Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation Atalanta zur
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982
und der Resolutionen 1814 ({0}) vom 15. Mai
2008, 1816 ({1}) vom 2. Juni 2008, 1838
({2}) vom 7. Oktober 2008, 1846 ({3}) vom
2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen
Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008
- Drucksache 16/11337 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Bundesminister Frank-Walter
Steinmeier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! So wenig wie Sie hätte ich gedacht, dass wir
hier, im Deutschen Bundestag, einmal eine sehr ernsthafte Debatte über Piraten führen. Das, worüber wir
heute zu diskutieren haben, ist, wie Sie wissen, keine
Geschichte aus einem Abenteuerroman. Die Piraten
überfallen Schiffe am Horn von Afrika; allein in diesem
Jahr sind es bereits über 200 Schiffe. Die Piraten sind
gewalttätig und rücksichtslos. Sie zielen mit Panzerfäusten auf Tanker, Frachter und Kreuzfahrtschiffe. Zurzeit
haben sie 17 Schiffe und rund 200 Menschen in ihrer
Gewalt. Mit diesen kriminellen Umtrieben werden die
letzten Reste von Ordnung bedroht, auf die die Menschen in Somalia angewiesen sind. Ich finde, wir dürfen
das nicht einfach geschehen lassen. Das sagt die Weltgemeinschaft, und das müssen auch wir mit Überzeugung
sagen.
({0})
Die Europäische Union, auch Deutschland, hat sich
entschlossen zu handeln. Die Operation „Atalanta“ soll
den Transport humanitärer Hilfsleistungen nach Somalia
schützen und den zivilen Schiffsverkehr in der Region
sichern. Somalia gehört - das wissen Sie - zu den größten humanitären Krisengebieten der Welt. Fast 1 Million
Menschen ist innerhalb des Landes auf der Flucht. Insgesamt sind mehr als 3 Millionen Menschen auf Hilfe
von außen angewiesen, und das umso stärker, je weiter
sich die Seeräuberei in der Region ausbreitet. Wir haben
in den letzten Monaten erfahren müssen, dass die Versorgung vor allen Dingen deshalb schwierig wird, weil
die humanitären Hilfen, die über das World Food Programme geliefert werden, zu 90 Prozent auf dem Seeweg kommen. Gerade diese Schiffe werden angegriffen.
Reeder weigern sich mittlerweile, Schiffe an dieses
Welternährungsprogramm zu verchartern, wenn ein militärischer Schutz dieser Schiffe beim Anlaufen der Häfen
nicht gesichert ist.
Meine Damen und Herren, „Atalanta“ soll auch die
Sicherheit der zivilen Schifffahrt in der Region verbessern. Daran haben auch wir Deutsche ein Interesse.
Durch den Golf von Aden verläuft nämlich - Sie wissen
das - der Hauptstrang der Handelsströme zwischen Europa und Asien: 20 000 Schiffe jährlich mit dieser DesRedetext
tination. Viele davon gehören deutschen Reedereien
oder transportieren Fracht aus oder für Deutschland.
Die Mission, über die wir heute zu reden haben, ist
für die Bundeswehr kein Ausflug in warme Gefilde. Wir
schlagen deshalb aus guten Gründen ein robustes Mandat vor. Die Deutsche Marine und alle anderen an der
Operation beteiligten Kräfte dürfen alle Maßnahmen ergreifen, um Piraten abzuschrecken, um Überfälle zu verhindern oder zu beenden. Das schließt ausdrücklich die
Anwendung von Gewalt ein. Unsere Marine darf Piraten
oder Verdächtige aufgreifen, darf sie festhalten und darf
sie überstellen. Sie darf Schiffe und Waffen von Piraten
beschlagnahmen. All das ist im Rahmen des europäischen Mandats erlaubt.
Eines will ich zur Resolution des Sicherheitsrates von
heute Nacht, mit der eine nochmalige Erweiterung des
Einsatzes stattgefunden hat, heute klar zu Protokoll geben: Das ändert am Auftrag und am Umfang der ESVPOperation und damit auch an dem Mandat des Deutschen Bundestages nichts. Ich will sagen: Die Bundeswehr wird über ein solides Mandat verfügen, das, wie
ich finde, ihr die notwendigen Spielräume für den Einsatz gegen Piraten vor Somalia ermöglicht.
Jeder weiß, dass die Ursachen von Piraterie in der Tat
nicht auf See zu bekämpfen sind. Dazu braucht man
funktionierende staatliche Strukturen an Land; gerade
die gibt es in Somalia nicht. Dort herrschen das Recht
des Stärkeren und die Sprache der Gewalt. Die Lösegelder aus der Seeräuberei haben die Lage sogar noch weiter zugespitzt. Kriminelle Gruppen sind dort heute oft
besser ausgerüstet als die Vertreter des Staates. Der
Weltsicherheitsrat hat darum damals aufgrund der Bitte
der Regierung Somalias alle Staaten aufgefordert, diesem Land nicht nur bei der Pirateriebekämpfung, sondern auch bei der Wiederherstellung staatlicher Strukturen zu helfen. Die EU-Mission leistet dazu mittelbar
einen wichtigen Beitrag. Ohne die Entführung von
Schiffen werden nämlich keine Lösegelder gezahlt, die
die kriminellen Strukturen weiter stärken und damit den
somalischen Staat noch weiter untergraben.
Deshalb müssen wir uns gleichzeitig mit der internationalen Gemeinschaft um die langfristige Stabilisierung
Somalias kümmern. Gerade und auch weil das schwierig
und gefährlich ist, werden wir weiter humanitäre Hilfe
leisten und leisten müssen. Ich darf Ihnen versichern:
Wir unterstützen jede Anstrengung, die zu einer politischen Verständigung in Somalia führt. Das muss in erster Linie von den Somalis selbst gewollt und vollbracht
werden. Aber ich sage Ihnen auch: Seit Übernahme der
Verantwortung durch den neuen Chefvermittler der Vereinten Nationen Ould-Abdallah bin ich etwas zuversichtlicher und habe den Eindruck, dass die Gesprächsfäden,
die in der Vergangenheit zwischen den Stämmen und
Entitäten in Somalia nicht geknüpft werden konnten,
vielleicht in Zukunft doch eher zustande kommen.
({1})
Wir wollen das unterstützen. Wir unterstützen das in
der internationalen Kontaktgruppe zu Somalia, in der
wir uns immer wieder bemühen, zur innerstaatlichen
Versöhnung beizutragen, weil wir wissen: Nur dann,
wenn staatliche Strukturen in Somalia wiederhergestellt
werden, wird es gelingen, Seeräuberei wirklich zu beenden. Ich glaube, unsere Aufgabe ist riesig. Es geht um
das Ende des Bürgerkrieges, um Aussöhnung und um
den Aufbau von staatlichen Institutionen in Polizei und
Justiz.
Deshalb ist uns klar und muss uns klar sein: Das wird
ein langer Weg in einem Land, in dem die Mächtigen die
Verantwortung für ihr Gemeinwesen in sehr unterschiedlicher Art und Weise empfinden. Aber wir wissen auch,
dass wir Regionen wie Somalia nicht einfach ihrem
Schicksal überlassen dürfen. Sonst würden sich dort
noch leichter Brutstätten von organisierter Kriminalität
und Terrorismus entwickeln. Das berührt in einer Welt,
die immer enger zusammenrückt, nun einmal uns alle.
({2})
Ich komme zum Schluss. Aus diesen Gründen bittet
die Bundesregierung den Bundestag, dem Einsatz der
Bundeswehr bei der EU-geführten Operation „Atalanta“
zuzustimmen. Deutschland und die Europäische Union
setzen damit ein wichtiges Zeichen: für die Menschen in
Somalia, für die Sicherheit in der Region und für eine internationale Solidarität.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen
heute zum ersten Mal über ein Mandat zur Bekämpfung
der Piraterie. Man ist versucht zu sagen: Ende gut, alles
gut. Aber wir wissen natürlich, wie unendlich lange das
gedauert hat, weil sich die Bundesregierung rechtlich eigentümliche Argumente ausgedacht hat, um während all
dieser Zeit ja nichts tun zu müssen. Das ist ein schwieriger Lernprozess.
({0})
- Ich weiß, dass Sie seit Sommer dieses Jahres anderer
Meinung als die Kollegen von der CDU/CSU waren; das
ist uns allen bekannt, das ist keine Frage.
Sie haben jetzt ein Mandat vorgelegt; das ist schon
einmal ein Fortschritt. Ich beglückwünsche die Bundesregierung ausdrücklich dazu, dass sie diesen Lernprozess vollzogen hat und jetzt das für richtig hält, was wir
seit sechs Monaten für richtig halten. Das ist schon einmal vorteilhaft.
({1})
Die Frage ist: Ist nun am Ende wirklich alles gut? Daran sind doch einige Zweifel angebracht. Sie verwenden
sehr gerne - auch der Minister hat das heute getan - die
Vokabel „robustes Mandat“. Das klingt zunächst einmal
nach Tatkraft und Durchsetzungswillen. Aber das Wort
„robust“ sagt nur, wie man etwas macht. Es sagt nicht,
was man tut. Ich sage es einmal so: Man kann auch robust Fliegen fangen.
({2})
Das heißt, es kommt darauf an: Was tun wir eigentlich
mit diesem Mandat? Daher schaue ich in den Antrag
zum Mandat, den Sie uns vorgelegt haben. In dem An-
trag stehen sehr viele richtige und wichtige Dinge. Darin
steht zunächst etwas vom Schutz der Schiffe des World
Food Programme und vom abgestuften Schutz anderer
Schiffe sowie der Bewachung des Seegebietes. Darin
steht aber auch - der Minister hat es zitiert, ich sage es
aber noch einmal ausdrücklich, weil es für uns ganz
wichtig ist - unter 3 e):
Aufgreifen, Festhalten und Überstellen von Personen, die in Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen zu
haben, sowie Beschlagnahme der Seeräuberschiffe,
der Ausrüstung und der erbeuteten Güter.
Sehr gut, sehr wichtig, sehr richtig! Das unterstützen wir
voll.
({3})
Es ist natürlich wichtig und richtig, im Einzelfall die
Schiffe des World Food Programme zu schützen, also
zwei pro Woche. Das unterstützen wir voll. Aber das
reicht eben nicht aus.
({4})
Unser deutsches Interesse liegt nämlich nicht primär darin, nur einzelne Schiffe zu schützen, wie wichtig und
richtig das auch ist. Das Interesse liegt darin, die Freiheit
der Meere und auch die Seewege zu sichern, auf die wir
so unabdingbar angewiesen sind. Das erreichen wir eben
nur mit einer aktiven Bekämpfung der Piraterie.
({5})
Wir wissen genauso wie die Bundesregierung und die
EU, wo die Mutterschiffe der Piraten jeweils liegen. Wir
glauben, dass diese Mutterschiffe aktiv außer Kraft gesetzt werden können.
({6})
Ich sage ausdrücklich: außer Kraft gesetzt werden können. Schärfere Vokabeln kommen zum Teil aus Ihren
Kreisen, aber nicht aus meinem Munde. Wie sie außer
Kraft gesetzt werden können, müssen die Militärs entscheiden. Das Wichtigste ist, den Piraten ihr Handwerkszeug zu nehmen: Ein Pirat ohne Schiff sieht dämlich aus;
so einfach ist die Geschichte. Deshalb ist es wichtiger als
alles andere, den Piraten ihre Schiffe wegzunehmen und
sie zu zerstören.
({7})
Eine reine Begleitungvon Schiffen, sehr geehrter Herr
Kollege Trittin, könnte eine Endlosmission werden. Wir
können ad infinitum Schiffe begleiten. Es fahren auf die-
ser Route pro Jahr 20 000 bis 30 000 Schiffe. Wenn wir
zwei oder sogar zehn Schiffe pro Woche begleiten, wird
das nicht ausreichen.
Das Verteidigungsministerium beendet seine Berichte
über geleistete Nothilfe - das, was unsere Marine darf,
macht sie im Augenblick fabelhaft; wirklich à la bonne
heure - gerne mit dem Satz: Das Handelsschiff konnte
seine Fahrt fortsetzen. - Sehr schön. Nicht dabei steht:
Auch das Piratenschiff konnte seine Fahrt fortsetzen. -
Wir legen sehr großen Wert darauf, dass im Rahmen die-
ses Mandates - das steht unter 3 d) und e), ich habe es
vorgelesen - das Piratenschiff in Zukunft, jedenfalls unter normalen Bedingungen, seine Reise nicht fortsetzen
kann, dass also das Piratenschiff außer Kraft gesetzt
wird.
({8})
Machen wir uns nichts vor. Die Piraten sind exzellent
organisiert. Sie wissen jederzeit, wo unsere Fregatten
stehen. Der Seeraum ist unendlich groß, wie wir alle
wissen. Ihn können wir gar nicht abdecken. Die Piraten
können also ihr räuberisches Handwerk ohne Probleme
fortsetzen. Deshalb sagen wir: Die Begleitung von
Schiffen ist wichtig und richtig, aber sie ist nicht hinreichend. Wenn wir uns darauf beschränken würden, die
Schiffe nur zu begleiten, wären wir als Haifisch gestartet
und als Hering gelandet.
({9})
Das wollen wir als verantwortliche Abgeordnete natür-
lich nicht.
Wir bestehen darauf, dass Sie die Piraterie aktiv be-
kämpfen. Hier geht es nicht nur um das Was, sondern
auch um das Wie. Dass Sie den Ausdruck „robustes
Mandat“ verwenden, ist vielversprechend. Darauf will
ich jetzt aber nicht näher eingehen, sondern nur festhal-
ten: Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die
militärischen Mittel so einsetzt, dass sie ihren Auftrag
vollumfänglich erfüllen kann, und zwar inklusive der
Aufgaben, die unter den Punkten 3 d) und 3 e) ihres Antrags genannt sind.
Meine Damen und Herren, diese europäische Mission
ist mittlerweile die dritte Mission in dieser Region, in
deren Rahmen es um Piraterie geht. Die NATO-Mission
ist gerade erst beendet worden, nämlich am 12. Dezember. Es wird aber schon im Februar nächsten Jahres eine
neue NATO-Mission durchgeführt; das ist bereits absehbar. Einige unserer Partnerländer betreiben auch unter
OEF-Mandat Pirateriebekämpfung; was den Operationsplan angeht, scheint das zumindest nicht unmöglich zu
sein. Wir tun das ausdrücklich nicht.
Unsere erste Forderung an die Bundesregierung lautet: Bitte sorgen Sie dafür, dass die gemeinschaftlichen
Aktionen koordiniert werden. Am besten wäre es, wenn
in absehbarer Zukunft eine gemeinsame Aktion durchge21060
führt würde. Wir müssen die Pirateriebekämpfung nämlich in ihrer Gesamtheit und vollumfänglich in Angriff
nehmen.
({10})
Noch eine Bemerkung zum OEF-Mandat. Unter
OEF-Mandat erlaubt die Bundesregierung die Pirateriebekämpfung ausdrücklich nicht. Sie hält an der realitätsfernen Fiktion fest, als könne man heute, im Dezember
2008, noch eindeutig zwischen Terrorbekämpfung und
Pirateriebekämpfung unterscheiden. Das ist wirklich realitätsfern. Dazu ein Zitat:
Die zunehmende Verbreitung der Organisierten
Kriminalität in schwachen Staaten macht die Bedrohung des Terrorismus noch ernster. Aus den Erlösen krimineller Aktivitäten, vor allem aus Drogenhandel, aber auch dem illegalen Handel mit
Waffen, Menschen, Geldwäsche oder Piraterie,
werden Kriegshandlungen, Extremismus und Terrorismus finanziert.
Das ist kein Zitat der Oppositionsfraktion FDP. Dieses
Zitat stammt aus der Sicherheitsstrategie der CDU/CSUFraktion vom 6. Mai dieses Jahres.
({11})
Das ist die Politik der Union. Herr Minister, wann machen Sie diese Politik der CDU/CSU endlich zur Regierungspolitik? Wir warten darauf, dass Sie diese Erkenntnisse in Regierungshandeln umsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Tagen
waren in den Zeitungen - deshalb kann man darauf hinweisen - sehr besorgniserregende Berichte zu lesen, in
denen es hieß, Geheimdienste hätten Informationen, dass
Verbindungen zwischen al-Qaida und den Piraten bestehen. Dabei gehe es - das ist noch schlimmer - um die
Besetzung von Kreuzfahrtschiffen. Wenn das der Fall
ist, wird das Problem noch viel größer und bedrohlicher.
Wir müssen an die Reiseveranstalter appellieren, ihrer
Verpflichtung, ihre Passagiere zu schützen, nachzukommen; keine Frage. Wenn aber der Fall eintritt, dass ein
Kreuzfahrtschiff von Piraten besetzt wird, dann muss dagegen natürlich auch etwas unternommen werden können. Daher müssen wir uns grundsätzlich mit dem
Thema Pirateriebekämpfung beschäftigen und dürfen
uns nicht auf die Begleitung einiger Schiffe - mehr können wir ohnehin nicht leisten - beschränken.
({12})
Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, haben wir
eine ganze Reihe von Fragen und Kritikpunkten. Den-
noch bleibt festzuhalten: Die Pirateriebekämpfung am
Horn von Afrika hat große Bedeutung und hohe Priorität.
Sie muss aktiv betrieben werden. Dieses Mandat - ich
habe daraus zitiert; ich meine speziell die Punkte 3 d)
und 3 e) - gibt der Bundesregierung Instrumente an die
Hand, um aktiv dagegen vorzugehen. Wir erwarten, dass
sie dies auch tut; darauf habe ich bereits hingewiesen.
Wir, die Abgeordneten, sind allerdings nicht in der Lage,
über Einzelheiten der Operationsführung zu entscheiden
oder die Operationsführung zu kontrollieren. Hier sind
wir auf die Bundesregierung angewiesen. Wir erwarten,
dass sie ihren Auftrag vollumfänglich erfüllt. Wir werden sie daran messen.
Vielen Dank.
({13})
Jetzt hat der Bundesminister Franz Josef Jung das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber
Kollege Stinner, zunächst einmal Folgendes: Sie können
davon ausgehen, dass unsere Marine, wenn der Deutsche
Bundestag dieses Mandat verabschiedet, ihren Auftrag
in hervorragender Art und Weise erfüllen wird.
({0})
Ich kann Ihnen sagen: Es ist aus meiner Sicht dringend
notwendig und liegt auch in unserem eigenen Interesse,
der Geißel der Piraterie wirkungsvoll entgegenzutreten,
um Seesicherheit und freien Seehandel zu gewährleisten.
Das ist auch aus humanitären Gründen von Bedeutung.
Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustimmung, damit wir uns an diesem Mandat beteiligen können.
({1})
Es ist darauf hingewiesen worden: 248 Schiffe sind in
diesem Jahr gekapert worden. Durch Lösegeldzahlungen
haben sich hier gewisse Dinge weiter etabliert. Deshalb
ist es, glaube ich, notwendig, dass wir hier ein derartiges
Mandat beschließen; denn es geht erstens darum, abzuschrecken, zweitens darum, Angriffe zu verhindern, und
drittens aber auch darum, Seeräuberei zu beendigen. Ich
glaube, das ist das Ziel, das im Rahmen dieses Mandats
vorrangig zu berücksichtigen ist.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass wir uns in
Europa auch auf eine Reihenfolge, wenn ich das so sagen darf, im Hinblick auf die Schutzinteressen der
Schiffe verständigt haben. Es geht zunächst um die
Schiffe innerhalb des Welternährungsprogramms, dann
um die Schiffe mit einem humanitären Auftrag, sodann
um die Schiffe aus denjenigen Ländern, die sich an dieser Mission konkret beteiligen, und dann kommen die
sonstigen Schiffe.
Bisher sieht es so aus, dass sich Belgien, Frankreich,
Griechenland, die Niederlande, Schweden, Großbritannien und Spanien an dieser Mission beteiligen, die in
dem Seegebiet innerhalb von rund 500 Seemeilen vor
der Küste Somalias und der Nachbarländer durchgeführt
wird. Ich bin dankbar dafür, dass es klare und konkrete
rechtliche Regeln hinsichtlich des Operationsplans und
der Einsatzregeln, also der Rules of Engagement, gibt.
Kollege Stinner, es ist ein robustes Mandat, in das
selbstverständlich die Anwendung von Gewalt mit einbezogen ist. Das geht vom Schuss vor den Bug bis hin
- so ist dies im Mandat vorgesehen - zur Versenkung
von Piratenschiffen. Wir operieren aber immer nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich halte es auch für
richtig, dass die Marine in diesem Zusammenhang ihre
Aufgaben und ihren Auftrag verantwortungsvoll wahrnehmen kann.
({2})
Ich füge hinzu: Für diese Mission Europas sind drei
Kriegsschiffe mit Hubschraubern, ein Unterstützungsschiff und drei Seefernaufklärer vorgesehen, um konkret
festzustellen, wo im Operationsgebiet im Einzelnen
Handlungsfähigkeit gegeben ist und -notwendigkeiten
bestehen. Auch die Möglichkeit, Sicherungskräfte an
Bord von Handelsschiffen mitzunehmen, ist in diesem
Mandat vorgesehen.
Wir wollen uns mit der Fregatte „Karlsruhe“ an diesem Mandat beteiligen, das unter dem Kommando eines
europäischen Befehlshabers steht. An Bord unserer Fregatte sind zwei Hubschrauber und entsprechende Marineschutzkräfte. Zusätzlich ist hier vorgesehen, dass wir
Kräfte für Sicherung, Logistik und Sanität sowie Feldjäger in dem Mandat bereitstellen und auch Stabs- und
Verbindungspersonal in das Hauptquartier entsenden.
Das Hauptquartier der Operation wird in Northwood
nahe London sein.
Die Mandatsobergrenze soll auf 1 400 Soldaten festgelegt werden. Dies heißt nicht, dass jetzt 1 400 Soldaten mit in den Einsatz gehen, sondern dies heißt, dass
wir etwas Flexibilität im Hinblick auf die konkrete
Wahrnehmung des Mandats haben. Im Rahmen der Operation Enduring Freedom ist jetzt beispielsweise die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ im Einsatz, und sie
darf dort Nothilfe leisten. Zur aktiven Pirateriebekämpfung soll es, wenn dies im Operationsgebiet erforderlich
ist, auch möglich sein, diese Fregatte in die Operation
„Atalanta“ zu überführen, um der Piraterie wirkungsvoll
entgegentreten zu können. Deshalb ist es, glaube ich,
richtig, dass wir hier eine derartige flexible Mandatsobergrenze vorsehen.
({3})
Das Mandat soll bis zum 15. Dezember 2009 gewährt
werden. Sehr geehrter Herr Kollege Stinner, das muss
ich dann doch einmal sagen: Ich habe immer hohen Respekt vor Menschen - dies gilt gerade auch für Ihre Partei -,
die insbesondere die Verfassungsfragen sehr im Vordergrund sehen.
({4})
Was Sie sich hier in diesem Zusammenhang leisten,
halte ich aber für völlig falsch; denn was wir hier tun, ist,
die Verfassung genau zu beachten.
({5})
Ich will Ihnen hier klar und deutlich sagen: Wir haben
eine klare verfassungsrechtliche und völkerrechtliche
Grundlage. Die völkerrechtliche Grundlage ist die
Resolution 1846 der Vereinten Nationen. Die verfassungsrechtliche Grundlage ist das System gegenseitiger
kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Grundgesetz. Deshalb ist eine derartige aktive Pirateriebekämpfung durch
die Bundeswehr möglich, die sonst keine verfassungsrechtliche Grundlage hätte. Deswegen konnten wir das
nicht im Rahmen des OEF-Mandats regeln. Aber in dem
System gegenseitiger kollektiver Sicherheit mit einem
europäischen Mandat und auf der völkerrechtlichen
Grundlage der Vereinten Nationen können wir Piraterie
wirkungsvoll und aktiv bekämpfen. Diesen Auftrag werden wir auch wahrnehmen.
({6})
Wir haben im Übrigen Rechtsklarheit geschaffen,
wenn es darum geht, Personen festzuhalten oder festzusetzen. Unser Ziel ist, wie gesagt, zunächst einmal Abschrecken, Verhindern und Beendigen. Aber wenn es
dazu kommt, dass Personen - also Piraten - konkret festgesetzt werden, dann wollen wir prüfen, ob es ein deutsches Interesse gibt. Wenn das der Fall ist, dann wollen
wir die betreffenden Piraten der deutschen Gerichtsbarkeit zuführen. Ansonsten wollen wir sie den Nationen
zuführen, die ein unmittelbares Interesse daran haben.
Wir sind bemüht, zu klären, inwiefern wir gegebenenfalls mit Anrainerstaaten zu Übereinkommen kommen
können. Ich erachte es dabei für den besseren Weg, zu
einer internationalen Regelung zu kommen, um konkret
und verantwortungsvoll handeln zu können. Deshalb ist
das Bemühen, innerhalb der Vereinten Nationen, aber
auch der Europäischen Union zu einer internationalen
Regelung zu kommen, meines Erachtens ein richtiger
und wichtiger Ansatz, den wir auch weiterhin unterstützen wollen.
({7})
Der Kostenrahmen - auch darauf will ich hinweisen wird auf rund 45 Millionen Euro geschätzt. Aber ich
denke, dass es in unserem Interesse liegt, unseren Auftrag so zu erfüllen, wie ich es gerade erläutert habe. Deshalb bitte ich Sie um möglichst breite Unterstützung für
dieses Mandat, damit wir unseren Beitrag zur Wiederherstellung der Seesicherheit und zur Gewährleistung eines freien Seehandels leisten können. Wir sind Exportweltmeister. 80 Prozent unseres Handels findet über den
Seeweg statt. Das Mandat liegt aber auch im humanitären Interesse. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu
diesem Mandat.
Besten Dank.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Dr. Rainer Stinner.
Vielen Dank. - Herr Minister, nachdem Sie mich und
meine Partei wegen der rechtlichen Rahmenbedingungen so scharf kritisiert haben, möchte ich Sie - in aller
Angemessenheit auch im Ton; ich versuche, das ganz ruhig zu machen - an die Diskussionen erinnern, die wir in
diesem Jahr erlebt haben, und darauf hinweisen, wie Sie,
verehrter Herr Minister, und Ihre Partei, die Christlich
Demokratische Union, zusammen mit der Christlich-Sozialen Union in diesem Hause zu Beginn der Beratungen
unbedingt auf Änderung des Art. 87 a des Grundgesetzes gedrängt haben.
Ich darf Sie daran erinnern, dass das monatelang ein
Thema war und dass wir auf unsere Anfragen von den
beiden betroffenen Ministerien - dem Auswärtigen Amt
und dem Verteidigungsministerium - immer wieder völlig unterschiedliche oder gegensätzliche Antworten bekommen haben. Ich darf Sie daran erinnern, dass Ihr
Koalitionspartner, die SPD, Ihnen sehr deutlich gemacht
hat, dass der Weg, Art. 87 a Grundgesetz zu ändern,
nicht umsetzbar ist.
Jetzt haben wir eine rechtlich sichere Basis, die aber
durch Art. 25 Grundgesetz und Seerechtsübereinkommen nach Übereinstimmung aller wesentlichen Völkerrechtler längst gegeben war.
({0})
Von daher darf ich Sie daran erinnern, Herr Minister,
dass wir uns sehr verantwortungsvoll verhalten haben.
Insofern ist der Vorwurf, wir würden uns nicht an rechtsstaatliche Normen halten, völlig abwegig. Ich weise ihn
in aller Entschiedenheit zurück.
({1})
Herr Minister, Sie können von Ihrem Platz aus antworten. Bitte.
({0})
Lieber Herr Kollege Stinner, ich versuche, es noch
einmal zu erklären. Ich weiß, dass Verfassungsrecht
nicht einfach ist. Aber Tatsache ist - unabhängig von
den Fragen in der politischen Diskussion, die Sie angesprochen haben -, dass nach unserer derzeitigen Verfassungslage die Pirateriebekämpfung ohne völkerrechtliches Mandat zunächst Aufgabe der Polizei ist.
Sie haben auf das Seerechtsübereinkommen hingewiesen. In diesem Zusammenhang weise ich Sie darauf
hin, dass nach Art. 25 Grundgesetz das Völkerrecht einfaches Recht brechen kann. Es kann aber nicht das
Grundgesetz brechen. Deshalb zieht diese Argumentation nicht. Es ist nur der Weg über Art. 24 möglich: gegenseitige kollektive Sicherheit. Wir haben ein europäisches Mandat und werden hoffentlich die Zustimmung
des Deutschen Bundestages bekommen. Dann werden
wir unseren Auftrag wahrnehmen können. Dabei werden
wir uns innerhalb der geltenden Bestimmungen unserer
Verfassung bewegen. Es ist mein vornehmster Auftrag
- dies empfinde ich als meine Verpflichtung -, die Verfassung zu achten, wenn es um Einsätze der Bundeswehr
geht.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norman Paech von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Linke
ist für die Sicherheit der See- und Handelswege und hält
den Schutz vor Piraterie für absolut notwendig und unverzichtbar.
({0})
Auch wir sind von der Notwendigkeit überzeugt, dass
gegen die Piraterie vorgegangen werden muss.
Das Problem ist Ihnen seit vielen Jahren bekannt; Ihnen ist auch bekannt, dass die Ursachen der Piraterie
nicht auf See liegen, sondern in dem von Bürgerkrieg
und fremden Truppen zerrissenen Somalia. Aber seit der
gescheiterten UN-Mission Anfang der 90er-Jahre hat
sich kein Land um Somalia gekümmert. Erst als 2006
die islamischen Gerichtshöfe die Macht übernahmen,
marschierten äthiopische Truppen in das Land und vertrieben mit Unterstützung der USA die neuen Machthaber. Niemand hat dies kritisiert; auch die Bundesregierung hat geschwiegen. Damit beendeten die Truppen
eine sehr kurze Phase der inneren Sicherheit und des
spürbaren Rückgangs der Piraterie vor den Küsten Somalias. Seitdem, seit 2007, hat sich der Konflikt wieder
ausgeweitet, verschärft und zunehmend radikalisiert. Die
Piraterie hat wieder drastisch zugenommen, und Somalia
ist leider in Anarchie versunken.
Aber Sie haben nichts unternommen. Im vergangenen
Jahr war die Kanzlerin noch in Somalias Nachbarland
Äthiopien. Aber wir haben keine Forderung von ihr gehört, dass sich die Äthiopier aus Somalia zurückziehen
und etwas gegen Piraterie und für Somalia tun sollten.
Wenn die EU und die Bundesregierung jetzt Militär
entsenden wollen, geht es ihnen doch nur um die Sicherung der See- und Handelswege, was im Klartext den
Ausbau Ihrer militärischen Präsenz auch in diesem Teil
der Weltmeere bedeutet, wie es die USA dort bereits seit
langem unternommen haben. Mit „Atalanta“ kann die
EU ihre maritimen militärischen Fähigkeiten auch dort
demonstrieren und Deutschland die Auslandseinsätze
der Bundeswehr ausweiten.
Ein Beitrag dazu, an die Wurzeln der Piraterie zu gehen - das wissen Sie ganz genau -, die Armut der somalischen Bevölkerung zu lindern und die Sicherheit der
Küsten wiederherzustellen, ist dies überhaupt nicht.
({1})
Auch die von den internationalen Fangflotten leer gefischten Gewässer vor Somalia - das hat den Fischern,
von denen dann viele überhaupt erst Piraten geworden
sind, ihre Existenz genommen - erholen sich durch diese
Mission nicht.
Durch die jüngste Resolution 1851 des Sicherheitsrates haben die USA auch noch das Mandat erhalten, ihren militärischen Zugriff auf das Festland zu erweitern.
Gleichzeitig wird wieder - Herr Stinner, Sie haben es gesagt - al-Qaida ins Spiel gebracht, um den Antiterrorkampf mit dem Kampf gegen die Piraten zu verbinden.
Diese Vermischung mit dem Krieg der OEF kennen wir
aus Afghanistan. Dazu sagt die Linke: ohne uns.
({2})
Jetzt komme ich zu dem eben angesprochenen Disput,
Herr Minister Jung: Sie wissen auch, dass nach internationalem und deutschem Recht Piraterie wie Raub und
Freiheitsberaubung ein Fall der gewöhnlichen Kriminalität ist, für deren Bekämpfung ausschließlich die Polizei
zuständig ist.
({3})
Nach deutschem Verfassungsrecht hat das Militär dort
überhaupt nichts zu suchen. Schiffe versenken, wie es
jetzt angekündigt wird, ist vom internationalen Recht
und von dem Mandat des UNO-Sicherheitsrates nicht
gedeckt. Die Trennung von Polizei und Militär - dies
wissen Sie, Herr Stinner, ebenso wie Sie, Herr Minister
Jung, ganz genau - ist eines unserer tragenden Verfassungsprinzipien.
({4})
Da können Sie noch so viel mit Art. 24 oder Art. 25 des
Grundgesetzes jonglieren, der Einsatz des Militärs zu
polizeilichen Zwecken, ob im Bundesgebiet oder im
Ausland, ist untersagt.
Was ist aber nun zu tun? Die Bekämpfung der kriminellen Piraterie ist Sache der Bundespolizei - das wäre
auch möglich -, und zwar am effektivsten und nachhaltigsten mit einer Küstenwache, um den Operationen der
Piraten einen wirklich wirksamen Riegel vorzuschieben.
Eine solche Küstenwache unter Beteiligung der Nachbarstaaten und unter Führung der UNO und der AU wäre
ohne große Verzögerung aufzubauen. Seit einem Dreivierteljahr beschäftigt sich der UNO-Sicherheitsrat mit
der Piraterie vor Somalia. Wir fragen die Bundesregierung: Warum haben Sie nicht auf ein Mandat für eine
derartige Küstenwache gedrungen, die auch Deutschland
mit Polizeikräften sowie mit materiellen und finanziellen
Mitteln unterstützen kann? Es gibt eine Alternative zum
militärischen Einsatz.
({5})
Es gibt eine Vielzahl weiterer Maßnahmen, die kurzfristig ergriffen werden könnten. Die äthiopischen Truppen
müssen sich sofort und vollständig aus Somalia zurückziehen. Die USA müssen die Angriffe mit ihren OEFTruppen auf das Festland Somalias endlich einstellen.
Die illegal operierenden Fangflotten müssen unverzüglich die somalischen Territorialgewässer verlassen, um
den Fischern wieder den Lebensraum einzuräumen, den
sie ihnen weggenommen haben. Aber von all dem steht
nichts in Ihrem Antrag.
