Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich zu unserer voraussichtlich letzten Plenarsitzung
vor der Weihnachtspause.
({0})
- Herr Fraktionsvorsitzender, ich bin mir der Antragsrechte der Fraktionen im Allgemeinen und der Minderheitsrechte im Besonderen auch am frühen Morgen
jederzeit bewusst und formuliere deswegen wirklichkeitsnah, aber vorsichtig.
({1})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982
und der Resolutionen 1814 ({3}) vom 15. Mai
2008, 1816 ({4}) vom 2. Juni 2008, 1838
({5}) vom 7. Oktober 2008, 1846 ({6}) vom
2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen
Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008
- Drucksachen 16/11337, 16/11416 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({7})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/11427 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Omid Nouripour
Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP und der Fraktion Die Linke und zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung und über einen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
werden wir später namentlich abstimmen.
({9})
- Jedenfalls werden wir mit oder ohne das Auswärtige
Amt die angekündigten namentlichen Abstimmungen
durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir offensichtlich so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion.
({10})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung der Piraterie eignet sich nicht für Schnellschüsse. In diesem wie in anderen Fällen gibt es keinen
Freibrief für voreiliges und rechtloses Handeln. Wir Sozialdemokraten achten und befolgen das Völkerrecht.
Wenn der Einsatz des Militärs beabsichtigt wird, müssen
Sorgfalt und Augenmaß vor Übereile gehen. Die Bundesregierung hat deshalb zu Recht alle völker- und verRedetext
fassungsrechtlichen Fragen eingehend geprüft und daraus angemessene Schritte abgeleitet: Die Bundeswehr
darf weder in ein militärisches Abenteuer noch in eine
rechtliche Grauzone geschickt werden.
({0})
Mittlerweile sind alle erforderlichen Voraussetzungen
erfüllt. Die Sicherheitsratsresolution 1846 der Vereinten
Nationen vom 2. Dezember 2008 erlaubt die Bekämpfung der Piraterie in den somalischen Küstengewässern
auch durch Regionalorganisationen. Für ein deutsches
Engagement bietet deshalb die Mission „Atalanta“ der
Europäischen Union den geeigneten Rahmen.
Die Versuche, unter dem Deckmantel der Pirateriebekämpfung bewährte Regelungen unserer Verfassung auszuhebeln, waren unverhältnismäßig und zeitraubend.
Nicht ohne Grund wurden der Polizei und der Bundeswehr eindeutige und klar getrennte Aufgaben zugewiesen. Daran müssen wir festhalten. Manche Bemerkungen
der letzten Wochen waren ebenso sachfremd wie irreführend. Auf hoher See kann die Bundesmarine auch heute
schon gegen Piraterie vorgehen. Das Seerechtsübereinkommen und das Völkergewohnheitsrecht erlauben
derartige Reaktionen. Deshalb ist die Behauptung der
Linksfraktion, dass nur die Polizei die Gewalt auf See
bekämpfen dürfe, falsch. Hilfe in der Not, auch durch
die deutsche Marine, ist jederzeit möglich.
Allerdings hätte die Bundesmarine nicht in den somalischen Küstengewässern operieren oder vorbeugend aktiv werden können. Erst mit den Sicherheitsratsresolutionen 1816 und 1846 sind solche Operationen möglich.
Der Umweg über das Grundgesetz war daher von Anfang an überflüssig und bedenklich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufklärung, Schutz
und Abschreckung sind zur Bekämpfung der Piraterie
die richtigen Maßnahmen. Dass sich die Bundesmarine
dabei vor allem auf die Sicherheit der humanitären
Hilfe konzentrieren will, findet die Unterstützung der
SPD-Fraktion.
({1})
Fast alle Transporte erfolgen auf dem Seeweg, und mehr
als ein Drittel der Menschen in Somalia sind auf diese
Hilfen angewiesen. Deshalb ist es konsequent, besonders
die Schiffe mit humanitären Gütern zu schützen. Das
Überleben der Hungernden in Somalia hat absoluten
Vorrang. Die Beteiligung der deutschen Marine ist daher
zuerst und vor allem eine humanitäre Operation.
({2})
Dass auch andere Schiffe geschützt werden müssen,
steht außer Zweifel. Allerdings möchte ich auch daran
erinnern, dass die Reedereien gleichermaßen Verantwortung tragen: Größere und besser ausgebildete Besatzungen, bauliche und andere Maßnahmen könnten dazu beitragen, die Gefahren einer Kaperung zu reduzieren. Die
Veranstalter von Kreuzfahrten und Freizeitschiffer sollten sorgfältig abwägen, ob gegenwärtig Reisen auf gefährdeten Wasserwegen verantwortbar sind.
({3})
Die Schiffseigner müssen bedenken, dass sie nicht nur
die Passagiere und sich selbst in Gefahr bringen, sondern
auch diejenigen, die ihnen dann Hilfe leisten wollen oder
müssen.
Die Ankündigung der Bundesregierung, sich gezielt
für die Schaffung einer internationalen Gerichtsbarkeit gegen Piraterie einzusetzen, ist richtig. Wir unterstützen diesen Ansatz.
({4})
Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg wäre aus
meiner Sicht ein geeigneter Rahmen. Ich bitte die Bundesregierung, in den kommenden Monaten gerade in
diesem Feld um Vorschläge und Initiativen. Bis dahin
sollte es ein abgestuftes Verfahren bei der Strafverfolgung geben. Wenn deutsche Staatsbürger getötet oder
verletzt oder unter deutscher Flagge fahrende Schiffe angegriffen werden, muss die Strafverfolgung in Deutschland stattfinden. In allen anderen Fällen sollten der Piraterie verdächtige Personen an den Staat übergeben
werden, der ein Interesse angemeldet hat und dessen
Strafverfolgung unseren rechtsstaatlichen Maßstäben
und Grundsätzen entspricht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Piraterie ist heute in
weiten Teilen Afrikas und Asiens ein schwerwiegendes
Problem. Verarmte Bauern, Fischer, Kriminelle und
Kämpfer aus den Bürgerkriegen bilden einen gewaltbereiten Kern. In Somalia hat sich dabei ein regelrechtes
Geschäftsfeld herausgebildet, das mit weltweiten Netzwerken verbunden ist. Die Zahl der Überfälle hat mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen. Nicht
nur ausländische Schiffe sind Ziel der Attacken, ebenso
leidet die Bevölkerung Somalias unter den Angriffen
und der Unordnung.
Durch die EU-Mission „Atalanta“ kann der Schutz
vor Piraten verbessert werden. Doch nur Entwicklungsfortschritte an Land sind langfristig erfolgversprechend.
Die Voraussetzungen dafür sind aber leider alles andere
als günstig. Somalia ist ein klassisches Beispiel für die
Folgen eines langjährigen Bürgerkrieges verbunden mit
tiefgreifenden Entwicklungsproblemen, umstrittener kolonialer Grenzziehung, der Einflussnahme auswärtiger
und angrenzender Staaten und einem nicht vorhandenen
Gewaltmonopol. Die gegenwärtige innenpolitische
Krise macht die Situation noch schlimmer und unübersichtlicher.
Das Land steht aber auch stellvertretend für das Versagen der Weltgemeinschaft in Afrika. Wie vollmundig
waren noch die Ankündigungen Anfang der 90er-Jahre.
Deshalb ist es zwar notwendig, dass sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiterhin mit Fragen der Gewalt auf See am Horn von Afrika befasst. Die neue Sicherheitsratsresolution 1851 fordert zu Recht eine
bessere Koordination der beteiligten Staaten. Wichtig
sind dann aber auch koordinierte und effektive diplomatische Maßnahmen, um auf die Konfliktparteien insgesamt einzuwirken.
({5})
Was wir an Land brauchen, sind abgestimmte und langfristige Programme, die zur Lösung der unhaltbaren politischen Zustände in Somalia beitragen können.
Ein Beispiel für die wirksame Bekämpfung der Piraterie findet sich in Asien. Als die Zahl der Überfälle vor
den Küsten Indonesiens vor einigen Jahren rasant zunahm, konnte die Gewalt auf See durch wirtschaftlichen
Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten, gute Regierungsführung, ein Friedensabkommen für Aceh und die
Zusammenarbeit der Nachbarstaaten beim Küstenschutz
zurückgedrängt werden.
({6})
Eine vergleichbare Strategie muss auch am Horn von
Afrika verfolgt werden. Das wäre langfristig der beste
und erfolgversprechendste Schutz vor den Auswirkungen der Piraterie.
({7})
Derzeit - davor drücken Sie sich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion - ist dieser Weg
aber nicht leicht begehbar. Zu tief ist die innenpolitische
Zerrüttung, und zu groß sind die Gegensätze der Nachbarstaaten.
Die Bundesregierungen haben zusammen mit anderen
Ländern immer wieder versucht, die politischen Verhältnisse zugunsten von Zusammenarbeit und Ausgleich zu
beeinflussen. Leider waren die Anstrengungen aller
Bundesregierungen bisher nicht erfolgreich. Dennoch
möchte ich uns gemeinsam ermutigen und auffordern,
auch in Zukunft nichts unversucht zu lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat einen ausgewogenen, angemessenen und gut
begründeten Antrag vorgelegt. Deutschland sollte sich
an der Mission „Atalanta“ beteiligen, weil die Verbesserung der humanitären Situation in Somalia, die Sicherung der Seewege und der Respekt gegenüber einer Anfrage der Vereinten Nationen auch in unserem, im
deutschen Interesse sind. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in den letzten Wochen viel über das Piraterieproblem am Horn von Afrika diskutiert. Ich denke, wir sollten uns in der heutigen Debatte auch einmal über die
Frage unterhalten, wie dieses Problem eigentlich entstanden ist. Es ist entstanden, weil in Somalia seit über
15 Jahren eine staatliche Ordnung fehlt. Dieser rechtlose
Zustand wurde durch asiatische, aber auch durch europäische Staaten ausgenutzt, indem in somalischen Hoheitsgewässern illegal Müll verklappt wurde und beispielsweise die Fischbestände massiv reduziert wurden,
wodurch auch die Chancen somalischer Fischer auf Ernährung ihrer Familien gesunken sind. Davon hat die
Welt in den letzten Jahren nicht oder nur schlaglichtartig
Kenntnis genommen. Jetzt, wo die Seehandelsrouten betroffen sind, wird das Problem erkannt. Ich bin der Auffassung, dass wir in der Politik alles dafür tun sollten,
dass an solchen Stellen ein Frühwarnsystem installiert
wird.
({0})
Wir beobachten ein Phänomen: Aus einer anfänglich
wilden, unorganisierten Piraterie ist zwischenzeitlich
eine organisierte Piraterie entstanden, mit logistischen
Basen an Land, mit größeren Schiffen, sogenannten
Mutterschiffen, als Einsatzplattform und vielen kleinen
Einsatzbooten, die letztlich Schiffe kapern. Ob allerdings die strategische Planung für Schiffskaperungen
noch vor Ort oder längst in anderen Staaten stattfindet,
ist unklar. Ob Piraten mit der international organisierten
Kriminalität oder schon mit dem internationalen Terrorismus, mit al-Qaida, zusammenarbeiten, ist nicht endgültig geklärt. Aber die Bundesregierung hat auf eine
Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion geantwortet, dass das zumindest nicht auszuschließen sei. Ich füge
hinzu: Es spricht manches dafür.
Fakt ist: Die Strukturen verändern sich, Herr Minister,
und zwar rasant. Ich möchte, dass die Bundesregierung
und die internationale Staatengemeinschaft das nicht
ignorieren, sondern es intensiv beobachten, versuchen,
dieses Phänomen wahrzunehmen, und, bevor sich der
internationale Terrorismus dort endgültig und dauerhaft festsetzt, gemeinsam Gegenstrategien entwickeln.
Das ist die Aufgabe für die Zukunft.
({1})
Deshalb möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren
von der Bundesregierung, sagen: Wenn heute das Mandat beschlossen wird, dem die FDP-Bundestagsfraktion
mit großer Mehrheit zustimmen wird, dann sind Sie
nicht am Ende,
({2})
sondern erst am Anfang des Weges zur Bekämpfung der
internationalen Piraterie und ihrer Ursachen.
({3})
Das hat unserer Ansicht nach mehrere Konsequenzen
für das Mandat. Herr Minister, die Bundesregierung
sagt, es sei ein robustes Mandat. Wenn das so ist, dann
wollen wir, dass dieses robuste Mandat auch umgesetzt
wird.
({4})
Es geht hier nicht nur darum, Schiffe zu begleiten, sondern auch darum, Piraterie zu bekämpfen.
({5})
Wenn die Herren Minister Steinmeier und Jung in einem
Schreiben an die Fraktionen mitteilen, primäres Ziel sei
nicht die Festnahme piraterieverdächtiger Personen, sondern das Schwergewicht der Operation liege auf der Verhütung seeräuberischer Handlungen, und wenn der Kollege Mützenich hier ausführt, das sei vorrangig eine
humanitäre Aktion, dann möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen: Das Mandat lässt die Bekämpfung der Piraterie
zu, und wir bitten Sie, das jetzt nicht politisch einzuschränken.
({6})
Wir haben jetzt schon eine Situation, in der unter der
Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika Piraterie bekämpft werden kann. Die deutsche Marine
durfte daran bisher nicht teilnehmen, weil Sie es nicht
zugelassen haben, meine Damen und Herren von der Regierung, obwohl Deutschland das Seerechtsabkommen
längst ratifiziert hat.
({7})
Damit haben Sie den Soldatinnen und Soldaten vor Ort
das Leben schwer gemacht. Außerdem haben Sie die
deutsche Marine mit diesem Verhalten ziemlich blamiert.
Deshalb sagen wir Ihnen deutlich, dass die Bekämpfung der Piraterie für uns mindestens ein gleichrangiges
Ziel ist. Nachdem dieses Mandat beschlossen worden ist,
möchte ich nicht mehr lesen müssen, die Piraten hätten
abgedreht, seien aber nicht verfolgt worden. Es geht
nicht nur darum, Piraten zu verjagen, sondern es geht
auch darum, Piraten zu jagen, meine Damen und Herren.
({8})
Grenzüberschreitender internationaler Terrorismus ist
von Piraterie und organisierter Kriminalität oft nicht
mehr zu unterscheiden. Deshalb sagen wir Ihnen sehr
deutlich: Es kann nicht sein, dass wir auf Dauer zwei
oder drei Operationen vor Ort haben.
({9})
Nach der Operation Enduring Freedom wird nun die
Operation „Atalanta“ beschlossen. Die NATO plant, ab
Februar 2009 mit demselben Auftrag wieder vor Ort zu
sein. Das Seegebiet überschneidet sich weitgehend.
Nach Auffassung der Regierung war es bisher nicht
möglich, unter der Operation Enduring Freedom Piraterie zu bekämpfen. Zukünftig soll es allerdings möglich
sein, dass die deutsche Fregatte vor Ort kurzfristig in die
Operation „Atalanta“ einbezogen wird. Das heißt, dasselbe Schiff darf unter einem neuen Mandat genau das,
was Sie ihm bisher nicht zugestanden haben. Das ist ein
Treppenwitz der Geschichte, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({10})
Ein weiterer Punkt. Es ist international darauf zu
drängen, dass unter Piraterieverdacht stehende Verhaftete nicht im Rahmen des nationalen Rechts der Strafverfolgung zugeführt werden. Sie sollten nach Auffassung
der FDP-Fraktion vielmehr an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt werden oder aber notfalls an einen
neu zu schaffenden internationalen Gerichtshof, der für
die Bekämpfung von Piraterie zuständig ist. Es kann auf
Dauer nicht richtig sein, dass der Piraterie verdächtige
Personen unter verschiedenem Recht abgeurteilt werden
und diese versuchen, sich auszusuchen, von wem sie
aufgegriffen werden. Das kann nicht das Ziel sein. Deshalb müssen Sie hier tätig werden.
Ich sage zum Schluss: Wenn die internationale Gemeinschaft nicht auch Wert auf die politische und wirtschaftliche Stabilisierung Somalias legt, dann wird dies
ein Endloseinsatz ohne Perspektive. Das wollen wir
nicht. Mit Soldaten allein ist dieses Problem nicht zu lösen. Das gilt auch für die neue Resolution, die jetzt im
UN-Sicherheitsrat beschlossen worden ist. Es müssen
die Ursachen bekämpft werden. Meine sehr verehrten
Damen und Herren von der Bundesregierung, das ist
Ihre Aufgabe. Wir sehen Sie in der Pflicht, hier die Initiative zu ergreifen, damit insgesamt eine Stabilisierung
der Region erreicht wird und hier auf Dauer eine Lösung
geschaffen wird.
Vielen Dank.
({11})
Eckart von Klaeden ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
So sehr es mich freut, dass die FDP-Fraktion dem Mandat mit großer Mehrheit zustimmen wird, so sehr muss
ich aber auch sagen, dass Sie sich mit Ihrer Kritik an der
Koalition und der Bundesregierung deutlich verrannt haben.
({0})
Es ist ein neuer Zug in der Politik der FDP, dass Sie
die Prävention gegen die Repression, dass Sie die Verhinderung von Straftaten gegen die Verfolgung von
Straftaten ausspielen wollen,
({1})
wie es gerade die Kollegin Homburger getan hat. Sie hat
sinnentstellend aus dem Schreiben zitiert und dabei beklagt, dass angeblich der Schwerpunkt nicht ausreichend
auf die Strafverfolgung, sondern dass zu viel auf die Prävention, auf die Verhinderung von Piratenangriffen gelegt wird. Lesen Sie die Rede der Kollegin einmal nach!
Das ist doch ein deutliches Verrennen der FDP.
({2})
Zu beklagen, dass mit dem Mandat für den Einsatz derselben Fregatte eine klare und unmissverständliche
Rechtsgrundlage geschaffen wird, ist wirklich ein neuer
Zug in der Rechtsstaatspartei FDP.
({3})
- Herr Kollege Westerwelle, wenn Sie die Dinge nicht
verstanden haben, können Sie gerne eine Zwischenfrage
stellen.
({4})
Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie Aufklärungsbedarf haben!
Meine Damen und Herren, die Verschränkung von innerer und äußerer Sicherheit ist gerade an der intensiven
Diskussion über das „Atalanta“-Mandat exemplarisch
deutlich geworden. Wir haben es bei diesen Formen der
Piraterie oder des transnationalen Terrorismus mit neuen
Gefahren und alten Gefahren in neuem Gewand zu tun.
In den Zeiten des Kalten Krieges haben wir uns darauf
beschränken können, unseren Anteil zur kollektiven Territorialverteidigung im NATO-Bündnis zu leisten. Heute
müssen auch wir unseren angemessenen Beitrag dazu
leisten, dass NATO und ESVP ihre geografisch über Europa hinausgehenden Aufgaben erfüllen können. Der
langwierige und schwierige Diskussionsprozess zeigt,
dass wir in Deutschland noch ein Stück weit von dieser
Normalität entfernt sind.
Dabei haben wir als weltweit größte Exportnation ein
besonderes Interesse an der Sicherung der Welthandelswege insbesondere auf See. Das gilt besonders für
die Route durch den Golf von Aden, die in zunehmendem Maße von Piraten bedroht wird. Piraterie ist sicherlich kein neues Phänomen, wie wir alle wissen. Aber seit
den 90er-Jahren wird sie als eine internationale Bedrohung angesehen. Sie ist nicht nur auf die Seegebiete um
das Horn von Afrika beschränkt, auch wenn wir in dieser
Diskussion unseren Fokus auf diese Region richten.
Die amerikanische RAND Corporation hat festgestellt, dass es in den Jahren 2000 bis 2006 insgesamt
2 463 durchgeführte oder versuchte Angriffe von Piraten
auf See gegeben hat. Dies ergibt im Durchschnitt
352 Fälle pro Jahr im Vergleich zu 209 Fällen in den
Jahren 1994 bis 1999. Dies ist ein Anstieg von nahezu
75 Prozent. Zusätzlich hat das International Maritime
Bureau in Malaysia festgestellt, dass man davon ausgehen muss, dass die Zahl der Angriffe um 50 Prozent höher liegt, weil aus verschiedenen Gründen Überfälle
nicht gemeldet werden.
Was sind die zentralen Faktoren, die zu diesem Anstieg der Piraterie geführt haben?
Das ist erstens das massive Anwachsen des Seehandels im Zuge der Globalisierung, was mit einer höheren
Zahl an Überseehäfen einhergeht.
Es ist zweitens die hohe Dichte des Schiffsverkehrs
insbesondere in schmalen Seefahrtsstraßen wie der
Straße von Malakka, aber auch der weniger bekannten
Straße Bab al-Mandab am Ausgang des Roten Meeres
zwischen Jemen, Eritrea und Dschibuti. Diese Meerengen zwingen die Schiffe dazu, ihre Geschwindigkeit
deutlich zu reduzieren, und machen sie dadurch zu einer
leichten Beute für Piratenangriffe.
Es ist drittens die Schwäche vieler Küstenstaaten.
Über die fehlende Stabilität in Somalia ist hier schon
vieles gesagt worden. Das gilt aber leider auch für Eritrea und Jemen und - in Südostasien - für Indonesien,
also für Staaten, die sich schwertun, ihre Küsten zu sichern.
Es ist viertens die mit der fehlenden Staatlichkeit eng
verknüpfte katastrophale wirtschaftliche Lage in vielen
dieser Länder und Gebiete. Junge Männer ohne legale
Erwerbsmöglichkeiten, aber im Umgang mit Waffen,
kleineren Schiffen und Booten vertraut, sind eben ein
ideales Rekrutierungspotenzial für Piraterie. In diesen
Ländern und Regionen hat sich die Piraterie zu einem lukrativen Wirtschaftszweig entwickelt.
Wie stark die Piraterie und die wirtschaftliche Lage in
diesen Ländern zusammenhängen, haben wir im Rahmen der Asienkrise Ende der 90er-Jahre beobachten
können, die unter anderem in Indonesien zum Sturz von
Präsident Suharto geführt hat. Als Indonesien ganz besonders von dieser Krise betroffen war, ist die Piraterie
in dieser Region sprunghaft angestiegen.
Was sind die besonderen Gefahren, die mit diesem
höheren Ausmaß an Piraterie verbunden sind?
Es ist zunächst die Gefahr für das Leben der Schiffsbesatzungen. Nach dem bereits von mir zitierten International Maritime Bureau ist es allein in den Jahren 2005
und 2006 bei 515 erfolgten Piratenangriffen zu 54 Opfern gekommen. Es sind 54 Menschen entweder getötet
oder verletzt worden.
Es sind zum Zweiten die großen volkswirtschaftlichen Kosten: einmal durch direkte Verluste und Lösegeldzahlungen, aber auch durch indirekte Effekte wie
höhere Risikoprämien oder die Inkaufnahme längerer
Routen. Sie wissen, dass einige Reeder ihre Kapitäne angewiesen haben, das Rote Meer und den Suezkanal zu
meiden und stattdessen um das Kap der Guten Hoffnung
zu fahren.
Drittens sind es die negativen Auswirkungen auf die
Heimatstaaten, aus denen die Piraten kommen. Piraterie
führt zu einer weiteren Unterminierung und Schwächung
der Legitimität von Regierungen und Institutionen durch
die von ihr ausgehende korrumpierende Wirkung auf
staatliche Bedienstete. Deswegen besteht eine Wechselwirkung zwischen der Schwächung und dem Zerfall von
Staaten unter Piraterie. Es ist nicht so monokausal, wie
es hier von der Vorrednerin dargestellt worden ist, sondern es besteht eine Wechselwirkung zwischen der Piraterie einerseits und der Destabilisierung, dem Zerfallen
von Staaten andererseits. Ohne Bekämpfung der Piraterie wird es auch keine Chance geben, tatsächlich zu einer
Stabilisierung dieser Staaten zu kommen.
Die vierte große Gefahr, die ich hier nicht unerwähnt
lassen möchte, ist die, dass große ökologische Katastrophen drohen, wenn ein Tanker wie die jetzt entführte
saudische Sirius Star in Brand gesetzt würde und sinken
sollte.
Was ist zu tun? - Zunächst einmal geht es in der Tat
um den Schutz von Schiffen und die Abschreckung von
Piratenangriffen in der gegenwärtigen akuten Bedrohungslage am Horn von Afrika. Deswegen ist die Mission „Atalanta“ auch mit diesem Mandat und mit dieser
Aufgabenstellung richtig und wichtig. Denn die Alternative, dass wir auf die Sicherheit der Seeschifffahrtswege
verzichten oder unseren Seeschifffahrtsverkehr einschränken, kann wirklich nicht ernsthaft in Erwägung
gezogen werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass
der Containerverkehr die Hauptschlagader des Welthandels ist, von dem auch insbesondere unser Land profitiert.
Es gibt aber eine Reihe weiterer konkreter Maßnahmen, die ergriffen werden können. Dazu gehört erstens,
die Sicherheit an Bord zu verbessern, um Piratenangriffe
zu vereiteln, zum Beispiel durch eine bessere Kommunikation zwischen den Schiffen und durch mehr Schutz
durch die mit der Seeschifffahrt befassten Stellen in den
Küstenstaaten.
Zweitens gehört dazu, die Küstenstaaten selber mehr
in die Lage zu versetzen, für Seesicherheit zu sorgen.
Drittens sollte das Piracy Reporting Centre des International Maritime Bureau in Malaysia ausgebaut und die
Möglichkeiten zur Lagebilderstellung verbessert werden.
Viertens ist eine Stärkung und Verbesserung des Hafenmanagements ganz besonders wichtig. Denn der
größte Teil der Piratenangriffe erfolgt nicht auf hoher
See und auch nicht in den Küstengewässern, sondern in
den Häfen selbst.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik
Deutschland ist nach Art. 100 des Seerechtsübereinkommens verpflichtet, an der Bekämpfung von Seeräuberei
und Piraterie auf hoher See mitzuwirken. Dieser Verpflichtung kommt die Bundesregierung und kommt der
Bundestag durch die Zustimmung zu dem „Atalanta“Mandat nach. Ich darf alle, die sich auch diesem Auftrag
des Völkerrechts verpflichtet fühlen, bitten, dem Antrag
der Bundesregierung zuzustimmen.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Piraten am Horn von Afrika sind nicht die Robin Hoods der
Neuzeit, auch wenn sie zum Teil aus Fischern rekrutiert
werden, denen man die Existenzgrundlage geraubt hat.
Wir haben es heute mit organisierter Kriminalität zu tun,
der man entgegentreten muss.
Was den deutschen Beitrag anbetrifft - darüber haben
wir hier zu entscheiden -, so muss er sich im Rahmen
der Verfassung bewegen; er muss effektiv zu einer Problemlösung beitragen, und er muss nachhaltig wirken.
Es ist schon gesagt worden: Die Piraterie am Horn
von Afrika erwächst aus dem tiefgreifenden Zerfall
staatlicher Strukturen in Somalia und dem damit gegebenen Freiraum für lokale Kriegsherren und Gewaltkriminelle. Diese Herrschaften sind durch Waffenschmuggel,
Menschenhandel vor allem am Golf von Aden groß geworden und haben seit einiger Zeit die Piraterie als lukrative Geldquelle entdeckt. Alles übrigens unter den
Augen einer beachtlichen Marinepräsenz der NATO und
der 5. Flotte der US-Marine.
({0})
Ohne nachdrückliche Erfolge bei der Bekämpfung
der Probleme an Land wird es nicht gehen. Das sagen
alle. Auch alle Dokumente belegen das. Worüber beschließen wir aber hier? Über die Entsendung von
Kriegsschiffen.
Um es noch einmal klarzustellen: Piraten müssen bekämpft werden; Piratenbekämpfung ist Kriminalitätsbekämpfung. Kriminalitätsbekämpfung ist nicht nur nach
unserer Verfassung eine polizeiliche Aufgabe. Das ist für
uns nicht nur ein abstrakter, dogmatischer Grundsatz.
Wir haben seit 2001 bittere Erfahrungen gemacht und
wissen, was passiert, wenn man ein Kriminalitätsproblem, Terrorismus, zu einem Kriegsproblem umdefiniert.
({1})
Davor warnen wir.
Starrköpfig sind wir auch an einer anderen Stelle: Die
Durchsetzung des Völkerrechts - hier: des Seerechtsübereinkommens - ist für uns bei den Vereinten Nationen, bei den Regionalorganisationen und bei den Anrainerstaaten angesiedelt. Davon gehen wir nicht ab.
Was schlagen wir vor?
({2})
- Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu. - Erstens. Die
Linke befürwortet den raschen Aufbau einer internationalen Küstenwache unter Führung der UNO in enger
Abstimmung mit der Afrikanischen Union. Deutschland
sollte sich mit den Mitteln der Bundespolizei beteiligen
und finanzielle Unterstützung leisten. Der Leiter der
Bundespolizei See hat jüngst zu Recht erklärt, dass die
Polizei zur internationalen Pirateriebekämpfung befugt
ist und die Bundespolizei grundsätzlich über die für die
Piratenbekämpfung erforderlichen Mittel und Fähigkeiten verfügt. Unter bestimmten Voraussetzungen, so hat
er gesagt, gilt das auch im Falle Somalias. Wir reden hier
nicht über Schlauchboote. Die Bundespolizei hat durchaus hochseetaugliche Schiffe. Außerdem hat sie ErfahPaul Schäfer ({3})
rungen mit dem Aufbau von Küstenwachen gesammelt,
zum Beispiel jüngst in Katar.
Man mag über eine solche Konzeption ja diskutieren
können, beklemmend finde ich aber, dass diese Option
gar nicht in Erwägung gezogen wird.
({4})
Es heißt wie so oft: Wir haben ein Gewaltproblem. Fregatten und Korvetten: Leinen los! Das macht die Linke
nicht mit.
Der Vorschlag der Linken ist nicht so weit aus der
Welt, wie viele von Ihnen vielleicht denken. Die Vereinten Nationen wären in der Lage, eine solche Mission
schnell zu beschließen. Andere europäische und afrikanische Staaten könnten mithelfen. Ich habe mir die Zahlen genau angesehen.
Was auch hilft, ist ein Blick auf die andere Seite
Afrikas. Man muss vom Tunnelblick auf das Militärische wegkommen. Die an den Golf von Guinea angrenzenden Küstengebiete werden von der Piraterie ähnlich
stark heimgesucht wie Somalia. Vor mehr als einem Jahr
haben die Internationale Seeschifffahrtsorganisation und
die 24 Staaten der Seeschifffahrtsorganisation West- und
Zentralafrikas begonnen, ein umfassendes Konzept zur
Verbesserung der Seesicherheit umzusetzen, um illegalen Fischfang, Schmuggel und Piraterie zu unterbinden.
Die UNO und auch Versicherungsunternehmen sind eingebunden. Dieses Projekt scheint Erfolge zu verzeichnen.
({5})
- Ich weiß, dass man das nicht eins zu eins auf Somalia
übertragen kann. Deshalb sagen wir: mithilfe der Bundespolizei und anderer europäischer Staaten. Das muss
substituiert werden. Das Grundkonzept ist aber vernünftig. Es ist vor allen Dingen deshalb vernünftig, Kollege
Mützenich, weil es auf eine regionale Konfliktlösung fokussiert ist und die Überleitung zu einer somalischen Lösung beinhaltet; denn ohne eine Küstenwache Somalias
wird es nicht gehen. Wie lange wollen Sie Ihre Hochseeflotte denn dort stationieren?
({6})
Was kann man damit erreichen? Man kann die Zugänge zu wichtigen Häfen offenhalten - das ist wichtig
für die Hilfslieferungen -, man kann Aufklärung über
die Küstenstützpunkte der Piraten betreiben - der Kollege von Klaeden hat darauf hingewiesen, dass vor allen
Dingen da Angriffe stattfinden -, und man kann den Piraten den Rückzug verlegen, was besser ist als das Katzund-Maus-Spiel auf offener See. Das alles ist mit polizeilichen Mitteln zu machen.
Also noch einmal: Sie sollten den Tunnelblick auf das
Militärische überwinden und nach dauerhaften Lösungen suchen! Der Militäreinsatz setzt auf Abschreckung.
Das hilft bei den Personengruppen, von denen wir hier
reden, aber herzlich wenig. Einen flächendeckenden
Schutz können Sie nicht gewährleisten. Sie gaukeln der
Öffentlichkeit etwas vor. Die Piraten werden dort hingehen, wo die Fregatten nicht sind. Außerdem haben Sie
nicht genug Schiffe, um die Handelsschiffe zu eskortieren, obwohl es doch vor allem um diese geht.
Ich frage mich: Woher nehmen Sie eigentlich die Zuversicht, dass diese robuste Militäroperation die Piraterie
beenden kann? Elf Kriegsschiffe, sprich: Fregatten, sind
bereits in dem Gebiet, von dem wir reden. In den letzten
48 Stunden sind vier Schiffe gekapert worden. Woher
nehmen Sie die Gewissheit?
({7})
Unser zweiter Vorschlag ist, alle diplomatische Kraft
auf eine politische Stabilisierung Somalias zu richten.
Das heißt im Kern, darauf einzuwirken, dass im Land
eine Regierung gebildet wird, die sich auf relevante
Teile der Bevölkerung stützen kann und die nicht von
Korruption durchsetzt ist.
Wie wichtig eine funktionierende Regierung ist, hat
die sogenannte Union Islamischer Gerichte 2006 gezeigt. Das hatte nichts mit Good Governance, mit guter
Regierungsführung in unserem Sinne zu tun. Es hat aber
gezeigt, dass schnelle Erfolge möglich sind, wenn man
das Problem landseitig angeht. Die Piraterie war eingedämmt.
({8})
Das wird niemand bestreiten wollen.
Wenn Sie sagen, Somalia sei verfallen und niemand
habe etwas damit zu tun gehabt, weise ich darauf hin,
dass die Regierung durch äußere Einwirkung, durch eine
Militärintervention gestürzt worden ist. Es gibt dort jetzt
eine Regierung, die nicht in der Lage war, Akzeptanz im
Lande zu entwickeln, und in der die vernünftigen Personen durch Machtbesessene blockiert werden. Dies hat
die schlimme Folge - wir müssen über die Situation an
Land reden -, dass die islamistischen al-Shabaab-Milizen auf dem Vormarsch sind.
({9})
Wenn jetzt, lieber Kollege Mützenich, der UNO-Sicherheitsrat beschließt, den Weg zu militärischen Operationen an Land zu öffnen, und schon Stimmen aus den
USA laut werden, dass man auch diese Milizen bekämpfen will, dann schließt sich der Kreis. Da kann einem
angst und bange werden. Wer wissen will, wie das enden
kann, der möge sich noch einmal den Film Black Hawk
Down anschauen.
({10})
Die Militärmission, die wir hier beschließen sollen, wird
in diesen Strudel hineingezogen werden, auch wenn Sie
beschwörend sagen: Wir haben damit nichts zu tun, wir
beschäftigen uns mit einer ganz anderen Sache.
Unser dritter Vorschlag: Unmittelbare Hilfsmaßnahmen für die somalische Bevölkerung. Dabei geht es
Paul Schäfer ({11})
nicht nur um humanitäre Hilfe und Lebensmittellieferungen, sondern darum, den Menschen an der Küste wieder
eine eigenständige Existenz zu ermöglichen. Deshalb
brauchen wir Sofortmaßnahmen gegen illegalen Fischfang. Die Verklappung von Sondermüll an den Küsten
muss unverzüglich aufhören. Reintegrationsprogramme
für ehemalige Fischer müssen aufgelegt werden. Hier
geht es um Handlungen. Denn schon Bertolt Brecht
wusste: Geschwätz macht nicht satt.
({12})
„Freiheit der Meere“ ist eine schöne Losung. Aber
ohne eine gerechte Weltwirtschaftsordnung läuft das auf
den aussichtslosen Versuch hinaus, die auf der Sonnenseite der Globalisierung dauerhaft zu privilegieren.
({13})
- Ja, darüber reden wir jetzt hier; denken Sie es einfach
einmal durch und lesen Sie vielleicht im Weißbuch der
Bundesregierung die Stelle über die Sicherheitspolitik.
Wer meint, er könne die westlichen oder die nördlichen Handelsinteressen auf militärischem Weg durchsetzen, während auf der anderen Seite die sozialen und
demokratischen Belange der Menschen in den Entwicklungsländern sträflich vernachlässigt werden, wird die
heutigen Gewaltkonflikte nicht loswerden, nicht am
Horn von Afrika und auch nicht anderswo. Im Gegenteil: Bei der Bekämpfung der Piraterie wird sich zeigen,
ob man diese Lehre beherzigt.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort erhält der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde
schon, dass man aufmerksam zur Kenntnis nehmen
muss, was Herr Schäfer hier gesagt hat. Anders als bei
den Friedenseinsätzen im Sudan und anders als bei dem
Friedenseinsatz im Libanon sagt die Linkspartei: Hier ist
es notwendig, etwas zu tun. Die Linkspartei sagt auch:
Man muss dabei gegebenenfalls Gewalt anwenden. Das ist ein erheblicher Lernfortschritt, den Sie hier demonstriert haben.
({0})
Wenn Sie das aber als Ausrede nutzen wollen, jetzt
wieder Nein zu sagen, dann will ich Ihnen kurz zwei Argumente nennen.
Das Erste ist, dass jeder, der sich einmal mit dem
Thema Küstenwache beschäftigt hat, weiß, dass es
keine Küstenwache ohne eine Stationierung an Land
gibt. Das ist genau das Problem, vor dem wir hier stehen.
Wir sind nachdrücklich der Auffassung, dass man in Somalia nicht an Land gehen soll, weil das eine Involvierung in den Krieg dort bedeuten würde.
({1})
Zweites Argument. Wenn Sie sagen, das alles solle
durch Polizei gemacht werden - Ihr Kronzeuge geht
übrigens davon aus, dass die Bundespolizisten auf den
Schiffen der Bundesmarine mitfahren -,
({2})
dann frage ich Sie: Wollen Sie ernsthaft eine Polizei, die
mit solchen militärischen Mitteln ausgestattet ist, um in
der Lage zu sein, ein Seegebiet von 500 mal 500 Kilometern zu überwachen?
({3})
Jedenfalls mit meinem Verständnis von Polizei ist diese
Vorstellung nicht zu vereinbaren.
({4})
Wir als Grüne werden diesem Mandat der Bundesregierung mehrheitlich zustimmen. Der Einsatz ist notwendig. Piraten haben 14 Schiffe mit 280 Seeleuten aus
25 Nationen in ihrer Gewalt. Es geht hier um die Durchsetzung kollektiven Rechts. Es geht auch um die
Durchsetzung des Prinzips der Sicherheit der Meere, und
es geht ebenfalls darum, den Schutz der Schiffe, etwa
der des World Food Programme, sicherzustellen.
Wir alle wissen, dass es dazu nur wenige vertretbare
Alternativen gibt. Wollen Sie die Sicherung der Schifffahrtswege privaten Firmen wie Blackwater überlassen?
Wollen Sie sie unilateralen Militäraktionen überlassen?
Nein, das kann nicht sein. Deswegen sagen wir: Dieses
Mandat ist völkerrechtlich völlig korrekt und klar legitimiert. Wir halten auch die rechtlichen Voraussetzungen
nach dem Grundgesetz für erfüllt. Und: Wir stellen fest,
dass es sich um eine gemeinsame Operation der Europäischen Union handelt.
Diese gemeinsame Aktion beinhaltet auch klare Regeln, wie vorzugehen ist. Sie bezieht sich ausdrücklich
auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Ich
sage an dieser Stelle mit allem Nachdruck: Diese gemeinsame Aktion verbietet solche Praktiken, wie sie die
Dänen angewendet haben, als sie Piraten aufgegriffen
und im Jemen am Strand ausgesetzt haben. Das ist mit
dem Völkerrecht nicht vereinbar.
({5})
Meine Damen und Herren, gerade gegenüber der
Bundesregierung haben wir allerdings auch Kritik zu
üben und ihr Fragen zu stellen. Ich will deutlich sagen:
Ich finde die politische Abstinenz im Hinblick auf die
Lösung des Konflikts, die Sie, Herr Bundesaußenminister, aber auch die Bundesregierung insgesamt in den
letzten Jahren demonstriert haben, vor diesem Hintergrund nicht akzeptabel. Auch wir wissen, dass ein gescheiterter Staat wie Somalia nicht von heute auf morgen
zu einer Demokratie wird. Aber wir hätten von Ihnen,
von der Bundesregierung, zumindest erwartet, dass Sie
den Antrag, den die Fraktionen dieses Hauses gemeinsam beschlossen haben, ernsthaft und mit Nachdruck
umsetzen.
({6})
Dieses Haus hat die Bundesregierung gemeinsam aufgefordert, an politischen Initiativen zur Lösung des
Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea mitzuwirken. Sie sind aufgefordert worden, Initiativen für einen regionalen Dialog zu ergreifen. Dieses Haus hat gesagt - an diesem Punkt schließe ich mich Herrn Schäfer
an -, dass Sie mit dem politischen Islam in Somalia endlich differenziert umgehen müssen. Dort sind nicht alle
gleich Dschihadisten, nur weil sie sich als islamisch
Orientierte verstehen.
Ich frage Sie: Was haben Sie gemacht? Haben Sie die
Rolle, die Deutschland bei der Lösung des Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea spielen könnte,
wirklich genutzt? Nein! Haben Sie sich als deutsche
Bundesregierung dafür eingesetzt, dass nicht Schiffe aus
der EU die Fischgründe vor Somalia leerfischen und dort
in Absprache mit lokalen Warlords ihren Müll verklappen? All das ist nicht passiert. Ich sage das deshalb mit
diesem Nachdruck, weil das kein Argument gegen die
„Atalanta“-Mission ist - sie ist notwendig. Die Frage, ob
diese politischen Initiativen ergriffen werden, werden für
den Erfolg von „Atalanta“ entscheidend sein. Daran
wird sich entscheiden, ob daraus eine Neverending Story
oder eine erfolgreiche Mission wird, die auch zum Abschluss gebracht wird. Deswegen müssen Sie hier handeln.
({7})
Jetzt zu den anderen Bereichen, in denen Sie herumeiern. Frau Homburger hat bereits auf das Flaggenwirrwarr hingewiesen. Mit der Bekämpfung von al-Qaida
zwischen den Seychellen und dem Horn von Afrika ist
es ja nicht sehr weit her. Deswegen haben Sie jetzt einen
Mechanismus entwickelt, der ermöglicht, dass OEFEinheiten fallweise auch im Rahmen von „Atalanta“
agieren können.
Ich hätte mir gewünscht, lieber Herr Bundesaußenminister, dass Sie hier mehr Mut bewiesen hätten.
Schauen Sie der Realität ins Auge! Sagen Sie: Der OEFEinsatz ist in dieser Form überflüssig. Wir brauchen
diese Fregatte aber dort, wo es notwendig ist, und zwar
zur Bekämpfung der Piraten. - Unterstellen Sie diesen
Einsatz komplett diesem Mandat der Vereinten Nationen
und der EU, und hören Sie mit Ihrem Herumeiern, was
Sie mit dem Mandat vorhaben, und mit Ihrem permanenten Aus- und Einflaggen auf!
({8})
In einem anderen Punkt demonstriert die Koalition
von CDU/CSU und FDP ihre offenkundige - ({9})
- Ich wollte sagen: die Koalition von CDU/CSU und
SPD. Herr Niebel, da Sie gerade „Erst nach der Wahl!“
gerufen haben: Es wird wohl nicht die Mehrheit werden.
({10})
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Frage: Wie geht
man mit Gefangenen um? Nach den Beratungen in den
Ausschüssen ist klar, dass Personen, die festgehalten
werden, selbstverständlich nach rechtsstaatlichen und
menschenrechtlichen Grundsätzen zu behandeln sind.
Auch wenn es keinen verfolgungsbereiten rechtsstaatlichen Drittstaat gibt, ist klar, was mit den Gefangenen zu
passieren hat: Im Zweifel müssen sie hier vor Gericht
gestellt werden.
