Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten können,
müssen wir noch eine Reihe von nachträglichen Ausschussüberweisungen vornehmen.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die nachfolgenden Gesetzentwürfe zusätzlich zur Mitberatung zu überweisen: den Entwurf des Gendiagnostikgesetzes auf den
Drucksachen 16/10532 und 16/10582 und den Entwurf des
Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes auf den Drucksachen 16/10807 und 16/10868 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung; den Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom 28. April
und 5. Mai 2008 des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds auf der Drucksache 16/10535 an
den Auswärtigen Ausschuss; den Entwurf eines Gesetzes
zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur
Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen
Vertriebsformen auf der Drucksache 16/10734 an den
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und
schließlich den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts auf der Drucksache 16/10117 an
den Innenausschuss. - Damit sind Sie einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt IV auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts ({0})
- Drucksachen 16/7918, 16/8547 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 16/11075, 16/11107 Berichterstattung:
Abgeordnete Eduard Oswald
Gabriele Frechen
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/11085 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({3})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP sowie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach der Aussprache zu diesem Punkt werden wir
zwei namentliche Abstimmungen durchführen. Schon
jetzt weise ich darauf hin, dass es im Laufe des Tages
noch drei weitere namentliche Abstimmungen gibt.
Für die Aussprache zu diesem Punkt sind anderthalb
Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Als erstem Redner gebe ich dem Kollegen Florian
Pronold für die SPD-Fraktion das Wort.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir verabschieden heute ein Gesetz, das
durchaus den Titel „Die unendliche Geschichte“ verdient. Wir haben mehr als zweieinhalb Jahre über eine
insbesondere für die Länder ganz wichtige Frage verhandelt. Es ging dabei um Gerechtigkeit und Ausgleich in
unserer Gesellschaft.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil
festgestellt, das Bewertungsrecht in der bisherigen Form
sei nicht verfassungskonform, weil unterschiedliche Vermögensarten unterschiedlich bewertet würden, was zu
Ungleichheiten in der Besteuerung führe. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, dieses zu ändern.
Mit dem heutigen Tage legen wir ein verfassungskonformes Bewertungsrecht vor, das dazu führt, dass unterschiedliche Vermögensarten entsprechend gleich behandelt werden.
Für uns in der Großen Koalition war es wichtig - das
haben wir vor über eineinhalb Jahren beschlossen -, dass
Redetext
die Länder dasselbe Aufkommen aus der Erbschaftsteuer
haben werden wie bisher. 4 Milliarden Euro war die Linie, die wir uns vorgenommen haben und die wir erreicht haben. Das ist deswegen wichtig, weil dieses Geld
auch für Bildung und für Zukunftsinvestitionen in den
Ländern gebraucht wird.
Es gibt eine breite Debatte über die Zulässigkeit der
Erbschaftsteuer generell. Viele behaupten, dass hier
Enteignungen stattfinden würden und dass es ungerecht
sei, auf bereits versteuertes Vermögen noch einmal zuzugreifen. Aus meiner Sicht ist aber das Gegenteil der Fall.
Die Erbschaftsteuer ist eine der Steuern, die ein besonders hohes Maß an Gerechtigkeit aufweist, und zwar
deswegen, weil sie eine Erbanfallsteuer ist. Das bedeutet, Menschen, die ohne eigene Leistung etwas bekommen, tragen mit der Erbschaftsteuer einen Teil dazu bei,
dass in unserer Gesellschaft wichtige Aufgaben erledigt
werden können.
({0})
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
war es wichtig, dass wir dabei die Familienangehörigen,
also die Kinder und die Ehegatten, besserstellen. Ich
glaube auch, es ist eine große Leistung dieses Gesetzes,
dass wir damit in der Steuerpolitik in einem wichtigen
Bereich zum ersten Mal de facto die Gleichstellung der
eingetragenen Lebenspartnerschaften erreichen werden.
({1})
Denn wir sehen dieselben Freibeträge und dieselben Regelungen, bezogen auf das Erbrecht, wie sie im bürgerlichen Recht vorgesehen sind, auch für die Lebenspartner
vor.
Bei den Debatten, die wir in den letzten Jahren mit
den Betroffenen hatten, ging es zentral um die Frage:
Wie sieht es aus, wenn sich Leute gemeinsam ein Haus
anschaffen und einer von beiden stirbt? Kann der andere
dann das Haus halten, wenn die Erbschaftsteuer fällig
wird? Mit einem Freibetrag in Höhe von 500 000 Euro
haben wir es in der letzten Runde zusätzlich geschafft,
das selbstgenutzte Wohneigentum für den Lebenspartner praktisch generell freizustellen. Wir haben dieses
zentrale Problem wirklich zufriedenstellend gelöst.
Leider ist es uns nicht gelungen, die Lebenspartner
aus der Steuerklasse III dorthin zu bekommen, wo sie eigentlich hingehören, nämlich in die Steuerklasse I. Aber
für 99,9 Prozent der Lebenspartner werden wir eine
deutliche Verbesserung erreichen. Wir werden de facto
eine Gleichstellung erzielen.
Als weiteren wichtigen Punkt haben wir uns in der
Großen Koalition vorgenommen, die Vererbung der
Betriebe zu erleichtern. Das hat das Bundesverfassungsgericht auch immer mit der Frage hinsichtlich der Gemeinnützigkeit gekoppelt. Wir haben in diesem Gesetzentwurf ein Optionsmodell vereinbart, das für die
Betriebe entweder einen Steuernachlass in Höhe von
85 Prozent oder von 100 Prozent vorsieht. Je stärker die
Erleichterung ist, umso mehr muss die Anforderung in
Richtung des Gemeinwohls gegeben sein. Unser Anliegen als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war
es gerade, dass das an die Arbeitsplätze gekoppelt wird.
({2})
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, gerne. Wenn Herr Kollege Michelbach eine Zwischenfrage an mich hat, dann werde ich ihm das gerne
gestatten.
Herr Kollege Pronold, Sie haben in Ihren Ausführungen deutlich gemacht, dass Erben ein leistungsloser Erwerb sei. Können Sie sich vorstellen, dass in einem Familienunternehmen, in dem der Erbfall eintritt, die
Gesamtvermögenslage so ist, dass es sich auch bei den
restlichen Familienmitgliedern nicht um einen leistungslosen Erwerb handelt, sondern dass Substanzerhalt auch
im Erbfall insgesamt im Betrieb notwendig bleibt, um
die Liquidität und die Substanz des Betriebes zu gewährleisten? Damit ist Ihre Argumentation, dass es sich dabei
eigentlich um einen leistungslosen Erwerb handelt,
grundsätzlich falsch.
({0})
Lieber Kollege Michelbach, allein die Grundstruktur
des Erbschaftsteuerrechts besagt, dass das Gegenteil der
Fall ist. Denn beim Erbe wird der Zuwachs des Vermögens besteuert. Das ist immer der Zuwachs fremden Vermögens.
({0})
- Lassen Sie mich halt - ({1})
- Also gut, ich kann Ihnen durchaus eine ganze Menge
Beispiele aus Familien bringen, in denen Leute darüber
streiten, was dem einen von den beiden gehört. Ich
glaube, es kann durchaus juristischen Streit darüber geben, ob das auch dem anderen gehört. Es gibt also nicht
den Begriff des Familienvermögens. In unserer Rechtsordnung ist es so, dass das Eigentum einer Person oder
einer Personengemeinschaft zugeordnet wird. Das ist
eben die Frage, um die es auch bei dem Familienbetrieb
geht. Bei dem Familienbetrieb gibt es einen Eigentümer.
Dieser Eigentümer gibt das Vermögen an andere Personen weiter. Das ist der juristische Vorgang des Übergangs. Der wird bei dem, der es bekommt, besteuert.
Jetzt kann die Frage auftauchen: Haben zum Beispiel
Familienangehörige in einem Betrieb mitgearbeitet und
deswegen auch zum Bestand des Vermögens beigetragen? Natürlich kann das sein. Es kann sein, dass sie dafür entlohnt worden sind. Es kann sein, dass sie nicht daFlorian Pronold
für entlohnt worden sind. Das weiß man nicht. Das wird
man später sehr schwer feststellen können. Darum haben
wir gerade für die Familienbetriebe die Regelung geschaffen, dass zukünftig noch mehr - schon bisher haben
übrigens 95 Prozent keine Erbschaftsteuer gezahlt keine Erbschaftsteuer zahlen werden. Wir wollten, dass
die Familienbetriebe erhalten bleiben, weil die Struktur
und die Art und Weise, wie Familienbetriebe arbeiten,
uns lieber sind als die einer Aktiengesellschaft, die dem
schnellen Profit hinterherjagt. Deswegen haben wir für
die Familienbetriebe etwas gemacht.
({2})
Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht: Wenn ihr jemanden im Rahmen der Erbschaftsteuer besserstellen wollt als andere, dann braucht ihr
eine gute Begründung. Diese Begründung muss das Allgemeinwohl sein.
({3})
Man kann das nachlesen. Das heißt, dass wir das verfassungsfest hinbekommen müssen. Deswegen war für uns
wichtig, die Befreiung von der Erbschaftsteuer an die
Lohnsumme zu koppeln - nicht deswegen, weil wir damit jemanden gängeln wollen, sondern deswegen, weil
wir eine verfassungsgemäße Ausnahme wollten und dies
nachprüfbar dem Allgemeinwohl und der Sicherung von
Arbeitsplätzen dienen soll. Dafür haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns besonders eingesetzt.
({4})
In den letzten Monaten und Jahren ist eine ganze
Menge an Propaganda im Zusammenhang mit der Frage
betrieben worden, was dort angeblich passiert. Ein paar
Fakten: Etwa 250 Milliarden Euro werden jedes Jahr
vererbt. Davon wird ein Anteil von gerade einmal 4 Milliarden Euro, also von unter 2 Prozent, an Erbschaftsteuer eingenommen. Wer hier also von einem enteignungsgleichen Eingriff spricht, der irrt.
({5})
Wir haben mit der Steuerklasse I Kinder und Ehepartner
genauso wie die Enkel massiv bessergestellt. Die Freibeträge in der Steuerklasse I sind verdoppelt bis vervierfacht
worden. Heute können Eltern an ein Kind 3,5 durchschnittliche Eigenheime vererben, ohne dass dafür überhaupt 1 Cent Erbschaftsteuer anfällt. Wer mir sagt, dass
dies eine schwere und unzumutbare Belastung ist, der
irrt.
({6})
Das gilt auch für das durchschnittliche Eigenheim in
Großstädten. Das durchschnittliche Eigenheim in München in besserer Wohnlage liegt bei einem Wert von
480 000 bis 520 000 Euro - je nach dem, welche Statistik Sie bemühen. Auch nach dem alten Entwurf wären
die Ehepartner und die Kinder mit einem Freibetrag von
zweimal 400 000 Euro steuerfrei.
Dass man sich dann noch besonders für die Villenbesitzer am Starnberger See einsetzen muss, kann ich nicht
nachvollziehen.
({7})
Warum wir daher nicht das Geld haben, um zum Beispiel Betroffene in der Steuerklasse II besserzustellen
gegenüber denjenigen in der Steuerklasse III, sollten
sich diejenigen fragen lassen, die den Villenbesitzern am
Starnberger See so vehement einen Dienst tun wollten.
({8})
- Natürlich ist es so. Das war doch Gegenstand der Verhandlungen. Ich habe an allen teilgenommen und habe
live miterlebt, welche Auseinandersetzungen es gab.
Derzeit wird Menschen weiter - ich habe es gestern
im Fernsehen gesehen - unberechtigterweise Angst gemacht. Gestern war ein toller Beitrag über zwei
Geschwister zu sehen, die ihr Leben lang in einem Haus
wohnen, das sie gemeinsam vom Vater geerbt haben,
und die jetzt im Alter von 75 Jahren Angst haben - nach
der Debatte, die stattgefunden hat, kann ich das nachvollziehen -, dass, wenn eine von beiden stirbt, Erbschaftsteuer anfällt und deswegen das Haus verkauft
werden muss. Wir haben in den Verhandlungen genau an
diesen Fall gedacht und ihn gelöst.
({9})
- Ich mache das gerne klar, wenn Sie das wissen wollen.
({10})
- Nein, die müssen nicht heiraten. Wir haben eine Bestimmung geschaffen, die es in ähnlicher Weise früher
schon für das Betriebsvermögen gab. Wenn das Eigentum an einem Haus übergeht, ohne dass sonstiges Vermögen vorhanden ist und keine Erbschaftsteuer gezahlt
werden kann, dann wird die Erbschaftsteuer für diese
Fälle für zehn Jahre zinsfrei gestundet.
({11})
Ich weiß, dass es unterschiedliche Fragestellungen
gibt. Ich will Ihnen zu dieser ganzen Erbschaftsteuerdebatte eines sagen: Ich habe viele Menschen erlebt, die
viel besitzen und die sich das einmal unter dem Aspekt
der Gerechtigkeit angeschaut haben.
({12})
Sie haben gesagt, sie hätten Verständnis dafür, dass,
wenn jemand etwas ohne eigene Leistung bekomme,
auch die Gesellschaft etwas davon haben müsse.
Ich habe mit vielen Mittelständlern gesprochen, die
anders argumentieren als die FDP.
({13})
Diese Unternehmer wissen genau, Herr Michelbach,
dass die Existenz des Betriebes, den sie aufgebaut haben,
nicht nur davon abhängt, dass sie selbst eine Leistung erbracht haben, sondern auch davon, dass ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Leistung erbracht haben. Sie wissen, dass diese ihre Leistung nur erbringen
konnten, weil wir ein gutes Bildungssystem haben. Außerdem wissen sie, dass die Zuschüsse und Subventionen, die sie erhalten haben, aus Steuermitteln finanziert
wurden. Diese Mittelständler sind bereit, einen Teil davon an die Gesellschaft zurückzugeben, von der sie zuvor etwas empfangen haben.
Deswegen ist Erbschaftsteuer eine Frage der Gerechtigkeit. Das ist eine wichtige Frage für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir wollen deutlich
machen, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft ein
ganz zentrales Element ist, das auch dadurch erhalten
bleibt, dass von den Reichen etwas zu denen fließt, die
nichts haben.
({14})
60 Prozent der Menschen in dieser Gesellschaft werden nie ein relevantes Vermögen erben. Diese Feststellung sollte für diese Debatte grundlegend sein. Ich sage
einmal etwas Persönliches: Ich bin meinen Eltern dankbar dafür, dass sie mich mit etwas ausstatten, für das ich
nichts getan habe, dass ich vielleicht eine Eigentumswohnung erben werde, wofür ich nichts kann. Ich habe
damit einen Chancenvorteil, den 60 Prozent der Menschen in diesem Land nicht haben.
({15})
Ich wäre bereit, etwas dafür zu zahlen - das ist doch
überhaupt keine Frage -, aber ich muss es nicht, weil das
alte und erst recht das neue Erbschaftsteuerrecht großzügig ist.
({16})
- Herr Ramsauer, qualifizierte Zwischenrufe waren noch
nie Ihre besondere Stärke. Aber ich finde, man sollte die
Kirche im Dorf lassen.
({17})
Wir haben heute etwas erreicht, auf das wir stolz sein
können. Ich habe selten erlebt, dass ein Thema die Gesellschaft so beschäftigt hat, wie die Erbschaftsteuer.
({18})
- Ich habe vorhin ja ein paar Fakten genannt, um das
Ganze wieder auf den Boden der Rationalität zurückzuholen. - Es geht darum, dass wir den Auftrag des Verfassungsgerichts erfüllen. Wir haben ein verfassungskonformes Bewertungsrecht, jetzt übrigens auch wieder für
die Vermögensteuer.
({19})
Die Erbschaftsteuer ist grundlegend, um wieder eine
Vermögensteuer erheben zu können. Ich danke deswegen dafür, dass es uns in der Großen Koalition gelungen
ist, die Voraussetzungen dafür mit dem heutigen Tag
wieder sicherzustellen.
({20})
Diejenigen, die die Erbschaftsteuer abschaffen wollen, sind gescheitert. Wir werden ab dem 1. Januar
nächsten Jahres ein verfassungskonformes Erbschaftsteuerrecht haben. Wir haben eine deutliche Besserstellung für die Lebenspartner erreicht. Auch im Bereich der
betrieblichen Nachfolge haben wir eine ganze Menge
verbessert. Die Große Koalition hat übrigens genau das
Modell aufgegriffen - ich sage das, weil häufig das Argument zu viel Bürokratie vorgebracht wird, über das
man sich berechtigterweise unterhalten kann -, das sich
die Wirtschaft gewünscht hat, zumindest am Anfang des
Prozesses. Ein Abschmelzmodell war der Wunsch der
Wirtschaft. Es war der Wunsch der Wirtschaft, die Erbschaftsteuer über sieben oder zehn Jahre abzuschmelzen.
Dann muss man das aber auch sieben oder zehn Jahre
lang kontrollieren, und das ist bürokratisch. Mit uns
wäre jederzeit ein einfacheres Modell möglich gewesen.
Das vorgesehene Modell ist zwar kompliziert, aber dieselben Betroffenen, die heute dagegen polemisieren,
wollten das so haben.
({21})
Herr Kollege, möchten Sie eine weitere Zwischenfrage zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Pronold, habe ich Sie richtig verstanden, dass Ihre Fraktion die Wiedereinführung der Vermögensteuer plant?
Wenn Sie die Diskussion dazu aufmerksam verfolgt
haben, wissen Sie, dass es einen SPD-Parteivorstandsbeschluss und einen Parteitagsbeschluss der SPD gibt, in
denen die Vermögensteuer als wichtiges Element einer
gerechten Steuerpolitik bezeichnet wird.
({0})
Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, was passiert ist,
als die Vermögensteuer abgeschafft worden ist, wozu Sie
beigetragen haben. Die 4 Milliarden DM, die die Vermögensteuer damals ausgemacht hat, sind nicht im Nichts
verschwunden. Was man den Reichen schenkt, muss
man den Armen nehmen.
({1})
Man hat die Grunderwerbsteuer im Gegenzug um
75 Prozent erhöht. Das bedeutet: Die kleinen Häuslebauer haben die Geschenke an die Millionäre, die Sie
verteilt haben, bezahlt. Das ist die Wahrheit über die
Vermögensteuer.
({2})
Mir ist es lieber, dass die starken Schultern mehr tragen
als die schwachen. Nur dann kann eine Gesellschaft
funktionieren.
Ich darf mich für die zwar nicht immer ganz konstruktive, aber im Ergebnis doch gute Arbeit, die wir in der
Großen Koalition geleistet haben, ganz herzlich bedanken. Ich darf mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor allem im Ministerium, bedanken, die über
zwei Jahre hinweg wirklich eine Menge Arbeit hatten. Ich
darf mich bei den Kollegen Berichterstattern bedanken
und auch bei den Oppositionsfraktionen, die zugegebenermaßen eine sehr umfangreiche und komplizierte Gesetzesmaterie in komprimierter Form mit uns bearbeiten
mussten. Herzlichen Dank dafür! Wir haben heute ein
kleines Stück dazu beigetragen, dass es in dieser Welt etwas gerechter zugeht.
Herzlichen Dank.
({3})
Jetzt hat Carl-Ludwig Thiele das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Nach der Brandrede des
Kollegen Pronold
({0})
ist es natürlich überhaupt nicht überraschend, dass seitens der Union null Beifall zu diesen Vorstellungen des
Koalitionspartners gekommen ist. Mein Eindruck ist sowieso, dass dieser Gesetzentwurf im Wesentlichen die
Handschrift der SPD trägt.
({1})
Insofern appelliere ich schon jetzt an die Union, sich zu
überlegen, ob sie diesem Gesetzentwurf überhaupt zustimmen kann.
({2})
Es ist erstaunlich, Herr Kollege Pronold, dass man,
nachdem die Koalition über Jahre hinweg in den Dunkelkammern unterschiedlicher Arbeitsgruppen das Erbschaftsteuerrecht behandelt hat, hier sagt, Kritik dagegen
sei Propaganda. Wir haben noch in der vorletzten Sitzung des Finanzausschusses darauf gedrängt, eine Anhörung über die Änderungsanträge durchzuführen, was
keine zeitliche Verzögerung des Gesetzgebungsvorhabens zur Folge gehabt hätte. Denn die Änderungsanträge
sind inzwischen umfangreicher als der Gesetzentwurf.
Eine Anhörung wurde von Ihnen und von der Union abgelehnt. Würde man offen diskutieren wollen und hätte
man nichts zu verstecken, dann hätte man die Anhörung
durchführen können. Dann wäre Sachverstand hineingekommen, den Sie meiner Ansicht nach noch gebrauchen
können.
({3})
Zu den Problemen der Geschwister komme ich gleich
noch. Aber lassen Sie mich vorab noch einiges sagen.
Dieser Gesetzentwurf zur Reform der Erbschaftsteuer
ist totaler Murks.
({4})
Dieses Gesetz ist nicht praktikabel, es ist streitanfällig,
und der Verwaltungsaufwand wird enorm sein. Hier ist
ein bürokratisches Monster entstanden, wie wir es im
Bundestag eigentlich nicht mehr beschließen wollten.
({5})
Es ist zwar richtig, dass das Bundesverfassungsgericht
gesagt hat, dass das derzeitige Recht nicht anzuwenden
ist. Aber kein Verfassungsgericht hat Ihnen aufgegeben,
diesen Gesetzentwurf hier und heute zu beschließen. Das
stimmt nicht. Dieser Gesetzentwurf ist derart verunglückt, dass ihm keiner zustimmen kann.
({6})
An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, dass
die Blaupause für dieses Gesetz von Ministerpräsident
Roland Koch und Finanzminister Peer Steinbrück als
steuerpolitisches Dreamteam entworfen wurde. Aufgrund der Vielzahl der Ausnahmeregelungen, die in diesem Gesetz vorgesehen sind, wird es enorme Abgrenzungsprobleme in Einzelfällen geben.
({7})
Der Verwaltungsaufwand und die Streitanfälligkeit
werden dafür sorgen, dass es ein Konjunkturprogramm
für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
sein wird. Kosten und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Dabei sind auch die Kosten des Fiskus zu berücksichtigen; denn er muss es administrieren, er muss die
Lohnsumme nachhalten. Das ist überhaupt nicht machbar, nicht einmal mit Datentechnik.
({8})
Die Steuererklärung selbst hat der Steuerpflichtige
abzugeben. Die kann er bei diesem Gesetz nicht erbringen. Er wird Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Gutachten brauchen. Es wird ein Aufwand entstehen, der in
diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht erwähnt wird.
Die Koalition hat sich angeblich darauf geeinigt, ein
Aufkommen in der Größenordnung von 4 Milliarden
Euro pro Jahr zu erreichen. Ich möchte darauf hinweisen, dass das durchschnittliche Aufkommen der letzten
zehn Jahre 3,2 Milliarden Euro pro Jahr betrug, nicht
4 Milliarden Euro.
({9})
Seitens der FDP hatten wir schon immer den Eindruck, dass im Rahmen der Erbschaftsteuer eine klammheimliche Steuererhöhung durch die Große Koalition
geplant ist. Jetzt haben wir die Bestätigung, dass Finanzminister Peer Steinbrück die Union kräftig über den
Tisch gezogen hat. Denn in einem Schreiben nach gefundenem Kompromiss vom 7. November dieses Jahres hat
Finanzminister Steinbrück sich mit folgenden Worten an
seine Fraktionskollegen gewandt:
Liebe Genossinnen und Genossen, … wird nicht
nur das von uns als Ziel vorgegebene Aufkommen
von 4 Mrd. Euro erreicht werden, sondern das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer weiter wachsen
({10}).
Die Wahrheit ist also: keine Steuerneutralität, sondern
Aufkommenserhöhung. Das wird mit diesem Gesetz betrieben.
({11})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
gibt zwei Gruppen, die von dieser Erbschaftsteuerreform
massiv betroffen sind. Das sind erstens die Familienunternehmen und zweitens die Erben der Steuerklassen II
und III, also Geschwister, weiter entfernte Verwandte
und nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Zu den Familienunternehmen. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen einer börsennotierten
Gesellschaft und einem familiengeführten Unternehmen.
Wenn ein Aktionär verstirbt, werden seine Aktien vererbt und zum Zeitpunkt der Erbschaft bewertet. Um die
Steuerschuld zu begleichen, kann der Erbe Aktien veräußern. Ein DAX-Unternehmen, ein börsennotiertes Unternehmen, verliert keinen Cent Kapital.
Im deutschen Mittelstand ist das komplett anders. Da
fehlt häufig der Kopf des Unternehmens. Es ist kein
Geld vorhanden, da es in den Betrieb investiert wurde. In
diesem Fall muss der Betrieb zur Begleichung der Steuerschuld belastet bzw. die Eigenkapitalbasis des Betriebes geschmälert werden. Es wird in die Substanz des Betriebes eingegriffen. Ich halte es für unverantwortlich,
dass hierauf überhaupt keine Rücksicht genommen wird.
({12})
Wenn ich an die Sonntagsreden von SPD und Union
denke, in denen zu Recht das Hohelied auf den deutschen Mittelstand gesungen wird, dann kann ich zu dieser Erbschaftsteuerreform nur sagen: Die Große Koalition, vor allen Dingen aber die Union - das muss ich
leider sagen -, ist gegenüber dem Mittelstand nicht
glaubwürdig. Dieses Gesetz ist ein Gesetz, das gegen
den deutschen Mittelstand gerichtet ist.
({13})
Diese Reform der Erbschaftsteuer richtet sich gegen den
Mittelstand und seine Beschäftigten.
({14})
Es kann doch nicht Ziel eines Unternehmens sein, Erträge zu erwirtschaften, um sie für Erbschaftsteuerforderungen zurückzuhalten. Die Erträge sollen investiert
werden, um Arbeitsplätze zu sichern
({15})
und den Betrieb erfolgreich zu führen. Darum geht es.
({16})
Das ist der Unterschied zwischen Familiengesellschaften
und börsennotierten Kapitalgesellschaften.
({17})
Es wurde immer der Eindruck erweckt, die Ausnahmen seien die Regel. Jetzt müssen wir aber feststellen:
Die Ausnahmen bleiben Ausnahmen. Im Erbschaftsteuerrecht gibt es in Zukunft einen ganz neuen Vermögensbegriff, das Verwaltungsvermögen. Ich will Ihnen diesen Begriff erklären. Jede mittelständische Firma ist gut
beraten, über Eigenkapital zu verfügen; gerade die aktuelle Finanzkrise zeigt dies überdeutlich. Wenn aber Kapital, das man investieren möchte, mit dem man zum
Beispiel eine Halle bauen oder eine Maschine anschaffen möchte, länger als sechs Monate vorhanden ist, dann
gilt es, wenn es die Grenze von 10 Prozent übersteigt,
für zehn Jahre als Verwaltungsvermögen, ab 50 Prozent
für sieben Jahre. In diesem Fall wird überhaupt keine
Begünstigung gewährt, sodass die Vollbesteuerung eines
Unternehmens der Regelfall ist,
({18})
und zwar in zwei-, vier- oder sogar sechsmal höherem
Ausmaß, als es derzeit der Fall ist.
Ich frage mich: Welches Weltbild steckt eigentlich
hinter solch abstrusen Vorstellungen? Das kann ich Ihnen erklären. Ich zitiere wieder aus dem Brief von Finanzminister Steinbrück an seine Genossen:
… das im Betrieb befindliche sog. Verwaltungsvermögen ({19}) …
({20})
Ich frage Sie allen Ernstes, Herr Minister: Verkehren
Sie nur noch in den Vorstandsetagen der DAX-Unternehmen?
({21})
Wissen Sie eigentlich, wie die Situation im deutschen
Mittelstand ist? Wo sind da die Picassos? Wo sind da die
Edelsteine?
({22})
Das ist eine üble Polemik gegen Familienbetriebe. Diese
Arroganz ist schlichtweg unerträglich. Sie hatte zur
Folge, dass sich 170 Familiengesellschaften an die Regierung gewandt haben mit der Bitte, diesen GesetzentCarl-Ludwig Thiele
wurf nicht zu verabschieden, weil die Ausnahme überhaupt nicht zur Anwendung kommen wird.
Lassen Sie mich noch kurz auf die Steuerklassen II
und III zu sprechen kommen. Neben einer geringfügigen
Erhöhung der Freibeträge kommt es zu einer drastischen
Erhöhung der Steuersätze. Der für Vermögen geltende
Eingangssteuersatz wird auf 30 Prozent erhöht.
Das Beispiel, das der Kollege Pronold gerade angeführt hat, bedeutet Folgendes: Wenn zwei Geschwister
ein Haus, das einen Wert von 240 000 Euro hat, geerbt
und entschuldet haben, und einer der beiden verstirbt,
dann erhält der andere einen Wert von 120 000 Euro.
Der Freibetrag beträgt 20 000 Euro. Auf den Erwerb dieses Hauses sind innerhalb eines Monats nach Erhalt des
Steuerbescheides 30 000 Euro zu zahlen.
({23})
Das ist eine Teilenteignung.
({24})
Wir wollen, dass die Menschen in unserem Lande Vermögen erwerben,
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
- ich komme zum Ende, Frau Präsidentin -, sei es als
Mitarbeiterbeteiligung, sei es als Eigentum. Wir wollen
aber nicht, dass sie von unserem Staat teilenteignet werden und dass ihnen das, was sie sich erarbeitet haben, genommen wird. Das ist doch ein Gesellschaftsbild, das
krank ist, und ein Wirtschaftsbild, das nicht richtig sein
kann.
Herr Kollege.
Insofern möchte ich noch einmal ausdrücklich appellieren - auch an die Kollegen der Union -, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung nicht zu geben.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. - Ich glaube
wirklich, dass hier die Axt in unverantwortlicher Weise
an Fundamente unseres Staates gelegt wird. Das muss
verhindert werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege
Albert Rupprecht.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Thiele, gemessen am Entwurf des Finanzministers
vom Februar ist der jetzige Gesetzentwurf ein Riesenfortschritt. Die Veränderungen des Gesetzentwurfs tragen ganz klar die Handschrift der Union und insbesondere die der CSU.
({0})
Wir haben Wort gehalten: Der Erbe, der das Unternehmen zehn Jahre fortführt und Arbeitsplätze sichert,
wird von der Steuer befreit. Wir haben ebenso Wort gehalten: Der Ehepartner erhält das privat genutzte Haus
bzw. die privat genutzte Wohnung steuerfrei, und es wird
nicht notwendig sein, dass er das Haus bzw. die Wohnung verkauft, um Steuern zu zahlen.
({1})
Wir haben Respekt vor der Lebensleistung der Bürger und verstehen uns als Partei der Familie und des Eigentums. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass die
Verhandlungen - insbesondere die mit dem Kollegen
Pronold - einfach aufgrund unterschiedlicher Grundauffassungen und Verständnisse der Gesellschaftspolitik in
der Tat nicht immer einfach waren.
({2})
Nichtsdestotrotz haben wir zwingend für Verbesserungen geworben, und im Ergebnis haben wir diese Verbesserungen auch durchgesetzt.
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, zunächst zur
betrieblichen Erbschaftsteuer. Unser Anliegen war es
seit Jahren, den Generationswechsel im Mittelstand zu
erleichtern. Wir haben deswegen - insbesondere wieder
als CSU - bereits vor Jahren das Abschmelzmodell vorgeschlagen.
({4})
Wer das Unternehmen fortführt, soll steuerfrei erben
können, damit Arbeitsplätze gesichert werden. Herr
Thiele, im Übrigen hat die FDP auf ihrem Parteitag 2004
ein analoges bzw. ähnliches Modell - eben auch ein Abschmelzmodell - beschlossen.
({5})
Herr Thiele, deswegen haben Sie hier in der ersten
Lesung - wie wir im Übrigen auch - zu Recht Verbesserungen für den Mittelstand eingefordert. Der Regierungsentwurf war in der Tat unzureichend.
({6})
Ich behaupte aber, dass wir Stand 27. November 2008
weit mehr Verbesserungen durchgesetzt haben, als Sie
Albert Rupprecht ({7})
damals, im Februar, bei der ersten Lesung überhaupt eingefordert haben.
Sie haben in Ihrer Rede im Februar eine Verkürzung
der Behaltensfrist und eine Nachbesserung bei der Stundungsregel eingefordert. Das war alles, was Sie damals
an konkreten Veränderungsvorschlägen eingebracht haben.
({8})
Beides ist heute in Gänze erfüllt. Wir haben weit mehr
für den Mittelstand getan, als Sie damals gefordert haben.
({9})
Für Unternehmen mit einem Wert von bis zu
1 Million Euro muss man aufgrund der Freibeträge auch
nach dem Sieben-Jahres-Modell künftig keine Erbschaftsteuer zahlen. Das sind Dreiviertel der deutschen
Unternehmen. Auch für die größeren Unternehmen kann
eine Freistellung von 100 Prozent erreicht werden,
wenngleich man dafür in der Tat höhere Auflagen erfüllen muss. Herr Thiele, es ist absurd, diese Erfolge als
mittelstandsfeindlich zu bezeichnen. Das ist eine dramatische Verbesserung gegenüber dem geltenden Recht.
({10})
Wir haben den Gesetzentwurf in vielen Punkten für
den Mittelstand substanziell verbessert: Wir haben die
Behaltensfrist von 15 auf 7 Jahre verkürzt. Wir haben
die Geltungsdauer der Lohnsummenregel von zehn Jahre
auf sieben Jahre verkürzt. Die Lohnsumme wird, anders
als geplant, nicht jedes Jahr, sondern nur einmal am
Ende der Behaltensfrist überprüft. Auch hinsichtlich der
Verpachtungen ist jetzt eine umfassende Verschonung
vorgesehen.
({11})
Es gibt sowohl bei der Lohnsumme als auch bei der Behaltensfrist kein Fallbeil mehr.
({12})
Die Steuerschuld wird jährlich abgeschmolzen, wie
wir das immer wollten. Das war im Übrigen auch eine
der wichtigsten Forderungen bzw. Bitten aus der Wirtschaft. Der Erbe kann zwischen sieben Jahre Behaltensfrist und 85 Prozent Steuerfreiheit und zehn Jahre Behaltensfrist und 100 Prozent Steuerfreiheit wählen.
Wir haben die Doppelbesteuerung - Einkommensteuer und Erbschaftsteuer - für die ersten Jahre gestrichen. Wir haben die Indexierung der Lohnsumme gestrichen. Auch das war eine weitere dringende Bitte der
Wirtschaft.
({13})
- Gerne.
Herr Kollege Thiele, bitte schön.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Sie haben mich
angesprochen, Herr Kollege. Daher möchte ich Sie doch
einmal auf die Baden-Badener Erklärung der 170 Familienunternehmen - das sind bekannte Familienunternehmen in Deutschland - ansprechen. Dort heißt es:
Gerade die aktuelle Finanzkrise zeigt, wie schwierig, ja unerfüllbar die im bisher bekannt gewordenen Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen und
Auflagen sind, deren Einhaltung den Familienunternehmen über sieben oder gar zehn Jahre hinweg
aufgezwungen werden soll.
Weiter heißt es:
Hinzu kommt, dass von den vorgesehenen Entlastungen weite Teile der Familienunternehmen ausgeschlossen werden. Alleine die neu hinzugefügten
Bedingungen, die Erleichterung nur zu gewähren
bei einer maximalen Verwaltungsvermögensgrenze
von 10 Prozent oder die Mindestbeteiligungsgrenze
von 25 Prozent bei Kapitalgesellschaften, führen
dazu, dass die Entlastung für viele zwar auf dem
Papier, aber nicht in der Realität greifen wird.
Das ist genau mein Vorwurf. Ich bestreite nicht, dass
optisch Verbesserungen erreicht worden sind. Ich bestreite aber, dass diese Verbesserungen tatsächlich bei
den Familienbetrieben in entsprechender Form ankommen werden.
({0})
Herr Rupprecht, ich würde gerne noch die Zwischenfrage von Herrn Ramsauer anschließen; dann können Sie
beide zusammen beantworten.
Frau Präsidentin, ich möchte den Kollegen Rupprecht
fragen, ob ihm bekannt ist,
({0})
dass den 170 Familienunternehmen, von denen gerade
die Rede war, diese Baden-Badener Erklärung zu einem
Zeitpunkt vorgelegt worden ist - dies geschah mit dem
Ziel, ihr Einverständnis dafür einzuholen, dass ihr Name
darunter gesetzt wird -, zu dem die 170 überhaupt nicht
über die Einigungen Bescheid wussten, die in der Koalitionsspitze am 6. November erzielt worden sind.
({1})
Es ist nämlich ein kleiner Betrug, der mit dem Namen
dieser 170 ehrbaren Familienunternehmen betrieben
worden ist.
({2})
Jetzt geben wir Herrn Rupprecht die Gelegenheit, auf
beide Fragen zu antworten, und beide Herren stehen in
voller Schönheit vor uns.
