist eine
große Blase geplatzt. Hier ist eine Ideologie baden gegangen, die des Neoliberalismus.
({13})
Ich sage ganz klar: Vor solchen Einflüssen war keiner
völlig gefeit, auch wir nicht immer.
({14})
- Das sage ich ja ganz klar. Wer behauptet, er würde in
Jahrzehnten keine Fehler machen, der lügt per se.
({15})
Die Frage ist aber: Welche Schlussfolgerungen ziehen
wir daraus? Unsere Schlussfolgerung muss sein, dass
dieses Spielfeld nie mehr ohne Regeln betreten werden
darf. Darauf haben die Menschen in unserem Lande ein
Anrecht.
({16})
Diese Regeln müssen so beschaffen sein, dass eines
klar ist: Wirtschaft hat eine einzige Funktion, Finanzmarkt hat eine einzige Funktion, nämlich das Leben der
Menschen zu ermöglichen und zu verbessern, und keine
andere.
({17})
Wenn sie das nicht tut, hat sie ihr Ziel verfehlt. Dafür,
dass sie diese Funktion erfüllt, haben wir zu sorgen. Ich
bitte darum, dass das in Zukunft ganz klar im Blick ist.
Danke.
({18})
Hermann Otto Solms ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man Ihnen, Herr Platzeck, folgt, ist anscheinend die Opposition, jedenfalls solange sie die Regierung nicht lobt, schuld an der Krise. Das ist eine ganz
neue Sichtweise.
({0})
Sie sind nun schon viele Jahre an der Regierung. Da sind
Sie verantwortlich, genauso wie die Bundesregierung für
die Bundespolitik verantwortlich ist. Sie können sich aus
Ihrer Verantwortung nicht davonstehlen.
({1})
Wir erleben nach dem Steuererhöhungsrekord jetzt einen neuen Ausgabenrekord, der mit einem Schuldenrekord finanziert werden soll. Das Interessante daran ist,
dass die Ausgaben, die Sie jetzt beschließen wollen, so
zusammengesetzt sind, dass sich jeder in der Koalition
wiederfindet - jeder konnte seine Wünsche äußern -,
dass also für viele vieles, aber in Wirklichkeit für keinen
etwas Richtiges getan wird. Es ist nicht alles falsch, was
Sie vorschlagen, aber von dem Falschen ist zu viel und
von dem Richtigen ist zu wenig in diesem Paket.
({2})
Wer soll Ihnen glauben? Es ist doch immer dieselbe
Politik. Sie verkünden jetzt, was populär ist und was bei
den Menschen vielleicht gut ankommt; die unangenehmen Dinge verschieben Sie auf den Sankt-NimmerleinsTag, 2015, übernächste Legislaturperiode. Das glaubt
doch keiner.
Was haben Sie denn am Anfang dieser Legislaturperiode gemacht? Sie haben die größte Steuererhöhung
durchgesetzt mit dem Versprechen an die Bürger, dass
diese der Sanierung der öffentlichen Haushalte diene.
Und was haben Sie erreicht? Sie waren trotz des Aufschwungs, trotz der hohen Steuereinnahmen nicht in der
Lage, die öffentlichen Haushalte, insbesondere den Bundeshaushalt, zu sanieren; jedes Jahr weitere Schulden.
Jetzt, da Sie gesehen haben, es reicht nicht, ist es mit der
Moral vorbei. Wenn man einmal das Falsche getan hat,
glaubt man, man kann es immer tun. Nun greifen Sie
wieder den Steuerzahlern voll in die Tasche und beschließen diese Ausgaben, ohne zu sagen, wie das finanziert werden soll.
Seit drei Jahren reden Sie in der Föderalismuskommission von einer Schuldenbremse. Legen Sie doch einen Vorschlag auf den Tisch! Es würde zwingend zu diesem Paket gehören, dass man sagte, wie hoch wir uns
jetzt verschulden und wie wir die Schulden, die wir jetzt
machen, wieder tilgen werden. Auch dazu haben Sie
nicht den Mut.
({3})
Deshalb ist es einfach nicht glaubwürdig, dass all dies
wirklich zielführend ist.
Noch viel mehr verunsichert mich aber Ihr Verständnis von der Aufgabe des Staates in der sozialen Marktwirtschaft. Ich sehe Sie auf direktem Weg in die kapitalistische Staatswirtschaft.
({4})
Sie trauen sich alles zu. Sie glauben, der Staat könne alles. Die Bundesregierung suggeriert der Öffentlichkeit
eine Allgewalt und Allzuständigkeit, die sie natürlich
gar nicht hat. Der Staat hat in der sozialen Marktwirtschaft anders als im sogenannten Turbokapitalismus eine
fundamentale Aufgabe. Er hat nämlich die Aufgabe,
Spielregeln aufzustellen, damit fairer Wettbewerb möglich ist, damit es keine Machtentfaltung auf den Märkten
gibt. Er hat auch die Aufgabe, die Einhaltung dieser Regeln zu überwachen.
Jetzt schauen wir uns einmal an, was der Staat getan
hat. Schauen wir es uns am Beispiel der Finanzkrise an.
Ihr liegt in hohem Maße Staatsversagen zugrunde. Natürlich haben auch Manager versagt. Aber der Staat hat
ihnen hierzu die Möglichkeit gegeben. Also Staatsversagen auf breiter Front. Die Regeln für die Finanzmärkte
haben nicht mehr gestimmt. Die staatliche Bankenaufsicht hat auf breiter Linie versagt.
({5})
Die Bundesregierung hat mitgemacht, als es darum ging,
dass amerikanische Ratingagenturen Unternehmen bewerten dürfen, obwohl erkennbar war, dass es hier
Interessenkonflikte gab. Die Bundesregierung hat mitgemacht, als es darum ging, Bilanzierungsregeln durchzusetzen, die gar nicht deutscher Tradition entsprechen
und die Unternehmen zu kurzfristigem Denken verleiten. Sie sehen also, das, was da auf breiter Front gelaufen ist, hat nicht gestimmt. Das muss korrigiert werden.
Wir haben dem Schirm für die Finanzmärkte zugestimmt, weil es dabei darum ging, ein System, nämlich
den Finanzmarkt, zu sichern bzw. den Zusammenbruch
des Finanzmarktes zu vermeiden. Uns ging es nicht darum, einzelne Banken zu schützen; nur, die Banken sind
zu dem Zeitpunkt eben Teil des Finanzmarktes gewesen.
Was die Bundesregierung jetzt macht, ist schon wieder falsch. Sie versucht, sich in die Strukturen der
Bankenwelt einzumischen. Notwendig wäre das, Herr
Steinbrück, bei den Landesbanken. Denen dürften Sie
keinen einzigen Cent Staatsmittel zur Verfügung stellen,
wenn es dort nicht zu Korrekturen kommt. Die Vorgänge
dort beweisen doch: Der Staat als Banker bzw. Unternehmer ist nicht fähig, solche Aufgaben zu erfüllen. In
diesem Bereich wurden die größten Fehler gemacht.
({6})
Dieses Feld muss man schon den Privatleuten überlassen. Der Staat muss nur dafür sorgen, dass der Markt
richtig funktioniert und dass es nicht zu solchen Formen
der Machtausübung und der Entartung, wie es sie dort
gegeben hat, kommt. Hier hat der Staat versagt. Jetzt
geht es darum, das zu korrigieren.
Ich bin ja neugierig, wer bei dem Schutzschirm für
die Wirtschaft, den Sie jetzt aufspannen wollen, darüber entscheidet, welche Firma wie viel Geld bekommt.
Als ob die Amtsräte in den Ministerien, die häufig noch
nie eine Firma von innen gesehen haben, wüssten, ob ein
Unternehmen unterstützenswert ist oder nicht. Das kann
nicht funktionieren. Der Staat muss sich auf seine Aufgaben beschränken. Das entspricht dem Ordoliberalismus, der Ordnungspolitik der sozialen Marktwirtschaft,
wie wir sie gelernt und lange Zeit praktiziert haben.
Zum Abschluss sage ich Ihnen: Die FDP wird ganz
konsequent und prinzipientreu die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft verteidigen und auch in Zukunft als
Partei der sozialen Marktwirtschaft auftreten. Wer mit
uns koalieren will, muss wissen: Gesellschaftspolitische
Reformen sind dringend notwendig.
Herr Kollege Solms!
Eine Steuerreform bleibt notwendig, auch wenn Sie
das dafür notwendige Geld vorher verschwenden. Sie
bleibt notwendig; denn bei einer Steuerreform geht es ja
nicht nur um eine Steuersenkung, sondern auch um eine
Umgestaltung des Systems hin zu mehr Steuergerechtigkeit und Steuereinfachheit.
({0})
Diese Reformen werden mit der FDP nur zu machen
sein, wenn sie auf der Grundlage der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft erarbeitet und beschlossen werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Ramsauer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kuhn,
wie Sie sehen, hat sich die CSU noch nicht verabschiedet. In diesem Zusammenhang darf ich Sie herzlich vom
bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer grüßen,
({0})
der nach den einführenden Reden nach Wildbad Kreuth
eilen musste, um dort kraftvoll Politik für Deutschland
und Bayern zu machen.
({1})
Frau Präsidentin, es war gut, dass Sie den Kollegen
Solms haben ausreden lassen; denn am Ende wurde uns
eine viel differenziertere Betrachtungsweise dessen, was
uns heute und in den nächsten Wochen beschäftigt, zuteil.
Herr Kollege Solms, ich stimme Ihnen in den beiden
wesentlichen Punkten gegen Ende Ihrer Ausführungen
vollkommen zu. Der erste Punkt ist, dass wir mit aller
Kraft und Konsequenz die richtigen Schlussfolgerungen
aus dem, was uns beschäftigt, ziehen müssen, um kraftvoll aus der Krise zu kommen. Sie haben Beispiele genannt: die Bankenaufsicht und die Rolle der Ratingagenturen, die genau betrachtet werden muss.
Auch in dem zweiten Punkt stimme ich vollkommen
mit Ihnen überein. Ich halte nichts davon, wenn sich der
Staat an Unternehmen der Realwirtschaft beteiligt. Weder sind wir Politiker die besseren Manager, noch ist der
Staat der bessere Unternehmer. Deswegen sollten wir
eine solche Beteiligung besser unterlassen.
({2})
Allerdings ist auch interessant, dass nicht wenige von
denen, deren allumfassendes Credo immer war, dass der
Staat die Wirtschaft und die Unternehmen vollkommen
in Ruhe lassen soll, jetzt diejenigen sind, die am lautesten nach staatlichen Hilfen schreien. Auch das passt
nicht so recht zusammen.
({3})
Ich bin sehr für eine Politik des Maßes und der Mitte,
des gesunden Menschenverstands mit einem Stück Programmatik, aber ohne Dogmatik. Wenn heute so und
morgen entgegengesetzt geredet und gehandelt wird,
passt das einfach nicht zusammen und steigert auch nicht
die Glaubwürdigkeit der Politik.
Ich finde, wir handeln zur richtigen Zeit, wir handeln
kraftvoll, und wir handeln besonnen. Dieser Dreiklang
schafft Vertrauen. Wir können uns in dieser Krise auch
etwas zutrauen. Wir dürfen nicht nur negativ reden. Vielmehr sollten alle, die es angeht, mutig in die Zukunft
schauen. Die Politik kann es aber nicht alleine richten.
Alle sind aufgefordert, ihren Anteil zur Bewältigung der
Krise zu leisten. Natürlich ist die Politik gefragt; aber
genauso sind die Unternehmen, die Arbeitnehmer, die
Banken und die Verbraucher gefragt. Alle zusammen
müssen ihren Beitrag leisten.
Deswegen hat es mich tatsächlich etwas geärgert, als
ich heute aus einer der oberen Chefetagen - ich kann es
ruhig sagen: es war der DIHK - die Aussage lesen
musste, es werde überall nur ein bisschen gemacht, aber
nichts richtig. Solche defätistischen Äußerungen kann
man sich wirklich sparen. Auch die Wirtschaft muss nun
konstruktiv nach vorne gehen. Das, was wir jetzt machen, machen wir ja nicht für uns, sondern um die Wirtschaft zu stärken, um ihr dort, wo es erforderlich ist, ein
Korsett zu geben. Darum möchte ich von dort, von denen, die es angeht - dass die Opposition anders spricht,
ist klar -, eher positive Stimmen hören und nicht dieses
Beckmesserische.
({4})
Das, was wir uns vorgenommen haben, ist in ganz
Europa vorbildlich. Von den 200 Milliarden Euro, die
die Kommission vor wenigen Wochen zur Stärkung der
Wirtschaft beschlossen hat, erbringen wir Deutsche wohl
den Löwenanteil. Wenn man alles zusammenrechnet,
was wir seit Herbst geleistet haben - durch Mehrausgaben für Investitionen und durch Mindereinnahmen, die
wir erzielen -, kommt man auf etwa 120 Milliarden
Euro.
Wir sind es uns auch deswegen schuldig, weil wir als
Exportweltmeister - wir sind auch in der Krise nach wie
vor Exportweltmeister; die guten Daten belegen das selbstverständlich in einer ganz besonderen weltwirtschaftlichen Verantwortung stehen. Auf uns sind
natürlich die Blicke nicht nur Europas, sondern der gesamten Welt gerichtet. Was wir jetzt tun, sichert unseren
guten Ruf an den internationalen Märkten und stärkt das
Vertrauen in unser Land.
({5})
Die Bausteine des Programms, über das wir jetzt diskutieren, sind keine Wundermittel; das ist uns allen klar.
Aber es sind Maßnahmen, die eine rasche und dauerhafte Wirkung erzeugen. Der Schirm, den wir in Form
von Bürgschaften zusätzlich aufspannen, schafft Vertrauen. Als gelernter Kaufmann weiß ich, was Vertrauen
unter allen Marktpartnern für die Wirtschaft bedeutet.
Die Investitionen, die wir anstoßen, geben Schübe mit
Multiplikatorwirkung. Die Abgabensenkungen, die wir
vornehmen, erzeugen zusätzliche Nachfrage.
Sie haben sicherlich Verständnis dafür, wenn ich für
meine Partei den Blick auf die verabredeten Lohn- und
Einkommensteuersenkungen richte. Wer behauptet,
das sei kein Mittel in der Konjunkturkrise, der irrt.
Steuersenkungen sind ein Klassiker der Konjunkturpolitik, sogar mit Gesetzesrang. Dies ist nachzulesen im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, das seit den 60er-Jahren
gilt.
({6})
Das Volumen der jährlichen Steuerentlastung ab dem
nächsten Jahr in Höhe von 6 Milliarden Euro - so haben
wir es verabredet - ist höher als das Volumen der Entlastung im Zuge der Unternehmensteuerreform im letzten
Jahr in Höhe von ungefähr 5 Milliarden Euro. Das Paket
kann sich nicht nur aufgrund des Volumens sehen lassen,
sondern es ist auch ein erster Schritt im Rahmen einer
längerfristig angelegten Philosophie der Einkommensteuersenkung über die Bundestagswahl hinaus. Auch
dies ist wichtig zu sagen. Denn die Verbraucher - auch
das ist heute schon häufig betont worden - richten ihr
Ausgabeverhalten nach längerfristigen Sicherheiten und
nach Vertrauenswürdigkeit aus.
({7})
Ich will auch ein Wort an jene richten, denen das zu
wenig ist. Noch einmal: Es ist ein erster Schritt und umfasst nicht all das, was wir uns mittel- und langfristig
vornehmen wollen. Herr Kollege Westerwelle, aber eines geht natürlich nicht, nämlich dass Sie erst kürzlich
die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags um
0,6 Prozentpunkte von durchschnittlich 14,9 auf 15,5 Prozent als unzumutbar bezeichnet haben, jetzt aber so tun,
als sei die verabredete Beitragssenkung geradezu nichts.
Entweder so oder so.
({8})
Schauen Sie sich einmal die Familie eines Durchschnittsverdieners mit ein, zwei oder drei Kindern an,
wie sparsam es in solchen Familien oft zugeht und auch
zugehen muss. Diesen Familien ist es eben nicht egal, ob
am Monatsende 30, 40 oder 50 Euro netto mehr oder weniger in der Haushaltskasse sind.
({9})
Nun eine Bemerkung zum grundsätzlichen Ansatz.