Wenn es der Bundesregierung mit dem Kampf gegen
die Piraterie wirklich ernst wäre, müsste sie zudem langfristig der notleidenden Bevölkerung helfen, den Wiederaufbau des zerfallenden Staates und die Wiederherstellung
der Sicherheit im Land unterstützen. Die Bundesregierung sollte sich um die sofortige Aufnahme von Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in Somalia
zur Bildung einer repräsentativen Regierung - eine solche Regierung gibt es bislang nicht - bemühen. Was allerdings jahrelang versäumt wurde, kann jetzt nicht mehr
mit ein paar Fregatten nachgeholt werden. Das ist nur
Symbolpolitik; das sage ich ganz offen. Es ist obendrein
gefährlich, wie Sie an dem irrtümlichen Versenken eines
thailändischen Trawlers durch die indische Marine gesehen haben.
({6})
Demnächst werden die NATO, die EU, die USA, Russland und Indien - Herr Stinner, Sie haben das bereits gesagt - ihre Kriegsschiffe vor den Küsten Ostafrikas kreuzen lassen, was den Frieden in dieser Region bestimmt
nicht fördern wird.
Ich komme zum Schluss. Unsere Forderung ist: Überlassen Sie die Bekämpfung der Piraterie der Bundespolizei im Rahmen einer internationalen Küstenwache unter
der Führung der UNO! Kümmern Sie sich um das Elend
der Bevölkerung Somalias! Dann werden Sie auch mit
der Piraterie fertig werden. Für die Entsendung einer
Fregatte werden Sie unsere Zustimmung nicht bekommen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Uschi Eid von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren!
Um es gleich vorweg zu sagen: Meine Fraktion wird
mehrheitlich dem Antrag der Bundesregierung zustimmen; denn für die meisten von uns liegt die Notwendigkeit dieses Einsatzes klar auf der Hand.
({0})
Es besteht kein Zweifel daran, dass es ein kollektives Sicherheitsinteresse der Weltgemeinschaft an sicheren
Seewegen gibt. 16 000 Schiffe passieren pro Jahr den
Golf von Aden. Die Schiffe des Welternährungsprogramms und der humanitären Hilfe sind zu schützen. Allein in diesem Jahr sind schon 50 Millionen US-Dollar
von den Seeräubern erpresst worden. Was mit diesem
Geld passiert, wissen wir eigentlich alle; darauf muss ich
gar nicht eingehen. Außerdem ist das Mandat - zuletzt
durch die UNO-Resolution 1846 vom 2. Dezember völkerrechtlich abgesichert.
Wir haben allerdings - Herr Minister, das wurde
schon heute Morgen im Ausschuss deutlich - noch einige Fragen und halten den Ansatz der Bundesregierung
für unzureichend. Herr Stinner hat es bereits gesagt. Wir
sehen überhaupt nicht ein, warum es parallele Missionen
gibt. Wäre es denn nicht überlegenswert, diese parallelen
Missionen alle im Rahmen von „Atalanta“ einzusetzen?
Das ist die erste Frage.
({1})
Zweitens. Es wurde heute Morgen völlig im Unklaren
gelassen, was eigentlich mit den Piraten passiert, die von
der deutschen Marine in Gewahrsam genommen werden, wenn der Überfall auf Schiffe des Welternährungsprogramms stattgefunden hat; denn diese Schiffe fahren
nicht unter deutscher Flagge. Auch diese Frage, Herr
Minister, konnte heute Morgen nicht geklärt werden.
Drittens. Wir halten den Ansatz der Bundesregierung für
eine militärische Engführung. Dieser Ansatz wird zu
keiner langfristigen Lösung des Problems führen.
Natürlich sind wir uns darin einig, dass die Befriedung Somalias und die Lösung des Konflikts ungeheuer
komplex sind und dass wir einen langen Atem brauchen;
aber den langen Atem haben wir jetzt schon 18 Jahre
lang;
({2})
denn 18 Jahre lang ist Somalia ohne staatliches Gewaltmonopol, ohne Sicherheitsorgane, ohne staatliche Strukturen und deswegen ein sicheres Rückzugsgebiet für
Kriminelle. Wenn ein Gemeinwesen zerrüttet ist, wenn
sich Warlords bekämpfen, sich die Clans gegenseitig
misstrauen und die Macht nicht teilen wollen, wenn klar
ist, dass die Übergangsregierung zwar unter internationaler Vermittlung zustande gekommen ist, mittlerweile
aber eher ein Problem als eine Lösung darstellt, dann
frage ich mich schon, was die Bundesregierung vor zwei
Jahren gemacht hat, als wir die EU-Ratspräsidentschaft
innehatten. Damals ist viel zu wenig unsere Macht - Ihr
Wort, Herr Außenminister - durchgedrungen. Ich weiß,
dass Einiges getan wird. Während wir hier debattieren,
ist jemand aus dem Auswärtigen Amt in Eritrea. Aber,
Herr Außenminister, das ist mindestens zwei Jahre zu
spät.
({3})
Also: nicht zeitgemäß, zu wenig getan.
Herr Mützenich, Sie haben heute Morgen einen sehr
netten Vorschlag gemacht. Sie wollen nämlich Ihrer
Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion vorschlagen, einen
gemeinsamen Antrag zur politischen Lösung des Somalia-Konflikts vorzulegen. Ich kann bei allem Respekt nur
sagen: Guten Morgen!
({4})
Denn wir, alle Fraktionen des Deutschen Bundestages,
haben im Juni 2007 hier einstimmig einen Antrag, in
dem politische Lösungsschritte und Lösungsmaßnahmen
von unserer Fraktion vorgelegt worden sind, verabschiedet. Diese Initiative von uns hat alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages überzeugt. Es ging um die
Frage, wie wir damit umgehen, dass seit 2002 der Verlauf der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea eine
konstante Quelle der regionalen Instabilität ist.
({5})
Wir müssen dafür sorgen, dass Äthiopien die Demarkation dieser Grenze endlich anerkennt. Beide Staaten,
Eritrea und Äthiopien, haben ein ungeheures Potenzial.
Sie sollen dieses Potenzial nicht für Kriegsvorbereitungen einsetzen, sondern für den Wiederaufbau und für die
Befriedung der Region. Das wäre wichtig.
Wir wissen genau - das kennen wir aus Afghanistan -,
dass die Gesellschaft von Somalia Clanstrukturen hat.
Seit 18 Jahren gibt es keine Regierung. Selbst wenn es
sie gäbe, so sind die lokalen Autoritäten diejenigen, die
für Ordnung sorgen und die das Gemeinwesen wieder
organisieren können. Was hat die Bundesregierung getan, um diese Clanstrukturen zu stärken und sie zu vernetzen, damit sie den Männern, Frauen und Kindern ein
Leben in Sicherheit in ihren Dörfern gewährleisten können?
({6})
Im Juni fand in Dschibuti eine Konferenz statt, auf
der eine ganz klare Vereinbarung getroffen wurde. Ich
traue der Übergangsregierung nicht sehr viel zu; denn
gerade erst vor einigen Tagen hat der Präsident seinen
Premierminister geschasst. Auf die kann man sich also
nicht besonders gut verlassen. Trotzdem ist diese Regierung aufgrund internationaler Vereinbarungen zustande
gekommen. Sie muss gezwungen werden, mit den moderaten Teilen der Union der islamischen Gerichte zu
kooperieren; denn nicht alle sind gewalttätig.
Herr Paech, ich möchte Ihnen schon sagen: So zu tun,
als wären in Somalia keine Terroristen, keine Afghanistan-Veteranen ist auch ein bisschen blauäugig; was Sie
behaupten, das stimmt nicht. In unserer gestrigen Fraktionssitzung hat uns eine Somalia-Expertin klar gesagt,
dass es da auch Verbindungen zu al-Qaida gibt. Trotzdem muss man nach Möglichkeiten Ausschau halten,
mit den gewaltfernen Teilen der Union der islamischen
Gerichte wieder ins Gespräch zu kommen. Im Juni
wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Ich frage die Bundesregierung: Was haben Sie getan, um diesen Dialog zu
befördern?
Stichwort „AMISOM“: Äthiopien soll sich zurückziehen; dafür sollten ugandische und burundische Truppen
nach Somalia. Wir haben alle gesehen: Das ist unzureichend. Was haben wir getan? Wir haben den AMISOMProzess nicht unterstützt; zumindest hat man davon
nichts gemerkt.
({7})
Es ist schon richtig - das wissen wir -, dass es da
auch verarmte Fischer gibt. Ich finde es aber problematisch, das als Argument anzuführen; denn es gibt ausländische Firmen, die mit den illegalen Netzwerken in Somalia Verträge abschließen, dass sie dort fischen und
Müll ablagern dürfen. Das heißt, wir, die Europäische
Union, müssen solchen Machenschaften das Handwerk
legen.
({8})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Meine Fraktion erwartet, dass die vom Deutschen Bundestag im
Juni 2007 einstimmig beschlossenen Maßnahmen von
Ihnen, Herr Minister, beherzt durchgeführt werden, damit wir in zwölf Monaten eine positive Bilanz ziehen
können.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Kollegin Uschi Eid, soeben hat auch die frühere
G-8-Afrika-Beauftragte des Bundeskanzlers gesprochen.
({0})
Ich habe ihr mit großer Sympathie zugehört. Allerdings
haben wir es mit der Situation eines Failing State in dem
infrage stehenden Staat Somalia seit 1994 zu tun. Parlamentarisch begleitend war ich zusammen mit dem unvergessenen Günther Nolting und Paul Breuer im Rahmen der Operation Restore Hope in Belet Huen. Wir
haben den Zerfall erlebt. Auch wir, die rot-grüne Koalition mit dem Außenminister Fischer, haben ihn nicht
aufhalten können; wir haben das, womit wir es im Moment zu tun haben, nämlich mit dem Auseinanderfallen
Somalias, geschehen lassen. Mit Gustav Heinemann bin
ich immer der Meinung: Wer mit dem Finger auf andere
zeigt, sollte bedenken, dass drei Finger auf einen selbst
zurückzeigen.
({1})
Sind wir redlich? Sind wir aktuell fähig, auch in die Zukunft zu schauen?
Ich möchte deutlich machen, dass die umsichtigen
und verantwortungsbewussten Reden des Außenministers und des Verteidigungsministers die SPD-Bundestagsfraktion veranlassen werden, diesem Antrag am
Freitag zuzustimmen. Ich möchte betonen: Sie trägt den
Inhalt dieses Antrags mit.
Geschätzter Kollege Stinner - Sie haben schon einen
kleinen Disput mit dem Verteidigungsminister gehabt -,
ich muss in diesem Zusammenhang sagen: Ich bin immer für unverzügliches Handeln, für Handeln ohne
schuldhaftes Zögern, nicht nur der Bundesregierung,
sondern auch des Parlaments. Ich bin aber gegen Hauruckpolitik, wenn es darum geht, in jedem Fall Rechtssicherheit für Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zu
leisten.
({2})
Deswegen müssen wir sehr vorsichtig sein und nach dem
Grundsatz „Sorgfalt vor Eile“ vorgehen.
Die Wahrung dieses Grundsatzes mahne ich auch in
dieser Diskussion im Hinblick auf das Parlament, insbesondere auf meine Fraktion, an. Wir dürfen uns hier
nicht übersteuern lassen. Wir müssen international und
national Völkerrecht und Rechtsordnung einhalten. Es
muss vom Ende her gedacht werden: Der Kommandant
und seine Soldatinnen und Soldaten, aber auch die politische Führung müssen Rechtssicherheit haben. Wenn das
nicht der Fall sein sollte, nimmt am Ende jemand verdient seinen Hut.
({3})
Ich denke, dass der Vierklang von Sicherung der humanitären Hilfe für die 3,2 Millionen notleidenden Somalier, Sicherstellung des zivilen Schiffsverkehrs auf
den Handelswegen im Seegebiet von Somalia und den
Nachbarländern innerhalb der 500-Seemeilen-Zone, Unterbindung von Geiselnahme und Lösegelderpressung
sowie Durchsetzung des Völkerrechts die richtige inhaltliche Voraussetzung für das Mandat „Atalanta“ im Rahmen der internationalen Gemeinschaft ist.
Dazu gehören Einsatzregeln im Rahmen des Operationsplans, die die einzelnen Länder für ihre Schiffe selbst
verantworten, insbesondere im Fall der Strafverfolgung.
Caveats sind nicht ersichtlich. Es kann - so der Herr Verteidigungsminister heute noch einmal - getan werden,
was getan werden muss. Dies unterliegt in jedem Fall,
auch bei der Ingewahrsamnahme, dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, dem sich nicht nur die Operateure,
sondern auch die Politik verpflichtet fühlen müssen.
({4})
Das primäre Ziel des „Atalanta“-Mandats ist nicht,
die Ingewahrsamnahme piraterieverdächtiger Personen
durchzusetzen. Der Schwerpunkt liegt auf der Verhütung
seeräuberischer Handlungen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung in der Ausgestaltung der Mission. Sie beinhaltet - ich wiederhole es die Möglichkeit eines robusten Mandats nach
Kapitel VII der UN-Charta, was heißt, dass unsere Marine in der Lage sein muss, Piraten zu bekämpfen und
Personen, die seeräuberischer Handlungen verdächtigt
werden, festzunehmen.
Unsere nationalen Rechtsprinzipien - ich habe es ausgeführt - müssen gewahrt bleiben. Deswegen sind die
drei Handlungsoptionen für den Fall, den die Bundesregierung vorsieht und für den sie die Zustimmung des
Parlaments erbittet, auch unter dem Gesichtspunkt des
deutschen Interesses akzeptabel, umsetzbar und auch zustimmungsfähig.
({5})
Wir begrüßen sehr, Herr Außenminister, dass Sie unseren internationalen Partnern in der Europäischen
Union und in den Vereinten Nationen vorausschauend
und nachdrücklich gesagt haben, die Einrichtung eines
internationalen Gerichtshofs sei dringlicher denn je, weil
keiner der bereits existierenden Gerichtshöfe für Piraten
zuständig ist.
({6})
Deswegen drängt die SPD-Bundestagsfraktion, dass
hierüber baldmöglichst ein ausreichend breiter internationaler Konsens gefunden wird. Die Dimension des Piraterieproblems spricht zwingend dafür, diesen Gerichtshof endlich einzurichten.
({7})
Die Beratung über diesen Einsatz ist nicht geeignet,
die Lufthoheit über den deutschen Stammtischen
- manchmal tragen wir in den Wahlkreisen ja auch unbewusst zu einer solchen Diskussion bei - zu gewinnen. Es
gab in den vergangenen Wochen wiederholt Häme wegen der schwierigen rechtlichen Diskussion über den
Umgang mit in Gewahrsam genommenen Piraten. Diese
Gründlichkeit wurde von Kommentatoren belächelt und
sogar kritisiert - offenbar nach dem Motto: Die haben
nicht den Mumm, gegen die Piraten ordentlich hinzulangen. - Es handelt sich aber nicht um eine zu übergehende Nebensächlichkeit; vielmehr berührt die Problematik Kernfragen unseres demokratischen Rechtsstaats.
Ich sage überspitzt: Ich wehre mich gegen Guantánamos
auf See.
({8})
Der rechtsstaatliche Umgang mit gefangenen Piraten
ist für uns eine unmittelbare Verpflichtung. Kein noch so
schlimmes Verbrechen darf den Staat dazu verleiten,
seine selbstgesetzten Rechtsgrundsätze zu missachten
oder gar zu verletzen. Deswegen steht in der UN-Resolution völlig zu Recht, dass die strafrechtliche Verfolgung - ich zitiere - „im Einklang mit dem anwendbaren
Völkerrecht, einschließlich der internationalen Menschenrechtsnormen“ stattfinden muss. Im Übrigen hat
man sich schon 1877 im Chinesischen Meer seitens der
kaiserlichen Marine so verhalten. Das ist eigentlich einer
der wenigen Gründe, die auch mal für ein Kaiserreich
sprechen können;
({9})
das Kaiserreich haben wir Gott sei Dank, auch in Bayern, Herr Kollege Schockenhoff, überwunden. Aber das
habe ich jetzt zugegebenermaßen außerhalb des normalen Vortrages gesagt.
Ich will hier noch einmal deutlich machen, meine Damen und Herren - dass das sehr wichtig ist, haben Sie,
Herr Außenminister, ja auch am Schluss Ihrer Rede gesagt -, dass die heute Nacht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefasste Resolution nichts am Auftrag und
an der Durchführung von „Atalanta“ ändert.
Ich bin dafür - da spreche ich auch für meine Fraktion -,
dass wir uns dem seeseitigen Koordinierungselement
nicht nur zuwenden, sondern auch daran beteiligen. Eine
Koordinierung der internationalen Akteure - das ist auch
in den anderen Debattenbeiträgen heute hier im Parlament deutlich geworden - in dem Seegebiet liegt nämlich im internationalen und damit auch in unserem Interesse.
Ich glaube auch, dass wir genau darauf schauen müssen, was mit der Resolution 1851, die heute Nacht gefasst worden ist, beabsichtigt ist. Ich möchte für meine
Fraktion an dieser Stelle sagen, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Wenn man Landoperationen mit einbezieht,
muss auch darauf geachtet werden, nicht eine ungeeignete Truppe in eine aussichtslose Lage zu entsenden und
so Peacekeeping und die Vereinten Nationen zu beschädigen.
Die Sinnhaftigkeit der EU-Mission „Atalanta“ wird
von der Resolution nicht berührt, ich sagte es bereits.
Deshalb kann ich in meinem Beitrag jetzt schon die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion zu diesem Mandat am Freitag in Aussicht stellen.
Ich danke für Ihr Übermaß an Geduld.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube,
ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Man macht sich
die Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr nie leicht. Soldaten ins Ausland zu schicken, ist
immer mit einer besonderen Verantwortung und einer
sorgfältigen Abwägung verbunden. Das gilt, wie ich
glaube, in diesen Tagen noch einmal ganz besonders:
Während nämlich die Mehrzahl unserer Bevölkerung
mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt ist, beraten
wir darüber, unsere deutschen Soldaten in einen gefährlichen Auslandseinsatz zu entsenden. So etwas tut man
nicht leichten Herzens.
Viele unserer Soldaten können das Fest eben nicht im
Kreise ihrer Familien verbringen. Sie sind für Frieden
und unsere Sicherheit im Einsatz. Deshalb möchte ich
auch diese Rede nutzen, noch einmal einen Dank an alle
deutschen Soldaten, die sich weltweit in Auslandseinsätzen befinden, auszusprechen.
({0})
- Es ist bezeichnend, dass von der Fraktion Die Linke an
dieser Stelle keiner klatscht.
({1})
Im Rahmen von „Atalanta“ sollen unsere Soldaten
dazu beitragen, die Gewässer vor der Küste Somalias
wieder sicherer zu machen und Übergriffe von verbrecherischen Piraten auf Leib, Leben und Eigentum abzuwehren. Diese Aufgabe stellt eine große Herausforderung dar. Auch wenn dieser Einsatz nicht ungefährlich
ist, bin ich von seiner Notwendigkeit überzeugt.
An dieser Stelle muss ich einen Einschub machen,
nachdem Sie es auch in Ihrer Rede angesprochen haben,
Herr Kollege von der Linken. Ich möchte hierzu aus dem
Antrag, den die Linke eingebracht hat, zitieren. Hier
steht: Atalanta treibt die Militarisierung der Seesicherheit voran, um - jetzt kommt es - unter dem Deckmantel
der Pirateriebekämpfung eine weitreichende militärische
Kontrolle der Seewege auszubauen.
({2})
Das ist doch wirklich abstrus. Ich würde es mir wünschen, dass Sie Ihren abstrusen Antrag wieder zurückziehen.
({3})
Die Operation „Atalanta“ basiert auf einem Beschluss
des UN-Sicherheitsrates. Ihre Durchführung ist in die
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingebettet. Bedroht ist nicht nur der Golf von Aden, bedroht ist auch die Freiheit des Welthandels. Die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, Arabischer
Halbinsel und Asien führt durch das Seegebiet vor Somalia. Zahlreiche deutsche Exportwaren erreichen auf
den Schiffen der Reedereien ihr Ziel über die Gewässer
vor dem Horn von Afrika. Wir als Exportnation haben
ein vitales Interesse daran, Überfälle auf den zivilen
Schiffsverkehr zu verhindern oder jedenfalls einzudämmen. Das gilt für uns in Deutschland; das gilt aber auch
für Gesamteuropa.
Weil die Piraten vor Somalia auch eine Gefahr für
Bürgerinnen und Bürger der EU-Staaten darstellen, muss
sich Deutschland nicht nur dieser Mission stellen und sie
unterstützen, sondern sich auch aktiv an ihr beteiligen.
Zum einen wollen wir dadurch unsere eigenen Interessen
wahren; zum anderen wollen wir wichtige humanitäre
Hilfe für die Bevölkerung Somalias leisten. Denn wenn
es den Piraten vor Somalia gelingt, die Gewässer weiterhin zu dominieren, muss die Bevölkerung Somalias hungern. Wenn die Piraten die Ankunft von Schiffen mit
Nahrungsmitteln verhindern, droht Somalia eine Hungersnot. Aber eine Hungersnot würde dieses krisengeschüttelte Land in eine noch stärkere Schieflage bringen.
Deswegen kann die Weltgemeinschaft nicht tatenlos dabei zusehen.
({4})
Aber wichtig und entscheidend ist in dieser Debatte
auch: „Atalanta“ ist nicht die europäische Antwort auf
alle Probleme in Somalia. Wir dürfen diese Mission
nicht überfrachten und dadurch falsche Hoffnungen wecken. Die Piraterie ist nur eines der zahlreichen Probleme vor Ort. Aber sie ist die Krise, auf die „Atalanta“
zugeschnitten ist.
Der Ursprung der Piraterie liegt unter anderem in
mangelnden staatlichen Strukturen. Es gibt nur wenig
polizeiliche Aufsicht, keine Küstenwache; es gibt Armut
und Not. Die somalische Übergangsregierung ist oft hilflos, vor allem, weil das, was in Somalia am besten funktioniert, die kriminellen Strukturen und Gewalt sind.
Somalia ist ein gefährlicher Krisenherd mit vielen Ursachen und vielen Missständen. Daher muss trotz des vielfältigen Interesses an der Bekämpfung der Piraterie vor
Ort die Frage erlaubt sein: Was soll „Atalanta“ können
und was nicht? „Atalanta“ braucht eine deutlich formulierte Aufgabe und ein klar umrissenes Ziel. Wir können,
wie gesagt, nicht den Anspruch erheben, alle Probleme
Somalias zu lösen, auch wenn ich hinzufügen will: Wenn
wir uns als internationale Gemeinschaft nicht bald auch
um politische Lösungen in Somalia intensiver bemühen,
werden wir die Piraterie nie loswerden.
({5})
Jetzt aber muss eindeutig sein, dass „Atalanta“ sich
nur der Herausforderung der Piraterie annehmen kann.
„Atalanta“ ist keine Mission, die die politische Instabilität und die Kriminalität in Somalia bekämpft, und
„Atalanta“ bedeutet auch keine dauerhafte Präsenz unserer Soldaten. Ob die Mission den gewünschten Erfolg
bringen wird, müssen wir in zwölf Monaten überprüfen.
Sollten die gesteckten Ziele nicht erreicht werden, darf
„Atalanta“ auch nicht nach Belieben verlängert werden.
Dann müssen wir unsere Beteiligung, vor allem im
Sinne unserer Soldaten vor Ort, überdenken und nach
neuen Lösungswegen suchen. Denn wir sind es unseren
Soldaten schuldig, ihnen klare Regeln und verlässliche
Perspektiven mit auf den Weg zu geben. Sie tun ihren
Dienst in schwierigen Situationen und unter Einsatz von
Leib und Leben. Dafür gebührt ihnen auch an dieser
Stelle unser aller Respekt und Dank.
Vielen Dank.
({6})
Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Bei Bertolt Brecht heißt es in der Ballade von den
Seeräubern:
Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwagen
Nachts torkeln trunken sie in See
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich nicht nur darüber, dass Kollegen von der
Küste anwesend sind und dass die engagierten Kollegen
der „Küstengang“ und des Küstenkreises diese Initiative
mit unterstützen, sondern auch darüber, dass vier Fraktionen sich einmütig für diesen Auslandseinsatz entschieden haben. Das ist eine gute Grundlage für die Soldaten, die die Verantwortung übernehmen müssen.
({0})
Heutzutage gehen Piraten nicht mehr mit Kopftuch
und Entermesser zwischen den Zähnen auf Beutejagd.
Seeräuber von heute kommen tagsüber, blitzschnell,
kaltblütig und eröffnen sofort das Feuer. Mit Kalaschnikows und Panzerfäusten machen sie fast jedes Schiff und
dessen Besatzung gefügig, ganz gleich, ob Container,
Supertanker oder sogar Kreuzfahrtschiff; keine Schiffsklasse ist vor Piraten mehr sicher. Im Gegensatz zum
kargen Seefahrerleben früher ermöglicht das erpresste
Lösegeld heute Wohlstand, neuen Status und neue
Macht. Waren Piratenüberfälle bisher ein Problem in den
Meeren Südostasiens, sind sie jetzt in unsere Nähe gerückt. Besonders vor der Küste Somalias sind sie zu einer Epidemie, nein, zu einer Pest auf dem Meer geworden.
Die Lage ist dramatisch; Handeln tut not. Allein in
diesem Jahr griffen Piraten bereits über 200 Schiffe an.
Mehr als 120 wurden geentert. Vor Somalia brachten sie
in den ersten Monaten 49 in ihre Gewalt. Am heutigen
Tag, am 17. Dezember 2008, befinden sich 15 Schiffe in
der Gewalt von Piraten. 300 Seeleute sind gekidnappt
worden. Ich finde es richtig und notwendig, dass der
Bundestag sich der Themen annimmt und so zeigt, dass
er sich seiner Verantwortung und der Seriosität und
Ernsthaftigkeit der Themen bewusst ist. Es könnten auch
unsere Angehörigen sein, die davon betroffen sind. In
der vergangenen Woche gab es vier weitere Vorfälle.
Heute Nacht sind zwei Fälle von Piraterie dazugekommen. Die Angst der Seeleute und ihrer Angehörigen
wächst. Seeräuber halten die Seewelt in Atem. Sie gefährden nicht nur die Sicherheit der internationalen Seewege und die Sicherheit der Schiffsbesatzungen, sondern
sie entwickeln sich zu einer allgemeinen ernsthaften Gefahr für den gesamten Welthandel. Auch deshalb ist
Handeln notwendig.
({1})
Ein aktives Vorgehen ist dringend geboten. Der weltwirtschaftliche Gesamtschaden allein für 2007 liegt in
dreistelliger Millionenhöhe. Dazu kommen Kosten für
Sicherungsmaßnahmen, für Umgehungsrouten, für die
Ausstattung der Handelsschiffe mit Sicherheitstechnik
oder die Einstellung bewaffneter Begleiter. Das treibt die
Preise in die Höhe. Der Bürger vor Ort bezahlt den Ballast der Piraterie.
Als führende Exportnation der Erde und als drittgrößtes Schifffahrtsland der Welt haben wir Deutschen ein
berechtigtes und dringliches Interesse an der Bekämpfung der Piraterie. Unsere Mitwirkung kommt zwar ein
wenig spät, aber sie kommt. Alle beteiligten Ministerien
- das ist anzuerkennen - haben eine komplizierte Verfassungslage regeln können, sodass wir zu den neun Nationen gehören, die sich in internationaler Solidarität an der
Aktion „Atalanta“ beteiligen, um der Piraterie Herr zu
werden. Alle maritimen Staaten sollten sich beteiligen,
nicht nur die neun, die sich jetzt zur Mitwirkung an der
Aktion „Atalanta“ bereit erklärt haben.
Piraterie führt zu einer Destabilisierung des internationalen Handels. Doch auch Umweltkatastrophen ungeahnten Ausmaßes können durch Piraterie ausgelöst
werden. Mit leckgeschlagenen Chemikalien- oder Öltankern lassen sich ganze Meeresregionen verwüsten. Der
vor Somalia gekaperte Supertanker „Sirius Star“ ist deshalb ein scharfes Schwert in den Händen der Piraten.
Wer jetzt noch von kindhaften Kavaliersdelikten spricht,
missachtet den Ernst der Lage.
Zu lange wurde die Bedrohung durch die Piraterie unterschätzt. Bereits vor zwei Jahren haben von der Küste
kommende Abgeordnete der Union das Europäische Parlament und den EU-Ministerrat zum Handeln aufgefordert. Erst mit der dramatischen Zunahme der Zahl der
Überfälle hat man international eingegriffen. Es geht darum, Überfälle zu verhindern. Es geht um Abschreckung. Es gilt, die Sicherheit von Besatzungen und Passagieren zu gewährleisten.
Es geht besonders darum, den Ursachen für die Piraterie nachzugehen. Wenn nach Aussage der WHO jährlich gut 700 ausländische Fangflotten vor der Küste Somalias die Fischbestände dezimieren und damit den
Fischern vor Ort die Existenzgrundlage nehmen, stößt
man auf einen der Ausgangspunkte für die Piraterie.
Hinzu kommen die Verseuchung der dortigen Küstengewässer durch verklappte Chemikalien, Armut und der
Zusammenbruch der Sicherheitssysteme. Hier muss international umgehend angesetzt werden, wenn wir nicht
wollen, dass die Piraterie zu einer Dauergeißel der
Schifffahrt wird.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/11337 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in ihrer heutigen Kabinettssitzung
mit der Strategie zur Anpassung an den Klimawandel
befasst. Sie alle wissen, dass wir im Rahmen der Senkung der Treibhausgasemissionen eine öffentliche Diskussion darüber haben, wie wir den Klimawandel begrenzen können.
Das zweite Thema, das in diesem Zusammenhang
häufig insbesondere in unseren Breitengraden unterschätzt wird, ist die Anpassung an den bereits existierenden Klimawandel. Wir haben im Vergleich zur vorindustriellen Zeit eine globale Erwärmung von etwa 0,8 Grad
Celsius. Das klingt wenig; aber Sie wissen vermutlich,
dass schon geringe Temperaturschwankungen auf der
Erde außerordentlich große Wirkungen haben.
Wir werden zwar alles unternehmen, um den Anstieg
der Temperaturen global unterhalb von 2 Grad Celsius
im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten. Allerdings ist es so, dass auch ein Temperaturanstieg um bis
zu 2 Grad Celsius das Klima auf der Erde verändert und
in unterschiedlichen Regionen der Welt unterschiedliche
Folgen hat. Dramatische Folgen gibt es bereits heute in
den Ländern, die am wenigsten etwas für den Klimawandel können - sie sind nämlich so arm, dass sie keine
Treibhausgase über ihre Industrie oder ihre Energieerzeugung emittieren -, die aber, wie zum Beispiel afrikanische Länder, unter der Ausbreitung der Wüsten massiv zu leiden haben.
Wir haben uns vorhin mit einem sicherheitspolitischen Thema befasst. Es gibt bereits Kriege und Bürgerkriege als Folge des Klimawandels. Beispielsweise haben sich im Sudan in den letzten 40 Jahren die Wüsten
um 100 Kilometer ausgebreitet. Ein Teil des dortigen
Kriegs- und Bürgerkriegsgeschehens ist ein Konflikt um
die Landmasse, auf der es noch genug Wasser gibt, um
Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.
Aber auch in unterschiedlichen Regionen unseres
Landes gibt es aufgrund dieser Temperaturänderungen
bereits veränderte Bedingungen. An der Zugspitze wird
der letzte deutsche Gletscher spätestens im Jahr 2020 unwiderruflich geschmolzen sein. Das hat - nicht nur in
den Alpengebieten - Folgen für die Infrastruktur; denn
der Rückgang des Permafrostes bedeutet natürlich, dass
Erdhänge leichter ins Rutschen geraten können. In Garmisch-Partenkirchen hat es zum Beispiel die Folge, dass
der Frühschnee auf dem Gletscher nicht liegen bleiben
kann und deswegen die Wintersportsaison deutlich später beginnt und damit Einbrüche im Tourismus zu befürchten sind. An der deutschen Nordseeküste steigen
die Wasserstände und auch die Flutstände.
Die Landwirtschaft ist in Deutschland in unterschiedlichem Maße betroffen. Es gibt erste Hinweise, dass
klassische Obstsorten wegen Wassermangels, zum Beispiel am Bodensee, nicht mehr angebaut werden können.
Bei fortschreitendem Klimawandel gibt es natürlich
auch die Sorge, dass sich Überträger von Krankheiten,
die wir in den europäischen Breitengraden bisher überhaupt nicht gekannt haben, auch hier ansiedeln können.
Insekten, die in Asien oder in Afrika beheimatet sind,
können nun bei uns zu Krankheitsüberträgern werden,
weil sie auf einmal klimatische Bedingungen in
Deutschland und Europa vorfinden, unter denen sie existieren können.
Alles das ist der Grund dafür, dass wir uns nicht nur
mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen, sondern auch mit nationalen Strategien zur Anpassung an
den Klimawandel zu befassen haben. Das ist auch eine
vertragliche Verpflichtung der Unterzeichner der Klimarahmenkonvention. Die 14. Vertragsstaatenkonferenz
der Klimarahmenkonvention hat vor wenigen Tagen in
Polen stattgefunden. Wir sind auch im Rahmen der
Europäischen Union dazu aufgefordert, eine solche Anpassungsstrategie zu erarbeiten.
Der erste Schritt dieser Anpassungsstrategie liegt jetzt
vor. Es geht, wie Sie sich vorstellen können, darum, aufgrund von bestimmten Szenarien Werte zu ermitteln, die
mit hoher Wahrscheinlichkeit die zukünftige Temperaturentwicklung widerspiegeln. Dann muss man sich
anschauen, welche Gebiete in der Bundesrepublik
Deutschland besonders betroffen sind. Es ist nämlich
keineswegs so, dass alle Gebiete gleichermaßen betroffen sind. Der Osten Deutschlands, beispielsweise Brandenburg, hat bereits heute relativ geringe Niederschläge.
Diese werden noch weiter zurückgehen. Es gibt Szenarien, die aufzeigen, dass hingegen die Winterniederschläge im Hunsrück oder in der Eifel um bis zu 80 Prozent steigen können.
Es können also keine Anpassungsstrategien für
Deutschland insgesamt entwickelt werden, sondern sie
werden sich regional unterscheiden müssen. Deswegen
war es wichtig, gemeinsam mit den Ländern vorzugehen. Es ist deshalb gut, das jetzt zu machen, weil inzwischen fast alle Bundesländer entweder über Anpassungsstrategien beraten oder solche bereits vorgelegt haben.
Auf der Basis dessen, was wir jetzt erarbeitet haben,
wird man einen Aktionsplan entwickeln müssen. Dieser
Aktionsplan, den es heute noch nicht gibt, soll bis 2011
in Deutschland sowohl mit den gesellschaftlichen Gruppen, aber vor allen Dingen auch mit den Ländern und
Kommunen erarbeitet werden. Dafür wurde mit der Anpassungsstrategie eine gute Grundlage gelegt. Dass sich
das Kabinett damit befasst hat, ist, glaube ich, ein ganz
wichtiger Schritt für diesen längerfristigen Prozess gewesen. Mit der Verabschiedung der Strategie positioniert
sich die Bundesregierung erstmals als Ganzes zum
Thema „Anpassung an die Folgen des Klimawandels“.