Was die Frage des Kollegen Ramsauer angeht, so
lernt man immer gerne vom Vorsitzenden der Landesgruppe dazu. Ich wusste das nicht. Aber das erklärt natürlich vieles.
Zum Zweiten. Herr Thiele, ich habe größtes Verständnis dafür, dass die großen Familienunternehmen weitere
Forderungen haben. Ich werde nachher noch auf einzelne kritische Punkte eingehen. Aber Sie müssen doch
zugestehen, dass es, gemessen am jetzigen Rechtzustand, auch für die großen Familienunternehmen substanziell eine wesentliche Verbesserung ist.
({0})
Sind Sie mit der Beantwortung fertig?
Das war die Antwort.
Das war die Antwort. Herr Thiele möchte Ihnen gerne
eine weitere Frage stellen. Eine würde ich jetzt noch zulassen.
Ich bedanke mich sehr, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ramsauer, ich darf zitieren.
({0})
Eine Zwischenfrage können Sie stellen.
Frage an den Kollegen Rupprecht: Herr Kollege
Rupprecht, die Baden-Badener Erklärung datiert vom
8. November. Das war also nach der Einigung, Herr Kollege Ramsauer.
({0})
- Die wussten es nicht, sagen Sie. Das kann doch überhaupt nicht sein; denn die Regelung bezüglich der sieben
und zehn Jahre ist in der Erklärung ausdrücklich genannt. Sie aber gab es vor der Einigung gar nicht. Sie
wurde erst am 7. November in der Koalition vereinbart.
Also bezieht sich die Erklärung genau darauf.
({1})
- Melden Sie sich doch. - Insofern möchte ich Sie fragen, ob Sie es für sachgerecht halten, diese Erklärung in
der Form abzutun, wenn doch genau auf die Regelung
Bezug genommen worden ist, zu der Sie hier vortragen.
Herr Thiele, wir nehmen die Sorgen und die Anliegen
der großen Familienunternehmen insgesamt sehr ernst,
weil die Unternehmen für die wirtschaftliche Substanz
unseres Landes von außerordentlicher Bedeutung sind.
Ich wiederhole: Auch für die großen Familienunternehmen gibt es unter dem Strich substanzielle Verbesserungen. Wir können gerne über einzelne Details reden. Wir
werden auch in den nächsten Jahren über einzelne Details und über Nachbesserungen reden. Aber Sie müssen
anerkennen, dass es auch für die großen Familienunternehmen unterm Strich zu einer Verbesserung kommt.
({0})
Herr Thiele, summa summarum haben wir weit mehr
Verbesserungen gegenüber dem Entwurf durchgesetzt,
als Sie es im Februar überhaupt zu fordern gewagt haben. Ich sage auch ganz klar: Diese Änderung gäbe es
nicht ohne die Union und vor allem ohne die CSU.
({1})
Von den Wirtschaftsverbänden und vom Handwerk
wird klar anerkannt, dass die CSU einen erheblichen
Beitrag zum Wohle der Wirtschaft in unserem Land geleistet hat. Auch in der Landwirtschaft und in der Forstwirtschaft müssen künftig nur wenige Großbetriebe Erbschaftsteuer zahlen.
Wir haben auch durchgesetzt, dass Verpachtung nicht
schädlich ist. Auf dieser Grundlage können die Höfe
vernünftig an die Erben übergeben werden. Das ist ein
wichtiger Erfolg für die ländlichen Räume. Auch das
wäre ohne das Engagement der CSU und insbesondere
ohne die Hartnäckigkeit von Peter Ramsauer, Erwin
Huber und Horst Seehofer nicht möglich gewesen.
({2})
Bürgerliche Politik heißt für uns Nachhaltigkeit und
Generationendenken. Bürgerliches Denken heißt: Eltern
vertrauen den Kindern das Erbe an, und die Kinder erhalten das Erbe und führen es fort.
({3})
Trotz aller Verbesserungen gibt es in dem Gesetzentwurf - das gestehe ich zu, Herr Thiele - auch kritische
Punkte. Deswegen hatten viele Kollegen in der Union
die Hoffnung, dass wir die Erbschaftsteuer abschaffen
können.
Kritisch ist erstens, dass das Erbschaftsteuerrecht
nicht einfacher, sondern komplizierter und komplexer
wird. Es ist ein komplexer Gesetzentwurf mit vielen detaillierten Regelungen.
Albert Rupprecht ({4})
Kritisch ist zweitens in der Tat die Definition bzw.
Abgrenzung des Verwaltungsvermögens. Zum Beispiel
ist zu kritisieren, dass Aktienanlagen bei Pensionsrückstellungen als schädliches Verwaltungsvermögen definiert sind, obwohl wir eigentlich die betriebliche Altersvorsorge fördern wollen.
Sehr kritisch ist, dass die Vermietung von Gewerbeimmobilien als Verwaltungsvermögen definiert ist.
({5})
Es kommt in Einzelfällen bei Immobilienunternehmern
zu schwerwiegenden Belastungen. Daran gibt es nichts
zu beschönigen.
Solange man aber bei diesem Erbschaftsteuersystem
bleibt, geht kein Weg daran vorbei, dass man die Trennlinie zwischen Verwaltungsvermögen und Betriebsvermögen ziehen muss. Andernfalls kommt es zu
schwierigen Steuergestaltungen.
In den Verhandlungen ging es letztendlich um die
Frage, ob eine großzügige Abgrenzung erfolgt. Das war
einer der ständigen Konfliktpunkte in den Verhandlungen mit der SPD. Wir wollten vieles großzügig abgrenzen. Wir wollten, dass vieles nicht zum schädlichen Verwaltungsvermögen zählt. Die SPD hingegen wollte - Sie
können das anhand der Rede des Kollegen Pronold nachvollziehen -, dass möglichst vieles als schädliches Verwaltungsvermögen deklariert wird.
({6})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Pronold zulassen?
Ja.
Ist Ihnen bewusst, Herr Kollege, dass, als wir zum
Beispiel beim Jobgipfel mit Herrn Faltlhauser - dem damaligen Finanzminister - und Herrn Fahrenschon - damals noch CSU-Bundestagsabgeordneter - die ersten
Fragen zur Abgrenzung von Verwaltungsvermögen beraten haben, die Vorschläge für die härtestmögliche Abgrenzung bei dem ursprünglichen Modell aus dem bayerischen Finanzministerium kamen?
Herr Kollege Pronold, ich bitte um Verständnis, dass
ich mir als frei gewählter Parlamentarier das Recht herausnehme, auch Vorschläge eines bayerischen Finanzministers, der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers im parlamentarischen Verfahren zu ändern und
mir eine eigene Meinung zu bilden.
({0})
Jetzt gäbe es noch eine Zwischenfrage der Kollegin
Hendricks. Möchten Sie die auch noch zulassen?
({0})
Gerne.
Frau Hendricks, bitte schön.
Herr Kollege Rupprecht, sind Sie mit mir der Auffassung, dass es selbstverständlich das Recht eines frei gewählten Abgeordneten ist, Vorschlägen aus dem bayerischen Finanzministerium nicht zu folgen? Aber sind Sie
zugleich mit mir der Auffassung, dass es nicht zuträglich
ist, Herrn Pronold etwa sozusagen schädliche SPD-Abgrenzungen vorzuhalten, die in Wirklichkeit aus dem
CSU-geführten Finanzministerium kamen?
Frau Kollegin, der Kollege Pronold hat bei den Verhandlungen in den letzten Wochen und Monaten auf eine
schärfere Abgrenzung gedrängt. Das ist Fakt. So ist die
Sachlage.
({0})
Ich kann nur aus den Besprechungen berichten, bei denen ich dabei war,
({1})
und über das, was ich erlebt habe.
({2})
Zurück zu den kritischen Punkten. Kritisch ist für uns
in der Tat, dass die SPD nicht bereit war, bei der Lohnsumme eine Härtefallregelung einzuführen. Im Jahr
2008 weiß kein Unternehmer, ob er in den nächsten zehn
Jahren die Beschäftigten halten kann. Auch wenn er
selbst einen Spitzenjob macht, kann es durchaus sein,
dass die Konjunktur ihn zu Entlassungen zwingt.
({3})
Wir haben als CSU deswegen klargemacht, dass wir in
der nächsten Legislaturperiode eine Änderung dieses
Punktes wollen.
Viele von uns in der Unionsfraktion haben immer
wieder darüber nachgedacht, ob und wie wir die Erbschaftsteuer ganz abschaffen können, um das Steuersystem zu vereinfachen. Bei der abschließenden Bewertung
war aber auch klar: Wer die Abschaffung will, muss
letztendlich sagen, woher die 4 Milliarden Euro Erbschaftsteueraufkommen kommen sollen. Ein Vorschlag
Albert Rupprecht ({4})
war, im Gegenzug die Einkommensteuer zu erhöhen.
Der Haken ist aber, dass dann Leistungsträger, Arbeiter
und fleißige Unternehmer, stärker besteuert werden.
Deswegen haben wir nach gründlicher Abwägung beschlossen, an der Erbschaftsteuer festzuhalten.
Lassen Sie mich zur privaten Erbschaftsteuer kommen. Wir haben die persönlichen Freibeträge in allen
Steuerklassen erhöht. Wir haben insbesondere die Freibeträge für Ehepartner, Kinder und Enkelkinder in der
Steuerklasse I erhöht. Für die CSU war klar, dass wir
beim selbst genutzten Wohneigentum wesentliche Änderungen im Vergleich zum Regierungsentwurf brauchten. Für uns war klar: Wir werden keine Lösung akzeptieren, bei der die Ehefrau nach dem Tod ihres Mannes
das Haus verkaufen muss, um die Erbschaftsteuer zu
zahlen, das Haus, in dem die Familie 30 Jahre gewohnt
hat. Spätestens hier wird klar, wie groß der Unterschied
zwischen linker und konservativ-christlicher Politik ist.
({5})
Da wurde von den Linken polemisiert, wir wollten die
Villenbesitzer in Starnberg schützen.
({6})
- Ich sagte: von den Linken. Neben der Partei Die Linke
gibt es die politische Bezeichnung „die Linken“.
({7})
Der Witwe ist es ziemlich egal, ob das ganz normale
Einfamilienhaus in München - dort hat es einen hohen
Wert - oder im Bayerischen Wald steht.
({8})
Sie bewohnt ein ganz normales Einfamilienhaus,
30 Jahre alt und renovierungsbedürftig. Die Witwe will
nicht mehr und nicht weniger, als in diesem Haus wohnen bleiben. Das kann sie künftig auch,
({9})
auch wenn es den linken Neidern in unserer Gesellschaft
nicht passt.
Gemessen am Entwurf der Regierung, stellt der vorliegende Gesetzentwurf beim selbst genutzten Wohneigentum einen Quantensprung dar. Der verbliebene
Ehepartner kann die ererbte Wohnung oder das ererbte
Haus weiter bewohnen, ohne einen Euro Erbschaftsteuer
zu zahlen. Kinder haben einen Freibetrag in Höhe von
400 000 Euro. Zusätzlich haben Kinder 200 Quadratmeter Wohnfläche als Freibetrag. Schädlich ist lediglich,
wenn das Haus innerhalb von zehn Jahren verkauft, vermietet oder nicht mehr selbst bewohnt wird. In besonderen Situationen ist auch der Auszug nicht steuerschädlich, zum Beispiel wenn die Ehefrau zur Betreuung ins
Pflegeheim einzieht.
Der Vorschlag der Union war weitergehend. Wir
wollten, dass ausschließlich Verkauf oder Vermietung,
aber nicht Leerstand innerhalb dieser zehn Jahre schädlich sind. Wir wollten auch, dass ein berufsbedingter
Wegzug innerhalb dieser zehn Jahre unschädlich ist. Beides hat die SPD in den Verhandlungen leider abgelehnt.
Dennoch bleibt festzuhalten: Die Erbschaft einer selbst
genutzten Wohnimmobilie ist für die Ehefrau steuerfrei
und für die Kinder in beinahe allen Fällen steuerfrei. Das
ist ein riesiger Erfolg für die Union, gemessen am Entwurf des Finanzministers Steinbrück.
({10})
Erben ist kein leistungsloser Erwerb, wie die Linken
behaupten. Nein, Erben heißt, Verantwortung für das
von den Eltern oder Großeltern Ersparte und Geschaffene zu übernehmen. Ein Unternehmen oder ein Haus zu
erben, heißt, Verantwortung zu übernehmen, dies fortzuführen und zu erhalten. Das ist echte Nachhaltigkeit.
Eine Gesellschaft, die nicht in Generationen denkt, ist
eine arme Gesellschaft; eine Gesellschaft, in der jede
Generation wieder von vorne anfängt und alles neu aufbaut, ist eine arme Gesellschaft.
({11})
Das ist unsere bürgerliche, konservative Überzeugung, für die wir einstehen.
({12})
Deswegen haben wir in beinahe brutaler Hartnäckigkeit
weiter auf Veränderungen gedrängt. Wir haben aber auch
gezeigt, dass das Parlament etwas bewegen und Regierungsentwürfe abändern kann. Aus der Sicht der Unionsfraktion heißt das nicht, dass wir heute mit Begeisterung
zustimmen werden. Steuern sind immer Belastungen.
Kurzum: ein notwendiges Übel. Wir werden auch die
Umsetzung kritisch verfolgen. Abschließende Einzelfallgerechtigkeit wird es nicht geben. Aber wir werden
nachsteuern, wenn es größere Verwerfungen im praktischen Vollzug gibt.
Auf der Agenda bleibt für uns auf jeden Fall die Differenzierung der Steuerklasse II und III. Es ist für uns
der härteste Brocken, dass Schwestern und Brüder dieselbe Erbschaftsteuer wie fremde Dritte zu zahlen haben.
({13})
Wir haben am vergangenen Donnerstag nochmals versucht, die SPD von einer Differenzierung zu überzeugen.
Wir haben dazu einen aufkommensneutralen Vorschlag
vorgelegt, den der Kollege Pronold für die SPD leider
abgelehnt hat. Ich kündige schon jetzt an, dass wir in der
nächsten Legislaturperiode hier eine Änderung erreichen
wollen.
({14})
In diesem Sinne sind wir die letzten Bürgerlich-Konservativen in diesem Deutschen Bundestag, aber wir
sind es gerne und aus Überzeugung.
({15})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden es nicht glauben: Eine Sächsin hat die bayerische
Verfassung entdeckt. Ich zitiere Ihnen gern aus
Art. 123:
Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die
Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
einzelner zu verhindern. Sie ist nach dem Verwandtschaftsverhältnis zu staffeln.
So beschlossen am 8. Dezember 1946. Herr Rupprecht,
aber auch Herr Steinbrück, vielleicht schauen Sie einmal
in diese Verfassung. Besser könnte ich das nicht sagen.
({0})
Warum wird in der bayerischen Verfassung die Erbschaftsteuer so herausgestellt?
({1})
Weil es eine ideale Steuer ist, um Einnahmen für das Gemeinwesen zu erzielen und gleichzeitig Vermögenskonzentrationen abzubauen.
({2})
Es ist eine Steuer, die niemandem wehtut. Jeder und jede
genieße von mir aus zu Lebzeiten sein Vermögen. Verstirbt jedoch ein vermögender Mensch und vererbt sein
Vermögen, so ist das für die Erbin bzw. den Erben erstens ein Vermögenszuwachs und damit auch ein Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, zweitens
ein Zuwachs ohne eigenes Zutun und eigene Leistung.
Die Erbschaftsteuer ist deshalb höchst gerecht und
entspricht dem Grundprinzip des Steuerrechts, wonach
die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgen soll. Vielleicht lesen Sie auch einmal
in älteren Schriften, etwa John Stuart Mill oder Andrew
Carnegie. Letzterer war vor etwa hundert Jahren der
reichste Mann der Welt. Er hat sogar eine konfiskatorische Besteuerung von Erbschaften vorgeschlagen.
Wie sieht nun die Realität aus? Würde ich heute als
Tochter ein Unternehmen erben, bisher geführt als Einzelunternehmen, Verkehrswert 4,4 Millionen Euro, so
müsste ich derzeit 167 808 Euro Erbschaftsteuer zahlen.
({3})
Das entspricht 3,77 Prozent des Vermögenswertes. Wenn
Sie heute Ihr Gesetz mit Mehrheit verabschieden und ich
dieses Unternehmen im nächsten Jahr erben würde, so
müsste ich 0 Prozent Erbschaftsteuer unter der Voraussetzung zahlen, dass der Betrieb für zehn Jahre bei
gleichbleibender Lohnsumme fortgeführt wird. Das
heißt 0 Euro Erbschaftsteuer für ein Erbe von
4,4 Millionen Euro. Das soll sozial gerecht sein?
({4})
Die Familienvilla bis zu 200 Quadratmeter Wohnfläche sowie ein Barvermögen von 400 000 Euro bekomme
ich noch zusätzlich steuerfrei. Dies geschieht alles in einem Land, in dem nach Aussagen des Sozialverbandes
Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich jeden
Tag weiter auseinandergeht. Herr Pronold fasste am
12. November im Finanzausschuss die Erbschaftsteuer
zusammen und sagte, der Gesichtspunkt der sozialen
Gerechtigkeit für reiche Erben sei ausreichend berücksichtigt. Das ist purer Zynismus, aber leider die Realität.
({5})
Soziale Gerechtigkeit für reiche Erben - das heißt Zementierung der sozialen Ungerechtigkeit in Deutschland.
Schauen wir über den Tellerrand. In Frankreich
müsste ich für mein fiktives Unternehmen von 4,4 Millionen Euro 688 929 Euro Erbschaftsteuer zahlen, also
15,50 Prozent, in den USA 1 596 304 Euro. In den USA
würde ich mit 35,91 Prozent von diesem ererbten Vermögen zum Gemeinwohl beitragen. Was haben wir hier
in Deutschland? Die Entwicklung zu einer ungleichen
Einkommensverteilung hat sich hier in den letzten zehn
Jahren unter Rot-Grün und Schwarz-Rot rasant beschleunigt. Ich nenne nur einige Fakten: Senkung des
Spitzensteuersatzes von 53 Prozent auf 42 Prozent - minus 7,5 Milliarden Euro -, Senkung des Körperschaftsteuersatzes - minus 13 Milliarden Euro. Das reale Nettoeinkommen der ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung
ist allerdings von 1992 bis 2006 um 13 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum konnten die reichsten 10 Prozent ihr Nettoeinkommen um 31 Prozent - um fast ein
Drittel - steigern. 10 Prozent der Bevölkerung konnten
von Ihrer Politik massiv profitieren, und jetzt stellen Sie
sicher, dass das dadurch angehäufte Vermögen nun möglichst ohne Abstriche, das heißt ohne Zahlung der Erbschaftsteuer, auf die folgende Generation übertragen
werden kann.
Die Realität von Millionen von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern sieht anders aus. Rentner und Rentnerinnen müssen wesentlich mehr für die Krankenversicherung und Zuschläge bezahlen. Es gab in den letzten
Jahren keine Kindergelderhöhung. Sie haben das Arbeitslosengeld zusammengestrichen und Hartz IV eingeführt. Über Jahre gab es Reallohnverluste. Die Mehrheit
der Menschen ist froh, wenn sie mit ihrem Einkommen
über den Monat kommt. Rücklagen für größere Anschaffungen sind oftmals schwierig, sparen für das Alter ist
kaum möglich und das Anhäufen von Vermögen so gut
wie ausgeschlossen. Sie haben erst riesige Vermögenszuwächse ermöglicht, und jetzt stellen Sie den steuerfreien Übergang des Vermögens sicher. Der Sachverständigenrat stellte unverblümt fest: Mit der geplanten
Erbschaftsteuerreform bedient der Gesetzgeber lediglich
Partikularinteressen. - Ja, Frau Merkel, Herr Steinbrück,
Sie gemeinsam bedienen nur die Interessen der Reichen
in dieser Gesellschaft.
({6})
Ist das noch sozialdemokratisches Handeln? Ich glaube,
nicht. Nur froh zu sein, dass es überhaupt noch eine Erbschaftsteuer gibt, ist wohl ein bisschen wenig. Es stand
doch wohl im Koalitionsvertrag, dass sie beibehalten
werden soll. Herr Steinbrück geht während der Diskussion über die Erbschaftsteuer durch das Land und sagt,
sie müsse 4 Milliarden Euro erbringen, aber nicht mehr.
Herr Steinbrück, ich zitiere noch einmal die bayrische
Verfassung:
Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die
Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
einzelner zu verhindern.
Bereits Ihre Selbstbeschränkung auf die 4 Milliarden
Euro bedeutet doch einen Kniefall vor den Reichen.
({7})
Erstens. Der Umfang des Erbvolumens steigt in den
nächsten Jahren. Während es 1999 noch etwa 50 Milliarden Euro waren, so sind es nach Schätzungen in diesem
Jahr und den nächsten Jahren 150 Milliarden bis 250 Milliarden Euro, die vererbt werden. Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil im Kern verfügt, die Besteuerung aller Vermögensarten bei der
Erbschaftsteuer gleichzustellen. Unter Berücksichtigung beider Punkte kommt man zu einem Mehraufkommen bei der Erbschaftsteuer. Professor Hickel hat in einer Anhörung gesagt, dass man nach seiner Berechnung
bei Beibehaltung der jetzigen Regelung und unter Beachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf
10 Milliarden Euro Erbschaftsteuer käme. Das sind
6 Milliarden Euro mehr. Selbst dann wäre die Vererbung
von „Oma ihr klein Häuschen“ weiterhin als durchschnittliches Gebrauchsvermögen steuerfrei. Das Haus
gehört doch zur Hälfte der Ehefrau. Als Witwe erbt sie
dann nur die andere Hälfte, und das bereits heute wegen
der Freibeträge steuerfrei.
In der Realität sieht es so aus: Ich werde keine Firma
erben; ich werde auch nicht zu denjenigen gehören, die
eine große Erbschaft machen. Bereits heute ist es so: Von
den 850 000 Nachlässen pro Jahr werden ganze 60 000
überhaupt besteuert. Das, was die Mehrzahl der Haushalte erbt, ist fast nichts: 30 Prozent erben weniger als
13 000 Euro. 60 Prozent erben weniger als 51 000 Euro.
Nur knapp 10 Prozent erben mehr als eine Viertelmillion
Euro; die Freibeträge sind hier genannt worden. Sie verschonen diese 10 Prozent weiter; denn die restlichen
90 Prozent betrifft dies gar nicht; es ist außerhalb ihrer
Realität.
({8})
Von der Bruttolohn- und -gehaltssumme abhängig Beschäftigter werden jedes Jahr 35 Prozent für Steuern und
Sozialabgaben eingezogen. Das ist okay. Aber vom Erbvolumen werden gerade einmal 2 Prozent erfasst. Da
kann man doch nur sagen: Wohl dem reichen Erblasser;
schade für den, der täglich malocht und durch seiner
Hände Arbeit Werte schafft.
Herr Steinbrück will also keine Steuermehreinnahmen, und das in einer Haushaltswoche, in der der Anstieg der Staatsverschuldung beschlossen wird.
({9})
„Wir haben es ja“, lautet Ihr Motto. Gleichzeitig erzählen Sie, dass Sie kein Geld für soziale Leistungen haben.
({10})
Herr Steinbrück, Sie haben hier mit gezinkten Karten
gespielt. Die Angaben, was überhaupt herauskommen
soll, sind sehr ungewiss. Zum Finanztableau: Durch die
Änderung der Erbschaftsteuer soll es für die Kasse ein
jährliches Plus von 15 Millionen Euro geben.
({11})
In den nächsten Jahren haben wir bei den Einnahmen
aber immer ein Minus. Im nächsten Jahr werden wir
410 Millionen Euro Erbschaftsteuer weniger einnehmen.
Im Jahr darauf werden es noch einmal über 200 Millionen Euro weniger sein. Weder die Vertreterin des Ministeriums noch die Staatssekretärin konnten sagen, wie
sich diese Mindereinnahmen erklären. Man antwortete:
Das ist ein Modell; das hat mit der Realität nichts zu tun;
eigentlich interessiert es uns gar nicht.
({12})
Man muss zu der Diskussion um die Familienunternehmen noch sagen: Die von Ihnen vorgeschlagenen
Maßnahmen werden zu Steuermindereinnahmen von
2 Milliarden Euro führen - so lautete die Aussage des
Finanzministeriums -, und das, obwohl wir in der Anhörung eindeutig vernommen haben - ich zitiere Herrn
Ondracek, den Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft -:
Es gibt keinen Fall, in dem die Erbschaftsteuer irgendjemanden in die Insolvenz getrieben hat.
Weiter meinte er:
Bereits die alte Erbschaftsteuer bedeutete weder
den Ruin von Unternehmen, noch bestand die Notwendigkeit von Stundungen.
Es ist ein Phantomschmerz.
({13})
Reale Probleme entstehen doch eher dann, wenn unter
den Erben eine Heuschreckenmentalität um sich greift.
Einer sagt: Ich will den Betrieb weiterführen. Drei sagen: Ich will meine Knete cash, und zwar möglichst sofort. - Na, was bleibt denn dann? Dann bleibt nur der
Verkauf. Das - nicht die Erbschaftsteuer - ist das eigentliche Problem.
({14})
Sie haben hier ein Gesetz vorgelegt, welches dazu
führt, dass die Vermögenskonzentration in der Bundesrepublik Deutschland zunehmen wird. Sie sind nicht auf die
Vorschläge eingegangen, die wir Ihnen vorgelegt haben.
Sie verweigern sich sogar, unseren Antrag parallel zu dem
jetzigen Gesetz heute hier mitzubehandeln. Wir haben Ihnen eine reale Alternative aufgezeigt: eine Steuerklasse,
Entlastung von Menschen in besonderen Situationen wie
Verheirateten, minderjährigen Kindern, Menschen über
60. Eine weitere Entlastung, die wir vorschlagen, ist, das
Betriebsvermögen, insbesondere das Anlagevermögen,
anders zu bewerten.
Wir haben Ihnen hier einen modernen Antrag vorgelegt, mit dem auf die veränderten Lebensverhältnisse reagiert wird.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Wird er verabschiedet, bricht er die Vermögenskonzentration auf. Das kann und muss zu Mehreinnahmen
führen. Dieses Gesetz kann man nur ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Die Kollegin Christine Scheel spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Süddeutsche Zeitung titelt heute: „Landesbank
bringt Bayern in Not … Die Staatsbank braucht mindestens zehn Milliarden Euro“. Teile der CSU sind der Auffassung, dass Steuern gesenkt werden müssen, dass die
Erbschaftsteuer abgeschafft werden muss. Angesichts
dessen möchte ich Sie fragen: Wie wollen Sie in dieser
Situation dafür sorgen, dass in Zukunft genug Geld vorhanden ist - wir brauchen es dringend -, um etwas für
die Bildung unserer Kinder zu tun?
({0})
Wenn man die Dinge nebeneinander hält und sie sich
insgesamt anschaut, ist völlig unverständlich, dass solche Forderungen aus Ihren Reihen kommen, zumal vor
allen Dingen die CSU über die Landesbank derartig viel
Geld vergeigt hat.
({1})
In dieser Debatte heute haben wir wieder gesehen,
wie der Zustand der Großen Koalition ist. Es gab in den
letzten zweieinhalb Jahren eine große Anzahl von Finanzausschusssitzungen, in denen wir über das Thema
Erbschaftsteuer sehr kontrovers diskutiert haben. Auch
heute noch ist die Situation, dass sowohl in der CDU als
auch in der CSU sowie in der SPD gesagt wird: Wir haben uns durchgesetzt. - Aber in Wahrheit stehen Sie in
der Koalition nach diesen zweieinhalb Jahren Gezerre
nicht überzeugend hinter diesem Gesetz. Das ist die
Wahrheit: Sie haben einen Kompromiss vorgelegt. Dieser Kompromiss ist ungerecht. Dieser Kompromiss ist
wohl - das sagen einige - auch verfassungswidrig. Dieser Kompromiss ist nicht das, was unser Land für die
Zukunft braucht, nämlich die Besteuerung von Vermögen im Erbfall in einer Weise, dass mehr Einnahmen für
die Bildung generiert werden.
({2})
Die Feilscherei um dieses Gesetz geht so weit - das
ist auch noch aufgefallen -, dass Sie anscheinend Probleme mit den Vorlagen der Opposition haben. Die FDP
hat einen Gesetzesvorschlag gemacht. Wir Grüne haben
einen Antrag dazu vorgelegt, wie nach unserer Vorstellung die Erbschaftsteuer für die Zukunft aussehen soll.
Sie waren nicht in der Lage, diese Vorlagen im Finanzausschuss zur Abstimmung zu bringen. Das hat damit zu
tun, vermute ich, dass es innerhalb der Koalition Personen gibt, die lieber den Oppositionsvorschlägen zustimmen würden als der eigenen Gesetzesvorlage.
({3})
Aus diesem Grunde haben Sie die Oppositionsvorlagen
nicht zur Abstimmung zugelassen.
Dieser Vorgang stellt die Aufkündigung eines parlamentarischen Konsenses dar. Vereinbart war, dass Vorschläge immer in den Zusammenhang gestellt und zeitgleich abgestimmt werden.
({4})
Dies haben Sie durchbrochen, weil Sie zu feige gewesen
sind, sich an diesem Punkt offen zu bekennen.
({5})
- Ja, das zeigt, wie schwach diese Regierung ist, und das
zeigt auch, dass Sie letztendlich die Demokratie mit Füßen treten
({6})
- ja! -; denn Sie sind nicht bereit, anderslautende Vorschläge zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn zur
Abstimmung zu bringen.
({7})
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für
die notwendige Reform der Erbschaftsteuer sind im
Grunde einfach und klar. Sie lauten, dass alle Vermögensarten nach den gleichen Grundsätzen zum Marktwert bewertet werden und in die Bemessungsgrundlage
für die Steuer eingehen. Erst danach können Steuervergünstigungen transparent ausgewiesen werden, und sie
müssen mit einer eindeutigen Gemeinwohlverpflichtung
begründet werden. Das ist die Situation. Daran sind Sie
mit Ihrer Vorlage gescheitert.
Sie haben zur heutigen Abstimmung einen hochkomplizierten Gesetzestorso von Begünstigungen, aber auch
Benachteiligungen für die Bürger und Bürgerinnen vorgelegt. Ich sage Ihnen schon jetzt, dass dieser Gesetzentwurf aufgrund der Verfassungswidrigkeit - das wird
von vielen bereits diskutiert - erneut in Karlsruhe landen
wird. Es ist kein gutes Zeichen für den Parlamentarismus, wenn man schon im Vorfeld weiß, dass ein Gesetz
verabschiedet wird, das nicht den verfassungsrechtlichen
Vorgaben entspricht.
({8})
Sie verlagern die Problematik wieder aufs Gericht, und
das ist, finde ich, unwürdig und auch völlig daneben.
({9})
Für uns ist die Erbschaftsteuer eine Steuer der sozialen Gerechtigkeit. Es geht darum, welche Rolle das Erben bei der Finanzierung von Bildung spielen soll. So
könnte endlich die soziale Chancenungleichheit in unserem Bildungssystem beendet werden. Aus diesem
Grunde haben wir Grünen immer die Auffassung vertreten, dass die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer in den
Bildungsbereich zu investieren sind. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich in der Koalition, aber auch mit
den Ländern darauf verständigt hätten, dass diese Einnahmen auch für diesen Bereich verwendet werden;
denn das sind Zukunftsinvestitionen; sie müssen erhöht
werden. Bildung ist ja Ländersache, und die Erbschaftsteuer ist eigentlich auch eine Ländersteuer. Hier gibt es
also eine gemeinsame Klammer. Beides passt hervorragend zusammen. Ich kann nur an den Bundesrat appellieren: Erklären Sie sich dazu bereit, die Einnahmen in
dieser Situation auch wirklich für diesen Bereich zu verwenden.
({10})
Sie haben jahrelang gestritten um Freibeträge, Sie haben gestritten um Steuersätze, Sie haben gestritten um
Haltefristen und Lohnsummen. Zugleich haben Sie sich
festgelegt: Am Ende müssen 4 Milliarden Euro dabei herauskommen. Aber, meine sehr verehrten Damen und
Herren der Großen Koalition und vor allem der SPD, es
ist doch ein Trugschluss, von den 4 Milliarden Euro, die
mit der aktuellen Gesetzgebung erzielt werden, auszugehen, wenn man gleichzeitig weiß, dass das Gesamtvolumen an Erbschaften in den nächsten Jahren steigen wird.
Deswegen würde das, anders als es die FDP behauptet,
keine Erhöhung der Erbschaftsteuer, sondern in Wirklichkeit eine Senkung der Erbschaftsteuer bedeuten.
({11})
Man muss sich ja die Entwicklung der Gesamtsummen anschauen. Hier geht es keineswegs um eine Plünderung von Vermögensbesitzern, wie es die FDP immer
meint, sondern es geht darum, dass diejenigen, die, auch
im privaten Bereich, nichts zum Aufbau des Vermögens
beigetragen haben und denen dann der Nachlass ohne eigenes Zutun, buchstäblich ohne Gegenleistung, in den
Schoß fällt, ihren Beitrag - das ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit - für diese Gesellschaft leisten. Es ist also
durchaus gerecht, wenn leistungsloser Vermögenszuwachs besteuert wird. Dazu stehen wir ganz klar. Wir erwarten, dass so etwas in Zukunft geschieht, weil das viel
mit dem Gerechtigkeitsgefühl dieser Gesellschaft zu tun
hat.
({12})
90 Prozent der Erben werden wegen geringer Nachlasshöhe und persönlicher Freibeträge in Zukunft keine
Erbschaftsteuer zahlen müssen. Aber Geschwister,
Nichtverheiratete und entfernte Verwandte werden die
Gekniffenen sein, weil für sie ein geringer Freibetrag
von lediglich 20 000 Euro und ein hoher Eingangssteuersatz von 30 Prozent greifen sollen. Das heißt, Sie haben hier als Folge Ihres antiquierten Gesellschaftsbildes
eine Steuer geschaffen, die zwar die Ehegatten und Kinder in gerader Linie berücksichtigt,
({13})
indem diesen hohe Freibeträge und sehr niedrige Steuersätze gewährt werden, aber die entfernten Verwandten
unverhältnismäßig hoch belastet.
Unsere Gesellschaft hat sich verändert. In unserer Gesellschaft leben immer mehr Menschen miteinander, die
nicht verheiratet sind. Geschwister treten im Alter füreinander ein. Man hilft sich gegenseitig, gerade wenn
keine direkte Verwandtschaft da ist, um auch im Alter
noch in den eigenen vier Wänden leben zu können. All
diese Personen werden im Vergleich zu heute in Zukunft
enorm benachteiligt. Deshalb sage ich: Diese Steuer
weist nicht in die Zukunft, sie greift nicht die Realität
unseres Lebens auf, sondern diese Steuer beruht auf einem antiquierten Gesellschaftsbild, so, als ob es nur die
Ehe und sonst nichts in diesem Land gäbe.
({14})
Die eingetragenen Lebenspartnerschaften werden
von Ihnen wie entfernte Verwandte behandelt. Die Lebenspartner haben zwar die gleichen Freibeträge wie
Eheleute, aber sie werden in eine nachteilige Steuerklasse eingestuft und mit dem hohen Eingangssteuersatz
von 30 Prozent belegt.
({15})
Sie werden damit benachteiligt und an dieser Stelle weiterhin diskriminiert.
({16})
Das muss man hier einmal ganz klipp und klar sagen.
({17})
Die Union war nicht bereit, eine Gleichstellung von Ehe
und Lebenspartnerschaften zu akzeptieren. Das muss
man hier feststellen.
({18})
Auch das ist ein Punkt, zu dem wir klar sagen: Es ist
nicht richtig, was Sie hier tun, und das ist auch nicht fair;
denn draußen erzählen Sie ja immer wieder, Gleichstellung sei in Ordnung. Bei genauer Betrachtung stellt man
aber fest, dass eine Gleichstellung überhaupt nicht stattfindet.
Herr Ramsauer, Ihre Äußerung, die Landwirtschaft
werde künftig nichts mehr mit der Erbschaftsteuer zu tun
haben,
({19})
ist faktisch eine Lüge;
({20})
denn die Betriebe werden auch künftig bewertet werden
müssen. Es wird im Steuerverfahren festzustellen sein,
inwieweit Steuern gezahlt werden müssen. Auch landwirtschaftliche Betriebe müssen durch das Bewertungsverfahren, auch sie haben die Kosten der Steuerbürokratie zu tragen.
Frau Scheel, Herr Kollege Ramsauer möchte Ihnen
eine Zwischenfrage stellen.
Deswegen, Herr Kollege Raumsauer, ist das, was Sie
sagen, einfach falsch.
Er hat ja noch gar nichts gesagt.