Wir haben Sie gefragt: Wie läuft denn das? Was passiert denn da? - Sie haben gesagt: Eine Strafverfolgung
in Deutschland kommt nur infrage, wenn durch solche
Angriffe deutsche Interessen direkt berührt werden, wie
etwa deutsche Staatsangehörige oder Schiffe. - Ich habe
dazu noch eine Nachfrage: Was ist das für eine Definition des deutschen Interesses? Werden Sie einen Piraten,
der beispielsweise gegen ein Schiff des World Food Programme vorgeht, der sich also sozusagen gegen etwas
vergeht, was die höchste Priorität bei den Gründen für
diesen Einsatz besitzt - das steht in der ersten Ziffer der
gemeinsamen Aktion; das ist die erste Ziffer in Ihrem
Mandat -, anschließend laufen lassen, oder werden Sie
ihn dorthin bringen, wo er hingehört, nämlich vor ein ordentliches Gericht? Im Zweifelsfall heißt das: Werden
Sie ihn in Hamburg vor Gericht stellen? Dieser Frage
sind Sie bis heute ausgewichen.
({11})
Ich kann Ihnen auch sagen, warum: In Ihrer Koalition
glaubt der Teil der CDU/CSU, dass es einen neuen Aufruf darstellt, hier in Deutschland Asyl zu suchen, wenn
man die Strafverfolgung rechtsstaatlich vollzieht. Sie tun
so, als würden die Somalis in Somalia jetzt auf die Boote
springen und rufen: Hallo, ich bin ein Pirat; nehmt mich
fest, damit ich nach Deutschland komme. - Absurd!
Ich finde, wer es ernst meint mit seiner Gegnerschaft
zu nichtrechtsstaatlichen Verfahren und mit seiner Ablehnung von Guantánamo, der muss nachdrücklich dafür
eintreten, dass Menschen, die sich solch schwerer Verbrechen schuldig machen - wie Angriffe auf Schiffe des
World Food Programme bzw. der Piraterie vor Somalia -,
in einem ordentlichen Verfahren vor Gericht gestellt werden.
Wenn das im Zweifelsfall nur vor einem deutschen
Gericht geschehen kann, dann muss das in Deutschland
auch passieren. Dazu sollten gerade Sie als CDU/CSU
sich mit Nachdruck bekennen. Ich habe gedacht, Sie
seien die Partei der inneren Sicherheit, aber Sie scheinen
offensichtlich gewillt zu sein, Schwerverbrecher lieber
laufen zu lassen, anstatt sie einem ordentlichen Gerichtsverfahren zuzuführen.
({12})
- Herr Kauder, ich freue mich ja, dass Sie das trifft.
Sie werben hier um die Zustimmung des Bundestages. Ich finde, Sie haben in der Begründung dieses Antrages viel Herumgeeiere demonstriert. Ich sage Ihnen
aber auch: Meine Partei bekennt sich nachdrücklich zum
Primat der Vereinten Nationen. Wir möchten nicht, dass
Deutschland abseits steht, wenn die Vereinten Nationen
gemeinsam darangehen, ein schwerwiegendes Problem
zu lösen. Wir Grünen sind überzeugte Europäer. Wir
möchten, dass Europa in der Außenpolitik gemeinsam
handlungsfähig ist. Dazu kann Deutschland in diesem
Fall einen Beitrag leisten. Das ist für uns der überragende Grund, warum wir an dieser Stelle trotz des Herumgeeieres der Bundesregierung zustimmen werden.
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
In Stuttgart läuft zurzeit eine Ausstellung über Piraterie.
Sie wird von Schülern und Schulklassen sowie von Kindern überrannt, die dort ihren Geburtstag feiern. Dieses
romantisierende Bild der Seeräuber, die Ruhm erreichen
und Geld und Gold stehlen, hat sich in den Köpfen festgesetzt.
Wir reden aber über etwas anderes, nämlich über organisierte Kriminalität. Die Drahtzieher sitzen in ihren
Villen in Somalia, bewegen sich in den internationalen
Hotels der Welt und steuern ihre Geldströme. Es werden
Menschen als Geiseln genommen und nicht nur Reedereien erpresst, sondern ganze Nationen und Länder werden erpressbar.
Herr Kollege Schäfer, deshalb ist es absurd, uns zu
unterstellen, wir würden eine schnelle und einfache Antwort geben, indem wir angesichts dieser wirklich ernsten
Bedrohung Militär einsetzen, und wir würden schnell Ja
zu militärischen Einsätzen sagen.
({0})
Wir überlegen uns bei jedem Einsatz von Streitkräften,
ob er unseren Interessen entspricht, ob er ethisch begründet ist, ob er wirksam ist und ob er rechtlich auf einer
sauberen Basis stattfinden kann.
({1})
Ich denke, es gibt kaum einen Einsatz, bei dem dies so
sichtbar wird wie bei diesem, über den wir heute entscheiden werden.
({2})
Ich denke, die Menschen in Deutschland verstehen
sehr genau, warum es im nationalen Interesse liegt, dass
wir unseren Beitrag zusammen mit anderen Nationen
dort leisten. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass sich
das Handelsland Nummer eins darauf verlässt, dass wieder einmal die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen. Nein, wir leisten unseren Beitrag.
Der Einsatz ist ethisch begründet, weil es ohne Sicherheit in diesem Seeraum nicht gelingen wird, die notleidenden und hungernden Menschen in Somalia überhaupt zu versorgen. Es ist die Hauptaufgabe dieses
Mandats, dafür zu sorgen, dass die Schiffe mit Hilfslieferungen an Land kommen. Der Einsatz ist deshalb
ethisch begründet, weil Menschen in Geiselhaft genommen werden.
({3})
Eine Debatte über die Rechtsfragen ist eigentlich unnötig. Dieser Auftrag ist eher doppelt mandatiert: einmal
über die Resolution der Vereinten Nationen und Art. 24
unseres Grundgesetzes, der einen Beitrag in kollektiven
Sicherheitssystemen erlaubt, aber auch - in der Tat - über
die internationale Seerechtsübereinkunft und Art. 25 unseres Grundgesetzes, der dies legitimiert.
Nun gab es in den letzten Tagen immer wieder die
Debatte: Kann dies so, wie die Marine vorgehen wird,
wirklich wirksam sein? Ich finde es spannend, dass die
FDP zusammen mit dem Bundeswehr-Verband das eigentlich gute Prinzip der deutschen Streitkräfte hier infrage stellt, das nämlich lautet - so wird es dort erst recht
sein -: Erst denken, Frau Homburger, dann schießen.
({4})
Es gibt überhaupt keinen Grund, in diesem Zusammenhang davon abzugehen. Die Marine hat alle rechtlichen
Möglichkeiten, dort tätig zu werden. Sie darf abhalten,
sie darf stören, sie darf schützen, sie darf stabilisieren.
Laut diesem Mandat gilt: Wenn alle anderen Maßnahmen nicht funktioniert haben, dann darf die Marine auch
Gewalt einsetzen.
Bringen wir das einmal auf den Punkt, Frau
Homburger: Wollen Sie schon militärische Gewalt einsetzen, bevor die anderen Möglichkeiten gescheitert sind?
Das heißt doch am Ende, dass Sie von diesem Mandat und
dem Einsatz der Marine erwarten, dass das gute Prinzip
der Verhältnismäßigkeit der Mittel aufgegeben wird. Das
ist eine ziemlich absurde Debatte. Ihr Kollege Stinner hat
das Bild „vom Haifisch zum Hering“ - das führt zu schönen Schlagzeilen; das ist doch klar - geprägt. Nach den
Worten von Frau Homburger, Herr Kollege Stinner,
nehme ich dieses Wort gern auf.
({5})
Ich sage dann aber: vom Haifisch zum Schwertfisch.
Aber gut.
Dieses Mandat wird wirksam werden. Wir haben in
den Vereinten Nationen in den letzten Tagen darüber einen schwierigen Prozess erlebt. Ich glaube, es war gut,
dass die UNO die Staatengemeinschaft zusätzlich auffordert, alle Maßnahmen, die im Seeraum ergriffen werden, wie „Atalanta“, OEF und möglicherweise NATOSchiffe, vielleicht auch noch chinesische, russische und
indische Schiffe, besser zu koordinieren. Diese Forderung ist ausdrücklich zu unterstützen.
Wir unterstützen auch den Prozess, den der Außenminister bei OEF längst eingeleitet hat. Herr Kollege
Trittin, es ist nicht so, dass er nichts tut. Beim neuen
OEF-Mandat gab es einen wichtigen Schritt. Wir unterstützen den Außenminister bei seiner Arbeit, eines Tages
so weit zu kommen, dass alle Schiffe, die in dem Seeraum unterwegs sind, unter einem Kommando fahren.
Das ist das Beste. Aber hier billige populistische Forderungen zu stellen, das ist für die Opposition einfach.
Deutschland ist nicht allein auf der Welt. Meistens müssen wir noch ein paar andere von unseren Plänen überzeugen. Das ist nicht immer so ganz einfach.
Nein, dieser Einsatz am Horn von Afrika ist aus unserer Sicht ohne Alternative. Was die Linke hier tut, Herr
Kollege Schäfer, ist, Scheinalternativen aufzubauen.
({6})
Sie wissen genauso gut wie wir, dass in Somalia seit
17 Jahren Anarchie herrscht und dass Diplomatie und
militärische Interventionen immer wieder neu scheitern.
Auch der letzte Versuch dieser Art steht in diesen Tagen
wieder vor dem Scheitern. Solange es in Somalia nicht
gelingt, dass sich die Menschen, also die ethnischen
Gruppen und Interessen, auf einen wirksamen internen
und ehrlichen Versöhnungsprozess einlassen, ist alles
andere wohlfeile Rhetorik. Natürlich müssen wir dabei
helfen: diplomatisch und humanitär. Aber zu glauben,
dass man das von außen so einfach tun kann, ist nur eine
Scheinalternative.
({7})
Wir müssen Somalia helfen und auf See für Sicherheit
sorgen. Beides gehört zusammen.
Die zweite Scheinalternative, die Sie genannt haben,
bezieht sich auf die Idee der Coast Guard, des Küstenschutzes. Unabhängig davon, dass dies nicht schnell zu
organisieren ist, muss Folgendes beachtet werden: Kein
Land hat angesichts der terroristischen Bedrohungen an
so vielen Küsten Kapazitäten frei. Das müsste nach den
Beschlüssen neu aufgebaut werden, was ein jahrelanger
Prozess ist. Schiffe brauchen auch gut ausgebildetes Personal. Aber selbst wenn es gelingen würde, würde das
die Probleme dort nicht lösen, Herr Kollege. Diese Coast
Guard würde Teil der militärisch geführten Konfrontation an dieser Küste mit den verschiedenen Gruppierungen und den Warlords, die in Somalia leider alltäglich
ist.
Es würde auch aus einem zweiten Grund nicht funktionieren. Das Problem beschränkt sich nicht auf 12 bis
20 Meilen Küstenraum, sondern es erstreckt sich auf die
hohe See.
({8})
Polizeiliche Fähigkeiten enden nun einmal auf hoher
See. Das führt zu der Frage, ob Sie für die Polizei
Kriegsschiffe wollen. Dann ist es besser, wenn das Militär diese Aufgabe gleich übernimmt, weil es dazu in der
Lage ist und über die notwendigen Schiffe verfügt. Wir
dürfen nicht länger zuschauen, Herr Kollege Schäfer. Es
ist eine billige Ausrede, um einen Grund zu finden, zu
diesem Mandat Nein zu sagen.
({9})
Über eines sollten wir uns in diesem Hause aber einig
sein: Bei den afrikanischen Konflikten ist bei aller Komplexität und bei allen Unterschieden, die es zwischen
Somalia, Ruanda, Kongo und anderen gibt, eine Gemeinsamkeit festzustellen. Wir alle wissen, dass die
Afrikanische Union, die zum Glück zumindest politisch
zu einer einigermaßen funktionierenden Gemeinschaft
geworden ist, dringend in die Lage versetzt werden
müsste, Konflikte selbst zu bewältigen. Im Afrika-Aktionsplan der G-8-Staaten wurde dies bereits im Jahr
2002 formuliert.
Ich glaube, zu einer ernsthaften Debatte gehört, dass
wir alle uns mehr anstrengen müssen, um den afrikanischen Staaten zusätzliche Hilfestellungen in den Bereichen Ausbildung, Technologie, militärische Aufklärung,
Kommunikationstechnik und Lufttransport zu geben.
Erst dann, wenn die Afrikaner technisch und vom Ausbildungsstand her selbst in der Lage sind, mit Konflikten
umzugehen, werden solche Debatten im Deutschen Bundestag nicht mehr notwendig sein.
({10})
- Es ist schön, Herr Kollege Schäfer, wenn wir uns darüber einig sind, dass wir dort helfen müssen.
({11})
Damit erkennen wir allerdings an, dass auch die Afrikanische Union über militärische Mittel verfügen muss,
um mit den Konflikten in Afrika umzugehen. Ich glaube,
das muss die strategische Ausrichtung der langfristigen
europäischen Politik sein.
({12})
Ich bin sicher, dass die Marine gut vorbereitet, gut
ausgebildet und gut ausgestattet ist, um diesen Auftrag
zu erfüllen. Ich bin sicher, dass das positive Bild, das die
Streitkräfte insgesamt für Deutschland abgeben, von der
Marine zusätzlich positiv gestaltet wird.
Herzlichen Dank.
({13})
Für die FDP-Fraktion erhält nun die Kollegin Marina
Schuster das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für die FDP-Fraktion ist klar, dass wir diesem
Mandat zustimmen werden. Denn es ist klar, dass sich
Deutschland auch aus eigenem Interesse für die Sicherheit der Seewege einsetzen muss und dass wir die Piraterie bekämpfen müssen.
Dennoch müssen wir uns in der heutigen Debatte
auch die eigentlichen Ursachen der Piraterie vor Augen
führen. Es ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen. Denn
die Piraterie ist nur das Symptom einer fast vergessenen
politischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise.
Nach 17 Jahren Bürgerkrieg steht Somalia vor einer
ungewissen Zukunft. Fehlende staatliche Strukturen haben rechtsfreie Räume entstehen lassen, die Piraten und
Terroristen als Rückzugsorte dienen. Das ist bei weitem
nicht nur eine Gefahr für die Region.
Die Übergangsregierung hat weder die Kontrolle über
das Land, noch genießt sie Legitimität bei der Bevölkerung. Sie hält sich nur noch mithilfe äthiopischer Truppen und durch Unterstützung von außen über Wasser.
Die äthiopischen Truppen sollen abziehen - das begrüßen wir auch -, aber dann stellt sich die Frage, wer das
entstehende Sicherheitsvakuum füllen soll. AMISOM
soll das tun. Wir alle wissen aber, dass AMISOM seit
zwei Jahren nicht voll einsatzbereit ist. Nur zwei Länder
haben Truppen zugesagt. Insofern zeichnet sich eine kritische Phase ab.
({0})
An dieser Stelle ist auch die Afrikanische Union gefragt. Denn Fakt ist: Ohne Sicherheit an Land wird es
keine Sicherheit auf See geben. Es ist klar, dass am Horn
von Afrika keine einfachen Lösungen gefunden werden.
Das Trauma der missglückten Missionen in den 90erJahren hängt vielen noch nach. Umso mehr muss sich
Deutschland politisch engagieren und gemeinsam mit
der EU Initiativen auf den Weg bringen. Was ist aus der
Somalia-Kontaktgruppe geworden, die sehr engagiert
gestartet ist? Neue Initiativen sind nicht zu erkennen.
Welche politischen Initiativen werden nach den Treffen
in Dschibuti weiterverfolgt?
Ohne eine Einbindung der Nachbarländer wird man
nicht weit kommen. Es gilt verschüttete Kommunikationswege freizulegen. Das kann die Region nicht aus
eigener Kraft; denn Äthiopien, Kenia und Eritrea sind
Teil des Problems. Denken wir an den Grenzstreit, der
vor sich hinbrodelt! Denken wir an die unterschiedlichen
Eigeninteressen der Nachbarstaaten oder an andere Akteure wie den Jemen! Es ist klar: Bei der Analyse von
Ursachen und Akteuren der Krise muss stärker differenziert werden. Eine Lösung kann nicht an den teilautonomen Regionen Somaliland und Puntland sowie den
gemäßigten Teilen der islamischen Opposition vorbeigehen.
Auch die wirtschaftliche Lage gibt Anlass zur Sorge.
Die Lebensmittelpreise sind rasant gestiegen, um
250 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Versorgungslage
ist dramatisch. Die entscheidende Frage ist: Welche ökonomischen Alternativen kann es für die Bevölkerung vor
Ort geben? Hier bedarf es eines Aufbaus der Landwirtschaft, der Strukturen und einer Wiederbelebung des
Handels. Die Delegation aus Somaliland, die den Bundestag besucht hat, sucht händeringend Geschäftskontakte und wünscht sich deutsches Engagement bei der
Polizeiausbildung. Auch hier habe ich keine Antworten
der Bundesregierung gehört.
Es geht beim Horn von Afrika um weit mehr als um
den Kampf gegen die Piraterie. Wer meint, mit dem Einsatz von Fregatten ließen sich alle politischen und wirtschaftlichen Probleme in der Region lösen, der ist wirklich auf dem Holzweg.
({1})
Fakt ist: Ohne Sicherheit und ohne einen Aufbau staatlicher Strukturen an Land wird es keine Sicherheit auf See
geben. Hier ist die Bundesregierung mit neuen politischen Initiativen gefordert. Sie hat viel zu lange untätig
zugeschaut.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Ruprecht Polenz,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne mit einem Zitat beginnen:
Deutschland hat aufgrund seiner immer engeren
Verflechtung in der Weltwirtschaft besonderes Interesse an internationaler Stabilität und ungehindertem Warenaustausch. Wie viele andere Länder ist es
in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem
Maßstab abhängig und auf funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme angewiesen. Verwerfungen im internationalen BeziehungsRuprecht Polenz
gefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme,
beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und
Störungen der weltweiten Kommunikation bleiben
in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf die nationale Volkswirtschaft, Wohlstand und sozialen Frieden.
So weit das Zitat aus dem Weißbuch der Bundesregierung. Ich habe deshalb darauf Bezug genommen, weil
der Verteidigungsminister, der damals dieses Weißbuch
vorgelegt hat, unter anderem wegen dieser Passage heftig kritisiert wurde. Ich möchte hervorheben: Er hat mit
dieser Analyse richtiggelegen. Das, was wir heute mit
großer Mehrheit im Deutschen Bundestag beschließen,
ist ein Ergebnis dieser Analyse einer ganz konkreten Situation. Herr Minister Jung, ich will festhalten: Sie haben damals richtiggelegen.
({0})
Das deutsche Interesse ist in Folgendem begründet:
Wir haben weltweit die größte Containerflotte und die
drittgrößte Handelsflotte. 17 Prozent des Außenhandelswertes werden über Seewege erwirtschaftet. 56 Prozent
unseres Rohölbedarfs kommen über See nach Deutschland. Deshalb beteiligen wir uns nun an einer europäischen Anstrengung, in einem ganz bestimmten Bereich
die Seewege zu sichern.
In der Debatte, sowohl in der ersten Lesung als auch
in der heutigen abschließenden Beratung, ist viel von
dem Failed State Somalia und dem Piratenproblem die
Rede. Ich will daran erinnern - Herr Trittin hat ebenfalls
darauf Bezug genommen -, dass wir uns vor einem Jahr
im Zusammenhang mit einem mit großer Mehrheit angenommenen Somaliaantrag mit dieser Frage sehr differenziert und intensiv auseinandergesetzt haben. Wenn
ich es richtig gelesen habe, ist dieser Antrag damals
übrigens gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen worden. Aber, Herr Trittin, ich habe den Antrag nicht so verstanden, als hätte der Bundestag damals die Meinung
vertreten, Deutschland könne das Problem Failed State
Somalia alleine stemmen. Wenn man den Ton Ihrer Rede
gehört hat - vielleicht nicht, wenn man nachher im Manuskript die Worte nachliest - und die Vorwürfe an den
Außenminister zur Kenntnis genommen hat, dann
konnte man schon den Eindruck bekommen, Sie meinten, Deutschland könne das. - Wenn Sie mir jetzt durch
Ihr Kopfschütteln recht geben, dann sind wir wieder auf
der Basis des gemeinsamen Antrags. Wir können bescheidene Beiträge dazu leisten, um Somalia zu stabilisieren.
({1})
- Frau Künast, auch Sie reden immer sehr hochtourig
und erwecken die gleichen Eindrücke.
({2})
Daher meine ich,
({3})
es ist ein Gebot der Fairness, gegenüber der deutschen
Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, es liege
ein großes Versäumnis der Regierung vor. Das sollte
man nicht tun, nur um die Regierung zu kritisieren, obwohl wir eigentlich alle derselben Meinung sind.
Es gibt aber noch einen Ansatz neben dem Aufbau eines Failed State und der aktuellen Piratenbekämpfung,
auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, weil in
dieser Hinsicht mehr geschehen muss. Ich nenne das
Stichwort organisierte Kriminalität; denn die Piraten
brauchen ein Netzwerk an Land, um erfolgreich zu sein.
Sie müssen Informationen über Schiffsrouten, Schiffsladungen, über Besatzungen und über die Abwehrmöglichkeiten, die vielleicht gegeben sind, bekommen, sie
brauchen Käufer für die gestohlenen Waren, und sie
brauchen gefälschte Dokumente. Ein Ansatz muss also
auch die Bekämpfung der internationalen Kriminalität
sein. Die Geldströme müssen unterbrochen werden. Das
ist ein Aspekt, der in der internationalen Sicherheitszusammenarbeit künftig eine größere Rolle spielen muss.
({4})
Es geht auch darum - das ist der Frage, wie man Somalia
wieder auf die Beine helfen kann, vorgelagert -, dass
man zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der Fischer
etwas gegen die Umweltverschmutzung in den Gewässern vor Somalia, gegen die Verklappung und gegen die
illegalen Fangflotten unternimmt.
„Atalanta“ soll abschrecken. Dass das erfolgreich sein
kann, haben asiatische Länder gezeigt. In der Mitte der
90er-Jahre gab es ein großes Piratenproblem in der
Straße von Malakka. Dort ist es gelungen, die Zahl der
Piratenüberfälle von 2003 bis 2007 um etwa zwei Drittel
zu senken, weil 14 asiatische Staaten gemeinsam und gut
koordiniert gegen die Piraterie vorgegangen sind.
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der mir
in der Debatte zu kurz kam. Wir sprechen über ein Seegebiet von 3 Millionen Quadratkilometern. Diese Fläche
ist achtmal so groß wie Deutschland. Selbst wenn wir
unterstellen, dass die Schifffahrtsrouten, die man kontrollieren muss, nicht durch das gesamte Gebiet führen,
ist der Ansatz der Abschreckung wahrscheinlich realistisch. Wer glaubt - das klang vorhin auch bei Herrn
Schäfer ein bisschen an -, man könne jetzt jeden Piratenüberfall von vornherein verhindern
({5})
und wenn das nicht gelinge, sei „Atalanta“ ein Misserfolg, der legt die Latte auf eine Höhe, die mit Sicherheit nicht übersprungen werden kann.
15 Länder beteiligen sich an „Atalanta“. Neben den
Ländern aus der Europäischen Union sind das Indien,
Pakistan, Saudi-Arabien, die USA, China und Russland.
Ich finde, ein besonders positives Signal ist, dass sich
Russland an der Pirateriebekämpfung beteiligt. Wir sollten das zum Anlass nehmen, in besonderer Weise mit
Russland Erfahrungen auszutauschen und über Koordinierungsmaßnahmen bei der Pirateriebekämpfung zu
sprechen. Das ist eine Chance, Russland in ein gemeinsames Projekt einzubeziehen. Daraus kann möglicherweise, was die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit
Russland angeht, mehr werden. Wir sollten die Pirateriebekämpfung als Chance begreifen und für Weiteres nutzen.
({6})
Ich habe die Länder aufgeführt, die mitmachen. Das
ist praktisch die ganze Weltgemeinschaft. Man muss hinzufügen: die ganze Weltgemeinschaft, minus die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag,
({7})
und das, obwohl es um die Bekämpfung organisierter
Kriminalität geht, die die Rückgewinnung staatlicher
Strukturen erschwert, und obwohl es um den Schutz der
Ernährung der somalischen Bevölkerung geht; denn es
geht vor allen Dingen um den Schutz der Schiffe des
World Food Programme.
Ein letzter Punkt: Die Frage der Strafverfolgung hat
auch in der heutigen Debatte und in der Diskussion um
das Mandat eine große Rolle gespielt. Der Einsatz wird
zweifellos etwas länger dauern. Nachdem sich aber nun
alle fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates
an dieser Mission beteiligen, sollte es gelingen, einen internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung der Piraterie einzurichten,
({8})
und zwar einschließlich der dann erforderlichen Strafverfolgung. Ich hoffe, dass die Bundesregierung mit ihren darauf gerichteten Anstrengungen Erfolg hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort erhält nun der Kollege Kurt Bodewig, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
einer namentlichen Abstimmung ist es immer gut, wenn
das wichtige Thema, um das es geht, von vielen aufmerksamen Zuhörern verfolgt wird. Hier geht es meines
Erachtens um zwei Dinge: zum einen um die maritimen
Lebensadern, etwas, was eine Exportnation wie
Deutschland direkt betrifft, und zum anderen um die internationale Humanität.
Wenn rund 3,5 Millionen Menschen in Somalia existenziell bedroht sind, Lebensmittelhilfe der Weltgemeinschaft brauchen und diese durch Piraterie bedroht
ist, dann ist das ein Thema, das uns alle angeht. Die Tatsache, dass 90 Prozent dieser Hilfeleistung über die
Meereswege gehen, zeigt: Wir müssen aktiv werden.
Das gilt umso mehr, als „Atalanta“ nicht nur den humanitären Aspekt sicherstellt. Dieses Seegebiet ist die
wichtigste Handelsroute zwischen Europa und Asien. Es
ist ein Nadelöhr, und es ist relativ einfach, es zu schließen. 20 000 Schiffe fahren jährlich hindurch. Das heißt,
wir haben hier eine Verantwortung, und zwar eine weltweite Verantwortung.
Es geht nicht darum, dass Fischer, deren Existenz zerstört worden ist, sich nun eine neue Erwerbsquelle suchen. Die Zerstörung und das Leerfischen dieser Fanggründe ist ein riesiges Problem; dafür brauchen wir eine
internationale Lösung. Die Hauptursache für die Piraterie besteht darin, dass dort ein Failed State ohne staatliche Ordnungsstrukturen existiert und sich Piraterie daher
immer wieder neu generieren wird. Es geht um Big
Business. Nach den Statistiken der UNO werden rund
90 Millionen Euro über diesen Weg „erwirtschaftet“.
Bisher gibt es keine Rückschlüsse darauf, dass diese
Mittel in neue Waffen oder Logistik reinvestiert werden,
aber meines Erachtens ist dies nur noch eine Frage der
Zeit. Der Umstand, dass sich zurzeit 17 Schiffe in der
Hand von Geiselnehmern befinden und 200 Menschen
wirklich existenziell bedroht sind, zeigt, dass wir heute
eine richtige und wichtige Entscheidung treffen werden.
Piraten, liebe Frau Homburger, sind keine Terroristen.
Wir sollten hier auch kein al-Qaida-Phänomen aufbauen.
Wenn Sie ins Jagdhorn blasen, dann jagen Sie nicht mit
falschen Tönen. Ich halte Prävention für wichtiger als
das, was Sie eben so lautstark formuliert haben. Es geht
darum, etwas zu verhindern, darum, die Sicherheit auf
dem Meer wiederherzustellen.
({0})
Lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal
deutlich machen: Selbstverständlich ist die Bekämpfung
der Ursachen in der Region nötig; aber wir müssen auch
die Symptome ernst nehmen. Wir müssen Somalia helfen, diese Probleme zu lösen. Deswegen gibt es ein internationales Mandat, und deswegen gibt es auch eine Reihenfolge bezüglich des Schutzes der Schiffe. Folgende
Prioritäten gelten für den Schutz ziviler Schiffe: erstens
Schiffe des Welternährungsprogramms, zweitens andere
Schiffe und Ladungen für humanitäre Zwecke, drittens
Schiffe unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates oder
beteiligter Drittstaaten und schließlich die sonstigen
Schiffe. Dies halte ich für eine klug gewählte Prioritätenfolge, weil es dazu führt, dass die Weltgemeinschaft
Verantwortung übernehmen muss, und zwar in ihrem eigenen Interesse, im Interesse der jeweiligen Länder.
Die Argumentation des Kollegen Schäfer, die ich
eben gehört habe, fand ich sehr interessant. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages unterstützen diese Mission; nur die Linke tut es nicht und zieht dafür eine
Scheinargumentation heran. Es gibt keine Polizeifregatten, es wird sie nicht geben, und das ist auch gut so. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine militärische Operation im Rahmen eines europäischen, über UN-Mandat
belegten Operationskommandos. Es ist wichtig, sich dies
deutlich zu machen. Das heißt auch, dass wir in europäischen Fragen weiterkommen. An der ESVP haben wir
Deutsche ebenfalls ein elementares Interesse.
Sie von der Linken sagen Nein zu diesem Einsatz. Es
ist nicht das erste Nein. Sie sagen Nein zu Europa. Sie
sagen Nein zum Vertrag von Lissabon. Es passt auch,
dass Sie hier eine humanitäre Hilfestellung verweigern mit der Argumentation, dass man vielleicht über Polizeischiffsaktionen helfen könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Somalia eine kenianische Küstenschutzkommandoeinheit akzeptiert würde. Das würde auch zu
neuen regionalen Konflikten führen. Sie sollten einmal
davon wegkommen, für Ihr jeweiliges Nein immer ein
anderes Motiv anzugeben.
({1})
Tragen Sie Verantwortung! Wenn Sie Verantwortung tragen wollen, sollten Sie heute zustimmen.
Ich möchte einen Dank an den Bundesverteidigungsminister richten. Herr Dr. Jung, sagen Sie es bitte auch
den Soldaten. Es handelt sich um eine Mission, die verantwortungsvoll wahrgenommen wird. Herr Admiral
Nolting, diejenigen, die dort beteiligt sind, handeln verantwortungsvoll.
Ich will einen zweiten Dank aussprechen, nämlich einen Dank an den Bundesaußenminister. Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede am Mittwoch klargestellt: keine Ausweitung dieses Mandats durch die neue
Resolution des UN-Sicherheitsrats. - Das ist für alle, die
sich heute für diesen Einsatz aussprechen werden, eine
gute und wichtige Klarstellung.
Ich würde mich freuen, wenn der Bundesaußenminister seine internationalen Bemühungen um einen internationalen Strafgerichtshof zur Piraterie fortsetzte.
({2})
Ich weiß, dass er dazu sehr positiv eingestellt ist. Hamburg mit dem Internationalen Seegerichtshof wäre der
richtige Standort dafür.
Wir sollten die Internationale Transportarbeiter-Föderation stützen. Wir sollten die Reeder in ihrem Bemühen
stützen, Sicherheit auf den Schiffen herzustellen. Vor allem sollten wir unser internationales Mandat verantwortungsvoll wahrnehmen. Es ist also eine richtige Entscheidung, die wir heute treffen wollen.
Vielen Dank.
({3})
Bevor ich dem letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort erteile, bitte ich die Kolleginnen
und Kollegen, die noch hinreichend vorhandenen Plätze
einzunehmen. Ich weise der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die namentliche Abstimmung erst nach
Schluss der Aussprache erfolgt.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Adam für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Das Wort Hysterie ist vielleicht gewagt, aber im
Moment kommt man dem sehr nah. Oftmals ist
man sehr nervös, auch einfache Fischer werden
häufig als Piraten angenommen und gemeldet.
Dieses Zitat ist einem Beitrag des ZDF vom Anfang dieser Woche entnommen. Der Kommandant der „Mecklenburg-Vorpommern“, den ich in seinen bisherigen Verwendungen kennengelernt und schätzen gelernt habe,
beschreibt hier mit klaren und verständlichen Worten
den Alltag unserer Marine aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Seegebiet vor Somalia.
Die Piraterie in diesem Gebiet hat in den vergangenen
Monaten ein Ausmaß angenommen, welches von der
Weltgemeinschaft nicht länger toleriert werden kann.
Die Vereinten Nationen und die Internationale Gemeinschaft werden die notwendigen Anstrengungen unternehmen, um in Somalia eine Stabilisierung zu erreichen.
Deutschland wird auf See - ich betone: auf See - einen
Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie leisten.
Ich begrüße die Vertreter der Deutschen Marine auf
der Besuchertribüne.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle meiner Kollegin Homburger
widersprechen. Ich bin nicht der Meinung, dass sich die
Deutsche Marine bei ihren bisherigen Einsätzen blamiert
hat;
({1})
vielmehr hat sie eine hervorragende Arbeit geleistet, mit
Umsicht gehandelt und ihre Aufgaben sehr gut erfüllt.
({2})
Man darf sich gar nicht vorstellen, was passierte,
wenn sich Piraten mit der al-Qaida einlassen würden.
Die eine Seite verfügt über viel Lösegeld und die andere
Seite über viele moderne Waffen und eine gute Ausbildung - eine brisante Mischung, die jedem Schiffskapitän
schlaflose Nächte bereiten muss. Die Forderung unserer
Reedereien nach einem Schutz der Schiffe ist daher nur
allzu verständlich.
Trotz der Finanzkrise machen die Globalisierung und
der damit einhergehende weltweite Handel das 21. Jahrhundert ganz sicher zu einem maritimen Jahrhundert.
Die global vernetzte Wirtschaft kann nur dank eines ausgeprägten und leistungsfähigen Seehandels funktionieren. Für uns, die Bundesrepublik, gilt, dass wir als
rohstoffarme Nation auf den Import der für unsere Wirtschaft notwendigen Ressourcen angewiesen sind.
80 Prozent des weltweiten Warenverkehrs werden über
See abgewickelt. Ohne einen sicheren Seehandel wird
die deutsche Wirtschaft noch mehr geschädigt, als dies
durch die schlimmsten Auswirkungen der Finanzkrise
der Fall sein kann. Deutschland ist folglich nicht nur moralisch, sondern auch aufgrund seiner wirtschaftlichen
Interessen dazu verpflichtet, den freien Seehandel zu gewährleisten und mit aller Entschiedenheit gegen die brutalen Piratenangriffe vorzugehen. Unsere Marine tut dies
in gewohnter Weise nicht allein, sondern im Rahmen eines bestehenden Bündnisses. Erstmals hat sich die Europäische Union darauf geeinigt, gemeinsam entschlossen
gegen die Bedrohung durch die Piraterie vorzugehen.
Die Deutsche Marine hat in den vergangenen Jahren
immer wieder ihre hohe Flexibilität und Einsatzbereitschaft unter Beweis gestellt. Allerdings müssen für die
Zukunft sowohl die personelle als auch die materielle
Durchhaltefähigkeit der Marine ausgebaut werden. Bereits heute stößt die Deutsche Marine mit den Einsätzen
UNIFIL, der jetzt zu beschließenden Operation „Atalanta“ und der derzeit laufenden OEF an die Grenzen
von Material und Personal. Wenn Deutschland im
maritimen 21. Jahrhundert seine Interessen auf See wahren will, müssen wir heute an die Aufgaben der Marine
in 10 und 20 Jahren denken, das hierfür notwendige Personal ausbilden und moderne Schiffe beschaffen.
Darf ich einen Augenblick unterbrechen? - Ich darf
auch all die Kolleginnen und Kollegen, die in der Zwischenzeit eingetroffen sind, bitten, Platz zu nehmen, damit wir nach Schluss der Aussprache die angekündigte
namentliche Abstimmung vornehmen können.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bin mir sicher,
dass die Marineführung der Politik die notwendigen
Schritte hierzu ausführlich darlegen wird. Es ist an uns,
diese dann rechtzeitig umzusetzen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen uns, dass hierfür auch neue Denkansätze gefordert sind. Der Kampf gegen Piraten kann
nur mit bordeigenen Hubschraubern und Spezialkräften
durchgeführt werden. Alles andere führt zu einem vermehrten Risiko für die Sicherheit unserer Besatzung.
Daher sind auch diese Kräfte entsprechend zu schulen
und materiell auszustatten.
Der Bundesminister der Verteidigung hat mehrere
Kolleginnen und Kollegen des Verteidigungsausschusses
eingeladen, mit ihm in der kommenden Woche die Besatzungen unserer beiden Schiffe, der „Karlsruhe“ und
der „Mecklenburg-Vorpommern“, vor Ort zu besuchen
und uns von deren Einsatzfähigkeit und hoher Motivation zu überzeugen. Ich danke dem Minister für diese
Einladung, zeigt das doch wieder einmal, dass die Bundeswehr und somit die Marine eine Parlamentsarmee ist
und der enge Kontakt zum Parlament, das diesen gefahrvollen Einsatz beschließt, gewährleistet ist.
({0})
Die Weihnachtszeit ist nicht nur eine Zeit der Besinnlichkeit, sondern auch des Schenkens. Was, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen, ist aber wohl, nach meiner
Meinung zumindest, das Wertvollste, was wir einem anderen Menschen heutzutage schenken können?
({1})
Es sind Zeit und Aufmerksamkeit. Zeit und Aufmerksamkeit möchten ich und meine Kolleginnen und Kollegen den Besatzungen der beiden deutschen Schiffe bei
unserem Besuch schenken. Stehen unsere Fregatten doch
auch symbolhaft für die gelungene deutsche Einheit. Die
Fregatte „Karlsruhe“ wird von einem Fregattenkapitän
aus dem Vogtland befehligt,
({2})
die „Mecklenburg-Vorpommern“ von einem Fregattenkapitän aus Hamburg. Sie stehen an der Spitze der Soldatinnen und Soldaten, die den von uns zu beschließenden Auftrag zu erfüllen haben. Diesen Soldatinnen und
Soldaten möchte ich für ihre Arbeit danken.
({3})
Meine Fraktion und ich stimmen dem Mandat zu,
weil wir wissen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten
diese Aufgabe erfüllen werden.
Vielen Dank.
({4})
Nun erhält noch die Kollegin Homburger für eine
knappe Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung
das Wort. Dann können wir zur Abstimmung kommen.
Ich bitte einen Augenblick um Aufmerksamkeit. - Bitte,
Frau Kollegin Homburger.
Herr Kollege Adam, Sie haben mich in Ihrer Rede
eben gerade direkt angesprochen und hier behauptet,
dass ich gesagt hätte, die Deutsche Marine habe sich blamiert. Das ist eine Unterstellung, die einzig und allein
zeigt, dass Sie mir nicht zugehört haben.
({0})
Ich sage an dieser Stelle ganz ausdrücklich - das ist
immer die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion gewesen, auch jetzt noch -: Die Deutsche Marine ist exzellent
ausgebildet; die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
machen einen ganz hervorragenden Job. Wir haben das
immer wieder feststellen können.
({1})
Die Tatsache allerdings, dass die Bundesregierung der
Meinung war, dass unter dem Mandat Operation Enduring Freedom eine Pirateriebekämpfung nicht zulässig
sei, obwohl Deutschland das Seerechtsübereinkommen
ratifiziert hat, hat dazu geführt, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort in schwierige Situationen gebracht wurden. Während nämlich andere Nationen im
Rahmen der Operation Enduring Freedom Piraterie bekämpft haben, durften unsere Soldatinnen und Soldaten
nur Nothilfe leisten. Darauf habe ich hingewiesen. DaBirgit Homburger
mit hat man die Soldatinnen und Soldaten vor Ort in eine
schwierige Situation gebracht und sie oft genug dem
Spott anderer Nationen ausgesetzt. Insofern sage ich
ganz klar: Die Bundesregierung hat mit dieser Handlungsanweisung die Deutsche Marine blamiert. Wir haben hohen Respekt vor den Leistungen der Soldatinnen
und Soldaten, aber wir haben kein Verständnis für das
Handeln der Bundesregierung.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung
zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation „Atalanta“ zur Bekämpfung der
Piraterie vor der Küste Somalias. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/11416, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 16/11337 anzunehmen. Hierzu ist namentli-
che Abstimmung verlangt. Wir stimmen nun über diese
Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich mache schon
jetzt darauf aufmerksam, dass wir im Anschluss an diese
namentliche Abstimmung eine weitere Abstimmung na-
mentlich durchführen werden.
Zu der jetzt anstehenden Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung liegen mir Erklärungen zahlreicher
Kolleginnen und Kollegen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor.1)
Haben alle Schriftführerinnen und Schriftführer ihre
Plätze eingenommen? - Das ist offenkundig noch nicht
der Fall. Ich bitte um ein entsprechendes Signal. - Ich
eröffne die Abstimmung.
Könnte bitte einmal ein Geschäftsführer aus den Rei-
hen der Oppositionsfraktionen sicherstellen, dass die
Abstimmungsurne vor der Lobby mit einem zweiten
Schriftführer bestellt wird?
Gibt es noch einen anwesenden Kollegen, der noch
nicht Gelegenheit hatte, seine Stimmkarte abzugeben? -
Wenn der Kollege Dressel sich im Augenblick im Ple-
narsaal aufhält, möge er bitte zum Präsidium kommen.
1) Anlagen 2 bis 6
Ich habe den Eindruck, dass alle Anwesenden ihre
Stimmkarten abgegeben haben. Dann schließe ich die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der
Abstimmung werden wir wie immer später bekannt ge-
ben.
Wir setzen die Abstimmungen mit den Entschlie-
ßungsanträgen fort. Zunächst stimmen wir über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 16/11425 ab. Auch hierzu ist na-
mentliche Abstimmung beantragt.
Könnten mir bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer ein Zeichen geben, ob die entsprechenden Ab-
stimmungsurnen jeweils von Koalition und Opposition
besetzt sind. - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne
ich die Abstimmung.
Gibt es noch jemanden, der anwesend ist, aber seine
Stimmkarte für die zweite namentliche Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? - Nachdem auch die Spitze der Bun-
desregierung nachweislich ihren Abstimmungspflichten
und -möglichkeiten nachgekommen ist, frage ich zum
letzten Mal, ob es noch jemanden gibt, der seine Stimm-
karte noch nicht abgegeben hat. - Das ist offenkundig
nicht der Fall. Dann schließe ich auch die zweite Abstim-
mung und bitte um Auszählung der abgegebenen Stimm-
karten.2), 3)
Bevor wir zur Abstimmung über weitere Entschließungsanträge kommen, kann ich Ihnen das Ergebnis
der ersten namentlichen Abstimmung mitteilen - mit
besonderem Dank an die wieder einmal außergewöhnlich schnell und präzise arbeitenden Schriftführerinnen
und Schriftführer, die im Übrigen, wie ich finde, zum
Abschluss dieses Jahres einen besonderen Applaus aller
Fraktionen verdient haben.
({0})
- Kollege Fuchtel ist erwartungsgemäß tief beeindruckt. -
Nach seiner mir gerade übergebenen Mitteilung sind
558 Stimmen abgegeben worden. Von diesen haben 491
mit Ja und 55 mit Nein gestimmt bei 12 Enthaltungen.
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
2) Ergebnis Seite 21366 D
3) Anlage 7
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 558;
davon
ja: 491
nein: 55
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({3})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({8})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({9})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({10})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({27})
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({28})
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({29})
Frank Hofmann ({30})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({31})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Präsident Dr. Norbert Lammert
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({33})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({34})
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({37})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({38})
Bernd Scheelen
Otto Schily
Ulla Schmidt ({39})
Silvia Schmidt ({40})
Renate Schmidt ({41})
Heinz Schmitt ({42})
Carsten Schneider ({43})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({44})
Swen Schulz ({45})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({46})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({47})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({52})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({53})
Volker Beck ({54})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({55})
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({56})
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({57})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Wolfgang Wieland
Nein
SPD
Dr. Rainer Tabillion
Dr. Wolfgang Wodarg
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Diana Golze
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({58})
Volker Schneider
({59})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Präsident Dr. Norbert Lammert
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
SPD
Gregor Amann
Petra Hinz ({60})
Detlef Müller ({61})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Hans Josef Fell
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Ute Koczy
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
({62})
Ich rufe nun den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion auf der Drucksache 16/11422 auf. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag
abgelehnt.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/11423 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/11424? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser
Entschließungsantrag hat bei Ablehnung der übrigen
Fraktionen keine Mehrheit.