Neulich hat jemand gesagt, es sei unverantwortlich,
wenn man dem Staat jetzt Geld in Form von Steuersenkungen wegnehmen würde. Was ist denn das für ein Verständnis vom Steuerstaat? Wer so etwas sagt, der meint
wohl, alles Steuergeld gehöre erst einmal dem Staat und
werde dann in Form von Almosen oder Taschengeld an
die Bürger verteilt. Wir haben ein umgekehrtes Verständnis vom Steuerbürger und vom Steuerstaat: Alles,
was erwirtschaftet wird, gehört zunächst einmal den
Steuerbürgern. Diesen muss so viel bleiben, wie es nur
irgendwie möglich ist.
({10})
- Hier klatscht die künftige Koalition.
({11})
- Erdung - jawohl, Frau Kollegin Scheel!
Zum Stichwort „kalte Progression“. In den Jahren
2006 bis 2009 wird die kalte Progression nach altem
Recht den Steuerbürgern ein zusätzliches Volumen von
18 Milliarden Euro weggenommen haben.
({12})
Ist das nicht eine gewaltige Größenordnung? Mit den geplanten Steuersenkungen nehmen wir in einem ersten
Schritt einen Teil davon zurück. Wir können mit Fug und
Recht sagen: Der kalten Progression ist fürs Erste die
Schärfe genommen.
({13})
Wer es auf der einen Seite beklagt, dass wir in die kalte
Progression hineinwachsen - und das tun wir -, muss
auf der anderen Seite auch rühmen und loben, wenn wir
die Steuerbürger Stück für Stück und Schritt für Schritt
aus der kalten Progression wieder herausführen.
({14})
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind auf
dem richtigen Weg. Wir gehen die richtigen Schritte.
Wer Zuversicht in die Konjunktur, wer Zuversicht in unsere Wirtschaft, wer Zuversicht in die Sicherheit unserer
Arbeitsplätze schaffen will, muss in Deutschlands Zukunft und in Deutschlands Stärken investieren. Genau
das tun wir.
Vielen herzlichen Dank.
({15})
Für die Linke gebe ich das Wort dem Kollegen
Dr. Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundeskanzlerin, die gerade wieder einmal den Saal verlässt
({0})
- Frau Bundeskanzlerin, ich weiß, Sie kommen gleich
wieder; es wird auch höchste Zeit -, hat verkündet, dass
hier das größte Konjunkturprogramm in der Geschichte
Deutschlands verabschiedet wird. Dies stimmt nicht,
weil das größte Konjunkturprogramm 1967 mit einem
Volumen von 3,1 Prozent des Bruttosozialproduktes aufgelegt wurde. Es geht nicht um 50 Milliarden Euro, Herr
Kuhn. Dieser Betrag bezieht sich auf zwei Jahre. Es sind
in einem Jahr nur 25 Milliarden Euro. Dies ist nur 1 Prozent des Bruttosozialprodukts. Vergleicht man dies mit
anderen Ländern - die USA geben 6 Prozent des Bruttosozialproduktes aus, China sogar 25 Prozent des Bruttosozialproduktes -, dann sieht man eines sofort: Ihr Programm ist kleinkariert und kann die Probleme dieser
Gesellschaft mit Sicherheit nicht lösen.
({1})
Es kommt auch zu spät. Wir haben bereits im Oktober
einen Antrag gestellt, der ein vernünftiges Konjunkturprogramm enthalten hat. Nehmen wir nur einmal die
Bildung. Die FDP macht immer wieder den Fehler, alle
Zukunftsfragen an den Schulden abzuarbeiten. Herr
Westerwelle, das ist ein schwerwiegender Irrtum. Die
Kinder und die Enkelkinder von heute haben dann keine
Zukunft, wenn sie keine vernünftige Bildung bekommen. Das ist das Entscheidende.
({2})
Deshalb haben wir verlangt, in diesem Jahr 15 Milliarden Euro zu investieren. Jetzt nehmen Sie 3,25 Milliarden Euro in die Hand. Wir brauchen aber nicht nur
sanierte Schulen, bessere Bibliotheken und bessere
Sporthallen, Musikräume etc., sondern auch mehr Lehrerinnen und Lehrer sowie kleinere Klassen. Aufhören
muss die soziale Ausgrenzung der Kinder aufgrund des
dreigliedrigen Schulsystems.
({3})
Natürlich brauchen wir auch Investitionen in Krankenhäuser, in eine Energiewende.
Ich hatte ja gehofft, dass sich die SPD einmal durchsetzt oder zumindest Ideen entwickelt, wie man damit
beginnen kann, die soziale Schieflage in Deutschland zu
überwinden. Aber davon kann nicht im Geringsten die
Rede sein. Was ist denn während der Legislaturperiode
passiert? Sie haben zu Beginn des letzten Jahres die Körperschaftsteuer für die Deutsche Bank von 25 auf
15 Prozent gesenkt. Das hat übrigens - das sollten Sie
heute einräumen - die Finanzkrise nicht verhindert, obwohl Sie ja gepredigt haben, wie wichtig das wäre.
({4})
Aber Sie haben natürlich für die Bürgerinnen und Bürger
und die kleinen Unternehmen die Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte erhöht. Damit und ebenso mit der Senkung der Reallöhne und der Renten haben Sie die Kaufkraft in Deutschland geschmälert.
Herr Platzeck hält hier große Vorträge - auch er ist
natürlich schon gegangen; denn er interessiert sich ja
nicht wirklich für dieses Thema -,
({5})
dass wir die Anstrengungen der Regierung unterstützen
sollten, nachdem die Regierung diese Schieflage Schritt
für Schritt organisiert hat, und zwar unter SPD und Grünen genauso wie unter der Union und der SPD. Das ist
die Wahrheit.
({6})
Unsere Vorschläge sahen natürlich anders aus. Wir
haben gesagt: Wir müssen die Kaufkraft wirklich stärken. Die Kaufkraft, Herr Westerwelle, kann man nicht
bei den Reichen und Vermögenden stärken, weil die Reichen und Vermögenden nicht mehr kaufen, wenn sie
mehr Geld haben, sondern mit diesem Geld mehr
spekulieren. Vielleicht sparen sie ein bisschen mehr;
aber mehr machen sie ganz bestimmt nicht. Aber die
Hartz-IV-Empfängerin, die Rentnerin, die Geringverdienerin und derjenige, der ein durchschnittliches Einkommen hat - also, wenn Sie so wollen, auch die Mitte der
Gesellschaft -, kauft mehr, wenn sie mehr Geld haben.
Bei denen setzen Sie aber nicht an, und das ist das Problem.
({7})
Wir haben vorgeschlagen, die Rente um 4 Prozent zu
erhöhen, den Sockelbeitrag für Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger vor der Überwindung von
Hartz IV in einem ersten Schritt auf 435 Euro zu erhöhen und den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, was
Oskar Lafontaine schon ausgeführt hat. Führten wir in
Deutschland den gesetzlichen Mindestlohn ebenso wie
Frankreich ein, dann käme es zu einer Kaufkraftsteigerung. Die anderen Länder sind doch nicht bekloppt. Sie
tun immer so, als ob die anderen alle doof und Sie schlau
wären. Nein, die Länder, die den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben - Großbritannien, Frankreich und
andere Länder - haben recht.
({8})
Ein Mindestlohn würde eine positive konjunkturelle Entwicklung in Deutschland auslösen. Das würde endlich
einmal die Binnenwirtschaft stärken. Seit Jahren haben
Sie nur Politik für den Export gemacht. Wir müssen aber
die Binnenwirtschaft stärken, wenn wir die Krise einigermaßen überstehen und bewältigen wollen.
({9})
Jetzt komme ich zu Ihrer Kompetenz. Herr
Westerwelle, Sie haben im Fernsehen gesagt, dass Ihre
Zustimmung zum Schutzschirm für die Banken in Höhe
von 480 Milliarden Euro Ausdruck Ihrer Kompetenz sei
- Sie haben ihn gemeinsam mit Union und SPD beschlossen -, und unser Nein dazu sei Ausdruck unserer
Inkompetenz. Über diese Kompetenz würde ich gerne
einmal reden. Sie stellen einen Schutzschirm auf, den so
gut wie niemand von denen, die ihn nutzen sollen, zur
Anwendung bringt. Das ganze Geld liegt bereit, aber
niemand will es haben. Das ist bei einem kompetenten
Vorschlag selten der Fall. Wissen Sie, was der Konstruktionsfehler ist? Wenn man einen solchen Schirm aufstellt, muss man die Banken verpflichten, Kredite zu vergeben. Das kann man nicht auf freiwilliger Basis
organisieren.
({10})
Andere Länder machen das. Da müssen Sie einmal hinreisen.
Was macht die Regierung jetzt? Sie nimmt weitere
100 Milliarden Euro in die Hand. Sie sagt, die sind für
Industrie und Arbeitsplätze. Aber sie nimmt sie für die
Banken. Sie sagt den Banken: Wenn ihr nun endlich
freundlicherweise doch einmal einen Kredit gewährt,
dann haften die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für
den Fall, dass ihr das Geld nicht zurückbekommt. Dafür
schenken wir euch noch einmal 100 Milliarden Euro.
({11})
Dazu sagen wir: Wenn die Banken ihre Pflichten nicht
erfüllen, müssen sie vergesellschaftet werden, damit wir
endlich wieder ein funktionierendes Finanzsystem in
Deutschland haben.
({12})
- Ich wusste, dass Sie schreien würden. Herr Ramsauer,
jetzt hätten Sie lieber nichts sagen sollen; denn Ihre
Kanzlerin hat inzwischen volkseigene Betriebe gefordert. So weit gehen wir nicht.
({13})
Die frühere DBD, die Bauernpartei, und die CDU der
DDR haben sich bei Ihnen wohl durchgesetzt. Wir sagen: Wir wollen nicht, dass Opel zum Teil staatliches Ei21448
gentum wird, aber wir wollen, dass die Belegschaft bis
zu 49 Prozent Miteigentümer wird und mitzuentscheiden
hat. Das wäre ein vernünftiger Weg.
({14})
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass es natürlich
Unterschiede zwischen den vier anderen Fraktionen und
unserer Fraktion gibt. Ein Kernunterschied besteht bei
der Umverteilungsfrage. Sie alle, die Sie Regierungsverantwortung getragen haben und tragen, haben dafür
gesorgt, dass von unten nach oben, von Arm zu Reich
umverteilt wurde. Das ist die Wahrheit. Immer haben Sie
dafür gesorgt.
({15})
Herr Kollege Gysi!
Die Fraktion Die Linke ist die einzige im Bundestag
- das macht unseren Reiz aus -, die sagt: Wir wollen
Reichtum begrenzen, um Armut wirksam zu bekämpfen.
Das wollen Sie nicht, und das trauen Sie sich nicht. Das
ist Ihr Problem.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Gysi, Sie brauchen sich hier überhaupt nicht so aufzuspielen. Man muss sich nur anschauen, wie es dort war,
wo Sie mitregiert haben. Sie waren ein Jahr lang Wirtschaftssenator in Berlin. In dieser Zeit haben wir erlebt,
wie Umverteilung von unten nach oben funktioniert. Das
sieht man auch jetzt noch in den Regionen, in denen Ihre
Partei an der Regierung beteiligt ist.
({0})
Anspruch und Wirklichkeit liegen bei Ihnen so weit auseinander wie Tag und Nacht.
({1})
Ich finde, es ist richtig, wenn von den Koalitionsfraktionen betont wird, dass wir jetzt in einer sehr schwierigen Situation leben, dass ein sehr schwieriges Jahr,
eventuell auch ein paar schwierige Jahre auf uns zukommen. Es sind Krisenzeiten. Frank-Walter Steinmeier hat
gesagt: Krisenzeiten sind Gestaltungszeiten. Dazu sagen
wir Ja. Aber das Problem ist, dass Sie nicht gestalten.
Das ist die Kritik, die wir an diesem Programm haben.
Hier wird nicht ausreichend in die Zukunft investiert,
sondern es wird ein Sammelsurium von Maßnahmen
aufgelegt. Dabei hat man den Eindruck, dass bei der Entstehung dieses Pakets jede Fraktion ein paar Wünsche
frei hatte und davon ein paar Wünsche übrig geblieben
sind so nach dem Motto: Man darf zwei Wünsche nennen, einer wird erfüllt, und der Rest wird fallen gelassen.
Das wird dann zusammengeschustert und als Konjunkturpaket dargestellt. Das ist keine zukunftsorientierte
Politik, sondern reine Wahlkampfrhetorik.
({2})
Wenn betont wird, es gehe ja gar nicht um die
Summe, dann wundere ich mich schon, wenn darauf
hingewiesen wird, dass es jetzt um 50 Milliarden Euro
Nettokreditaufnahme, 50 Milliarden Euro Neuverschuldung geht. Die Große Koalition sagt: Im letzten Jahr haben wir das Investitionsprogramm I in Höhe von
30 Milliarden Euro beschlossen. Das sind also jetzt insgesamt 80 Milliarden Euro für Investitionsprogramme,
und das entspricht 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ich glaube, genau darum geht es Ihnen. Sie wollen in
Europa sagen: Wir haben hier Stärke gezeigt, wir nehmen eine solche Summe in die Hand. Aber Sie müssen
auch davon ausgehen, dass geschaut wird, ob diese Gelder dort ankommen, wo sie hin sollen, und ob sie den Effekt erzielen, den sie erzielen sollen, nämlich Arbeitsplätze zu erhalten und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Genau das kritisieren wir an den einzelnen Maßnahmen;
das funktioniert so nicht.
({3})
Wenn wir uns das Konjunkturpaket genauer anschauen, sehen wir, dass maximal ein Drittel dieses Pakets aus Investitionen besteht. Ich glaube, dass es ein
großer politischer Fehler ist, wenn man jetzt nicht in die
Technologien investiert, die in der Zukunft auch die entsprechenden Arbeitsplätze nach sich ziehen.
({4})
Vielmehr planen Sie hier Maßnahmen, die ziemlich verkehrt sind. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das wir uns in
den letzten Tagen genauer angeschaut haben. Es ist doch
ziemlich verrückt - Frau Nahles, da brauchen Sie gar
nicht „Wir tun das ja!“ dazwischenzurufen -, jetzt herzugehen und zu sagen: Wer einen Audi quattro 7 V10 TDI
kauft,
({5})
bekommt vom Staat insgesamt 5 500 Euro geschenkt:
2 500 Euro Abwrackprämie und 1 500 Euro Steuerersparnis pro Jahr für zwei Jahre. Dazu sagen wir: Hier
wird das falsche Signal gegeben. Vielmehr müssen wir
jetzt eine CO2-orientierte Kfz-Besteuerung schaffen,
damit klar wird, was die Automobilindustrie für die Zukunft tun muss, und damit auch die Bürger und Bürgerinnen Planungssicherheit haben, wenn sie sich ein
neues Auto kaufen. Da braucht man keine Abwrackprämie, sondern ganz klare politische Rahmenbedingungen,
die von der Bevölkerung zu Recht erwartet werden.
({6})
Die Menschen verstehen auch dieses permanente Hü
und Hott nicht. Sie haben die Steuern in den letzten Jahren massiv erhöht. Dadurch hatten wir bezogen auf den
Bundeshaushalt über drei Jahre insgesamt 140 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen. Es gab eine Anhebung
der Sozialversicherungsbeiträge; zwischendurch wurden sie wieder ein bisschen gesenkt. Wir haben einen
Gesundheitsfonds, den, wenn man sich die Interviews
anschaut, eigentlich niemand mehr will. Dieser Gesundheitsfonds bewirkt, dass zum 1. Januar 2009 der Krankenversicherungsbeitrag auf 15,5 Prozent angehoben
wird. Nun wird gesagt: Lieber Arbeiternehmer, liebe Arbeitnehmerin, jetzt zahlst du 0,3 Prozent weniger Beiträge. - Und das ist dann ein Konjunkturprogramm. Man
versteht nicht, warum Sie die Beiträge erst auf 15,5 Prozent erhöhen und dann wieder um 0,6 Prozent senken,
indem Sie Bundesmittel in das System geben wollen.
Die Leute werden ja verrückt; sie verstehen doch überhaupt nicht mehr, was das soll.