({0})
Liebe Frau Kollegin Scheel, ich habe bisher noch gar
nichts gesagt, aber jetzt sage ich etwas, was ich in eine
Frage an Sie kleide: Ist Ihnen bekannt, dass der Präsident
des Deutschen Bauernverbandes und des Bayerischen
Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, im Zusammenhang
mit der jetzt zur Abstimmung stehenden Erbschaftsteuerreform von einem positiven Signal für deutsche Bauernfamilien gesprochen hat?
({0})
Er hat gesagt, dass er die Einigung der Großen Koalition
ausdrücklich begrüßt. Wörtlich heißt es:
Dies ist ein wichtiges positives Signal für die deutschen Bauernfamilien.
Dann geht es in indirekter Rede weiter: Damit sei endlich Klarheit geschaffen, und die Landwirte könnten ihre
Betriebe ohne Belastung durch die Erbschaftsteuer an
die nächste Generation weitergeben. - Einen besseren
Zeugen gegen das, was Sie hier eben vorgetragen haben,
kann ich Ihnen nicht bieten.
Frau Scheel, vielleicht können Sie in Ihre Antwort
auch gleich den Schlusssatz einbetten.
Herr Ramsauer, Sie haben gesagt - das stand zumindest
so im Ticker, und ich vermute, dass Aussagen, die nicht
gemacht wurden, nicht einfach in Pressedarstellungen auftauchen; das muss ja irgendeinen Hintergrund haben -,
({0})
dass die Bauern mit der Erbschaftsteuer überhaupt nichts
mehr zu tun hätten.
Herr Sonnleitner hat nicht immer Recht. Das sehen
die Bauern auch so. Wenn ich nur an die Milchpreisdebatte denke,
({1})
dann stelle ich fest, dass Herr Sonnleitner nicht gerade
derjenige ist, der sich vor die Bauern gestellt und für sie
gekämpft hat.
({2})
Auch der werte Herr Sonnleitner hat anscheinend
nicht mitbekommen, dass sich die Bauern diesem Bewertungsverfahren genauso wie andere auch unterziehen
müssen. Auch hat er offensichtlich nicht mitbekommen,
dass es für die landwirtschaftlichen Betriebe enorme Bürokratiekosten bedeutet, das vorzuhalten, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen haben.
({3})
Dies gilt nicht allein für die Bauern, sondern für alle
Unternehmen. Genau wegen dieses Problems haben die
Grünen im Wirtschaftsausschuss beantragt - dies wurde
einstimmig beschlossen -, dass der Normenkontrollrat
die Bürokratielasten dieses Erbschaftsteuergesetzes bewerten soll. Leider gibt es keine Bewertung des Normenkontrollrats, da er nur die Regierungsvorlage, die
vom Kabinett verabschiedet worden war, bewertet hat.
Das, was heute beschlossen werden soll, hat mit der Regierungsvorlage nicht mehr viel zu tun. Jetzt werden die
Bauern, wie alle anderen auch, mit Bürokratie überhäuft.
Das hätten wir Grünen besser gemacht. Wir haben
uns für einfache, niedrige Steuersätze und hohe Freibeträge ausgesprochen. Damit hätten wir mehr Klarheit gehabt. Wir haben uns einheitliche Steuersätze für alle gewünscht, unabhängig davon, ob verheiratet, nicht
verheiratet oder wie auch immer zusammenlebend.
Dann wäre dies ein Gesetz geworden, das in unserer Gesellschaft für die nächsten Jahre hätte Bestand haben
können.
Danke schön.
({4})
Als Nächster spricht nun der Bundesminister Peer
Steinbrück.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich fühle mich, was den Inhalt der Debattenbeiträge angeht, sozusagen eingerahmt. Auf der einen Seite
ist von Enteignung die Rede, und auf der anderen Seite
wurde sinngemäß von einer Reichenprivilegierung gesprochen. Ich werde versuchen, die Debatte auf einen
vielleicht etwas niedrigeren, aber, wie ich hoffe, angemesseneren Bewertungsmaßstab zurückzuführen. Denn
wir reden weder über den Untergang der Republik noch
darüber, dass es bestimmte Privilegierungen gibt.
Dieser Beratung liegt ein langes Ringen zugrunde, zugegebenermaßen nicht immer in einer geradlinigen Abfolge. Vor ungefähr anderthalb Jahren hat die von der
Koalition eingesetzte Arbeitsgruppe von Herrn Ministerpräsidenten Koch und mir das erste Mal getagt. Ich kann
mich nicht ganz verstellen und möchte daher darauf hinweisen, dass in dieser Arbeitsgruppe die Vertreter aller
drei Koalitionsparteien gesessen haben und dass die
Länder Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen vertreten
waren. Es gab eine technische Arbeitsgruppe mit sehr
vielen Fachleuten von Ministerien aus Bayern, Rheinland-Pfalz - Nordrhein-Westfalen, glaube ich, nicht und Hessen.
Diese Beratungen wurden damals zu einem Abschluss gebracht unter Mithilfe von einigen, die heute
hier prominent vertreten sind. Das war beim besten Willen keine Veranstaltung in der Dunkelkammer, Herr
Thiele. Seitdem ist viel Leidenschaft in diese Diskussion
investiert worden. Ich füge hinzu: auch viel Lobbyismus.
({0})
An manchen Stellen gab es in meinen Augen auch Desinformation.
({1})
Zumindest gab es konstruierte Missverständnisse.
Am Anfang stand nicht eine politische Initiative, sondern ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das wird
manchmal vergessen. In diesem Urteil wurden die
Bewertungsmaßstäbe für die verschiedenen Vermögenskategorien für revisionsbedürftig, also letztlich verfassungswidrig, erklärt. Das überrascht die hier versammelten kundigen Thebanerinnen und Thebaner nicht, weil
uns vorher schon bewusst gewesen ist, dass die alten Bewertungsmaßstäbe nicht funktionieren können.
Viele Kritiker im Land haben den Eindruck, die Reform der Erbschaftsteuer sei darauf zurückzuführen,
dass ihnen ehrgeizige und vielleicht sogar durchgeknallte Politiker eine Fronde auferlegen und ihnen etwas
Schlimmes antun wollten. Ich sage noch einmal: Es war
das Bundesverfassungsgericht, dass uns die Aufgabe
- übrigens auf einem Zeitpfad bis zum 31. Dezember
dieses Jahres - gestellt hat. Dieser Aufgabe musste sich
die Politik, die Exekutive genauso wie die Legislative,
stellen.
Dabei waren sich die Koalitionsparteien in einem Parallelverfahren schon in den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag im November 2005 über einige Grundsätze
ziemlich einig. Wir waren uns einig darüber, dass zukünftig der gemeine Wert zugrunde gelegt werden muss.
Wir waren uns auch einig darüber, dass die nächsten Verwandten bessergestellt werden sollten. Umgangssprachlich formuliert kann man sagen, dass die Kinder bzw.
Enkelkinder von ihren Eltern bzw. von ihren Großeltern
„Oma-ihr-klein-Häuschen“ erbschaftsteuerfrei erben
sollten und dass dies durch Verbesserung der Freibeträge, gegebenenfalls auch durch Verbesserung bei den
Justierschrauben, was die Steuerklasse I betrifft, erreicht
werden sollte.
Wir waren uns insbesondere über einen sehr wichtigen Punkt einig, nämlich dass der Betriebsübergang im
Sinne der Mittelstandsförderung in Deutschland verbessert werden sollte. Wir waren uns auch einig darüber,
dass das Aufkommen aus dieser Steuer - ich komme
nachher noch einmal darauf zurück, auch weil ich Ihnen
eine aufhellende Antwort zu den gehandelten Zahlen
schuldig bin - 4 Milliarden Euro nicht unterschreiten
sollte. Das war der Konsens.
Ich will mich zunächst auf das Thema Betriebsübergang konzentrieren, weil es in vielen Reden die größte
Rolle gespielt hat. Was wir über ein Abschmelzmodell
verabredet haben und was jetzt gefunden worden ist, hat
es vorher nie gegeben. Das sage ich allen Kritikern, die
so tun, als ob das, was jetzt gefunden worden ist, irgendeinen Nachteil für den Betriebsübergang darstellen
würde. Ich wundere mich über eine solche Bewertung.
Es hat - jetzt nenne ich es beim Namen - ein solches
Erbschaftsteuerprivileg für die Vererbung von Betriebsvermögen in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland bisher noch nicht gegeben.
({2})
Bisher musste die Vererbung von Betriebsvermögen
selbstverständlich versteuert werden. Wir kommen jetzt
zu der Regelung, dass bei einer bestimmten Option
85 Prozent oder bei einer anderen Option sogar
100 Prozent der Erbschaftsteuer gestundet werden oder
dass das Erbe sogar keiner Besteuerung unterliegt. Alle
wissen - insbesondere diejenigen, die einen größeren juristischen Sachverstand als ich haben -, dass ein solches
Erbschaftsteuerprivileg nur auf der Basis einer Gegenleistung gegeben werden kann, weil es sonst verfassungswidrig ist. Denn ansonsten wäre das gegenüber der
Vererbung privaten Vermögens gleichheitswidrig.
({3})
Das heißt, man kommt um die Konstruktion einer solchen Gegenleistung überhaupt nicht herum. - Selbstverständlich ist das so. - Denn ansonsten hätte ein solches
Gesetz bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung
nicht von hier bis zur nächsten Tür Bestand.
Insofern kann sich doch niemand darüber aufregen,
dass, wenn ein solches Erbschaftsteuerprivileg gewährt
wird, eine solche Gegenleistung eingefordert werden
muss. Denn ansonsten könnten sich all diejenigen, die
Privatvermögen haben, mit Berechtigung in der Öffentlichkeit hinstellen und fragen: Wie kommst du dazu, Betriebsvermögen zu privilegieren, warum machst du das
denn nicht auch bei der Vererbung meines privaten Geldvermögens an meine Kinder und Enkel? - Da stelle ich
die Frage: Wo liegt denn das Problem?
In einem ersten Entwurf hat es die Definition einer
Gegenleistung gegeben, die sehr stark an einem Tatbestand des Umwandlungssteuerrechts orientiert war.
Viele, wie Herr Bernhardt, Herr Poß, Herr Pronold und
Herr Krüger, können das nachvollziehen. Wir alle wussten, das war sehr unbestimmt und sehr vage. Wir alle
wussten allerdings auch, dass die Gegenleistung nicht
auf die Anzahl der Arbeitsplätze abstellen kann. Denn es
kann doch nicht irgendeine Zahl festgelegt werden, die
sich dann quasi wie eine Schlinge um den Hals der Mittelständler legen würde. Das Motto muss demgegenüber
sein: Sie müssen innerhalb eines Konjunkturzyklus auch
atmen können. Das heißt, es muss sich um eine Lösung
handeln, die dieses Atmen über einen Zeitraum von sieben oder zehn Jahren zulässt.
Die Lösung wurde über die Lohnsumme gefunden.
Das ist, wie ich finde, ein ziemlich gut nachprüfbarer
Tatbestand. Das ist überhaupt nicht bürokratisch.
Ich komme jetzt darauf zu sprechen, dass wir seit diesen Beratungen, insbesondere nachdem der Regierungsentwurf vorgelegen hat, mit Blick auf dieses Erbschaftsteuerprivileg beim Betriebsvermögen eine Reihe
weiterer Maßnahmen vorgesehen haben, die jede Flexibilität zulassen werden. Ich will an sie erinnern.
Erstens. Die Behaltensfrist, also der Zeitraum, in dem
der Erbe den Betrieb fortführen muss, wurde auf sieben
Jahre verkürzt.
Zweitens. An dem Nachfolgenden ist mir sehr gelegen. Denn das kam bei Ihren bisherigen Debattenbeiträgen noch nicht vor und ist, wie ich glaube, in der Öffentlichkeit, auch bei den 160 Familienunternehmen, noch
nicht angekommen; oder Sie wollten auch nicht, dass
das ankommt.
({4})
Wir haben die sogenannte Reinvestitionsklausel so
umgestaltet, dass sie den Unternehmen ein Höchstmaß
an Flexibilität geben wird. Herr Thiele, das heißt, mit der
neuformulierten Reinvestitionsklausel werden alle Fälle
als steuerlich unschädlich behandelt, bei denen die bei
einer Veräußerung von Teilen des Betriebes oder wesentlichen Betriebsgrundlagen erzielten Erlöse im Betrieb
verbleiben. Dazu gehört zum Beispiel auch selbst die
Tilgung von Schulden. Das heißt, der einzige in diesem
Gesetzentwurf noch enthaltene schädliche Tatbestand
für ein solches Familienunternehmen, das die Absicht
verfolgt, umzustrukturieren, Teile des Betriebs zu veräußern und zu reinvestieren, ist die Verlagerung von Betriebsvermögen ins Privatvermögen.
({5})
Aber aus den Familienunternehmen bekommen wir
doch gesagt, dass das ohnehin nicht ihre Absicht sei.
Worin also besteht das Problem?
({6})
Das Dritte, was verbessert wurde, betrifft die Lohnsummenklausel. Da hätte ich Ihnen Recht gegeben: Das
Erfordernis, jährlich die Lohnsumme zu prüfen, hätte
das Unternehmen von Jahr zu Jahr einer sehr schwierigen Prüfung unterwerfen können. Anstelle des Erfordernisses der jährlichen Prüfung der Lohnsumme wird nunmehr nur noch die Einhaltung der Lohnsumme für den
gesamten Zeitraum erforderlich sein. Das heißt, das Atmen ist gegeben. Je nachdem, welche Option gewählt
wird, sind dies, glaube ich, nach sieben oder zehn Jahren
850 Prozent oder 1 000 Prozent.
Darüber hinaus haben wir auch auf die jährliche Indexierung der Lohnsumme verzichtet. Das heißt, wenn das
Lohnsummenkriterium verletzt wird, also ein Unterschreiten der Lohnsumme vorliegt, dann soll nur anteilig
für das Jahr nachversteuert werden, in dem die Verletzung vorgekommen ist. Das läuft unter dem schwierigen
lateinischen Begriff Pro-rata-temporis-Lösung.
Viertens hat jemand noch einmal ganz zutreffend darauf hingewiesen - ich glaube, das war Herr Rupprecht -,
dass selbst die Verpachtung inzwischen mit Gegenstand
der Verschonung sein wird.
Das sind vier wichtige Veränderungen, die alle dazu
beigetragen haben, dem Mittelstand entgegenzukommen
und seinen Forderungen zu entsprechen. Deshalb teile
ich die Einschätzung von Herrn Ramsauer und von
Herrn Rupprecht, dass viele Leute, die Familienunternehmen besitzen, ihre Äußerungen zu einem Zeitpunkt
getan haben, bei dem ihr Kenntnisstand nicht dem entsprochen hat, was in dem Gesetzentwurf steht.
Irgendwann kommt man in die Verlegenheit, dass
man sich fragt: Wie bekomme ich die Novelle eines
solch komplexen und schwierigen Sachverhalts so hin,
dass sie immer noch konzise ist?
Ich stimme all denjenigen zu, die sagen: Nach Lage
der Dinge werden wahrscheinlich 90 Prozent - ich weiß
es nicht genau; ich glaube, Herr Pronold hat diese Zahl
genannt - der Betriebe in Deutschland mit der Erbschaftsteuer nie wieder etwas zu tun haben - nie wieder.
Einen einzigen Hinweis von Frau Höll teile ich:
Schon am bisherigen Erbschaftsteuerrecht ist niemand
pleitegegangen. Es gibt keinen einzigen Fall.
({7})
Deshalb können wir die Erregungszustände vielleicht etwas herunterholen: Auch am zukünftigen Erbschaftsteuerrecht wird keiner pleitegehen.
({8})
Ich halte das schlicht und einfach für eine Schimäre. Es
macht auch keinen Sinn, weiter an diesem sehr abstrakten, maßstabslosen oder maßlosen - um an den Begriff
aus dem Debattenbeitrag der Bundeskanzlerin anzuknüpfen - Weg festzuhalten, weil wir den Menschen etwas erzählen, was mit den realen Verhältnissen nichts zu
tun hat.
Ich will auf einzelne Bestimmungen mit Blick auf die
Vererbung von Privatvermögen gar nicht zu sprechen
kommen. Ich möchte nur noch einen Hinweis geben,
auch weil Sie in Ihrer Rede etwas kabarettistisch von
Picassos, Schmuck und dergleichen gesprochen haben.
({9})
- Das ist ja in Ordnung; das war mein Bild. Gelegentlich
formuliert man etwas umgangssprachlicher, und wenn
man das tut, wird einem das auch wieder um die Ohren
gehauen. Man kann auf Dauer auch gestanzte politische
Reden halten; aber die sind dann langweiliger.
({10})
Worauf es im Kern hinausläuft - Herr Thiele, das wissen Sie doch aus allen Gesprächen, die wir beide miteinander geführt haben; ich kann Ihren Sach- und Kenntnisstand doch nur respektieren -, worum es bei einer
solchen Lösung geht, ist, dass es ein Interesse des Fiskus
sein muss, dass es nicht zu Verschiebungen von Privatvermögen in das Betriebsvermögen kommt. Das ist
doch der Grund, warum man solche Regeln finden muss.
({11})
Machen wir uns doch nicht naiver, als wir es sind. Es ist
mein, wie ich zugebe, umgangssprachliches Bild gewesen - ich zeichne es noch weiter -, dass man einen Riegel vorschieben muss, damit der Picasso, der im Schlafzimmer des Unternehmers hängt, nicht plötzlich vom
Schlafzimmer in den Empfangsraum des Betriebes und
damit vom Privatvermögen in das Betriebsvermögen
verlagert wird und dann unter das Erbschaftsteuerprivileg des Betriebsvermögens fällt. Das ist die dahinterstehende Überlegung, von mir, wie ich zugebe, etwas verzeichnet und übertrieben dargestellt. Aber im materiellen
Kern wissen Sie doch, was ich meine. Darüber brauchen
wir uns doch nicht weiter auseinanderzusetzen.
Ich will die wichtigsten Einzelpunkte im Telegrammstil erwähnen und dabei auf einen Punkt zu sprechen
kommen, der auch Sie im Ausschuss beschäftigt hat. Zunächst: Die Erbschaftsteuer hat Bestand. Dies halte ich
bei einer vollständigen Unterstützung der Argumentation für richtig, dass wir auch über Gerechtigkeit in diesem Land reden und darüber, dass diejenigen, die - vor
dem Hintergrund der Freibeträge, die wir festgelegt haben - erkennbar hohe Vermögen erben, mit zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen sollten. Das
ist eine Begründung dafür.
({12})
Die öffentliche Auseinandersetzung mit denjenigen, die
eine Abschaffung der Erbschaftsteuer zumindest insinuieren, vielleicht nach wie vor wünschen, bestehe ich vor
dem Hintergrund der Verteilungsprobleme, die wir ohnehin in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Im Übrigen ist es ein Irrtum, Frau Höll, zu sagen:
Steinbrück oder der Bund - um es nicht so possessiv darzustellen - bekommen die Steuereinnahmen. Dies ist
eine Ländersteuer.
({13})
Ich bin mir ganz sicher, dass es im Bundesrat viele Länder geben wird, die sich - vielleicht auch unter dem Einfluss der FDP - enthalten, aber nichts dringlicher wünschen, als dass es eine Mehrheit für diesen Gesetzentwurf
gibt.
({14})
Das war bei anderen Gesetzen auch schon so.
({15})
Ich bin mir sehr klar darüber, dass der Freistaat Bayern
- nicht erklärtermaßen; ich freue mich, dass es bei Baden-Württemberg anders ist - und insbesondere Nordrhein-Westfalen die damit verbundenen Steuereinnahmen dringend benötigen.
Nun bin ich Ihnen die Antwort auf die Frage nach der
Höhe des künftigen Aufkommens und die Nennung der
Zahlen, die es dort gibt, schuldig.
Herr Kollege, möchten Sie vorher vielleicht noch eine
Zwischenfrage zulassen?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, wie bewerten Sie das ungeheure
Gedränge auf der Bundesratsbank, und könnte man nicht
daraus schließen, dass die Bundesländer im Grunde an
dieser Steuer ein völliges Desinteresse haben?
({0})
Das bewerte ich als eine ausgesprochene Schüchternheit.
({0})
Ich bin mir aber ganz sicher, dass sich viele Vertreter der
Länder entweder am Radio oder an anderen Empfangsgeräten dieser Debatte lauschend eingeschaltet haben,
({1})
weil sie wissen, dass es um ihr Geld geht.
({2})
Ich schulde Ihnen in meiner restlichen Redezeit eine
Aufklärung: Wir haben dieses Steueraufkommen von
4 Milliarden Euro auf der Grundlage des damals geltenden Rechts - da Sie heute ein neues Recht beschließen
wollen, muss ich sagen: auf der Grundlage des noch geltenden Rechts - und der damaligen Steuerschätzung
berechnet. Ich sage es noch einmal: auf der Grundlage
des noch geltenden Rechts und der damaligen Steuerschätzung. Inzwischen gibt es eine neue Steuerschätzung, die von, ich glaube, jeweils 4,7 oder 4,8 Milliarden Euro in den nächsten Jahren ausgeht. Auf der Basis
des von Ihnen jetzt zu verabschiedenden Rechts dürfte
das Erbschaftsteueraufkommen nach Lage der Dinge bei
4,4 Milliarden Euro liegen. Mir ist sehr daran gelegen,
festzustellen, dass diese Steuermehreinnahmen nicht auf
eine in diesem Gesetz eingebaute Dynamik zurückzuführen sind. Das ist nicht der Fall. Da ist keine Dynamik
drin. Die Dynamik ergibt sich aus der demografischen
Entwicklung
({3})
- so leid es mir tut, und das meine ich gar nicht zynisch.
Auch bei dieser Passage meiner Rede werden die abwesenden Ländervertreter übrigens sehr genau hinhören.
Herr Bundesminister, es gibt noch den Wunsch nach
einer Zwischenfrage des Kollegen Beck.
Meine restliche Redezeit beträgt jetzt minus 0,2 Sekunden.
({0})
Erlauben Sie mir, noch einmal festzuhalten:
Erstens. Die Erbschaftsteuer hat Bestand. Ich halte
Schlüsselbegriffe wie Bürokratisierung und Enteignung,
die heute hier gefallen sind, und Floskeln wie „Die Fundamente des Staates werden erschüttert“ für maßstabslos.
Zweitens. Die Bundesländer können auch künftig mit
einem jährlichen Steueraufkommen in einer Größenordnung von 4 Milliarden Euro rechnen, was für die Finanzierung ihrer Aufgaben von entscheidender Bedeutung
ist.
Drittens. In meinen Augen wird mit der neuen Erbschaftsteuer für mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen gesorgt. Für die engere Familie, also für Eheund Lebenspartner mit Kindern, bringt die neue Regelung im Erbfall gegenüber der bisherigen Regelung klare
Vorteile mit sich. Das gilt auch für die Betriebe.
Viertens. Ich halte diese Reform für gerecht. Kleinere
und mittlere Erbschaften im engen Familienkreis werden
steuerfrei bleiben. Für höchste Vermögen und für die
Übertragung von Vermögen außerhalb des engen familiären Umfeldes haben wir die Steuerlast erhöht, auch
zur Gegenfinanzierung der Privilegierung bei den Betriebsübergängen. Dies ist eine richtige Maßnahme gewesen.
({1})
Herr Minister, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Ja. - Die neuen Regelungen werden sich, wie ich
glaube, bewähren. Ich bin mir ganz sicher: Wenn wir in
zwei Jahren eine Art Überprüfung des Erbschaftsteuerrechts vornehmen, werden wir feststellen, dass weite Elemente des Erbschaftsteuerrechts nicht dem entsprechen,
was uns im Augenblick von manchen kritischen und
auch interessengeleiteten Stimmen - ich gebe zu, dass
das legitim ist - entgegengehalten wird. Diejenigen, die
solche Listen unterschreiben, werden die Erfahrung machen, dass die Erbschaftsteuer keinen Nachteil für ihren
Betriebsübergang bedeutet.
({0})
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({1})
Der Kollege Hermann Otto Solms hat das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bundesminister Steinbrück, in Ihrer Rede
haben Sie das falsche Denken, das hinter diesem Gesetzentwurf steht, mustergültig zum Ausdruck gebracht,
({0})
indem Sie immer wieder davon gesprochen haben, dass
es nicht das Geld des Bundes, sondern das Geld der Länder ist.
({1})
Nein, meine Damen und Herren, liebe Freunde, es ist das
Geld der Steuerzahler, über das wir hier reden. Um deren
Interessen haben wir uns zu kümmern und nicht nur um
Ihre fiskalen Interessen.
Herr Raumsauer, ich verstehe, dass Sie nervös sind,
weil Sie nun ein Gesetz vertreten müssen, das im Widerspruch zu den Forderungen Ihrer Partei und Ihres Landesverbandes steht. Das gibt Ihnen aber nicht das Recht,
hier, eingebettet in eine Zwischenfrage, falsche Tatsachen zu berichten. Der Beschluss der Koalition wurde
am 6. November gefasst. Am 7. November hat Herr
Steinbrück den bekannten Brief geschrieben, der sofort
veröffentlicht wurde, und erst am 8. November haben
die Familienunternehmen einen Brief geschrieben und
sich über das beklagt, was Sie vorhaben.
({2})
Sie kannten die Inhalte natürlich ganz genau.
Wenn man es so macht wie Herr Steinbrück und nur
die positiven Elemente darstellt und das Negative vernachlässigt, ergibt sich so ein Bild. Ich kann aber auch
die negativen Elemente darstellen: Gerade jetzt, wo wir
am Beginn einer Rezession stehen, Herr Steinbrück,
rechnen die Firmen natürlich mit enormen Auftragseinbrüchen und damit, dass sie Personalmaßnahmen ergreifen müssen. Sie können gar nicht davon ausgehen, dass
sie die Lohnsumme oder das Verwaltungsvermögen auf
der Höhe halten können, wie Sie die Grenzen gesetzt haben.
({3})
Dann wird die Erbschaftsteuer in voller Höhe sofort fällig, und zwar viel höher als heute, weil die Bewertung
gestiegen ist.
({4})
Das kann für viele Unternehmen das Ende der Existenz
bedeuten.
({5})
Die Aussage des Präsidenten des DIHK, dass dieses
Gesetz eine Kriegserklärung an den Mittelstand ist,
bestätige ich. In diesen negativen Fällen ist es eine
Kriegserklärung an den Mittelstand. Diese Unternehmen
scheiden dann aus. Wir als FDP wollen uns als Verteidiger des Mittelstandes einbringen. Wir werden im Bundesrat und nach der Bundestagswahl dafür sorgen, dass
dieses Gesetz korrigiert wird. So kann es nicht bleiben.
({6})
Das Gesetz ist misslungen. Es ist bürokratisch. Sie
haben ja nun die Ausführungen des Ministers hören
müssen; da haben Sie gemerkt, wie kompliziert es wird.
Es ist familienfeindlich,
({7})
und es ist, wenn Sie den Urteilen des ehemaligen Verfassungsrichters Kirchhof und des Professors Lange folgen,
wahrscheinlich auch verfassungswidrig.
Das Schlimmste daran ist das Familienbild, das dahinter steht. Ich bin entsetzt über das Verhalten der SPD
und insbesondere das Verhalten der Unionsparteien. Ich
hatte das Glück, in einer Familie mit sieben Geschwistern aufzuwachsen. Für mich sind Geschwister natürlich
Teil der Familie.
({8})
Die Geschwisterkinder sind auch Teil der Familie. Die
behandeln Sie jetzt bei der Erbschaftsteuer wie Familienfremde. Was für ein Familienbild steht denn dahinter? Das kann sich doch nur jemand ausgesonnen haben,
der als verwöhntes Einzelkind aufgewachsen ist,
({9})
der nicht weiß, was Familie bedeutet. Die engsten Familienmitglieder werden nun mit 30 Prozent Eingangssteuersatz wie alle Fremden besteuert. Das ist völlig unakzeptabel. Dagegen werden wir Widerstand leisten, so
lange und so gut wir können. Das muss ausgeräumt werden.
({10})
Ich persönlich würde mich als Vertreter der Unionsparteien schämen und diesen Saal verlassen, wenn ich
einem solchen Gesetzentwurf zustimmen sollte. Die Art
und Weise, Herr Bernhardt, wie Sie gestern mit uns im
Finanzausschuss umgesprungen sind, kann ich nicht akzeptieren. Unser Vorschlag zur Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder - das wäre
richtig, weil es eine Landessteuer ist - ist abgemeiert,
unterdrückt worden und kann heute nicht zur Abstimmung gestellt werden, damit ihm nicht zu viele Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion zustimmen. Diese „Gefahr“
bestand, weil auch die CSU die Regionalisierung der
Erbschaftsteuer gefordert hat.
({11})
Ich weiß nicht, Herr Ramsauer, wie Sie Ihre Truppe hier
jetzt vertreten wollen. Wenn Sie ehrlich wären, würden
Sie den Saal verlassen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort
dem Kollegen Ramsauer.
({0})
Hochverehrter Herr Kollege Solms,
({0})
Sie wissen, dass wir uns in all diesen Fragen nicht sonderlich fern, sondern sehr nahe sind
({1})
und dass wir uns gegenseitig sehr respektieren.
({2})
Aber erstens möchte ich noch einmal bezüglich des Ablaufs klarstellen, dass bei der Baden-Badener Erklärung
die Namen - ich kenne viele der Betreffenden persönlich
- zur Mitunterzeichnung, zur Verwendungsfähigkeit abgefragt worden sind, bevor die Beschlüsse des Koalitionsausschusses bekannt geworden sind.
({3})
Zum Zweiten möchte ich bestätigen, dass auch wir
mit anderen Mehrheiten in diesem Parlament oder vielleicht mit Geläuterten, die bisher andere Ansichten haben, Korrekturen herbeiführen wollen. Ich selbst bin
Mittelständler. Man kann bestimmt noch einiges besser
machen. Ich bin auch eiserner Anhänger einer Regionalisierung - das ist vollkommen klar -, aber die Sozialdemokraten verweigern sich.
({4})
Jedes Land könnte viel für sich tun und sich auch hier einem echten Steuerwettbewerb der Länder stellen.
({5})
Was die Geschwister anbelangt, muss man festhalten,
dass sie schon nach dem bisherigen Erbschaftsteuerrecht, über das sich niemand beklagt hat, in Steuerklasse II sind; auch das kann man natürlich beklagen. Ich
sage allen Geschwistern, die zu Recht anprangern, dass
sie nach dem neuen Recht wie Fremde behandelt werden: Sie können sich alle bei der SPD bedanken; auch
das sei klargestellt.
({6})
Herr Solms, weil Sie gerade auf die Familienunternehmer abgehoben haben, sage ich Ihnen: Wir haben
von der mittelständischen Wirtschaft eine Welle der Zustimmung erfahren. Ich möchte die paar Minuten, die
mir zur Verfügung stehen, nutzen, ein paar Kommentare
zur geplanten Erbschaftsteuerreform zu verlesen.
({7})
Der Verband der Familienunternehmer schrieb:
Der Kompromiss ist eine deutliche Verbesserung
gegenüber der ganz großen Keule des Regierungsentwurfs …
Der ZDH, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, schrieb:
Das Handwerk begrüßt die Einigung der Großen
Koalition auf die geplante Reform des Erbschaftsteuerrechts. Sie schafft nach langen und intensiven
Beratungen endlich Rechts- und Planungssicherheit
für die Betriebsübergabe.
Jürgen Thumann, der Präsident des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie, schrieb:
Herr Kollege Ramsauer.
Der Kompromiss bei der Reform der Erbschaftsteuer ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Herr Kollege Ramsauer, die gewöhnliche Dauer einer
Kurzintervention ist drei Minuten. Ihre dauert nun schon
dreieinhalb Minuten.
Zweidreiviertel Minuten.
({0})
Die Beratungskanzlei Ernst & Young, die viele Familienunternehmen berät, empfiehlt, das neue Recht anzuwenden - Zitat -:
Eigentlich kann man sich nach den letzten Änderungen nicht mehr beschweren.
({1})
Herr Solms.
Herr Kollege Ramsauer, Sie haben behauptet, dass die
Familienunternehmen in ihrem Brief Argumente angeführt haben, die sie in Wirklichkeit nicht richtig bewerten konnten, weil sie den Inhalt dieses Gesetzentwurfes
noch nicht im Detail kennen konnten. Im Gegensatz
dazu behaupte ich, dass die Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses den Inhalt des Gesetzentwurfs nicht genau
kennt.
({0})
Gestern habe ich im Finanzausschuss feststellen müssen, dass manche seiner Mitglieder, die auf diesem Gebiet ja Experten sind, bestimmte Varianten des Gesetzentwurfs nicht kennen; das gilt insbesondere für einige
Mitglieder aufseiten der CDU/CSU-Fraktion. Als in der
Sitzung Unruhe aufkam und sie nicht mehr bereit waren,
diesen Unsinn zu unterzeichnen, hat der Kollege
Bernhardt erklärt: Wie auch immer das zu bewerten ist,
wir werden auf jeden Fall zustimmen.
({1})
Er wollte seinen Kollegen sozusagen das Wort verbieten.
Das sind undemokratische Vorkommnisse,
({2})
die die Unsicherheit verdeutlichen, mit der Sie diese
Entscheidung treffen. Das ist eine Frage der Ehrlichkeit.
Sie können die Verantwortung dafür nicht auf die SPD
schieben.
({3})
Sie müssen zustimmen, ablehnen oder sich enthalten.
Wenn Sie Ihrer Überzeugung und der Meinung Ihrer
Partei folgen würden, dann würden Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen.
({4})
Sie stimmen ihm nur aufgrund von Koalitionszwängen
zu. Sie haben Angst, dass diese ohnehin zerrüttete Koalition sonst sofort zusammenbrechen würde. Das wäre allerdings ein Gottesgeschenk.
Danke.
({5})
Zu den Ausführungen von Herrn Solms gibt es eine
weitere angemeldete Kurzintervention, und zwar von
Herrn Pronold, die ich angesichts der Lebendigkeit der
Debatte gerne zulasse.
({0})
- Sie bezieht sich auf Herrn Solms.
({1})
Meine Kurzintervention bezieht sich auf Herrn
Solms. Da ich nach der Geschäftsordnung nicht auf die
Äußerungen des Kollegen Ramsauer reagieren darf,
werde ich auf die Bemerkungen des Kollegen Solms zu
den Geschwistern reagieren
({0})
und ihn darüber aufklären, wie es zu diesem Ergebnis
gekommen ist.
({1})
Es war so, dass wir, die SPD, sehr wohl verschiedene
Modelle erarbeitet und im Rahmen der Koalition vorgeschlagen haben, wie man die Steuerklasse II gegenüber
der Steuerklasse III hätte besserstellen können. Die
Wahrheit ist, dass sich die CSU im Koalitionsausschuss
für die Interessen der Villenbesitzer am Starnberger See
eingesetzt hat.
({2})
Deswegen war für die Besserstellung der Steuerklasse II
gegenüber der Steuerklasse III kein Geld mehr übrig.
Das ist die Wahrheit.
({3})
Zur Wahrheit gehört auch, dass ich, als wir in der letzten Woche zusammengesessen haben, vorgeschlagen
habe, die Steuerklasse II dadurch besserzustellen, dass
wir den Betrag in allen Steuerklassen ab 4 Millionen
Euro und nicht erst ab 6 Millionen Euro erhöhen. Dann
hätten wir das locker finanzieren können. Das wurde von
der CDU/CSU abgelehnt. Wir hätten auch zugestimmt,
die Bürger, die in der Steuerklasse III sind, mehr heranzuziehen, aber nur dann, wenn die Lebenspartner endlich
in die Steuerklasse I gekommen wären. Auch das wurde
von der CDU/CSU abgelehnt, sodass das, was Sie beklagen und was der Herr Ramsauer uns zuschieben will,
jetzt wirklich bei ihm liegt.
({4})
Der Kollege Otto Bernhardt hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
- Entschuldigung. - Bitte, Herr Solms.
Frau Präsidentin, ich denke, ich habe das Recht, auch
auf diese Kurzintervention zu antworten.
Das sollen Sie gerne tun.
Ich möchte zweierlei dazu sagen:
Erstens. Durch diese Parlamentsdebatte wird besser
gezeigt, als man sich das überhaupt vorstellen kann oder
als man das in einem Theater darstellen könnte, wie innerhalb der Großen Koalition Gesetzentwürfe entstehen.
Ich glaube, das wird in vielen Politikseminaren als Beispiel angesprochen werden.
Herr Solms, einen kleinen Augenblick. Man versteht
Sie nicht.
({0})
- Sie verstehen Herrn Solms also. Das ist gut.
Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn Sie die Zeit
für Ihre Einwendung nicht auf meine Redezeit anrechnen würden.