Wir setzen unsere Beratungen mit dem Tagesordnungspunkt 28 fort:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({63})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Regelsätze erhöhen - Dynamisierung anpassen - Kosten für Schulbedarfe abdecken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Regelsätze bedarfsgerecht anpassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Existenzsicherung und Teilhabechancen für
Kinder und Jugendliche durch bedarfsgerechte Kinderregelsätze gewährleisten
- Drucksachen 16/7040, 16/7113, 16/8761,
16/10336 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann können wir das so festhalten.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Franz Thönnes.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute über die Regelsätze in der
Sozialhilfe und in der Grundsicherung. Damit befassen
wir uns mit einer Leistung aller Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler für die Menschen in unserer Gesellschaft,
die vorübergehend oder dauerhaft nicht in der Lage sind,
aus eigener Kraft mit einem eigenen Einkommen für
sich und ihre Familien zu sorgen. Ich denke, es ist gut,
dass wir in unserem Sozialstaat über ein derartiges Instrument der Sicherung eines soziokulturellen Existenzminimums verfügen. Das ist gute staatlich organisierte Solidarität für die, die Hilfe benötigen, von denen,
die Hilfe und Unterstützung geben können.
({0})
Das ist aber auch gute staatlich organisierte Solidarität, mit der wir Armut bekämpfen. Nur, wenn wir in
Deutschland über Armut sprechen, dann sprechen wir in
der Regel nicht über Armut, wie wir sie in den Entwicklungsländern kennen, wo es teilweise um das physische
Überleben geht, also um eine Armut, die das Leben geradezu gefährdet. In Deutschland haben wir leistungsfähige Systeme sozialer Sicherung, die helfen, diese Form
der Armut zu vermeiden.
Richtig ist aber, dass es bei uns in Deutschland Menschen gibt, die von relativer Armut betroffen sind. Das
zeigt uns auch der 3. Armuts- und Reichtumsbericht, in
dem jedoch deutlich gemacht wird, dass unser Sozialstaat funktioniert, dass die Transfersysteme, die wir haben, mit dazu beitragen, das Armutsrisiko zu minimieren, und dass es nachgewiesene Aufgabe der Politik ist,
Armut zu bekämpfen, aber bitte schön gezielt durch konkretes Handeln und am besten dort ansetzend, wo die
Ursachen für Armut liegen.
Das Problem an dieser Stelle ist vielschichtig. Es geht
um materielle Leistungen und Sozialtransfers. Es geht
auch darum, dass wir vorgelagerte staatliche HilfesysParl. Staatssekretär Franz Thönnes
teme wie das Kindergeld oder das Wohngeld einzusetzen
haben; der Kinderzuschlag gehört dazu. Es geht aber
auch um Chancen auf Bildung. Es geht um Chancen auf
Ausbildung, um Chancen auf Arbeit. Ich sage ausdrücklich: Es geht um fair bezahlte Arbeit, um anständig bezahlte Arbeit. Und es geht um aktive Arbeitsmarktpolitik, darum, Menschen, die arbeitslos sind und auf
Solidarleistungen angewiesen sind, zu befähigen, wieder
in Arbeit zu kommen und selbst für ihre Familien und
Kinder zu sorgen.
({1})
Deshalb war die Entscheidung, die getroffen worden
ist, auch richtig, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe
zu einer Fürsorgeleistung für Erwerbsfähige zusammenzulegen, die zurzeit keine Arbeit haben. Denn sie hat mit
dazu beigetragen, dass neue Teilhabechancen entstehen
können, dass sich neue Möglichkeiten für Arbeit entwickeln. Ich will darauf hinweisen, wir haben damit dazu
beigetragen, dass erstmals alle Menschen, die ohne
Arbeit sind, in die Vermittlung durch die Arbeitsgemeinschaften, die Optionskommunen und auch durch
die Bundesagentur für Arbeit mit einbezogen worden
sind, das heißt intensives Fallmanagement, damit die Arbeitsmarktchancen für Langzeitarbeitslose deutlich verbessert werden.
({2})
Nach den ersten Berechnungen der Bundesagentur für
Arbeit lag die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld II und von Sozialgeld im November 2008 mit
6,59 Millionen um immerhin 686 000 niedriger als vor
zwei Jahren. Das ist ein Erfolg für die Menschen, die
sich um Arbeit bemüht und engagiert haben. Das ist aber
auch ein Erfolg derjenigen, die mitgeholfen haben, das
umzusetzen, was an Arbeitsmarktreformen und aus der
Philosophie des Forderns und Förderns hier im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist.
Es geht um Arbeit - vorrangig. Umso bedauerlicher
ist es, dass es in einigen Anträgen, die wir heute debattieren, so scheint, als ginge es nur um Geld. Da muss
man deutlich sagen, höhere Transfers schaffen weder
größere Arbeitsmarktchancen für die erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen, noch werden damit die Bildungschancen der bedürftigen Kinder verbessert.
({3})
Grundlage unserer Politik bleibt hingegen die Erkenntnis, dass, wo immer möglich, Arbeit und ein existenzsicherndes Familieneinkommen den Weg aus der
Hilfebedürftigkeit weisen müssen. Bei einer Familie mit
zwei erwerbsfähigen Erwachsenen sinkt das Armutsrisiko von 48 Prozent auf unterdurchschnittlich 8 Prozent
bzw. 4 Prozent, sobald nur einer oder zwei anständig gut
bezahlte Arbeit bekommen. Deshalb werden wir die Arbeitsvermittlung weiter verbessern, deshalb haben wir
die Instrumente für die Arbeitsmarktpolitik verändert,
zielgerichtet gestaltet, und deswegen kämpfen wir auch
für existenzsichernde Mindestlöhne.
({4})
Raus aus der Hilfebedürftigkeit, ein eigenes Leben
wieder selbstständig zu gestalten, darum geht es auch
bei dem, was wir zum 1. Oktober 2008 beim Kinderzuschlag entschieden haben; darum geht es auch, wenn wir
über die Umsetzung des Wohngeldes jetzt zum
1. Januar 2009 sprechen, und - ich will etwas hinzufügen, was manchmal ein bisschen untergeht - auch das
Elterngeld hat dazu beigetragen, Hilfebedürftigkeit zu
vermeiden. Die Zahl der Frauen, die im Jahr nach der
Geburt ihres Kindes Arbeitslosengeld II beziehen müssen, ist nach der Einführung des Elterngeldes signifikant
gesunken. Auch das ist ein Erfolg unserer Familienpolitik, die hier gemacht worden ist.
({5})
Ich will keine Zweifel aufkommen lassen: Natürlich
wird es auch darum gehen, dort, wo Armut ist, die direkten materiellen Leistungen einzusetzen; sie sind unverzichtbar. Das ist keine Frage.
Alle im Hause wissen, die Regelsätze für die Kinder
werden vom Eckregelsatz des Erwachsenen abgeleitet.
Dieses Verfahren - darauf weise ich ausdrücklich hin ist im Übrigen auch schon in der früheren Sozialhilfe angewendet worden und ist nichts Neues, hat sich bewährt,
ist damals im Wesentlichen auch nicht infrage gestellt
worden. Dennoch gibt es Kritik und den Einwand, dass
das geltende System den Bedarfen von Kindern nicht gerecht werden würde oder sie unzureichend berücksichtige. Das nehmen wir ernst.
Sobald die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 vorliegen, werden deshalb alle
Regelsätze überprüft. Das wird jedoch frühestens im
zweiten Halbjahr 2010 der Fall sein.
({6})
Das ist uns zu lange, und deswegen hat die Bundesregierung das Statistische Bundesamt beauftragt, Kinderregelsätze auf der Basis der regelsatzrelevanten Güter und
Dienstleistungen aus den Familieneinkommen heraus zu
berechnen. Basisdaten sind diejenigen, die aus der Verbrauchsstichprobe EVS 2003 zur Verfügung stehen.
Die Auswertung der Daten, die ermittelt worden sind,
findet derzeit statt. Das ist noch nicht abgeschlossen.
Aber ich will ausdrücklich sagen, erste Einschätzungen
deuten nicht unbedingt darauf hin, dass bei einer Neubemessung der Kinderregelsätze stark steigende Leistungen zu erwarten wären.
Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen, dass es
uns wichtig ist, dass die finanzielle Unterstützung, die
für Kinder und für Jugendliche bestimmt ist, auch direkt
bei den Kindern und bei den Jugendlichen ankommt.
Dieser Wille verbirgt sich hinter dem Schulbedarfspaket.
Damit tragen wir dazu bei, dass jedem Schüler und jeder
Schülerin 100 Euro pro Jahr zum Schuljahresbeginn gegeben werden. Wenn man das auf die Regelsätze für jüngere Schüler bis 13 Jahre umrechnet, kommt eine Steigerung von knapp 4 Prozent heraus. In Verbindung mit
dem für 2009 ohnehin erwarteten Anstieg der Regelsätze
um 2,75 Prozent ist das, denke ich, eine gute Entscheidung.
Eine generelle und massive Erhöhung der Regelsätze wird aber abgelehnt, weil man immer auch den
Gesamtzusammenhang berücksichtigen muss. Man
muss auch sehen, wie das von den Menschen bewertet
wird, die als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Arbeit über ein Einkommen verfügen, das manchmal - leider - nur knapp oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze liegt.
({7})
Das gefällt uns nicht. Ich bin damit nicht zufrieden. Wir
arbeiten daran, weil das verbessert werden muss. Das
muss über Tarifvereinbarungen und Mindestlöhne verbessert werden.
({8})
Diesen Zusammenhang müssen wir aber im Blick haben.
Deutlich höhere Regelsätze hätten zur Folge, dass die
Transferleistungen höher ausfallen als die Einkommen
von Erwerbstätigen ohne Transferleistungen. Deswegen
muss man mit Vorsicht vorgehen, wenn der eine oder andere auf einen zukommt und fragt: Sag mal, lohnt sich
die Arbeit, die ich mache, eigentlich noch? Was bleibt
davon übrig?
Auch die Forderung, die Regelsätze anstatt mit der
Rentenentwicklung mit dem allgemeinen Preisanstieg
fortzuschreiben, ist wenig hilfreich. Richtig ist, dass die
Preise in den letzten Jahren schneller gestiegen sind als
die Regelsätze. Das ist aber nicht der Regelfall.
Herr Staatssekretär.
Ja, Herr Präsident. - Aktuell gibt es in einigen Bereichen sogar die Entwicklung, dass die Preise sinken.
Hinzu kommt, dass Preissteigerungen alle in der Gesellschaft treffen: Rentnerinnen und Rentner genauso wie
die Arbeitnehmer. Daher kann man die Leistungen der
Sozialhilfe und der Grundsicherung nicht an der Preissteigerungsrate festmachen; denn auch diejenigen, die
arbeiten gehen, diejenigen, die Steuern zahlen, müssen
sehen, dass sich ihre Einkommen vor dem Hintergrund
der Möglichkeiten entwickeln.
Nach derzeitigem Stand ist davon auszugehen, dass
die Löhne in 2008 deutlich gestiegen sind. Das wird
auch den Rentnerinnen und Rentnern zugute kommen
und in der Folge denjenigen, die Grundsicherung beziehen; denn die Regelsätze werden angepasst.
Uns geht es darum: Wir wollen die Menschen befähigen, wieder aus eigener Kraft Einkommen durch Arbeit
zu erzielen.
Wenn man das zusammenfasst, heißt das: Erstens.
Wir überprüfen die Regelsätze. Zweitens. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 läuft; wir werden
im Jahr 2010 neue Entscheidungen vor diesem Hintergrund zu treffen haben. Drittens. Wir bleiben bei der
bisherigen Kette hinsichtlich der Umsetzung: Tarifeinkommen, Renteneinkommen, und daraus wird die Anpassung der Grundsicherungseinkommen abgeleitet.
Viertens. Wir bleiben dabei, gezielte Hilfen für die jungen Menschen durch das Schulstarterpaket bzw. das
Schulbedarfspaket zu gewähren. Fünftens. Wir intensivieren all unsere Aktivitäten und Maßnahmen, um Menschen in Arbeit und Beschäftigung zu bringen; denn der
Armuts- und Reichtumsbericht zeigt deutlich, dass das
größte Armutsrisiko darin besteht, keine Arbeit und
keine Beschäftigung zu haben.
Abschließend will ich an dieser Stelle hinzufügen,
worum wir uns besonders kümmern sollten: Wir haben
gut 257 000 alleinerziehende Arbeitslose, überwiegend
Frauen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen.
Wenn wir Kinderarmut und Alleinerziehendenarmut bekämpfen wollen, dann muss ganz gezielt an den Stellen
Vermittlung, Betreuung und Qualifizierung angesetzt
werden.
({0})
Ich denke, an diesen Stellen ist das Geld gut investiert.
Die Programme, zum Beispiel der Ideenwettbewerb zur
Integration von Alleinerziehenden, sind gut zugeschnitten. Es geht um gute Arbeit für Alleinerziehende. Es ist
sinnvoll, so konkret anzusetzen und den Menschen zu
helfen. Ich denke, das ist der richtige Weg. Wir wollen
die Menschen befähigen, auf eigenen Füßen zu stehen,
ihr Leben mit eigener Kraft und Arbeit zu gestalten.
({1})
Das Wort erhält nun der Kollege Dirk Niebel für die
FDP-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich möchte nicht sagen, Sie sehen
mich ratlos, aber es ist selten, dass ich einer Rede des
Staatssekretärs in weiten Teilen zustimmen kann.
({0})
Die vorliegenden Anträge behandeln tatsächlich nur ein
kleines Segment dessen, was Politik zu regeln hat. Das
Wesentliche, nämlich dass die Menschen eine Teilhabechance in der Gesellschaft haben, hat der Staatssekretär
völlig richtig geschildert. Es war ausdrücklich richtig,
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen.
Nicht nur weil dann die vom Staatssekretär gerade beschriebenen positiven Effekte der Einbeziehung von
ehemaligen Sozialhilfeempfängern in die Vermittlung
eingetreten sind, sondern auch weil es die Würde der betroffenen Menschen ein Stück weit wiederhergestellt hat.
Das mag jetzt für Sie von der Linken komisch klingen, weil Sie immer sagen, das sei alles ganz furchtbar
mit dem Arbeitslosengeld II, aber Sie erinnern sich vielleicht daran, dass es enorm viele ArbeitslosenhilfebezieDirk Niebel
her gegeben hat, die ergänzende Leistungen zum Lebensunterhalt bezogen haben und die ihre intimsten
wirtschaftlichen Daten bei zwei Behörden offenlegen
mussten, damit sie die Möglichkeit hatten, das soziokulturelle Existenzminimum zu erreichen. Ich glaube, das
war aus Gründen der Würde und der besseren Integrationschancen für die Betroffenen der richtige Schritt, obwohl diese Bundesregierung in einigen Punkten leider
schon wieder von den Reformen abgewichen ist.
({1})
Sie suggerieren mit diesen Anträgen, dass es nur um
die Ränder der Gesellschaft geht. Die Menschen in
Deutschland haben das Gefühl, die Politik beschäftige
sich nur noch mit Heuschrecken auf der einen Seite und
mit dem Prekariat auf der anderen Seite. Sie kümmere
sich überhaupt nicht mehr um diejenigen, die die soziale
Sicherung, die wir ausdrücklich wollen, finanzieren, die
den Laden am Laufen halten. Wenn wir sehen, dass laut
Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine durchschnittliche vierköpfige Arbeitslosengeld-II-Bezieher-Familie 1 600 Euro netto zur Verfügung hat mit allen Nebenleistungen, also 19 200 Euro
netto pro Jahr, und dagegenhalten, dass tariflohnbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den unteren Tariflohngruppen mit 16 000 bis 21 000 Euro Bruttojahreseinkommen auskommen müssen, dann darf man
berechtigterweise die Frage stellen, ob das Lohnabstandsgebot tatsächlich so ausgestaltet ist, dass es motivierend und aktivierend zu einer Erwerbstätigkeit führt,
damit die Menschen aus der Transferleistung herauskommen.
({2})
- Nein, wir wollen das ausdrücklich nicht absenken, wie
manche Wissenschaftler es fordern. Wir halten die Regelsätze für richtig.
Wir sind übrigens auch der Ansicht, dass man einen
eigenständigen Kinderregelsatz erheben kann; es muss
kein abgeleiteter sein. Das ist durchaus richtig und sinnvoll. Ich erinnere daran, dass die FDP-Bundestagsfraktion hier bei der Debatte über das Familienleistungsgesetz beantragt hat - das wurde leider abgelehnt -, das
Schulstarterpaket auch für Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern und über das 10. Schuljahr hinaus
zu gewähren,
({3})
damit auch Kinder aus bildungsfernen Familien die
Chancen zu Bildungszugang in allen Segmenten haben.
Das ist von diesem Hause leider mehrheitlich abgelehnt
worden.
Ich glaube tatsächlich, dass der Staatssekretär recht
hat, wenn er sagt, Investitionen in Betreuungseinrichtungen, in Bildungschancen seien das beste Konjunkturprogramm, das wir jetzt haben sollten. Gerade die vielen
Alleinerziehenden, die aufgrund fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen kaum Arbeitsmarktchancen haben, wären aktivierbar und würden einen großen Beitrag
zur Armutsminimierung leisten, wenn wir sie integrieren
könnten. Jetzt vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen
Schwierigkeiten ist es richtig, in Betreuungseinrichtungen zu investieren und auf das nächste Jahr vorzuziehen,
was wir im Kinderbetreuungsgesetz vorgesehen haben
- es ist hier im Haus beschlossen worden -, nämlich zugunsten der 750 000 Betreuungsplätze es früher zu ermöglichen, in Bildungsinfrastruktur zu investieren, und
zu einer echten Entlastung für diejenigen beizutragen,
die in der Mitte der Gesellschaft mit ihren Einkünften,
mit ihren Steuergeldern und mit ihren Beitragsgeldern
unser soziales Sicherungssystem überhaupt erst finanzieren.
Es ist kurz gedacht, wenn die Bundesregierung sagt:
Wir wollen keine Steuersenkungen machen. Zumindest
bei dem, was kalte Progression genannt wird, könnten
Sie, wenn Sie schon den Mut zu einem richtigen Schritt
mit einer entlastenden Steuerstrukturreform nicht aufbringen, für breite Bevölkerungsschichten Entlastung
schaffen und die dadurch die Binnenkonjunktur stabiliseren.
Dieser Vielklang - Entlastung bei Steuern und übrigens auch bei Abgaben, zumindest wenn Sie auf diesen
unsäglichen Gesundheitsfonds verzichten würden, der
zum 1. Januar 2009 für weite Bevölkerungsteile die
Krankenversicherung teurer macht, in der Kombination
mit Investitionen in Bildungsinfrastruktur, in Kinderbetreuungseinrichtungen und in Verkehrsinfrastruktur könnte einen Großteil der Probleme, die auf uns zukommen, minimieren.
Im Übrigen wird es Sie nicht wundern, dass wir die
drei vorliegenden Anträge ablehnen.
({4})
Max Straubinger ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einmal über Anträge
des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken, in denen
unter anderem gefordert wird, den Hartz-IV-Regelsatz
auf 435 Euro im Monat anzuheben.
Ich möchte vorausschicken, dass es sicherlich weit
besser ist, die Menschen in die Lage zu versetzen, die finanzielle Grundlage ihres Lebens durch eigene Erwerbstätigkeit zu schaffen und ihr Leben zu meistern, indem
sie arbeiten und dadurch ein ausreichendes Einkommen
erzielen.
({0})
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich darauf hinweisen, dass die Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen bei der Bekämpfung der Armut in den vergangenen drei Jahren große Erfolge erzielt haben. Der
Abbau der Arbeitslosigkeit von 5 Millionen Arbeitslo21364
sen auf weniger als 3 Millionen Arbeitslose ist ein beredtes Beispiel dafür, dass die Menschen mehr Chancen
erhalten haben, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu
bestreiten.
({1})
Zweitens. Entscheidend ist, dass diese Erfolge auch
bei Bevölkerungsgruppen angekommen sind, die bisher
Schwierigkeiten hatten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu
fassen, insbesondere bei Empfängern von Hartz-IV-Leistungen, und zwar vor allem in diesem Jahr. In den vergangenen Jahren ging es zuvörderst um den Abbau der
Arbeitslosigkeit im SGB-III-Bereich. Mittlerweile konnten aber auch im SGB-II-Bereich mehr als 400 000 Menschen, die ehemals Hartz-IV-Empfänger waren, wieder
in Arbeit und Brot gebracht werden. Damit haben sie die
Chance bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Dies ist meines Erachtens die beste Politik, die
man für die Menschen machen kann.
Es ist aber auch entscheidend, nicht immer nur über
die Höhe der Regelsätze zu diskutieren, die für die Menschen gelten, die sich entweder nicht selbst helfen können oder derzeit keine Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Höhe der Regelsätze ist auch
ins Verhältnis zu dem zu setzen, was diejenigen, die
diese sozialen Leistungen bezahlen und die entsprechende Unterstützung ermöglichen, verdienen. Auch
dieser Aspekt muss im Abwägungsprozess berücksichtigt werden. Der Kollege Niebel und der Staatssekretär
haben bereits auf das Lohnabstandsgebot hingewiesen.
Es ist ein wichtiger Baustein der Sozialpolitik.
Man kann nicht so verfahren, wie es vor allen Dingen
die Linken in diesem Hause tun. Sie fordern immer nur
ganz starr Erhöhungen der sozialen Leistungen. Damit
geben sie den Menschen letztendlich aber keinen Anreiz
mehr, überhaupt eine Arbeit aufzunehmen.
({2})
Der Kollege Gysi hat einmal formuliert, wozu das
führen würde. In der Rede, die er am 24. Januar 2008 im
Deutschen Bundestag gehalten hat, hat er dargestellt,
wie man die Sozialleistungen in unserem Land finanzieren könnte. Er hat einen Zusammenhang mit der Steuerquote im OECD-Vergleich hergestellt und darauf
hingewiesen, dass die Steuer- und Abgabenquote in
Deutschland 35,6 Prozent beträgt, im EU-Durchschnitt
hingegen 40,8 Prozent. Würden wir sie lediglich auf den
EU-Durchschnitt anheben, würde dies bedeuten, Herr
Kollege Gysi, dass die arbeitenden Menschen in unserem Land mit 120 Milliarden Euro zusätzlich belastet
würden.
({3})
Daran wird sehr deutlich, dass die Gelackmeierten letztlich die Leistungsträger in unserer Gesellschaft wären.
So können wir keine sachgerechte Politik betreiben.
({4})
Sehr entlarvend ist die Politik der Linken auch im
Hinblick auf ihr eigenes Handeln. In Berlin regieren die
Linken ja mit.
({5})
Daher sollte man sich einmal in Erinnerung rufen, was
der Berliner Senat alles zuwege gebracht hat. In den vergangenen Jahren wurden bei den Hilfen für Erziehung in
Kinder- und Jugendeinrichtungen 160 Millionen Euro
gestrichen.
({6})
140 Jugendeinrichtungen wurden geschlossen, und beim
Kitapersonal wurde auch gespart.
({7})
Das sind letztendlich die Auswirkungen der linken
Politik auf unser Land. Hier im Deutschen Bundestag
fordern Sie größtmögliche soziale Leistungen,
({8})
während Sie dort, wo Sie Verantwortung tragen, die Mittel für die Menschen reduzieren.
({9})
Das zeigt sich sehr deutlich.
({10})
Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lötzsch?
Ja.
Bitte sehr.
({0})
Sehr geehrter Kollege Straubinger, ist Ihnen eigentlich das Prinzip der Trägervielfalt bekannt? Ist Ihnen bekannt, dass die Übertragung einer Jugendeinrichtung an
einen freien Träger - vielleicht sogar an einen kirchlichen Träger, was Ihnen als Bayer sicher besonders am
Herzen liegen würde ({0})
etwas anderes als eine Schließung ist?
({1})
Frau Kollegin, die kirchlichen Träger werden Sie garantiert nicht mit Aufgaben betrauen, weil Sie ein gespaltenes Verhältnis zu den Kirchen haben. Sie stehen ja
dafür, dass der Religionsunterricht in Berlin abgeschafft
wird.
({0})
- Ja, natürlich. - Sie brauchen mir hier also nicht mit den
kirchlichen Trägern zu kommen.
Darüber hinaus glaube ich wirklich, dass das nichts
damit zu tun hat, dass man die Aufgaben anderen zugewiesen hat. Tatsache ist: Der Berliner Senat hat letztendlich die Unterstützung für sozial bedürftige Menschen
maßlos reduziert. Das ist das Ergebnis der linken Politik.
({1})
Verehrte Damen und Herren, es geht aber natürlich
auch darum, wie der Regelsatz richtig festgesetzt wird.
Die Grünen, aber auch die Linken fordern ja, dass die
Regelsätze zukünftig entsprechend den Preissteigerungsraten und nicht mehr nach den Rentensteigerungen, wie
das jetzt geschieht, angepasst werden. Das würde aber
bedeuten, dass die Sozialhilfeempfänger in unserem
Land schlechter gestellt werden würden, als wenn die
Anpassung nach wie vor gemäß der Rentenformel erfolgen würde. Wenn man die vergangenen 25 Jahre
betrachtet, dann zeigt sich sehr deutlich, dass für die Sozialhilfeempfänger die Anpassung nach der Rentenentwicklung besser war, als wenn die Regelsätze an die
Preissteigerungsraten angepasst worden wären.
Vielleicht auch noch zur Erhellung ein paar Sätze
dazu, wie sich dies insgesamt entwickeln könnte. Wenn
die Preissteigerungsraten hoch sind - damit rechnen die
Linken und die Grünen ja immer -, dann müssen auch
die Regelsätze kräftig angehoben werden. Wenn die
Preissteigerungsrate sinkt: Sollen dann möglicherweise
auch die Regelsätze wieder sinken?
({2})
Nur ein Beispiel: Mittlerweile schwächt sich der
Preisauftrieb im vierten Monat hintereinander ab.
({3})
Betrug der Preisanstieg im August noch 3,1 Prozent, so
fiel er im Monat September auf 2,9 Prozent, im Oktober
auf 2,4 Prozent und im November, also aktuell, auf
1,4 Prozent - jeweils gegenüber den Preisen der Vorjahresmonate gerechnet. Dadurch zeigt sich sehr deutlich,
dass es kein richtiger Maßstab sein kann, die Regelsätze
anhand der Preissteigerungsraten zu verändern.
({4})
Verehrte Damen und Herren, wir haben auch gut daran getan, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur Grundlage der Regelsätze zu machen und uns
vom Warenkorbmodell zu verabschieden. Ich glaube,
dass dies auch eine wichtige Veränderung war, weil die
Zusammenstellung des Warenkorbs natürlich immer kritikwürdig ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es sicherlich entscheidender, auf die Verbräuche der Familien und
Alleinstehenden abzustellen, die unterdurchschnittlich
verdienen. Aus dieser Sicht haben wir eine gute Grundlage geschaffen.
Auch die Regelbedarfssätze für Kinder - der Herr
Staatssekretär hat bereits darauf hingewiesen - wurden
von den früheren Sozialhilfesätzen abgeleitet. Über die
Höhe der normalen Regelbedarfssätze kann man sich
streiten. Zurzeit haben wir zwei Anpassungen bei Kindern: von 0 bis 14 Jahren und 14 Jahre und älter. Man
kann darüber diskutieren, ob man zukünftig drei Altersgruppen schafft. Das ist sicherlich eine Diskussion wert;
das können wir aufnehmen. Aber ich bin überzeugt, dass
das Warenkorbmodell keine gute Grundlage für einen
Regelsatz darstellt. Ich habe einmal den Eiweißbedarf
eines Kindes ausrechnen lassen und die Frage gestellt,
ob dieser mit einem Schnitzel vom Discounter oder mit
einem aus dem Bioladen gedeckt wird.
({5})
Ich glaube, dass wir eine richtige Grundlage haben,
nämlich die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, und
dass vor allen Dingen auch die Überprüfung in den Fünfjahreszeiträumen eine gute Grundlage darstellt. Wenn es
notwendig ist, Änderungen vorzunehmen, sind wir bereit, frühzeitig auf diese Änderungen einzugehen.
({6})
Dies ist meines Erachtens eine sehr sachgerechte Politik.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Strengmann-Kuhn?
Ja, bitte schön.
({0})
Bitte sehr.
Herr Straubinger, ist Ihnen bekannt, dass das Landessozialgericht in Darmstadt beschlossen hat, dass die Ermittlung der Kinderregelsätze verfassungswidrig ist, und
dass das demnächst vom Bundesverfassungsgericht behandelt wird? Sind Sie bereit, nicht nur unsere, sondern
auch die Argumente des Landessozialgerichts Darmstadt
zur Kenntnis zu nehmen und nicht erst darauf zu warten,
dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung
wieder einmal auffordern muss, sozialpolitisch nachzubessern?
({0})
Herr Kollege, mir ist dieses Gerichtsurteil nicht bekannt. Aber es gibt sehr viele Gerichtsurteile, die die jetzige Regelsatzregelung akzeptieren bzw. für rechtens
erkennen. Wir können diesen juristischen Streit, der geführt wird, nicht im Parlament entscheiden. Er wird dann
eben gerichtlich entschieden werden.
Herr Kollege Straubinger, mir liegt der Wunsch nach
einer Zwischenfrage des Kollegen Brauksiepe vor.
Ja.
Bitte sehr.
({0})
Herr Kollege Straubinger, sind Sie bereit, den Kollegen darüber aufzuklären, dass es im Jahr 2006, für das
die letzte aktuelle Statistik vorliegt, auf den verschiedenen Ebenen - vom Sozialgericht über das Landessozialgericht bis zum Bundessozialgericht - 101 329 Gerichtsverfahren gegeben hat - diese Zahl steigt aus diversen
Gründen tendenziell eher noch - und es daher seit dem
Bestehen des SGB II rund eine halbe Million Verfahren
in diesem Bereich gab und jedes Gericht das Recht gehabt hätte, ein Vorlageverfahren beim Bundesverfassungsgericht zu machen, wenn es Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gehabt hätte, und dass die rund halbe
Million Prozesse, die ohne ein solches Vorlageverfahren
geendet sind, mindestens genauso zu respektieren sind
wie der eine Fall, bei dem jetzt ein Gericht ein solches
Vorlageverfahren angestrengt hat?
Ich bin gerne bereit, ihm das weiterzuleiten.
({0})
Verehrte Damen und Herren, es wurde natürlich auch
heute wieder das Schulstarterpaket thematisiert. Vor allen Dingen wird hier immer wieder als Kritik angeführt,
dass es nur bis zum 10. Schuljahr gilt.
({1})
- Das ist richtig.
({2})
- Nein, das ist nicht falsch. Ich bin der Meinung, dass
der Bedarf an Betreuung auch für Kinder gegeben ist,
die bereits eingeschult sind. Hier haben wir in der Koalition unterschiedliche Auffassungen.
Wir sind auch dafür, dass das Schulstartergeld ausgeweitet wird. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Steuerbefreiung von Arbeitgeberleistungen zur Kinderbetreuung auf schulpflichtige Kinder bis zum vollendeten
14. Lebensjahr ausweiten. Ich bin überzeugt, dass auch
die Kolleginnen und Kollegen von der SPD unser Ansinnen unterstützen werden. Dann können wir gemeinsam
die notwendigen Ausweitungen beschließen.
Ich darf zum Schluss kommen. Ich glaube, wir haben
eine vernünftige Grundlage für die Unterstützung sozial
bedürftiger Menschen. Aber es ist auch wichtig, über die
erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung
zu erreichen, dass möglichst viele Menschen eigenes Erwerbseinkommen erzielen können. Das ist sicherlich
eine der wichtigsten Aufgaben für die zukünftige Arbeit
in diesem Hause.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will
ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11425 bekanntgeben: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 102, mit Nein 450. Enthalten haben sich 5.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 557;
davon
ja: 102
nein: 450
enthalten: 5
Ja
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({0})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({1})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({2})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({3})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({4})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({5})
Volker Beck ({6})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({7})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({8})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({9})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Peter Albach
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({10})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({11})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({12})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({13})
Dirk Fischer ({14})
Axel E. Fischer ({15})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({16})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({17})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({18})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({19})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({20})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({21})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({22})
Stefan Müller ({23})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({24})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({25})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({26})
Anita Schäfer ({27})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({28})
Andreas Schmidt ({29})
Ingo Schmitt ({30})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({31})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({32})
Gerald Weiß ({33})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({34})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({35})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({36})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({37})
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({38})
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({39})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({40})
Frank Hofmann ({41})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({42})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({43})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({44})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({45})
Michael Müller ({46})
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({47})
Michael Roth ({48})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({49})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({50})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Otto Schily
Ulla Schmidt ({51})
Silvia Schmidt ({52})
Renate Schmidt ({53})
Heinz Schmitt ({54})
Carsten Schneider ({55})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({56})
Swen Schulz ({57})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({58})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({59})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Diana Golze
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({60})
Volker Schneider
({61})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
SPD
Dr. Wolfgang Wodarg
DIE LINKE
Dr. Hakki Keskin
Kersten Naumann
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
({62})
Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Nun fahren wir fort mit der Debatte. Ich erteile als
nächstem Redner dem Kollegen Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke das Wort.
({63})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Straubinger, ich finde, über das Thema
Berlin sollten Sie nicht so frei reden, wie Sie es tun, und
zwar aus folgendem Grunde. Es war die Union, die in
Berlin die bis dahin größte Bankenkrise in der Geschichte Deutschlands verursacht hat.
({0})
SPD und Linke mussten dann versuchen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.
Im Übrigen hätten Sie auch gerne erwähnen dürfen,
dass in Berlin das letzte Jahr des Besuchs der Kindertagesstätte beitragsfrei ist. Davon können die Eltern in
Bayern nur träumen. Auch das ist eine Tatsache.
({1})
- Hören Sie auf!
Sie haben von Erziehungshilfen gesprochen und wissen offenbar nicht, dass es Erziehungshilfen für Kinderbetreuungseinrichtungen gar nicht gibt. Diese Hilfen
sind immer individueller Natur. Sie quatschen also von
Sachen, von denen Sie keine Ahnung haben.
({2})
Das ist zwar Ihr gutes Recht, aber man muss das wenigstens ansprechen.
Die Zwischenfrage, die unterstützend gestellt wurde,
ist deshalb ein starkes Stück, weil die Union auch noch
stolz darauf ist, dass es eine halbe Million Klagen gibt,
statt daraus zu schließen, wie unzufrieden die Menschen
sind. Sonst würde es diese Zahl von Klagen ja nicht geben.
({3})
Wir haben es jetzt mit einer gewaltigen Finanz- und
Wirtschaftskrise zu tun. Es gibt sich ständig wiederholende Beratungsrunden bei der Kanzlerin, aber es wird
so gut wie nichts entschieden. Die Ausnahme kenne ich:
Innerhalb einer Woche konnte entschieden werden, einen Schutzschirm für die Banken mit einem Volumen
von 480 Milliarden Euro aufzuspannen.
({4})
Wenn es aber wie jetzt um die Wirtschaftskrise, die
Sicherung von Arbeitsplätzen, die Sozialleistungen und
die Kaufkraft geht, kommt die Regierung nicht zu Potte.
Sie tagt Woche für Woche, aber es kommt nichts Nennenswertes zustande.
({5})
Wo bleiben Ihre Schlussfolgerungen aus dieser Krise?
Wo bleiben Ihre Gesetzentwürfe zur Regulierung der
Hedgefonds oder der Zweckgesellschaften? Wo bleiben
Maßnahmen gegen Schuldverbriefungen und für stabile
Wechselkurse? Denkbar sind auch Initiativen zur Schließung von Steueroasen. Sie unternehmen aber nichts dergleichen. Damit steuern wir auf die nächste Krise zu.
({6})
Eine Ursache der Finanzkrise ist übrigens auch die
ungerechte Verteilung der Güter in allen führenden Industriegesellschaften, also auch in Deutschland. In den
letzten Jahren - sowohl unter Kanzler Schröder als auch
unter Kanzlerin Merkel - hat in Deutschland nicht nur
die Armut zugenommen, sondern auch der Reichtum in
den Händen weniger ist maßlos geworden. Dagegen unternehmen Sie nichts.
({7})
Der Staatssekretär hat darauf hingewiesen - das begrüße ich -, dass man nicht nur Anträge vorlegen und
Regelsätze erhöhen, sondern die Menschen in Arbeit
bringen soll. Dagegen haben wir auch nichts. Die meisten Anträge dazu haben wir vorgelegt.
({8})
- Warten Sie doch ab! Ich nenne ein Beispiel: In Berlin
- weil Sie Berlin angesprochen haben - gibt es im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor über
4 000 Beschäftigte, die Löhne ab 1 300 Euro beziehen.
Alle sind vermittelt worden. Dazu sind auch Bundesund Landesmittel eingesetzt worden. Wer, glauben Sie,
hat wohl die größten Schwierigkeiten bei der Verwendung dieser Mittel gemacht? Ihr Ministerium, Herr
Staatssekretär! Sie wollten das nicht. Sie wollten lieber
die Arbeitslosigkeit finanzieren. Das ist die Wahrheit.
({9})
Nun haben wir gesagt: Wenn wir schon Hartz-IVEmpfängerinnen und -Empfänger haben, müssen wir etwas dagegen tun. Ihr Lösungsansatz, Menschen in Arbeit zu bringen, besteht nur in 1-Euro-Jobs. Das ist das
Prekärste, was man sich vorstellen kann. Schaffen Sie einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor! Das
hilft tatsächlich.
({10})
Abgesehen davon gibt es 7 Millionen Menschen - das ist
doch nicht nichts -, die ausschließlich oder zusätzlich
von Hartz IV leben. Wir haben 2,4 Millionen arme Kinder. Eine der reichsten Gesellschaften auf der Erde leistet sich 2,4 Millionen arme Kinder! Das ist nicht hinnehmbar, und das müsste Sie genauso stören wie uns.
Dagegen müssen Sie endlich Schritte unternehmen.
({11})
Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Stöckel?
Ja.
({0})
Herr Kollege Meckelburg, ich habe zuerst die Meldung von Herrn Stöckel gesehen. Anschließend frage ich
dann, ob auch Ihre Zwischenfrage zugelassen wird.
Herr Kollege Stöckel.
Herr Kollege Gysi, ich habe nur eine ganz kurze
Frage. Stimmen Sie mir zu, dass dann, wenn Ihr Antrag
angenommen würde und die Bundesregierung zusammen mit den Bundesländern die Regelsätze entsprechend
erhöhte, nicht nur 7 Millionen Menschen, sondern Hunderttausende Menschen mehr ergänzende Grundsicherung bekämen und dann in Hartz IV wären, wie Sie es
nennen? Das wäre bei jeder Rechtsausweitung der Fall.
Sie würden dann im nächsten Jahr argumentieren, die
Armut sei wieder gewachsen.
({0})
Was Sie sagen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn Sie Sozialleistungen verstärken und damit die Armut überwinden, können Sie nicht sagen, dass es ein Problem ist, wenn mehr
Menschen Sozialleistungen erhalten. Ganz im Gegenteil:
Damit lösten wir Probleme in der Gesellschaft. Das ist
das Entscheidende.
({0})
Herr Kollege Gysi, bevor Sie mit Ihrer Rede fortfahren, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es
einen weiteren Wunsch des Kollegen Meckelburg nach
einer Zwischenfrage gibt.
Ich weiß gar nicht, was heute los ist, Frau Präsidentin.
({0})
Das ist in diesem Jahr der letzte Sitzungstag.
Bitte, Herr Meckelburg.
Herr Kollege Gysi, ich wollte eigentlich dieselbe
Frage wie Herr Stöckel stellen, der die Tatsachen richtig
beschrieben hat. Nehmen Sie Folgendes zur Kenntnis:
Wenn wir in Deutschland über Armut sprechen - das hat
der Staatssekretär eben gesagt -, dann reden wir nicht
über Armut in Entwicklungsländern. Wir alle haben uns
darauf geeinigt, dass Armut ein relativer Begriff ist.
Wenn man einen bestimmten Prozentsatz des Durchschnittseinkommens nicht erreicht, gilt man als arm.
Wenn Sie die Regelsätze erhöhen, erhöhen Sie natürlich
das, was die Menschen bekommen. Damit bringen Sie
aber am Ende statistisch mehr Menschen in Armut. So
sorgen Sie für eine Steigerung. Das Gegenteil dessen,
was Sie beabsichtigen, ist dann der Fall. Sie erhöhen die
Armutsquote. Ich bleibe dabei.
Darf ich Ihnen sagen, dass Sie irren?
({0})
Denn es geht immer um den Durchschnitt der Lohn- und
Gehaltseinkommen. Da es sich hier nicht um Lohn- und
Gehaltseinkommen handelt, können Sie die Regelsätze
erhöhen, wie Sie wollen, ohne dass sich der Durchschnitt
der Löhne und Gehälter verändert. Was Sie sagen, ist
also noch nicht einmal statistisch gesehen richtig. Entscheidend ist aber, die reale Armut zu überwinden.
({1})
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrem Vergleich mit
den Entwicklungsländern sagen. Herr Kollege, ich weiß,
dass die Bedingungen in Deutschland anders sind als die
in Uganda. Aber damit können Sie sich nicht ernsthaft
herausreden; denn der Maßstab für Hartz-IV-Empfänger
ist Deutschland und nicht Uganda, und das auch zu
Recht.
({2})
Lassen Sie mich auf einen weiteren Gesichtspunkt zu
sprechen kommen: die Gleichmacherei. Eigentlich wird
immer uns Linken vorgeworfen, dass wir dazu tendieren,
Gleichmacherei zu betreiben.
({3})
Aber Sie betreiben bei Hartz IV die größte Gleichmacherei in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das will ich Ihnen beweisen. Nehmen wir als Beispiel einen Ingenieur und einen Pförtner. Beide arbeiten
30 Jahre, der eine als Pförtner, der andere als Ingenieur.
Sie werden mir recht geben, dass sich die beiden einen
unterschiedlichen Lebensstandard aufbauen, weil der
Pförtner deutlich weniger verdient als der Ingenieur.
Nach 30 Jahren werden beide arbeitslos. Dann bekommen beide ein Jahr lang Arbeitslosengeld I; das sind
etwa 60 Prozent dessen, was sie zuvor verdient haben.
Damit können sie so gerade ihren jeweiligen Lebensstandard im Kern aufrechterhalten, wenn auch unter
schwierigeren Bedingungen. Sie, meine Damen und
Herren von der Großen Koalition, sagen nun: Ein Jahr
später gilt für beide absolut das Gleiche, bei der Größe
der Wohnung, beim Sparguthaben, beim Auto, generell.
Sie sagen dem Pförtner, dein Lebensstandard muss noch
ein Stück sinken, und dem Ingenieur, dein Lebensstandard muss meilenweit sinken, denn wir behandeln euch
völlig gleich. Ich muss sagen: Das ist die größte Gleichmacherei in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland, nicht von den Linken angerichtet, sondern
von Ihnen. Das muss man der Gesellschaft deutlich sagen.
({4})
Jetzt kommen wir zu den Regelsätzen. Sie haben geregelt, dass ab dem 1. Juli 2008 Erwachsene einen Sockelbetrag von 351 Euro, Kinder bis zum 13. Lebensjahr
211 Euro und Kinder vom 14. bis zum17. Lebensjahr
281 Euro bekommen. Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sagt, dass das Armutsrisiko bei 938 Euro beginnt. Ich will damit nur
deutlich machen, wie weit die Regelsätze von dieser
Feststellung der Bundesregierung entfernt sind.
Nun haben wir uns die Preissteigerungen angeschaut. Was ist daran eigentlich so falsch? Seit es
Hartz IV gibt, hatten wir eine Preissteigerung in Höhe
von 8 Prozent. Sämtliche Erhöhungen für Hartz-IVEmpfänger, die in diesem Zeitraum beschlossen wurden,
liegen unter der Preissteigerung von 8 Prozent. Das
heißt, real haben Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IVEmpfänger weniger, weil die Preissteigerung größer war
als die Steigerung ihrer Bezüge. Ergo muss man doch
daraus Schlussfolgerungen ziehen. Denn das reduziert
die Kaufkraft. Was Sie nicht verstehen, ist: Die Reduzierung der Kaufkraft trifft die Binnenwirtschaft. Das
Problem ist: Wenn Sie Herrn Ackermann wieder
100 Euro mehr geben, dann kauft er nicht für 100 Euro
mehr,
({5})
sondern er spekuliert mehr mit diesen 100 Euro; wenn
Sie aber einer Hartz-IV-Empfängerin 10 Euro mehr geben, dann gibt sie die aus. Das stärkt die Binnenwirtschaft. Das ist der Unterschied, auf den Sie niemals eingehen.
({6})
Wir wollen den Sockelbetrag auf 435 Euro erhöhen,
den Betrag für Kinder bis 13 Jahre auf 261 Euro und den
für Kinder vom 14. bis zum 17. Lebensjahr auf 348 Euro.
