Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/19/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zu unserer voraussichtlich letzten Plenarsitzung vor der Weihnachtspause. ({0}) - Herr Fraktionsvorsitzender, ich bin mir der Antragsrechte der Fraktionen im Allgemeinen und der Minderheitsrechte im Besonderen auch am frühen Morgen jederzeit bewusst und formuliere deswegen wirklichkeitsnah, aber vorsichtig. ({1}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 ({3}) vom 15. Mai 2008, 1816 ({4}) vom 2. Juni 2008, 1838 ({5}) vom 7. Oktober 2008, 1846 ({6}) vom 2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008 - Drucksachen 16/11337, 16/11416 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({7}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/11427 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Roland Claus Omid Nouripour Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke und zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung und über einen Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. ({9}) - Jedenfalls werden wir mit oder ohne das Auswärtige Amt die angekündigten namentlichen Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir offensichtlich so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion. ({10})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung der Piraterie eignet sich nicht für Schnellschüsse. In diesem wie in anderen Fällen gibt es keinen Freibrief für voreiliges und rechtloses Handeln. Wir Sozialdemokraten achten und befolgen das Völkerrecht. Wenn der Einsatz des Militärs beabsichtigt wird, müssen Sorgfalt und Augenmaß vor Übereile gehen. Die Bundesregierung hat deshalb zu Recht alle völker- und verRedetext fassungsrechtlichen Fragen eingehend geprüft und daraus angemessene Schritte abgeleitet: Die Bundeswehr darf weder in ein militärisches Abenteuer noch in eine rechtliche Grauzone geschickt werden. ({0}) Mittlerweile sind alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Sicherheitsratsresolution 1846 der Vereinten Nationen vom 2. Dezember 2008 erlaubt die Bekämpfung der Piraterie in den somalischen Küstengewässern auch durch Regionalorganisationen. Für ein deutsches Engagement bietet deshalb die Mission „Atalanta“ der Europäischen Union den geeigneten Rahmen. Die Versuche, unter dem Deckmantel der Pirateriebekämpfung bewährte Regelungen unserer Verfassung auszuhebeln, waren unverhältnismäßig und zeitraubend. Nicht ohne Grund wurden der Polizei und der Bundeswehr eindeutige und klar getrennte Aufgaben zugewiesen. Daran müssen wir festhalten. Manche Bemerkungen der letzten Wochen waren ebenso sachfremd wie irreführend. Auf hoher See kann die Bundesmarine auch heute schon gegen Piraterie vorgehen. Das Seerechtsübereinkommen und das Völkergewohnheitsrecht erlauben derartige Reaktionen. Deshalb ist die Behauptung der Linksfraktion, dass nur die Polizei die Gewalt auf See bekämpfen dürfe, falsch. Hilfe in der Not, auch durch die deutsche Marine, ist jederzeit möglich. Allerdings hätte die Bundesmarine nicht in den somalischen Küstengewässern operieren oder vorbeugend aktiv werden können. Erst mit den Sicherheitsratsresolutionen 1816 und 1846 sind solche Operationen möglich. Der Umweg über das Grundgesetz war daher von Anfang an überflüssig und bedenklich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Aufklärung, Schutz und Abschreckung sind zur Bekämpfung der Piraterie die richtigen Maßnahmen. Dass sich die Bundesmarine dabei vor allem auf die Sicherheit der humanitären Hilfe konzentrieren will, findet die Unterstützung der SPD-Fraktion. ({1}) Fast alle Transporte erfolgen auf dem Seeweg, und mehr als ein Drittel der Menschen in Somalia sind auf diese Hilfen angewiesen. Deshalb ist es konsequent, besonders die Schiffe mit humanitären Gütern zu schützen. Das Überleben der Hungernden in Somalia hat absoluten Vorrang. Die Beteiligung der deutschen Marine ist daher zuerst und vor allem eine humanitäre Operation. ({2}) Dass auch andere Schiffe geschützt werden müssen, steht außer Zweifel. Allerdings möchte ich auch daran erinnern, dass die Reedereien gleichermaßen Verantwortung tragen: Größere und besser ausgebildete Besatzungen, bauliche und andere Maßnahmen könnten dazu beitragen, die Gefahren einer Kaperung zu reduzieren. Die Veranstalter von Kreuzfahrten und Freizeitschiffer sollten sorgfältig abwägen, ob gegenwärtig Reisen auf gefährdeten Wasserwegen verantwortbar sind. ({3}) Die Schiffseigner müssen bedenken, dass sie nicht nur die Passagiere und sich selbst in Gefahr bringen, sondern auch diejenigen, die ihnen dann Hilfe leisten wollen oder müssen. Die Ankündigung der Bundesregierung, sich gezielt für die Schaffung einer internationalen Gerichtsbarkeit gegen Piraterie einzusetzen, ist richtig. Wir unterstützen diesen Ansatz. ({4}) Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg wäre aus meiner Sicht ein geeigneter Rahmen. Ich bitte die Bundesregierung, in den kommenden Monaten gerade in diesem Feld um Vorschläge und Initiativen. Bis dahin sollte es ein abgestuftes Verfahren bei der Strafverfolgung geben. Wenn deutsche Staatsbürger getötet oder verletzt oder unter deutscher Flagge fahrende Schiffe angegriffen werden, muss die Strafverfolgung in Deutschland stattfinden. In allen anderen Fällen sollten der Piraterie verdächtige Personen an den Staat übergeben werden, der ein Interesse angemeldet hat und dessen Strafverfolgung unseren rechtsstaatlichen Maßstäben und Grundsätzen entspricht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Piraterie ist heute in weiten Teilen Afrikas und Asiens ein schwerwiegendes Problem. Verarmte Bauern, Fischer, Kriminelle und Kämpfer aus den Bürgerkriegen bilden einen gewaltbereiten Kern. In Somalia hat sich dabei ein regelrechtes Geschäftsfeld herausgebildet, das mit weltweiten Netzwerken verbunden ist. Die Zahl der Überfälle hat mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen. Nicht nur ausländische Schiffe sind Ziel der Attacken, ebenso leidet die Bevölkerung Somalias unter den Angriffen und der Unordnung. Durch die EU-Mission „Atalanta“ kann der Schutz vor Piraten verbessert werden. Doch nur Entwicklungsfortschritte an Land sind langfristig erfolgversprechend. Die Voraussetzungen dafür sind aber leider alles andere als günstig. Somalia ist ein klassisches Beispiel für die Folgen eines langjährigen Bürgerkrieges verbunden mit tiefgreifenden Entwicklungsproblemen, umstrittener kolonialer Grenzziehung, der Einflussnahme auswärtiger und angrenzender Staaten und einem nicht vorhandenen Gewaltmonopol. Die gegenwärtige innenpolitische Krise macht die Situation noch schlimmer und unübersichtlicher. Das Land steht aber auch stellvertretend für das Versagen der Weltgemeinschaft in Afrika. Wie vollmundig waren noch die Ankündigungen Anfang der 90er-Jahre. Deshalb ist es zwar notwendig, dass sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weiterhin mit Fragen der Gewalt auf See am Horn von Afrika befasst. Die neue Sicherheitsratsresolution 1851 fordert zu Recht eine bessere Koordination der beteiligten Staaten. Wichtig sind dann aber auch koordinierte und effektive diplomatische Maßnahmen, um auf die Konfliktparteien insgesamt einzuwirken. ({5}) Was wir an Land brauchen, sind abgestimmte und langfristige Programme, die zur Lösung der unhaltbaren politischen Zustände in Somalia beitragen können. Ein Beispiel für die wirksame Bekämpfung der Piraterie findet sich in Asien. Als die Zahl der Überfälle vor den Küsten Indonesiens vor einigen Jahren rasant zunahm, konnte die Gewalt auf See durch wirtschaftlichen Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten, gute Regierungsführung, ein Friedensabkommen für Aceh und die Zusammenarbeit der Nachbarstaaten beim Küstenschutz zurückgedrängt werden. ({6}) Eine vergleichbare Strategie muss auch am Horn von Afrika verfolgt werden. Das wäre langfristig der beste und erfolgversprechendste Schutz vor den Auswirkungen der Piraterie. ({7}) Derzeit - davor drücken Sie sich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion - ist dieser Weg aber nicht leicht begehbar. Zu tief ist die innenpolitische Zerrüttung, und zu groß sind die Gegensätze der Nachbarstaaten. Die Bundesregierungen haben zusammen mit anderen Ländern immer wieder versucht, die politischen Verhältnisse zugunsten von Zusammenarbeit und Ausgleich zu beeinflussen. Leider waren die Anstrengungen aller Bundesregierungen bisher nicht erfolgreich. Dennoch möchte ich uns gemeinsam ermutigen und auffordern, auch in Zukunft nichts unversucht zu lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat einen ausgewogenen, angemessenen und gut begründeten Antrag vorgelegt. Deutschland sollte sich an der Mission „Atalanta“ beteiligen, weil die Verbesserung der humanitären Situation in Somalia, die Sicherung der Seewege und der Respekt gegenüber einer Anfrage der Vereinten Nationen auch in unserem, im deutschen Interesse sind. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen viel über das Piraterieproblem am Horn von Afrika diskutiert. Ich denke, wir sollten uns in der heutigen Debatte auch einmal über die Frage unterhalten, wie dieses Problem eigentlich entstanden ist. Es ist entstanden, weil in Somalia seit über 15 Jahren eine staatliche Ordnung fehlt. Dieser rechtlose Zustand wurde durch asiatische, aber auch durch europäische Staaten ausgenutzt, indem in somalischen Hoheitsgewässern illegal Müll verklappt wurde und beispielsweise die Fischbestände massiv reduziert wurden, wodurch auch die Chancen somalischer Fischer auf Ernährung ihrer Familien gesunken sind. Davon hat die Welt in den letzten Jahren nicht oder nur schlaglichtartig Kenntnis genommen. Jetzt, wo die Seehandelsrouten betroffen sind, wird das Problem erkannt. Ich bin der Auffassung, dass wir in der Politik alles dafür tun sollten, dass an solchen Stellen ein Frühwarnsystem installiert wird. ({0}) Wir beobachten ein Phänomen: Aus einer anfänglich wilden, unorganisierten Piraterie ist zwischenzeitlich eine organisierte Piraterie entstanden, mit logistischen Basen an Land, mit größeren Schiffen, sogenannten Mutterschiffen, als Einsatzplattform und vielen kleinen Einsatzbooten, die letztlich Schiffe kapern. Ob allerdings die strategische Planung für Schiffskaperungen noch vor Ort oder längst in anderen Staaten stattfindet, ist unklar. Ob Piraten mit der international organisierten Kriminalität oder schon mit dem internationalen Terrorismus, mit al-Qaida, zusammenarbeiten, ist nicht endgültig geklärt. Aber die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion geantwortet, dass das zumindest nicht auszuschließen sei. Ich füge hinzu: Es spricht manches dafür. Fakt ist: Die Strukturen verändern sich, Herr Minister, und zwar rasant. Ich möchte, dass die Bundesregierung und die internationale Staatengemeinschaft das nicht ignorieren, sondern es intensiv beobachten, versuchen, dieses Phänomen wahrzunehmen, und, bevor sich der internationale Terrorismus dort endgültig und dauerhaft festsetzt, gemeinsam Gegenstrategien entwickeln. Das ist die Aufgabe für die Zukunft. ({1}) Deshalb möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, sagen: Wenn heute das Mandat beschlossen wird, dem die FDP-Bundestagsfraktion mit großer Mehrheit zustimmen wird, dann sind Sie nicht am Ende, ({2}) sondern erst am Anfang des Weges zur Bekämpfung der internationalen Piraterie und ihrer Ursachen. ({3}) Das hat unserer Ansicht nach mehrere Konsequenzen für das Mandat. Herr Minister, die Bundesregierung sagt, es sei ein robustes Mandat. Wenn das so ist, dann wollen wir, dass dieses robuste Mandat auch umgesetzt wird. ({4}) Es geht hier nicht nur darum, Schiffe zu begleiten, sondern auch darum, Piraterie zu bekämpfen. ({5}) Wenn die Herren Minister Steinmeier und Jung in einem Schreiben an die Fraktionen mitteilen, primäres Ziel sei nicht die Festnahme piraterieverdächtiger Personen, sondern das Schwergewicht der Operation liege auf der Verhütung seeräuberischer Handlungen, und wenn der Kollege Mützenich hier ausführt, das sei vorrangig eine humanitäre Aktion, dann möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen: Das Mandat lässt die Bekämpfung der Piraterie zu, und wir bitten Sie, das jetzt nicht politisch einzuschränken. ({6}) Wir haben jetzt schon eine Situation, in der unter der Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika Piraterie bekämpft werden kann. Die deutsche Marine durfte daran bisher nicht teilnehmen, weil Sie es nicht zugelassen haben, meine Damen und Herren von der Regierung, obwohl Deutschland das Seerechtsabkommen längst ratifiziert hat. ({7}) Damit haben Sie den Soldatinnen und Soldaten vor Ort das Leben schwer gemacht. Außerdem haben Sie die deutsche Marine mit diesem Verhalten ziemlich blamiert. Deshalb sagen wir Ihnen deutlich, dass die Bekämpfung der Piraterie für uns mindestens ein gleichrangiges Ziel ist. Nachdem dieses Mandat beschlossen worden ist, möchte ich nicht mehr lesen müssen, die Piraten hätten abgedreht, seien aber nicht verfolgt worden. Es geht nicht nur darum, Piraten zu verjagen, sondern es geht auch darum, Piraten zu jagen, meine Damen und Herren. ({8}) Grenzüberschreitender internationaler Terrorismus ist von Piraterie und organisierter Kriminalität oft nicht mehr zu unterscheiden. Deshalb sagen wir Ihnen sehr deutlich: Es kann nicht sein, dass wir auf Dauer zwei oder drei Operationen vor Ort haben. ({9}) Nach der Operation Enduring Freedom wird nun die Operation „Atalanta“ beschlossen. Die NATO plant, ab Februar 2009 mit demselben Auftrag wieder vor Ort zu sein. Das Seegebiet überschneidet sich weitgehend. Nach Auffassung der Regierung war es bisher nicht möglich, unter der Operation Enduring Freedom Piraterie zu bekämpfen. Zukünftig soll es allerdings möglich sein, dass die deutsche Fregatte vor Ort kurzfristig in die Operation „Atalanta“ einbezogen wird. Das heißt, dasselbe Schiff darf unter einem neuen Mandat genau das, was Sie ihm bisher nicht zugestanden haben. Das ist ein Treppenwitz der Geschichte, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({10}) Ein weiterer Punkt. Es ist international darauf zu drängen, dass unter Piraterieverdacht stehende Verhaftete nicht im Rahmen des nationalen Rechts der Strafverfolgung zugeführt werden. Sie sollten nach Auffassung der FDP-Fraktion vielmehr an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt werden oder aber notfalls an einen neu zu schaffenden internationalen Gerichtshof, der für die Bekämpfung von Piraterie zuständig ist. Es kann auf Dauer nicht richtig sein, dass der Piraterie verdächtige Personen unter verschiedenem Recht abgeurteilt werden und diese versuchen, sich auszusuchen, von wem sie aufgegriffen werden. Das kann nicht das Ziel sein. Deshalb müssen Sie hier tätig werden. Ich sage zum Schluss: Wenn die internationale Gemeinschaft nicht auch Wert auf die politische und wirtschaftliche Stabilisierung Somalias legt, dann wird dies ein Endloseinsatz ohne Perspektive. Das wollen wir nicht. Mit Soldaten allein ist dieses Problem nicht zu lösen. Das gilt auch für die neue Resolution, die jetzt im UN-Sicherheitsrat beschlossen worden ist. Es müssen die Ursachen bekämpft werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, das ist Ihre Aufgabe. Wir sehen Sie in der Pflicht, hier die Initiative zu ergreifen, damit insgesamt eine Stabilisierung der Region erreicht wird und hier auf Dauer eine Lösung geschaffen wird. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eckart von Klaeden ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! So sehr es mich freut, dass die FDP-Fraktion dem Mandat mit großer Mehrheit zustimmen wird, so sehr muss ich aber auch sagen, dass Sie sich mit Ihrer Kritik an der Koalition und der Bundesregierung deutlich verrannt haben. ({0}) Es ist ein neuer Zug in der Politik der FDP, dass Sie die Prävention gegen die Repression, dass Sie die Verhinderung von Straftaten gegen die Verfolgung von Straftaten ausspielen wollen, ({1}) wie es gerade die Kollegin Homburger getan hat. Sie hat sinnentstellend aus dem Schreiben zitiert und dabei beklagt, dass angeblich der Schwerpunkt nicht ausreichend auf die Strafverfolgung, sondern dass zu viel auf die Prävention, auf die Verhinderung von Piratenangriffen gelegt wird. Lesen Sie die Rede der Kollegin einmal nach! Das ist doch ein deutliches Verrennen der FDP. ({2}) Zu beklagen, dass mit dem Mandat für den Einsatz derselben Fregatte eine klare und unmissverständliche Rechtsgrundlage geschaffen wird, ist wirklich ein neuer Zug in der Rechtsstaatspartei FDP. ({3}) - Herr Kollege Westerwelle, wenn Sie die Dinge nicht verstanden haben, können Sie gerne eine Zwischenfrage stellen. ({4}) Stellen Sie eine Zwischenfrage, wenn Sie Aufklärungsbedarf haben! Meine Damen und Herren, die Verschränkung von innerer und äußerer Sicherheit ist gerade an der intensiven Diskussion über das „Atalanta“-Mandat exemplarisch deutlich geworden. Wir haben es bei diesen Formen der Piraterie oder des transnationalen Terrorismus mit neuen Gefahren und alten Gefahren in neuem Gewand zu tun. In den Zeiten des Kalten Krieges haben wir uns darauf beschränken können, unseren Anteil zur kollektiven Territorialverteidigung im NATO-Bündnis zu leisten. Heute müssen auch wir unseren angemessenen Beitrag dazu leisten, dass NATO und ESVP ihre geografisch über Europa hinausgehenden Aufgaben erfüllen können. Der langwierige und schwierige Diskussionsprozess zeigt, dass wir in Deutschland noch ein Stück weit von dieser Normalität entfernt sind. Dabei haben wir als weltweit größte Exportnation ein besonderes Interesse an der Sicherung der Welthandelswege insbesondere auf See. Das gilt besonders für die Route durch den Golf von Aden, die in zunehmendem Maße von Piraten bedroht wird. Piraterie ist sicherlich kein neues Phänomen, wie wir alle wissen. Aber seit den 90er-Jahren wird sie als eine internationale Bedrohung angesehen. Sie ist nicht nur auf die Seegebiete um das Horn von Afrika beschränkt, auch wenn wir in dieser Diskussion unseren Fokus auf diese Region richten. Die amerikanische RAND Corporation hat festgestellt, dass es in den Jahren 2000 bis 2006 insgesamt 2 463 durchgeführte oder versuchte Angriffe von Piraten auf See gegeben hat. Dies ergibt im Durchschnitt 352 Fälle pro Jahr im Vergleich zu 209 Fällen in den Jahren 1994 bis 1999. Dies ist ein Anstieg von nahezu 75 Prozent. Zusätzlich hat das International Maritime Bureau in Malaysia festgestellt, dass man davon ausgehen muss, dass die Zahl der Angriffe um 50 Prozent höher liegt, weil aus verschiedenen Gründen Überfälle nicht gemeldet werden. Was sind die zentralen Faktoren, die zu diesem Anstieg der Piraterie geführt haben? Das ist erstens das massive Anwachsen des Seehandels im Zuge der Globalisierung, was mit einer höheren Zahl an Überseehäfen einhergeht. Es ist zweitens die hohe Dichte des Schiffsverkehrs insbesondere in schmalen Seefahrtsstraßen wie der Straße von Malakka, aber auch der weniger bekannten Straße Bab al-Mandab am Ausgang des Roten Meeres zwischen Jemen, Eritrea und Dschibuti. Diese Meerengen zwingen die Schiffe dazu, ihre Geschwindigkeit deutlich zu reduzieren, und machen sie dadurch zu einer leichten Beute für Piratenangriffe. Es ist drittens die Schwäche vieler Küstenstaaten. Über die fehlende Stabilität in Somalia ist hier schon vieles gesagt worden. Das gilt aber leider auch für Eritrea und Jemen und - in Südostasien - für Indonesien, also für Staaten, die sich schwertun, ihre Küsten zu sichern. Es ist viertens die mit der fehlenden Staatlichkeit eng verknüpfte katastrophale wirtschaftliche Lage in vielen dieser Länder und Gebiete. Junge Männer ohne legale Erwerbsmöglichkeiten, aber im Umgang mit Waffen, kleineren Schiffen und Booten vertraut, sind eben ein ideales Rekrutierungspotenzial für Piraterie. In diesen Ländern und Regionen hat sich die Piraterie zu einem lukrativen Wirtschaftszweig entwickelt. Wie stark die Piraterie und die wirtschaftliche Lage in diesen Ländern zusammenhängen, haben wir im Rahmen der Asienkrise Ende der 90er-Jahre beobachten können, die unter anderem in Indonesien zum Sturz von Präsident Suharto geführt hat. Als Indonesien ganz besonders von dieser Krise betroffen war, ist die Piraterie in dieser Region sprunghaft angestiegen. Was sind die besonderen Gefahren, die mit diesem höheren Ausmaß an Piraterie verbunden sind? Es ist zunächst die Gefahr für das Leben der Schiffsbesatzungen. Nach dem bereits von mir zitierten International Maritime Bureau ist es allein in den Jahren 2005 und 2006 bei 515 erfolgten Piratenangriffen zu 54 Opfern gekommen. Es sind 54 Menschen entweder getötet oder verletzt worden. Es sind zum Zweiten die großen volkswirtschaftlichen Kosten: einmal durch direkte Verluste und Lösegeldzahlungen, aber auch durch indirekte Effekte wie höhere Risikoprämien oder die Inkaufnahme längerer Routen. Sie wissen, dass einige Reeder ihre Kapitäne angewiesen haben, das Rote Meer und den Suezkanal zu meiden und stattdessen um das Kap der Guten Hoffnung zu fahren. Drittens sind es die negativen Auswirkungen auf die Heimatstaaten, aus denen die Piraten kommen. Piraterie führt zu einer weiteren Unterminierung und Schwächung der Legitimität von Regierungen und Institutionen durch die von ihr ausgehende korrumpierende Wirkung auf staatliche Bedienstete. Deswegen besteht eine Wechselwirkung zwischen der Schwächung und dem Zerfall von Staaten unter Piraterie. Es ist nicht so monokausal, wie es hier von der Vorrednerin dargestellt worden ist, sondern es besteht eine Wechselwirkung zwischen der Piraterie einerseits und der Destabilisierung, dem Zerfallen von Staaten andererseits. Ohne Bekämpfung der Piraterie wird es auch keine Chance geben, tatsächlich zu einer Stabilisierung dieser Staaten zu kommen. Die vierte große Gefahr, die ich hier nicht unerwähnt lassen möchte, ist die, dass große ökologische Katastrophen drohen, wenn ein Tanker wie die jetzt entführte saudische Sirius Star in Brand gesetzt würde und sinken sollte. Was ist zu tun? - Zunächst einmal geht es in der Tat um den Schutz von Schiffen und die Abschreckung von Piratenangriffen in der gegenwärtigen akuten Bedrohungslage am Horn von Afrika. Deswegen ist die Mission „Atalanta“ auch mit diesem Mandat und mit dieser Aufgabenstellung richtig und wichtig. Denn die Alternative, dass wir auf die Sicherheit der Seeschifffahrtswege verzichten oder unseren Seeschifffahrtsverkehr einschränken, kann wirklich nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass der Containerverkehr die Hauptschlagader des Welthandels ist, von dem auch insbesondere unser Land profitiert. Es gibt aber eine Reihe weiterer konkreter Maßnahmen, die ergriffen werden können. Dazu gehört erstens, die Sicherheit an Bord zu verbessern, um Piratenangriffe zu vereiteln, zum Beispiel durch eine bessere Kommunikation zwischen den Schiffen und durch mehr Schutz durch die mit der Seeschifffahrt befassten Stellen in den Küstenstaaten. Zweitens gehört dazu, die Küstenstaaten selber mehr in die Lage zu versetzen, für Seesicherheit zu sorgen. Drittens sollte das Piracy Reporting Centre des International Maritime Bureau in Malaysia ausgebaut und die Möglichkeiten zur Lagebilderstellung verbessert werden. Viertens ist eine Stärkung und Verbesserung des Hafenmanagements ganz besonders wichtig. Denn der größte Teil der Piratenangriffe erfolgt nicht auf hoher See und auch nicht in den Küstengewässern, sondern in den Häfen selbst. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 100 des Seerechtsübereinkommens verpflichtet, an der Bekämpfung von Seeräuberei und Piraterie auf hoher See mitzuwirken. Dieser Verpflichtung kommt die Bundesregierung und kommt der Bundestag durch die Zustimmung zu dem „Atalanta“Mandat nach. Ich darf alle, die sich auch diesem Auftrag des Völkerrechts verpflichtet fühlen, bitten, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Piraten am Horn von Afrika sind nicht die Robin Hoods der Neuzeit, auch wenn sie zum Teil aus Fischern rekrutiert werden, denen man die Existenzgrundlage geraubt hat. Wir haben es heute mit organisierter Kriminalität zu tun, der man entgegentreten muss. Was den deutschen Beitrag anbetrifft - darüber haben wir hier zu entscheiden -, so muss er sich im Rahmen der Verfassung bewegen; er muss effektiv zu einer Problemlösung beitragen, und er muss nachhaltig wirken. Es ist schon gesagt worden: Die Piraterie am Horn von Afrika erwächst aus dem tiefgreifenden Zerfall staatlicher Strukturen in Somalia und dem damit gegebenen Freiraum für lokale Kriegsherren und Gewaltkriminelle. Diese Herrschaften sind durch Waffenschmuggel, Menschenhandel vor allem am Golf von Aden groß geworden und haben seit einiger Zeit die Piraterie als lukrative Geldquelle entdeckt. Alles übrigens unter den Augen einer beachtlichen Marinepräsenz der NATO und der 5. Flotte der US-Marine. ({0}) Ohne nachdrückliche Erfolge bei der Bekämpfung der Probleme an Land wird es nicht gehen. Das sagen alle. Auch alle Dokumente belegen das. Worüber beschließen wir aber hier? Über die Entsendung von Kriegsschiffen. Um es noch einmal klarzustellen: Piraten müssen bekämpft werden; Piratenbekämpfung ist Kriminalitätsbekämpfung. Kriminalitätsbekämpfung ist nicht nur nach unserer Verfassung eine polizeiliche Aufgabe. Das ist für uns nicht nur ein abstrakter, dogmatischer Grundsatz. Wir haben seit 2001 bittere Erfahrungen gemacht und wissen, was passiert, wenn man ein Kriminalitätsproblem, Terrorismus, zu einem Kriegsproblem umdefiniert. ({1}) Davor warnen wir. Starrköpfig sind wir auch an einer anderen Stelle: Die Durchsetzung des Völkerrechts - hier: des Seerechtsübereinkommens - ist für uns bei den Vereinten Nationen, bei den Regionalorganisationen und bei den Anrainerstaaten angesiedelt. Davon gehen wir nicht ab. Was schlagen wir vor? ({2}) - Herr Kollege, hören Sie erst einmal zu. - Erstens. Die Linke befürwortet den raschen Aufbau einer internationalen Küstenwache unter Führung der UNO in enger Abstimmung mit der Afrikanischen Union. Deutschland sollte sich mit den Mitteln der Bundespolizei beteiligen und finanzielle Unterstützung leisten. Der Leiter der Bundespolizei See hat jüngst zu Recht erklärt, dass die Polizei zur internationalen Pirateriebekämpfung befugt ist und die Bundespolizei grundsätzlich über die für die Piratenbekämpfung erforderlichen Mittel und Fähigkeiten verfügt. Unter bestimmten Voraussetzungen, so hat er gesagt, gilt das auch im Falle Somalias. Wir reden hier nicht über Schlauchboote. Die Bundespolizei hat durchaus hochseetaugliche Schiffe. Außerdem hat sie ErfahPaul Schäfer ({3}) rungen mit dem Aufbau von Küstenwachen gesammelt, zum Beispiel jüngst in Katar. Man mag über eine solche Konzeption ja diskutieren können, beklemmend finde ich aber, dass diese Option gar nicht in Erwägung gezogen wird. ({4}) Es heißt wie so oft: Wir haben ein Gewaltproblem. Fregatten und Korvetten: Leinen los! Das macht die Linke nicht mit. Der Vorschlag der Linken ist nicht so weit aus der Welt, wie viele von Ihnen vielleicht denken. Die Vereinten Nationen wären in der Lage, eine solche Mission schnell zu beschließen. Andere europäische und afrikanische Staaten könnten mithelfen. Ich habe mir die Zahlen genau angesehen. Was auch hilft, ist ein Blick auf die andere Seite Afrikas. Man muss vom Tunnelblick auf das Militärische wegkommen. Die an den Golf von Guinea angrenzenden Küstengebiete werden von der Piraterie ähnlich stark heimgesucht wie Somalia. Vor mehr als einem Jahr haben die Internationale Seeschifffahrtsorganisation und die 24 Staaten der Seeschifffahrtsorganisation West- und Zentralafrikas begonnen, ein umfassendes Konzept zur Verbesserung der Seesicherheit umzusetzen, um illegalen Fischfang, Schmuggel und Piraterie zu unterbinden. Die UNO und auch Versicherungsunternehmen sind eingebunden. Dieses Projekt scheint Erfolge zu verzeichnen. ({5}) - Ich weiß, dass man das nicht eins zu eins auf Somalia übertragen kann. Deshalb sagen wir: mithilfe der Bundespolizei und anderer europäischer Staaten. Das muss substituiert werden. Das Grundkonzept ist aber vernünftig. Es ist vor allen Dingen deshalb vernünftig, Kollege Mützenich, weil es auf eine regionale Konfliktlösung fokussiert ist und die Überleitung zu einer somalischen Lösung beinhaltet; denn ohne eine Küstenwache Somalias wird es nicht gehen. Wie lange wollen Sie Ihre Hochseeflotte denn dort stationieren? ({6}) Was kann man damit erreichen? Man kann die Zugänge zu wichtigen Häfen offenhalten - das ist wichtig für die Hilfslieferungen -, man kann Aufklärung über die Küstenstützpunkte der Piraten betreiben - der Kollege von Klaeden hat darauf hingewiesen, dass vor allen Dingen da Angriffe stattfinden -, und man kann den Piraten den Rückzug verlegen, was besser ist als das Katzund-Maus-Spiel auf offener See. Das alles ist mit polizeilichen Mitteln zu machen. Also noch einmal: Sie sollten den Tunnelblick auf das Militärische überwinden und nach dauerhaften Lösungen suchen! Der Militäreinsatz setzt auf Abschreckung. Das hilft bei den Personengruppen, von denen wir hier reden, aber herzlich wenig. Einen flächendeckenden Schutz können Sie nicht gewährleisten. Sie gaukeln der Öffentlichkeit etwas vor. Die Piraten werden dort hingehen, wo die Fregatten nicht sind. Außerdem haben Sie nicht genug Schiffe, um die Handelsschiffe zu eskortieren, obwohl es doch vor allem um diese geht. Ich frage mich: Woher nehmen Sie eigentlich die Zuversicht, dass diese robuste Militäroperation die Piraterie beenden kann? Elf Kriegsschiffe, sprich: Fregatten, sind bereits in dem Gebiet, von dem wir reden. In den letzten 48 Stunden sind vier Schiffe gekapert worden. Woher nehmen Sie die Gewissheit? ({7}) Unser zweiter Vorschlag ist, alle diplomatische Kraft auf eine politische Stabilisierung Somalias zu richten. Das heißt im Kern, darauf einzuwirken, dass im Land eine Regierung gebildet wird, die sich auf relevante Teile der Bevölkerung stützen kann und die nicht von Korruption durchsetzt ist. Wie wichtig eine funktionierende Regierung ist, hat die sogenannte Union Islamischer Gerichte 2006 gezeigt. Das hatte nichts mit Good Governance, mit guter Regierungsführung in unserem Sinne zu tun. Es hat aber gezeigt, dass schnelle Erfolge möglich sind, wenn man das Problem landseitig angeht. Die Piraterie war eingedämmt. ({8}) Das wird niemand bestreiten wollen. Wenn Sie sagen, Somalia sei verfallen und niemand habe etwas damit zu tun gehabt, weise ich darauf hin, dass die Regierung durch äußere Einwirkung, durch eine Militärintervention gestürzt worden ist. Es gibt dort jetzt eine Regierung, die nicht in der Lage war, Akzeptanz im Lande zu entwickeln, und in der die vernünftigen Personen durch Machtbesessene blockiert werden. Dies hat die schlimme Folge - wir müssen über die Situation an Land reden -, dass die islamistischen al-Shabaab-Milizen auf dem Vormarsch sind. ({9}) Wenn jetzt, lieber Kollege Mützenich, der UNO-Sicherheitsrat beschließt, den Weg zu militärischen Operationen an Land zu öffnen, und schon Stimmen aus den USA laut werden, dass man auch diese Milizen bekämpfen will, dann schließt sich der Kreis. Da kann einem angst und bange werden. Wer wissen will, wie das enden kann, der möge sich noch einmal den Film Black Hawk Down anschauen. ({10}) Die Militärmission, die wir hier beschließen sollen, wird in diesen Strudel hineingezogen werden, auch wenn Sie beschwörend sagen: Wir haben damit nichts zu tun, wir beschäftigen uns mit einer ganz anderen Sache. Unser dritter Vorschlag: Unmittelbare Hilfsmaßnahmen für die somalische Bevölkerung. Dabei geht es Paul Schäfer ({11}) nicht nur um humanitäre Hilfe und Lebensmittellieferungen, sondern darum, den Menschen an der Küste wieder eine eigenständige Existenz zu ermöglichen. Deshalb brauchen wir Sofortmaßnahmen gegen illegalen Fischfang. Die Verklappung von Sondermüll an den Küsten muss unverzüglich aufhören. Reintegrationsprogramme für ehemalige Fischer müssen aufgelegt werden. Hier geht es um Handlungen. Denn schon Bertolt Brecht wusste: Geschwätz macht nicht satt. ({12}) „Freiheit der Meere“ ist eine schöne Losung. Aber ohne eine gerechte Weltwirtschaftsordnung läuft das auf den aussichtslosen Versuch hinaus, die auf der Sonnenseite der Globalisierung dauerhaft zu privilegieren. ({13}) - Ja, darüber reden wir jetzt hier; denken Sie es einfach einmal durch und lesen Sie vielleicht im Weißbuch der Bundesregierung die Stelle über die Sicherheitspolitik. Wer meint, er könne die westlichen oder die nördlichen Handelsinteressen auf militärischem Weg durchsetzen, während auf der anderen Seite die sozialen und demokratischen Belange der Menschen in den Entwicklungsländern sträflich vernachlässigt werden, wird die heutigen Gewaltkonflikte nicht loswerden, nicht am Horn von Afrika und auch nicht anderswo. Im Gegenteil: Bei der Bekämpfung der Piraterie wird sich zeigen, ob man diese Lehre beherzigt. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde schon, dass man aufmerksam zur Kenntnis nehmen muss, was Herr Schäfer hier gesagt hat. Anders als bei den Friedenseinsätzen im Sudan und anders als bei dem Friedenseinsatz im Libanon sagt die Linkspartei: Hier ist es notwendig, etwas zu tun. Die Linkspartei sagt auch: Man muss dabei gegebenenfalls Gewalt anwenden. Das ist ein erheblicher Lernfortschritt, den Sie hier demonstriert haben. ({0}) Wenn Sie das aber als Ausrede nutzen wollen, jetzt wieder Nein zu sagen, dann will ich Ihnen kurz zwei Argumente nennen. Das Erste ist, dass jeder, der sich einmal mit dem Thema Küstenwache beschäftigt hat, weiß, dass es keine Küstenwache ohne eine Stationierung an Land gibt. Das ist genau das Problem, vor dem wir hier stehen. Wir sind nachdrücklich der Auffassung, dass man in Somalia nicht an Land gehen soll, weil das eine Involvierung in den Krieg dort bedeuten würde. ({1}) Zweites Argument. Wenn Sie sagen, das alles solle durch Polizei gemacht werden - Ihr Kronzeuge geht übrigens davon aus, dass die Bundespolizisten auf den Schiffen der Bundesmarine mitfahren -, ({2}) dann frage ich Sie: Wollen Sie ernsthaft eine Polizei, die mit solchen militärischen Mitteln ausgestattet ist, um in der Lage zu sein, ein Seegebiet von 500 mal 500 Kilometern zu überwachen? ({3}) Jedenfalls mit meinem Verständnis von Polizei ist diese Vorstellung nicht zu vereinbaren. ({4}) Wir als Grüne werden diesem Mandat der Bundesregierung mehrheitlich zustimmen. Der Einsatz ist notwendig. Piraten haben 14 Schiffe mit 280 Seeleuten aus 25 Nationen in ihrer Gewalt. Es geht hier um die Durchsetzung kollektiven Rechts. Es geht auch um die Durchsetzung des Prinzips der Sicherheit der Meere, und es geht ebenfalls darum, den Schutz der Schiffe, etwa der des World Food Programme, sicherzustellen. Wir alle wissen, dass es dazu nur wenige vertretbare Alternativen gibt. Wollen Sie die Sicherung der Schifffahrtswege privaten Firmen wie Blackwater überlassen? Wollen Sie sie unilateralen Militäraktionen überlassen? Nein, das kann nicht sein. Deswegen sagen wir: Dieses Mandat ist völkerrechtlich völlig korrekt und klar legitimiert. Wir halten auch die rechtlichen Voraussetzungen nach dem Grundgesetz für erfüllt. Und: Wir stellen fest, dass es sich um eine gemeinsame Operation der Europäischen Union handelt. Diese gemeinsame Aktion beinhaltet auch klare Regeln, wie vorzugehen ist. Sie bezieht sich ausdrücklich auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Ich sage an dieser Stelle mit allem Nachdruck: Diese gemeinsame Aktion verbietet solche Praktiken, wie sie die Dänen angewendet haben, als sie Piraten aufgegriffen und im Jemen am Strand ausgesetzt haben. Das ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar. ({5}) Meine Damen und Herren, gerade gegenüber der Bundesregierung haben wir allerdings auch Kritik zu üben und ihr Fragen zu stellen. Ich will deutlich sagen: Ich finde die politische Abstinenz im Hinblick auf die Lösung des Konflikts, die Sie, Herr Bundesaußenminister, aber auch die Bundesregierung insgesamt in den letzten Jahren demonstriert haben, vor diesem Hintergrund nicht akzeptabel. Auch wir wissen, dass ein gescheiterter Staat wie Somalia nicht von heute auf morgen zu einer Demokratie wird. Aber wir hätten von Ihnen, von der Bundesregierung, zumindest erwartet, dass Sie den Antrag, den die Fraktionen dieses Hauses gemeinsam beschlossen haben, ernsthaft und mit Nachdruck umsetzen. ({6}) Dieses Haus hat die Bundesregierung gemeinsam aufgefordert, an politischen Initiativen zur Lösung des Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea mitzuwirken. Sie sind aufgefordert worden, Initiativen für einen regionalen Dialog zu ergreifen. Dieses Haus hat gesagt - an diesem Punkt schließe ich mich Herrn Schäfer an -, dass Sie mit dem politischen Islam in Somalia endlich differenziert umgehen müssen. Dort sind nicht alle gleich Dschihadisten, nur weil sie sich als islamisch Orientierte verstehen. Ich frage Sie: Was haben Sie gemacht? Haben Sie die Rolle, die Deutschland bei der Lösung des Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea spielen könnte, wirklich genutzt? Nein! Haben Sie sich als deutsche Bundesregierung dafür eingesetzt, dass nicht Schiffe aus der EU die Fischgründe vor Somalia leerfischen und dort in Absprache mit lokalen Warlords ihren Müll verklappen? All das ist nicht passiert. Ich sage das deshalb mit diesem Nachdruck, weil das kein Argument gegen die „Atalanta“-Mission ist - sie ist notwendig. Die Frage, ob diese politischen Initiativen ergriffen werden, werden für den Erfolg von „Atalanta“ entscheidend sein. Daran wird sich entscheiden, ob daraus eine Neverending Story oder eine erfolgreiche Mission wird, die auch zum Abschluss gebracht wird. Deswegen müssen Sie hier handeln. ({7}) Jetzt zu den anderen Bereichen, in denen Sie herumeiern. Frau Homburger hat bereits auf das Flaggenwirrwarr hingewiesen. Mit der Bekämpfung von al-Qaida zwischen den Seychellen und dem Horn von Afrika ist es ja nicht sehr weit her. Deswegen haben Sie jetzt einen Mechanismus entwickelt, der ermöglicht, dass OEFEinheiten fallweise auch im Rahmen von „Atalanta“ agieren können. Ich hätte mir gewünscht, lieber Herr Bundesaußenminister, dass Sie hier mehr Mut bewiesen hätten. Schauen Sie der Realität ins Auge! Sagen Sie: Der OEFEinsatz ist in dieser Form überflüssig. Wir brauchen diese Fregatte aber dort, wo es notwendig ist, und zwar zur Bekämpfung der Piraten. - Unterstellen Sie diesen Einsatz komplett diesem Mandat der Vereinten Nationen und der EU, und hören Sie mit Ihrem Herumeiern, was Sie mit dem Mandat vorhaben, und mit Ihrem permanenten Aus- und Einflaggen auf! ({8}) In einem anderen Punkt demonstriert die Koalition von CDU/CSU und FDP ihre offenkundige - ({9}) - Ich wollte sagen: die Koalition von CDU/CSU und SPD. Herr Niebel, da Sie gerade „Erst nach der Wahl!