Ich sage noch einmal: Diese Parlamentssitzung wird
in viele Politikseminare einbezogen werden, damit die
Studenten lernen können, wie die Gesetzgebung tatsächlich vonstattengeht. Das ist ja ein Grauen.
Zweitens. Genauso wie von der Union bin ich auch
von der SPD hinsichtlich ihres Familienbildes enttäuscht. Die SPD hat sich in den letzten Jahrzehnten immer als familienfreundliche Partei gezeigt,
({0})
und sie hat dafür gekämpft. Dass sie jetzt dazu beiträgt,
dass die engere Familie - jetzt ist ja das neue Modewort
„Kernfamilie“ aufgetaucht; dabei werden eben alle anderen ausgeschlossen - nicht mehr wie eine Familie behandelt wird und dass Geschwister und Geschwisterkinder
wie Fremde mit dem Eingangssteuersatz von 30 Prozent
auf das Vermögen besteuert werden, ist eine Blamage für
die Große Koalition. Das will ich hier festhalten.
({1})
Sie müssen Ihr Familienbild in der Öffentlichkeit neu
darstellen, sonst ist all das, was Sie bis jetzt gemacht haben, verlogen.
({2})
Jetzt der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir wollen heute das zweite große Steuerreformvorhaben der Großen Koalition verabschieden,
nämlich die Erbschaftsteuerreform, nachdem wir im
letzten Jahr eine vernünftige Unternehmensteuerreform
gestaltet haben, die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft
getreten ist. Das ist zunächst einmal der Auftrag, vor
dem wir stehen.
Ich korrigiere den von mir sehr geschätzten Finanzminister nur ungern: Nicht durch das Bundesverfassungsgericht, sondern durch den Koalitionsvertrag von
2005 wurde der erste Anstoß für diesen Gesetzentwurf
gegeben,
({0})
in dem wir gesagt haben, dass wir den Übergang eines
Unternehmens auf die nächste Generation steuerlich
günstiger gestalten wollen, um Arbeitsplätze zu sichern.
Das war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat dann gesagt, das
jetzige Gesetz sei verfassungswidrig, weil unterschiedliche Vermögensteile unterschiedlich bewertet würden.
Ich bin kein Jurist, aber es ist natürlich einleuchtend,
dass es mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung nicht
übereinstimmt, wenn man Geldvermögen mit 100 Prozent, Immobilien mit 60 Prozent, Betriebsvermögen mit
35 Prozent und Betriebe der Land- und Forstwirtschaft
mit 10 Prozent bewertet.
Jetzt hat das Gericht die für uns alle sicher unangenehme, aber wahrscheinlich richtige Entscheidung getroffen, dass das gesamte Vermögen zunächst einmal mit
dem gemeinen Wert in die Bemessungsgrundlage aufgenommen werden muss. Wenn tolle Juristen vom gemeinen Wert sprechen, hat jeder den Eindruck, man könne
ihn leicht ermitteln. Das kann man aber nicht. Der gemeine Wert ist nämlich der, den ein Vermögensgegenstand hat, wenn er an dem Tag, an dem der Erbfall oder
der Schenkungsfall eintritt, verkauft wird. Da das aber
nur sehr selten der Fall ist, muss man sich diesem Wert
annähern. Das führt zu Bürokratie, meine Damen und
Herren von der FDP. Es gibt keine andere Möglichkeit,
als hierfür Annäherungskriterien zu schaffen.
Herr Bernhardt, der Kollege Beck möchte Ihnen eine
Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Herrn Bernhardt, ich hätte die Frage vorhin gerne
schon dem Finanzminister gestellt; er hat sie jedoch
nicht zugelassen. Ausgangspunkt dieser Reform ist - das
ist klar - das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das
hat uns aufgegeben, unterschiedliche Vermögensarten
bei der Besteuerung gleich zu behandeln.
Nun habe ich den Eindruck, dass sich die Koalition
durch die Starnberger-Villen-Regelung ein neues verfassungsrechtliches Problem genau dieser Art in das Gesetz
geholt hat. Sie besteuern nämlich jetzt bei der Weitervererbung Immobilienvermögen wieder anders als Geldvermögen. Nehmen wir die beiden folgenden Beispiele:
Es gibt einen Erbfall innerhalb einer Ehe. Da werden
ein Haus im Wert von 500 000 Euro und Geldvermögen
in Höhe von 500 000 Euro vererbt.
({0})
In das Haus regnet es hinein. Das Dach muss dringend
repariert werden. Das Geld, das vererbt wird, wird dringend zum Erhalt der Immobilie, die später selbst genutzt
werden soll, benötigt und verwendet.
Im zweiten Fall wird ein gut instandgehaltenes Haus
im Wert von 1 Million Euro vererbt. Dies ist völlig steuerfrei, wenn man weiterhin in dem Haus wohnt.
({1})
Wie wollen Sie das im Hinblick auf den Grundsatz
der Gleichheit der Besteuerung - Art. 3 Grundgesetz rechtfertigen? Haben Sie durch die Starnberger-VillenRegelung nicht die Fälle für die nächsten Verfassungsbeschwerden in das Gesetz hineingeschmuggelt?
Nein, Herr Kollege. Die Sache ist eindeutig, auch unter rechtlichen Gesichtspunkten. Sie sind nicht Mitglied
des Finanzausschusses.
({0})
Wir haben dort natürlich ausführlich über die Dinge diskutiert. Um es ganz klar zu sagen: Wenn man Aktien im
Wert von 1 Million erbt, dann muss man sie zwar höher
versteuern, aber man kann sie morgen frei verkaufen.
Für das Familienhaus gilt das Privileg nur, wenn man
zehn Jahre darin wohnt. Die beiden Dinge können Sie
doch nun wirklich nicht miteinander vergleichen. Verfassungsrechtlich habe ich an diesem Punkt keinerlei Bedenken.
({1})
Es gibt noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Niebel.
Aber gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege. Sie haben in Ihrer Antwort gerade einen Aspekt angesprochen, der bisher noch
nicht thematisiert worden ist, nämlich dass man im geerbten Haus zehn Jahre lang wohnen bleiben muss, um
Erbschaftsteuerfreiheit zu erlangen. Stimmen Sie mir zu,
dass dies in einer immer mobiler werdenden Gesellschaft zumindest der Aufruf zu Melderechtsverletzungen
sein dürfte und dass gerade bei älteren Menschen, die
von der Regelung betroffen sind, das Ausziehen aus dem
eigenen Haus im Falle der Pflegenotwendigkeit immer
auch dazu führt, dass die Erbschaftsteuer fällig wird,
weil man das Haus verkaufen muss, um sich in ein Pflegeheim einkaufen zu können?
({0})
Es ist schade, dass Kollegen zum Teil über das Gesetz
nicht informiert sind. Der Kollege Solms hat es uns vorgeworfen. Er sollte sich an seine eigenen Kollegen wenden.
({0})
Natürlich haben wir von der Großen Koalition eine
Härtefallregelung eingeführt, die den Fall berücksichtigt, dass jemand ins Pflegeheim muss.
({1})
Sie glauben doch nicht, dass die CSU diesen Vorschlag
ohne eine solche besondere Regelung in die Verhandlungen eingebracht hätte.
({2})
- Ich glaube, wir brauchen die Diskussion jetzt nicht
fortzusetzen.
Herr Niebel, Herr Bernhardt möchte eine weitere
Zwischenfrage nicht zulassen. Bitte schön, Herr
Bernhardt.
Ich möchte im Interesse der Beschleunigung der Debatte jetzt mit meiner Rede fortfahren. Ich glaube, es
geht zum Teil um Dinge, die wir im Ausschuss diskutieren können. Wir sollten das Plenum hiermit nicht unnötig strapazieren.
({0})
Ich sage zunächst einmal: Der Gesetzentwurf, den wir
im Februar dieses Jahres in erster Lesung beraten haben,
war in der CDU/CSU-Fraktion nicht mehrheitsfähig.
Das haben wir schon in der ersten Lesung zum Ausdruck
gebracht.
Wir haben deshalb so lange beraten müssen, weil es
zwischen den Fraktionen - das kann man in aller Offenheit bekennen - und auch innerhalb der Fraktionen sehr
unterschiedliche Auffassungen gab. Es gab eine Reihe
von Sozialdemokraten - ich kritisiere das nicht, sondern
stelle es fest -, die das Erbschaftsteueraufkommen durch
das Gesetz deutlich erhöhen wollten. Von 10 Milliarden
Euro war auf Ihrem Parteitag die Rede. Es gab und gibt
andere bei uns, die die Erbschaftsteuer mit Hinweis auf
Österreich, Schweden und andere ersatzlos streichen
wollten.
({1})
- Die FDP klatscht jetzt wieder an der völlig falschen
Stelle; denn sie will die Erbschaftsteuer nicht abschaffen. Sie hat einen Parteitagsbeschluss gefasst, die Erbschaftsteuer den Ländern zu übertragen. Die FDP reist
zwar durch Deutschland und kündigt dem Mittelstand
an, dass sie die Erbschaftsteuer abschaffen will, aber in
Wirklichkeit haben Sie einen Parteitagsbeschluss gefasst, diese Steuer den Ländern zu übertragen.
({2})
Solche Auffassungen gibt es auch bei uns; aber sie
waren schon in den Ländern nicht mehrheitsfähig. Wir
müssen uns gar nicht damit beschäftigen. Die Länder
wollten das nicht. Am Anfang wollte das übrigens auch
Bayern nicht. Inzwischen gibt es vielleicht zwei oder
drei Länder, die dafür sind. Ich stelle aber einmal die kritische Frage, ob es in einer Zeit, in der wir europäisches
Recht vereinheitlichen wollen, sinnvoll wäre, 16 unterschiedliche Erbschaftsteuerrechte in Deutschland zu
schaffen, wo viele Firmen in mehreren Bundesländern
tätig sind. Ich glaube, das wäre kein Beitrag zur Entbürokratisierung.
({3})
Dann hat sich der Bundesrat damit beschäftigt. Wir beraten das Thema für den heute nicht anwesenden Bundesrat. Aber Sie haben recht, Herr Minister: Die Vertreter des
Bundesrates sitzen sicherlich alle zu Hause und freuen
sich, dass wir die harte Arbeit machen und sie anschließend 4 Milliarden Euro bekommen. Bei dieser Gelegenheit weise ich darauf hin, dass auch andere aufmerksam
die Debatte verfolgen. Das sind die qualifizierten Mitarbeiter des Ministeriums, die zum Teil rund um die Uhr gearbeitet haben. Mein Kompliment! Auch ihnen sollte man
Danke schön sagen.
({4})
Der Bundesrat hatte 35 Änderungswünsche. Dann
folgte ein Anhörungsverfahren, in dem viele Dutzend
Änderungswünsche geäußert wurden. Daraufhin haben
sich die Berichterstatter - Herr Pronold und ich - zusammengesetzt, und wir haben beraten, welche dieser Änderungswünsche wir gemeinsam umsetzen können. Angesichts der Tatsache, dass wir uns in diesen Gesprächen
auf 40 Änderungen geeinigt haben, kann man nicht sagen, dass sich die SPD nicht bewegt hat; denn fast alle
dieser Änderungswünsche kamen von unserer Seite. Insofern sage ich herzlichen Dank. Wir hätten die Änderungen nicht ohne den Koalitionspartner geschafft.
All die kritischen Punkte - von der Fortführung des
Betriebs über 15 Jahre bis zur Bürokratisierung durch
die Dynamisierung und zur Doppelbelastung - haben
wir geklärt. Auch der geforderte branchenabhängige Kapitalisierungssatz wurde von uns aufgenommen.
Wir haben fast alle der 35 Anregungen des Bundesrates berücksichtigt. Dennoch gibt es in meiner Fraktion unterschiedliche Auffassungen. Die Mehrzahl wird zwar zustimmen - einige wenige wahrscheinlich nicht -, aber es
gibt zwei Kritikpunkte von unserer Seite. Darauf will ich
schon deshalb eingehen, weil der Kollege Solms eine Familiendebatte geführt hat, die - vorsichtig ausgedrückt unredlich war.
({5})
Ein Kritikpunkt ist der berechtigte Hinweis vieler
- übrigens in allen Fraktionen -, dass das Ganze ein
bisschen bürokratischer geworden ist. Aber das liegt im
Verfassungsgerichtsurteil begründet. Es ist zwar leichter,
wie bisher Bilanzwerte zugrunde zu legen - man braucht
nur die Bilanz einzusehen -, aber das Verfahren ist ungerecht. Wir müssen uns dem gemeinen Wert nähern. Das
ist mit mehr Bürokratie verbunden. Das ist aber nicht
unsere Schuld, sondern ergibt sich aus dem Verfassungsgerichtsurteil und dem Gerechtigkeitsgebot.
Der zweite Kritikpunkt, der in der Tat zu lebhaften
Diskussionen geführt hat, betrifft die Frage, warum es
keine unterschiedlichen Steuersätze und Freibeträge in
den Steuerklassen II und III gibt. Aber hier machen es
sich wieder einige zu leicht oder gehen davon aus, dass
die Mehrheit es nicht besser weiß. Geschwister, nicht
nur Neffen - die sogenannten weitläufigen Verwandten gehören auch heute im Erbschaftsteuerrecht nicht zur
Kernfamilie. Zur Kernfamilie gehören Ehepartner, Kinder und Enkelkinder. Hieran ändern wir nichts, Herr
Solms. Unser Familienbild ist nicht erschüttert. Es bleibt
so, wie es heute ist, um das ganz klar zu sagen.
({6})
Heute gilt für Geschwister, Nichten und Neffen ein Freibetrag in Höhe von nur 10 300 Euro. Diesen verdoppeln
wir nun. Ein Stück weit sorgen wir also für Verbesserung. Ich stimme Ihnen sicherlich zu: Das ist zu wenig.
Das rechtfertigt aber nicht Ihre These, dass wir unser Familienbild aufgeben. Nein, das tun wir mit Sicherheit
nicht. Im Gegenteil: Gerade die Kernfamilie schützen
wir mit diesem Gesetz. Das sieht man insbesondere an
den Regelungen zur privat genutzten Wohnimmobilie.
Unfair ist aber auch, zu sagen - ich kritisiere nicht
gern eigene Leute; aber ich war bei allen Verhandlungen
dabei -: Letztlich ist eine Differenzierung der Steuerklassen II und III an den Sozialdemokraten gescheitert. - Uns
lagen Modelle vor, wonach 100 Millionen Euro von der
Steuerklasse II in die Steuerklasse III verschoben worden
wären. Aber das haben die Sozialdemokraten mit Auflagen verbunden, die wir nicht übernehmen konnten. Herr
Kollege Pronold, Sie haben gesagt: Ich kann den Schritt
mitgehen, wenn ihr die eingetragenen Lebensgemeinschaften nicht nur beim Freibetrag, sondern auch in der
Steuerklasse gleich behandelt. - Dies war aber in meiner
Fraktion nicht mehrheitsfähig. Das ist also gescheitert,
weil es hier grundlegende Unterschiede gibt. Aber ich
sage sehr deutlich: Dies wird einer der ersten Punkte
sein, der bei einer eventuellen Novellierung ganz oben
auf unserer Tagesordnung steht.
Ich sage noch etwas zum Steueraufkommen. Wenn
wir nichts im Erbschaftsteuerrecht änderten, dann bekämen wir in den nächsten Jahren mehr Geld; Sie müssen
sich nur die mittelfristige Finanzplanung anschauen. Das
ist völlig klar: Wir haben in Deutschland - Gott sei
Dank - seit über 60 Jahren Frieden. Das bedeutet, dass
Vermögen entstanden sind, die vererbt werden können.
Das heißt, das Erbschaftsteueraufkommen steigt automatisch, selbst wenn wir keine Steuererhöhungen vornehmen. Es steigt nach neuem Recht genauso wie nach
altem; denn wir haben uns auf Aufkommensneutralität
geeinigt.
Ich will deutlich sagen, wer die Gewinner und die
Verlierer dieser Erbschaftsteuerreform sind. Die Gewinner sind die Firmen, auch wenn diese uns das zurzeit
zum großen Teil nicht danken. Aber das Handwerk und
die Landwirtschaft haben sich schon bedankt; andere
werden sicherlich folgen. Wir erleichtern den Übergang
der Betriebe auf die nächste Generation und sichern Arbeitsplätze. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die engere Familie wird trotz
höherer Bewertungen im Durchschnitt nicht schlechter
behandelt als heute. Die engere Familie, Ehepartner,
Kinder und Enkelkinder, zahlt im Durchschnitt nicht
mehr.
({7})
Da wir uns aber auf Aufkommensneutralität geeinigt haben - und die Firmen etwas weniger belastet werden; bei
der engeren Familie wird es plus/minus null sein -, bedeutet das nach Adam Riese dass wir bei den weitläufigen Verwandten und den Nichtverwandten gewisse Steuererhöhungen vornehmen; das ist Fakt.
Lassen Sie mich ein paar Zahlen nennen, damit die
Diskussion versachlicht wird. Über 90 Prozent aller
Deutschen zahlen heute bei Schenkungen und Erbschaften keine Steuern. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Das Problem ist aber: 7 Prozent zahlen tatsächlich Steuern. 70 Prozent hoffen, irgendwann etwas zu erben, und
befürchten, dann Steuern zahlen zu müssen. Deshalb interessieren sich schrecklich viele, die überhaupt nicht
betroffen sind, für dieses Thema.
({8})
75 Prozent aller Firmen werden beim Übergang auf die
nächste Generation überhaupt keine Steuern mehr zahlen. Handwerksbetriebe und landwirtschaftliche Betriebe fallen zu über 90 Prozent heraus.
Bei der nächsten Zahl habe ich den Eindruck, dass sie
zu Verwirrung führt: Ein anerkannter Steuerwissenschaftler kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis,
dass neun von zehn Firmen, die heute Erbschaftsteuer
zahlen müssten, durch das neue Recht bessergestellt werden. Aber diese Firmen kommen nicht zu mir und sagen
Danke. Die 10 Prozent, die mehr zahlen müssen, kenne
ich inzwischen alle, glaube ich. In der Tat handelt es sich
dabei um ganz große Familienunternehmen. Diesen haben wir aber nun mit der totalen Steuerfreiheit eine Tür
geöffnet. Natürlich stellen die 10 Prozent Verwaltungsvermögen eine Grenze dar. Aber diese Firmen sind sehr
innovativ. Sie ahnen nicht, wie schnell sie ihre Beteiligungen und Verwaltungsvermögen in andere Gesellschaften überführen und die Möglichkeit der Steuerfreiheit nutzen. Auch hier sind Sorgen nicht angebracht.
({9})
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein fairer Kompromiss innerhalb
der Großen Koalition. Alle Betroffenen haben hier konstruktiv mitgearbeitet. Dafür möchte ich mich bedanken.
Ich kann heute nur empfehlen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Angesichts der politischen Rahmenbedingungen ist er das Beste, was möglich und mehrheitsfähig
ist.
Danke schön.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Dirk Niebel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage, ob man
erbschaftsteuerfrei ein Haus weiter nutzen kann, ist mit
einer Zehnjahresfrist verbunden. Das regelt in dem vorliegenden Gesetzentwurf § 13 Abs. 1 Nr. 4 b. Aus der
zugehörigen Begründung lässt sich erkennen, dass die
Erbschaftsteuerfreiheit nur dann weiter gewährt wird,
wenn einem die selbstständige Führung eines Haushalts
unmöglich ist, zum Beispiel bei Tod oder Pflegebedürftigkeit.
Wer sich im Sozialrecht ein bisschen auskennt, weiß,
dass die Pflegebedürftigkeit in unterschiedlichen Stufen
angelegt ist und in den Pflegestufen I und II die selbstständige Führung eines Haushaltes in aller Regel noch
möglich ist. Allein die Summe, die einem als Pflegegeld
alternativ zur Verfügung gestellt wird, würde es gar nicht
möglich machen, sich in ein Pflegeheim einzukaufen.
Aus diesem Grund ist der vorliegende Gesetzentwurf
nicht nur familienfeindlich und mittelstandsschädlich,
sondern er ist auch in höchstem Maße unsozial.
({0})
Arbeitsmarktpolitisch betrachtet muss man feststellen, dass in einer immer mobiler werdenden Welt die
Forderung nach zehnjähriger Bindung an ein Haus,
wenn man die Erbschaftsteuerfreiheit für dieses Haus
beibehalten möchte, schlichtweg weltfremd ist. Auch die
Regelung, die in dem Gesetzentwurf enthalten ist, dass
bei mehreren Wohnsitzen bei Berufspendlern die Erbschaftsteuerfreiheit nur dann besteht, wenn der Lebensmittelpunkt im ererbten Haus liegt, ist insofern weltfremd, als man oftmals in Deutschland umziehen muss.
Sie alle wissen das, Sie alle fordern das. Die SPD regiert
seit zehn Jahren und hat viele Mobilitätskriterien eingeführt, die es notwendig machen, das ererbte Haus zu verlassen. Deswegen ist auch in diesem Fall der Gesetzentwurf weltfremd.
Sie sollten sich sehr genau überlegen, ob Sie in einer
sich verändernden Arbeitswelt und in einer älter werdenden Gesellschaft derartige Regelungen mittragen und dafür Ihre Hand heben können.
({1})
Herr Kollege Bernhardt, Sie können antworten.
Ich widerspreche dem Kollegen und sage sehr deutlich: Das Gesetz, das wir gleich verabschieden werden,
ist familienfreundlich.
({0})
Niemand ist gezwungen, das Privileg, das Elternhaus
kostenlos zu übernehmen, anzunehmen.
({1})
Man muss selbst überlegen: Bin ich in der Lage, dieses
Privileg anzunehmen oder nicht?
Ich sage sehr deutlich: Es geht hier um ein Privileg.
({2})
Wir machen hier eine Ausnahme. Es gibt den Grundsatz der Gleichbehandlung. Deshalb müssen Sie, wenn
Sie eine Ausnahme einführen, Auflagen machen. Die
Auflage hier heißt die Einhaltung einer Frist von zehn
Jahren. Sie werden es nicht glauben, Herr Kollege: Wir
haben sogar ganz zum Schluss eine Härtefallregelung für
Kinder aufgenommen, die von diesem Privileg Gebrauch machen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts. Zu
dieser Abstimmung liegen mir etliche Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung von Abgeordneten der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in
der Ausschussfassung anzunehmen, Drucksachen 16/7918,
16/8547, 16/11107 und 16/11075. Hierzu liegt ein Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 16/11109? - Wer stimmt
1) Anlagen 2 und 3
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung von FDP und
der Linken abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi-
tion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Ge-
setzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD namentlich ab. An dieser Stelle weise ich
auf eine unmittelbar folgende weitere namentliche Ab-
stimmung über einen Entschließungsantrag hin. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungs-
anträge, und zwar zunächst über den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11112. Die Frak-
tion der FDP verlangt namentliche Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Ur-
nen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim-
mung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Dies ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie des-
halb, sich wieder auf Ihre Plätze zu begeben.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11110? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den restlichen
Stimmen des Hauses abgelehnt.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2009 ({0})
- Drucksachen 16/9900, 16/9902 -
1) Seite 20467 D
2) Seite 20470 A
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012
- Drucksachen 16/9901, 16/9902, 16/10426 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt II.12:
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales
- Drucksachen 16/10411, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Waltraud Lehn
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Zum Einzelplan 11 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor, über den wir später namentlich
abstimmen werden. Außerdem liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Claudia Winterstein, FDP-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Scholz, Sie sind jetzt seit einem
Jahr im Amt. Dies ist der erste Haushalt des Arbeitsministeriums, den Sie voll zu verantworten haben. Sie hätten die Chance gehabt, aus den Fehlern Ihres Vorgängers
zu lernen und für Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit zu sorgen, aber Sie haben diese Chance verpasst; Sie
haben es nicht getan. Stattdessen haben Sie uns wiederum einen Haushalt mit geschönten Zahlen vorgelegt.
Seit der Vorlage des Haushaltsentwurfs hat die Regierung ihre Wachstumsprognose von 1,2 Prozent auf
0,2 Prozent gesenkt; das ist immer noch sehr positiv gedacht. Die Wirtschaftsweisen prognostizieren für 2009
eine Rezession. Alle Sachverständigen gehen für 2009
von steigenden Arbeitslosenzahlen aus. Nur einer tut das
nicht, und das ist der Arbeitsminister, der sich gerade
noch intensiv mit der Frau Bundeskanzlerin unterhält.
Der Haushalt des Arbeitsministers präsentiert sich nahezu unverändert. Der Ansatz für das Arbeitslosengeld II steigt zwar um 250 Millionen Euro, aber nur für
die Erhöhung bei den Krankenkassenbeiträgen. Im Sinne
der Haushaltsklarheit und -wahrheit wäre eine weitere
Erhöhung notwendig gewesen. Gerade in der letzten
Woche musste eine knappe Milliarde Euro als überplanmäßige Ausgabe genehmigt werden, weil der Ansatz für
das Arbeitslosengeld II nicht gereicht hat. Wir brauchen
für dieses Jahr knapp 22 Milliarden Euro. Für 2009 sind
nur 20,25 Milliarden Euro angesetzt. Das ist wieder viel
zu niedrig. Diese Schönrechnerei geschieht jetzt übrigens schon das vierte Mal in Folge, und das ist unsolide,
Herr Minister.
({0})
Wir wissen es jetzt genau. Insofern sollten Sie so ehrlich sein und die 1,8 Milliarden Euro, die hierfür zusätzlich benötigt werden, nicht verschweigen. Dann allerdings können Sie sich nicht mehr brüsten mit dem
sogenannten Sparhaushalt, wie Sie gesagt haben; im Gegenteil.
Der Ansatz für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für die Hartz-IV-Empfänger, für die der Bund zuständig ist, bleibt unverändert. Sie sprechen zwar davon,
die Instrumente neu zu ordnen und effizienter zu machen; viel Erfolg haben Sie damit allerdings nicht. Ihr
Gesetzentwurf ist in der Anhörung durchgefallen.
({1})
Es hieß: viel zu mutlos; das Ziel der Instrumentenvereinfachung wird verfehlt; sogar: Beim ALG II sieht der Gesetzentwurf geradezu das Gegenteil einer Vereinfachung
vor.
Aus meiner Sicht ist Ihr schlimmster Fehler: Sie unterlassen es, die Finanzen neu zu ordnen und damit auch
Einspareffekte zu erzielen. 10 Milliarden Euro haben Sie
in diesem Jahr für Eingliederungsmaßnahmen und
Verwaltung vorgesehen. Genau 10 Milliarden Euro sehen Sie auch für das nächste Jahr vor. Eine Neuordnung
der Instrumente ist aber überfällig und verbunden damit
natürlich auch eine Einsparung. Wir haben deswegen bei
diesen beiden Titeln eine Kürzung um 20 Prozent beantragt. Wir dürfen nicht für wirkungslose Instrumente
Geld aus dem Fenster werfen. Herr Minister, tun Sie
endlich etwas dagegen!
({2})
Der Kommunal-Kombi beispielsweise hat sich als
Flop erwiesen. 143 Millionen Euro sind dafür bereitgestellt worden. 3,5 Millionen Euro sind bisher aber nur
abgeflossen. Was machen Sie? Sie nehmen das ungenutzte Geld und setzen es einfach zum Löcherstopfen
beim ALG II ein.
({3})
Nun könnte man denken: Das Instrument wird im nächsten Jahr abgeschafft. Aber weit gefehlt! Es bleibt, und es
wird einfach im Eingliederungsbudget versteckt.
Ein zweites Beispiel. Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden in diesem Jahr bislang 340 Millionen
Euro ausgegeben - mehr als im gesamten letzten Jahr.
Aber gerade die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind
nach dem Evaluierungsbericht negativ zu bewerten. Sie
tragen erwiesenermaßen nicht zur Eingliederung bei und
wirken sogar eher bremsend. Das wissen Sie nun schon
seit Januar 2006. Wie kann es da sein, dass Sie immer
noch so viel Geld für solche Maßnahmen ausgeben?
Herr Minister, damit muss jetzt endlich Schluss sein!
({4})
Die Hälfte des Eingliederungsbudgets von
10 Milliarden Euro lassen Sie sich von der Bundesagentur für Arbeit bezahlen, also von den Beitragszahlern. Es
ist und bleibt der falsche Ansatz, die Bundesagentur an
der Finanzierung der Eingliederungsmaßnahmen für
Hartz-IV-Empfänger zu beteiligen. Wir wollen, dass der
Bund aufhört, den Beitragszahlern immer wieder in die
Tasche zu greifen.
({5})
Statt dass Milliarden von Euro von der Bundesagentur in
den Bundeshaushalt geschoben werden und umgekehrt,
sollte jeder für das zahlen, für das er zuständig ist, nämlich der Bund für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger
und die Bundesagentur für die Arbeitslosengeld-I-Empfänger.
Herr Minister, Sie haben in letzter Zeit mit viel
Selbstzufriedenheit auf einen Schutzschirm für die Arbeitsplätze hingewiesen. Man muss dazu aber eines ganz
klar sagen: Soweit das Konjunkturpaket den Arbeitsmarkt betrifft, halten Sie Ihren Haushalt fein aus der Sache heraus. Alles, was hier als Bonbon angeboten wird,
beispielsweise das Kurzarbeitergeld, wird aus dem
Haushalt der Bundesagentur für Arbeit finanziert,
({6})
also aus den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Für Ihren Haushalt ist das ganz bequem, aber das
geht zulasten Dritter.
Meine Damen und Herren, Deutschland geht schwierigen Zeiten entgegen. Der Haushalt 2009 liefert dafür
jedoch nicht das richtige Rüstzeug.
Danke.
({7})
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt IV und gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Entwurf eines Erbschaftsteuerreformgesetzes der Bundesregierung bekannt, Drucksachen 17/7918,
16/8547, 16/11107 und 16/11075: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 386, mit Nein haben
gestimmt 168, Enthaltungen 3. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 555;
davon
ja: 384
nein: 168
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Clemens Binninger
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Hans-Peter Friedrich
({4})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Norbert Geis
Michael Glos
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({5})
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({6})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({7})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({8})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({9})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({10})
Maria Michalk
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({13})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({14})
Andreas Schmidt ({15})
Ingo Schmitt ({16})
Dr. Andreas Schockenhoff
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({17})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({18})
Gerald Weiß ({19})
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({20})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({21})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({22})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({23})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({24})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({25})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({26})
Frank Hofmann ({27})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({28})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({29})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({30})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({31})
Michael Müller ({32})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({33})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({36})
Silvia Schmidt ({37})
Renate Schmidt ({38})
Heinz Schmitt ({39})
Carsten Schneider ({40})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({41})
Swen Schulz ({42})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({43})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
({44})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
CDU/CSU
Renate Blank
Wolfgang Bosbach
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Axel E. Fischer ({45})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Peter Gauweiler
Eberhard Gienger
Alois Karl
Friedrich Merz
Philipp Mißfelder
Dr. Joachim Pfeiffer
Beatrix Philipp
Peter Rauen
Franz Romer
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({46})
Marion Seib
Christian Freiherr von Stetten
Gerhard Wächter
Ingo Wellenreuther
Willy Wimmer ({47})
SPD
Otto Schily
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({49})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({52})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({53})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Kersten Naumann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({54})
Volker Schneider
({55})
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({56})
Birgitt Bender
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({57})
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({58})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({59})
Manuel Sarrazin
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Bernhard Schulte-Drüggelte
Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11112 lautet: abgegebene Stimmen 550. Mit Ja haben gestimmt 98, mit Nein haben gestimmt 443, Enthaltungen 9. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 550;
davon
ja: 98
nein: 443
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Dorothee Bär
Renate Blank
Klaus Brähmig
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Maria Eichhorn
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({60})
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Dr. Wolfgang Götzer
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Bartholomäus Kalb
Alois Karl
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Stephan Mayer ({61})
Laurenz Meyer ({62})
Marlene Mortler
Stefan Müller ({63})
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Dr. Joachim Pfeiffer
Daniela Raab
Hans Raidel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Franz Romer
Albert Rupprecht ({64})
Anita Schäfer ({65})
Dr. Andreas Scheuer
Marion Seib
Christian Freiherr von Stetten
Matthäus Strebl
Dagmar Wöhrl
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({66})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({67})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({68})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({69})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({70})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({71})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({72})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({73})
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({74})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({75})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Axel E. Fischer ({76})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({77})
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({78})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({79})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({80})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Carsten Müller
({81})
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Peter Rzepka
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({82})
Ingo Schmitt ({83})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Jens Spahn
Erika Steinbach
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({84})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({85})
Gerald Weiß ({86})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({87})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({88})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({89})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({90})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({91})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({92})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({93})
Frank Hofmann ({94})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({95})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({96})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({97})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({98})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({99})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({100})
Michael Roth ({101})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({102})
Silvia Schmidt ({103})
Renate Schmidt ({104})
Heinz Schmitt ({105})
Carsten Schneider ({106})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({107})
Swen Schulz ({108})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({109})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
({110})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Kersten Naumann
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({111})
Volker Schneider
({112})
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({113})
Birgitt Bender
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({114})
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({115})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({116})
Manuel Sarrazin
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Michael Glos
Hartmut Koschyk
Eduard Oswald
Dr. Christian Ruck
Christian Schmidt ({117})
Thomas Silberhorn
Willy Wimmer ({118})
SPD
Otto Schily
Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Arbeit und
Soziales, Olaf Scholz.
({119})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
sind wieder die Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht worden. Nach dem letzten Monat haben wir wieder einen
Monat mit guten Zahlen. Die Zahl der Arbeitslosen
insgesamt ist weiter zurückgegangen. Das ist ein gutes
Ergebnis der Anstrengungen der letzten Jahre.
({0})
Natürlich ist das etwas, über das wir heute reden müssen; denn tatsächlich sind die Entwicklungen, die wir
heute auf dem Arbeitsmarkt sehen können, nicht zufällig
zustande gekommen. Sie sind das Ergebnis der Anstrengungen von Unternehmen, sie sind das Ergebnis der harten Arbeit vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
sie sind aber unverkennbar auch das Ergebnis der richtigen Weichenstellungen, die in der letzten und in dieser
Legislaturperiode vorgenommen wurden. Diese haben
zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn wir uns diese Zahlen
anschauen, dann ist es wichtig, dass wir uns immer wieder klarmachen, wie sie eigentlich zusammengesetzt
sind, was sie uns für die Zukunft sagen und welche
Handlungsmöglichkeiten sich für uns daraus ergeben.
Eine wichtige Zahl ist - eine genaue gibt es nur für das
letzte Jahr, für dieses Jahr kann man sie nur hochrechnen -, dass die Zahl der Zugänge und Abgänge von Arbeitslosen insgesamt jeweils über 8 Millionen gelegen
hat bzw. liegen wird. Es findet also ganz viel Bewegung
auf dem Arbeitsmarkt und bei der Beschäftigung statt.
Das darf man nie vergessen, wenn man die konsolidierten Zahlen betrachtet. Hinter ihnen stehen viele Schicksale.
Weil es so viele Bürgerinnen und Bürger sind, um die
es geht und deren Schicksal berührt wird von dem, was
wir tun, ist es von zentraler Bedeutung, dass wir uns sehr
viel Mühe dabei geben, die Arbeitsvermittlung zu organisieren und etwas wir für sie zu unternehmen. Dass wir
die Zahl der Arbeitsvermittler erhöht haben, ist ein
richtiger Ansatz. Das bedeutet, dass wir Menschen für
Menschen einsetzen und ihnen in einer schwierigen
Situation ihres Lebens helfen.
({2})
Die Zahlen, über die wir im Zusammenhang mit diesem Haushalt diskutieren, sind ja beeindruckend. Wir
haben uns dazu entschlossen, die Zahl der Vermittler bei
den Arbeitsgemeinschaften unmittelbar um etwa
2 000 zu erhöhen und innerhalb der nächsten Jahre durch
Verlagerung von Stellen aus der Sachbearbeitung und
der Leistungsausrechnung hin zur Vermittlung noch einmal 5 000 zusätzliche Stellen zu mobilisieren, sodass
7 000 zusätzliche Vermittlerinnen und Vermittler für
Menschen in großer Not da sind. Das Gleiche gilt für die
Arbeitsagentur, deren Service sich über die letzten Jahre
stetig verbessert hat.
Wir dürfen eines nicht vergessen: Als Walter Riester
mit den Reformen begonnen hat, waren gerade einmal
knapp über 10 Prozent der Beschäftigten mit der Vermittlung beauftragt. Heute sind es bei der Agentur über
30 Prozent und bei den Arbeitsgemeinschaften knapp
über 40 Prozent; das sind beeindruckende Zahlen. Ich
benenne unser Ziel ganz deutlich: Wir müssen dafür
Sorge tragen, dass irgendwann das Verhältnis halbehalbe sein wird. Im Mittelpunkt der Arbeitsagentur und
der Arbeitsgemeinschaften muss die Vermittlung stehen,
nicht die Auszahlung der Leistungen; Letztere muss einfach gut funktionieren.