Das kostete 7 Milliarden Euro. Ein Argument gegen
diese Forderung ist unzulässig: Sie können nicht mehr
sagen, Sie hätten das Geld nicht. Wenn Sie innerhalb einer Woche einen Schutzschirm von 480 Milliarden Euro
für die Banken bereitstellen, dann sollten Sie auch in der
Lage sein, diese 7 Milliarden Euro aufzubringen.
({7})
Unsere zweite Forderung, die ich übrigens auch sehr
wichtig finde, besteht in der jährlichen Anpassung
nach der Steigerung der Lebenshaltungskosten und nicht
nach den Steigerungsraten der Renten - das ist der falsche Weg -, weil auch die Rentner jährlich reale Einkommensverluste haben.
({8})
Jetzt haben wir Bildungsgeld gefordert. Immerhin
sind Sie darauf eingegangen. Wenn Sie den Eltern oder
den alleinerziehenden Müttern oder Vätern 100 Euro für
Bildungsaufwendungen für die Kinder geben, dann müssen Sie von der Union mir aber erklären, warum Sie
diese Summe nur für Kinder bis zur 10. Klasse geben
wollen. Was haben Sie eigentlich dagegen, dass Kinder
von Hartz-IV-Empfängern das Abitur machen?
({9})
Warum geben Sie das Geld nicht auch für Kinder, die die
11., 12. und 13. Klasse besuchen?
({10})
Der Bundesrat hat das gerade abgelehnt, und dafür tragen Sie die Verantwortung. Erklären Sie es den Eltern!
Ich kann es ihnen nicht erklären. Ich finde, das ist völlig
daneben.
({11})
Dann reiten Sie, Herr Staatssekretär, immer auf dem
Lohnabstandsgebot herum. Darf ich Ihnen sagen, dass
die Linke - eigentlich mit der SPD, aber die macht nichts
diesbezüglich hier im Bundestag - beantragt hat, einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einzuführen? Wenn wir den hätten, dann hätten wir
auch das Lohnabstandsgebot erfüllt.
({12})
Aber leider bewegt sich das Haus nicht. Sie von der
Union verhindern den flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn, und dann regen Sie sich darüber auf, dass
der Abstand zwischen Lohn und Sozialhilfe nicht mehr
ausreichend sei. Das ist schon grotesk.
({13})
Stimmen Sie doch einem flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohn zu! Von 27 EU-Mitgliedsländern haben
20 Länder einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, nur Deutschland meint, es sei schlauer. Das ist
der falsche Weg.
({14})
Sie sind auf die durchschnittliche Steuerquote eingegangen und haben gesagt, wenn unsere Forderung erfüllt
würde, müssten das die Leute bezahlen. Wie kommen
Sie denn darauf? Es gibt sehr unterschiedliche Steuern.
Warum kennen Sie eigentlich nur die Einkommensteuer?
Wir haben uns überlegt, wie man Steuern gerecht erhöhen kann: zum Beispiel indem man den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer erhöht, gleichzeitig den
Steuerbauch beseitigt, was jetzt auch die CSU will, und
am unteren Ende die Freibeträge erhöht. Das ist unser
Vorschlag.
({15})
Herr Kollege, ich muss Ihren Redefluss unterbrechen
und Sie bitten, auf die Redezeit zu achten.
Mein letzter Satz: Man kann die Vermögensteuer oder
eine Abgabe für Millionäre einführen. Man kann vieles
machen, um Steuergerechtigkeit herzustellen. Sie müssten nur den Mut haben, Armut zu bekämpfen, indem Sie
Reichtum begrenzen. Aber den Mut haben Sie nicht.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Nächste Woche ist
der 24. Dezember, ein besonderes Datum.
({0})
Aber der 24. eines Monats ist generell ein besonderes
Datum; denn an diesem Tag jedes Monats geht einem
Familienhaushalt, der Arbeitslosengeld II erhält und der
sich im ernährungswissenschaftlichen Sinne richtig ernährt, das Geld fürs Essen aus. - Da brauchen Sie gar
nicht zu lächeln; das steht im 7. Familienbericht der
Bundesregierung aus dem Jahr 2006, Bezug nehmend
auf eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung, in der genau dies festgestellt wird.
Es mangelt also nicht an Erkenntnissen in diesem Bereich; es mangelt auch nicht an anderen, weiteren Erkenntnissen. Wir konnten schon im Jahre 2001 Studien
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur Kenntnis
nehmen. In diesem Jahr ist erneut eine Expertise speziell
zum Bedarf von Kindern vorgelegt worden. Es gibt eine
Untersuchung der Armutsforscherin Irene Becker. Im
Prinzip ist die Situation, wie auskömmlich oder eben
nicht auskömmlich der Regelsatz ist, also bekannt.
Ich will das Ganze einmal am Beispiel der Ernährung für die 14- bis 18-Jährigen darstellen, wiederum
unter Bezugnahme auf den von der Bundesregierung
vorgelegten 7. Familienbericht. Das ist also keine Zahl,
die ich erfunden habe. Es wird festgestellt, dass die 14- bis
18-Jährigen für Ernährung täglich 3,50 Euro zur Verfügung haben. Der Bedarf liegt aber, selbst wenn man bei
Discountern einkauft, bei circa 5 Euro täglich. Dies bedeutet eine Unterdeckung von fast einem Drittel. Das ist
ein fortwährender Skandal und müsste Sie jenseits von
Lohnabstandsgebot und Überlegungen anderer Art zumindest beschäftigen.
({1})
Ich frage mich tatsächlich, da wir diese Debatte hier
nicht zum ersten Mal führen und auch diese Zahlenzusammenhänge nicht zum ersten Mal vorgelegt werden,
({2})
warum keine Bewegung zu verzeichnen ist und warum
sich nichts tut.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Kurth. - Ich vermute, dass
es vielen Kolleginnen und Kollegen hier ähnlich geht
wie mir: Ich habe den 7. Familienbericht der Bundesregierung nicht so parat, dass ich beurteilen könnte, auf
welches Jahr er sich bezieht. Wenn er 2006 erschienen
ist, könnte es dann sein, dass er sich auf das Jahr 2005
bezieht, als Rot-Grün regiert hat?
({0})
Es ist durchaus möglich, dass er sich auf das Jahr
2005 bezieht. Das ändert doch aber - unabhängig davon,
wer die politische Verantwortung hat - nichts an den
Zahlen, und es ändert überhaupt nichts daran, dass offensichtlich auch schon damals der Regelsatz für Kinder
und Jugendliche nicht ausreichend war. Wenn wir als
Grüne dies jetzt im Nachhinein feststellen und Korrekturbedarf geltend machen, dann ist das nur folgerichtig,
und ich sehe daran, dass es bei uns einen Erkenntnisfortschritt gab, auf den Sie offensichtlich leider noch warten
müssen, und das, obwohl es - einen Moment noch, bitte ({0})
in den vergangenen Jahren, also seit 2005, einen erheblichen Preisanstieg gegeben hat, und zwar insbesondere
bei Lebensmitteln.
({1})
Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, war insbesondere im Bereich der Nahrungsmittel ein Plus von
4,6 Prozent zu verzeichnen.
({2})
Die Dringlichkeit ist also noch größer geworden, und
ich frage mich, warum es keine Bewegung gibt.
({3})
Der Haushalt kann an dieser Stelle nicht der einzige Beweggrund sein; denn an anderer Stelle liegt Ihnen die
Haushaltskonsolidierung nicht so sehr am Herzen.
Ich mache Ihnen nicht einmal den Vorwurf, Sie hätten
keinen Kontakt zur Realität. Zumindest denjenigen Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitikern, die hier sitzen,
unterstelle ich einmal, dass sie bestimmte Einrichtungen
wie Tafeln, Jobcenter und dergleichen aufsuchen und
durchaus Kontakt zu den Personen haben,
({4})
ausgenommen vielleicht solche Zyniker wie Thilo
Sarrazin oder jener Chemnitzer Professor, der meinte,
man könnte mit noch weniger auskommen.
Nein, ich glaube, der Grund liegt darin, dass Sie die
Perspektive derjenigen, die mit diesem Geld ganz konkret auskommen müssen, nicht übernehmen und das
auch nicht an sich heranlassen, dass Sie sich nicht vorstellen können, wie man von 40 Euro im Monat Bekleidung und Schuhe tatsächlich bezahlen soll. Es fehlt ein
Mindestmaß an Empathie und innerem Nachvollziehen.
({5})
Ich bekomme Briefe wie diesen hier von einer alleinerziehenden Mutter mit vier schulpflichtigen Kindern
- ich erfinde das jetzt nicht; ich habe den Brief bekommen; daraus möchte ich zitieren -:
Jetzt, da die Kinder größer sind, weiß ich nicht, wie
ich noch wirtschaften soll. Meine Söhne sind zwischen 12 und 20 Jahre alt. Sie müssen doch auch
mal mit den Klassenkameraden in ein Café gehen
können oder zum Fußball. Sie brauchen manche
Sachen einfach, weil alle Jugendlichen das haben.
Mein Ältester
- er steht vor dem Abitur, wie sie mir gesagt hat hat sich schon überlegt, die Schule aufzugeben und
zu versuchen, Geld zu verdienen. Ich finde es traurig, dass ein junger Mensch so denkt, dass er sich
eventuell seine Chancen selbst verbaut.
({6})
Da frage ich mich schon, ob es zutrifft, wenn hier gesagt wird, etwa von Herrn Staatssekretär Thönnes, es
gehe um Bildung und nicht um Geld. Es geht eben doch
auch um Geld. Man kann Bildung und Geld an dieser
Stelle nicht gegeneinander ausspielen. An diesem Beispiel wird das überdeutlich.
({7})
Ich fordere Sie auf, darüber wirklich noch einmal
nachzudenken. Natürlich ist Betroffenheit allein kein guter Ratgeber. Mir ist schon klar, dass man damit allein
nicht Politik machen kann; das unterscheidet uns an vielen Stellen von den Linken.
Ich weiß, dass es mehr Personen geben wird, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, wenn die Regelsätze
erhöht werden. Herr Gysi, mit dem, was Herr
Meckelburg und Herr Stöckel eingewandt haben, nämlich dass ein höherer Regelsatz mehr Anspruchsberechtigte und mehr Aufstocker bedeutet, haben sie durchaus
recht. Wir haben das in Gutachten untersuchen lassen.
Das heißt, wir müssen überlegen, wie man zusätzlich zur
Regelsatzerhöhung vorgelagerte Systeme stärken kann,
um einen solchen Anstieg zu verhindern. Ich nenne die
Wohngeldanpassung.
({8})
Der Mindestlohn, der hier schon mehrfach erwähnt worden ist, spielt dabei eine ganz zentrale Rolle.
Zusätzlich schlagen wir vor, bei niedrigen Einkommen die Sozialversicherungsbeiträge besonders zu bezuschussen, damit auch dort mehr Netto vom Brutto bleibt.
Auf diese Art und Weise können wir den Anstieg eindämmen bzw. die Zahl sogar zurückführen. Eine Regelsatzerhöhung und eine Stärkung vorgelagerter Systeme
zu verzahnen und das mit aktiver Arbeitsmarktpolitik zu
verbinden, ist ein politisches Konzept, das auch darstellbar ist.
({9})
Sie könnten sich die Empathie für die Betroffenen
wenigstens so weit zu eigen machen, dass das als Impulsgeber wirkt, in diese Richtung nachzudenken und
den Bundesländern zu folgen, auch den von Ihnen regierten, die am 23. Mai eindeutig gefordert haben, zumindest bei den Regelleistungen für Kinder eine andere
Berechnung zugrunde zu legen. Mir scheint es manchmal so zu sein, dass die Große Koalition oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die letzten Mohikaner in diesem Land sind, die die Augen vor der
Realität verschließen.
({10})
Abschließend: Für den Fall, dass Sie nicht aus sozialpolitischen Erwägungen heraus handeln wollen, möchte
ich noch zwei andere Argumente in die Debatte einführen.
Sie von der Union reden gern über Steuersenkungen.
Eine Anhebung des Regelsatzes zöge eine Erhöhung des
steuerlichen Grundfreibetrages nach sich, würde also gerade die niedrigen und niedrigsten Einkommen steuerlich zusätzlich entlasten; Gleiches gälte für andere Einkommen, weil die Progression gemildert würde. Eine
Anhebung des Regelsatzes wäre also gleichzeitig ein
Steuerentlastungsprogramm.
({11})
An die SPD gerichtet sage ich: Bevor Sie sich irgendwelche Gedanken um merkwürdige Konsumgutscheine
machen, sollten Sie den viel näherliegenden Weg wählen: Eine Anhebung des Regelsatzes wird unmittelbar
wirksam werden für die Binnennachfrage, und das ist in
der gegenwärtigen konjunkturellen Lage absolut das Gebot der Stunde.
({12})
Machen Sie die Einwände, die Sie haben, also nicht
zu Vorwänden dafür, einfach überhaupt nichts zu tun,
sondern versuchen Sie einfach einmal, Lebenssituationen nachzuvollziehen und mit einer ökonomisch sinnvollen und sozialpolitisch dringend gebotenen Argumentation zu verknüpfen! Wir als Bündnis 90/Die Grünen
versuchen das jedenfalls. Wir haben klare Konzepte
dazu vorgelegt. Ich kann Sie nur auffordern, unseren Anträgen zu folgen, so wie das in Teilen sämtliche Bundesländer schon getan haben.
Vielen Dank.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele HillerOhm für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei Anträge liegen uns vor. Wir werden alle drei Anträge ablehnen. Die Linksfraktion fordert eine Aufstockung des Eckregelsatzes für Erwachsene von derzeit
351 Euro auf 435 Euro. Die Grünen sprechen sich - sie
sind etwas bescheidener - für eine Aufstockung auf
420 Euro aus. Diese Forderungen passen gut zu Weihnachten, nicht jedoch in die Systematik der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Mit dieser Stichprobe
werden nämlich die tatsächlichen, statistisch ermittelten
Verbrauchsausgaben von Haushalten in den unteren Einkommensgruppen bemessen. Diese Forderungen passen
auch nicht zu den Forderungen der Linken, Länder und
Kommunen von Sozialleistungen zu entlasten; denn natürlich würden die 10 Milliarden Euro, die die Erhöhung
pro Jahr in etwa kostet, auch von Ländern und Kommunen zu stemmen sein.
Wir halten es auch für falsch, die Regelsätze an die
Entwicklung der Lebenshaltungskosten zu koppeln, wie
es Grüne und Linke in ihren Anträgen fordern. Dies
hätte eine ungerechtfertigte Besserstellung der Transferleistungsbezieher gegenüber den Erwerbstätigen und den
Rentnerinnen und Rentnern zur Folge. Das wollen wir
nicht.
Aber es ist richtig, dass wir das Thema Kinderregelsätze debattieren. Hier besteht Handlungsbedarf. Die
Kinderregelsätze basieren nicht unmittelbar - wie die
Erwachsenenregelsätze - auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe; sie orientieren sich - je nach Alter
des Kindes - an dem Regelsatz eines alleinlebenden Erwachsenen. Dies ist ein Bruch im System; denn es wird
nicht der reale Verbrauch von Kindern erfasst.
({0})
Das Prinzip der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
sollte jedoch für alle beteiligten Gruppen gleichermaßen
gelten.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Einsetzung
einer Kommission, die die Bedarfe für Kinder ermittelt ein interessanter Vorschlag. Wie aber, so frage ich Sie,
wollen Sie dies in Einklang mit der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe bringen, die Sie gemeinsam mit
uns unter Rot-Grün noch für richtig befunden haben?
Die Einsetzung einer Kommission wäre eine Abkehr von
der bisherigen Systematik der Regelsatzbemessung. Ob
dies gut wäre, muss ernsthaft bezweifelt werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kurth?
Ich möchte jetzt gerne fortfahren.
Auch Menschen, die auf staatliche Transferleistungen
angewiesen sind, haben ein Recht darauf, als mündig
handelnde Bürgerinnen und Bürger anerkannt zu werden. Das unterstreichen wir mit der gegenwärtigen Regelsatzbemessung anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Nicht wir oder irgendwelche
Experten sagen, wofür Menschen mit kleinen Einkommen ihr Geld auszugeben haben; sie bestimmen es selbst und das ist auch richtig so.
({0})
Wir sollten genauso bei den Regelsatzbemessungen
für Kinder verfahren. Natürlich muss sich das Verbrauchsverhalten nicht zwangsläufig mit den tatsächlichen Bedarfen decken. Doch dieses Problem trifft nicht
nur auf Eltern und Kinder im Sozialleistungsbezug zu.
Um die Entwicklungschancen für alle Kinder zu verbessern, müssen wir deshalb den Blick viel stärker auf den
Ausbau der Infrastruktur richten, also auf den Ausbau
von Krippen, Kitas und Ganztagsschulen mit Verpflegung und Förderangeboten. Davon finde ich in den vorliegenden Anträgen von den Linken und den Grünen allerdings überhaupt nichts.
({1})
Wenn wir die derzeitigen Regelsätze für die Kinder
betrachten, sollten wir bedenken, dass eine stärkere Differenzierung hinsichtlich des Alters wichtig ist.
Das derzeitige Verfahren der Regelsatzbemessung
wurde in der Anhörung am 16. Juni von fast allen Sachverständigen für unzureichend erklärt. Auch der Bundesrat hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt und
am 23. Mai einen Beschluss dazu gefasst. Die Länder
wollen eine Berücksichtigung des kinderspezifischen
Bedarfs bei der Bemessung der Regelleistungen. Sie
sprechen sich darüber hinaus dafür aus, dass die Mittagsverpflegung in Schulen und Kindertagesstätten, dass
Lernmittel sowie Bildungs- und Betreuungsangebote am
Nachmittag durch die Leistungen nach dem SGB II und
dem SGB XII abgedeckt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich über
diese Initiative sehr gefreut. Es geht um die Kinder bedürftiger Eltern, und endlich ziehen die Länder einmal
an einem Strang. Irritiert hat mich allerdings, warum die
Länder das, was sie für notwendig halten, nicht selbst
bereits durchführen. Bildung ist Sache der Länder. Warum gibt es nicht in sämtlichen Bundesländern flächendeckend Ganztagsschulen mit Mittags- und Förderangeboten für alle Kinder? Warum haben wir in Deutschland
keine Schulen, in denen bedürftigen Schülerinnen und
Schülern die Lernmaterialien kostenlos zur Verfügung
gestellt werden?
({2})
Das, was die Länder fordern, liegt in ihrer eigenen politischen Verantwortung. Sie könnten es also tun. Warum
machen sie es nicht?
Der Beschluss der Bundesländer zeigt die Defizite,
aber durchaus auch den Willen zur Veränderung. Das ist
zu begrüßen. Ich erwarte jedoch, dass sich die Initiative
der Bundesländer nicht nur in Forderungen gegenüber
dem Bund erschöpft, sondern auch die Bereitschaft beinhaltet, die finanziellen Maßnahmen gemeinsam umzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Unterstützung bedürftiger Eltern mit schulpflichtigen Kindern
sind wir mit dem Schulbedarfspaket ein gutes Stück
vorangekommen. 100 Euro pro Schuljahr für Schulmaterial - das kostet den Bund rund 119 Millionen Euro. Die
Länder und Kommunen sind mit 2 Millionen Euro im
Jahr dabei. Für die betroffenen Kinder bedeutet das mehr
Bildungsgerechtigkeit. Das ist ein guter Schritt in die
richtige Richtung. Er sollte eigentlich auch die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Grünen und
der Linken finden.
Selbstverständlich, Herr Kurth und Herr Gysi, setzen
wir uns weiterhin mit aller Kraft dafür ein, dass das
Schulbedarfspaket für allgemein- und berufsbildende
Schulen nicht nur bis zur 10. Klasse, sondern selbstverständlich bis zum Abitur bereitgestellt wird.
({3})
Natürlich muss es auch bei der Neubemessung der
Kinderregelsätze vorangehen. Hier ist das Bundesministerium gefordert, einen Vorschlag vorzulegen. Das
ist sicherlich kein leichtes Unterfangen; denn der Vorschlag soll ja Hand und Fuß haben, wissenschaftlich abgesichert und transparent sein. Ich bin sehr auf das Ergebnis gespannt, das hoffentlich bald vorliegt. Dieses
Ergebnis böte eine solide Grundlage, um diese wichtige
Debatte fortzuführen und zügig bedürftige Kinder so zu
unterstützen, wie sie es brauchen.
({4})
Dies ist mein Wunsch zum Jahresbeginn 2009.
({5})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat zunächst der
Kollege Kurth.
({0})
Frau Hiller-Ohm, Sie haben gerade gefragt, warum
wir fordern, dass die Bemessung der Kinderbedarfssätze
von einer unabhängigen Kommission vorgenommen
wird, und wir nicht abwarten wollen, bis die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegt und herangezogen werden kann.
({0})
Es ist so - das können Sie in unserem Antrag nachlesen -, dass wir wollen, dass eine unabhängige Kommission unter anderem prüfet, wie man eine neu einzurichtende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe für
Kinder vornehmen kann.
({1})
Dass wir wollen, dass eine Bedarfserhebung unmittelbar
von unabhängigen Experten durchgeführt wird, liegt
darin begründet, dass die Regierung, die die Koalitionsfraktionen tragen, den Hinweis auf die Einkommensund Verbrauchsstichprobe seit Jahren nutzt, um trotz
jährlich größer werdenden Handlungsbedarfs Maßnahmen von Jahr zu Jahr zu verschieben, und selbst nichts
vornimmt.
({2})
Wir halten, wenn man so will, eine Art Soforthilfe für
dringend nötig. An dieser Stelle muss etwas passieren.
Man darf Maßnahmen nicht auf den Sankt-NimmerleinsTag verschieben.
Wir täten auch gut daran, aus den Erfahrungen zu lernen, die wir in den Jahren 2002 bis 2005 bei der Ermittlung der Regelsätze aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gesammelt haben. Es ist nämlich so
- das ist zumindest meine Wahrnehmung -, dass dadurch, dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
im Ministerium auf Regelsätze heruntergerechnet wird
und entsprechende Abschläge vorgenommen werden,
das ganze Verfahren nicht in dem Maße transparent und
unabhängig ist, wie es eigentlich sein sollte und wie es
notwendig wäre, damit die ermittelten Werte gesellschaftlich akzeptiert werden.
({3})
Frau Kollegin Hiller-Ohm.
Herr Kollege Kurth, eine Kommission würde an dieser Stelle aus meiner Sicht nichts bringen. Wir würden
uns weiterhin streiten, ob es zu viel oder zu wenig ist, ob
die Abschläge vom Ministerium richtig berechnet sind
oder nicht. Wir haben uns auf die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe als Grundlage geeinigt. Sie
wird, soweit ich weiß, von niemandem angezweifelt. Sie
ist ein gutes Instrument, viel besser als der bevormundende Warenkorb, den wir vorher als Grundlage hatten.
Deshalb sollten wir daran festhalten und auf dieser
Grundlage auch die Berechnung für die Kinder durchführen. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich, dass
wir diesen Weg gehen.
Eine Kommission würde dieses Prinzip aushebeln.
Was soll die Kommission denn machen? Sie kann doch
nicht den Verbrauch der Kinder im unteren Einkommensbereich ermitteln. Dieser Verbrauch wird von den
Statistikern ermittelt, die die Einkommens- und Verbrauchsstatistik erstellen und auswerten. Die Kommission könnte nur festlegen, was Kinder in unserer Gesellschaft für ihre Entwicklung brauchen, nicht aber, was sie
verbrauchen. Da wird es immer Unterschiede geben. Ich
habe in meiner Rede darauf hingewiesen. Dass Eltern
die Bedarfe ihrer Kinder nicht immer richtig decken, ist
nicht allein ein Problem der Leistungsbezieher und -bezieherinnen, sondern ein gesellschaftliches Problem, das
auch bei Eltern mit hohen Einkommen auftritt. Auch
dort gibt es zum Beispiel Fehlernährung; auch dort ist
nicht immer gesundes Essen auf dem Tisch, wie wir uns
das vielleicht vorstellen. Auch dort wird Geld für Dinge
ausgegeben, die der Bildung und der Gesundheit der
Kinder nicht unbedingt förderlich sind.
Das muss man sich vor Augen halten. Deshalb halte
ich es für besser, sich, wie wir das bei den Erwachsenen
machen, auch bei den Kindern an der Einkommens- und
Verbrauchsstatistik zu orientieren, also an dem tatsächlichen Verbrauch der Menschen im unteren Einkommensbereich, und anhand dieser Statistik zu überprüfen, wie
viel Geld für was ausgegeben wird.
({0})
Diese Übertragung ist sicherlich nicht so leicht. Aber
Herr Thönnes hat darauf hingewiesen, dass das jetzt im
Ministerium geprüft und vorbereitet wird. Herr Kurth,
auch ich bin ungeduldig und würde mir wünschen, dass
es schneller geht. Aber Herr Thönnes hat gesagt, dass
wir bald mit einem Ergebnis rechnen können. Dann können wir uns darüber weiter heftig streiten.
Ich halte von einer Kommission also nichts. Wir müssen auf der politischen Ebene über die Berechnung entscheiden. Wir haben uns auf die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe festgelegt, und das ist eine gute
Grundlage für die weiteren Schritte, die nötig sind, um
mehr Gerechtigkeit bei der Bemessung der Regelsätze
für die Kinder zu erreichen.
({1})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Heinz-Peter
Haustein für die FDP-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weihnachten steht vor der Tür. Alle
meinen, Weihnachten ist vollkommen, wenn Schnee
liegt, wenn weiße Weihnacht ist wie im Erzgebirge.
Aber nichts ist vollkommen, auch das System der sozialen Marktwirtschaft nicht. Die soziale Marktwirtschaft
garantiert uns jedoch ein Leben in Freiheit und Würde
und ist immer noch hundertmal besser als die Diktatur
des Proletariats, sprich: das sozialistische Wirtschaftssystem.
({0})
Was ist Hartz IV? Mit Hartz IV werden die Menschen
alimentiert, die arbeitsfähig sind, aber keine Arbeit haben. Es sind zu viele,
({1})
aber sie erhalten Sicherheit in ihrem Leben: Sie bekommen eine Wohnung, und die Kosten für die Heizung
werden übernommen. Auch wenn das Fenster einmal offen steht, die Heizkosten werden immer bezahlt.
({2})
Sie bekommen den Betrag, den die Linken und auch die
Grünen jetzt weiter erhöhen wollen.
In diesem Zusammenhang muss einmal beleuchtet
werden, um welche Summen es eigentlich geht. Für eine
Familie mit zwei Kindern über 15 Jahre geht es um ein
Nettoeinkommen von etwa 1 600 Euro im Monat. Dabei
darf nicht vergessen werden, dass bei den ALG-II-EmpHeinz-Peter Haustein
fängern 439 Euro an Sozialleistungen hinzukommen.
Aber 1 600 Euro muss man erst einmal verdienen.
({3})
Das ist über den Ruf nach Mindestlöhnen nicht zu erreichen; das greift zu kurz.
Nun gibt es verschiedene Varianten, das Ganze gerechter zu gestalten. Die FDP ist der Meinung, dass eine
Erhöhung des Regelsatzes nicht das Richtige ist. Wir sagen: Senkt die Lohnnebenkosten und die Steuern! Das
käme einer Regelsatzerhöhung gleich.
({4})
Diesen Weg gehen wir. Schafft endlich diesen sinnlosen,
schwachsinnigen Gesundheitsfonds ab! Senkt den Rentenversicherungsbeitrag so weit wie möglich! Nutzt alle
Spielräume aus! Senkt die Mehrwertsteuer! Dann haben
auch die Hartz-IV-Empfänger mehr Geld und können die
Binnenwirtschaft ankurbeln.
({5})
Da sich die Linken immer so gönnerhaft darstellen,
möchte ich einmal etwas aus der DDR-Zeit erzählen.
Meine Mutter erhielt damals eine Rente von 320 Mark
Ost. Wie viel heute ein Rentner erhält, das wissen Sie.
Ich weiß, dass man das nicht eins zu eins vergleichen
kann. Ich weiß aber auch, dass ein Familienvater mit
zwei Kindern 600 Mark Ost verdient hat. Damit will ich
sagen, dass wir ein Niveau erreicht haben, das wesentlich höher ist als das, das es zu DDR-Zeiten jemals gegeben hat. Deshalb steht es euch nicht zu, immer nur zu
fordern.
({6})
Sie müssen auch sehen, wer dieses Geld aufbringen
muss. Das sind die vielen fleißigen Leute in unserem
Lande. Das sind auch die zu Unrecht gescholtenen Beamten. Das sind auch die 27 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigten, die dazu beitragen, dass das
Geld aufgebracht wird; denn es geht immerhin um
35 Milliarden Euro. Das entspricht dem Haushaltsvolumen Sachsens für zwei Jahre. Mit diesem Geld werden
die Leute alimentiert.
Besser wäre es, Bedingungen zu schaffen, dass die
Menschen nicht mehr von Hartz IV leben müssen.
({7})
Wir haben gesagt, wie dies möglich ist: Senken Sie die
Lohnnebenkosten und die Steuern! Das braucht unser
Land. Schaffen Sie außerdem diese sinnlose übertriebene Bürokratie ab, die das Land vom kleinen Unternehmer über den Handwerksmeister bis zum großen Betrieb
lähmt. Diese Bürokratie ist viel zu groß.
({8})
Herr Kollege Haustein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Selbstverständlich, Herr Gysi, bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie sprechen davon, dass es die Lohnund Gehaltsempfänger bezahlen müssten, wenn wir den
Sockelbetrag aufstocken würden. Sie müssen aber doch
akzeptieren, dass es unterschiedliche Steuern gibt. Stimmen Sie dem zu, dass man das Ganze finanzieren
könnte, ohne dass die Gehalts- und Lohnempfänger betroffen sind, wenn wir wieder eine Vermögensteuer erheben würden, wenn wir eine gerechte Erbschaftsteuer hätten anstatt des Witzes, der hier beschlossen wurde, und
wenn wir eine Börsenumsatzsteuer erheben würden?
({0})
Warum weichen Sie immer auf die Gehalts- und Lohnempfänger aus, lassen aber andere Steuern außer Betracht, die man erhöhen könnte? Man würde im Übrigen
unsere Gesellschaft gerechter machen, wenn man sie in
Betracht ziehen würde.
({1})
Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu, sage Ihnen
aber, dass die FDP-Fraktion ein einfaches und gerechtes
Steuersystem, das alles beleuchtet, mit niedrigen Steuern
fordert. Das ist natürlich besser. Was Sie aber fordern, ist
einseitig und haut so nicht hin.
({0})
Liebe Kollgen, ich könnte Ihnen noch sehr viel zu
Hartz IV erzählen. Sie kennen unsere Position: Abgaben
senken, Steuern senken und dafür sorgen, dass mehr
Leute in Arbeit kommen.
Auch in diesem Jahr gibt es an Weihnachten wieder
ein Geschenk von mir. Ich schenke Ihnen noch eine Minute meiner Redezeit, und das verlängert Ihr Weihnachtsfest um eine Minute.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit zwei Dingen möchte ich
gleich am Anfang aufräumen, Herr Gysi.
Erstens. Sie wissen ganz genau, dass der Finanzschutzschirm, der innerhalb einer Woche - ich sage, das
war eine parlamentarische Meisterleistung - gespannt
werden musste, um nicht das gesamte Finanzsystem den
Bach runtergehen zu lassen, nicht allein den Bankern,
nicht den Bankeninhabern und auch nicht den Aktionären, sondern allen unseren Bürgern genutzt hat. Es ging
darum, den Finanzkreislauf aufrechtzuerhalten. Sagen
Sie bitte nicht in aller Öffentlichkeit vor diesem Parlament: Die 500 Milliarden Euro habt ihr aufgebracht und
hingelegt, und den anderen armen Schluckern gebt ihr
nichts. - Das ist eine verquere Diskussion, die Sie hier
bewusst führen.
({0})
Einen zweiten Punkt möchte ich in aller Deutlichkeit
erwähnen. Sie sprachen davon, dass es Gleichmacherei
sei, wenn Menschen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in
die Langzeitarbeitslosigkeit, also in den Bezug der
Grundsicherung nach SGB II, übergehen. So kann
man diskutieren; das ist gar keine Frage. Aber Sie müssen mit dem Gedanken an das Ganze herangehen, dass
der Pförtner - um Ihr Beispiel aufzugreifen - genauso
wie der Ingenieur alle Unterstützungen bekommen
muss, um wieder in Arbeit zu kommen. Es kommt also
nicht darauf an, dass sie die gleichen Summen bekommen. Denn im Mittelpunkt des gesamten SGB II stehen
nicht die Leistungen, die wir dem Einzelnen gewähren.
Im Mittelpunkt steht, wie wir den Menschen helfen können, wieder in Beschäftigung zu kommen. Unter diesen
Gesichtspunkten sind die Einzelnen in der Tat gleich und
haben das Anrecht auf die gleiche Unterstützung. Das
hat aber mit Gleichmacherei nichts zu tun.
({1})
Familien und damit Kinder, die Grundsicherung beziehen, sind durchaus - das will ich überhaupt nicht beschönigen - in einer durch verschiedene Gesichtspunkte
geprägten schwierigen Situation. Das können finanzielle
und oft auch soziale Gesichtspunkte sein, und es ist ganz
sicher die ganze im Bildungsbereich bestehende Problematik. Kinder sind nicht arm, weil sie Grundsicherung
beziehen, sondern weil die Eltern, mit denen sie in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, nicht über ein Erwerbseinkommen verfügen oder das Erwerbseinkommen niedriger ist als das, was ihnen nach der Grundsicherung zustehen würde. Die Grundsicherung macht nicht arm,
sondern bewahrt vor absoluter Armut.
({2})
Der Schlüssel zur Verbesserung der materiellen Lage der
Kinder liegt in der Erwerbsarbeit, in der Verbesserung
der Bildungschancen und in einer Veränderung und Stärkung tragfähiger, positiv gestalteter sozialer Netze.
Unter diesem Gesichtspunkt ist das Schulstarterpaket zu sehen. Es ist ein Beitrag, zu helfen, dass Kinder, die in dieser Situation sind, bessere Chancen haben,
im Bildungsbereich mitzuhalten und mitzuwirken. Die
Anpassung der Leistungen für Kinder, die von Grundsicherung leben, kann nicht, wie dies in den vorliegenden
Anträgen gefordert wird, am Kindergeld und womöglich
an den aktuellen Kostenentwicklungen gemessen werden. Hier muss der Grundbedarf ermittelt werden, und
zwar eigenständig und nicht abgeleitet von dem der Erwachsenen. Daran arbeitet die Bundesregierung, wie es
der Staatssekretär dargestellt hat. Wir bewegen uns hier,
glaube ich, auf einem richtigen Weg.
({3})
Im Übrigen kann die Höhe der Grundsicherung nicht
nur das Ergebnis von Berechnungen sein, sondern ist
auch in Relation zum Einkommen aus Erwerbsarbeit
zu sehen. Ich sehe sehr deutlich, dass die in der Grundsicherung geregelten Bedarfe für Kinder eine zum Teil
schwierige Vermischung der Sozial-, Arbeitsmarkt- und
Familienpolitik darstellen. Die Grundsicherung wird
vom Steuerzahler finanziert. Ich kenne keine Tarifregelung, bei der Einkommen aus Arbeitsleistungen automatisch entsprechend der Höhe der Inflationsrate angepasst werden. Folglich geht das auch nicht bei
denjenigen, die von den Steuerzahlern Grundsicherung
bekommen.
({4})
Dieselbe Systematik gilt übrigens auch bei der umlagefinanzierten Rente. Diese hängt ebenso wie die anderen staatlichen Leistungen von den Erwerbstätigen, den
Beitragszahlern und den Steuerzahlern ab. Unser Ziel
kann es nicht sein, das Verbleiben in staatsabhängigen
Transferleistungen zu stabilisieren. Unser Ziel muss es
doch sein, dass Menschen aus der Abhängigkeit vom
Staat herauskommen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich sage es sehr deutlich:
Das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun. Das hat
etwas mit unserem Menschenbild zu tun. Als unsere
Kinder in der Berufsausbildung ihr erstes Geld bekamen,
da waren sie stolz darauf, dass sie etwas weniger von ihren Eltern abhängig waren. Es hat etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun, dass ich auf das, was ich selbst geschaffen und verdient habe, stolz sein kann.
({6})
Dahin müssen wir die Menschen bringen; denn dies hat
zutiefst etwas mit unserem Menschenbild zu tun.
Im Zentrum unserer Anstrengungen steht deswegen,
die Menschen aus der Grundsicherung heraus und wieder in Beschäftigung zu bringen. Dies entspricht diesem
Menschenbild. Dazu gehört, dass derjenige, der einer Erwerbsarbeit nachgeht, mehr haben muss als derjenige,
der von staatlichen Transferleistungen lebt.
({7})
Ich gestehe zu, dass es da auch Spannungslagen gibt.
Wir wissen, dass Menschen, die allein in einer Bedarfsgemeinschaft leben, schneller vermittelt werden - mittlerweile ist das durch Beobachtungen der Bundesagentur
für Arbeit und durch andere erhärtet - als diejenigen, die
mit mehreren Personen, mit mehreren Kindern in einer
Bedarfsgemeinschaft leben. Da gibt es Zusammenhänge
zwischen den Transfereinkommen und dem am Markt
möglicherweise zu erzielenden Einkommen durch Gehaltsleistungen.
({8})
Ich will Ihnen das in aller Deutlichkeit an zwei Beispielen zeigen. Ein Klempner- und Installateurmeister
bzw. ein Obermonteur, der nach Abschluss seiner Gesellenprüfung eine achtjährige Berufserfahrung hat, bekommt nach dem ordentlichen Tarifvertrag in Nordrhein-Westfalen etwa 2 640 Euro brutto. Das macht netto
1 933 Euro. Der hat zwei Kinder und ist in der
Steuerklasse III. Seine Frau ist nicht erwerbstätig.
Ein Bezieher von Grundeinkommen, von Grundleistung, der in derselben familiären Situation ist, bekommt
in demselben Bundesland in aller Regel im Durchschnitt
etwa 1 780 Euro.
({9})
Ich sage in aller Deutlichkeit - es geht um das Grundprinzip, Herr Kollege Kurth -, dass der, der 40 Stunden
in der Woche arbeitet, deutlich mehr haben muss als der,
der nicht der Erwerbsarbeit - aus welchen Gründen auch
immer - nachgeht. Auch das hat etwas mit klaren Strukturen in unserer Gesellschaft zu tun.
({10})
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen und
knüpfe daran an, was Staatssekretär Thönnes vorhin in
seinem Beispiel gebracht hat. Eine Alleinerziehende, die
von Grundsicherung lebt und ein Kind hat, hat in Nordrhein-Westfalen nach SGB II Anspruch auf etwa
1 264 Euro.
({11})
- Das hat mit Sozialneid nichts zu tun.
Eine Floristin, die im Monat 1 592 Euro verdient, hat
1 143 Euro netto und erhält dazu noch Kindergeld. Sie
kommt auf insgesamt 1 297,16 Euro.
Ich will in dieser Deutlichkeit sagen - nicht, um Sozialneid zu schüren, sondern um ein Verständnis dafür
hinzukriegen -, dass wir die Waage ins Gleichgewicht
bringen müssen zwischen denen, die in der Erwerbsarbeit sind, und denen, die - aus welchen Gründen auch
immer - dem Erwerb nicht nachkommen können. Das ist
der entscheidende Punkt.
({12})
Die Koppelung der Grundsicherung an die Höhe
der Rentenanpassung hat einen tiefen Sinn, und dieser
tiefe Sinn hängt einfach damit zusammen, dass die Rente
nicht höher sein kann als das Erwerbseinkommen vorher, dass die Rente von der nächsten Generation erwirtschaftet wird und dass vom Steuerzahler nicht unerhebliche Beiträge für die sogenannten versicherungsfremden
Leistungen erbracht werden. Auch die Grundsicherung
muss von den Steuerzahlern erwirtschaftet werden. Deswegen ist die Grundsicherung an die Rentenbeiträge gekoppelt, weil niemand, der Geld verdient, automatisch
einen Inflationsausgleich bekommt. Deswegen müssen
diese Dinge in dieser Form auch zusammen gesehen
werden.
({13})
Damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden
werde: Wir müssen alles unternehmen, um Kinder zu
fördern, die in Haushalten leben, die von der Grundsicherung leben oder gar ausschließlich darauf angewiesen sind.
Wir haben solche Schritte unternommen, wir haben
den Kinderzuschlag eingeführt, und wir sind dabei, das
Schulstarterpaket zu schnüren. Ich glaube auch, dass es
in dieser Frage notwendig ist - wir haben es öfter erwähnt -, dass wir die Bemessungsgrenze oder die Ermittlung der Regelleistungen für Kinder noch einmal eigenständig überprüfen müssen.
Nach meiner festen Überzeugung darf der Staat den
Eltern die Verantwortung für die Kinder nicht nehmen. Die Eltern tragen Verantwortung für die Erziehung
der Kinder.
({14})
Wir wissen aber, dass es Eltern gibt, die damit überfordert sind. Circa 2,5 Millionen Menschen leben in der
zweiten oder dritten Generation von Sozialhilfe.
({15})
Viele Fachleute raten uns dringend, hier in allererster Linie strukturelle Hilfen anzubieten und auf keinen Fall
den Eltern höhere staatliche Leistungen zu zahlen. Das
sagen uns Leute, die in entsprechenden sozialen Brennpunkten in den Großstädten arbeiten und mit denen wir
bereits Anfang des Jahres zusammengesessen haben, als
wir uns als CDU-Fraktion mit diesem Thema intensiver
beschäftigt haben.
Was diese Menschen brauchen und was diese Kinder
brauchen, weil wir kein Kind verloren gehen lassen dürfen, weil jedes Kind eine Chance auf eine gute Entwick21380
lung haben muss, sind verlässliche, planbare, langfristig
angelegte Hilfen. Das ist so wie bei Menschen, die sich
in einer sehr schwierigen Situation befinden, die - ich
bringe dieses Beispiel einmal - in einer großen Kuhle leben, aus der sie nicht mehr herauskommen. Denen stellt
man Leitern hinein, die man nicht nach Bedarf wieder
herausholt, sondern darin stehen lässt, und den Menschen, die unten am Fuße der Leiter stehen, hilft man,
den Fuß auf die erste Leiterstufe zu setzen. Sie brauchen
verlässliche Unterstützung, damit sie wieder in das Leben zurückkehren, indem sie mit ihrer eigenen Hände
Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können.
({16})
Diese Kinder brauchen alles an Unterstützung, was
notwendig ist, damit sie nicht dieselbe Entwicklung wie
ihre Großeltern, ein Teil ihrer Großeltern oder ihre Eltern nehmen. Das ist eine der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Eine Förderung und Unterstützung dieser Kinder in ganz zentralen Bereichen ist
notwendig, um ihnen eine Perspektive bieten zu können.
Ich mache mir Sorgen um diese Kinder, weil es nicht nur
um deren Zukunft geht, sondern auch um unsere.
Herzlichen Dank.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Rolf
Stöckel für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte drängt einem das Bild auf, dass im
Parlament auf der einen Seite die Menschenfreunde sitzen, die eine Erhöhung der Regelsätze beantragen, und
auf der anderen Seite die Hartherzigen sitzen, die sich
dem verweigern.
({0})
Ich glaube, dass das Thema „Armut und Armutsbekämpfung“ wichtig ist. Ich glaube aber auch, dass es in
vielerlei Hinsicht skandalträchtig ist - darauf werde ich
noch zurückkommen -, was zur Folge hat, dass wir wie
in einem Auktionshaus in einen Wettbewerb eintreten:
Wer bietet die höchsten Regelsätze? Ich bin der Meinung, dass das der wichtigste Grund ist, warum die Regelsätze per Rechtsverordnung von Bundesregierung
und Ministerpräsidenten und nicht vom Deutschen Bundestag beschlossen werden, was einer Forderung entspricht, die von unabhängigen Kommissionen unter Beteiligung sozial erfahrener Experten und Wissenschaftler
erhoben worden ist.