({7})
Aus diesem Grund, denke ich, ist die Glaubwürdigkeit dieses gesamten Paketes bei der Bevölkerung äußerst fragwürdig, und zwar zu Recht. Es ist nicht so, dass
die Leute den Eindruck haben, damit werde das, was für
die Zukunft notwendig ist, eingeleitet, nämlich ein
Strukturwandel hin zu innovativen Produkten, zu emissionsfreien Kraftfahrzeugen, zu einer ausreichenden Gebäudesanierung und zu einer vernünftigen Bildungspolitik. Vielmehr hat man den Eindruck, es wird Geld in die
Hand genommen, von dem jeder ein bisschen bekommt,
damit in der Koalition Ruhe ist - sonst nichts.
Danke.
({8})
Ich gebe das Wort der Kollegin Andrea Nahles, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich wollte meine Rede mit dem Satz beginnen: Der Staat hat sich in der Krise als handlungsfähig
erwiesen. Diesen Satz muss ich nach dieser Debatte leider korrigieren: Die Regierung hat sich in der Krise als
handlungsfähig erwiesen. Denn die Opposition lässt die
nötige Verantwortungsbereitschaft leider vermissen.
({0})
Wie wir gehört haben, muss die Nachricht von der neuen
Zeit auch in Europa ankommen. Die Nachricht von der
neuen Zeit muss vor allem in den Reihen der Opposition
ankommen;
({1})
denn dort ist sie leider noch nicht angekommen.
Guido Westerwelle hat eine ehemals stolze Wirtschaftspartei zu einer Einpunktepartei gemacht, der es
nur noch um Steuersenkungen für Spitzenverdiener
geht. Sie haben offensichtlich noch immer nichts verstanden. Sie haben schon im Jahre 2005 Steuersenkungen gefordert. Damals hat Franz Müntefering für Aufmerksamkeit gesorgt, als er gewisse Finanzinvestoren
aufgrund ihrer Praktiken mit Heuschrecken verglichen
hat. Daraufhin hat Guido Westerwelle gesagt, die wahre
Plage in diesem Land seien die Gewerkschaften, und
selbstverständlich kräftige Steuersenkungen gefordert.
Herr Westerwelle, mittlerweile hat sich herausgestellt,
wer in dieser Krise die wahre Plage war,
({2})
nämlich diejenigen, die jahrelang 25 Prozent Rendite
verlangt haben, obwohl über lange Strecken höchstens
5 oder 10 Prozent Rendite realistisch sind. Es hat sich
auch herausgestellt, dass Franz Müntefering recht hatte
und dass Sie unrecht hatten. Sie sind uns aber leider
nicht entgegengekommen, sondern plagen uns, wie ich
heute erleben muss, immer wieder mit derselben Schallplatte. Das ist das Problem.
Oskar Lafontaine hat heute eine interessante Frage
aufgeworfen. Oskar Lafontaine fragte: Wem hilft das
Konjunkturpaket II, das wir heute beschließen? Er hat
allerdings mit keinem einzigen Wort auf die konkreten
Arbeitsplätze Bezug genommen, die wir aufgrund der
Maßnahmen des Pakets, das wir heute beschließen, erhalten.
({3})
Uns geht es nämlich nicht nur um Steuerentlastungen.
Denjenigen, die jetzt arbeitslos würden, zum Beispiel
in der Stahlbranche, können wir Kurzarbeitergeld anbieten. Das ist zwar weniger, als sie bisher verdient haben - das ist richtig -; aber es nützt den Menschen mehr,
wenn sie ihren Job behalten, als wenn sie arbeitslos werden, einen höheren Hartz-IV-Satz erhalten und zu Hause
sitzen. Es nützt den Menschen auch mehr, wenn sie in
der Zeit der Kurzarbeit qualifiziert werden, als wenn wir
allgemeine Diskussionen über die von Oskar Lafontaine
erwähnten Lohnquoten führen.
({4})
Das sind nämlich Diskussionen, die den Menschen
nichts bringen.
Ich kann Ihnen sagen: Ja, das Jahr 2009 wird ökonomisch kein gutes Jahr werden. Aber es kann ein gutes
Jahr für Deutschland werden, wenn es uns gelingt, die
Grundlagen für den nächsten Aufschwung zu schaffen.
Es kann ein gutes Jahr für Deutschland werden, wenn
wir das tun, was in diesem konjunkturellen Umfeld
wichtig ist. Wir müssen an den richtigen Stellen investieren, nämlich dort, wo der größte Investitionsbedarf besteht: in den Kommunen. An der richtigen Stelle investieren, das bedeutet, dort zu investieren, wo wir die
zukünftigen Facharbeiter ausbilden: im Bildungsbereich.
Wir müssen in die Menschen, die arbeitslos zu werden
drohen, investieren, indem wir sie qualifizieren, statt sie
zu entlassen. Genau diese Weichenstellungen finden sich
in diesem Konjunkturpaket.
({5})
Deswegen sage ich: Wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen, kann es ein gutes Jahr für Deutschland werden. Wir müssen aber auch erkennen, dass wir aktiv etwas tun müssen, um Arbeitsplätze zu sichern. Da nimmt
die Abwrackprämie mit Verlaub eine Schlüsselposition
ein, um eine Leitindustrie in diesem Land wieder flottzumachen.
({6})
Die Abwrackprämie ist ein Beitrag zum Erhalt von Arbeitsplätzen in diesem Land. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht auch in Wahlkreisen, in denen Sie, die
Grünen, Verantwortung tragen, Zulieferer gibt, denen
die Luft ausgeht und die in diesem Bereich dringend einen Impuls brauchen.
({7})
Deshalb ist das, was wir an dieser Stelle machen, richtig.
Wir tun sehr wohl etwas für die unteren Einkommen.
Hier ist mehrfach behauptet worden, dieses Programm
führe zu Entlastungen an der falschen Stelle. Was ist es
denn, wenn wir denen, die besonders viel Geld brauchen, nämlich den Familien mit Kindern, einen Kinderbonus geben? Dieses Geld führt zu einer kurzfristig
wirksamen Entlastung der Familien; es wird unmittelbar
in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen. Deshalb ist
diese Maßnahme nicht nur gerecht und sinnvoll, sondern
setzt auch an der richtigen Stelle einen konjunkturellen
Impuls.
({8})
Dementsprechend ist es auch richtig, den 6- bis 13jährigen Kindern von Arbeitslosengeld-II-Empfängern
auf Dauer mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Wir nehmen hier mehr Geld in die Hand. Das ist wichtig, weil
man beobachten kann, dass sich die Länder in den letzten Jahren immer mehr aus der Finanzierung der Lehrmittelfreiheit zurückgezogen haben. Damit wurden insbesondere diese Kinder in die Bredouille gebracht. An
dieser Stelle beschreiten wir den richtigen Weg: konjunkturell wirksam, aber auch gerecht, weil das Geld an
die Richtigen geht.
({9})
Es geht auch darum, ein Paket für Arbeitsplätze zu
verabschieden. Nachdem wir ein Paket zur Rettung der
Banken verabschiedet haben, haben wir klar gesagt
- Frank-Walter Steinmeier hat das schon vor Monaten
angekündigt -: Wir brauchen auch einen Schutzschirm
für die Arbeitsplätze. Es geht uns aber nicht nur um Arbeitsplätze und Jobs; wir wollen tatsächlich mehr: Wir
wollen in dieser Krise gute Arbeit fördern. Ich bin froh,
dass es uns im Rahmen der Verhandlungen gelungen ist,
Mindestlöhne durchzusetzen: im Pflegebereich, für die
Wach- und Sicherheitsleute, die sich die Beine in den
Bauch stehen müssen, weil sie so viele Stunden machen
und so niedrige Löhne bekommen, für diejenigen, die im
Bereich Entsorgung arbeiten und einen sehr harten Job
machen.
({10})
Auch das ist mir ganz wichtig: Diejenigen, die als
Erste den Kündigungsbrief auf dem Tisch liegen hatten,
die Zeitarbeiter, erhalten in Zukunft eine Lohnuntergrenze. Diejenigen, die sich jetzt in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, erhalten ein Signal der Sicherheit
für die Zukunft, damit Ausbeutung vermieden wird. Das
sollte uns eine Leitplanke für das Jahr 2009 sein.
({11})
Wir haben oft genug Krisen erlebt, in denen die Mitbestimmung geschleift werden sollte, der Kündigungsschutz abgebaut werden sollte. Wir haben oft genug erlebt, dass Finanzinvestoren die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter vor allem als Kostenfaktor auf zwei Beinen
verstanden haben. Ich glaube, dass das Jahr 2009 ökonomisch sehr schwierig wird, es aber ein gutes Jahr für
Deutschland sein kann, weil es eine Bank, ein natürliches Korrektiv, einen Garant gegen Überhitzung und unrealistische Spekulationen gibt: die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, ihre Betriebsräte sowie die Gewerkschaften, die immer Garant für eine langfristige und
nachhaltige Unternehmensstrategie sind. Ich bin froh,
sagen zu können: Dieses Konjunkturpaket II stärkt Mitbestimmung und baut sie nicht ab; es fördert Ausbildung, schafft neue Vermittlerstellen und organisiert mehr
Schutz für Leiharbeiter. Sie sagt allen, die entlassen werden müssen: Wir organisieren Kurzarbeit. Das heißt in
diesem Fall: Sie investiert bei denen, die dieses Land zuverlässig aus der Krise herausarbeiten werden, nämlich
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({12})
Das Wort hat der Ministerpräsident von Sachsen,
Stanislaw Tillich.
({0})
Stanislaw Tillich, Ministerpräsident ({1}):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren Abgeordnete! Deutschland steht wahrscheinlich
vor einer der bisher gewaltigsten Aufgaben. Bund und
Länder kommen gemeinsam ihrer gesamtstaatlichen
Verantwortung nach, und sie handeln mit aller Entschlossenheit. Ich kann mich nach der Debatte des Eindrucks nicht erwehren, dass das einigen nicht passt.
Es kommt nicht darauf an, zu lamentieren oder zu reden, sondern zu handeln.
({2})
Der Bund und die 16 Länder haben im Herbst einen Rettungsschirm für unser Bankensystem aufgespannt. Wir
handeln gemeinsam für Deutschland, und die Menschen
in diesem Land tragen auch gemeinsam die Lasten.
Ministerpräsident Stanislaw Tillich ({3})
Der Bund und die 16 Länder schnüren nun ein beispielloses Konjunkturpaket, damit unsere Wirtschaft gut
durch diese Rezession kommt und Strukturen und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Unser Handeln ist ein eindrucksvoller Beweis, dass der Föderalismus Deutschland stark macht.
({4})
- Doch, Herr Kuhn, wir wissen es. Wir Länder stehen in
einer besonderen Verantwortung. Denn es sind gerade
Einrichtungen in den Ländern und den Kommunen, in
die investiert werden soll: in Hörsäle, Klassenzimmer,
Jugendhäuser oder Krankenhäuser. Länder und Kommunen kennen ihre Verantwortung, wenn es darum geht,
nachhaltig zu investieren.
Wir - die Länder und der Bund - haben uns einen Tag
vor Weihnachten das erste Mal im Kanzleramt zusammengesetzt und analysiert, wo das Geld am besten wirkt.
Wir haben bis zum 2. Januar Vorhaben identifiziert und
diese mit dem Bund besprochen. Jetzt - keine zwei Wochen später - ist das Paket in seinen wesentlichen Elementen geschnürt.
Die Lage erfordert rasches Handeln, und wir, Bund
und Länder, handeln gemeinsam und rasch. Alle Maßnahmen haben ein Ziel, nämlich Deutschland weiter zukunftsfest zu machen. Wir Länder werden dafür Sorge
tragen, dass jeder Euro schnell in die neuen Projekte
geht und damit Aufträge für Handwerker und mittelständische Unternehmen in den Regionen auslöst.
({5})
Wir tun das ohne Verschiebebahnhöfe. Wir nehmen
als Länder frisches Geld in die Hand, das wir noch oben
drauflegen. Noch einmal die Kasse aufzumachen, ist für
uns, die Länder, genauso hart wie für den Bund, für
einige sogar schmerzhaft. Denn der Spielraum in den öffentlichen Haushalten ist extrem gering. Ich bin mir
sicher, dass wir diese Zitrone nicht beliebig oft ausquetschen können.
Wir haben in den vergangen Jahren den Haushalt
schon ein gutes Stück weit konsolidiert. Einige Länder
haben die Nettoneuverschuldung bereits auf null gesenkt. Es soll keiner glauben, dass uns das leichtgefallen
ist. Als Sachse weiß ich, wovon ich rede. Es war ein
Stück harter Arbeit. Dazu, dass sich aber Länder wie
Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern dieses Ziel
gesteckt und erreicht haben, kann ich nur sagen: Hut ab!
({6})
Der Bund hat die gleichen Prinzipien wie wir Länder:
den Haushalt zu konsolidieren. Aber in Zeiten wie diesen darf man sich nicht zum Sklaven der eigenen Regeln
machen. Deshalb handeln Sie, Frau Bundeskanzlerin,
und die gesamte Bundesregierung genau richtig. Die
Länder und der Bund sind sich einig: Wir müssen das
Konjunkturpaket so schnell wie möglich auf den Weg
bringen, damit es rasch wirken kann. Gerade wir Länder
haben daran ein Interesse. Denn bei uns wird investiert.
Bei uns werden die Arbeitsplätze gesichert, und die
Nachfrage wird belebt.
Aus Ländersicht ist es ebenso dringend, zu überlegen,
wann und wie wir die Schulden wieder tilgen. Ich füge
hinzu: Die Bürger in Deutschland haben ein Recht darauf, zu wissen, dass die Schulden des Staates im nächsten Aufschwung wieder geringer werden. Nur das
schafft Vertrauen.
({7})
- Herr Westerwelle, das nimmt uns als Politiker in der
Gesamtheit in die Pflicht. Wir brauchen endlich eine
wirksame Schuldenbremse, und zwar im Grundgesetz;
dorthin gehört sie.
({8})
Das Schuldenmachen muss ein Ende haben. Sonst packen wir unseren Kindern und Enkeln immer neue
Steine in den Rucksack, der schon heute auf sie wartet.
Der Deutschlandfonds hilft Unternehmen und baut
eine Brücke. Damit kommen sie über die bevorstehende
Durststrecke. Aber ich bin mir mit meinen Vorrednern,
insbesondere mit Ihnen, Herr Ramsauer, einig: Der Staat
ist nicht der bessere Unternehmer. Hier heißt es, auf der
Hut zu sein. Wenn der Staat Unternehmen hilft, kann das
nur ein einmaliger Impuls sein. Wenn ich einige höre,
kann ich nur davor warnen, jetzt die Geister zu rufen, die
wir später nicht mehr loswerden. Klarere Regeln sind sicherlich notwendig. Aber es ist auch eindeutig: Die soziale Marktwirtschaft funktioniert, und wir können auf
sie vertrauen. Dass der Mindestlohn in Frankreich dazu
beitragen soll, dass die Krise um dieses Land einen Bogen macht, war mir im Übrigen neu und hat allein die
Reise hierher gelohnt.
({9})
Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine Herausforderung nicht nur für Deutschland, sondern für Europa in
Gänze. Überall in der Europäischen Union arbeiten die
Regierungen daran, ihre Länder gut durch die schwierige
Zeit zu steuern. Wir sollten die konjunkturelle Talfahrt
nutzen, um Schwung für den nächsten Aufschwung zu
holen. Die EU muss dafür sorgen, dass die europäischen
Schlüsselindustrien fit für den weltweiten Wettbewerb
sind, wenn die Krise überwunden ist. Ebenso wichtig
wie die Lissabon-Ziele sind dabei die Regeln der europäischen Wettbewerbspolitik. Gegenwärtig ist die europäische Wettbewerbspolitik zu stark auf einen Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt fixiert. Immer öfter
konkurriert nur noch ein europäischer Standort oder eine
Technologie im weltweiten Wettbewerb. Gerade dort,
wo Europa im Wettbewerb mit Asien und Amerika steht,
können wir nur gewinnen, wenn wir bei den Querschnittstechnologien von strategischer Bedeutung europäisch denken.