({3})
Daher ist es richtig, dass wir uns in der jetzigen wirtschaftlichen Situation entschieden haben, für die Arbeitnehmer, die bisher ihre Beiträge gezahlt haben und eine
Kündigung bekommen, 1 000 zusätzliche Vermittler einzusetzen. Eine Job-to-job-Vermittlung ist das richtige
Zeichen in einer schwierigen Situation, meine Damen
und Herren.
({4})
Wenn wir die Situation verstehen wollen, müssen wir
uns die Zahlen noch etwas genauer ansehen. Von den
jetzt unter 3 Millionen Arbeitslosen bekommen knapp
über 800 000 Menschen Arbeitslosengeld, und etwas
über 900 000 sind im Rechtskreis SGB III gemeldet. Das
konjunkturelle Auf und Ab wird sich dort zuallererst abbilden. Deshalb ist es richtig, dass wir entschieden haben, in dieser wirtschaftlichen Situation ein Zeichen zu
setzen und dazu beizutragen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch dann in den Betrieben bleiben, wenn es schwierig wird. Wir verlängern die Zeit der
Kurzarbeit von sechs Monaten, wie es im Gesetz steht,
auf 18 Monate. Das ist das richtige Zeichen an die Unternehmen und an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Lande.
({5})
Wir verbinden dies mit einer weiteren Botschaft: Die
Zeiten der Kurzarbeit, in denen vielleicht weniger zu tun
ist, muss man für Qualifizierung nutzen. Qualifizieren
statt entlassen, das ist die zweite Botschaft, die wir in der
jetzigen wirtschaftlich angespannten Situation formulieren.
({6})
Meine Damen und Herren, wir müssen deutlich sagen, wo wir stehen: Wir stehen gut da und stehen trotzdem vor schweren Zeiten. Wir sind gut vorbereitet, aber
wir wandern durch unbekanntes Gebiet. Insofern kann
niemand wissen, ob unsere Ausrüstung insgesamt die
richtige ist. Wir müssen darüber nachdenken, was wir
tun können. Natürlich wird in einer solchen Situation
über sehr unterschiedliche Ansätze diskutiert. Je nach
Neigung und Interesse stützen sich manche eher auf den
ersten Teil der Wahrheit und beschwichtigen, während
andere eher den zweiten Teil betonen und in Alarmismus
machen. Beides ist nicht redlich. Weder dürfen wir so
tun, als müssten wir nur wollen und dann werde alles
wieder gut, noch sollten wir mit unbändiger Lust an der
Apokalypse den Zusammenbruch von Wachstum und
Wohlstand in Deutschland und der Welt prophezeien.
Erst analysieren und dann Lösungen entwickeln, zügig,
aber nicht hektisch, und das alles mit der gebotenen
Klarheit, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger in
der jetzigen Situation von uns.
({7})
Niemand erwartet, dass wir jetzt schnell Flugblätter
produzieren. Vielmehr erwartet man von uns, dass wir
das tun, was wir tun können. Dies bedeutet, dass nicht
besonders markige Forderungen vernünftig sind, sondern solche, von denen man glauben kann, dass sie wirklich helfen. Die von der Regierung auf den Weg gebrachten und die Konjunktur stützenden Impulse sind viel
klüger und vernünftiger als manches, was man sonst so
hört. Gäben wir jetzt einfach irgendwelche Milliarden
aus, dann fehlten sie uns bitter für wirklich vernünftige
und hilfreiche Dinge, die wir brauchten, wenn die Krise
länger dauern und schwieriger werden sollte.
({8})
Im Übrigen entstünde, wenn wir die markigen Forderungen erfüllten, nicht das, was wir in der jetzigen wirtschaftlichen Situation wirklich brauchen: Wir brauchen
Vertrauen. Das Vertrauen und der Kredit in die
Finanzmärkte sind zurzeit sehr gefährdet. Das ist auch
kein Wunder angesichts all der Spiele, die wir in den
letzten Jahren und Monaten bei Banken und Börsen beobachten mussten, und angesichts der Tatsache, dass
jetzt viele, die dafür selbst gar nichts können, um ihre
Zukunft fürchten müssen, weil einige an einer ganz anderen Stelle etwas falsch gemacht haben.
Die Menschen investieren Vertrauen in die Politik,
weil sie uns etwas zutrauen. Sie haben gesehen, dass dies
angesichts unserer schnellen und zügigen Reaktion in
Bezug auf die Krise der Finanzmärkte und angesichts
des Schirms, den wir aufgespannt haben, berechtigt ist.
Dieses Vertrauen ist auch gerechtfertigt angesichts der
Entscheidungen, die wir für den Arbeitsmarkt getroffen
haben. Aber Vertrauen wird immer verspielt, wenn man
nicht seriös handelt und wenn man von dem, was vorgeschlagen wurde, nicht überzeugt ist, dass es in der Zukunft hilft. Darum geht es.
Ich habe schon etwas zu denjenigen der knapp unter
3 Millionen Menschen gesagt, die Arbeitslosengeld
erhalten. Die anderen Arbeitslosen bekommen Arbeitslosengeld II. Darunter sind viele, die schon lange arbeitslos sind. Wir müssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das Schicksal vieler Bürgerinnen und
Bürger von uns bewegt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob die Konjunktur gut oder schlecht läuft;
denn ihre Schwierigkeiten haben oft mit Dingen zu tun,
die auch jenseits der Konjunktur ein Problem darstellen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass manche unsere
Hilfe und Unterstützung brauchen. Ansonsten kann es
passieren, dass auch in einer boomenden Konjunktur
viele von ihnen keine Beschäftigung finden. Das ist die
Aufgabe, die wir mit großem Mut und großer Klarheit
angehen müssen.
({9})
Darum spielt für das, was wir tun, Qualifizierung
eine so große Rolle. 500 000 Arbeitslose haben keinen
Schulabschluss; fast alle davon sind Langzeitarbeitslose. Darum ist es richtig, dass wir bei der Reform der
arbeitsmarktpolitischen Instrumente sagen: Es muss ein
lebenslanges Recht geben, diesen Schulabschluss nachzuholen, um die eigene Zukunft besser meistern zu können.
({10})
Darum ist es richtig, dass wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass von den Langzeitarbeitslosen die
Hälfte keinen Berufsabschluss hat. Wenn wir deren
Schicksal wenden wollen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass jeder und jede in diesem Lande die Chance auf
eine Berufsausbildung hat. Das ist das Entscheidende für
die Zukunft unseres Landes. Ich will ausdrücklich sagen:
Die wichtigste Ausbildung in Deutschland ist die Lehre,
die Berufsausbildung. Auch mit zukünftig mehr Akademikern werden 60 bis 70 Prozent eines Altersjahrgangs
diese Ausbildung brauchen.
({11})
Es wird eine große Rolle spielen, wie wir qualifizieren. Das gilt nicht nur in Zeiten der Konjunkturkrise,
sondern auch langfristig. Daher müssen wir für mehr
Ausbildungsplätze sorgen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auch diejenigen eine Chance bekommen, die
nicht so gut sind. Meine feste Überzeugung ist, dass wir
deutlich darüber sprechen müssen, wie diese Menschen
eine Chance bekommen können. Wer mit 16 Jahren die
Schule verlässt, hat fünf Jahrzehnte Arbeit vor sich. Die
Frage, ob er in dieser Zeit immer wieder auf fremde
Hilfe angewiesen sein wird oder ob er von dem, was er
selber tut, leben kann, entscheidet sich an dem, was wir
an Bildungsmöglichkeiten und Bildungschancen eröffnen. Das ist unsere Aufgabe, die wir bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Blick haben müssen.
({12})
Wir müssen natürlich aus der Ausbildung auch mehr
machen. Deshalb finde ich es gut, dass wir im Zusammenhang mit dem Bildungsgipfel die Zusage der Länder
bekommen haben, mitzuhelfen, dass innerhalb eines Jahres überall in Deutschland nach einem einheitlichen Verfahren geregelt ist, dass Meister, Techniker und diejenigen, die eine Berufsausbildung gemacht haben und die
ein paar Jahre gearbeitet haben, direkt zum Studieren an
eine Universität gehen und dort ihre Talente entfalten
können. Der Fachkräfte- und Ingenieursmangel kann
eben auch behoben werden, indem wir die Potenziale
unserer Berufsschulen und derjenigen, die dort etwas
lernen, besser nutzen.
({13})
Ich glaube, das sind die wichtigsten Dinge, die wir
bewegen müssen. Alles, was wir sonst noch getan haben,
haben wir unter Berücksichtigung dieser Punkte auf den
Weg gebracht. Ich nenne beispielsweise das Fachkräftekonzept für Spitzenkräfte. Dabei geht es um diejenigen,
die einen Hochschulabschluss haben. Wir werden den
Arbeitsmarkt in Deutschland ab dem nächsten Jahr öffnen, sodass es einen Ingenieursmangel nicht mehr geben
muss. Denn die Unternehmen haben dann die Möglichkeit, die Kräfte zu holen, die sie brauchen. Damit werden
auch Arbeitsplätze für diejenigen geschaffen und gesichert, die als Gelernte, Angelernte und auch Ungelernte
Arbeit haben wollen. Diese Arbeitsplätze hängen davon
ab, dass das wissenschaftliche Qualifikationsniveau unserer Arbeitskräfte insgesamt so hoch ist, dass wir alle
unsere Chancen nutzen können.
Man kann etwas tun. Das ist die entscheidende Botschaft, die in einer Demokratie die Politik aussenden
muss. Es ist nicht die Stunde der Zyniker, die malerisch
beschreiben, warum sowieso alles schiefgehen wird. Das
kann von links und von rechts geschehen, um auf diese
Weise Applaus zu bekommen. Aber die Demokratie lebt
nicht davon, dass sie Wolkenkuckucksheime verspricht,
sondern davon, dass sie ganz konkrete Vorschläge
macht, wie das Schicksal der Bürgerinnen und Bürger
verbessert werden kann. Wo ist das wichtiger als auf
dem Arbeitsmarkt, wo wir mit besserer Vermittlung, besserer Qualifizierung und dem, was wir uns insgesamt
vorgenommen haben, konkrete Handlungsmöglichkeiten
haben?
({14})
Natürlich bekommt das auch noch einen gewissen
Drive - das ist eine gute Entwicklung -, wenn wir sagen:
Wer arbeitet, muss auch gut zurechtkommen. Deswegen
freue ich mich, dass wir zum Beispiel heute wieder dabei
sind, festzulegen, in welchen Branchen in Deutschland
nun Mindestlöhne Einzug halten sollen. Ich bin mir sicher: Wenn wir unsere Gespräche beendet haben werBundesminister Olaf Scholz
den, wird sich die Zahl der Arbeitnehmer, die durch
Mindestlöhne geschützt werden, noch einmal verdoppeln. - Das ist eine gute Nachricht für Deutschland und
für die vielen, die in unserem Land schwer arbeiten.
({15})
Wir müssen die Beschäftigungspotenziale derjenigen
nutzen, die bisher vom Arbeitsmarkt oft ferngehalten
werden. Deshalb kündige ich hier noch einmal an: Der
Zugang zum Arbeitsmarkt für diejenigen, die in den
Pflegeberufen tätig sein wollen, muss verbessert werden. Es kann nicht sein, dass wir so hohe Hürden aufgebaut haben, dass engagierte Absolventen der Hauptschulen kaum eine realistische Chance haben, in diesen
Berufen tätig zu sein. Wir müssen ihnen dieses Feld öffnen und ihre Qualifikationsmöglichkeiten in der Berufsausbildung verbessern. Das werden wir tun.
({16})
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss
allen, die mitgeholfen haben, diesen Haushaltsentwurf
aufzustellen, und die ihn mitberaten haben, danken. Ganz
besonders danke ich den Berichterstattern aus dem Haushaltsausschuss. Herausheben - das sei mir gestattet möchte ich ausdrücklich Waltraud Lehn, die uns, leider
zum letzten Mal, in bewährter Weise geholfen hat, einen
Etat für Arbeit und Soziales auf die Beine zu stellen.
Wir sollten nicht unterschätzen, welchen Eindruck solides Parlamentshandeln in der Krise machen kann. Ich
glaube, wir haben einen guten Eindruck gemacht. Gehen
wir an die Arbeit.
Schönen Dank.
({17})
Für die Fraktion der Linken erteile ich der Kollegin
Katja Kipping das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vergangene Woche kam eine sehr engagierte Frau in meine
Sprechstunde. Sie ist seit vielen Jahren ehrenamtlich aktiv, unter anderem beim DGB und in einem Erwerbslosen-Café. Sie hat sich ein ums andere Mal erfolglos beworben. Der einzige Erfolg bestand in einer längeren
Maßnahme. Am Ende unseres Gespräches fasste sie ihre
Situation wie folgt zusammen. Sie sagte: Es ist schon
verdammt schwer, mit dem wenigen Geld klarzukommen. Besonders belastend ist jedoch das Gefühl, dem
Jobcenter ausgeliefert zu sein, das Gefühl, als Bürger
zweiter oder dritter Klasse behandelt zu werden. - Mit
diesem Gefühl steht sie leider nicht allein.
Nun werden Sie womöglich einwenden, wir als Gesetzgeber hätten nichts damit zu tun, wenn die Menschen
in den Jobcentern schlecht behandelt würden. Ich meine
jedoch: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen
dem, wie viel Mittel wir bereit sind, für Arbeitslosengeld II einzustellen, und dem, wie mit den Bedürftigen in
den Jobcentern umgegangen wird.
({0})
Dieser Mechanismus funktioniert wie folgt: Alljährlich werden Leistungsvereinbarungen mit den lokalen
Jobcentern abgeschlossen. Diese Leistungsvereinbarungen verpflichten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Jobcenter, genau beim Arbeitslosengeld II Mittel zu
sparen. Dieses Jahr wurden die Mitarbeiter gezwungen,
6,5 Prozent einfach einmal so einzusparen. Wer weiß,
dass er einsparen muss, der sucht natürlich nach Anlässen für irgendwelche Sanktionen. Wer unter diesem
Druck steht, kann kein Gespräch auf gleicher Augenhöhe führen.
({1})
Dieser von der Bundesregierung abgesegnete Einspardruck ist eine Quelle für Demütigungen. Insofern
tragen auch wir als Bundestagsabgeordnete die Verantwortung dafür.
({2})
Die Linke beantragt deswegen, im Haushalt mehr Mittel für das Arbeitslosengeld II einzustellen. Wir meinen,
der Hartz-IV-Regelsatz muss umgehend auf 435 Euro angehoben werden. Das kann nur ein erster Schritt in Richtung einer repressionsfreien Grundsicherung sein.
({3})
Von den vielen guten Gründen, die dafür sprechen,
möchte ich aufgrund der knappen Redezeit nur auf zwei
eingehen.
Erstens. Was wir aktuell erleben, ist nur die Spitze des
Eisbergs Wirtschaftskrise. Ich finde, diese Krise macht
deutlich, dass der Kapitalismus abgewirtschaftet hat.
({4})
Wir müssen auch auf der Ebene der Produktion über Alternativen nachdenken, wie etwa die solidarische Ökonomie.
Aber wenden wir uns heute erst einmal den kurzfristigen Maßnahmen zu. Kurzfristig kann ein Konjunkturprogramm helfen, die drohende Umsatzflaute abzumildern; hier sind wir uns ja auch einig. Strittig ist immer
nur, wie ein geeignetes Konjunkturprogramm aussehen
kann. Studien zum Sparverhalten geben uns hier einen
ganz wichtigen Hinweis. Wenn jemand, der ein hohes
Einkommen hat, 50 Euro mehr bekommt, legt er diese
üblicherweise an. Wenn aber Menschen mit einem niedrigen Einkommen 50 Euro mehr bekommen, dann geben
sie diese in der Regel aus. Das kurbelt die Wirtschaft an.
({5})
Insofern meine ich: Ein gutes Konjunkturprogramm
muss zuallererst dafür sorgen, dass Menschen mit niedrigen Einkommen mehr haben. Deswegen setzen wir uns
gerade jetzt für die Erhöhung des Regelsatzes ein.
Zweitens. Der jetzige Regelsatz ist so niedrig, dass
Betroffene ihre demokratischen Rechte nicht mehr
wahrnehmen können. Die Kosten für eine Fahrt zu einer
politischen Diskussionsveranstaltung sind im Regelsatz
einfach nicht mehr vorgesehen. Daraus droht Ausgrenzung. Diese Ausgrenzung setzt sich fort. So sind im
Hartz-IV-Regelsatz beispielsweise die Kosten für das
Abo einer Tageszeitung nicht vorgesehen. Wer in
Hartz IV fällt, ist somit gezwungen, sein Zeitungsabo zu
kündigen.
Nun steht zu befürchten, dass sich im Gegenzug auch
die Medien immer weniger für die Belange von Hartz-IVBetroffenen engagieren. Das ist nicht aus der Luft gegriffen: Ein engagierter Oberlausitzer hat mir neulich erzählt, dass, als er seine Zeitung für das Thema Sozialticket begeistern wollte, der Lokalredakteur gesagt hat:
Das Thema ist für unsere Zeitung uninteressant. Hartz-IVLeute können sich eh keine Tageszeitung mehr leisten. Hier sehen wir eine Spirale der Ausgrenzung. Unsere
Verantwortung ist es, diese Spirale zu stoppen.
({6})
Als Linke bekommen wir oft vorgehalten, dass unsere
Forderungen nicht finanzierbar seien, dass man sich das
nicht leisten könne. Diesen Vorwurf können wir leicht
entkräften. Wir haben genügend Vorschläge unterbreitet,
wo man einsparen kann, beispielsweise im Bereich Verteidigung. Wir haben auch verschiedene Vorschläge unterbreitet, wo man mehr Geld einnehmen kann, zum Beispiel durch eine Börsenumsatzsteuer.
Aber apropos „nicht leisten können“: Im Zuge der
Haushaltsberatungen haben wir einmal nachgefragt,
welche Einsparungen im Sozialhaushalt die Einführung
eines flächendeckenden Mindestlohns mit sich bringen
würde. Die Bundesregierung hat es uns schwarz auf
weiß gegeben: Wenn es einen Mindestlohn von 7,50 Euro
die Stunde gäbe - wir fordern ja bekanntlich einen höheren; aber die Antwort bezog sich nur auf diese Höhe -,
gäbe es im Bereich der Aufstocker Einsparungen von bis
zu 1,5 Milliarden Euro. Im Klartext - und das an die
Adresse der CDU/CSU gerichtet -: Solange es keinen
flächendeckenden Mindestlohn gibt, so lange finanzieren wir Lohndumping mit Steuergeldern. Ich finde, das
ist ein unhaltbarer Zustand.
({7})
Solange sich SPD und CDU/CSU in diesem Haushalt
sowohl gegen die Einführung eines Mindestlohnes als
auch gegen die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes als
auch gegen eine Rentenangleichung zwischen Ost und
West einsetzen, können wir von der Linken diesem
Haushalt nicht zustimmen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim
Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir, dass ich die Debatte von der sozialistischen Wundertütenpolitik wieder in die Realpolitik zurückführe.
({0})
Für die Fraktion der CDU/CSU stelle ich fest:
Erstens. Mit einem Anteil von 42,6 Prozent am gesamten Bundeshaushalt wird der hohe Stellenwert des
Sozialhaushaltes absolut deutlich.
Zweitens. Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung verfügen nach drei Jahren Große Koalition nicht
mehr über Schulden, sondern über mehr als 30 Milliarden Euro Rücklagen und damit über Stabilität in ganz
neuer Qualität.
({1})
Ich darf dazu noch eine Anmerkung machen. Natürlich haben die Berichterstatter der Regierungskoalition
sofort nach Beginn der Bankenkrise die Anlagenpolitik
der Sozialversicherungen untersucht. Wir können heute
Entwarnung geben: Die Prüfung hat keine negativen
Überraschungen erbracht.
({2})
- Was wäre los, wenn negative Vorgänge zutage getreten
wären und alle im Sozialbereich verunsichert hätten?
Dann hätten Sie hier eine Sternstunde. Stattdessen haben
Sie heute Ihren Abgesang.
({3})
Drittens. Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mehr als die Hälfte trägt ganz wesentlich zu einer beständigen Sozialleistungsquote bei. Auch
die Rentner werden 2009 ein gutes Jahr haben.
Viertens. Die Kosten für ALG II und die Kosten der
Unterkunft - die Kollegin Winterstein hat das hier erneut
problematisiert - laufen bei weitem nicht mehr so auseinander, wie das in der Vergangenheit der Fall war.
Auch hier können wir langsam Konsolidierungserscheinungen feststellen, wenngleich wir sagen: An diesen
Dingen muss noch gearbeitet werden.
Fünftens. Die Zahl der Arbeitslosen ist bekanntlich
um über 1,4 Millionen auf unter 3 Millionen zurückgegangen. Auch die heute bekannt gegebenen neuen Zahlen zeigen, dass die Politik, die wir gemacht haben, richtig angesetzt war. Diese Zahlen sind für die jetzige
Situation absolut okay und zeigen, dass eine gute Basis
für das nächste Jahr gegeben ist.
({4})
Das Sechste, was ich hier anmerken möchte: Dank
der Mitwirkung der Tarifpartner entstehen Arbeitsmarkteffekte in Deutschland bereits bei einem Wachstum von
0,2 Prozent und nicht mehr, wie vor Jahren, erst bei einem Wachstum von 1,5 Prozent. Das hat Deutschland im
internationalen Bereich wieder wettbewerbsfähig gemacht.
Das alles sind sehr positive Zwischenergebnisse. Sie
lassen zwei Aussagen zu: Erstens. Ohne die neuen Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, hätten wir
zum Ende dieser Legislaturperiode die Ziele der Koalitionsvereinbarung mehr als nur erreicht.
({5})
Zweitens. Es wäre falsch, diesen Kurs zum jetzigen Zeitpunkt aufzugeben.
({6})
So wäre es völlig falsch, das ALG II jetzt zu erhöhen.
Wir müssen befürchten, dass mehr Menschen diese Leistung brauchen und gleichzeitig Investitionsprogramme
gefahren werden müssen. Eine Erhöhung passt da nicht
in die Landschaft. Solange es noch Rechnungshofberichte über gravierende Verschwendungen und Abweichungen von mehr als 25 Prozent vom Durchschnitt bei
vergleichbaren Regionen gibt, muss der Titel im Interesse des Steuerzahlers knapp gehalten werden.
({7})
- Das geht nicht zulasten der Betroffenen, denn die haben einen gesetzlichen Anspruch, lieber Kollege von den
Grünen.
({8})
Notwendig ist, dass die Politik und die Tarifpartner
auf allen Ebenen aus früheren Konjunkturkrisen lernen.
In der Vergangenheit wurde eine sich schnell verfestigende Sockelarbeitslosigkeit zugelassen. Arbeitslose erhielten Leistungen, für ihre Betreuung wurde aber wenig
Sorge getragen. Die Vermittlung wurde oft erst nach
Monaten Realität. Man hat sich in dieser Phase viel zu
wenig um diese Leute gekümmert. Die Folge, ein Abrutschen in die Dauerarbeitslosigkeit, war vorprogrammiert, ebenso Qualitätsmangel, hohe Kosten für die
Heranführung an den Arbeitsmarkt und Startschwierigkeiten. Das muss anders werden. Der Minister hat hier in
gleicher Richtung gesprochen. Wir von der Union unterstützen diesen Kurs hundertprozentig.
({9})
Die jetzt vorgesehenen Maßnahmen zur Konjunkturförderung und die Kreditangebote der KfW haben im
Blick, dass die Arbeitnehmer trotz der Auftragseinbrüche in den Betrieben gehalten werden sollen; denn nach
der Krise wird mehr qualifiziertes Personal denn je gebraucht werden. Was wir einleiten wollen, ist eine neue
Form der Vernetzung von Maßnahmen der Konjunkturbelebung mit Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik. Es
geht also vor allem um betriebliche Weiterbildung und
betriebliche Qualifikation jetzt, damit die Leute im Betrieb bleiben können. Wir müssen die Voraussetzungen
schaffen, damit eine bessere Ausrüstung gegeben ist,
wenn die nächste positive Konjunkturwelle kommt. Das
ist zentral. Das ist Politik für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in diesem Land. Dazu sind wir in dieser
Phase verpflichtet.
({10})
In diesem Bundeshaushalt sind für Eingliederungsmaßnahmen bekanntlich 6,2 Milliarden Euro etatisiert.
Über die Verwendung entscheidet in starkem Maße die
örtliche Ebene. Unsere Idee ist, dass in dieser Krisenzeit
in Kombination mit Impulsen, die selbstverständlich
auch von der kommunalen Ebene ausgehen können und
müssen, neue Pakete geschnürt werden.
Bei der Bundesagentur für Arbeit stehen dafür in fünf
Kategorien Mittel in Höhe von 12,6 Milliarden Euro zur
Verfügung. Das sind übrigens 31 Prozent des dortigen
Gesamtetats. Es wird notwendig sein, dass man sich darüber Gedanken macht, wie man durch diese Instrumente und möglicherweise durch neue Überbrückungsinstrumente das Notwendige tut, um die berufliche
Qualifikation im Betrieb sicherzustellen.
Wir haben bereits jetzt einige Voraussetzungen durch
Neuregelungen im Bereich des Kurzarbeitergeldes geschaffen. Dies sind ganz wichtige Maßnahmen, die für
mehr Sicherheit für die Menschen im Betrieb sorgen.
Hierzu gehört beispielsweise das sogenannte WeGebAUProgramm, das sich bereits flächendeckend im Aufbau
befindet. Wir haben die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes von 12 auf 18 Monate verlängert. Wie ich höre,
will die BA das auch auf die Leiharbeiter ausdehnen; das
würden wir begrüßen.
Aus meiner Sicht muss diese Zeit genutzt werden, um
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstärkt gesundheitlich fit zu machen. Wer eine Kur braucht, sollte sie
jetzt, in der Zeit der Flaute, angeboten bekommen. Die
Leute sollten keine Angst haben müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie in dieser Phase einen Kurantrag stellen. Vor Ort, in den Betrieben, müssen Gespräche
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern stattfinden,
damit die Situation anders wird und ein Fitmachen auf
breiter Ebene stattfindet.
({11})
Wir haben die Zahl der Mitarbeiter für Grundsicherung und Vermittlung bei der Agentur für Arbeit und den
Argen um 2 900 erhöht. Ich sage für die Union ganz
deutlich: Damit sind auch Erwartungen verknüpft. Die
Menschen müssen in Krisenzeiten verstärkt merken,
dass sie von den Mitarbeitern der Agenturen angenommen werden. Auch ich habe schon von solchen Fällen, wie sie vorhin geschildert wurden, gehört.
Ich sage ganz klar zur Bevölkerung und den Betroffenen: Gehen Sie, wenn Sie merken, dass sich die Dinge
nicht in Ihrem Sinne bewegen, zu Ihren Abgeordneten
und sagen Sie es ihnen, damit sie entsprechend vorstellig
werden können. Auch wir als Abgeordnete werden in
dieser Zeit der Krise eine etwas größere Verpflichtung
haben, bürgernah zu arbeiten und für solche Anliegen da
zu sein.
({12})
Dazu gehört für uns auch, dass sich die Öffnungszeiten
ändern, dass man zum Beispiel auch samstags mit seinem Ehepartner zu einem solchen Beratungsgespräch
gehen kann und dass sich die Öffnungszeiten tatsächlich
an den Wünschen des Kunden und nicht an der gewünschten Arbeitszeit des Mitarbeiters ausrichten.
Ich komme zum Schluss. Ich möchte allen danken,
die an der Beratung mitgewirkt haben: den Mitarbeitern
des BMAS und auch unseren Mitarbeitern. Natürlich
danke ich auch meiner lieben Kollegin Waldtraud Lehn,
für die das, wie der Minister bereits gesagt hat, die letzte
Haushaltsberatung gewesen wäre; sie ist, glaube ich,
heute krank. Ich möchte bekennen, dass ich mich langsam an ihren Politikstil gewöhnt hatte und ich es deswegen bedauere, dass sie künftig nicht mehr mit von der
Partie sein wird.
({13})
Für die CDU/CSU kann ich Ihnen die Annahme des
Einzelplans 11 empfehlen.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
finde, dass das Wort Schirmherrschaft in den letzten Wochen eine völlig neue Bedeutung bekommen hat. Diese
Regierung spannt auf, was das Zeug hält: Schutzschirm
für Banken und Banker, Schutzschirm für die Realwirtschaft. Jetzt gibt es auch einen Schutzschirm für Arbeitsplätze.
({0})
Ich zeige Ihnen jetzt einmal den Prototyp
Frau Kollegin Pothmer!
- der Schlechtwetterüberdachung der Marke Olaf
Scholz:
({0})
Frau Kollegin Pothmer!
nackte Speichen im Sturm.
({0})
Frau Kollegin Pothmer!
Dass dieses Gerippe keinen wirklichen Schutz bietet,
ist doch augenscheinlich. Die Beschäftigten werden
nass, und die Arbeitslosen kommen vom Regen in die
Traufe.
Frau Kollegin Pothmer, Sie müssen die Präsidentin
vorher fragen, wenn Sie zu Demonstrationszwecken etwas zeigen möchten. Sie können so etwas zu Demonstrationszwecken nicht einfach machen.
Frau Präsidentin, gut, ich habe den Schirm wieder zugemacht.
({0})
Lieber Herr Scholz, Sie haben gesagt - da stimme ich
Ihnen zu -:
Wenn ein Schutzschirm für die Finanzmärkte recht
ist, dann ist ein Schutzschirm für Arbeitsplätze
mehr als billig.
Stimmt, Herr Scholz. Richtig ist an dieser Aussage aber
noch etwas: Der Schirm, mit dem Sie flanieren gehen, ist
tatsächlich billig. Ihr Etat hat dazu keinen einzigen Cent
beigetragen. Für den Finanzmarkt stellt diese Regierung
eine Bürgschaft in Höhe von 500 Milliarden Euro zur
Verfügung, für den Arbeitsmarkt keinen zusätzlichen
Cent.
({1})
Um es ganz deutlich zu sagen: Die Verlängerung der
Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes halte ich für eine
richtige Maßnahme. Frau Winterstein hat aber vollkommen recht: Die Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zahlen ganz allein die Beitragszahler.
({2})
Aus Ihrem Etat wird dafür kein einziger Cent zur Verfügung gestellt. Das finanziert die Bundesagentur für Arbeit. Abgesehen davon, dass sie die Kosten der Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes trägt,
muss sie auch die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent finanzieren, und
das bei steigender Arbeitslosigkeit. „Steigende Arbeitslosigkeit“ heißt: mehr Ausgaben und weniger Einnahmen. Herr Scholz, bei einem solchen Konzept geht jede
Pommesbude pleite. Aber Sie wollen mit diesem Konzept ein Land regieren. Das wird nicht funktionieren.
({3})
Insgesamt ist Ihr Haushalt extrem unterfinanziert. Allein in diesem Jahr geben Sie 800 Millionen Euro mehr
aus, als in Ihrem Etat für Arbeitslosengeld II vorgesehen
ist. Trotzdem hat der Etat, den Sie uns vorlegen, ein geringeres Volumen als der Etat für das Jahr 2008. Sie werden ein Defizit von mindestens 1,5 Milliarden Euro zu
verzeichnen haben. In diesem Betrag sind die steigenden
Kosten aufgrund steigender Arbeitslosigkeit überhaupt
noch nicht berücksichtigt.
({4})
Warum legen Sie uns diesen Haushalt überhaupt vor? Er
ist doch schon jetzt Makulatur. Darüber brauchen wir gar
nicht zu beraten. Ziehen Sie ihn zurück!
({5})
Gestern ist von der Kanzlerin darauf hingewiesen
worden, dass wir in die größte Rezession seit 30 Jahren
schlittern. Die OECD prognostiziert, dass die Zahl der
Arbeitslosen in Deutschland um 700 000 steigen wird,
und der Minister schwadroniert von Vollbeschäftigung
und beklagt, dass andere Vorschläge machen, die Wolkenkuckucksheime sind. Herr Scholz, ich bitte Sie: Hören Sie auf, über Vollbeschäftigung zu schwadronieren,
und machen Sie endlich das, wofür Sie bezahlt werden!
({6})
Inzwischen wissen wir, wie Sie Vollbeschäftigung erreichen wollen: nicht durch neue Jobs, sondern durch
Manipulation der Statistiken. Statt die Statistiken zu manipulieren, sollten Sie lieber die Frage der Trägerschaft
beantworten. Täglich verlässt eine große Zahl von Beschäftigten die Jobcenter, und zwar insbesondere diejenigen, die besonders motiviert und qualifiziert sind.
Diese Beschäftigten wissen nicht, welche Perspektive
sie dort in Zukunft noch haben. Die Neuregelung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist, wie die Anhörung
ergeben hat, wirklich eine Katastrophe. Die Leidtragenden Ihrer bockbeinigen und zentralistischen Politik, die
keine individuellen und passgenauen Lösungen möglich
macht, sind die Arbeitslosen.
({7})
Wir alle wissen: In Zeiten der Rezession sind die
Geringqualifizierten im Niedriglohnbereich die Ersten,
die ihren Job verlieren. Die Einführung eines Mindestlohns tritt auf der Stelle. Herr Scholz, Leute, die in den
ALG-II-Bezug fallen, müssen jahrelang mit viel zu wenig Geld auskommen. Der ALG-II-Regelsatz ist einfach zu gering.
Herr Fuchtel, Ihnen möchte ich sagen: Die Erhöhung
des Regelsatzes auf 420 Euro ist nicht nur eine Frage der
Gerechtigkeit, sondern sie ist auch ein Konjunkturprogramm. Leute, die von so wenig Geld leben müssen,
können keinen einzigen Cent auf die hohe Kante legen.
Sie müssen ihr gesamtes Geld ausgeben. Dieses Geld
fließt also direkt in die Binnenwirtschaft und ist unmittelbar arbeitsplatzwirksam. Wenn Sie mir nicht glauben,
sollten Sie wenigstens der EU glauben, die Ihnen rät, ein
Programm zur Verbesserung der Situation der unteren
Einkommensgruppen zu erarbeiten.
({8})
Es wurde viel über die Notwendigkeit geredet, in der
jetzigen Situation Qualifikation und Weiterbildung zu
stärken. Ich sage: Das ist richtig.
Lieber Herr Scholz, zu Ihrem Programm WeGebAU
kann man wirklich nur sagen: Die Lösung wird der Dimension des Problems bei weitem nicht gerecht. So werden wir das vorhandene Leck hinsichtlich der Qualifikation jedenfalls nicht überwinden können. Wir brauchen
bei der Lösung wirklich eine ganz andere Dimension.
Deswegen sagt Herr Walwei vom IAB zu Recht, dass
wir hier einen Bildungsruck brauchen.
Wir legen Ihnen ein Programm vor, durch das 1 Million Menschen zusätzlich qualifiziert und in Arbeit gebracht wird.
Erster Punkt. Alle Jugendlichen - auch die Altbewerber - müssen einen Ausbildungsplatz erhalten. Herr
Scholz, Sie müssen sich einmal fragen, was diese Regierung in den letzten Jahren getan hat. Wenn nur ein Drittel der unter 30-jährigen Hartz-IV-Empfänger es schafft,
aus dem Hartz-IV-Bezug herauszukommen, dann liegt
das daran, dass sie eben nicht qualifiziert worden sind.
Das ist ganz eindeutig nachzuweisen.
({9})
Deswegen können wir uns nicht einfach darauf verlassen, dass von den Betrieben genug Ausbildungsplätze
zur Verfügung gestellt werden. Deshalb müssen wir zusätzliche Maßnahmen ergreifen.
Wir haben Ihnen das Programm DualPlus vorgelegt.
Damit sind wir in der Lage, den über 300 000 Altbewerbern einen qualifizierten Ausbildungsplatz anzubieten.
Es würden also 300 000 junge Leute qualifiziert werden,
und sie hätten eine Perspektive. Wir können natürlich
auch sagen, dass wir in dem Bereich gar nichts tun und
sie lieber ein Leben lang alimentieren. Ich halte das für
falsch.
({10})
Zweiter Punkt. Wir müssen die Akademikerquote
dringend anheben. Das sollten wir nicht gegen eine berufliche Qualifizierung ausspielen.
({11})
Die Akademikerquote in Deutschland ist viel zu niedrig.
Wir sollten auch diejenigen dafür gewinnen, die derzeitig
berufstätig sind. Lassen Sie uns sie dazu motivieren,
jetzt ein Studium anzufangen und ihren Arbeitsplatz Arbeitslosen zur Verfügung zu stellen. Wir schlagen Ihnen
vor, mit 2,4 Milliarden Euro 230 000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Ich glaube, mit dieser Dimension
kommen Sie der Lösung des Problems näher.