Wir reihen uns damit in eine Reihe von Mitgliedstaaten
wie Großbritannien, die Niederlande, Finnland und Österreich ein, die sich mit dem Thema Anpassung bereits
befasst haben. Mit dieser Strategie macht die Bundesregierung weiterhin deutlich, dass sie in der Anpassung
an die Folgen des Klimawandels eine gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Aufgabe sieht, bei deren Bewältigung auch der Bund eine wesentliche Rolle
spielen muss.
Vielen Dank, Herr Minister.
Wir haben jetzt einige Fragestellerinnen und Fragesteller. Als Erste hat die Kollegin Bärbel Höhn das Wort.
Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. - Sie
haben eben zu Recht gesagt, dass das ein erster Bericht,
ein Einstieg ist. Gibt es schon erste Überlegungen, welche Kosten in Deutschland entstehen würden, wenn dieses 2-Grad-Ziel - Sie haben es eben angesprochen realisiert wird, auch wenn viele annehmen, dass man
dieses 2-Grad-Ziel gar nicht mehr halten kann? Gibt es
also erste Überlegungen, wie viel das kostet, und erste
Überlegungen, was die Bundesregierung zur Verfügung
stellen wird, um Opfern von Schäden, die Sie eben genannt haben, helfen zu können? Denn oft sind Menschen
privat betroffen. Wenn ein Wirbelsturm wie „Kyrill“ vorüberzieht, dann kann die Rente eines Waldbauern aufgezehrt sein. Die entscheidende Frage ist: Ist an so etwas
gedacht? Wie wollen Sie die Kriterien definieren, wer
Unterstützung bekommt? In Ihrem Bericht werden ja
viele Dinge aufgeführt; auch die Straßen werden genannt. Ich habe Angst, dass diejenigen, die am lautesten
schreien, das meiste bekommen und nicht die privat Betroffenen, die ja einen großen Teil ausmachen. Auch bei
Überflutungen sind es eher Privatpersonen, die geschädigt werden.
Der letzte Bereich, den ich ansprechen möchte, ist der
internationale Bereich; auch Sie haben ihn genannt. Da
wird in den nächsten Jahren einiges an Summen gebraucht, je nachdem, wie weit man das fasst, bis zu
86 Milliarden Euro. Was sind da die Vorstellungen der
Bundesregierung? Welche Finanzinstrumente will man
zur Verfügung stellen, um dieses Problem annähernd in
den Griff zu bekommen? - Muss ich jetzt stehen bleiben,
Herr Präsident?
Wenn der Minister antwortet, ja.
Gut.
Es wäre jedenfalls höflich, wenn Sie es tun würden.
Gar kein Problem.
Ich hätte allerdings Verständnis dafür, wenn Sie sich
hinsetzen würden.
Nein, ich mache das schon. Ich habe ja die ganze Zeit
gesessen; jetzt stehe ich auch mal gerne.
Frau Kollegin Höhn, wir können natürlich zum jetzi-
gen Zeitpunkt zu der Frage, welche denkbaren Kosten
auftreten, wenn das 2-Grad-Ziel nicht erreicht oder es
unterschritten wird, keine konkreten Angaben machen.
Hier gilt ganz allgemein, dass wir in Deutschland bei der
Investition in den Klimaschutz vermutlich bei 1 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts liegen werden, aber dann,
wenn wir nicht in den Klimaschutz investieren, bei bis
zu 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sodass man
auch in Deutschland sagen kann: Wir sind reich genug,
um uns Klimaschutz zu leisten. Aber unsere Kinder und
Enkel werden zu arm sein, um für die Folgen zu zahlen,
wenn man heute auf Klimaschutz verzichtet. Denn diese
Kosten werden unsere Kinder und Enkel im Wesentli-
chen dann treffen, wenn sie erwachsen sind.
Man muss verdeutlichen, was 20 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts bedeuten. 20 Prozent dessen, was un-
sere Kinder und Enkel erarbeiten, werden sie dann nicht
einsetzen können für Bildung, soziale Sicherheit, Kultur,
für die Dinge, die sie für notwendig halten, sondern müs-
sen sie zur Beseitigung der Folgeschäden des Klimawan-
dels einsetzen. Das ist die Bürde; das ist, wenn Sie so
wollen, der größte faule Kredit, mit dem man zurzeit
handeln kann. Wir haben gerade erlebt, was der Handel
mit faulen Krediten am Finanzmarkt bedeutet. Hier neh-
men wir, wenn wir nichts zur Begrenzung des Klima-
wandels tun, bei unseren eigenen Kindern und Enkeln
Kredit. Diese werden mit Zins und Zinseszins erhebliche
Kosten zu bewältigen haben.
Zu der Frage, welche Mittel wir zur Verhinderung des
sich jetzt vollziehenden Klimawandels einsetzen kön-
nen, möchte ich sagen: Es gibt eine Debatte, die wir auf
der Basis der entsprechenden Strategie mit der Versiche-
rungswirtschaft führen werden. Wir werden darüber
sprechen müssen, wie sich die Versicherungen darauf
einstellen. Sie wissen, dass die Münchener Rück und an-
dere das inzwischen tun.
Was die staatlichen Investitionen anbelangt, scheint
es mir notwendig, erst einmal bei ganz normalen Infra-
strukturmaßnahmen, beispielsweise im Rahmen der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und
des Küstenschutzes“, aufzupassen, dass man a) dabei
nichts Falsches macht und man sich b) auf die möglichen
Folgen des Klimawandels einstellt. Sicherlich wird es
eher notwendig sein, mehr Deichrückverlegungen zu
machen als weniger.
Sie wissen vermutlich ebenso wie ich, dass nach dem
Elbehochwasser 2002 alle möglichen Pläne für Deichrückverlegungen entwickelt wurden. Ich glaube, nicht
einmal eine Handvoll der damals geplanten Maßnahmen
ist umgesetzt worden. Ich weiß, dass in Brandenburg an
der Elbe eine einzige Deichrückverlegung durchgesetzt
werden konnte. Meistens ist es eben so, dass man sich,
nachdem der Schaden eingetreten ist, einig darüber ist,
was man tun müsste. Wenn der Schaden aber vier
Wochen zurückliegt, beginnt eine andere, rückwärtsgerichtete Debatte. Dann geht es auch um die Retentionsbereiche und nicht mehr darum, mehr Ausbreitungsmöglichkeiten zu finden.
Ich glaube, im ersten Schritt geht es nicht darum, zusätzliches Geld zu mobilisieren, sondern darum, Infrastrukturmaßnahmen so auszugestalten, dass wir danach
besser mit dem Klimawandel umgehen können. Das gilt
insbesondere für die Land- und Forstwirtschaft. Das,
was dort heute investiert wird, soll in 60 oder 80 Jahren
geerntet werden. Anhand von Klimamodellen muss man
sich angesichts dessen überlegen, welche Investitionen
sinnvoll sind. Welche Investitionen sind in einem nichtautochthonen Wald, der gegenüber Witterungseinflüssen
anfälliger ist, sinnvoll? Wie kommen wir zu einem naturnahen Wald zurück? Es geht darum, nicht nur einen
Fichtenacker zu haben, wie es in der Region, aus der ich
komme, der Fall ist. Wir müssen Mischwälder aufbauen,
weil sie gegenüber mehreren Einflussfaktoren, die zu
Stress in der Natur führen können, stabiler sind.
Zur Frage nach dem internationalen Bereich. Die
Bundesrepublik Deutschland ist bislang das einzige
Land, das von den Einnahmen aus dem Emissionshandel
120 Millionen Euro - das sind etwa 25 Prozent des
Nettoerlöses - für Maßnahmen zur Anpassung an den
Klimawandel und für den Technologietransfer zur Verfügung stellt. Wir stellen uns das so vor, dass die großen
Maßnahmen des Anpassungsfonds für die Schwellenund Entwicklungsländer insgesamt aus dem Kohlenstoffmarkt finanziert werden. Dazu gibt es sinnvolle Vorschläge der Europäischen Union. Die Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfel in der letzten Woche
eine politische Erklärung abgegeben, nach der sie sich
bereitfinden, im Rahmen internationaler Klimaschutzverträge auch dazu Beiträge zu leisten.
Es gibt aber auch einen, wie ich finde, hochinteressanten Vorschlag aus Mexiko, nach dem alle Länder der
Erde mit Ausnahme der Least Developed Countries in
den Anpassungsfonds einzahlen sollen, die Entwicklungsländer aber ihrem Entwicklungsstand entsprechend
Nettoempfänger sind. So soll klargemacht werden, dass
die Anpassung den Einsatz aller erfordert, auch Indien
und China mitspielen müssen. Der Nettoertrag der Entwicklungsländer soll höher sein als der Betrag, den sie
eingezahlt haben. Ich finde, das ist ein interessantes Modell. Deutschland ist sehr daran interessiert, diesen mexikanischen Vorschlag weiterzuentwickeln.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage stellt
der Kollege Horst Meierhofer von der FDP-Fraktion.
Vielen herzlichen Dank. - Herr Minister, von Mexiko
zurück nach Bayern. Sie haben gesagt, dass es zurzeit so
aussieht, dass sich in den Alpen, insbesondere was die
Gletscher betrifft, durch den Klimawandel einiges verändern wird. Das geht aber noch weiter. Das wird klar,
wenn man an den Flusseinlauf denkt. Davon sind zum
Beispiel die Isar und damit die Donau betroffen. Es geht
nicht nur um Hochwasser, sondern auch um einen über
längere Zeit hohen Pegelstand. Gibt es konkrete Ideen,
wie eine Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium und dem Bayerischen Landesamt für Umwelt aussehen könnte? Ist es möglich, jetzt Vorschläge für Infrastrukturmaßnahmen auszuarbeiten, die über die nächsten
10 oder 20 Jahre einigermaßen verlässlich sind? Es
würde vorübergehend zu mehr Wasser kommen, beispielsweise durch Gletscherschmelze, später wird es ja
auch wieder weniger. Die Frage ist, wie ein Modell aussehen könnte, das sowohl kurz- als auch mittel- und
langfristig vernünftig ist.
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis dafür, dass ich
Ihre Frage nur sehr allgemein beantworten kann. Erstens
haben Sie recht mit dem, was Sie nachfragen; zweitens
habe ich darauf hingewiesen, dass es noch kein Aktionsplan ist. Als nächsten Schritt müssen wir jetzt mit den
Ländern und mit den zuständigen Bundes- und Landesbehörden exakt solche Fragen auflisten und detailliert in
den Regionen besprechen, die wir als besonders betroffen ansehen.
Ich will die Regionen zumindest einmal nennen. Das
sind in der Tat die Alpen. Sie sind vor allen Dingen in
Bezug auf Biodiversität besonders verwundbar. Der aktuelle durchschnittliche Temperaturanstieg in den Alpen
liegt bereits bei circa 3,5 Grad. Zu einem allgemeinen
durchschnittlichen Temperaturanstieg gehört ja auch,
dass es durchaus Regionen - dazu zählen die Alpen mit einem höheren Temperaturanstieg gibt. Eine weitere
Region ist Südwestdeutschland, hier insbesondere der
Oberrheingraben. Dort wird es innerhalb Deutschlands
vermutlich künftig die stärkste Erwärmung geben. Daraus resultieren eine besondere Anfälligkeit für den Gesundheitssektor, Konsequenzen für Land- und Forstwirtschaft und eine erhöhte Hochwasserwahrscheinlichkeit.
Als weitere Regionen möchte ich nennen: das nordöstliche Tiefland, das süddeutsche Becken, die Hügel- und
die Küstenregion. Das sind die vier identifizierten
Regionen.
Wir haben übrigens einen großen Vorteil: Anders als
andere Länder haben wir in Deutschland vier Berechnungsmodelle. Wir haben uns bei dem, was wir jetzt gemacht haben, nicht auf eines konzentriert. Zum Beispiel
die Niederländer haben ein Szenario und haben den Fokus auf nur ein ganz bestimmtes Thema gelegt; das kann
man sich angesichts der Situation der Niederländer ganz
gut vorstellen. Wir haben ein „range“ von Szenarien genommen und haben uns dann diese vier Regionen genauer angeschaut.
Um die von Ihnen zu Recht gestellten Fragen beantworten zu können, müssen wir jetzt als nächste Schritte
konkrete Aktionspläne erarbeiten. Diese umfassen natürlich auch das Wassermanagement; es geht um Staustufen, um Ausbaupläne, um all das, was Sie an interessanten Debatten über die Donau hören. Dies werden wir uns
anschauen müssen. Dies geht bis hin zu der Tatsache,
dass beispielsweise gestern in Hamburg der WWF darauf hingewiesen hat, dass aus seiner Sicht die jetzigen
Deiche, die an der Elbe im Bereich Hamburgs und in
Richtung Küste existieren, nur bis 2060 gesichert sind.
Daran sehen Sie: Wir beginnen erst, uns an das
Thema heranzutasten. Wir sind weit davon entfernt,
ganz konkrete Antworten geben zu können. Man muss
auch ein bisschen aufpassen, dass man jetzt nicht zu
schnell in Aktionismus gerät. Deswegen haben wir den
Zeitraum bis 2011 gewählt, um einen Aktionsplan zu erstellen.
Sie haben die richtigen Fragen gestellt. Aber ich bitte
um Verständnis, dass wir das jetzt erst zwischen den Behörden bearbeiten müssen. Übrigens ein Grund dafür,
dass wir mit dieser Anpassungsstrategie zufrieden sind,
ist, dass sie zwischen den Häusern verabredet wurde.
Die zuständigen Ministerien für solche Fragen, das Verkehrsministerium und das Landwirtschaftsministerium,
waren eng eingebunden. Auch das Wirtschaftsministerium und das Gesundheitsministerium sind beteiligt. Ich
fand, dass das eine sehr gute Zusammenarbeit war. Das
ist die Voraussetzung dafür, dass wir das vernünftig bearbeiten.
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt die Kollegin
Cornelia Behm.
Vielen Dank, Herr Minister, für Ihren Vortrag. Ich
habe Ihrem Vortrag aber nur eine Beschreibung der
Situation entnommen, die wir eigentlich schon eine
ganze Weile kennen. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass
Sie etwas über die nationale Strategie sagen. Deswegen
stelle ich jetzt meine Fragen.
Sie haben in einem Nebensatz schon das Thema
Hochwasserschutz erwähnt. Ich erlebe gerade als Brandenburgerin, als jemand, deren Bundesland in den letzten Jahren stark von Hochwasser betroffen gewesen ist,
dass keine wirklichen Konsequenzen aus diesen Ereignissen gezogen worden sind. Man hat sich seinerzeit für
die Elbe um fünfzehn bzw. im Brandenburger Raum um
acht Retentionsgebiete bemüht. Wir haben jetzt in Brandenburg anderthalb. Meine Frage lautet: Wird diese nationale Strategie der Anpassung an den Klimawandel
auch solche Maßnahmen beinhalten, die nicht nur immer
höhere und höhere Deiche vorsehen - irgendwann ist da
einmal Schluss -, werden wir einen wirklich konsequenten Hochwasserschutz betreiben, um Schäden künftig zu
vermeiden?
Ein anderer Punkt, der ebenfalls mit Wasser zu tun
hat, ist der Ausbau unserer Flüsse. Auch dies betrifft
Ostdeutschland; ich meine das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 17. Als ich angemahnt habe, man solle
doch beim Ausbau der Havelwasserstraße auf den Klimawandel und auf die veränderten Grundwasser- und
Wasserverhältnisse Rücksicht nehmen, habe ich aus dem
Verkehrsministerium zur Antwort bekommen: Ja, in der
Tat, das ist bei den Planungen nicht berücksichtigt worden. Die Naturschutzverbände hätten jetzt aber im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens die Gelegenheit,
diese Fragen einzubringen.
Noch einmal meine dringende Bitte, Mahnung und
Frage: Werden Sie auch bei diesem anscheinend heiliggesprochenen Verkehrsprojekt 17 „Deutsche Einheit“
noch einmal auf die Folgen des Klimawandels achten?
Frau Kollegin, für Heiligsprechungen sind, wie wir
beide wissen, andere Institutionen zuständig. In deren
Zuständigkeit will ich mich lieber nicht einmischen. Es
gab deswegen schon einen Reichsinvestiturstreit.
Ich möchte zuerst sagen, warum ich die Anpassungsstrategie nicht vorgelesen habe: Sie liegt Ihnen vor. Es
gibt 15 Handlungsfelder, die dort mit den entsprechenden Maßnahmen aufgeführt sind und die man sich im
Rahmen der Aktionsplanung anschauen muss. Es geht
um Gesundheit, Bauwesen, Wasserhaushalt und Wasserwirtschaft, Küstenschutz, Hochwasserschutz, Naturschutz, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Bodennutzung,
Energiewirtschaft, Finanzwirtschaft, Katastrophen- und
Bevölkerungsschutz, Verkehr, Tourismus, Raum- und
Siedlungsentwicklung. Das sind die 15 Bereiche. Bei
weiterem Debattenbedarf zu den konkreten Maßnahmen
schlage ich vor, in den Ausschüssen darüber zu beraten;
dort gibt es genügend Möglichkeiten. Ich möchte jetzt
nicht alles vorlesen. Ich glaube, dafür ist die Sitzung
auch nicht gedacht.
Nun zu dem Thema „Ausbau der Gewässer und der
Deiche“. Erstens. Bei den Verkehrsprojekten „Deutsche
Einheit“ handelt es sich um hier beschlossene Maßnahmen, bei denen jetzt in der Tat darauf zu achten ist - das
wird Aufgabe des Bundesumweltministeriums sein -,
dass sie nicht kontraproduktiv sind gemessen an dem,
was wir in einigen Jahrzehnten zu befürchten haben. Das
ist absolut richtig.
Zweitens. Wir haben in Deutschland geregelt, wer für
was zuständig ist. Für die Frage, ob in der Landesraumordnung das Verbot steht, in Retentionsräumen zu bauen,
für die Frage der Ausweisung von Vorranggebieten und
all die anderen Fragen sind die Länder zuständig. Das
heißt, wir müssen als Bund - das ist einer der Gründe,
warum die Anpassungsstrategie vonseiten des Bundes
erarbeitet wurde - mit den Ländern eine Debatte über die
Fragen führen, die Sie eben angesprochen haben. Aber
am Ende ist und bleibt es eine Maßnahme der Länder.
Die Länder sind aber auch an die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie gebunden, und bei der WasserrahBundesminister Sigmar Gabriel
menrichtlinie spielen die Fragen, die Sie genannt haben,
eine Rolle.
Im Übrigen ermöglicht die EU die Nutzung von Geldern aus den Strukturfonds für die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen; ich habe vergessen, dies in der
Antwort auf die Frage der Kollegin Höhn zu sagen. Wir
müssen schauen, ob wir in unserem Haushaltsrecht alle
Möglichkeiten dafür geschaffen haben. Ich glaube, das
ist noch nicht der Fall.
Die Länder werden diese Dinge bei dem Verfahren
sowie bei den Maßnahmen zum Küstenschutz und Hochwasserschutz im Binnenland selbst beachten müssen.
Wir als Bund können nur versuchen, in der Art auf sie
einzuwirken, wie Sie es gerade eingefordert haben. Das
versuchen wir auch. Aber es ist, wie es ist: Wir brauchen
dafür einige mutige Entscheidungen in den Landesparlamenten.
Ich weiß noch, wie schwierig es in meinem Heimatland war, ein Vierteljahr nach dem Elbhochwasser das
Landesraumordnungsprogramm durchzusetzen, weil das
als Eingriff in die kommunale Planungshoheit gewertet
wurde. Man wurde sozusagen öffentlich abgestraft, dass
man den Räten nicht mehr gestatten wollte, überall Baugebiete auszuweisen, insbesondere dort nicht, wo man
sehr früh ahnen konnte, dass es dort beim nächsten
Hochwasser zu einem Versicherungsfall kommen würde.
Das ist meistens von der Frage abhängig, wie gut das
Langzeitgedächtnis der Beteiligten ist. Aber wir wollen
gerne mithelfen, dass sich das besser entwickelt.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage stellt
die Kollegin Nicole Maisch.
Herr Minister, ich bedanke mich für den Bericht. Sie
haben eindrücklich geschildert, dass die Anpassung an
den Klimawandel auch den Naturschutz vor besondere
Herausforderungen stellt. In diesem Zusammenhang
möchte ich Sie gerne fragen, ob sich diese besonderen
Herausforderungen des Klimawandels für den Naturschutz auch in dem umweltpolitischen Großprojekt der
Großen Koalition niederschlagen werden, dem Umweltgesetzbuch. Lässt sich schon absehen, in welcher Form
sich dort diese neuen Herausforderungen wiederfinden?
Überall, Frau Kollegin, auch im Umweltgesetzbuch.
({0})
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Michael Kauch.
Herr Minister, es gibt ja verschiedene Strategien der
Bundesregierung. Bei der Frage der Anpassung an den
Klimawandel gibt es gewisse Wechselwirkungen mit der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie und der Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung. Ich hätte gerne gewusst, welche Abstimmungsprozesse innerhalb der Bundesregierung existieren, um diese Strategien kongruent
zu gestalten, sodass beispielsweise Fragen der Raumentwicklung sowohl im Hinblick auf den Klimawandel als
auch im Hinblick auf die demografische Entwicklung
betrachtet werden. Ein Beispiel ist die Wasserversorgung. Hier kann es durchaus gegenläufige Tendenzen
geben: ein tendenziell sinkendes Wasserangebot oder
aufgrund schrumpfender Siedlungen eine sinkende Wassernachfrage.
Herr Kollege, die nationale Anpassungsstrategie ist
an die nationale Nachhaltigkeitsstrategie gekoppelt; das
ist der wichtigste Bereich. Natürlich spielt auch das
Thema Biodiversität eine große Rolle. So kann zum Beispiel die Einwanderung invasiver Arten, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, angesichts der ohnehin nur
gering ausgeprägten Biodiversität ganz erhebliche Folgewirkungen für heimische Arten haben. Diese drei
Strategien sind miteinander verzahnt.
Wir haben eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Prozess bis zur Entwicklung konkreter
Aktionspläne leiten soll. Dies soll auf der Basis der Anpassungsstrategie geschehen. Im Background werden
aber auch das Thema Biodiversität und die nationale
Nachhaltigkeitsstrategie eine Rolle spielen.
Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Frage stellt
der Kollege Hans-Josef Fell.
Herr Minister, auch von meiner Seite herzlichen
Dank, dass Sie diesen Bericht vorgelegt haben. In der
Tat ist es äußerst wichtig, sich frühzeitig auf die Folgen
des Klimawandels vorzubereiten und Anpassungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Die Weltgemeinschaft
wird es wohl nicht mehr schaffen, den Klimawandel zu
verhindern.
Mir geht es um eine der wohl gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels, um die Vernichtung der Lebensräume von Menschen. Eine Ursache für die Vernichtung ihrer Lebensräume sind Dürreperioden, die das
Überleben ganzer Bevölkerungsgruppen in großräumigen Strukturen unmöglich machen; bereits heute gibt es
deswegen große Flüchtlingsströme. Eine weitere Ursache für die Vernichtung der Lebensräume von Menschen
ist der Anstieg des Meeresspiegels, mit der Folge, dass
immer mehr tief liegende Gebiete überflutet werden. In
solchen Gebieten leben nicht wenige Menschen. Immer
mehr von ihnen müssen umgesiedelt werden.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Gibt es schon
Überlegungen der Bundesregierung, wie man dieses
Problems Herr werden kann? Ist angedacht, Flüchtlinge
aufzunehmen, Integrationsmaßnahmen durchzuführen
oder Anstöße zu geben, wie die Weltgemeinschaft insgesamt mit diesem Problem strategisch umgehen sollte?
Herr Kollege Fell, ich teile Ihre Auffassung nicht,
dass die internationale Staatengemeinschaft nicht mehr
in der Lage ist, den Klimawandel aufzuhalten und das
2-Grad-Ziel einzuhalten. Ich hielte eine solche Botschaft
auch für mehr als problematisch; denn dann könnten wir
die Klimakonferenz in Kopenhagen absagen.
Zweitens. Es gibt keinerlei Überlegungen dahin gehend, Aufnahmekapazitäten zu schaffen. Ich glaube
auch nicht, dass solche internationalen Anpassungsstrategien von den Entwicklungsländern, insbesondere von
den betroffenen Ländern, akzeptiert würden. Deren
Wunsch an die internationale Staatengemeinschaft ist,
Anpassungsstrategien zu entwickeln, die zwei Dinge
kombinieren: den Schutz vor den Folgen des Klimawandels und Investitionen in die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder.
Die betroffenen Länder haben kein Interesse daran,
dass wir über Konzepte zur Integration von Flüchtlingen
diskutieren, aber keine Mittel zur Verfügung stellen.
Vielmehr haben sie ein Interesse daran, dass in den Ländern und Regionen, in denen der Klimawandel zu den
von Ihnen zu Recht beschriebenen Entwicklungen führt,
zwei Dinge miteinander verbunden werden: Schutz vor
den Folgen des Klimawandels und Hilfe bei der wirtschaftlichen Entwicklung der betroffenen Länder. Dabei
spielt die Finanzierung des Anpassungsfonds, den wir
im Dezember 2009 gründen wollen, eine Rolle. Eine
Strategie zu entwickeln, mit der man außerhalb der betroffenen Länder ansetzt, und sie mit Fragen der Anpassung an den Klimawandel zu verbinden, hielte ich für einigermaßen problematisch.
Herr Präsident, darf ich eine Nachfrage stellen?
Die Befragung der Bundesregierung ist gleich zu
Ende, und es haben sich noch andere Kollegen gemeldet,
die eine Frage stellen möchten. Ich setze Sie gerne wieder auf die Rednerliste, glaube aber, dass Sie nicht noch
einmal drankommen werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Bulling-Schröter
von der Fraktion Die Linke.
Danke schön. - Ich danke auch für den Bericht, Herr
Minister. Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Klimaforschungen, und es werden auch immer mehr Berichte zu
den Auswirkungen des Klimawandels auf Flüsse veröffentlicht. Ich kenne konkret einen neuen aus Bayern zur
Donau.
Mich interessiert jetzt, inwieweit Planungen für zukünftige flussbauliche Maßnahmen daraufhin verändert
werden. Wir wissen ja, dass die Flüsse im Winter mehr
und im Sommer wesentlich weniger Wasser führen. Das
hat auch Auswirkungen auf die Schifffahrt. Meine konkrete Frage lautet - mich interessiert natürlich vor allem
die Donau -, ob es bei den Planungen Veränderungen
gibt. Sie wissen ja, dass der Donau-Ausbau von der
Bayerischen Staatsregierung nach wie vor geplant wird.
Meine Frage bezieht sich aber nicht nur auf die Donau,
sondern auch auf andere Flüsse.
Bitte, Herr Minister.
Es gibt ein Forschungsprogramm des Ministeriums
des Kollegen Tiefensee, das KLIWAS heißt. Es geht dabei um Klimaauswirkungen auf Wasserstraßen. Innerhalb dieses Programms müssen exakt diese Dinge untersucht werden.
Natürlich ist Sinn der Anpassungsstrategie, dass wir
bei unseren Infrastrukturplanungen berücksichtigen,
welche Folgen der Klimawandel für die Infrastruktur haben kann, damit wir keine Fehlinvestitionen tätigen oder
die Probleme möglicherweise eher noch vergrößern. Das
ist der Sinn der gesamten Strategie. Das BMVBS befasst
sich im Rahmen des genannten Programms konkret mit
den Auswirkungen auf die Bundeswasserstraßen. Der
Kollege ist gerade leider nicht da, aber ich glaube, dass
ich das richtig wiedergegeben habe.
Nachdem die Zeit für die Befragung der Bundesregierung fast abgelaufen ist, darf ich fragen, ob es weitere
Fragen zu den Themen der heutigen Kabinettssitzung
gibt. - Das ist nicht der Fall. Ich darf fragen, ob es darüber hinausgehende Fragen gibt. - Das ist auch nicht
der Fall.
Wir haben jetzt noch ein paar Minuten Zeit, sodass
die Kollegin Dückert und der Kollege Fell ihre beiden
Fragen noch stellen können.
Danke schön, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, wie wichtig zukünftig
die Pflege von autochthonen Wäldern und Gewächsen
ist, weil man davon ausgehen kann, dass sie resistenter
gegenüber veränderten und starken Angriffen - mehr
Wind und Ähnliches - aufgrund der Klimaveränderung
sind.
Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen, ob es
sein kann - ich habe jedenfalls die Vermutung gehört -,
dass die Tatsache, dass der Gesetzentwurf für das Umweltgesetzbuch in dieser Woche nicht behandelt wird,
möglicherweise etwas damit zu tun hat, dass Sie dem
Ansinnen beispielsweise der Baumschulen folgen und
genau diesen Schutz von heimischen Gewächsen und die
Sicherung von autochthonen Anpflanzungen aufweichen
wollen. Das ist im Gesetzentwurf im Moment eigentlich
ganz vernünftig geregelt. Wollen Sie daran etwas verändern?
Frau Kollegin Dückert, ich bin dankbar, dass Sie den
Gesetzentwurf als vernünftig bezeichnen.
({0})
- Wenigstens an der Stelle. Das ist ja schon mal was. Ich habe nicht die Absicht, vernünftige Gesetzesvorlagen zu verändern.
Vielen Dank. - Kollege Fell, letzte Frage.
Herr Minister, damit keine Missinterpretation meines
Eingangssatzes vorliegt: Ich hatte Sie darauf hingewiesen, dass ein Klimawandel schon nicht mehr zu verhindern ist. Sie hatten das vielleicht missinterpretiert und so
verstanden, dass das 2-Grad-Celsius-Ziel nicht mehr erreichbar ist. Ich glaube, dass wir darin übereinstimmen,
dass ein Anstieg um 2 Grad Celsius schon eine gravierende Klimaveränderung ist, innerhalb derer gravierende
Folgen zu verzeichnen sein werden, wie die von mir genannten: Anstieg des Meeresspiegels und andere. Teilen
Sie diese Einschätzung?
Ja, ich teile sie ausdrücklich. Das ist dann in der Tat
ein Missverständnis gewesen. Ich hatte Ihren Eingangssatz so verstanden, dass Sie davon ausgehen, dass
das 2-Grad-Celsius-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Sie
haben absolut recht.Ich glaube, ich habe in meiner Eingangsbemerkung das Gleiche gesagt. Auch bereits deutlich unterhalb eines Anstiegs um 2 Grad Celsius gibt es
in vielen Teilen der Erde gravierende Veränderungen wie
die von Ihnen beschriebenen Probleme.
Danke.
Vielen Dank, Herr Minister. - Wir sind damit am
Ende der Regierungsbefragung.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 3:
Fragestunde
- Drucksachen 16/11350, 16/11372 Hier geht es zunächst um die Beantwortung der dringlichen Frage der Kollegin Monika Lazar:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung angesichts des aktuellen, mutmaßlich neonazistisch motivierten
Angriffs auf den Passauer Polizeipräsidenten am 13. Dezember 2008 für die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus, insbesondere hinsichtlich der finanziellen Kontinuität
der Förderung, des spezifischen Opferschutzes und der Naziaussteigerangebote?
Zur Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Verfügung. Bitte schön.
Herr Präsident! Ich will zunächst feststellen, dass der
Angriff auf den Polizeipräsidenten von Passau am
13. Dezember 2008 zutiefst zu verurteilen ist. Es muss
alles Erforderliche getan werden, um solche Straftaten
zu verhindern. Dazu ist es notwendig, dass frühzeitig
alle staatlichen und auch alle zivilgesellschaftlichen
Kräfte zusammenwirken.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend hat im Jahr 2007 die Bundesprogramme „Vielfalt tut gut - Jugend für Vielfalt, Toleranz
und Demokratie“ und „kompetent. für Demokratie - Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ eingerichtet, die mit 19 Millionen Euro bzw. 5 Millionen Euro
ausgestattet sind. Es handelt sich nicht um zeitlich befristete Aktionsprogramme. Die Bundesprogramme sind
vielmehr auf Dauer angelegt, und die finanzielle Kontinuität ist in diesen Programmen gewährleistet. Das Bundesprogramm „Vielfalt tut gut - Jugend für Vielfalt,
Toleranz und Demokratie“ betrifft vor allem den präventiven Bereich. Es dient der Bewusstseinsbildung und
zielt auf langfristige Wirksamkeit.
Die Förderung und Entwicklung beispielhafter Modellprojekte im Kontext Jugend, Bildung und Prävention
sowie der zweite Schwerpunkt des Bundesprogramms
„Vielfalt tut gut“, nämlich die Entwicklung lokaler
Aktionspläne, wie sie uns auch von Wissenschaftlern
empfohlen worden ist, tragen dazu bei, Gefährdungsund Opfersituationen möglichst nicht entstehen zu lassen.
In dem Bundesprogramm „kompetent. für Demokratie - Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“
bildet die Beratung von Opfern von Straf- und Gewalttaten einen Schwerpunkt. Ziel des Bundesprogramms
„kompetent. für Demokratie“ ist die Einrichtung und Entwicklung von landesweiten Beratungsnetzwerken in jedem
Bundesland. In 15 Ländern haben die Beratungsnetzwerke
bereits ihre Arbeit aufgenommen; Schleswig-Holstein
kommt am 1. Januar 2009 hinzu. Aus den Beratungsnetzwerken werden anlassbezogen mobile Interventionsteams
gebildet, um bei Vorfällen mit rechtsextremem, fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund schnelle
und auch fachkompetente Hilfe und Unterstützung vor
Ort anzubieten. In den landesweiten Beratungsnetzwerken werden sowohl staatliche als auch nichtstaatliche
Beratungskompetenzen gebündelt.
Mit dem Bundesprogramm „kompetent. für Demokratie - Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“
ist es erstmals gelungen, eine gemeinsame Förderstrategie von Bund und Ländern im Kampf gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu
entwickeln, die bereits auf Nachhaltigkeit angelegt ist.
Daneben fördert das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales in der neuen ESF-Förderperiode 2007 bis
2013 erneut zwei Programme im Bereich der Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung, nämlich das Programm „Xenos - Integration und Vielfalt“
und das Xenos-Sonderprogramm „Ausstieg zum Einstieg“. Dabei ist das Sonderprogramm „Ausstieg zum
Einstieg“ speziell auf die Situation von Aussteigerinitiativen ausgerichtet. Es wurde am 12. Dezember 2008 ausgeschrieben.