“ gerufen haben: Es wird wohl nicht die Mehrheit werden. ({10}) Ein anderer wichtiger Punkt ist die Frage: Wie geht man mit Gefangenen um? Nach den Beratungen in den Ausschüssen ist klar, dass Personen, die festgehalten werden, selbstverständlich nach rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Grundsätzen zu behandeln sind. Auch wenn es keinen verfolgungsbereiten rechtsstaatlichen Drittstaat gibt, ist klar, was mit den Gefangenen zu passieren hat: Im Zweifel müssen sie hier vor Gericht gestellt werden. Wir haben Sie gefragt: Wie läuft denn das? Was passiert denn da? - Sie haben gesagt: Eine Strafverfolgung in Deutschland kommt nur infrage, wenn durch solche Angriffe deutsche Interessen direkt berührt werden, wie etwa deutsche Staatsangehörige oder Schiffe. - Ich habe dazu noch eine Nachfrage: Was ist das für eine Definition des deutschen Interesses? Werden Sie einen Piraten, der beispielsweise gegen ein Schiff des World Food Programme vorgeht, der sich also sozusagen gegen etwas vergeht, was die höchste Priorität bei den Gründen für diesen Einsatz besitzt - das steht in der ersten Ziffer der gemeinsamen Aktion; das ist die erste Ziffer in Ihrem Mandat -, anschließend laufen lassen, oder werden Sie ihn dorthin bringen, wo er hingehört, nämlich vor ein ordentliches Gericht? Im Zweifelsfall heißt das: Werden Sie ihn in Hamburg vor Gericht stellen? Dieser Frage sind Sie bis heute ausgewichen. ({11}) Ich kann Ihnen auch sagen, warum: In Ihrer Koalition glaubt der Teil der CDU/CSU, dass es einen neuen Aufruf darstellt, hier in Deutschland Asyl zu suchen, wenn man die Strafverfolgung rechtsstaatlich vollzieht. Sie tun so, als würden die Somalis in Somalia jetzt auf die Boote springen und rufen: Hallo, ich bin ein Pirat; nehmt mich fest, damit ich nach Deutschland komme. - Absurd! Ich finde, wer es ernst meint mit seiner Gegnerschaft zu nichtrechtsstaatlichen Verfahren und mit seiner Ablehnung von Guantánamo, der muss nachdrücklich dafür eintreten, dass Menschen, die sich solch schwerer Verbrechen schuldig machen - wie Angriffe auf Schiffe des World Food Programme bzw. der Piraterie vor Somalia -, in einem ordentlichen Verfahren vor Gericht gestellt werden. Wenn das im Zweifelsfall nur vor einem deutschen Gericht geschehen kann, dann muss das in Deutschland auch passieren. Dazu sollten gerade Sie als CDU/CSU sich mit Nachdruck bekennen. Ich habe gedacht, Sie seien die Partei der inneren Sicherheit, aber Sie scheinen offensichtlich gewillt zu sein, Schwerverbrecher lieber laufen zu lassen, anstatt sie einem ordentlichen Gerichtsverfahren zuzuführen. ({12}) - Herr Kauder, ich freue mich ja, dass Sie das trifft. Sie werben hier um die Zustimmung des Bundestages. Ich finde, Sie haben in der Begründung dieses Antrages viel Herumgeeiere demonstriert. Ich sage Ihnen aber auch: Meine Partei bekennt sich nachdrücklich zum Primat der Vereinten Nationen. Wir möchten nicht, dass Deutschland abseits steht, wenn die Vereinten Nationen gemeinsam darangehen, ein schwerwiegendes Problem zu lösen. Wir Grünen sind überzeugte Europäer. Wir möchten, dass Europa in der Außenpolitik gemeinsam handlungsfähig ist. Dazu kann Deutschland in diesem Fall einen Beitrag leisten. Das ist für uns der überragende Grund, warum wir an dieser Stelle trotz des Herumgeeieres der Bundesregierung zustimmen werden. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPDFraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In Stuttgart läuft zurzeit eine Ausstellung über Piraterie. Sie wird von Schülern und Schulklassen sowie von Kindern überrannt, die dort ihren Geburtstag feiern. Dieses romantisierende Bild der Seeräuber, die Ruhm erreichen und Geld und Gold stehlen, hat sich in den Köpfen festgesetzt. Wir reden aber über etwas anderes, nämlich über organisierte Kriminalität. Die Drahtzieher sitzen in ihren Villen in Somalia, bewegen sich in den internationalen Hotels der Welt und steuern ihre Geldströme. Es werden Menschen als Geiseln genommen und nicht nur Reedereien erpresst, sondern ganze Nationen und Länder werden erpressbar. Herr Kollege Schäfer, deshalb ist es absurd, uns zu unterstellen, wir würden eine schnelle und einfache Antwort geben, indem wir angesichts dieser wirklich ernsten Bedrohung Militär einsetzen, und wir würden schnell Ja zu militärischen Einsätzen sagen. ({0}) Wir überlegen uns bei jedem Einsatz von Streitkräften, ob er unseren Interessen entspricht, ob er ethisch begründet ist, ob er wirksam ist und ob er rechtlich auf einer sauberen Basis stattfinden kann. ({1}) Ich denke, es gibt kaum einen Einsatz, bei dem dies so sichtbar wird wie bei diesem, über den wir heute entscheiden werden. ({2}) Ich denke, die Menschen in Deutschland verstehen sehr genau, warum es im nationalen Interesse liegt, dass wir unseren Beitrag zusammen mit anderen Nationen dort leisten. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass sich das Handelsland Nummer eins darauf verlässt, dass wieder einmal die anderen die Kastanien aus dem Feuer holen. Nein, wir leisten unseren Beitrag. Der Einsatz ist ethisch begründet, weil es ohne Sicherheit in diesem Seeraum nicht gelingen wird, die notleidenden und hungernden Menschen in Somalia überhaupt zu versorgen. Es ist die Hauptaufgabe dieses Mandats, dafür zu sorgen, dass die Schiffe mit Hilfslieferungen an Land kommen. Der Einsatz ist deshalb ethisch begründet, weil Menschen in Geiselhaft genommen werden. ({3}) Eine Debatte über die Rechtsfragen ist eigentlich unnötig. Dieser Auftrag ist eher doppelt mandatiert: einmal über die Resolution der Vereinten Nationen und Art. 24 unseres Grundgesetzes, der einen Beitrag in kollektiven Sicherheitssystemen erlaubt, aber auch - in der Tat - über die internationale Seerechtsübereinkunft und Art. 25 unseres Grundgesetzes, der dies legitimiert. Nun gab es in den letzten Tagen immer wieder die Debatte: Kann dies so, wie die Marine vorgehen wird, wirklich wirksam sein? Ich finde es spannend, dass die FDP zusammen mit dem Bundeswehr-Verband das eigentlich gute Prinzip der deutschen Streitkräfte hier infrage stellt, das nämlich lautet - so wird es dort erst recht sein -: Erst denken, Frau Homburger, dann schießen. ({4}) Es gibt überhaupt keinen Grund, in diesem Zusammenhang davon abzugehen. Die Marine hat alle rechtlichen Möglichkeiten, dort tätig zu werden. Sie darf abhalten, sie darf stören, sie darf schützen, sie darf stabilisieren. Laut diesem Mandat gilt: Wenn alle anderen Maßnahmen nicht funktioniert haben, dann darf die Marine auch Gewalt einsetzen. Bringen wir das einmal auf den Punkt, Frau Homburger: Wollen Sie schon militärische Gewalt einsetzen, bevor die anderen Möglichkeiten gescheitert sind? Das heißt doch am Ende, dass Sie von diesem Mandat und dem Einsatz der Marine erwarten, dass das gute Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel aufgegeben wird. Das ist eine ziemlich absurde Debatte. Ihr Kollege Stinner hat das Bild „vom Haifisch zum Hering“ - das führt zu schönen Schlagzeilen; das ist doch klar - geprägt. Nach den Worten von Frau Homburger, Herr Kollege Stinner, nehme ich dieses Wort gern auf. ({5}) Ich sage dann aber: vom Haifisch zum Schwertfisch. Aber gut. Dieses Mandat wird wirksam werden. Wir haben in den Vereinten Nationen in den letzten Tagen darüber einen schwierigen Prozess erlebt. Ich glaube, es war gut, dass die UNO die Staatengemeinschaft zusätzlich auffordert, alle Maßnahmen, die im Seeraum ergriffen werden, wie „Atalanta“, OEF und möglicherweise NATOSchiffe, vielleicht auch noch chinesische, russische und indische Schiffe, besser zu koordinieren. Diese Forderung ist ausdrücklich zu unterstützen. Wir unterstützen auch den Prozess, den der Außenminister bei OEF längst eingeleitet hat. Herr Kollege Trittin, es ist nicht so, dass er nichts tut. Beim neuen OEF-Mandat gab es einen wichtigen Schritt. Wir unterstützen den Außenminister bei seiner Arbeit, eines Tages so weit zu kommen, dass alle Schiffe, die in dem Seeraum unterwegs sind, unter einem Kommando fahren. Das ist das Beste. Aber hier billige populistische Forderungen zu stellen, das ist für die Opposition einfach. Deutschland ist nicht allein auf der Welt. Meistens müssen wir noch ein paar andere von unseren Plänen überzeugen. Das ist nicht immer so ganz einfach. Nein, dieser Einsatz am Horn von Afrika ist aus unserer Sicht ohne Alternative. Was die Linke hier tut, Herr Kollege Schäfer, ist, Scheinalternativen aufzubauen. ({6}) Sie wissen genauso gut wie wir, dass in Somalia seit 17 Jahren Anarchie herrscht und dass Diplomatie und militärische Interventionen immer wieder neu scheitern. Auch der letzte Versuch dieser Art steht in diesen Tagen wieder vor dem Scheitern. Solange es in Somalia nicht gelingt, dass sich die Menschen, also die ethnischen Gruppen und Interessen, auf einen wirksamen internen und ehrlichen Versöhnungsprozess einlassen, ist alles andere wohlfeile Rhetorik. Natürlich müssen wir dabei helfen: diplomatisch und humanitär. Aber zu glauben, dass man das von außen so einfach tun kann, ist nur eine Scheinalternative. ({7}) Wir müssen Somalia helfen und auf See für Sicherheit sorgen. Beides gehört zusammen. Die zweite Scheinalternative, die Sie genannt haben, bezieht sich auf die Idee der Coast Guard, des Küstenschutzes. Unabhängig davon, dass dies nicht schnell zu organisieren ist, muss Folgendes beachtet werden: Kein Land hat angesichts der terroristischen Bedrohungen an so vielen Küsten Kapazitäten frei. Das müsste nach den Beschlüssen neu aufgebaut werden, was ein jahrelanger Prozess ist. Schiffe brauchen auch gut ausgebildetes Personal. Aber selbst wenn es gelingen würde, würde das die Probleme dort nicht lösen, Herr Kollege. Diese Coast Guard würde Teil der militärisch geführten Konfrontation an dieser Küste mit den verschiedenen Gruppierungen und den Warlords, die in Somalia leider alltäglich ist. Es würde auch aus einem zweiten Grund nicht funktionieren. Das Problem beschränkt sich nicht auf 12 bis 20 Meilen Küstenraum, sondern es erstreckt sich auf die hohe See. ({8}) Polizeiliche Fähigkeiten enden nun einmal auf hoher See. Das führt zu der Frage, ob Sie für die Polizei Kriegsschiffe wollen. Dann ist es besser, wenn das Militär diese Aufgabe gleich übernimmt, weil es dazu in der Lage ist und über die notwendigen Schiffe verfügt. Wir dürfen nicht länger zuschauen, Herr Kollege Schäfer. Es ist eine billige Ausrede, um einen Grund zu finden, zu diesem Mandat Nein zu sagen. ({9}) Über eines sollten wir uns in diesem Hause aber einig sein: Bei den afrikanischen Konflikten ist bei aller Komplexität und bei allen Unterschieden, die es zwischen Somalia, Ruanda, Kongo und anderen gibt, eine Gemeinsamkeit festzustellen. Wir alle wissen, dass die Afrikanische Union, die zum Glück zumindest politisch zu einer einigermaßen funktionierenden Gemeinschaft geworden ist, dringend in die Lage versetzt werden müsste, Konflikte selbst zu bewältigen. Im Afrika-Aktionsplan der G-8-Staaten wurde dies bereits im Jahr 2002 formuliert. Ich glaube, zu einer ernsthaften Debatte gehört, dass wir alle uns mehr anstrengen müssen, um den afrikanischen Staaten zusätzliche Hilfestellungen in den Bereichen Ausbildung, Technologie, militärische Aufklärung, Kommunikationstechnik und Lufttransport zu geben. Erst dann, wenn die Afrikaner technisch und vom Ausbildungsstand her selbst in der Lage sind, mit Konflikten umzugehen, werden solche Debatten im Deutschen Bundestag nicht mehr notwendig sein. ({10}) - Es ist schön, Herr Kollege Schäfer, wenn wir uns darüber einig sind, dass wir dort helfen müssen. ({11}) Damit erkennen wir allerdings an, dass auch die Afrikanische Union über militärische Mittel verfügen muss, um mit den Konflikten in Afrika umzugehen. Ich glaube, das muss die strategische Ausrichtung der langfristigen europäischen Politik sein. ({12}) Ich bin sicher, dass die Marine gut vorbereitet, gut ausgebildet und gut ausgestattet ist, um diesen Auftrag zu erfüllen. Ich bin sicher, dass das positive Bild, das die Streitkräfte insgesamt für Deutschland abgeben, von der Marine zusätzlich positiv gestaltet wird. Herzlichen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun die Kollegin Marina Schuster das Wort. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die FDP-Fraktion ist klar, dass wir diesem Mandat zustimmen werden. Denn es ist klar, dass sich Deutschland auch aus eigenem Interesse für die Sicherheit der Seewege einsetzen muss und dass wir die Piraterie bekämpfen müssen. Dennoch müssen wir uns in der heutigen Debatte auch die eigentlichen Ursachen der Piraterie vor Augen führen. Es ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen. Denn die Piraterie ist nur das Symptom einer fast vergessenen politischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise. Nach 17 Jahren Bürgerkrieg steht Somalia vor einer ungewissen Zukunft. Fehlende staatliche Strukturen haben rechtsfreie Räume entstehen lassen, die Piraten und Terroristen als Rückzugsorte dienen. Das ist bei weitem nicht nur eine Gefahr für die Region. Die Übergangsregierung hat weder die Kontrolle über das Land, noch genießt sie Legitimität bei der Bevölkerung. Sie hält sich nur noch mithilfe äthiopischer Truppen und durch Unterstützung von außen über Wasser. Die äthiopischen Truppen sollen abziehen - das begrüßen wir auch -, aber dann stellt sich die Frage, wer das entstehende Sicherheitsvakuum füllen soll. AMISOM soll das tun. Wir alle wissen aber, dass AMISOM seit zwei Jahren nicht voll einsatzbereit ist. Nur zwei Länder haben Truppen zugesagt. Insofern zeichnet sich eine kritische Phase ab. ({0}) An dieser Stelle ist auch die Afrikanische Union gefragt. Denn Fakt ist: Ohne Sicherheit an Land wird es keine Sicherheit auf See geben. Es ist klar, dass am Horn von Afrika keine einfachen Lösungen gefunden werden. Das Trauma der missglückten Missionen in den 90erJahren hängt vielen noch nach. Umso mehr muss sich Deutschland politisch engagieren und gemeinsam mit der EU Initiativen auf den Weg bringen. Was ist aus der Somalia-Kontaktgruppe geworden, die sehr engagiert gestartet ist? Neue Initiativen sind nicht zu erkennen. Welche politischen Initiativen werden nach den Treffen in Dschibuti weiterverfolgt? Ohne eine Einbindung der Nachbarländer wird man nicht weit kommen. Es gilt verschüttete Kommunikationswege freizulegen. Das kann die Region nicht aus eigener Kraft; denn Äthiopien, Kenia und Eritrea sind Teil des Problems. Denken wir an den Grenzstreit, der vor sich hinbrodelt! Denken wir an die unterschiedlichen Eigeninteressen der Nachbarstaaten oder an andere Akteure wie den Jemen! Es ist klar: Bei der Analyse von Ursachen und Akteuren der Krise muss stärker differenziert werden. Eine Lösung kann nicht an den teilautonomen Regionen Somaliland und Puntland sowie den gemäßigten Teilen der islamischen Opposition vorbeigehen. Auch die wirtschaftliche Lage gibt Anlass zur Sorge. Die Lebensmittelpreise sind rasant gestiegen, um 250 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Versorgungslage ist dramatisch. Die entscheidende Frage ist: Welche ökonomischen Alternativen kann es für die Bevölkerung vor Ort geben? Hier bedarf es eines Aufbaus der Landwirtschaft, der Strukturen und einer Wiederbelebung des Handels. Die Delegation aus Somaliland, die den Bundestag besucht hat, sucht händeringend Geschäftskontakte und wünscht sich deutsches Engagement bei der Polizeiausbildung. Auch hier habe ich keine Antworten der Bundesregierung gehört. Es geht beim Horn von Afrika um weit mehr als um den Kampf gegen die Piraterie. Wer meint, mit dem Einsatz von Fregatten ließen sich alle politischen und wirtschaftlichen Probleme in der Region lösen, der ist wirklich auf dem Holzweg. ({1}) Fakt ist: Ohne Sicherheit und ohne einen Aufbau staatlicher Strukturen an Land wird es keine Sicherheit auf See geben. Hier ist die Bundesregierung mit neuen politischen Initiativen gefordert. Sie hat viel zu lange untätig zugeschaut. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Ruprecht Polenz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne mit einem Zitat beginnen: Deutschland hat aufgrund seiner immer engeren Verflechtung in der Weltwirtschaft besonderes Interesse an internationaler Stabilität und ungehindertem Warenaustausch. Wie viele andere Länder ist es in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig und auf funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme angewiesen. Verwerfungen im internationalen BeziehungsRuprecht Polenz gefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Störungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf die nationale Volkswirtschaft, Wohlstand und sozialen Frieden. So weit das Zitat aus dem Weißbuch der Bundesregierung. Ich habe deshalb darauf Bezug genommen, weil der Verteidigungsminister, der damals dieses Weißbuch vorgelegt hat, unter anderem wegen dieser Passage heftig kritisiert wurde. Ich möchte hervorheben: Er hat mit dieser Analyse richtiggelegen. Das, was wir heute mit großer Mehrheit im Deutschen Bundestag beschließen, ist ein Ergebnis dieser Analyse einer ganz konkreten Situation. Herr Minister Jung, ich will festhalten: Sie haben damals richtiggelegen. ({0}) Das deutsche Interesse ist in Folgendem begründet: Wir haben weltweit die größte Containerflotte und die drittgrößte Handelsflotte. 17 Prozent des Außenhandelswertes werden über Seewege erwirtschaftet. 56 Prozent unseres Rohölbedarfs kommen über See nach Deutschland. Deshalb beteiligen wir uns nun an einer europäischen Anstrengung, in einem ganz bestimmten Bereich die Seewege zu sichern. In der Debatte, sowohl in der ersten Lesung als auch in der heutigen abschließenden Beratung, ist viel von dem Failed State Somalia und dem Piratenproblem die Rede. Ich will daran erinnern - Herr Trittin hat ebenfalls darauf Bezug genommen -, dass wir uns vor einem Jahr im Zusammenhang mit einem mit großer Mehrheit angenommenen Somaliaantrag mit dieser Frage sehr differenziert und intensiv auseinandergesetzt haben. Wenn ich es richtig gelesen habe, ist dieser Antrag damals übrigens gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen worden. Aber, Herr Trittin, ich habe den Antrag nicht so verstanden, als hätte der Bundestag damals die Meinung vertreten, Deutschland könne das Problem Failed State Somalia alleine stemmen. Wenn man den Ton Ihrer Rede gehört hat - vielleicht nicht, wenn man nachher im Manuskript die Worte nachliest - und die Vorwürfe an den Außenminister zur Kenntnis genommen hat, dann konnte man schon den Eindruck bekommen, Sie meinten, Deutschland könne das. - Wenn Sie mir jetzt durch Ihr Kopfschütteln recht geben, dann sind wir wieder auf der Basis des gemeinsamen Antrags. Wir können bescheidene Beiträge dazu leisten, um Somalia zu stabilisieren. ({1}) - Frau Künast, auch Sie reden immer sehr hochtourig und erwecken die gleichen Eindrücke. ({2}) Daher meine ich, ({3}) es ist ein Gebot der Fairness, gegenüber der deutschen Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, es liege ein großes Versäumnis der Regierung vor. Das sollte man nicht tun, nur um die Regierung zu kritisieren, obwohl wir eigentlich alle derselben Meinung sind. Es gibt aber noch einen Ansatz neben dem Aufbau eines Failed State und der aktuellen Piratenbekämpfung, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, weil in dieser Hinsicht mehr geschehen muss. Ich nenne das Stichwort organisierte Kriminalität; denn die Piraten brauchen ein Netzwerk an Land, um erfolgreich zu sein. Sie müssen Informationen über Schiffsrouten, Schiffsladungen, über Besatzungen und über die Abwehrmöglichkeiten, die vielleicht gegeben sind, bekommen, sie brauchen Käufer für die gestohlenen Waren, und sie brauchen gefälschte Dokumente. Ein Ansatz muss also auch die Bekämpfung der internationalen Kriminalität sein. Die Geldströme müssen unterbrochen werden. Das ist ein Aspekt, der in der internationalen Sicherheitszusammenarbeit künftig eine größere Rolle spielen muss. ({4}) Es geht auch darum - das ist der Frage, wie man Somalia wieder auf die Beine helfen kann, vorgelagert -, dass man zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der Fischer etwas gegen die Umweltverschmutzung in den Gewässern vor Somalia, gegen die Verklappung und gegen die illegalen Fangflotten unternimmt. „Atalanta“ soll abschrecken. Dass das erfolgreich sein kann, haben asiatische Länder gezeigt. In der Mitte der 90er-Jahre gab es ein großes Piratenproblem in der Straße von Malakka. Dort ist es gelungen, die Zahl der Piratenüberfälle von 2003 bis 2007 um etwa zwei Drittel zu senken, weil 14 asiatische Staaten gemeinsam und gut koordiniert gegen die Piraterie vorgegangen sind. Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der mir in der Debatte zu kurz kam. Wir sprechen über ein Seegebiet von 3 Millionen Quadratkilometern. Diese Fläche ist achtmal so groß wie Deutschland. Selbst wenn wir unterstellen, dass die Schifffahrtsrouten, die man kontrollieren muss, nicht durch das gesamte Gebiet führen, ist der Ansatz der Abschreckung wahrscheinlich realistisch. Wer glaubt - das klang vorhin auch bei Herrn Schäfer ein bisschen an -, man könne jetzt jeden Piratenüberfall von vornherein verhindern ({5}) und wenn das nicht gelinge, sei „Atalanta“ ein Misserfolg, der legt die Latte auf eine Höhe, die mit Sicherheit nicht übersprungen werden kann. 15 Länder beteiligen sich an „Atalanta“. Neben den Ländern aus der Europäischen Union sind das Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, die USA, China und Russland. Ich finde, ein besonders positives Signal ist, dass sich Russland an der Pirateriebekämpfung beteiligt. Wir sollten das zum Anlass nehmen, in besonderer Weise mit Russland Erfahrungen auszutauschen und über Koordinierungsmaßnahmen bei der Pirateriebekämpfung zu sprechen. Das ist eine Chance, Russland in ein gemeinsames Projekt einzubeziehen. Daraus kann möglicherweise, was die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland angeht, mehr werden. Wir sollten die Pirateriebekämpfung als Chance begreifen und für Weiteres nutzen. ({6}) Ich habe die Länder aufgeführt, die mitmachen. Das ist praktisch die ganze Weltgemeinschaft. Man muss hinzufügen: die ganze Weltgemeinschaft, minus die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, ({7}) und das, obwohl es um die Bekämpfung organisierter Kriminalität geht, die die Rückgewinnung staatlicher Strukturen erschwert, und obwohl es um den Schutz der Ernährung der somalischen Bevölkerung geht; denn es geht vor allen Dingen um den Schutz der Schiffe des World Food Programme. Ein letzter Punkt: Die Frage der Strafverfolgung hat auch in der heutigen Debatte und in der Diskussion um das Mandat eine große Rolle gespielt. Der Einsatz wird zweifellos etwas länger dauern. Nachdem sich aber nun alle fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates an dieser Mission beteiligen, sollte es gelingen, einen internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung der Piraterie einzurichten, ({8}) und zwar einschließlich der dann erforderlichen Strafverfolgung. Ich hoffe, dass die Bundesregierung mit ihren darauf gerichteten Anstrengungen Erfolg hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Kurt Bodewig, SPDFraktion. ({0})

Kurt Bodewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einer namentlichen Abstimmung ist es immer gut, wenn das wichtige Thema, um das es geht, von vielen aufmerksamen Zuhörern verfolgt wird. Hier geht es meines Erachtens um zwei Dinge: zum einen um die maritimen Lebensadern, etwas, was eine Exportnation wie Deutschland direkt betrifft, und zum anderen um die internationale Humanität. Wenn rund 3,5 Millionen Menschen in Somalia existenziell bedroht sind, Lebensmittelhilfe der Weltgemeinschaft brauchen und diese durch Piraterie bedroht ist, dann ist das ein Thema, das uns alle angeht. Die Tatsache, dass 90 Prozent dieser Hilfeleistung über die Meereswege gehen, zeigt: Wir müssen aktiv werden. Das gilt umso mehr, als „Atalanta“ nicht nur den humanitären Aspekt sicherstellt. Dieses Seegebiet ist die wichtigste Handelsroute zwischen Europa und Asien. Es ist ein Nadelöhr, und es ist relativ einfach, es zu schließen. 20 000 Schiffe fahren jährlich hindurch. Das heißt, wir haben hier eine Verantwortung, und zwar eine weltweite Verantwortung. Es geht nicht darum, dass Fischer, deren Existenz zerstört worden ist, sich nun eine neue Erwerbsquelle suchen. Die Zerstörung und das Leerfischen dieser Fanggründe ist ein riesiges Problem; dafür brauchen wir eine internationale Lösung. Die Hauptursache für die Piraterie besteht darin, dass dort ein Failed State ohne staatliche Ordnungsstrukturen existiert und sich Piraterie daher immer wieder neu generieren wird. Es geht um Big Business. Nach den Statistiken der UNO werden rund 90 Millionen Euro über diesen Weg „erwirtschaftet“. Bisher gibt es keine Rückschlüsse darauf, dass diese Mittel in neue Waffen oder Logistik reinvestiert werden, aber meines Erachtens ist dies nur noch eine Frage der Zeit. Der Umstand, dass sich zurzeit 17 Schiffe in der Hand von Geiselnehmern befinden und 200 Menschen wirklich existenziell bedroht sind, zeigt, dass wir heute eine richtige und wichtige Entscheidung treffen werden. Piraten, liebe Frau Homburger, sind keine Terroristen. Wir sollten hier auch kein al-Qaida-Phänomen aufbauen. Wenn Sie ins Jagdhorn blasen, dann jagen Sie nicht mit falschen Tönen. Ich halte Prävention für wichtiger als das, was Sie eben so lautstark formuliert haben. Es geht darum, etwas zu verhindern, darum, die Sicherheit auf dem Meer wiederherzustellen. ({0}) Lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal deutlich machen: Selbstverständlich ist die Bekämpfung der Ursachen in der Region nötig; aber wir müssen auch die Symptome ernst nehmen. Wir müssen Somalia helfen, diese Probleme zu lösen. Deswegen gibt es ein internationales Mandat, und deswegen gibt es auch eine Reihenfolge bezüglich des Schutzes der Schiffe. Folgende Prioritäten gelten für den Schutz ziviler Schiffe: erstens Schiffe des Welternährungsprogramms, zweitens andere Schiffe und Ladungen für humanitäre Zwecke, drittens Schiffe unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates oder beteiligter Drittstaaten und schließlich die sonstigen Schiffe. Dies halte ich für eine klug gewählte Prioritätenfolge, weil es dazu führt, dass die Weltgemeinschaft Verantwortung übernehmen muss, und zwar in ihrem eigenen Interesse, im Interesse der jeweiligen Länder. Die Argumentation des Kollegen Schäfer, die ich eben gehört habe, fand ich sehr interessant. Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages unterstützen diese Mission; nur die Linke tut es nicht und zieht dafür eine Scheinargumentation heran. Es gibt keine Polizeifregatten, es wird sie nicht geben, und das ist auch gut so. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine militärische Operation im Rahmen eines europäischen, über UN-Mandat belegten Operationskommandos. Es ist wichtig, sich dies deutlich zu machen. Das heißt auch, dass wir in europäischen Fragen weiterkommen. An der ESVP haben wir Deutsche ebenfalls ein elementares Interesse. Sie von der Linken sagen Nein zu diesem Einsatz. Es ist nicht das erste Nein. Sie sagen Nein zu Europa. Sie sagen Nein zum Vertrag von Lissabon. Es passt auch, dass Sie hier eine humanitäre Hilfestellung verweigern mit der Argumentation, dass man vielleicht über Polizeischiffsaktionen helfen könnte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Somalia eine kenianische Küstenschutzkommandoeinheit akzeptiert würde. Das würde auch zu neuen regionalen Konflikten führen. Sie sollten einmal davon wegkommen, für Ihr jeweiliges Nein immer ein anderes Motiv anzugeben. ({1}) Tragen Sie Verantwortung! Wenn Sie Verantwortung tragen wollen, sollten Sie heute zustimmen. Ich möchte einen Dank an den Bundesverteidigungsminister richten. Herr Dr. Jung, sagen Sie es bitte auch den Soldaten. Es handelt sich um eine Mission, die verantwortungsvoll wahrgenommen wird. Herr Admiral Nolting, diejenigen, die dort beteiligt sind, handeln verantwortungsvoll. Ich will einen zweiten Dank aussprechen, nämlich einen Dank an den Bundesaußenminister. Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede am Mittwoch klargestellt: keine Ausweitung dieses Mandats durch die neue Resolution des UN-Sicherheitsrats. - Das ist für alle, die sich heute für diesen Einsatz aussprechen werden, eine gute und wichtige Klarstellung. Ich würde mich freuen, wenn der Bundesaußenminister seine internationalen Bemühungen um einen internationalen Strafgerichtshof zur Piraterie fortsetzte. ({2}) Ich weiß, dass er dazu sehr positiv eingestellt ist. Hamburg mit dem Internationalen Seegerichtshof wäre der richtige Standort dafür. Wir sollten die Internationale Transportarbeiter-Föderation stützen. Wir sollten die Reeder in ihrem Bemühen stützen, Sicherheit auf den Schiffen herzustellen. Vor allem sollten wir unser internationales Mandat verantwortungsvoll wahrnehmen. Es ist also eine richtige Entscheidung, die wir heute treffen wollen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort erteile, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die noch hinreichend vorhandenen Plätze einzunehmen. Ich weise der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die namentliche Abstimmung erst nach Schluss der Aussprache erfolgt. Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Adam für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Adam (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000005, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Wort Hysterie ist vielleicht gewagt, aber im Moment kommt man dem sehr nah. Oftmals ist man sehr nervös, auch einfache Fischer werden häufig als Piraten angenommen und gemeldet. Dieses Zitat ist einem Beitrag des ZDF vom Anfang dieser Woche entnommen. Der Kommandant der „Mecklenburg-Vorpommern“, den ich in seinen bisherigen Verwendungen kennengelernt und schätzen gelernt habe, beschreibt hier mit klaren und verständlichen Worten den Alltag unserer Marine aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Seegebiet vor Somalia. Die Piraterie in diesem Gebiet hat in den vergangenen Monaten ein Ausmaß angenommen, welches von der Weltgemeinschaft nicht länger toleriert werden kann. Die Vereinten Nationen und die Internationale Gemeinschaft werden die notwendigen Anstrengungen unternehmen, um in Somalia eine Stabilisierung zu erreichen. Deutschland wird auf See - ich betone: auf See - einen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie leisten. Ich begrüße die Vertreter der Deutschen Marine auf der Besuchertribüne. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle meiner Kollegin Homburger widersprechen. Ich bin nicht der Meinung, dass sich die Deutsche Marine bei ihren bisherigen Einsätzen blamiert hat; ({1}) vielmehr hat sie eine hervorragende Arbeit geleistet, mit Umsicht gehandelt und ihre Aufgaben sehr gut erfüllt. ({2}) Man darf sich gar nicht vorstellen, was passierte, wenn sich Piraten mit der al-Qaida einlassen würden. Die eine Seite verfügt über viel Lösegeld und die andere Seite über viele moderne Waffen und eine gute Ausbildung - eine brisante Mischung, die jedem Schiffskapitän schlaflose Nächte bereiten muss. Die Forderung unserer Reedereien nach einem Schutz der Schiffe ist daher nur allzu verständlich. Trotz der Finanzkrise machen die Globalisierung und der damit einhergehende weltweite Handel das 21. Jahrhundert ganz sicher zu einem maritimen Jahrhundert. Die global vernetzte Wirtschaft kann nur dank eines ausgeprägten und leistungsfähigen Seehandels funktionieren. Für uns, die Bundesrepublik, gilt, dass wir als rohstoffarme Nation auf den Import der für unsere Wirtschaft notwendigen Ressourcen angewiesen sind. 80 Prozent des weltweiten Warenverkehrs werden über See abgewickelt. Ohne einen sicheren Seehandel wird die deutsche Wirtschaft noch mehr geschädigt, als dies durch die schlimmsten Auswirkungen der Finanzkrise der Fall sein kann. Deutschland ist folglich nicht nur moralisch, sondern auch aufgrund seiner wirtschaftlichen Interessen dazu verpflichtet, den freien Seehandel zu gewährleisten und mit aller Entschiedenheit gegen die brutalen Piratenangriffe vorzugehen. Unsere Marine tut dies in gewohnter Weise nicht allein, sondern im Rahmen eines bestehenden Bündnisses. Erstmals hat sich die Europäische Union darauf geeinigt, gemeinsam entschlossen gegen die Bedrohung durch die Piraterie vorzugehen. Die Deutsche Marine hat in den vergangenen Jahren immer wieder ihre hohe Flexibilität und Einsatzbereitschaft unter Beweis gestellt. Allerdings müssen für die Zukunft sowohl die personelle als auch die materielle Durchhaltefähigkeit der Marine ausgebaut werden. Bereits heute stößt die Deutsche Marine mit den Einsätzen UNIFIL, der jetzt zu beschließenden Operation „Atalanta“ und der derzeit laufenden OEF an die Grenzen von Material und Personal. Wenn Deutschland im maritimen 21. Jahrhundert seine Interessen auf See wahren will, müssen wir heute an die Aufgaben der Marine in 10 und 20 Jahren denken, das hierfür notwendige Personal ausbilden und moderne Schiffe beschaffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darf ich einen Augenblick unterbrechen? - Ich darf auch all die Kolleginnen und Kollegen, die in der Zwischenzeit eingetroffen sind, bitten, Platz zu nehmen, damit wir nach Schluss der Aussprache die angekündigte namentliche Abstimmung vornehmen können. ({0}) Bitte schön, Herr Kollege.