Selbstverständlich müssen die Sätze der Grundsicherung regelmäßig überprüft und angepasst werden. Genau
das ist in den letzten Jahren geschehen. Sie tun so, als sei
das nicht passiert. Nur weil der Antrag schon so alt ist
und dementsprechend die Regelsätze von 2007 enthält,
heißt das nicht, dass sie in 2008 nicht erhöht worden
sind. Das muss man den Grünen einmal sagen. Das ist
reiner Formalismus; damit müssen wir uns nicht aufhalten.
Ich bin der Meinung, dass das von Bundesrat und
Bundesregierung damals einstimmig beschlossene Modell zur statistischen Auswertung der Einkommens- und
Verbrauchsstichproben unter Einbeziehung der jährlichen Anpassung der gesetzlichen Renten auf der Grundlage der Entwicklung der Arbeitseinkommen vernünftig
und solidarisch ist: die Solidarität der Starken mit den
Schwachen. Die per Rechtsverordnung festgestellten
Regelsätze sind vom Bundessozialgericht 2006 ausdrücklich - Herr Gysi, Sie sprachen das in dieser
Debatte vorhin an - für verfassungskonform erklärt worden. Bei den neuen Klagen bezüglich der Kinderregelsätze geht es - wie früher bei der Sozialhilfe - um einen
Rechtsanspruch. Das Widerspruchs- bzw. Klagerecht ist
ein Recht der Bürger, die auf Transferleistungen angewiesen sind.
Es bleibt dabei: Die Überprüfung der Zeiträume, der
Statistikgrundlagen und der Bedarfsgerechtigkeit von
Regelsätzen, die wir in Auftrag gegeben haben, wird von
dieser Koalition ausgewertet werden. Das ist normal und
vernünftig. Die EVS 2008 muss ausgewertet werden.
Wir diskutieren auf der Basis harter Zahlen und Fakten
und führen keine moralisierende Debatte.
Welche Fakten betreffen die Anpassung? Während
das Kindergeld für alle Familien erstmals nach nunmehr
sieben Jahren - das kann man ja kritisieren - nur um
10 Euro erhöht worden ist, sind die Regelsätze im
SGB XII und damit ab 2005 auch im SGB II wesentlich
öfter und um höhere Beträge angepasst worden - ich will
sie jetzt nicht im Einzelnen nennen; das kann man in den
Informationen des Bundesministeriums nachlesen -: Seit
2005 wurde der Regelsatz in den alten Bundesländern
nach dem SGB II um 10 Euro und für Kinder ab dem
14. Lebensjahr um 19 Euro erhöht, in den neuen Bundesländern um 19 und 24 Euro.
Nachdem die Ableitung vom Eckregelsatz für Kinder
bis sieben Jahre bereits eine Verbesserung gegenüber der
bisherigen Sozialhilferegelung um 10 Prozent gebracht
hat, kommt jetzt das bereits erwähnte Schulbedarfspaket hinzu, das für die Altersstufe der 6- bis 16-Jährigen konzipiert ist. Diese Altersgruppe wird in den Anträgen angesprochen. Pro Schuljahr werden 100 Euro pro
Kind gezahlt. Das garantiert diese Bundesregierung. Damit werden im Gegensatz zu Ihrer Darstellung wesentliche Forderungen der Wohlfahrtsverbände in die Tat umgesetzt.
({1})
Es ist also nicht so, dass wir nichts tun. Natürlich ist
nichts so gut, dass wir es nicht noch verbessern könnten.
Wir Sozialdemokraten wollen nicht nur die Sachleistungen für Schulmaterial bis zum Schulabschluss, also
auch über das zehnte Schuljahr hinaus, sondern wir wollen auch die öffentliche Infrastruktur, insbesondere die
Angebote für finanziell schwächer gestellte Familien
und Kinder in den Kommunen und in den BildungssysteRolf Stöckel
men, verbessern. Das würde die Kinderarmut effizienter
bekämpfen als Ihr Wettbewerb um die höchsten Regelsätze.
({2})
- Ja, im zweiten Antrag der Grünen steht vieles, was ich
unbedingt unterschreiben würde.
Dazu müssen wir besonders die Kommunen, in denen es sehr viele Langzeitarbeitslose gibt, befähigen. Sie
haben die meisten Lasten zu tragen und können die wenigsten Angebote machen.
({3})
Wenn wir das in einem Investitionsprogramm Anfang
des neuen Jahres miteinander verbinden können, ist es
umso besser.
({4})
Wir dürfen bei allen Prüfaufträgen nicht vergessen, in
welcher Relation das Existenzminimum für Kinder in
Arbeitnehmerfamilien zu den Bedarfssätzen steht, nämlich knapp darüber. Deshalb war es richtig, das Kindergeld zu erhöhen, den Kinderzuschlag zu verbessern, das
BAföG und das Wohngeld zu erhöhen, damit weniger
Familien von der Grundsicherung abhängig sind. Wir
wollen dafür sorgen, dass sie da rauskommen. Unser
Ziel sind nicht höchste Grundsicherungssätze, die alles
staatliche Handeln, ziviles Engagement und Eigenverantwortung ersetzen, sondern unser Ziel ist, dass die betroffenen Familien möglichst schnell und nachhaltig aus
der Hilfesituation herausfinden und von der Hilfe unabhängig werden.
({5})
Die Anreize für erwerbsfähige Hilfeberechtigte, erwerbstätig zu werden, dürfen nicht erstickt werden. Dies
ist eine richtige Diskussion und muss keine Sozialneidoder Spalterdiskussion sein. Wir stehen deshalb für Integration und Teilhabe und nicht für bezahlte Ausgrenzung. Es ist grober Unfug, wenn zum Beispiel mit Bundesmitteln alles in Geldleistungen umgewandelt wird
- auch das steht in Teilen Ihrer Anträge -, wozu Länder
oder Kommunen trotz Zuständigkeit nicht mehr bereit
oder in der Lage sind; dies betrifft insbesondere öffentliche Angebote oder Infrastruktur.
Ich spreche zum Beispiel die Lernmittelfreiheit der
Länder an. Sie haben bei der Föderalismusreform darauf
bestanden, dass sie allein die Zuständigkeiten dafür haben. Zum Beispiel die Regierung Rüttgers in NRW hat
mit dem KiBiz-Gesetz, wenn wir heute die Einrichtungen und Kommunen hören, die Zugänge gerade für die
Schwächsten eher erschwert als erleichtert und die Qualität damit nicht verbessert.
({6})
Man wehrt sich aus rein ideologischen Gründen gegen
bessere Bildungschancen und verteidigt das gescheiterte
Dreiklassensystem der Halbtagsschulen. So darf das
nicht bleiben.
({7})
- Ich könnte ja Ihre Ministerin Sommer zitieren; aber
das mache ich jetzt nicht, weil ich Redezeit an den
Staatssekretär abgeben musste.
Und weil die Redezeit schon abgelaufen ist.
Ja, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Es ist doch absurd und ein Armutszeugnis für uns alle - ich verstehe
den DPWV da gut -, wenn die Kosten für private Nachhilfe, die aufgrund der Defizite im öffentlichen Schulsystem explodieren, jetzt über die Regelsätze finanziert
werden sollen. Warum finanzieren wir nicht Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungs- und Entwicklungschancen von Anfang an? Es gibt noch viele Beispiele. Schauen Sie einmal auf die Internetseite der Stadt
Dormagen. Dort können Sie lesen, wie Heinz Hilgers,
der Bürgermeister und Präsident des Kinderschutzbundes, nicht mit mehr Geld, sondern einfach nur mit einer
anderen Mentalität und Engagement etwas für schwache
Familien und deren Kinder tut.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ja. - Wir müssen in der Tat darüber nachdenken, wie
wir die öffentliche Infrastruktur, die vor allen Dingen
auch den ausgegrenzten und sozial schwächeren Familien in unserem Land helfen kann, effektiver gestalten
können. So einfach wie mit diesen Anträgen kommen
Sie bei uns und hoffentlich auch in der Öffentlichkeit
nicht durch. Deswegen lehnen wir sie ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen eine erholsame, besinnliche und für die Antragsteller auch nachdenkliche Weihnachtspause.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir in die Weihnachtspause eintreten, haben
wir erstens noch einige Abstimmungen zu erledigen und
zweitens Debatten zu anderen Punkten zu führen.
Zunächst kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozia-
les auf Drucksache 16/10336. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7040
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
mit dem Titel „Regelsätze erhöhen - Dynamisierung an-
passen - Kosten für Schulbedarfe abdecken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist da-
mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7113 mit
dem Titel „Regelsätze bedarfsgerecht anpassen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist da-
mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8761
mit dem Titel „Existenzsicherung und Teilhabechancen
für Kinder und Jugendliche durch bedarfsgerechte Kin-
derregelsätze gewährleisten“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Fraktion Die Linke angenommen.
Damit kommen wir zu den Zusatzpunkten 8 a und
8 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung des Vergaberechts
- Drucksache 16/10117 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- Drucksache 16/11428 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz ({1})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Novellierung des Vergaberechts für Bürokratieabbau nutzen - Bundesweit einheitliches Präqualifizierungssystem für Leistungen einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Werner Dreibus, Dr. Diether Dehm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Tariftreue europarechtlich absichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf
({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene
durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr. Thea Dückert, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vergaberecht reformieren - Rechtssicherheit schaffen - Eckpunkte für die Reform
des Vergaberechts
- Drucksachen 16/9092, 16/6930, 16/9636, 16/6791,
16/8810, 16/11428 Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz ({4})
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können
wir so verfahren.
({5})
- Wenn die Kolleginnen und Kollegen, die sich voneinander verabschieden oder sonstige Gespräche führen
wollen, dies erledigt haben, können wir mit der Debatte
beginnen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Das Vergaberecht ist eine sperrige Materie, deren Prinzipien und Regeln sich nicht jedermann sofort
erschließen. Es regelt die Fragestellung: Wie erteilt die
öffentliche Hand Aufträge an die Wirtschaft? Das ist
eine nicht ganz einfache Übergangs- und Schnittstelle.
Deswegen muss sie anders geregelt sein, als man das
beim normalen Vertragsrecht erwarten kann.
Das Vergaberecht ist übermäßig verschachtelt und
kompliziert und bedarf in der Tat seit langem einer Modernisierung. Schließlich ist das, was wir heute als Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses beschließen,
nur die Novellierung eines Teils des gesamten Rechtskomplexes, nur eine Lockerungsübung und nicht die
große Reform in all ihren Teilen.
({0})
Hauptaufgabe des Gesetzentwurfes der Koalition ist,
klarere Regeln zu schaffen und bei allen Beteiligten für
mehr Verständlichkeit zu sorgen. Unser wichtigstes Ziel
war - so haben wir es in der Großen Koalition vereinbart -,
das Vergaberecht mittelstandsfreundlich zu gestalten,
mittelstandsfreundlicher als bisher.
({1})
Weitere Festlegungen, die wir getroffen haben, sind,
dass es innerhalb des bestehenden Systems reformiert
werden soll - es soll also nichts gänzlich Neues erfunden
werden - und dass es unbürokratischer werden soll. Das
waren die drei vereinbarten Ziele, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch erreichen.
Verständlichkeit ist für die Unternehmen erforderlich,
die sich mit Angeboten an Vorhaben der öffentlichen
Hand beteiligen sollen. Verständnis und Akzeptanz der
Vergaberegeln sind auch für alle öffentlichen Stellen erforderlich, die als Auftraggeber auftreten und einkaufen
müssen; dadurch wird auch die Vergabe von Aufträgen
für die öffentliche Hand erleichtert. Das ist ein schwieriges Thema; denn natürlich will man immer den Verdacht
der Korruption vermeiden. Auch deswegen brauchen wir
klare Regeln. An keiner anderen Stelle gerät man nämlich so schnell in den Verdacht der Korruption wie beim
Übergang zwischen öffentlicher Wirtschaft und privater
Wirtschaft;
({2})
das ist nun einmal so. Auch deswegen brauchen wir ein
verlässliches Vergaberecht.
Vielfach ist es bis heute so, dass im Vordergrund des
Interesses der Anwender nicht das richtige Verständnis
der Regeln steht, sondern der Wunsch, einen Weg zu finden, um die Pflicht zur Anwendung zu umgehen. Wir
wollen sie allerdings beibehalten. Dabei geht es in der
Tat um einen recht großen Komplex. Jedes Jahr werden
nach diesen Regeln Aufträge mit einem Gesamtvolumen
von mehr als 250 Milliarden Euro vergeben. Das entspricht 10 Prozent des Bruttosozialproduktes der Bundesrepublik Deutschland, ist also keine Petitesse.
Ganz sicher wird durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz nicht jede Erwartung erfüllt. Es ist natürlich
ein Kompromiss, mit dem aber sowohl Länder und
Kommunen als auch die Wirtschaft leben können. Aus
meiner Sicht sind gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, dass jetzt rasch öffentliche Investitionen getätigt werden, zwei Regelungskomplexe besonders
wichtig:
Erstens meine ich die Klarstellung zum Begriff des
öffentlichen Bauauftrags. Damit wird gesagt: Das Vergaberecht gilt nur für Beschaffungsvorgänge und nicht für
jede vertragliche Beziehung von öffentlichen Auftraggebern mit Dritten - und zum Beispiel auch nicht für
Grundstücksverkäufe.
Es gab ein Urteil, in dem dieser Punkt intensiv behandelt wurde. Eine Kommune muss Grundstücke verkaufen können, ohne dass schon der Grundstücksverkauf als
solcher ausschreibungspflichtig ist, auch wenn darauf
später planungsrechtlich einwandfrei im öffentlichen Interesse gebaut wird. Ansonsten wäre das eine Ausdehnung der Anwendung von Vergaberechtsregelungen,
durch die die kommunale Freiheit über die Maßen beeinträchtigt würde.
({3})
Mit der Eingrenzung des „öffentlichen Bauauftrags“
auf den Auftrag für einen öffentlichen Bau bestätigt der
deutsche Gesetzgeber - hier gibt es einen Unterschied zu
dem, was Europa vielleicht gerne hätte -, dass er die
europäischen Richtlinien so versteht, wie sie in Brüssel
verhandelt und abgeschlossen wurden. Er setzt ein klares
Zeichen gegen eine schleichende Ausdehnung der europäischen Regeln auf Sachverhalte, auf die sie der eine
oder andere gerne anwenden würde, die in Wahrheit aber
nicht betroffen sind. Es ist zu hoffen, dass dieses Zeichen auch von deutschen Gerichten richtig verstanden
wird. Es gibt mehrere brandaktuelle Vorgänge dieser
Art. Deswegen ist hier auch Klarheit notwendig.
Der zweite Aspekt ist die Mittelstandsfreundlichkeit.
Er ist mir als Mittelstandsbeauftragtem natürlich besonders wichtig. Zu diesem Zweck haben wir den seit langem in § 97 Abs. 3 GWB „schlummernden“ Programmsatz über die Pflicht zur Losvergabe zu einer Regel mit
Zähnen gemacht: In Zukunft ist ein Projekt in mittelstandsverträgliche Fach- und Teillose aufzuteilen.
Das ist mutig. Wir müssen zusehen, dass wir die Wirtschaftlichkeit am Ende natürlich nicht gefährden; das ist
auch klar. Wir wollen es jetzt aber einmal mit dieser
Strenge versuchen, und wir werden unsere Erfahrungen
sammeln. Ich gehe davon aus, dass das klappt.
Die Gesamtvergabe bleibt natürlich möglich - aber
nur als Ausnahmefall. Sie muss wirtschaftlich und technisch begründet werden. Wenn eine Aufteilung kaufmännisch unsinnig oder technisch unmöglich ist, dann
muss natürlich auch die Gesamtvergabe möglich sein.
An dieser Stelle haben wir bei PPP-Projekten ein offenes Problem mit der großen Bauindustrie. Wir wissen,
dass es hier eine objektive Schwierigkeit gibt. Wir meinen allerdings auch, dass PPP-Projekte nicht dafür genutzt werden sollten, die Anwendung des Vergaberechts
zu vermeiden. Deswegen wollen wir die Vergabe von
PPP-Projekten denselben Regeln unterwerfen, nämlich
dem Vergaberecht: keine Verschlimmerung, aber auch
keine Erleichterung. Möglicherweise wird es darüber im
Vermittlungsverfahren oder beim Bundesrat noch Diskussionen geben.
Außerdem soll die gerade auf kleine und mittelständische Unternehmen immer wieder abschreckend wirkende Flut von Nachweisanforderungen eingedämmt
werden. In dem Gesetzentwurf sind jetzt ausdrücklich
Präqualifikationsmöglichkeiten vorgesehen, sodass die
Unternehmen Nachweise über ihre Leistungsfähigkeit
und Zuverlässigkeit nicht bei jedem Auftrag wieder neu
abgeben müssen, sondern ein Nachweis muss jetzt einfach einmal für einen bestimmten Zeitraum reichen. Das
ist auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau.
({4})
Zum Schluss gestatten Sie mir noch einen Appell an
den Bundesrat. Mir ist bewusst, dass der Bundesrat eine
ganze Reihe von technischen Vorschlägen gemacht hat,
denen wir nicht gefolgt sind. Sie beziehen sich zum
größten Teil auf Regeln zum Rechtsschutz. Auch hier ist
ein maßvoller Umgang das Gebot der Stunde. Wenn wir
das Vergaberecht funktionsfähig erhalten sollen, dann
müssen wir bei aller Notwendigkeit von Transparenz
und Nachprüfbarkeit darauf achten, dass es handhabbar
bleibt. Die rechtliche Auseinandersetzung muss die absolute Ausnahme bleiben.
Es muss einen Rechtsweg geben - das ist allgemein
so geregelt; mittlerweile auch weltweit -, aber er sollte
die Ausnahme bleiben. Deswegen sind wir bei allen Zuspitzungen, zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu
eröffnen, sehr vorsichtig. Die Länder müssen viele Aufträge vergeben, und die Gemeinden vergeben den größten Teil der Aufträge. Deshalb bitte ich den Bundesrat
auch in seinem eigenen Interesse, schnell Klarheit für
Vergaben zu schaffen. Das ist das Gebot der Vernunft.
Wir haben auch keine Regel aufgenommen - das ist
noch einmal wichtig -, durch die die Kooperation von
Kommunen und kommunalen Unternehmen untereinander von der Einhaltung vergaberechtlicher Regelungen
ausdrücklich freigestellt wird.
({5})
Wir wollten möglichst das Prinzip beibehalten, dass
die Ausschreibung ein sinnvolles Moment ist, um eine
preiswürdige Auftragsvergabe zu sichern. Auch Kommunen können sich mit ihren Wirtschaftsbetrieben an
Ausschreibungen beteiligen. Wer hindert sie denn daran?
Sie können dann die Ausschreibung gewinnen. Aber
grundsätzlich zu sagen, wenn Kommunen untereinander
daran teilnehmen, muss es keine Ausschreibung geben,
heißt, auf ein wichtiges Element von vernünftiger Preisfindung zu verzichten, und zwar zulasten des Bürgers,
der das schließlich am Ende bezahlen muss.
({6})
Da wir in der Koalitionsvereinbarung festgehalten
haben, den Mittelstand zu fördern - wir haben nicht die
Ausweitung der Erleichterungen, zum Beispiel für Kommunen festgehalten -, haben wir uns dann in der
Schlussrunde geeinigt, den alten Kurs beizubehalten,
also keine Verschiebung zugunsten der kommunalen
Seite und keine Verschiebung zugunsten der Privatisierungsseite, um diesen Begriff hier einmal einzuführen,
vorzunehmen. Wir wollen den neutralen Weg, den wir in
der Vergangenheit miteinander gegangen sind, beibehalten. Ich denke, das ist eine deutliche Verbesserung.
Schwierig ist auch etwas anderes gewesen: Es hat
viele Streitpunkte in der Frage der sogenannten vergabefremden Kriterien gegeben. Das Ergebnis ist ein klassischer Kompromiss, wie er eben in einer Großen Koalition zustande kommen kann. Er wird insgesamt zu einer
verbesserten Anwendbarkeit des Vergaberechts führen.
Einige Dinge, die den Gemeinden nicht mehr zuzumuten
waren, werden nun korrigiert.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Modernisierung des Vergaberechts ist nötig;
das ist gar keine Frage. Wir räumen auch gerne ein, dass
das eine sehr schwierige Materie ist. Die Konflikte laufen hier nicht nur zwischen den Koalitionsfraktionen
oder zwischen Koalition und Opposition, sondern sicherlich auch innerhalb der Fraktion. Es sind schwierige
Sachverhalte; das muss man einräumen. Manche Punkte
wurden von Ihnen, Herr Staatssekretär, gerade angesprochen.
Trotzdem hat schon das Verfahren gezeigt, dass wir
uns hier auf relativ dünnem Eis bewegen. Sie erinnern
sich: Vor zwei Wochen hätten die zweite und dritte Lesung erfolgen sollen. Sie wurden kurzfristig abgesagt
und für heute auf die Tagesordnung gesetzt. Die letzten
Änderungsanträge haben wir irgendwann am Dienstagabend bekommen. Am Mittwochmorgen, kurz vor der
Ausschusssitzung, wurden noch einmal Änderungen
vorgenommen. Das zeigt schon, dass hier etwas mit heißer Nadel gestrickt wurde, das sich jetzt in der Praxis bewähren muss. Die Frage ist, ob das alles so haltbar sein
wird.
({0})
Ich will deutlich sagen: Es gibt durchaus Punkte, die
wir positiv bewerten. Wir freuen uns, dass das Kapitel
interkommunale Zusammenarbeit, Herr Staatssekretär,
wieder herausgenommen wurde. Allerdings muss man
trotzdem sagen: Am Status quo hat sich nichts geändert.
({1})
Dieser Status quo ist aber schon schwierig genug. Dort
zu anderen Lösungen zu kommen, ist ganz offenbar
nicht gelungen.
({2})
Wir freuen uns, dass in dem Gesetzentwurf das Präqualifizierungsverfahren aufgenommen wurde, auch wenn
wir selber gerne noch weitergehen würden. Wir haben
dazu einen Antrag vorliegen, für den wir um Zustimmung bitten.
Ich komme zum Thema Mittelstandsfreundlichkeit.
Es ist absolut richtig, dass Sie das aufgegriffen haben.
Das ist dringend notwendig. Wir sehen aber schon die
Probleme in diesem Bereich, besonders bei der Bürokratie. Ich werde gleich darauf zurückkommen.
Es gibt aber für uns einige ganz wesentliche Kritikpunkte, die uns dazu veranlassen, diesen Gesetzentwurf
zur Vergaberechtsmodernisierung abzulehnen. Der erste
Kritikpunkt - das ist ein ganz besonderer - sind die vergabefremden Aspekte. Sie haben diese nun nach langer
Diskussion in den Text aufgenommen. Ich bitte Sie, sich
einfach einmal vorzustellen, was das in der Praxis heißen wird. Ich war lange genug Kommunalpolitiker, um
das beurteilen zu können. Jetzt geht es schon bei der
Ausschreibung mit dem Streit in den kommunalen Parlamenten darüber los, welche Kriterien aufgenommen
werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Gesetzgeber. Wir haben die Möglichkeit, Gesetze zu den wesentlichen Fragen zu machen, die uns bewegen. Wir sollten uns aber hüten, gewisse Punkte über die Hintertür in
das Vergaberecht hineinzubringen. Ich denke dabei an
den Mindestlohn, aber auch an Umweltaspekte. Wir sollten in diesem Hohen Hause Gesetze machen, die die
Vergabe regeln, statt dies mit allen damit verbundenen
Problemen auf andere abzuschieben. Deshalb lehnen wir
diesen Punkt ab.
({3})
Wir halten die Regelungen zu den Sektorenauftraggebern für verfehlt. Das öffnet Türen, wovor wir nur
warnen können. Ich will das nicht im Detail ausmalen,
aber ich denke zum Beispiel daran, was im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn alles möglich sein wird.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass mit dieser
Novellierung kein Bürokratieabbau erfolgt.
({4})
Das geben Sie in der Einleitung zum Gesetzentwurf
selbst zu. Ich zitiere:
Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine
Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Wir hätten erwartet, dass die Novellierung zu Preissenkungen führt. Das muss doch der Sinn der Sache sein.
({5})
Ich zitiere weiter aus der Einleitung:
In dem vorliegenden Gesetzentwurf werden keine
Informationspflichten eingeführt, modifiziert oder
abgeschafft.
Was die Bürokratie angeht, ändert sich also nichts. Das
wäre aber ein wesentlicher Punkt gewesen.
Damit komme ich zu einer allgemeinen Bewertung.
Wir haben am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss eine
Anhörung durchgeführt. Einige Experten haben sehr
deutlich darauf hingewiesen, dass die Novellierung des
Vergaberechts eine Chance wäre, gerade jetzt in der beginnenden Rezession gegenzusteuern, dass diese Chance
aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf völlig ungenutzt bleibt.
({6})
Professor Straubhaar vom HWWI hat das Vergaberecht als einen Hemmschuh für die Wirksamkeit staatlicher Infrastrukturprogramme bezeichnet. Professor
Blankart hat ausdrücklich festgestellt, dass die Novellierung schlecht für den Mittelstand ist, und angemahnt,
dass gerade in der Krise eine grundlegende Vereinfachung hätte erfolgen müssen, die aber ausgeblieben ist.
Vereinfachung - so Blankart - und Deregulierung wären
ein erstes Konjunkturprogramm, das übrigens nichts
kostet und damit auch nicht zur Neuverschuldung beiträgt.
({7})
Wir werden den Gesetzentwurf ablehnen, weil wir in
den wesentlichen Punkten, die ich genannt habe, eine andere Auffassung vertreten und den Gesetzentwurf insgesamt gerade in der jetzigen Zeit für einen falschen Ansatz halten. Man hätte das Vergaberecht mutiger
novellieren müssen. Dazu hat Ihnen der Mut gefehlt. Sie
sind nicht zu Potte gekommen. Das hat auch der zeitliche Ablauf gezeigt.
Ich hoffe, dass sich das Regelwerk in der Praxis einigermaßen bewähren wird. Man hätte aber auch jetzt
schon etwas Solideres schaffen können.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Reinhard Schultz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal ist es eine gute Nachricht,
dass wir unmittelbar vor Heiligabend nach einer wohl
dreijährigen Diskussion tatsächlich eine Reform des Vergaberechts zustande bringen, die alle Ziele, die die Koalition vereinbart hat, auch verwirklicht.
Dazu gehört an erster Stelle - darin stimme ich Herrn
Schauerte ausdrücklich zu - eine deutlich bessere Beteiligungsmöglichkeit kleiner und mittlerer Unternehmen
an öffentlichen Vergaben. Wir haben auch eine deutlich
höhere Transparenz und Rechtssicherheit für alle Beteiligten in den meisten Konfliktpunkten erreichen können.
Letztendlich haben wir auch eine Öffnung für soziale,
ökologische und innovative Belange in der Disposition
der Vergabestellen - also der Kommunen, der Länder
und des Bundes - erreicht. Ich finde, das ist eine ausgesprochen gute Nachricht.
({0})
Angesichts der Riesensummen, die öffentlich vergeben werden - etwa 300 Milliarden Euro im Jahr in
Deutschland und 1 Billion Euro in den europäischen
Ländern; daran sind 30 000 Vergabestellen des Bundes,
der Länder und der Kommunen beteiligt -, kann man
nicht erwarten, dass man ein solches Regelwerk auf ei21386
Reinhard Schultz ({1})
ner DIN-A4-Seite zusammenfassen kann. Dazu ist das
Thema zu kompliziert. Wer das Regelwerk so vereinfachen wollte, müsste Vergabe nach Gutsherrenart wollen.
Dann werden die Aufträge einfach über den Tisch geschoben, mit allen damit verbundenen Risiken hinsichtlich der Qualität und der Preise, aber auch des rechtmäßigen Zustandekommens der Aufträge, Stichwort
Korruption. Insofern kann die Grundlage für das Verhältnis von privaten Auftragnehmern zur öffentlichen
Hand nicht einfach sein. Sie muss allerdings transparent
sein. Das ist gelungen, glaube ich.
Wer wie Herr Burgbacher erwartet hat, dass wir das
Vergaberecht so novellieren, dass es von sich aus geeignet ist, die Preise zu drücken, der hat grundsätzlich eine
falsche Erwartungshaltung gegenüber dem Vergaberecht. Wer ein Vergaberecht will, das dem Preisdumping
Tür und Tor öffnet, hätte es bei der grundsätzlichen Lösung zugunsten von Generalunternehmern und gegen die
bessere Beteiligung von mittelständischen Unternehmen
belassen können. Ich bin überzeugt, dass wir aufgrund
der losweisen Vergabe von Aufträgen, die dazu führt,
dass bei großen Baustellen nicht in erster Linie der Generalunternehmer, sondern die kleinen Handwerker und
Bauunternehmen gefragt sind, zu Preissenkungen kommen. Der Bundesrechnungshof hat uns mehrfach bei den
eigenen Bundesbaustellen vorgerechnet, dass die Generalunternehmerlösung unter dem Strich deutlich teurer
ist, was die Baukosten angeht, wesentlich mehr Gewährleistungsprobleme mit sich bringt und eine große offene
Flanke hinsichtlich der Folgekosten hat, weil diese vorher oft nicht berücksichtigt werden. Es ist zwar nicht bezifferbar, aber die Struktur ist nun so angelegt, dass es
für die öffentliche Hand billiger wird und dass trotzdem
die kleinen und mittleren Unternehmen auskömmliche
Preise erzielen können. Das ist doch der Sinn der ganzen
Angelegenheit. Das ist eine gute Leistung.
Wir haben es darüber hinaus den kleinen und mittleren Unternehmern, die sich an öffentlichen Aufträgen
beteiligen wollen, deutlich erleichtert, sich zu qualifizieren. Wer Angaben über seine Erfahrungen in die angebotene Internetplattform einstellt, braucht nicht mehr
ganze Aktenordner an Referenzen und Eignungsnachweisen jeder Bewerbung beizufügen - manche Unternehmen beteiligen sich in der Woche 20- bis 30-mal an
Ausschreibungen -, sondern braucht nur noch auf die
Internetplattform zu verweisen; das ist ein wichtiger
Punkt und im Übrigen ein Anliegen der FDP in einem
Antrag. Wir haben das aufgegriffen. Auf jeden Fall habe
ich das in die Berichterstattergespräche eingebracht, sozusagen in Erinnerung an die lichtvollen Ausführungen
seitens der Kollegen der FDP zu diesem Punkt. Ich sage
das, weil ich deutlich machen will, dass parlamentarische Beratungen über die engen Grenzen der Koalition
hinaus etwas bewirken können.
Wir haben die Kriterien, wonach Unternehmen von
Ausschreibungen ausgeschlossen werden dürfen oder an
Ausschreibungen beteiligt werden müssen, präzisiert
und den Begriff der Zuverlässigkeit um den Begriff der
Gesetzestreue ergänzt. Wir halten das für einen ganz
wichtigen Punkt. Man sollte sich hierzu die Begründung
des Gesetzentwurfs anschauen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Zuverlässigkeit nicht immer mit Gesetzestreue gleichgesetzt. Gesetzestreue bedeutet, nicht nur
das deutsche Straf- und Steuerrecht zu befolgen, sondern
ausdrücklich auch internationales Recht wie Verträge,
die in Deutschland ratifiziert wurden, einzuhalten. Ich
nenne als Beispiel die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation, zu denen auch das Verbot von Kinderarbeit in der gesamten Produktionskette gehört. Das ist
für uns ein sehr wichtiger Punkt.
({2})
Über die sozial-ökologischen und innovativen Vergabekriterien gab es eine lange Auseinandersetzung - auch
innerhalb der Bundesregierung -, bis uns ein Regierungsentwurf zugeleitet werden konnte. Dabei kam es zu
einer Verzögerung von 14 Tagen bzw. drei Wochen, weil
Herr Fuchs seine Truppen innerhalb der Union aufgestellt hatte und so das Verfahren leicht behindert hat. Das
Schöne war aber, dass der Regierungsentwurf uns nach
drei Wochen völlig unverändert zugeleitet wurde. So
konnte die EU-Vergaberichtlinie mit ihren Möglichkeiten eins zu eins in deutsches Recht umgesetzt werden.
Daraufhin gab es einige Fragen: Sollten wir das nicht
härter formulieren? Sollen wir uns dafür einsetzen, dass
die Berücksichtigung sozial-ökologischer und innovativer Kriterien ein Muss ist? Wir sind inzwischen der
Auffassung, dass es eine Frage der Dispositions- und Organisationsfreiheit der Vergabestellen auf Bundes- und
Landesebene sowie auf kommunaler Ebene ist, von Fall
zu Fall zu entscheiden, welche Kriterien sie berücksichtigen wollen. Dadurch wird es Unterschiede in der Vergabepolitik geben. Das gilt auch im Hinblick auf den interkommunalen Vergleich. Herr Burgbacher, ich habe
überhaupt keine Angst davor, dass sich die Mitglieder
von Gemeinderäten und Kreistagen - ich selber blicke
auf eine segensreiche 34-jährige kommunale Tätigkeit
zurück - einmischen. Ich will, dass sie sich einmischen
und dass sie verantwortungsvolle Entscheidungen auch
in Sachen Sozialkriterien und Ökologie treffen
({3})
und dass das nicht nur dem Baubeigeordneten überlassen
wird, der rucki, zucki seine Bauprojekte durchziehen
will. Wir haben eine gesellschaftspolitische Verantwortung, gerade dann, wenn wir Aufträge nach außen vergeben. Diese Verantwortung geben wir jetzt ausdrücklich
den kommunalen Vergabestellen, aber auch denen der
Länder und des Bundes.
Wir haben uns große Mühe gegeben, einmal zu
durchleuchten, was das denn eigentlich praktisch heißt,
zum Beispiel vor dem Hintergrund des Rüffert-Urteils,
das uns alle - zumindest uns Sozialdemokraten - sehr
beunruhigt hat. Es ging darum, dass der EuGH eine Bauauftragsvergabe untersagt hat, weil die Tariftreue zur
Auflage gemacht wurde, es aber im Baubereich keinen
allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt und Teiltarifverträge nicht gelten. Wir haben gemeinsam mit der
Bundesregierung festgestellt, dass es diesen offenen
Konflikt zwischen dem Entsenderecht und dem Vergaberecht gibt, der sich im Zuge der weiteren RechtspreReinhard Schultz ({4})
chung in die eine oder andere Richtung entwickeln wird.
Ich glaube nicht, dass die EU auf der einen Seite ein offenes Vergaberecht machen kann, bei dem soziale Kriterien eine Rolle spielen, und auf der anderen Seite ein
Entsenderecht aufrechterhalten kann, bei dem diese Kriterien keine Rolle spielen dürfen. Aber der Grundsatz
„Entsenderecht schlägt Vergaberecht“ gilt nur für die
Branchen, die dem Entsenderecht unterliegen. Das sind
weiß Gott nicht alle. Es handelt sich um drei wesentliche
Branchen, die Baubranche - natürlich eine ganz wichtige -, die Briefzustellung und die Gebäudereinigung.
Ansonsten gilt das nicht. Da können auch Teiltarifverträge und andere Vorgaben gelten.
Wir haben herausgefunden, dass eine Vergabestelle
durchaus sachlich begründete Vorgaben machen kann,
wie die Aufträge abzuwickeln sind. So kann geregelt
werden, dass das eingesetzte Personal eine angemessene
Bezahlung erhält. Es kann auch eine Summe, zum Beispiel eine Untergrenze, für diesen Auftrag festgelegt
werden. Weiterhin kann eine Mindestqualifikation oder
eine Mindeststammbelegschaft, mit der der Auftrag auszuführen ist, gefordert werden. Natürlich gelten diese
Auflagen nur für den speziellen Auftrag. Ich möchte
aber die Unternehmen, die sich regelmäßig um öffentliche Aufträge in ihren Kommunen bewerben, sehen, die
auftragsbezogen unterschiedliche Löhne zahlen. Da wird
sich ein Spannungsverhältnis ergeben, das dazu führen
wird, dass am Ende selbstverständlich alle angemessen
bezahlt werden. Dieser Druck besteht, und wenn die
nachfragende Seite, die öffentliche Hand, das will, dann
wird sich das gut entwickeln. Ich finde, es haben sich
sehr gute Möglichkeiten ergeben.
Eine gute Lösung haben wir gemeinsam hinsichtlich
der Absicherung von städtebaulichen Verträgen, Grundstücksgeschäften und der Umsetzung von Entwicklungszielen der Gemeinde über Grundstücksgeschäfte erzielt.
Das darf nicht dem Wettbewerb ausgesetzt werden. Das
ist vielmehr Kommunalrecht in Reinkultur. Eine
Schwachstelle, die nicht zu unterschätzen ist, gibt es allerdings: Das ist die interkommunale Zusammenarbeit.
Hierüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Im Ergebnis hat sich, wie Herr Burgbacher richtig dargestellt
hat, nichts geändert. Das ist oft so. Es gab Personen, die
die Tür zugunsten von Privatisierungen selbst bis tief in
den Bereich der Daseinsvorsorge hinein öffnen wollten.
Wir wollten die interkommunale Zusammenarbeit rechtlich absichern. Wir haben jetzt eine Situation, die sehr
streitanfällig ist und mit der sich die Gerichte befassen.
Das neueste EuGH-Urteil hinsichtlich der Absicherung
von Zweckverbandslösungen gibt uns aber Hoffnung,
dass die künftigen Urteile besser ausfallen werden. Es
besteht die Chance, dass sich auch hier, falls der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen sollte, etwas
verbessert, weil der Bundesrat selbst ein eindeutiges Petitum abgegeben hatte, die interkommunale Zusammenarbeit im Vergaberecht besser abzusichern. Wir müssen
sehen, was im Februar geschieht.
Unter dem Strich gesehen, so glaube ich, haben wir
gute Arbeit geleistet. Wir haben den an sich schon guten
Gesetzentwurf der Bundesregierung durch gemeinsame
Anstrengungen der Koalition, der Berichterstatter und
der mitberatenden Ausschüsse erheblich verändert. Ich
bedanke mich ausdrücklich bei dem Kollegen
Dr. Nüßlein für die Zusammenarbeit. Trotz aller Guerillakämpfe am Rande sind wir ruhige Säulen im Auge des
Taifuns geblieben und haben den Gesetzentwurf pünktlich vor Weihnachten über die Bühne gebracht. Ich
glaube, die Leistung kann sich sehen lassen.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die
Kollegin Ulla Lötzer.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sie gestatten, dass ich Ihre Einschätzung nicht teile, Kollege
Schultz. Das will ich noch einmal begründen.
In der Anhörung des Ausschusses zu dem hier vorliegenden Entwurf hatten gewerkschaftliche Vertreter verdeutlicht: Bis zum April 2008 hatten acht Bundesländer
Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen verbindlich vorgeschrieben. Dann kam das von Ihnen bereits erwähnte
Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofes, in dieser
Hinsicht ein Skandalurteil, weil es nur noch allgemeinverbindliche Tarifverträge als Voraussetzung für öffentliche Aufträge zulassen wollte. Damit wurde dieser Prozess in den Ländern leider gestoppt. Insofern haben
sowohl die Länder als auch die Kommunen Rechtssicherheit und Klarheit von diesem Gesetzentwurf erwartet.
Nicht nur hinsichtlich der Frage der Mittelstandsfreundlichkeit, Herr Schauerte, sondern auch hinsichtlich der
Tariftreue wollten sie Rechtssicherheit und Klarheit haben.
Im Bundesrat sind dann Ihre Vertreter, Kollege
Schultz, noch relativ vollmundig aufgetreten. Sie forderten, Tariftreue trotzdem als Voraussetzung für öffentliche Aufträge zu verankern und das Ganze europarechtlich abzusichern. Nur ist leider daraus nichts geworden:
Die Bundesregierung hat bis heute keinerlei Initiative zu
einer europarechtlichen Absicherung unternommen, und
von daher steht noch immer die Frage im Raum, ob Binnenmarktfreiheit Vorrang gegenüber sozialen Grundrechten hat. Wenn der Zustand unverändert bleibt, dann
ist das so. Das halten wir nach wie vor für einen demokratischen Skandal.
({0})
Stattdessen ziehen Sie sich jetzt auf das Verbot der
Kinderarbeit - darin gebe ich Ihnen recht - und auf die
allgemeinverbindlichen Tarifverträge zurück, mit denen
ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten der Branche Gültigkeit bekommt. Sie sagen aber nichts dazu, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in Deutschland die
Ausnahme und nicht die Regel ist. In Deutschland sind
nur 1,5 Prozent aller Tarifverträge allgemeinverbindlich,
in Frankreich sind es 90 Prozent und in den Niederlanden 70 Prozent.
({1})
Die Forderungen aber, als Ausweg aus diesem Dilemma zumindest die Allgemeinverbindlichkeit auf
Bundesebene zu erleichtern und mit einem allgemeinverbindlichen gesetzlichen Mindestlohn wenigstens eine
gesetzliche Untergrenze für alle zu schaffen, ignorieren
Sie völlig. Auf diesem Ohr sind Sie nach wie vor taub,
Herr Schauerte. Stattdessen haben Sie jetzt eine Regelung ins Gesetz eingefügt, öffentliche Aufträge an gesetzestreue Betriebe und Unternehmen zu vergeben. Angesichts dessen frage ich Sie: Muss man in einem Gesetz
festschreiben, dass Gesetze auch für Unternehmen gelten? Soll das vielleicht der soziale Fortschritt in diesem
Gesetzentwurf sein?
({2})
Darüber hinaus finden sich darin nur unverbindliche
Kannregelungen für zusätzliche auftragsbezogene soziale oder ökologische Bedingungen. Ich sehe das anders
als Sie, Kollege Schultz. Die finanzstarke Kommune A
wird vielleicht, wenn sie gerade von vernünftigen Leuten regiert wird oder solche im Stadtrat sind oder der
Druck von Gewerkschaften oder Umweltverbänden groß
ist, ihre Aufträge an Umwelt- und Sozialauflagen koppeln, beispielsweise, dass das Unternehmen einen Mindestlohn zahlt. Die klamme Nachbarkommune verzichtet darauf. Sie nimmt den billigsten Anbieter und lässt
weiter „Geiz ist geil“ regieren. Wer dort arbeitet, hat
eben Pech gehabt und muss zusätzlich Hartz IV beantragen. Das ist nicht sozial ausgewogen, das bedeutet keine
Rechtssicherheit, sondern das Gegenteil davon, also Ungleichheit vor dem Gesetz. Das ist Rechtsunsicherheit,
Kollege Schultz.
({3})
Sie hätten die Chance gehabt, etwas gegen die im
europäischen Vergleich beschämende Reallohnentwicklung in der Bundesrepublik zu unternehmen. Sie hätten
die Chance gehabt, 30 000 Vergabestellen klare und einheitliche Regeln für den Umgang mit den Steuergeldern
an die Hand zu geben.
CDU und FDP - wir haben es gerade wieder gehört nennen das vergabefremd. Wir bezeichnen dies als das
Setzen sozialer und ökologischer Normen und Standards
für die Unternehmen im Markt.
({4})
Das ist unserer Auffassung nach Aufgabe der Wirtschaftspolitik und nicht vergabefremd.
({5})
Stattdessen haben Sie noch die letzte fortschrittliche
Regelung zur interkommunalen Zusammenarbeit aus
dem Gesetz gestrichen.
({6})
Ich stelle hier heraus: Die Entscheidungsfreiheit einer
Kommune, den Winterdienst zusammen mit der Nachbargemeinde zu erledigen oder ihn auszuschreiben, ist
ihr demokratisches Grundrecht und nicht durch eine Vorschrift im Vergabegesetz zu unterlaufen.
Von daher sagen wir: Nutzen Sie die letzte Chance
heute! Legen Sie Ihren Entwurf an die Seite! Stimmen
Sie unserem Antrag zu!
({7})
Danach sind soziale und ökologische Kriterien zu verankern. Das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk für
alle.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lötzer, man kann sich zu Weihnachten viel wünschen. Mein kleiner Sohn macht das zum Beispiel. Er
bekommt auch nicht alles.
({0})
Von daher glaube ich: Es wird bei dem Wunsch bleiben.
Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten - das gleich vorweg -, da wir es
wirklich richtig und sinnvoll finden, dass wir in
Deutschland jetzt der EU-Ebene folgen, die Richtlinie
umsetzen und sozial-ökologische Kriterien bei der Vergabe berücksichtigen. Das ist uns so wichtig, dass wir
dem Gesetz nicht im Weg stehen wollen. Eine Zustimmung bekommen Sie von uns allerdings nicht - das
werde ich auch noch erklären -; wir werden uns, wie gesagt, enthalten.