Der Schwerpunkt des mit 5 Millionen Euro aus dem
Europäischen Sozialfonds und 2 Millionen Euro aus
Haushaltsmitteln des BMAS dotierten Programms liegt
auf arbeitsmarktlichen Aspekten bei der Ausstiegsberatung. Das Programm richtet sich an Initiativen, Projekte
und Vereine, die Ausstiegswillige - in der Regel Jugendliche und junge Erwachsene - beim Ausstieg aus der
rechten Szene unterstützen. Im Fokus stehen Aussteigerinitiativen und Aktionen, die vor Ort rechtsextremen
Tendenzen entgegenwirken und neue Ideen entwickeln,
um Ausstiegswilligen zu helfen, wieder in Gesellschaft,
Arbeit und Ausbildung zu gelangen. Die Dauer der vom
BMAS geförderten Programme richtet sich in diesem
Fall nach der ESF-Förderperiode.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin Lazar? Bitte schön.
Nach Ihren Ausführungen zu urteilen scheint es keine
Konsequenzen zu geben; denn Sie haben eben über all
das berichtet, was uns schon aus den Anträgen bekannt
ist, die Erfolg hatten, sowie darüber, wie die Programme
ausgestattet sind.
Da der Fall in Bayern passiert ist, frage ich speziell zu
Bayern: Bei dem „Vielfalt“-Programm gibt es in den
westlichen Bundesländern nur drei lokale Aktionspläne.
Auch in dem großen Land Bayern sind also nur drei größere Städte oder Landkreise davon betroffen. Von daher
könnte man darüber nachdenken, in der nächsten Förderperiode für die westlichen Bundesländer mehr lokale
Aktionspläne zuzulassen.
Bei dem „Kompetent“-Programm liegt mir das Landeskonzept von Bayern vor, in dem vom Bayerischen
Staatsministerium für Unterricht und Kultus festgehalten
ist, dass es keine Förderung von festen Beratungsstrukturen geben solle. Daher interessiert mich, ob angedacht
worden ist, auf die Bayerische Staatsregierung einzuwirken, auch noch im Bereich des Opferschutzes und der
Opferberatung tätig zu werden. Es könnte ja sein, dass es
einmal Opfer in Bayern gibt, die vielleicht keine so prominente Unterstützung des Polizeiapparates haben, wie
es derzeit der Fall ist. So schlimm und verurteilenswert
dieser Überfall ist, muss man auch feststellen, dass es
andere Opfer geben könnte, die sich vielleicht nicht so
gut beraten fühlen, weil sie nicht der Polizei angehören.
Sind Sie bereit, in Sachen Opferberatung auf die Bayerische Staatsregierung einzuwirken?
Wie ich eben schon sagte, gibt es in diesem Bereich
ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes Verhalten. Dies ist neu und steht mit dem Bundesprogramm in
Verbindung, das wir neu aufgelegt haben. Mittlerweile
wird, was wir immer für notwendig gehalten haben, auch
ein größerer Anteil der Mittel von den Ländern und
Kommunen eingesetzt. Natürlich könnten theoretisch
noch mehr Aktionspläne entwickelt werden. Aber ich
habe eben von Initiativen gesprochen, die der Bund entwickelt hat. Es gibt Länder, die an der einen oder anderen Stelle zusätzlich tätig geworden sind und werden,
ohne dass es als Aktionsplan dargestellt wird. Darüber
wird auf Länderebene entschieden werden müssen.
Ich weiß, dass es speziell in Passau große Aktivitäten
gibt, was Beratung, aber auch die Bekämpfung von
Rechtsextremismus angeht, und zwar unabhängig von
dem schlimmen aktuellen Vorfall. Dies ist ja einer der
Gründe gewesen, weshalb der Polizeipräsident nach
dem, was wir bis jetzt wissen - Genaueres weiß derzeit
niemand -, offenkundig so ins Blickfeld der rechtsextremen Szene geraten ist. Man wird sich in Bayern sicherlich im Einzelnen überlegen müssen, wie man damit
weiter umgehen will. Dies hat der bayerische Innenminister bereits angekündigt. Um zu wissen, wo man
konkret ansetzen kann, muss man aber zunächst einmal
mehr Fakten kennen.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Zum Zweiten interessieren mich die Aussteigerprogramme, die im nächsten Jahr aufgelegt werden: Ab
wann beginnen sie? Wird es möglich sein, sie schon zu
Beginn des nächsten Jahres wirken zu lassen? Mit wie
vielen Anträgen rechnen Sie? Wird das Aussteigerprogramm „Exit“ im nächsten Jahr von Bundesförderung
profitieren können?
Das Aussteigerprogramm „Exit“ profitiert nach wie
vor von der Bundesförderung, und zwar als Familienförderprojekt „Familien stärken - gegen Gewalt und Extremismus“ über das Bundesfamilienministerium. Dafür
wird in der Laufzeit bis 2009 viel Geld eingesetzt; die
Fördersumme beträgt insgesamt 240 000 Euro.
Dass „Exit“ generell nicht mehr gefördert werde,
stimmt definitiv nicht. Es gab ein Programm des BMAS,
das ausgelaufen ist. Dort ist ein Vorschlag gemacht worden, nach welchen Kriterien eine erneute Förderung
möglich ist. Daran hat sich „Exit“ in diesem Falle nicht
gehalten. Wir haben uns um eine Übergangsfinanzierung
bemüht, wie Sie im Einzelnen wissen. Auch dies ist
nicht am Ministerium gescheitert, sondern daran, dass
„Exit“ nicht dazu bereit gewesen ist, einen präzisen AnParl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
trag vorzulegen. Im Übrigen gibt es andere Aussteigerprogramme, die eine Förderung seitens des Staates - in
diesem Fall des Bundes - erwarten. Insofern sehe ich im
Prinzip überhaupt keine Probleme, das „Exit“-Programm über den angesprochenen Zeitraum hinaus zu
fördern. Dieses Projekt wird ausdrücklich gefördert. Lediglich ein Teilaspekt der Förderung ist aus dem BMASProgramm übergangsweise entfallen. Wie gesagt, wir
hatten eine übergangsweise Förderung dieses Teilaspektes vorgeschlagen; dabei ging es nicht um Familien. Das
ist aber nicht an der Bundesregierung gescheitert, sondern daran, dass mit der „Exit“-Initiative keine Vereinbarungen getroffen werden konnten.
Vielen Dank. - Ihr Fragerecht ist beendet, Frau Lazar.
Nach Beantwortung der dringlichen Frage kommen
wir zu den Fragen auf Drucksache 16/11350 in der üblichen Reihenfolge. Die Fragen aus dem Geschäftsbereich
des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums
der Justiz werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Peter Hintze zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Welche Mitarbeiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, haben vor Juni 2008 mit welchen Personen aus der Atom- und Energiewirtschaft oder
nahe stehenden Verbänden, Organisationen, Instituten etc. ihr
Wissen - das sie aus dem GSF-Quartalsbericht 1/2006 „Verfüllung des Tiefenaufschlusses“ oder durch Gespräche mit
Personal des Asse-Betreibers erlangten - um radioaktiv kontaminierte Lösungen im Forschungsbergwerk Asse II kommuniziert, und welche schriftlichen Unterlagen gibt es hierzu?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Schönen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Kotting-Uhl, der Bundesregierung ist keine Kommunikation und Korrespondenz zu dem von Ihnen angesprochenen Fragenkomplex zwischen BGR-Mitarbeitern und
Personen aus der Atom- und Energiewirtschaft oder nahestehenden Verbänden, Organisationen und Instituten
bekannt.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kotting-Uhl? - Bitte
schön.
Danke schön, Herr Präsident. Ja, ich habe eine Nachfrage. - Wir wissen seit der letzten Fragestunde am
3. Dezember, dass die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nicht nur durch den GSF-Quartalsbericht vom ersten Vierteljahr 2006 von der radioaktiven Kontamination im Bergwerk Asse II wusste. Es
gab auch direkte Hinweise des Betreiberpersonals an
BGR-Mitarbeiter, die vor Ort in der Asse tätig waren.
Ich zitiere aus der Antwort der Frau Staatssekretärin
Wöhrl aus der letzten Fragestunde:
Das zeitweise vor Ort tätige Personal der BGR
wurde vom Asse-Betriebspersonal regelmäßig
belehrt und unter anderem auch darauf hingewiesen, dass einzelne Bereiche der Schachtanlage aus
betriebssicherheits- und strahlenschutzrelevanten
Gründen nicht für Versuche und Begehungen zur
Verfügung stehen.
Wir wissen allerdings nicht, wann diese Hinweise vor
Ort erstmals gegeben wurden und in welcher Form. Der
Zeitpunkt ist schon deshalb interessant, weil es bereits
1995 eine kontaminierte Laugentropfstelle in der Asse
gab; das kann man dem Statusbericht auf Seite 13 entnehmen.
Herr Staatssekretär Hintze, meine Frage an Sie lautet:
Wann wurden erstmals Mitarbeiter der BGR auf das radioaktivitätsbedingte Verbot hingewiesen, in welcher
Form geschah das, und gibt es darüber zum Beispiel einen Schriftwechsel? Bitte nicht nur den zweiten Teil
meiner Frage beantworten.
Ich versuche immer, vollständig zu antworten, Frau
Kollegin. - Mir liegt in der Tat der Stenografische Bericht über die letzte Fragestunde vor, weil dieses durchaus wichtige Thema im Hause schon gründlich traktiert
wurde. Ich verstehe die Aussagen der Kollegin Wöhrl
als generelle Ausführungen. Ich werde aber gerne Ihrer
Frage nachgehen, um zu sehen, ob man Ihre Frage spezieller beantworten kann, und würde, Herr Präsident, das
dann schriftlich mitteilen. Ich weiß nicht, ob wir über
entsprechende Daten verfügen. Wenn es sie gibt, bekommen Sie sie.
Eine weitere Nachfrage.
Ja, ich habe eine weitere Nachfrage, die vielleicht
eine ähnliche Antwort erfährt. Wenn sie jetzt nicht beantwortet werden kann, wäre ich mit einer schriftlichen
Beantwortung zufrieden. - Um welche Bereiche in der
Asse, die sich zum Zutritt nicht geeignet haben, hat es
sich gehandelt, und welche Vorgesetzten haben die betreffenden BGR-Mitarbeiter über die Zutrittsverbote informiert?
Wenn es eine solche Mitteilung gegeben hat, sie erfasst ist und sie sich datumsmäßig zuordnen lässt, werde
ich Ihnen, Herr Präsident, das schriftlich mitteilen. Wenn
es sich nur um einen generellen Hinweis handelt, muss
ich mich darauf beschränken. Wir gehen der Sache auf
jeden Fall noch einmal nach. Wenn es dazu etwas gibt,
werden Sie es bekommen.
({0})
Dann hat die Kollegin Ulrike Höfken eine Zusatzfrage.
Vielen Dank. - Wir wissen mittlerweile, dass mehrere
Personen in der BGR bis hin zur Amtsleitung von der radioaktiven Kontamination gewusst haben. Wie viele
BGR-Mitarbeiter waren es eigentlich insgesamt, und
wurde jemals die bewusste Entscheidung getroffen, das
Wissen über die radioaktive Kontamination nicht extern
weiterzugeben, weil man dazu nicht explizit verpflichtet
war?
Frau Kollegin, obwohl das im Rahmen diverser Anfragen der Frau Kollegin Kotting-Uhl mündlich und
schriftlich hier im Hause schon behandelt wurde, erläutere ich es gerne noch einmal: Es ist zwischen dem bloßen Hinweis, wie er im eben zitierten Quartalsbericht
erfasst ist, auf der einen Seite und der Bewertungskompetenz, dem Gesamtüberblick und den verantwortlichen
Handlungen, die sich daran anschließen, auf der anderen
Seite zu unterscheiden. Eindeutig liegen die Bewertungskompetenz und der Gesamtüberblick beim Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie und die Rechts-,
Dienst- und Fachaufsicht im Blick auf atomrechtliche
und strahlenschutzrechtliche Fragen beim niedersächsischen Umweltminister oder beim Bundesumweltminister. Deswegen sind die Fragen, die sich auf die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe beziehen,
an den falschen Adressaten gerichtet. Wir haben im Zusammenhang mit den schriftlichen Fragen, die in den
Fragestunden behandelt wurden, immer jeweils alles
das, was dazu zu sagen ist, gesagt. Ich verweise auf das
eben von Frau Kollegin Kotting-Uhl genannte Protokoll
der Fragestunde vom 3. Dezember - das ist sehr lesenswert -, auf die schriftlichen Fragen der Kollegin und auf
die Antworten zu der Frage, wann wer was bekommen
hat und wie es weitergegangen ist. Das alles ist dort erfasst und im Plenum behandelt worden.
Die Unterstellung, die in Ihrer Frage angelegt ist, dass
sich aus dieser Information eine Handlungsnotwendigkeit für das BGR ergeben hätte, ist deswegen falsch, weil
die Handlungsnotwendigkeit, die sich auf diesen Sachverhalt bezieht, eindeutig beim LBEG, beim NMU oder
beim BMU liegt, aber mit Sicherheit nicht beim BGR.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Cornelia
Behm.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich es unfassbar finde,
dass der zuständige Amtsleiter im Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe, der spätestens seit dem
Quartalsbericht 1/2006 von der Kontamination gewusst
haben muss, keines der zuständigen Ministerien über
diese Kontamination informiert hat. Da hätte ein einfacher Anruf genügt. Ich frage mich jetzt: Welche Konsequenzen ziehen seine Vorgesetzten aus der Tatsache,
dass er das versäumt hat?
Ich muss Ihre Bewertung hier liebevoll komplett zurückweisen, weil sich der Amtsleiter im Rahmen seiner
Amtspflichten hundertprozentig korrekt verhalten hat.
Wie Sie all den eben von mir zitierten Protokollen entnehmen können, ist der Quartalsbericht vom LBEG an
das BGR - neben anderen Institutionen und Behörden gesandt worden. Zuständig für diese Frage war das
LBEG, also das Landesamt für Bergbau, Energie und
Geologie des Landes Niedersachsen. Aufsichtsführende
Behörde war das niedersächsische Umweltministerium,
oberaufsichtsführende Behörde das Bundesumweltministerium. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und
Rohstoffe hatte daher für diese Frage überhaupt keine
Zuständigkeit. Wenn sie keine Zuständigkeit hat, dann
kann ihr auch kein Vorwurf gemacht werden, weder theoretisch noch praktisch. Deswegen wird Ihr Vorwurf an
die Bundesanstalt von mir zurückgewiesen, und die Unterstellung, der Amtsleiter habe sich nicht korrekt verhalten, wird ebenfalls von mir zurückgewiesen.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe musste guten Glaubens davon ausgehen können,
dass die Stellen, die zuständig sind, und zwar sowohl
fachlich als auch von der Bewertungskompetenz her, die
richtigen Schlüsse ziehen. Im Übrigen haben diese Stellen die Gesamtübersicht und auch das Einschätzungsvermögen gehabt, was bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aufgrund des Auftrags und
der Ausstattung überhaupt nicht vorhanden war. Ich bitte
Sie höflich und herzlich, das zugunsten der Behörde und
der erstklassigen Mitarbeiter zur Kenntnis zu nehmen,
anstatt Ihre Fragen permanent zu wiederholen. Sie sagen, das sei für Sie unfassbar. Auch wenn ich Ihr Fassungsvermögen hier in keiner Form kritisieren möchte,
muss ich sagen: Das ist ein Vorwurf, der sich an die falsche Stelle richtet.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, meine Frage schließt wunderbar an Ihre
Antwort an. Ich möchte aber eine kurze Vorbemerkung
machen: Ich bin von Beruf Biologe, Schwerpunkt Botanik. Trotzdem kann ich mit einem Begriff wie „radioaktive Kontamination“ etwas anfangen. Wer eine durchschnittliche naturwissenschaftliche Ausbildung hat - das
haben die hervorragenden Mitarbeiter dieser Bundesanstalt; es sind überwiegend Geologen -, kann mit dem
Begriff „radioaktive Kontamination“ ganz sicher etwas
anfangen. Sie stellen diese Naturwissenschaftler in ein
etwas seltsames Licht. Ich kann zwar verstehen, dass Sie
Ihr Ministerium verteidigen, aber nicht, wie.
Mich interessiert: Welche Mitarbeiter wussten von
der radioaktiven Kontamination? Welche berufliche
Qualifikation hatten diese Mitarbeiter? Ich wäre glücklich, wenn Sie uns schriftlich antworten und eine Liste
zukommen lassen könnten. Ich kann mir vorstellen, dass
Sie die Antworten nicht hundertprozentig im Kopf haben.
Herr Kollege, ich kann Sie in dem, was Sie zu meinem Vorstellungsvermögen sagen, ausnahmsweise unterstützen.
Frau Präsidentin, ich muss es noch einmal sagen: Die
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ist
im Rahmen der klaren Zuständigkeitsordnung für die
Behandlung dieser Fragestellung schlicht und ergreifend
zu keinem Zeitpunkt verantwortlich gewesen. Deswegen
ist die Frage, ob dort tätige Mitarbeiter, die allesamt
hoch qualifiziert sind, mit diesem Begriff aus dem Quartalsbericht etwas anfangen können, für die Zuweisung
der politischen Verantwortung irrelevant.
Zuständig waren eindeutig das LBEG und die aufsichtsführenden Behörden auf der Schiene „niedersächsischer Umweltminister/Bundesumweltminister“ und
nicht die Bundesanstalt. Deswegen ist es vollständig irrelevant, inwieweit die dortigen Mitarbeiter befähigt waren, diesen Begriff zu verstehen. Es ging erstens um die
Frage, wie das insgesamt zu bewerten ist, und zweitens
um die Frage des Gesamtüberblicks dort. Diese Fragen
konnte man in dieser Bundesanstalt nicht beantworten.
Natürlich hatte man dort auch keine Erkenntnisse darüber - woher auch? -, was die zuständigen Behörden in
diesem Bereich unternommen haben. Das war auch nicht
ihres Amtes.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
kann es nicht ganz nachvollziehen, dass Sie sagen, die
BGR sei hier nicht zuständig; schließlich greift die Bun-
desregierung in wesentlichen Endlagerfragen immer
wieder auf die Expertise der BGR zurück. Vielleicht
kann oder will die BGR die Bedeutung von radioaktiver
Verseuchung nicht richtig einschätzen und schon aus der
moralischen Verpflichtung heraus handeln. Außerdem
hat die BGR schon vor Jahren gutachterlich Stellung
zum einsturzgefährdeten Atommülllager Morsleben be-
zogen, und zwar in einer Art und Weise, dass kritische
Atommüllexperten heute von einem Gefälligkeitsgut-
achten sprechen; ich verweise nur auf Ausgabe 43/2008
des Magazins Der Spiegel.
Ich frage Sie deshalb: Mit welchen Maßnahmen stellt
das Wirtschaftsministerium sicher, dass die BGR bei ih-
ren zukünftigen Arbeiten in Endlagerfragen wichtige In-
formationen auch als solche erkennt und sofort weiter-
gibt? Hat das Wirtschaftsministerium überprüft, ob die
BGR möglicherweise weiteres Wissen von ähnlicher Be-
deutung hat, das sie bis heute noch nicht veröffentlicht
hat?
Die BGR, die Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe, ist in der Grundlagenforschung in Bezug
auf den Endlagerbereich weltweit anerkannt; sie ist
hochgradig qualifiziert. Die Grundlagenforschung, die
hier betrieben wird, bezieht sich auf geomechanische
und seismologische Fragen. Davon scharf zu unterschei-
den ist die gesamte Strahlenschutzthematik, für die es
nach der guten Ordnung des Landes Niedersachsen und
der Bundesrepublik Deutschland eine klare Zuständig-
keit gibt. Im Rahmen dieser Zuständigkeiten bewegt sich
das Handeln der Behörden. Das ist sinnvoll, weil die zu-
ständigen Behörden nicht nur die Verantwortung und die
Bewertungskompetenz, sondern auch den jeweiligen
Gesamtüberblick haben, durch den sie einen einzelnen
Vorgang einschätzen können. Es würde die Fragestunde
sprengen, die Vorgänge im Einzelnen zu bewerten. Mög-
licherweise wären unsere Bewertungen nicht deckungs-
gleich. Aber das sind andere Themen.
Die politische Frage, die im Parlament behandelt
wird, lautet: Hat sich die Behörde korrekt verhalten? Ich
muss Ihnen sagen: Sie hat sich zu jedem Zeitpunkt kor-
rekt verhalten. Zuständig für diesen Vorfall - das ist an
anderer Stelle schon erörtert worden; das ist nicht mein
Gegenstand heute - waren das LBEG, das NMU und das
BMU. Die BGR, die Bundesanstalt für Geowissenschaf-
ten und Rohstoffe, hat sich korrekt verhalten. Ihre fachli-
che Kompetenz steht vollkommen außer Frage. Nur, sie
ist für diesen Vorgang überhaupt nicht zuständig. Des-
wegen zielen Ihre Fragen - das kann ich Ihnen nicht un-
tersagen, aber ich muss es Ihnen wenigstens mitteilen -
auf die falsche Institution.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo-
gie als Dienst-, Rechts- und Fachaufsicht über die BGR
ist der Auffassung, dass das, was die Bundesanstalt ge-
tan hat, korrekt ist.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 5 der Kol-
legin Sabine Zimmermann wurde zurückgezogen. Die
Frage 6 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert wird schrift-
lich beantwortet.1)
Deswegen kommen wir nun zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
1) Die Antwort wird im Stenografischen Bericht der 196. Sitzung abgedruckt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
und Verbraucherschutz. Die Fragen beantwortet Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Wie und wann soll nach Meinung der Bundesregierung die
Umsetzung des Beschlusses aus dem Jahr 2007 zum Ausbau
des Standortes des Julius-Kühn-Institutes, JKI, in Kleinmachnow - ehemals Standort Ost der Biologischen Bundesanstalt
für Land- und Forstwirtschaft, BBA - erfolgen?
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte
Kollegin Behm, mit der Zustimmung des Deutschen
Bundestages am 24. Oktober 2007 zum Konzept für eine
zukunftsfähige Ressortforschung im Bereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wurde Kleinmachnow als neuer Standort
für zwei Institute des Julius-Kühn-Institutes bestätigt. Im
Rahmen der Erarbeitung dieses Konzepts wurden alle
Standorte mit Blick auf ihre fachliche Ausrichtung sowie
die Zahl der Mitarbeiter einer intensiven Prüfung unterzogen. Als Ergebnis dieser Überprüfung war eine Überarbeitung der bisherigen Nutzerforderung zum Ausbau
des Standorts Kleinmachnow auf der Basis von
123 Planstellen erforderlich. Auf dieser Berechnungsgrundlage ist eine für den Ausbau erforderliche Bauunterlage zu erstellen.
Der beabsichtigte Erwerb der Liegenschaft, an die wir
in Kleinmachnow denken, durch die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben - Sie wissen, nicht mehr die Ministerien erwerben direkt, sondern die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben erwirbt die Liegenschaften - kann
erst dann erfolgen, wenn die haushaltsseitige Zustimmung für den Liegenschaftskauf und die sich anschließende Baumaßnahme vorliegt.
Diese haushaltsseitige Zustimmung ist jedoch erst
dann möglich, wenn bislang ungeklärte Fragen abschließend beantwortet sind. Das betrifft in Kleinmachnow
insbesondere die Frage, ob auf dem vom Land Brandenburg zu erwerbenden Teilstück - ein Teil soll von der
Gemeinde Kleinmachnow gekauft werden - noch Altlasten vorhanden sind und wer diese gegebenenfalls zu beseitigen hat. Weiterhin sind noch Fragen zum Grundwasserstand und zur Tragfähigkeit des Bodens offen. Da die
Maßnahme nach dem sogenannten einheitlichen Liegenschaftsmanagement des Bundes durchzuführen ist,
wurde die BImA mit der abschließenden Klärung der offenen Fragen beauftragt.
Es findet auch Ihre Zustimmung, denke ich, dass wir
das Grundstück erst dann erwerben, wenn alle offenen
Fragen geklärt sind; anderenfalls können wir dem Steuerzahler gegenüber nicht vertreten, ein Grundstück für
8,5 Millionen Euro zu kaufen.
Zusätzlich ist die Vorlage einer genehmigten Bauunterlage erforderlich. Es ist davon auszugehen, dass
diese Bauunterlage bei zügiger Planung bis Ende 2009
erstellt ist. Dann wird es eine Etatisierung des Projekts
im Haushalt 2010 geben.
Um die Antwort auf das vorwegzunehmen, was Sie
wahrscheinlich im Anschluss fragen wollen: Unter Berücksichtigung der Bauplanungen und der Bauausführungsphase - weitere drei Jahre - gehen wir davon aus,
dass bei positivem Verlauf ein Abschluss der Baumaßnahme in Kleinmachnow frühestens Ende 2012 denkbar
ist.
Ihre Zusatzfragen.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Sie können sich
vorstellen, dass ich von der Antwort, die Sie mir gegeben haben, ziemlich schockiert bin. Man hört an allen
Ecken und Enden - es ist fast wie ein Credo -: Agrarforschung ist wichtig. Sie wird immer wichtiger. Gute Forschung braucht gute Strukturen. Deshalb hat ja Ministerin Künast schon 2005 die Entscheidung getroffen, dass
der Standort Ost der damaligen Biologischen Bundesanstalt in Kleinmachnow zusammengeführt wird. Letzten
Endes war der Beschluss des Deutschen Bundestages
zum Konzept der Ressortforschungseinrichtungen nur
noch einmal eine Bestätigung dieser Standortentscheidung.
Sei es, wie es sei. Ich frage Sie: Können Sie sich vorstellen, woran es lag, dass das bei einem Minister, der
immer betont hat, wie wichtig Planungssicherheit ist, in
diesem Fall für die Landwirte, so lange gedauert hat?
Das erstaunt schon sehr. Planungssicherheit brauchen
nämlich auch die betroffene Kommune und auch die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus Dahlem nach
Kleinmachnow umziehen sollen.
Deswegen meine abschließende Frage zu diesem
Komplex - mehr ist wahrscheinlich heute nicht zu erreichen -: Wäre es nicht erwägenswert, dass man im Rahmen des Investitionsprogrammes der Bundesregierung
dieses wichtige Vorhaben beschleunigt, damit wir uns
nicht noch über so lange Zeiträume, wie Sie sie eben genannt haben, gedulden müssen? Ist das nicht möglich?
Sie haben verschiedene Anmerkungen gemacht. Auf
diese möchte ich gerne noch einmal kurz eingehen.
Ich stimme Ihnen hundertprozentig zu, dass wir eine
vernünftige Ressortforschung brauchen. Wir haben ein
gutes Konzept zur Ressortforschung. Ich darf Sie daran
erinnern, dass jetzt auch schon in Berlin-Dahlem in den
beiden Instituten des JKI, um die es geht, hervorragende
Forschungsarbeit geleistet wird, und zwar geht es hier
zum einen um den Bereich ökologische Chemie, Pflanzenanalytik und Vorratsschutz und zum anderen um den
Bereich Strategien und Folgenabschätzung im Pflanzenschutz. Es wird auch derzeit schon gearbeitet, wenn auch
noch nicht in den Räumlichkeiten und mit der Laborausstattung, die wir uns wünschen würden. Deshalb arbeiten
wir selbstverständlich mit Hochdruck daran, dass die
neuen Gebäude auf dem Gelände in Kleinmachnow bezogen werden können.
Was die Planungssicherheit angeht, darf ich Sie erinnern, dass es keinen so großen Unterschied hinsichtlich
der Entfernung zwischen Berlin-Dahlem und Kleinmachnow gibt, sodass es für die Mitarbeiter ausreichend
Sicherheit gibt. Sie bleiben in der Nähe und werden
keine weiten zusätzlichen Fahrwege auf sich nehmen
müssen, wenn sie denn die neuen Räumlichkeiten beziehen.
Wie ich bereits erwähnt habe, liegt die Dauer des Verfahrens daran, dass die BImA noch Fragen klären muss,
die Altlasten etc. betreffen. Wenn diese Fragen geklärt
sind, wird, wie ich schon berichtet habe, alles sehr zügig
vonstatten gehen. Es muss aber erst geklärt werden, ob
das Gelände belastet ist und, wenn ja, wer diese Altlasten beseitigen wird und wie es mit dem Grundwasserstand aussieht. Diese Fragen müssen geklärt werden.
Vorher können wir auf dem Gelände nicht bauen. Ich
bitte hier um Ihr Verständnis.
Ich sage Ihnen aber zu, dass wir zusammen mit dem
BMF und der BImA alles dafür tun werden, dass es zu
einer wirklich zügigen Umsetzung des Beschlusses
kommt. Ich glaube, wir als BMELV haben das allergrößte Interesse daran, dass das JKI und seine Institute
zügig die Neubauten beziehen können.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ja, ich würde gerne noch fragen: Stehen Sie regelmäßig im Gespräch mit der BImA? Gibt es da einen gewissen Druck? Ich verspüre hier nicht den notwendigen
Nachdruck. Die Punkte, die nach dem, was Sie sagten,
noch geklärt werden müssen, hätten längst geklärt sein
können. Gibt es also seitens des Ministeriums auch ausreichenden Druck auf die BImA, so schnell wie möglich
zu Ergebnissen zu kommen?
Ja, wir stehen regelmäßig im Gespräch mit der BImA.
Im September hat uns die BImA darüber informiert, dass
es offene Fragen gibt und welche Fragen noch zu klären
sind. Es hat allerdings im Vorfeld lange Verhandlungen
der BImA mit dem Land Brandenburg auch über den
Kaufpreis gegeben. Dadurch hat sich alles etwas hingezogen. Nach dem September hat es die Beauftragung der
BImA gegeben, die offenen Fragen zu klären. Der Druck
ist also vorhanden, und wir stehen in regelmäßigen Gesprächen.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Cornelia Behm auf:
Liegt die im September 2008 laut Bundesministerium der
Finanzen noch fehlende „haushaltsseitige Anerkennung“ des
Bedarfs für das Institutsgebäude in Kleinmachnow durch das
Bundesministerium der Finanzen mittlerweile vor?
Sie wissen, dass die haushaltsseitige Anerkennung
des Bedarfs durch das Bundesministerium der Finanzen
erfolgt, und zwar formal zusammen mit der haushaltsseitigen Zustimmung zu der noch zu erstellenden Bauunterlage. Das ist sehr formal geregelt, und das ist gegenüber
dem Steuerzahler auch geboten. Diese haushaltsseitige
Zustimmung durch das BMF ist erst dann möglich, wenn
die Maßnahme im Haushaltsplan entsprechend abgesichert ist. Aber da, wie ich vorhin schon gesagt habe,
noch eine Reihe von Fragen ungeklärt und die Bauunterlage noch nicht vorhanden ist, sind die gesamten Verfahren für den Haushalt des Jahres 2010 vorgesehen.
Ihre Zusatzfragen.
Danke. An Frau Heinen habe ich im Moment keine
Zusatzfrage mehr.
Dann schließe ich den Geschäftsbereich und bedanke
mich bei Frau Heinen recht herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Heinz Schmitt
auf:
Hält die Bundesregierung die Berichte der Zeitung Rheinpfalz am Sonntag vom 30. November 2008 für glaubwürdig,
nach denen am 7. Oktober 2008 bei einer deutsch-niederländischen Luftwaffenübung über dem Raum Offenbach/Queich
im Kreis Südliche Weinstraße, Rheinland-Pfalz, ein Zivilist
durch Einsatz eines Laser-Waffenleitsystems zu Schaden gekommen sein soll, und, wenn ja, welche Schritte hat die Bundesregierung zur Aufklärung unternommen, bzw. welche
Maßnahmen sind vorgesehen, um Wiederholungen zu vermeiden?
Lieber Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Nein.
Ihre Zusatzfragen.
Ihrer Antwort entnehme ich eine Nichtreaktion. Ich
ergänze meine Frage: Beabsichtigt die Bundeswehr, diesem Vorgang nachzugehen, da durchaus Beweise - eine
beschädigte Kamera - vorliegen? Sind Maßnahmen vorgesehen, um diesen Vorfall aufzuklären, der außerdem in
einer Region stattgefunden hat, in der weder die Übung
angemeldet noch transparent erkennbar war, warum und
wozu die Übung in diesem Gebiet stattgefunden hat?
Das ist kein ausgewiesenes militärisches Sperrgebiet.
Frau Präsidentin, diese Zusatzfrage betrifft auch die
zweite Frage des Kollegen.
Dann rufe ich jetzt auch die Frage 10 des Abgeordneten Heinz Schmitt auf:
Wenn die Bundesregierung die genannten Berichte nicht
für glaubwürdig hält und nicht weiterverfolgen will, womit
begründet sie diese Einschätzung und Vorgehensweise?
Dass die Bundesregierung die genannten Berichte
nicht für glaubwürdig hält, habe ich schon bestätigt. Sie
wollen wissen, womit die Bundesregierung diese Einschätzung begründet. Dem Bundesministerium der Verteidigung liegen keinerlei Erkenntnisse über einen missbräuchlichen Lasereinsatz am 7. Oktober 2008 im
Rahmen der Durchführung einer Übung der niederländischen Luftstreitkräfte vor. In einer Stellungnahme zum
Sachverhalt über diese Übung, die angemeldet war und
am 7. Oktober durchgeführt worden ist, teilen die niederländischen Streitkräfte mit, dass bei diesem Übungsflug am 7. Oktober der Laser nicht eingesetzt worden ist.
Die in dem Presseartikel beschriebene Beschädigung einer Kamera könne daher nicht auf den Einsatz des Hubschraubers zurückgeführt werden. Der helle Bereich auf
dem vorgelegten Foto sei auf eine Reflexion des Sonnenlichts an der Nase des Luftfahrzeuges zurückzuführen.
Das war die Information, die wir von den niederländischen Streitkräften eingeholt haben. Ich darf ergänzend
sagen, dass im Rahmen eines Lehrgangs zur Ausbildung
von Hubschrauberwaffenlehrern, des sogenannten
HWIC, Helicopter Weapons Instructor Course, unter
niederländischer Leitung die fliegerische Übung HWIC
Polygone 2008, ausgehend vom Flugplatz Zweibrücken,
durchgeführt worden ist.
An dieser Übung beteiligte sich mit zwei Hubschraubern die Luftbewegliche Brigade 1 des Heeres der Bundeswehr. Die mit Hubschraubern vom Typ BO 105
durchgeführten Übungsflüge führten dabei vom Stadtflugplatz Zweibrücken aus zum Teil über das nördliche
Saarland in das in Rheinland-Pfalz gelegene Kernübungsgebiet südöstlich von Ramstein.
Jetzt haben Sie weitere Fragen, Herr Kollege Schmitt.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, dass
die Recherche bei diesem Vorfall, der auf einer beweisbaren Begebenheit beruht, nicht zur Zufriedenheit der
Betroffenen führt? Wäre es dennoch denkbar, dass die
Inaugenscheinnahme des beschädigten Fotoapparats
durch die Verantwortlichen nachgeholt wird?
Ich bin nicht - ich müsste das nachreichen - vollständig darüber informiert, wie sich die niederländischen
Streitkräfte zu dieser Fragestellung gegenüber der Zeitung und gegenüber dem sich geschädigt Fühlenden - erlauben Sie mir diese Formulierung - verhalten hat.