Dritter Punkt. Geringqualifizierte. Die Quote der
Geringqualifizierten, die an Fort- und Weiterbildungen
teilnehmen, geht in den Promillebereich. Andere Länder,
wie zum Beispiel Finnland - Herr Müller, Sie haben es
gelernt -, zeigen uns, dass das auch ganz und gar anders
geht.
({12})
Wir brauchen dafür Geld, aber auch andere Konzepte.
Mit Schulbänken und Klassenräumen erreichen wir
diese Leute nicht. Hier muss es auf ganz anderen Wegen
weitergehen.
Vierter Punkt. Wir müssen den Umfang der öffentlich
geförderten Beschäftigung ausweiten. Es ist einfach
falsch, so zu tun, als gebe es keine Gruppe von Menschen, die unter den gegebenen Bedingungen überhaupt
keine Chance auf eine Perspektive haben. Ich glaube, für
400 000 Menschen sollten wir öffentlich geförderte Beschäftigungen anbieten, damit sie eine Perspektive, aber
auch die Chance haben, aus ihrer Lage wieder herauszukommen.
({13})
Frau Kollegin Pothmer, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme sofort zum Schluss. - Herr Scholz, ich
bitte Sie inständig: Geben Sie Ihre Vollbeschäftigungsträume bis auf Weiteres auf! Machen Sie eine kreative,
tatkräftige Politik! Schönwetterpolitik kann jeder, beweisen Sie sich und uns, dass Sie Krisen meistern können.
Ich danke Ihnen.
({0})
Frau Kollegin Pothmer, ich weise Sie noch einmal
darauf hin, dass der Einsatz von Gegenständen zu Demonstrationszwecken der Genehmigung der amtierenden Präsidentin bedarf. Es nützt dann auch nichts, dass
Sie ignorant weiterreden und die Zwischenrufe der Präsidentin einfach ignorieren.
({0})
Ich gebe der Kollegin Andrea Nahles, SPD-Fraktion,
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich stelle fest: Die Grünen geben das Ziel der
Vollbeschäftigung auf. Wir liegen jetzt bei 2,9 Millionen
Arbeitslosen. Ich frage die Grünen: Ab wann stellen Sie
denn dann die aktive Arbeitsmarktförderung ein? Ab
2,5 Millionen? Ab 2 Millionen? Wo ist denn dann der
Punkt erreicht, an dem unser Bemühen nicht mehr darauf gerichtet sein muss, dass jeder Arbeitslose eine Zukunft mit seinem Arbeitsplatz bekommt? Da kann ich
nur den Kopf schütteln, wenn Sie hier ankündigen, dass
für die Grünen das Ziel der Vollbeschäftigung nicht
mehr das zentrale Momentum ist.
({0})
Wenn das nicht mehr das zentrale Momentum ist,
dann stellen Sie im Grunde genommen die insgesamt
6 Milliarden Euro, die für Eingliederungsmaßnahmen in
der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorgesehen
sind, infrage, und das werden wir niemals akzeptieren.
({1})
Wir wollen niemanden aufgeben. Arbeit first. Wir
wollen unsere Arbeitsmarktpolitik ganz klar auf Aktivierung ausrichten. Wir parken nicht mehr Millionen
von Sozialhilfeempfängern und geben ihnen keine
Chance auf aktive Arbeitsmarktvermittlung. Das haben
wir doch überwunden. Ich dachte, das wäre unser gemeinsames Ziel. Wir wollen, dass jeder, der gesund ist,
die Chance hat, Arbeit zu bekommen.
Mit 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, mit einem überproportionalen Rückgang der
Langzeitarbeitslosigkeit und mit den im Wesentlichen
hervorragenden Zahlen bezüglich des Ausbildungsmarktes haben wir sehr gut unter Beweis gestellt, dass eine
richtige Strukturreform, kombiniert mit sehr guter Arbeit
der BA-Mitarbeiter, am Ende entsprechende Wirkung
zeigt.
({2})
Wir können jedenfalls stolz darauf sein. Wenn die
Grünen nicht mehr stolz auf ihre Arbeit sind, die sie sieben Jahre lang gemeinsam mit uns gemacht haben, dann
bedauere ich das sehr.
({3})
Frau Kollegin Nahles, die Frau Kollegin Pothmer
würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Nein, es tut mir wirklich leid; das geht jetzt nicht.
({0})
Wir haben immer gesagt - das sollte man an dieser
Stelle betonen -: Fordern und Fördern. Ich will vor dem
Hintergrund der Bankenkrise aber auch sagen: Die Aufforderung, Fordern und Fördern, gilt nicht nur in Bezug
auf Arbeitslose. Fordern und Fördern heißt für mich
auch, dass diejenigen, die in den letzten Jahren die Mitbestimmung massiv angeschossen haben, erkennen, dass
es ein eingebautes Korrektiv gegen Überhitzung, gegen
kurzfristige Renditeorientierungen und miserable Unternehmenskultur gibt, und das ist die Mitbestimmung.
Deswegen sollten wir an dieser Stelle von denen, die von
uns jetzt mit Steuergeldern finanzierte Sicherheiten bekommen haben, fordern, dass sie in Zukunft das automatische Korrektiv der Mitbestimmung nicht mehr infrage
stellen, sondern es mit uns zusammen weiter ausbauen.
({1})
Ich habe mich schon gefragt: Wann? Dann habe ich
mich gefragt: Wer? - Ich hatte auf Herrn Niebel gehofft.
({2})
Aber nein, es war der Sachverständigenrat, der, kaum
hörten wir etwas über Krise, wieder einmal auf die Idee
gekommen ist, dass das Wichtigste - ({3})
- Herr Niebel, jetzt warten Sie doch einmal ab, was ich
meine. Es ging um die Frage: Wer bringt als Erstes den
Kündigungsschutz als Hauptursache für die Krise ins
Spiel? Wie gesagt, da hatte ich an Sie gedacht. Aber Sie
haben mich enttäuscht, Herr Niebel.
({4})
Es war in diesem Falle der Sachverständigenrat. Der
Sachverständigenrat hat auch eines nicht verstanden.
Der Sachverständigenrat hat nicht verstanden, dass es in
diesen Tagen und Wochen auch um eine Vertrauenskrise
geht - die wird noch lange anhalten - und dass man in
diesem Land Vertrauen nur schaffen kann, wenn es auch
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die abhängig Beschäftigten in dieser schwierigen Situation ein
Stück Perspektive und Sicherheit gibt. Deswegen wird
es mit uns auch kein weiteres Aufweichen und Lockern
des Kündigungsschutzes geben, und zwar aus wohlverstandenen ökonomischen Gründen.
({5})
Wir merken doch auch, wer jetzt wieder der Erste ist,
der dran glauben muss. Das sind die, die ohnehin schon
prekär beschäftigt sind, nämlich die Leiharbeiter. Wir
kämpfen gerade darum, dass auch sie einen Mindestlohn
erhalten; darüber beraten wir heute noch. Auch diejenigen, die wir immer wieder ein Stück weit unter Druck
setzen, müssen von uns die Hand gereicht bekommen.
Auch sie müssen von uns ein Signal bekommen, dass
uns ihr Schicksal nicht egal ist. Deswegen bin ich sehr
froh, dass wir es angehen, auch Leiharbeitern den Bezug
von Kurzarbeitergeld zu ermöglichen. Herr Fuchtel hat
das schon angesprochen. Ich freue mich auch, dass das
vom Koalitionspartner in vollem Umfang mit unterstützt
wird.
Das ist ein Signal. Dann kommt noch der Mindestlohn,
({6})
und dann spüren auch diejenigen, die sich in prekären
Arbeitsverhältnissen befinden, etwas von der guten Politik in Deutschland.
({7})
Wir müssen uns auch darüber klar werden, dass wir
uns angesichts der Anstrengungen, die wir mit dem Konjunkturpaket unternommen haben, vorsichtig verhalten
sollten. Wir sollten uns auch keine eigenen Denkblockaden auferlegen, welche zusätzlichen Handlungsnotwendigkeiten die nächsten Monate vielleicht ergeben. Ich
sage das bewusst nicht als Haushälterin, sondern als Arbeitsmarktpolitikerin. Wir haben dabei ohnehin manchmal einen strukturellen Konflikt. Das verstehe ich, und
das ist nicht mein Punkt.
Tatsache ist aber, dass es nicht ums Geldverballern
geht, sondern darum, präventiv zu verhindern, dass Beschäftigung weiter ins Rutschen kommt. Den jüngsten
Zahlen der BA zufolge steigt die Zahl der Anzeigen über
einen drohenden Arbeitszeitausfall. Wir haben das seinerzeit gesetzlich geregelt, damit wir frühzeitig etwas
für diese Menschen tun können. Ich bin sehr froh darüber, dass wir mit dem verbesserten Kurzarbeitergeld
und mit den 1 000 zusätzlichen Vermittlerstellen im
SGB III die entsprechenden Wege eröffnen können, diesem Problem zu begegnen. Ich sage ein herzliches Dankeschön dafür, dass das im Rahmen des Konjunkturpaketes so kurzfristig in den Haushalt aufgenommen
werden konnte.
({8})
Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass wir insgesamt vorausschauend agieren und agieren müssen, und
zwar mit Maßnahmen, die jetzt noch dringender geworden sind, zum Beispiel die Einführung von Mindestlöhnen. Herr Fricke hat sich im Ticker vom 20. November
darüber beklagt, dass die Regierung die drohenden
Mehrausgaben beim Arbeitslosengeld II nicht berücksichtige. Aber wenn sich Herr Fricke ernsthaft Sorgen
um das möglicherweise steigende Arbeitslosengeld II
macht, dann habe ich eine geniale Idee: Werfen Sie bei
der FDP endlich die ideologischen Blockaden in Bezug
auf Mindestlöhne über Bord!
({9})
Damit würden wir nämlich - darauf hat eben schon
meine Kollegin hingewiesen - bei den Aufstockern
1,5 Milliarden Euro sparen. Das wäre sicherlich ein
Schritt in die richtige Richtung, auch aus haushalterischer Sicht.
({10})
Insofern ist auch der Mindestlohn an dieser Stelle von
großer Bedeutung.
({11})
Ich will mit der Feststellung schließen, dass wir in der
Lage sind, die auf uns zukommenden Probleme zu bewältigen. Ich bin insofern optimistisch. Wir machen uns
aber auch nicht vor, dass es sich nur um eine kurzfristige
Eintrübung handelt; wir müssen uns auf eine Strecke
einstellen, deren Bewältigung nicht ganz einfach werden
wird. Ich bin aber zuversichtlich. Es gibt ein sehr schönes Zitat des französischen Philosophen Jacques
Derrida. Er hat sinngemäß gesagt: Die Katastrophe ist
nahe, doch die Apokalypse ist von langer Dauer. - Darüber sollte man nachdenken.
Vielen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin
Brigitte Pothmer das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Nahles, Sie haben den Eindruck erweckt, als würden wir Grünen das
Ziel der Vollbeschäftigung aufgeben. Das halte ich vor
dem Hintergrund der Tatsache, dass ich einen Vorschlag
unterbreitet habe,
({0})
der 1 Million Menschen zusätzlich in Qualifikation und
Arbeit bringt, für infam.
Ich habe darauf hingewiesen, dass ich es angesichts
der Probleme, auf die wir zulaufen - die Kanzlerin hat
diese Probleme gestern in eine Reihe gestellt mit dem
Aufbau in der Nachkriegszeit und der Neugestaltung
Deutschlands nach dem Mauerfall; es geht also um eine
Dimension eines wirklich nicht kleinen Ausmaßes -, für
völlig unzureichend halte, einfach nur Vollbeschäftigung
als Ziel anzugeben. Wir erwarten sehr konkrete und umfängliche Maßnahmen, aus denen hervorgeht, wie das
Ziel zu erreichen ist. Statistische Manipulationen sind jedenfalls das falsche Instrument.
({1})
Frau Kollegin Nahles, bitte.
Ich habe jahrelang Germanistik studiert und sogar einen Abschluss gemacht.
({0})
Deswegen möchte ich wissen, wie ich folgenden Satz zu
interpretieren habe: „Herr Scholz, …, hören Sie auf,
über Vollbeschäftigung zu schwadronieren!“ - Ich interpretiere diesen Satz so: Die Grünen fordern den Arbeitsminister auf, das Ziel der Vollbeschäftigung aufzugeben.
Vielleicht muss ich mir aber noch ein paar Semester grüner Sprachphilosophie gönnen.
Frau Pothmer, die ganze Zeit schwadronieren Sie von
einem bedarfsunabhängigen Bürgergeld, oder wie auch
immer das heißen mag.
({1})
Viele in Ihrer Partei hängen hieran große Hoffnunen.
Frau Pothmer, was halten Sie von Folgendem: Wir haben, obwohl uns die Haushälter das Leben schwer gemacht haben, den Eingliederungstitel bei 10 Milliarden
Euro gehalten. Mit konkreten Eingliederungsmaßnahmen geben wir 100 000 Menschen mit großen Vermittlungshemmnissen eine Jobperspektive auf dem ersten
Arbeitsmarkt in der Privatwirtschaft oder bei öffentlichen Arbeitgebern. Soll ich Ihnen jetzt im Ernst unseren
gesamten arbeitsmarktpolitischen Katalog vortragen,
über den wir im Ausschuss gemeinsam diskutiert haben?
({2})
Ich glaube, das muss ich nicht. Sie legen in Ihren Reden
zu viel Wert auf Provokation. Ich werde in Zukunft einfach mehr weghören. Dann müssen wir uns nicht streiten.
Vielen Dank.
({3})
Frau Kollegin Pothmer, Sie müssen sich ein bisschen
mehr mit der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages befassen. Dann wüssten Sie, dass eine Kurzintervention auf eine Kurzintervention leider nicht möglich
ist.
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich
Kolb, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zuerst der Kollegin Waltraud Lehn alles Gute
wünschen.
({0})
Waltraud Lehn hat uns in den letzten Jahren von ihrer
Familie, von ihren Familientreffen, von Tante Käthe,
Onkel Otto und Onkel Paul erzählt und damit ein Stück
Lebenswirklichkeit und Lebenserfahrung in die Debatte
gebracht. Das wird uns fehlen. Ich wünsche ihr alles
Gute.
({1})
Anfang der Woche war in den Zeitungen zu lesen,
dass die Koalition, zumindest die Union, den ehrbaren
Kaufmann wiederentdeckt hat. Ich halte diesen Ansatz
für durchaus verfolgenswert. Wenn ich mir aber vor
Augen führe, welche Eigenschaften einen ehrbaren
Kaufmann auszeichnen - Ehrlichkeit, Sparsamkeit,
Weitblick, Entschlossenheit, Fleiß, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit und vielleicht auch ein bisschen Demut -,
dann muss ich feststellen: Das Zahlenwerk des Haushaltes 2009 wird diesem Anspruch nicht gerecht, Herr Minister Scholz. Die Bundesregierung handelt nicht wie ein
ehrbarer Kaufmann.
({2})
Das Motto der Bundesregierung für 2009 scheint eher zu
sein: „Augen zu und durch!“, vielleicht ergänzt durch den
rheinischen Hoffnungssatz: Es ist noch immer gut gegangen. Herr Scholz, das ist der FDP-Bundestagsfraktion angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen
- die Nachrichten vom Arbeitsmarkt werden schlechter
werden; Herr Weise geht von 30 000 bis 130 000 Arbeitslosen mehr im Laufe des Jahres 2009 aus -,
({3})
zu wenig.
Ich will Ihnen sagen, was wir für nötig erachten. Das
sind vier Dinge: eine realistische Einschätzung der Lage,
Vermeidung von Aktionismus, ein Neubelastungsverbot
und schließlich ein konsequentes Entlastungsgebot.
({4})
Zum ersten Punkt, zur realistischen Einschätzung
der Lage. Herr Scholz, ein ehrbarer Kaufmann bilanziert ehrlich und schonungslos. Er macht sich selbst
nichts vor. Er schönt seine Bilanz nicht. Sie tun das aber;
denn Sie wollen mehr als 100 000 Arbeitslose, die von
privaten Vermittlern betreut werden, aus der Statistik herausnehmen. Ein ehrbarer Kaufmann ist ausgabenrealistisch. Das sind Sie bei den Leistungen nach dem SGB II
nicht. Die Kollegin Winterstein hat das in ihrer Rede
schon deutlich gemacht.
Zum zweiten Punkt. Der ehrbare Kaufmann wartet
nicht ab, bis der Schaden eintritt. Er handelt rechtzeitig
und weitsichtig, aber nicht aktionistisch. Ich will Ihnen
das an einem Beispiel erläutern, Herr Minister. Die Einschätzung der Entwicklung 2009, dass die Lage auf dem
Arbeitsmarkt schwieriger wird, dass die Arbeitslosigkeit
zunehmen wird und dass sich das Angebot an Arbeitsplätzen eher verringern wird, ist realistisch. Was aber
macht die Bundesregierung angesichts eines sich verknappenden Angebotes an Arbeitsplätzen? Sie kündigt
an, dass sie tausend neue Vermittler einstellen wird. Herr
Scholz, ich muss Sie daran erinnern: Sie wollten die
weltbeste, nicht die weltgrößte Arbeitsvermittlung
schaffen.
({5})
Mir kommt der Versuch, vor dem Hintergrund eines
rückläufigen Angebotes an Arbeitsplätzen die Arbeitslosigkeit mit der Einstellung neuer Vermittler zu bekämpfen, etwa so vor, als wenn man nach einer Missernte die
drohende Hungersnot durch die Aufstockung des Küchenpersonals abwenden wollte. Das wird so nichts werden. Herr Scholz, beenden werden Sie damit allenfalls
die Arbeitslosigkeit der neu angeworbenen Vermittler.
({6})
Dritter Punkt: das Belastungsmoratorium. Ein ehrbarer Kaufmann bürdet seinem Unternehmen in schweren
Zeiten nicht neue Belastungen auf. Das heißt für Sie,
Herr Scholz: Projekte wie der Mindestlohn per Entsendegesetz oder auch Mindestarbeitsbedingungengesetz,
Projekte wie die unsägliche Reform der Erbschaftsteuer,
bei der aus rein ideologischen Gründen an einem willkürlich gesetzten Aufkommen festgehalten wird, verbieten sich. Das sind Mühlsteine am Hals des deutschen
Mittelstandes. Sie ziehen die Unternehmen im Strudel
der Krise nach unten.
({7})
Vierter Punkt. Ich sehe ein Entlastungsgebot. Es geht
um die konsequente Nutzung von Handlungsspielräumen. Das gilt für die Entlastung bei den Steuern ebenso
wie für Beitragssenkungen in der Sozialversicherung
und natürlich auch für den Abbau von Bürokratie. Ein
Zuviel an Entlastung kann es in der derzeitigen Situation
nicht geben. Ich bin der Meinung, dass Steuer- und Beitragssenkungen besser und direkter als jedes zusammengewürfelte Konjunkturprogramm wirken.
({8})
Deswegen schlägt die FDP-Fraktion vor, den Rentenversicherungsbeitrag von heute 19,9 Prozent im kommenden Jahr um 0,3 Prozentpunkte auf 19,6 Prozent abzusenken.
({9})
Das entlastet die Beitragszahler um weitere 3 Milliarden
Euro, die auch den Menschen mit einem geringen Einkommen zugutekommen.
Sie, Herr Scholz, lehnen hier eine Senkung der Sozialversicherungsabgaben mit fadenscheinigen Begründungen ab. Das finde ich erstaunlich, weil Sie noch im
Mai dieses Jahres in einem Interview mit der Wirtschaftswoche Folgendes gesagt haben - ich zitiere -:
Viele Volkswirte raten uns dazu, weil das die Beschäftigung ganz unmittelbar fördern würde. Davon
haben alle etwas - von den Bürgerinnen und Bürgern, die wenig verdienen, bis hin zum mittleren
Management. Nehmen Sie zum Beispiel die Familie, die bis zu 60 000 Euro im Jahr verdient. Sie leidet doch unter der Abgaben- und nicht unter der
Steuerlast. Und die Unternehmen
- das haben Sie damals gesagt, Herr Scholz profitieren auch: Wer viele Mitarbeiter beschäftigt,
wird bei den Sozialabgaben besonders entlastet.
Ich sage Ihnen: Diese Entlastung, diese Absenkung ist
machbar, ohne dass dafür die Nachhaltigkeitsrücklage
angegriffen werden muss. Wir müssen anders als in der
Arbeitslosenversicherung nicht an die Reserven herangehen. Nur der Aufbau der Rücklage soll ausgesetzt
werden. Wenn das gilt, was die Bundeskanzlerin gestern
an dieser Stelle gesagt hat, dass nämlich außergewöhnliche Umstände besondere Maßnahmen erfordern, dann,
Herr Scholz, gibt es keinen, aber auch wirklich gar keinen Grund, den Menschen diese Entlastung nicht zuteilwerden zu lassen. Die BDA und der ZDH haben sich
hinter diese Forderung gestellt. Daher sollten wir diese
Forderung gemeinsam beschließen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Dieser Bundeshaushalt ist ein Beleg der sozialen Verantwortung der Bundesregierung gegenüber der arbeitenden
Bevölkerung, aber auch gegenüber den sozial Bedürftigen in unserem Land. Der Kollege Fuchtel hat hier bereits dargelegt: Über 42 Prozent dieses Bundeshaushaltes werden für die soziale Sicherung der Menschen in
unserem Land und für die Arbeitsmarktpolitik ausgegeben. Deshalb, lieber Herr Kollege Kolb, ist diese Bundesregierung der ehrbare Kaufmann, dessen Aufgabe es
ist, auch zukünftig gut zu gestalten.
({0})
Ich stelle fest: Die Prognosen der Opposition waren in
der Vergangenheit immer falsch.
({1})
Wir haben einen großen Beitrag dazu geleistet, dass
Deutschland mittlerweile die höchste Zahl an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen hat,
nämlich knapp 28 Millionen. Die Zahl der erwerbstätigen Personen liegt bei 40,5 Millionen. Das ist die
höchste Zahl, die es in der Bundesrepublik jemals gab.
Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren
zu verzeichnen. Auch dies sind die Erfolge dieser Bundesregierung.
({2})
Ich glaube, man sollte häufiger darlegen, wie es zu
diesem Ergebnis kam. Es kam dazu nicht wegen der Untätigkeit der Regierung, sondern im Gegenteil wegen der
vielfältigsten Maßnahmen, die wir zur Modernisierung
der Arbeitsverwaltung eingeleitet haben. Herr Kollege
Kolb hat gerade kritisiert, dass wir tausend neue Vermittler einstellen; Vermittlungstätigkeit ist aber nur durch
Personen zu erreichen. Wenn wir derzeit Gott sei Dank
an die 800 000 offene Stellen zu verzeichnen haben, so
müssen diese so schnell wie möglich besetzt werden.
Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung mehr
für die Vermittlungstätigkeit tut.
({3})
Wir haben auch einen guten Beitrag durch die Senkung der Beitragssätze geleistet. Kollege Fuchtel und
der Herr Bundesminister haben darauf hingewiesen.
Beim Antritt dieser Bundesregierung lag der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung bei 6,5 Prozent. Wir
haben ihn kontinuierlich auf 4,2 Prozent und dann auf
3,3 Prozent gesenkt, und ab Januar nächsten Jahres wird
er bei 2,8 Prozent liegen. Damit haben wir die Betriebe
und natürlich auch die Versicherten entlastet und darüber
hinaus die Konjunktur gestützt. Deshalb war diese Politik auch in der Vergangenheit alternativlos.
Kollege Kolb hat vorhin das Verhalten des ehrbaren
Kaufmanns eingefordert. Deshalb bin ich jetzt über seine
Forderung schon überrascht, den Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte zu senken.
({4})
Natürlich kann man grundsätzlich sagen, die Beitragssätze sollten gesenkt werden. Zum Verhalten des ehrbaren Kaufmanns gehört aber auch, Herr Kollege Kolb,
dass er sich an die gesetzlichen Grundlagen hält. Die gesetzliche Grundlage besteht darin, dass der Beitragssatz
zur gesetzlichen Rentenversicherung erst dann gesenkt
wird, wenn Rücklagen in einem Umfang von eineinhalb
Monatsrenten aufgebaut sind. Auch das gehört zu einer
verlässlichen Politik in unserem Land.
({5})
Ich möchte auf die Vermittlungstätigkeit zurückkommen. Ich wende mich massiv dagegen - das hat Frau
Kollegin Kipping heute gesagt -, die Menschen seien
dem Jobcenter und damit den Verantwortlichen und denen, die den Menschen helfen wollen, ausgeliefert.
({6})
- Ungeheuerlich. ({7})
Wollen Sie, Frau Kollegin Kipping, dass die Menschen
arbeitslos bleiben? Wir schaffen in diesen Jobcentern
Angebote für Menschen, die erwerbsfähig sind.
({8})
Diese Angebote müssen erwerbsfähige Menschen dann
aber auch annehmen. Sozialpolitik kann nicht darin bestehen, dass manchen gut arbeitenden Menschen möglichst hohe Beiträge abverlangt werden, damit möglichst
viele Menschen keine Arbeit anzunehmen brauchen.
Ich erinnere an die gestrige Debatte. Kollege
Lafontaine hat hier wiederum die Leiharbeit kritisiert.
Gerade Leiharbeit hat in den vergangenen Jahren einen
wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass auch Langzeitarbeitslosigkeit in unserem Land bekämpft werden konnte,
dass Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit gekommen
sind und dass sie überhaupt eine Arbeitsstelle gefunden
haben. Damit konnten sie auch beruflich qualifiziert
werden. Das geschah sicherlich nicht immer zu dem
Lohn, den sich jeder wünscht, aber es wurden den Langzeitarbeitslosen damit Chancen eröffnet. Ihre Alternative
ist, die Menschen in der Arbeitslosigkeit verharren zu
lassen. Das ist eine verfehlte Sozialpolitik.
({9})
Frau Kollegin Pothmer hat vorhin begonnen, als ob
sie eine Büttenrede halten wollte. Sie hat kritisiert, dass
wir wegen der zukünftigen Herausforderungen einen
Schirm aufspannen. Dieser Schirm ist aber notwendig,
Frau Kollegin Pothmer.
({10})
- Wenn Sie mir vielleicht Ihre Aufmerksamkeit schenken könnten? - Es geht nicht, macht nichts. ({11})
Wenn wir die Finanzkrise bewältigen wollen, dann
müssen wir einen Schirm aufspannen. Offensichtlich
wollten das die Grünen nicht; Sie haben es hier ja gerade
kritisiert. Mit solchen Schirmen werden die Arbeitsplätze in unserem Land gesichert bzw. erhalten. Das ist
das entscheidende Argument dafür, dass der Staat solche
unterstützenden Leistungen gewährt.
({12})
Wir treten für die Unterstützung der arbeitenden Menschen in unserem Land ein. In dieser Debatte ist auch
wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir ein großartiges
soziales Sicherungssystem für die Menschen in unserem Land haben, dass dies auch weiterhin finanziert
wird und dass es auf einer soliden finanziellen Grundlage steht. Der Kollege Fuchtel hat darauf hingewiesen,
dass gerade die Rentenversicherung solide finanziert ist.
Das ist ein Beleg für die Qualität unseres Rentensystems, das sich auch in Krisenzeiten bewährt. Das bedeutet auch, dass sich die Rentnerinnen und Rentner auf dieses System verlassen können.
({13})
Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass wir in
der Lage sind, eine gute Sozialpolitik für die Menschen
in unserem Land zu betreiben, für viele Arbeitsplätze zu
sorgen und damit auch die soziale Sicherheit für die
Menschen zu garantieren. Deshalb kann ich allen nur
empfehlen, diesem Bundeshaushalt die Zustimmung zu
geben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Der Kollege Scholz möchte gern mit einer Kurzintervention auf die Rede von Herrn Kollegen Kolb reagieren.
Herr Kollege Kolb, Sie haben mich wegen der Rücklagen der Rentenversicherung angesprochen. Darauf
möchte ich reagieren.
Ich glaube, dass die Rentenversicherung Vertrauen
verdient. Es ist ganz wichtig, dass wir dafür sorgen, dass
die finanzielle Stabilität der Rentenversicherung gewährleistet ist. Das ist uns gelungen, und darum wachsen
Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr die
Rücklagen der Rentenversicherung an. Wir sind jetzt bei
einer Monatsausgabe angelangt. Das ist ein Wert, der
von dem, was wir erreichen wollen - anderthalb Monatsausgaben -, noch entfernt ist. Das Vertrauen der Rentnerinnen und Rentner in die Rentenversicherung ist jetzt
groß, weil sie gesehen haben, dass das eine gute Einrichtung ist. Um das zu erkennen, reicht es, zu betrachten,
was amerikanische Pensionäre heute erleben müssen,
nachdem ihre Rücklagen durch die Veränderung der
Börsenkurse um über 1,5 Billionen Dollar reduziert worden sind.
Eines ist ganz klar: Wer jetzt an diese Rücklagen herangeht - wie Sie es wollen, Herr Kolb -, der versetzt
den Rentnerinnen und Rentnern einen Stich ins Herz; er
gefährdet ihr Vertrauen in das System der Rentenversicherung. Das ist das Falscheste, was man in einer wirtschaftlichen Krise wie der jetzigen machen kann. Mit
mir wird es eine solche Veränderung und ein Angreifen
der Rücklagen nicht geben, weder jetzt noch im Januar
noch im restlichen nächsten Jahr.
Schönen Dank.
({0})
Zur Entgegnung, Herr Kollege Kolb, bitte.
Herr Kollege Scholz, das Muster ist nicht unbekannt.
Ich denke an die Entfristung der Abgabenfreiheit bei der
Entgeltumwandlung: Auch da hat die Regierung bis zum
letzten Moment alles abgestritten, um dann genau das zu
machen, was die FDP vorher - ebenfalls über lange Zeiträume - gefordert hatte.
Ich sage Ihnen, Herr Scholz: Wir haben uns diese Forderungen nicht leichtgemacht. Wir haben uns das sehr genau angeschaut. Wir haben in der Rentenversicherung
jetzt eine Reserve - das haben Sie zu Recht gesagt - von
einer Monatsausgabe. Das hatten wir sehr lange nicht.
Wir erachten das im Moment als ausreichend. Es ist so,
dass der Überschuss in der Rentenversicherung im nächsten Jahr knapp 3 Milliarden Euro betragen wird. Das ist
die Prognose der Bundesregierung, zuletzt auch im Rentenversicherungsbericht vorgetragen.
Wir haben diesbezüglich zweimal im zuständigen
Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages nachgefragt: Bleibt ihr dabei, dass das so ist?
Antwort zweimal: Ja. Macht es wirklich Sinn, in dieser
Situation, in der wir nach Angaben der Kanzlerin eine
Weltrezession erwarten, in der die Krise auf die Realwirtschaft übergreift, einfach so weiterzumachen, wie es
bisher geplant war, und stur eine Rücklage, die schon
jetzt ausreichend hoch ist, weiter aufzubauen? Oder
kann man diese Mittel, diese 3 Milliarden Euro Überschuss, nächstes Jahr anderweitig einsetzen? Das würde
genau dann der Fall sein, wenn wir den Beitrag um
0,3 Prozentpunkte senkten.
Sie selbst gehen davon aus, dass der Beitrag ab 2012
gesenkt werden kann, weil die Rücklage dann aufgefüllt
ist. Das heißt, Sie gehen davon aus, dass in den Jahren
nach 2011 ein weiterer starker Aufbau der Rücklage erfolgen wird. Dann wollen Sie den Beitrag sogar auf
19,2 Prozent absenken. Ich glaube, es wäre gutes, antizyklisches Verhalten, wenn wir jetzt Senkungsspielräume nutzten, um eine Krise erst gar nicht entstehen zu
lassen.
Das Letzte - das geht an die Adresse des Kollegen
Straubinger -: Gesetze können von diesem Hohen Hause
geändert werden. Wir sollten in schwierigen Situationen
- da zitiere ich gern noch einmal die Kanzlerin - auch
außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen. Die Inkaufnahme der Reduzierung der Rücklage und die Senkung
des Beitragssatzes zur Rentenversicherung von 19,9 Prozent auf 19,6 Prozent gehören dazu.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Ich finde es immer wieder aufs Neue außerordentlich beschämend und respektlos, in welche
Ecke manche Politiker Erwerbslose stellen. In der vergangenen Sitzungswoche forderte die Linke, auch Kindern aus Hartz-IV-Familien die 10 Euro Kindergelderhöhung zu lassen.
({0})
Dazu fiel Herrn Romer von der CDU/CSU-Fraktion folgende Peinlichkeit ein:
Ich kenne Beispiele, wo Kinder vernachlässigt werden und zusätzliche Mittel in Alkohol, Zigaretten
oder einen neuen Flachbildfernseher fließen.
Das zeigt Ihr wahres Gesicht, Herr Romer.
In die gleiche Kerbe schlägt der Berliner Finanzsenator Sarrazin. Er meint, dass eine Regelsatzerhöhung in
Flachbildschirme, Videorekorder und MP3-Player fließt,
wodurch das Geld nach Fernost abwandert. Das sagt jemand, der unentwegt Sozialmissbrauch wittert. Ein führender Sozialdemokrat! Wie arrogant und alltagsfern
muss man sein, um so einen Mist zu verbreiten?
({1})
Es ist unerträglich, wie Menschen, die sowieso schon
am sozialen Abgrund stehen, dauerhaft beleidigt und als
„Sozialschmarotzer“ hingestellt werden. Ich erinnere Sie
an Art. 1 unseres Grundgesetzes. Nehmen Sie ihn endlich ernst!
({2})
Über die Schuldigen der Finanzmarktkrise spannen
Sie einen milliardenschweren Rettungsschirm, ohne
diese Schuldigen in die Verantwortung zu nehmen; aber
Millionen Menschen, die unverschuldet in Erwerbslosigkeit gekommen sind, lassen Sie im Regen stehen. Familien, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Erwerbslose, Kranke, Behinderte,
Migrantinnen und Migranten schauten beim Aufschwung in die Röhre, und jetzt im Abschwung werden
sie weiter geschröpft.
({3})
Nun kommt die Regierung mit einem zweifelhaften
Konjunkturprogramm. Doch was hilft es den rund
7 Millionen Hartz-IV-Beziehenden, wenn sie von der
Kfz-Steuer für Neuwagen entlastet werden? Sie sind
doch froh, wenn sie ihre 15 Jahre alte Rostlaube behalten
dürfen.
Die Linke fordert, die Regelsätze umgehend auf
435 Euro anzuheben.
({4})
Das würde die Binnennachfrage steigern und die Konjunktur ankurbeln. Die damit steigenden Kosten der Unterkunft dürfen aber nicht auf die Kommunen abgewälzt
werden. Hier ist klar der Bund gefordert, die zusätzlichen Kosten zu übernehmen.
({5})
Schließlich wurde den Kommunen schon mit Einführung von Hartz IV eine Entlastung um 2,5 Milliarden
Euro zugesagt. Das alles wäre ein erster Schritt in Richtung repressionsfreie, armutsfeste, wirklich soziale
Grundsicherung.
({6})
Man kann Menschen, die am Existenzminimum leben,
doch nicht noch mehr belasten, während man Reiche immer reicher werden lässt. Das ist ein Widerspruch in sich
und verstößt gegen die Menschenwürde.
Momentan decken die Grundsicherungsleistungen
das soziokulturelle Existenzminimum nicht annähernd
ab. Das sagt auch eine Studie der Bundesagentur für Arbeit. Eine ausgewogene gesunde Ernährung ist kaum
möglich. Die Mittel reichen weder für Bustickets noch
für Medikamente; von Teilhabe an Kultur kann nicht die
Rede sein. Wann begreifen Sie endlich, dass Kinder einen eigenen Bedarf haben und nicht 60 bzw. 80 Prozent
Mensch sind? Wann begreifen Sie, dass Kinder wachsen?
Nach dem aktuellen Existenzminimumbericht will die
Regierung eine minimale Erhöhung des Eckregelsatzes
vornehmen. Eines ist klar: Jeder Cent zählt. Aber die geplante Anhebung deckt nicht annähernd die gestiegenen
Kosten für Energie, Lebensmittel, Kleidung oder Spielsachen ab. Die Linke fordert, die Regelsatzhöhe an den
Lebenshaltungskosten auszurichten. Woran denn sonst?
({7})
Für Bildung sind im Regelsatz nach wie vor sage und
schreibe 0 Euro vorgesehen. Dabei meint die Regierung:
Bildung ist das beste Mittel gegen Armut. - Aber Sie
wollen, dass Hartz-IV-Beziehende systematisch von Bildung ausgeschlossen werden. „Ist das politische Absicht?“, frage ich mich.
Die Bundesregierung stellt zudem immer wieder mit
großer Heuchelei fest, dass sich die sogenannten bildungsfernen Schichten - das ist Ihre sehr unschöne Bezeichnung - vergrößern. Das ist in meinen Augen eine
zynische Doppelmoral. Ihre Politik verfestigt Bildungsarmut.