({10})
Ministerpräsident Stanislaw Tillich ({11})
Deshalb gilt es, in der Krise die Chancen zu nutzen und
europäisch zu handeln. Dann wird Europa neue Kraft gewinnen, und dann kann Europa diese Krise bestehen.
Wir erleben im deutschen Mittelstand gerade einen
Generationenwechsel an der Spitze der Unternehmen.
Eine neue Generation von Unternehmern übernimmt
Verantwortung in einer sehr schweren Zeit. Ich bin mir
sicher: Diese Generation wird die Feuertaufe bestehen,
auch weil Bund und Länder geschlossen und entschlossen handeln und diese Unternehmen unterstützen.
({12})
Ich vertraue unseren Unternehmern deshalb, weil sie mit
ihrem ganzen Geschick, ihrem ganzen Mut, ihrer Entschlossenheit und ihrem Verantwortungsbewusstsein dafür kämpfen, das zu erhalten und fortzuführen, was Generationen vor ihnen in Deutschland aufgebaut haben.
Deutschland ist stark. Deswegen bin ich überzeugt,
dass wir auch diese Situation meistern werden.
Vielen Dank.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Vereinbarte Debatte
Aktuelle Lage im Nahen Osten
Das Wort hat der Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Seit dem 27. Dezember wird in Gaza gekämpft.
Seit 19 Tagen gibt es Krieg, große Zerstörung und Hunger. Verletzte und fast 1 000 Tote sind bislang zu beklagen. Das Kämpfen geht weiter, in den letzten Tagen sogar
mit größerer Intensität als am Anfang der Auseinandersetzung. Die Gegenwehr ist durchaus heftig. Die Luftangriffe werden fortgesetzt, begleitet von Operationen am
Boden. Ich habe mir selber in Rafah ein Bild von der
Heftigkeit der Kampfhandlungen machen können. Ich
habe eine Vorstellung, wie es den Menschen, die im Gazastreifen geblieben sind, geht. Die Zivilbevölkerung leidet ganz ohne Zweifel, und aus der humanitären Krise
könnte eine humanitäre Katastrophe werden. Das kann
uns nicht kaltlassen, und das lässt uns nicht kalt. Die leidende Zivilbevölkerung hat und braucht unser Mitgefühl.
({0})
Wir haben am vergangenen Wochenende intensiv mit
den Hilfsorganisationen in der Region gesprochen, auch
mit dem Internationalen Roten Kreuz. Noch sind ausreichend Medikamente vorhanden, noch arbeitet die Mehrzahl der Krankenhäuser und Krankeneinrichtungen notdürftig unter den Bedingungen, die wir uns vorstellen
können; aber ebenso klar war auch die Aussage, dass
das, was gegenwärtig an Nahrungsmitteln in den Gazastreifen hineinkommt, nicht ausreichen wird, wenn der
Kampf noch länger dauern wird. Deshalb eines ganz klar
vorab: Die Kampfhandlungen müssen jetzt eingestellt
werden, die Waffen müssen zum Schweigen gebracht
werden.
({1})
Ich sage, obwohl ich als Außenminister weiß, dass
uns die Fernsehbilder, die wir allabendlich sehen, sehr
erschüttern und die Empörung sehr verständlich ist: Das
wird nicht ausreichen. Ich kenne keine Auseinandersetzung der jüngeren Zeit, die wir mit Presseerklärungen
und Statements aus der Welt gebracht hätten. Es ist Arbeit erforderlich, und die Arbeit verlangt auch, sich daran zu erinnern, dass dieser Krieg, die Militäraktionen
Israels nicht vom Himmel gefallen sind. Sie wissen, dass
dem Krieg insbesondere in der zweiten Hälfte des letzten
Jahres eine geradezu täglich zunehmende Zahl von Raketenangriffen aus dem Gazastreifen vorausging. Ich
habe öffentlich gesagt und stehe dazu: Keine Regierung,
auch und erst recht nicht die Regierung Israels, kann einer solchen Bedrohung der eigenen Bevölkerung tatenlos zusehen. Es ist gerechtfertigt, sich dagegen zur Wehr
zu setzen.
({2})
Richtig ist sicher auch, dass diejenigen, die durch einen
faktischen Putsch die Loslösung des Gazastreifens vom
Westjordanland für einige Zeit durchgesetzt haben und
dafür die Verantwortung tragen, nicht die Verantwortung
für die Menschen im Gazastreifen übernommen haben.
Sie tragen mit dafür Verantwortung, dass der jetzige
Waffengang mit viel Leid für die Zivilbevölkerung zustande kam. Schuldfragen sind in einer solchen Situation
öffentlich gestellt worden, aber die Klärung von Schuldfragen wird uns nicht zu der Einstellung der Kampfhandlungen führen. Das wird nur der Fall sein, wenn wir unseren Teil dazu beitragen, dass aus Initiativen wie
beispielsweise der des ägyptischen Präsidenten Mubarak
zum Waffenstillstand ein Erfolg wird.
({3})
An diesem Punkt sind wir noch nicht. Meine Gespräche
in Israel haben mir ganz klar gezeigt: Wir werden das,
was wir erhoffen und worauf wir täglich warten, nämlich
die Einstellung der Kampfhandlungen, nur erreichen,
wenn zwei Dinge gewährleistet sind: Erstens wenn Israel
zugesichert werden kann, dass es nach diesem Waffengang ein erhöhtes Maß an Sicherheit für die israelische
Bevölkerung geben wird - deshalb muss sichergestellt
werden, dass eine Neubewaffnung der Hamas nicht in
kürzester Zeit wieder möglich sein wird -, und zweitens
- ich bin mir sicher, dass das ein Element für die Einstellung der Kampfhandlungen ist, wenn die Einstellung
dauerhaft sein soll -, dass wir eine Regelung zur Öffnung der Grenzübergänge finden, die eine dauerhafte
Versorgung der Zivilbevölkerung wieder sicherstellt.
({4})
Ich habe in den letzten Tagen viele hässliche Kommentare über das Tätigwerden der EU gelesen. Ich kann
mit all denen übereinstimmen, die darauf aufmerksam
machen, dass es schlecht ist, wenn die EU im Nahen Osten mit unterschiedlichen Stimmen und konkurrierend
auftritt. Nur: Das ist nicht das Thema.
Stellen Sie sich vor, die gegenwärtige tschechische
Ratspräsidentschaft hätte sich nach dem Ausbruch der
Kampfhandlungen geweigert, in die Region zu fahren.
Die Kritik wäre nicht minder groß, sondern vielleicht
noch schärfer ausgefallen. Ich finde, man kann denjenigen, die sich in einer damals - vor 10, 14 Tagen - noch
fast aussichtslosen Situation um Frieden bemühten, nicht
den Vorwurf machen, dass die Einstellung der Kampfhandlungen nicht schon nach dem ersten Besuch, dem
ersten Gespräch stattfindet.
Das Wichtige ist, dass ein Dialog aufgenommen wird.
Den führen wir, und wir führen ihn unter den Europäern
so eng wie möglich miteinander. Ich selbst habe in meinen Delegationen in Ägypten und Israel Mitglieder der
tschechischen Präsidentschaft gehabt. Das, was wir an
Gesprächen in Ägypten, Israel und in der Gesamtregion
führen, wird eng mit den französischen und britischen
Nachbarn abgestimmt.
Wo stehen wir? Das Schlüsselland Ägypten, das hier
große Verantwortung auf sich nimmt - auch mit Blick
auf die komplizierte Lage in der Arabischen Liga, wo
die Vermittlungsversuche Ägyptens auch nicht ohne Kritik bleiben -, verdient jede Unterstützung, in den Direktgesprächen mit Israel das zustande zu bringen, was wir
brauchen, nämlich die Voraussetzungen dafür, dass vonseiten der Hamas versichert wird, dass kein weiterer Raketenbeschuss stattfindet, und Israel daraufhin die
Kampfhandlungen einstellen kann. Das ist schwierig genug.
In einer solchen Situation, in der die erhoffte Vereinbarung noch nicht zustande gekommen ist, habe ich
mich mit den Partnern in der Region auf fünf Punkte
verständigt: Wir brauchen einen Einstieg in einen Prozess. Wenn der konsentierte Waffenstillstand nicht sofort
zu erhalten ist, dann müssen wir den Einstieg über eine
humanitäre Waffenruhe für einige Tage, besser für eine
Woche, noch besser für zwei Wochen hinbekommen.
Wir müssen dann die Zeit nutzen, um in einer solch
humanitären Waffenpause einerseits die Versorgung der
Bevölkerung sicherzustellen. Andererseits müssen wir
die diplomatischen Möglichkeiten nutzen, um zu Vereinbarungen zu vermehrter Sicherheit an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen zu kommen und
auch um Maßnahmen zu vereinbaren, wie Waffenschmuggel in der nächsten Zukunft effektiver verhindert
wird.
Wir können die Zeit nutzen, um in den Tagen der humanitären Waffenruhe entsprechende Vereinbarungen
mit Ägypten zu treffen. Wir können in einer nächsten
Phase die kontrollierte Öffnung der Grenzübergänge
vorbereiten. Wohlgemerkt: Wenn ich von Grenzübergängen spreche, dann meine ich nicht nur Rafah, nicht nur
den Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und
Ägypten, sondern die Grenzübergänge, die es zwischen
Gaza und Israel gibt und über die die Mehrzahl der Güter
für die Versorgung der Bevölkerung läuft.
Wir müssen - das scheint auf den ersten Blick abstrus
zu sein - uns auch Gedanken darüber machen, wie wir in
einem weiteren und letzten Schritt diejenige Bevölkerung mit alternativen Einkommensmöglichkeiten versorgen, die gegenwärtig vom Schmuggel an der Grenze
westlich und östlich von Rafah lebt, ein für die Ägypter
nicht einfaches Problem, bei dem wir Europäer aber behilflich sein könnten. Ich bin mir sicher: Wenn man einen solchen Arbeitsplan verfolgt - wir sind derzeit dabei -,
dann können damit die Voraussetzungen für einen baldmöglichsten Waffenstillstand geschaffen werden.
({5})
Gespräche dazu laufen. Ich werde morgen erneut in
der Region sein. Ägypten hat die Unterstützung von der
Europäischen Union und auch der deutschen Seite akzeptiert. Die Unterstützung muss unter der Wahrung der
ägyptischen Souveränität stattfinden. Deshalb sind alle
Vorschläge, von denen ich interessiert in der Öffentlichkeit gehört habe, dass eine internationale Schutztruppe
auf ägyptischem Boden stationiert werden soll, jenseits
aller vorstellbaren Möglichkeiten.
Ägypten besteht darauf, dass die Souveränität des
Landes und die Autorität der eigenen Grenzschutzpolizei
gewahrt bleiben. Deshalb kann es für uns nur darum gehen, mit Ausstattungshilfe, mit technischem Equipment,
mit Training, mit der Diskussion einer geeigneten
Grenzschutzstrategie und Ähnlichem behilflich zu sein.
Aber das sind dann auch die Möglichkeiten, von denen
mir und uns auch die israelische Seite sagt: Wenn Grenzschutz dadurch effektiver wird, dann ist das eine Möglichkeit für die Israelis, auch ihrerseits von einem Mehrwert, von einem Mehr an Sicherheit für die israelische
Bevölkerung auszugehen.
Wir sind im Augenblick bei einem Zwischenstand.
Ich hatte gehofft, Ihnen heute bei dieser Debatte sagen
zu können, wie erfolgreich der Weg zum Waffenstillstand beschritten worden ist. Nun sind wir noch nicht so
weit. Die Mühe, ihn schnellstmöglich zu erreichen, wird
anhalten. Ich werde mich in den nächsten Tagen mit anderen weiter darum bemühen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bilder aus dem Gazastreifen, die wir jeden Abend
auf unsere Fernsehschirme transportiert bekommen,
können niemanden kaltlassen. Jedes unschuldige Opfer
in diesem furchtbaren Krieg ist eines zu viel.
({0})
Frieden, zumindest aber zunächst ein Schweigen der
Waffen, ist also dringend erforderlich. Alle, die sich darum bemühen, verdienen Unterstützung. Es ist überhaupt
nicht im Sinne eines wechselseitigen Aufrechnens zu
verstehen, wenn ich zugleich darauf hinweise, dass wir
Europäer uns manchmal kaum vorstellen können, was es
für Bürger großer Teile Israels bedeutet, seit Jahren unter
der permanenten Bedrohung durch Qassam-Raketen
- sie schlagen tagtäglich ein - leben zu müssen. Angesichts dessen erscheint es geradezu zynisch, dass diese
Raketen ob ihrer geringen technologischen Qualität in
manchen Medienberichten geradezu verniedlicht oder
verharmlost werden.
({1})
Wir müssen uns in die Gefühlslage der betroffenen
Menschen hineinversetzen. Dazu gehört das Gefühl der
permanenten Demütigung, unter dem die Menschen
nicht nur in Gaza, sondern in ganz Palästina leiden. Dazu
gehört eben auch - wenn man zum Beispiel Israel verstehen will -, zu erfassen, welche Bedeutung für die Menschen in Israel und für die Handlungsfähigkeit der israelischen Regierung das nach wie vor ungeklärte Schicksal
des verschleppten Soldaten Gilad Schalit besitzt. Die
Waffen zum Schweigen zu bringen, lohnt also jede Anstrengung; aber das allein ersetzt die Perspektive für
Frieden und Stabilität nicht. Ein Waffenstillstand muss
auch genutzt werden können, um den politischen Prozess wieder in Gang zu bringen, und umgekehrt wird es
ohne die Perspektive eines politischen Prozesses keinen
tragfähigen Waffenstillstand geben.
({2})
Das setzt voraus, dass es gelingt, die Spirale von
Hass, Gewalt und wechselseitiger Demütigung zu durchbrechen, die die Menschen zunehmend zur Verzweiflung
und eben auch zu mancher Verzweiflungstat bringt. Man
kann die Chancen, diesen Prozess wieder in Gang zu
bringen, natürlich nicht ermessen, wenn man nicht den
Kalender sieht, der für die jeweiligen Konfliktparteien
und auch für diejenigen, die hilfreich sein könnten, wesentlich ist. Zu den wichtigen Daten gehört natürlich der
israelische Wahltermin Anfang Februar. Es ist schon tragisch, dass gerade sehr moderate Politiker, die in den
direkten und diskreten Kontakten mit der palästinensischen Seite, aber auch zum Beispiel mit Syrien schon
ziemlich weit gekommen sind, jetzt offenbar unter innenpolitischen und wahltaktischen Zwängen stehen und
glauben, besonders konsequent und mit erheblicher
Härte gegen die Hamas vorgehen zu müssen.
Zu den wichtigen Daten gehört natürlich auch der
20. Januar, der Tag, an dem Barack Obama sein Amt als
amerikanischer Präsident übernimmt und auch seine außenpolitische Agenda darstellt. Jeder weiß, dass ohne ein
starkes amerikanisches Engagement im Nahen Osten
keine stabile Friedenslösung denkbar ist. Die Ausführungen der zukünftigen amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton gestern im Senatshearing lassen da
durchaus Hoffnung aufkommen. Dass man auf Obama
zu warten hat, ist für Europa aber keine Entschuldigung.
Die EU ist durchaus gefragt. Das war nicht immer so,
insbesondere in Israel. Das hat sich nun geändert. Dem
muss Europa gerecht werden.
Sie waren sehr kollegial, diplomatisch, Herr Minister,
gegenüber den Außenministern und den übrigen Beteiligten aus Brüssel, die in der letzten Woche in der Konfliktregion aufgetreten sind. An dem Anspruch gemessen, erschien mir jedoch der Auftritt der Europäischen
Union in der letzten Woche unkoordiniert, konzeptionslos und peinlich; ja, man schien überfordert zu sein.
({3})
Es ist schon ziemlich erbärmlich, wenn die Außenminister aus gegenwärtiger, vorangegangener und zukünftiger Ratspräsidentschaft - übrigens ein Format, das es
seit Beginn dieses Jahrtausends eigentlich gar nicht mehr
gibt, die klassische Troika -, ergänzt um die Außenkommissarin und den Generalsekretär des Rates, in der Region um Termine und Medienaufmerksamkeit buhlen
und der Nicht-mehr-Ratspräsident Nicolas Sarkozy zugleich in Kairo Gespräche führt, von denen wiederum
sein eigener Außenminister als Teil der genannten Troika in Jerusalem zu diesem Zeitpunkt gar nichts weiß. So
scheitert die Europäische Union an ihrem eigenen Anspruch in der Weltpolitik.