Ich will nur noch einmal sagen: Der Redakteur der
Rheinpfalz hatte uns angesprochen. Das Presse- und Informationszentrum der Luftwaffe hatte ihm am 21. November die Stellungnahme übermittelt, in der generell
auf den Sachverhalt eingegangen worden ist. Dabei
konnten Kenntnisse über einen missbräuchlichen Lasereinsatz im Rahmen der Übung nicht bestätigt werden.
Zur weiteren Recherche wurde auf die niederländischen
Streitkräfte verwiesen. Die Stellungnahme des BMVg
wurde in Presseartikeln mit Hinweisen auf eigene Erkenntnisse der Redaktion angezweifelt. Dem Redakteur
wurde dann der Kontakt vermittelt. Dann gab es wohl
auch eine Stellungnahme der niederländischen Streitkräfte. Aber weitere Erkenntnisse sind uns darüber nicht
bekannt.
Ich glaube, ich darf noch eine Frage stellen.
Ja, Sie können noch eine Frage stellen.
Vielen Dank. - Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass
diese Übung speziell in diesem Raum, im Kreis südliche
Weinstraße, gegenüber der zuständigen Kreisverwaltung
nicht angekündigt worden war, und was sind die Gründe
dafür?
Würde man unterstellen, dass Laser verwendet worden wären - wovon wir nicht ausgehen, weil wir keine
Erkenntnisse darüber haben -, dann wäre das nur innerhalb militärischer Sperrgebiete erlaubt gewesen. Grundsätzlich ist es so, dass das Bedienpersonal von Lasereinrichtungen an Bord eines Luftfahrzeuges im Hinblick
auf die sicherheitstechnischen Auflagen - Laser hat eine
hohe Energieintensität - speziell ausgebildet sein muss
und dass die Lasereinrichtungen nur auf Ziele oder in
Zielräume gerichtet werden dürfen, die im militärischen
Sperrgebiet liegen und speziell dafür freigegeben sind.
Wenn das der Fall gewesen wäre, worauf wir - ich wiederhole - außer den Vorhaltungen, die seitens des Hobbyfotografen gegenüber der Rheinpfalz am Sonntag gemacht worden sind, keine Hinweise haben, dann wäre
das ein Verstoß gegen die Vorschriften und Regeln, die
zur Sicherheit der Bevölkerung existieren und eingehalten werden müssen.
Das war nicht meine Frage. Es ging mir nicht um die
Technik, sondern die Frage bezog sich klar auf die ForHeinz Schmitt ({0})
malität der Anmeldung einer solchen Übung, die nicht
erfolgt ist. Das war die Frage.
Die Übung war in Ordnung. Sie hatte keine Laserkomponente. Deshalb durfte sie stattfinden.
Das heißt, Übungen, die ohne Lasertechnik durchgeführt werden -
Herr Kollege Schmitt.
Wenn ich eine Antwort bekomme, die an meiner
Frage vorbeigeht, muss ich nachfragen.
({0})
Nein, Herr Kollege Schmitt, Sie können keine weiteren Zusatzfragen stellen.
Okay. Aber die Antwort ging an der Frage vorbei.
Das kann gelegentlich passieren. - Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Schmidt, herzlichen Dank.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf.
Die Fragen 11 und 12 der Abgeordneten Priska Hinz
sowie die Fragen 13 und 14 des Kollegen Kai Gehring
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung.
Die Frage 15 des Kollegen Volker Beck sowie die
Frage 16 der Kollegin Petra Pau werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 17 auf:
Gab es ab Anfang 2002 doch Hinweise oder Informationen der US-Regierung an die Bundesregierung - ebenso wie
an die spanische Regierung -, dass Lufttransporte Terrorismusverdächtiger zum Beispiel aus Afghanistan nach
Guantánamo und in andere bekannte oder geheime Gefängnisse über Europa und Deutschland stattfinden, sowie Fragen
nach Zwischenlandemöglichkeiten in Deutschland, wie im
spanischen Außenministerium notiert worden sein soll mit
Hinweis auf „verschiedene Länder an der Flugstrecke“ ({0}), und falls die Bundesregierung solche Information bzw. Anfrage seitens der US-Regierung erhielt, wie hat sie darauf reagiert?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Die Antwort lautet: Die Bundesregierung hat weder
Anfang 2002 noch zu einem späteren Zeitpunkt derartige
Hinweise, Informationen oder Anfragen durch die USRegierung erhalten.
Ihre Zusatzfrage.
Da diese Meldung in mehreren Zeitungen aufgetaucht
ist und sich ein veritabler Untersuchungsausschuss
schon seit vielen Monaten mit der Aufklärung unter anderem dieser Frage beschäftigt, möchte ich fragen: Hat
die Bundesregierung diese Zeitungsberichte einmal zum
Anlass genommen, bei der spanischen Regierung nachzufragen, wann das gewesen ist, ob es dazu Unterlagen
gibt und wie es zu der Meldung kommen konnte, dass
nicht nur die spanische Regierung, sondern auch andere
europäische Regierungen Anfang 2002 entsprechende
Informationen erhalten haben? Ist die Bundesregierung
diesen Hinweisen nachgegangen, um den Sachverhalt
aufzuklären?
Herr Kollege Ströbele, die erste Feststellung: Die
Mitglieder der Bundesregierung lesen selbstverständlich
Zeitung. Die zweite Feststellung: Sie selbst waren daran
beteiligt, dass der Untersuchungsausschuss einen Ermittlungsbeauftragten eingesetzt hat, der versucht hat, diesen
Dingen nachzugehen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass solche Hinweise und Informationen nicht vorgelegen haben.
Ich darf hinzufügen: Als bekannt wurde, dass die USRegierung im Frühjahr dieses Jahres die britische Regierung über entsprechende Vorgänge unterrichtet hat, hat
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier dies zum
Anlass genommen, seine Fragen in einem Brief festzuhalten und ihn der amerikanischen Außenministerin
Condoleezza Rice persönlich zu übergeben. Darin war
auch die Bitte enthalten, der Bundesregierung auf entsprechende Fragen Antworten zu geben. Trotz mehrfacher Nachfragen haben wir bis heute keine Antwort erhalten.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Mit Spanien verbindet uns eine solidarische Gemeinschaft im Rahmen der Europäischen Union. Der spanische Außenminister sagte selber, dass es solche Informationen gegeben hat und dass auch andere europäische
Länder - so sagte er laut Zeitungsberichten - entsprechende Informationen bekommen haben. Wäre es da
nicht sinnvoll und naheliegend gewesen, nicht nur bei
der US-Außenministerin Frau Rice, sondern auch bei
dem spanischen Kollegen von Herrn Steinmeier nachzu21084
fragen, ob es vielleicht schriftliche Unterlagen und nähere Erkenntnisse gibt? Bisher besteht der Eindruck,
dass die Bundesregierung gar nicht wissen will, dass solche Informationen damals gegeben worden sind.
Herr Kollege Ströbele, ich kann in aller Öffentlichkeit
sagen: Es besteht in der Tat eine ausgezeichnete Beziehung zwischen Spanien und Deutschland. Für die Frage
„Wer hat was veranlasst, und wer hat wen möglicherweise nicht unterrichtet?“ ist die amerikanische Regierung in der Person der Außenministerin der richtige Ansprechpartner. Es wäre gut gewesen, wenn die Anfragen,
aber auch die Erinnerungen an unsere Anfragen in den
letzten Wochen beantwortet worden wären.
Ich rufe die Frage 18 auf:
Warum will die Bundesregierung keinen Personalbeitrag
gemäß der Doss-Liste zur Aufstockung der MONUC leisten,
obwohl der UNO-Generalsekretär mangels schnell verfügbarer Kapazitäten die EU offiziell um Unterstützung gebeten hat
und die kongolesische Zivilbevölkerung in den Kivu-Provinzen weiterhin akuten Gewaltexzessen der Kriegsparteien
schutzlos ausgesetzt ist?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Ich darf folgende Antwort geben: Die Bundesregierung unterstützt die Friedensmission der Vereinten
Nationen MONUC bei der Erfüllung ihrer zentralen
Rolle in der Demokratischen Republik Kongo. Wichtig
sind in erster Linie der politische Prozess und dessen
Stärkung. Die Bundesregierung unterstützt die Vermittlungsbemühungen des Sondergesandten der Vereinten
Nationen Obasanjo und des Vermittlers der Afrikanischen Union Benjamin Mkapa politisch und auch finanziell.
MONUC benötigt zur Erfüllung ihrer Aufgaben zum
Schutz von Zivilisten nicht nur militärische Unterstützung, sondern dringend auch Unterstützung im nichtmilitärischen Bereich. Das ist das Ergebnis einer Reise
des Leiters der Abteilung Vereinte Nationen und Globale
Fragen des Auswärtigen Amts, Herrn Dr. Peter Wittig,
vom 8. bis zum 12. Dezember 2008 in den Kongo.
Die Bundesregierung will die teilweise mit Lava zugeschüttete Landebahn des Flughafens Goma in Zusammenarbeit mit der Welthungerhilfe und MONUC wiederherstellen. Dieses Projekt kommt MONUC direkt
zugute. Weiterhin werden derzeit in Zusammenarbeit mit
MONUC Projekte entwickelt, die der kongolesischen
Polizei zugutekommen sollen, die eine Schlüsselrolle im
Stabilisierungsplan MONUCs für den Osten spielt. Der
Aufbau einer funktionierenden Polizei ist eine zentrale
Aufgabe zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht nur in
den Kivu-Regionen, sondern auch generell in der Demokratischen Republik Kongo. Schon dieses Jahr wurde in
Zusammenarbeit mit der EU-Mission EUPOL ein Projekt durchgeführt. Auch bei der EU-Mission EUSEC, die
die kongolesischen Streitkräfte unterstützt, engagiert
sich die Bundesregierung.
Bei der Diskussion im europäischen Rahmen zu der
Frage, wie MONUC entsprechend der Anfrage des Generalsekretärs der Vereinten Nationen unterstützt werden
kann, wurde deutlich, dass der Schwerpunkt auf politischen Initiativen liegen muss, um die Probleme im Osten
Kongos einer nachhaltigen Lösung zuzuführen. Dies hat
unsere volle Unterstützung.
Ihre Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für diese Antwort,
die der entspricht, die Sie auf meine Kleine Anfrage gegeben haben. Es gibt zwar die Anfrage nach Hardware
vonseiten des Generalsekretärs der UNO. Die Bundesregierung sagt aber: Njet, wir werden uns daran nicht beteiligen. - Sie verhindert sogar Entsprechendes innerhalb der EU. Ich nenne einmal, was die Doss-Liste
enthält: 2 Infanteriebataillone, 2 Kompanien Spezialkräfte, 18 Transporthubschrauber, 2 Transportflugzeuge, 1 Pioniereinheit, 200 Militärs, 2 zusätzliche
stehende Polizeieinheiten. Das ist so von der UNO beschlossen worden, und der Generalsekretär hat bei der
EU Entsprechendes angefragt.
Meine Frage lautet - erst die zweite Frage bezieht
sich auf den politischen Prozess -: Es ist ja nicht so, wie
Sie sagen, dass die UNO politisch agieren will. Solana
hat vielmehr drei Optionen entwickelt, über die er jetzt
mit Ban Ki-moon spricht. Eine davon sieht den Einsatz
einer EU-Battle-Group und eine zweite die Beteiligung
an MONUC vor. Wieso sagen Sie, die Bundesregierung
und die EU würden nur politisch etwas machen, sich
aber nicht an der Doss-Liste beteiligen, während Solana
genau dies mit Ban Ki-moon besprechen wird?
Frau Kollegin Müller, ich darf sagen: Der Sachverhalt, wie Sie ihn jetzt vorgetragen haben, stimmt so
nicht. Das Erste ist - da sind sich alle in der Europäischen Union einig; es hat ja verschiedene Sitzungen des
Außenministerrates gegeben -, dass es wichtig ist, den
politischen Prozess in Gang zu bringen bzw. zu unterstützen, also die Bemühungen der Vermittler, die ich
vorhin genannt habe, und die Gespräche, die angekündigt wurden, zu unterstützen.
Der andere Punkt ist: Wie kann im Rahmen der entstandenen Situation, die sich aus der tatsächlichen Stärke
von MONUC, der Notwendigkeit, MONUC zu verstärken, und der Tatsache ergibt, dass diese Verstärkung längere Zeit in Anspruch nimmt, möglicherweise eine solche Brückenmission, wie es der Generalsekretär der
Vereinten Nationen genannt hat, gestartet werden? Darüber ist in den letzten Tagen auch im Rahmen des
Außenministerrates gesprochen worden. Es ist richtig:
Es gibt verschiedene Optionen. Dazu ist noch keine Entscheidung getroffen worden, sodass dem GeneralsekreStaatsminister Günter Gloser
tär noch keine Antwort seitens der Europäischen Union
gegeben werden kann.
Sie können noch eine Zusatzfrage stellen.
Eine Nachfrage zum politischen Prozess. Die Anfrage
der UNO betrifft ganz konkrete Hardware, mit der
MONUC in der Lage wäre, die Menschen zu schützen.
2 Millionen Menschen und massenhaft vergewaltigte
Frauen können nicht warten, bis ein mit langem Atem
anzugehender politischer Prozess begonnen hat und beendet ist. Also noch einmal meine Nachfrage: Wird die
Bundesregierung positiv auf diese Anfrage des Generalsekretärs antworten? Wenn Nein: Wird sie wenigstens
nicht verhindern, dass sich die Europäische Union positiv äußert und sich an dieser Aufstockung beteiligt?
Liebe Kollegin Müller, ich darf noch einmal sagen,
dass wir nicht die Einzigen sind, die an bestimmten Stufen dieses Prozesses gesagt haben, welche Schritte notwendig sind. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland
blockiert nicht. Im Gegenteil: Die Optionen lagen aufgrund des Schreibens auf dem Tisch der Außenminister.
Bis jetzt hat erst ein einziges Mitgliedsland, nämlich
Belgien, signalisiert, dass es militärische Unterstützung
leisten würde. Inwieweit MONUC bei der Logistik oder
in anderen Bereichen Unterstützung finden könnte, ist
noch nicht entschieden. Zu dieser Frage findet in der
Europäischen Union ein Prozess statt. Deshalb kann man
nicht davon sprechen, dass die Bundesregierung diesen
Prozess blockiert.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Kerstin Müller auf:
Aus welchem Grund unterstützt die Bundesregierung
nicht mit hochrangigen Politikern vor Ort die Vermittlungsbemühungen des UNO-Sondergesandten Olusegun Obasanjo
zwischen der kongolesischen Regierung und den Nkunda-Rebellen, zumal die aktuellen Friedensbemühungen in Nairobi
wieder stillstehen, die Krisenbearbeitung in Kenia Anfang
2008 die Wichtigkeit einer starken, geschlossenen und koordinierten internationalen Gemeinschaft verdeutlicht hat und die
Bundesregierung schließlich selbst betont, dass ein dauerhafter Frieden im Kongo einer politischen Lösung des Konflikts
bedarf?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Die Vermittlungsbemühungen des Vermittlers der
Vereinten Nationen, Olusegun Obasanjo, machen nach
den der Bundesregierung vorliegenden Informationen
trotz gelegentlicher Verzögerungen insgesamt gute Fortschritte. Zusammen mit ihren EU-Partnern unterstützt
die Bundesregierung diese Vermittlungsbemühungen
ebenso wie die Bemühungen des Vermittlers der Afrikanischen Union, Benjamin Mkapa. Der Bundesminister
des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, hat in
den vergangenen Wochen mehrfach mit dem Staatspräsidenten von Ruanda, Paul Kagame, und dem Außenminister der Demokratischen Republik Kongo, Alexis
Thambwe Mwamba, telefoniert. Eine Entsendung weiterer Akteure, zusätzlich zu den genannten Vermittlern
und zum Sonderbeauftragten der Europäischen Union
für die afrikanische Region der Großen Seen, Herrn van
de Geer, würde die Verhandlungen komplizieren. Auch
in Kenia wurden die wesentlichen Fortschritte in den Sitzungen erzielt, an denen lediglich die Kontrahenten und
der Vermittler teilnahmen. Afrikanischen Vermittlungsbemühungen ist nach Ansicht der Bundesregierung Vorrang einzuräumen.
Ihre Zusatzfrage.
Ist es nicht so, dass Deutschland fast der einzige
große europäische Staat ist, der anders als Frankreich
und Großbritannien Obasanjo bei der Vermittlung ohne
Vorbehalte unterstützen könnte? Jedenfalls ist das etwas,
was uns gegenüber immer wieder geäußert wird. Sie haben von zwei Telefonaten gesprochen: mit dem Außenminister des Kongo und mit Herrn Kagame. Ich frage
deshalb noch einmal: Warum gibt es keine Unterstützung durch einen prominenten deutschen Vermittler, der
vor Ort dazu beiträgt, dass der notwendige Druck auf
Nkunda und Kabila erhöht wird? 2006 gab es immerhin
eine EU-Mission. Es ist mir unverständlich, dass von unserer Seite nicht wirklich intensiv Druck ausgeübt wird,
um die Vermittlungsbemühungen von Obasanjo zu unterstützen.
Ich kann nur wiederholen, dass die Europäische
Union in dieser Angelegenheit sehr aktiv ist, die Präsidentschaft aktiv geworden ist - das entspricht der Rolle
einer Präsidentschaft - und andere Repräsentanten das
zum Anlass genommen haben, mit der Präsidentschaft
zu reisen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Initiativen. Es wird versucht, durch andere Maßnahmen den
Druck zu erhöhen und die Notwendigkeit von Friedensgesprächen herauszustellen. Das ist auch durch den Außenminister geschehen. Ich denke, das reicht neben den
Bemühungen der Vermittler, die bereits vorhanden sind,
aus.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wir haben gerade 60 Jahre Menschenrechtscharta gefeiert. Ich konnte der Rede des Außenministers lauschen.
Er hat sich auf die beschlossene Schutzverantwortung,
Responsibility to Protect, bezogen, sogar den Kongo erwähnt. Ich frage Sie noch einmal: Wenn Sie dies als verbindliche Handlungsgrundlage der Bundesregierung ansehen, warum wird die Bundesregierung dann nicht
Kerstin Müller ({0})
aktiver, um die Menschen dort vor massiver Gewalt zu
schützen?
Frau Müller, den Vorwurf, wir würden nicht aktiver
schützen, kann ich so nicht stehen lassen. Die Bundesrepublik Deutschland - das wissen vielleicht nur wenige ({0})
ist beispielsweise der drittgrößte Geber für die Mission
MONUC. Wir haben das auch hinsichtlich der humanitären Arbeiten und Hilfen deutlich gemacht. Ich habe vorhin das Projekt erwähnt, das Herr Außenminister
Steinmeier bei einer der letzten Ratssitzungen angekündigt hat, nämlich die Wiederherstellung des Flughafens.
Dies geschieht auf ausdrücklichen Wunsch verschiedener NGOs, der Welthungerhilfe, aber auch der örtlichen
Autoritäten, damit den Menschen dort geholfen werden
kann. Es gibt Aktivitäten des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Man
kann also nicht sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland und dass diese Bundesregierung nicht aktiv sind.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Eid.
Herr Staatsminister, Sie haben jetzt verschiedentlich
darauf hingewiesen, dass politische Lösungen notwendig sind, um den Konflikt im Osten des Kongos zu lösen. Stimmt die Bundesregierung mit der Auffassung
vieler afrikanischer Staats- und Regierungschefs überein, dass ein Grund für die Destabilisierung im Osten des
Kongos darin besteht, dass ehemalige ruandische Völkermörder im Osten des Kongos Schutz gesucht haben
und dass es, um an die Ursache des Konfliktes zu gehen,
dringend erforderlich ist, diese etwa zwischen 6 000 und
10 000 bewaffneten Milizionäre und Ex-FAR-Leute aus
der Region umzusiedeln, damit in der Region endlich
Ruhe eintritt? Was tut die Bundesregierung, um genau an
diese Ursache heranzugehen und zu helfen, das Problem
zu lösen?
Noch einmal: Dieser Aspekt, den Sie ansprechen, ist
in erster Linie eine Frage der beteiligten Akteure. Es
liegt zum Zweiten auch in der Verantwortung der Afrikanischen Union und der beteiligten Staaten, die sich um
die Lösung dieses Konfliktes bemühen. Es gibt in den
letzten Tagen Zeichen, dass es dort - auch wenn es uns
in keiner Weise zufriedenstellen kann - Fortschritte gibt.
Eingebettet in dieses Gesamtkonzept ist die Aufgabe der
Bundesregierung zu sehen.
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Dr. Uschi Eid auf:
Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen,
um Druck auf den simbabwischen Staatspräsidenten Robert
Mugabe auszuüben, damit dieser zum Rücktritt gezwungen
wird?
Wenn Sie, Frau Präsidentin, und Sie, Frau Dr. Eid, es
erlauben, würde ich die beiden Fragen zusammen beantworten,
({0})
was ja auch erlaubt, die entsprechende Anzahl an Zusatzfragen zu stellen.
Sie haben dann vier Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Dr. Uschi Eid auf:
In welcher Form unterstützt die Bundesregierung Bemühungen, damit in Simbabwe eine Übergangsregierung ohne
Robert Mugabe eingerichtet wird und der Wählerwille von
Mai 2008 respektiert wird?
Ich darf wie folgt antworten: Der simbabwische Präsident, Robert Mugabe, und die Führer der beiden Oppositionsparteien haben am 15. September 2008 ein
Abkommen unterschrieben, nach dem sie die Regierungsgewalt teilen wollen. Robert Mugabe soll danach
Präsident bleiben, Morgan Tsvangirai soll Premierminister mit umfangreichen Regierungskompetenzen werden.
Die Bundesregierung hat zusammen mit ihren Partnern
in der Europäischen Union stets die Umsetzung dieses
Abkommens und die umgehende Bildung einer handlungsfähigen Regierung gefordert. Dabei müssen Regierungsverantwortung und -macht so aufgeteilt werden,
dass der in den Wahlen vom März 2008 zum Ausdruck
gekommene Wählerwille respektiert wird. Dies hat
Deutschland im Rahmen der EU mehrfach gefordert.
Die Umsetzung des Abkommens stagniert allerdings seit
der Unterzeichnung im September. Mugabe hat vor allem in den letzten Tagen gezeigt, dass er an einer Machtteilung kein Interesse hat.
Ihre Zusatzfragen.
Stimmt die Bundesregierung mit mir überein, dass
sich die stille Diplomatie des ehemaligen südafrikanischen Staatspräsidenten Thabo Mbeki damit als erfolglos erwiesen hat? Ist die Bundesregierung bereit, gemeinsam mit anderen Afrikanern, die diesen Prozess in
Simbabwe stoppen wollen, Sorge dafür zu tragen, dass
nach einem anderen Vermittler gesucht wird, weil klar
geworden ist, dass die Vermittlungen des ehemaligen
südafrikanischen Staatspräsidenten nicht zum Erfolg
führen?
Frau Dr. Eid, es hat in der Vergangenheit viele Signale hinsichtlich des Prozesses in Simbabwe gegeben.
Das hat gelegentlich zu Gegenreaktionen in den dortigen
Ländern insbesondere im Süden Afrikas geführt. Aber
ich glaube, dass in der Zwischenzeit auch bei den beStaatsminister Günter Gloser
nachbarten Ländern und insbesondere den SADC-Ländern deutlich geworden ist, dass Druck auf die Regierung Mugabe auszuüben ist.
Ihre nächsten Zusatzfragen.
Ist der Bundesregierung der Vorschlag der International Crisis Group bekannt, nach der ein von der AU und
der UNO gemeinsam eingesetzter Vermittler, also eine
respektierte Persönlichkeit, ernannt werden soll? Es gibt
einige Namen, zum Beispiel den des ehemaligen UNOGeneralsekretärs Kofi Annan. Diesem Vermittler soll die
Aufgabe übertragen werden, eine Übergangsregierung,
vielleicht ohne Mugabe und ohne Tsvangirai, zu etablieren, um dann neue Wahlen vorzubereiten.
Ich möchte diesem Schritt nicht vorgreifen und darauf
spekulieren in Erkenntnis dessen, dass sich die Afrikanische Union in wenigen Tagen genau wegen der Entwicklung in Simbabwe zu einem Sondergipfel treffen wird.
Ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, dass bei den
Teilnehmern andere Einschätzungen und Bewertungen
als noch vor einigen Monaten vorhanden sind. Das Ergebnis dieses Gipfels sollte zunächst einmal abgewartet
werden.
Unternimmt die Bundesregierung in der institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen der Europäischen
Union und der SADC, also der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrikas, sowie der AU Schritte, damit in diesem Prozess dieses Thema sehr hochrangig bearbeitet wird und Maßnahmen ergriffen werden, um
Simbabwe in der derzeitigen Lage erst einmal zu stabilisieren?
Frau Dr. Eid, es ist Folgendes festzustellen: Vor einiger Zeit - ich glaube, das war im November - war Herr
Tsvangirai hier in Berlin zu Besuch. Er hat noch einmal
deutlich gemacht, dass die Machtteilung, die vereinbart
worden ist, für ihn ein ganz wesentlicher Schritt zur Stabilität ist. Dazu gehört natürlich auch der andere Partner.
Die Frage ist: Ist Mugabe überhaupt bereit, diese Machtteilung so zu vollziehen, wie man sie vereinbart hat?
Ein zweiter Punkt ist, dass es nicht nur um die Rolle
der Bundesregierung geht, sondern dass es um ein gemeinsames Handeln, ein synchrones Vorgehen in der Europäischen Union geht, um gegenüber den Partnern im
Süden Afrikas deutlich zu machen, dass es in erster Linie ihre Aufgabe ist, entsprechend Einfluss zu nehmen,
dass beispielsweise dieses Machtteilungsabkommen umgesetzt wird und es möglicherweise zu weiteren Schritten kommen kann. Aber das ist in erster Linie vor Ort zu
leisten.
Herr Staatsminister, wie bewertet die Bundesregierung Forderungen, die zum Beispiel zuletzt von Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Tutu erhoben worden sind, Robert Mugabe, der die Macht nicht freiwillig
hergeben wird, militärisch von der Macht zu entfernen,
um endlich das Leiden der Bevölkerung zu beenden? Ich
darf hinzufügen: Ich halte die politischen Mittel für noch
nicht ausgeschöpft. Aber trotzdem ist das ein Beweis dafür, dass die Menschen im südlichen Afrika wirklich aus
schierer Verzweiflung nicht mehr anders können, als
eine militärische Intervention zu fordern. Wie beurteilen
Sie das?
Frau Dr. Eid, wir sind uns sicherlich einig über das,
was Herr Mugabe angerichtet hat, und darin, dass er eigentlich gar nicht mehr in diese vereinbarte Machtteilung passt, weil er gegen das Abkommen verstoßen hat
und in der Tat Menschenrechtsverletzungen gegenüber
seinem eigenen Volk begangen hat. Aber ich bitte auch
darum, wie ich vorhin schon auf eine andere Frage geantwortet habe: Da die Afrikanische Union und die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrikas offensichtlich erkannt haben, dass sie den Prozess nicht so
weiterführen können, wie sie ihn bisher eingeschätzt haben, sollten wir einfach diesen Sondergipfel abwarten.
Dann gibt es möglicherweise weitere Entscheidungen,
die wir im Rahmen der Europäischen Union treffen müssen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Müller.
Herr Staatsminister, wir haben heute vom Außenminister im Ausschuss erfahren, dass der Sondergipfel,
auf den Sie sich gerade beziehen, wahrscheinlich gar
nicht stattfinden wird, weil er nämlich zurzeit aktiv von
Südafrika, dem untauglichen Vermittler, hintertrieben
wird. Deshalb können Sie sich eigentlich nicht darauf
berufen, dass man die Ergebnisse abwarten sollte.
Was tun die Bundesregierung und die Europäische
Union im Rahmen eines kohärenten Vorgehens, wenn
die Afrikaner nicht tagen oder wenn sie tagen und nicht
handeln? Ich möchte in diesem Zusammenhang noch
einmal auf die Responsibility to Protect verweisen. Darin heißt es: Wenn ein Staat seiner Verantwortung nicht
gerecht wird, ist die gesamte internationale Gemeinschaft in der Pflicht. Man kann es also nicht auf die AU
schieben, die vielleicht teilweise mit Mugabe unter einer
Decke steckt. Was tun Sie, wenn die Menschen massenweise an Cholera sterben und diese Krankheit auf die
Nachbarländer übergreift?
Frau Kollegin Müller, Sie wissen aus früheren Aufgaben, dass ich keinen Grund habe, meinem Außenminister zu widersprechen. Dass der Gipfel nicht stattfindet,
das mag so sein, weil es unterschiedliche Entwicklungen
gibt. Aber beabsichtigt ist natürlich, dass dieser Gipfel
stattfindet. Es ist deutlich geworden, dass die Einschätzung der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft
gegenüber dem Regime Mugabe in der Vergangenheit
möglicherweise nicht richtig gewesen ist.
Ich erinnere an die ganzen Debatten im Vorfeld des
EU-Afrika-Gipfels im letzten Jahr unter portugiesischer
Präsidentschaft, bei der es um die Frage ging, ob man
Mugabe einlädt oder nicht, und bei der es zu einer Gegenreaktion der afrikanischen Staaten gekommen ist und
sie Mugabe unterstützt haben, weil sie es für notwendig
gehalten haben, dass er an dem Gipfel teilnimmt. Daran
sieht man aber, dass mittlerweile auch in den Ländern
des südlichen Afrikas ein Umdenken stattgefunden hat,
auch wenn es viel zu lange gedauert hat. Ich hoffe, dass
dieses Umdenken auch zu konkreten Schritten führt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Hakki Keskin
auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von türkischen Migrantenverbänden in Deutschland ({0}), dass sich in den zurückliegenden zwei Jahren
rechte Gewalt zunehmend gegen Migrantinnen und Migranten
mit türkisch-muslimischem Hintergrund richtet, vor dem Hintergrund, dass im Zeitraum von Februar 2006 bis April 2008
einer Auflistung der Türkischen Gemeinde Nürnberg zufolge
94 gemeldete Angriffe gegen türkische Migrantinnen und Migranten, ihr Eigentum, ihre Vereinigungen und Moscheen in
Deutschland registriert worden sind, und, wenn ja, welche
Konsequenzen zieht sie hieraus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Mit Ihrer und Herrn
Keskins Zustimmung würde ich gern die Fragen 22 und
23 im Zusammenhang beantworten. Sie können dann
entsprechend mehr Zusatzfragen stellen.
Dann rufe ich auch die Frage 23 des Kollegen
Dr. Hakki Keskin auf:
Welche notwendigen Schutzvorkehrungen sind bislang getroffen worden, um türkische Migrantinnen und Migranten,
ihr Eigentum und ihre Vereinigungen und Moscheen vor der
gestiegenen rechten Gewalt zu schützen, und, sollten keine
Maßnahmen ergriffen worden sein, welche Schutz- und Präventionsmaßnahmen wird die Bundesregierung beschließen,
um Angriffe gegen türkische Migrantinnen und Migranten zu
verhindern?
Herr Kollege Keskin, die Bundesregierung ist sich insofern mit den Migrantenverbänden und, wie ich denke,
auch mit Ihnen einig, dass wir der Auffassung sind, dass
sich die Zahl rechter Gewalttaten ganz generell und speziell die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten in
Deutschland seit Jahren auf einem viel zu hohen Niveau
bewegt und dass bisher leider auch keine Anzeichen für
eine Wende zum Besseren zu erkennen sind; das muss
man deutlich sagen. Das ist ein Zustand, der nicht hinnehmbar ist.
Der Bundesregierung liegen jedoch keine belastbaren
Erkenntnisse vor, dass Migrantinnen und Migranten mit
türkisch-muslimischem Hintergrund von den Gewalttaten, die Sie angesprochen haben, überproportional betroffen sind, etwa im Vergleich zu Personen aus anderen
Herkunftsländern, zum Beispiel mit Personen aus Afrika. Allerdings ist zu sagen, dass die Bundesländer für
die Fallzahlen und die Einordnung der Fälle in die einzelnen Kategorien zuständig sind. Das ist etwas, was die
Bundesregierung und das BKA nicht im Einzelfall überprüfen können.
Nach den bestehenden Richtlinien ist für die Einordnung einer Tat als fremdenfeindliche Straftat allein die
Motivation des Täters maßgebend. Die Einschätzung
wird auch dadurch erschwert, dass die Angaben des Opfers zu seinem Migrationshintergrund und/oder seiner
Religionszugehörigkeit freiwillig sind und auch nicht
auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Das alles
macht es schwierig, anhand der Zahlen Trends festzustellen und zu eindeutigen Einschätzungen zu kommen.
Ich glaube aber, man kann zumindest nicht sagen, dass
sich aus den Zahlen ein überproportionaler Anstieg ergibt.
Was die von Ihnen zitierten 94 Angriffe auf türkischmuslimische Migrantinnen und Migranten anbelangt, die
auf der von Ihnen erwähnten Internetseite genannt werden, so haben die Bundesländer dem Bundeskriminalamt
bislang nur einen Bruchteil dieser Fälle als politisch
rechts motivierte Straftaten gemeldet.
Einige der aufgelisteten Taten sind deshalb dem Phänomenbereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität zugeordnet worden, weil sie offensichtlich im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die
PKK und mit der Kurdenproblematik stehen. Andere Ereignisse sind entsprechend den Ermittlungsergebnissen
von den zuständigen Landeskriminalämtern gar nicht als
politisch motivierte Kriminalität erfasst worden, obwohl
sie die Öffentlichkeit stark bewegt haben, zum Beispiel
der verheerende Brand eines Wohnhauses in Ludwigshafen am 3. Februar dieses Jahres, bei dem die zuständige
Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen zu
dem Ergebnis gekommen ist, dass eine vorsätzliche
Brandstiftung oder gar ein Brandanschlag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. So viel zu Ihrer ersten Frage.
Ihre zweite Frage, welche notwendigen Schutzvorkehrungen die Bundesregierung bislang getroffen hat,
kann ich dahin gehend beantworten, dass sich die unmitParl. Staatssekretär Peter Altmaier
telbaren polizeilichen Schutzmaßnahmen im Hinblick
auf konkrete Personen und konkrete Objekte nach der
Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in der
Zuständigkeit der Länder befinden. Das heißt, der Bund
hat in diesem Bereich keine Einflussmöglichkeiten. Wir
leisten aber nach besten Kräften Beiträge zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit ganz generell. Beispielsweise haben Bund und Länder gemeinsam seit dem
Jahr 1992 insgesamt 28 rechtsextremistische Vereine
verboten. Ein weiteres Vereinsverbot befindet sich in der
Vorbereitung und wird derzeit geprüft. Es gibt zudem ein
breites Spektrum verschiedenster Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und der politischen Bildung, vor allem auch für junge Menschen, die oftmals von diesen
Problemen besonders betroffen sind. Wir wollen dadurch einen Beitrag gegen die Entstehung und Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit leisten.