({1})
In dem Gesetzentwurf gibt es einzelne Punkte, die wir
für richtig halten. Die Aufteilung in Fach- und Teillose
- Sie haben es angesprochen - ist sinnvoll. Dass die Präqualifizierung enthalten ist, ist sinnvoll. Es war übrigens
nicht nur die FDP, die das beantragt hat, sondern auch
wir. Zu nennen ist ferner der wettbewerbliche Dialog.
Sie haben also doch ein paar Punkte aufgenommen, die
wirklich richtig und sinnvoll sind.
Sie haben einiges nicht aufgenommen; darauf möchte
ich jetzt eingehen. Wir haben einen Antrag vorgelegt,
nach dem versucht werden soll, Angebotsdumping zu
verhindern. Darin sind wir in der Anhörung bestätigt
worden. Das Problem ist nämlich, dass immer noch die
Vorstellung besteht: Hauptsache, das billigste Angebot. Angebotsdumping hätten wir verhindern können, wenn
wir geregelt hätten, sinngemäß: Die vergebende Stelle
muss die Möglichkeit haben, zu beschließen, dass das
billigste Angebot rausfliegt.
({2})
Das ist eine Regelung, die in der Schweiz existiert, sogar
als Vorgabe von oben. Nach unserem Vorschlag sollte es
nur heißen, dass die vergebende Stelle die Möglichkeit
haben soll. Das wäre durchaus eine Chance gewesen, um
Angebotsdumping zu verhindern.
Beim Thema Korruptionsregister beschränken Sie
sich darauf, uns in einer Protokollerklärung oder Notiz
der Berichterstatter zuzugestehen, dass man sich diesem
Thema noch einmal nähern will. Ich finde das sehr
schade. Wir sind beim Thema „Korruption“ und „Korruptionsregister“ schon viel weiter. Nach dem, was
Transparency International über Deutschland schreibt,
besteht ein unheimlich großer Handlungsbedarf. Entsprechende Registerregelungen der Länder gelten. Der
Bund hätte durchaus folgen können. Hierzu haben wir
einen Entschließungsantrag vorgelegt.
({3})
Zu den Stichworten „Entsenderichtlinie“, „Mindestlöhne“ bzw. „Rüffert-Urteil“ ist schon einiges gesagt
worden. Herr Schultz, Sie können es natürlich erklären
und erklären. Sie haben wahrscheinlich sogar recht damit, dass Sie im Rahmen des Vergaberechts so weit gegangen sind, wie Sie gehen konnten. Das gilt aber eben
nur in diesem Rahmen. Wenn es nicht bei Krokodilstränen bleiben soll, die Sie in den Augen haben, wenn Sie
zum Fahrer in den Wagen steigen, müssen Sie auf nationaler Ebene Gesetze ändern. Sie müssen sich beim
Thema Mindestlohn bewegen. Sie müssen sich beim
Thema Allgemeinverbindliche Tarifverträge bewegen.
({4})
Letzter Punkt: interkommunale Vergabe. Das ist tragisch.
({5})
Es gab einen Gesetzentwurf, in dem das enthalten war.
Das war keine Erfindung von uns. Es stand in Ihrem Gesetzentwurf, einem Gesetzentwurf, den der Wirtschaftsminister Glos im Kabinett mit verabschiedet hat.
({6})
Dann kommen die Wirtschaftsverbände, machen richtig
Druck und sagen: Das muss raus.
({7})
Was macht die Union? Sie gibt an dieser Stelle nach.
Ich will jetzt sehen, wie Sie in Ihre Wahlkreise gehen
und mit Ihren Bürgermeistern und Gemeinderäten reden mit leeren Händen in der Frage der Rechtssicherheit bei
der Vergabe an Zweckverbände und gemeindeübergreifende Organisationen.
({8})
Vor ein paar Wochen haben wir hier über die Finanzund Wirtschaftskrise diskutiert. Es kamen mildeste moralische Töne im Sinne von: Man kann nicht alles privatisieren. Man muss sich die Frage stellen, was die Aufgabe des Staates ist. - Aber hier schaffen Sie für die
Kommunen keine Rechtssicherheit auf der lokalen
Ebene!
({9})
Das ist bitter. Wir haben auch in diesem Fall einen Entschließungsantrag vorgelegt, weil die Angelegenheit uns
wirklich wichtig ist. Manche werden echte Probleme haben müssen, gegen diesen Entschließungsantrag zu stimmen. Wie ich weiß, gibt es zumindest in den Reihen der
SPD einige, die hinter unserem Entschließungsantrag
stehen.
Es handelt sich um einen Kompromiss. Jetzt kündigen
Sie an, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird.
Meine Damen und Herren von der Union, ich möchte
Sie wirklich bitten, an dieser Stelle noch einmal genau
zu prüfen, ob Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben. Angesichts der Worte, die hier teilweise gefallen
sind, müssen Sie schon Konsequenzen ziehen und Taten
folgen lassen. Das betrifft die Frage „Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge - Handlungsfähigkeit der
Kommunen“. Nicht alles unter Renditeorientierung zu
sehen, das wäre eigentlich der richtige Weg. Insofern
werden wir uns heute enthalten.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst zu den Linken: Es ist ein historischer Tatbestand,
dass an Weihnachten einmal kurzfristig eine Front aufgehoben wurde. Sie brauchen aber nicht die Hoffnung zu
hegen, dass wir das gegenüber den Linken tun. Ich
glaube, das ist Ihnen klar.
({0})
Außerdem sage ich ganz offen: Dieses Gesetz war
eine schwere Geburt mit vielen Geburtswehen. Das lag
nicht daran, dass sich die Koalitionspartner nicht hätten
verständigen können; vielmehr gab es quer durch unsere
Reihen einfach unterschiedliche Interessen. Es ist darum
gegangen, die Interessen der Auftraggeberseite und die
der Auftragnehmerseite sinnvoll zu vereinen. Im Rahmen des Möglichen ist uns das gelungen.
Nachdem hier insbesondere zum Bürokratieabbau einiges gesagt wurde, sage ich ganz offen: Dieses Gesetz
ist nicht geeignet, Bürokratie abzubauen. Stattdessen
sollen durch Bürokratie bestimmte Dinge geregelt werden, nämlich die Vergabe. Wer in diesem Zusammenhang Bürokratieabbau fordert, sollte dafür eintreten, das
Thema Vergabe von der Tagesordnung zu streichen und
eine freihändige Vergabe zu erlauben. Nur: Das ist etwas, was wir alle miteinander nicht wollen.
Kollegin Andreae, was die interkommunale Vergabe
angeht: Ich meine, dass mit dem, was wir am Schluss geregelt haben, Zweckverbandslösungen möglich sind.
Was die Vertragsgegenstände - ich denke insbesondere
an das Thema Baukonzessionen - angeht, ist das, was
wir erarbeitet haben, sogar präziser als das, was bis jetzt
im Gesetz steht. Wir sollten uns jetzt nicht dem Vorwurf
aussetzen, wir hätten einer Liberalisierung zu sehr Rechnung getragen oder wir hätten der Rekommunalisierung
zu sehr Vorschub geleistet. Genau darum ist es uns an
dieser Stelle gegangen: etwas zu machen, was deutlich
zeigt, dass das Vergaberecht nicht dazu geeignet ist, in
dieser Art und Weise in die Wirtschaft einzugreifen.
({1})
Die Kommunen haben insbesondere Wert darauf gelegt, dass das Ahlhorn-Urteil gesetzgeberisch korrigiert
wird. Beide Berichterstatter haben dafür Sorge getragen,
dass dieser Aspekt schon im Referentenentwurf berücksichtigt wird. Insofern haben die Kommunen an dieser
Stelle überhaupt keinen Grund, uns etwas vorzuwerfen.
Im Gegenteil: Durch unser Gesetz werden die Möglichkeiten der städtebaulichen Gestaltung verbessert.
Herr Burgbacher, die FDP hat gesagt, man müsse dafür sorgen, dass derjenige, dessen Angebot am günstigsten ist, den Zuschlag erhält.
({2})
Ich sehe das grundlegend anders. Frau Andreae, den
Mut, nicht den billigsten Anbieter zu nehmen, den die
Vergebenden haben müssen, können wir aber nicht ins
Gesetz schreiben.
({3})
Man hat die Spielräume. Man hatte sie im Übrigen schon
vorher, und man wird in Zukunft noch sehr viel mehr
Spielräume haben. In Zukunft besteht die Möglichkeit
- sie wurde, auch in unseren Reihen, heftig als „vergaberechtsfremd“ kritisiert -, zusätzliche Qualitätsanforderungen zu stellen, die bei der Auswahl der Bieter ebenfalls eine Rolle spielen. Auch das muss man einmal
sehen. Insofern appelliere ich an die Kolleginnen und
Kollegen, insbesondere in den Kommunalparlamenten,
die Spielräume im Rahmen des Zulässigen zu nutzen.
Das können wir beim besten Willen nicht ins Gesetz
schreiben.
Ich betone noch einmal: Die vergaberechtsfremden
Kriterien in dieser Kannausgestaltung - man kann darüber unterschiedlich urteilen - muss man als Qualitätsanforderung verstehen. Wir stellen denen, die ausschreiben, im Rahmen der Subsidiarität anheim, wie sie diese
Kriterien letztendlich betonen.
Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, eine gewichtige Mittelstandskomponente einzubauen. Von den
großen Bauunternehmen wird aber nun gesagt, das sei
verfassungswidrig. Das ist es aus meiner Sicht nicht,
weil wir ja nicht hineingeschrieben haben, dass nur Mittelständler zum Zuge kommen dürfen. Vielmehr haben
wir nur die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie
zum Zuge kommen können. Das ist das Entscheidende.
Insofern geht es an dieser Stelle um das Herstellen von
Chancengleichheit. Das ist verfassungsrechtlich nicht
angreifbar.
Dass wir die Public-Private-Partnership-Thematik
miteinbezogen haben, halte ich für richtig. Wir sind der
festen Überzeugung, dass damit in Zukunft bei PublicPrivate-Partnership-Maßnahmen Mittelstandsinteressen
entsprechend berücksichtigt werden.
Der Kollege Schultz hat zum Thema Transparenz
schon einiges gesagt. Wir wollten mit Sicherheit nicht
für einen kompletten Rechtsschutz unterhalb der entsprechenden Schwelle sorgen. Ich gebe aber offen zu,
dass es auch bei uns den einen oder anderen gegeben hat
- ich gehöre dazu -, der Sympathien für die Idee hatte,
eine ganz schlanke Transparenzregel so im Gesetz zu
verankern, dass es per sekundärem Rechtsschutz die
Möglichkeit gegeben hätte, hier anzusetzen. Das haben
wir letztendlich aufgrund guter Argumente fallen gelassen. Man hat uns nämlich glaubhaft versichert, dass dieser Komplex im Rahmen von VOB und VOL geregelt
ist. Unter dem Gesichtspunkt finde ich es nicht tragisch,
dass diesbezüglich nichts drinsteht. Man hätte aber das
Argument auch umdrehen können und sagen können: Es
wäre unschädlich, wenn es drinstünde.
Nun wurde vorhin schon gefragt, wie man dazu
komme, das Kriterium der Gesetzestreue ins Gesetz zu
schreiben; das sei ja ohnehin klar. Ich sage dazu: Das ist
richtig. Aber dieser Passus hält natürlich insbesondere
die Linken davon ab, wieder wie beim letzten Mal einen
Katalog von Dingen aufzustellen, die bei Ausschreibungen noch zu berücksichtigen sind, obwohl sie ohnehin
schon an anderer Stelle gesetzlich verankert sind. Ein
solches Vorgehen wurde mit dem Hinweis auf die Gesetzestreue unterbunden.
({4})
Man hätte das also nicht unbedingt machen müssen, weil
alle Vernünftigen auch so verstanden hätten, was gemeint war, aber eben nur alle Vernünftigen, liebe Frau
Kollegin. Ernsthaft ist hier noch anzumerken, dass es
richtig war, den Katalog an Kriterien so allgemein zu
fassen, wie er nun im Gesetz steht.
Das Register, in dem schwere Verfehlungen erfasst
werden, ist ein Thema, über das man noch einmal reden
kann, aber - das sage ich ganz offen - nicht unter der
Maßgabe des Vorschlags der Grünen, dass schon der
Verdacht ausreiche,
({5})
sondern nur unter der Maßgabe, dass es sich um
schwerste Verfehlungen handeln muss, die in einem
Strafprozess strafrechtlich bewehrt wurden. Für mich ist
also ganz wichtig, dass die Aufnahme eines Unternehmens in solch ein Register nicht der Willkür oder der Interessenverfolgung einer Behörde obliegt. Hierbei geht
es nämlich um Rechtssicherheit. Wenn wir das nicht in
dieser Weise regeln können, dann sollten wir dieses Vorhaben aus meiner Sicht sein lassen.
Das ist das, was ich Ihnen in aller Kürze zu diesem
Gesetz sagen wollte. Auch ich bedanke mich natürlich
bei meinem Mitberichterstatter. Die Gespräche waren
über weite Strecken ausgesprochen konstruktiv. Wir
beide haben uns bemüht, alle Interessen zu berücksichtigen. Ich denke, dass das Ganze noch schneller und präziser gewesen wäre, wenn nur wir beide uns darum gekümmert hätten. Aber so geht es in der Demokratie Gott
sei Dank nicht; es muss auch ab und zu etwas anderes
herauskommen können.
In diesem Sinne: Vielen Dank und frohe Weihnachten!
({6})
Walter Riester hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mehrere Redner haben schon darauf hingewiesen: Dem
Gesetz kommt in der Tat eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Vergabeleistungen in Höhe von rund
260 Milliarden Euro bekommen hiermit einen Regelungsrahmen, und zwar in zwei Richtungen. Ich möchte
das nicht nur auf diejenigen, die Aufträge vergeben, und
diejenigen, die eine Leistung erbringen, also die Unternehmer, begrenzen. Denn es geht angesichts von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Arbeit leisten, auch um die Frage, unter welchen
Bedingungen die Leistung erbracht wird. Das ist ein
ganz wichtiger, ein entscheidender Punkt.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass es beim Gesetzgebungsverfahren mehrere Zielsetzungen gab: mehr
Rechtssicherheit, mehr Klarheit, mehr Vereinfachung,
mehr Mittelstandsfreundlichkeit. Ich bin der Auffassung,
dass es gelungen ist, diese Ziele zu erreichen. Herr
Burgbacher, wenn Sie kritisieren, dass im Gesetzentwurf
bürokratische Elemente enthalten seien, die nicht mittelstandsfreundlich seien, dann mögen Sie sich damit absolut legitim auf eine Position der FDP beziehen. Das ist
auch Ihre Aufgabe.
({0})
Ebenso mögen Sie sich auf die Aussage eines Wissenschaftlers, den Sie hier anführen, beziehen.
({1})
Aber Sie können sich nicht auf den Mittelstand beziehen. Ich zitiere aus einem Schreiben, das wir alle erhalten haben, vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, der immerhin 750 000 Betriebe mit 4,5 Millionen
Beschäftigten vertritt:
Wir bitten Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Da der vorgelegte Gesetzentwurf zu einer Vereinfachung des Vergaberechts, zu mehr Rechtssicherheit
sowie insbesondere zu einer Stärkung des Mittelstandes führen wird, begrüßen wir diesen Gesetzentwurf ausdrücklich …
({2})
Hier spricht ein Verband legitim für den Mittelstand.
Ihre Position ist unbestritten eine Position der FDP.
Kollegin Andreae, ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu.
({3})
Trotzdem komme ich im Ergebnis zu einer anderen Entscheidung, und zwar nicht deswegen - das sage ich Ihnen ganz offen -, weil ich der Koalition angehöre, sondern weil ich überzeugt bin, dass wir hier einen sehr
guten Gesetzentwurf vorliegen haben, von dem ich
hoffe, dass er wirken wird.
Sie sagen beispielsweise völlig zu Recht, dass der Gesetzgeber in der Frage der Tarifgestaltung, wie sie in den
Gesetzentwurf aufgenommen worden ist, an der Grenze
seiner Möglichkeiten ist. Davon verstehe ich etwas, und
diese Meinung teile ich völlig. Fragen wie Allgemeinverbindlichkeit und Mindestlohn müssten im Tarifvertragsgesetz anders geregelt werden. Auch diese Auffassung teile ich. Aber das ist nichts, was ich an diesem
Entwurf kritisiere. Der Gesetzentwurf geht in dieser
Frage so weit, wie es auf der Grundlage des gegenwärtigen Rechts und der gegenwärtigen Rechtsprechung
möglich ist.
In der breiten Diskussion, die wir geführt haben - ich
finde, das war notwendig und wichtig, auch über den
langen Zeitraum -, ging es auch um die Frage, welche
Kriterien im Zusammenhang mit der Vergabe einzubeziehen sind. Für mich war sehr interessant, dass die
Frage der Gesetzestreue in dem Ausschuss, in dem ich
vertreten bin, eine kurze Intervention eines Juristen der
Union ausgelöst hat, der sagte: Hier geht es nicht um Gesetzestreue, das ist doch absolut selbstverständlich; hier
geht es um Tariftreue. - Nein, es geht um Gesetzestreue.
Herr Nüßlein, so selbstverständlich, wie Sie es darstellen, ist es leider - ich bedaure das - nicht. Der BDI kritisiert in seinem Schreiben - für mich sehr überraschend den Begriff Gesetzestreue und schreibt: „Die Einführung
dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist überflüssiger
Bürokratismus.“ Was ist das für ein Verständnis von Gesetzestreue, wenn man diesen Begriff als unbestimmten
Rechtsbegriff bezeichnet, der überflüssigen Bürokratismus bringe?
Deswegen ist es wichtig, aufzuzeigen, dass durch die
deutschen Gesetze, durch die von Deutschland getroffenen internationalen Vereinbarungen und durch die geltenden Tarifverträge ein Rechtsrahmen besteht, der für
jeden Anbietenden verpflichtend ist. Ich betone: verpflichtend. Bei Zwangsarbeit oder Kinderarbeit geht es
nicht um eine Ermessensfrage. In das Ermessen der
Kommunen fällt, weitergehende, mit dem Auftrag zusammenhängende soziale Kriterien einzuführen, was
mehrere Kommunen auch schon gemacht haben, was
aber bisher nicht rechtlich abgesichert war. Das heißt,
die Kommunen haben jetzt wesentlich mehr Rechtssicherheit.
Insofern finde ich, dass der Gesetzentwurf so, wie er
jetzt vorliegt, die gesetzten Ziele erreicht hat. Er schafft
Klarheit nicht nur hinsichtlich der Frage der Kosten,
sondern auch in Bezug auf die erbrachten Leistungen
und die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, und
macht damit deutlich, dass es richtig ist, die
260 Milliarden Euro einzusetzen. Deswegen werde ich
diesem Gesetzentwurf von ganzem Herzen zustimmen.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11428, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10117 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei
Zustimmung durch die Koalition gegen die Stimmen der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 16/11437? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und die Fraktion Die Linke gegen die Stimmen des übrigen Hauses.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11459? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt, und
zwar mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor.
Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
auf Drucksache 16/11428 fort. Unter Nr. 2 empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/9092 mit dem Titel „Novellierung des Vergaberechts für Bürokratieabbau nutzen Bundesweit einheitliches Präqualifizierungssystem für
Leistungen einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit
ist die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/
6930 mit dem Titel „Bei öffentlichen Aufträgen sozialökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und
die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/9636 mit dem Titel „Tariftreue europarechtlich absichern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei
Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Nr. 5 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/6791 mit dem Titel „Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit
Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/8810 mit dem Titel „Vergaberecht reformieren - Rechtssicherheit schaffen Eckpunkte für die Reform des Vergaberechts“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und
die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die deutsch-koreanischen Beziehungen dynamisch fortentwickeln
- Drucksache 16/11451 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir haben eine Aussprache von einer Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich
kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Als erstem Redner erteile ich Detlef Dzembritzki das
Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
125 Jahre freundschaftliche Beziehungen zwischen zwei
Ländern sind es würdig, dass der Bundestag mit einem
Antrag auf diese Beziehungen eingeht. Wir wollen mit
diesem Antrag dazu beitragen, dass die deutsch-koreanischen Beziehungen dynamisch fortentwickelt werden.
({0})
Ich freue mich sehr, dass ich als erster Redner und sicherlich im Namen aller den Botschafter Südkoreas mit
einer Delegation hier begrüßen darf.
({1})
Ich finde es sehr schön, dass Sie diese Debatte zum Anlass genommen haben, hierherzukommen. Ich sehe auch
einen Mitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung. Herzlich
willkommen! Sie haben für uns in Südkorea ein wirklich
gutes Programm organisiert. Ich darf auch Sie ausnahmsweise begrüßen. Herzlichen Dank, dass Sie da
sind!
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausgangspunkt dieser bilateralen Beziehungen war die Unterzeichnung des
deutsch-koreanischen Handels-, Schifffahrts- und Freundschaftsvertrages am 26. November 1883, übrigens ein
Jahr bevor mit dem Bau dieses Gebäudes hier begonnen
wurde. Es ist also wirklich ein langer Zeitraum.
Diese Kontakte haben sich dann insbesondere nach
dem Koreakrieg hervorragend weiterentwickelt. Dies signalisiert, dass unsere beiden Länder in der Geschichte
viele Gemeinsamkeiten hatten: die Teilung unserer Länder und die Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges und des
Koreakrieges. Die Teilung Koreas als ein Opferland ist
noch schwerer nachzuvollziehen gewesen. Sie ist sicherlich auch noch heute schwer nachvollziehbar, wenn man
die dortige Situation mit der in Deutschland vergleicht,
die sich mit der Wiedervereinigung unseres Landes erheblich verändert hat.
Die diplomatischen Beziehungen zum anderen Teil
Koreas, zur Demokratischen Volksrepublik, wurden im
Jahre 2001 aufgenommen, übrigens mit deutlicher Unterstützung und mit viel politischer Sympathie Südkoreas.
Da ich mich sehr stark mit Entwicklungspolitik auseinandergesetzt habe, stelle ich gerne einen Vergleich
zwischen Ghana und Südkorea her. Vor 35 bis 40 Jahren
waren beide Länder auf dem gleichen Niveau in Bezug
auf das Bruttosozialprodukt. Wenn man sich anschaut,
wie sich unser Partnerland Südkorea, das ungünstigere
Bedingungen als das Land Ghana hatte, in jüngster Zeit
entwickelt hat, dann ergibt sich eine faszinierende Situation. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre lag bei
5 bis 6 Prozent; 2007 lag es bei 4,9 Prozent. Dies sind
für uns durchaus bewundernswerte Zahlen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,1 Prozent und die Inflationsrate bei
3,6 Prozent. Wir alle wissen, dass die südkoreanische
Wirtschaft exportorientiert und wettbewerbsfähig ist.
Ein solch kräftiger Anstieg des Wirtschaftswachstums
hat natürlich Konsequenzen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang den Schiffsbau. Hier sind die Südkoreaner
heute Weltmarktführer, was wir in Europa spüren. Denn
dieses Markenzeichen hatten auch einmal europäische
Länder. Wir wissen, dass hervorragende IT-Produkte,
chemische Erzeugnisse und nicht zuletzt Autos auf den
Markt gebracht werden, die auch unser Stadtbild prägen.
Das alles werden wir 2009 auf der Hannover-Messe erleben, deren Partnerland Südkorea sein wird.
Die dreizehntgrößte Volkswirtschaft und die elftgrößte Handelsnation der Welt erhebt ihren internationalen Anspruch. Wir finden das gut. Die Europäische
Union ist - auch dies muss man betonen - nach China,
aber noch vor den Vereinigten Staaten und Japan der
zweitwichtigste Handelspartner Südkoreas.
Der Finanzkrise, die im Augenblick weltweit fast alle
betrifft, scheinen unsere südkoreanischen Freunde ganz
gut zu begegnen. Sie scheinen sie ganz gut zu überstehen. Sie sind gut aufgestellt. Die Banken haben sich
nicht an hochspekulativen Projekten beteiligt. Man hat
den Eindruck, dass Südkorea trotz der großen Abhängigkeit von Rohstoffimporten und trotz einiger Liquiditätsengpässe mit dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage
zurechtkommen wird. Ich glaube, dass die Asien-Krise
den prägenden Eindruck zurückgelassen hat, dass man
sich vorbereiten muss, um solche Krisen zu überstehen.
Südkorea hat diese Aufgaben bewältigt.
Es ist interessant, dass manche Abhängigkeiten ähnlich wie bei uns sind, wenn man sich die Abhängigkeit
des Mittelstandes von den großen Firmen ansieht. Das
sind alles Situationen, die durchaus mit einem Industrieland vergleichbar sind.
So kann man heute auch nicht mehr sagen, dass Südkorea ein Schwellenland ist, sondern es hat doch zunehmend eine Scharnierfunktion zwischen Schwellen- und
Industrieländern. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen
- ich sage das auch an unsere südkoreanischen Freunde -,
lässt natürlich auch ein bisschen den Blick darauf zu,
wie ein solches Land mit den inneren Strukturen umgeht. Es wäre gut, wenn man sich in der Zusammenarbeit auch bei den Arbeitnehmerrechten ein wenig weiterentwickeln könnte.
Es wird mir niemand übelnehmen, wenn ich darauf
hinweise, dass wir natürlich nicht so glücklich waren, zu
hören, dass 87 Filialleiter der koreanischen Niederlassung des Allianz-Konzerns entlassen worden sind, weil
sie sich für Tarifrechte eingesetzt haben. Ich glaube, hier
ist durchaus mehr Selbstbewusstsein angesagt, dass man
Strukturen schafft, in denen die Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung so geregelt werden können, dass es
ein Miteinander ist, das eben auch eine kontroverse Auseinandersetzung aushält.
({3})
Es wäre sehr schön, wenn die grundlegenden ILO-Konventionen in Südkorea akzeptiert werden würden.
Interessant ist aber - das ist dann schon wieder ein
gutes Beispiel für uns -, dass dieses Land für Forschung
und Entwicklung über 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgibt. Hier sieht man also auch den Anspruch,
sich weiterzuentwickeln.
Wo sind die gemeinsamen Ziele und Herausforderungen für Deutschland und Korea? Ich glaube, dass die
Eckpunkte koreanischer Außenpolitik durchaus auch unsere Interessen mit betreffen, wenn das Land die Scharnierfunktion zwischen China, Japan und den USA wahrnehmen möchte, wenn der wichtigste Handelspartner
China in diese Politik einbezogen wird und hier eine
Partnerschaft und keine Gegnerschaft entwickelt wird.
Es ist völlig akzeptabel und dem Anspruch des Landes
angemessen, wenn Südkorea mehr Verantworung in den
Weltwirtschaftsinstitutionen wahrnehmen möchte. Wir
sollten dies von deutscher Seite aus auch partnerschaftlich unterstützen.
({4})
Ich finde es gut, dass sich Südkorea - das ist auch in
unserem Interesse - einem effektiven Multilateralismus
öffnet und seine Politik darauf ausrichtet, in dieser Weltgemeinschaft mitzumachen und nicht als isolierte Kraft
wirken zu wollen. Deswegen ist es wirklich interessant
und anerkennenswert, dass Südkorea zum Beispiel bei
der Unterstützung der UN-Einsätze an zehnter Stelle
steht. Das ist ein Zeichen dafür, dass hier nicht nur Lippenbekenntnisse abgegeben werden, sondern dass hier
konkrete Politik umgesetzt wird.
({5})
Beim Klimawandel ist die verstärkte Zusammenarbeit
angekündigt worden. Auch besteht eine breite Übereinstimmung.
Die Fortentwicklung der Sechs-Parteien-Gespräche
zu einem nordasiatischen Friedens- und Sicherheitsmechanismus findet unsere Zustimmung und unsere Unterstützung. Für diese Region kann es nichts Besseres geben als eine Verständigungspolitik in diesem Bereich.
Es gibt schwierige Themen wie beispielsweise die
Todesstrafe. Da wird man sicherlich weiter diskutieren
müssen, dass man Positionen wie die unserigen übernimmt. Aber ich glaube, diese Themen müssen wir im
Augenblick nicht so betonen, weil das auch innere Prozesse sind, die in Zukunft noch in Südkorea laufen werden.
Vielleicht noch einmal ein Blick auf die Wiedervereinigung, auf die Politik zwischen Südkorea und Nordkorea. Denn an einem solchen Tag kann man Nordkorea
nicht ausblenden, obwohl das, was ich zu den Kontakten
ausgeführt habe, eigentlich überwiegend auf Südkorea
zutrifft. Dennoch - ich glaube, darauf werden andere
Redner auch noch eingehen - ist Nordkorea auch Bestandteil unserer Politik und angesichts der 125-jährigen
Beziehungen nicht außer Acht zu lassen.
Wer Nordkorea erleben durfte - einige Kolleginnen
und Kollegen konnten das ja -, dem wird natürlich sofort
aufgefallen sein, dass dort die Menschenrechte nicht gegeben sind, dass die Versorgungssituation für die Menschen problematisch ist, Mobilität eigentlich kaum vorhanden ist, Reisefreiheit nicht gewährleistet ist. Ich muss
Ihnen ehrlich sagen, nach einigen Tagen Nordkorea mit
der Chance, auch durchs Land zu fahren, war es mir persönlich ein Rätsel - das ist es auch heute noch -, wie ein
solches Land unter diesen Voraussetzungen, die ich hier
nur skizzieren konnte, überhaupt zu einer Nuklearmacht
werden konnte und dass Befürchtungen bestehen, dass
von diesem Land eine solche Aggressivität ausgehen
kann. Mir fehlt die Kraft, mir vorzustellen, woher dieses
Land diese Kraft nehmen will; ich will das nicht vertiefen.
Interessant ist, dass beide Länder, anders als das damals im deutsch-deutschen Verhältnis der Fall war, die
Wiedervereinigung wollen. Wir können das nur unterstützen und an beide Regierungen appellieren: Auch
wenn man feststellt, dass man sich nicht einig ist, sollte
man sich immer wieder zusammensetzen und dem Wiedervereinigungsprozess nicht durch Restriktionen oder
mangelnde Flexibilität den Atem nehmen. Dieser Appell
ist an beide gerichtet. Es gibt Überreaktionen in Nordkorea, aber auch einige Restriktionen auf südkoreanischer Seite. Ich plädiere dafür, sich die Chancen zu erhalten, die zu einem von beiden Seiten gewollten
Wiedervereinigungsprozess führen könnten.
({6})
Ich möchte noch einen kurzen Blick auf die kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Korea
werfen. Ich möchte die letzten beiden Minuten meiner
Redezeit den Menschen widmen, die zu uns gekommen
sind. In unserem Land leben über 30 000 Koreanerinnen
und Koreaner. Ich habe das große Glück, eine koreanische Schwägerin zu haben. In meiner Nachbarschaft leben Koreaner, die hervorragend integriert sind. Ich will
hier noch einmal ganz deutlich unterstreichen: Diese
Menschen, zum Beispiel Krankenschwestern und Bergleute, sind auf unsere Bitte vor 30 bis 35 Jahren hierhergekommen. Sie haben sich wertvoll eingebracht. Wer
diese Menschen erlebt, die viel Fleiß aufbringen, die die
Fähigkeit besitzen, sich hier zu behaupten, die die Fähigkeit haben, aus ihrer Lebenssituation etwas Optimales zu
machen und sich zu integrieren, ohne dabei ihre Wurzeln, Korea, zu vergessen, der kann eigentlich nur sagen:
À la bonne heure!
({7})
Ich bin immer wieder begeistert und freue mich über
meine Schwägerin, die kulturell sehr aktiv ist. Sie kann
die deutsche, die europäische und die koreanische Kultur
unwahrscheinlich gut vernetzen. Das ist ein Geschenk
für uns.
({8})
Ein weiteres Geschenk - Weihnachten steht vor der
Tür - ist die Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe. Lieber Herr Koschyk, lieber Herr Parr, lieber
Herr Hettlich, ich möchte mich ganz herzlich für das
parteiübergreifende Engagement bedanken. In großer
Kollegialität arbeiten wir untereinander, aber auch mit
unseren süd- und nordkoreanischen Partnern zusammen.
Das bringt Profit für alle. Das ist ein Geben und Nehmen. Ich denke, das ist ein Beispiel für internationale
Politik, für Kollegialität nicht nur über die Parteigrenzen, sondern generell über Grenzen hinweg. Dafür ein
herzliches Dankeschön.
Deswegen kann ich euch allen fröhliche Weihnachten
wünschen.
({9})
Jetzt spricht der Kollege Detlef Parr für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist in der Tat ein Geschenk, dass wir heute hier debattieren dürfen. Ich freue mich besonders darüber, weil ich
in diesem Jahr Gelegenheit hatte, sowohl Südkorea als
auch Nordkorea einen Besuch abzustatten.
So unterschiedlich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in beiden Teilen Koreas sind,
eines ist bemerkenswert: das Deutschland entgegengebrachte Vertrauen und die gegenseitige Wertschätzung.
In der Tat können wir mittlerweile auf eine 125-jährige
Zusammenarbeit zurückblicken. Das ist der Anlass für
die heutige Aussprache. Es geht hier aber nicht darum,
einen formalen Akt zu würdigen, sondern um die Frage,
was sich im Laufe der Jahre, vor allem seit den Zeiten
der Demokratisierung des Südens und der weitgehenden
Isolation des Nordens, verändert hat. Der Handelsvertrag
wurde Schritt für Schritt mit Leben erfüllt. Südkorea hat
sich durch eine bewundernswerte Kraftanstrengung zu
einer führenden Wirtschaftsmacht in der Welt entwickelt.
Vor wenigen Tagen haben wir in einem Festakt in der
PG die stetig gewachsenen guten Beziehungen gewürdigt. Längst hat sich aus der sachlichen Diplomatie
manch persönliche Freundschaft entwickelt.
Unsere Beziehungen leben dank der unermüdlichen
Unterstützung unserer Botschaften. Ich freue mich sehr,
dass Sie, Herr Botschafter Exzellenz Choi und Ihre Begleitung, uns heute die Ehre erweisen, der Debatte hier
persönlich zu folgen.
({0})
Sie leben durch die Unterstützung unserer Parlamentspräsidenten, die unseren Parlamentariergruppen
sehr gewogen sind. Sie leben durch die privaten Initiativen, wie die der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft
oder der Korea Foundation, besonders eindrucksvoll belegt durch das Deutsch-Koreanische Forum, das jährlich
einmal in Korea und einmal bei uns stattfindet. Sie leben
nicht zuletzt durch unsere politischen Stiftungen. Bitte
sehen Sie mir nach, dass ich in diesem Zusammenhang
auf die Friedrich-Naumann-Stiftung und ihren Projektleiter für Korea, Walter Klitz, besonders stolz bin,
({1})
aber auch auf die sehr gute Zusammenarbeit aller Stiftungen in Seoul und Pjöngjang. Herzlichen Dank, Herr
Seliger.
({2})
Unsere beiden Länder verbindet das Schicksal jahrzehntelanger Teilung. Die Menschen in unserem Land
haben sie überwunden. Der Weg war lang. Korea befindet sich noch auf diesem Weg. Wir wollen mit unseren
Erfahrungen Wegbegleiter sein. Wir erinnern uns an den
Kalten Krieg in Europa, an den langen Atem der Entspannungspolitik, wesentlich getragen von unseren liberalen Außenministern Walter Scheel, Hans-Dietrich
Genscher und Klaus Kinkel. Wir erinnern uns an die Parallele der Sonnenscheinpolitik des Präsidenten Kim
Dae-jung, der dafür den Friedensnobelpreis erhielt.
Wir blicken heute mit Sorge auf die koreanische
Halbinsel und wünschen uns Ergebnisse bei Verhandlungen, die dem Spuk der Atomwaffen endlich ein Ende
machen.
({3})
Wer - wie wir Mitglieder der Deutsch-Koreanischen
Parlamentariergruppe - häufig die Menschen in Südund Nordkorea trifft, weiß: Sie haben diesen Frieden
längst verdient.
({4})
Sie haben den Ausbau und die Weiterentwicklung von
Sonderwirtschaftszonen wie Kaesong verdient, in denen
sich die Leistungsfähigkeit südkoreanischer, aber auch
deutscher Wirtschaftsunternehmen mit den Potenzialen
nordkoreanischer Arbeitnehmer vereint. Sie haben eine
Würdigung des kulturellen Erbes verdient. Eine Restaurierung der bemerkenswert vollständig erhaltenen Altstadt im grenznahen Kaesong könnte touristisch starke
Anziehungskraft ausüben. Sie haben auch die Fortentwicklung der Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnungen verdient. Wir erinnern uns an die Treffen
langjährig voneinander getrennter Familien; erschütternde Bilder davon gingen damals um die Welt. Diese
Bilder dürfen keine Ausnahmen bleiben, sie müssen zur
Normalität werden.
({5})
Wir wollen einen Beitrag zur Überwindung der
Sprachlosigkeit zwischen Nord- und Südkorea leisten.
Bei unseren Begegnungen konnte ich feststellen, dass
der Friedensprozess in Europa auf beiden Seiten der unnatürlichen Grenze des Landes genauestens studiert
wurde. Er spielt sowohl in der akademischen als auch in
der politischen Diskussion eine große Rolle. Wir in
Deutschland wissen, dass die deutsche Teilung nur durch
einen ständigen Dialog überwunden werden konnte.
Beide Seiten Koreas müssen möglichst bald zum Verhandlungstisch zurückkehren,
({6})
und sie müssen versuchen, Lösungen zu entwickeln, die
der Vertrauensbildung dienen.
({7})
Das Angebot des südkoreanischen Präsidenten, Lee
Myung-bak, mit Nordkorea über die Implementierung
aller bisherigen gemeinsamen Erklärungen, vor allem
der Erklärungen der beiden Gipfeltreffen vom Juni 2000
und Oktober 2007, zu verhandeln, bietet die Gelegenheit
zur konstruktiven Zusammenarbeit. Ich bin der festen
Überzeugung, dass sich mit der Lösung der Nuklearfrage Vertrauen und Kooperation schnell wieder einfinden werden. So weit die große Politik.
Im Kleinen: Wollen wir unsere Beziehungen und unser wechselseitiges Verständnis vorantreiben, müssen
wir unsere Jugend durch verstärkten Schüler-, Jugendund Studierendenaustausch erreichen. Die PISA-Studie
spricht eine deutliche Sprache: Dynamic Korea liegt
vorne. Es ist in vielem ein Vorbild. Wir werden uns gemeinsam Gedanken auch darüber machen müssen, auf
welchen Wegen und zu welchem Preis wir unsere Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Höchstleistung bringen wollen, wie wir sie in eine Gesellschaft
führen wollen, die lebens- und liebenswert und zugleich
leistungsfähig ist.
({8})
Ich komme zum Schluss. Wir stehen vor vielen gemeinsamen Herausforderungen. Aktuell trifft die Finanzund Wirtschaftskrise Korea und Deutschland als exportabhängige Volkswirtschaften im gleichen Maße. Umso
wichtiger ist es, dass die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der Republik Korea und
Europa zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Wir freuen uns darüber, dass Korea zu einem unverzichtbaren Partner in der internationalen Staatengemeinschaft geworden ist und als zwölftgrößte Industrienation
eine zunehmend stärkere Rolle in der internationalen
entwicklungs- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit spielt.
In Erinnerung an die Bergarbeiter - Detlef, du hast sie
erwähnt - möchte ich mit einem herzlichen „Glückauf!“
für unsere gemeinsame Zukunft schließen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Der Kollege Hartmut Koschyk hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, es ist schön,
dass unser Hohes Haus in dieser Debatte am Ende des
Sitzungsjahres diesen Bereich der deutschen Außenpolitik und unserer bilateralen Beziehungen in den Mittelpunkt rückt.
Viele in Deutschland, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen, wissen, wie wichtig die Beziehungen
zwischen Deutschland und Korea sind. Dabei geht es
nicht nur um die Beziehungen Deutschlands zum demokratischen Südkorea. Es ist daran erinnert worden, dass
wir seit dem Jahr 2001 auf Wunsch des damaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung auch Beziehungen zu Nordkorea haben.
Es ist auch schön, dass wir das 125-jährige Jubiläum
des deutsch-koreanischen Freundschafts-, Handels- und
Schifffahrtsvertrages - auch daran ist schon erinnert
worden - gemeinsam mit unserem Bundestagspräsidenten, dem südkoreanischen Botschafter und Abgeordneten der südkoreanischen Nationalversammlung hier in
Berlin feiern konnten. Wir wollen uns aber auch der Gegenwart und der Zukunft unserer Beziehungen zuwenden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war immer
wechselseitiges Interesse, wechselseitige Neugier und
gegenseitige Bereicherung, die unsere Beziehungen ausgemacht haben. Als sich Korea öffnete, waren es deutsche Kaufleute, deutsche Diplomaten, der Benediktinerorden und Kulturschaffende, die dieses Land bereist und
bereichert haben. Aber auch wir in Deutschland verdanken Koreanern große Bereicherung. An die Rolle der
Krankenschwestern und Bergarbeiter, die in Deutschland übrigens teilweise einen fantastischen Bildungsaufstieg geschafft haben, ist bereits erinnert worden.
Ich habe einmal einen ehemaligen südkoreanischen
Bildungs- und Erziehungsminister kennengelernt. Er
war in Deutschland Bergarbeiter, hat hier Erziehungswissenschaften studiert, ist dann als Erziehungswissenschaftler nach Korea zurückgekehrt und ist Bildungsund Erziehungsminister seines Landes geworden; er hat
übrigens eine schöne Biografie mit dem Titel Vom Bergarbeiter zum Erziehungsminister geschrieben. Auch der
Bildungsaufstieg durch gelungene Integration der Bürger mit Migrationshintergrund gehört zu unseren Beziehungen.
({0})
Ich glaube, es ist wichtig, deutlich zu machen, dass
dieses Interesse Deutschlands an Korea auch die Phase
der Teilung überdauert hat. Wie sich Südkorea sehr stark
an der damaligen Bundesrepublik orientiert hat, so hat es
auch eine starke Hinwendung Nordkoreas zur DDR gegeben. Es ist für uns, die wir als Mitglieder der Parlamentariergruppe auch den Norden Koreas bereisen, immer wieder sehr beeindruckend, dass wir dort viele
Persönlichkeiten treffen, die aufgrund einer Aus- oder
Fortbildung in der DDR hervorragend Deutsch sprechen,
vom Parlamentspräsidenten bis hin zu Persönlichkeiten,
die in Staatsunternehmen oder in der Staatsverwaltung
tätig sind. Auch das ist ein Erbe unserer Beziehungen,
das wir für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung nutzen sollten.
({1})
Ich will ganz deutlich sagen: Nicht nur im Süden,
sondern auch im Norden Koreas sind die Erwartungen
groß, dass Deutschland und die Europäische Union den
Prozess der Annährung auf der koreanischen Halbinsel,
eingeleitet vor allem durch China und die Sechs-Parteien-Gespräche, aktiv begleiten. Ich glaube, es ist richtig und im deutschen Interesse, dass wir unsere Bereitschaft bekunden, uns zu engagieren, dass wir aber auch
deutlich machen, dass Deutschland keine Vermittlerrolle,
({2})
wohl aber die Rolle eines ehrlichen Ratgebers spielen
kann.
({3})
Was heißt „ehrlicher Ratgeber“? Wir haben Erfahrungen, wie man den Ost-West-Gegensatz, die Konfrontation, durch vertrauensbildende Maßnahmen, wie den
KSZE-Prozess, überwinden konnte. Ich finde es sehr interessant, dass es heute bei allen Verantwortlichen der
Sechs-Parteien-Gespräche, bei den Chinesen, bei den Japanern, bei den Russen, bei beiden koreanischen Staaten
und - darüber freuen wir uns besonders - auch auf der
amerikanischen Seite, neben dem in erster Linie vorhandenen Interesse, durch die Sechs-Parteien-Gespräche das
Nuklearproblem zu lösen, auch ein großes Interesse daran gibt, diese Gespräche in einen multilateralen Dialogprozess über Sicherheit, Zusammenarbeit und Wohlstandsentwicklung in Nordostasien zu überführen. Man
beschäftigt sich in den Sechs-Parteien-Gesprächen bereits auch mit den Erfahrungen im Rahmen des KSZEProzesses in Europa.