Ulrich Adam (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000005, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bin mir sicher, dass die Marineführung der Politik die notwendigen Schritte hierzu ausführlich darlegen wird. Es ist an uns, diese dann rechtzeitig umzusetzen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen uns, dass hierfür auch neue Denkansätze gefordert sind. Der Kampf gegen Piraten kann nur mit bordeigenen Hubschraubern und Spezialkräften durchgeführt werden. Alles andere führt zu einem vermehrten Risiko für die Sicherheit unserer Besatzung. Daher sind auch diese Kräfte entsprechend zu schulen und materiell auszustatten. Der Bundesminister der Verteidigung hat mehrere Kolleginnen und Kollegen des Verteidigungsausschusses eingeladen, mit ihm in der kommenden Woche die Besatzungen unserer beiden Schiffe, der „Karlsruhe“ und der „Mecklenburg-Vorpommern“, vor Ort zu besuchen und uns von deren Einsatzfähigkeit und hoher Motivation zu überzeugen. Ich danke dem Minister für diese Einladung, zeigt das doch wieder einmal, dass die Bundeswehr und somit die Marine eine Parlamentsarmee ist und der enge Kontakt zum Parlament, das diesen gefahrvollen Einsatz beschließt, gewährleistet ist. ({0}) Die Weihnachtszeit ist nicht nur eine Zeit der Besinnlichkeit, sondern auch des Schenkens. Was, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist aber wohl, nach meiner Meinung zumindest, das Wertvollste, was wir einem anderen Menschen heutzutage schenken können? ({1}) Es sind Zeit und Aufmerksamkeit. Zeit und Aufmerksamkeit möchten ich und meine Kolleginnen und Kollegen den Besatzungen der beiden deutschen Schiffe bei unserem Besuch schenken. Stehen unsere Fregatten doch auch symbolhaft für die gelungene deutsche Einheit. Die Fregatte „Karlsruhe“ wird von einem Fregattenkapitän aus dem Vogtland befehligt, ({2}) die „Mecklenburg-Vorpommern“ von einem Fregattenkapitän aus Hamburg. Sie stehen an der Spitze der Soldatinnen und Soldaten, die den von uns zu beschließenden Auftrag zu erfüllen haben. Diesen Soldatinnen und Soldaten möchte ich für ihre Arbeit danken. ({3}) Meine Fraktion und ich stimmen dem Mandat zu, weil wir wissen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten diese Aufgabe erfüllen werden. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält noch die Kollegin Homburger für eine knappe Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung das Wort. Dann können wir zur Abstimmung kommen. Ich bitte einen Augenblick um Aufmerksamkeit. - Bitte, Frau Kollegin Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Adam, Sie haben mich in Ihrer Rede eben gerade direkt angesprochen und hier behauptet, dass ich gesagt hätte, die Deutsche Marine habe sich blamiert. Das ist eine Unterstellung, die einzig und allein zeigt, dass Sie mir nicht zugehört haben. ({0}) Ich sage an dieser Stelle ganz ausdrücklich - das ist immer die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion gewesen, auch jetzt noch -: Die Deutsche Marine ist exzellent ausgebildet; die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz machen einen ganz hervorragenden Job. Wir haben das immer wieder feststellen können. ({1}) Die Tatsache allerdings, dass die Bundesregierung der Meinung war, dass unter dem Mandat Operation Enduring Freedom eine Pirateriebekämpfung nicht zulässig sei, obwohl Deutschland das Seerechtsübereinkommen ratifiziert hat, hat dazu geführt, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten vor Ort in schwierige Situationen gebracht wurden. Während nämlich andere Nationen im Rahmen der Operation Enduring Freedom Piraterie bekämpft haben, durften unsere Soldatinnen und Soldaten nur Nothilfe leisten. Darauf habe ich hingewiesen. DaBirgit Homburger mit hat man die Soldatinnen und Soldaten vor Ort in eine schwierige Situation gebracht und sie oft genug dem Spott anderer Nationen ausgesetzt. Insofern sage ich ganz klar: Die Bundesregierung hat mit dieser Handlungsanweisung die Deutsche Marine blamiert. Wir haben hohen Respekt vor den Leistungen der Soldatinnen und Soldaten, aber wir haben kein Verständnis für das Handeln der Bundesregierung. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus- wärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation „Atalanta“ zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/11416, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 16/11337 anzunehmen. Hierzu ist namentli- che Abstimmung verlangt. Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir im Anschluss an diese namentliche Abstimmung eine weitere Abstimmung na- mentlich durchführen werden. Zu der jetzt anstehenden Abstimmung über die Be- schlussempfehlung liegen mir Erklärungen zahlreicher Kolleginnen und Kollegen nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung vor.1) Haben alle Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze eingenommen? - Das ist offenkundig noch nicht der Fall. Ich bitte um ein entsprechendes Signal. - Ich eröffne die Abstimmung. Könnte bitte einmal ein Geschäftsführer aus den Rei- hen der Oppositionsfraktionen sicherstellen, dass die Abstimmungsurne vor der Lobby mit einem zweiten Schriftführer bestellt wird? Gibt es noch einen anwesenden Kollegen, der noch nicht Gelegenheit hatte, seine Stimmkarte abzugeben? - Wenn der Kollege Dressel sich im Augenblick im Ple- narsaal aufhält, möge er bitte zum Präsidium kommen. 1) Anlagen 2 bis 6 Ich habe den Eindruck, dass alle Anwesenden ihre Stimmkarten abgegeben haben. Dann schließe ich die Ab- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung werden wir wie immer später bekannt ge- ben. Wir setzen die Abstimmungen mit den Entschlie- ßungsanträgen fort. Zunächst stimmen wir über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/11425 ab. Auch hierzu ist na- mentliche Abstimmung beantragt. Könnten mir bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer ein Zeichen geben, ob die entsprechenden Ab- stimmungsurnen jeweils von Koalition und Opposition besetzt sind. - Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. Gibt es noch jemanden, der anwesend ist, aber seine Stimmkarte für die zweite namentliche Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Nachdem auch die Spitze der Bun- desregierung nachweislich ihren Abstimmungspflichten und -möglichkeiten nachgekommen ist, frage ich zum letzten Mal, ob es noch jemanden gibt, der seine Stimm- karte noch nicht abgegeben hat. - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann schließe ich auch die zweite Abstim- mung und bitte um Auszählung der abgegebenen Stimm- karten.2), 3) Bevor wir zur Abstimmung über weitere Entschließungsanträge kommen, kann ich Ihnen das Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung mitteilen - mit besonderem Dank an die wieder einmal außergewöhnlich schnell und präzise arbeitenden Schriftführerinnen und Schriftführer, die im Übrigen, wie ich finde, zum Abschluss dieses Jahres einen besonderen Applaus aller Fraktionen verdient haben. ({0}) - Kollege Fuchtel ist erwartungsgemäß tief beeindruckt. - Nach seiner mir gerade übergebenen Mitteilung sind 558 Stimmen abgegeben worden. Von diesen haben 491 mit Ja und 55 mit Nein gestimmt bei 12 Enthaltungen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. 2) Ergebnis Seite 21366 D 3) Anlage 7 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558; davon ja: 491 nein: 55 enthalten: 12 Ja CDU/CSU Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({3}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Präsident Dr. Norbert Lammert Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({4}) Dirk Fischer ({5}) Axel E. Fischer ({6}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({8}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({9}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({10}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({11}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({17}) Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Matthäus Strebl Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({24}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({25}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({27}) Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({28}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({29}) Frank Hofmann ({30}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({31}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Präsident Dr. Norbert Lammert Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({32}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({33}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Michael Müller ({34}) Andrea Nahles Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({35}) Michael Roth ({36}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({37}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({38}) Bernd Scheelen Otto Schily Ulla Schmidt ({39}) Silvia Schmidt ({40}) Renate Schmidt ({41}) Heinz Schmitt ({42}) Carsten Schneider ({43}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({44}) Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({46}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({47}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({50}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({51}) Markus Löning Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Jan Mücke Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({52}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz ({55}) Bärbel Höhn Thilo Hoppe Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({56}) Nicole Maisch Jerzy Montag Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({57}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Wolfgang Wieland Nein SPD Dr. Rainer Tabillion Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({58}) Volker Schneider ({59}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Präsident Dr. Norbert Lammert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bettina Herlitzius Winfried Hermann Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Hans-Christian Ströbele fraktionsloser Abgeordneter Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Dr. Wolf Bauer SPD Gregor Amann Petra Hinz ({60}) Detlef Müller ({61}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hans Josef Fell Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Ute Koczy Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler ({62}) Ich rufe nun den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion auf der Drucksache 16/11422 auf. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11423 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/11424? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Entschließungsantrag hat bei Ablehnung der übrigen Fraktionen keine Mehrheit. Wir setzen unsere Beratungen mit dem Tagesordnungspunkt 28 fort: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({63}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Regelsätze erhöhen - Dynamisierung anpassen - Kosten für Schulbedarfe abdecken - zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regelsätze bedarfsgerecht anpassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzsicherung und Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche durch bedarfsgerechte Kinderregelsätze gewährleisten - Drucksachen 16/7040, 16/7113, 16/8761, 16/10336 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir das so festhalten. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über die Regelsätze in der Sozialhilfe und in der Grundsicherung. Damit befassen wir uns mit einer Leistung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Menschen in unserer Gesellschaft, die vorübergehend oder dauerhaft nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft mit einem eigenen Einkommen für sich und ihre Familien zu sorgen. Ich denke, es ist gut, dass wir in unserem Sozialstaat über ein derartiges Instrument der Sicherung eines soziokulturellen Existenzminimums verfügen. Das ist gute staatlich organisierte Solidarität für die, die Hilfe benötigen, von denen, die Hilfe und Unterstützung geben können. ({0}) Das ist aber auch gute staatlich organisierte Solidarität, mit der wir Armut bekämpfen. Nur, wenn wir in Deutschland über Armut sprechen, dann sprechen wir in der Regel nicht über Armut, wie wir sie in den Entwicklungsländern kennen, wo es teilweise um das physische Überleben geht, also um eine Armut, die das Leben geradezu gefährdet. In Deutschland haben wir leistungsfähige Systeme sozialer Sicherung, die helfen, diese Form der Armut zu vermeiden. Richtig ist aber, dass es bei uns in Deutschland Menschen gibt, die von relativer Armut betroffen sind. Das zeigt uns auch der 3. Armuts- und Reichtumsbericht, in dem jedoch deutlich gemacht wird, dass unser Sozialstaat funktioniert, dass die Transfersysteme, die wir haben, mit dazu beitragen, das Armutsrisiko zu minimieren, und dass es nachgewiesene Aufgabe der Politik ist, Armut zu bekämpfen, aber bitte schön gezielt durch konkretes Handeln und am besten dort ansetzend, wo die Ursachen für Armut liegen. Das Problem an dieser Stelle ist vielschichtig. Es geht um materielle Leistungen und Sozialtransfers. Es geht auch darum, dass wir vorgelagerte staatliche HilfesysParl. Staatssekretär Franz Thönnes teme wie das Kindergeld oder das Wohngeld einzusetzen haben; der Kinderzuschlag gehört dazu. Es geht aber auch um Chancen auf Bildung. Es geht um Chancen auf Ausbildung, um Chancen auf Arbeit. Ich sage ausdrücklich: Es geht um fair bezahlte Arbeit, um anständig bezahlte Arbeit. Und es geht um aktive Arbeitsmarktpolitik, darum, Menschen, die arbeitslos sind und auf Solidarleistungen angewiesen sind, zu befähigen, wieder in Arbeit zu kommen und selbst für ihre Familien und Kinder zu sorgen. ({1}) Deshalb war die Entscheidung, die getroffen worden ist, auch richtig, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zu einer Fürsorgeleistung für Erwerbsfähige zusammenzulegen, die zurzeit keine Arbeit haben. Denn sie hat mit dazu beigetragen, dass neue Teilhabechancen entstehen können, dass sich neue Möglichkeiten für Arbeit entwickeln. Ich will darauf hinweisen, wir haben damit dazu beigetragen, dass erstmals alle Menschen, die ohne Arbeit sind, in die Vermittlung durch die Arbeitsgemeinschaften, die Optionskommunen und auch durch die Bundesagentur für Arbeit mit einbezogen worden sind, das heißt intensives Fallmanagement, damit die Arbeitsmarktchancen für Langzeitarbeitslose deutlich verbessert werden. ({2}) Nach den ersten Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld II und von Sozialgeld im November 2008 mit 6,59 Millionen um immerhin 686 000 niedriger als vor zwei Jahren. Das ist ein Erfolg für die Menschen, die sich um Arbeit bemüht und engagiert haben. Das ist aber auch ein Erfolg derjenigen, die mitgeholfen haben, das umzusetzen, was an Arbeitsmarktreformen und aus der Philosophie des Forderns und Förderns hier im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist. Es geht um Arbeit - vorrangig. Umso bedauerlicher ist es, dass es in einigen Anträgen, die wir heute debattieren, so scheint, als ginge es nur um Geld. Da muss man deutlich sagen, höhere Transfers schaffen weder größere Arbeitsmarktchancen für die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, noch werden damit die Bildungschancen der bedürftigen Kinder verbessert. ({3}) Grundlage unserer Politik bleibt hingegen die Erkenntnis, dass, wo immer möglich, Arbeit und ein existenzsicherndes Familieneinkommen den Weg aus der Hilfebedürftigkeit weisen müssen. Bei einer Familie mit zwei erwerbsfähigen Erwachsenen sinkt das Armutsrisiko von 48 Prozent auf unterdurchschnittlich 8 Prozent bzw. 4 Prozent, sobald nur einer oder zwei anständig gut bezahlte Arbeit bekommen. Deshalb werden wir die Arbeitsvermittlung weiter verbessern, deshalb haben wir die Instrumente für die Arbeitsmarktpolitik verändert, zielgerichtet gestaltet, und deswegen kämpfen wir auch für existenzsichernde Mindestlöhne. ({4}) Raus aus der Hilfebedürftigkeit, ein eigenes Leben wieder selbstständig zu gestalten, darum geht es auch bei dem, was wir zum 1. Oktober 2008 beim Kinderzuschlag entschieden haben; darum geht es auch, wenn wir über die Umsetzung des Wohngeldes jetzt zum 1. Januar 2009 sprechen, und - ich will etwas hinzufügen, was manchmal ein bisschen untergeht - auch das Elterngeld hat dazu beigetragen, Hilfebedürftigkeit zu vermeiden. Die Zahl der Frauen, die im Jahr nach der Geburt ihres Kindes Arbeitslosengeld II beziehen müssen, ist nach der Einführung des Elterngeldes signifikant gesunken. Auch das ist ein Erfolg unserer Familienpolitik, die hier gemacht worden ist. ({5}) Ich will keine Zweifel aufkommen lassen: Natürlich wird es auch darum gehen, dort, wo Armut ist, die direkten materiellen Leistungen einzusetzen; sie sind unverzichtbar. Das ist keine Frage. Alle im Hause wissen, die Regelsätze für die Kinder werden vom Eckregelsatz des Erwachsenen abgeleitet. Dieses Verfahren - darauf weise ich ausdrücklich hin ist im Übrigen auch schon in der früheren Sozialhilfe angewendet worden und ist nichts Neues, hat sich bewährt, ist damals im Wesentlichen auch nicht infrage gestellt worden. Dennoch gibt es Kritik und den Einwand, dass das geltende System den Bedarfen von Kindern nicht gerecht werden würde oder sie unzureichend berücksichtige. Das nehmen wir ernst. Sobald die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 vorliegen, werden deshalb alle Regelsätze überprüft. Das wird jedoch frühestens im zweiten Halbjahr 2010 der Fall sein. ({6}) Das ist uns zu lange, und deswegen hat die Bundesregierung das Statistische Bundesamt beauftragt, Kinderregelsätze auf der Basis der regelsatzrelevanten Güter und Dienstleistungen aus den Familieneinkommen heraus zu berechnen. Basisdaten sind diejenigen, die aus der Verbrauchsstichprobe EVS 2003 zur Verfügung stehen. Die Auswertung der Daten, die ermittelt worden sind, findet derzeit statt. Das ist noch nicht abgeschlossen. Aber ich will ausdrücklich sagen, erste Einschätzungen deuten nicht unbedingt darauf hin, dass bei einer Neubemessung der Kinderregelsätze stark steigende Leistungen zu erwarten wären. Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen, dass es uns wichtig ist, dass die finanzielle Unterstützung, die für Kinder und für Jugendliche bestimmt ist, auch direkt bei den Kindern und bei den Jugendlichen ankommt. Dieser Wille verbirgt sich hinter dem Schulbedarfspaket. Damit tragen wir dazu bei, dass jedem Schüler und jeder Schülerin 100 Euro pro Jahr zum Schuljahresbeginn gegeben werden. Wenn man das auf die Regelsätze für jüngere Schüler bis 13 Jahre umrechnet, kommt eine Steigerung von knapp 4 Prozent heraus. In Verbindung mit dem für 2009 ohnehin erwarteten Anstieg der Regelsätze um 2,75 Prozent ist das, denke ich, eine gute Entscheidung. Eine generelle und massive Erhöhung der Regelsätze wird aber abgelehnt, weil man immer auch den Gesamtzusammenhang berücksichtigen muss. Man muss auch sehen, wie das von den Menschen bewertet wird, die als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Arbeit über ein Einkommen verfügen, das manchmal - leider - nur knapp oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze liegt. ({7}) Das gefällt uns nicht. Ich bin damit nicht zufrieden. Wir arbeiten daran, weil das verbessert werden muss. Das muss über Tarifvereinbarungen und Mindestlöhne verbessert werden. ({8}) Diesen Zusammenhang müssen wir aber im Blick haben. Deutlich höhere Regelsätze hätten zur Folge, dass die Transferleistungen höher ausfallen als die Einkommen von Erwerbstätigen ohne Transferleistungen. Deswegen muss man mit Vorsicht vorgehen, wenn der eine oder andere auf einen zukommt und fragt: Sag mal, lohnt sich die Arbeit, die ich mache, eigentlich noch? Was bleibt davon übrig? Auch die Forderung, die Regelsätze anstatt mit der Rentenentwicklung mit dem allgemeinen Preisanstieg fortzuschreiben, ist wenig hilfreich. Richtig ist, dass die Preise in den letzten Jahren schneller gestiegen sind als die Regelsätze. Das ist aber nicht der Regelfall.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Staatssekretär.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ja, Herr Präsident. - Aktuell gibt es in einigen Bereichen sogar die Entwicklung, dass die Preise sinken. Hinzu kommt, dass Preissteigerungen alle in der Gesellschaft treffen: Rentnerinnen und Rentner genauso wie die Arbeitnehmer. Daher kann man die Leistungen der Sozialhilfe und der Grundsicherung nicht an der Preissteigerungsrate festmachen; denn auch diejenigen, die arbeiten gehen, diejenigen, die Steuern zahlen, müssen sehen, dass sich ihre Einkommen vor dem Hintergrund der Möglichkeiten entwickeln. Nach derzeitigem Stand ist davon auszugehen, dass die Löhne in 2008 deutlich gestiegen sind. Das wird auch den Rentnerinnen und Rentnern zugute kommen und in der Folge denjenigen, die Grundsicherung beziehen; denn die Regelsätze werden angepasst. Uns geht es darum: Wir wollen die Menschen befähigen, wieder aus eigener Kraft Einkommen durch Arbeit zu erzielen. Wenn man das zusammenfasst, heißt das: Erstens. Wir überprüfen die Regelsätze. Zweitens. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 läuft; wir werden im Jahr 2010 neue Entscheidungen vor diesem Hintergrund zu treffen haben. Drittens. Wir bleiben bei der bisherigen Kette hinsichtlich der Umsetzung: Tarifeinkommen, Renteneinkommen, und daraus wird die Anpassung der Grundsicherungseinkommen abgeleitet. Viertens. Wir bleiben dabei, gezielte Hilfen für die jungen Menschen durch das Schulstarterpaket bzw. das Schulbedarfspaket zu gewähren. Fünftens. Wir intensivieren all unsere Aktivitäten und Maßnahmen, um Menschen in Arbeit und Beschäftigung zu bringen; denn der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt deutlich, dass das größte Armutsrisiko darin besteht, keine Arbeit und keine Beschäftigung zu haben. Abschließend will ich an dieser Stelle hinzufügen, worum wir uns besonders kümmern sollten: Wir haben gut 257 000 alleinerziehende Arbeitslose, überwiegend Frauen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen. Wenn wir Kinderarmut und Alleinerziehendenarmut bekämpfen wollen, dann muss ganz gezielt an den Stellen Vermittlung, Betreuung und Qualifizierung angesetzt werden. ({0}) Ich denke, an diesen Stellen ist das Geld gut investiert. Die Programme, zum Beispiel der Ideenwettbewerb zur Integration von Alleinerziehenden, sind gut zugeschnitten. Es geht um gute Arbeit für Alleinerziehende. Es ist sinnvoll, so konkret anzusetzen und den Menschen zu helfen. Ich denke, das ist der richtige Weg. Wir wollen die Menschen befähigen, auf eigenen Füßen zu stehen, ihr Leben mit eigener Kraft und Arbeit zu gestalten. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dirk Niebel für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht sagen, Sie sehen mich ratlos, aber es ist selten, dass ich einer Rede des Staatssekretärs in weiten Teilen zustimmen kann. ({0}) Die vorliegenden Anträge behandeln tatsächlich nur ein kleines Segment dessen, was Politik zu regeln hat. Das Wesentliche, nämlich dass die Menschen eine Teilhabechance in der Gesellschaft haben, hat der Staatssekretär völlig richtig geschildert. Es war ausdrücklich richtig, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. Nicht nur weil dann die vom Staatssekretär gerade beschriebenen positiven Effekte der Einbeziehung von ehemaligen Sozialhilfeempfängern in die Vermittlung eingetreten sind, sondern auch weil es die Würde der betroffenen Menschen ein Stück weit wiederhergestellt hat. Das mag jetzt für Sie von der Linken komisch klingen, weil Sie immer sagen, das sei alles ganz furchtbar mit dem Arbeitslosengeld II, aber Sie erinnern sich vielleicht daran, dass es enorm viele ArbeitslosenhilfebezieDirk Niebel her gegeben hat, die ergänzende Leistungen zum Lebensunterhalt bezogen haben und die ihre intimsten wirtschaftlichen Daten bei zwei Behörden offenlegen mussten, damit sie die Möglichkeit hatten, das soziokulturelle Existenzminimum zu erreichen. Ich glaube, das war aus Gründen der Würde und der besseren Integrationschancen für die Betroffenen der richtige Schritt, obwohl diese Bundesregierung in einigen Punkten leider schon wieder von den Reformen abgewichen ist. ({1}) Sie suggerieren mit diesen Anträgen, dass es nur um die Ränder der Gesellschaft geht. Die Menschen in Deutschland haben das Gefühl, die Politik beschäftige sich nur noch mit Heuschrecken auf der einen Seite und mit dem Prekariat auf der anderen Seite. Sie kümmere sich überhaupt nicht mehr um diejenigen, die die soziale Sicherung, die wir ausdrücklich wollen, finanzieren, die den Laden am Laufen halten. Wenn wir sehen, dass laut Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine durchschnittliche vierköpfige Arbeitslosengeld-II-Bezieher-Familie 1 600 Euro netto zur Verfügung hat mit allen Nebenleistungen, also 19 200 Euro netto pro Jahr, und dagegenhalten, dass tariflohnbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den unteren Tariflohngruppen mit 16 000 bis 21 000 Euro Bruttojahreseinkommen auskommen müssen, dann darf man berechtigterweise die Frage stellen, ob das Lohnabstandsgebot tatsächlich so ausgestaltet ist, dass es motivierend und aktivierend zu einer Erwerbstätigkeit führt, damit die Menschen aus der Transferleistung herauskommen. ({2}) - Nein, wir wollen das ausdrücklich nicht absenken, wie manche Wissenschaftler es fordern. Wir halten die Regelsätze für richtig. Wir sind übrigens auch der Ansicht, dass man einen eigenständigen Kinderregelsatz erheben kann; es muss kein abgeleiteter sein. Das ist durchaus richtig und sinnvoll. Ich erinnere daran, dass die FDP-Bundestagsfraktion hier bei der Debatte über das Familienleistungsgesetz beantragt hat - das wurde leider abgelehnt -, das Schulstarterpaket auch für Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern und über das 10. Schuljahr hinaus zu gewähren, ({3}) damit auch Kinder aus bildungsfernen Familien die Chancen zu Bildungszugang in allen Segmenten haben. Das ist von diesem Hause leider mehrheitlich abgelehnt worden. Ich glaube tatsächlich, dass der Staatssekretär recht hat, wenn er sagt, Investitionen in Betreuungseinrichtungen, in Bildungschancen seien das beste Konjunkturprogramm, das wir jetzt haben sollten. Gerade die vielen Alleinerziehenden, die aufgrund fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen kaum Arbeitsmarktchancen haben, wären aktivierbar und würden einen großen Beitrag zur Armutsminimierung leisten, wenn wir sie integrieren könnten. Jetzt vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist es richtig, in Betreuungseinrichtungen zu investieren und auf das nächste Jahr vorzuziehen, was wir im Kinderbetreuungsgesetz vorgesehen haben - es ist hier im Haus beschlossen worden -, nämlich zugunsten der 750 000 Betreuungsplätze es früher zu ermöglichen, in Bildungsinfrastruktur zu investieren, und zu einer echten Entlastung für diejenigen beizutragen, die in der Mitte der Gesellschaft mit ihren Einkünften, mit ihren Steuergeldern und mit ihren Beitragsgeldern unser soziales Sicherungssystem überhaupt erst finanzieren. Es ist kurz gedacht, wenn die Bundesregierung sagt: Wir wollen keine Steuersenkungen machen. Zumindest bei dem, was kalte Progression genannt wird, könnten Sie, wenn Sie schon den Mut zu einem richtigen Schritt mit einer entlastenden Steuerstrukturreform nicht aufbringen, für breite Bevölkerungsschichten Entlastung schaffen und die dadurch die Binnenkonjunktur stabiliseren. Dieser Vielklang - Entlastung bei Steuern und übrigens auch bei Abgaben, zumindest wenn Sie auf diesen unsäglichen Gesundheitsfonds verzichten würden, der zum 1. Januar 2009 für weite Bevölkerungsteile die Krankenversicherung teurer macht, in der Kombination mit Investitionen in Bildungsinfrastruktur, in Kinderbetreuungseinrichtungen und in Verkehrsinfrastruktur könnte einen Großteil der Probleme, die auf uns zukommen, minimieren. Im Übrigen wird es Sie nicht wundern, dass wir die drei vorliegenden Anträge ablehnen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Max Straubinger ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einmal über Anträge des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken, in denen unter anderem gefordert wird, den Hartz-IV-Regelsatz auf 435 Euro im Monat anzuheben. Ich möchte vorausschicken, dass es sicherlich weit besser ist, die Menschen in die Lage zu versetzen, die finanzielle Grundlage ihres Lebens durch eigene Erwerbstätigkeit zu schaffen und ihr Leben zu meistern, indem sie arbeiten und dadurch ein ausreichendes Einkommen erzielen. ({0}) Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich darauf hinweisen, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen bei der Bekämpfung der Armut in den vergangenen drei Jahren große Erfolge erzielt haben. Der Abbau der Arbeitslosigkeit von 5 Millionen Arbeitslo21364 sen auf weniger als 3 Millionen Arbeitslose ist ein beredtes Beispiel dafür, dass die Menschen mehr Chancen erhalten haben, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. ({1}) Zweitens. Entscheidend ist, dass diese Erfolge auch bei Bevölkerungsgruppen angekommen sind, die bisher Schwierigkeiten hatten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, insbesondere bei Empfängern von Hartz-IV-Leistungen, und zwar vor allem in diesem Jahr. In den vergangenen Jahren ging es zuvörderst um den Abbau der Arbeitslosigkeit im SGB-III-Bereich. Mittlerweile konnten aber auch im SGB-II-Bereich mehr als 400 000 Menschen, die ehemals Hartz-IV-Empfänger waren, wieder in Arbeit und Brot gebracht werden. Damit haben sie die Chance bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Dies ist meines Erachtens die beste Politik, die man für die Menschen machen kann. Es ist aber auch entscheidend, nicht immer nur über die Höhe der Regelsätze zu diskutieren, die für die Menschen gelten, die sich entweder nicht selbst helfen können oder derzeit keine Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Höhe der Regelsätze ist auch ins Verhältnis zu dem zu setzen, was diejenigen, die diese sozialen Leistungen bezahlen und die entsprechende Unterstützung ermöglichen, verdienen. Auch dieser Aspekt muss im Abwägungsprozess berücksichtigt werden. Der Kollege Niebel und der Staatssekretär haben bereits auf das Lohnabstandsgebot hingewiesen. Es ist ein wichtiger Baustein der Sozialpolitik. Man kann nicht so verfahren, wie es vor allen Dingen die Linken in diesem Hause tun. Sie fordern immer nur ganz starr Erhöhungen der sozialen Leistungen. Damit geben sie den Menschen letztendlich aber keinen Anreiz mehr, überhaupt eine Arbeit aufzunehmen. ({2}) Der Kollege Gysi hat einmal formuliert, wozu das führen würde. In der Rede, die er am 24. Januar 2008 im Deutschen Bundestag gehalten hat, hat er dargestellt, wie man die Sozialleistungen in unserem Land finanzieren könnte. Er hat einen Zusammenhang mit der Steuerquote im OECD-Vergleich hergestellt und darauf hingewiesen, dass die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland 35,6 Prozent beträgt, im EU-Durchschnitt hingegen 40,8 Prozent. Würden wir sie lediglich auf den EU-Durchschnitt anheben, würde dies bedeuten, Herr Kollege Gysi, dass die arbeitenden Menschen in unserem Land mit 120 Milliarden Euro zusätzlich belastet würden. ({3}) Daran wird sehr deutlich, dass die Gelackmeierten letztlich die Leistungsträger in unserer Gesellschaft wären. So können wir keine sachgerechte Politik betreiben. ({4}) Sehr entlarvend ist die Politik der Linken auch im Hinblick auf ihr eigenes Handeln. In Berlin regieren die Linken ja mit. ({5}) Daher sollte man sich einmal in Erinnerung rufen, was der Berliner Senat alles zuwege gebracht hat. In den vergangenen Jahren wurden bei den Hilfen für Erziehung in Kinder- und Jugendeinrichtungen 160 Millionen Euro gestrichen. ({6}) 140 Jugendeinrichtungen wurden geschlossen, und beim Kitapersonal wurde auch gespart. ({7}) Das sind letztendlich die Auswirkungen der linken Politik auf unser Land. Hier im Deutschen Bundestag fordern Sie größtmögliche soziale Leistungen, ({8}) während Sie dort, wo Sie Verantwortung tragen, die Mittel für die Menschen reduzieren. ({9}) Das zeigt sich sehr deutlich. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lötzsch?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Kollege Straubinger, ist Ihnen eigentlich das Prinzip der Trägervielfalt bekannt? Ist Ihnen bekannt, dass die Übertragung einer Jugendeinrichtung an einen freien Träger - vielleicht sogar an einen kirchlichen Träger, was Ihnen als Bayer sicher besonders am Herzen liegen würde ({0}) etwas anderes als eine Schließung ist? ({1})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, die kirchlichen Träger werden Sie garantiert nicht mit Aufgaben betrauen, weil Sie ein gespaltenes Verhältnis zu den Kirchen haben. Sie stehen ja dafür, dass der Religionsunterricht in Berlin abgeschafft wird. ({0}) - Ja, natürlich. - Sie brauchen mir hier also nicht mit den kirchlichen Trägern zu kommen. Darüber hinaus glaube ich wirklich, dass das nichts damit zu tun hat, dass man die Aufgaben anderen zugewiesen hat. Tatsache ist: Der Berliner Senat hat letztendlich die Unterstützung für sozial bedürftige Menschen maßlos reduziert. Das ist das Ergebnis der linken Politik. ({1}) Verehrte Damen und Herren, es geht aber natürlich auch darum, wie der Regelsatz richtig festgesetzt wird. Die Grünen, aber auch die Linken fordern ja, dass die Regelsätze zukünftig entsprechend den Preissteigerungsraten und nicht mehr nach den Rentensteigerungen, wie das jetzt geschieht, angepasst werden. Das würde aber bedeuten, dass die Sozialhilfeempfänger in unserem Land schlechter gestellt werden würden, als wenn die Anpassung nach wie vor gemäß der Rentenformel erfolgen würde. Wenn man die vergangenen 25 Jahre betrachtet, dann zeigt sich sehr deutlich, dass für die Sozialhilfeempfänger die Anpassung nach der Rentenentwicklung besser war, als wenn die Regelsätze an die Preissteigerungsraten angepasst worden wären. Vielleicht auch noch zur Erhellung ein paar Sätze dazu, wie sich dies insgesamt entwickeln könnte. Wenn die Preissteigerungsraten hoch sind - damit rechnen die Linken und die Grünen ja immer -, dann müssen auch die Regelsätze kräftig angehoben werden. Wenn die Preissteigerungsrate sinkt: Sollen dann möglicherweise auch die Regelsätze wieder sinken? ({2}) Nur ein Beispiel: Mittlerweile schwächt sich der Preisauftrieb im vierten Monat hintereinander ab. ({3}) Betrug der Preisanstieg im August noch 3,1 Prozent, so fiel er im Monat September auf 2,9 Prozent, im Oktober auf 2,4 Prozent und im November, also aktuell, auf 1,4 Prozent - jeweils gegenüber den Preisen der Vorjahresmonate gerechnet. Dadurch zeigt sich sehr deutlich, dass es kein richtiger Maßstab sein kann, die Regelsätze anhand der Preissteigerungsraten zu verändern. ({4}) Verehrte Damen und Herren, wir haben auch gut daran getan, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur Grundlage der Regelsätze zu machen und uns vom Warenkorbmodell zu verabschieden. Ich glaube, dass dies auch eine wichtige Veränderung war, weil die Zusammenstellung des Warenkorbs natürlich immer kritikwürdig ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es sicherlich entscheidender, auf die Verbräuche der Familien und Alleinstehenden abzustellen, die unterdurchschnittlich verdienen. Aus dieser Sicht haben wir eine gute Grundlage geschaffen. Auch die Regelbedarfssätze für Kinder - der Herr Staatssekretär hat bereits darauf hingewiesen - wurden von den früheren Sozialhilfesätzen abgeleitet. Über die Höhe der normalen Regelbedarfssätze kann man sich streiten. Zurzeit haben wir zwei Anpassungen bei Kindern: von 0 bis 14 Jahren und 14 Jahre und älter. Man kann darüber diskutieren, ob man zukünftig drei Altersgruppen schafft. Das ist sicherlich eine Diskussion wert; das können wir aufnehmen. Aber ich bin überzeugt, dass das Warenkorbmodell keine gute Grundlage für einen Regelsatz darstellt. Ich habe einmal den Eiweißbedarf eines Kindes ausrechnen lassen und die Frage gestellt, ob dieser mit einem Schnitzel vom Discounter oder mit einem aus dem Bioladen gedeckt wird. ({5}) Ich glaube, dass wir eine richtige Grundlage haben, nämlich die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, und dass vor allen Dingen auch die Überprüfung in den Fünfjahreszeiträumen eine gute Grundlage darstellt. Wenn es notwendig ist, Änderungen vorzunehmen, sind wir bereit, frühzeitig auf diese Änderungen einzugehen. ({6}) Dies ist meines Erachtens eine sehr sachgerechte Politik.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Strengmann-Kuhn?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Straubinger, ist Ihnen bekannt, dass das Landessozialgericht in Darmstadt beschlossen hat, dass die Ermittlung der Kinderregelsätze verfassungswidrig ist, und dass das demnächst vom Bundesverfassungsgericht behandelt wird? Sind Sie bereit, nicht nur unsere, sondern auch die Argumente des Landessozialgerichts Darmstadt zur Kenntnis zu nehmen und nicht erst darauf zu warten, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung wieder einmal auffordern muss, sozialpolitisch nachzubessern? ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, mir ist dieses Gerichtsurteil nicht bekannt. Aber es gibt sehr viele Gerichtsurteile, die die jetzige Regelsatzregelung akzeptieren bzw. für rechtens erkennen. Wir können diesen juristischen Streit, der geführt wird, nicht im Parlament entscheiden. Er wird dann eben gerichtlich entschieden werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Straubinger, mir liegt der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Brauksiepe vor.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Straubinger, sind Sie bereit, den Kollegen darüber aufzuklären, dass es im Jahr 2006, für das die letzte aktuelle Statistik vorliegt, auf den verschiedenen Ebenen - vom Sozialgericht über das Landessozialgericht bis zum Bundessozialgericht - 101 329 Gerichtsverfahren gegeben hat - diese Zahl steigt aus diversen Gründen tendenziell eher noch - und es daher seit dem Bestehen des SGB II rund eine halbe Million Verfahren in diesem Bereich gab und jedes Gericht das Recht gehabt hätte, ein Vorlageverfahren beim Bundesverfassungsgericht zu machen, wenn es Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit gehabt hätte, und dass die rund halbe Million Prozesse, die ohne ein solches Vorlageverfahren geendet sind, mindestens genauso zu respektieren sind wie der eine Fall, bei dem jetzt ein Gericht ein solches Vorlageverfahren angestrengt hat?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gerne bereit, ihm das weiterzuleiten. ({0}) Verehrte Damen und Herren, es wurde natürlich auch heute wieder das Schulstarterpaket thematisiert. Vor allen Dingen wird hier immer wieder als Kritik angeführt, dass es nur bis zum 10. Schuljahr gilt. ({1}) - Das ist richtig. ({2}) - Nein, das ist nicht falsch. Ich bin der Meinung, dass der Bedarf an Betreuung auch für Kinder gegeben ist, die bereits eingeschult sind. Hier haben wir in der Koalition unterschiedliche Auffassungen. Wir sind auch dafür, dass das Schulstartergeld ausgeweitet wird. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Steuerbefreiung von Arbeitgeberleistungen zur Kinderbetreuung auf schulpflichtige Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr ausweiten. Ich bin überzeugt, dass auch die Kolleginnen und Kollegen von der SPD unser Ansinnen unterstützen werden. Dann können wir gemeinsam die notwendigen Ausweitungen beschließen. Ich darf zum Schluss kommen. Ich glaube, wir haben eine vernünftige Grundlage für die Unterstützung sozial bedürftiger Menschen. Aber es ist auch wichtig, über die erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung zu erreichen, dass möglichst viele Menschen eigenes Erwerbseinkommen erzielen können. Das ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben für die zukünftige Arbeit in diesem Hause. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11425 bekanntgeben: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 102, mit Nein 450. Enthalten haben sich 5. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 557; davon ja: 102 nein: 450 enthalten: 5 Ja FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({0}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich ({1}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({2}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({3}) Markus Löning Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Jan Mücke Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({4}) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({5}) Volker Beck ({6}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz ({7}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({8}) Monika Lazar Nicole Maisch Jerzy Montag Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({9}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Peter Albach Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({10}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({11}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({12}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({13}) Dirk Fischer ({14}) Axel E. Fischer ({15}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({16}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({17}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({18}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({19}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({20}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({21}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({22}) Stefan Müller ({23}) Dr. Gerd Müller Bernd Neumann ({24}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({25}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({26}) Anita Schäfer ({27}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({28}) Andreas Schmidt ({29}) Ingo Schmitt ({30}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Uwe Schummer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Matthäus Strebl Thomas Strobl ({31}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({32}) Gerald Weiß ({33}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({34}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({35}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({36}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({37}) Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({38}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Stephan Hilsberg Petra Hinz ({39}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({40}) Frank Hofmann ({41}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({42}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({43}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({44}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({45}) Michael Müller ({46}) Andrea Nahles Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({47}) Michael Roth ({48}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({49}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({50}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Otto Schily Ulla Schmidt ({51}) Silvia Schmidt ({52}) Renate Schmidt ({53}) Heinz Schmitt ({54}) Carsten Schneider ({55}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({56}) Swen Schulz ({57}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({58}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({59}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Diana Golze Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dorothée Menzner Kornelia Möller Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({60}) Volker Schneider ({61}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Gert Winkelmeier Enthalten SPD Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE Dr. Hakki Keskin Kersten Naumann Dr. Petra Sitte Frank Spieth ({62}) Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Nun fahren wir fort mit der Debatte. Ich erteile als nächstem Redner dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort. ({63})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Straubinger, ich finde, über das Thema Berlin sollten Sie nicht so frei reden, wie Sie es tun, und zwar aus folgendem Grunde. Es war die Union, die in Berlin die bis dahin größte Bankenkrise in der Geschichte Deutschlands verursacht hat. ({0}) SPD und Linke mussten dann versuchen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Im Übrigen hätten Sie auch gerne erwähnen dürfen, dass in Berlin das letzte Jahr des Besuchs der Kindertagesstätte beitragsfrei ist. Davon können die Eltern in Bayern nur träumen. Auch das ist eine Tatsache. ({1}) - Hören Sie auf! Sie haben von Erziehungshilfen gesprochen und wissen offenbar nicht, dass es Erziehungshilfen für Kinderbetreuungseinrichtungen gar nicht gibt. Diese Hilfen sind immer individueller Natur. Sie quatschen also von Sachen, von denen Sie keine Ahnung haben. ({2}) Das ist zwar Ihr gutes Recht, aber man muss das wenigstens ansprechen. Die Zwischenfrage, die unterstützend gestellt wurde, ist deshalb ein starkes Stück, weil die Union auch noch stolz darauf ist, dass es eine halbe Million Klagen gibt, statt daraus zu schließen, wie unzufrieden die Menschen sind. Sonst würde es diese Zahl von Klagen ja nicht geben. ({3}) Wir haben es jetzt mit einer gewaltigen Finanz- und Wirtschaftskrise zu tun. Es gibt sich ständig wiederholende Beratungsrunden bei der Kanzlerin, aber es wird so gut wie nichts entschieden. Die Ausnahme kenne ich: Innerhalb einer Woche konnte entschieden werden, einen Schutzschirm für die Banken mit einem Volumen von 480 Milliarden Euro aufzuspannen. ({4}) Wenn es aber wie jetzt um die Wirtschaftskrise, die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Sozialleistungen und die Kaufkraft geht, kommt die Regierung nicht zu Potte. Sie tagt Woche für Woche, aber es kommt nichts Nennenswertes zustande. ({5}) Wo bleiben Ihre Schlussfolgerungen aus dieser Krise? Wo bleiben Ihre Gesetzentwürfe zur Regulierung der Hedgefonds oder der Zweckgesellschaften? Wo bleiben Maßnahmen gegen Schuldverbriefungen und für stabile Wechselkurse? Denkbar sind auch Initiativen zur Schließung von Steueroasen. Sie unternehmen aber nichts dergleichen. Damit steuern wir auf die nächste Krise zu. ({6}) Eine Ursache der Finanzkrise ist übrigens auch die ungerechte Verteilung der Güter in allen führenden Industriegesellschaften, also auch in Deutschland. In den letzten Jahren - sowohl unter Kanzler Schröder als auch unter Kanzlerin Merkel - hat in Deutschland nicht nur die Armut zugenommen, sondern auch der Reichtum in den Händen weniger ist maßlos geworden. Dagegen unternehmen Sie nichts. ({7}) Der Staatssekretär hat darauf hingewiesen - das begrüße ich -, dass man nicht nur Anträge vorlegen und Regelsätze erhöhen, sondern die Menschen in Arbeit bringen soll. Dagegen haben wir auch nichts. Die meisten Anträge dazu haben wir vorgelegt. ({8}) - Warten Sie doch ab! Ich nenne ein Beispiel: In Berlin - weil Sie Berlin angesprochen haben - gibt es im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor über 4 000 Beschäftigte, die Löhne ab 1 300 Euro beziehen. Alle sind vermittelt worden. Dazu sind auch Bundesund Landesmittel eingesetzt worden. Wer, glauben Sie, hat wohl die größten Schwierigkeiten bei der Verwendung dieser Mittel gemacht? Ihr Ministerium, Herr Staatssekretär! Sie wollten das nicht. Sie wollten lieber die Arbeitslosigkeit finanzieren. Das ist die Wahrheit. ({9}) Nun haben wir gesagt: Wenn wir schon Hartz-IVEmpfängerinnen und -Empfänger haben, müssen wir etwas dagegen tun. Ihr Lösungsansatz, Menschen in Arbeit zu bringen, besteht nur in 1-Euro-Jobs. Das ist das Prekärste, was man sich vorstellen kann. Schaffen Sie einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor! Das hilft tatsächlich. ({10}) Abgesehen davon gibt es 7 Millionen Menschen - das ist doch nicht nichts -, die ausschließlich oder zusätzlich von Hartz IV leben. Wir haben 2,4 Millionen arme Kinder. Eine der reichsten Gesellschaften auf der Erde leistet sich 2,4 Millionen arme Kinder! Das ist nicht hinnehmbar, und das müsste Sie genauso stören wie uns. Dagegen müssen Sie endlich Schritte unternehmen. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stöckel?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Meckelburg, ich habe zuerst die Meldung von Herrn Stöckel gesehen. Anschließend frage ich dann, ob auch Ihre Zwischenfrage zugelassen wird. Herr Kollege Stöckel.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gysi, ich habe nur eine ganz kurze Frage. Stimmen Sie mir zu, dass dann, wenn Ihr Antrag angenommen würde und die Bundesregierung zusammen mit den Bundesländern die Regelsätze entsprechend erhöhte, nicht nur 7 Millionen Menschen, sondern Hunderttausende Menschen mehr ergänzende Grundsicherung bekämen und dann in Hartz IV wären, wie Sie es nennen? Das wäre bei jeder Rechtsausweitung der Fall. Sie würden dann im nächsten Jahr argumentieren, die Armut sei wieder gewachsen. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Was Sie sagen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wenn Sie Sozialleistungen verstärken und damit die Armut überwinden, können Sie nicht sagen, dass es ein Problem ist, wenn mehr Menschen Sozialleistungen erhalten. Ganz im Gegenteil: Damit lösten wir Probleme in der Gesellschaft. Das ist das Entscheidende. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Gysi, bevor Sie mit Ihrer Rede fortfahren, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es einen weiteren Wunsch des Kollegen Meckelburg nach einer Zwischenfrage gibt.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich weiß gar nicht, was heute los ist, Frau Präsidentin. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das ist in diesem Jahr der letzte Sitzungstag. Bitte, Herr Meckelburg.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gysi, ich wollte eigentlich dieselbe Frage wie Herr Stöckel stellen, der die Tatsachen richtig beschrieben hat. Nehmen Sie Folgendes zur Kenntnis: Wenn wir in Deutschland über Armut sprechen - das hat der Staatssekretär eben gesagt -, dann reden wir nicht über Armut in Entwicklungsländern. Wir alle haben uns darauf geeinigt, dass Armut ein relativer Begriff ist. Wenn man einen bestimmten Prozentsatz des Durchschnittseinkommens nicht erreicht, gilt man als arm. Wenn Sie die Regelsätze erhöhen, erhöhen Sie natürlich das, was die Menschen bekommen. Damit bringen Sie aber am Ende statistisch mehr Menschen in Armut. So sorgen Sie für eine Steigerung. Das Gegenteil dessen, was Sie beabsichtigen, ist dann der Fall. Sie erhöhen die Armutsquote. Ich bleibe dabei.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Darf ich Ihnen sagen, dass Sie irren? ({0}) Denn es geht immer um den Durchschnitt der Lohn- und Gehaltseinkommen. Da es sich hier nicht um Lohn- und Gehaltseinkommen handelt, können Sie die Regelsätze erhöhen, wie Sie wollen, ohne dass sich der Durchschnitt der Löhne und Gehälter verändert. Was Sie sagen, ist also noch nicht einmal statistisch gesehen richtig. Entscheidend ist aber, die reale Armut zu überwinden. ({1}) Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrem Vergleich mit den Entwicklungsländern sagen. Herr Kollege, ich weiß, dass die Bedingungen in Deutschland anders sind als die in Uganda. Aber damit können Sie sich nicht ernsthaft herausreden; denn der Maßstab für Hartz-IV-Empfänger ist Deutschland und nicht Uganda, und das auch zu Recht. ({2}) Lassen Sie mich auf einen weiteren Gesichtspunkt zu sprechen kommen: die Gleichmacherei. Eigentlich wird immer uns Linken vorgeworfen, dass wir dazu tendieren, Gleichmacherei zu betreiben. ({3}) Aber Sie betreiben bei Hartz IV die größte Gleichmacherei in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das will ich Ihnen beweisen. Nehmen wir als Beispiel einen Ingenieur und einen Pförtner. Beide arbeiten 30 Jahre, der eine als Pförtner, der andere als Ingenieur. Sie werden mir recht geben, dass sich die beiden einen unterschiedlichen Lebensstandard aufbauen, weil der Pförtner deutlich weniger verdient als der Ingenieur. Nach 30 Jahren werden beide arbeitslos. Dann bekommen beide ein Jahr lang Arbeitslosengeld I; das sind etwa 60 Prozent dessen, was sie zuvor verdient haben. Damit können sie so gerade ihren jeweiligen Lebensstandard im Kern aufrechterhalten, wenn auch unter schwierigeren Bedingungen. Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, sagen nun: Ein Jahr später gilt für beide absolut das Gleiche, bei der Größe der Wohnung, beim Sparguthaben, beim Auto, generell. Sie sagen dem Pförtner, dein Lebensstandard muss noch ein Stück sinken, und dem Ingenieur, dein Lebensstandard muss meilenweit sinken, denn wir behandeln euch völlig gleich. Ich muss sagen: Das ist die größte Gleichmacherei in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, nicht von den Linken angerichtet, sondern von Ihnen. Das muss man der Gesellschaft deutlich sagen. ({4}) Jetzt kommen wir zu den Regelsätzen. Sie haben geregelt, dass ab dem 1. Juli 2008 Erwachsene einen Sockelbetrag von 351 Euro, Kinder bis zum 13. Lebensjahr 211 Euro und Kinder vom 14. bis zum17. Lebensjahr 281 Euro bekommen. Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sagt, dass das Armutsrisiko bei 938 Euro beginnt. Ich will damit nur deutlich machen, wie weit die Regelsätze von dieser Feststellung der Bundesregierung entfernt sind. Nun haben wir uns die Preissteigerungen angeschaut. Was ist daran eigentlich so falsch? Seit es Hartz IV gibt, hatten wir eine Preissteigerung in Höhe von 8 Prozent. Sämtliche Erhöhungen für Hartz-IVEmpfänger, die in diesem Zeitraum beschlossen wurden, liegen unter der Preissteigerung von 8 Prozent. Das heißt, real haben Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IVEmpfänger weniger, weil die Preissteigerung größer war als die Steigerung ihrer Bezüge. Ergo muss man doch daraus Schlussfolgerungen ziehen. Denn das reduziert die Kaufkraft. Was Sie nicht verstehen, ist: Die Reduzierung der Kaufkraft trifft die Binnenwirtschaft. Das Problem ist: Wenn Sie Herrn Ackermann wieder 100 Euro mehr geben, dann kauft er nicht für 100 Euro mehr, ({5}) sondern er spekuliert mehr mit diesen 100 Euro; wenn Sie aber einer Hartz-IV-Empfängerin 10 Euro mehr geben, dann gibt sie die aus. Das stärkt die Binnenwirtschaft. Das ist der Unterschied, auf den Sie niemals eingehen. ({6}) Wir wollen den Sockelbetrag auf 435 Euro erhöhen, den Betrag für Kinder bis 13 Jahre auf 261 Euro und den für Kinder vom 14. bis zum 17. Lebensjahr auf 348 Euro. Das kostete 7 Milliarden Euro. Ein Argument gegen diese Forderung ist unzulässig: Sie können nicht mehr sagen, Sie hätten das Geld nicht. Wenn Sie innerhalb einer Woche einen Schutzschirm von 480 Milliarden Euro für die Banken bereitstellen, dann sollten Sie auch in der Lage sein, diese 7 Milliarden Euro aufzubringen. ({7}) Unsere zweite Forderung, die ich übrigens auch sehr wichtig finde, besteht in der jährlichen Anpassung nach der Steigerung der Lebenshaltungskosten und nicht nach den Steigerungsraten der Renten - das ist der falsche Weg -, weil auch die Rentner jährlich reale Einkommensverluste haben. ({8}) Jetzt haben wir Bildungsgeld gefordert. Immerhin sind Sie darauf eingegangen. Wenn Sie den Eltern oder den alleinerziehenden Müttern oder Vätern 100 Euro für Bildungsaufwendungen für die Kinder geben, dann müssen Sie von der Union mir aber erklären, warum Sie diese Summe nur für Kinder bis zur 10. Klasse geben wollen. Was haben Sie eigentlich dagegen, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängern das Abitur machen? ({9}) Warum geben Sie das Geld nicht auch für Kinder, die die 11., 12. und 13. Klasse besuchen? ({10}) Der Bundesrat hat das gerade abgelehnt, und dafür tragen Sie die Verantwortung. Erklären Sie es den Eltern! Ich kann es ihnen nicht erklären. Ich finde, das ist völlig daneben. ({11}) Dann reiten Sie, Herr Staatssekretär, immer auf dem Lohnabstandsgebot herum. Darf ich Ihnen sagen, dass die Linke - eigentlich mit der SPD, aber die macht nichts diesbezüglich hier im Bundestag - beantragt hat, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einzuführen? Wenn wir den hätten, dann hätten wir auch das Lohnabstandsgebot erfüllt. ({12}) Aber leider bewegt sich das Haus nicht. Sie von der Union verhindern den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, und dann regen Sie sich darüber auf, dass der Abstand zwischen Lohn und Sozialhilfe nicht mehr ausreichend sei. Das ist schon grotesk. ({13}) Stimmen Sie doch einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn zu! Von 27 EU-Mitgliedsländern haben 20 Länder einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, nur Deutschland meint, es sei schlauer. Das ist der falsche Weg. ({14}) Sie sind auf die durchschnittliche Steuerquote eingegangen und haben gesagt, wenn unsere Forderung erfüllt würde, müssten das die Leute bezahlen. Wie kommen Sie denn darauf? Es gibt sehr unterschiedliche Steuern. Warum kennen Sie eigentlich nur die Einkommensteuer? Wir haben uns überlegt, wie man Steuern gerecht erhöhen kann: zum Beispiel indem man den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer erhöht, gleichzeitig den Steuerbauch beseitigt, was jetzt auch die CSU will, und am unteren Ende die Freibeträge erhöht. Das ist unser Vorschlag. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Ihren Redefluss unterbrechen und Sie bitten, auf die Redezeit zu achten.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mein letzter Satz: Man kann die Vermögensteuer oder eine Abgabe für Millionäre einführen. Man kann vieles machen, um Steuergerechtigkeit herzustellen. Sie müssten nur den Mut haben, Armut zu bekämpfen, indem Sie Reichtum begrenzen. Aber den Mut haben Sie nicht. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Nächste Woche ist der 24. Dezember, ein besonderes Datum. ({0}) Aber der 24. eines Monats ist generell ein besonderes Datum; denn an diesem Tag jedes Monats geht einem Familienhaushalt, der Arbeitslosengeld II erhält und der sich im ernährungswissenschaftlichen Sinne richtig ernährt, das Geld fürs Essen aus. - Da brauchen Sie gar nicht zu lächeln; das steht im 7. Familienbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2006, Bezug nehmend auf eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung, in der genau dies festgestellt wird. Es mangelt also nicht an Erkenntnissen in diesem Bereich; es mangelt auch nicht an anderen, weiteren Erkenntnissen. Wir konnten schon im Jahre 2001 Studien des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zur Kenntnis nehmen. In diesem Jahr ist erneut eine Expertise speziell zum Bedarf von Kindern vorgelegt worden. Es gibt eine Untersuchung der Armutsforscherin Irene Becker. Im Prinzip ist die Situation, wie auskömmlich oder eben nicht auskömmlich der Regelsatz ist, also bekannt. Ich will das Ganze einmal am Beispiel der Ernährung für die 14- bis 18-Jährigen darstellen, wiederum unter Bezugnahme auf den von der Bundesregierung vorgelegten 7. Familienbericht. Das ist also keine Zahl, die ich erfunden habe. Es wird festgestellt, dass die 14- bis 18-Jährigen für Ernährung täglich 3,50 Euro zur Verfügung haben. Der Bedarf liegt aber, selbst wenn man bei Discountern einkauft, bei circa 5 Euro täglich. Dies bedeutet eine Unterdeckung von fast einem Drittel. Das ist ein fortwährender Skandal und müsste Sie jenseits von Lohnabstandsgebot und Überlegungen anderer Art zumindest beschäftigen. ({1}) Ich frage mich tatsächlich, da wir diese Debatte hier nicht zum ersten Mal führen und auch diese Zahlenzusammenhänge nicht zum ersten Mal vorgelegt werden, ({2}) warum keine Bewegung zu verzeichnen ist und warum sich nichts tut.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kurth. - Ich vermute, dass es vielen Kolleginnen und Kollegen hier ähnlich geht wie mir: Ich habe den 7. Familienbericht der Bundesregierung nicht so parat, dass ich beurteilen könnte, auf welches Jahr er sich bezieht. Wenn er 2006 erschienen ist, könnte es dann sein, dass er sich auf das Jahr 2005 bezieht, als Rot-Grün regiert hat? ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist durchaus möglich, dass er sich auf das Jahr 2005 bezieht. Das ändert doch aber - unabhängig davon, wer die politische Verantwortung hat - nichts an den Zahlen, und es ändert überhaupt nichts daran, dass offensichtlich auch schon damals der Regelsatz für Kinder und Jugendliche nicht ausreichend war. Wenn wir als Grüne dies jetzt im Nachhinein feststellen und Korrekturbedarf geltend machen, dann ist das nur folgerichtig, und ich sehe daran, dass es bei uns einen Erkenntnisfortschritt gab, auf den Sie offensichtlich leider noch warten müssen, und das, obwohl es - einen Moment noch, bitte ({0}) in den vergangenen Jahren, also seit 2005, einen erheblichen Preisanstieg gegeben hat, und zwar insbesondere bei Lebensmitteln. ({1}) Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, war insbesondere im Bereich der Nahrungsmittel ein Plus von 4,6 Prozent zu verzeichnen. ({2}) Die Dringlichkeit ist also noch größer geworden, und ich frage mich, warum es keine Bewegung gibt. ({3}) Der Haushalt kann an dieser Stelle nicht der einzige Beweggrund sein; denn an anderer Stelle liegt Ihnen die Haushaltskonsolidierung nicht so sehr am Herzen. Ich mache Ihnen nicht einmal den Vorwurf, Sie hätten keinen Kontakt zur Realität. Zumindest denjenigen Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitikern, die hier sitzen, unterstelle ich einmal, dass sie bestimmte Einrichtungen wie Tafeln, Jobcenter und dergleichen aufsuchen und durchaus Kontakt zu den Personen haben, ({4}) ausgenommen vielleicht solche Zyniker wie Thilo Sarrazin oder jener Chemnitzer Professor, der meinte, man könnte mit noch weniger auskommen. Nein, ich glaube, der Grund liegt darin, dass Sie die Perspektive derjenigen, die mit diesem Geld ganz konkret auskommen müssen, nicht übernehmen und das auch nicht an sich heranlassen, dass Sie sich nicht vorstellen können, wie man von 40 Euro im Monat Bekleidung und Schuhe tatsächlich bezahlen soll. Es fehlt ein Mindestmaß an Empathie und innerem Nachvollziehen. ({5}) Ich bekomme Briefe wie diesen hier von einer alleinerziehenden Mutter mit vier schulpflichtigen Kindern - ich erfinde das jetzt nicht; ich habe den Brief bekommen; daraus möchte ich zitieren -: Jetzt, da die Kinder größer sind, weiß ich nicht, wie ich noch wirtschaften soll. Meine Söhne sind zwischen 12 und 20 Jahre alt. Sie müssen doch auch mal mit den Klassenkameraden in ein Café gehen können oder zum Fußball. Sie brauchen manche Sachen einfach, weil alle Jugendlichen das haben. Mein Ältester - er steht vor dem Abitur, wie sie mir gesagt hat hat sich schon überlegt, die Schule aufzugeben und zu versuchen, Geld zu verdienen. Ich finde es traurig, dass ein junger Mensch so denkt, dass er sich eventuell seine Chancen selbst verbaut. ({6}) Da frage ich mich schon, ob es zutrifft, wenn hier gesagt wird, etwa von Herrn Staatssekretär Thönnes, es gehe um Bildung und nicht um Geld. Es geht eben doch auch um Geld. Man kann Bildung und Geld an dieser Stelle nicht gegeneinander ausspielen. An diesem Beispiel wird das überdeutlich. ({7}) Ich fordere Sie auf, darüber wirklich noch einmal nachzudenken. Natürlich ist Betroffenheit allein kein guter Ratgeber. Mir ist schon klar, dass man damit allein nicht Politik machen kann; das unterscheidet uns an vielen Stellen von den Linken. Ich weiß, dass es mehr Personen geben wird, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, wenn die Regelsätze erhöht werden. Herr Gysi, mit dem, was Herr Meckelburg und Herr Stöckel eingewandt haben, nämlich dass ein höherer Regelsatz mehr Anspruchsberechtigte und mehr Aufstocker bedeutet, haben sie durchaus recht. Wir haben das in Gutachten untersuchen lassen. Das heißt, wir müssen überlegen, wie man zusätzlich zur Regelsatzerhöhung vorgelagerte Systeme stärken kann, um einen solchen Anstieg zu verhindern. Ich nenne die Wohngeldanpassung. ({8}) Der Mindestlohn, der hier schon mehrfach erwähnt worden ist, spielt dabei eine ganz zentrale Rolle. Zusätzlich schlagen wir vor, bei niedrigen Einkommen die Sozialversicherungsbeiträge besonders zu bezuschussen, damit auch dort mehr Netto vom Brutto bleibt. Auf diese Art und Weise können wir den Anstieg eindämmen bzw. die Zahl sogar zurückführen. Eine Regelsatzerhöhung und eine Stärkung vorgelagerter Systeme zu verzahnen und das mit aktiver Arbeitsmarktpolitik zu verbinden, ist ein politisches Konzept, das auch darstellbar ist. ({9}) Sie könnten sich die Empathie für die Betroffenen wenigstens so weit zu eigen machen, dass das als Impulsgeber wirkt, in diese Richtung nachzudenken und den Bundesländern zu folgen, auch den von Ihnen regierten, die am 23. Mai eindeutig gefordert haben, zumindest bei den Regelleistungen für Kinder eine andere Berechnung zugrunde zu legen. Mir scheint es manchmal so zu sein, dass die Große Koalition oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die letzten Mohikaner in diesem Land sind, die die Augen vor der Realität verschließen. ({10}) Abschließend: Für den Fall, dass Sie nicht aus sozialpolitischen Erwägungen heraus handeln wollen, möchte ich noch zwei andere Argumente in die Debatte einführen. Sie von der Union reden gern über Steuersenkungen. Eine Anhebung des Regelsatzes zöge eine Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrages nach sich, würde also gerade die niedrigen und niedrigsten Einkommen steuerlich zusätzlich entlasten; Gleiches gälte für andere Einkommen, weil die Progression gemildert würde. Eine Anhebung des Regelsatzes wäre also gleichzeitig ein Steuerentlastungsprogramm. ({11}) An die SPD gerichtet sage ich: Bevor Sie sich irgendwelche Gedanken um merkwürdige Konsumgutscheine machen, sollten Sie den viel näherliegenden Weg wählen: Eine Anhebung des Regelsatzes wird unmittelbar wirksam werden für die Binnennachfrage, und das ist in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage absolut das Gebot der Stunde. ({12}) Machen Sie die Einwände, die Sie haben, also nicht zu Vorwänden dafür, einfach überhaupt nichts zu tun, sondern versuchen Sie einfach einmal, Lebenssituationen nachzuvollziehen und mit einer ökonomisch sinnvollen und sozialpolitisch dringend gebotenen Argumentation zu verknüpfen! Wir als Bündnis 90/Die Grünen versuchen das jedenfalls. Wir haben klare Konzepte dazu vorgelegt. Ich kann Sie nur auffordern, unseren Anträgen zu folgen, so wie das in Teilen sämtliche Bundesländer schon getan haben. Vielen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele HillerOhm für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Anträge liegen uns vor. Wir werden alle drei Anträge ablehnen. Die Linksfraktion fordert eine Aufstockung des Eckregelsatzes für Erwachsene von derzeit 351 Euro auf 435 Euro. Die Grünen sprechen sich - sie sind etwas bescheidener - für eine Aufstockung auf 420 Euro aus. Diese Forderungen passen gut zu Weihnachten, nicht jedoch in die Systematik der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Mit dieser Stichprobe werden nämlich die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in den unteren Einkommensgruppen bemessen. Diese Forderungen passen auch nicht zu den Forderungen der Linken, Länder und Kommunen von Sozialleistungen zu entlasten; denn natürlich würden die 10 Milliarden Euro, die die Erhöhung pro Jahr in etwa kostet, auch von Ländern und Kommunen zu stemmen sein. Wir halten es auch für falsch, die Regelsätze an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten zu koppeln, wie es Grüne und Linke in ihren Anträgen fordern. Dies hätte eine ungerechtfertigte Besserstellung der Transferleistungsbezieher gegenüber den Erwerbstätigen und den Rentnerinnen und Rentnern zur Folge. Das wollen wir nicht. Aber es ist richtig, dass wir das Thema Kinderregelsätze debattieren. Hier besteht Handlungsbedarf. Die Kinderregelsätze basieren nicht unmittelbar - wie die Erwachsenenregelsätze - auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe; sie orientieren sich - je nach Alter des Kindes - an dem Regelsatz eines alleinlebenden Erwachsenen. Dies ist ein Bruch im System; denn es wird nicht der reale Verbrauch von Kindern erfasst. ({0}) Das Prinzip der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sollte jedoch für alle beteiligten Gruppen gleichermaßen gelten. Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Einsetzung einer Kommission, die die Bedarfe für Kinder ermittelt ein interessanter Vorschlag. Wie aber, so frage ich Sie, wollen Sie dies in Einklang mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bringen, die Sie gemeinsam mit uns unter Rot-Grün noch für richtig befunden haben? Die Einsetzung einer Kommission wäre eine Abkehr von der bisherigen Systematik der Regelsatzbemessung. Ob dies gut wäre, muss ernsthaft bezweifelt werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte jetzt gerne fortfahren. Auch Menschen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, haben ein Recht darauf, als mündig handelnde Bürgerinnen und Bürger anerkannt zu werden. Das unterstreichen wir mit der gegenwärtigen Regelsatzbemessung anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Nicht wir oder irgendwelche Experten sagen, wofür Menschen mit kleinen Einkommen ihr Geld auszugeben haben; sie bestimmen es selbst und das ist auch richtig so. ({0}) Wir sollten genauso bei den Regelsatzbemessungen für Kinder verfahren. Natürlich muss sich das Verbrauchsverhalten nicht zwangsläufig mit den tatsächlichen Bedarfen decken. Doch dieses Problem trifft nicht nur auf Eltern und Kinder im Sozialleistungsbezug zu. Um die Entwicklungschancen für alle Kinder zu verbessern, müssen wir deshalb den Blick viel stärker auf den Ausbau der Infrastruktur richten, also auf den Ausbau von Krippen, Kitas und Ganztagsschulen mit Verpflegung und Förderangeboten. Davon finde ich in den vorliegenden Anträgen von den Linken und den Grünen allerdings überhaupt nichts. ({1}) Wenn wir die derzeitigen Regelsätze für die Kinder betrachten, sollten wir bedenken, dass eine stärkere Differenzierung hinsichtlich des Alters wichtig ist. Das derzeitige Verfahren der Regelsatzbemessung wurde in der Anhörung am 16. Juni von fast allen Sachverständigen für unzureichend erklärt. Auch der Bundesrat hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt und am 23. Mai einen Beschluss dazu gefasst. Die Länder wollen eine Berücksichtigung des kinderspezifischen Bedarfs bei der Bemessung der Regelleistungen. Sie sprechen sich darüber hinaus dafür aus, dass die Mittagsverpflegung in Schulen und Kindertagesstätten, dass Lernmittel sowie Bildungs- und Betreuungsangebote am Nachmittag durch die Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII abgedeckt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich über diese Initiative sehr gefreut. Es geht um die Kinder bedürftiger Eltern, und endlich ziehen die Länder einmal an einem Strang. Irritiert hat mich allerdings, warum die Länder das, was sie für notwendig halten, nicht selbst bereits durchführen. Bildung ist Sache der Länder. Warum gibt es nicht in sämtlichen Bundesländern flächendeckend Ganztagsschulen mit Mittags- und Förderangeboten für alle Kinder? Warum haben wir in Deutschland keine Schulen, in denen bedürftigen Schülerinnen und Schülern die Lernmaterialien kostenlos zur Verfügung gestellt werden? ({2}) Das, was die Länder fordern, liegt in ihrer eigenen politischen Verantwortung. Sie könnten es also tun. Warum machen sie es nicht? Der Beschluss der Bundesländer zeigt die Defizite, aber durchaus auch den Willen zur Veränderung. Das ist zu begrüßen. Ich erwarte jedoch, dass sich die Initiative der Bundesländer nicht nur in Forderungen gegenüber dem Bund erschöpft, sondern auch die Bereitschaft beinhaltet, die finanziellen Maßnahmen gemeinsam umzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Unterstützung bedürftiger Eltern mit schulpflichtigen Kindern sind wir mit dem Schulbedarfspaket ein gutes Stück vorangekommen. 100 Euro pro Schuljahr für Schulmaterial - das kostet den Bund rund 119 Millionen Euro. Die Länder und Kommunen sind mit 2 Millionen Euro im Jahr dabei. Für die betroffenen Kinder bedeutet das mehr Bildungsgerechtigkeit. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Er sollte eigentlich auch die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken finden. Selbstverständlich, Herr Kurth und Herr Gysi, setzen wir uns weiterhin mit aller Kraft dafür ein, dass das Schulbedarfspaket für allgemein- und berufsbildende Schulen nicht nur bis zur 10. Klasse, sondern selbstverständlich bis zum Abitur bereitgestellt wird. ({3}) Natürlich muss es auch bei der Neubemessung der Kinderregelsätze vorangehen. Hier ist das Bundesministerium gefordert, einen Vorschlag vorzulegen. Das ist sicherlich kein leichtes Unterfangen; denn der Vorschlag soll ja Hand und Fuß haben, wissenschaftlich abgesichert und transparent sein. Ich bin sehr auf das Ergebnis gespannt, das hoffentlich bald vorliegt. Dieses Ergebnis böte eine solide Grundlage, um diese wichtige Debatte fortzuführen und zügig bedürftige Kinder so zu unterstützen, wie sie es brauchen. ({4}) Dies ist mein Wunsch zum Jahresbeginn 2009. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat zunächst der Kollege Kurth. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Hiller-Ohm, Sie haben gerade gefragt, warum wir fordern, dass die Bemessung der Kinderbedarfssätze von einer unabhängigen Kommission vorgenommen wird, und wir nicht abwarten wollen, bis die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegt und herangezogen werden kann. ({0}) Es ist so - das können Sie in unserem Antrag nachlesen -, dass wir wollen, dass eine unabhängige Kommission unter anderem prüfet, wie man eine neu einzurichtende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe für Kinder vornehmen kann. ({1}) Dass wir wollen, dass eine Bedarfserhebung unmittelbar von unabhängigen Experten durchgeführt wird, liegt darin begründet, dass die Regierung, die die Koalitionsfraktionen tragen, den Hinweis auf die Einkommensund Verbrauchsstichprobe seit Jahren nutzt, um trotz jährlich größer werdenden Handlungsbedarfs Maßnahmen von Jahr zu Jahr zu verschieben, und selbst nichts vornimmt. ({2}) Wir halten, wenn man so will, eine Art Soforthilfe für dringend nötig. An dieser Stelle muss etwas passieren. Man darf Maßnahmen nicht auf den Sankt-NimmerleinsTag verschieben. Wir täten auch gut daran, aus den Erfahrungen zu lernen, die wir in den Jahren 2002 bis 2005 bei der Ermittlung der Regelsätze aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gesammelt haben. Es ist nämlich so - das ist zumindest meine Wahrnehmung -, dass dadurch, dass die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Ministerium auf Regelsätze heruntergerechnet wird und entsprechende Abschläge vorgenommen werden, das ganze Verfahren nicht in dem Maße transparent und unabhängig ist, wie es eigentlich sein sollte und wie es notwendig wäre, damit die ermittelten Werte gesellschaftlich akzeptiert werden. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Hiller-Ohm.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kurth, eine Kommission würde an dieser Stelle aus meiner Sicht nichts bringen. Wir würden uns weiterhin streiten, ob es zu viel oder zu wenig ist, ob die Abschläge vom Ministerium richtig berechnet sind oder nicht. Wir haben uns auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe als Grundlage geeinigt. Sie wird, soweit ich weiß, von niemandem angezweifelt. Sie ist ein gutes Instrument, viel besser als der bevormundende Warenkorb, den wir vorher als Grundlage hatten. Deshalb sollten wir daran festhalten und auf dieser Grundlage auch die Berechnung für die Kinder durchführen. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich, dass wir diesen Weg gehen. Eine Kommission würde dieses Prinzip aushebeln. Was soll die Kommission denn machen? Sie kann doch nicht den Verbrauch der Kinder im unteren Einkommensbereich ermitteln. Dieser Verbrauch wird von den Statistikern ermittelt, die die Einkommens- und Verbrauchsstatistik erstellen und auswerten. Die Kommission könnte nur festlegen, was Kinder in unserer Gesellschaft für ihre Entwicklung brauchen, nicht aber, was sie verbrauchen. Da wird es immer Unterschiede geben. Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen. Dass Eltern die Bedarfe ihrer Kinder nicht immer richtig decken, ist nicht allein ein Problem der Leistungsbezieher und -bezieherinnen, sondern ein gesellschaftliches Problem, das auch bei Eltern mit hohen Einkommen auftritt. Auch dort gibt es zum Beispiel Fehlernährung; auch dort ist nicht immer gesundes Essen auf dem Tisch, wie wir uns das vielleicht vorstellen. Auch dort wird Geld für Dinge ausgegeben, die der Bildung und der Gesundheit der Kinder nicht unbedingt förderlich sind. Das muss man sich vor Augen halten. Deshalb halte ich es für besser, sich, wie wir das bei den Erwachsenen machen, auch bei den Kindern an der Einkommens- und Verbrauchsstatistik zu orientieren, also an dem tatsächlichen Verbrauch der Menschen im unteren Einkommensbereich, und anhand dieser Statistik zu überprüfen, wie viel Geld für was ausgegeben wird. ({0}) Diese Übertragung ist sicherlich nicht so leicht. Aber Herr Thönnes hat darauf hingewiesen, dass das jetzt im Ministerium geprüft und vorbereitet wird. Herr Kurth, auch ich bin ungeduldig und würde mir wünschen, dass es schneller geht. Aber Herr Thönnes hat gesagt, dass wir bald mit einem Ergebnis rechnen können. Dann können wir uns darüber weiter heftig streiten. Ich halte von einer Kommission also nichts. Wir müssen auf der politischen Ebene über die Berechnung entscheiden. Wir haben uns auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe festgelegt, und das ist eine gute Grundlage für die weiteren Schritte, die nötig sind, um mehr Gerechtigkeit bei der Bemessung der Regelsätze für die Kinder zu erreichen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Heinz-Peter Haustein für die FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weihnachten steht vor der Tür. Alle meinen, Weihnachten ist vollkommen, wenn Schnee liegt, wenn weiße Weihnacht ist wie im Erzgebirge. Aber nichts ist vollkommen, auch das System der sozialen Marktwirtschaft nicht. Die soziale Marktwirtschaft garantiert uns jedoch ein Leben in Freiheit und Würde und ist immer noch hundertmal besser als die Diktatur des Proletariats, sprich: das sozialistische Wirtschaftssystem. ({0}) Was ist Hartz IV? Mit Hartz IV werden die Menschen alimentiert, die arbeitsfähig sind, aber keine Arbeit haben. Es sind zu viele, ({1}) aber sie erhalten Sicherheit in ihrem Leben: Sie bekommen eine Wohnung, und die Kosten für die Heizung werden übernommen. Auch wenn das Fenster einmal offen steht, die Heizkosten werden immer bezahlt. ({2}) Sie bekommen den Betrag, den die Linken und auch die Grünen jetzt weiter erhöhen wollen. In diesem Zusammenhang muss einmal beleuchtet werden, um welche Summen es eigentlich geht. Für eine Familie mit zwei Kindern über 15 Jahre geht es um ein Nettoeinkommen von etwa 1 600 Euro im Monat. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bei den ALG-II-EmpHeinz-Peter Haustein fängern 439 Euro an Sozialleistungen hinzukommen. Aber 1 600 Euro muss man erst einmal verdienen. ({3}) Das ist über den Ruf nach Mindestlöhnen nicht zu erreichen; das greift zu kurz. Nun gibt es verschiedene Varianten, das Ganze gerechter zu gestalten. Die FDP ist der Meinung, dass eine Erhöhung des Regelsatzes nicht das Richtige ist. Wir sagen: Senkt die Lohnnebenkosten und die Steuern! Das käme einer Regelsatzerhöhung gleich. ({4}) Diesen Weg gehen wir. Schafft endlich diesen sinnlosen, schwachsinnigen Gesundheitsfonds ab! Senkt den Rentenversicherungsbeitrag so weit wie möglich! Nutzt alle Spielräume aus! Senkt die Mehrwertsteuer! Dann haben auch die Hartz-IV-Empfänger mehr Geld und können die Binnenwirtschaft ankurbeln. ({5}) Da sich die Linken immer so gönnerhaft darstellen, möchte ich einmal etwas aus der DDR-Zeit erzählen. Meine Mutter erhielt damals eine Rente von 320 Mark Ost. Wie viel heute ein Rentner erhält, das wissen Sie. Ich weiß, dass man das nicht eins zu eins vergleichen kann. Ich weiß aber auch, dass ein Familienvater mit zwei Kindern 600 Mark Ost verdient hat. Damit will ich sagen, dass wir ein Niveau erreicht haben, das wesentlich höher ist als das, das es zu DDR-Zeiten jemals gegeben hat. Deshalb steht es euch nicht zu, immer nur zu fordern. ({6}) Sie müssen auch sehen, wer dieses Geld aufbringen muss. Das sind die vielen fleißigen Leute in unserem Lande. Das sind auch die zu Unrecht gescholtenen Beamten. Das sind auch die 27 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigten, die dazu beitragen, dass das Geld aufgebracht wird; denn es geht immerhin um 35 Milliarden Euro. Das entspricht dem Haushaltsvolumen Sachsens für zwei Jahre. Mit diesem Geld werden die Leute alimentiert. Besser wäre es, Bedingungen zu schaffen, dass die Menschen nicht mehr von Hartz IV leben müssen. ({7}) Wir haben gesagt, wie dies möglich ist: Senken Sie die Lohnnebenkosten und die Steuern! Das braucht unser Land. Schaffen Sie außerdem diese sinnlose übertriebene Bürokratie ab, die das Land vom kleinen Unternehmer über den Handwerksmeister bis zum großen Betrieb lähmt. Diese Bürokratie ist viel zu groß. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Haustein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich, Herr Gysi, bitte.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Sie sprechen davon, dass es die Lohnund Gehaltsempfänger bezahlen müssten, wenn wir den Sockelbetrag aufstocken würden. Sie müssen aber doch akzeptieren, dass es unterschiedliche Steuern gibt. Stimmen Sie dem zu, dass man das Ganze finanzieren könnte, ohne dass die Gehalts- und Lohnempfänger betroffen sind, wenn wir wieder eine Vermögensteuer erheben würden, wenn wir eine gerechte Erbschaftsteuer hätten anstatt des Witzes, der hier beschlossen wurde, und wenn wir eine Börsenumsatzsteuer erheben würden? ({0}) Warum weichen Sie immer auf die Gehalts- und Lohnempfänger aus, lassen aber andere Steuern außer Betracht, die man erhöhen könnte? Man würde im Übrigen unsere Gesellschaft gerechter machen, wenn man sie in Betracht ziehen würde. ({1})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich stimme Ihnen ausdrücklich nicht zu, sage Ihnen aber, dass die FDP-Fraktion ein einfaches und gerechtes Steuersystem, das alles beleuchtet, mit niedrigen Steuern fordert. Das ist natürlich besser. Was Sie aber fordern, ist einseitig und haut so nicht hin. ({0}) Liebe Kollgen, ich könnte Ihnen noch sehr viel zu Hartz IV erzählen. Sie kennen unsere Position: Abgaben senken, Steuern senken und dafür sorgen, dass mehr Leute in Arbeit kommen. Auch in diesem Jahr gibt es an Weihnachten wieder ein Geschenk von mir. Ich schenke Ihnen noch eine Minute meiner Redezeit, und das verlängert Ihr Weihnachtsfest um eine Minute. Herzlichen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit zwei Dingen möchte ich gleich am Anfang aufräumen, Herr Gysi. Erstens. Sie wissen ganz genau, dass der Finanzschutzschirm, der innerhalb einer Woche - ich sage, das war eine parlamentarische Meisterleistung - gespannt werden musste, um nicht das gesamte Finanzsystem den Bach runtergehen zu lassen, nicht allein den Bankern, nicht den Bankeninhabern und auch nicht den Aktionären, sondern allen unseren Bürgern genutzt hat. Es ging darum, den Finanzkreislauf aufrechtzuerhalten. Sagen Sie bitte nicht in aller Öffentlichkeit vor diesem Parlament: Die 500 Milliarden Euro habt ihr aufgebracht und hingelegt, und den anderen armen Schluckern gebt ihr nichts. - Das ist eine verquere Diskussion, die Sie hier bewusst führen. ({0}) Einen zweiten Punkt möchte ich in aller Deutlichkeit erwähnen. Sie sprachen davon, dass es Gleichmacherei sei, wenn Menschen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Langzeitarbeitslosigkeit, also in den Bezug der Grundsicherung nach SGB II, übergehen. So kann man diskutieren; das ist gar keine Frage. Aber Sie müssen mit dem Gedanken an das Ganze herangehen, dass der Pförtner - um Ihr Beispiel aufzugreifen - genauso wie der Ingenieur alle Unterstützungen bekommen muss, um wieder in Arbeit zu kommen. Es kommt also nicht darauf an, dass sie die gleichen Summen bekommen. Denn im Mittelpunkt des gesamten SGB II stehen nicht die Leistungen, die wir dem Einzelnen gewähren. Im Mittelpunkt steht, wie wir den Menschen helfen können, wieder in Beschäftigung zu kommen. Unter diesen Gesichtspunkten sind die Einzelnen in der Tat gleich und haben das Anrecht auf die gleiche Unterstützung. Das hat aber mit Gleichmacherei nichts zu tun. ({1}) Familien und damit Kinder, die Grundsicherung beziehen, sind durchaus - das will ich überhaupt nicht beschönigen - in einer durch verschiedene Gesichtspunkte geprägten schwierigen Situation. Das können finanzielle und oft auch soziale Gesichtspunkte sein, und es ist ganz sicher die ganze im Bildungsbereich bestehende Problematik. Kinder sind nicht arm, weil sie Grundsicherung beziehen, sondern weil die Eltern, mit denen sie in einer Bedarfsgemeinschaft leben, nicht über ein Erwerbseinkommen verfügen oder das Erwerbseinkommen niedriger ist als das, was ihnen nach der Grundsicherung zustehen würde. Die Grundsicherung macht nicht arm, sondern bewahrt vor absoluter Armut. ({2}) Der Schlüssel zur Verbesserung der materiellen Lage der Kinder liegt in der Erwerbsarbeit, in der Verbesserung der Bildungschancen und in einer Veränderung und Stärkung tragfähiger, positiv gestalteter sozialer Netze. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Schulstarterpaket zu sehen. Es ist ein Beitrag, zu helfen, dass Kinder, die in dieser Situation sind, bessere Chancen haben, im Bildungsbereich mitzuhalten und mitzuwirken. Die Anpassung der Leistungen für Kinder, die von Grundsicherung leben, kann nicht, wie dies in den vorliegenden Anträgen gefordert wird, am Kindergeld und womöglich an den aktuellen Kostenentwicklungen gemessen werden. Hier muss der Grundbedarf ermittelt werden, und zwar eigenständig und nicht abgeleitet von dem der Erwachsenen. Daran arbeitet die Bundesregierung, wie es der Staatssekretär dargestellt hat. Wir bewegen uns hier, glaube ich, auf einem richtigen Weg. ({3}) Im Übrigen kann die Höhe der Grundsicherung nicht nur das Ergebnis von Berechnungen sein, sondern ist auch in Relation zum Einkommen aus Erwerbsarbeit zu sehen. Ich sehe sehr deutlich, dass die in der Grundsicherung geregelten Bedarfe für Kinder eine zum Teil schwierige Vermischung der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik darstellen. Die Grundsicherung wird vom Steuerzahler finanziert. Ich kenne keine Tarifregelung, bei der Einkommen aus Arbeitsleistungen automatisch entsprechend der Höhe der Inflationsrate angepasst werden. Folglich geht das auch nicht bei denjenigen, die von den Steuerzahlern Grundsicherung bekommen. ({4}) Dieselbe Systematik gilt übrigens auch bei der umlagefinanzierten Rente. Diese hängt ebenso wie die anderen staatlichen Leistungen von den Erwerbstätigen, den Beitragszahlern und den Steuerzahlern ab. Unser Ziel kann es nicht sein, das Verbleiben in staatsabhängigen Transferleistungen zu stabilisieren. Unser Ziel muss es doch sein, dass Menschen aus der Abhängigkeit vom Staat herauskommen. ({5}) Meine Damen und Herren, ich sage es sehr deutlich: Das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun. Das hat etwas mit unserem Menschenbild zu tun. Als unsere Kinder in der Berufsausbildung ihr erstes Geld bekamen, da waren sie stolz darauf, dass sie etwas weniger von ihren Eltern abhängig waren. Es hat etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun, dass ich auf das, was ich selbst geschaffen und verdient habe, stolz sein kann. ({6}) Dahin müssen wir die Menschen bringen; denn dies hat zutiefst etwas mit unserem Menschenbild zu tun. Im Zentrum unserer Anstrengungen steht deswegen, die Menschen aus der Grundsicherung heraus und wieder in Beschäftigung zu bringen. Dies entspricht diesem Menschenbild. Dazu gehört, dass derjenige, der einer Erwerbsarbeit nachgeht, mehr haben muss als derjenige, der von staatlichen Transferleistungen lebt. ({7}) Ich gestehe zu, dass es da auch Spannungslagen gibt. Wir wissen, dass Menschen, die allein in einer Bedarfsgemeinschaft leben, schneller vermittelt werden - mittlerweile ist das durch Beobachtungen der Bundesagentur für Arbeit und durch andere erhärtet - als diejenigen, die mit mehreren Personen, mit mehreren Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Da gibt es Zusammenhänge zwischen den Transfereinkommen und dem am Markt möglicherweise zu erzielenden Einkommen durch Gehaltsleistungen. ({8}) Ich will Ihnen das in aller Deutlichkeit an zwei Beispielen zeigen. Ein Klempner- und Installateurmeister bzw. ein Obermonteur, der nach Abschluss seiner Gesellenprüfung eine achtjährige Berufserfahrung hat, bekommt nach dem ordentlichen Tarifvertrag in Nordrhein-Westfalen etwa 2 640 Euro brutto. Das macht netto 1 933 Euro. Der hat zwei Kinder und ist in der Steuerklasse III. Seine Frau ist nicht erwerbstätig. Ein Bezieher von Grundeinkommen, von Grundleistung, der in derselben familiären Situation ist, bekommt in demselben Bundesland in aller Regel im Durchschnitt etwa 1 780 Euro. ({9}) Ich sage in aller Deutlichkeit - es geht um das Grundprinzip, Herr Kollege Kurth -, dass der, der 40 Stunden in der Woche arbeitet, deutlich mehr haben muss als der, der nicht der Erwerbsarbeit - aus welchen Gründen auch immer - nachgeht. Auch das hat etwas mit klaren Strukturen in unserer Gesellschaft zu tun. ({10}) Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen und knüpfe daran an, was Staatssekretär Thönnes vorhin in seinem Beispiel gebracht hat. Eine Alleinerziehende, die von Grundsicherung lebt und ein Kind hat, hat in Nordrhein-Westfalen nach SGB II Anspruch auf etwa 1 264 Euro. ({11}) - Das hat mit Sozialneid nichts zu tun. Eine Floristin, die im Monat 1 592 Euro verdient, hat 1 143 Euro netto und erhält dazu noch Kindergeld. Sie kommt auf insgesamt 1 297,16 Euro. Ich will in dieser Deutlichkeit sagen - nicht, um Sozialneid zu schüren, sondern um ein Verständnis dafür hinzukriegen -, dass wir die Waage ins Gleichgewicht bringen müssen zwischen denen, die in der Erwerbsarbeit sind, und denen, die - aus welchen Gründen auch immer - dem Erwerb nicht nachkommen können. Das ist der entscheidende Punkt. ({12}) Die Koppelung der Grundsicherung an die Höhe der Rentenanpassung hat einen tiefen Sinn, und dieser tiefe Sinn hängt einfach damit zusammen, dass die Rente nicht höher sein kann als das Erwerbseinkommen vorher, dass die Rente von der nächsten Generation erwirtschaftet wird und dass vom Steuerzahler nicht unerhebliche Beiträge für die sogenannten versicherungsfremden Leistungen erbracht werden. Auch die Grundsicherung muss von den Steuerzahlern erwirtschaftet werden. Deswegen ist die Grundsicherung an die Rentenbeiträge gekoppelt, weil niemand, der Geld verdient, automatisch einen Inflationsausgleich bekommt. Deswegen müssen diese Dinge in dieser Form auch zusammen gesehen werden. ({13}) Damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden werde: Wir müssen alles unternehmen, um Kinder zu fördern, die in Haushalten leben, die von der Grundsicherung leben oder gar ausschließlich darauf angewiesen sind. Wir haben solche Schritte unternommen, wir haben den Kinderzuschlag eingeführt, und wir sind dabei, das Schulstarterpaket zu schnüren. Ich glaube auch, dass es in dieser Frage notwendig ist - wir haben es öfter erwähnt -, dass wir die Bemessungsgrenze oder die Ermittlung der Regelleistungen für Kinder noch einmal eigenständig überprüfen müssen. Nach meiner festen Überzeugung darf der Staat den Eltern die Verantwortung für die Kinder nicht nehmen. Die Eltern tragen Verantwortung für die Erziehung der Kinder. ({14}) Wir wissen aber, dass es Eltern gibt, die damit überfordert sind. Circa 2,5 Millionen Menschen leben in der zweiten oder dritten Generation von Sozialhilfe. ({15}) Viele Fachleute raten uns dringend, hier in allererster Linie strukturelle Hilfen anzubieten und auf keinen Fall den Eltern höhere staatliche Leistungen zu zahlen. Das sagen uns Leute, die in entsprechenden sozialen Brennpunkten in den Großstädten arbeiten und mit denen wir bereits Anfang des Jahres zusammengesessen haben, als wir uns als CDU-Fraktion mit diesem Thema intensiver beschäftigt haben. Was diese Menschen brauchen und was diese Kinder brauchen, weil wir kein Kind verloren gehen lassen dürfen, weil jedes Kind eine Chance auf eine gute Entwick21380 lung haben muss, sind verlässliche, planbare, langfristig angelegte Hilfen. Das ist so wie bei Menschen, die sich in einer sehr schwierigen Situation befinden, die - ich bringe dieses Beispiel einmal - in einer großen Kuhle leben, aus der sie nicht mehr herauskommen. Denen stellt man Leitern hinein, die man nicht nach Bedarf wieder herausholt, sondern darin stehen lässt, und den Menschen, die unten am Fuße der Leiter stehen, hilft man, den Fuß auf die erste Leiterstufe zu setzen. Sie brauchen verlässliche Unterstützung, damit sie wieder in das Leben zurückkehren, indem sie mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. ({16}) Diese Kinder brauchen alles an Unterstützung, was notwendig ist, damit sie nicht dieselbe Entwicklung wie ihre Großeltern, ein Teil ihrer Großeltern oder ihre Eltern nehmen. Das ist eine der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Eine Förderung und Unterstützung dieser Kinder in ganz zentralen Bereichen ist notwendig, um ihnen eine Perspektive bieten zu können. Ich mache mir Sorgen um diese Kinder, weil es nicht nur um deren Zukunft geht, sondern auch um unsere. Herzlichen Dank. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte drängt einem das Bild auf, dass im Parlament auf der einen Seite die Menschenfreunde sitzen, die eine Erhöhung der Regelsätze beantragen, und auf der anderen Seite die Hartherzigen sitzen, die sich dem verweigern. ({0}) Ich glaube, dass das Thema „Armut und Armutsbekämpfung“ wichtig ist. Ich glaube aber auch, dass es in vielerlei Hinsicht skandalträchtig ist - darauf werde ich noch zurückkommen -, was zur Folge hat, dass wir wie in einem Auktionshaus in einen Wettbewerb eintreten: Wer bietet die höchsten Regelsätze? Ich bin der Meinung, dass das der wichtigste Grund ist, warum die Regelsätze per Rechtsverordnung von Bundesregierung und Ministerpräsidenten und nicht vom Deutschen Bundestag beschlossen werden, was einer Forderung entspricht, die von unabhängigen Kommissionen unter Beteiligung sozial erfahrener Experten und Wissenschaftler erhoben worden ist. Selbstverständlich müssen die Sätze der Grundsicherung regelmäßig überprüft und angepasst werden. Genau das ist in den letzten Jahren geschehen. Sie tun so, als sei das nicht passiert. Nur weil der Antrag schon so alt ist und dementsprechend die Regelsätze von 2007 enthält, heißt das nicht, dass sie in 2008 nicht erhöht worden sind. Das muss man den Grünen einmal sagen. Das ist reiner Formalismus; damit müssen wir uns nicht aufhalten. Ich bin der Meinung, dass das von Bundesrat und Bundesregierung damals einstimmig beschlossene Modell zur statistischen Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichproben unter Einbeziehung der jährlichen Anpassung der gesetzlichen Renten auf der Grundlage der Entwicklung der Arbeitseinkommen vernünftig und solidarisch ist: die Solidarität der Starken mit den Schwachen. Die per Rechtsverordnung festgestellten Regelsätze sind vom Bundessozialgericht 2006 ausdrücklich - Herr Gysi, Sie sprachen das in dieser Debatte vorhin an - für verfassungskonform erklärt worden. Bei den neuen Klagen bezüglich der Kinderregelsätze geht es - wie früher bei der Sozialhilfe - um einen Rechtsanspruch. Das Widerspruchs- bzw. Klagerecht ist ein Recht der Bürger, die auf Transferleistungen angewiesen sind. Es bleibt dabei: Die Überprüfung der Zeiträume, der Statistikgrundlagen und der Bedarfsgerechtigkeit von Regelsätzen, die wir in Auftrag gegeben haben, wird von dieser Koalition ausgewertet werden. Das ist normal und vernünftig. Die EVS 2008 muss ausgewertet werden. Wir diskutieren auf der Basis harter Zahlen und Fakten und führen keine moralisierende Debatte. Welche Fakten betreffen die Anpassung? Während das Kindergeld für alle Familien erstmals nach nunmehr sieben Jahren - das kann man ja kritisieren - nur um 10 Euro erhöht worden ist, sind die Regelsätze im SGB XII und damit ab 2005 auch im SGB II wesentlich öfter und um höhere Beträge angepasst worden - ich will sie jetzt nicht im Einzelnen nennen; das kann man in den Informationen des Bundesministeriums nachlesen -: Seit 2005 wurde der Regelsatz in den alten Bundesländern nach dem SGB II um 10 Euro und für Kinder ab dem 14. Lebensjahr um 19 Euro erhöht, in den neuen Bundesländern um 19 und 24 Euro. Nachdem die Ableitung vom Eckregelsatz für Kinder bis sieben Jahre bereits eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Sozialhilferegelung um 10 Prozent gebracht hat, kommt jetzt das bereits erwähnte Schulbedarfspaket hinzu, das für die Altersstufe der 6- bis 16-Jährigen konzipiert ist. Diese Altersgruppe wird in den Anträgen angesprochen. Pro Schuljahr werden 100 Euro pro Kind gezahlt. Das garantiert diese Bundesregierung. Damit werden im Gegensatz zu Ihrer Darstellung wesentliche Forderungen der Wohlfahrtsverbände in die Tat umgesetzt. ({1}) Es ist also nicht so, dass wir nichts tun. Natürlich ist nichts so gut, dass wir es nicht noch verbessern könnten. Wir Sozialdemokraten wollen nicht nur die Sachleistungen für Schulmaterial bis zum Schulabschluss, also auch über das zehnte Schuljahr hinaus, sondern wir wollen auch die öffentliche Infrastruktur, insbesondere die Angebote für finanziell schwächer gestellte Familien und Kinder in den Kommunen und in den BildungssysteRolf Stöckel men, verbessern. Das würde die Kinderarmut effizienter bekämpfen als Ihr Wettbewerb um die höchsten Regelsätze. ({2}) - Ja, im zweiten Antrag der Grünen steht vieles, was ich unbedingt unterschreiben würde. Dazu müssen wir besonders die Kommunen, in denen es sehr viele Langzeitarbeitslose gibt, befähigen. Sie haben die meisten Lasten zu tragen und können die wenigsten Angebote machen. ({3}) Wenn wir das in einem Investitionsprogramm Anfang des neuen Jahres miteinander verbinden können, ist es umso besser. ({4}) Wir dürfen bei allen Prüfaufträgen nicht vergessen, in welcher Relation das Existenzminimum für Kinder in Arbeitnehmerfamilien zu den Bedarfssätzen steht, nämlich knapp darüber. Deshalb war es richtig, das Kindergeld zu erhöhen, den Kinderzuschlag zu verbessern, das BAföG und das Wohngeld zu erhöhen, damit weniger Familien von der Grundsicherung abhängig sind. Wir wollen dafür sorgen, dass sie da rauskommen. Unser Ziel sind nicht höchste Grundsicherungssätze, die alles staatliche Handeln, ziviles Engagement und Eigenverantwortung ersetzen, sondern unser Ziel ist, dass die betroffenen Familien möglichst schnell und nachhaltig aus der Hilfesituation herausfinden und von der Hilfe unabhängig werden. ({5}) Die Anreize für erwerbsfähige Hilfeberechtigte, erwerbstätig zu werden, dürfen nicht erstickt werden. Dies ist eine richtige Diskussion und muss keine Sozialneidoder Spalterdiskussion sein. Wir stehen deshalb für Integration und Teilhabe und nicht für bezahlte Ausgrenzung. Es ist grober Unfug, wenn zum Beispiel mit Bundesmitteln alles in Geldleistungen umgewandelt wird - auch das steht in Teilen Ihrer Anträge -, wozu Länder oder Kommunen trotz Zuständigkeit nicht mehr bereit oder in der Lage sind; dies betrifft insbesondere öffentliche Angebote oder Infrastruktur. Ich spreche zum Beispiel die Lernmittelfreiheit der Länder an. Sie haben bei der Föderalismusreform darauf bestanden, dass sie allein die Zuständigkeiten dafür haben. Zum Beispiel die Regierung Rüttgers in NRW hat mit dem KiBiz-Gesetz, wenn wir heute die Einrichtungen und Kommunen hören, die Zugänge gerade für die Schwächsten eher erschwert als erleichtert und die Qualität damit nicht verbessert. ({6}) Man wehrt sich aus rein ideologischen Gründen gegen bessere Bildungschancen und verteidigt das gescheiterte Dreiklassensystem der Halbtagsschulen. So darf das nicht bleiben. ({7}) - Ich könnte ja Ihre Ministerin Sommer zitieren; aber das mache ich jetzt nicht, weil ich Redezeit an den Staatssekretär abgeben musste.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Und weil die Redezeit schon abgelaufen ist.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Es ist doch absurd und ein Armutszeugnis für uns alle - ich verstehe den DPWV da gut -, wenn die Kosten für private Nachhilfe, die aufgrund der Defizite im öffentlichen Schulsystem explodieren, jetzt über die Regelsätze finanziert werden sollen. Warum finanzieren wir nicht Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungs- und Entwicklungschancen von Anfang an? Es gibt noch viele Beispiele. Schauen Sie einmal auf die Internetseite der Stadt Dormagen. Dort können Sie lesen, wie Heinz Hilgers, der Bürgermeister und Präsident des Kinderschutzbundes, nicht mit mehr Geld, sondern einfach nur mit einer anderen Mentalität und Engagement etwas für schwache Familien und deren Kinder tut.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Wir müssen in der Tat darüber nachdenken, wie wir die öffentliche Infrastruktur, die vor allen Dingen auch den ausgegrenzten und sozial schwächeren Familien in unserem Land helfen kann, effektiver gestalten können. So einfach wie mit diesen Anträgen kommen Sie bei uns und hoffentlich auch in der Öffentlichkeit nicht durch. Deswegen lehnen wir sie ab. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen eine erholsame, besinnliche und für die Antragsteller auch nachdenkliche Weihnachtspause. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir in die Weihnachtspause eintreten, haben wir erstens noch einige Abstimmungen zu erledigen und zweitens Debatten zu anderen Punkten zu führen. Zunächst kommen wir zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozia- les auf Drucksache 16/10336. Der Ausschuss empfiehlt un- ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7040 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt mit dem Titel „Regelsätze erhöhen - Dynamisierung an- passen - Kosten für Schulbedarfe abdecken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage- gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist da- mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7113 mit dem Titel „Regelsätze bedarfsgerecht anpassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage- gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist da- mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8761 mit dem Titel „Existenzsicherung und Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche durch bedarfsgerechte Kin- derregelsätze gewährleisten“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Damit kommen wir zu den Zusatzpunkten 8 a und 8 b: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts - Drucksache 16/10117 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) - Drucksache 16/11428 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Schultz ({1}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Novellierung des Vergaberechts für Bürokratieabbau nutzen - Bundesweit einheitliches Präqualifizierungssystem für Leistungen einführen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Werner Dreibus, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Tariftreue europarechtlich absichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vergaberecht reformieren - Rechtssicherheit schaffen - Eckpunkte für die Reform des Vergaberechts - Drucksachen 16/9092, 16/6930, 16/9636, 16/6791, 16/8810, 16/11428 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Schultz ({4}) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. ({5}) - Wenn die Kolleginnen und Kollegen, die sich voneinander verabschieden oder sonstige Gespräche führen wollen, dies erledigt haben, können wir mit der Debatte beginnen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Vergaberecht ist eine sperrige Materie, deren Prinzipien und Regeln sich nicht jedermann sofort erschließen. Es regelt die Fragestellung: Wie erteilt die öffentliche Hand Aufträge an die Wirtschaft? Das ist eine nicht ganz einfache Übergangs- und Schnittstelle. Deswegen muss sie anders geregelt sein, als man das beim normalen Vertragsrecht erwarten kann. Das Vergaberecht ist übermäßig verschachtelt und kompliziert und bedarf in der Tat seit langem einer Modernisierung. Schließlich ist das, was wir heute als Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses beschließen, nur die Novellierung eines Teils des gesamten Rechtskomplexes, nur eine Lockerungsübung und nicht die große Reform in all ihren Teilen. ({0}) Hauptaufgabe des Gesetzentwurfes der Koalition ist, klarere Regeln zu schaffen und bei allen Beteiligten für mehr Verständlichkeit zu sorgen. Unser wichtigstes Ziel war - so haben wir es in der Großen Koalition vereinbart -, das Vergaberecht mittelstandsfreundlich zu gestalten, mittelstandsfreundlicher als bisher. ({1}) Weitere Festlegungen, die wir getroffen haben, sind, dass es innerhalb des bestehenden Systems reformiert werden soll - es soll also nichts gänzlich Neues erfunden werden - und dass es unbürokratischer werden soll. Das waren die drei vereinbarten Ziele, die wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch erreichen. Verständlichkeit ist für die Unternehmen erforderlich, die sich mit Angeboten an Vorhaben der öffentlichen Hand beteiligen sollen. Verständnis und Akzeptanz der Vergaberegeln sind auch für alle öffentlichen Stellen erforderlich, die als Auftraggeber auftreten und einkaufen müssen; dadurch wird auch die Vergabe von Aufträgen für die öffentliche Hand erleichtert. Das ist ein schwieriges Thema; denn natürlich will man immer den Verdacht der Korruption vermeiden. Auch deswegen brauchen wir klare Regeln. An keiner anderen Stelle gerät man nämlich so schnell in den Verdacht der Korruption wie beim Übergang zwischen öffentlicher Wirtschaft und privater Wirtschaft; ({2}) das ist nun einmal so. Auch deswegen brauchen wir ein verlässliches Vergaberecht. Vielfach ist es bis heute so, dass im Vordergrund des Interesses der Anwender nicht das richtige Verständnis der Regeln steht, sondern der Wunsch, einen Weg zu finden, um die Pflicht zur Anwendung zu umgehen. Wir wollen sie allerdings beibehalten. Dabei geht es in der Tat um einen recht großen Komplex. Jedes Jahr werden nach diesen Regeln Aufträge mit einem Gesamtvolumen von mehr als 250 Milliarden Euro vergeben. Das entspricht 10 Prozent des Bruttosozialproduktes der Bundesrepublik Deutschland, ist also keine Petitesse. Ganz sicher wird durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz nicht jede Erwartung erfüllt. Es ist natürlich ein Kompromiss, mit dem aber sowohl Länder und Kommunen als auch die Wirtschaft leben können. Aus meiner Sicht sind gerade vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, dass jetzt rasch öffentliche Investitionen getätigt werden, zwei Regelungskomplexe besonders wichtig: Erstens meine ich die Klarstellung zum Begriff des öffentlichen Bauauftrags. Damit wird gesagt: Das Vergaberecht gilt nur für Beschaffungsvorgänge und nicht für jede vertragliche Beziehung von öffentlichen Auftraggebern mit Dritten - und zum Beispiel auch nicht für Grundstücksverkäufe. Es gab ein Urteil, in dem dieser Punkt intensiv behandelt wurde. Eine Kommune muss Grundstücke verkaufen können, ohne dass schon der Grundstücksverkauf als solcher ausschreibungspflichtig ist, auch wenn darauf später planungsrechtlich einwandfrei im öffentlichen Interesse gebaut wird. Ansonsten wäre das eine Ausdehnung der Anwendung von Vergaberechtsregelungen, durch die die kommunale Freiheit über die Maßen beeinträchtigt würde. ({3}) Mit der Eingrenzung des „öffentlichen Bauauftrags“ auf den Auftrag für einen öffentlichen Bau bestätigt der deutsche Gesetzgeber - hier gibt es einen Unterschied zu dem, was Europa vielleicht gerne hätte -, dass er die europäischen Richtlinien so versteht, wie sie in Brüssel verhandelt und abgeschlossen wurden. Er setzt ein klares Zeichen gegen eine schleichende Ausdehnung der europäischen Regeln auf Sachverhalte, auf die sie der eine oder andere gerne anwenden würde, die in Wahrheit aber nicht betroffen sind. Es ist zu hoffen, dass dieses Zeichen auch von deutschen Gerichten richtig verstanden wird. Es gibt mehrere brandaktuelle Vorgänge dieser Art. Deswegen ist hier auch Klarheit notwendig. Der zweite Aspekt ist die Mittelstandsfreundlichkeit. Er ist mir als Mittelstandsbeauftragtem natürlich besonders wichtig. Zu diesem Zweck haben wir den seit langem in § 97 Abs. 3 GWB „schlummernden“ Programmsatz über die Pflicht zur Losvergabe zu einer Regel mit Zähnen gemacht: In Zukunft ist ein Projekt in mittelstandsverträgliche Fach- und Teillose aufzuteilen. Das ist mutig. Wir müssen zusehen, dass wir die Wirtschaftlichkeit am Ende natürlich nicht gefährden; das ist auch klar. Wir wollen es jetzt aber einmal mit dieser Strenge versuchen, und wir werden unsere Erfahrungen sammeln. Ich gehe davon aus, dass das klappt. Die Gesamtvergabe bleibt natürlich möglich - aber nur als Ausnahmefall. Sie muss wirtschaftlich und technisch begründet werden. Wenn eine Aufteilung kaufmännisch unsinnig oder technisch unmöglich ist, dann muss natürlich auch die Gesamtvergabe möglich sein. An dieser Stelle haben wir bei PPP-Projekten ein offenes Problem mit der großen Bauindustrie. Wir wissen, dass es hier eine objektive Schwierigkeit gibt. Wir meinen allerdings auch, dass PPP-Projekte nicht dafür genutzt werden sollten, die Anwendung des Vergaberechts zu vermeiden. Deswegen wollen wir die Vergabe von PPP-Projekten denselben Regeln unterwerfen, nämlich dem Vergaberecht: keine Verschlimmerung, aber auch keine Erleichterung. Möglicherweise wird es darüber im Vermittlungsverfahren oder beim Bundesrat noch Diskussionen geben. Außerdem soll die gerade auf kleine und mittelständische Unternehmen immer wieder abschreckend wirkende Flut von Nachweisanforderungen eingedämmt werden. In dem Gesetzentwurf sind jetzt ausdrücklich Präqualifikationsmöglichkeiten vorgesehen, sodass die Unternehmen Nachweise über ihre Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nicht bei jedem Auftrag wieder neu abgeben müssen, sondern ein Nachweis muss jetzt einfach einmal für einen bestimmten Zeitraum reichen. Das ist auch ein Beitrag zum Bürokratieabbau. ({4}) Zum Schluss gestatten Sie mir noch einen Appell an den Bundesrat. Mir ist bewusst, dass der Bundesrat eine ganze Reihe von technischen Vorschlägen gemacht hat, denen wir nicht gefolgt sind. Sie beziehen sich zum größten Teil auf Regeln zum Rechtsschutz. Auch hier ist ein maßvoller Umgang das Gebot der Stunde. Wenn wir das Vergaberecht funktionsfähig erhalten sollen, dann müssen wir bei aller Notwendigkeit von Transparenz und Nachprüfbarkeit darauf achten, dass es handhabbar bleibt. Die rechtliche Auseinandersetzung muss die absolute Ausnahme bleiben. Es muss einen Rechtsweg geben - das ist allgemein so geregelt; mittlerweile auch weltweit -, aber er sollte die Ausnahme bleiben. Deswegen sind wir bei allen Zuspitzungen, zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen, sehr vorsichtig. Die Länder müssen viele Aufträge vergeben, und die Gemeinden vergeben den größten Teil der Aufträge. Deshalb bitte ich den Bundesrat auch in seinem eigenen Interesse, schnell Klarheit für Vergaben zu schaffen. Das ist das Gebot der Vernunft. Wir haben auch keine Regel aufgenommen - das ist noch einmal wichtig -, durch die die Kooperation von Kommunen und kommunalen Unternehmen untereinander von der Einhaltung vergaberechtlicher Regelungen ausdrücklich freigestellt wird. ({5}) Wir wollten möglichst das Prinzip beibehalten, dass die Ausschreibung ein sinnvolles Moment ist, um eine preiswürdige Auftragsvergabe zu sichern. Auch Kommunen können sich mit ihren Wirtschaftsbetrieben an Ausschreibungen beteiligen. Wer hindert sie denn daran? Sie können dann die Ausschreibung gewinnen. Aber grundsätzlich zu sagen, wenn Kommunen untereinander daran teilnehmen, muss es keine Ausschreibung geben, heißt, auf ein wichtiges Element von vernünftiger Preisfindung zu verzichten, und zwar zulasten des Bürgers, der das schließlich am Ende bezahlen muss. ({6}) Da wir in der Koalitionsvereinbarung festgehalten haben, den Mittelstand zu fördern - wir haben nicht die Ausweitung der Erleichterungen, zum Beispiel für Kommunen festgehalten -, haben wir uns dann in der Schlussrunde geeinigt, den alten Kurs beizubehalten, also keine Verschiebung zugunsten der kommunalen Seite und keine Verschiebung zugunsten der Privatisierungsseite, um diesen Begriff hier einmal einzuführen, vorzunehmen. Wir wollen den neutralen Weg, den wir in der Vergangenheit miteinander gegangen sind, beibehalten. Ich denke, das ist eine deutliche Verbesserung. Schwierig ist auch etwas anderes gewesen: Es hat viele Streitpunkte in der Frage der sogenannten vergabefremden Kriterien gegeben. Das Ergebnis ist ein klassischer Kompromiss, wie er eben in einer Großen Koalition zustande kommen kann. Er wird insgesamt zu einer verbesserten Anwendbarkeit des Vergaberechts führen. Einige Dinge, die den Gemeinden nicht mehr zuzumuten waren, werden nun korrigiert. Herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion. ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Modernisierung des Vergaberechts ist nötig; das ist gar keine Frage. Wir räumen auch gerne ein, dass das eine sehr schwierige Materie ist. Die Konflikte laufen hier nicht nur zwischen den Koalitionsfraktionen oder zwischen Koalition und Opposition, sondern sicherlich auch innerhalb der Fraktion. Es sind schwierige Sachverhalte; das muss man einräumen. Manche Punkte wurden von Ihnen, Herr Staatssekretär, gerade angesprochen. Trotzdem hat schon das Verfahren gezeigt, dass wir uns hier auf relativ dünnem Eis bewegen. Sie erinnern sich: Vor zwei Wochen hätten die zweite und dritte Lesung erfolgen sollen. Sie wurden kurzfristig abgesagt und für heute auf die Tagesordnung gesetzt. Die letzten Änderungsanträge haben wir irgendwann am Dienstagabend bekommen. Am Mittwochmorgen, kurz vor der Ausschusssitzung, wurden noch einmal Änderungen vorgenommen. Das zeigt schon, dass hier etwas mit heißer Nadel gestrickt wurde, das sich jetzt in der Praxis bewähren muss. Die Frage ist, ob das alles so haltbar sein wird. ({0}) Ich will deutlich sagen: Es gibt durchaus Punkte, die wir positiv bewerten. Wir freuen uns, dass das Kapitel interkommunale Zusammenarbeit, Herr Staatssekretär, wieder herausgenommen wurde. Allerdings muss man trotzdem sagen: Am Status quo hat sich nichts geändert. ({1}) Dieser Status quo ist aber schon schwierig genug. Dort zu anderen Lösungen zu kommen, ist ganz offenbar nicht gelungen. ({2}) Wir freuen uns, dass in dem Gesetzentwurf das Präqualifizierungsverfahren aufgenommen wurde, auch wenn wir selber gerne noch weitergehen würden. Wir haben dazu einen Antrag vorliegen, für den wir um Zustimmung bitten. Ich komme zum Thema Mittelstandsfreundlichkeit. Es ist absolut richtig, dass Sie das aufgegriffen haben. Das ist dringend notwendig. Wir sehen aber schon die Probleme in diesem Bereich, besonders bei der Bürokratie. Ich werde gleich darauf zurückkommen. Es gibt aber für uns einige ganz wesentliche Kritikpunkte, die uns dazu veranlassen, diesen Gesetzentwurf zur Vergaberechtsmodernisierung abzulehnen. Der erste Kritikpunkt - das ist ein ganz besonderer - sind die vergabefremden Aspekte. Sie haben diese nun nach langer Diskussion in den Text aufgenommen. Ich bitte Sie, sich einfach einmal vorzustellen, was das in der Praxis heißen wird. Ich war lange genug Kommunalpolitiker, um das beurteilen zu können. Jetzt geht es schon bei der Ausschreibung mit dem Streit in den kommunalen Parlamenten darüber los, welche Kriterien aufgenommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Gesetzgeber. Wir haben die Möglichkeit, Gesetze zu den wesentlichen Fragen zu machen, die uns bewegen. Wir sollten uns aber hüten, gewisse Punkte über die Hintertür in das Vergaberecht hineinzubringen. Ich denke dabei an den Mindestlohn, aber auch an Umweltaspekte. Wir sollten in diesem Hohen Hause Gesetze machen, die die Vergabe regeln, statt dies mit allen damit verbundenen Problemen auf andere abzuschieben. Deshalb lehnen wir diesen Punkt ab. ({3}) Wir halten die Regelungen zu den Sektorenauftraggebern für verfehlt. Das öffnet Türen, wovor wir nur warnen können. Ich will das nicht im Detail ausmalen, aber ich denke zum Beispiel daran, was im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn alles möglich sein wird. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass mit dieser Novellierung kein Bürokratieabbau erfolgt. ({4}) Das geben Sie in der Einleitung zum Gesetzentwurf selbst zu. Ich zitiere: Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten. Wir hätten erwartet, dass die Novellierung zu Preissenkungen führt. Das muss doch der Sinn der Sache sein. ({5}) Ich zitiere weiter aus der Einleitung: In dem vorliegenden Gesetzentwurf werden keine Informationspflichten eingeführt, modifiziert oder abgeschafft. Was die Bürokratie angeht, ändert sich also nichts. Das wäre aber ein wesentlicher Punkt gewesen. Damit komme ich zu einer allgemeinen Bewertung. Wir haben am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss eine Anhörung durchgeführt. Einige Experten haben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Novellierung des Vergaberechts eine Chance wäre, gerade jetzt in der beginnenden Rezession gegenzusteuern, dass diese Chance aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf völlig ungenutzt bleibt. ({6}) Professor Straubhaar vom HWWI hat das Vergaberecht als einen Hemmschuh für die Wirksamkeit staatlicher Infrastrukturprogramme bezeichnet. Professor Blankart hat ausdrücklich festgestellt, dass die Novellierung schlecht für den Mittelstand ist, und angemahnt, dass gerade in der Krise eine grundlegende Vereinfachung hätte erfolgen müssen, die aber ausgeblieben ist. Vereinfachung - so Blankart - und Deregulierung wären ein erstes Konjunkturprogramm, das übrigens nichts kostet und damit auch nicht zur Neuverschuldung beiträgt. ({7}) Wir werden den Gesetzentwurf ablehnen, weil wir in den wesentlichen Punkten, die ich genannt habe, eine andere Auffassung vertreten und den Gesetzentwurf insgesamt gerade in der jetzigen Zeit für einen falschen Ansatz halten. Man hätte das Vergaberecht mutiger novellieren müssen. Dazu hat Ihnen der Mut gefehlt. Sie sind nicht zu Potte gekommen. Das hat auch der zeitliche Ablauf gezeigt. Ich hoffe, dass sich das Regelwerk in der Praxis einigermaßen bewähren wird. Man hätte aber auch jetzt schon etwas Solideres schaffen können. Herzlichen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Reinhard Schultz. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ist es eine gute Nachricht, dass wir unmittelbar vor Heiligabend nach einer wohl dreijährigen Diskussion tatsächlich eine Reform des Vergaberechts zustande bringen, die alle Ziele, die die Koalition vereinbart hat, auch verwirklicht. Dazu gehört an erster Stelle - darin stimme ich Herrn Schauerte ausdrücklich zu - eine deutlich bessere Beteiligungsmöglichkeit kleiner und mittlerer Unternehmen an öffentlichen Vergaben. Wir haben auch eine deutlich höhere Transparenz und Rechtssicherheit für alle Beteiligten in den meisten Konfliktpunkten erreichen können. Letztendlich haben wir auch eine Öffnung für soziale, ökologische und innovative Belange in der Disposition der Vergabestellen - also der Kommunen, der Länder und des Bundes - erreicht. Ich finde, das ist eine ausgesprochen gute Nachricht. ({0}) Angesichts der Riesensummen, die öffentlich vergeben werden - etwa 300 Milliarden Euro im Jahr in Deutschland und 1 Billion Euro in den europäischen Ländern; daran sind 30 000 Vergabestellen des Bundes, der Länder und der Kommunen beteiligt -, kann man nicht erwarten, dass man ein solches Regelwerk auf ei21386 Reinhard Schultz ({1}) ner DIN-A4-Seite zusammenfassen kann. Dazu ist das Thema zu kompliziert. Wer das Regelwerk so vereinfachen wollte, müsste Vergabe nach Gutsherrenart wollen. Dann werden die Aufträge einfach über den Tisch geschoben, mit allen damit verbundenen Risiken hinsichtlich der Qualität und der Preise, aber auch des rechtmäßigen Zustandekommens der Aufträge, Stichwort Korruption. Insofern kann die Grundlage für das Verhältnis von privaten Auftragnehmern zur öffentlichen Hand nicht einfach sein. Sie muss allerdings transparent sein. Das ist gelungen, glaube ich. Wer wie Herr Burgbacher erwartet hat, dass wir das Vergaberecht so novellieren, dass es von sich aus geeignet ist, die Preise zu drücken, der hat grundsätzlich eine falsche Erwartungshaltung gegenüber dem Vergaberecht. Wer ein Vergaberecht will, das dem Preisdumping Tür und Tor öffnet, hätte es bei der grundsätzlichen Lösung zugunsten von Generalunternehmern und gegen die bessere Beteiligung von mittelständischen Unternehmen belassen können. Ich bin überzeugt, dass wir aufgrund der losweisen Vergabe von Aufträgen, die dazu führt, dass bei großen Baustellen nicht in erster Linie der Generalunternehmer, sondern die kleinen Handwerker und Bauunternehmen gefragt sind, zu Preissenkungen kommen. Der Bundesrechnungshof hat uns mehrfach bei den eigenen Bundesbaustellen vorgerechnet, dass die Generalunternehmerlösung unter dem Strich deutlich teurer ist, was die Baukosten angeht, wesentlich mehr Gewährleistungsprobleme mit sich bringt und eine große offene Flanke hinsichtlich der Folgekosten hat, weil diese vorher oft nicht berücksichtigt werden. Es ist zwar nicht bezifferbar, aber die Struktur ist nun so angelegt, dass es für die öffentliche Hand billiger wird und dass trotzdem die kleinen und mittleren Unternehmen auskömmliche Preise erzielen können. Das ist doch der Sinn der ganzen Angelegenheit. Das ist eine gute Leistung. Wir haben es darüber hinaus den kleinen und mittleren Unternehmern, die sich an öffentlichen Aufträgen beteiligen wollen, deutlich erleichtert, sich zu qualifizieren. Wer Angaben über seine Erfahrungen in die angebotene Internetplattform einstellt, braucht nicht mehr ganze Aktenordner an Referenzen und Eignungsnachweisen jeder Bewerbung beizufügen - manche Unternehmen beteiligen sich in der Woche 20- bis 30-mal an Ausschreibungen -, sondern braucht nur noch auf die Internetplattform zu verweisen; das ist ein wichtiger Punkt und im Übrigen ein Anliegen der FDP in einem Antrag. Wir haben das aufgegriffen. Auf jeden Fall habe ich das in die Berichterstattergespräche eingebracht, sozusagen in Erinnerung an die lichtvollen Ausführungen seitens der Kollegen der FDP zu diesem Punkt. Ich sage das, weil ich deutlich machen will, dass parlamentarische Beratungen über die engen Grenzen der Koalition hinaus etwas bewirken können. Wir haben die Kriterien, wonach Unternehmen von Ausschreibungen ausgeschlossen werden dürfen oder an Ausschreibungen beteiligt werden müssen, präzisiert und den Begriff der Zuverlässigkeit um den Begriff der Gesetzestreue ergänzt. Wir halten das für einen ganz wichtigen Punkt. Man sollte sich hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs anschauen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Zuverlässigkeit nicht immer mit Gesetzestreue gleichgesetzt. Gesetzestreue bedeutet, nicht nur das deutsche Straf- und Steuerrecht zu befolgen, sondern ausdrücklich auch internationales Recht wie Verträge, die in Deutschland ratifiziert wurden, einzuhalten. Ich nenne als Beispiel die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation, zu denen auch das Verbot von Kinderarbeit in der gesamten Produktionskette gehört. Das ist für uns ein sehr wichtiger Punkt. ({2}) Über die sozial-ökologischen und innovativen Vergabekriterien gab es eine lange Auseinandersetzung - auch innerhalb der Bundesregierung -, bis uns ein Regierungsentwurf zugeleitet werden konnte. Dabei kam es zu einer Verzögerung von 14 Tagen bzw. drei Wochen, weil Herr Fuchs seine Truppen innerhalb der Union aufgestellt hatte und so das Verfahren leicht behindert hat. Das Schöne war aber, dass der Regierungsentwurf uns nach drei Wochen völlig unverändert zugeleitet wurde. So konnte die EU-Vergaberichtlinie mit ihren Möglichkeiten eins zu eins in deutsches Recht umgesetzt werden. Daraufhin gab es einige Fragen: Sollten wir das nicht härter formulieren? Sollen wir uns dafür einsetzen, dass die Berücksichtigung sozial-ökologischer und innovativer Kriterien ein Muss ist? Wir sind inzwischen der Auffassung, dass es eine Frage der Dispositions- und Organisationsfreiheit der Vergabestellen auf Bundes- und Landesebene sowie auf kommunaler Ebene ist, von Fall zu Fall zu entscheiden, welche Kriterien sie berücksichtigen wollen. Dadurch wird es Unterschiede in der Vergabepolitik geben. Das gilt auch im Hinblick auf den interkommunalen Vergleich. Herr Burgbacher, ich habe überhaupt keine Angst davor, dass sich die Mitglieder von Gemeinderäten und Kreistagen - ich selber blicke auf eine segensreiche 34-jährige kommunale Tätigkeit zurück - einmischen. Ich will, dass sie sich einmischen und dass sie verantwortungsvolle Entscheidungen auch in Sachen Sozialkriterien und Ökologie treffen ({3}) und dass das nicht nur dem Baubeigeordneten überlassen wird, der rucki, zucki seine Bauprojekte durchziehen will. Wir haben eine gesellschaftspolitische Verantwortung, gerade dann, wenn wir Aufträge nach außen vergeben. Diese Verantwortung geben wir jetzt ausdrücklich den kommunalen Vergabestellen, aber auch denen der Länder und des Bundes. Wir haben uns große Mühe gegeben, einmal zu durchleuchten, was das denn eigentlich praktisch heißt, zum Beispiel vor dem Hintergrund des Rüffert-Urteils, das uns alle - zumindest uns Sozialdemokraten - sehr beunruhigt hat. Es ging darum, dass der EuGH eine Bauauftragsvergabe untersagt hat, weil die Tariftreue zur Auflage gemacht wurde, es aber im Baubereich keinen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt und Teiltarifverträge nicht gelten. Wir haben gemeinsam mit der Bundesregierung festgestellt, dass es diesen offenen Konflikt zwischen dem Entsenderecht und dem Vergaberecht gibt, der sich im Zuge der weiteren RechtspreReinhard Schultz ({4}) chung in die eine oder andere Richtung entwickeln wird. Ich glaube nicht, dass die EU auf der einen Seite ein offenes Vergaberecht machen kann, bei dem soziale Kriterien eine Rolle spielen, und auf der anderen Seite ein Entsenderecht aufrechterhalten kann, bei dem diese Kriterien keine Rolle spielen dürfen. Aber der Grundsatz „Entsenderecht schlägt Vergaberecht“ gilt nur für die Branchen, die dem Entsenderecht unterliegen. Das sind weiß Gott nicht alle. Es handelt sich um drei wesentliche Branchen, die Baubranche - natürlich eine ganz wichtige -, die Briefzustellung und die Gebäudereinigung. Ansonsten gilt das nicht. Da können auch Teiltarifverträge und andere Vorgaben gelten. Wir haben herausgefunden, dass eine Vergabestelle durchaus sachlich begründete Vorgaben machen kann, wie die Aufträge abzuwickeln sind. So kann geregelt werden, dass das eingesetzte Personal eine angemessene Bezahlung erhält. Es kann auch eine Summe, zum Beispiel eine Untergrenze, für diesen Auftrag festgelegt werden. Weiterhin kann eine Mindestqualifikation oder eine Mindeststammbelegschaft, mit der der Auftrag auszuführen ist, gefordert werden. Natürlich gelten diese Auflagen nur für den speziellen Auftrag. Ich möchte aber die Unternehmen, die sich regelmäßig um öffentliche Aufträge in ihren Kommunen bewerben, sehen, die auftragsbezogen unterschiedliche Löhne zahlen. Da wird sich ein Spannungsverhältnis ergeben, das dazu führen wird, dass am Ende selbstverständlich alle angemessen bezahlt werden. Dieser Druck besteht, und wenn die nachfragende Seite, die öffentliche Hand, das will, dann wird sich das gut entwickeln. Ich finde, es haben sich sehr gute Möglichkeiten ergeben. Eine gute Lösung haben wir gemeinsam hinsichtlich der Absicherung von städtebaulichen Verträgen, Grundstücksgeschäften und der Umsetzung von Entwicklungszielen der Gemeinde über Grundstücksgeschäfte erzielt. Das darf nicht dem Wettbewerb ausgesetzt werden. Das ist vielmehr Kommunalrecht in Reinkultur. Eine Schwachstelle, die nicht zu unterschätzen ist, gibt es allerdings: Das ist die interkommunale Zusammenarbeit. Hierüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Im Ergebnis hat sich, wie Herr Burgbacher richtig dargestellt hat, nichts geändert. Das ist oft so. Es gab Personen, die die Tür zugunsten von Privatisierungen selbst bis tief in den Bereich der Daseinsvorsorge hinein öffnen wollten. Wir wollten die interkommunale Zusammenarbeit rechtlich absichern. Wir haben jetzt eine Situation, die sehr streitanfällig ist und mit der sich die Gerichte befassen. Das neueste EuGH-Urteil hinsichtlich der Absicherung von Zweckverbandslösungen gibt uns aber Hoffnung, dass die künftigen Urteile besser ausfallen werden. Es besteht die Chance, dass sich auch hier, falls der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen sollte, etwas verbessert, weil der Bundesrat selbst ein eindeutiges Petitum abgegeben hatte, die interkommunale Zusammenarbeit im Vergaberecht besser abzusichern. Wir müssen sehen, was im Februar geschieht. Unter dem Strich gesehen, so glaube ich, haben wir gute Arbeit geleistet. Wir haben den an sich schon guten Gesetzentwurf der Bundesregierung durch gemeinsame Anstrengungen der Koalition, der Berichterstatter und der mitberatenden Ausschüsse erheblich verändert. Ich bedanke mich ausdrücklich bei dem Kollegen Dr. Nüßlein für die Zusammenarbeit. Trotz aller Guerillakämpfe am Rande sind wir ruhige Säulen im Auge des Taifuns geblieben und haben den Gesetzentwurf pünktlich vor Weihnachten über die Bühne gebracht. Ich glaube, die Leistung kann sich sehen lassen. Herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Ulla Lötzer. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sie gestatten, dass ich Ihre Einschätzung nicht teile, Kollege Schultz. Das will ich noch einmal begründen. In der Anhörung des Ausschusses zu dem hier vorliegenden Entwurf hatten gewerkschaftliche Vertreter verdeutlicht: Bis zum April 2008 hatten acht Bundesländer Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen verbindlich vorgeschrieben. Dann kam das von Ihnen bereits erwähnte Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofes, in dieser Hinsicht ein Skandalurteil, weil es nur noch allgemeinverbindliche Tarifverträge als Voraussetzung für öffentliche Aufträge zulassen wollte. Damit wurde dieser Prozess in den Ländern leider gestoppt. Insofern haben sowohl die Länder als auch die Kommunen Rechtssicherheit und Klarheit von diesem Gesetzentwurf erwartet. Nicht nur hinsichtlich der Frage der Mittelstandsfreundlichkeit, Herr Schauerte, sondern auch hinsichtlich der Tariftreue wollten sie Rechtssicherheit und Klarheit haben. Im Bundesrat sind dann Ihre Vertreter, Kollege Schultz, noch relativ vollmundig aufgetreten. Sie forderten, Tariftreue trotzdem als Voraussetzung für öffentliche Aufträge zu verankern und das Ganze europarechtlich abzusichern. Nur ist leider daraus nichts geworden: Die Bundesregierung hat bis heute keinerlei Initiative zu einer europarechtlichen Absicherung unternommen, und von daher steht noch immer die Frage im Raum, ob Binnenmarktfreiheit Vorrang gegenüber sozialen Grundrechten hat. Wenn der Zustand unverändert bleibt, dann ist das so. Das halten wir nach wie vor für einen demokratischen Skandal. ({0}) Stattdessen ziehen Sie sich jetzt auf das Verbot der Kinderarbeit - darin gebe ich Ihnen recht - und auf die allgemeinverbindlichen Tarifverträge zurück, mit denen ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten der Branche Gültigkeit bekommt. Sie sagen aber nichts dazu, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in Deutschland die Ausnahme und nicht die Regel ist. In Deutschland sind nur 1,5 Prozent aller Tarifverträge allgemeinverbindlich, in Frankreich sind es 90 Prozent und in den Niederlanden 70 Prozent. ({1}) Die Forderungen aber, als Ausweg aus diesem Dilemma zumindest die Allgemeinverbindlichkeit auf Bundesebene zu erleichtern und mit einem allgemeinverbindlichen gesetzlichen Mindestlohn wenigstens eine gesetzliche Untergrenze für alle zu schaffen, ignorieren Sie völlig. Auf diesem Ohr sind Sie nach wie vor taub, Herr Schauerte. Stattdessen haben Sie jetzt eine Regelung ins Gesetz eingefügt, öffentliche Aufträge an gesetzestreue Betriebe und Unternehmen zu vergeben. Angesichts dessen frage ich Sie: Muss man in einem Gesetz festschreiben, dass Gesetze auch für Unternehmen gelten? Soll das vielleicht der soziale Fortschritt in diesem Gesetzentwurf sein? ({2}) Darüber hinaus finden sich darin nur unverbindliche Kannregelungen für zusätzliche auftragsbezogene soziale oder ökologische Bedingungen. Ich sehe das anders als Sie, Kollege Schultz. Die finanzstarke Kommune A wird vielleicht, wenn sie gerade von vernünftigen Leuten regiert wird oder solche im Stadtrat sind oder der Druck von Gewerkschaften oder Umweltverbänden groß ist, ihre Aufträge an Umwelt- und Sozialauflagen koppeln, beispielsweise, dass das Unternehmen einen Mindestlohn zahlt. Die klamme Nachbarkommune verzichtet darauf. Sie nimmt den billigsten Anbieter und lässt weiter „Geiz ist geil“ regieren. Wer dort arbeitet, hat eben Pech gehabt und muss zusätzlich Hartz IV beantragen. Das ist nicht sozial ausgewogen, das bedeutet keine Rechtssicherheit, sondern das Gegenteil davon, also Ungleichheit vor dem Gesetz. Das ist Rechtsunsicherheit, Kollege Schultz. ({3}) Sie hätten die Chance gehabt, etwas gegen die im europäischen Vergleich beschämende Reallohnentwicklung in der Bundesrepublik zu unternehmen. Sie hätten die Chance gehabt, 30 000 Vergabestellen klare und einheitliche Regeln für den Umgang mit den Steuergeldern an die Hand zu geben. CDU und FDP - wir haben es gerade wieder gehört nennen das vergabefremd. Wir bezeichnen dies als das Setzen sozialer und ökologischer Normen und Standards für die Unternehmen im Markt. ({4}) Das ist unserer Auffassung nach Aufgabe der Wirtschaftspolitik und nicht vergabefremd. ({5}) Stattdessen haben Sie noch die letzte fortschrittliche Regelung zur interkommunalen Zusammenarbeit aus dem Gesetz gestrichen. ({6}) Ich stelle hier heraus: Die Entscheidungsfreiheit einer Kommune, den Winterdienst zusammen mit der Nachbargemeinde zu erledigen oder ihn auszuschreiben, ist ihr demokratisches Grundrecht und nicht durch eine Vorschrift im Vergabegesetz zu unterlaufen. Von daher sagen wir: Nutzen Sie die letzte Chance heute! Legen Sie Ihren Entwurf an die Seite! Stimmen Sie unserem Antrag zu! ({7}) Danach sind soziale und ökologische Kriterien zu verankern. Das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk für alle. Danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Lötzer, man kann sich zu Weihnachten viel wünschen. Mein kleiner Sohn macht das zum Beispiel. Er bekommt auch nicht alles. ({0}) Von daher glaube ich: Es wird bei dem Wunsch bleiben. Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten - das gleich vorweg -, da wir es wirklich richtig und sinnvoll finden, dass wir in Deutschland jetzt der EU-Ebene folgen, die Richtlinie umsetzen und sozial-ökologische Kriterien bei der Vergabe berücksichtigen. Das ist uns so wichtig, dass wir dem Gesetz nicht im Weg stehen wollen. Eine Zustimmung bekommen Sie von uns allerdings nicht - das werde ich auch noch erklären -; wir werden uns, wie gesagt, enthalten. ({1}) In dem Gesetzentwurf gibt es einzelne Punkte, die wir für richtig halten. Die Aufteilung in Fach- und Teillose - Sie haben es angesprochen - ist sinnvoll. Dass die Präqualifizierung enthalten ist, ist sinnvoll. Es war übrigens nicht nur die FDP, die das beantragt hat, sondern auch wir. Zu nennen ist ferner der wettbewerbliche Dialog. Sie haben also doch ein paar Punkte aufgenommen, die wirklich richtig und sinnvoll sind. Sie haben einiges nicht aufgenommen; darauf möchte ich jetzt eingehen. Wir haben einen Antrag vorgelegt, nach dem versucht werden soll, Angebotsdumping zu verhindern. Darin sind wir in der Anhörung bestätigt worden. Das Problem ist nämlich, dass immer noch die Vorstellung besteht: Hauptsache, das billigste Angebot. Angebotsdumping hätten wir verhindern können, wenn wir geregelt hätten, sinngemäß: Die vergebende Stelle muss die Möglichkeit haben, zu beschließen, dass das billigste Angebot rausfliegt. ({2}) Das ist eine Regelung, die in der Schweiz existiert, sogar als Vorgabe von oben. Nach unserem Vorschlag sollte es nur heißen, dass die vergebende Stelle die Möglichkeit haben soll. Das wäre durchaus eine Chance gewesen, um Angebotsdumping zu verhindern. Beim Thema Korruptionsregister beschränken Sie sich darauf, uns in einer Protokollerklärung oder Notiz der Berichterstatter zuzugestehen, dass man sich diesem Thema noch einmal nähern will. Ich finde das sehr schade. Wir sind beim Thema „Korruption“ und „Korruptionsregister“ schon viel weiter. Nach dem, was Transparency International über Deutschland schreibt, besteht ein unheimlich großer Handlungsbedarf. Entsprechende Registerregelungen der Länder gelten. Der Bund hätte durchaus folgen können. Hierzu haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt. ({3}) Zu den Stichworten „Entsenderichtlinie“, „Mindestlöhne“ bzw. „Rüffert-Urteil“ ist schon einiges gesagt worden. Herr Schultz, Sie können es natürlich erklären und erklären. Sie haben wahrscheinlich sogar recht damit, dass Sie im Rahmen des Vergaberechts so weit gegangen sind, wie Sie gehen konnten. Das gilt aber eben nur in diesem Rahmen. Wenn es nicht bei Krokodilstränen bleiben soll, die Sie in den Augen haben, wenn Sie zum Fahrer in den Wagen steigen, müssen Sie auf nationaler Ebene Gesetze ändern. Sie müssen sich beim Thema Mindestlohn bewegen. Sie müssen sich beim Thema Allgemeinverbindliche Tarifverträge bewegen. ({4}) Letzter Punkt: interkommunale Vergabe. Das ist tragisch. ({5}) Es gab einen Gesetzentwurf, in dem das enthalten war. Das war keine Erfindung von uns. Es stand in Ihrem Gesetzentwurf, einem Gesetzentwurf, den der Wirtschaftsminister Glos im Kabinett mit verabschiedet hat. ({6}) Dann kommen die Wirtschaftsverbände, machen richtig Druck und sagen: Das muss raus. ({7}) Was macht die Union? Sie gibt an dieser Stelle nach. Ich will jetzt sehen, wie Sie in Ihre Wahlkreise gehen und mit Ihren Bürgermeistern und Gemeinderäten reden mit leeren Händen in der Frage der Rechtssicherheit bei der Vergabe an Zweckverbände und gemeindeübergreifende Organisationen. ({8}) Vor ein paar Wochen haben wir hier über die Finanzund Wirtschaftskrise diskutiert. Es kamen mildeste moralische Töne im Sinne von: Man kann nicht alles privatisieren. Man muss sich die Frage stellen, was die Aufgabe des Staates ist. - Aber hier schaffen Sie für die Kommunen keine Rechtssicherheit auf der lokalen Ebene! ({9}) Das ist bitter. Wir haben auch in diesem Fall einen Entschließungsantrag vorgelegt, weil die Angelegenheit uns wirklich wichtig ist. Manche werden echte Probleme haben müssen, gegen diesen Entschließungsantrag zu stimmen. Wie ich weiß, gibt es zumindest in den Reihen der SPD einige, die hinter unserem Entschließungsantrag stehen. Es handelt sich um einen Kompromiss. Jetzt kündigen Sie an, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Meine Damen und Herren von der Union, ich möchte Sie wirklich bitten, an dieser Stelle noch einmal genau zu prüfen, ob Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben. Angesichts der Worte, die hier teilweise gefallen sind, müssen Sie schon Konsequenzen ziehen und Taten folgen lassen. Das betrifft die Frage „Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge - Handlungsfähigkeit der Kommunen“. Nicht alles unter Renditeorientierung zu sehen, das wäre eigentlich der richtige Weg. Insofern werden wir uns heute enthalten. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst zu den Linken: Es ist ein historischer Tatbestand, dass an Weihnachten einmal kurzfristig eine Front aufgehoben wurde. Sie brauchen aber nicht die Hoffnung zu hegen, dass wir das gegenüber den Linken tun. Ich glaube, das ist Ihnen klar. ({0}) Außerdem sage ich ganz offen: Dieses Gesetz war eine schwere Geburt mit vielen Geburtswehen. Das lag nicht daran, dass sich die Koalitionspartner nicht hätten verständigen können; vielmehr gab es quer durch unsere Reihen einfach unterschiedliche Interessen. Es ist darum gegangen, die Interessen der Auftraggeberseite und die der Auftragnehmerseite sinnvoll zu vereinen. Im Rahmen des Möglichen ist uns das gelungen. Nachdem hier insbesondere zum Bürokratieabbau einiges gesagt wurde, sage ich ganz offen: Dieses Gesetz ist nicht geeignet, Bürokratie abzubauen. Stattdessen sollen durch Bürokratie bestimmte Dinge geregelt werden, nämlich die Vergabe. Wer in diesem Zusammenhang Bürokratieabbau fordert, sollte dafür eintreten, das Thema Vergabe von der Tagesordnung zu streichen und eine freihändige Vergabe zu erlauben. Nur: Das ist etwas, was wir alle miteinander nicht wollen. Kollegin Andreae, was die interkommunale Vergabe angeht: Ich meine, dass mit dem, was wir am Schluss geregelt haben, Zweckverbandslösungen möglich sind. Was die Vertragsgegenstände - ich denke insbesondere an das Thema Baukonzessionen - angeht, ist das, was wir erarbeitet haben, sogar präziser als das, was bis jetzt im Gesetz steht. Wir sollten uns jetzt nicht dem Vorwurf aussetzen, wir hätten einer Liberalisierung zu sehr Rechnung getragen oder wir hätten der Rekommunalisierung zu sehr Vorschub geleistet. Genau darum ist es uns an dieser Stelle gegangen: etwas zu machen, was deutlich zeigt, dass das Vergaberecht nicht dazu geeignet ist, in dieser Art und Weise in die Wirtschaft einzugreifen. ({1}) Die Kommunen haben insbesondere Wert darauf gelegt, dass das Ahlhorn-Urteil gesetzgeberisch korrigiert wird. Beide Berichterstatter haben dafür Sorge getragen, dass dieser Aspekt schon im Referentenentwurf berücksichtigt wird. Insofern haben die Kommunen an dieser Stelle überhaupt keinen Grund, uns etwas vorzuwerfen. Im Gegenteil: Durch unser Gesetz werden die Möglichkeiten der städtebaulichen Gestaltung verbessert. Herr Burgbacher, die FDP hat gesagt, man müsse dafür sorgen, dass derjenige, dessen Angebot am günstigsten ist, den Zuschlag erhält. ({2}) Ich sehe das grundlegend anders. Frau Andreae, den Mut, nicht den billigsten Anbieter zu nehmen, den die Vergebenden haben müssen, können wir aber nicht ins Gesetz schreiben. ({3}) Man hat die Spielräume. Man hatte sie im Übrigen schon vorher, und man wird in Zukunft noch sehr viel mehr Spielräume haben. In Zukunft besteht die Möglichkeit - sie wurde, auch in unseren Reihen, heftig als „vergaberechtsfremd“ kritisiert -, zusätzliche Qualitätsanforderungen zu stellen, die bei der Auswahl der Bieter ebenfalls eine Rolle spielen. Auch das muss man einmal sehen. Insofern appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen, insbesondere in den Kommunalparlamenten, die Spielräume im Rahmen des Zulässigen zu nutzen. Das können wir beim besten Willen nicht ins Gesetz schreiben. Ich betone noch einmal: Die vergaberechtsfremden Kriterien in dieser Kannausgestaltung - man kann darüber unterschiedlich urteilen - muss man als Qualitätsanforderung verstehen. Wir stellen denen, die ausschreiben, im Rahmen der Subsidiarität anheim, wie sie diese Kriterien letztendlich betonen. Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, eine gewichtige Mittelstandskomponente einzubauen. Von den großen Bauunternehmen wird aber nun gesagt, das sei verfassungswidrig. Das ist es aus meiner Sicht nicht, weil wir ja nicht hineingeschrieben haben, dass nur Mittelständler zum Zuge kommen dürfen. Vielmehr haben wir nur die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie zum Zuge kommen können. Das ist das Entscheidende. Insofern geht es an dieser Stelle um das Herstellen von Chancengleichheit. Das ist verfassungsrechtlich nicht angreifbar. Dass wir die Public-Private-Partnership-Thematik miteinbezogen haben, halte ich für richtig. Wir sind der festen Überzeugung, dass damit in Zukunft bei PublicPrivate-Partnership-Maßnahmen Mittelstandsinteressen entsprechend berücksichtigt werden. Der Kollege Schultz hat zum Thema Transparenz schon einiges gesagt. Wir wollten mit Sicherheit nicht für einen kompletten Rechtsschutz unterhalb der entsprechenden Schwelle sorgen. Ich gebe aber offen zu, dass es auch bei uns den einen oder anderen gegeben hat - ich gehöre dazu -, der Sympathien für die Idee hatte, eine ganz schlanke Transparenzregel so im Gesetz zu verankern, dass es per sekundärem Rechtsschutz die Möglichkeit gegeben hätte, hier anzusetzen. Das haben wir letztendlich aufgrund guter Argumente fallen gelassen. Man hat uns nämlich glaubhaft versichert, dass dieser Komplex im Rahmen von VOB und VOL geregelt ist. Unter dem Gesichtspunkt finde ich es nicht tragisch, dass diesbezüglich nichts drinsteht. Man hätte aber das Argument auch umdrehen können und sagen können: Es wäre unschädlich, wenn es drinstünde. Nun wurde vorhin schon gefragt, wie man dazu komme, das Kriterium der Gesetzestreue ins Gesetz zu schreiben; das sei ja ohnehin klar. Ich sage dazu: Das ist richtig. Aber dieser Passus hält natürlich insbesondere die Linken davon ab, wieder wie beim letzten Mal einen Katalog von Dingen aufzustellen, die bei Ausschreibungen noch zu berücksichtigen sind, obwohl sie ohnehin schon an anderer Stelle gesetzlich verankert sind. Ein solches Vorgehen wurde mit dem Hinweis auf die Gesetzestreue unterbunden. ({4}) Man hätte das also nicht unbedingt machen müssen, weil alle Vernünftigen auch so verstanden hätten, was gemeint war, aber eben nur alle Vernünftigen, liebe Frau Kollegin. Ernsthaft ist hier noch anzumerken, dass es richtig war, den Katalog an Kriterien so allgemein zu fassen, wie er nun im Gesetz steht. Das Register, in dem schwere Verfehlungen erfasst werden, ist ein Thema, über das man noch einmal reden kann, aber - das sage ich ganz offen - nicht unter der Maßgabe des Vorschlags der Grünen, dass schon der Verdacht ausreiche, ({5}) sondern nur unter der Maßgabe, dass es sich um schwerste Verfehlungen handeln muss, die in einem Strafprozess strafrechtlich bewehrt wurden. Für mich ist also ganz wichtig, dass die Aufnahme eines Unternehmens in solch ein Register nicht der Willkür oder der Interessenverfolgung einer Behörde obliegt. Hierbei geht es nämlich um Rechtssicherheit. Wenn wir das nicht in dieser Weise regeln können, dann sollten wir dieses Vorhaben aus meiner Sicht sein lassen. Das ist das, was ich Ihnen in aller Kürze zu diesem Gesetz sagen wollte. Auch ich bedanke mich natürlich bei meinem Mitberichterstatter. Die Gespräche waren über weite Strecken ausgesprochen konstruktiv. Wir beide haben uns bemüht, alle Interessen zu berücksichtigen. Ich denke, dass das Ganze noch schneller und präziser gewesen wäre, wenn nur wir beide uns darum gekümmert hätten. Aber so geht es in der Demokratie Gott sei Dank nicht; es muss auch ab und zu etwas anderes herauskommen können. In diesem Sinne: Vielen Dank und frohe Weihnachten! ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Walter Riester hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Walter Riester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003616, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehrere Redner haben schon darauf hingewiesen: Dem Gesetz kommt in der Tat eine ganz erhebliche Bedeutung zu. Vergabeleistungen in Höhe von rund 260 Milliarden Euro bekommen hiermit einen Regelungsrahmen, und zwar in zwei Richtungen. Ich möchte das nicht nur auf diejenigen, die Aufträge vergeben, und diejenigen, die eine Leistung erbringen, also die Unternehmer, begrenzen. Denn es geht angesichts von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Arbeit leisten, auch um die Frage, unter welchen Bedingungen die Leistung erbracht wird. Das ist ein ganz wichtiger, ein entscheidender Punkt. Es ist darauf hingewiesen worden, dass es beim Gesetzgebungsverfahren mehrere Zielsetzungen gab: mehr Rechtssicherheit, mehr Klarheit, mehr Vereinfachung, mehr Mittelstandsfreundlichkeit. Ich bin der Auffassung, dass es gelungen ist, diese Ziele zu erreichen. Herr Burgbacher, wenn Sie kritisieren, dass im Gesetzentwurf bürokratische Elemente enthalten seien, die nicht mittelstandsfreundlich seien, dann mögen Sie sich damit absolut legitim auf eine Position der FDP beziehen. Das ist auch Ihre Aufgabe. ({0}) Ebenso mögen Sie sich auf die Aussage eines Wissenschaftlers, den Sie hier anführen, beziehen. ({1}) Aber Sie können sich nicht auf den Mittelstand beziehen. Ich zitiere aus einem Schreiben, das wir alle erhalten haben, vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, der immerhin 750 000 Betriebe mit 4,5 Millionen Beschäftigten vertritt: Wir bitten Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Da der vorgelegte Gesetzentwurf zu einer Vereinfachung des Vergaberechts, zu mehr Rechtssicherheit sowie insbesondere zu einer Stärkung des Mittelstandes führen wird, begrüßen wir diesen Gesetzentwurf ausdrücklich … ({2}) Hier spricht ein Verband legitim für den Mittelstand. Ihre Position ist unbestritten eine Position der FDP. Kollegin Andreae, ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu. ({3}) Trotzdem komme ich im Ergebnis zu einer anderen Entscheidung, und zwar nicht deswegen - das sage ich Ihnen ganz offen -, weil ich der Koalition angehöre, sondern weil ich überzeugt bin, dass wir hier einen sehr guten Gesetzentwurf vorliegen haben, von dem ich hoffe, dass er wirken wird. Sie sagen beispielsweise völlig zu Recht, dass der Gesetzgeber in der Frage der Tarifgestaltung, wie sie in den Gesetzentwurf aufgenommen worden ist, an der Grenze seiner Möglichkeiten ist. Davon verstehe ich etwas, und diese Meinung teile ich völlig. Fragen wie Allgemeinverbindlichkeit und Mindestlohn müssten im Tarifvertragsgesetz anders geregelt werden. Auch diese Auffassung teile ich. Aber das ist nichts, was ich an diesem Entwurf kritisiere. Der Gesetzentwurf geht in dieser Frage so weit, wie es auf der Grundlage des gegenwärtigen Rechts und der gegenwärtigen Rechtsprechung möglich ist. In der breiten Diskussion, die wir geführt haben - ich finde, das war notwendig und wichtig, auch über den langen Zeitraum -, ging es auch um die Frage, welche Kriterien im Zusammenhang mit der Vergabe einzubeziehen sind. Für mich war sehr interessant, dass die Frage der Gesetzestreue in dem Ausschuss, in dem ich vertreten bin, eine kurze Intervention eines Juristen der Union ausgelöst hat, der sagte: Hier geht es nicht um Gesetzestreue, das ist doch absolut selbstverständlich; hier geht es um Tariftreue. - Nein, es geht um Gesetzestreue. Herr Nüßlein, so selbstverständlich, wie Sie es darstellen, ist es leider - ich bedaure das - nicht. Der BDI kritisiert in seinem Schreiben - für mich sehr überraschend den Begriff Gesetzestreue und schreibt: „Die Einführung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist überflüssiger Bürokratismus.“ Was ist das für ein Verständnis von Gesetzestreue, wenn man diesen Begriff als unbestimmten Rechtsbegriff bezeichnet, der überflüssigen Bürokratismus bringe? Deswegen ist es wichtig, aufzuzeigen, dass durch die deutschen Gesetze, durch die von Deutschland getroffenen internationalen Vereinbarungen und durch die geltenden Tarifverträge ein Rechtsrahmen besteht, der für jeden Anbietenden verpflichtend ist. Ich betone: verpflichtend. Bei Zwangsarbeit oder Kinderarbeit geht es nicht um eine Ermessensfrage. In das Ermessen der Kommunen fällt, weitergehende, mit dem Auftrag zusammenhängende soziale Kriterien einzuführen, was mehrere Kommunen auch schon gemacht haben, was aber bisher nicht rechtlich abgesichert war. Das heißt, die Kommunen haben jetzt wesentlich mehr Rechtssicherheit. Insofern finde ich, dass der Gesetzentwurf so, wie er jetzt vorliegt, die gesetzten Ziele erreicht hat. Er schafft Klarheit nicht nur hinsichtlich der Frage der Kosten, sondern auch in Bezug auf die erbrachten Leistungen und die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, und macht damit deutlich, dass es richtig ist, die 260 Milliarden Euro einzusetzen. Deswegen werde ich diesem Gesetzentwurf von ganzem Herzen zustimmen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11428, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10117 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11437? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und die Fraktion Die Linke gegen die Stimmen des übrigen Hauses. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/11459? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt, und zwar mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/11428 fort. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9092 mit dem Titel „Novellierung des Vergaberechts für Bürokratieabbau nutzen Bundesweit einheitliches Präqualifizierungssystem für Leistungen einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 6930 mit dem Titel „Bei öffentlichen Aufträgen sozialökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9636 mit dem Titel „Tariftreue europarechtlich absichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Unter Nr. 5 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6791 mit dem Titel „Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/8810 mit dem Titel „Vergaberecht reformieren - Rechtssicherheit schaffen Eckpunkte für die Reform des Vergaberechts“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die FDP gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die deutsch-koreanischen Beziehungen dynamisch fortentwickeln - Drucksache 16/11451 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir haben eine Aussprache von einer Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Als erstem Redner erteile ich Detlef Dzembritzki das Wort für die SPD-Fraktion.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 125 Jahre freundschaftliche Beziehungen zwischen zwei Ländern sind es würdig, dass der Bundestag mit einem Antrag auf diese Beziehungen eingeht. Wir wollen mit diesem Antrag dazu beitragen, dass die deutsch-koreanischen Beziehungen dynamisch fortentwickelt werden. ({0}) Ich freue mich sehr, dass ich als erster Redner und sicherlich im Namen aller den Botschafter Südkoreas mit einer Delegation hier begrüßen darf. ({1}) Ich finde es sehr schön, dass Sie diese Debatte zum Anlass genommen haben, hierherzukommen. Ich sehe auch einen Mitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung. Herzlich willkommen! Sie haben für uns in Südkorea ein wirklich gutes Programm organisiert. Ich darf auch Sie ausnahmsweise begrüßen. Herzlichen Dank, dass Sie da sind! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausgangspunkt dieser bilateralen Beziehungen war die Unterzeichnung des deutsch-koreanischen Handels-, Schifffahrts- und Freundschaftsvertrages am 26. November 1883, übrigens ein Jahr bevor mit dem Bau dieses Gebäudes hier begonnen wurde. Es ist also wirklich ein langer Zeitraum. Diese Kontakte haben sich dann insbesondere nach dem Koreakrieg hervorragend weiterentwickelt. Dies signalisiert, dass unsere beiden Länder in der Geschichte viele Gemeinsamkeiten hatten: die Teilung unserer Länder und die Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges und des Koreakrieges. Die Teilung Koreas als ein Opferland ist noch schwerer nachzuvollziehen gewesen. Sie ist sicherlich auch noch heute schwer nachvollziehbar, wenn man die dortige Situation mit der in Deutschland vergleicht, die sich mit der Wiedervereinigung unseres Landes erheblich verändert hat. Die diplomatischen Beziehungen zum anderen Teil Koreas, zur Demokratischen Volksrepublik, wurden im Jahre 2001 aufgenommen, übrigens mit deutlicher Unterstützung und mit viel politischer Sympathie Südkoreas. Da ich mich sehr stark mit Entwicklungspolitik auseinandergesetzt habe, stelle ich gerne einen Vergleich zwischen Ghana und Südkorea her. Vor 35 bis 40 Jahren waren beide Länder auf dem gleichen Niveau in Bezug auf das Bruttosozialprodukt. Wenn man sich anschaut, wie sich unser Partnerland Südkorea, das ungünstigere Bedingungen als das Land Ghana hatte, in jüngster Zeit entwickelt hat, dann ergibt sich eine faszinierende Situation. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre lag bei 5 bis 6 Prozent; 2007 lag es bei 4,9 Prozent. Dies sind für uns durchaus bewundernswerte Zahlen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,1 Prozent und die Inflationsrate bei 3,6 Prozent. Wir alle wissen, dass die südkoreanische Wirtschaft exportorientiert und wettbewerbsfähig ist. Ein solch kräftiger Anstieg des Wirtschaftswachstums hat natürlich Konsequenzen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang den Schiffsbau. Hier sind die Südkoreaner heute Weltmarktführer, was wir in Europa spüren. Denn dieses Markenzeichen hatten auch einmal europäische Länder. Wir wissen, dass hervorragende IT-Produkte, chemische Erzeugnisse und nicht zuletzt Autos auf den Markt gebracht werden, die auch unser Stadtbild prägen. Das alles werden wir 2009 auf der Hannover-Messe erleben, deren Partnerland Südkorea sein wird. Die dreizehntgrößte Volkswirtschaft und die elftgrößte Handelsnation der Welt erhebt ihren internationalen Anspruch. Wir finden das gut. Die Europäische Union ist - auch dies muss man betonen - nach China, aber noch vor den Vereinigten Staaten und Japan der zweitwichtigste Handelspartner Südkoreas. Der Finanzkrise, die im Augenblick weltweit fast alle betrifft, scheinen unsere südkoreanischen Freunde ganz gut zu begegnen. Sie scheinen sie ganz gut zu überstehen. Sie sind gut aufgestellt. Die Banken haben sich nicht an hochspekulativen Projekten beteiligt. Man hat den Eindruck, dass Südkorea trotz der großen Abhängigkeit von Rohstoffimporten und trotz einiger Liquiditätsengpässe mit dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage zurechtkommen wird. Ich glaube, dass die Asien-Krise den prägenden Eindruck zurückgelassen hat, dass man sich vorbereiten muss, um solche Krisen zu überstehen. Südkorea hat diese Aufgaben bewältigt. Es ist interessant, dass manche Abhängigkeiten ähnlich wie bei uns sind, wenn man sich die Abhängigkeit des Mittelstandes von den großen Firmen ansieht. Das sind alles Situationen, die durchaus mit einem Industrieland vergleichbar sind. So kann man heute auch nicht mehr sagen, dass Südkorea ein Schwellenland ist, sondern es hat doch zunehmend eine Scharnierfunktion zwischen Schwellen- und Industrieländern. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich sage das auch an unsere südkoreanischen Freunde -, lässt natürlich auch ein bisschen den Blick darauf zu, wie ein solches Land mit den inneren Strukturen umgeht. Es wäre gut, wenn man sich in der Zusammenarbeit auch bei den Arbeitnehmerrechten ein wenig weiterentwickeln könnte. Es wird mir niemand übelnehmen, wenn ich darauf hinweise, dass wir natürlich nicht so glücklich waren, zu hören, dass 87 Filialleiter der koreanischen Niederlassung des Allianz-Konzerns entlassen worden sind, weil sie sich für Tarifrechte eingesetzt haben. Ich glaube, hier ist durchaus mehr Selbstbewusstsein angesagt, dass man Strukturen schafft, in denen die Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung so geregelt werden können, dass es ein Miteinander ist, das eben auch eine kontroverse Auseinandersetzung aushält. ({3}) Es wäre sehr schön, wenn die grundlegenden ILO-Konventionen in Südkorea akzeptiert werden würden. Interessant ist aber - das ist dann schon wieder ein gutes Beispiel für uns -, dass dieses Land für Forschung und Entwicklung über 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgibt. Hier sieht man also auch den Anspruch, sich weiterzuentwickeln. Wo sind die gemeinsamen Ziele und Herausforderungen für Deutschland und Korea? Ich glaube, dass die Eckpunkte koreanischer Außenpolitik durchaus auch unsere Interessen mit betreffen, wenn das Land die Scharnierfunktion zwischen China, Japan und den USA wahrnehmen möchte, wenn der wichtigste Handelspartner China in diese Politik einbezogen wird und hier eine Partnerschaft und keine Gegnerschaft entwickelt wird. Es ist völlig akzeptabel und dem Anspruch des Landes angemessen, wenn Südkorea mehr Verantworung in den Weltwirtschaftsinstitutionen wahrnehmen möchte. Wir sollten dies von deutscher Seite aus auch partnerschaftlich unterstützen. ({4}) Ich finde es gut, dass sich Südkorea - das ist auch in unserem Interesse - einem effektiven Multilateralismus öffnet und seine Politik darauf ausrichtet, in dieser Weltgemeinschaft mitzumachen und nicht als isolierte Kraft wirken zu wollen. Deswegen ist es wirklich interessant und anerkennenswert, dass Südkorea zum Beispiel bei der Unterstützung der UN-Einsätze an zehnter Stelle steht. Das ist ein Zeichen dafür, dass hier nicht nur Lippenbekenntnisse abgegeben werden, sondern dass hier konkrete Politik umgesetzt wird. ({5}) Beim Klimawandel ist die verstärkte Zusammenarbeit angekündigt worden. Auch besteht eine breite Übereinstimmung. Die Fortentwicklung der Sechs-Parteien-Gespräche zu einem nordasiatischen Friedens- und Sicherheitsmechanismus findet unsere Zustimmung und unsere Unterstützung. Für diese Region kann es nichts Besseres geben als eine Verständigungspolitik in diesem Bereich. Es gibt schwierige Themen wie beispielsweise die Todesstrafe. Da wird man sicherlich weiter diskutieren müssen, dass man Positionen wie die unserigen übernimmt. Aber ich glaube, diese Themen müssen wir im Augenblick nicht so betonen, weil das auch innere Prozesse sind, die in Zukunft noch in Südkorea laufen werden. Vielleicht noch einmal ein Blick auf die Wiedervereinigung, auf die Politik zwischen Südkorea und Nordkorea. Denn an einem solchen Tag kann man Nordkorea nicht ausblenden, obwohl das, was ich zu den Kontakten ausgeführt habe, eigentlich überwiegend auf Südkorea zutrifft. Dennoch - ich glaube, darauf werden andere Redner auch noch eingehen - ist Nordkorea auch Bestandteil unserer Politik und angesichts der 125-jährigen Beziehungen nicht außer Acht zu lassen. Wer Nordkorea erleben durfte - einige Kolleginnen und Kollegen konnten das ja -, dem wird natürlich sofort aufgefallen sein, dass dort die Menschenrechte nicht gegeben sind, dass die Versorgungssituation für die Menschen problematisch ist, Mobilität eigentlich kaum vorhanden ist, Reisefreiheit nicht gewährleistet ist. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, nach einigen Tagen Nordkorea mit der Chance, auch durchs Land zu fahren, war es mir persönlich ein Rätsel - das ist es auch heute noch -, wie ein solches Land unter diesen Voraussetzungen, die ich hier nur skizzieren konnte, überhaupt zu einer Nuklearmacht werden konnte und dass Befürchtungen bestehen, dass von diesem Land eine solche Aggressivität ausgehen kann. Mir fehlt die Kraft, mir vorzustellen, woher dieses Land diese Kraft nehmen will; ich will das nicht vertiefen. Interessant ist, dass beide Länder, anders als das damals im deutsch-deutschen Verhältnis der Fall war, die Wiedervereinigung wollen. Wir können das nur unterstützen und an beide Regierungen appellieren: Auch wenn man feststellt, dass man sich nicht einig ist, sollte man sich immer wieder zusammensetzen und dem Wiedervereinigungsprozess nicht durch Restriktionen oder mangelnde Flexibilität den Atem nehmen. Dieser Appell ist an beide gerichtet. Es gibt Überreaktionen in Nordkorea, aber auch einige Restriktionen auf südkoreanischer Seite. Ich plädiere dafür, sich die Chancen zu erhalten, die zu einem von beiden Seiten gewollten Wiedervereinigungsprozess führen könnten. ({6}) Ich möchte noch einen kurzen Blick auf die kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Korea werfen. Ich möchte die letzten beiden Minuten meiner Redezeit den Menschen widmen, die zu uns gekommen sind. In unserem Land leben über 30 000 Koreanerinnen und Koreaner. Ich habe das große Glück, eine koreanische Schwägerin zu haben. In meiner Nachbarschaft leben Koreaner, die hervorragend integriert sind. Ich will hier noch einmal ganz deutlich unterstreichen: Diese Menschen, zum Beispiel Krankenschwestern und Bergleute, sind auf unsere Bitte vor 30 bis 35 Jahren hierhergekommen. Sie haben sich wertvoll eingebracht. Wer diese Menschen erlebt, die viel Fleiß aufbringen, die die Fähigkeit besitzen, sich hier zu behaupten, die die Fähigkeit haben, aus ihrer Lebenssituation etwas Optimales zu machen und sich zu integrieren, ohne dabei ihre Wurzeln, Korea, zu vergessen, der kann eigentlich nur sagen: À la bonne heure! ({7}) Ich bin immer wieder begeistert und freue mich über meine Schwägerin, die kulturell sehr aktiv ist. Sie kann die deutsche, die europäische und die koreanische Kultur unwahrscheinlich gut vernetzen. Das ist ein Geschenk für uns. ({8}) Ein weiteres Geschenk - Weihnachten steht vor der Tür - ist die Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe. Lieber Herr Koschyk, lieber Herr Parr, lieber Herr Hettlich, ich möchte mich ganz herzlich für das parteiübergreifende Engagement bedanken. In großer Kollegialität arbeiten wir untereinander, aber auch mit unseren süd- und nordkoreanischen Partnern zusammen. Das bringt Profit für alle. Das ist ein Geben und Nehmen. Ich denke, das ist ein Beispiel für internationale Politik, für Kollegialität nicht nur über die Parteigrenzen, sondern generell über Grenzen hinweg. Dafür ein herzliches Dankeschön. Deswegen kann ich euch allen fröhliche Weihnachten wünschen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Detlef Parr für die FDPFraktion. ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat ein Geschenk, dass wir heute hier debattieren dürfen. Ich freue mich besonders darüber, weil ich in diesem Jahr Gelegenheit hatte, sowohl Südkorea als auch Nordkorea einen Besuch abzustatten. So unterschiedlich die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in beiden Teilen Koreas sind, eines ist bemerkenswert: das Deutschland entgegengebrachte Vertrauen und die gegenseitige Wertschätzung. In der Tat können wir mittlerweile auf eine 125-jährige Zusammenarbeit zurückblicken. Das ist der Anlass für die heutige Aussprache. Es geht hier aber nicht darum, einen formalen Akt zu würdigen, sondern um die Frage, was sich im Laufe der Jahre, vor allem seit den Zeiten der Demokratisierung des Südens und der weitgehenden Isolation des Nordens, verändert hat. Der Handelsvertrag wurde Schritt für Schritt mit Leben erfüllt. Südkorea hat sich durch eine bewundernswerte Kraftanstrengung zu einer führenden Wirtschaftsmacht in der Welt entwickelt. Vor wenigen Tagen haben wir in einem Festakt in der PG die stetig gewachsenen guten Beziehungen gewürdigt. Längst hat sich aus der sachlichen Diplomatie manch persönliche Freundschaft entwickelt. Unsere Beziehungen leben dank der unermüdlichen Unterstützung unserer Botschaften. Ich freue mich sehr, dass Sie, Herr Botschafter Exzellenz Choi und Ihre Begleitung, uns heute die Ehre erweisen, der Debatte hier persönlich zu folgen. ({0}) Sie leben durch die Unterstützung unserer Parlamentspräsidenten, die unseren Parlamentariergruppen sehr gewogen sind. Sie leben durch die privaten Initiativen, wie die der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft oder der Korea Foundation, besonders eindrucksvoll belegt durch das Deutsch-Koreanische Forum, das jährlich einmal in Korea und einmal bei uns stattfindet. Sie leben nicht zuletzt durch unsere politischen Stiftungen. Bitte sehen Sie mir nach, dass ich in diesem Zusammenhang auf die Friedrich-Naumann-Stiftung und ihren Projektleiter für Korea, Walter Klitz, besonders stolz bin, ({1}) aber auch auf die sehr gute Zusammenarbeit aller Stiftungen in Seoul und Pjöngjang. Herzlichen Dank, Herr Seliger. ({2}) Unsere beiden Länder verbindet das Schicksal jahrzehntelanger Teilung. Die Menschen in unserem Land haben sie überwunden. Der Weg war lang. Korea befindet sich noch auf diesem Weg. Wir wollen mit unseren Erfahrungen Wegbegleiter sein. Wir erinnern uns an den Kalten Krieg in Europa, an den langen Atem der Entspannungspolitik, wesentlich getragen von unseren liberalen Außenministern Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel. Wir erinnern uns an die Parallele der Sonnenscheinpolitik des Präsidenten Kim Dae-jung, der dafür den Friedensnobelpreis erhielt. Wir blicken heute mit Sorge auf die koreanische Halbinsel und wünschen uns Ergebnisse bei Verhandlungen, die dem Spuk der Atomwaffen endlich ein Ende machen. ({3}) Wer - wie wir Mitglieder der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe - häufig die Menschen in Südund Nordkorea trifft, weiß: Sie haben diesen Frieden längst verdient. ({4}) Sie haben den Ausbau und die Weiterentwicklung von Sonderwirtschaftszonen wie Kaesong verdient, in denen sich die Leistungsfähigkeit südkoreanischer, aber auch deutscher Wirtschaftsunternehmen mit den Potenzialen nordkoreanischer Arbeitnehmer vereint. Sie haben eine Würdigung des kulturellen Erbes verdient. Eine Restaurierung der bemerkenswert vollständig erhaltenen Altstadt im grenznahen Kaesong könnte touristisch starke Anziehungskraft ausüben. Sie haben auch die Fortentwicklung der Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnungen verdient. Wir erinnern uns an die Treffen langjährig voneinander getrennter Familien; erschütternde Bilder davon gingen damals um die Welt. Diese Bilder dürfen keine Ausnahmen bleiben, sie müssen zur Normalität werden. ({5}) Wir wollen einen Beitrag zur Überwindung der Sprachlosigkeit zwischen Nord- und Südkorea leisten. Bei unseren Begegnungen konnte ich feststellen, dass der Friedensprozess in Europa auf beiden Seiten der unnatürlichen Grenze des Landes genauestens studiert wurde. Er spielt sowohl in der akademischen als auch in der politischen Diskussion eine große Rolle. Wir in Deutschland wissen, dass die deutsche Teilung nur durch einen ständigen Dialog überwunden werden konnte. Beide Seiten Koreas müssen möglichst bald zum Verhandlungstisch zurückkehren, ({6}) und sie müssen versuchen, Lösungen zu entwickeln, die der Vertrauensbildung dienen. ({7}) Das Angebot des südkoreanischen Präsidenten, Lee Myung-bak, mit Nordkorea über die Implementierung aller bisherigen gemeinsamen Erklärungen, vor allem der Erklärungen der beiden Gipfeltreffen vom Juni 2000 und Oktober 2007, zu verhandeln, bietet die Gelegenheit zur konstruktiven Zusammenarbeit. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich mit der Lösung der Nuklearfrage Vertrauen und Kooperation schnell wieder einfinden werden. So weit die große Politik. Im Kleinen: Wollen wir unsere Beziehungen und unser wechselseitiges Verständnis vorantreiben, müssen wir unsere Jugend durch verstärkten Schüler-, Jugendund Studierendenaustausch erreichen. Die PISA-Studie spricht eine deutliche Sprache: Dynamic Korea liegt vorne. Es ist in vielem ein Vorbild. Wir werden uns gemeinsam Gedanken auch darüber machen müssen, auf welchen Wegen und zu welchem Preis wir unsere Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Höchstleistung bringen wollen, wie wir sie in eine Gesellschaft führen wollen, die lebens- und liebenswert und zugleich leistungsfähig ist. ({8}) Ich komme zum Schluss. Wir stehen vor vielen gemeinsamen Herausforderungen. Aktuell trifft die Finanzund Wirtschaftskrise Korea und Deutschland als exportabhängige Volkswirtschaften im gleichen Maße. Umso wichtiger ist es, dass die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der Republik Korea und Europa zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Wir freuen uns darüber, dass Korea zu einem unverzichtbaren Partner in der internationalen Staatengemeinschaft geworden ist und als zwölftgrößte Industrienation eine zunehmend stärkere Rolle in der internationalen entwicklungs- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit spielt. In Erinnerung an die Bergarbeiter - Detlef, du hast sie erwähnt - möchte ich mit einem herzlichen „Glückauf!“ für unsere gemeinsame Zukunft schließen. Ich danke Ihnen. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Hartmut Koschyk hat jetzt für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, es ist schön, dass unser Hohes Haus in dieser Debatte am Ende des Sitzungsjahres diesen Bereich der deutschen Außenpolitik und unserer bilateralen Beziehungen in den Mittelpunkt rückt. Viele in Deutschland, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen, wissen, wie wichtig die Beziehungen zwischen Deutschland und Korea sind. Dabei geht es nicht nur um die Beziehungen Deutschlands zum demokratischen Südkorea. Es ist daran erinnert worden, dass wir seit dem Jahr 2001 auf Wunsch des damaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung auch Beziehungen zu Nordkorea haben. Es ist auch schön, dass wir das 125-jährige Jubiläum des deutsch-koreanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages - auch daran ist schon erinnert worden - gemeinsam mit unserem Bundestagspräsidenten, dem südkoreanischen Botschafter und Abgeordneten der südkoreanischen Nationalversammlung hier in Berlin feiern konnten. Wir wollen uns aber auch der Gegenwart und der Zukunft unserer Beziehungen zuwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war immer wechselseitiges Interesse, wechselseitige Neugier und gegenseitige Bereicherung, die unsere Beziehungen ausgemacht haben. Als sich Korea öffnete, waren es deutsche Kaufleute, deutsche Diplomaten, der Benediktinerorden und Kulturschaffende, die dieses Land bereist und bereichert haben. Aber auch wir in Deutschland verdanken Koreanern große Bereicherung. An die Rolle der Krankenschwestern und Bergarbeiter, die in Deutschland übrigens teilweise einen fantastischen Bildungsaufstieg geschafft haben, ist bereits erinnert worden. Ich habe einmal einen ehemaligen südkoreanischen Bildungs- und Erziehungsminister kennengelernt. Er war in Deutschland Bergarbeiter, hat hier Erziehungswissenschaften studiert, ist dann als Erziehungswissenschaftler nach Korea zurückgekehrt und ist Bildungsund Erziehungsminister seines Landes geworden; er hat übrigens eine schöne Biografie mit dem Titel Vom Bergarbeiter zum Erziehungsminister geschrieben. Auch der Bildungsaufstieg durch gelungene Integration der Bürger mit Migrationshintergrund gehört zu unseren Beziehungen. ({0}) Ich glaube, es ist wichtig, deutlich zu machen, dass dieses Interesse Deutschlands an Korea auch die Phase der Teilung überdauert hat. Wie sich Südkorea sehr stark an der damaligen Bundesrepublik orientiert hat, so hat es auch eine starke Hinwendung Nordkoreas zur DDR gegeben. Es ist für uns, die wir als Mitglieder der Parlamentariergruppe auch den Norden Koreas bereisen, immer wieder sehr beeindruckend, dass wir dort viele Persönlichkeiten treffen, die aufgrund einer Aus- oder Fortbildung in der DDR hervorragend Deutsch sprechen, vom Parlamentspräsidenten bis hin zu Persönlichkeiten, die in Staatsunternehmen oder in der Staatsverwaltung tätig sind. Auch das ist ein Erbe unserer Beziehungen, das wir für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung nutzen sollten. ({1}) Ich will ganz deutlich sagen: Nicht nur im Süden, sondern auch im Norden Koreas sind die Erwartungen groß, dass Deutschland und die Europäische Union den Prozess der Annährung auf der koreanischen Halbinsel, eingeleitet vor allem durch China und die Sechs-Parteien-Gespräche, aktiv begleiten. Ich glaube, es ist richtig und im deutschen Interesse, dass wir unsere Bereitschaft bekunden, uns zu engagieren, dass wir aber auch deutlich machen, dass Deutschland keine Vermittlerrolle, ({2}) wohl aber die Rolle eines ehrlichen Ratgebers spielen kann. ({3}) Was heißt „ehrlicher Ratgeber“? Wir haben Erfahrungen, wie man den Ost-West-Gegensatz, die Konfrontation, durch vertrauensbildende Maßnahmen, wie den KSZE-Prozess, überwinden konnte. Ich finde es sehr interessant, dass es heute bei allen Verantwortlichen der Sechs-Parteien-Gespräche, bei den Chinesen, bei den Japanern, bei den Russen, bei beiden koreanischen Staaten und - darüber freuen wir uns besonders - auch auf der amerikanischen Seite, neben dem in erster Linie vorhandenen Interesse, durch die Sechs-Parteien-Gespräche das Nuklearproblem zu lösen, auch ein großes Interesse daran gibt, diese Gespräche in einen multilateralen Dialogprozess über Sicherheit, Zusammenarbeit und Wohlstandsentwicklung in Nordostasien zu überführen. Man beschäftigt sich in den Sechs-Parteien-Gesprächen bereits auch mit den Erfahrungen im Rahmen des KSZEProzesses in Europa. Das bedeutet für Deutschland und Europa natürlich die Verantwortung, diesen Prozess zu begleiten; denn es war ja kein Zufall, dass Kim Dae-jung seine Rede an der Freien Universität in Berlin gehalten hat, eine Rede, durch die der Prozess der Annäherung gegenüber dem Norden und des historischen Gipfels von Pjöngjang eingeleitet wurde. Auch zur teilweisen Beendigung der Eiszeit und Gesprächslosigkeit zwischen den USA und Nordkorea kam es in Berlin, und zwar im Januar 2007. Es waren die Nordkoreaner, die den Amerikanern gesagt haben, dass sie diese Gespräche in Berlin führen wollen. ({4}) In der Endphase der Bush-Administration gibt es jetzt eine gewisse Annäherung und eine Entspannung zwischen den USA und der nordkoreanischen Seite. Wir alle hoffen und wünschen, dass der künftige amerikanische Präsident Barack Obama eine konstruktive und aktive Politik in Nordostasien betreibt. Es geht uns nichts an, wen die Amerikaner mit dieser Mission betrauen, aber ich will schon sagen: Die Politik und die Diplomatie, die Christopher Hill in dieser Frage betrieben hat, sind anerkennenswert, bemerkenswert und haben zu den Erfolgen bei der amerikanisch-nordkoreanischen Annäherung in der Schlussphase der Bush-Administration geführt. ({5}) Wir wünschen, dass dieser Prozess weitergeht. Deutschland und die Europäische Union begleiten ihn aktiv als ehrliche Ratgeber und Impulsgeber. Wir wollen unsere Erfahrungen vermitteln. Liebe Freunde, ich sage das sehr deutlich, gerade auch in einer Phase, in der uns die Menschen schon auch nach dem Nutzen der Außenpolitik und Diplomatie für die Arbeitsplätze und die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland fragen: Wir als Bundesrepublik Deutschland haben gemeinsam mit der Europäischen Union auch Außenwirtschaftsinteressen in Nordostasien. ({6}) Deshalb ist es klug und richtig, dass die Europäische Union mit Südkorea über ein Freihandelsabkommen verhandelt. Das sind schwierige Fragen, die durch die Wirkungen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft nicht einfacher geworden sind. Es muss aber unser Appell heute sein - das steht auch in unserem Antrag -, in diesen Bemühungen um ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Südkorea nicht nachzulassen. Dabei wird es eine spannende Frage sein, wie man möglicherweise das Industriegebiet Kaesong mit einbeziehen kann; denn das ist schon ein interessantes Projekt; Herr Kollege Dzembritzki hat es angesprochen. Auch Kollege Parr hat davon gesprochen, dass auf nordkoreanischem Boden ein nach modernsten Maßstäben organisiertes Industriegebiet gebaut worden ist, in dem jetzt auch ein deutsches Unternehmen tätig ist. Dass von diesem Kaesong-Projekt und weiteren Projekten auch kulturelle Wirkungen und Begegnungen durch Tourismus und Annährung ausgehen, ist vorgezeichnet. Wir können nur hoffen und wünschen, dass auch die innerkoreanische Annäherung weitergeht. Vielleicht kann auch durch eine diplomatische Offensive des neuen amerikanischen Präsidenten wieder ein Stück Bewegung in den innerkoreanischen Dialog gebracht werden. Wir als Deutsche und Europäer sollten dies aktiv begleiten. Wir haben dort Außenwirtschaftsinteressen, aber wir be21398 merken auch ein großes Interesse am Ausbau unserer kulturellen Beziehungen. Wenn man sich die deutsch-koreanischen Beziehungen im 125. Jahr ihres offiziellen Bestehens ansieht, dann sieht man, dass alle Säulen der deutschen Außenpolitik dort hervorragend funktionieren. Wir haben rege diplomatisch-politische Kontakte. Die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen funktionieren gut. Es war auch wichtig, dass in diesem Jahr eine Delegation des Ostasiatischen Vereins der deutschen Wirtschaft Nordkorea besucht hat, um Möglichkeiten wirtschaftlicher Kooperation mit Nordkorea auszuloten. Das, was das GoetheInstitut, die politischen Stiftungen und auch andere Mittler in der auswärtigen Kulturpolitik in Süd- wie in Nordkorea leisten, ist bemerkenswert. Wir können stolz darauf sein, dass deutsche Kulturpolitik, politische Stiftungen aus Deutschland, die Kirchen aus Deutschland viel zum Demokratisierungsprozess in Südkorea beigetragen haben. ({7}) Wir können stolz darauf sein, wie heute politische Stiftungen, das Goethe-Institut, die Kirchen, aber auch humanitäre Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe und das Deutsche Rote Kreuz helfen, die schwierige Lebenssituation der Menschen in Nordkorea zu lindern. Dies alles gilt es jetzt mit Impulsen zu versehen. Wir haben den Festakt am 4. Dezember, lieber Kollege Parr, lieber Kollege Hettlich, lieber Kollege Dzembritzki, als Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe mit unserem Parlamentspräsidenten, der in diesem Jahr Südkorea besucht hat, gefeiert. Schon der Besuch unseres Bundestagspräsidenten in Korea hat ein ganz interessantes Folgeprojekt nach sich gezogen. Der gegenwärtige südkoreanische Parlamentspräsident hat eine Diskussion über eine Weiterentwicklung der koreanischen Verfassung angestoßen. Es war schon eine Delegation einer vom südkoreanischen Parlamentspräsidenten eingesetzten Kommission unter unserem früheren koreanischen Kollegen Kim Chong-in, der lange Vorsitzender der Parlamentariergruppe war und jetzt diese Kommission im Auftrag des südkoreanischen Parlamentspräsidenten leitet, zu Besuch. Dort ist man sehr an den Ergebnissen unserer Föderalismusreform I interessiert, an allem, was wir an Verfassungsinnovationsprozessen nach und im Zuge der deutschen Wiedervereinigung gestaltet haben. Der Kollege im südkoreanischen Parlament, der dort jetzt die Parlamentariergruppe leitet, war nach der deutschen Wiedervereinigung als damaliger Staatsanwalt über ein Jahr im Bundesjustizministerium, um den Rechtssetzungsprozess im wiedervereinigten Deutschland zu studieren. Auch Symbolik ist wichtig. Was mir an dem Festakt, den wir in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft vor kurzem feiern konnten, besonders gefallen hat: Junge koreanische Künstlerinnen, junge deutsche Künstler, ein junger amerikanischer Komponist, der in Peking lebt, in China arbeitet, haben dort nicht nur traditionelle deutsche bzw. traditionelle koreanische Kunst, sondern auch durch eine sehr moderne Komposition dieses Komponisten ein kulturelles Cross-over präsentiert. Zurzeit ist in der Kultur- und Presseabteilung der koreanischen Botschaft eine Ausstellung einer jungen koreanischen Künstlerin zu sehen, die in Seoul und in Stuttgart bildende Kunst studiert hat und in bemerkenswerten Bildern ihre Sehnsucht als in Deutschland lebende koreanische Künstlerin festhält. Es gibt viele kulturelle Brückenbauer zwischen unseren beiden Ländern. Lassen wir einen solchen Debattentag wie heute Anlass sein, auf eine gute zukünftige Entwicklung in unserer beider Beziehungen zu setzen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Wolfgang Gehrcke hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte fast gesagt: Wir sind jetzt unter uns und reden offen über die Dinge. - Kollege Koschyk, Ihre Bitte an die Fraktionen des Hauses nehme ich sofort auf: Die Linke wird diesem Antrag zustimmen. Der Antrag ist sauber. Er ist in der Sprache vernünftig und maßvoll. Er ist vernünftig in der Politik. Eine Frage bleibt aber für mich offen - nehmen Sie mir einen gewissen Groll nicht übel -: Warum schaffen wir es nicht, im Vorfeld über so etwas miteinander zu reden? ({0}) Sind unsere ideologischen Differenzen so groß, dass wir solche Fragen, in denen wir uns im Wesentlichen einig sind, nicht zusammen angehen können? Sie wollten Signale in Richtung beider Koreas setzen. Wäre es nicht ein überzeugenderes Signal gewesen, wenn wir diesen Antrag gemeinsam erarbeitet hätten? Das alles hat mich aber in meiner Entscheidung nicht weiter verunsichert. Der Antrag ist gut. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Über Einzelheiten hätte man reden können. Ich fand Ihre Rede im gleichen Geist ebenfalls sehr vernünftig und maßvoll. ({1}) Ich hoffe, das schadet Ihnen nicht. Ich müsste mich schon sehr anstrengen, um etwas zu finden, das ich kritisieren könnte. Ich möchte auf die Beschreibung von Ihnen eingehen, wie die deutsche Rolle aussehen kann. Wir sind keine Vermittler, aber wir sind in der Lage, Rat zu geben und Erfahrungen darzustellen, wenn es erwünscht ist. Ich finde, das ist eine richtige Beschreibung. Ich möchte einige Punkte aus dem Antrag etwas vertiefen. Ich finde es wichtig, dass Sie in Ihrem Antrag zu bedenken geben, dass die Erfahrungen, die wir in Europa mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit gesammelt haben, möglicherweise auch mit Blick auf die koreanische Halbinsel sinnvoll sind. Ich jedenfalls denke, dass sie sinnvoll sind. Wenn wir uns die Grundlagen dieser Konferenz in Erinnerung rufen, kommen wir schnell zu den Themen „Wandel durch Annäherung“ und „vertrauensbildende Maßnahmen“. In diesem Zusammenhang könnte man die Erfahrung einbringen, dass vertrauensbildende Maßnahmen schon im Alltag anfangen sollten. Sie sprechen in Ihrem Antrag die Nuklearkrise mit der Vorstellung einer demilitarisierten Halbinsel an, die sicherlich auf die Zukunft gerichtet ist, und fordern, dass das Atomprogramm in Nordkorea beendet werden soll, wie es in den Sechs-Parteien-Gesprächen anvisiert wird. Sie müssten auch die Frage aufwerfen, ob weiterhin amerikanische Truppen in Südkorea stationiert bleiben sollen, die auch über Massenvernichtungsmittel verfügen. Das alles ist Teil dieses Prozesses. Die Vorstellung, dass es in einem Brennpunkt, in dem es einen heißen Krieg gegeben hat, zu einer Demilitarisierung kommen könnte, finde ich höchst attraktiv. Sie müssen aber berücksichtigen, dass wir diesen Gedanken auch in anderen Regionen der Welt weiterverfolgen und vertiefen müssen. Das entspricht unserer Politik. Ich habe ähnlich wie Sie die Erfahrung gemacht, dass sich der Gedanke der Wiedervereinigung in beiden koreanischen Staaten - das ist ein schwieriges Thema von dem in Deutschland unterscheidet: Er ist sehr viel tiefer, lebendiger und geschichtlich gesicherter, obwohl dieses Land Schauplatz eines heißen Krieges war. Wenn man die Geschichte des Koreakriegs aufmerksam studiert, dann wird man leider feststellen, dass damals die Gefahr eines atomaren Krieges bestand. Auch das muss uns als Mahnung aus der Geschichte sehr präsent sein. Zum Schluss will ich noch einen Punkt ansprechen. Viele Kollegen, gerade Außenpolitiker, kommen immer wieder auf ihre Sorge zu sprechen, dass Nordkorea Waffentechnik und Rüstungstechnik exportiert, was in anderen Teilen der Welt zu Problemen führen kann. Ich kann das im Einzelnen nicht beurteilen. Aber ich finde es klüger, Rüstungsexporte nicht zu finanzieren. Ich würde lieber dafür bezahlen, dass keine Rüstung exportiert wird. Das ist besser, als wenn wir selber im Rüstungsgeschäft mitmischen. Wenn wir mit Nordkorea weiterkommen wollen, dann sollten wir in der Politik verstärkt auf Entwicklungszusammenarbeit und Kooperation setzen, damit dieses Land nicht gezwungen wird, seine Rüstung in andere Teile der Welt zu exportieren. Auch das könnte eine Überlegung sein. In diesem Punkt sehe ich eine Differenz zu Ihrem Antrag. Sie sehen weitere Maßnahmen vor, nachdem bestimmte Fragen geklärt sind. Ich würde stattdessen in etwa Folgendes formulieren: Um diese Fragen zu klären, verfahren wir so. ({2}) Wir könnten also durchaus zu einem konstruktiven Dialog kommen. Die Zeit ist um, Weihnachten steht vor der Tür. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, dass ihre Wünsche, die sie zu Weihnachten haben, in Erfüllung gehen. Ich füge hinzu: Ich wünsche mir, dass wir einmal ein Jahr im Bundestag haben, in dem wir keine deutschen Soldaten in alle Welt geschickt haben, dass die Botschaft des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ - das ist fast wie eine Weihnachtsbotschaft - überall eingelöst wird und dass wir ein Stück weit dazu beitragen können. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Peter Hettlich hat jetzt das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Exzellenz, Herr Botschafter Choi Jung-Il! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist immer schwer, als Letzter zu sprechen, da man vieles aus seinem Manuskript streichen kann, weil Detlef Dzembritzki und der Kollege Koschyk bereits darauf hingewiesen haben. Ich versuche, in den fünf Minuten, die mir zur Verfügung stehen, ein paar neue Punkte in die Debatte einzubringen. Ich nehme meine Rede zum Anlass, den Kolleginnen und Kollegen aus der Parlamentariergruppe Deutschland-Korea, insbesondere den älteren Kollegen Hartmut Koschyk, Detlef Parr und Johannes Pflug - dieser ist heute nicht da -, für eine spannende und sehr lehrreiche Zusammenarbeit in den vergangenen sechs Jahren zu danken. Gerade als junger Abgeordneter habe ich von ihnen viel nicht nur über Korea, sondern auch über die hohe Kunst der Diplomatie lernen können. Die beiden großen Koreareisen und die anderen Erlebnisse sind Erfahrungen, die ich so schnell nicht vergessen werde, vermutlich nie. Dafür mein ganz persönlicher Dank an die Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Ich will an dieser Stelle ausdrücklich die wichtige Rolle der vielen anderen Parlamentariergruppen des Deutschen Bundestages würdigen. Ihre Arbeit blüht leider meistens im Verborgenen. Sie ist aber unverzichtbar und wichtig - neben den offiziellen außenpolitischen Kontakten der Bundesregierung und der Parlamente für die Völkerfreundschaft, da sie vielfältige Möglichkeiten im Kontakt zwischen den jeweiligen Parlamenten und Parlamentariern bietet. Ihre Bedeutung und Wichtigkeit wird auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ein Gespräch mit den jeweiligen Parlamentariergruppen bei hochrangigen Staatsbesuchen einen hohen Stellenwert in den offiziellen Besuchsprogrammen hat. Den Menschen, die nicht tagtäglich mit dem Deutschen Bundestag zu tun haben, also die Besucher auf der Zuschauertribüne und die Zuschauer vor den Fernsehern, will ich deutlich machen: Hier haben wir eine Perle des Parlamentes. Ich wünsche mir, dass wir häufiger über solche Themen diskutieren. ({1}) Als ich 2002 gefragt wurde, für welche Parlamentariergruppe ich mich entscheide, habe ich mich unter anderem für die Parlamentariergruppe DeutschlandKorea entschieden, weil es mich interessierte, wie die Situation in einem Land ist, das noch geteilt ist. Ich bin 1990 von Köln nach Sachsen gezogen und habe vom ersten Tag an den deutschen Transformationsprozess hautnah miterlebt. In der Tat hat mich bei meinen Besuchen in Korea positiv überrascht, dass eine Wiedervereinigung kein Tabuthema ist, weder im Norden noch im Süden. Es wurde immer wieder offensiv angesprochen. Wir wurden ständig gefragt: Wie habt ihr euren Prozess der Wiedervereinigung begleitet und erlebt? - Das ist in der jüngeren deutschen Geschichte ganz anders gewesen. In der DDR war die Wiedervereinigung ein Tabuthema, das bei offiziellen Kontakten nicht angesprochen wurde. ({2}) Daher waren die Erlebnisse in Korea für mich eine ganz neue, spannende Erfahrung. Wir wurden auch immer gefragt, ob wir uns eine Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel vorstellen könnten. Uns verbindet also vieles, viel mehr als nur der 125. Jahrestag der Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen Deutschland und Korea. Ich warne davor, unsere Erfahrungen mit dem deutschen Transformationsprozess zwischen Ost und West zu verallgemeinern. Wir sollten uns auch davor hüten, kluge Ratschläge zu geben. Hartmut Koschyk hat recht: Wir sollten ein ehrlicher Ansprechpartner für Nord- und Südkorea sein, wenn es darum geht, den Wiedervereinigungsprozess zu begleiten und vielleicht konstruktiv zu unterstützen. Die Koreaner werden vermutlich ab und zu unseren Rat benötigen. Aber ich rate den Koreanern: Vertrauen Sie auf Ihre eigenen Stärken! Sie werden in dem Transformationsprozess, vor dem Sie stehen, Ihre eigenen Erfahrungen sammeln und Ihre eigenen Fehler machen müssen. Das werden wir Ihnen nicht ersparen können. Für mich ist eine weitere Erfahrung aus der jüngeren deutschen Geschichte wichtig, die ich gern weitergeben möchte: Wandel durch Annäherung. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass das damals, als ich noch Schüler war, politisch sehr umstritten war. Aber der KSZE-Prozess und die Entwicklungen, die in den 70erJahren angestoßen worden sind - Hartmut Koschyk hat darauf hingewiesen -, haben dazu geführt, dass es zu einer friedlichen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten gekommen ist. Ich kann deshalb nur an beide koreanischen Staaten appellieren: Bleiben Sie im Gespräch, pflegen Sie weiterhin den Gedankenaustausch! Dann kann und wird eine friedliche Wiedervereinigung auch auf der koreanischen Halbinsel gelingen. ({3}) Für mich ist die deutsch-koreanische Freundschaft keine Floskel. Ich habe sie bei Besuchen in Korea und bei Besuchen von koreanischen Parlamentariern tagtäglich erlebt. Für mich ist das wirklich ein Coming Home. Selbst in Nordkorea habe ich immer wieder erlebt, dass man uns wirklich herzlich und freundschaftlich empfangen hat. Insofern muss ich an dieser Stelle sagen: Ich hoffe, dass die Sechsergespräche im nächsten Jahr, auch durch die veränderte US-Administration, neuen Schwung bekommen. Ich wünsche mir, dass das Jahr 2009 nicht nur ein denkwürdiges Jahr der deutsch-koreanischen Freundschaft darstellen wird, sondern auch den von uns erhofften und erwünschten Durchbruch bei diesen internationalen Verhandlungen bringt. Etwas Schöneres kann ich mir als Mitglied dieser Parlamentariergruppe zum Ende dieses Jahres eigentlich nicht wünschen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/11451 mit dem Titel „Die deutsch-koreanischen Beziehungen dynamisch fortentwickeln“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist einstimmig angenommen. ({0}) Wir danken Ihnen, Herr Botschafter, und Ihrer Delegation sehr, dass Sie unserer Debatte gefolgt sind. ({1}) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck ({2}), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stand der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften - Drucksachen 16/7550, 16/10432 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Verabredung ist hierfür eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf MinuVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ten erhalten soll. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Als erstem Redner gebe ich dem Kollegen Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor gut anderthalb Stunden trafen wir uns am Mahnmahl für die verfolgten Homosexuellen, um zu mahnen und dagegen zu protestieren, dass dieses Mahnmal zum zweiten Mal von Vandalen beschädigt worden ist. Ich denke, dass ich für alle Fraktionen des Hauses sagen kann: Wir lassen nicht zu, dass das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus angegriffen wird. Wer das angreift, der will letztendlich Gewalt gegen und Verfolgung von Homosexuellen wieder denkbar machen. Das weisen wir gemeinsam entschieden zurück. ({0}) Als Antwort auf die Barbarei des Nationalsozialismus haben die Vereinten Nationen vor 60 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Wir haben dieses Ereignis in der letzten Sitzungswoche am Freitag in einer Debatte gewürdigt. In der Erklärung heißt es: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Durchzusetzen, dass auch Homosexuelle gleiche Rechte haben und ihre Partnerschaften den gleichen Respekt von der Rechtsordnung erfahren, darum geht es im Kern bei der Diskussion über die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Rechtsstellung homosexueller Partnerschaften. Es passt nicht in diese Zeit und in eine Demokratie und in einen Rechtsstaat, dass homosexuelle Partnerschaften immer noch schlechter behandelt werden als heterosexuelle Paare. ({1}) Wenn man sich die Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung darauf anschaut, dann sieht man, dass wir 2001 einen großen Schritt gemacht haben. Überall dort, wo seit 2001 rot-grüne Landesregierungen regiert haben, wurde die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften auch im Landesrecht vorangebracht. Durch die Föderalismusreform können mittlerweile auch die Länder das Beamtenrecht regeln. Das rot-grüne Bremen war das erste Land, das die Gleichstellung der Lebenspartnerschaft geregelt hat. Hamburg hat es in den Koalitionsvertrag geschrieben. Viele Bundesländer haben - unabhängig von der politischen Farbe, in der sie regiert werden - zumindest Schritte in Richtung Gleichstellung gemacht. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass im Bund beim Thema Dienstrechtsneuordnungsgesetz, bei der Neukodifizierung des Beamtenrechts nach der Föderalismusreform, nichts, aber auch gar nichts geschehen ist, weder beim Familienzuschlag noch bei der Beihilfe oder der Hinterbliebenenversorgung. Meine Damen und Herren, wir schicken auch homosexuelle Soldaten in Auslandseinsätze, wir schicken homosexuelle Diplomaten in die ausländischen Vertretungen; sie haben der gleichen schwierigen Rechtssituation zu begegnen wie heterosexuelle Paare in solchen Extremsituationen auch. Wie können wir homosexuellen Partnerschaften, die die gleichen Verpflichtungen übernehmen, in denen Lebenspartner ihr Leben gemeinsam planen, den gleichen Schutz, den wir für Heterosexuelle für erforderlich halten, weiterhin verweigern? Ich fordere Sie von der CDU/CSU auf: Geben Sie endlich die Blockade auf; denn ohne Sie wäre das alles schon längst beschlossene Sache! ({2}) Mittlerweile laufen wir nicht nur darauf zu, dass die Bundesrepublik Deutschland an diesem Punkt nicht vorankommt und sich zum Schlusslicht in Westeuropa entwickelt. Wir sind vielmehr bereits einmal vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden, weil wir in diesem Bereich diskriminierten. Wir haben mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz - das haben wir uns damals unter RotGrün auch so gedacht - die gleichen Pflichten wie in der Ehe geschaffen, die gleichen Trennungsregelungen, das gleiche Unterhaltsrecht, die gleiche Übernahme von sozialrechtlicher Verantwortung mit der Auswirkung, dass man erst dann Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bekommt, wenn der Partner einen nicht unterhalten kann. Jetzt muss die Gleichstellung im Einkommensteuerrecht, bei der Erbschaftsteuer oder im Beamtenrecht folgen. Der Europäische Gerichtshof hat im Fall Maruko gesagt, Deutschland diskriminiere homosexuelle Paare. Wir müssen uns das einmal vor Augen führen: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Lebenspartnerschaftsgesetz gesagt, Art. 6 Grundgesetz stehe einer Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe nicht im Wege, weil diejenigen, die in einer Lebenspartnerschaft leben, nicht wahlweise ansonsten in eine Ehe gingen und deshalb der Schutz der Ehe durch die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften in keiner Weise tangiert werde. Das Europarecht besagt: Eine Differenzierung ist nur dann keine verbotene Diskriminierung, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Ziels - das wäre der Schutz von Ehe und Familie durchaus - notwendig, effizient und verhältnismäßig ist. Aber das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass dies nicht notwendig ist. Damit ist die Differenzierung beim Steuerrecht und beim Beamtenrecht in europarechtlicher Hinsicht nicht mehr zulässig, und zwar weder nach den Europäischen Verträgen, soweit der Kompetenzbereich berührt ist, noch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention in allen übrigen Fragen. Warten Sie nicht ab, bis wir hier in Deutschland ein Urteil nach dem anderen kassieren, sondern stellen Sie die Lebenspartnerschaften gleich! Es ist jetzt Weihnachten, das Fest der Familie. Auch wir Homosexuellen sind Familie. Volker Beck ({3}) ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Daniela Raab hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Beck, Sie haben sehr staatstragend begonnen und uns fehlenden Respekt vor den homosexuellen Lebenspartnerschaften bzw. vor den Menschen vorgeworfen, die homosexuell orientiert sind, und damit gleich noch fehlendes Demokratieverständnis verbinden wollen. Ich bitte Sie, vielleicht nicht ganz so hoch zu greifen. Das wird dem Thema auch nicht gerecht. Ich bin absolut nicht auf Krawall gebürstet, sondern weihnachtlich friedlich; ich möchte auch heim zu meiner Familie, so wie Sie auch. Nichtsdestotrotz müssen wir uns heute wieder einmal - zum ich weiß nicht wievielten Male - mit diesem Thema auseinandersetzen. ({0}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie sich immer gleich so aufregen. Bleiben Sie doch einfach einmal ruhig! Ich glaube, es gibt gar nicht so viel Grund zur Aufregung. Wenn man die 50 Fragen der Großen Anfrage und die 50 beeindruckenden Antworten gelesen hat, kann man durchaus feststellen, dass sich einiges bewegt hat, Herr Beck. Das hätten Sie neben den gewaltigen Zitaten aus irgendwelchen Urteilen erwähnen dürfen. Es hat sich natürlich auch in dieser Legislaturperiode, unter dieser Regierung einiges bewegt. Ich möchte nur ganz kurz ein paar Beispiele aufzählen; denn jeder kann nachlesen, was ihn interessiert. Beim Unterhaltsrecht, beim Personenstandsreformgesetz, bei den Witwenrenten, überall da hat sich einiges bewegt. ({1}) Ich könnte noch vieles mehr nennen. Ich steige jetzt aber nicht in die Tiefen des Bestattungswesens der einzelnen Bundesländer ein, wozu Sie einige tiefgehende Fragen gestellt haben. ({2}) - Da gebe ich Ihnen sofort recht. Das waren natürlich nicht unsere Initiativen; dazu komme ich jetzt. ({3}) - Ich habe es einfach langsam ziemlich satt! ({4}) - Keine Zwischenfragen! Ich will auch heim zu meiner Familie, Herr Beck. Sie hatten fünf Minuten Zeit, Ihre Meinung darzustellen. Üben Sie sich jetzt vor Weihnachten in engelsgleicher Geduld und hören Sie mir zu! Vielen Dank. ({5}) - Lieber Herr Kollege Beck, ({6}) jetzt bleiben Sie einfach ruhig! Es ist ja unerträglich. Wir sind nach wie vor nicht der Meinung, dass es zu einer vollständigen Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft kommen soll und muss. Das ist die Meinung der Union. Ich weiß, dass wir mit dieser Meinung hier nicht mehrheitsfähig sind. Ich nehme mir trotzdem heraus und nehme mir trotzdem die Freiheit, diese Meinung weiterhin zu vertreten. ({7}) Dafür lasse ich mich von Ihnen auch nicht an den Pranger stellen. Wenn Sie mich dafür beschimpfen, nehme ich es gern als Kompliment. ({8}) Die Leute, die mich zu Hause diesbezüglich unterstützen, werden das auch so sehen. Sie haben natürlich wieder mal Karlsruhe zitiert, das Urteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz. Natürlich steht darin: Der Gesetzgeber ist durch Art. 6 nicht gehindert, gleichzustellen. - Er muss aber nicht gleichstellen. ({9}) Ich gehöre nach wie vor zu der nicht unbedeutenden Fraktion derer, die der Meinung sind, dass es ein Abstandsgebot zwischen der Ehe und allen anderen Partnerschaften, die in diesem Lande gelebt werden, geben muss. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun. ({10}) - Nein, das ist keine Diskriminierung ({11}) - wie ich vorhin schon gesagt habe: keine Zwischenfragen! -, sondern schlicht und ergreifend eine Andersbehandlung von Dingen, die anders sind. ({12}) Auch das steht in der Verfassung: Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. ({13}) Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Der Gesetzgeber hat bewusst die Entscheidung getroffen, in einigen Punkten gleichzustellen und in einigen Punkten nicht gleichzustellen. Solange die Union an der Regierung beteiligt ist, wird es eine vollständige Gleichstellung nicht geben. Was Sie zu irgendwelchen anderen Zeitpunkten machen, kann ich heute nicht beeinflussen. Zur Erbschaftsteuer; Sie haben es angesprochen. Hier sind wir einen Schritt gegangen, den ich persönlich nicht für möglich gehalten hätte und den ich auch nicht gut finde. Wir stellen nichteheliche Lebenspartner zum Teil besser als Geschwister, Nichten und Neffen. Das war für mich ein ganz starker Grund dafür, herbe Kritik an der Erbschaftsteuerreform zu üben. Aber so ist es nun einmal: Wir haben uns an dieser Stelle bewegt, bewegen müssen; das gebe ich zu. Wir haben uns zum Beispiel jetzt auch in Bayern bewegt. Bisher hat man in Bayern die eingetragenen Lebenspartnerschaften beim Notar geschlossen. Wir haben uns von der FDP überzeugen lassen, dass das in Zukunft beim Standesamt geschehen soll. ({14}) - Herr Kollege, weder bin ich hier überzeugungsfähig, noch will ich Sie von meiner Meinung überzeugen. ({15}) - Natürlich tue ich das. Das ist jetzt der Demokratieansatz: Wenn man anderer Meinung ist, soll man es nicht sagen dürfen. - Das finde ich sehr interessant, will ich an dieser Stelle aber nicht weiter vertiefen. ({16}) Ich sage Ihnen einfach nur noch einmal: Die Große Anfrage hat sicherlich aufgedeckt, wo es Differenzen gibt - man kann sich darüber unterhalten, ob man sie an der einen oder anderen Stelle überwinden will oder nicht -, aber sie hat genauso aufgedeckt, dass es an vielen Stellen Gleichstellung gegeben hat, unter dieser Koalition und natürlich auch schon davor. Zu allem anderen können wir gern weiter diskutieren. Ich lasse mich aber nicht von meiner Grundsatzüberzeugung abbringen, dass es weiterhin Unterschiede geben muss, weil es sich um unterschiedliche Rechtsinstitute handelt. In diesem Sinne danke ich Ihnen trotzdem für die unendliche Geduld, mit der Sie mir zugehört haben. Es war mir völlig klar, dass ich Ihnen heute nichts Neues erzähle, Herr Kollege Beck. ({17}) Wir haben das Thema hier vielleicht schon 15-mal debattiert. Immer wir beide durften die Fackeln für unsere Fraktionen tragen. Ich weiß, dass ich hier keine unbedingt gute Position einnehme. Ich stehe trotzdem zu meiner Meinung und bin auch verpflichtet, die Meinung meiner Fraktion in dieser Form wiederzugeben. Wir sind an einigen Stellen verhandlungsbereit, aber nicht an allen von Ihnen gewünschten. Vielen Dank. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Kauch spricht jetzt für die Fraktion der FDP. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einwurf des Kollegen enthält einen richtigen Hinweis - Frau Raab, Sie haben es selber angesprochen -: Die CSU/FDP-geführte Bayerische Staatsregierung hat auf Druck der FDP beschlossen, die Standesämter für das Schließen gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften zu öffnen. Frau Raab, es hat doch gar nicht wehgetan! ({0}) Sie werden sehen, dass die gesellschaftliche Realität in Bayern weiter ist als das, was die CSU vertritt, und dass es irgendwann auch in ihrem Interesse sein wird, dass wir hier zu einer Modernisierung des Rechts kommen. Wir sollten uns einmal anschauen, wie es in der Welt aussieht: In Belgien, in Kanada, in Spanien, in Südafrika, in Schweden, in Finnland, in Norwegen, in Island, in Dänemark, in Irland, in den Niederlanden, in Großbritannien und in Neuseeland, ({1}) überall dort und in einigen Bundesstaaten der USA gibt es inzwischen eine vollständige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Die CDU/CSU möchte doch sonst immer, dass Deutschland an der Weltspitze steht. Daher sollten Sie hier ein Einsehen haben. Diejenigen Regionen, die tolerant gegenüber ihren Minderheiten sind, sind diejenigen, die in der Welt erfolgreich sind - auch in der Wirtschaft. ({2}) Wenn man sich anschaut, wie es mit den Bürgerrechten aussieht, dann erkennt man, dass es natürlich etwas schwach ist, zu sagen: Mit uns wird es das nicht geben, weil das halt anders sein muss. Auch was die Union angeht, habe ich selten eine so schwache Argumentation gehört. Ich hätte mich gefreut, wenn hier wenigstens die Gründe vorgetragen worden wären, weshalb diese Rechtsinstitute anders behandelt werden müssen; aber da war völlige Fehlanzeige. ({3}) Wenn Sie diese Gründe nämlich benennen würden, dann würde Ihnen das in der Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht zum Wohle gereichen. Nehmen Sie sich doch einmal die Länder zum Vorbild: Unabhängig von der politischen Couleur haben mehrere Länder in ihrem Landesrecht eine völlige Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft mit der Ehe entweder schon vollzogen, oder sie stehen kurz davor. Dazu gehören nicht nur Länder, an deren Landesregierungen Grüne und FDP beteiligt sind, sondern auch solche, in denen die CDU regiert: Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland. Überall dort haben wir Fortschritte erreichen können. Es wäre an der Zeit, dass die Bundestagsfraktion der CDU/CSU die Lockerungsübungen, die in den Ländern bereits durchgeführt werden, nachvollzieht. Es geht hier schlichtweg um die Frage, ob Menschen, die gleiche Pflichten füreinander übernommen haben - letztendlich zur Entlastung der staatlichen Gemeinschaft -, die gleichen Rechte bekommen. Wir sagen ganz klar: Wer gleiche Pflichten hat, der muss auch gleiche Rechte bekommen. ({4}) Das betrifft zum Beispiel das Beamtenrecht. Warum behandeln wir eigentlich die Mitarbeiter unseres Staates schlechter als die Mitarbeiter von privaten Unternehmen, beispielsweise wenn es um die Hinterbliebenenversorgung geht? In der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es für den hinterbliebenen Lebenspartner einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung; im Beamtenrecht gibt es ihn nicht. Wir haben eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber unseren Beamten; das ist doch einer der Grundsätze des auch von Ihnen hochgehaltenen Berufsbeamtentums. Ich möchte Sie auffordern: Sehen Sie die Menschen, die dahinterstehen! Sehen Sie nicht nur irgendwelche rechtlichen Konstruktionen! Was die Adoption angeht, muss man einfach feststellen: Es gibt inzwischen viele Kinder, die in gleichgeschlechtlichen, gerade in lesbischen Lebenspartnerschaften, aufwachsen. Keine sozialwissenschaftliche Studie, keine pädagogische Studie gibt Hinweise darauf, dass diese Kinder schlechter aufwachsen als solche, die in einer Ehe groß werden. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund dafür, dass Sie die Möglichkeit verwehren, dass - beispielsweise im Falle einer Lesbe, die allein ein Kind adoptiert hat - eine zweite Person als zweiter Elternteil etwa für den Unterhalt aufkommt. Das dient nicht dem Kindeswohl, sondern das schadet dem Kindeswohl an dieser Stelle. ({5}) Lassen Sie mich, Frau Raab, abschließend auf Ihre Einlassung zum Erbschaftsteuerrecht eingehen. Auch wir von der FDP haben in der Tat kritisiert, dass Geschwister infolge dieser Erbschaftsteuerreform schlechter gestellt werden. Aber Sie können doch nicht sagen: Weil wir als Große Koalition die Geschwister schlechter stellen, müssen wir auch Lebenspartner schlecht stellen. Was ist denn das für eine Argumentation? Wir Liberale sagen: Die Menschen, die dem Erblasser nahestehen, müssen besonders behandelt werden. Das betrifft die Geschwister; das betrifft aber auch weitere, insbesondere die Lebenspartner, die vielleicht 20 oder 30 Jahre miteinander verbracht haben und füreinander eingestanden sind. Der Staat sollte nicht hinterher in Dinge eingreifen, die man sich gemeinsam erarbeitet hat. Herzlichen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Bundesministerin Brigitte Zypries hat jetzt das Wort.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal ist es, wie ich denke, verdienstvoll, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diese Anfrage gestellt hat. Damit wurde uns Gelegenheit gegeben, Bilanz zu ziehen. Das ist ja immer wichtig in einem Rechtsgebiet, in dem man, wie wir wissen, noch einiges bewegen muss, weil man nicht alles erreicht hat. Es ist natürlich wie immer eine Frage des Blickwinkels. Man kann sagen: Das Glas ist halb voll. Man kann auch sagen: Das Glas ist halb leer. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass das Glas hinsichtlich der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften in Deutschland auf alle Fälle dreiviertel voll ist. Das sollte man ruhig einmal würdigen. Richtig ist natürlich auch: Wir haben keineswegs alles erreicht. Deshalb müssen wir weiter an der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften arbeiten. Mit der Antwort auf diese Große Anfrage liegt Ihnen jetzt umfängliches Material vor. Wir haben uns vonseiten der Bundesregierung wirklich Mühe gegeben. Das tun wir zwar immer, aber in diesem Falle ist auch aufgrund der Tatsache, dass die Anfrage so umfänglich war, sehr viel zusammengetragen worden. Wir haben alle Ressorts daran beteiligt. Die Bundesländer haben Erkenntnisse zugeliefert, und das Auswärtige Amt hat die Rechtslage in anderen Staaten recherchiert. Das wurde eben schon freundlicherweise von Herrn Kauch vorgetragen. ({0}) Wir können, wie ich glaube, insgesamt sagen, dass wir in 80 bis 90 Prozent der Rechtsgebiete heute die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften erreicht haben. Das ist die Folge des Lebenspartnerschaftsgesetzes und des Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetzes. Ich denke auch, das ist ein bleibendes Verdienst von Rot-Grün. ({1}) Wir haben in der jetzigen Koalition immer darauf gedrängt, weiter an diesem Strang zu ziehen und an diesen Fragen weiterzuarbeiten. Frau Raab hat eben dankenswerterweise gesagt, dass sie, auch wenn ihr das nicht leicht gefallen ist, doch einige Sachen mitgemacht hat. Deswegen wäre es auch falsch, zu sagen, dass man in dieser Legislaturperiode in diesem Rechtsgebiet nichts erreicht habe. Ein Bereich ist das Erbschaftsteuerrecht - das ist eben schon gesagt worden -, daneben gibt es aber auch das Personenstandsrecht. Wir haben durchgesetzt, dass die Zuständigkeit des Standesamtes für alle in ganz Deutschland gilt. Der Deutsche Bundestag hat damit ganz klar deutlich gemacht: Jede Beziehung verdient die gleiche Anerkennung und den gleichen Respekt, und deshalb soll auch jede Beziehung vor einem Standesbeamten im Rathaus geschlossen werden können. Es gibt aber natürlich in einigen Bereichen wie dem Beamtenrecht noch Defizite. Ich möchte gerne noch einmal darauf eingehen - dieses Thema treibt mich um; wir haben es auch innerhalb des Kabinetts schon einmal thematisiert -, dass es juristisch nicht nur um Art. 6 des Grundgesetzes und um die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften geht, sondern dass es ja irgendwann auch Probleme in Zusammenhang mit Art. 3 geben könnte. Die Juristen hier im Hause, insbesondere auf der rechten Seite der Koalitionsfraktionen, werden mir sicherlich schnell zustimmen können, dass sich, wenn wir anerkennen, dass es die gesetzliche Witwenrente gibt, schon die Frage stellt, wie lange wir es insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 3 noch werden rechtfertigen können, dass verwitwete Lebenspartner von Beamten keine Pensionsansprüche haben. Es muss ja die Frage gestattet sein, ob der Lebenssachverhalt so unterschiedlich ist, dass es eine Legitimation dafür gibt, bei gesetzlich Versicherten andere Regelungen vorzusehen als bei Beamtinnen und Beamten. Ich habe da meine Zweifel. Wie gesagt, das haben wir auch schon innerhalb des Kabinetts diskutiert. Herr Beck, das Auswärtige Amt bildet eine Ausnahme hinsichtlich der homosexuellen Lebenspartnerschaften; denn dort gibt es Zulagen. ({2}) - Das weiß ich jetzt nicht. ({3}) Aber da gibt es auf alle Fälle Sonderregelungen für homosexuelle Partnerschaften. Das müsste man noch einmal in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen, in der das sicherlich steht. ({4}) - Sie dürfen gerne fragen; aber ich weiß möglicherweise die Antwort selber nicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie können das auch untereinander regeln. Wahrscheinlich wird Herr Beck jetzt sagen: „Stimmen Sie mir zu, dass in der Antwort auf die Anfrage Folgendes …“

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie mir zu, ({0}) dass das Anliegen der Arbeitsgruppe der homosexuellen Diplomaten im Auswärtigen Amt berechtigt ist, die eine unverzügliche Gleichstellung fordert? Denn wenn der Partner oder die Partnerin eines homosexuellen Diplomaten bei einem auswärtigen Einsatz mitkommt, ist die Lebenssituation von den gleichen finanziellen Probleme geprägt wie bei den heterosexuellen Paaren, nämlich nicht mehr beschäftigt zu sein, aus dem System hier herauszufallen und eine private Auslandskrankenversicherung abschließen zu müssen, was den Diplomaten als zusätzliche finanzielle Last selbstverständlich nicht zuzumuten ist, und meinen Sie nicht auch, dass die Tatsache, dass wir im Fall des Todes eines entsandten Soldaten bei Ehepaaren helfen und bei Lebenspartnern so tun, als hätten sie nichts miteinander zu tun, ein untragbarer Zustand ist?