Das können Sie auch daran sehen, dass die Bundesregierung zivilgesellschaftliche Kräfte unterstützt, die sich
gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus
und Gewalt wenden. Die Bundeszentrale für politische
Bildung spielt insofern eine wichtige Rolle, als sie Bildungsangebote für Schulen, Ausbildungsstätten und Jugendhäuser unterbreitet und Publikationen und Veranstaltungen zur Stärkung der Zivilgesellschaft gegen
rechtsextremistische Einflüsse herausgibt bzw. durchführt.
Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Altmaier, ich danke Ihnen für Ihre
Ausführungen. Trotzdem habe ich noch zusätzliche Fragen.
Laut des Webportals mit dem Namen „MUT gegen
rechte Gewalt“ sind in den Jahren 1990 bis einschließlich 2008 über 140 Menschen durch Rechtsextreme ermordet worden. Ist diese Zahl der Bundesregierung bekannt?
Ich kann diese Zahl weder bestätigen noch dementieren. Insofern kann ich nur auf die Statistiken im Rahmen
des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes verweisen.
Diese Statistiken sind Ihnen ja bekannt. Sie können daraus die gleichen Schlüssen wie die Bundesregierung
ziehen. Alle Zahlen, über die wir verfügen, liegen auch
der Öffentlichkeit vor.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung,
dass der Schutz eines jeden Menschen vor rechtsradikaler Gewalt bzw. vor Gewalt insgesamt mit zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsstaates gehört, und was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um diesen
offensichtlich fehlenden Schutz - selbst wenn diese Zahlen nicht exakt zutreffen, ist es trotzdem eine Vielzahl
von Menschen, Dutzende, die durch rechte Gewalt getötet worden ist - sicherzustellen? Was gedenkt die Bundesregierung in dieser Hinsicht zu tun?
Herr Kollege Keskin, ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu, dass diese Menschen geschützt werden
müssen. Das gilt übrigens nicht nur für die Menschen,
sondern auch Sachen müssen gegen Gewalt geschützt
werden. Das gilt ganz generell und selbstverständlich
auch für rechts- oder linksextremistische Gewalt.
Ich habe ja bereits ausgeführt, dass die einzelne konkrete Maßnahme, die zu ergreifen ist - ob man zum Beispiel für Polizeischutz sorgt oder ein bestimmtes Objekt
unter Bewachung stellt -, von den Polizeien der Bundesländer durchgeführt werden muss. Hier hat der Bund
keine originären Kompetenzen. Der Bund hat allerdings
die Möglichkeit, durch den Bundeshaushalt und im Rahmen seiner allgemeinen Zuständigkeiten dafür zu sorgen, dass das Bewusstsein geschärft wird.
Wir können übrigens auch anregen - das tun wir ja -,
dass über diese Dinge in der Konferenz der Innenminister der Bundesländer, in der wir Gast sind, regelmäßig
gesprochen wird. Wie Sie auch den Presseberichten entnehmen können, haben wir uns dort in den letzten Monaten auch intensiv mit der Finanzierung von rechtsextremistischen Vereinigungen und mit den Umtrieben dieser
Vereinigungen beschäftigt. Das wird sicherlich auch in
Zukunft der Fall sein.
Eine letzte Zusatzfrage.
Sie haben noch zwei, Herr Kollege Keskin.
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. Herr Staatssekretär, ich habe mir die Statistiken in der Tat angeschaut. Es
gibt Differenzen zwischen den offiziellen Angaben beispielsweise des Bundesinnenministeriums oder des Verfassungsschutzes und der sonstigen Organisationen. Daher stellen viele Migrantenorganisationen und -verbände
seit langem die Forderung, auch in der Bundesrepublik
Deutschland unabhängige Beobachtungsstellen - in anderen Ländern wie Schweden, Großbritannien oder in
den USA werden sie Ombudsstellen genannt - einzurichten, deren Aufgabe es sein könnte, sich um die Opfer
zu kümmern, das Geschehen genauestens zu beobachten
und sich ähnlich wie ein Rechtsanwalt ernsthaft um die
Betroffenen zu kümmern und die notwendigen Schritte
zu unternehmen. Meinen Sie nicht, dass wir auch in der
Bundesrepublik Deutschland solche Beobachtungsstellen benötigen?
Herr Kollege Keskin, Sie gehen jetzt ein Stück weit
über Ihre Fragestellung hinaus, die sich darauf bezog,
wie wir die Situation einschätzen und was wir tun, um
Menschen davor zu schützen, Opfer solcher Gewalttaten
und Übergriffe zu werden. Ihre Zusatzfrage bezieht sich
auf die Frage, wie wir denjenigen helfen können, die Opfer geworden sind.
Ich gebe Ihnen recht, dass diese Frage sehr wichtig
ist. Welche Instrumente man dazu benötigt, muss im politischen Raum - auch von den Fraktionen des Deutschen Bundestages - diskutiert werden. Die Bundesregierung wird sich dann, wenn entsprechende
Anregungen an sie herangetragen werden, dazu äußern
und Stellung nehmen.
Gestatten Sie eine letzte Frage?
Ich gestatte noch eine Zusatzfrage.
Danke sehr. Wir haben vor wenigen Jahren ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Im Rahmen dieses Gesetzes hätten wir sowohl auf Bundes- als auch auf
Länderebene genau diese Einrichtungen schaffen können - ich habe immer wieder darauf verwiesen, dass wir
an dieser Stelle ein Defizit haben -; das ist aber leider
bislang nicht geschehen. Herr Staatssekretär Altmaier,
meinen Sie als zuständiger Staatssekretär im Bundesinnenministerium nicht, dass wir nunmehr entsprechende
Schritte unternehmen müssten?
Herr Kollege Keskin, ich muss darauf hinweisen, dass
nach meiner Kenntnis das Antidiskriminierungsgesetz
nicht unter Federführung des Bundesinnenministeriums
auf den Weg gebracht worden ist.
Unabhängig davon ist das Gesetz so, wie es verabschiedet worden ist, von der Mehrheit des Deutschen
Bundestages beschlossen worden. Es ist auch vorher
noch in vielen Punkten geändert worden. Insofern richtet
sich Ihre Frage im Grunde nicht an die Bundesregierung,
sondern an die Mehrheit im Parlament bzw. an die Fraktionen im Parlament, die dieses Gesetz beschlossen haben.
Die Frage 24 der Kollegin Petra Pau wird schriftlich
beantwortet.
Wir sind deswegen am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Altmaier, für die Beantwortung der Fragen.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen beantwortet
Frau Staatssekretärin Nicolette Kressl.
Die Frage 25 des Kollegen Hans-Joachim Fuchtel
wird schriftlich beantwortet ebenso wie die Fragen 26
und 27 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die Fragen 28
und 29 der Kollegin Christine Scheel und die Fragen 30
und 31 des Kollegen Jürgen Koppelin.
Damit rufe ich die Frage 32 des Abgeordneten HansChristian Ströbele auf:
Welche Auflagen gemäß § 5 Abs. 2 bis 4 der Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung, FMStFV - insbesondere zu
Vergütungshöhe, Abfindungen, Boni und anderen Vergütungsteilen von Organmitgliedern sowie zu Beschränkungen
und Gestaltungen der Geschäftstätigkeit -, hat die Bundesregierung nach ihren eigenen dahin gehenden Ankündigungen
- „höchstens 500 000 Euro“; vergleiche taz, 21. Oktober 2008 konkret denjenigen 15 Banken auferlegt bzw. wird dies tun,
die seither staatliche Garantien sowie Eigenkapitalhilfen beantragten ({0}), und ist die Bundesregierung gewillt, nach ihrer ablehnenden Antwort auf meine entsprechende Frage in der Fragestunde des Bundestages am 12. November 2008 ({1}) nun zu beachten, dass derlei
Auskünfte gemäß § 10 a Abs. 2 Satz 1 FMStFG keineswegs
ausschließlich dem SoFFin-Kontrollgremium des Bundestages zustehen, sondern die gesetzlichen Kontrollrechte aller
Abgeordneten und sonstigen Ausschüsse uneingeschränkt bestehen bleiben, zumal die Bundesregierung zu solchen Nachfragen Anlass gibt, etwa indem sie trotz Rüge der EU-Kommission der Commerzbank zu wenig Kreditzinsen
abverlangen wollte ({2})?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrter Herr Kollege, bislang sind Garantien
gemäß § 6 des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes
zugunsten der Hypo Real Estate Holding AG, der HSH
Nordbank sowie der Bayern LB gewährt worden. Entsprechend sollen den Antragstellern bei Stabilisierungsmaßnahmen in Form der Garantie Auflagen gemäß § 5
Abs. 2 Nr. 1 der entsprechenden Verordnung aufgegeben
werden. Auflagen zu Vergütungshöhe, Abfindungen,
Boni und anderen Vergütungsteilen von Organmitgliedern sind für Garantien hingegen nicht vorgesehen.
Zu den konkreten Vertragsgestaltungen der bereits abgeschlossenen oder künftigen Stabilisierungsmaßnahmen darf sich die Bundesregierung - insoweit bleiben
wir bei unserer Position - nur gegenüber dem eigens dafür eingerichteten Gremium zum Finanzmarktstabilisierungsfonds gemäß § 10 a des Gesetzes äußern. Dieses
Gremium ist eingerichtet worden, um die Mitglieder des
Deutschen Bundestages über die konkrete Ausgestaltung
von Stabilisierungsmaßnahmen informieren zu können,
ohne dabei die berechtigten Geheimhaltungsinteressen
der betroffenen Unternehmen zu verletzen. Diese Regelung des § 10 a wurde nach ausführlicher Debatte des
Gesetzgebers, also dieses Parlaments, unter Abwägung
der widerstreitenden Interessen des Parlaments auf der
einen Seite und der Antragsteller auf der anderen Seite
getroffen. Der verfassungsgemäße parlamentarische Informationsanspruch ist im Übrigen selbst durch die Verfassung begrenzt, in diesem Fall durch den in
Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährten Schutz von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Kollegin, können Sie mir sagen, wie ich als Bundestagsabgeordneter mein Kontrollrecht gegenüber der
Bundesregierung ausüben soll, wenn ich überhaupt
keine Informationen über die Ausgestaltung der geforderten Auflagen oder Ähnliches bekomme? In dem Gesetz steht ja nicht, dass nur dieses Gremium Informationen bekommen darf. Es heißt dort, dass dieses Gremium
Informationen bekommt und die Mitglieder dieses Gremiums zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet sind.
Also auch mir darf mein Kollege nicht mitteilen, was er
dort erfahren hat. Wie kann ich dann noch meiner parlamentarischen Pflicht - so fasse ich es jedenfalls auf - zur
Kontrolle dieser Abgabe von Garantieerklärungen in
Milliardenhöhe nachkommen?
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben sich wieder auf
Garantieerklärungen, also Bürgschaften, bezogen. Ich
weise noch einmal darauf hin, dass dafür diese Auflagen
nicht gelten. Dies wollte ich zunächst fachlich klarstellen.
Gerade Sie wissen doch, dass es auch bei anderen
Themenfeldern zur Geheimhaltung verpflichtete Gremien gibt, die den Kontrollauftrag des gesamten Parlaments sicherstellen. Ich habe schon darauf hingewiesen,
dass es im Gesetzgebungsverfahren eine Abwägung zwischen den verschiedenen Pflichten gibt. Da wir aber
grundgesetzlich auf die von mir angesprochene Wahrung
von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verpflichtet
sind, hat sich der Gesetzgeber - die Mehrheit dieses Parlaments - nun eben dafür entschieden, Detailinformationen, also die konkreten Vertragsgestaltungen, nach denen Sie gefragt haben, ausschließlich dem zur
Geheimhaltung verpflichteten Gremium zu geben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Kollegin, ich nehme einmal an, Sie stimmen mit
mir darin überein, dass das Recht zur Kontrolle des
Haushalts eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste
Recht des Parlaments gegenüber einer Regierung ist.
Wenn jetzt beschlossen worden ist, dass ein Betrag - ich
meine den Gesamtbetrag: die Garantieerklärungen und
alles andere - in mehrfacher Höhe des Bundeshaushalts
vergeben werden kann, ohne dass über 90 Prozent der
Abgeordneten wissen können, unter welchen Voraussetzungen Gelder vergeben werden, dann kann das Haushaltsrecht der Abgeordneten nicht mehr wahrgenommen
werden. Dies unterscheidet sich grundlegend von der
Kontrolle der Geheimdienste. Mir ist auch bewusst, dass
die Bestimmung, die Sie ins Gesetz aufgenommen haben, zum Teil wörtlich den Bestimmungen des Gesetzes
über die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste,
also des PKG-Gesetzes, nachgebildet worden ist. Beim
einen Fall geht es um die Kontrolle von Geheimdiensten,
beim anderen Fall um das Haushaltsrecht des Deutschen
Bundestages, das praktisch für obsolet erklärt worden
ist.
Herr Kollege, ich stimme Ihnen in keiner Weise zu.
Es geht nicht um das Haushaltsrecht. Über die Frage,
wie viele Mittel insgesamt zur Verfügung gestellt werden, wird natürlich auch im Haushaltsausschuss entschieden. Aber Ihre Frage bezog sich nicht auf die Zurverfügungstellung eines bestimmten Mittelvolumens,
sondern auf die konkrete Ausgestaltung von Verträgen
zwischen Unternehmen. Daraufhin habe ich Ihnen die
grundgesetzliche Verpflichtung sowohl der Bundesregierung als auch des Parlaments beschrieben. Ich will in
meiner dritten Antwort noch einmal darauf hinweisen,
dass sich das Parlament selbst in seiner Funktion als Gesetzgeber und nicht die Bundesregierung - Sie wissen
doch, wie es funktioniert - für dieses Geheimgremium
entschieden hat.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 33 und 34 des
Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff, die Fragen 35 und 36
des Abgeordneten Jens Ackermann sowie die Fragen 37
und 38 des Kollegen Frank Spieth werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter auf.
Warum gestaltet sich die Zugänglichmachung der Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die Pilotprojekte der Betreibermodelle zum mehrstreifigen Ausbau von Autobahnen so
schwierig, obwohl eine Kleine Anfrage ({0}) von der Bundesregierung dahin gehend beantwortet wurde, dass Daten dazu dem Parlament unter Wahrung der entsprechenden Vorgaben der Vertraulichkeit über
den Haushaltsausschuss zugänglich seien, und wann rechnet
die Bundesregierung mit der Möglichkeit der Einsichtnahme
für Bundestagsabgeordnete in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die Pilotprojekte der Betreibermodelle zum mehrstreifigen Ausbau von Autobahnen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Hofreiter, die Antwort lautet wie folgt: Die Antwort auf die Kleine Anfrage besagte, dass dem Parlament im Bedarfsfall bei
Wahrung der entsprechenden Vorgaben vertrauliche Dokumente zur Verfügung gestellt werden könnten. Eine
im Rahmen der nunmehr konkret an den Haushaltsausschuss gerichteten Anfrage erfolgte abschließende Prüfung hat ergeben, dass für diesen konkreten Fall die
Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages die geeignete Stelle ist. Die Überleitung der gewünschten
Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages ist immer an die vorhergehende Prüfung der Rechtslage gebunden. Dies erfordert einen zeitlichen Vorlauf. Wir sind bemüht, Ihnen
bis zum Ende der Woche das Ergebnis der rechtlichen
Prüfung mitzuteilen.
Ihre erste Zusatzfrage.
Sie gestehen also ein, dass die Antwort auf die Kleine
Anfrage, dass ich mir jederzeit die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen via Haushaltsausschuss ansehen kann,
falsch war?
Herr Kollege Hofreiter, wir haben aufgrund der Anfrage des Haushaltsausschusses geprüft. Wir werden nun
weiter prüfen - im Laufe dieser Woche wird Ihnen das
Ergebnis mitgeteilt -, ob die Möglichkeit besteht, Einsicht zu nehmen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Das heißt, Sie leiten es nicht dem Haushaltsausschuss
zu, sondern, wenn überhaupt, der Geheimschutzstelle?
Ja.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Inwieweit trifft es zu, dass im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ein zweiter Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften erarbeitet wird, und wann rechnet die
Bundesregierung mit der parlamentarischen Behandlung?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Dr. Hofreiter, folgende Antwort dazu: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
hat im August 2008 einen Referentenentwurf für ein
Gesetz zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher
Vorschriften vorgelegt und hierzu eine Anhörung der
Bundesländer und der Verbände durchgeführt. Der
Gesetzentwurf dient in der Hauptsache dazu, das Personenbeförderungsgesetz und das Allgemeine Eisenbahngesetz an die Verordnung der EG 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße
und zur Aufhebung der Verordnungen der EWG 119/69
und der EWG 1107/70 des Rates anzupassen. Die Prüfung der Anhörungsvorschläge ist noch nicht abgeschlossen.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, mir ist bekannt, dass es zwei
völlig unterschiedliche Referentenentwürfe in Ihrem
Haus gibt. Meine Frage lautet: Ist auch Ihnen das bekannt?
Ich gehe davon aus, dass wir einen Referentenentwurf
zur Anhörung verschickt haben, und der gilt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Meine Frage galt nicht dem verschickten Referentenentwurf. Der ist inzwischen offiziell öffentlich. Meine
Frage betrifft den zweiten Referentenentwurf, der dem
ersten konträr widerspricht. Ist Ihnen bekannt, dass ein
solcher vorliegt, und können Sie etwas zu dessen Inhalten sagen? - Sie brauchen mir nichts zu den Inhalten zu
sagen; denn ich habe ihn ohnehin.
Herr Dr. Hofreiter, wenn Sie mehr als ich wissen,
dann tun Sie das, was Sie vorgeschlagen haben.
Die Frage 41 des Kollegen Peter Hettlich und die
Frage 42 des Kollegen Dr. Ilja Seifert werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Veronika Bellmann
auf:
Wie ist der Sachstand des Streckenausbaus der Eisenbahnstrecke Dresden-Berlin, und in welcher Höhe sind Mittel dafür im Bundeshaushalt 2009 verankert bzw. vorgesehen?
Liebe Kollegin Bellmann, die Ausbaustrecke Berlin-Dresden wird in zwei Baustufen realisiert. Die erste
Baustufe ist der Ausbau auf 160 km/h, der teilweise realisiert ist, und die zweite Ausbaustufe ist der Ausbau
auf 200 km/h. Für die Maßnahmen der ersten Baustufe,
erste Realisierungsstufe, ist die Inbetriebnahme erfolgt.
Es finden noch Restarbeiten statt.
Was den Streckenausbau im Rahmen von Maßnahmen der zweiten Realisierungsstufe der ersten Baustufe
- also die geplanten Investitionen von rund 199,9 Millionen Euro, davon Finanzierungsanteil des Bundes von
132 Millionen Euro und EFRE-Mittel von 57,3 Millionen Euro - betrifft, ist der Baubeginn für 2009 vorgesehen. Die Einzelfinanzierungsvereinbarung hierfür wurde
am 11. Dezember 2008 gezeichnet.
Die Ausbaustrecke Berlin-Dresden wurde in die indikative Liste der Großprojekte des EFRE-Bundesprogramms, operationelles Programm Verkehrsinfrastruktur, für die Förderperiode 2007 bis 2013 aufgenommen.
Die Europäische Kommission hat das operationelle Programm und die indikative Liste der Großprojekte am
7. Dezember 2007 genehmigt. Im Juli 2008 wurde die
DB Netz AG gebeten, die erforderlichen Schritte für die
Erarbeitung von zwei Großprojektanträgen zur EFREFinanzierung zu unternehmen. Dem Vernehmen nach
liegen erste Antragsentwürfe zur DB-AG-internen Prüfung vor.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Sie sagten, dem Vernehmen nach lägen erste Entwürfe vor. Wie schätzen Sie denn den realisierbaren
Baubeginn ein? Der Hintergrund ist: Wir hatten jetzt den
Fahrplanwechsel und fahren von Dresden bis Berlin
18 Minuten länger. Wir liegen heute weit über der Fahrzeit von 1936, als man noch mit der Dampflok gefahren
ist. Ich habe diese Frage schon des Öfteren gestellt. Ich
möchte jetzt gerne wissen: Wann kann es wirklich losgehen?
Liebe Kollegin Bellmann, ich verstehe die Dringlichkeit Ihrer Frage. Sie möchten gern, dass alles übermorgen erledigt ist. Ich habe aber gerade angedeutet, dass
wir die erfreuliche Nachricht haben, dass wir im
Jahr 2009 mit der Realisierungsstufe beginnen und immerhin 199,9 Millionen Euro für dieses Projekt zur Verfügung stellen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich wiederum auf
diese Strecke. Die Strecke Berlin-Dresden ist im TENLeitschema der Europäischen Union als Hochgeschwindigkeitsstrecke von 200 km/h festgelegt. Im Verlauf der
letzten Jahre und Monate ist man auf das Thema EFREFinanzierung gekommen: 160 km/h mit der Option
200 km/h.
Die Finanzierungsvereinbarung von etwas mehr als
199 Millionen Euro, die vor kurzem mit der DB AG getroffen wurde, bezieht sich lediglich auf die Beseitigung
von Langsamfahrstrecken. Der Ausbau der Strecke auf
160 km/h mit Option 200 km/h steht damit für meine
Begriffe in weiter Ferne. Wie beurteilen Sie das, Frau
Staatssekretärin?
Frau Bellmann, zunächst muss dieses Projekt realisiert werden. Wenn das geschehen ist, kommt man
schneller von Berlin nach Dresden.
({0})
Das ist Ziel und Zweck dieser Veranstaltung.
Im nächsten Projekt wird die Frage der Finanzierung
und der Realisierung behandelt. Wir haben mehrere Stufen, insgesamt drei, wie Sie wissen. Deshalb wird nicht
alles auf einmal geschehen, sondern nacheinander. Wir
werden uns bemühen, die Projekte im Bereich der
Schiene - übrigens im Osten wie im Westen - im Rahmen unserer Haushaltsmöglichkeiten so zu organisieren
und zu finanzieren, dass sie möglichst bald durchgeführt
werden können. Auch Sie wissen: Wir können nicht
sämtliche Projekte im Bereich des Schienenverkehrs
gleichzeitig finanzieren. Deshalb bin ich froh, dass wir
am 11. Dezember eine Vereinbarung getroffen haben.
Der nächste Schritt wird folgen, und Sie bleiben am Ball.
({1})
Der Kollege Hofreiter würde gerne noch eine Zusatzfrage stellen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, wir haben im Verkehrsausschuss immer wieder interessante Erfahrungen
mit der DB AG gemacht. Es ist tröstlich, dass eine
Finanzierungsvereinbarung getroffen worden ist. Wir
wissen allerdings, dass das bei der DB AG in der Regel
wenig hilft. Das Treffen einer solchen Vereinbarung ist
zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung dafür, dass etwas passiert.
Mich würde der Zeitplan interessieren. Meine Nachfragen: Wann ist Baubeginn? Wann rechnen Sie mit dem
Abschluss dieser Bauarbeiten? Wann rechnen Sie damit,
dass die dritte Stufe, nämlich der Ausbau auf 160 km/h,
begonnen und abgeschlossen werden kann? Das ist das,
was die Leute interessiert. Sie wollen nicht wissen, ob
Sie eine Finanzierungsvereinbarung getroffen haben,
sondern wann die Langsamfahrstellen beseitigt werden
und wann für Beschleunigung gesorgt wird. Mich interessiert der Zeitplan für Anfang und Ende der Bauarbeiten. Was die dritte Stufe angeht: Wann sollen Anfang
und Fertigstellung sein?
Herr Dr. Hofreiter, ich habe gesagt - es ist ganz klar -,
2009 ist Baubeginn. Bis 2012, also insgesamt drei Jahre,
soll die Baumaßnahme durchgeführt werden. Das haben
wir geplant. Ich verstehe, dass Sie immer wieder kritische Diskussionen über die DB AG führen möchten. An
dieser Stelle ist aber ganz klar, dass wir im Rahmen dieser Vereinbarung den Baubeginn für 2009 avisieren. Bis
2012 soll diese Baumaßnahme realisiert sein.
Die Frage der dritten Ausbaustufe wird in den nächsten Jahren zu entscheiden sein. Wie gesagt, werden alle
Entscheidungen nacheinander getroffen.
Herr Kollege Mücke, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie werden verstehen, dass ich
der Meinung bin, dass Ihre Antworten nicht besonders
befriedigend sind. Wie Sie wissen, ist ursprünglich geplant gewesen, dieses Projekt 2007 fertigzustellen, und
zwar für Tempo 200 km/h. Mittlerweile schreiben wir
das Jahr 2008, bald beginnt das Jahr 2009, und Sie vertrösten uns hier auf das Jahr 2013 mit einem Ausbau bis
Tempo 160 km/h bzw. mit der Beseitigung von Langsamfahrstellen. Das ist insgesamt ein wenig befriedigender Zustand.
Ich höre, dass die Bundesregierung an einem zweiten
Konjunkturpaket bastelt. Ich gehe davon aus, dass in diesem Konjunkturpaket weitere, auch finanzielle Maßnahmen zur Stärkung der Infrastruktur vorgesehen sind.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass der Ausbau der
Bahnstrecke Dresden-Berlin für das Tempo 200 km/h
durch das Konjunkturpaket II mitfinanziert werden
wird?
Herr Kollege Mücke, zunächst zum Zeitraum: Die
Fertigstellung soll 2012 sein.
Es gibt in verschiedenen Bereichen Schienenprojekte,
die realisiert werden, wenn es ein zweites Konjunkturpaket gibt - worauf alles hindeutet. Ich will an dieser Stelle
sagen: Es geht auch um die Vorarbeiten für die dritte Realisierungsstufe, die man dann einleiten muss. Auch Sie
wissen: Man kann erst dann bauen, wenn die Planung
abgeschlossen ist. Insofern verstehe ich, dass Sie alle
sehr unglücklich darüber sind, dass das länger dauert als
geplant. Das gilt aber nicht nur für dieses Schienenprojekt, sondern auch für andere. Deshalb müssen wir jetzt
gemeinsam versuchen, die Schienenprojekte auf den
Weg zu bringen, die schon fertig geplant sind, und die
Planungen voranzubringen, die notwendig sind. Dafür
werden wir uns einsetzen.
Ich rufe die Frage 44 des Kollegen Lutz Heilmann
auf:
Würde die Bundesregierung die in Art. 5 Abs. 2 des
Staatsvertrags über eine feste Fehmarnbelt-Querung genannten Ausbauten auch dann realisieren, wenn es entgegen den
Planungen aufgrund von Kostensteigerungen oder anderer zukünftiger Entwicklungen nicht zur Realisierung einer festen
Fehmarnbelt-Querung kommen sollte, oder sieht sie dann dafür keinen Bedarf, und sieht die Bundesregierung die in Art. 5
Abs. 2 des Staatsvertrags über eine feste Fehmarnbelt-Querung genannten Ausbauvorhaben ausschließlich im Zusammenhang mit dem geplanten Bau einer festen FehmarnbeltQuerung?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Der Ausbau der Straßenhinterlandanbindung, wie in
Art. 5 Abs. 2 des Vertrages definiert, kann auch unabhängig von einer festen Fehmarnbelt-Querung realisiert
werden, da die Maßnahme in den „Weiteren Bedarf mit
Planungsrecht“ des aktuellen Bedarfsplans eingestuft ist.
Sie steht damit nicht ausschließlich im Zusammenhang
mit dem geplanten Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung.
Die Schienenhinterlandanbindung ist als „Internationales Vorhaben“ im aktuellen Bedarfsplan eingestuft. Der
Ausbau, wie in Art. 5 Abs. 2 des Vertrages definiert, steht
in unmittelbarem Zusammenhang mit der Realisierung
einer festen Fehrmarnbelt-Querung. Als erster Schritt ist
die Elektrifizierung der Schienenstrecke zwischen Lübeck und Puttgarden mit einem Baubeginn vorgesehen,
der dem der festen Fehmarnbelt-Querung zeitlich nachfolgt. Die Elektrifizierung soll spätestens zur Eröffnung
der festen Fehmarnbelt-Querung abgeschlossen sein. Bei
Nichtrealisierung der Fehmarnbelt-Querung wäre zur Bewältigung der prognostizierten Skandinavien-Verkehre
der Ausbau der Jütland-Linie erforderlich.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Ich hake einmal nach, da ich
dazu kürzlich auch eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt habe.
Wenn ich das jetzt einmal interpretiere, dann heißt das,
dass es ohne die Fehmarnbelt-Querung keinen verkehrlichen Bedarf für den Ausbau der Hinterlandanbindung
gibt. Wenn ich Ihre Antwort auf meine Kleine Anfrage
weiter interpretiere, dann gibt es auch keinen Bedarf für
den Ausbau in dem Fall, dass die Fehmarnbelt-Querung
kommt. Sie haben nämlich bestätigt, dass die Verkehrsbelastung der Fehmarnsund-Brücke auf absehbare Zeit
nicht so groß sein wird, dass ihr Ausbau erforderlich
wäre, dass die Brücke zweispurig und eingleisig bleiben
soll und dass es für den Ausbau auf absehbare Zeit - so
schreiben Sie in der Antwort auf meine Kleine Anfrage keinen Bedarf gibt. Wenn das so ist, dann gibt es logischerweise auch keinen Bedarf für den Ausbau der Hinterlandanbindung. Wenn das Nadelöhr FehmarnsundBrücke groß genug ist, dann ist mit Sicherheit auch die
weitere Anbindung ausreichend. Deswegen meine NachLutz Heilmann
frage: Warum soll die Hinterlandanbindung überhaupt
ausgebaut werden?
Ich habe heute das Protokoll eines Gesprächs erhalten, das am 21. November auf der Insel Fehmarn stattgefunden hat und in dem der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Stellung dazu bezogen hat. Er geht von
einem zweigleisigen Ausbau der Schienenanbindung
aus. Gibt es dafür überhaupt irgendwelche verkehrlichen
Bedarfe?
Es gibt, bezogen auf diese Frage, natürlich verkehrliche Bedarfe; sonst würden Dänemark und auch wir dieses Projekt so nicht realisieren. Wir haben uns im Rahmen unseres Vertrages mit den Dänen verpflichtet, auf
unserem Gebiet für die Hinterlandanbindungen zu sorgen. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass als erster
Schritt die Elektrifizierung im Bereich Lübeck-Puttgarden vorgesehen ist. Die weiteren Schritte folgen ab 2018.
Bis dahin wird man sehen, welche Entwicklung sich abzeichnet. Ihren Schluss, dass die Fehmarnsund-Brücke
kapazitätsmäßig ein Nadelöhr ist, teilen wir nicht.
Herr Heilmann, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Ja, ich habe noch eine weitere. - Sie haben ja eben gerade selbst gesagt, dass die Fehmarnsund-Brücke kein
Nadelöhr darstelle. In Verkehrsprognosen wird davon
ausgegangen, dass circa 9 000 Fahrzeuge diese BeltQuerung einmal passieren werden. Nun kenne ich aber
auch die Aussage eines Staatssekretärs aus dem Bundesverkehrsministerium,
({0})
der gesagt hat - das ist auch in einer Zeitschrift niedergelegt; die genaue Quelle kann ich Ihnen noch nachreichen -,
dass man für 10 000 Autos noch nicht einmal eine Umgehungsstraße um Bad Oldesloe bauen würde. Das heißt,
dass selbst aus dem Verkehrsministerium gesagt wurde,
dass es keinen Bedarf gibt. Das ist ja ein Widerspruch zu
Ihrer Aussage. Könnten Sie mir den noch einmal erläutern? Ich habe Ihnen ja jetzt eine konkrete Zahl genannt
und eine Aussage eines Staatssekretärs aus dem Bundesverkehrsministerium angeführt.
({1})
Frau Präsidentin! Herr Heilmann, Sie haben ja die Fehmarnbelt-Querung mit der Begründung des Bedarfs infrage gestellt. Hierzu will ich Ihnen sagen, dass die Europäische Union diese Querung als förderfähiges Projekt in
das Programm der transeuropäischen Netze aufgenommen hat. Dafür gibt es in Europa offensichtlich gute
Gründe. Deshalb wird Europa ja auch im Rahmen der
TEN-Förderprogramme diese Fehmarnbelt-Querung mitfinanzieren.
Sowohl die Europäische Kommission als auch Dänemark und wir befürworten die Fehmarnbelt-Querung
auch deshalb, weil sie vor dem Hintergrund der zukünftigen Entwicklung im europäischen Raum aufgrund der
anzunehmenden steigenden Verkehre zwischen Skandinavien und dem europäischen Festland, also sozusagen
zwischen dem Norden und dem Süden von Europa, notwendig ist.
Der Kollege Storjohann möchte gern noch eine Frage
hierzu stellen.
Frau Staatssekretärin, ist es nicht so, dass die Fehmarnsund-Brücke provisorisch auf drei Spuren erweitert
werden könnte? Mit einer solchen Maßnahme könnte
man ja den Bedenken des Kollegen Heilmann entgegenkommen.
Das ist richtig. Deshalb habe ich auch deutlich gemacht, dass wir sehr flexibel vorgehen können. Zunächst
einmal werden wir aber die Elektrifizierung vornehmen
und weitere Maßnahmen erst ab dem Jahr 2018. Wir
werden also schrittweise vorangehen. Auch deshalb sehen wir keinen Anlass, diese Fehmarnbelt-Querung infrage zu stellen.
Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Lutz Heilmann
auf:
Hat die Bundesregierung geprüft, ob eine SUP-Pflicht
- Strategische Umweltprüfung - nach dem Gesetz über die
Umweltverträglichkeitsprüfung, UVPG, vorliegt, und mit welchem Ergebnis?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Heilmann, der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Königreich Dänemark über eine feste FehmarnbeltQuerung ist nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht SUP-pflichtig. Es muss also keine
Strategische Umweltprüfung durchgeführt werden.
Nach § 14 b des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung können nur Pläne und Programme
SUP-pflichtig sein. Gemäß § 2 Abs. 5 des Gesetzes über
die Umweltverträglichkeitsprüfung sind Pläne und Programme im Sinne der Umweltverträglichkeitsprüfung
nur solche bundesrechtlich vorgesehenen Pläne und Programme, zu deren Ausarbeitung, Annahme oder Änderung eine Behörde durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften verpflichtet ist. Dies trifft aber auf den
Staatsvertrag nicht zu.
Für den geltenden Bundesverkehrswegeplan 2003 und
die Bedarfspläne auf der Grundlage des Verkehrswe21096
geausbaugesetzes war eine Strategische Umweltprüfung
noch nicht durchzuführen, da das Gesetz zur Einführung
einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung
der Richtlinie 2001/42/EG vom 25. Juni 2005 erst danach in Kraft getreten ist.
Ihre Zusatzfragen.
Danke, Frau Präsidentin. - Danke für die Antwort,
Frau Staatssekretärin, aber ich habe selbstverständlich
noch Nachfragebedarf.