({8})
Im kommenden Jahr steht wieder pünktlich vor der
Bundestagswahl eine Erhöhung des mickrigen Regelsatzes an. Glauben Sie mir: Die Betroffenen wissen ganz
genau, wem sie ihr Elend zu verdanken haben.
({9})
Frau Kollegin!
Ich komme zum letzten Satz. - Nicht umsonst gehen
jeden Montag bundesweit viele Menschen auf die
Straße. Vergangene Woche hatten wir in Aschersleben
die 222. Montagsdemo in Folge.
Von Anfang an haben wir nichts anderes gesagt als
das, was nun das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts bestätigt hat: Die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze
verstößt gegen das Grundgesetz.
Frau Kollegin, das war jetzt bestimmt der zehnte Satz.
Ich bitte Sie jetzt wirklich, zum Ende zu kommen.
Ich möchte bitte noch einen wichtigen Satz sagen,
Frau Präsidentin.
({0})
Solange Sie zulassen, dass die Schere zwischen Arm
und Reich jeden Tag weiter auseinandergeht, haben Sie
nicht das Recht, das Wort „soziale Gerechtigkeit“ in den
Mund zu nehmen.
Vielen Dank.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Redner vor einer namentlichen Abstimmung hat es bekanntlich etwas schwerer; aber ich bemühe mich, Ihnen noch einmal eine Zusammenfassung
zu liefern, der man folgen kann.
Es ist in heutiger Zeit schwierig, Haushaltsberatungen
durchzuführen. Niemand weiß genau, wie sich das
nächste Jahr entwickeln wird. Politik sollte nur das versprechen, was sie auch wirklich halten kann. Wir könnten so tun, als gäbe es keine Krise, und nichts machen.
Das wäre falsch. Wir könnten aber jetzt auch das Chaos
ausrufen und alles Mögliche unternehmen. Das wäre genauso falsch. Das wäre nämlich ein ganz falsches Signal.
Das sage ich hauptsächlich in Richtung der Linken.
Frau Pothmer, Ihre Geschichte eben mit dem Schirm
habe ich nicht verstanden. Bisher habe ich Sie für eine
ernst zu nehmende Debattenrednerin gehalten. Diesmal
war es eher ein Karnevalsauftritt. Ich hoffe, Sie haben an
den belehrenden Worten der Präsidentin gemerkt, dass
das hier nicht hingehört, vor allem nicht in einer solchen
Situation.
({0})
Meine Damen und Herren, es gibt Hauptbotschaften.
Die erste lautet: Wir sind zur Jahreswende 2008/2009
besser aufgestellt als vor drei Jahren.
({1})
Wir können eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen: Die Arbeitslosenzahl ist von 5 Millionen auf jetzt unter 3 Millionen gesunken. Wir sind bei
der Vermittlung älterer Arbeitsloser in Beschäftigung einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Wir haben
immer noch offene Stellen. Vor allem an einer Stelle sind
wir besonders deutlich weitergekommen - das wird
heute gerne als „gute“ Arbeit bezeichnet -, nämlich bei
der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
In den 65 Monaten vor März 2006 ist die Zahl dieser Beschäftigten Monat für Monat zurückgegangen. Innerhalb
der letzten Monate und Jahre der rot-grünen Regierung
haben wir 1,7 Millionen Arbeitsplätze „guter“ Arbeit
verloren. Wenn Sie sich nun die Zahl anschauen, die
heute veröffentlicht worden ist, dann stellen Sie fest,
dass wir es seit der Trendwende im März 2006 bis heute
geschafft haben, wieder eine Zahl von 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter zu erreichen.
Das sind vom absoluten Tiefpunkt aus gerechnet
2 Millionen mehr.
({2})
Wir haben in den letzten drei Jahren das, was verloren
gegangen ist, mehr als ausgebügelt.
({3})
Insofern gilt der Satz: Wir sind gut aufgestellt.
Wir haben den Arbeitslosenversicherungsbeitrag in
mehreren Stufen verringert, von 6,5 Prozent auf im
nächsten Jahr 2,8 Prozent. Das bringt insgesamt eine
Entlastung von 30 Milliarden Euro für Arbeitnehmer
und Unternehmer. Das kommt einer Gehaltserhöhung in
ebendiesem Umfang gleich. Auch das entlastet die Wirtschaft und die Arbeitnehmerhaushalte.
({4})
Nun zur zweiten Hauptbotschaft: Wir haben die Rentenversicherung wieder stabilisiert. In den letzten Jahren von Rot-Grün erlebten wir ein Ausplündern der
Rücklage. Wir sind bei stabilen Beiträgen und wieder
steigenden Renten jetzt dabei, wieder eine Rücklage aufzubauen. Diese sollten wir auch nicht antasten, weil niemand genau weiß, wie es in den nächsten zwölf Monaten
weitergeht.
Man kann über alles reden. Zum jetzigen Zeitpunkt
aber über Beitragssenkungen zu reden, ist wirklich
falsch, auch wenn Sie von der FDP bei diesem Thema
immer leuchtende Äuglein bekommen. Gestern hat Herr
Westerwelle hier gemeint, die Politik der Großen Koalition sei nun keine Politik der kleinen Schritte mehr, sondern eine Politik der eingeschlafenen Füße.
({5})
Bei Ihnen von der FDP habe ich den Eindruck, dass Sie
bei Themen wie der Beitragssatzsenkung jedes Mal Ihren blau-gelben Strampelanzug anziehen, mit den Füßchen strampeln, kieksen und sich freuen. Sie müssen erst
einmal wieder auf einem realen Boden laufen lernen,
wenn Sie wieder mitregieren wollen.
({6})
Die dritte Botschaft: Wir haben schnell und verantwortungsvoll für das Funktionieren der Finanzmärkte
gesorgt, indem wir einen Schirm aufgespannt haben.
Hätten wir dies nicht getan, brauchten wir über all die
Themen, die jetzt den Bundeshaushalt betreffen, gar
nicht zu reden. Erst mussten die Rahmenbedingungen
dafür geschaffen werden, dass wieder Kredite gegeben
werden, sodass investiert werden kann und Arbeitsplätze
erhalten werden können. Wenn Sie von der Linken immer wieder sagen, für die Banken seien 500 Milliarden
Euro vorhanden, für die Ärmsten der Armen aber nichts,
dann verwechseln Sie Äpfel und Birnen. Das eine ist
notwendig, um die Rahmenbedingungen zu erhalten;
diese Mittel werden nicht aus dem Bundeshaushalt gezahlt. Demgegenüber reden wir hier über Zahlen des
Bundeshaushalts.
Unsere vierte Botschaft lautet: Wir wollen den Haushalt stabil erhalten. Wir verschieben das Erreichen des
Endes der Neuverschuldung um ein oder zwei Jahre;
aber es bleibt für uns die Leitschnur, von vermehrten
Ausgaben wegzukommen.
Das Maßnahmenpaket für Arbeit und Wachstum stellt
einen weiteren Schritt dar, um gut aufgestellt zu sein. Im
Bereich der Gebäudesanierung werden zusätzliche Investitionen möglich sein. Der Steuerbonus für Handwerkerleistungen ist verdoppelt worden; dies wird helfen,
im Handwerk Arbeitsplätze zu sichern. Bei der Beschäftigungssicherung haben wir Sonderprogramme für Ältere und Geringqualifizierte ausgebaut und die Bezugszeit des Kurzarbeitergeldes von 12 auf 18 Monate
erhöht. All diese Maßnahmen sind geeignet, in dem krisenhaften Jahr 2009 die Beschäftigung so stabil wie
möglich zu halten. Alle sind aufgefordert, daran mitzuwirken.
({7})
Ein Letztes sage ich in Richtung der Linken: Wir haben die Anträge voller Ideologien, populistischer Ansätze und Heilsversprechen verhindert, die Sie über drei
Jahre lang in den Bundestag eingebracht haben.
({8})
Immer dann, wenn es um die Frage ging, wie etwas zu
bezahlen sei, haben wir von Ihnen gehört, zahlen sollten
die Vermögenden und Reichen. Haben Sie nicht mitbekommen, dass diese Menschen dann, wenn sie so besteuert würden, dass sie nicht mehr leben könnten, schnell
aus Deutschland weg wären? Wenn sie aber Deutschland
verlassen hätten, fehlten uns allen die Rahmenbedingungen, um das bezahlen zu können, was wirklich bezahlt
werden muss.
({9})
Auch heute legen Sie wieder nur ein Programm auf den
Tisch, mit dem Sie 7 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben wollen. Das ist Ihre Politik. Sie sagen am Ende
nicht, woher das Geld dafür kommen soll, weil in diesem
Fall die Menschen, die es bezahlen sollen, längst weg
wären.
Sie machen jetzt erneut den Versuch, die Finanzkrise
für sich auszunutzen. Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, bei dieser Nummer werden Sie sich verheben.
Zwar bekommen Sie durch das Thema „Finanzzocker“
zunächst Wasser auf Ihre Mühlen. Aber am Ende steht
die Frage, wem die Deutschen zutrauen, sie durch diese
schwierige Zeit zu führen. Hier sind eine Politik und Politiker gefragt, die Vertrauen haben.
({10})
Wir brauchen keine Politiker wie Gysi und Lafontaine,
die abhauen, sondern eine standfeste Kanzlerin und eine
standfeste Regierung.
Herzlichen Dank.
({11})
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, in
der Ausschussfassung. Hierzu liegen ein ÄnderungsVizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
antrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Wir kommen zunächst zu dem Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11059. Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimme noch nicht
abgegeben? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich
die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
bekannt. Es geht dabei um den Einzelplan 11, den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales.
Abgegeben wurden 534 Stimmen. Es haben 45 Abgeordnete mit Ja gestimmt. Mit Nein haben 489 Abgeordnete gestimmt. Es gab keine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 534;
davon
ja: 45
nein: 489
Ja
CDU/CSU
Willy Wimmer ({0})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({1})
Volker Schneider
({2})
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({3})
Clemens Binninger
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({4})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({5})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({6})
Axel E. Fischer ({7})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({8})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({9})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({10})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({11})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({12})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({13})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({14})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({15})
Stefan Müller ({16})
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({27})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({28})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({39})
Silvia Schmidt ({40})
Renate Schmidt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({43})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({44})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
({45})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({46})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({47})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({48})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({49})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({50})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({51})
Birgitt Bender
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({52})
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({54})
Manuel Sarrazin
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/11056. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion, bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Linken.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt II.13 auf:
Einzelplan 17
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Drucksachen 16/10416, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Petra Hinz ({55})
Roland Claus
Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor, wobei wir über einen Änderungsantrag namentlich abstimmen werden. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über die wir morgen im Anschluss an die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Ina Lenke von der FDPFraktion.
({56})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim
Einzelplan 17 stehen Familien, Frauen, Senioren, der
Zivildienst und die Jugend im Mittelpunkt. Die Steigerung der Ausgaben im Einzelplan 17 täuscht aber darüber hinweg, dass die Regierung den Familien in den
letzten Monaten und Jahren eine hohe Steuer- und Abgabenlast aufgebürdet hat. Seit Jahren gibt es keine echte
Steuersenkung für Familien. Im Gegenteil: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer hat - das wissen wir doch alle Familien mit Kindern Geld gekostet, ihnen das Geld aus
der Tasche gezogen.
({0})
Eine Familie mit zwei Kindern muss jedes Jahr
1 600 Euro mehr löhnen. Sie hat höhere Ausgaben. Sie
wissen ja, wo die Mehrwertsteuer überall zuschlägt.
Auch gegen das Prinzip der Generationengerechtigkeit wird im Gesamthaushalt 2009 verstoßen.
Ich habe im Bereich der Familienpolitik eine besonders große Kritik an dieser Regierung:
({1})
Seit Jahren drückt sie sich vor der Evaluierung, der Prüfung der ehe- und familienbezogenen Leistungen in
Höhe von 185 Milliarden Euro. Wenn Sie sich die dort
bestehenden 145 Töpfe anschauen, dann wissen Sie
doch, dass sie historisch gewachsen sind, dass sich vieles
vielleicht gegenseitig ausschließt, dass vieles vielleicht
weg muss oder neu geschaffen werden muss.
Ich muss sagen: Ich bin sehr enttäuscht. Die Regierung hat immer gesagt, sie wolle eine Analyse machen.
Kurz vor dieser Haushaltsberatung hat sie gesagt - wir
haben immer wieder nachgefragt -, das könne man selber machen; es gebe sehr viele Gutachten. Ich glaube,
dass wir das nicht machen sollten. Vielmehr muss uns
diese Bundesregierung mit dieser Familienministerin
noch in dieser Legislaturperiode Antwort darauf geben.
({2})
Die FDP will diese 185 Milliarden Euro zielgerichtet
ausgeben für Familien, für Alleinerziehende, für Paare,
die erwerbstätig sind und gerade mal so über die Runden
kommen. Dazu habe ich ein gutes Beispiel: das Schulstarterpaket. Sie geben nur den Familien 100 Euro
- das steht im Gesetz zur Förderung von Familien und
haushaltsnahen Dienstleistungen -, die staatliche Leistungen beziehen. Die Familien, deren Einkommen knapp
über der Bemessungsgrenze liegt, die ihr Einkommen
selbst sichern, aber trotzdem zu wenig haben, bekommen das Starterpaket nicht. Das finde ich unseriös und
unsozial. Das sollten wir nicht tun.
({3})
Das Größte ist, dass Sie das Schulstarterpaket für
Kinder von Hartz-IV-Empfängern nur bis zur 10. Klasse
geben, also nur bis zum Ende der Sekundarstufe I. Frau
Humme, ich habe im Gesetz nicht gelesen, dass Sie dieses Geld auch bei einem Besuch der gymnasialen Oberstufe gewähren. Sie könnten in Ihrer Rede ja einmal erklären, warum Sie so etwas machen. Ich kann das nicht
verstehen. Wenn, dann sollten Sie den Kindern von
Empfängern staatlicher Leistungen das Schulstarterpaket
für die gesamte Schulzeit gewähren. So geht das meines
Erachtens nicht. Das ist in Teilen wirklich nicht in Ordnung.
Wenn ich mir die Legislaturperiode anschaue, stelle
ich fest, dass Sie sich auf Gesetze geeinigt haben, die
enorm fehlerhaft sind. Weil ich so wenig Redezeit habe,
will ich hier nur auf den Kinderzuschlag und das Elterngeld zu sprechen kommen. Diese Regierung hat eine
Analyse der Wirkung des Elterngeldes nicht vorgelegt.
Sie hat nur einen Bericht vorgelegt. Sie hat nichts zur
Steuerklasse V, nichts zum Teilzeitelterngeld und nichts
dazu gesagt, dass manche Selbstständige überhaupt kein
Elterngeld bekommen.
({4})
Ich bin entsetzt, dass die Regierung hier nur alles schönredet. Ein neuer Gesetzentwurf wird hier nicht einmal
auf den Prüfstand gestellt. Dafür hätte ich Sie nicht kritisiert, ich kritisiere Sie aber dafür, dass Sie keine Evaluation, keine Prüfung gemacht haben.
Als Jugendministerin erhöhen Sie, Frau von der
Leyen, die Zahl der Zivildienstleistenden. Heute Morgen habe ich im Radio gehört, dass in den neuen Bundesländern händeringend nach Azubis gesucht wird. Es
heißt, die jungen Leute sollen erst einmal einen Pflichtdienst machen und dann mit ihrer Ausbildung beginnen.
Wo sind wir denn eigentlich? In diesem Jahr werden
erstmals mehr Ausbildungsstellen angeboten, als Ausbildungsinteressenten vorhanden sind. Wir sollten lieber
die Freiwilligendienste fördern - denn davon haben wir
mehr -, und dann kann sich jeder selbst entscheiden.
({5})
Zur Steuerpolitik. Die Große Koalition sieht tatenlos
zu, wie die Steuerprogression die Bürger und vor allem
die Familien kalt erwischt. Jede Gehaltserhöhung bedeutet prozentual mehr Lohnsteuer. Ich kann nicht verstehen, warum Sie die Mehrwertsteuer bei Skiliften von
19 auf 7 Prozent verringern, den Mehrwertsteuersatz für
Pampers, die Familien brauchen, aber bei 19 Prozent belassen. Das ist mir wirklich ein Graus. Wenn Sie uns das
bitte erklären könnten. Das wäre sicher ein guter Lacherfolg.
({6})
Sie haben ein neues Gesetz zur Förderung von
Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen gemacht. Ich will Ihnen sagen: Das ist kein Familienleistungsgesetz. Das ist ein Mittelstandsförderungsgesetz.
Dieser Name passt überhaupt nicht. Wenn Sie die Leute
verleiten wollen, aus privaten Mitteln 25 500 Euro für
Handwerkerlöhne, haushaltsnahe Dienstleistungen und
Minijobs zu bezahlen, damit sie eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 5 100 Euro bekommen, dann ist
das ein Witz. Wer kann sich so hohe Ausgaben erlauben?
Das hat mit Familie nichts zu tun. Das hat eher mit Mittelstandsförderung zu tun und gehört hier nicht rein.
Ich komme zum Schluss, auch wenn ich gerne noch
etwas zur Erbschaftsteuer gesagt hätte; vielleicht kommen andere Oppositionspolitiker dazu. Betrachtet man
als FDP-Politikerin den Gesamthaushalt und nicht nur
den Haushalt des Familienministeriums, steht unterm
Strich fest: Familien sind die großen Verlierer dieser
Großen Koalition.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ole Schröder von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit dem Haushalt 2009, Frau Lenke, zeigen wir,
dass die Familienpolitik in Deutschland unter Familienministerin Frau von der Leyen einen so hohen, positiven
Stellenwert hat wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Auch wenn sich die Haushaltslage durch die derzeitige
Finanz- und Wirtschaftskrise verschlechtern wird, gehen
wir den Weg der Stärkung der Familie weiter. Mit der
Erhöhung des Kindergeldes, mit der Ausweitung des
Kinderzuschlages, mit der Einführung des Elterngeldes
und mit dem Ausbau der Kinderbetreuung haben wir die
Situation für Familien mit Kindern erheblich verbessert.
Beim Kindergeld sind wir eben nicht den Weg derjenigen gegangen, die Misstrauen gegenüber den Familien
aussprechen und sagen: Das zusätzliche Geld durch die
Kindergelderhöhung wird nur für Alkohol, Zigaretten
und Flachbildschirme ausgegeben. Wer so etwas behauptet, verkennt die Realität der Familien in Deutschland.
({1})
Sie verkennen, dass sich die meisten Eltern für ihre Kinder langmachen. Wir haben uns daher aus voller Überzeugung dafür entschieden, die direkten finanziellen Hilfen an die Eltern zu erhöhen. Denn wir wissen, dass das
Geld bei den Eltern richtig angelegt ist, wenn es darum
geht, die Kinder zu fördern.
({2})
Das Kindergeld wird jeweils monatlich für das erste
und zweite Kind um 10 Euro, für das dritte und die weiteren Kinder um 16 Euro angehoben. Familien mit drei
Kindern verfügen damit über 432 Euro mehr im Jahr.
Für Familien mit vier Kindern sind es 624 Euro. Wir setzen damit ein deutliches Signal für Familien mit vielen
Kindern. Eltern von drei Kindern sind natürlich ganz besonders auf das Kindergeld angewiesen, weil es für sie
wesentlich schwieriger ist, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Diese Familien haben häufig nur ein
Arbeitseinkommen zum Lebensunterhalt. Dass gerade
für Mehrkindfamilien Handlungsbedarf besteht, zeigt
die jüngste Allensbach-Umfrage. Demnach sind drei
Kinder nur für 13 Prozent der Deutschen das Ideal, aber
für 38 Prozent der Franzosen.
Eines der zentralen Projekte der Großen Koalition hat
sich zu einem großen Erfolg entwickelt: das Elterngeld.
Selten ist eine familienpolitische Leistung so stark angenommen worden wie das Elterngeld.
({3})
Das zeigt die nahezu hundertprozentige Inanspruchnahme des Elterngeldes.
({4})
Diese hohe Inanspruchnahme führt zusammen mit der
Einkommenssteigerung des letzten Jahres dazu, dass wir
mehr Geld für das Elterngeld ausgeben müssen, als wir
es in der Finanzplanung vorgesehen haben,
({5})
nämlich 350 Millionen Euro mehr. Wir sind sozusagen
Opfer unseres eigenen Erfolges geworden.
Gerade das Elterngeld ermutigt berufstätige Frauen
und Männer, sich für ein Kind zu entscheiden.
({6})
Vor allem Frauen zwischen 33 und 37 Jahren, die schon
mitten im Berufsleben stehen, entscheiden sich jetzt vermehrt für Kinder.
({7})
Zudem hat das Elterngeld die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der sogenannten Vätermonate eröffnet.
Die Anzahl der Väter, die sich dazu entschließen, vorübergehend auf ihre berufliche Tätigkeit zu verzichten,
um sich um ihre Kinder zu kümmern, steigt deutlich.
({8})
Das zeigt eben auch, dass die Herausforderung, ein Leben mit Kindern zu organisieren, nicht nur die Frauen
betrifft, sondern eben auch die Männer,
({9})
und dass die Frage der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf eben nicht nur eine Sache der Mütter ist, sondern
eben auch eine Sache der Väter.
Der Erfolg des Elterngeldes hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir es durch den Ausbau der Kinderbetreuung entsprechend unterstützen. Die Mittel,
die wir dafür bereitgestellt haben, fließen jetzt - je nach
Bundesland in unterschiedlicher Geschwindigkeit - an
die Länder ab. Es ist jetzt Aufgabe der Kommunen und
der Länder, unsere Vereinbarung umzusetzen, damit wir
die Ziele, die wir uns gesteckt haben, bis 2013 erreichen.
Ich bin froh, dass wir im parlamentarischen Verfahren
der Haushaltsaufstellung noch erhebliche Verbesserungen erreichen konnten. Ich möchte hier vor allen Dingen
die Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens“ nennen. Wir werden hier 5 Millionen
Euro mehr ausgeben. Das finde ich auch richtig, weil
diese Stiftung von der letzten Regierung etwas stiefmütterlich behandelt wurde. Unter Rot-Grün hat der Bund
die von ihm für diese Stiftung bereitgestellten Mittel auf
die vorgegebene Mindesteinlage zurückgefahren, und
dies, obwohl die Hilfebedürftigkeit schwangerer Frauen
in Notlagen in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen hat.
Mit den Mitteln für diese Stiftung helfen wir gerade
denjenigen, die unsere Unterstützung am dringendsten
benötigen, nämlich den schwangeren Frauen, die sich in
Konfliktlagen befinden und die anerkannten Beratungsstellen aufsuchen. Diese Frauen bekommen von der Stiftung die notwendige Unterstützung, die ihnen die Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtert, sei es für die
Erstausstattung des Kindes, für die Fortführung des
Haushalts oder für die Betreuung des Kindes. Darüber
hinaus erleichtert diese Stiftung auch den Zugang zu
Frühen Hilfen; sie ist sozusagen ein Türöffner. Außerdem schaffen wir auf diesem Weg einen Anreiz, dass
auch überforderte Väter und Mütter die Beratungsstellen
aufzusuchen. Ich bin wirklich froh, dass wir es im parlamentarischen Verfahren geschafft haben, die Mittel hierfür erheblich aufzustocken.
({10})
Eine weitere Änderung, die im parlamentarischen
Verfahren vorgenommen worden ist, betrifft die Maßnahmen zur Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund. Ich finde, wir sollten diese Mittel ganz
besonders für die nachholende Integration aufwenden.
Gerade junge Menschen mit Migrationshintergrund, die
in Deutschland geboren sind, brauchen noch mehr Hilfe,
um sich in die Gesellschaft und ins Berufsleben zu integrieren. Ich würde mir wünschen, dass wir auch die Reputation der Otto-Benecke-Stiftung nutzen, um zur Stärkung der nachholenden Integration beizutragen.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Zeichen setzen wir in diesem Jahr bei der Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements. Aus gutem Grund haben wir
die Mittel für den Titel „Modellvorhaben zur Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements“ um 750 000 Euro
erhöht. Dafür hat sich insbesondere meine Kollegin
Petra Hinz eingesetzt. Ich habe mich diesem Vorschlag
gerne angeschlossen. Denn das freiwillige Engagement
der Bürgerinnen und Bürger ist besonders wertvoll,
({11})
sei es bei der Unterstützung von Jugendlichen, den richtigen Weg ins Erwachsenenleben zu finden, sei es bei der
Unterstützung der Kinder von Eltern, die ihrer Erziehungsverantwortung nicht in ausreichendem Maße nachkommen können. Die Erhöhung der Mittel für diesen
Haushaltstitel ermöglicht uns, in Zukunft zusätzliche
Modellprojekte zu fördern, die sicherlich auch für andere Initiativen Vorbildcharakter haben.
({12})
An den Ergebnissen des von der Prognos AG erstellten Engagementatlas 2009 wird eines deutlich: dass es
gerade bei älteren Menschen ein unglaublich großes
Potenzial gibt, sich ehrenamtlich zu engagieren. Sie sind
dazu bereit. Hier können wir mit nur wenigen Impulsen
eine ganze Menge erreichen. Diese Impulse sollten wir
setzen, um das hervorragende Engagement insbesondere
älterer Menschen zu nutzen. Das ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in unserem Land
besonders wichtig.
Meine Damen und Herren, wie schon im vorigen
Haushalt ist es uns auch in diesem Haushalt gelungen,
Akzente bei Familien, Frauen, Senioren und Jugendlichen zu setzen. Ich bedanke mich ganz besonders bei der
Hauptberichterstatterin und bei den Mitberichterstattern
für die gute Zusammenarbeit und die konstruktive Beratung. Ganz besonders bedanke ich mich bei der Ministerin, Frau von der Leyen, und ihrem Haus für die konstruktive Zusammenarbeit.
Ich denke, dass wir einen hervorragenden Haushalt
aufgestellt haben. Daher bitte ich Sie, diesen Haushalt zu
unterstützen.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! In Brandenburg, dem Bundesland, aus dem
ich komme, leben jeder achte Erwachsene und sogar jedes vierte Kind in Armut, Tendenz steigend. Zu diesem
Ergebnis kam man im offiziellen Lebenslagenbericht,
den die Große Koalition in Brandenburg vorgestern vorgestellt hat.
Im Jahr 2005 umschrieb Bundesministerin von der
Leyen ihre Ziele auf der Startseite der Homepage ihres
Ministeriums mit den Sätzen:
Wir müssen uns besser um die Kinder kümmern,
die auf der Schattenseite des Lebens geboren werden. Denn gerade in jungen Jahren werden die entscheidenden Weichen für ihr späteres Leben gestellt. Familie muss wieder ein Erfolgsmodell in der
Gesellschaft werden. Dafür setze ich mich ein.
Das alles ist Schnee von gestern. Jedes vierte Kind in
Brandenburg - ein Viertel der Kindergartengruppe meiner Tochter - ist Beweis dafür. Heute haben wir eine Ministerin, bei der nur noch die weitausschweifende Handbewegung alle Familien zusammenzuführen vermag.
Frau von der Leyen, mit Ihrer Politik tun Sie das nicht.
({0})
Mit Ihrer Politik werfen Sie so viel Schatten, dass die
Zahl der Kinder, die darin stehen, größer geworden ist.
({1})
Mit den Instrumenten, die Sie vollmundig als Mittel
zur Armutsbekämpfung ankündigten, wurden die Armutsrisiken noch weiter verschärft. Dieser Haushalt, mit
dem die Bundesregierung in das Wahljahr 2009 gehen
will, erscheint mir wie die Fortsetzung der Unendlichen
Geschichte: Dort wächst die Dunkelheit wegen der Fantasielosigkeit der Menschen, hier wächst der Schatten
aufgrund der Tatenlosigkeit der Regierung. - Das ist leider bittere Realität und kein Kinderfilm.
({2})
Sicher, Frau Ministerin, Sie haben in den Köpfen der
Menschen viel bewegt. Das Wort „Rabenmutter“ für berufstätige Frauen ist im Sprachgebrauch zum Glück
kaum noch zu finden. Auch Väter gehen heute selbstbewusst in die Elternzeit, weil sie nicht nur finanziell aufgefangen werden, sondern dafür auch eine gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Doch dass die Einführung
des Elterngeldes mit einer Schlechterstellung der Familien einherging, die wenig oder kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit haben, wurde nicht nur von der Linksfraktion kritisiert.
({3})
Darum haben wir auch für diesen Haushalt einen Änderungsantrag eingebracht, mit dem wir vorschlagen, die
Bezugszeit des Elterngeldes zu erhöhen und jedem Elternteil einen individuellen Anspruch einzuräumen. Dies
würde eine Weiterentwicklung der sogenannten Vätermonate bedeuten, und Frauen und Männer würden gerechter an der Erwerbs- und Erziehungsarbeit beteiligt
werden.
({4})
Um das Elterngeld sozial gerechter zu gestalten, fordern wir hinsichtlich der Bezugsdauer eine Gleichbehandlung aller Familien und eine Anhebung der Mindestleistungen. Frau von der Leyen, mit einem solchen
Schritt würden Sie allen Familien und nicht nur denen
auf der Sonnenseite den Start erleichtern.
Kindertagesbetreuung und Elterngeld sind nicht voneinander zu trennen; denn junge Familien brauchen auch
nach der Elterngeldzeit eine ganztägige Kinderbetreuung, und zwar nicht nur in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und
Sachsen, sondern auch in den übrigen Bundesländern.
Da diese bekanntermaßen größer an Zahl und Einwohnern, aber kleiner an Zahl der Kindertagesangebote sind,
sehen wir auch hier einen erhöhten Nachholbedarf.
({5})
Wir sehen aber nicht die logischen Schlussfolgerungen der Bundesregierung. Der Umfang des Sondervermögens, das gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister
zur Beschleunigung eingerichtet wurde, ist ungenügend.
Die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten
Mittel reichen für ein flächendeckendes Kindertagesstättennetz nicht aus - von einem gebührenfreien Ganztagsangebot ganz zu schweigen.
Auch mit dem Ausbauziel, dass 35 Prozent der Kinder bis zum Jahr 2013 einen Platz erhalten, bleiben viele
Fragen offen. Wie sollen berufstätige Mütter, zum Beispiel in Niedersachsen, Beruf und Familie bis dahin unter einen Hut bringen? Es bleibt auch die Frage, aus welchen sozialen Strukturen die übrigen 65 Prozent der
Kinder kommen, die bei diesem Ausbauziel eben nicht
vorgesehen sind.
Wenn wir die Kindertagesstätten völlig zu Recht als
einen wichtigen Teil des Bildungsweges betrachten,
dann muss dieser auch für alle zugänglich sein.
({6})
In unserem Änderungsantrag fordern wir daher, dass die
Ausgaben des Bundes für den Ausbau der Kindertagesbetreuung aufgestockt werden. Diese Mittel sind wichtig, um die Kommunen und die gemeinnützigen Träger
bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
Es ist für mich aber nicht nachvollziehbar, dass die
Debatte zur Gemeinnützigkeit von Ihnen, Frau Ministerin, immer noch unter dem Zeichen der Förderung privatgewerblicher Anbieter geführt wird - und das trotz
breiter Kritik und einer merklichen Abschwächung bei
der Gesetzgebung.
Noch in der Debatte zum Kinderförderungsgesetz
hieß es aus der SPD-Fraktion - Zitat -:
Öffentliche Gelder für Kinderbetreuung sollen auch
in Zukunft nicht zur Maximierung des Gewinns von
privatgewerblichen Trägern eingesetzt werden.
({7})
In der Ausgabe des Informationsmagazins des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste vom
27. Oktober 2008 erklärte die Ministerin hingegen - Zitat -:
Das bedeutet, dass das Kriterium der Gemeinnützigkeit bei der öffentlichen Förderung keine Rolle
mehr spielen darf.
({8})
Das ist hü und hott. Die gemeinnützigen Träger der
freien Jugendhilfe brauchen eine klare Antwort. Sie haben auch mittels einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion
die Möglichkeit, diese Antwort zu geben. Vielleicht bekommen wir ja endlich einmal eine Antwort, die zur Erhellung beiträgt.
({9})
Wir sagen: Die Bildung unserer Kinder gehört nicht
an den Markt.
({10})
Gewinnorientierung und gleiche Teilhabemöglichkeiten
aller Kinder sind nicht miteinander vereinbar. Auch der
Ausbau der Kindertagesbetreuung braucht einen Schutzschirm, und zwar einen, der den Gesetzen des Marktes
nicht unterworfen ist.
({11})
Kinderbetreuung ist Armutsbekämpfung. Sie gewährleistet die Erwerbstätigkeit der Eltern. Der Ausbau der
Kindertagesbetreuung wirkt auch maßgeblich gegen die
vorhandene Ausgrenzung von Kindern im Bildungswesen.
Frau Kollegin Golze, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Ja, sehr gern.
Bitte schön, Frau Lenke.
Frau Golze, Sie haben sich sehr stark gegen die privatwirtschaftliche Kinderbetreuung ausgesprochen. Das
gilt zum Beispiel für den Fall, dass eine Erzieherin sich
selbstständig macht und einen Kindergarten eröffnet. Ich
sehe überhaupt keinen Unterschied darin, ob eine Erzieherin ihren Lohn letztendlich aus ihrem Gewinn erhält
oder als Angestellte eines Kindergartens. Ich frage Sie:
Würden Sie auch private Schulen wie die Waldorfschulen abschaffen? Wenn Sie nämlich gegen privatgewerbliche Kindergärten oder Kitas sind, dann müssten Sie
auch gegen private Schulen sein.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Golze.
Ob Waldorfschulen privatgewerblich sind, sei einmal
dahingestellt. Schon in meiner letzten Rede zu diesem
Thema hatte eine FDP-Kollegin Fragen gestellt, die
mich doch sehr an ihrem Verständnis von privatgewerblichen Angeboten zweifeln ließen. Frau Lenke, bei Ihnen
hätte ich das jetzt nicht erwartet. Mir geht es darum, dass
allen Kindern der Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Angebot gewährleistet wird
({0})
und nicht nur den Kindern von Eltern mit einer dicken
Brieftasche.
({1})
Ich möchte nicht, dass öffentliche Gelder in solche privatgewerblichen Angebote gesteckt werden, um zur Gewinnmaximierung der Träger beizutragen.
({2})
Mir geht es um die Stärkung gemeinnütziger Angebote,
um die Stärkung von öffentlichen und gemeinnützigen
Trägern. Damit ist die Frage, denke ich, beantwortet.
({3})
Es ist viel von Chancen die Rede. Ich denke aber, es
geht eher um das Wort „Teilhabe“. Zur Teilhabe an Bildung für alle Kinder gehört, dass die zusätzlichen Leistungen für Schülerinnen und Schüler, die in Hartz-IVBedarfsgemeinschaften leben, bis zum Abitur und nicht
nur bis zur 10. Klasse gezahlt werden. Geschieht dies
nicht, bekommt das Wort „Chance“ glücksspielhaften
Charakter. Die Kinder, deren Eltern die Schulmaterialien
nicht bezahlen können, werden benachteiligt; denn Bildungskosten sind im ALG-II-Regelsatz nicht berücksichtigt.
Für die Fraktion Die Linke steht die Bekämpfung der
Kinderarmut nicht erst an letzter Stelle wie bei dem eingangs erwähnten Internetauftritt des Ministeriums. Zur
Erinnerung, Frau von der Leyen: Es war eines Ihrer
Hauptziele, die Kinderarmut zu bekämpfen. Auch hier
kann ich nur feststellen: Selbst mit den Änderungen
beim Kindergeld und dem überarbeiteten Kinderzuschlag haben Sie in diesem Haushalt Ihr Ziel verfehlt.
Der Kinderzuschlag war in seiner Ursprungsform zu
bürokratisch. Dies belegt allein die hohe Ablehnungsquote. Wie eine schallende Ohrfeige muss sich nun für
die Betroffenen der Satz lesen - Zitat -:
Flexibel können die Eltern dann wählen, ob sie lieber ALG II oder den Kinderzuschlag in Anspruch
nehmen wollen.
Im Moment sieht es so aus, dass viele der Betroffenen
aus dem System des Grundsicherungsamts herausfallen,
bevor sie in das System der Familienkasse aufgenommen worden sind. Da erhält das Wort „Flexibilität“ doch
wirklich einen sehr faden Beigeschmack.
Die Chance, den Kinderzuschlag zu einem wirksamen
Mittel gegen Kinderarmut zu machen, haben Sie vertan,
Frau von der Leyen. Der Kinderzuschlag ist unzureichend. Deshalb haben wir auch hierzu einen Änderungsantrag eingebracht. Unser Hauptproblem ist, dass die
Gruppe der Alleinerziehenden davon weiterhin nicht
profitieren wird. Die Gruppe der Alleinerziehenden ist
es auch, die gemeinsam mit Familien im Hartz-IV-Bezug
von der längst überfälligen Kindergelderhöhung nicht
profitieren wird, da diese ihnen angerechnet wird auf
Unterhaltsvorschuss und ALG II. Bei einem Viertel der
Kindergartengruppe meiner Tochter wird also diese Kindergelderhöhung nicht ankommen.