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Beck, es wäre mir leichter gefallen, Ihnen zuzustimmen, wenn Sie sich auf die reinen Fakten beschränkt hätten. Aber da Sie den Schlenker gemacht haben, dass es sich um eine finanziell unzumutbare Situation handele, muss ich jetzt etwas zögern, weil ich, ebenso wie Sie, weiß, dass sämtliche Beschäftigten des Auswärtigen Amts, die ins Ausland gehen, eine Auslandszulage bekommen und deshalb so schlecht nicht dastehen. Objektiv ist es aber natürlich richtig, dass es sich um eine Ungleichbehandlung handelt. Da stimme ich Ihnen zu; das sehe auch ich so. Dennoch weise ich darauf hin, dass es im Auswärtigen Dienst nicht ganz so schlimm ist, wie Sie sagen. Meine Damen und Herren, Fazit ist - wenigstens insoweit kann ich mich einem Teil meiner Vorredner anschließen -: Wenn wir sagen, dass Ehepaare und Lebenspartnerschaften dieselben Verpflichtungen haben, dass Menschen, die zusammenleben, füreinander einstehen, sorgen und Verantwortung übernehmen müssen, dass auch eine volle Verpflichtung bestehen soll, wenn ein Partner arbeitslos geworden ist oder sonstige Behinde21406 rungen eingetreten sind, dann, finde ich, muss der Staat auch dieselben Rechte gewähren. Das größte Ärgernis ist für mich nach wie vor die Frage der steuerlichen Gleichbehandlung im Hinblick auf die Steuerklassifizierung. Es ist ja heute tatsächlich so, dass homosexuelle Paare mit einem Kind, die sich verpartnern, steuerlich schlechter stehen, als wenn sie nicht verpartnert sind. Diese Situation darf nicht sein. Von daher sehe auch ich es so, dass wir an diesem Thema weiter arbeiten müssen. ({0}) - Danke. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nach dem verzögerten Applaus hat jetzt die Kollegin Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, das Ende war vielleicht etwas zu abrupt. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Frau Raab, zu Ihrer Rede nur so viel: Sie sind direkt gewählt, und ich frage mich, mit welchem Anspruch Sie Politik machen. ({0}) Unter „demokratisch“ verstehe ich, dass man miteinander in einen Dialog tritt. Aber Sie haben hier gesagt, Sie wollten sich nicht überzeugen lassen und Sie wollten auch nicht überzeugen. Sie wollen keinen Dialog. Das finde ich sehr undemokratisch. ({1}) - Hören Sie einmal kurz zu! ({2}) Die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft als rechtliches Institut ist mittlerweile nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich in diesem Land weitestgehend anerkannt. So wurde es in einem Vortrag auf der Klausurtagung Ihrer AG Recht am 25./26. Mai dieses Jahres ausgeführt. Haben Sie den Vortrag in der Luft zerrupft? Dieses Thema wird also selbst in Ihrer Fraktion so diskutiert. Frau Zypries hat in einer Pressemitteilung gesagt: Eine Gleichbehandlung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren ist in unserer momentanen Gesellschaft ein Gebot der Toleranz, der gegenseitigen Achtung und Anerkennung. So kam es auch heute wieder zum Ausdruck. Das zeigt, dass es eigentlich maßgebliche Stimmen in Ihrer Koalition gibt, die für die Gleichbehandlung sind. Sie könnten in dieser Richtung also endlich etwas tun. Wir reden über nichts anderes als über ein Rechtsinstitut, mit dem Menschen öffentlich bekunden, dass sie füreinander einstehen und entsprechend auch Pflichten übernehmen wollen. Aber ich habe noch nicht ein Wort der Begründung gehört, weshalb man ihnen dann nicht auch die gleichen Rechte zugestehen will. Das geht einfach nicht. ({3}) Sicher ist schon viel erreicht worden, aber ein bisschen Gleichheit, Halbgleichheit oder Dreiviertelgleichheit gibt es nicht. Genauso wenig gibt es nur ein bisschen schwanger. Entweder wir haben die Gleichheit, oder wir haben sie nicht. Bis wir sie erreicht haben, werden wir im Bundestag immer wieder darüber sprechen. Dem können Sie sich noch x-Mal stellen, bis Sie es leid sind und die rechtliche Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe vollziehen. ({4}) Dies betrifft verschiedene Bereiche. Im Steuerrecht, im Dienstrecht, im Adoptionsrecht, im Ausbildungsrecht, im Sozialrecht und im Asylrecht bestehen Ungleichheiten. Das geht aus der Beantwortung der Großen Anfrage eindeutig hervor. Eine Reihe von Dingen muss im Zuständigkeitsbereich der Länder geklärt werden. Es ist traurig, dass man jahrelang darum kämpfen musste, dass alle das Recht haben, ihre Lebenspartnerschaft tatsächlich beim Standesamt eintragen zu lassen. Dass es anders geht, hat die rot-rote Regierung in Berlin bewiesen. Dort wurde das Beamtenversorgungs- und -besoldungsrecht materiell angepasst, sogar rückwirkend. Dies gebietet die Richtlinie 2000/78/EG des Europäischen Rates mit der Umsetzungsfrist 27. November 2008. Das entspricht einer Politik im Interesse der Menschen. Dem müssen wir uns stellen. ({5}) Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Abweisen der Klage gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft eindeutig die Richtung vorgegeben, in die wir gehen sollen. Außerdem fällte der Europäische Gerichtshof ein richtungsweisendes Urteil in der Sache Maruko gegen die Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen. Der EuGH stellte fest, dass dies eine verbotene Diskriminierung sei. Es ist traurig, dass wir erst dann Änderungen vornehmen, wenn uns das europäische Recht dazu verpflichtet. Wir sind doch der Gesetzgeber. Lassen Sie uns offensiv sein und die Dinge verwirklichen. Gleiche Pflichten müssen gleiche Rechte nach sich ziehen. Etwas anderes geht nicht und ist im Übrigen undemokratisch. Deshalb kämpft eine nicht unerhebliche Anzahl von Abgeordneten dafür. Wir hoffen, dass wir die restlichen davon überzeugen können. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11408. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Da- mit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und der Fraktion der FDP bei Ablehnung durch die Koalition abgelehnt. Nachtragen muss ich noch, dass Frau Kollegin Lambrecht ihre Rede zu Protokoll gegeben hat.1) Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes - Drucksachen 16/10290, 16/10331 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 16/11417 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Hettlich Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Es ist verabredet worden, eine halbe Stunde lang zu debattieren. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. ({1}) Man ist sich nicht ganz sicher, ob das allgemeine Ge- brumme in einem gemeinsamen Singen endet, aber ich würde gern die nächste Debatte eröffnen und der Parla- mentarischen Staatssekretärin Karin Roth das Wort ertei- len.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute soll der Deutsche Bundestag mit der Novellierung des Energieeinsparungsgesetzes einen wichtigen Tagesordnungspunkt beschließen. Das Ener- gieeinsparungsgesetz ist ein Eckpfeiler unserer Energie- einsparpolitik im Gebäudebereich. Auf der Grundlage dieses Gesetzes werden seit mehr als 30 Jahren die ener- getischen Anforderungen an die Wärmedämmung und an die haustechnischen Anlagen für Heizung und Warm- wasser, für Belüftung und Klimatisierung der Gebäude festgelegt. Wenn das Gesetz schon drei Jahre nach der letzten Novellierung wieder geändert werden muss, so ist dies erforderlich, weil wir auf den Klimawandel und 1) Anlage 8 vor allen Dingen auf die Energieverknappung reagieren müssen. Auch wenn in den letzten Wochen die Energiepreise nicht mehr gestiegen, sondern sogar gesunken sind, wissen wir, dass das wahrscheinlich nur vorübergehend ist. Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes sind auf jeden Fall dringlich. Die Ressourcen im Energiebereich sind endlich, und deshalb müssen wir mit diesen Ressourcen nachhaltig umgehen. Wir sind es unseren Bürgerinnen und Bürgern und mehr noch der nachfolgenden Generation schuldig, in unseren Anstrengungen zur Einsparung von Energie und zur effizienteren Nutzung von Energie nicht nachzulassen. ({0}) Dass dabei auch und gerade der Gebäudebereich, der mit etwa 40 Prozent einen erheblichen Anteil am Gesamtenergieverbrauch ausmacht, im Brennpunkt unserer Anstrengungen stehen muss, ist uns allen klar. Hier müssen und wollen wir ansetzen. Dies hat die Bundesregierung mit ihren Beschlüssen in Meseberg auch getan, die aus unserer Sicht sehr erfolgreich sind. Mit dem Gesetz zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes sollen erweiterte Ermächtigungen für die Bundesregierung geschaffen werden. Sie werden benötigt, um der bereits von der Bundesregierung beschlossenen Novellierung der Energieeinsparverordnung - kurz: EnEV 2009 - eine gesetzliche Grundlage zu geben. Wir brauchen dieses Gesetz also heute für die Zukunft. Im Einzelnen sollen inhaltliche Vorgaben für anspruchsvollere energetische Anforderungen und Maßnahmen bei Gebäuden und bessere Grundlagen für die Überwachung der Einhaltung des Energieeinsparrechtes geschaffen werden. Wir legen damit den Grundstein für folgende Regelungen der Energieeinsparverordnung: für die stufenweise Außerbetriebnahme von Nachtstromspeicherheizungen, die energetisch nachteilig sind; für Bestimmungen, die einen wirksameren Vollzug der Energieeinsparverordnung sichern sollen, insbesondere für die Einführung privater Nachweispflichten wie etwa Fachunternehmer- und Eigentümererklärungen, und ihre Vorlage bei Behörden; für das Tätigwerden der Bezirksschornsteinfegermeister bei der Überwachung energieeinsparrechtlicher Anforderungen an haustechnischen Anlagen und für Harmonisierungen bei den Bußgeldvorschriften. Gerade auch die Stärkung des Vollzugs ist ein wichtiges Anliegen; denn wenn die energetisch sinnvollen Regelungen der Energieeinsparverordnung nicht effizient umgesetzt werden, dann ist dieses Instrument letztlich stumpf. ({1}) Da wir uns des berechtigten Anliegens nach weniger Bürokratie bewusst sind und hier Veränderungen wollen, haben wir uns entschlossen, private Nachweise wie Fachunternehmererklärungen einzuführen und sie gleichzeitig in bestimmtem Umfang mit behördlichen Kontrollen zu kombinieren. Ich möchte an dieser Stelle betonen - denn im Ausschuss wurde darüber eine große Debatte geführt -, dass natürlich auch die Länder ihren Verpflichtungen stärker nachkommen müssen, eine bessere Kontrolle der Investitionen und der daraus resultierenden Maßnahmen auszuüben. Ich denke, daran haben wir alle ein Interesse. ({2}) Nicht nur hier, sondern auch darüber hinaus sollten die Länder ihre Hausaufgaben machen. Der federführende Bundestagsausschuss hat zu dem Regierungsentwurf eine Expertenanhörung durchgeführt. Ich habe aufgrund der damaligen Diskussion den Eindruck, dass der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, in die richtige Richtung geht. Die Verabschiedung des Änderungsgesetzes eröffnet dem Bundesrat nunmehr die Möglichkeit, sich abschließend auch mit der Novellierung der Energieeinsparverordnung zu befassen. Ich bitte deshalb um eine breite Zustimmung dieses Hauses zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. ({3}) Die energetische Sanierung von Bauten ist nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für die Wirtschaft und insbesondere für das Handwerk gut. Wir wissen, dass wir durch unsere energetischen Maßnahmen schon sehr viel erreicht haben. Aber gerade dadurch, dass wir jetzt aufgrund der aktuellen Finanzkrise unser Gebäudesanierungsprogramm noch einmal aufgestockt haben, rechnen wir damit, dass auch noch mehr Gebäudesanierungen regional und vor Ort geschehen werden. Es geht also nicht nur um Ordnungsrecht, es geht vor allen Dingen um das Thema Anreize, um die Möglichkeit, Anreize zu geben. Die Bundesregierung hat das getan, denn das Gebäudesanierungsprogramm und der Investitionspakt von Bund, Ländern und Kommunen bieten jetzt die Möglichkeit, sich im neuen Jahr noch stärker in diesem Bereich zu engagieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Staatssekretärin, achten Sie bitte auf das Signal.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Ja. - Wir haben jetzt auch aufgrund des beschlossenen Haushalts die Möglichkeit, den Bereich der Gebäudesanierung mit 1,5 Milliarden Euro noch stärker zu unterstützen. Im Rahmen des Investitionspaktes haben wir 300 Millionen Euro, und wir haben weitere 150 Millionen Euro für den Bereich der finanzschwachen Gemeinden. Von daher ist jetzt insgesamt, denke ich, die Möglichkeit gegeben, auch im nächsten Jahr zu investieren, Arbeitsplätze zu sichern und vor allen Dingen den Klimaschutz voranzubringen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Michael Kauch. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Wir diskutieren über einen zentralen Punkt des Klima- und Energiepaketes. Deshalb finde ich es schon bemerkenswert, dass das Wirtschaftsministerium und das Umweltministerium es nicht für nötig halten, bei der zweiten und der dritten Lesung eines solchen wichtigen Gesetzes anwesend zu sein. Das wäre aus meiner Sicht wegen der Bedeutung des Gesetzes eigentlich ein Gebot gewesen. ({0}) Die FDP-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass die ordnungsrechtlichen Regelungen im Wohngebäudebereich sinnvoll sind, solange wir keine Einbeziehung des Wärme- und Gebäudesektors in den Emissionshandel haben. Deshalb müssen wir hier auch mit ordnungsrechtlichen Vorgaben arbeiten. Allerdings sind wir der Auffassung, dass die ordnungsrechtlichen Vorgaben hier weit über das notwendige Maß hinausschießen und insbesondere bei den Nachtspeicherheizungen - das hat die Anhörung sehr deutlich gezeigt - das Gegenteil von dem bewirken, was man eigentlich bewirken will. ({1}) Es mag richtig sein, dass die Nachtspeicherheizungen in der Ausnutzung der Energie für die Wärmegewinnung nicht effizient sind. Nur, man muss sich die Frage stellen: Was passiert denn nun? Wir haben, wenn die Nachtspeicherheizungen außer Betrieb genommen werden, eine Vorgabe für Neubauten, 15 Prozent erneuerbare Wärme einzusetzen. Das heißt, man kann davon ausgehen, dass der größte Teil der Heizungen durch Gasheizungen ersetzt wird. Der Brennstoff Gas unterliegt aber nicht dem Emissionshandel, während der Strom, den wir momentan in den Nachtspeicherheizungen verbrauchen, sehr wohl dem Emissionshandel und damit der CO2Obergrenze unterliegt. Die Anhörung hat sehr deutlich gezeigt - die Bundesregierung hat dem nicht widersprochen -, wenn wir die Nachtspeicherheizungen außer Betrieb setzen und sie durch Gasheizungen ersetzen, sinken die CO2-Emissionen nicht, sondern sie steigen. Das heißt, die Bundesregierung hat hier etwas gut gemeint, aber das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen sollte. Hier wird ein für den Klimaschutz negativer Beschluss gefasst. ({2}) Im Übrigen, meine Damen und Herren, muss man sich auch etwas mehr Gedanken darüber machen, wie wir denn mit intelligenten Netzen die Kraftwerke, die wir haben, besser ausnutzen können. Zu intelligenten Netzen gehören auch sinnvolle Speichermöglichkeiten. Wir sprechen momentan darüber, dass wir den Windstrom in Autos speichern wollen, in Elektroautos. Das ist in der Tat eine technologische Option. Wir müssen aber sehen, wie hier die Batterietechnik hinsichtlich ihrer Effizienz letztlich aussehen wird. Aber auch Nachtspeicherheizungen sind ein Energiespeicher für elektrische Energie. Deshalb ist es auch unter diesem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Ausnutzung des Netzes nicht sinnvoll, hier staatlich vorzuschreiben, dass man sie außer Betrieb setzt. ({3}) Letztendlich wäre es klug, wenn man es den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen überlassen würde, ob die technischen Optionen, die wir haben, sinnvoll und effektiv genutzt werden, und zwar sowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht. Lassen Sie mich noch ein Wort zu einer Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sagen, die an den Gesetzentwurf angehängt worden ist; auch deshalb finde ich es bemerkenswert, dass das zuständige Umweltministerium nicht vertreten ist. ({4}) Wir wollen - darüber ist sich dieses Haus einig -, dass Biomasse nachhaltig produziert wird, zumindest die Biomasse, die wir mit staatlicher Förderung energetisch nutzen. Darin sind wir uns einig. Die Frage ist: Wie können wir das schaffen? In der europäischen Richtlinie für erneuerbare Energien und im Erneuerbare-Energien-Gesetz sind Nachhaltigkeitskriterien enthalten. Das Problem ist, dass wir zwar auf dem Papier Kriterien haben, aber keine Durchführungswege existieren. Es gibt keine Verordnung dazu, wie ein Produzent nachweisen kann, dass das Palmöl und das Sojaöl, das er in seinem Blockheizkraftwerk einsetzt, nachhaltig produziert wurden. Es ist zwar gut, dass es hierüber einen Streit zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission gab, diesen Streit kann man aber nicht auf dem Rücken der Unternehmen austragen, die langfristig investiert haben, um erneuerbare Energien in den Markt zu bringen. ({5}) Deshalb ist es wichtig und notwendig, dass die Übergangsregelung, die heute beschlossen werden soll, auch tatsächlich in Kraft tritt. Ich hätte mir ein vorausschauenderes Arbeiten der Bundesregierung gewünscht. Dieses Problem ist schließlich nicht erst seit letzter Woche bekannt, sondern schon seit mehreren Monaten. Die CDU/CSU - das möchte ich an dieser Stelle lobend erwähnen - hat im Bundestag bereits darauf hingewiesen. Die Bundesregierung hat nicht reagiert. Ich muss aber auch sagen: Die Grünen hätten dazu beitragen können, dass dieses Gesetz pünktlich vor Weihnachten noch durch den Bundesrat hätte kommen können. Sie hätten nur auf die Fristeinrede verzichten müssen. Das ist leider nicht geschehen. Wir können davon ausgehen, dass der Bundesrat der Änderung zustimmt, leider nur rückwirkend. Es wäre im Interesse der Unternehmen gewesen, wenn wir dieser Stelle noch vor Weihnachten Klarheit gehabt hätten. Aber besser spät als nie. Wir sollten die Unternehmen nicht in die Insolvenz treiben, indem wir als Staat in der Vergangenheit schlecht gearbeitet haben. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel für die Unionsfraktion. ({0})

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden seit über einem Jahr über die wichtigen klimapolitischen Ziele. Wir tun das auch heute, am letzten Sitzungstag vor der Weihnachtspause, in der Weihnachtszeit. Wir reden über Energiesparen, obwohl wir uns an den Lichterketten auf den Straßen und an den Häusern erfreuen und jeder von uns es zu Hause ein bisschen kuschelig und warm haben möchte. Spaß beiseite. An dieser Stelle muss einmal gesagt werden: Für uns ist es selbstverständlich, dass unsere Stuben warm sind. Für viele Menschen auf der Erde ist das aber leider immer noch Luxus. Es kommt darauf an, dass wir diese Selbstverständlichkeit bezahlbar halten und nach außen tragen. Ein Bereich ist dabei von großer Bedeutung - das kam auch in der Rede der Staatssekretärin zum Ausdruck -, nämlich der gesamte Gebäudebereich. Hier sehen wir enormes Einsparpotenzial. In diesem Bereich ist aber - auch das möchte ich an dieser Stelle sagen - auch schon viel geleistet worden. Der Energieverbrauch für Heizwärme ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Zwischen 1990 und diesem Jahr hat sich die Energieeffizienz um rund und eckig 15 Prozent verbessert. Damit ist eine CO2-Einsparung von 13 bis 15 Prozent in diesem Bereich verbunden. Das zeigt uns: Der Weg ist richtig. Wir müssen kontinuierlich und planmäßig auf diesem Weg weitergehen; denn Energieeffizienz hilft der Umwelt und ist, richtig gemacht, auch wirtschaftlich darstellbar. Eine dieser Grundlagen ist der Gesetzentwurf, über den wir heute in zweiter und dritter Lesung debattieren. Wir anwesenden Baupolitiker sind uns darüber einig, dass die Energieeinsparverordnung ein effektives und wirtschaftliches Instrument für die Umsetzung der klimapolitischen Ziele ist, vor allen Dingen im Wohn- und Gebäudebereich. Sie liegt im Text vor. Wir haben dazu am 10. November dieses Jahres eine Anhörung durchgeführt. Wir entscheiden heute in zweiter und dritter Lesung - der Kollege aus der FDP hat es angesprochen - über den Einsatz der Nachtspeicheröfen, die ab 2020 - das ist aus unserer Sicht sozialverträglich, aber auch wirtschaftlich darstellbar - nicht mehr zum Einsatz kommen sollen. Dies betrifft Geräte, die dann älter als 30 Jahre sind. Das heißt, dass man effektive Geräte, die den Anforderungen der Technik entsprechen, zum Einsatz bringen kann. Die haben dann auch eine längere Laufzeit. Wir haben klarstellende Regelungen im Vollzug festgelegt, die aus Sicht meiner Fraktion vor allen Dingen darauf ausgelegt sein müssen, dass wir keine zusätzliche Bürokratie schaffen und keine zusätzlichen Kosten für die einzelnen Beteiligten verursachen. Wir denken, mit den Unternehmer- bzw. Eigentümererklärungen sind wir auf einem guten Weg. Dies gilt auch für das Zusammenwirken mit den Ländern, wenn es um die Kontrolle der Anforderungen geht. Es ist eine richtige und geeignete Maßnahme, dass wir Synergieeffekte nutzen und geeignete Personen, zum Beispiel aus den Bauämtern oder auch Schornsteinfeger, die eine entsprechende Befähigung haben, über die Länder mit den notwendigen Kontrollaufgaben ausstatten können. Noch ein anderes Thema, das zwar nicht direkt mit dem Gesetz zu tun hat, aber einen großen Teil der Debatte bzw. Diskussion bei der Anhörung ausgemacht hat. Das ist die Frage der gewerblichen Wärmelieferungen, des sogenannten Contractings. Auch wir Baupolitiker sehen hier Möglichkeiten, die Energieeffizienz zu verbessern und den CO2-Ausstoß zu reduzieren, vor allen Dingen weil man auch mit geringem Investitionsaufwand relativ viel erreichen kann. Wenn zum Beispiel die Anlagenfahrweise der jeweiligen Heizungsanlagen optimiert wird oder wenn einzelne Anlagenteile innerhalb des Systems ausgetauscht werden, kann mit wenig Aufwand viel erreicht werden, wenngleich man sagen muss - deswegen kommt es jetzt nicht mit zur Beschlussfassung -: Es ist letztendlich ein sehr komplexes Thema, das sehr weit in das Mietrecht reicht. Ich denke, wir sind uns darüber einig, Schnellschüsse würden an dieser Stelle nur schaden, statt positiv zu wirken. ({0}) Ich möchte trotz alledem für meine Fraktion betonen, dass es darauf ankommt, dass wir beim Contracting nicht die bestehende Situation verschlechtern. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern ist es so, dass das Contracting bei über 2 Millionen Mietverträgen schon jetzt angewendet wird. Beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz haben wir zum Ausdruck gebracht - das ist der andere Punkt -, dass der Einsatz von erneuerbaren Energien beim Neubau in bestimmter Weise verpflichtend ist, auch wenn die Frage der Wirtschaftlichkeit und der Kosten schwer darstellbar ist. Das müssen wir natürlich auch beim Contracting beachten. Wir dürfen den Mietern, den Nutzern der Wohnungen nicht in irgendeiner Art und Weise vormachen, dass Klimapolitik und Umweltschutz zum Nulltarif zu haben sind, sondern - darüber sind wir uns, denke ich, einig - jeder muss einen sozial vertretbaren Beitrag dazu leisten. Dieser Anbieter-Nutzer-Konflikt, wenn man ihn so darstellen kann, wird uns sicherlich in den nächsten Wochen in der Diskussion über dieses Thema noch weiter begleiten. Im Rahmen dieser Diskussion haben wir auch noch andere Punkte besprochen. Es geht zum Beispiel um eine Übergangsregelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir wollen den Einsatz von Palmöl in Anlagen befristet weiter ermöglichen. Uns geht es dabei vor allen Dingen um die Mittelständler, die Planungssicherheit brauchen, bis 2007 Anlagen errichtet haben und jetzt darauf setzen, dass der Nawaro-Bonus, der Nachwachsende-RohstoffeBonus - er war für ihre eigene Kalkulation wichtig -, erhalten bleibt. Ich betone: Es ist eine befristete Übergangsregelung. Wir müssen bis zum 31. Dezember nächsten Jahres eine klarstellende und allen gerecht werdende Lösung finden. ({1}) Die EnEV korreliert natürlich auch mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, das wir bereits verabschiedet haben. Für meine Fraktion sage ich: Wir müssen darauf achten, dass wir dem Wohnungsbau Planungssicherheit geben und dass wir langfristig auch den Unternehmen und den Investoren die Sicherheit geben, dass sie mit dem, was sie tun, auf dem richtigen Weg sind. Deswegen ist es wichtig, dass die Regelungen, die wir getroffen haben, nun ihre Wirkungen entfalten können. Machen wir uns nichts vor: Auch mit Blick auf die derzeitige wirtschaftliche Situation darf es nicht sein, dass der Wohnungsbau weiter schrumpft. Wir müssen sowohl beim Wohnungsbau als auch bei der Modernisierung vorankommen. Wenn es uns gelingt, in diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen, hilft das aufgrund des Einsatzes neuer Materialien und neuer energiesparender Produkte der Ökologie, und es hilft natürlich auch der Wirtschaft. Noch ein Wort zum CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Es ist ein Erfolgsprogramm; die mir nachfolgenden Redner werden darauf sicherlich noch eingehen. Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass dadurch, dass jetzt zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen, weitere Maßnahmen möglich sind. Wir begrüßen außerordentlich, dass ab nächstem Jahr auch hocheffiziente Einzelmaßnahmen gefördert werden können. Das vereinfacht das System und trägt dazu bei, dass die Mittel noch schneller abfließen, dadurch weitere Aufträge ausgelöst werden und somit auch Arbeitsplätze in diesem wichtigen Bereich erhalten werden. Um meine Redezeit nicht zu sehr zu überziehen, ({2}) möchte ich abschließend sagen: Meiner Fraktion kommt es darauf an, dass wir die Energieeffizienz weiterhin in den Mittelpunkt rücken und überall dort, wo es richtig und wirtschaftlich vertretbar ist, auf den Einsatz erneuerbarer Energien statt, wie bisher, auf den Einsatz fossiler Energien zurückgreifen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erleben zum wiederholten Male einen Heizkostenschock. „Heizkosten 30 % rauf!“ lesen wir heute in der Onlineausgabe der Bild-Zeitung. Die Preissteigerungen der letzten Jahre haben bereits den Gegenwert von zwei Monatsmieten. Jetzt kommen die schlechten Nachrichten: Ihr Energieeinsparungsgesetz, meine Damen und Herren von der Koalition, wird daran kaum etwas ändern. Warum haben Sie den Mieterinnen und Mietern für den Fall, dass notwendige Energiesanierungsmaßnahmen unterlassen oder mangelhaft ausgeführt werden, nicht das Recht eingeräumt, die Miete zu kürzen? Warum haben Sie das nicht getan? Das fehlt in Ihrem Gesetzentwurf ganz und gar. Aber wen wundert es? Wer wie die Union von der Immobilienwirtschaft Zuwendungen in Höhe von 430 000 Euro erhält, wird sich wohl kaum hinter die Mieterinnen und Mieter stellen. ({0}) Wie viel Energie ein Haus wirklich braucht, bleibt auch weiterhin im Dunkeln. Warum verlangen Sie nicht endlich für alle Gebäude einen echten Energiepass, der belegt, wie hoch der Heiz- und Stromkostenbedarf wirklich ist? Damit würde für alle offenkundig, welche Maßnahmen zu treffen sind. Damit würden Sie weitere Bauund Investitionsmaßnahmen anschieben. Dies würde das Handwerk stützen und den Geldbeutel schonen und wäre gut für das Klima. Wir, die Linke, fordern Sie auf, diese eklatanten Defizite zu beseitigen. ({1})] Schaffen Sie endlich faire Bedingungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher! In Ihrem Gesetzentwurf machen Sie zwar gute Vorschläge für mehr Wärmeschutz und effizientere Anlagentechnik. Aber auch auf diesem Gebiet macht sich in diesem Entwurf der Einfluss der Immobilienwirtschaft bemerkbar. So ist zum Beispiel, damit sich die Immobilienwirtschaft keine Sorge über ihre Rendite machen muss, von Wirtschaftlichkeitsanforderungen die Rede. Anstatt eine Überprüfung der durchgeführten Effizienzmaßnahmen durch Fachleute vornehmen zu lassen, reicht es jetzt aus, eine Erklärung des Eigentümers oder der Eigentümerin beizubringen, um die Qualität einer Maßnahme zu belegen. Ich sage Ihnen: Dadurch wird der Mogelei Tür und Tor geöffnet. Schon jetzt - wir haben es eben gehört - werden die Anforderungen teils deutlich unterschritten. Wir sagen: Behördliche Stichproben und Kontrollen durch Fachleute sind auch künftig unerlässlich. Erwartungsgemäß steht die Unionsfraktion wieder einmal mit beiden Füßen auf der Bremse, wenn es um Klimaschutz und bezahlbare Energie geht. ({2}) Ich wiederhole es noch einmal: Die Immobilienwirtschaft dankt es Ihnen. Ich sage nur: Frohe Weihnachten. Was auch niemand mitbekommen sollte: Mit dem Energieeinsparungsgesetz wird nebenbei die Nutzung von Palmöl in Anlagen zur Verstromung von Biomasse neu geregelt. Wir wollen nicht, dass mithilfe des erfolgreichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger die Zerstörung von Urwald und die Vertreibung von Kleinbauern bezahlt werden. ({3}) Tatsache ist: Erstens. Ein umwelt- und sozialverträglicher Anbau von Palmölpflanzen ist nicht machbar. Zweitens. Auch durch eine internationale Zertifizierung kann nicht verhindert werden, dass durch indirekte Verdrängung Tropenwälder zerstört werden und sich die sozialen Bedingungen für die Kleinbauern vor Ort verschlechtern. Wir schlagen einen anderen Weg vor: Helfen Sie den in Schwierigkeiten geratenen Anlagenbetreibern durch eine technische und finanzielle Hilfe. Damit können sie ihre Anlagen auf die Verbrennung von heimischen Agrarölen umstellen. Dadurch würde zusätzlich den ebenfalls in Schwierigkeiten geratenen Ölmühlen in Deutschland geholfen werden. Fazit: Die Regelung der Bundesregierung nützt im Hinblick auf den Klimaschutz kaum. Dadurch wird weder den einheimischen Energielandwirten noch den Mieterinnen und Mietern geholfen. Den Gesetzentwurf müssen wir daher als unwirksam ablehnen. ({4}) Wie schön war es, als man den Eindruck hatte, sich auf die Klimakanzlerin verlassen zu können. Ich kann aber nur noch sagen: Frohe Weihnachten. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Peter Hettlich.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kauch, man könnte diese Debatte über das EnEG überschreiben mit: immer wieder Fristverzicht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft wir einen Fristverzicht erklärt und gesagt haben: in Gottes Namen, wenn es der Sache dient. Zu diesem Gesetzentwurf kann ich nur fragen: Wer hat denn die Debatte über das EnEG vor 14 Tagen von der Tagesordnung gesetzt? - Das war doch die Große Koalition. Warum haben Sie sie von der Tagesordnung gesetzt? - Das haben Sie getan, weil Sie diesen Art. 5 in den Gesetzentwurf „hineinschleusen“ mussten. Sie haben es nicht einmal in 14 Tagen geschafft, uns einen vernünftigen Artikel vorzulegen. Das haben Sie Dienstagnacht getan, sodass wir am Mittwochmorgen im Ausschuss kurzfristig entscheiden mussten, was wir damit machen. Das passt ja auch inhaltlich gar nicht dort hinein. Insofern sage ich Ihnen ganz ehrlich: Heute war die letzte Gelegenheit, die Debatte über dieses Thema Energieeinsparungsgesetz zumindest einmal bei Tageslicht zu führen. ({0}) Ansonsten hätten wir die Reden gestern Abend um 22 Uhr wieder einmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu Protokoll gegeben. Mir reicht es mittlerweile mit dieser Großen Koalition, die vor lauter Kraft eigentlich nicht gehen können dürfte. Es ärgert mich wirklich, dass sie nicht einmal in der Lage ist, die elementarsten Grundsätze in Bezug auf vernünftige Gesetzentwürfe zu beachten. An dieser Stelle sage ich: Den Schuh ziehe ich mir nicht an. Es war von Ihnen aber vielleicht auch gar nicht gewollt, dass ich das tue. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energieeinsparung im Gebäudesektor ist eine der großen zentralen Herausforderungen. Die Kollegin Roth hat das eben ja auch gesagt. Es geht hier um einen erheblichen Bereich im Wärmesektor, in dem wir noch eine ganze Menge tun müssen. Ich sage Ihnen aber auch ganz ehrlich: Wir haben kein Problem an der Spitze. Dort sind wir Weltklasse: Plusenergiehaus, Nullenergiehaus. Das alles bekommen wir richtig auf die Reihe. Wir haben ein Problem in der Breite. Schauen Sie sich einmal die Zahlen an. Hier kommen wir trotz all der Programme und all unserer ordnungsrechtlichen Maßnahmen nicht vom Fleck. Man muss sich einfach nur einmal die Zahlen des Statistischen Bundesamtes anschauen. Sie sehen dann, dass es sogar eine leichte Steigerung beim Energieverbrauch im Bereich der Häuser gibt. Nur bezogen auf die Quadratmeter gibt es eine Senkung des spezifischen Energieverbrauchs. ({1}) Also müssen wir das doch einmal angehen und den Verbrauch insgesamt senken. Das ist im Prinzip das, was wir fordern - sowohl im Ordnungsrecht als auch bei den Fördermaßnahmen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich natürlich fragen, warum die Anforderungen in der Energieeinsparverordnung 2009 gegenüber denen in der Energieeinsparverordnung 2002 um 30 Prozent verschärft werden und im Jahre 2012 nochmals um 30 Prozent steigen, obwohl wir doch heute schon wissen, dass es erhebliche Vollzugsdefizite hinsichtlich der bestehenden Energieeinsparverordnung gibt. Der Verband Privater Bauherren - ich zitiere das immer sehr gerne - hat auf einer sehr großen statistischen Basis festgestellt, dass die Werte auf 50 Prozent der Energieausweise, die für die Gebäude erstellt wurden, nicht der Realität entsprechen. 50 Prozent der Gebäude, die gebaut wurden und Teil dieser statistischen Basis waren, entsprachen nicht den Regelungen der Energieeinsparverordnung, und 50 Prozent der Gebäude, die von uns sogar gefördert werden, entsprechen nicht den Förderbestimmungen der KfW. ({3}) Jetzt kann man sich darüber streiten, ob die Zahlen stimmen oder nicht. Sie enthalten sicherlich eine gewisse Unschärfe. Aber es sollte uns doch zu denken geben, dass wir offensichtlich am falschen Ende sparen und offensichtlich auch die falschen Instrumente einsetzen. ({4}) Dann kommt das Energieeinsparungsgesetz und bringt uns die Fachbauleitererklärung genau der Betriebe, die diese Gebäude nicht sach- und fachgerecht sanieren. Das ist doch eine Lachnummer; das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Zum Schluss kann sich der Bauherr selber bescheinigen, dass er die Maßnahmen ordnungsgemäß ausgeführt hat. Da ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Ich stimme der Kollegin Roth zwar durchaus zu, dass hier die Länder viel stärker gefordert sind. Aber wir als Grüne haben immer gesagt: Wir müssen es nicht immer auf der Ebene der Länder regeln. Wir können es auch durch Private regeln, wenn wir dafür sorgen, dass es unabhängige Dritte sind, die dieses Gebäude begutachten und dann entsprechend die ordnungsgemäße Ausführung testieren. Das bleibt unsere Forderung. Zu der Frage der Schornsteinfeger will ich nur sagen: Hier wird wohl der Verlust des Gebietsmonopols mit neuen Aufgaben versüßt. Wir lehnen das ab. Wir halten das für eine zusätzliche Konkurrenz für die sowieso schon in einer schwierigen Situation befindlichen Fachbetriebe des Heizungs-, Sanitär- und Klimahandwerks. Deswegen sollten sich die Schornsteinfeger auf das beschränken, was sie können, und sich nicht über Dinge auslassen müssen, von denen sie keine Ahnung haben. Ich komme zur Frage der Nachtspeicheröfen. Interessanterweise hat die FDP bei uns tatsächlich eine spannende Diskussion losgetreten. Ich kann das heute nicht zum Abschluss bringen, weil man die Frage des Caps und die des Emissionshandels noch einmal neu diskutieren muss. Aber es ist halt so: Solange das für mich nicht zufriedenstellend gelöst ist, so haben wir gesagt, stimmen wir diesem Verbot bzw. dem Auslaufen der Genehmigung der Nachtspeicheröfen zu. Aber ich stimme Ihnen an dieser Stelle zu, Kollege Kauch, dass wir auch bei uns in den Fachausschüssen die Diskussion darüber weiterführen sollten, inwieweit wir da das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich stelle fest, dass mir selber persönliche Zweifel gekommen sind. Ich habe mir das Buch von Professor Weimann besorgt und gelesen. Das liest sich erst einmal sehr gut. Aber, wie gesagt, das Dilemma liegt im Detail. Es ist die Frage, wie ambitioniert wir an den Emissionshandel herangehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hettlich, sollte irrtümlicherweise der Eindruck entstanden sein, dass es eine Pflicht zur Redezeitverlängerung gibt, dann muss ich dem entgegentreten.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sorry. Sie wissen, dass das nicht mein Stil ist. Ich wollte nur sagen, dass wir das weiter diskutieren werden. Wir lehnen das Gesetz ab. Dennoch wünsche ich den Kolleginnen und Kollegen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer Fornahl. ({0})

Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute fast das allerletzte Wort, wenn uns nicht die Präsidentin am Ende noch ein frohes Weihnachtsfest wünscht, wovon ich fest ausgehe. Lieber Peter Hettlich, wir haben bis 2005 gemeinsam das eine oder andere Mal noch bis fünf vor zwölf um Formulierungen gerungen, Gesetzentwürfe und Änderungsanträge eingebracht. Das ist leider in dem Betrieb, in dem Koalitionen arbeiten müssen, manchmal nicht zu ändern. Auch hier war das der Fall. Hier gilt: herunterkommen, Dampf ablassen, vernünftig miteinander reden und Lösungen da, wo sie vertretbar sind, gemeinsam beschließen. Ich will zum Energieeinsparungsgesetz einige wenige Anmerkungen machen. Zu den Voraussetzungen für die Energieeinsparverordnung, die im Gesetzentwurf stehen, hat die Frau Staatssekretärin schon gesprochen. Auch mein Kollege Vogel hat sich dazu ausführlich geäußert. Darauf kann ich also verzichten. Ich will aber auf das hinweisen, was die Energieeinsparverordnung, für die wir jetzt den gesetzlichen Rahmen schaffen, enthält, nämlich eine Verschärfung der Anforderungen an den Jahresprimärenergiebedarf für einen Neubau um 30 Prozent und eine Verschärfung der Anforderungen bei der Modernisierung von Altbauten um ebenfalls 30 Prozent. Das gilt sowohl für Bauteile als auch für die Gesamteffizienz. Ich denke, das ist eine deutliche Aufforderung an alle, sich an diese Regeln zu halten. In diesem Fall können wir das Einsparpotenzial von circa 40 Prozent im Gebäudebereich erreichen. ({0}) Die Anhörung, über die wir in dieser Runde schon diskutiert haben, hat durchaus ergeben, dass das, was wir hier vorgegeben haben, grundsätzlich vernünftig ist. Ich weise darauf hin, dass alle Fachleute die Einsparpotenziale hervorgehoben haben. Das Thema Nachtspeicheröfen ist ausreichend behandelt worden. Ich glaube, mit dem Verweis darauf, dass bis 2020 eine Übergangsregelung gilt und wir danach sicherlich völlig andere und effizientere Möglichkeiten zur Erzeugung von Strom oder auch von Wärme haben werden, die wir dann im Gebäudebereich nutzen, sind auch diese nicht besonders effizienten Instrumente zum Heizen am Ende obsolet. Deswegen sollten wir denen keine Träne nachweinen. Die komplizierte Problematik der Nutzung von Potenzialen durch gewerbliche oder private Dritte bei der Wärmelieferung und bei der Warmwasserlieferung ist ein sehr wichtiges Thema. Auch in diesem Bereich sind wesentliche Potenziale vorhanden, die es zu heben gilt. Dr. Eikmeier vom Bremer Energie-Institut hat ausdrücklich auf diese Potenziale hingewiesen, die unbedingt zu nutzen sind. Es steht ein Gutachten an, das wir abwarten sollten. Wir sollten aber schon im Vorfeld in einer Abwägung der Interessen zwischen Vermietern und Mietern über vernünftige Regelungen in diesem Bereich nachdenken, die die Interessen austarieren und zu einer Reduzierung der Heiz- und Warmwasserkosten für alle führen. Wir sollten also zwar das Gutachten abwarten, uns aber schon im Vorfeld um eine vernünftige Regelung im Mietrecht bemühen. Eine Frage ist mir besonders wichtig - meine Vorredner Volkmar Vogel, Peter Hettlich und auch die Staatssekretärin haben es schon angesprochen -: Wie erreichen wir es, dass die Maßnahmen, die wir Jahr für Jahr mit erheblichen Fördermitteln finanzieren, so qualifiziert durchgeführt werden, dass das angestrebte Einsparziel erreicht wird? Im Rahmen dessen, was wir in der Einsparverordnung festgelegt haben, sind in erster Linie die Länder für den Vollzug des Controllings zuständig. Ich appelliere an die Länder, dass sie im Rahmen der rechtlichen Vorgaben, die wir geschaffen haben, ihre Institutionen so aufrüsten, dass sie das Controlling leisten können. Es muss eine Partnerschaft zwischen öffentlichrechtlichen Institutionen und Privaten erreicht werden. Beide gemeinsam müssen es schaffen. Ich glaube, dann werden wir das Problem, das wir uns aufgeladen haben, in einigen Jahren vernünftig gelöst haben. ({1}) Wir müssen den schwarzen Schafen unbedingt auf die Finger klopfen. Denn es geht nicht nur um das Klima, sondern auch um die vielen Fördermittel, die wir jedes Jahr ausgeben. Das muss verantwortungsvoll geschehen; denn wir haben nichts zu verschenken. Der Bundesaußenminister, unser Vizekanzler, hat gestern gesagt: Kluge Gesetze reichen nicht aus. Ein gutes Gewissen macht noch kein gutes Klima. Damit hat er recht. Ich denke, mit diesem Schlusssatz kann ich das Thema beenden. Wir können hoffen, dass die EnEV bald ins Gesetzblatt kommt und zur Umsetzung freigegeben wird. Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein angenehmes Weihnachtsfest und ein gutes, interessantes und spannendes neues Jahr. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11417, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10290 und 16/10331 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11417 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11438. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der antragstellenden FDP-Fraktion abgelehnt. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber natürlich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses sowie den Bürgerinnen und Bürgern, die unserer Debatte beigewohnt haben, frohe Weihnachten, und kommen Sie gut in das Jahr 2009. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. Januar 2009, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.