Das bedeutet für Deutschland und Europa natürlich
die Verantwortung, diesen Prozess zu begleiten; denn es
war ja kein Zufall, dass Kim Dae-jung seine Rede an der
Freien Universität in Berlin gehalten hat, eine Rede,
durch die der Prozess der Annäherung gegenüber dem
Norden und des historischen Gipfels von Pjöngjang eingeleitet wurde. Auch zur teilweisen Beendigung der Eiszeit und Gesprächslosigkeit zwischen den USA und
Nordkorea kam es in Berlin, und zwar im Januar 2007.
Es waren die Nordkoreaner, die den Amerikanern gesagt
haben, dass sie diese Gespräche in Berlin führen wollen.
({4})
In der Endphase der Bush-Administration gibt es jetzt
eine gewisse Annäherung und eine Entspannung zwischen den USA und der nordkoreanischen Seite.
Wir alle hoffen und wünschen, dass der künftige amerikanische Präsident Barack Obama eine konstruktive
und aktive Politik in Nordostasien betreibt. Es geht uns
nichts an, wen die Amerikaner mit dieser Mission betrauen, aber ich will schon sagen: Die Politik und die Diplomatie, die Christopher Hill in dieser Frage betrieben
hat, sind anerkennenswert, bemerkenswert und haben zu
den Erfolgen bei der amerikanisch-nordkoreanischen
Annäherung in der Schlussphase der Bush-Administration geführt.
({5})
Wir wünschen, dass dieser Prozess weitergeht.
Deutschland und die Europäische Union begleiten ihn
aktiv als ehrliche Ratgeber und Impulsgeber. Wir wollen
unsere Erfahrungen vermitteln.
Liebe Freunde, ich sage das sehr deutlich, gerade
auch in einer Phase, in der uns die Menschen schon auch
nach dem Nutzen der Außenpolitik und Diplomatie für
die Arbeitsplätze und die Wirtschaftsentwicklung in
Deutschland fragen: Wir als Bundesrepublik Deutschland haben gemeinsam mit der Europäischen Union auch
Außenwirtschaftsinteressen in Nordostasien.
({6})
Deshalb ist es klug und richtig, dass die Europäische
Union mit Südkorea über ein Freihandelsabkommen verhandelt.
Das sind schwierige Fragen, die durch die Wirkungen
der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft nicht einfacher geworden sind. Es muss aber unser Appell heute
sein - das steht auch in unserem Antrag -, in diesen Bemühungen um ein Freihandelsabkommen zwischen der
Europäischen Union und Südkorea nicht nachzulassen.
Dabei wird es eine spannende Frage sein, wie man
möglicherweise das Industriegebiet Kaesong mit einbeziehen kann; denn das ist schon ein interessantes Projekt;
Herr Kollege Dzembritzki hat es angesprochen. Auch
Kollege Parr hat davon gesprochen, dass auf nordkoreanischem Boden ein nach modernsten Maßstäben organisiertes Industriegebiet gebaut worden ist, in dem jetzt
auch ein deutsches Unternehmen tätig ist. Dass von diesem Kaesong-Projekt und weiteren Projekten auch kulturelle Wirkungen und Begegnungen durch Tourismus
und Annährung ausgehen, ist vorgezeichnet.
Wir können nur hoffen und wünschen, dass auch die
innerkoreanische Annäherung weitergeht. Vielleicht
kann auch durch eine diplomatische Offensive des neuen
amerikanischen Präsidenten wieder ein Stück Bewegung
in den innerkoreanischen Dialog gebracht werden. Wir
als Deutsche und Europäer sollten dies aktiv begleiten.
Wir haben dort Außenwirtschaftsinteressen, aber wir be21398
merken auch ein großes Interesse am Ausbau unserer
kulturellen Beziehungen.
Wenn man sich die deutsch-koreanischen Beziehungen im 125. Jahr ihres offiziellen Bestehens ansieht,
dann sieht man, dass alle Säulen der deutschen Außenpolitik dort hervorragend funktionieren. Wir haben rege
diplomatisch-politische Kontakte. Die wechselseitigen
Wirtschaftsbeziehungen funktionieren gut. Es war auch
wichtig, dass in diesem Jahr eine Delegation des Ostasiatischen Vereins der deutschen Wirtschaft Nordkorea
besucht hat, um Möglichkeiten wirtschaftlicher Kooperation mit Nordkorea auszuloten. Das, was das GoetheInstitut, die politischen Stiftungen und auch andere Mittler in der auswärtigen Kulturpolitik in Süd- wie in Nordkorea leisten, ist bemerkenswert.
Wir können stolz darauf sein, dass deutsche Kulturpolitik, politische Stiftungen aus Deutschland, die Kirchen aus Deutschland viel zum Demokratisierungsprozess in Südkorea beigetragen haben.
({7})
Wir können stolz darauf sein, wie heute politische Stiftungen, das Goethe-Institut, die Kirchen, aber auch humanitäre Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe
und das Deutsche Rote Kreuz helfen, die schwierige Lebenssituation der Menschen in Nordkorea zu lindern.
Dies alles gilt es jetzt mit Impulsen zu versehen. Wir
haben den Festakt am 4. Dezember, lieber Kollege Parr,
lieber Kollege Hettlich, lieber Kollege Dzembritzki, als
Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe mit unserem
Parlamentspräsidenten, der in diesem Jahr Südkorea besucht hat, gefeiert. Schon der Besuch unseres Bundestagspräsidenten in Korea hat ein ganz interessantes Folgeprojekt nach sich gezogen. Der gegenwärtige südkoreanische Parlamentspräsident hat eine Diskussion über
eine Weiterentwicklung der koreanischen Verfassung angestoßen.
Es war schon eine Delegation einer vom südkoreanischen Parlamentspräsidenten eingesetzten Kommission
unter unserem früheren koreanischen Kollegen Kim
Chong-in, der lange Vorsitzender der Parlamentariergruppe war und jetzt diese Kommission im Auftrag des
südkoreanischen Parlamentspräsidenten leitet, zu Besuch. Dort ist man sehr an den Ergebnissen unserer
Föderalismusreform I interessiert, an allem, was wir an
Verfassungsinnovationsprozessen nach und im Zuge der
deutschen Wiedervereinigung gestaltet haben. Der Kollege im südkoreanischen Parlament, der dort jetzt die
Parlamentariergruppe leitet, war nach der deutschen
Wiedervereinigung als damaliger Staatsanwalt über ein
Jahr im Bundesjustizministerium, um den Rechtssetzungsprozess im wiedervereinigten Deutschland zu studieren.
Auch Symbolik ist wichtig. Was mir an dem Festakt,
den wir in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft vor kurzem feiern konnten, besonders gefallen
hat: Junge koreanische Künstlerinnen, junge deutsche
Künstler, ein junger amerikanischer Komponist, der in
Peking lebt, in China arbeitet, haben dort nicht nur traditionelle deutsche bzw. traditionelle koreanische Kunst,
sondern auch durch eine sehr moderne Komposition dieses Komponisten ein kulturelles Cross-over präsentiert.
Zurzeit ist in der Kultur- und Presseabteilung der koreanischen Botschaft eine Ausstellung einer jungen koreanischen Künstlerin zu sehen, die in Seoul und in Stuttgart bildende Kunst studiert hat und in bemerkenswerten
Bildern ihre Sehnsucht als in Deutschland lebende koreanische Künstlerin festhält.
Es gibt viele kulturelle Brückenbauer zwischen unseren beiden Ländern. Lassen wir einen solchen Debattentag wie heute Anlass sein, auf eine gute zukünftige Entwicklung in unserer beider Beziehungen zu setzen.
Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag.
Herzlichen Dank.
({8})
Der Kollege Wolfgang Gehrcke hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich hätte fast gesagt: Wir sind jetzt unter uns und reden
offen über die Dinge. - Kollege Koschyk, Ihre Bitte an
die Fraktionen des Hauses nehme ich sofort auf: Die
Linke wird diesem Antrag zustimmen. Der Antrag ist
sauber. Er ist in der Sprache vernünftig und maßvoll. Er
ist vernünftig in der Politik.
Eine Frage bleibt aber für mich offen - nehmen Sie
mir einen gewissen Groll nicht übel -: Warum schaffen
wir es nicht, im Vorfeld über so etwas miteinander zu reden?
({0})
Sind unsere ideologischen Differenzen so groß, dass wir
solche Fragen, in denen wir uns im Wesentlichen einig
sind, nicht zusammen angehen können?
Sie wollten Signale in Richtung beider Koreas setzen.
Wäre es nicht ein überzeugenderes Signal gewesen,
wenn wir diesen Antrag gemeinsam erarbeitet hätten?
Das alles hat mich aber in meiner Entscheidung nicht
weiter verunsichert. Der Antrag ist gut. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Über Einzelheiten hätte man reden können.
Ich fand Ihre Rede im gleichen Geist ebenfalls sehr
vernünftig und maßvoll.
({1})
Ich hoffe, das schadet Ihnen nicht. Ich müsste mich
schon sehr anstrengen, um etwas zu finden, das ich kritisieren könnte.
Ich möchte auf die Beschreibung von Ihnen eingehen,
wie die deutsche Rolle aussehen kann. Wir sind keine
Vermittler, aber wir sind in der Lage, Rat zu geben und
Erfahrungen darzustellen, wenn es erwünscht ist. Ich
finde, das ist eine richtige Beschreibung.
Ich möchte einige Punkte aus dem Antrag etwas vertiefen. Ich finde es wichtig, dass Sie in Ihrem Antrag zu
bedenken geben, dass die Erfahrungen, die wir in Europa
mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
gesammelt haben, möglicherweise auch mit Blick auf
die koreanische Halbinsel sinnvoll sind. Ich jedenfalls
denke, dass sie sinnvoll sind.
Wenn wir uns die Grundlagen dieser Konferenz in Erinnerung rufen, kommen wir schnell zu den Themen
„Wandel durch Annäherung“ und „vertrauensbildende
Maßnahmen“. In diesem Zusammenhang könnte man
die Erfahrung einbringen, dass vertrauensbildende Maßnahmen schon im Alltag anfangen sollten.
Sie sprechen in Ihrem Antrag die Nuklearkrise mit
der Vorstellung einer demilitarisierten Halbinsel an, die
sicherlich auf die Zukunft gerichtet ist, und fordern, dass
das Atomprogramm in Nordkorea beendet werden soll,
wie es in den Sechs-Parteien-Gesprächen anvisiert wird.
Sie müssten auch die Frage aufwerfen, ob weiterhin
amerikanische Truppen in Südkorea stationiert bleiben
sollen, die auch über Massenvernichtungsmittel verfügen.
Das alles ist Teil dieses Prozesses. Die Vorstellung,
dass es in einem Brennpunkt, in dem es einen heißen
Krieg gegeben hat, zu einer Demilitarisierung kommen
könnte, finde ich höchst attraktiv. Sie müssen aber berücksichtigen, dass wir diesen Gedanken auch in anderen Regionen der Welt weiterverfolgen und vertiefen
müssen. Das entspricht unserer Politik.
Ich habe ähnlich wie Sie die Erfahrung gemacht, dass
sich der Gedanke der Wiedervereinigung in beiden
koreanischen Staaten - das ist ein schwieriges Thema von dem in Deutschland unterscheidet: Er ist sehr viel
tiefer, lebendiger und geschichtlich gesicherter, obwohl
dieses Land Schauplatz eines heißen Krieges war.
Wenn man die Geschichte des Koreakriegs aufmerksam studiert, dann wird man leider feststellen, dass damals die Gefahr eines atomaren Krieges bestand. Auch
das muss uns als Mahnung aus der Geschichte sehr präsent sein.
Zum Schluss will ich noch einen Punkt ansprechen.
Viele Kollegen, gerade Außenpolitiker, kommen immer
wieder auf ihre Sorge zu sprechen, dass Nordkorea
Waffentechnik und Rüstungstechnik exportiert, was in
anderen Teilen der Welt zu Problemen führen kann. Ich
kann das im Einzelnen nicht beurteilen. Aber ich finde
es klüger, Rüstungsexporte nicht zu finanzieren. Ich
würde lieber dafür bezahlen, dass keine Rüstung exportiert wird. Das ist besser, als wenn wir selber im Rüstungsgeschäft mitmischen.
Wenn wir mit Nordkorea weiterkommen wollen, dann
sollten wir in der Politik verstärkt auf Entwicklungszusammenarbeit und Kooperation setzen, damit dieses
Land nicht gezwungen wird, seine Rüstung in andere
Teile der Welt zu exportieren. Auch das könnte eine
Überlegung sein. In diesem Punkt sehe ich eine Differenz zu Ihrem Antrag. Sie sehen weitere Maßnahmen
vor, nachdem bestimmte Fragen geklärt sind. Ich würde
stattdessen in etwa Folgendes formulieren: Um diese
Fragen zu klären, verfahren wir so.
({2})
Wir könnten also durchaus zu einem konstruktiven Dialog kommen.
Die Zeit ist um, Weihnachten steht vor der Tür. Ich
wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, dass ihre
Wünsche, die sie zu Weihnachten haben, in Erfüllung
gehen. Ich füge hinzu: Ich wünsche mir, dass wir einmal
ein Jahr im Bundestag haben, in dem wir keine deutschen Soldaten in alle Welt geschickt haben, dass die
Botschaft des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen
ist unantastbar“ - das ist fast wie eine Weihnachtsbotschaft - überall eingelöst wird und dass wir ein Stück
weit dazu beitragen können.
Herzlichen Dank.
({3})
Peter Hettlich hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Exzellenz, Herr Botschafter Choi Jung-Il! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist
immer schwer, als Letzter zu sprechen, da man vieles
aus seinem Manuskript streichen kann, weil Detlef
Dzembritzki und der Kollege Koschyk bereits darauf
hingewiesen haben. Ich versuche, in den fünf Minuten,
die mir zur Verfügung stehen, ein paar neue Punkte in
die Debatte einzubringen.
Ich nehme meine Rede zum Anlass, den Kolleginnen
und Kollegen aus der Parlamentariergruppe Deutschland-Korea, insbesondere den älteren Kollegen Hartmut
Koschyk, Detlef Parr und Johannes Pflug - dieser ist
heute nicht da -, für eine spannende und sehr lehrreiche
Zusammenarbeit in den vergangenen sechs Jahren zu
danken. Gerade als junger Abgeordneter habe ich von
ihnen viel nicht nur über Korea, sondern auch über die
hohe Kunst der Diplomatie lernen können. Die beiden
großen Koreareisen und die anderen Erlebnisse sind Erfahrungen, die ich so schnell nicht vergessen werde, vermutlich nie. Dafür mein ganz persönlicher Dank an die
Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich die wichtige
Rolle der vielen anderen Parlamentariergruppen des
Deutschen Bundestages würdigen. Ihre Arbeit blüht leider meistens im Verborgenen. Sie ist aber unverzichtbar
und wichtig - neben den offiziellen außenpolitischen
Kontakten der Bundesregierung und der Parlamente für die Völkerfreundschaft, da sie vielfältige Möglichkeiten im Kontakt zwischen den jeweiligen Parlamenten
und Parlamentariern bietet. Ihre Bedeutung und Wichtigkeit wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ein
Gespräch mit den jeweiligen Parlamentariergruppen bei
hochrangigen Staatsbesuchen einen hohen Stellenwert in
den offiziellen Besuchsprogrammen hat. Den Menschen,
die nicht tagtäglich mit dem Deutschen Bundestag zu tun
haben, also die Besucher auf der Zuschauertribüne und
die Zuschauer vor den Fernsehern, will ich deutlich machen: Hier haben wir eine Perle des Parlamentes. Ich
wünsche mir, dass wir häufiger über solche Themen diskutieren.
({1})
Als ich 2002 gefragt wurde, für welche Parlamentariergruppe ich mich entscheide, habe ich mich unter
anderem für die Parlamentariergruppe DeutschlandKorea entschieden, weil es mich interessierte, wie die Situation in einem Land ist, das noch geteilt ist. Ich bin
1990 von Köln nach Sachsen gezogen und habe vom ersten Tag an den deutschen Transformationsprozess hautnah miterlebt. In der Tat hat mich bei meinen Besuchen
in Korea positiv überrascht, dass eine Wiedervereinigung kein Tabuthema ist, weder im Norden noch im Süden. Es wurde immer wieder offensiv angesprochen. Wir
wurden ständig gefragt: Wie habt ihr euren Prozess der
Wiedervereinigung begleitet und erlebt? - Das ist in der
jüngeren deutschen Geschichte ganz anders gewesen. In
der DDR war die Wiedervereinigung ein Tabuthema, das
bei offiziellen Kontakten nicht angesprochen wurde.
({2})
Daher waren die Erlebnisse in Korea für mich eine ganz
neue, spannende Erfahrung. Wir wurden auch immer gefragt, ob wir uns eine Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel vorstellen könnten. Uns verbindet also
vieles, viel mehr als nur der 125. Jahrestag der Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Deutschland
und Korea.
Ich warne davor, unsere Erfahrungen mit dem deutschen Transformationsprozess zwischen Ost und West
zu verallgemeinern. Wir sollten uns auch davor hüten,
kluge Ratschläge zu geben. Hartmut Koschyk hat recht:
Wir sollten ein ehrlicher Ansprechpartner für Nord- und
Südkorea sein, wenn es darum geht, den Wiedervereinigungsprozess zu begleiten und vielleicht konstruktiv zu
unterstützen. Die Koreaner werden vermutlich ab und zu
unseren Rat benötigen. Aber ich rate den Koreanern:
Vertrauen Sie auf Ihre eigenen Stärken! Sie werden in
dem Transformationsprozess, vor dem Sie stehen, Ihre
eigenen Erfahrungen sammeln und Ihre eigenen Fehler
machen müssen. Das werden wir Ihnen nicht ersparen
können.
Für mich ist eine weitere Erfahrung aus der jüngeren
deutschen Geschichte wichtig, die ich gern weitergeben
möchte: Wandel durch Annäherung. Ich kann mich noch
sehr gut daran erinnern, dass das damals, als ich noch
Schüler war, politisch sehr umstritten war. Aber der
KSZE-Prozess und die Entwicklungen, die in den 70erJahren angestoßen worden sind - Hartmut Koschyk hat
darauf hingewiesen -, haben dazu geführt, dass es zu einer friedlichen Wiedervereinigung der beiden deutschen
Staaten gekommen ist. Ich kann deshalb nur an beide
koreanischen Staaten appellieren: Bleiben Sie im Gespräch, pflegen Sie weiterhin den Gedankenaustausch!
Dann kann und wird eine friedliche Wiedervereinigung
auch auf der koreanischen Halbinsel gelingen.
({3})
Für mich ist die deutsch-koreanische Freundschaft
keine Floskel. Ich habe sie bei Besuchen in Korea und
bei Besuchen von koreanischen Parlamentariern tagtäglich erlebt. Für mich ist das wirklich ein Coming Home.
Selbst in Nordkorea habe ich immer wieder erlebt, dass
man uns wirklich herzlich und freundschaftlich empfangen hat. Insofern muss ich an dieser Stelle sagen: Ich
hoffe, dass die Sechsergespräche im nächsten Jahr, auch
durch die veränderte US-Administration, neuen Schwung
bekommen. Ich wünsche mir, dass das Jahr 2009 nicht
nur ein denkwürdiges Jahr der deutsch-koreanischen
Freundschaft darstellen wird, sondern auch den von uns
erhofften und erwünschten Durchbruch bei diesen internationalen Verhandlungen bringt. Etwas Schöneres kann
ich mir als Mitglied dieser Parlamentariergruppe zum
Ende dieses Jahres eigentlich nicht wünschen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins
neue Jahr.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/11451 mit dem Titel
„Die deutsch-koreanischen Beziehungen dynamisch
fortentwickeln“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
({0})
Wir danken Ihnen, Herr Botschafter, und Ihrer Delegation sehr, dass Sie unserer Debatte gefolgt sind.
({1})
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck ({2}), Irmingard Schewe-Gerigk,
Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stand der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften
- Drucksachen 16/7550, 16/10432 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist hierfür
eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen,
wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf MinuVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ten erhalten soll. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Als erstem Redner gebe ich dem Kollegen Volker
Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor gut anderthalb Stunden trafen wir uns am
Mahnmahl für die verfolgten Homosexuellen, um zu
mahnen und dagegen zu protestieren, dass dieses Mahnmal zum zweiten Mal von Vandalen beschädigt worden
ist. Ich denke, dass ich für alle Fraktionen des Hauses sagen kann: Wir lassen nicht zu, dass das Gedenken an die
Opfer des Nationalsozialismus angegriffen wird. Wer
das angreift, der will letztendlich Gewalt gegen und Verfolgung von Homosexuellen wieder denkbar machen.
Das weisen wir gemeinsam entschieden zurück.
({0})
Als Antwort auf die Barbarei des Nationalsozialismus
haben die Vereinten Nationen vor 60 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Wir
haben dieses Ereignis in der letzten Sitzungswoche am
Freitag in einer Debatte gewürdigt. In der Erklärung
heißt es:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und
Rechten geboren.
Durchzusetzen, dass auch Homosexuelle gleiche Rechte
haben und ihre Partnerschaften den gleichen Respekt
von der Rechtsordnung erfahren, darum geht es im Kern
bei der Diskussion über die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Rechtsstellung homosexueller Partnerschaften. Es passt nicht in diese Zeit und in eine Demokratie und in einen Rechtsstaat, dass homosexuelle
Partnerschaften immer noch schlechter behandelt werden als heterosexuelle Paare.
({1})
Wenn man sich die Große Anfrage und die Antwort
der Bundesregierung darauf anschaut, dann sieht man,
dass wir 2001 einen großen Schritt gemacht haben.
Überall dort, wo seit 2001 rot-grüne Landesregierungen
regiert haben, wurde die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften auch im Landesrecht vorangebracht. Durch
die Föderalismusreform können mittlerweile auch die
Länder das Beamtenrecht regeln. Das rot-grüne Bremen
war das erste Land, das die Gleichstellung der Lebenspartnerschaft geregelt hat. Hamburg hat es in den Koalitionsvertrag geschrieben. Viele Bundesländer haben
- unabhängig von der politischen Farbe, in der sie regiert
werden - zumindest Schritte in Richtung Gleichstellung
gemacht. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass im
Bund beim Thema Dienstrechtsneuordnungsgesetz, bei
der Neukodifizierung des Beamtenrechts nach der Föderalismusreform, nichts, aber auch gar nichts geschehen
ist, weder beim Familienzuschlag noch bei der Beihilfe
oder der Hinterbliebenenversorgung.
Meine Damen und Herren, wir schicken auch homosexuelle Soldaten in Auslandseinsätze, wir schicken homosexuelle Diplomaten in die ausländischen Vertretungen; sie haben der gleichen schwierigen Rechtssituation
zu begegnen wie heterosexuelle Paare in solchen Extremsituationen auch. Wie können wir homosexuellen
Partnerschaften, die die gleichen Verpflichtungen übernehmen, in denen Lebenspartner ihr Leben gemeinsam
planen, den gleichen Schutz, den wir für Heterosexuelle
für erforderlich halten, weiterhin verweigern? Ich fordere Sie von der CDU/CSU auf: Geben Sie endlich die
Blockade auf; denn ohne Sie wäre das alles schon längst
beschlossene Sache!
({2})
Mittlerweile laufen wir nicht nur darauf zu, dass die
Bundesrepublik Deutschland an diesem Punkt nicht vorankommt und sich zum Schlusslicht in Westeuropa entwickelt. Wir sind vielmehr bereits einmal vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden, weil wir in diesem
Bereich diskriminierten. Wir haben mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz - das haben wir uns damals unter RotGrün auch so gedacht - die gleichen Pflichten wie in der
Ehe geschaffen, die gleichen Trennungsregelungen, das
gleiche Unterhaltsrecht, die gleiche Übernahme von sozialrechtlicher Verantwortung mit der Auswirkung, dass
man erst dann Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bekommt, wenn der Partner einen nicht unterhalten kann.
Jetzt muss die Gleichstellung im Einkommensteuerrecht,
bei der Erbschaftsteuer oder im Beamtenrecht folgen.
Der Europäische Gerichtshof hat im Fall Maruko gesagt,
Deutschland diskriminiere homosexuelle Paare.
Wir müssen uns das einmal vor Augen führen: Das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung
zum Lebenspartnerschaftsgesetz gesagt, Art. 6 Grundgesetz stehe einer Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe nicht im Wege, weil diejenigen, die in
einer Lebenspartnerschaft leben, nicht wahlweise ansonsten in eine Ehe gingen und deshalb der Schutz der
Ehe durch die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften
in keiner Weise tangiert werde.
Das Europarecht besagt: Eine Differenzierung ist nur
dann keine verbotene Diskriminierung, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Ziels - das wäre der Schutz von
Ehe und Familie durchaus - notwendig, effizient und
verhältnismäßig ist. Aber das Bundesverfassungsgericht
hat bereits festgestellt, dass dies nicht notwendig ist. Damit ist die Differenzierung beim Steuerrecht und beim
Beamtenrecht in europarechtlicher Hinsicht nicht mehr
zulässig, und zwar weder nach den Europäischen Verträgen, soweit der Kompetenzbereich berührt ist, noch nach
der Europäischen Menschenrechtskonvention in allen
übrigen Fragen.
Warten Sie nicht ab, bis wir hier in Deutschland ein
Urteil nach dem anderen kassieren, sondern stellen Sie
die Lebenspartnerschaften gleich! Es ist jetzt Weihnachten, das Fest der Familie. Auch wir Homosexuellen sind
Familie.
Volker Beck ({3})
({4})
Daniela Raab hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Beck, Sie haben sehr staatstragend
begonnen und uns fehlenden Respekt vor den homosexuellen Lebenspartnerschaften bzw. vor den Menschen vorgeworfen, die homosexuell orientiert sind, und
damit gleich noch fehlendes Demokratieverständnis verbinden wollen. Ich bitte Sie, vielleicht nicht ganz so
hoch zu greifen. Das wird dem Thema auch nicht gerecht.
Ich bin absolut nicht auf Krawall gebürstet, sondern
weihnachtlich friedlich; ich möchte auch heim zu meiner
Familie, so wie Sie auch. Nichtsdestotrotz müssen wir
uns heute wieder einmal - zum ich weiß nicht wievielten
Male - mit diesem Thema auseinandersetzen.
({0})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich immer gleich so
aufregen. Bleiben Sie doch einfach einmal ruhig!
Ich glaube, es gibt gar nicht so viel Grund zur Aufregung. Wenn man die 50 Fragen der Großen Anfrage und
die 50 beeindruckenden Antworten gelesen hat, kann
man durchaus feststellen, dass sich einiges bewegt hat,
Herr Beck. Das hätten Sie neben den gewaltigen Zitaten
aus irgendwelchen Urteilen erwähnen dürfen. Es hat sich
natürlich auch in dieser Legislaturperiode, unter dieser
Regierung einiges bewegt.
Ich möchte nur ganz kurz ein paar Beispiele aufzählen; denn jeder kann nachlesen, was ihn interessiert.
Beim Unterhaltsrecht, beim Personenstandsreformgesetz, bei den Witwenrenten, überall da hat sich einiges
bewegt.
({1})
Ich könnte noch vieles mehr nennen. Ich steige jetzt aber
nicht in die Tiefen des Bestattungswesens der einzelnen
Bundesländer ein, wozu Sie einige tiefgehende Fragen
gestellt haben.
({2})
- Da gebe ich Ihnen sofort recht. Das waren natürlich
nicht unsere Initiativen; dazu komme ich jetzt.
({3})
- Ich habe es einfach langsam ziemlich satt!
({4})
- Keine Zwischenfragen! Ich will auch heim zu meiner
Familie, Herr Beck. Sie hatten fünf Minuten Zeit, Ihre
Meinung darzustellen. Üben Sie sich jetzt vor Weihnachten in engelsgleicher Geduld und hören Sie mir zu! Vielen Dank.
({5})
- Lieber Herr Kollege Beck,
({6})
jetzt bleiben Sie einfach ruhig! Es ist ja unerträglich.
Wir sind nach wie vor nicht der Meinung, dass es zu
einer vollständigen Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft kommen soll und muss. Das
ist die Meinung der Union. Ich weiß, dass wir mit dieser
Meinung hier nicht mehrheitsfähig sind. Ich nehme mir
trotzdem heraus und nehme mir trotzdem die Freiheit,
diese Meinung weiterhin zu vertreten.
({7})
Dafür lasse ich mich von Ihnen auch nicht an den Pranger stellen. Wenn Sie mich dafür beschimpfen, nehme
ich es gern als Kompliment.
({8})
Die Leute, die mich zu Hause diesbezüglich unterstützen, werden das auch so sehen.
Sie haben natürlich wieder mal Karlsruhe zitiert, das
Urteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz. Natürlich steht
darin: Der Gesetzgeber ist durch Art. 6 nicht gehindert,
gleichzustellen. - Er muss aber nicht gleichstellen.
({9})
Ich gehöre nach wie vor zu der nicht unbedeutenden
Fraktion derer, die der Meinung sind, dass es ein Abstandsgebot zwischen der Ehe und allen anderen Partnerschaften, die in diesem Lande gelebt werden, geben
muss. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun.
({10})
- Nein, das ist keine Diskriminierung
({11})
- wie ich vorhin schon gesagt habe: keine Zwischenfragen! -, sondern schlicht und ergreifend eine Andersbehandlung von Dingen, die anders sind.
({12})
Auch das steht in der Verfassung: Gleiches gleich und
Ungleiches ungleich behandeln.
({13})
Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Der Gesetzgeber hat
bewusst die Entscheidung getroffen, in einigen Punkten
gleichzustellen und in einigen Punkten nicht gleichzustellen. Solange die Union an der Regierung beteiligt ist,
wird es eine vollständige Gleichstellung nicht geben.
Was Sie zu irgendwelchen anderen Zeitpunkten machen,
kann ich heute nicht beeinflussen.
Zur Erbschaftsteuer; Sie haben es angesprochen. Hier
sind wir einen Schritt gegangen, den ich persönlich nicht
für möglich gehalten hätte und den ich auch nicht gut
finde. Wir stellen nichteheliche Lebenspartner zum Teil
besser als Geschwister, Nichten und Neffen. Das war für
mich ein ganz starker Grund dafür, herbe Kritik an der
Erbschaftsteuerreform zu üben. Aber so ist es nun einmal: Wir haben uns an dieser Stelle bewegt, bewegen
müssen; das gebe ich zu. Wir haben uns zum Beispiel
jetzt auch in Bayern bewegt. Bisher hat man in Bayern
die eingetragenen Lebenspartnerschaften beim Notar geschlossen. Wir haben uns von der FDP überzeugen lassen, dass das in Zukunft beim Standesamt geschehen
soll.
({14})
- Herr Kollege, weder bin ich hier überzeugungsfähig,
noch will ich Sie von meiner Meinung überzeugen.
({15})
- Natürlich tue ich das. Das ist jetzt der Demokratieansatz: Wenn man anderer Meinung ist, soll man es nicht
sagen dürfen. - Das finde ich sehr interessant, will ich an
dieser Stelle aber nicht weiter vertiefen.
({16})
Ich sage Ihnen einfach nur noch einmal: Die Große
Anfrage hat sicherlich aufgedeckt, wo es Differenzen
gibt - man kann sich darüber unterhalten, ob man sie an
der einen oder anderen Stelle überwinden will oder
nicht -, aber sie hat genauso aufgedeckt, dass es an vielen Stellen Gleichstellung gegeben hat, unter dieser Koalition und natürlich auch schon davor. Zu allem anderen
können wir gern weiter diskutieren. Ich lasse mich aber
nicht von meiner Grundsatzüberzeugung abbringen, dass
es weiterhin Unterschiede geben muss, weil es sich um
unterschiedliche Rechtsinstitute handelt.
In diesem Sinne danke ich Ihnen trotzdem für die unendliche Geduld, mit der Sie mir zugehört haben. Es war
mir völlig klar, dass ich Ihnen heute nichts Neues erzähle, Herr Kollege Beck.
({17})
Wir haben das Thema hier vielleicht schon 15-mal debattiert. Immer wir beide durften die Fackeln für unsere
Fraktionen tragen. Ich weiß, dass ich hier keine unbedingt gute Position einnehme. Ich stehe trotzdem zu meiner Meinung und bin auch verpflichtet, die Meinung
meiner Fraktion in dieser Form wiederzugeben. Wir sind
an einigen Stellen verhandlungsbereit, aber nicht an allen von Ihnen gewünschten.
Vielen Dank.
({18})
Der Kollege Michael Kauch spricht jetzt für die Fraktion der FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einwurf des Kollegen enthält einen richtigen Hinweis
- Frau Raab, Sie haben es selber angesprochen -: Die
CSU/FDP-geführte Bayerische Staatsregierung hat auf
Druck der FDP beschlossen, die Standesämter für das
Schließen gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften
zu öffnen. Frau Raab, es hat doch gar nicht wehgetan!
({0})
Sie werden sehen, dass die gesellschaftliche Realität in
Bayern weiter ist als das, was die CSU vertritt, und dass
es irgendwann auch in ihrem Interesse sein wird, dass
wir hier zu einer Modernisierung des Rechts kommen.
Wir sollten uns einmal anschauen, wie es in der Welt
aussieht: In Belgien, in Kanada, in Spanien, in Südafrika, in Schweden, in Finnland, in Norwegen, in Island, in Dänemark, in Irland, in den Niederlanden, in
Großbritannien und in Neuseeland,
({1})
überall dort und in einigen Bundesstaaten der USA gibt
es inzwischen eine vollständige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Die
CDU/CSU möchte doch sonst immer, dass Deutschland
an der Weltspitze steht. Daher sollten Sie hier ein Einsehen haben. Diejenigen Regionen, die tolerant gegenüber
ihren Minderheiten sind, sind diejenigen, die in der Welt
erfolgreich sind - auch in der Wirtschaft.
({2})
Wenn man sich anschaut, wie es mit den Bürgerrechten aussieht, dann erkennt man, dass es natürlich etwas
schwach ist, zu sagen: Mit uns wird es das nicht geben,
weil das halt anders sein muss. Auch was die Union angeht, habe ich selten eine so schwache Argumentation
gehört. Ich hätte mich gefreut, wenn hier wenigstens die
Gründe vorgetragen worden wären, weshalb diese
Rechtsinstitute anders behandelt werden müssen; aber da
war völlige Fehlanzeige.
({3})
Wenn Sie diese Gründe nämlich benennen würden, dann
würde Ihnen das in der Öffentlichkeit wahrscheinlich
nicht zum Wohle gereichen.
Nehmen Sie sich doch einmal die Länder zum Vorbild: Unabhängig von der politischen Couleur haben
mehrere Länder in ihrem Landesrecht eine völlige
Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft mit der Ehe entweder schon vollzogen, oder
sie stehen kurz davor. Dazu gehören nicht nur Länder, an
deren Landesregierungen Grüne und FDP beteiligt sind,
sondern auch solche, in denen die CDU regiert: Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland. Überall dort haben wir Fortschritte erreichen können. Es wäre an der Zeit, dass die
Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Lockerungsübungen, die in den Ländern bereits durchgeführt werden,
nachvollzieht.
Es geht hier schlichtweg um die Frage, ob Menschen,
die gleiche Pflichten füreinander übernommen haben
- letztendlich zur Entlastung der staatlichen Gemeinschaft -, die gleichen Rechte bekommen. Wir sagen
ganz klar: Wer gleiche Pflichten hat, der muss auch gleiche Rechte bekommen.
({4})
Das betrifft zum Beispiel das Beamtenrecht. Warum
behandeln wir eigentlich die Mitarbeiter unseres Staates
schlechter als die Mitarbeiter von privaten Unternehmen, beispielsweise wenn es um die Hinterbliebenenversorgung geht? In der gesetzlichen Rentenversicherung
gibt es für den hinterbliebenen Lebenspartner einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung; im Beamtenrecht gibt es ihn nicht. Wir haben eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber unseren Beamten; das ist doch
einer der Grundsätze des auch von Ihnen hochgehaltenen
Berufsbeamtentums. Ich möchte Sie auffordern: Sehen
Sie die Menschen, die dahinterstehen! Sehen Sie nicht
nur irgendwelche rechtlichen Konstruktionen!
Was die Adoption angeht, muss man einfach feststellen: Es gibt inzwischen viele Kinder, die in gleichgeschlechtlichen, gerade in lesbischen Lebenspartnerschaften, aufwachsen. Keine sozialwissenschaftliche Studie,
keine pädagogische Studie gibt Hinweise darauf, dass
diese Kinder schlechter aufwachsen als solche, die in
einer Ehe groß werden. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund dafür, dass Sie die Möglichkeit verwehren,
dass - beispielsweise im Falle einer Lesbe, die allein ein
Kind adoptiert hat - eine zweite Person als zweiter Elternteil etwa für den Unterhalt aufkommt. Das dient
nicht dem Kindeswohl, sondern das schadet dem Kindeswohl an dieser Stelle.
({5})
Lassen Sie mich, Frau Raab, abschließend auf Ihre
Einlassung zum Erbschaftsteuerrecht eingehen. Auch
wir von der FDP haben in der Tat kritisiert, dass Geschwister infolge dieser Erbschaftsteuerreform schlechter gestellt werden. Aber Sie können doch nicht sagen:
Weil wir als Große Koalition die Geschwister schlechter
stellen, müssen wir auch Lebenspartner schlecht stellen.
Was ist denn das für eine Argumentation? Wir Liberale
sagen: Die Menschen, die dem Erblasser nahestehen,
müssen besonders behandelt werden. Das betrifft die
Geschwister; das betrifft aber auch weitere, insbesondere
die Lebenspartner, die vielleicht 20 oder 30 Jahre miteinander verbracht haben und füreinander eingestanden
sind. Der Staat sollte nicht hinterher in Dinge eingreifen,
die man sich gemeinsam erarbeitet hat.
Herzlichen Dank.
({6})
Die Bundesministerin Brigitte Zypries hat jetzt das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal ist es, wie ich denke, verdienstvoll, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diese Anfrage gestellt hat. Damit wurde uns Gelegenheit
gegeben, Bilanz zu ziehen. Das ist ja immer wichtig in
einem Rechtsgebiet, in dem man, wie wir wissen, noch
einiges bewegen muss, weil man nicht alles erreicht hat.
Es ist natürlich wie immer eine Frage des Blickwinkels. Man kann sagen: Das Glas ist halb voll. Man kann
auch sagen: Das Glas ist halb leer. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass das Glas hinsichtlich der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften in Deutschland auf
alle Fälle dreiviertel voll ist. Das sollte man ruhig einmal
würdigen. Richtig ist natürlich auch: Wir haben keineswegs alles erreicht. Deshalb müssen wir weiter an der
rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften arbeiten.
Mit der Antwort auf diese Große Anfrage liegt Ihnen
jetzt umfängliches Material vor. Wir haben uns vonseiten der Bundesregierung wirklich Mühe gegeben. Das
tun wir zwar immer, aber in diesem Falle ist auch aufgrund der Tatsache, dass die Anfrage so umfänglich war,
sehr viel zusammengetragen worden. Wir haben alle
Ressorts daran beteiligt. Die Bundesländer haben Erkenntnisse zugeliefert, und das Auswärtige Amt hat die
Rechtslage in anderen Staaten recherchiert. Das wurde
eben schon freundlicherweise von Herrn Kauch vorgetragen.
({0})
Wir können, wie ich glaube, insgesamt sagen, dass
wir in 80 bis 90 Prozent der Rechtsgebiete heute die
Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften erreicht haben. Das ist die Folge des Lebenspartnerschaftsgesetzes und des Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetzes. Ich denke auch, das ist ein bleibendes Verdienst von
Rot-Grün.
({1})
Wir haben in der jetzigen Koalition immer darauf gedrängt, weiter an diesem Strang zu ziehen und an diesen
Fragen weiterzuarbeiten. Frau Raab hat eben dankenswerterweise gesagt, dass sie, auch wenn ihr das nicht
leicht gefallen ist, doch einige Sachen mitgemacht hat.
Deswegen wäre es auch falsch, zu sagen, dass man in
dieser Legislaturperiode in diesem Rechtsgebiet nichts
erreicht habe. Ein Bereich ist das Erbschaftsteuerrecht
- das ist eben schon gesagt worden -, daneben gibt es
aber auch das Personenstandsrecht. Wir haben durchgesetzt, dass die Zuständigkeit des Standesamtes für alle in
ganz Deutschland gilt. Der Deutsche Bundestag hat damit ganz klar deutlich gemacht: Jede Beziehung verdient
die gleiche Anerkennung und den gleichen Respekt, und
deshalb soll auch jede Beziehung vor einem Standesbeamten im Rathaus geschlossen werden können.
Es gibt aber natürlich in einigen Bereichen wie dem
Beamtenrecht noch Defizite. Ich möchte gerne noch einmal darauf eingehen - dieses Thema treibt mich um; wir
haben es auch innerhalb des Kabinetts schon einmal thematisiert -, dass es juristisch nicht nur um Art. 6 des
Grundgesetzes und um die Gleichstellung von ehelichen
und nichtehelichen Partnerschaften geht, sondern dass es
ja irgendwann auch Probleme in Zusammenhang mit
Art. 3 geben könnte. Die Juristen hier im Hause, insbesondere auf der rechten Seite der Koalitionsfraktionen,
werden mir sicherlich schnell zustimmen können, dass
sich, wenn wir anerkennen, dass es die gesetzliche Witwenrente gibt, schon die Frage stellt, wie lange wir es
insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 3 noch
werden rechtfertigen können, dass verwitwete Lebenspartner von Beamten keine Pensionsansprüche haben. Es
muss ja die Frage gestattet sein, ob der Lebenssachverhalt so unterschiedlich ist, dass es eine Legitimation dafür gibt, bei gesetzlich Versicherten andere Regelungen
vorzusehen als bei Beamtinnen und Beamten. Ich habe
da meine Zweifel. Wie gesagt, das haben wir auch schon
innerhalb des Kabinetts diskutiert.
Herr Beck, das Auswärtige Amt bildet eine Ausnahme hinsichtlich der homosexuellen Lebenspartnerschaften; denn dort gibt es Zulagen.
({2})
- Das weiß ich jetzt nicht.
({3})
Aber da gibt es auf alle Fälle Sonderregelungen für homosexuelle Partnerschaften. Das müsste man noch einmal in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen, in
der das sicherlich steht.
({4})
- Sie dürfen gerne fragen; aber ich weiß möglicherweise
die Antwort selber nicht.
Sie können das auch untereinander regeln. Wahrscheinlich wird Herr Beck jetzt sagen: „Stimmen Sie mir
zu, dass in der Antwort auf die Anfrage Folgendes …“
Stimmen Sie mir zu,
({0})
dass das Anliegen der Arbeitsgruppe der homosexuellen
Diplomaten im Auswärtigen Amt berechtigt ist, die eine
unverzügliche Gleichstellung fordert? Denn wenn der
Partner oder die Partnerin eines homosexuellen Diplomaten bei einem auswärtigen Einsatz mitkommt, ist die
Lebenssituation von den gleichen finanziellen Probleme
geprägt wie bei den heterosexuellen Paaren, nämlich
nicht mehr beschäftigt zu sein, aus dem System hier herauszufallen und eine private Auslandskrankenversicherung abschließen zu müssen, was den Diplomaten als
zusätzliche finanzielle Last selbstverständlich nicht zuzumuten ist, und meinen Sie nicht auch, dass die Tatsache, dass wir im Fall des Todes eines entsandten Soldaten bei Ehepaaren helfen und bei Lebenspartnern so tun,
als hätten sie nichts miteinander zu tun, ein untragbarer
Zustand ist?
Herr Beck, es wäre mir leichter gefallen, Ihnen zuzustimmen, wenn Sie sich auf die reinen Fakten beschränkt
hätten. Aber da Sie den Schlenker gemacht haben, dass
es sich um eine finanziell unzumutbare Situation handele, muss ich jetzt etwas zögern, weil ich, ebenso wie
Sie, weiß, dass sämtliche Beschäftigten des Auswärtigen
Amts, die ins Ausland gehen, eine Auslandszulage bekommen und deshalb so schlecht nicht dastehen. Objektiv ist es aber natürlich richtig, dass es sich um eine Ungleichbehandlung handelt. Da stimme ich Ihnen zu; das
sehe auch ich so. Dennoch weise ich darauf hin, dass es
im Auswärtigen Dienst nicht ganz so schlimm ist, wie
Sie sagen.