Es ist auch mir klar, dass die Bundesregierung und
Dänemark kein Interesse an der Durchführung einer
SUP haben. Dann würde nämlich angesichts der katastrophalen Verkehrsprognosen deutlich werden, dass
diese feste Fehmarnbelt-Querung nicht notwendig ist.
Dann müssten auch Alternativen geprüft werden.
Dabei würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit herauskommen, dass die Fährlinie völlig
ausreichend ist. Eine echte und ernsthafte Prüfung von
Alternativen ist im deutschen Recht allerdings nicht vorgesehen. Dafür hat das Verkehrsministerium schon gesorgt. Im Linienbestimmungsverfahren ist gerade einmal
eine Prüfung von Trassenalternativen vorgesehen.
Anders ist es bei der EU, die sich an ihre eigenen
Richtlinien hält.
Herr Kollege Heilmann, Sie wollen doch sicher kein
Referat halten, sondern eine Zusatzfrage stellen.
Ja. - Die EU hat in verschiedenen Mitteilungen darauf hingewiesen, dass europäische Förderprogramme
sich natürlich an europäische Vorschriften halten müssen. Das gilt auch für die SUP-Richtlinie. Laut TENLeitlinie - jetzt komme ich gleich zu der Frage - ist vorgeschrieben, dass für jedes neue Infrastrukturprojekt
eine SUP durchzuführen ist. Deswegen meine konkrete
Nachfrage: Hat die EU für die Gewährung von TENMitteln die Bedingung gestellt, dass eine SUP für die
Fehmarnbelt-Querung durchgeführt wird, oder handelt
es sich laut EU bei der Fehmarnbelt-Querung um einen
Altfall, der somit grundsätzlich nicht SUP-pflichtig ist?
Ich bitte um Auskunft.
In meiner Antwort, Herr Heilmann, habe ich deutlich
gemacht, dass der Staatsvertrag gilt und damit keine
SUP vorgesehen ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage; das sollte aber wirklich eine Zusatzfrage sein.
Frau Staatssekretärin, Sie haben angesprochen, dass
die EU hier TEN-Mittel bewilligt hat. Da TEN-Mittel
zugesagt sind, war meine Nachfrage, ob die EU eine
SUP gefordert hat. Meine zweite Nachfrage ist: Ist Ihnen
bekannt, dass von der EU zum Beispiel für weitere Planungen der festen Fehmarnbelt-Querung keine Gelder
bereitgestellt werden? Das geht aus einer Antwort der
Bundesregierung an mich hervor. Können Sie dazu Stellung beziehen?
Zunächst zu den TEN-Mitteln, damit das hier deutlich
wird: Für die Förderperiode 2007 bis 2013 haben
Deutschland und Dänemark einen gemeinsamen Antrag
gestellt. Die EU hat eine Förderung in Höhe von rund
339 Millionen Euro für die feste Fehmarnbelt-Querung
und in Höhe von 12,7 Millionen Euro für Studien zur
Schienenhinterlandanbindung vorgesehen. Für die Förderprojekte im Zeitraum von 2014 bis 2020 sind zum
jetzigen Zeitpunkt noch keine Mittel beantragt. Erst einmal hat die EU Mittel bewilligt.
Was die SUP angeht, will ich noch einmal deutlich sagen: Der Staatsvertrag gilt, und dafür ist eine SUP nicht
notwendig. Deshalb wird die EU in diesem Zusammenhang keine weiteren Anforderungen stellen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Die Frage 46 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 47 und 48 des
Kollegen Hans-Josef Fell.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur
Pendlerpauschale
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Wissing, FDP.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte zunächst einmal festhalten: Die
Idee der Kürzung der Pendlerpauschale geht auf die Herren Roland Koch und Peer Steinbrück zurück. Beide haben den Verfassungsverstoß mit ihrer sogenannten Koch/
Steinbrück-Liste ins Spiel gebracht. Die Bundeskanzlerin war Feuer und Flamme für den Gedanken, und die
CDU/CSU hat zusammen mit der SPD die erforderliche
Mehrheit im Bundestag sichergestellt.
({0})
Der Versuch der CSU im bayerischen Wahlkampf, so
zu tun, als hätte sie mit der Sache nichts zu tun, war
dreist.
({1})
Sie haben ja sogar Unterschriften gegen Ihr eigenes Gesetz gesammelt.
({2})
Aber lassen Sie uns heute einmal einen Blick auf die
Haltung der Bundeskanzlerin werfen. Die Bundeskanzlerin hat sich die ganze Zeit beharrlich geweigert, die
Pendlerpauschale wieder voll anzuerkennen. Keinen
Millimeter hat sie sich bewegt. Die FDP hat entsprechende Anträge gestellt.
({3})
Die CSU hat gebettelt und gefleht. Aber die Bundeskanzlerin kannte zu dem Thema nur ein Wort: Nein.
Meine Damen und Herren, wir haben auch im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise entsprechende Anträge gestellt und darauf hingewiesen,
dass eine steuerliche Entlastung der Menschen in
Deutschland dringend erforderlich ist und die Pendlerpauschale für viele unverzichtbar ist. Die Bundeskanzlerin aber blieb bei ihrem schlichten Nein.
Am Tag der Urteilsverkündung hat nun die gleiche
Bundeskanzlerin die richterliche Entscheidung begrüßt
und erklärt - ich zitiere -:
Ich unterstütze und halte es für absolut wichtig,
dass wir das Geld angesichts der Wirtschaftslage
jetzt den Menschen zurückgeben.
({4})
Meine Damen und Herren, eines wollen wir hier einmal
ganz deutlich festhalten: In Sachen Pendlerpauschale
und Steuerentlastung ist die Bundeskanzlerin in
Deutschland nicht das Gaspedal, sondern die Bremse.
Sie musste vom Bundesverfassungsgericht zum Jagen
getragen werden.
({5})
Man braucht als Regierung schon Sadomaso-Tendenzen,
({6})
wenn man sich öffentlich darüber freut, dass die eigenen
Gesetze vom Bundesverfassungsgesetz für verfassungswidrig erklärt werden.
({7})
Was die CSU im bayerischen Wahlkampf gemacht
hat, war dreist. Wenn die Bundeskanzlerin jetzt versucht,
sich als Vorkämpferin für die Pendlerpauschale darzustellen, ist das mindestens genauso dreist. Aber der
Gipfel, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Bundesfinanzminister, der sich hinstellt und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schlicht als falsch bezeichnet.
({8})
Es mag vielleicht nicht dem Selbstverständnis von
Herrn Steinbrück entsprechen, aber es liegt wesentlich
näher, aus dem Urteil den Schluss zu ziehen, dass der
Bundesfinanzminister falsch liegt. Er liegt falsch mit seiner Kürzung der Pendlerpauschale. Er liegt falsch mit
seiner Mehrwertsteuererhöhung. Er liegt falsch mit seinem beharrlichen Festhalten an der kalten Progression
und seiner sturen Weigerung, die Menschen in Deutschland angesichts der Rezession, vor der wir stehen, steuerlich zu entlasten.
({9})
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war
absehbar. Bereits im Gesetzgebungsverfahren haben alle
Sachverständigen - auch die der Großen Koalition - auf
einen eklatanten Verstoß gegen das Grundgesetz hingewiesen. Deshalb hat die Wiedereinführung der Pendlerpauschale nichts, aber auch gar nichts mit einem Konjunkturprogramm der Bundesregierung zu tun.
({10})
Es ist auch keine großzügige Geste der Bundesregierung, dass sie den Menschen für die Jahre 2007 bis 2009
jetzt insgesamt 7,5 Milliarden zurückgeben wird. Es ist
schlicht und einfach der Sieg der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler über die Finanzpolitik der Großen Koalition. Sie müssen zahlen, weil Sie mit Ihrer verfassungswidrigen Steuerpolitik vor Gericht gescheitert sind.
({11})
Das Bundesverfassungsgericht hat richtig entschieden. Eine steuerliche Entlastung ist für die Menschen gegenwärtig sehr hilfreich. Die Frage ist nur, weshalb die
richtigen Antworten auf die schwierige wirtschaftliche
Situation vom Bundesverfassungsgericht kommen und
nicht von dieser Bundesregierung.
({12})
Sie sollten das zum Anlass nehmen - Sie sollten sich
jetzt vom Bundesverfassungsgericht belehrt fühlen und
sollten mit Ihrer Steuer- und Finanzpolitik etwas kleinlauter werden -,
({13})
dieses Land endlich aktiv zu gestalten und die Menschen
steuerlich zu entlasten. Es ist höchste Zeit.
Nach einer Infratest-Umfrage machen die bisherigen
Aussagen der Bundesregierung zur derzeitigen Rezession 53 Prozent der Deutschen Angst. Der effektivste
Schutz vor einem Abschwung ist aber das Vertrauen der
Menschen, dass wir die Krise gemeinsam bewältigen
können. Was wir in dieser Situation bräuchten, ist eine
Regierung, die den Menschen Orientierung gibt, damit
sie Zuversicht und Hoffnung schöpfen können.
Wenn man sich vor Augen führt, wie sich die Bundesregierung bei der Pendlerpauschale verhalten hat, wird
leider klar, dass Ihnen in der Finanzpolitik ein Standpunkt fehlt. Kein Wunder also, dass Sie auch keine
Orientierung haben.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich war am letzten Dienstag in Karlsruhe bei der
Urteilsverkündung.
({0})
Ich glaube, es gehört zur Aufrichtigkeit dazu, zuzugeben, dass dieser Tag für die Große Koalition im Deutschen Bundestag kein guter Tag war.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nicht einstimmig, aber eben doch mehrheitlich entschieden, dass
die 2006 mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossene Abschaffung der Pendlerpauschale unter anderem nicht mit dem objektiven Nettoprinzip vereinbar
ist.
({2})
Das ist zu akzeptieren. Wir sollten auch politisch die
Größe haben, diese Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht als solche zu bezeichnen.
({3})
Ich gehöre aber nicht zu denen, die jetzt sagen: Vielen
Dank, liebes Bundesverfassungsgericht! Danke für dieses zusätzliche Konjunkturprogramm!
Die Entscheidung im Jahre 2006, die Pendlerpauschale erst ab dem 21. Kilometer zu gewähren, haben
wir damals nicht aus Jux und Tollerei getroffen. Es gab
für uns damals zwingende haushalterische Gründe. Die
damit verbundenen Einsparungen sollten dazu beitragen,
den Bundeshaushalt, der damals ein strukturelles Defizit
von beinahe 60 Milliarden Euro aufwies, zu sanieren.
Aber: Urteil ist Urteil. Wir haben uns daran zu halten.
Insofern ist es folgerichtig, dass wir über die Rückkehr
zur alten Pendlerpauschale den Bürgerinnen und Bürgern für die Jahre 2007, 2008 und 2009 fast 8 Milliarden
Euro zurückgeben. Ich bin froh, dass das Geld hier wenigstens bei den Richtigen ankommt. Das sind nämlich
diejenigen, die tagtäglich früh aufstehen, teilweise lange
Strecken zur Arbeit auf sich nehmen, sich um ihre Familien kümmern, die Wirtschaft am Laufen halten und den
Karren in diesem Land ziehen.
({4})
All den Schlaumeiern, die schon immer gewusst haben, dass die Änderung bei der Pendlerpauschale verfassungswidrig ist, kann ich nur empfehlen, einmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu lesen.
({5})
Das Bundesverfassungsgericht sagt: Die dem Steuergesetzgeber - also uns - zustehende Gestaltungsfreiheit
umfasst von Verfassungs wegen die Befugnis, neue Regeln einzuführen, ohne durch Grundsätze der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen gebunden zu
sein.
({6})
Dies setzt allerdings voraus, dass wirklich ein neues
Regelwerk geschaffen wird.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht erklärt also das Werktorprinzip nicht grundsätzlich für unzulässig, sondern es
stellt fest, dass es prinzipiell im Ermessen des Gesetzgebers steht - aber eben nur dann, wenn hiermit auch ein
grundsätzlicher Systemwechsel erfolgt, ein Systemwechsel und nicht das seit Jahrzehnten übliche Herumgeschraube am Einkommensteuergesetz.
({8})
Ich empfinde deswegen dieses Urteil als Ruf des Bundesverfassungsgerichts nach dem großen Wurf bei der
Einkommensteuer. Wir sollten daher diese Entscheidung
als Anstoß betrachten, über einen wirklichen Systemwechsel in der Einkommensteuer nachzudenken. Es
muss eine Einkommensteuerreform geben, die entlastet,
die radikal vereinfacht und die schon aufgrund ihrer Einfachheit ein Mehr an Gerechtigkeit bedeutet.
({9})
Lassen Sie uns daran arbeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Abschaffung der Pendlerpauschale war von Anfang
an Murks. Dies hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht
bestätigt. Das Schlimme ist allerdings, dass Sie sehenden
Auges verfassungswidrige Gesetze durch den Bundestag
durchdrücken.
({0})
Sachverständige, aber auch Oppositionspolitiker der
FDP und der Linken haben Ihnen von Beginn an gesagt,
dass es so nicht geht, dass es verfassungswidrig ist.
Der Gipfel ist allerdings, dass die Bundeskanzlerin
aus dieser Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht nun einen Teil ihres Konjunkturprogrammchens
machen möchte. Sie sagte, dass es die richtige Antwort
auf die jetzige Wirtschaftssituation ist. Da kann man nur
noch hören und staunen.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat klipp und klar bestätigt, dass der Beitrag, den die staatliche Gemeinschaft
für das Funktionieren der Gesellschaft dem Einzelnen
abverlangen kann, eben nicht der Willkür von politischen Mehrheiten unterliegt, sondern gewissen Grundsätzen zu folgen hat. Es hat klar herausgestellt, dass der
Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gilt.
Dies war umso nötiger, weil Sie von der Großen Koalition zunehmend nur noch auf einer Seite entlasten, nämlich die Reichen und Vermögenden.
({2})
Die Erbschaftsteuer war das letzte Beispiel dafür. Diese
wissen mittlerweile gar nicht mehr, wohin mit ihrem
Geld, und zocken an den Finanzmärkten.
({3})
Auf der anderen Seite belasten Sie insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und
Rentner.
({4})
Wenn Herr Steinbrück dann in Reaktion auf das Urteil
verkündet: „Wir werden uns das Geld nicht an anderer
Stelle zurückholen; das verträgt die derzeitige Konjunkturlage nicht“,
({5})
dann frage ich mich wirklich, wo ich bin. Durch dieses
Urteil wird klar: Dies ist ein Rechtsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und beruht nicht auf
Großzügigkeit von Herrn Steinbrück.
({6})
Wenn er so formuliert, so muss man vermuten, dass er
schon im Kasten hat, wo er wieder zugreifen möchte. Eigentlich würde er den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die jetzt fällig werdenden 7,5 Milliarden Euro
am liebsten an anderer Stelle aus der Tasche ziehen. Genau das sagt er indirekt durch diesen Satz.
({7})
Schauen wir einmal in die Geschichte. CDU, CSU
und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die
Pendlerpauschale gestrichen wird. Herr Steinbrück hat
das damit begründet, dass das ein verfassungsgemäßer
Subventionsabbau sei. Wir waren von Anfang an dagegen. Im Frühjahr dieses Jahres ist die CSU aufgrund
schlechter Umfrageergebnisse in Bayern umgeschwenkt
und hat gesagt: Das müssen wir unbedingt ändern. - Sie
tun ja heute noch so, als ob sie von Anfang an mit der
Sache nichts zu tun hatten und schon immer gegen die
Reduzierung der Pendlerpauschale waren.
Dreimal hat Ihnen die Fraktion der Linken die Möglichkeit gegeben, Ihre Meinung zu ändern.
({8})
Ich verweise auf den 25. September dieses Jahres. Wir
haben die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale
hier zur Abstimmung gestellt. Die CDU/CSU hat geschlossen dagegen gestimmt. Bei der SPD gab es eine
Stimme für die Wiedereinführung. Bei den Grünen gab
es bis auf eine Enthaltung auch nur Gegenstimmen. Nur
die FDP und die Linken haben geschlossen dafür gestimmt.
({9})
Wir standen von Anfang an dazu; das muss man an dieser Stelle sagen.
({10})
Wir vertreten diese Position sowohl aus verfassungsrechtlichen Gründen als auch aus verteilungspolitischen
Gründen. Sie haben es jetzt schwarz auf weiß: Beruflich
bedingte Aufwendungen sind Werbungskosten und als
solche steuerlich absetzbar. Fahrten zur Arbeit und wieder zurück sind keine Privatausgaben, Herr Steinbrück,
und damit auch keine Subventionen.
Wenn wir jetzt handeln müssen, so lassen Sie uns
doch zumindest diesmal vernünftig handeln und auf das
hören, was die Sachverständigen sagen. Alle Verkehrsmittel müssen berücksichtigt werden: sowohl das Auto
und der öffentliche Personennahverkehr - da, wo es notwendig ist, eventuell der Fernverkehr - als auch das
Fahrrad und die Füße.
({11})
Wer öffentliche Verkehrsmittel benutzt, muss die
realen Kosten absetzen dürfen. Dies gilt insbesondere
aus ökologischen Gründen und angesichts der Tatsache,
dass Herr Mehdorn gerade wieder die Bahnpreise um
durchschnittlich 3,9 Prozent erhöht hat.
Wir müssen uns natürlich auch überlegen, wie wir mit
dem Fakt umgehen, dass viele Menschen im Rahmen der
steuerlichen Absetzbarkeit nichts von der Wiedereinführung haben, da sie zu solch geringen Löhnen arbeiten
müssen
({12})
und weit entfernt von ihrem Arbeitsplatz leben, dass sie
gar nicht in die Situation kommen, Steuern zu zahlen. In
diesem Zusammenhang muss man über eine negative
Einkommensteuer nachdenken.
Diese Dinge liegen auf dem Tisch. Wir werden dranbleiben, und Sie sollten sich dazu stellen, ob Sie es wirklich ernst damit meinen, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen.
({13})
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt es
nichts zu deuteln. Der Bundesfinanzminister hat in einer
gemeinsamen Erklärung mit dem hessischen Ministerpräsidenten umgehend reagiert. Im Ergebnis wird die
alte Pendlerpauschale in Höhe von 30 Cent pro Entfernungskilometer nun allen Steuerpflichtigen rückwirkend
für die Jahre 2007 und 2008 und in jedem Fall unverändert auch für das kommende Jahr, für 2009, gewährt.
Angesichts der besonderen Vorgeschichte würde ich dieses Ergebnis im Moment nicht öffentlich als Konjunkturpaket anpreisen.
({0})
Gleichwohl bleibt die nüchterne Feststellung, dass die
Binnenkaufkraft in Deutschland dadurch im voraussichtlich schwierigen Jahr 2009 spürbar gestärkt wird, was
für sich genommen nur zu begrüßen ist. Auch das ist,
glaube ich, richtig.
Für mögliche Veränderungen der Pendlerpauschale in
späteren Jahren - Kollege Gutting hat darauf hingewiesen - hat das Bundesverfassungsgericht in durchaus eindrucksvoller Weise wichtige Wegmarken gesetzt; auch
das begrüße ich ausdrücklich. Das hat meine Fraktion
und mich in unserer Auffassung bestätigt, dass es richtig
ist, auf die Gerichtsentscheidung zu warten, bevor man
erneut eine gesetzliche Neuregelung, die von den Linken
und anderen gefordert wurde, in Angriff nimmt - das
sage ich durchaus auch in Richtung CSU. Bei dieser
Auffassung bleibe ich, auch wenn die Gerichtsentscheidung zunächst eine Rückkehr zum alten Recht bedeutet.
Ich bekenne hier offen, dass ich sehr froh darüber bin,
dass die heutige Debatte zum Thema Pendlerpauschale
vor dem Hintergrund der sehr differenzierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts geführt wird:
zum Gleichheitsgrundsatz, zu denkbaren Ausnahmen
vom Nettoprinzip, zur Folgerichtigkeit und zu weiteren
juristischen Kernbegriffen.
({1})
Für mich ist diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erkennbar von dem Bemühen geprägt, auf
der einen Seite den Gesetzgeber unmissverständlich in
die Verantwortung zu nehmen, sich auf der anderen Seite
aber ebenso unmissverständlich der Einmischung in
seine Ermessensspielräume zu enthalten. Ein solches
Bemühen, das in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erkennbar ist, konnte ich bei der vorausgegangenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht erkennen. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist
diesbezüglich an mehreren Stellen eine milde Rüge der
Finanzrichter zu erkennen. Anders als zuvor der Bundesfinanzhof hat das Bundesverfassungsgericht jetzt dem
Gesetzgeber gezeigt, dass angesichts gewichtiger ökonomischer oder ökologischer Einwände im Einzelfall
durchaus eine Abkehr von systembildenden Prinzipien
des Steuerrechts möglich ist, wenngleich es an eine solche Durchbrechung hohe Anforderungen stellt. Diese
verfassungsrechtlichen Anforderungen werden bei allen
künftigen Überlegungen zu Veränderungen bei der Pendlerpauschale sorgsam zu beachten sein.
Für uns Sozialdemokraten - das möchte ich noch einmal betonen - werden daneben natürlich stets auch die
sozialen Anforderungen eine zentrale Rolle spielen.
Deshalb steht für uns die Wahrung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch künftig bei all
diesen Überlegungen an erster Stelle, was konkret heißt,
dass Änderungen der Pendlerpauschale bei diesen, das
heißt, bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
nicht zu Mehrbelastungen führen dürfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fest steht, dass die Bundesregierung und mit ihr der Finanzminister Peer Steinbrück und mit ihm wiederum
sein Kompagnon Roland Koch aus Hessen eine ziemliche Klatsche bekommen haben. Nach der Anhörung war
schon klar - das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt -, dass dieses Gesetz nicht verfassungskonform ist. Das hat sich jetzt bestätigt. Das haben
wir Ihnen rechtzeitig gesagt. Sie hätten Zeit gehabt,
rechtzeitig eine vernünftige Regelung vorzulegen.
({0})
Ich finde es völlig verrückt, dass noch kurz vor dem
Urteil vonseiten der Bundesregierung gesagt wurde, die
Regelung, die man getroffen habe, sei gerecht und rechtlich zulässig. In verschiedenen Zeitungen wurde die Sache so dargestellt, als ob man sich auf dem richtigen
Weg befinde. Wir sind froh, dass sich das Bundesverfassungsgericht von der Argumentation des BMF nicht beeindrucken ließ.
({1})
Ich finde es dreist, wenn jetzt gesagt wird - die Bundeskanzlerin führte das aus -: Die Menschen bekommen
Geld zurück, und das ist ein supertolles Konjunkturprogramm. Dazu kann man nur sagen: Das ist kein Konjunkturprogramm; denn man weiß, dass jeder zweite
Haushalt in Deutschland aufgrund niedriger Einkommen
keine Steuern zahlt, sondern nur von der Abgabenbelastung betroffen ist. Diejenigen, die keine Steuern zahlen,
können auch keine Rückzahlung der Pendlerpauschale
erwarten. Deswegen ist es sozial nicht gerecht. Deswegen trifft es nicht zu, dass dies eine Unterstützung für die
Haushalte sei, die das Geld in der heutigen konjunkturell
schwierigen Zeit dringend brauchen.
({2})
Wir haben jetzt die Situation, dass vielen Bürgerinnen
und den Bürgern diese Rückzahlung zusteht, dass sie sie
hoffentlich sehr schnell erhalten und dass sich viele Bürgerinnen und Bürger darüber freuen. Das ist gut; denn
die Bevölkerung darf nicht unter den schlechten Gesetzen, die die Koalition macht, leiden.
({3})
Deswegen ist es wichtig, dass das alles jetzt sehr zügig
abgewickelt wird.
Wir halten es für bemerkenswert - Kollege Gutting
hat darauf hingewiesen -, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Vorgaben durchaus Spielraum lässt.
Wir müssen für die Zukunft eine gesetzliche Regelung
finden - sie wird hoffentlich sehr schnell gefunden -, damit Klarheit herrscht, was 2010 gilt. Dieser Regelung
müssen Überlegungen zugrunde liegen, was verkehrspolitisch, was umweltpolitisch und was unter dem Gesichtspunkt einer sozialen Gerechtigkeit im Steuerabgabensystem Sinn hat. Hier muss man ansetzen, um eine
umweltfreundliche und soziale Lösung zu finden. Dies
könnte beispielsweise eine Mobilitätszulage sein.
({4})
Die Grünen haben bereits Vorschläge dazu gemacht.
Denn wir sehen, dass all diejenigen, die einen weiten
Weg zur Arbeit haben, weil sie in der Nähe ihres Wohnortes keine Arbeit finden, auf öffentliche Verkehrsmittel
oder das Auto angewiesen sind, wenn es zu weit ist, mit
dem Fahrrad zu fahren. Diese Personen sollten unabhängig vom Verkehrsmittel eine Mobilitätszulage ausgezahlt
bekommen. Das kann man zum Beispiel bei denjenigen,
die Steuern zahlen, in Form eines Abzugs von der Steuerschuld machen. Denjenigen, die keine Lohnsteuer zahlen, kann diese Mobilitätszulage ausgezahlt werden. Das
wäre eine gerechte und unter ökologischen und sozialen
Gesichtspunkten insgesamt vernünftige Ausgestaltung.
({5})
Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Weg ausdrücklich vorgegeben. Die Richter haben gesagt: Man
kann eine pauschalierende Regelung treffen. Man kann
darüber reden, ob man den Arbeitnehmerpauschbetrag
anhebt, um zu einer Vereinfachung des gesamten Systems zu kommen. Auch das wäre ein Weg, über den
durchaus diskutiert werden kann. Wir finden, in Zukunft
ist es notwendig, dass die Wahl der Verkehrsmittel frei
ist. Deswegen müssen alle, die Verkehrsmittel für den
Weg zur Arbeit nutzen, egal ob das Fahrrad, den Bus, die
Bahn oder das Auto, gleich behandelt werden.
({6})
Das ist der Grundansatz. Diesen Grundansatz hatte
die Bundesregierung aufgehoben. Den richtigen Ansatz
der rot-grünen Regierung, alle Verkehrsmittel gleich zu
behandeln und den öffentlichen Nahverkehr besser einzubeziehen, haben Sie mit Ihrem unsinnigen Gesetz
durchbrochen. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht gesagt: Das ist falsch. Unser Auftrag, der
der Regierung, aber auch der der Opposition, ist es jetzt,
zu helfen, eine vernünftige Lösung für die Zukunft zu
finden.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für
die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Besser spät als nie. Seit letzter Woche haben wir endlich
Klarheit. Die gesetzliche Regelung der Pendlerpauschale
ist verfassungswidrig. Es ist gut, dass die Feststellung
des Bundesfinanzhofes zur steuerlichen Bewertung von
Pendlerfahrten vom Bundesverfassungsgericht bestätigt
wurde.
({0})
Fahrten zur Arbeit sind rein berufliche Fahrten und sollten deshalb steuerlich abgesetzt werden können.
In einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft ist hohe Mobilität der Arbeitnehmer ein unverzichtbarer Standortvorteil.
({1})
Insbesondere das sollten wir immer sehen. Dem muss
der Staat Rechnung tragen. Er darf sich nicht an rein fiskalischen Erwägungen orientieren.
Für den Arbeitsmarkt gilt, dass die Pendlerkosten gerade die leistungswilligen Arbeitnehmer belasten. Dabei
profitiert auch der Staat von den steigenden Ausgaben
der Pendler durch deutlich höhere Steuereinnahmen bei
den Energiesteuern und der Umsatzsteuer.
({2})
Auch darauf muss man den Blick richten.
Wir müssen dem gefräßigen Steuerstaat, der die Steuerzahler durch Mehrfach- und Substanzbesteuerungen
überfordert, Einhalt gebieten, wenn wir die Leistungsbereitschaft und Flexibilität der Menschen sichern wollen.
({3})
- Herr Niebel, seien Sie ruhig, gerade Sie profitieren davon, dass die falsche Regelung beschlossen wurde.
({4})
Sonst säßen Sie nicht in der Münchener Staatsregierung.
({5})
Der Steuerstaat ist auf Glaubwürdigkeit und Akzeptanz angewiesen. Steuerpolitik muss gerecht sein. Deshalb wäre es besser gewesen, wenn unsere Bedenken damals Gehör gefunden, wir uns durchgesetzt bzw. früher
gehandelt hätten. Eine Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht ist immer ein Offenbarungseid. Ich stelle
fest: Für die CSU war der Tag in Karlsruhe ein guter
Tag.
({6})
Wir sollten daraus lernen, dass rein fiskalische Betrachtungen in der Steuerpolitik nicht ausreichen. Sie rächen sich geradezu. Es muss stets ein ordnungs- und
steuerrechtliches Grundprinzip gelten. Dies haben die
Richter auch schon früher angemahnt.
({7})
Ich denke zum Beispiel an die Vermögensteuer oder an
die Absetzbarkeit der Vorsorgebeiträge bei der Krankenversicherung.
({8})
Für einen Neuanfang brauchen wir eine große Steuerreform. Das ist notwendig.
({9})
Als vertrauensbildende Sofortmaßnahme und zur Konjunkturförderung sollte in den nächsten Wochen ein Bürgerentlastungsgesetz beschlossen werden, das gerade die
Absetzbarkeit von Pendlerkosten und Krankenversicherungsbeiträgen, den höheren Grundfreibetrag und die
kalte Progression im Steuertarif verfassungsgerecht löst.
Dazu ist ein Bürgerentlastungsgesetz aus verschiedenen
Gründen notwendig: zum Beispiel aus Gründen des
Steuerrechts und zur Steigerung der Kaufkraft. Mehr
Netto vom Brutto - dieses Ziel müssen wir jetzt angehen.
({10})
Mit den Rückzahlungen muss in allen Bundesländern
noch vor Weihnachten begonnen werden. Leider ist mit
den Rückzahlungen bisher nur in Bayern, Niedersachsen
und Hamburg begonnen worden. Es sollte keine steuerpolitischen Winkelzüge mehr geben. Wir brauchen
Glaubwürdigkeit und Kaufkraftstärkung in der und
durch die Steuerpolitik.
({11})
Ich darf noch einmal deutlich machen: Rein fiskalische Konsolidierungs- und Haushaltspolitik wird immer
wieder scheitern. Wachstums- und Beschäftigungseinbrüche sind für die Steuereinnahmen immer kontraproduktiv. Wer sich zur falschen Zeit rein fiskalisch orientiert, wird am Ende eine Bauchlandung machen.
({12})
Deswegen müssen wir deutlich machen, dass durch
mehr Wachstum und Beschäftigung und durch Freiräume in der Steuerpolitik letzten Endes die Chance am
größten ist, dass wir aus dieser Rezession möglichst
schnell herauskommen.
({13})
Das muss unser gemeinsames Ziel sein, damit die Menschen durch die Steuerpolitik mehr Netto vom Brutto haben und wieder mehr Geld ausgeben können.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann-Otto Solms
für die FDP-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann gut verstehen, dass der Kollege Michelbach ärgerlich ist, nachdem
das Bundesverfassungsgericht nun das zurechtgerückt
hat, was die CSU, wie sie im bayerischen Landtagswahlkampf angekündigt hat, gerne selber durchgesetzt hätte,
({0})
was ihr von der eigenen Bundeskanzlerin aber untersagt
worden ist.
({1})
Diesen Ärger kann ich wirklich nachvollziehen.
Die FDP hat von Anfang an gesagt, dass die von Ihnen getroffene Regelung verfassungswidrig ist. Über das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts darf sich also niemand wundern. Nachdem ich mir die Reden, die Sie
heute gehalten haben, angehört habe, habe ich allerdings
den Eindruck: Keiner ist es gewesen, und das ist von
ganz alleine gekommen. Denn jetzt distanzieren sich alle
davon.
({2})
Wenn Sie sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
durchlesen, stellen Sie fest: Das ist kein Urteil in einer
einfachen Sachfrage - es geht nicht nur um die Entfernungspauschale -, sondern eine vernichtende Beurteilung der Gesetzgebungspraxis der Großen Koalition,
also Ihrer Regierung.
({3})
Lassen Sie mich kurz aus der Pressemitteilung des
Gerichts zitieren:
… es geht bei der Abgrenzung der steuerlichen Bemessungsgrundlage um die gerechte Verteilung von
Steuerlasten. Hierfür kann die staatliche Einnahmenvermehrung jedoch kein Richtmaß bieten, denn
diesem Ziel dient jede, auch eine willkürliche
Mehrbelastung.
Das Gericht sagt also: Sie haben einfach zugegriffen, um
den Bürgern noch mehr Geld wegzunehmen, völlig ohne
Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Grundprinzipien. - Das ist ein hartes Urteil.
Wenn man sich anschaut, womit sich das Bundesverfassungsgericht in dieser Legislaturperiode befassen
musste, stellt man fest, dass es noch nie eine Bundesregierung gegeben hat, die so häufig vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist:
({4})
im Januar 2007 mit dem Erbschaftsteuer- und Bewertungsgesetz, im Dezember 2007 mit den Regelungen zu
Hartz IV, im März 2008 mit der Vorratsdatenspeicherung, im Mai 2008 folgte das AWACS-Urteil, im
Juli 2008 mit dem Nichtraucherschutz und im Dezember
2008 mit der Pendlerpauschale. Ich habe den Eindruck,
je größer die Mehrheit im Bundestag, desto geringer die
Achtung vor dem Grundgesetz.
({5})
Angesichts Ihrer großen Mehrheit hat sich bei Ihnen die
Arroganz der Macht eingeschlichen.
({6})
Dabei gehen unsere verfassungsrechtlichen Grundprinzipien über die Wupper.
({7})
Das können wir nicht hinnehmen.
({8})
Mit der Verabschiedung der Reform der Erbschaftsteuer gehen Sie diesen riskanten Weg schon wieder. Die
Regelung zur Erbschaftsteuer ist offenkundig verfassungswidrig, und wir werden alles tun, damit das Bundesverfassungsgericht dies feststellt. Die Behandlung
von Geschwistern und deren Kindern wie Fremde ist
eindeutig verfassungswidrig - sie verstößt gegen Art. 6
des Grundgesetzes -, und auch der Gleichheitsgrundsatz
wird verletzt.
Hinzu kommt, dass eine dazu nicht legitimierte Regierung, die geschäftsführende Regierung von Herrn
Koch in Hessen, diesem Gesetz im Bundesrat zur Mehrheit verholfen hat. Ohne die Stimmen des Landes Hessen hätte es dafür keine Mehrheit im Bundesrat gegeben.
Die Frage, ob diese Landesregierung legitimiert war,
seine Stimme abzugeben, ist völlig offen. Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen hat seinerzeit, im Jahre
1984, im Hinblick auf die Regierung Börner festgestellt,
dass sie eine deutliche begrenzte Legitimation habe.
Darauf haben wir Herrn Koch aufmerksam gemacht.
Trotzdem hat er dem Gesetzentwurf im Bundesrat zugestimmt.