Da stimmt es dann fast schon hoffnungsfroh, Herr
Minister, dass, wie Sie uns gestern versichert haben, Ihre
Reise nicht nur in der Europäischen Union abgestimmt
war, sondern sogar in der Bundesregierung.
({4})
Die Zweifel bleiben, aber es ist ja schon beruhigend zu
wissen, dass die Bundeskanzlerin, wie ich jetzt doch
feststellen kann, über die Anstrengungen, die Sie unternommen haben, offenbar nicht nur über die Medien informiert worden ist.
Schon allein humanitäre Überlegungen machen ein
Schweigen der Waffen so überaus dringlich. Ich unterstütze Sie, Herr Minister, ausdrücklich, wenn Sie davor
warnen, den erforderlichen politischen Prozess wieder
von der Schuldfrage her aufrollen zu wollen. An wechselseitiger Schuldzuweisung, am Aufrechnen ist in der
Vergangenheit schon fast alles gescheitert, was zum
Frieden hätte führen können. Das Ergebnis eines möglichen Friedensprozesses scheint doch eigentlich auf der
Hand zu liegen oder - vielleicht muss man es heute
schon so sagen - schien auf der Hand zu liegen, zumindest dann, wenn alle Beteiligten die Vision des friedlichen Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern in
zwei souveränen, zur Kooperation befähigten Staaten
nach wie vor teilen. Deswegen muss der Prozess vom
Ergebnis her definiert werden, nicht von den unüberbrückbaren Gegensätzen bei der Schuldzuweisung her.
In den letzten Jahren ist bei den allermeisten Beteiligten, denke ich, durchaus die Erkenntnis gereift, dass eigentliche Stärke darin besteht, Kompromisse einzugehen
und gegenüber den eigenen Leuten durchzusetzen.
Oder ist die Zwei-Staaten-Lösung etwa schon verspielt? Hat sich die Lage in Gaza bereits so sehr von der
auf der Westbank entfernt, dass die Zwei-Staaten-Lösung schon unrealistisch geworden ist? Man kann nur
warnen.
Mancher fragt, warum denn das Zusammenleben
nicht in einem Staat möglich sein soll. Das, meine Damen und Herren, wäre das Ende von der Vorstellung des
jüdischen Staates Israel. Für das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel einzutreten - nicht für das Existenzrecht Israels als Staat, in dem die jüdischen Israelis mehr
und mehr zur Minderheit im vermeintlich eigenen Staat
werden -, war und ist Staatsräson im Nachkriegs- und
Nach-Holocaust-Deutschland. Die Drei-Staaten-Lösung
mit einem jüdischen Israel, einem kaum zusammenhängenden Westbank-Territorium und einem aus eigener
Kraft und als eigenes Staatsgebilde nicht lebensfähigen,
eingemauerten Gaza, das ist ganz gewiss kein Konzept
für Frieden und Stabilität im Nahen Osten.
Wer an der Idee von der Zwei-Staaten-Lösung festhält
und die Spirale von Demütigung und Gewalt durchbrechen will, der muss also die Kraft aufbringen, der eigenen Bevölkerung die Opfer abzuverlangen, die dann
unausweichlich sind. Das bedeutet für Israel den schmerzlichen, aber völlig unverzichtbaren Rückzug aus den
Siedlungsgebieten auf der Westbank - eine Erkenntnis
von Ministerpräsident Olmert, die er leider erst jetzt geäußert hat, da sein Abgang nur noch eine Zeitfrage ist -,
und das heißt für die Palästinenser: weitgehender Verzicht auf die vollständige oder auch nur überwiegende
Rückkehr der Flüchtlinge in das Gebiet, das jetzt Israels
Kernland ist.
Wer soll eigentlich in der Lage sein, der eigenen Bevölkerung solche unverzichtbaren Opfer mit der dafür
notwendigen Autorität abzuverlangen? Hoffen wir, dass
die israelischen Wähler im nächsten Monat die neue
Knesset-Mehrheit in die Lage versetzen, dies zu tun, und
hoffen wir, dass Gaza nicht der Todesstoß für die Regierung von Präsident Abbas ist.
Jetzt schon scheint sich abzuzeichnen, dass das Kalkül, eine harte Haltung gegenüber den Raketenterroristen der Hamas würde die Bevölkerung im Gazastreifen
von der Hamas-Führung entfremden, nicht aufgeht. Im
Gegenteil, ich fürchte, dass selbst diejenigen, für die
Hamas nicht in erster Linie eine Terrororganisation ist
- was Hamas zweifellos auch ist -, sondern ein gesellschaftliches, soziales und oft auch intellektuelles Netzwerk, geradezu aus der Solidarität mit Abu Masin herausgetrieben und in die Solidarität mit den Hardlinern
der Hamas getrieben werden. Deshalb muss sich auch
die Bundesregierung fragen lassen, ob die undifferenzierte Isolationspolitik gegenüber der ziemlich heterogenen Hamas eigentlich zielführend gewesen ist.
Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch. Es ist sehr zu
begrüßen, wenn einige arabische Staaten bereit sind, daran konstruktiv mitzuwirken, allen voran Ägypten. Das
ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Immerhin
gehen jene Staaten, die sich für eine umfassende Friedenslösung aussprechen, damit beträchtliche Risiken
ein, und es ist offenkundig, dass die Eskalation der Gewalt in Gaza die friedenswilligen Staaten der Region vor
erhebliche innenpolitische Herausforderungen stellt,
während die Extremisten neues Material für ihre unselige Propaganda erhalten. Auch dies ist ein Grund dafür,
dass es wichtig ist, die Waffen so schnell wie möglich
zum Schweigen zu bringen.
Meine Damen und Herren, Deutschland, dessen Eintreten für das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel
über jeden Zweifel erhaben ist und das zugleich ein großes Vertrauenspotenzial in der arabischen Welt besitzt,
kann und muss hier eine Rolle spielen und seine guten
Dienste als ehrlicher Makler einbringen. Vielleicht wird
Teil einer Friedenslösung, nicht einer kurzfristigen Waffenruhe, auch eine militärische Absicherung von außen
sein. Ich begrüße aber außerordentlich, Herr Minister,
dass Sie klargemacht haben, dass diese Debatte viel zu
früh kommt. Weder sind wir an dem Punkt, wo man
grundsätzlich über eine Blauhelmmission diskutieren
könnte, noch ist erst recht eine deutsche Beteiligung daran vorstellbar. Wenn eine solche Friedensmission Aussicht auf Erfolg haben soll als Teil eines Friedenspakets,
dann muss diese Blauhelmtruppe im Zweifel auch in der
Lage sein, gegenüber den Konfliktparteien, die bereits
getrennt worden sind, robust aufzutreten. Das ausgerechnet deutschen Soldaten gegenüber Palästinensern oder
Israelis abzuverlangen, ist nach meiner Auffassung ein
abwegiger Gedanke.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Angesichts des Leids der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten sind wir alle entsetzt, in diesen Tagen insbesondere über das Leid auf der palästinensischen Seite:
Über 900 Tote, davon ungefähr die Hälfte Zivilisten, und
mehrere Tausend Verletzte können, wie ich glaube, niemanden hier im Hause unberührt lassen. Deswegen un21456
terstützen wir die UN-Resolution 1860, die dazu führen
soll, dass es so schnell wie möglich zu einem dauerhaften Waffenstillstand kommt.
Bei allem Mitgefühl, das richtig und wichtig ist, können wir aber als Abgeordnete, als Politiker hier nicht stehen bleiben, sondern wir müssen die Frage nach der Verantwortung und die Frage nach Ursache und Wirkung
stellen. Dazu gehören die Feststellungen, dass die Hamas am 19. Dezember einen Waffenstillstand aufgekündigt hat, der durch Ägypten verhandelt war und den
Israel als unbegrenzt gültig angesehen hat, dass seitdem
mehrere Hundert Raketen und Mörsergranaten in Israel
eingeschlagen sind und dass seit dem Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza im Jahr 2005 über 10 000 Raketen und Mörsergranaten im Süden Israels eingeschlagen sind.
Ich selber habe am 6. Januar dieses Jahres die Städte
Sderot und Beerscheba besuchen können, zwei Städte,
die seit Jahren unter diesem Raketen- und Granatenbeschuss leiden. Bushaltestellen sind zu Betonunterständen umgebaut worden, und auch auf den Schulwegen
gibt es entsprechende Unterstände für die Schulkinder.
Man verbindet damit die Hoffnung, dass sie innerhalb
der durchschnittlichen Vorwarnzeit von 15 Sekunden
diese Unterstände erreichen und vor einem möglichen
Raketenbeschuss geschützt sind.
Die von solchen Raketen zerstörten Klassenräume,
die ich ebenfalls besichtigen konnte, zeigen allerdings,
dass diese Vorsichtsmaßnahmen nicht immer erfolgreich
sind. Eine durchschnittliche Vorwarnzeit von 15 Sekunden bedeutet auch, dass sie manchmal länger und
manchmal kürzer ist. Als ich in Sderot war, sind allein
drei Raketen eingeschlagen, bei denen der Alarm erst
nach dem Einschlag ausgelöst werden konnte.
Ich habe bei den Menschen eine Mischung aus Verbitterung und Enttäuschung einerseits und Entschlossenheit
andererseits festgestellt. Verbitterung und Enttäuschung
resultieren daraus, dass sie gehofft hatten, dass nach der
monatelangen Waffenruhe die Vereinbarung eines Waffenstillstandes in greifbare Nähe rückt. Die Entschlossenheit zeigt sich darin, dass die Menschen dem Terror
nicht weichen und der Hamas-Strategie widerstehen
wollen, die darauf ausgerichtet ist, zunächst die Bevölkerung zu demoralisieren und dann nicht nur den Süden
Israels, sondern ganz Israel durch Raketenbeschuss für
Juden unbewohnbar zu machen. Das erklärt auch die
Entschlossenheit, mit der die Israelis ihr Recht auf
Selbstverteidigung wahrnehmen.
Der Raketenbeschuss hat nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zugenommen. Es sind immer weniger die sogenannten Qassam-Raketen und immer mehr
Katjuscha- und Grad-Raketen. Katjuscha-Raketen sind
in Deutschland besser bekannt unter dem Namen Stalinorgel. Grad-Raketen sind industriell hergestellte Raketen, die die Qassam-Raketen und die Katjuscha-Raketen
in Bezug auf Reichweite, Zielgenauigkeit und Sprengkraft bei weitem übertreffen. Die Waffenruhe der letzten
Monate hat die Hamas intensiv genutzt, um im Gazastreifen mit diesen Raketen aufzurüsten. Deswegen ist es
folgerichtig, dass es für die israelische Seite keine Rückkehr zum Status quo ante geben kann, sondern ein dauerhafter Waffenstillstand aus ihrer Sicht nur möglich ist,
wenn eine effiziente Unterbindung des Waffenschmuggels erreicht wird. Denn es existiert ein System von
mehreren Hundert Tunneln, durch das nicht nur Waffen,
sondern auch Ziegen und Kühe geschmuggelt werden;
einmal war es sogar eine Giraffe für den Zoo von Rafah.
Ich erwähne das, damit man sich eine Vorstellung von
dem Ausmaß und der Stabilität dieser Infrastruktur machen kann. Über 400 Tunneleingänge gibt es allein auf
ägyptischer Seite und mehrere Hundert Tunnel, durch
die dieser Schmuggel stattfindet.
Deswegen ist es unter den vom Außenminister beschriebenen Voraussetzungen richtig und wichtig, dass
wir unsere Unterstützung und Zusammenarbeit beim
Aufspüren, Verschließen und möglicherweise auch
Sprengen dieser Tunnel anbieten. Dieser Aufgabe
kommt mit Blick auf eine schnellstmögliche Erreichung
eines dauerhaften Waffenstillstandes in der zeitlichen
Abfolge eine zentrale Bedeutung zu. Es ist gut, dass die
ägyptische Regierung dieses Problem erkannt hat und
nach Jahren jetzt bereit ist, etwas dagegen zu unternehmen.
Die Frage einer internationalen Präsenz im Gazastreifen ist angesprochen worden. Ich teile das, was der Kollege Hoyer gesagt hat. Ich würde diese Präsenz grundsätzlich nicht ausschließen, bin in diesem Punkt aber
deswegen besonders zurückhaltend, weil sich zunächst
einmal die Frage des Mandats stellt. Eine bloße Beobachtermission wird wohl nicht infrage kommen. Das
nachvollziehbare Argument der Israelis lautet: Was auf
uns an Granaten und Raketen abgeschossen wird, können wir selber feststellen; das muss nicht noch durch
eine internationale Präsenz erfolgen. - Ein Mandat
müsste also beinhalten, den Waffenstillstand durchzusetzen und zu überwachen. Aber spätestens dann wäre eine
internationale Präsenz in ähnliche Konflikte verwickelt,
wie sie heute die israelische Armee im Gazastreifen zu
bestehen hat.
Welche Schritte müssen als Nächstes gegangen werden? Der zweite Schritt nach dem Schließen der Tunnel,
den ich für wichtig und unvermeidbar halte, ist die Bemühung darum, arabische und islamisch geprägte Länder stärker in die Überwachung eines Waffenstillstandes
einzubinden. Denn im Kern dieses Konflikts steht der
Bruderkrieg zwischen Hamas und Fatah. Wir dürfen
nämlich nicht vergessen, dass der massive Raketenbeschuss Israels vor allem nach dem blutigen Putsch der
Hamas gegen die Fatah im Gazastreifen im Juni 2007
zugenommen hat. Fatah-Kämpfer wurden von der Hamas ermordet, indem man ihnen zunächst in die Knie geschossen hat und sie dann vom 14. Stockwerk geworfen
hat. Andere sind in demütigender Weise nur mit Unterhosen bekleidet durch die Straßen von Gaza getrieben
worden.
Der Konflikt zwischen Hamas und Fatah ist im Kleinen nichts anderes als der Konflikt zwischen moderaten
und fundamentalistischen Kräften, den wir in der islamischen Welt seit einiger Zeit vermehrt beobachten müssen. Wir können den moderaten Kräften diese AuseinanEckart von Klaeden
dersetzung mit den Fundamentalisten nicht abnehmen.
Aber wir müssen sie - auch in unserem eigenen Interesse mit allen Mitteln dabei unterstützen.
Deswegen halte ich es für richtig, dass die moderaten
Kräfte - wie es Ägypten mit der Hamas in Bezug auf die
Waffenruhe getan hat - mit diesen fundamentalistischen
Kräften verhandeln. Ich würde es aber für einen schweren Fehler halten, wenn wir die fundamentalistischen
Kräfte durch die Teilnahme an direkten, offiziellen Verhandlungen legitimieren würden.
({0})
Das Beispiel, das immer als Gegenargument angeführt wird, ist die PLO. Dieses Beispiel zeigt aber genau
das, was ich meine. Die PLO ist 1964 angetreten - wie
heute die Hamas -, Israel mit den Mitteln von Terror und
Gewalt zu vernichten. Erst nach einer Reihe schwerer
militärischer Niederlagen hat die PLO-Führung 1988 in
Algier erkannt, dass man auf das Mittel von Terror und
Gewalt verzichten muss. Sie hat durch die Anerkennung
entsprechender UN-Resolutionen Israel als Staat indirekt
anerkannt. Diesen Weg muss die Hamas gehen.
Wer den Charakter der Hamas nicht kennt, der sollte
einen Blick in die Charta der Hamas werfen, die nach
wie vor Gültigkeit hat. In der Präambel ist von der Auslöschung Israels die Rede. Auf der Grundlage dieser
Charta fordert die Hamas:
Jeder Jude ist ein Siedler und es ist unsere Pflicht,
ihn zu töten.
Friedensinitiativen, insbesondere muslimische Friedensinitiativen, werden als Verrat abgelehnt:
Friedensinitiativen ... widersprechen dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung.
In Art. 7 der Charta steht:
Das Jüngste Gericht wird nicht kommen, solange
Moslems nicht die Juden bekämpfen und sie töten.
Dann aber werden sich die Juden hinter Steinen und
Bäumen verstecken, und die Steine und Bäume
werden rufen: Oh Moslem, ein Jude versteckt sich
hinter mir, komm’ und töte ihn!