Meine Damen und Herren, Fazit ist - wenigstens insoweit kann ich mich einem Teil meiner Vorredner anschließen -: Wenn wir sagen, dass Ehepaare und Lebenspartnerschaften dieselben Verpflichtungen haben, dass
Menschen, die zusammenleben, füreinander einstehen,
sorgen und Verantwortung übernehmen müssen, dass
auch eine volle Verpflichtung bestehen soll, wenn ein
Partner arbeitslos geworden ist oder sonstige Behinde21406
rungen eingetreten sind, dann, finde ich, muss der Staat
auch dieselben Rechte gewähren. Das größte Ärgernis
ist für mich nach wie vor die Frage der steuerlichen
Gleichbehandlung im Hinblick auf die Steuerklassifizierung. Es ist ja heute tatsächlich so, dass homosexuelle
Paare mit einem Kind, die sich verpartnern, steuerlich
schlechter stehen, als wenn sie nicht verpartnert sind.
Diese Situation darf nicht sein. Von daher sehe auch ich
es so, dass wir an diesem Thema weiter arbeiten müssen.
({0})
- Danke.
({1})
Nach dem verzögerten Applaus hat jetzt die Kollegin
Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Ministerin, das Ende war vielleicht etwas zu abrupt. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Frau Raab, zu Ihrer Rede nur so viel: Sie sind direkt
gewählt, und ich frage mich, mit welchem Anspruch Sie
Politik machen.
({0})
Unter „demokratisch“ verstehe ich, dass man miteinander in einen Dialog tritt. Aber Sie haben hier gesagt, Sie
wollten sich nicht überzeugen lassen und Sie wollten
auch nicht überzeugen. Sie wollen keinen Dialog. Das
finde ich sehr undemokratisch.
({1})
- Hören Sie einmal kurz zu!
({2})
Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft als
rechtliches Institut ist mittlerweile nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich in diesem Land
weitestgehend anerkannt.
So wurde es in einem Vortrag auf der Klausurtagung
Ihrer AG Recht am 25./26. Mai dieses Jahres ausgeführt.
Haben Sie den Vortrag in der Luft zerrupft? Dieses
Thema wird also selbst in Ihrer Fraktion so diskutiert.
Frau Zypries hat in einer Pressemitteilung gesagt:
Eine Gleichbehandlung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren ist in unserer momentanen
Gesellschaft ein Gebot der Toleranz, der gegenseitigen Achtung und Anerkennung.
So kam es auch heute wieder zum Ausdruck.
Das zeigt, dass es eigentlich maßgebliche Stimmen in
Ihrer Koalition gibt, die für die Gleichbehandlung sind.
Sie könnten in dieser Richtung also endlich etwas tun.
Wir reden über nichts anderes als über ein Rechtsinstitut, mit dem Menschen öffentlich bekunden, dass sie
füreinander einstehen und entsprechend auch Pflichten
übernehmen wollen. Aber ich habe noch nicht ein Wort
der Begründung gehört, weshalb man ihnen dann nicht
auch die gleichen Rechte zugestehen will. Das geht einfach nicht.
({3})
Sicher ist schon viel erreicht worden, aber ein bisschen Gleichheit, Halbgleichheit oder Dreiviertelgleichheit gibt es nicht. Genauso wenig gibt es nur ein bisschen schwanger. Entweder wir haben die Gleichheit,
oder wir haben sie nicht. Bis wir sie erreicht haben, werden wir im Bundestag immer wieder darüber sprechen.
Dem können Sie sich noch x-Mal stellen, bis Sie es leid
sind und die rechtliche Gleichstellung der eingetragenen
Lebenspartnerschaft mit der Ehe vollziehen.
({4})
Dies betrifft verschiedene Bereiche. Im Steuerrecht,
im Dienstrecht, im Adoptionsrecht, im Ausbildungsrecht, im Sozialrecht und im Asylrecht bestehen Ungleichheiten. Das geht aus der Beantwortung der Großen
Anfrage eindeutig hervor. Eine Reihe von Dingen muss
im Zuständigkeitsbereich der Länder geklärt werden. Es
ist traurig, dass man jahrelang darum kämpfen musste,
dass alle das Recht haben, ihre Lebenspartnerschaft tatsächlich beim Standesamt eintragen zu lassen.
Dass es anders geht, hat die rot-rote Regierung in Berlin bewiesen. Dort wurde das Beamtenversorgungs- und
-besoldungsrecht materiell angepasst, sogar rückwirkend. Dies gebietet die Richtlinie 2000/78/EG des Europäischen Rates mit der Umsetzungsfrist 27. November
2008. Das entspricht einer Politik im Interesse der Menschen. Dem müssen wir uns stellen.
({5})
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Abweisen
der Klage gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft
eindeutig die Richtung vorgegeben, in die wir gehen sollen. Außerdem fällte der Europäische Gerichtshof ein
richtungsweisendes Urteil in der Sache Maruko gegen
die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen. Der
EuGH stellte fest, dass dies eine verbotene Diskriminierung sei.
Es ist traurig, dass wir erst dann Änderungen vornehmen, wenn uns das europäische Recht dazu verpflichtet.
Wir sind doch der Gesetzgeber. Lassen Sie uns offensiv
sein und die Dinge verwirklichen.
Gleiche Pflichten müssen gleiche Rechte nach sich
ziehen. Etwas anderes geht nicht und ist im Übrigen undemokratisch. Deshalb kämpft eine nicht unerhebliche
Anzahl von Abgeordneten dafür. Wir hoffen, dass wir
die restlichen davon überzeugen können.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/11408. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Da-
mit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch
die einbringende Fraktion und der Fraktion der FDP bei
Ablehnung durch die Koalition abgelehnt.
Nachtragen muss ich noch, dass Frau Kollegin
Lambrecht ihre Rede zu Protokoll gegeben hat.1)
Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
- Drucksachen 16/10290, 16/10331 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 16/11417 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.
Es ist verabredet worden, eine halbe Stunde lang zu
debattieren. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({1})
Man ist sich nicht ganz sicher, ob das allgemeine Ge-
brumme in einem gemeinsamen Singen endet, aber ich
würde gern die nächste Debatte eröffnen und der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Karin Roth das Wort ertei-
len.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Heute soll der Deutsche Bundestag mit
der Novellierung des Energieeinsparungsgesetzes einen
wichtigen Tagesordnungspunkt beschließen. Das Ener-
gieeinsparungsgesetz ist ein Eckpfeiler unserer Energie-
einsparpolitik im Gebäudebereich. Auf der Grundlage
dieses Gesetzes werden seit mehr als 30 Jahren die ener-
getischen Anforderungen an die Wärmedämmung und
an die haustechnischen Anlagen für Heizung und Warm-
wasser, für Belüftung und Klimatisierung der Gebäude
festgelegt. Wenn das Gesetz schon drei Jahre nach der
letzten Novellierung wieder geändert werden muss, so
ist dies erforderlich, weil wir auf den Klimawandel und
1) Anlage 8
vor allen Dingen auf die Energieverknappung reagieren
müssen.
Auch wenn in den letzten Wochen die Energiepreise
nicht mehr gestiegen, sondern sogar gesunken sind, wissen wir, dass das wahrscheinlich nur vorübergehend ist.
Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes sind auf jeden Fall dringlich. Die Ressourcen im Energiebereich
sind endlich, und deshalb müssen wir mit diesen Ressourcen nachhaltig umgehen.
Wir sind es unseren Bürgerinnen und Bürgern und
mehr noch der nachfolgenden Generation schuldig, in
unseren Anstrengungen zur Einsparung von Energie und
zur effizienteren Nutzung von Energie nicht nachzulassen.
({0})
Dass dabei auch und gerade der Gebäudebereich, der mit
etwa 40 Prozent einen erheblichen Anteil am Gesamtenergieverbrauch ausmacht, im Brennpunkt unserer Anstrengungen stehen muss, ist uns allen klar. Hier müssen
und wollen wir ansetzen. Dies hat die Bundesregierung
mit ihren Beschlüssen in Meseberg auch getan, die aus
unserer Sicht sehr erfolgreich sind.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes sollen erweiterte Ermächtigungen für die
Bundesregierung geschaffen werden. Sie werden benötigt, um der bereits von der Bundesregierung beschlossenen Novellierung der Energieeinsparverordnung - kurz:
EnEV 2009 - eine gesetzliche Grundlage zu geben. Wir
brauchen dieses Gesetz also heute für die Zukunft.
Im Einzelnen sollen inhaltliche Vorgaben für anspruchsvollere energetische Anforderungen und Maßnahmen bei Gebäuden und bessere Grundlagen für die
Überwachung der Einhaltung des Energieeinsparrechtes
geschaffen werden. Wir legen damit den Grundstein für
folgende Regelungen der Energieeinsparverordnung: für
die stufenweise Außerbetriebnahme von Nachtstromspeicherheizungen, die energetisch nachteilig sind; für
Bestimmungen, die einen wirksameren Vollzug der
Energieeinsparverordnung sichern sollen, insbesondere
für die Einführung privater Nachweispflichten wie etwa
Fachunternehmer- und Eigentümererklärungen, und ihre
Vorlage bei Behörden; für das Tätigwerden der Bezirksschornsteinfegermeister bei der Überwachung energieeinsparrechtlicher Anforderungen an haustechnischen
Anlagen und für Harmonisierungen bei den Bußgeldvorschriften. Gerade auch die Stärkung des Vollzugs ist ein
wichtiges Anliegen; denn wenn die energetisch sinnvollen Regelungen der Energieeinsparverordnung nicht effizient umgesetzt werden, dann ist dieses Instrument
letztlich stumpf.
({1})
Da wir uns des berechtigten Anliegens nach weniger
Bürokratie bewusst sind und hier Veränderungen wollen,
haben wir uns entschlossen, private Nachweise wie
Fachunternehmererklärungen einzuführen und sie gleichzeitig in bestimmtem Umfang mit behördlichen Kontrollen zu kombinieren. Ich möchte an dieser Stelle betonen
- denn im Ausschuss wurde darüber eine große Debatte
geführt -, dass natürlich auch die Länder ihren Verpflichtungen stärker nachkommen müssen, eine bessere
Kontrolle der Investitionen und der daraus resultierenden Maßnahmen auszuüben. Ich denke, daran haben wir
alle ein Interesse.
({2})
Nicht nur hier, sondern auch darüber hinaus sollten die
Länder ihre Hausaufgaben machen.
Der federführende Bundestagsausschuss hat zu dem
Regierungsentwurf eine Expertenanhörung durchgeführt. Ich habe aufgrund der damaligen Diskussion den
Eindruck, dass der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, in die richtige Richtung geht.
Die Verabschiedung des Änderungsgesetzes eröffnet
dem Bundesrat nunmehr die Möglichkeit, sich abschließend auch mit der Novellierung der Energieeinsparverordnung zu befassen. Ich bitte deshalb um eine breite
Zustimmung dieses Hauses zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.
({3})
Die energetische Sanierung von Bauten ist nicht nur
für den Klimaschutz, sondern auch für die Wirtschaft
und insbesondere für das Handwerk gut. Wir wissen,
dass wir durch unsere energetischen Maßnahmen schon
sehr viel erreicht haben. Aber gerade dadurch, dass wir
jetzt aufgrund der aktuellen Finanzkrise unser Gebäudesanierungsprogramm noch einmal aufgestockt haben,
rechnen wir damit, dass auch noch mehr Gebäudesanierungen regional und vor Ort geschehen werden.
Es geht also nicht nur um Ordnungsrecht, es geht vor
allen Dingen um das Thema Anreize, um die Möglichkeit, Anreize zu geben. Die Bundesregierung hat das getan, denn das Gebäudesanierungsprogramm und der Investitionspakt von Bund, Ländern und Kommunen bieten
jetzt die Möglichkeit, sich im neuen Jahr noch stärker in
diesem Bereich zu engagieren.
Frau Staatssekretärin, achten Sie bitte auf das Signal.
Ja. - Wir haben jetzt auch aufgrund des beschlossenen Haushalts die Möglichkeit, den Bereich der Gebäudesanierung mit 1,5 Milliarden Euro noch stärker zu unterstützen. Im Rahmen des Investitionspaktes haben wir
300 Millionen Euro, und wir haben weitere 150 Millionen Euro für den Bereich der finanzschwachen Gemeinden.
Von daher ist jetzt insgesamt, denke ich, die Möglichkeit gegeben, auch im nächsten Jahr zu investieren,
Arbeitsplätze zu sichern und vor allen Dingen den Klimaschutz voranzubringen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz.
({0})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Michael Kauch.
({0})
Meine Damen und Herren! Wir diskutieren über einen
zentralen Punkt des Klima- und Energiepaketes. Deshalb
finde ich es schon bemerkenswert, dass das Wirtschaftsministerium und das Umweltministerium es nicht für nötig halten, bei der zweiten und der dritten Lesung eines
solchen wichtigen Gesetzes anwesend zu sein. Das wäre
aus meiner Sicht wegen der Bedeutung des Gesetzes eigentlich ein Gebot gewesen.
({0})
Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass
die ordnungsrechtlichen Regelungen im Wohngebäudebereich sinnvoll sind, solange wir keine Einbeziehung
des Wärme- und Gebäudesektors in den Emissionshandel haben. Deshalb müssen wir hier auch mit ordnungsrechtlichen Vorgaben arbeiten.
Allerdings sind wir der Auffassung, dass die ordnungsrechtlichen Vorgaben hier weit über das notwendige Maß hinausschießen und insbesondere bei den
Nachtspeicherheizungen - das hat die Anhörung sehr
deutlich gezeigt - das Gegenteil von dem bewirken, was
man eigentlich bewirken will.
({1})
Es mag richtig sein, dass die Nachtspeicherheizungen in
der Ausnutzung der Energie für die Wärmegewinnung
nicht effizient sind. Nur, man muss sich die Frage stellen: Was passiert denn nun? Wir haben, wenn die Nachtspeicherheizungen außer Betrieb genommen werden,
eine Vorgabe für Neubauten, 15 Prozent erneuerbare
Wärme einzusetzen. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass der größte Teil der Heizungen durch Gasheizungen ersetzt wird. Der Brennstoff Gas unterliegt aber
nicht dem Emissionshandel, während der Strom, den wir
momentan in den Nachtspeicherheizungen verbrauchen,
sehr wohl dem Emissionshandel und damit der CO2Obergrenze unterliegt.
Die Anhörung hat sehr deutlich gezeigt - die Bundesregierung hat dem nicht widersprochen -, wenn wir die
Nachtspeicherheizungen außer Betrieb setzen und sie
durch Gasheizungen ersetzen, sinken die CO2-Emissionen nicht, sondern sie steigen. Das heißt, die Bundesregierung hat hier etwas gut gemeint, aber das Gegenteil
von dem erreicht, was sie erreichen sollte. Hier wird ein
für den Klimaschutz negativer Beschluss gefasst.
({2})
Im Übrigen, meine Damen und Herren, muss man
sich auch etwas mehr Gedanken darüber machen, wie
wir denn mit intelligenten Netzen die Kraftwerke, die
wir haben, besser ausnutzen können. Zu intelligenten
Netzen gehören auch sinnvolle Speichermöglichkeiten.
Wir sprechen momentan darüber, dass wir den Windstrom in Autos speichern wollen, in Elektroautos. Das ist
in der Tat eine technologische Option. Wir müssen aber
sehen, wie hier die Batterietechnik hinsichtlich ihrer Effizienz letztlich aussehen wird. Aber auch Nachtspeicherheizungen sind ein Energiespeicher für elektrische
Energie. Deshalb ist es auch unter diesem Gesichtspunkt
der wirtschaftlichen Ausnutzung des Netzes nicht sinnvoll, hier staatlich vorzuschreiben, dass man sie außer
Betrieb setzt.
({3})
Letztendlich wäre es klug, wenn man es den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen überlassen
würde, ob die technischen Optionen, die wir haben, sinnvoll und effektiv genutzt werden, und zwar sowohl in
ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu einer Änderung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes sagen, die an den Gesetzentwurf angehängt worden ist; auch deshalb finde
ich es bemerkenswert, dass das zuständige Umweltministerium nicht vertreten ist.
({4})
Wir wollen - darüber ist sich dieses Haus einig -, dass
Biomasse nachhaltig produziert wird, zumindest die Biomasse, die wir mit staatlicher Förderung energetisch nutzen. Darin sind wir uns einig. Die Frage ist: Wie können
wir das schaffen? In der europäischen Richtlinie für erneuerbare Energien und im Erneuerbare-Energien-Gesetz sind Nachhaltigkeitskriterien enthalten. Das Problem ist, dass wir zwar auf dem Papier Kriterien haben,
aber keine Durchführungswege existieren. Es gibt keine
Verordnung dazu, wie ein Produzent nachweisen kann,
dass das Palmöl und das Sojaöl, das er in seinem Blockheizkraftwerk einsetzt, nachhaltig produziert wurden. Es
ist zwar gut, dass es hierüber einen Streit zwischen der
Bundesregierung und der EU-Kommission gab, diesen
Streit kann man aber nicht auf dem Rücken der Unternehmen austragen, die langfristig investiert haben, um
erneuerbare Energien in den Markt zu bringen.
({5})
Deshalb ist es wichtig und notwendig, dass die Übergangsregelung, die heute beschlossen werden soll, auch
tatsächlich in Kraft tritt. Ich hätte mir ein vorausschauenderes Arbeiten der Bundesregierung gewünscht. Dieses Problem ist schließlich nicht erst seit letzter Woche
bekannt, sondern schon seit mehreren Monaten. Die
CDU/CSU - das möchte ich an dieser Stelle lobend erwähnen - hat im Bundestag bereits darauf hingewiesen.
Die Bundesregierung hat nicht reagiert. Ich muss aber
auch sagen: Die Grünen hätten dazu beitragen können,
dass dieses Gesetz pünktlich vor Weihnachten noch
durch den Bundesrat hätte kommen können. Sie hätten
nur auf die Fristeinrede verzichten müssen. Das ist leider
nicht geschehen. Wir können davon ausgehen, dass der
Bundesrat der Änderung zustimmt, leider nur rückwirkend. Es wäre im Interesse der Unternehmen gewesen,
wenn wir dieser Stelle noch vor Weihnachten Klarheit
gehabt hätten. Aber besser spät als nie. Wir sollten die
Unternehmen nicht in die Insolvenz treiben, indem wir
als Staat in der Vergangenheit schlecht gearbeitet haben.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden seit über einem Jahr über die wichtigen
klimapolitischen Ziele. Wir tun das auch heute, am letzten Sitzungstag vor der Weihnachtspause, in der Weihnachtszeit. Wir reden über Energiesparen, obwohl wir
uns an den Lichterketten auf den Straßen und an den
Häusern erfreuen und jeder von uns es zu Hause ein bisschen kuschelig und warm haben möchte.
Spaß beiseite. An dieser Stelle muss einmal gesagt
werden: Für uns ist es selbstverständlich, dass unsere
Stuben warm sind. Für viele Menschen auf der Erde ist
das aber leider immer noch Luxus. Es kommt darauf an,
dass wir diese Selbstverständlichkeit bezahlbar halten
und nach außen tragen. Ein Bereich ist dabei von großer
Bedeutung - das kam auch in der Rede der Staatssekretärin zum Ausdruck -, nämlich der gesamte Gebäudebereich. Hier sehen wir enormes Einsparpotenzial. In diesem Bereich ist aber - auch das möchte ich an dieser
Stelle sagen - auch schon viel geleistet worden. Der
Energieverbrauch für Heizwärme ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Zwischen 1990 und diesem
Jahr hat sich die Energieeffizienz um rund und eckig
15 Prozent verbessert. Damit ist eine CO2-Einsparung
von 13 bis 15 Prozent in diesem Bereich verbunden.
Das zeigt uns: Der Weg ist richtig. Wir müssen kontinuierlich und planmäßig auf diesem Weg weitergehen;
denn Energieeffizienz hilft der Umwelt und ist, richtig
gemacht, auch wirtschaftlich darstellbar. Eine dieser
Grundlagen ist der Gesetzentwurf, über den wir heute in
zweiter und dritter Lesung debattieren. Wir anwesenden
Baupolitiker sind uns darüber einig, dass die Energieeinsparverordnung ein effektives und wirtschaftliches Instrument für die Umsetzung der klimapolitischen Ziele
ist, vor allen Dingen im Wohn- und Gebäudebereich. Sie
liegt im Text vor. Wir haben dazu am 10. November dieses Jahres eine Anhörung durchgeführt.
Wir entscheiden heute in zweiter und dritter Lesung
- der Kollege aus der FDP hat es angesprochen - über
den Einsatz der Nachtspeicheröfen, die ab 2020 - das ist
aus unserer Sicht sozialverträglich, aber auch wirtschaftlich darstellbar - nicht mehr zum Einsatz kommen sollen. Dies betrifft Geräte, die dann älter als 30 Jahre sind.
Das heißt, dass man effektive Geräte, die den Anforderungen der Technik entsprechen, zum Einsatz bringen
kann. Die haben dann auch eine längere Laufzeit.
Wir haben klarstellende Regelungen im Vollzug festgelegt, die aus Sicht meiner Fraktion vor allen Dingen
darauf ausgelegt sein müssen, dass wir keine zusätzliche
Bürokratie schaffen und keine zusätzlichen Kosten für
die einzelnen Beteiligten verursachen. Wir denken, mit
den Unternehmer- bzw. Eigentümererklärungen sind wir
auf einem guten Weg. Dies gilt auch für das Zusammenwirken mit den Ländern, wenn es um die Kontrolle der
Anforderungen geht. Es ist eine richtige und geeignete
Maßnahme, dass wir Synergieeffekte nutzen und geeignete Personen, zum Beispiel aus den Bauämtern oder
auch Schornsteinfeger, die eine entsprechende Befähigung haben, über die Länder mit den notwendigen Kontrollaufgaben ausstatten können.
Noch ein anderes Thema, das zwar nicht direkt mit
dem Gesetz zu tun hat, aber einen großen Teil der Debatte bzw. Diskussion bei der Anhörung ausgemacht hat.
Das ist die Frage der gewerblichen Wärmelieferungen,
des sogenannten Contractings. Auch wir Baupolitiker
sehen hier Möglichkeiten, die Energieeffizienz zu verbessern und den CO2-Ausstoß zu reduzieren, vor allen
Dingen weil man auch mit geringem Investitionsaufwand relativ viel erreichen kann. Wenn zum Beispiel die
Anlagenfahrweise der jeweiligen Heizungsanlagen optimiert wird oder wenn einzelne Anlagenteile innerhalb
des Systems ausgetauscht werden, kann mit wenig Aufwand viel erreicht werden, wenngleich man sagen muss
- deswegen kommt es jetzt nicht mit zur Beschlussfassung -: Es ist letztendlich ein sehr komplexes Thema,
das sehr weit in das Mietrecht reicht. Ich denke, wir sind
uns darüber einig, Schnellschüsse würden an dieser
Stelle nur schaden, statt positiv zu wirken.
({0})
Ich möchte trotz alledem für meine Fraktion betonen,
dass es darauf ankommt, dass wir beim Contracting
nicht die bestehende Situation verschlechtern. Gerade in
den ostdeutschen Bundesländern ist es so, dass das Contracting bei über 2 Millionen Mietverträgen schon jetzt
angewendet wird. Beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz haben wir zum Ausdruck gebracht - das ist der
andere Punkt -, dass der Einsatz von erneuerbaren Energien beim Neubau in bestimmter Weise verpflichtend ist,
auch wenn die Frage der Wirtschaftlichkeit und der Kosten schwer darstellbar ist. Das müssen wir natürlich auch
beim Contracting beachten. Wir dürfen den Mietern, den
Nutzern der Wohnungen nicht in irgendeiner Art und
Weise vormachen, dass Klimapolitik und Umweltschutz
zum Nulltarif zu haben sind, sondern - darüber sind wir
uns, denke ich, einig - jeder muss einen sozial vertretbaren Beitrag dazu leisten. Dieser Anbieter-Nutzer-Konflikt, wenn man ihn so darstellen kann, wird uns sicherlich in den nächsten Wochen in der Diskussion über
dieses Thema noch weiter begleiten.
Im Rahmen dieser Diskussion haben wir auch noch andere Punkte besprochen. Es geht zum Beispiel um eine
Übergangsregelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir
wollen den Einsatz von Palmöl in Anlagen befristet weiter ermöglichen. Uns geht es dabei vor allen Dingen um
die Mittelständler, die Planungssicherheit brauchen, bis
2007 Anlagen errichtet haben und jetzt darauf setzen,
dass der Nawaro-Bonus, der Nachwachsende-RohstoffeBonus - er war für ihre eigene Kalkulation wichtig -, erhalten bleibt. Ich betone: Es ist eine befristete Übergangsregelung. Wir müssen bis zum 31. Dezember nächsten
Jahres eine klarstellende und allen gerecht werdende Lösung finden.
({1})
Die EnEV korreliert natürlich auch mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, das wir bereits verabschiedet haben. Für meine Fraktion sage ich: Wir müssen
darauf achten, dass wir dem Wohnungsbau Planungssicherheit geben und dass wir langfristig auch den Unternehmen und den Investoren die Sicherheit geben, dass
sie mit dem, was sie tun, auf dem richtigen Weg sind.
Deswegen ist es wichtig, dass die Regelungen, die wir
getroffen haben, nun ihre Wirkungen entfalten können.
Machen wir uns nichts vor: Auch mit Blick auf die
derzeitige wirtschaftliche Situation darf es nicht sein,
dass der Wohnungsbau weiter schrumpft. Wir müssen
sowohl beim Wohnungsbau als auch bei der Modernisierung vorankommen. Wenn es uns gelingt, in diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen, hilft das aufgrund des
Einsatzes neuer Materialien und neuer energiesparender
Produkte der Ökologie, und es hilft natürlich auch der
Wirtschaft.
Noch ein Wort zum CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Es ist ein Erfolgsprogramm; die mir nachfolgenden Redner werden darauf sicherlich noch eingehen. Ich
möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass dadurch, dass jetzt zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen, weitere Maßnahmen möglich sind. Wir begrüßen
außerordentlich, dass ab nächstem Jahr auch hocheffiziente Einzelmaßnahmen gefördert werden können. Das
vereinfacht das System und trägt dazu bei, dass die Mittel noch schneller abfließen, dadurch weitere Aufträge
ausgelöst werden und somit auch Arbeitsplätze in diesem wichtigen Bereich erhalten werden.
Um meine Redezeit nicht zu sehr zu überziehen,
({2})
möchte ich abschließend sagen: Meiner Fraktion kommt
es darauf an, dass wir die Energieeffizienz weiterhin in
den Mittelpunkt rücken und überall dort, wo es richtig
und wirtschaftlich vertretbar ist, auf den Einsatz erneuerbarer Energien statt, wie bisher, auf den Einsatz fossiler
Energien zurückgreifen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erleben
zum wiederholten Male einen Heizkostenschock. „Heizkosten 30 % rauf!“ lesen wir heute in der Onlineausgabe
der Bild-Zeitung. Die Preissteigerungen der letzten Jahre
haben bereits den Gegenwert von zwei Monatsmieten.
Jetzt kommen die schlechten Nachrichten: Ihr Energieeinsparungsgesetz, meine Damen und Herren von der
Koalition, wird daran kaum etwas ändern. Warum haben
Sie den Mieterinnen und Mietern für den Fall, dass notwendige Energiesanierungsmaßnahmen unterlassen oder
mangelhaft ausgeführt werden, nicht das Recht eingeräumt, die Miete zu kürzen? Warum haben Sie das nicht
getan? Das fehlt in Ihrem Gesetzentwurf ganz und gar.
Aber wen wundert es? Wer wie die Union von der Immobilienwirtschaft Zuwendungen in Höhe von 430 000 Euro
erhält, wird sich wohl kaum hinter die Mieterinnen und
Mieter stellen.
({0})
Wie viel Energie ein Haus wirklich braucht, bleibt
auch weiterhin im Dunkeln. Warum verlangen Sie nicht
endlich für alle Gebäude einen echten Energiepass, der
belegt, wie hoch der Heiz- und Stromkostenbedarf wirklich ist? Damit würde für alle offenkundig, welche Maßnahmen zu treffen sind. Damit würden Sie weitere Bauund Investitionsmaßnahmen anschieben. Dies würde das
Handwerk stützen und den Geldbeutel schonen und wäre
gut für das Klima. Wir, die Linke, fordern Sie auf, diese
eklatanten Defizite zu beseitigen.
({1})]
Schaffen Sie endlich faire Bedingungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher!
In Ihrem Gesetzentwurf machen Sie zwar gute Vorschläge für mehr Wärmeschutz und effizientere Anlagentechnik. Aber auch auf diesem Gebiet macht sich in
diesem Entwurf der Einfluss der Immobilienwirtschaft
bemerkbar. So ist zum Beispiel, damit sich die Immobilienwirtschaft keine Sorge über ihre Rendite machen
muss, von Wirtschaftlichkeitsanforderungen die Rede.
Anstatt eine Überprüfung der durchgeführten Effizienzmaßnahmen durch Fachleute vornehmen zu lassen,
reicht es jetzt aus, eine Erklärung des Eigentümers oder
der Eigentümerin beizubringen, um die Qualität einer
Maßnahme zu belegen. Ich sage Ihnen: Dadurch wird
der Mogelei Tür und Tor geöffnet.
Schon jetzt - wir haben es eben gehört - werden die
Anforderungen teils deutlich unterschritten. Wir sagen:
Behördliche Stichproben und Kontrollen durch Fachleute sind auch künftig unerlässlich.
Erwartungsgemäß steht die Unionsfraktion wieder
einmal mit beiden Füßen auf der Bremse, wenn es um
Klimaschutz und bezahlbare Energie geht.
({2})
Ich wiederhole es noch einmal: Die Immobilienwirtschaft dankt es Ihnen. Ich sage nur: Frohe Weihnachten.
Was auch niemand mitbekommen sollte: Mit dem
Energieeinsparungsgesetz wird nebenbei die Nutzung
von Palmöl in Anlagen zur Verstromung von Biomasse
neu geregelt. Wir wollen nicht, dass mithilfe des erfolgreichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit dem Geld
der Bürgerinnen und Bürger die Zerstörung von Urwald
und die Vertreibung von Kleinbauern bezahlt werden.
({3})
Tatsache ist: Erstens. Ein umwelt- und sozialverträglicher Anbau von Palmölpflanzen ist nicht machbar.
Zweitens. Auch durch eine internationale Zertifizierung
kann nicht verhindert werden, dass durch indirekte Verdrängung Tropenwälder zerstört werden und sich die sozialen Bedingungen für die Kleinbauern vor Ort verschlechtern.
Wir schlagen einen anderen Weg vor: Helfen Sie den
in Schwierigkeiten geratenen Anlagenbetreibern durch
eine technische und finanzielle Hilfe. Damit können sie
ihre Anlagen auf die Verbrennung von heimischen
Agrarölen umstellen. Dadurch würde zusätzlich den
ebenfalls in Schwierigkeiten geratenen Ölmühlen in
Deutschland geholfen werden.
Fazit: Die Regelung der Bundesregierung nützt im
Hinblick auf den Klimaschutz kaum. Dadurch wird weder den einheimischen Energielandwirten noch den Mieterinnen und Mietern geholfen. Den Gesetzentwurf müssen wir daher als unwirksam ablehnen.
({4})
Wie schön war es, als man den Eindruck hatte, sich
auf die Klimakanzlerin verlassen zu können. Ich kann
aber nur noch sagen: Frohe Weihnachten.
({5})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Peter Hettlich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Kauch, man könnte diese Debatte über das EnEG überschreiben mit: immer wieder
Fristverzicht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft wir
einen Fristverzicht erklärt und gesagt haben: in Gottes
Namen, wenn es der Sache dient.
Zu diesem Gesetzentwurf kann ich nur fragen: Wer
hat denn die Debatte über das EnEG vor 14 Tagen von
der Tagesordnung gesetzt? - Das war doch die Große
Koalition. Warum haben Sie sie von der Tagesordnung
gesetzt? - Das haben Sie getan, weil Sie diesen Art. 5 in
den Gesetzentwurf „hineinschleusen“ mussten. Sie haben
es nicht einmal in 14 Tagen geschafft, uns einen vernünftigen Artikel vorzulegen. Das haben Sie Dienstagnacht getan, sodass wir am Mittwochmorgen im Ausschuss kurzfristig entscheiden mussten, was wir damit
machen. Das passt ja auch inhaltlich gar nicht dort hinein.
Insofern sage ich Ihnen ganz ehrlich: Heute war die
letzte Gelegenheit, die Debatte über dieses Thema Energieeinsparungsgesetz zumindest einmal bei Tageslicht
zu führen.
({0})
Ansonsten hätten wir die Reden gestern Abend um
22 Uhr wieder einmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu Protokoll gegeben. Mir reicht es mittlerweile mit
dieser Großen Koalition, die vor lauter Kraft eigentlich
nicht gehen können dürfte. Es ärgert mich wirklich, dass
sie nicht einmal in der Lage ist, die elementarsten
Grundsätze in Bezug auf vernünftige Gesetzentwürfe zu
beachten. An dieser Stelle sage ich: Den Schuh ziehe ich
mir nicht an. Es war von Ihnen aber vielleicht auch gar
nicht gewollt, dass ich das tue.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energieeinsparung im Gebäudesektor ist eine der großen zentralen Herausforderungen. Die Kollegin Roth hat das eben ja auch
gesagt. Es geht hier um einen erheblichen Bereich im
Wärmesektor, in dem wir noch eine ganze Menge tun
müssen. Ich sage Ihnen aber auch ganz ehrlich: Wir haben kein Problem an der Spitze. Dort sind wir Weltklasse: Plusenergiehaus, Nullenergiehaus. Das alles bekommen wir richtig auf die Reihe.
Wir haben ein Problem in der Breite. Schauen Sie
sich einmal die Zahlen an. Hier kommen wir trotz all der
Programme und all unserer ordnungsrechtlichen Maßnahmen nicht vom Fleck. Man muss sich einfach nur
einmal die Zahlen des Statistischen Bundesamtes anschauen. Sie sehen dann, dass es sogar eine leichte Steigerung beim Energieverbrauch im Bereich der Häuser
gibt. Nur bezogen auf die Quadratmeter gibt es eine Senkung des spezifischen Energieverbrauchs.
({1})
Also müssen wir das doch einmal angehen und den Verbrauch insgesamt senken. Das ist im Prinzip das, was wir
fordern - sowohl im Ordnungsrecht als auch bei den
Fördermaßnahmen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich natürlich fragen, warum die Anforderungen in der Energieeinsparverordnung 2009 gegenüber denen in der Energieeinsparverordnung 2002 um 30 Prozent verschärft werden und im Jahre 2012 nochmals um 30 Prozent steigen,
obwohl wir doch heute schon wissen, dass es erhebliche
Vollzugsdefizite hinsichtlich der bestehenden Energieeinsparverordnung gibt.
Der Verband Privater Bauherren - ich zitiere das immer sehr gerne - hat auf einer sehr großen statistischen
Basis festgestellt, dass die Werte auf 50 Prozent der
Energieausweise, die für die Gebäude erstellt wurden,
nicht der Realität entsprechen. 50 Prozent der Gebäude,
die gebaut wurden und Teil dieser statistischen Basis waren, entsprachen nicht den Regelungen der Energieeinsparverordnung, und 50 Prozent der Gebäude, die von
uns sogar gefördert werden, entsprechen nicht den Förderbestimmungen der KfW.
({3})
Jetzt kann man sich darüber streiten, ob die Zahlen stimmen oder nicht. Sie enthalten sicherlich eine gewisse
Unschärfe. Aber es sollte uns doch zu denken geben,
dass wir offensichtlich am falschen Ende sparen und offensichtlich auch die falschen Instrumente einsetzen.
({4})
Dann kommt das Energieeinsparungsgesetz und
bringt uns die Fachbauleitererklärung genau der Betriebe, die diese Gebäude nicht sach- und fachgerecht sanieren. Das ist doch eine Lachnummer; das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Zum Schluss kann sich der Bauherr
selber bescheinigen, dass er die Maßnahmen ordnungsgemäß ausgeführt hat. Da ist der Manipulation Tür und
Tor geöffnet. Ich stimme der Kollegin Roth zwar durchaus zu, dass hier die Länder viel stärker gefordert sind.
Aber wir als Grüne haben immer gesagt: Wir müssen es
nicht immer auf der Ebene der Länder regeln. Wir können es auch durch Private regeln, wenn wir dafür sorgen,
dass es unabhängige Dritte sind, die dieses Gebäude begutachten und dann entsprechend die ordnungsgemäße
Ausführung testieren. Das bleibt unsere Forderung.
Zu der Frage der Schornsteinfeger will ich nur sagen:
Hier wird wohl der Verlust des Gebietsmonopols mit
neuen Aufgaben versüßt. Wir lehnen das ab. Wir halten
das für eine zusätzliche Konkurrenz für die sowieso
schon in einer schwierigen Situation befindlichen Fachbetriebe des Heizungs-, Sanitär- und Klimahandwerks.
Deswegen sollten sich die Schornsteinfeger auf das beschränken, was sie können, und sich nicht über Dinge
auslassen müssen, von denen sie keine Ahnung haben.
Ich komme zur Frage der Nachtspeicheröfen. Interessanterweise hat die FDP bei uns tatsächlich eine spannende Diskussion losgetreten. Ich kann das heute nicht
zum Abschluss bringen, weil man die Frage des Caps
und die des Emissionshandels noch einmal neu diskutieren muss. Aber es ist halt so: Solange das für mich nicht
zufriedenstellend gelöst ist, so haben wir gesagt, stimmen wir diesem Verbot bzw. dem Auslaufen der Genehmigung der Nachtspeicheröfen zu. Aber ich stimme Ihnen an dieser Stelle zu, Kollege Kauch, dass wir auch bei
uns in den Fachausschüssen die Diskussion darüber weiterführen sollten, inwieweit wir da das Kind mit dem
Bade ausschütten.
Ich stelle fest, dass mir selber persönliche Zweifel gekommen sind. Ich habe mir das Buch von Professor
Weimann besorgt und gelesen. Das liest sich erst einmal
sehr gut. Aber, wie gesagt, das Dilemma liegt im Detail.
Es ist die Frage, wie ambitioniert wir an den Emissionshandel herangehen.
Kollege Hettlich, sollte irrtümlicherweise der Eindruck entstanden sein, dass es eine Pflicht zur Redezeitverlängerung gibt, dann muss ich dem entgegentreten.
Sorry. Sie wissen, dass das nicht mein Stil ist. Ich
wollte nur sagen, dass wir das weiter diskutieren werden.
Wir lehnen das Gesetz ab. Dennoch wünsche ich den
Kolleginnen und Kollegen ein frohes Weihnachtsfest
und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Danke schön.
({0})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer
Fornahl.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe
heute fast das allerletzte Wort, wenn uns nicht die Präsidentin am Ende noch ein frohes Weihnachtsfest wünscht,
wovon ich fest ausgehe.
Lieber Peter Hettlich, wir haben bis 2005 gemeinsam
das eine oder andere Mal noch bis fünf vor zwölf um
Formulierungen gerungen, Gesetzentwürfe und Änderungsanträge eingebracht. Das ist leider in dem Betrieb,
in dem Koalitionen arbeiten müssen, manchmal nicht zu
ändern. Auch hier war das der Fall. Hier gilt: herunterkommen, Dampf ablassen, vernünftig miteinander reden
und Lösungen da, wo sie vertretbar sind, gemeinsam beschließen.
Ich will zum Energieeinsparungsgesetz einige wenige
Anmerkungen machen. Zu den Voraussetzungen für die
Energieeinsparverordnung, die im Gesetzentwurf stehen,
hat die Frau Staatssekretärin schon gesprochen. Auch
mein Kollege Vogel hat sich dazu ausführlich geäußert.
Darauf kann ich also verzichten. Ich will aber auf das
hinweisen, was die Energieeinsparverordnung, für die
wir jetzt den gesetzlichen Rahmen schaffen, enthält,
nämlich eine Verschärfung der Anforderungen an den
Jahresprimärenergiebedarf für einen Neubau um 30 Prozent und eine Verschärfung der Anforderungen bei der
Modernisierung von Altbauten um ebenfalls 30 Prozent.
Das gilt sowohl für Bauteile als auch für die Gesamteffizienz.
Ich denke, das ist eine deutliche Aufforderung an alle,
sich an diese Regeln zu halten. In diesem Fall können
wir das Einsparpotenzial von circa 40 Prozent im Gebäudebereich erreichen.
({0})
Die Anhörung, über die wir in dieser Runde schon diskutiert haben, hat durchaus ergeben, dass das, was wir
hier vorgegeben haben, grundsätzlich vernünftig ist. Ich
weise darauf hin, dass alle Fachleute die Einsparpotenziale hervorgehoben haben.
Das Thema Nachtspeicheröfen ist ausreichend behandelt worden. Ich glaube, mit dem Verweis darauf, dass
bis 2020 eine Übergangsregelung gilt und wir danach sicherlich völlig andere und effizientere Möglichkeiten
zur Erzeugung von Strom oder auch von Wärme haben
werden, die wir dann im Gebäudebereich nutzen, sind
auch diese nicht besonders effizienten Instrumente zum
Heizen am Ende obsolet. Deswegen sollten wir denen
keine Träne nachweinen.
Die komplizierte Problematik der Nutzung von Potenzialen durch gewerbliche oder private Dritte bei der
Wärmelieferung und bei der Warmwasserlieferung ist
ein sehr wichtiges Thema. Auch in diesem Bereich sind
wesentliche Potenziale vorhanden, die es zu heben gilt.
Dr. Eikmeier vom Bremer Energie-Institut hat ausdrücklich auf diese Potenziale hingewiesen, die unbedingt zu
nutzen sind. Es steht ein Gutachten an, das wir abwarten
sollten.
Wir sollten aber schon im Vorfeld in einer Abwägung
der Interessen zwischen Vermietern und Mietern über
vernünftige Regelungen in diesem Bereich nachdenken,
die die Interessen austarieren und zu einer Reduzierung
der Heiz- und Warmwasserkosten für alle führen. Wir
sollten also zwar das Gutachten abwarten, uns aber
schon im Vorfeld um eine vernünftige Regelung im
Mietrecht bemühen.
Eine Frage ist mir besonders wichtig - meine Vorredner Volkmar Vogel, Peter Hettlich und auch die Staatssekretärin haben es schon angesprochen -: Wie erreichen
wir es, dass die Maßnahmen, die wir Jahr für Jahr mit erheblichen Fördermitteln finanzieren, so qualifiziert
durchgeführt werden, dass das angestrebte Einsparziel
erreicht wird? Im Rahmen dessen, was wir in der Einsparverordnung festgelegt haben, sind in erster Linie die
Länder für den Vollzug des Controllings zuständig.
Ich appelliere an die Länder, dass sie im Rahmen der
rechtlichen Vorgaben, die wir geschaffen haben, ihre Institutionen so aufrüsten, dass sie das Controlling leisten
können. Es muss eine Partnerschaft zwischen öffentlichrechtlichen Institutionen und Privaten erreicht werden.
Beide gemeinsam müssen es schaffen. Ich glaube, dann
werden wir das Problem, das wir uns aufgeladen haben,
in einigen Jahren vernünftig gelöst haben.
({1})
Wir müssen den schwarzen Schafen unbedingt auf die
Finger klopfen. Denn es geht nicht nur um das Klima,
sondern auch um die vielen Fördermittel, die wir jedes
Jahr ausgeben. Das muss verantwortungsvoll geschehen;
denn wir haben nichts zu verschenken.
Der Bundesaußenminister, unser Vizekanzler, hat gestern gesagt: Kluge Gesetze reichen nicht aus. Ein gutes
Gewissen macht noch kein gutes Klima. Damit hat er
recht. Ich denke, mit diesem Schlusssatz kann ich das
Thema beenden. Wir können hoffen, dass die EnEV bald
ins Gesetzblatt kommt und zur Umsetzung freigegeben
wird.
Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein angenehmes Weihnachtsfest und ein gutes, interessantes und spannendes neues Jahr.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11417,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10290 und 16/10331 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11417 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11438. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der antragstellenden
FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
aber natürlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses sowie den Bürgerinnen und Bürgern, die
unserer Debatte beigewohnt haben, frohe Weihnachten,
und kommen Sie gut in das Jahr 2009.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. Januar 2009, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.