({9})
Auch das ist ein Grund für eine verfassungsrechtliche
Überprüfung, und wenn es eine Überprüfung durch den
Staatsgerichtshof des Landes Hessen sein muss.
({10})
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Sie sind nicht diejenigen, die den Bürgern Geld zurückgeben. Das Bundesverfassungsgericht gibt den Menschen das Geld zurück, nicht Sie.
({11})
Sie können doch gar nicht anders. Würden Sie anders
können, würden Sie den Bürgern dieses Geld niemals
zurückgegeben.
({12})
Jetzt greifen Sie wieder tief in die Tasche. Diesmal
schmeißen Sie das Geld in Form von Konjunkturprogrammen aus dem Fenster. Das erste wurde schon beschlossen, das zweite ist angekündigt, und das dritte
wird folgen.
({13})
Das wird dazu führen, dass die Schulden steigen und der
Haushalt in völlige Unordnung gerät. Die Neuverschuldung wird 30, 40 oder 50 Milliarden Euro betragen; das
ist mehr als jemals zuvor. Völlig ohne Rücksicht auf
Verluste gehen Sie in den Wahlkampf. Sie verteilen nur
Geschenke, sagen den Bürgern aber nicht, dass sie all
diese Geschenke letztlich selbst bezahlen müssen.
Meine Damen und Herren, die Große Koalition ist mit
ihrem Latein am Ende. Wir hoffen, dass bald Wahlen
sind.
Danke schön.
({14})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Frechen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Natürlich haben alle Kolleginnen und Kollegen recht, die bisher behauptet haben: Das Bundesverfassungsgericht hat die Änderung, die wir hinsichtlich
der Pendlerpauschale eingeführt haben, vorläufig gekippt.
({0})
Das ist völlig richtig. Das haben wir zu akzeptieren.
Frau Dr. Höll, mit Verlaub: Sie haben Herrn
Steinbrück aber völlig falsch zitiert.
({1})
Wir akzeptieren dieses Urteil, und wir werden uns diese
7,5 Milliarden Euro, die uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kostet, nicht an anderer Stelle zurückholen. Das heißt aber auch, dass die Schulden des Staates steigen werden, und das bedeutet auf lange Sicht,
dass unsere Kinder und Enkelkinder auch für diese Steuererstattung irgendwann werden aufkommen müssen.
({2})
Ich möchte Sie nochmals an die Zeit der Änderung erinnern: Die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, die
Eindämmung der Neuverschuldung und die Steigerung
der notwendigen Investitionen bei gleichzeitiger Konsolidierung des Bundeshaushalts
({3})
waren fast unlösbare Herausforderungen. Jahrzehntelang
haben wir über unsere Verhältnisse gelebt und damit
Schritt für Schritt die Handlungsfähigkeit eingebüßt.
({4})
Lassen Sie mich das an dieser Stelle deutlich sagen: Zu
dieser Verschuldung bzw. Situation haben alle Parteien
beigetragen,
({5})
die in den letzten 40 Jahren in Bund, Ländern oder Kommunen Verantwortung gehabt haben,
({6})
und damit alle, von ganz rechts bis ganz links.
Wir mussten Subventionen und Ausnahmen abschaffen, und wir mussten uns von lieb gewonnenen Gewohnheiten im Steuerrecht trennen, um unseren Staat zukunftsfähig zu machen.
({7})
Wir haben das nicht aus Spaß am Streichen getan.
({8})
Ich habe nie einen Hehl aus meiner Haltung zu der
Änderung der Pendlerpauschale gemacht.
({9})
Ich habe in vielen Gesprächen versucht, eine andere und
bessere Lösung zu finden.
({10})
Nachdem keine Einigung zu finden war, habe ich aus
Verantwortung für die kommenden Generationen und für
den Staatshaushalt zugestimmt. Herr Niebel, das stimmt.
Damit haben Sie natürlich völlig recht.
Ich betone aber nochmals: Vier Verfassungsorgane
- Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Bundespräsident - waren sich einig, dass das verfassungskonform ist. Genau der Meinung war ich auch. Ich habe zu
keiner Zeit bewusst einem verfassungswidrigen Gesetz
zugestimmt. Darauf lege ich ganz großen Wert.
({11})
Die Alternativlösung haben im Übrigen genau die
verhindert, die vor der darauffolgenden Landtagswahl
das Mäntelchen und den Hut von Robin Hood getragen
haben und für die Pendler übers Land gezogen sind.
({12})
Die wollten uns vergessen machen, dass sie alle hier im
Deutschen Bundestag mit zugestimmt haben. Das lasse
ich Ihnen so nicht durchgehen.
({13})
Die geänderten Steuerbescheide werden jetzt verschickt. Mancher, der sich von diesen Kampagnen hat
instrumentalisieren lassen, wird sich verwundert die Augen reiben. Es ist klar: Der Investmentbanker, der in
Frankfurt arbeitet und im Taunus wohnt, freut sich über
die 700 Euro, die er jetzt pro Jahr mehr hat und mehr
aufs Sparbuch legen kann. Ich nehme aber einmal an,
dass sich die Freude bei der alleinerziehenden Mutter,
die nichts oder vielleicht 3,50 Euro zurückbekommt,
({14})
weil der Arbeitnehmerpauschbetrag hoch genug ist und
alles abdeckt oder weil sie nur wenig oder keine Steuern
bezahlt, in arg engen Grenzen halten wird.
({15})
Von den Haushalten, die trotz Vollzeitarbeit wenig oder
gar keine Steuern bezahlen, gibt es deutlich mehr als von
denen, die von der Pendlerpauschale satt profitieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Steuerbescheiden wird dann auch die Mär entzaubert, dass Steuersenkungen für Menschen mit kleinen und mittleren
Einkommen die Entlastung schlechthin darstellen.
({16})
Dabei wird nämlich genau das Gleiche wie bei der Pendlerpauschale passieren: Die Familien mit einem hohen
Einkommen werden gut entlastet, und die Familien, die
am Ende des Geldes noch Monat übrig haben, haben keinen Cent mehr in der Tasche. Das ist eine Steuersenkung, wie sie sich die FDP vorstellt.
({17})
Das ist mit uns natürlich überhaupt nicht zu machen.
Diesen Familien hilft nur
({18})
- warten Sie es ab; Sie sind zu gierig - die Senkung der
Lohnnebenkosten.
({19})
Alle, die es ernst damit meinen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche haben
sollen, lade ich ein: Machen Sie mit bei der Einführung
eines angemessenen Mindestlohnes. Dass Menschen von
einer Vollzeitstelle nicht leben können, hat nichts mit zu
hohen Steuern oder der Pendlerpauschale zu tun.
({20})
Das hat nur etwas damit zu tun, dass man für gute Arbeit
auch faire Löhne bezahlen muss. Deshalb ist der Mindestlohn der erste wichtige Schritt zum Ziel.
({21})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Gerald Weiß.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Beginnen wir mit der Enthüllung eines Betriebsgeheimnisses: Auch in der CDU/CSU-Fraktion ging es
mit dieser Entscheidung vielen so wie Ihnen, Frau Kollegin Frechen.
({0})
Für unser Votum war bestimmend, dass es in dieser außerordentlich schwierigen Haushaltssituation insgesamt
galt, ein Konsolidierungspaket durchzubringen.
({1})
Aber das ist jetzt müßig. Wir müssen in die Zukunft
blicken. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil
muss im Hinblick auf die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten: gute Information, wenig
Bürokratie und schnelles Geld. Das fordern wir jetzt für
die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ein.
({2})
Es ist begrüßenswert, dass die Bundesregierung klargestellt hat, dass für die Jahre 2007, 2008 und 2009 die
Regeln der alten Pendlerpauschale gelten.
({3})
Das gibt den Steuerbürgerinnen und -bürgern und auch
der Steuerverwaltung Sicherheit. Man darf schon jetzt
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Steuerverwaltung danken, dass sie die Korrektur der Steuerbescheide und die damit verbundenen Steuerrückzahlungen engagiert angehen werden.
Die schnellen Rückzahlungen sind auch konjunkturpolitisch sinnvoll. Frau Frechen, es ist durchaus von
konjunkturpolitischem Gewicht, dass 7,5 Milliarden
Euro freigesetzt werden; und dass die Belastung vor und
die Entlastung nach dem Kippen der Regelung miteinander korrespondieren, ist in systematischer Hinsicht
selbstverständlich.
Gerald Weiß ({4})
Für die Betroffenen muss es also schnell Geld geben.
Aus Hessen beispielsweise ist zu hören, dass ab heute
die Steuerbescheide für das Jahr 2007 von Amts wegen
schnellstens korrigiert werden und es dann zügig zu
Auszahlungen kommt. Wir haben eine leistungsfähige
Steuerverwaltung, die gute Arbeit leisten wird.
({5})
Es wird nicht für jeden gleich schnell gehen. Es soll
zwar für alle so schnell wie möglich gehen, aber es wird
nicht für jeden gleich schnell gehen können. Wir haben
eine Gruppe von 8 Millionen Steuerbürgern, die in ihrer
Steuererklärung auch die ersten 20 Kilometer angegeben
und keinen Widerspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt haben. Diese Fälle sind im PC gespeichert. Sie
sind relativ schnell zu bearbeiten. Bei dieser Gruppe
wird es schnell gehen.
Die zweite Gruppe besteht aus 2 Millionen Steuerbürgern, die Einspruch eingelegt haben, der abschlägig beschieden wurde. Diese Fälle sind nicht mehr im PC gespeichert. Bei ihnen wird der Aufwand größer sein, aber
auch bei ihnen muss es so schnell wie möglich gehen.
Die dritte und schwierigste Gruppe besteht aus 6 bis
10 Millionen Steuerbürgern. Sie haben sich an die
Rechtsvorschriften gehalten: Weil ihr Weg zur Arbeit
unter 20 Kilometern liegt, haben sie in ihrer Steuererklärung keine Wegekosten angegeben. Diese Steuerbürger
müssen die Angaben zu ihrer Steuererklärung für 2007
entsprechend ergänzen.
Diese Fragen sind nicht ganz einfach zu überblicken.
({6})
Deshalb ist eine effiziente Kommunikation genauso
wichtig wie die schnelle Auszahlung der Gelder. Viele
Bürger rufen jetzt bei ihren Sachbearbeitern und Sachbearbeiterinnen auf den Finanzämtern an. Dadurch wird
sehr viel Zeit in Anspruch genommen, und dadurch geht
manches noch langsamer.
({7})
Ich bin deshalb dafür, dass die Steuerverwaltung Infotelefone für die Bürgerinnen und Bürger einrichten, an
die sie sich mit ihren Fragen zur Pendlerpauschale wenden können.
({8})
Frau Scheel hat die Neuregelung nach 2010 angesprochen und auf Umwelt- und Verkehrsaspekte hingewiesen. Dabei ist eines notwendig - das ist nicht nur meine
Meinung, sondern auch die vieler meiner Kollegen -:
Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Wegekosten, also
von klassischen Betriebskosten des Arbeitnehmers,
muss gewährleistet und das Nettoprinzip gesichert sein.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Nicolette Kressl.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
gibt nichts zu deuteln, die Art der Umsetzung der Regelung zur Pendlerpauschale ist nicht verfassungsgemäß.
Aber das Verfassungsgericht hat sehr deutlich gesagt:
({0})
Es ist nicht unveränderbar, was im Gesetz zur Pendlerpauschale steht.
({1})
Ich empfehle ausdrücklich - besonders ausdrücklich
der Frau Höll -, die Entscheidung des Verfassungsgerichts einmal etwas genauer anzusehen. Es ist nämlich
kein Rechtsanspruch auf die alte Regelung festgestellt
worden. Es war eine politische Entscheidung, dass für
die Jahre 2007, 2008 und 2009 die alte Regelung wieder
gilt. Ich stehe dazu; aber mir ist es schon wichtig, zu sagen: Es war eine politische Entscheidung und nicht nur
eine Entscheidung, die dazu zwingt, zur alten Regelung
zurückzukommen.
({2})
Da ich von rechts die FDP höre, sage ich Ihnen: An
Ihrer Stelle wäre ich etwas vorsichtig.
({3})
Ich war gerade frisch im Bundestag, als unsere Regierungskoalition eine Verfassungsgerichtsentscheidung zur
Familienbesteuerung in Milliardenhöhe umsetzen musste,
in der bestätigt worden ist, dass die alte Koalition, in der
auch die FDP in der Regierung war, Familien über Jahre
verfassungswidrig besteuert hat. Ich wäre etwas vorsichtiger!
({4})
Wenn ich gesagt habe, dass wir nun eine politische
Entscheidung umsetzen, zur alten Regelung zurückzukommen, dann bedeutet dies auch - das halte ich für
richtig -, dass das Verfassungsgericht zentralen Argumenten des Bundesfinanzhofs nicht gefolgt ist.
({5})
Auch dazu empfehle ich ausdrücklich die Lektüre der Entscheidung. Das Verfassungsgericht hat, Herr Gutting, auch
die Frage des Verfassungsrangs des objektiven Nettoprinzips ausdrücklich offengelassen. Es hat hier ausdrücklich
keinen Verfassungsrang bestätigt und es bewusst dem politischen Gestaltungsspielraum anheimgestellt. Auch da
bitte ich, mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts
fachlich und sachlich in aller Ruhe umzugehen.
({6})
Als Bundesregierung haben wir uns - darauf ist schon
hingewiesen worden - sehr schnell politisch festgelegt,
weil wir es für falsch gehalten hätten, mit der Entscheidung zu warten, nachdem das Verfassungsgericht die
Möglichkeit gegeben hat, Änderungen herbeizuführen.
Die Entscheidung musste so fallen, dass die Bürgerinnen
und Bürger sehr schnell Sicherheit darüber haben, was
für die Jahre 2007, 2008 und 2009 gilt, zumal es in der
derzeitigen Debatten- und Konjunkturlage keinen Sinn
gemacht hätte, die Menschen noch zusätzlich zu verunsichern.
({7})
- Herr Niebel, ich hatte schon bei Ihren vielen Zwischenrufen die ganze Zeit über den Eindruck, dass Sie
sich der Mühe bisher entzogen haben, einmal in das Verfassungsgerichtsurteil hineinzuschauen. Machen Sie sich
einmal fachkundig, und dann dürfen Sie weitere Zwischenrufe machen!
({8})
- Ja, das stimmt. Aber „Generalist“ bedeutet nicht, dass
man fachlich richtig liegt. Herr Michelbach, in diesem
Fall sind wir uns sehr einig.
({9})
Nun gebe ich erneut einen Hinweis darauf, wie wir in
der Umsetzung vorgehen: Erstens. Für Wege zwischen
Wohnung und Arbeits- oder Betriebsstätte ist die Entfernungspauschale bis zu einer verfassungskonformen Regelung im Wege einer vorläufigen Steuerfestsetzung
wieder ab dem ersten Entfernungskilometer in der alten
Höhe von 30 Cent je Entfernungskilometer zu gewähren.
Sie kann auch rückwirkend geltend gemacht werden.
Sämtliche Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2007 wurden hinsichtlich der Anwendung der Neuregelung zur Entfernungspauschale von Amts
wegen - ganz wichtig! - vorläufig durchgeführt, unabhängig davon, ob die Steuerpflichtigen Aufwendungen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte geltend gemacht haben. Die Bundesländer
werden die Steuerfestsetzungen nun schnellstmöglich zugunsten der Pendler ändern und die entsprechenden Erstattungen veranlassen. Ich weise darauf hin, dass die
Pendler gegebenenfalls nachschauen sollten, ob sie ihre
Strecke zum Arbeitsplatz vollständig angegeben haben;
denn wer in seiner Einkommensteuererklärung für 2007
keine Angaben zur Entfernung zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte sowie zur Zahl der Arbeitstage gemacht hat,
sollte dem Finanzamt die entsprechenden Angaben nachreichen. Es wird dann die Steuerfestsetzung entsprechend
ändern.
Zweitens. Die Pendlerpauschale in Höhe von 30 Cent
gilt - das habe ich schon gesagt - wieder. Auch für 2009
wird es bei dieser Regelung bleiben. Ich will noch einmal betonen: Diese Entscheidung hat etwas damit zu
tun, dass wir Klarheit und Planungssicherheit für die
Bürger wollen.
Drittens. Die Bundesregierung wird - der Finanzminister hat das deutlich gemacht - angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation keine Maßnahmen ergreifen, um die mit dem Urteil verbundenen Steuerausfälle
an anderer Stelle zu kompensieren.
({10})
Wir rechnen für alle staatlichen Ebenen im nächsten Jahr
mit Mindereinnahmen in Höhe von 5 Milliarden bis
6 Milliarden Euro.
Zusammengefasst: Wir halten es für richtig, schnell
Klarheit zu schaffen, für 2009 bei der alten Regelung zu
bleiben und dem zukünftigen Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, 2010 oder später über die uns vorgeschriebene Neuregelung in Ruhe zu entscheiden. Ich glaube,
wir haben den richtigen Weg eingeschlagen.
Vielen Dank.
({11})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Otto
Bernhardt.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Natürlich ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Ohrfeige für die Große Koalition.
({0})
Ich stimme der Kollegin Frechen zu: Ich habe nie bewusst einem verfassungswidrigen Gesetz zugestimmt.
Alle Mitglieder des Finanzausschusses wissen, dass gerade wir im Finanzausschuss immer wieder die Frage an
die Regierung gestellt haben: Sind diese Bestimmungen
verfassungsdicht? Jedes Mal hat man uns gesagt, ja, man
habe das auch mit dem Justizministerium und dem Innenministerium abgestimmt.
({1})
Ich sage das mit aller Deutlichkeit, weil die Debatte
zeigt, dass einige glauben, wir hätten bewusst ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet.
({2})
Ich habe die Begründung des Gerichts gelesen, und sie
ist keine tolle Erklärung zugunsten der Solidität unserer
Arbeit. Es steht mir zwar nicht zu, das Ministerium in
dieser Frage zu kritisieren. Aber mit den Mitarbeitern,
die uns immer wieder gesagt haben, das sei verfassungsrechtlich in Ordnung, müsste man sich ein bisschen vertiefend unterhalten.
({3})
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil wird zum Teil
falsch interpretiert, zum Beispiel von der Kollegin
Dr. Höll. Wahrscheinlich hat sie es nicht gelesen. Das
Bundesverfassungsgerichtsurteil besteht im Wesentlichen aus drei Punkten: Der erste Punkt ist, dass das geltende Gesetz verfassungswidrig ist. Der zweite Punkt ist
eine Aufforderung an den Gesetzgeber, ein verfassungsrechtlich einwandfreies Gesetz zu machen. Das könnte
dann sogar rückwirkend gelten. Wir sind hier frei. Man
setzt uns nicht unter Zeitdruck. Die Frage, wann wir das
regeln, ist völlig offen gelassen. Rein theoretisch könnten wir das erst in zehn Jahren regeln.
Der dritte Punkt ist der Hinweis, dass, solange wir
nichts regeln, die alte Rechtslage gilt. Das heißt: 30 Cent
pro Kilometer, wobei man natürlich wissen muss, dass
die ersten 14 Kilometer normalerweise durch den Arbeitnehmerfreibetrag erfasst werden. Letztlich bedeutet
das, dass in Zukunft vom 15. Kilometer an gezahlt wird
und nicht, wie nach der Neuregelung vorgesehen, vom
20. Kilometer an.
({4})
Ich selber gehe davon aus, dass es letztlich nicht nur
um 7,5 Milliarden Euro geht, die wir dem Bürger - ich
gebe zu: gezwungenermaßen - sozusagen zurückgeben,
sondern es werden vermutlich 10 Milliarden Euro sein;
denn niemand von uns hat die Absicht, eine rückwirkende Regelung für das Jahr 2007 zu treffen. Für das
Jahr 2008 könnten wir das tun, aber wir tun es nicht.
Wenn wir eine Regelung für das Jahr 2009 treffen wollten, dann müssten wir sehr schnell an die Sache herangehen. Auch das will keiner. Wenn wir uns einmal die Zeitpläne anschauen, dann sehen wir, dass wir auch für das
Jahr 2010 keine neue Regelung treffen können. Insofern
haben wir eine Regelung, die für die nächsten vier Jahre
gilt. Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir das rechtlich handhaben. Dazu haben wir im Januar oder Februar
Zeit. Natürlich ist dies ungewollt konjunkturpolitisch
vernünftig, um das klar zu sagen; denn jetzt gehen
5 Milliarden Euro an die Bürger. Es gibt 15 Millionen
Pendler, und jeder von ihnen erhält jetzt durchschnittlich
300 Euro. Das ist konjunkturpolitisch sicher in Ordnung.
({5})
Ich stimme Ihnen von der FDP zu, dass wir uns über eine
generelle Steuerreform Gedanken machen müssen. Auch
in diesem Punkt ist die CSU, ähnlich wie bei der Pendlerpauschale, etwas weiter als der Rest der Union; ich
weiß das.
({6})
Ich sage aber sehr deutlich: Durch dieses Urteil ist unser
Spielraum für eine große Einkommensteuerreform natürlich nicht gerade größer geworden.
({7})
Die Große Koalition hat hier einen Fehler gemacht. Die
Konsequenzen sind konjunkturpolitisch in Ordnung. Wir
werden kurzfristig sicher nicht zu einer Veränderung
kommen, aber wir behalten uns natürlich vor, eine große
Einkommensteuerreform, die wir wollen, auf den Weg
zu bringen. Sie mit den Sozialdemokraten in der Großen
Koalition durchzusetzen, wird schwierig sein. Es wäre
sicher leichter, sie in einer Koalition mit den Freien Demokraten zu erreichen.
({8})
Darüber muss dann der Wähler entscheiden.
Herzlichen Dank.
({9})
Der Kollege Reinhard Schultz hat jetzt für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte ist teilweise schon ein wenig merkwürdig.
Man ist in Versuchung, wenn man sich so ein grundsätzliches Urteil eingefangen hat, sich in die Büsche zu
schlagen und zu sagen, man habe damit nichts zu tun gehabt. Wir sind nicht davon ausgegangen - das hat Otto
Bernhardt sehr deutlich gemacht -, dass die Neuregelung verfassungswidrig ist.
({0})
Es gab Zweifel, und deswegen haben wir gefragt. Es lagen gutachterliche Aussagen vor, dass sie nicht verfassungswidrig ist. Wir haben die Regelung trotz der politischen Risiken, die damit verbunden waren und die wir
auch gesehen haben, gemacht, weil wir zum damaligen
Zeitpunkt davon ausgegangen sind, dass uns sonst der
Bundeshaushalt schlicht und einfach auf den Kopf fällt.
Das war die Situation. Es hatte keinen Zweck, dass jeder
nach seiner persönlichen steuerpolitischen Leidenschaft
irgendetwas aus dem Gesamtkonzept herausbricht, weil
sonst das Gesamtkonzept nicht mehr möglich gewesen
wäre. Das ist das Motiv, weswegen viele das trotz
Bauchschmerzen mitgetragen haben.
({1})
Reinhard Schultz ({2})
Das war natürlich eine Belastung für die Pendler und
kam erst recht gerade bei sozialdemokratischen Wählern
nicht besonders gut an. Das kann man wohl ganz deutlich sagen. Wir haben das aber zum damaligen Zeitpunkt
wegen der Verantwortung für höhere Ziele in Kauf genommen.
Als dann die ersten Urteile der Finanzgerichte kamen,
wurde die Diskussion ein bisschen lebhafter. Hier wurde
das Finanzministerium angegriffen. Dazu will ich sagen:
Die Entscheidung fiel auf der Leitungsebene der Großen
Koalition. Die Ausgestaltung der Entscheidung wurde
sehr stark durch die Ministerpräsidenten von Flächenländern geprägt, insbesondere durch den damaligen Finanzminister Huber, der sich hinterher - vor der Landtagswahl - in die Büsche geschlagen hat, was man auch
einmal erwähnen muss. Das hat ihm persönlich nicht
viel genützt, aber er war einer der Verursacher der Regelung, dass die Pendlerpauschale erst ab dem 21. Kilometer gezahlt wird. Das muss man hier deutlich feststellen.
({3})
Daran kommt man nicht vorbei.
Sowohl die Bundestagsfraktion der Union als auch
die der SPD haben andere Modelle - zum Beispiel solche, die den Weg zur Arbeit ab dem ersten Kilometer berücksichtigen - diskutiert. Das Aufkommen zur Finanzierung dieser Modelle - etwa Berücksichtigung des
Weges zur Arbeit erst ab dem 25. Kilometer und die
komplette Aufrechnung gegen den Arbeitnehmerpauschbetrag - wäre genauso hoch gewesen. Ausgerechnet aufgrund des Widerstandes der Flächenländer war es aber
nicht möglich, diese Konzepte durchzusetzen. Darauf
weise ich jetzt einmal hin, auch wenn es nicht so wichtig
ist.
Ich wundere mich allerdings über das Wahnsinnsengagement der FDP, mit der einige in der Union demnächst ein neues Steuergesetz verabschieden wollen, an
dieser Stelle. Die FDP hat dankenswerterweise am
14. Januar 2004 - ich erinnere mich daran, als wäre es
heute - den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer
neuen Einkommensteuer vorgelegt.
({4})
- Ja, selbstverständlich. - In § 10 dieses Gesetzentwurfs
wird aufgelistet, welche Aufwendungen nicht mehr ab-
zugsfähig sind. In § 10 Abs. 4 ist die Rede von Aufwen-
dungen für den Unterhalt und die Lebensführung - das
halte ich für selbstverständlich - und von Aufwendun-
gen für Arbeitsräume in der eigenen Wohnung. In § 10
Abs. 4 werden dann unter Punkt c) die Aufwendungen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genannt. Damit haben Sie Wahlkampf gemacht, und jetzt
tun Sie so, als hätten Sie mit Ihrer damaligen Auffassung
nichts mehr zu tun.
({5})
Etwas Scheinheiligeres als das, was Sie hier vorführen,
habe ich selten erlebt.
({6})
Das war Teil Ihres Wahlprogramms. Wir haben aus der
Not heraus etwas gemacht, was uns selbst politisch wehgetan hat. Es waren Ihre politischen Leitsätze, die verwirklicht worden sind. Sie haben - zumindest im Geiste dieselbe Klatsche wie wir als Koalition abbekommen.
({7})
- Regen Sie sich nicht auf! Es ist geradezu lächerlich,
was Sie hier bei dieser Frage veranstalten.
Natürlich ist das Ganze ein Lehrstück dafür, wie sorgfältig man künftig mit der Steuergesetzgebung umgehen
muss. Selbst die großen Vereinfacher, die ganz niedrige
Tarife und wenige Ausnahmetatbestände fordern, müssen sich nach diesem Urteil damit auseinandersetzen,
dass grundsätzlich das Nettobesteuerungsprinzip nach
Leistungsfähigkeit zu gelten hat und dass jemand, der einen hohen Aufwand für die Berufsausübung hat, zum
Beispiel wegen des Pendelns zwischen Wohn- und Arbeitsort, ein geringeres verfügbares Einkommen hat als
jemand, der genauso leistungsfähig ist, aber nicht zu
pendeln braucht.
Außerdem besagt das Urteil zur Pendlerpauschale:
Fahrten zur Arbeit sind eindeutig nicht privat, sondern
beruflich veranlasst. Diese Leitsätze muss man sich auch
für die Zukunft hinter die Ohren schreiben.
Darüber hinaus besagt dieses Urteil: Man kann Lenkungswirkungen erzielen, wenn man dies vernünftig begründet. Man kann zum Beispiel versuchen, das unnötige Pendeln zu vermeiden. Allerdings wird auch das in
Konflikt mit der rauen Wirklichkeit geraten. Vielerorts
sind Arbeit, zum Beispiel Industriearbeit, und Wohnen
durch die Bauleitplanung bewusst getrennt worden; auch
darauf wird in dem Urteil des Verfassungsgerichts hingewiesen. Selbst in städtischen Verflechtungsräumen wie
Berlin oder Hamburg kann man - ohne dass man sich
anstrengen muss - problemlos 20, 30 oder sogar
40 Kilometer zur Arbeit fahren müssen.
Man muss sich darauf verständigen, dass die Mobilitätskosten, die Arbeitnehmer haben, künftig immer in irgendeiner Form berücksichtigt werden müssen. Das
sollte die Botschaft sein. Man sollte nicht sagen: Es ist
ein Gnadenakt, das Urteil des Verfassungsgerichts umzusetzen. Wir tun das in aller Demut.
({8})
Wir sollten daraus lernen, dass es nötig ist, in der Zukunft etwas sorgfältiger vorzugehen und das Nettobesteuerungsprinzip ernst zu nehmen.
Vielen Dank.
({9})
Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat nun
der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Schöner, als Reinhard Schultz eben die
Scheinheiligkeit der FDP entlarvt hat, kann man fast
nicht aufzeigen, was hier passiert. Wie Sie Politik nach
außen tragen, ist etwas völlig anderes als die Diktion in
Ihren Programmen.
Viele von uns - Mitglieder verschiedener Fraktionen könnten heute eigentlich ganz froh sein: Sie hatten bei
der Schlussabstimmung Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben.
({0})
- Es entspricht dem Charakter von § 31; man begründet
in der Erklärung zur Abstimmung, warum man für ein
großes Gesetz stimmt, obwohl man gegen einen einzelnen Punkt dieses Gesetzes ist. Das ist ein parlamentarisches Verfahren genau wie der Zwischenruf, der nur darauf ausgerichtet ist, zu stören, und nicht darauf,
aufzuklären.
({1})
Wir könnten uns ja freuen, weil die von uns damals
vermutete Verfassungswidrigkeit nun festgestellt wurde.
Die Verfassungswidrigkeit stellt üblicherweise nicht das
Parlament fest, auch nicht der Bundespräsident, sondern
das Verfassungsgericht. Insofern haben wir jetzt eine
sehr gute Basis.
Wir haben damals die Verfassungswidrigkeit vermutet. Wir haben nämlich gesagt: Die Fahrtkosten gehören
zu den klassischen Werbungskosten. - Dann ist etwas
passiert, was mich sehr traurig gemacht und auch geärgert hat: Das Werkstorprinzip ist eingeführt worden. Das war für mich der eigentliche Kulturbruch, wenn
man so will. In den USA wohnt man an der Arbeit und
fährt nach Hause, um seine Arbeitskraft zu regenerieren.
Deshalb ist der Weg nach Hause und zurück zur Arbeit
privat veranlasst. In unserer Kultur ist es aber anders.
Wir wohnen zu Hause.
({2})
Wir fahren zum Zweck der Erzielung von Einkommen
zur Arbeit und dann wieder zurück. Insofern ist der Weg
beruflich veranlasst, und deshalb sind die Kosten auch
Werbungskosten.
Jetzt komme ich zu der traurigen Komponente in dem
Urteil. Das Werkstorprinzip an sich wurde vom Gericht
leider gar nicht beanstandet. Das ist, finde ich, ein großes Problem.
Mich erschreckt ein wenig, wie leicht viele hier mit
dem Begriff Pendlerpauschale umgehen. Es ist objektiv
ein sehr komplizierter Begriff. Wenn ich auf dem Lande
wohne, habe ich im Regelfall eine sehr billige Wohnung,
bin direkt im Grünen, kann mit meinem Hund spazieren
gehen. Das sind Riesenvorteile. Der Städter, der alle
diese Vorteile nicht hat, soll auch noch für meinen Weg
bezahlen. Ist das eigentlich gerecht?
Der Städter hingegen wohnt direkt am Theater und
am Einkaufszentrum, dicht bei seinem Arbeitsplatz, aber
eben in einem hochverdichteten Raum. Er hat da ein riesengroßes Problem.
({3})
Ist es eigentlich gerecht, ihm diese steuerliche Möglichkeit nicht zu geben? Das ist eine sehr komplizierte
Frage.
Man könnte es auch aggressiver formulieren: Sozial
ist die Pendlerpauschale wichtig. Aus ökologischen
Gründen müssten die Grünen eigentlich fordern, sie abzuschaffen, um nämlich der Zersiedelung der Landschaft
entgegenzuwirken. Insofern ist die Frage der Pendlerpauschale sehr viel komplizierter, als viele denken.
Volker Wissing hat vorhin die Liste von Koch und
Steinbrück angesprochen. Koch und Steinbrück hatten
eine extrem komplizierte Aufgabe, nämlich ein Konsolidierungsprogramm zu erarbeiten, und sie haben das,
finde ich, gar nicht schlecht gemacht. Sie haben 50 Vorschläge - ich glaube, es waren sogar noch ein paar mehr unterbreitet. Genau einer dieser Vorschläge hat sich als
nicht tragfähig erwiesen. Alle anderen Vorschläge zum
Subventionsabbau haben ihr Ziel erreicht. Wenn nur ein
Vorschlag von 50 bis 70 Vorschlägen nicht so gut funktioniert, ist das, denke ich, ein relativ gutes Ergebnis; das
müssen wir feststellen, wenn wir auf den Konsolidierungsweg der letzten Jahre zurückblicken.
Ein bisschen irritiert bin ich von der CSU.
({4})
- Hans, du weißt, dass ich da irritiert bin. Ihr habt dem
Koalitionsvertrag zugestimmt. Ihr habt im Bundestag
zugestimmt. Ihr habt im Bundesrat zugestimmt. Im
Wahlkampf habt ihr das dann als Thema entdeckt. Das
Dumme für euch: Das haben die Wähler gemerkt.
({5})
Es war klar, dass das ein Widerspruch ist, den man nur
sehr schlecht auflösen kann.
Der Kollege Olav Gutting hat heute eine interessante
Schleife vollzogen, wie wir das mitunter gerne machen.
Er fing mit der Pendlerpauschale an, um dann zu sagen:
Wir brauchen eine große Einkommensteuerreform.
({6})
Der unmittelbare Zusammenhang ist nicht ganz leicht
herzustellen.
Lothar Binding ({7})
Ich muss dazu sagen, dass ich extrem gespannt bin.
Ich kenne die Reform von Merz, die Reform von Kirchhof, die Reform von Lang, die Reform der FDP, die Reform von Uldall. Alle wollten es einfach und gerecht
machen. Ich frage mich, warum wir seit 50 Jahren an einer einfachen und gerechten Einkommensteuerreform
arbeiten, aber noch keiner eine solche Reform vorgelegt
hat. Ich freue mich auf eure Vorlage im Januar.
({8})
Zu Herrn Solms nur so viel - das lässt sich kompakt
zusammenfassen -: Er hat hessischen Wahlkampf gemacht. Hoffentlich haben auch die Hessen das gemerkt.
Ich glaube nämlich nicht, dass es zukunftsfähig ist, so etwas hier im Parlament zu machen.
({9})
Ich hoffe, dass als Ergebnis dieses Urteils die Binnennachfrage ein bisschen gestärkt wird. Da haben wir auf
der Zeitachse einfach Glück gehabt. Über ein bisschen
Glück vor Weihnachten können wir uns doch freuen.
({10})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Dezember 2008, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.