Solange die Hamas von diesen Passagen ihrer Charta
nicht Abstand nimmt, wie es die PLO getan hat, so lange
dürfen wir mit ihren Vertretern nicht direkt verhandeln
und sie durch direkte, offizielle Verhandlungen legitimieren.
({1})
Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Selbstverständlich müssen wir alles dafür tun, die Fatah zu unterstützen. Dazu gehören auch die Punkte, die der Kollege
Hoyer im Hinblick auf die Siedlungspolitik angesprochen hat, und entsprechende Aufforderungen unsererseits und seitens der internationalen Gemeinschaft an die
israelische Regierung, diese illegale Siedlungstätigkeit
so schnell wie möglich zu beenden.
Wir müssen aber auch unsere Politik gegenüber der
Fatah und gegenüber den Palästinensern überdenken.
Bei meinem Besuch in Sderot habe ich festgestellt, dass
alle Bürgerinnen und Bürger - häufig waren es junge
Frauen im Alter von 18 bis 20 Jahren - wissen, welche
Verantwortung sie für sich und für die Gemeinschaft zu
tragen haben. Die internationale Gemeinschaft hat seit
Jahrzehnten den jeweiligen politischen Führungen auf
palästinensischer Seite die Verantwortung für elementare
Daseinsfürsorge hinsichtlich Infrastruktur, Gesundheit,
Ernährung und Bildung abgenommen. Es ist für die palästinensische Bevölkerung daher sehr schwer, einen Zusammenhang zwischen der Politik ihrer Führung und
den Einschränkungen oder Schwierigkeiten, die sich in
ihrem täglichen Leben ergeben, herzustellen.
Herr Kollege von Klaeden, Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich bin bei meinem letzten Satz. Deswegen kommt auch dieser Frage eine wichtige Bedeutung zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe - ich habe hier schon darüber gesprochen -, dass
es im Umgang mit Israel Hemmungen und Beklemmungen aller Art gibt. Das hängt mit den ungeheuerlichsten
Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden
bis 1945 zusammen. Nur helfen all diese Verkrampfungen nicht, um einen wirksamen Beitrag zu leisten, den
Nahostkonflikt zu lösen. Die Frau Bundeskanzlerin
meinte ja, zu Beginn des Krieges ernsthaft erklären zu
müssen, dass die Verantwortung allein bei der palästinensischen Führung im Gazastreifen läge. Das ist einseitig und falsch,
({0})
obwohl diese Führung eine Mitverantwortung trägt.
Es gab hier einmal eine Einigkeit, keine Waffen in
Kriegsgebiete zu liefern. Sie aber exportieren trotz des
verheerenden Krieges weiterhin Waffen nach Israel. Das
halte ich nun aber für indiskutabel. Ich hatte vergebens
gehofft, dass Sie, Herr Außenminister, hier erklären, die
Waffenlieferungen zumindest während des Krieges auszusetzen.
({1})
Natürlich ist es nicht hinnehmbar, wenn die palästinensische Führung im Gazastreifen die Anerkennung
Israels ausschließt. Natürlich ist der Abschuss von Raketen vom Gazastreifen aus nach Israel scharf zu verurtei21458
len, und jedes diesbezügliche Opfer beklagen wir. Natürlich ist es falsch, dass die Gaza-Führung das
Waffenstillstandsabkommen am 19. Dezember 2008 aufkündigte, weil dann die Frage entsteht, was sie denn statt
des Waffenstillstands wollte und will.
({2})
Entscheidende Fehler hat aber auch die israelische
Regierung begangen. Zu einem Frieden kommt man
nicht, wenn man Gespräche mit der Führung im Gazastreifen ablehnt. Es ist völkerrechtswidrig und falsch,
den Gazastreifen so abriegeln zu wollen, dass die Bevölkerung in Kollektivhaft genommen wird - ohne medizinische Versorgung, ohne Lebensmittel.
({3})
Das Waffenstillstandsabkommen ist durch Israel verletzt
worden; denn Israel führte eine Militäraktion in einem
Versorgungstunnel des Gazastreifens durch.
({4})
Dabei gab es mehrere Tote. Auch die Gaza-Führung verletzte das Abkommen.
Aber völlig inakzeptabel und maßlos überzogen ist
die Führung eines Krieges mit Bomben und Bodentruppen durch Israel - und nun auch noch unter der völkerrechtswidrigen Verwendung schrecklicher Phosphorwaffen.
({5})
Dabei hilft es der israelischen Regierung nicht, sich darauf zu berufen, dass auch westliche Länder solche Waffen verwenden; denn die Völkerrechtsverletzung eines
Staates berechtigt einen anderen Staat nicht, eine ebensolche zu begehen. Der Krieg selbst ist völkerrechtswidrig, weil jede überzogene Militäraktion das Völkerrecht
verletzt. Ein völkerrechtswidriger Krieg ist ein Verbrechen gegen den Frieden.
Täglich wird die Lage im Gazastreifen für die Bevölkerung unerträglicher. Es gibt schon über 900 Tote, von
denen mindestens die Hälfte Zivilisten sind, darunter
viele Frauen und fast 300 Kinder. Das Völkerrecht
schreibt im Krieg den Schutz der Zivilbevölkerung vor.
Natürlich weiß ich, dass der israelischen Regierung
und anderen Regierungen die Führung im Gazastreifen
nicht behagt. Das darf man als nachvollziehbar empfinden. Nur, nirgendwo im Völkerrecht ist geregelt, dass
dies zu einem Krieg berechtigt, dass ein anderes Land einer Bevölkerung vorschreiben darf, welche Führung sie
sich zu wählen hat oder welche Führung sie auch ohne
Wahlen haben darf. Man hat es einfach hinzunehmen.
Man kann nicht übersehen, dass Israel diesen verheerenden Krieg begonnen hat, bevor Barack Obama als
Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt
ist. Mit dem Kriegstreiber Bush geht so etwas viel leichter. Aber das rechtfertigt diesen Krieg schon gar nicht.
({6})
Leider gibt es Menschen in Israel, die hoffen, mittels
Krieg eine Führung im Gazastreifen etablieren zu können, mit der dann leichter Verhandlungsergebnisse zu erreichen wären. Das ist ein Denken in militärischer Logik, das einem gravierenden Irrtum unterliegt. Dieser
Krieg erzeugt so viel Tod, so viele Verletzte, so viel Not
und Leid, dass daraus Hass in mehreren Generationen
entstehen wird. Dieser Hass ist der schlechteste Partner
für einen Frieden. Mit diesem Krieg erreicht man also
das Gegenteil von dem, was nicht wenige in Israel sich
erhoffen. Frieden erfordert Aufbau, kulturellen und
wissenschaftlichen Austausch, gegenseitiges Interesse,
Respekt und Anerkennung, wie es zum Beispiel der
weltberühmte Dirigent Daniel Barenboim in hervorragender Art und Weise organisiert.
({7})
Frieden braucht also das völlige Gegenteil von dem, was
ein Krieg hervorbringt.
Wir brauchen nicht baldmöglichst einen Waffenstillstand, sondern sofort.
({8})
Jede weitere Stunde Krieg bedeutet weitere Tote und
Verletzte, ist inakzeptabel, nicht hinnehmbar. Die israelischen Truppen müssen unverzüglich aus dem Gazastreifen abgezogen werden.
Aber wie kommen wir dahin? Wie kann im Nahen
Osten endlich Frieden entstehen? Ich sage es hier klar:
Ich glaube nicht, dass die Führungen in Israel, im
Gazastreifen und im Westjordanland in der Lage sind,
diesen so schnell wie möglich selbstständig auszuhandeln und zu gewährleisten. Ich glaube auch nicht, dass
die bisherige Kommission mit Mitgliedern aus den USA,
Russland und der EU dazu in der Lage ist; denn sie hat
versagt.
Es geht darum, drei Kernbeschlüsse der UNO zu Israel und Palästina umzusetzen:
Erstens. Die UNO hat 1947 beschlossen, die Staaten
Israel und Palästina zu bilden. Es gibt einen Staat Israel,
aber niemand weiß, in welchen Grenzen. Nach wie vor
gibt es keinen Staat Palästina.
Zweitens. Die UNO hat 1967 beschlossen, dass die
Grenzen von 1967 zwischen Israel und Palästina gelten
sollen.
Drittens. Die UNO hat mehrfach zum Waffenstillstand, zur Beendigung aller Kriege, zum Frieden aufgerufen.
Bundestag und Bundesregierung sollten nun die fünf
ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen, das heißt die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und
Nordirland, die Republik Frankreich, die Russische Föderation und die Volksrepublik China, auffordern, ihrer
diesbezüglichen Verantwortung in jeder Hinsicht gerecht
zu werden. Der Wechsel zum Präsidenten Barack Obama
in den USA birgt die Chance für einen Neubeginn.
Was wären die Aufgaben der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates?
Erstens. Sie haben unter strikter Wahrung des Völkerrechts einen von ihnen garantierten Gewaltverzicht zwischen Israel und Palästina durchzusetzen. Eine internationale Friedenstruppe, die sowohl in Israel als auch in
Palästina zu stehen hat, muss die gegenseitige Gewaltlosigkeit gewährleisten. Eine Beteiligung deutscher Soldaten kommt für uns schon aus historischen Gründen, aus
den von mir anlässlich des Libanon-Krieges genannten
Gründen, die ich hier nicht wiederholen werde, nicht in
Betracht.
Zweitens. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder müssen die Gründung eines lebensfähigen Staates
Palästina in den Grenzen von 1967 durchsetzen. Gebietsaustausche kommen nur bei gegenseitigem Einvernehmen von Israel und Palästina infrage.
Drittens. Weltweit, auch unter Beteiligung Deutschlands, muss unverzüglich für Palästina eine Art Marshallplan aufgelegt werden, damit der Aufbau beginnen kann.
Die Menschen brauchen Bildung und Arbeit, sie brauchen Brot, sie brauchen Ehre und eine Zukunft, die sie
aktiv mitgestalten können, damit für sie Frieden und
nicht Kampf oder Krieg attraktiv wird, damit alle
Aggressoren und Terroristen bei ihnen keine Chance
mehr haben.
Viertens. Unter Einbeziehung vor allem von Ägypten,
Jordanien, Libanon und Syrien ist ein darüber hinausgehender Frieden ebenfalls durchzusetzen.
Fünftens. Dann können auch erfolgreiche Verhandlungen mit dem Iran geführt werden, statt dass mit Krieg
gedroht wird - um zu entspannen und keine weiteren
Konfliktzuspitzungen zuzulassen.
Alle Menschen in Israel und alle Menschen in Palästina haben jeweils ein Recht auf einen eigenen Staat in
klaren Grenzen. Sie haben ein Recht auf Frieden, auf Leben, auf Gesundheit, auf Kultur und auf soziale Wohlfahrt. Die internationale Gemeinschaft muss aufhören
mit sinnlosen Appellen und beginnen, dies ernsthaft umzusetzen.
Gelingt eine Lösung des Nahostkonflikts, gelingt die
Herstellung eines wirklichen Friedens, dann kann der
Hass im Nahen Osten Schritt für Schritt abgebaut werden, dann kann es eine gedeihliche Zusammenarbeit
geben. Dies wären ein großer Fortschritt für die Menschheit und ein wesentlicher Beitrag zur Abrüstung zwischen christlich, jüdisch und islamisch geprägten Ländern, auch zwischen der sogenannten Ersten und der
sogenannten Dritten Welt.
({9})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Jürgen Trittin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, wir alle blicken mit Entsetzen auf den Ausbruch
und die Eskalation der Gewalt im Gazastreifen. Für diejenigen, die mit Erschrecken darauf schauen, sage ich,
dass diese Gewalt nicht vor 19 Tagen begonnen hat. Sie
hat auch nicht, wie einige weismachen wollen, vor drei
Jahren mit der Blockade des Gazastreifens begonnen.
Sie hat auch nicht aufgehört während der Waffenruhe;
denn in dieser Zeit ist es dennoch zu extralegalen Tötungen und zu Raketenangriffen des Islamischen Dschihad
gekommen. Die Gewalt ist auch älter als jene sieben
Jahre, seitdem aus dem Gazastreifen heraus Israel mit
Raketen angegriffen wird, sieben Jahre, in denen
32 Israelis getötet, über 600 verletzt und Tausende in
Angst und Schrecken versetzt wurden.
Lassen Sie mich angesichts mancher juristischer Ausführungen hierzu in aller Klarheit sagen: Der Beschuss
von Dörfern, die gezielte Attacke von zivilen Personen
mit Raketen ist ein Kriegsverbrechen. Das ist durch kein
Wort des Völkerrechts gedeckt, und so muss man das
auch behandeln.
({0})
Mit aller Klarheit: Keine Regierung der Welt kann so etwas akzeptieren. Jede Regierung ist verpflichtet, eine
solche Bedrohung von der eigenen Bevölkerung abzuwenden. Es gibt angesichts dieser Situation ein Recht
auf Selbstverteidigung.
({1})
Ich sage das mit diesem Nachdruck; denn das festzustellen ist etwas anderes, als den Fehler zu begehen, den
die Bundeskanzlerin gemacht hat. Sie meinte nämlich, in
dieser Frage Unschuldige und Schuldige benennen zu
müssen, als sie festgestellt hat, dass die Verantwortung
für die jüngste Entwicklung eindeutig und ausschließlich
bei der Hamas liege. Bei aller Schuld der Hamas, die
niemand in Abrede stellt: Diese einseitige Parteinahme
hat nicht dazu beigetragen, diesen Konflikt möglichst
schnell zu beenden, musste sie doch als ein Stück Bestätigung der Entscheidung für die kriegerische Lösung
verstanden werden. Ich sage das mit dieser Nachdenklichkeit, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man
nachdrücklich und glaubwürdig für das Selbstverteidigungsrecht Israels eintreten und dennoch gegen den
Krieg im Gazastreifen sein kann.
({2})
Diese Differenzierung müssen wir uns an dieser Stelle
schon erlauben, nicht nur, weil dieser Krieg nicht dazu
geführt hat, dass keine Raketen mehr fliegen - vorges21460
tern sind 19, gestern sind 20 auf Israel niedergegangen -,
sondern auch, weil wir uns ebenso der anderen Seite dieses Krieges widmen müssen. Wenn man die Lageberichte des Auswärtigen Amtes als Grundlage nimmt, so
haben die 19 Tage dieses Krieges, der „Operation Bleigießen“ heißt - das ist der offizielle Titel -, 976 Tote,
darunter 311 Kinder, und 4 418 Verletzte zur Folge gehabt. Man kann, darf und soll nicht Leben gegen Leben
aufrechnen. Aber mir fällt es angesichts dieser Zahlen
schwer, mich mit dem Wort „unverhältnismäßig“ für
diese Reaktion zu begnügen.
({3})
Deswegen brauchen wir einen sofortigen Waffenstillstand.
({4})
Man kann, lieber Kollege Gysi, ganz lange darüber
streiten, was das Völkerrecht für die einen wie für die
anderen hergibt, und ob es eine so extrem unverhältnismäßige Reaktion rechtfertigt. Sicherlich wird niemand
bestreiten, dass Angriffe auf UN-Konvois, dass Attacken auf UN-Hilfswerksschulen, in die mittlerweile
25 000 Menschen flüchten mussten, höchst fragwürdig
sind.
An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es sich um eine
doppelte Form der Geiselnahme der Bevölkerung im
Gazastreifen handelt: Die Hamas versteckt ihre Waffen
vielfach in Krankenstationen oder in den Reihen der Zivilbevölkerung, und die Israelis gehen dagegen vor, was
wiederum Opfer unter der Zivilbevölkerung zur Folge
hat. Das große Elend der Menschen und vor allem der
Kinder im Gazastreifen ist der Grund, warum wir jetzt
sehr schnell einen Waffenstillstand brauchen.
({5})
Ich meine, seit dem Beschluss des Sicherheitsrates
- es gibt ihn übrigens, lieber Kollege Gysi - ist die Sache klar: Alle weiteren Intensivierungen des Krieges und
jede weitere Rakete sind mit diesem Beschluss des Sicherheitsrates unvereinbar.
Ich habe vorhin bereits darauf hingewiesen, dass ich
die Stellungnahme der Bundeskanzlerin für falsch halte.
Ich finde, dass der Bundesaußenminister nach dem Desaster auf EU-Ebene mit seiner Reise einen richtigen
Schritt gemacht hat. Aber ganz im Ernst frage ich Sie:
Wo ist in diesem Konflikt eigentlich das Nahost-Quartett
geblieben? Wer hat Tony Blair einmal vor Ort gesehen?
({6})
Was ist das für ein Vermittler, meine Damen und Herren,
der in den anderthalb Jahren seiner Tätigkeit nicht ein
einziges Mal im Gazastreifen war?
({7})
An dieser Stelle treibt mich Unruhe um. Natürlich
gibt es in den USA zurzeit ein Machtvakuum. Das ist
problematisch, weil wir alle wissen, dass die israelische
Regierung und die übrigen politischen Kräfte in Israel
sehr genau beobachten, was dort passiert. Gerade in einer solchen Situation wäre es die Verantwortung der
Europäer und die Verantwortung des Nahost-Quartetts
gewesen, zu handeln, statt einfach abzutauchen und sich
damit herauszureden, dass man schon einmal in der
Westbank gewesen ist. Nein, ich wünsche mir handlungsfähige Europäer. Ich wünsche dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bei seinen Bemühungen, diesen
Konflikt zu beenden, allen Erfolg.
Ich habe kein fertiges Konzept, lieber Kollege Gysi.
Einen perfekten Plan vorzulegen, fällt mir angesichts der
Realität schwer.
({8})
Auf dem Weg zu einem Waffenstillstand müssen allerdings zwei Grundsätze beachtet werden: Der erste
Grundsatz ist, dass die legitimen Interessen aller Seiten
gewahrt werden müssen. Grundlage eines Waffenstillstands muss sein, dass Israel nicht länger beschossen
werden darf und dass der Waffenschmuggel beendet
werden muss.
({9})
Der zweite Grundsatz ist das legitime Interesse der
Palästinenser, in ihrem Alltagsleben nicht länger einer
strangulierenden und jede wirtschaftliche Entwicklung
behindernden Blockade ausgesetzt zu sein, übrigens einer Blockade, die den Waffenschmuggel in all den Jahren überhaupt nicht hat unterbinden können.
({10})
Die Wahrheit ist: Die Hamas ist im Gazastreifen militärisch nicht zu besiegen. Ob sie tatsächlich die Mehrheit
der Palästinenser repräsentiert oder nicht, das wird viel
eher durch die Lebensverhältnisse und durch die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Westbank
entschieden. Was eine politische Lösung angeht, bin ich
eher pessimistisch.
Herr Hoyer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass das Zeitfenster für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schmaler wird. Wo sind denn auf israelischer und
auf palästinensischer Seite die Regierungen, die ihrer
Bevölkerung die dafür notwendigen Kompromisse bei
der Besiedlung, bei der Rückkehr von Flüchtlingen,
beim Gewaltverzicht und bei Gebietsaustauschen zumuten können? Wir erleben, dass sich die israelische und
die palästinensische Gesellschaft in dramatischer Art
und Weise spalten und polarisieren. Davon zeugen der
palästinensische Bruderkampf und die militanten Auseinandersetzungen an israelischen Universitäten zwischen arabischen und jüdischen Israelis. Daran wird
deutlich, dass das Zeitfenster für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schmaler wird. Das bedeutet: Wir brauchen
jetzt einen Waffenstillstand, sonst schließt sich das Zeitfenster.
Ich möchte eine Schlussbemerkung machen. Mir ist
es heute nicht leichtgefallen, hier zu reden. Zurzeit finden in diesem Lande Demonstrationen statt: Die einen
zeigen Solidarität mit Israel, die anderen demonstrieren
gegen die Aggression Israels. Es ist zu skandalösen Vorgängen bei der Entfernung einer israelischen Flagge in
Duisburg gekommen.
({11})
Ich will ganz persönlich sagen: Ich gehöre zu einer
Generation, die in der Auseinandersetzung mit ihren Vätern über die Aufarbeitung des Holocaust durchgesetzt
hat, dass es in dieser Gesellschaft einen Grundkonsens
über die Solidarität mit und das Selbstbestimmungsrecht
von Israel gibt.
({12})
Die Bundeskanzlerin hat einmal gesagt, das sei Staatsräson. Ich möchte dieses Wort nicht verwenden. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der wir eine solche Räson
nicht einklagen müssen, sondern in der sie als selbstverständlicher Bestandteil der Gemeinschaft der Demokraten verstanden wird.
({13})
Das Tragische an den letzten Tagen ist doch, dass dieser Krieg dabei ist, dieses Grundverständnis einer extremen Belastungsprobe auszusetzen. Ja, wir müssen diesen Krieg durch einen sofortigen Waffenstillstand
beenden, um das Elend zu beenden, das damit einhergeht.
Herr Kollege Trittin!
Das würde auch dem deutsch-israelischen Verhältnis
und unserer Gesellschaft ein Stück weit helfen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hans-Ulrich Klose, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Trittin, es geht mir wie Ihnen: Ich finde die
Debatte sehr schwierig, und zwar, weil ich ehrlich gesagt
nicht sicher bin, was man angesichts der Lage im Gazastreifen und in Israel raten soll. Ein Waffenstillstand
wäre natürlich gut und unter humanitären Gesichtspunkten dringlich, insbesondere aus Sicht der im Gazastreifen
leidenden palästinensischen Bevölkerung. Ich bin sicher,
dass es einen Waffenstillstand geben wird; aber ich bin
nicht sicher, ob es ihn schnell geben wird, und ich bin
überhaupt nicht sicher, ob es ein nachhaltiger Waffenstillstand sein wird.
Es war übrigens die Hamas - mehrere Kollegen haben darauf hingewiesen -, die, Herr Kollege Gysi, nach
Zwischenfällen auf beiden Seiten den zuvor von Ägypten ausgehandelten Waffenstillstand für beendet erklärte.
Warum sie das tat, ist nicht völlig klar, aber auch nicht so
wichtig. Wichtig ist in der Tat, dass etwa seit Mitte Dezember wieder Qassam-Raketen und industriell gefertigte Raketen mit größerer Reichweite auf Israel abgeschossen werden.
Was das bedeutet, habe ich mir ähnlich wie andere
Kollegen im Sommer letzten Jahres in Aschkelon und
Sderot angesehen. Insbesondere die Lage in Sderot war
wirklich eindrucksvoll. Dort hatte es bis zu diesem Zeitpunkt fast 6 000 Raketeneinschläge mit, soweit ich weiß,
15 Toten und nahezu 600 Verletzten gegeben. Ein normales Leben in einer Gemeinde ist unter solchen Verhältnissen völlig ausgeschlossen; das geht nicht. In Aschkelon
waren es weit weniger Einschläge. Damals hatte es dort
noch keine Toten gegeben. Die Verunsicherung der Menschen war bei weitem noch nicht so weit vorangeschritten wie in Sderot.
Beide Städte sind jetzt aber wieder betroffen, außerdem große Städte wie Aschdod und Beerscheba. Die
Reichweite der Raketen ist inzwischen auf etwa 40 Kilometer gestiegen. Auch aus dem Libanon sind vor ein
paar Tagen Raketen auf Israel abgefeuert worden;
({0})
auch sie hatten eine größere Reichweite. Das heißt doch
im Klartext, dass der Streifen Israels, der noch außerhalb
der Reichweite von Hisbollah und Hamas liegt, schmaler
und schmaler wird.
Es ist nach meiner Einschätzung nur eine Frage der
Zeit, bis das gesamte israelische Territorium gefährdet
ist. Das geht uns etwas an. Denn - das ist bereits von Ihnen, Herr Dr. Hoyer, erwähnt worden - die Sicherheit
des jüdischen Staates Israel ist, wie auch die Kanzlerin
betont, Bestandteil unserer Staatsräson. Wenn das ernst
gemeint ist - was ich unterstelle -, dann muss auch aus
unserer Sicht ein erneuerter Waffenstillstand dauerhaft
und mit Garantien versehen sein.
Die Frage ist, ob sich Hamas jemals darauf einlassen
wird. Der Kollege von Klaeden hat aus der Charta der
Hamas zitiert. Ich kann nur allen Kolleginnen und Kollegen empfehlen, das gelegentlich nachzulesen. Ich zitiere
noch einige Sätze:
Israel existiert und wird weiterhin existieren, bis
der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere
Länder vorher ausgelöscht hat.
Ende des ersten Zitats.
Der Dschihad ist die persönliche Pflicht eines jeden
Muslim, seit die Feinde Teile des muslimischen
Landes geraubt haben. Angesichts des Raubes
durch die Juden ist es unvermeidlich, dass ein Banner des Dschihad gehisst wird.
Letztes Zitat:
Für das Palästina-Problem gibt es keine andere Lösung als den Dschihad. Friedensinitiativen sind
reine Zeitverschwendung, eine sinnlose Bemühung.
Das war nur eine kleine Auswahl. Ich frage mich, ob
man es angesichts solcher Programmaussagen - denn es
sind Programmaussagen - den Israelis verdenken kann,
dass sie jetzt alles tun, um die Hamas zu entwaffnen und
den Waffenschmuggel nach Gaza zu stoppen. Wer diese
Frage verneint, also das Selbstverteidigungsrecht Israels
anerkennt, muss sich gleichwohl mit dem Argument der
Unverhältnismäßigkeit auseinandersetzen.
Israel, so wird immer wieder gesagt, reagiere unverhältnismäßig und scheue sich nicht, auf Zivilisten, auch
auf Frauen und Kinder, zu schießen. Dieses Argument
nehme ich ernst. Denn es geht um das Völkerrecht, dessen allgemein anerkannte Grundsätze bei uns Vorrang
vor innerstaatlichem Recht haben. Ich nehme das ernst
und bin doch zugegebenermaßen wieder ratlos: Wie sollen denn Zivilisten geschützt werden, wenn sie - wie wir
in asymmetrischen Kriegen immer wieder beobachten von der nichtstaatlichen Kriegspartei als Schutzschilde
benutzt werden, wenn Munition und Waffen in Moscheen lagern und Raketen von Balkonen aus Wohnhäusern abgefeuert werden? Wir wissen, dass die Hamas
- auch hier dem Beispiel der Hisbollah folgend - genau
dies tut, was freilich die israelische Armee nicht von der
Verpflichtung entbindet, die Zivilbevölkerung zu schonen. Das ist ein Dilemma, aus dem es keinen militärischen Ausweg gibt.
Dieses Dilemma zu erzeugen, ist meines Erachtens
das strategische Ziel der Hamas. Hamas will Israel vor
den Augen der Welt zum Völkerrechtsbruch verleiten in
der Hoffnung, auf diese Weise den politischen Krieg
über die Medien zu gewinnen. Dabei scheut sich die
Hamas - wie wir schon im Libanon gelernt haben
- nicht vor inszenierten Gräuelszenen. Im Libanon war
es damals - Sie erinnern sich sicherlich - der Mann mit
dem grünen Helm, und im Fall Gaza ist es der vielfach
zitierte norwegische Arzt.
Lothar Rühl hat neulich in einem interessanten Artikel in der FAZ dieses Dilemma beschrieben. Ich darf
kurz aus diesem Artikel zitieren:
Die Begrenzung des Krieges ist notwendig, schon
aus humanitären Gründen und nach dem Kriegsvölkerrecht, doch eine hohe Kunst mit großem Risiko.
Bei fanatischen Feinden wie Hisbollah oder Hamas
steigt dieses Risiko wegen der andersartigen Rationalität und den absolut gesetzten Zwecken dieser
Kriegsparteien. Das gilt besonders, wenn der Gegner jeden dauerhaften Frieden ablehnt und - wie
Hamas - das Existenzrecht Israels nicht anerkennt.
„Verhältnismäßigkeit der Mittel“ bedeutet dann in
letzter Konsequenz Verzicht auf Erfolg und Verlust
der Fähigkeit zur Abschreckung.
Wenn man sich die Sicherheitslage Israels realitätsbezogen vor Augen führt, muss man sich fragen, ob sie nicht
in großem Umfang darauf beruht, dass Israel Abschreckungspotenziale hat.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Mein vorläufiges Fazit lautet: Wir brauchen einen Waffenstillstand. Aber es muss ein gesicherter Waffenstillstand
sein. Deutschland hat Technik und Expertise zur Sicherung der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen angeboten, Herr Außenminister. Das ist ein erster guter Schritt, reicht aber nicht aus. Das eigentliche Ziel
unter Sicherheitsgesichtspunkten ist die kontrollierte
Entwaffnung der Hamas. Ein parallel dazu anlaufendes
Hilfsprogramm für die palästinensische Bevölkerung ist
dringlich und könnte zur Versöhnung zwischen Israelis
und Palästinensern beitragen. Auch wir sollten dazu beitragen. Ich sehe keine andere Lösung und auch diese
eher skeptisch.
({1})
Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothee Bär, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Trittin
hat es bereits angesprochen - ich denke, das geht heute
jedem so -: Es fällt nicht leicht, am heutigen Tag zu dieser Thematik an das Rednerpult zu treten. Die Situation
im Nahen Osten hat sich seit Jahren zugespitzt. Im Süden Israels und besonders im Gazastreifen hat sich eine
Lage entwickelt, die schließlich in die Tragödie mündete, die wir derzeit erleben. Ich glaube, es geht nicht
nur mir, sondern wahrscheinlich allen so, die in den letzten Tagen - im Gegensatz zu Eckart von Klaeden oder
zu unserem Bundesaußenminister - nicht vor Ort waren,
dass wir aufgrund der Bilder zwar einen sehr detaillierten Eindruck haben, dass das aber nicht ersetzen kann,
sich direkt vor Ort zu informieren.
Das Leid, das wir sehen, ist groß. Das müssen wir neben möglichen Lösungen dauernd erwähnen. Es gibt unterschiedliche Angaben über die Zahl der Opfer. Aber
letztendlich ist es egal, wie viele Opfer es gibt. Jedes
Opfer ist eines zu viel. So ist unter anderem von knapp
1 000 Toten die Rede. Ich möchte dabei die Zahl von
über 300 Kindern hervorheben. Jedes Kind stellt ein Einzelschicksal dar. Jede Familie, die betroffen ist, durchlebt eine ganz furchtbare Zeit. Davor dürfen wir auf keinen Fall die Augen verschließen, genauso wenig wie vor
den 4 000 Verletzten, den zerstörten Häusern und Schulen sowie der mangelnden medizinischen Versorgung.
Man sitzt hilflos vor dem Fernseher und sieht Reportagen, die zeigen, dass denjenigen, denen vielleicht noch
geholfen werden könnte, oft nicht mehr rechtzeitig geholfen werden kann. Gerade unbeteiligte Zivilisten und
die vielen Helfer vor Ort sind oft die Leidtragenden dieses Konflikts.
Die Menschen leben - das wurde bereits angesprochen - nicht erst seit einigen Monaten oder seit drei Wochen, sondern schon sehr viel länger mit dieser Bedrohung. Wer miterlebt hat, dass Schüleraustausche, die seit
Jahren funktioniert haben, eingestellt wurden bzw. nur
noch einseitig stattgefunden haben, dass zum Beispiel
nur noch israelische Jugendliche zu uns in die Landkreise kommen, aber keine deutschen Schüler mehr nach
Israel geschickt werden, hat gemerkt, was das bedeutet.
Wir haben es bei der Hamas mit einer Terrororganisation zu tun, die die eigene Bevölkerung sehr stark als
Schutzschild missbraucht. Herr Klose hat bereits angesprochen, was das bedeutet und was damit bezweckt
werden soll. Ein Gegner, der sich bewusst in Wohnhäusern verschanzt und in sozialen Einrichtungen verbarrikadiert, nimmt nicht nur den Tod unschuldiger Menschen bewusst in Kauf, sondern versucht auch, daraus
politisch Kapital zu schlagen.
({0})
Deshalb ist das Vorgehen der Hamas auf das Schärfste
zu verurteilen.
Die humanitäre Katastrophe und das Leiden der Zivilbevölkerung lassen uns nicht kalt. Deswegen ist es am
wichtigsten, zivile Opfer zu vermeiden und die humanitäre Versorgung sicherzustellen. Ohne Rücksicht auf
Verluste versucht die Terrororganisation Hamas, möglichst viele palästinensische Opfer zu generieren, um damit den Kampf, vor allem den um die Medien, zu gewinnen. Es wurden über 10 000 Raketen in den letzten acht
Jahren auf Israel gerichtet, und wir dürfen nicht dulden,
dass die Hamas die eigene Bevölkerung zugrunde richtet, nur um Israels Ruf in der Weltöffentlichkeit zu ruinieren.
Nur mithilfe des vielfach angesprochenen Waffenstillstands können die Versorgung der notleidenden Bevölkerung gewährleistet und weitere Todesopfer auf beiden Seiten vermieden werden. Dieser Waffenstillstand
ist besonders wichtig als erster Schritt in einem Friedensprozess, der endlich nachhaltig vollendet werden
muss. Deswegen unterstütze auch ich die Initiative
Ägyptens, als Vermittler zwischen Israel und der Hamas
zu fungieren. Ägypten kommt hier - das hat der Bundesaußenminister angesprochen - als arabischem Anrainerstaat eine besondere Verantwortung in diesem Konflikt
zu.
Die Angaben über die Zahl der Tunnel variieren. Mir
ist die Zahl von über 800 Tunneln unter der ägyptischen
Grenze bekannt, über die der Gazastreifen mit Waffen
versorgt wird. 500 davon wurden bereits zerstört. Dieser
Waffenschmuggel muss unbedingt unterbunden werden.
Anderenfalls bringt ein weiterer Waffenstillstand keine
Besserung. Die Aussetzung des Feuers würde von der
Hamas lediglich dazu genutzt werden, ihr Waffenarsenal
über die ägyptischen Tunnel wieder aufzustocken. Aus
diesem Grund muss Ägypten härter gegen den Schmuggel vorgehen.
Ägypten ist aber insbesondere als islamisch geprägter
Staat in der Pflicht. Wir müssen auch aus diesem Grund
die Initiative Ägyptens weiter vorantreiben. Auch andere
islamische Länder wie zum Beispiel Syrien, Jordanien
und Saudi-Arabien müssen sich am Nahost-Friedensprozess aktiv beteiligen. Ich unterstütze die Initiative unserer Bundeskanzlerin - Ihre Kritik daran, Herr Trittin,
war unberechtigt, wenn auch die Rede sonst ganz gut
war -, gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten in engen Kontakten mit Israel und Ägypten Fortschritte auf dem Weg zu einem Waffenstillstand zu erreichen. Ich begrüße auch die Konkretisierung des von
Außenminister Steinmeier bei seiner Reise übermittelten
Angebots, insbesondere bei der Unterbindung des
Schmuggels über die Grenze zum Gazastreifen deutsche
Unterstützung zu leisten.
Der Krieg im Nahen Osten muss endlich ein Ende finden. Für mich ist das unbedingte Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels wichtig. Das
ist und bleibt ein Eckpfeiler deutscher, insbesondere
christsozialer und christdemokratischer Außenpolitik.
Wir brauchen eine nachhaltige Lösung dieses Konflikts;
denn dauerhafter Frieden ist nur mit einer politischen,
nicht allein mit einer militärischen Lösung machbar.
Zum Schluss möchte ich noch das positive Engagement Daniel Barenboims würdigen. Damit hat er nicht
nur in der unsäglichen Rede von Gregor Gysi Erwähnung gefunden.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rolf Mützenich
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt keinen Zweifel: Deutschland trägt weiterhin Verantwortung für Israel. Ich bin der festen Überzeugung,
dass, wenn Deutsche das Wort „Israel“ in den Mund nehmen, es einen anderen Klang hat, als wenn dies andere
tun; das ist gar keine Frage. Von dieser Schuld, von dieser Verantwortung werden wir uns nie wieder freimachen können.
Ich habe daher immer mit großer Skepsis die Diskussionen verfolgt, die wir nach der deutschen Einheit hatten, nämlich ob es eine normale Außenpolitik geben
kann. Ich glaube, eine normale Außenpolitik, insbesondere gegenüber dieser Region, gegenüber Israel, aber
auch unter Berücksichtigung dessen, was dort passiert
ist, wird es niemals geben können. Auf der anderen Seite
sage ich gleichzeitig: Man wird diese Schuld selbst
durch gute Reden nicht zur Seite drängen, auch nicht
dann, wenn man bestimmte Positionen übernimmt und
Partei ergreift. Selbst in diesem Zusammenhang wird
man Schuld nicht abtragen können. Das kann man nur,
indem man Verantwortung übernimmt und konkrete
politische Wege aufzeigt, um die Existenz Israels in der
Region sicher zu machen. Ich glaube, da haben wir als
Deutsche und da hat die deutsche Sozialdemokratie in
den letzten Jahrzehnten eine Menge bewegt. Es kommt
darauf an, dass wir bei den Handlungsspielräumen und
Handlungsmöglichkeiten, die wir haben, immer wieder
das historische Verständnis unserer Schuld in Erinnerung
rufen. Ich glaube, Kollege Gysi, es mangelt nicht an
politischen Plänen, es mangelt nicht an politischer
Schrittfolge, sondern es mangelt in dieser Region an
politischem Willen, auch an dem Willen zum Kompromiss. Das ist genau das, was wir brauchen, und nicht
neue Pläne.
({0})
Ein zweiter Aspekt, den ich gerne ansprechen
möchte, ist die Frage: Hilft es uns wirklich weiter,
Schwarz-Weiß-Bilder zu malen? Hilft es uns wirklich
weiter, über Schuld zu diskutieren? Oder müssen wir
nicht einfach feststellen: „Diese Situation ist nicht
schwarz-weiß, sondern leider grau. Sie hat ganz unterschiedliche Facetten, Verantwortungen und Akteure“? Deswegen hilft diese - das sage ich ganz bewusst - Ideologisierung der Außenpolitik nicht weiter. Hier sollten
wir gerade in Deutschland aufpassen.
({1})
Wir stehen offensichtlich vor einer Zeitenwende, in der
wir keine Ideologisierung der Außenpolitik von der anderen Seite des Atlantiks mehr haben. Die designierte
Außenministerin hat gestern im Senat ausgeführt, dass
sie keine ideologische Außenpolitik mehr betreiben will,
sondern der Diplomatie, der Politik eine Chance geben
will. Deswegen bitte ich darum, die Schwarz-WeißMalerei zu unterlassen und zu überlegen, was wir mit diplomatischen Mitteln und einem neuen Realismus erreichen können.
Ich richte mich deshalb ganz konkret an den Bundesaußenminister: Herzlichen Dank, dass Sie vor einigen
Tagen für die humanitäre Waffenruhe eingetreten sind,
({2})
dass Sie eine Reise in diese Region gemacht, dort konkrete Angebote und Vorschläge für das Grenzmanagement unterbreitet haben und jetzt wieder dorthin reisen
wollen.
Der dritte Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist folgender: Man kann immer wieder über die europäische
Außenpolitik schimpfen. Das tun wir auch; das ist keine
Frage. Aber sollten wir nicht vielleicht lieber darüber
diskutieren, wer zurzeit nicht in der Region ist, wer
keine Verantwortung übernimmt?
({3})
Ich bin in den 70er-Jahren mit Fernsehbildern groß geworden, auf denen, als Krieg im Nahen Osten herrschte,
der amerikanische Präsident in den Hauptstädten vor Ort
die Gangway der Flugzeuge rauf- und runtergelaufen ist
und die ganze Zeit zu vermitteln versucht hat. Das haben
wir in den letzten sieben Jahren nicht mehr erlebt. Aber
das brauchen wir wieder. Deswegen ist mein Appell an
die neue amerikanische Regierung, sich vom ersten Tag
an diesem Kernkonflikt im Nahen Osten zu widmen und
Lösungsvorschläge zu machen. Man kann vielleicht
nicht in allen Dingen ehrlicher Makler sein, weil man
auch Verantwortung für Israel übernimmt, aber nur eine
neue amerikanische Administration unter Präsident
Obama und Außenministerin Clinton wird ausloten, was
hier möglich ist. Ich glaube, das Motto „Entspannungspolitik in Zeiten neuer Spannungen“ ist für diese Region
genau richtig. Wir brauchen Entspannungspolitik, wir
brauchen Diplomatie, wir brauchen Kraftanstrengungen,
um die vorliegenden Pläne umzusetzen. Ich glaube,
wenn die deutsche Bundesregierung das unterstützt, tun
wir eine Menge dafür.
({4})
Der vierte Aspekt: Langfristig werden wir die Hamas,
die Hisbollah und den Iran in dieser Region nur dann
politisch schwächen können, wenn der palästinensische
Staat Wirklichkeit wird. Das ist, glaube ich, das richtige
politische Mittel, um die Kräfte, die zu Gewalt bereit
und auch fähig sind, zu schwächen. Wir brauchen einen
lebensfähigen palästinensischen Staat. Ich glaube, es war
ein großer Fehler, dass wir nicht auf den Vorschlag, vermittelt insbesondere von Saudi-Arabien und der Arabischen Liga, eingegangen sind. Es war ein historischer
Vorschlag, als sich alle arabischen Staaten bereit erklärt
haben, mit Israel - in den Grenzen von 1967 - Frieden
zu schließen. Das wird für Israel schwer sein; gar keine
Frage. Vielleicht wird es auch nicht genau diese Grenzziehung sein. Dies ist mir und auch den moderaten arabischen Staaten bewusst. Aber dass über diesen Vorschlag
der arabischen Staaten zu wenig gesprochen und dass
insbesondere zu wenig gehandelt worden ist, ist die
große Nachlässigkeit insbesondere der USA, vielleicht
auch Israels. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Mut
aufgebracht worden wäre.
({5})
Zum Schluss - wenn ich dies noch sagen darf -: Ich
weiß, dass die Hamas ein gewaltbereiter Akteur ist. Leider herrscht in dieser Region immer Gewalt; nicht nur
die Hamas hat Gewalt in diese Region getragen. Wir
müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Hamas
bei den letzten Wahlen eine politische Mehrheit gehabt
hat. Auch mit diesem Faktum müssen wir umgehen.
Ich glaube, wir täten gut daran, zu versuchen, mit den
konkreten Schritten, die Sie vorgeschlagen haben, Herr
Steinmeier, ein neues Verhältnis zu unterschiedlichen
Akteuren aufzubauen. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall
eine gute Reise, und ich hoffe, Sie haben Erfolg.
Ganz herzlichen Dank.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bilder, die uns tagtäglich erreichen, schockieren uns
und tragen dazu bei, dass der Nahostkonflikt auch hier
auf der Tagesordnung steht und die Gemüter der Menschen in Deutschland sehr bewegt.
Ich glaube, dass in dieser Debatte sehr gut zum Ausdruck gekommen ist, mit welchen Unterschieden die
einzelnen Fraktionen zu diesem Konflikt stehen. Ich begrüße - mit Ausnahme der Positionierung der Linkspartei hier - alle Statements der Vorredner. Herr Dr. Gysi,
auch wenn Sie versucht haben, das in eine rhetorisch geschickte Form zu kleiden - was keine seltene Eigenschaft von Ihnen ist -, muss ich wirklich sagen: Ich habe
von Ihnen heute deutlichere Worte zur Positionierung
der Linkspartei erwartet, auch was das Selbstverteidigungsrecht Israels angeht. Ich habe mir schon gewünscht, dass sich Ihre Partei abgrenzt und deutlich sagt,
wie sie zu den Demonstrationen in Deutschland steht, an
denen auch der eine oder andere von der Linkspartei teilnimmt. Ich hätte mir von Ihnen wesentlich härtere Aussagen gewünscht.
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Ursache und Wirkung dürfen bei diesem Krieg nicht
verwechselt werden; das hat die Bundeskanzlerin aus
meiner Sicht zu Recht gesagt. Wir erleben, dass die einzige Demokratie im Nahen Osten, nämlich Israel, unter
Druck gerät und dass von der Hamas versucht wird, die
Zivilbevölkerung dauerhaft zu terrorisieren. Es ist von
Vorrednern schon gesagt worden: Es geht nicht nur um
die Gebiete, die jetzt beschossen werden; vielmehr
nimmt die Reichweite der Raketen teilweise zu. Es ist
das Ziel der Terroristen, ganz Israel unbewohnbar zu
machen. Das stimmt nicht mit unserer Staatsräson überein. Wir bekennen uns ganz klar zum Existenzrecht Israels und unterstützen dies; deshalb sind wir bereit, dort an
der Seite Israels Partei zu ergreifen.
Seit dem Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 haben Kämpfer der Hamas Israel
bis zum heutigen Tag mit Tausenden von Raketen beschossen. Allein im vergangenen Jahr sind 1 570 Raketen
und 1 500 Mörsergranaten abgefeuert worden. Dieser
Terror kann eine demokratische Gesellschaft beeinflussen und in ihr selbst Erosionsprozesse lostreten. Genau
das ist das Ziel, das die Terroristen verfolgen. Teilweise
haben sie es auch erreicht: Heute stellt man fest, dass der
Entschluss, nach Israel zu ziehen, bei jungen Israelis, die
auch den Pass eines anderen Staates haben, gar nicht so
ausgeprägt ist. Vielmehr sagen viele: Ich bleibe lieber in
dem Land, in dem ich sicher bin. - Allein die Tatsache,
dass junge Leute heute ihrer eigenen Sicherheit zuliebe
nicht bereit sind, in Israel zu leben, ist für uns eine Verpflichtung, uns für diesen Friedensprozess einzusetzen
und zu versuchen, ihn wieder auf den richtigen Weg zu
bringen.
Ich begrüße die Initiativen, die auf europäischer
Ebene ergriffen werden. Ich begrüße das, was unsere
Bundeskanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten vereinbart hat, und auch das aktive Handeln des Bundesaußenministers in den vergangenen Tagen und bei
der heute anzutretenden Reise. Wir in Deutschland müssen aber auch sehen, wie sich die innerdeutsche Debatte
entwickelt. Ich habe versucht, herauszufinden, wie die
Meinungsbildung in anderen europäischen Ländern aussieht; das ist relativ schwierig. Allerdings stellt man
heute fest, dass die Ressentiments gegenüber Israel auch
in Deutschland nach wie vor sehr stark ausgeprägt sind.
Auch jüngste Umfragen - sie sind vom heutigen Tag zeigen, wie kritisch unsere eigene Bevölkerung das
sieht. Deshalb müssen wir an dieser Stelle deutlich machen - dabei spielen der Deutsche Bundestag als Organ
und die einzelnen Parlamentarier eine große Rolle -,
dass zu unserer Staatsräson das Existenzrecht Israels gehört und dass wir deshalb keinerlei Verbrüderung oder
Sympathie mit Terroristen zulassen dürfen.
Es gibt befremdliche Vorgänge; Herr Trittin hat es
vorhin schon angesprochen. Wenn bei einer Demonstration in Duisburg eine Israel-Fahne aus dem Fenster gehängt wird, Steine fliegen und die Polizei mit Blick auf
den wütenden Mob schon fast in vorauseilendem Gehorsam nicht als Erstes die Steinewerfer festnimmt, sondern
versucht, in die Wohnung hineinzukommen, um die
Fahne einzuholen, dann muss ich mich wirklich fragen,
welche Außenwirkung dieser Vorgang hat. Herr Trittin,
ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es angesprochen haben.
So etwas darf sich nicht wiederholen.
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Wir dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechseln.
Deshalb müssen wir immer auf die Geschichte der
Hamas blicken, die an vielen Stellen deutlich gemacht
hat, wie sie sich politische Agitation vorstellt. In der
Gründungscharta der Hamas - Herr Kollege Klose und
Herr Kollege von Klaeden haben sie bereits zitiert; ich
will es auch tun - steht:
Friedensinitiativen und sogenannte Friedensideen
oder internationale Konferenzen widersprechen
dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung. ... Für das Palästina-Problem gibt es keine andere Lösung als den Jihad.
Solange das die Position der Hamas ist, gibt es keine
Möglichkeit, in direkte Verhandlungen mit ihr zu treten.
Unsere Fraktion ist der Meinung, dass ein Friedensprozess in Gang zu bringen ist, aber dafür bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen. Die Voraussetzung
kann nicht sein, das politische Programm der Hamas zu
akzeptieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich schließe die Aussprache.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. Januar 2009, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.