Vielleicht können Sie in diesem Zusammenhang erklären, warum Sie in diesem Haushalt beim Unterhaltsvorschuss Kürzungen vornehmen konnten. Das wurde
nämlich dadurch möglich, dass die Anrechnung gleich
wieder als positive Einnahme zugrunde gelegt wurde.
Das ist eine Linke-Tasche-rechte-Tasche-Politik.
({4})
Die Kinder werden davon nicht profitieren. Sie stehen
wieder einmal auf der Schattenseite.
Doch auch für die Familien, die nicht in derartige Anrechnungsfallen rutschen, ist diese Kindergelderhöhung
nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. 10 Euro für das
erste und das zweite Kind decken nicht einmal ansatzweise den Wertverlust, den das Kindergeld seit seiner
letzten Erhöhung erfahren hat. Auch aus diesem Grund
ist die Staffelung der Kindergelderhöhung ab dem dritten
Kind nicht zu erklären.
Ich komme zum Schluss. Im dritten Jahr der Großen
Koalition und der Familienministerin von der Leyen ist
in der Debatte um die Rolle von Familien viel geschehen. Die Zahl der von Armut betroffenen Kinder haben
Sie aber nicht verringert, wie Sie es versprochen haben;
Sie haben sie stattdessen vergrößert. Das Wort Schattenkabinett bekommt in diesem Zusammenhang eine völlig
neue Bedeutung.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz von der SPDFraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Präsident! Frau Ministerin! Von der Opposition muss
man nicht unbedingt etwas anderes erwarten als das Aufzählen von Verbesserungsvorschlägen.
({0})
Aber ich habe weder von der FDP noch von den Linken
einen entsprechenden Gegenfinanzierungsvorschlag gehört.
Es wurde darauf hingewiesen, dass das Kindergeld
nicht angerechnet wird, aber Sie verschweigen, dass für
alle Kinder, die in den Kindergarten gehen und Sozialleistungen beziehen, keine Kindergartengebühren gezahlt werden müssen. Die eine Seite nennen Sie; die andere Seite verschweigen Sie. Insofern muss ich Sie
bitten: Wenn Sie über einen Sachverhalt berichten, dann
nennen Sie bitte auch das, was wir gut vorangebracht haben.
({1})
Ich bin der Auffassung, dass wir mit diesem Haushalt
gerade vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise noch
einmal sehr deutlich gemacht haben, was wir für den Bereich Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Weg
gebracht haben.
({2})
Wir haben dafür gesorgt, dass die Rahmenbedingungen
geschaffen wurden, damit junge Paare sich für Kinder
und Familie entscheiden können. Die Zahlen belegen
das, und es ist auch im Rahmen der Haushaltsberatungen
deutlich gemacht worden. Beim Elterngeld gab es immer
wieder Nachbewilligungen. Das zeigt, wie viele daran
partizipieren. Man kann also von einem Erfolgsmodell
reden.
Wir haben dafür gesorgt, dass Familien mit ihren Verantwortungen und Fähigkeiten gestärkt werden. Unser
Augenmerk liegt insbesondere auf Familien mit sozialen
Risiken. Wir haben dafür gesorgt, dass entsprechende
Mittel bereitgestellt werden, um die Bildungschancen
für Kinder, Mütter und Väter, die in diesem Bereich
dringend Kompetenzvermittlung brauchen, zu verbessern. Wir haben dafür gesorgt, statt es abzulehnen, wie
es die Linken grundsätzlich tun.
Wir haben dafür gesorgt, dass im Kinder- und Jugendplan weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden.
So sind 1 Million Euro zusätzlich für Integrationsmaßnahmen vorgesehen. Allein für den Kinder- und Jugendplan stehen damit 142 Millionen Euro zur Verfügung.
Insgesamt stehen für Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit 192 Millionen Euro zur Verfügung. Ist das
nichts? Ich denke, das sind genau die Mittel für Maßnahmen, die abgerufen werden, die zeitnah sind, den Bedarfen gerecht werden und Orientierung geben, und zwar in
den Kommunen, über Vereine, Organisationen und sonstige Träger.
({3})
Wir haben über das Kinder- und Jugendprogramm
entsprechende Mittel für Maßnahmen zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern zur Verfügung gestellt. Wir haben 192,6 Millionen Euro in diesem Bereich bereitgestellt. Diese Mittel stehen für Maßnahmen
für Toleranz, gegen Diskriminierung und für Integration
zur Verfügung. Wir haben in diesem Jahr auch zusätzliche Mittel für den Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt von Frauen bereitgestellt.
Ich erinnere an die Diskussion über die Unterstützung
von Contergan-Geschädigten. Wir haben seit eineinhalb Jahren im engen Dialog mit den Betroffenen, der
Contergan-Stiftung und der Firma Grünenthal Gespräche
geführt und die Haushaltsmittel in diesem Bereich verdoppelt. Sie belaufen sich jetzt auf 31 Millionen Euro. Ist
das nichts?
({4})
Seit dem 1. Juli 2008 bekommen Betroffene, die den
Höchstsatz erhalten, 1 090 Euro statt wie bis dahin
545 Euro. Ist das nichts? An zusätzlichen Leistungen
sind das in diesem Jahr 6 540 Euro. Wir befinden uns
mit den Betroffenen weiterhin im Gespräch. Wir werden
weitere Maßnahmen durchführen, damit diejenigen, die
geschädigt wurden, zu ihrem Recht kommen. Für Entschädigungsleistungen bringt der Bund künftig 31 Millionen Euro jährlich auf.
Für Gleichstellung, Familien, ältere Menschen steht
ein Leistungspaket mit einem Volumen von 36 Millionen
Euro zur Verfügung. 36 Millionen Euro für Gleichstellung, Familien und ältere Menschen! Allein für die älteren Menschen, die noch aktiv sind, und die Stärkung des
zivilen Engagements geben wir 13,9 Millionen Euro aus.
Maßnahmen für diejenigen, die nicht mehr so aktiv teilhaben können, der Pflegebereich, die Weiterbildung im
Bereich der Pflege- und Betreuungsmaßnahmen für ältere Menschen, Teilhabe und Gleichstellungspolitik
sind weitere Schwerpunkte. Auch dafür stellen wir
Petra Hinz ({5})
Mittel bereit. Ich nenne nur ein Stichwort: Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit ist unser Ziel. Für diesen Bereich stellen wir 14,4 Millionen Euro zur Verfügung.
Mein Kollege Ole Schröder hat die Gleichstellungspolitik schon angesprochen. Für die Verbesserung der Teilhabe derjenigen, die alleinerziehend sind, haben wir
5 Millionen Euro bei der Bundesstiftung „Mutter und
Kind“ draufgesattelt. Uns wurde nämlich im Berichterstattergespräch glaubhaft mitgeteilt, dass zusätzliche
Mittel aufgrund der Kostensteigerung notwendig sind.
Insgesamt stehen nun 97,033 Millionen Euro zur Verfügung.
({6})
Für Familienprojekte - ohne die Bundesstiftung „Mutter
und Kind“ - geben wir 12,1 Millionen Euro aus. Insgesamt sind es 36,4 Millionen Euro.
Das Elterngeld wurde bereits angesprochen. Die Vorzüge des Elterngeldes werden hier grundsätzlich negiert.
Wir waren es, die nach intensiven Beratungen deutlich
gemacht haben, wie wichtig und sinnvoll das Elterngeld
ist. Aber wie wird das hier angenommen? Sie sagen, es
müsste noch mehr und länger gezahlt werden. Erinnern
Sie sich doch bitte an die Anhörung und die Diskussionen hier im Parlament! Es geht beim Elterngeld darum,
dass die Eltern, wenn sie es wollen, schnellstmöglich in
den Beruf zurückkehren können. Die frühkindliche Erziehung soll möglichst früh einsetzen. Die starke Inanspruchnahme des Elterngeldes macht deutlich, dass wir
genau die richtige Zielsetzung verfolgt haben.
Ganztagsschulen, flexible Elternzeiten, das Recht auf
Teilzeit und steuerliche Vergünstigungen für Familien
sind weitere Stichworte. Liebe Frau Lenke, man kann
nicht ein bisschen Steuererleichterungen vornehmen.
Wir haben in diesem Bereich für Steuererleichterungen
gesorgt. Die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, die Allianz für Familien und die lokalen
Bündnisse für Familien, dies alles sind wichtige Bausteine. Mehr Gerechtigkeit ist das Ziel. Mit diesem
Haushalt machen wir das deutlich.
Mein Kollege Ole Schröder hat gerade ausgeführt,
welche Mittel wir nachträglich auf dem parlamentarischen Weg zur Verfügung stellen. Ich möchte unsere
Leuchtturmprojekte im Bereich der Freiwilligendienste
erwähnen. Die Zahl der Projekte steigt von 30 auf 45.
Dafür stehen 750 000 Euro zusätzlich zur Verfügung.
Diese 45 Projekte sind zielorientiert und machen deutlich, wie engagiert unsere Bürger für die Gesellschaft arbeiten. Für den gesamten Bereich „Stärkung der Zivilgesellschaft“ stehen 33,975 Millionen Euro zur Verfügung.
Der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen mit circa
38 000 Gruppen und Initiativen stellen wir 260 000 Euro
zusätzlich zur Verfügung.
Für das kommende Jahr sind Ausgaben in Höhe von
rund 6,147 Milliarden Euro vorgesehen. Wir dürfen
nicht vergessen, was wir im zurückliegenden Jahr auf
den Weg gebracht haben. Für das Sondervermögen
„Kinderbetreuungsausbau“ stehen 4 Milliarden Euro zur
Verfügung, und zwar nicht aus unserem Etat, sondern
aus dem Gesamtetat. Das ist der richtige Weg. Aber
mehr hilft nicht immer. In diesem Fall müssen wir sehen,
dass die Bundesländer die Mittel leider noch nicht in
dem gewünschten Maß abrufen. Beispiel NRW: Die
Ausführungsbestimmungen sind erst jetzt auf den Weg
gebracht worden. Die Gelder, die bereits in diesem Jahr
hätten fließen können, kommen dadurch zeitverzögert
bei den Trägern und Kommunen an.
Wir stellen 4 Milliarden Euro für ein Sonderausbauprogramm zur Verfügung, mit dem der Bau von Kindertagesstätten unterstützt und die dadurch entstehenden
Betriebskosten getragen werden. Lassen Sie uns gemeinsam das, was wir hier für Familien, Senioren, Frauen
und Jugend auf den Weg gebracht haben, nicht kleinreden. Wir machen mit diesem Haushalt genau die richtigen Schritte auf dem richtigen Weg. Ich will nicht verschweigen, dass es schöner wäre, manchmal mehr zu
fördern. Aber man muss einmal genauer hinsehen, was
man in einem Haushaltsjahr verausgaben kann.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich bei meinen
Kolleginnen und Kollegen Ole Schröder, Anna
Lührmann, Otto Fricke und auch Roland Claus für die
konstruktive Zusammenarbeit ganz herzlich bedanken.
Dieser Dank geht auch an die Ministerin Frau von der
Leyen, an ihr gesamtes Haus und auch an die Fachkolleginnen und -kollegen, die immer fair und sachlich mit
uns Haushaltspolitikern zusammengearbeitet haben, damit wir möglichst viel für die Bürgerinnen und Bürger,
insbesondere für die Kinder, für die Jugend und für die
Seniorinnen und Senioren auf den Weg bringen können.
Es gilt, nicht alles kleinzureden, sondern das, was möglich ist, eins zu eins umzusetzen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Britta Haßelmann von
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Herr Staatssekretär! Lassen Sie mich zu Beginn sagen: Puh, so viele Zahlen. Ich hatte gedacht, dass wir uns hier nicht nur
wechselseitig den Haushalt vortragen und Zahlen vorstellen. Ich fange einmal so an: Aus der Feder Bertolt
Brechts stammen folgende Worte: Ist das nötige Geld
vorhanden, ist das Ende meistens gut.
Das kann man für den Einzelplan 17 nicht sagen,
auch wenn Sie jetzt gerade versucht haben, sich alles
schönzureden. Statt eines dringend nötigen Neuanfangs
steht aus meiner Sicht am Ende des Tages nur folgendes
Ergebnis: ein Kinderfreibetrag von 237,80 Euro für Besserverdienende
({0})
und ein Kindergeld in Höhe von 164 Euro für Familien,
die Einkommen beziehen.
({1})
Gerade da, wo das nötige Geld nicht vorhanden ist, nämlich in den Familien, in denen die Eltern ALG II beziehen - das war früher die Sozialhilfe -, kommt nichts an.
({2})
Ich finde, dass Sie an dieser Stelle aufhören sollten,
sich wechselseitig auf die Schulter zu klopfen und zu sagen, wie toll Sie das alles machen und dass Sie für alle
Familien etwas tun.
({3})
Sie tun nicht für alle Familien das Gleiche. Leider ist aus
dem Anspruch, dass Ihnen jedes Kind gleich viel wert
ist, nichts geworden.
({4})
Sie fördern durch Ihre Maßnahmen nicht jedes Kind in
gleicher Weise.
Sie sind mit dem hohen Anspruch angetreten: Wir
überprüfen die Familienleistungen. Wir richten ein Familienkompetenzzentrum ein.
({5})
Wir stellen das alles auf ganz neue Füße. Alles wird viel
gerechter. - Was ist am Ende geblieben? Der Kinderfreibetrag erhöht sich. Das Kindergeld erhöht sich. Das ist
selbstverständlich und keine Großtat der Großen Koalition.
({6})
Wie wollen Sie es politisch durchhalten, das Kindergeld
nicht zu erhöhen? Das ist eine logische Folge der Kinderfreibetragserhöhung. Das ist keine besondere Wohltat. Das könnten Sie den Zuhörerinnen und Zuhörern ruhig erklären.
({7})
Natürlich ist die Kindergelderhöhung für die Familien
gut, die dieses Geld bekommen. 10 Euro mehr bedeuten
möglicherweise ein bisschen mehr Spielraum für
kleinste Kleinigkeiten in ihrem Familienbudget. Aber
dennoch werden davon sehr viele Kinder nicht profitieren, weil sie das Geld nicht erreicht. Hier ist kein Neuanfang gemacht worden. Sie haben hier hohe Erwartungen
geweckt und hehre Versprechungen abgegeben. Aber am
Ende stehen nur wenige Maßnahmen. Wir wollen an dieser Stelle doch ein bisschen Bescheidenheit an den Tag
legen.
({8})
Wir reden seit drei Jahren über die Kinderregelsatzerhöhung. Wir reden seit Jahren über die Frage der Investitionen in Infrastruktur, jüngst beim Bildungsgipfel;
den Etat des entsprechenden Ministeriums haben wir
gestern diskutiert. Frau Ministerin, Sie müssen sich eingestehen, dass auch Ihre Maßnahmen nicht dazu führen,
dass die gesellschaftlichen Gräben und die Ungleichbehandlung von Kindern und Familien nicht kleiner,
sondern größer werden und sich vertiefen. Das ist im
Grunde genommen ein Armutszeugnis für die Große
Koalition.
({9})
Da hilft aus meiner Sicht auch kein Schulstarterpaket.
Schauen Sie sich das Schulstarterpaket an! Was ist denn
die Botschaft? Die Botschaft ist: Wir führen bis zur
10. Klasse eine Maßnahme durch, aber von der 11. bis
zur 13. Klasse nicht. Was heißt das bildungspolitisch?
Kinder aus ärmeren Familien machen kein Abitur, oder
was bedeutet das? Ich finde, Sie sollten sich einmal fragen, welche bildungspolitische Botschaft das ist.
({10})
Lassen Sie mich jetzt zum bürgerschaftlichen Engagement kommen. Welche Kraft hat es gekostet, über die
Frage der notwendigen Arbeit der Selbsthilfegruppenbewegung und der NAKOS hier im Land zu diskutieren.
Ich kann Ihnen sieben verschiedene Begründungen des
Ministeriums nennen, warum wir keine Förderung mehr
brauchen. Dabei gibt es 3 Millionen Menschen, die sich
in diesem Bereich engagieren. Ich bin froh, dass Sie aufgrund des öffentlichen Drucks und aufgrund der ganzen
Diskussionen, die es in dem Bereich gegeben hat, noch
in allerletzter Minute die Kurve gekriegt haben und sich
jetzt entschließen, die Selbsthilfebewegung doch noch
zu fördern. Ich glaube, alles andere hätte riesengroßen
Schaden angerichtet; denn Sie können sich in Sachen
bürgerschaftliches Engagement nicht von einem Wettbewerb zum nächsten und von einer Preisverleihung zur
nächsten hangeln, am Ende aber auf einem so wichtigen
Feld nichts tun.
({11})
Ein zweiter Punkt ist für mich die Frage, wie Sie eigentlich mit dem bürgerschaftlichen Engagement umgehen, wenn es konkret wird. Ich erinnere an das, worüber
wir gestern beraten haben, nämlich über die
400 000 Euro, die wir für den Zug der Erinnerung brauchen. Die hätten wir aus dem Gesamtbudget finanzieren
können. In dieser Arbeit steckt ganz viel bürgerschaftliches Engagement. Die Große Koalition ist nicht in der
Lage, dieses Geld aufzubringen, aber es werden massenhaft Broschüren, Preisverleihungen und sonst was finanziert, und es wird viel über bürgerschaftliches Engagement geredet. Aber da, wo ganz viel bürgerschaftliches
Engagement besteht, haben wir nicht die Kraft gehabt,
etwas zu leisten und ein Zeichen für eine lebendige Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement zu
setzen. Deshalb hat Ihr Haushalt Schwächen, und zwar
massive, auf die man hinweisen muss.
({12})
Jetzt hat das Wort die Bundesministerin Dr. Ursula
von der Leyen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Politik ist sicher aufgefordert, sich immer wieder für eine offene Gesellschaft und ihren Zusammenhalt einzusetzen.
Das spiegelt der Etat 2009 auch wider, auch wenn er ein
trockenes Zahlenwerk ist. Deshalb gleich vorweg, Frau
Lenke: Ich weiß, dass Sie den Haushalt gut kennen und
dass Sie auch die Prozesse und die Dinge, die wir im Familienausschuss beraten, gut kennen. Ich nehme aber mit
einiger Verblüffung zur Kenntnis, dass Sie einfach nicht
wahrnehmen wollen, dass die Durchforstung und die
Analyse, die systematische Aufarbeitung der Familienleistungen längst ein Prozess ist, der läuft, und dass
diese wissenschaftlichen Aufgaben im Übrigen mit dem
Bundesfinanzminister nicht nur abgestimmt sind, sondern mit ihm gemeinsam finanziert werden. Das ist nicht
etwas, das man soeben einmal innerhalb von sechs Monaten so hinwirft.
({0})
Sie haben inzwischen den Arbeitsbericht bekommen. Sie
wissen, dass das ein längerer Prozess ist. Der Übergang
vom Erziehungsgeld zum Elterngeld, der neue Kinderzuschlag, das gestaffelte Kindergeld und der Ausbau der
Infrastruktur in der Kinderbetreuung sind Ergebnisse,
die sich sehen lassen können. Ich glaube, Sie sollten das
einfach einmal zur Kenntnis nehmen, wenn ich auch
weiß, dass ich Ihnen dadurch ein Argument wegnehme,
das Sie immer wieder anbringen.
({1})
Man spricht in der Tat von der offenen Gesellschaft,
vom Zusammenhalt der Gesellschaft und davon, am Anfang Hürden abzubauen, damit Menschen für sich überhaupt Perspektiven sehen, eine Familie zu gründen. Ein
Synonym dafür ist das Elterngeld. Ich kann mich an den
Anfang erinnern, liebe Renate Schmidt. Welch ein
Kampf war es, erst einmal Offenheit im Kopf zu schaffen, damit der Gedanke an das Elterngeld angenommen
wurde. Jetzt ist es seit 2007 da, und es ist auf
4,4 Milliarden Euro angewachsen. Das ist eine stolze
Summe. Ich weiß, dass Sie, Herr Fricke, ab und zu wegen des stetigen Anwachsens des Elterngeldes die Stirn
runzeln. Ich rufe Ihnen zu: Weil mehr Kinder geboren
werden und weil mehr junge Väter Elternzeit nehmen,
müssen wir immer wieder das Elterngeld erhöhen. Das
ist das Beste, was einem Land überhaupt passieren kann.
({2})
Genauso eindeutig ist der Kinderzuschlag. Inzwischen wurde er auf 374 Millionen Euro erhöht. Er ist
nicht nur deshalb so wichtig, weil dadurch 250 000 Kinder aus Hartz IV geholt werden, sondern auch, weil er
das eindeutige und ermutigende Signal an ihre Eltern
aussendet: zu arbeiten ist immer besser als nicht zu arbeiten. Wenn es für das eigene Einkommen reicht, dann
sollt ihr nicht wegen der Kinder in Armut rutschen. Frau
Golze, deshalb sage ich - ob Sie es wahrnehmen wollen
oder nicht -: Gerade für Alleinerziehende ist der Kinderzuschlag deutlich verbessert worden. Alleinerziehende
haben das Recht, das zu wählen, was in ihrer spezifischen Lebenssituation besser ist.
Noch ein Satz zu den Alleinerziehenden. Wir haben
gesehen, dass durch die Einführung des Elterngeldes im
Jahr 2007 - es hilft gerade Alleinerziehenden - die Zahl
der jungen Mütter, die nach der Geburt eines Kindes in
Hartz IV rutschen, um 5 Prozent gesunken ist. Nehmen
Sie diese Dinge einfach einmal zur Kenntnis! Es heißt,
Mut zur Gründung einer Familie zu machen und auch
dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen ihren Lebensunterhalt selber verdienen können.
({3})
Sie sprechen zu Recht über Kinder, die auf der Schattenseite des Lebens geboren werden. Frau Golze, Sie haben wahrscheinlich nicht wahrgenommen, wie viel auch
in Ihrem Bundesland, Brandenburg, gerade durch die
Frühen Hilfen, durch die Modellprojekte, die wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen durchführen,
geschehen ist. Wir wissen nämlich, dass Kinder, die von
Misshandlung und Verwahrlosung bedroht sind, nicht
ohne Weiteres nur durch die kommunale Arbeit oder nur
durch die Landes- oder Bundesarbeit gerettet werden
können; vielmehr muss es ein Netz der Frühen Hilfen
geben. Da ist im letzten Jahr viel geschehen.
Inzwischen haben fast alle Bundesländer das verbindliche Einladewesen. Neu ist bei uns die Früherkennungsuntersuchung U 7 a im dritten Lebensjahr. Die Familiengerichte sind gestärkt worden. Das entsprechende Gesetz
ist hier im Bundestag verabschiedet worden. Das Kinderförderungsgesetz ist verabschiedet. Das Kinderschutzgesetz ist jetzt in der Ressortabstimmung. Das alles ist innerhalb eines Jahres geschehen. Nehmen Sie es
einfach zur Kenntnis! Es ist für uns alle bedrückend,
Kinder auf der Schattenseite zu erleben; aber wir tun etwas. Ich rufe alle auf, die mitmachen wollen, dieses Netz
der Frühen Hilfen gemeinsam zu knüpfen.
({4})
Vorsorgende, ermutigende Politik hat die Aufgabe, in
allen Lebensabschnitten und Lebenssituationen Möglichkeiten zu geben. Das gilt für die Bildungschancen aller Kinder; das gilt genauso für die Erwerbschancen ihrer Eltern. Deshalb hat die Große Koalition eine Bresche
für den Ausbau der Kinderbetreuung geschlagen. Das ist
jetzt in den Kommunen angekommen. Für das Jahr 2008
sind bereits 333 Millionen Euro angemeldet.
Frau Ministerin, darf ich Sie kurz unterbrechen? Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert?
Gerne.
Bitte schön.
Frau Ministerin, Sie haben gerade aufgezählt, was alles für Kinder auf der Schattenseite usw. gemacht wird.
Wieso enthält Ihr Haushalt nicht einen einzigen Posten,
der die Umsetzung der UNO-Konvention zum Schutz
der Rechte von Menschen mit Behinderungen vorsieht, die wir wahrscheinlich in der nächsten Woche
- wenn auch zu sehr später Stunde - mit großer Einmütigkeit beschließen, also ratifizieren werden? Warum
enthält Ihr Haushalt keinen einzigen Posten, durch den
Kinder mit Behinderungen, Frauen mit Behinderungen,
Familien, die von behinderten Menschen gegründet werden, gefördert werden sollen? Die UNO-Konvention
schreibt vor, was die Staaten zu tun haben: dass Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben
tatsächlich teilhaben können. Gerade das ist der Paradigmenwechsel, der durch diese UNO-Konvention eingeleitet wird. In Ihrem Haushalt, in dem all diese Punkte eigentlich berücksichtigt sein müssten, kommt das alles
nicht vor. Wieso beachten Sie solche Dinge überhaupt
nicht?
Es kommt in unserem Haushalt nicht spezifisch vor,
weil die Hilfen für Menschen mit Behinderungen in anderen Ressorts angesiedelt sind.
Ich nehme als Beispiel nur das Thema „Ausbau der
Kinderbetreuung für unter Dreijährige“. Da sind integrative Gruppen eine der großen Chancen, die sich für Kinder mit Behinderungen eröffnen. Bei diesem Thema
sage ich immer wieder: Die Türen müssen aufgemacht
werden, damit Kinder mit Handicaps und Kinder ohne
Handicaps unvoreingenommen miteinander den Weg ins
Leben gehen können. Herr Seifert, Sie werden nicht einen einzelnen Posten dafür finden; vielmehr geht es darum, die Fülle der Aufgaben zu sehen und immer wieder
den Blick auf die Menschen mit Behinderungen zu werfen.
Ich war bei dem Thema „Ausbau der Kinderbetreuung“. Ich sagte: Es ist jetzt bei den Kommunen angekommen. Heute sind für das Jahr 2008, also für das laufende Jahr, 333 Millionen Euro angemeldet, obwohl das
Gesetzespaket gerade erst einige Wochen alt ist. Insofern
zeigt sich, dass die Botschaft angekommen ist und dass
auch die Bereitschaft der Kommunen, nachdem mittlerweile sämtliche Verwaltungsvereinbarungen der Länder
getroffen worden sind, vorhanden ist, den Ausbau der
Kinderbetreuung voranzubringen.
Frau Golze, auch da gilt: Bitte, sagen Sie doch die
volle Wahrheit! Wenn es 2013 für alle Eltern einen
Rechtsanspruch gibt, dann heißt das 100 Prozent und
nicht 35 Prozent. Der Sinn des Rechtsanspruchs ist, dass
alle Eltern eine Chance haben, einen Kindergartenplatz
zu erhalten, wenn sie es denn möchten.
({0})
Im Augenblick suchen 35 Prozent. Insofern wird jetzt
vorsorgend ausgebaut.
Wir sehen im Haushalt zusätzliche Mittel für die Qualifikation von Tagesmüttern und für betrieblich unterstützte Kitas vor. Von dieser Stelle und an diesem Punkt
noch einmal von Herzen meinen Dank an alle streitbaren
Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker, die unsere
geschätzten Haushälter beim Thema „Ausbau der Kinderbetreuung“ mitgerissen haben! Ich weiß, es war ein
ungewöhnlicher Weg. Ich weiß, es ist eine stattliche
Summe Geld; 4 Milliarden Euro wurden zur Verfügung
gestellt. Mein Dank von Herzen an dieses Parlament!
Ohne Sie wäre es nicht gegangen, meine Damen und
Herren.
({1})
Die globalisierte Gesellschaft bietet für viele Menschen Chancen, aber sie ruft bei vielen auch Ängste hervor. Das betrifft vor allem Menschen aus bildungsfernen Milieus, die sich von Aufstiegsmöglichkeiten
ausgeschlossen oder von der Gesellschaft vernachlässigt
fühlen. Das ist nicht nur so irgendein Gefühl, sondern es
bestehen reale Barrieren für diese Kinder und Jugendlichen. Deshalb wollen wir gezielt jungen Menschen, die
Probleme haben, die Schule abzuschließen, eine zweite
Chance geben. Wenn sie den Weg in die Berufswelt
nicht finden können, wollen wir in Kompetenzagenturen
ihre Stärken zutage fördern, auch wenn diese vielleicht
unter einer dicken Schicht von Schwächen, Unzulänglichkeiten oder negativen Lebenserfahrungen verborgen
sind.
143 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds stellen wir in den nächsten drei Jahren für die insgesamt 400 Standorte für die Programme „Schulverweigerung“ und „Kompetenzagenturen“ zur Verfügung. Es
geht um die Kompetenz, die eigenen Fähigkeiten zu erkennen und zu entwickeln, um dann am Arbeitsmarkt
eine reelle Chance zu haben. Deshalb auch die
53 Millionen Euro aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans für die Integration von Jugendlichen! Ich freue
mich sehr, dass es gelungen ist - dafür bin ich auch
dankbar -, eine weitere Million Euro einzustellen, um
diese Mittel zu verstärken. Wir brauchen diese jungen
Menschen im Land.
An dieser Stelle noch einmal zur Otto-Benecke-Stiftung. Damit das in diesem Raum klar ist: Wir übernehmen jetzt 28 Beschäftigte mit ihren Kompetenzen beim
Thema Integration in diese Integrationsarbeit vor Ort.
Wir wollen nicht, dass diese Kompetenzen verloren gehen. Aber Tatsache ist, dass die Zahl der Aussiedlerinnen und Aussiedler dramatisch zurückgegangen ist. Deshalb ist es richtig, die Kompetenzen der Beschäftigten
anderweitig zu nutzen, die Menschen weiterhin zu beschäftigen und damit die Integration vor Ort allgemein
und nicht nur die Integration der Aussiedlerinnen und
Aussiedler voranzutreiben.
Ebenso drastisch wie bei den jungen Menschen fordert der demografische Wandel auch eine Neubewertung
der Fähigkeiten, Erfahrungen und der Verantwortung älterer Menschen. Die älteren Menschen werden in absehbarer Zeit einen Großteil, wenn nicht die Mehrheit
der Bevölkerung stellen. Deshalb fördern wir das Thema
„Wirtschaftskraft Alter“ und das Thema „Aktiv im Alter“. Es geht um ehrenamtliches, bürgerschaftliches
Engagement im Alter. Wir brauchen mehr bürgerschaftliches Engagement. Jeder kann mitmachen, egal woher
er kommt. Vom Sofa aufstehen muss jeder allein, aber
dann - das ist das Entscheidende - müssen auch Orte da
sein, an die die Menschen gehen und sich engagieren
können. Da sprechen die 500 Mehrgenerationenhäuser
im Land eine ganz lebendige Sprache. Dazu gehört das
jetzt erweiterte, bereits erwähnte Programm „Freiwilligendienste aller Generationen“. Das sind Pionierprojekte, die hoffentlich eine deutliche Vorbildfunktion im
Land entfalten werden.
Das bürgerschaftliche Engagement muss Spaß machen - sonst kommt keiner -, und es muss gewürdigt
werden; sonst bleibt keiner. Das bleibt auch das große
Thema bei der Förderung der Qualifizierung der ehrenamtlichen Demenzbegleiter. Deshalb sagt unsere Initiative ZivilEngagement sehr deutlich: Schiebt die Puschen
in die Ecke, wir brauchen euch!
„Alter ist etwas Herrliches“, sagt Martin Buber,
„wenn man nicht verlernt hat, anzufangen!“
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Otto Fricke von der FDPFraktion.
({0})
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn es einfach wäre, jetzt zu
sagen: „Ich mache bei diesem Schönen und Guten mit“,
bleibe ich als Haushaltsausschussvorsitzender doch dabei: Ja, es ist richtig, das Elterngeld auszubauen. Ja, es
ist richtig, mehr Geld für Kinder zu geben. Ja, es ist richtig, für die Schwachen in unserer Gesellschaft mehr
Leistungen von den Starken zur Verfügung zu stellen.
Aber eines muss man bei diesem Haushalt für die Zuhörer, die jetzt hier sind oder die am Fernseher sind, sagen:
Immer daran denken: Geld ist endlich. Das geht nicht,
wie von den Linken immer gesagt wird: Mehr Geld für
alle von niemandem. - Irgendwo muss das herkommen.
Ich erwarte von Familienpolitikern und von Ihnen, Frau
Ministerin - Sie wissen es -, dass gesagt wird: Vorsicht!
Wo ist die Grenze dessen, was wir als Gesellschaft können? Wenn wir nämlich weiter so agieren, dass wir uns,
sobald schlechte Zeiten kommen, immer wieder über
alle Maßen verschulden, ohne vorher Reserven geschaffen zu haben, dann nützt das den Kindern überhaupt
nichts; denn die Schulden, die wir heute machen, müssen
entweder unsere Kinder später abbezahlen, oder uns
fehlt, wenn wir sie abtragen, das Geld für Bildungs- und
Forschungsausgaben, die nötig sind, um eine Zukunft zu
gestalten, auf die unsere Kinder Anspruch haben.
({0})
Ich weiß, es ist immer leicht und schön, nur für das
Gute zu sprechen und Leistungen einzufordern. Aber
man muss aufpassen. Dem Elterngeld als Grundleistung
- Sie haben es gesagt - stimmen wir zu. Aber nach dem,
was Sie und Ihr Haus gemacht haben - erst wird mehr
Elterngeld gefordert, dann kommt man gegen Ende des
Jahres wieder und spricht davon, dass mehr Erziehungsgeld nötig ist, und verweist dabei darauf, dass die Länder
es nicht entsprechend abgefordert haben -, bin ich sehr
gespannt, was noch kommt.
({1})
Am Ende steckt dahinter wahrscheinlich eine einfache
Theorie: Beim Elterngeld, beim Erziehungsgeld, bei
Leistungen für Kinder kann ich ruhig etwas weniger veranschlagen. Keiner in diesem Parlament wird nachher
sagen: Wir zahlen das Geld nicht und kürzen die Leistung. - So etwas ist verfehlte Haushaltspolitik, denn
wenn Sie den Haushalt zu niedrig veranschlagen, trägt
das dazu bei, dass an anderer Stelle mehr Geld ausgegeben wird. Ich erhoffe mir, dass die Zahlen für das Jahr
2009 besser sind. Ich bin mir nicht sicher, ich bin aber
gespannt. Wir werden es am Ende sehen. Es wird sozusagen Ihre kleine Meisterprüfung sein, ob Sie es wenigstens für dieses Jahr hinbekommen.
({2})
Kommen wir zur Kindergelderhöhung. Ja, wir alle
haben sofort gesagt, sie ist richtig und gut trotz des Problems, ob es korrekt ist, das erhöhte Kindergeld gegen
andere staatliche Leistungen gegenzurechnen. In diesem
Zusammenhang müsste man eigentlich über die Bundesratsbank reden. Was passiert denn im Moment? Was machen denn CDU-Minister landesweit? Was machen denn
die SPD-Länderminister? Die sagen auf einmal: Ich bin
für eine Kindergelderhöhung, aber bezahlen will ich sie
als Landesminister nicht, auch wenn ich bisher immer
daran beteiligt war. - Frau Ministerin, hier kommt auf
Sie harte Arbeit zu. Sie können nicht nur einfach das
Finanzministerium agieren lassen und es auffordern: Ihr
müsst euch dagegen wehren. - Beim Kindergeld und
beim Kinderfreibetrag sind die Länder und Kommunen
genauso beteiligt, wenn es wie bisher eine gesamtstaatliche Aufgabe sein soll. Dafür müssen Sie sorgen. Es darf
nicht sein, dass der Bund diese nachher alleine bezahlt.
Die Länder sich hier aus der Verantwortung stehlen zu
lassen, wäre unverantwortlich gegenüber unserer Gesellschaft.
({3})
Sie haben eben so schön von Evaluierung gesprochen,
als Sie auf den Einwand von der Kollegin Lenke reagiert
haben. Jeder hat jetzt den Eindruck, Sie hätten eine Evaluierung gemacht. Das stimmt zwar, aber es ging folgendermaßen - ich verkürze das etwas -: Ursprünglich
wollte man die Leistungen, die es gab, evaluieren und
dann schauen, welche falsch ist. Die Grundfrage war ja,
warum wir so viel Geld für Kinder und Familien ausgeben, aber so wenig davon im Lande ankommt.
({4})
Jetzt Achtung! Wie lautete die Antwort der Sachverständigen? Sie lautete nicht: Diese Leistung ist falsch, jene
Leistung müsste verändert werden. Die Antwort lautete:
Da brauchen wir mehr, hier wäre es besser, noch ein wenig mehr zu haben, dort wäre es wichtig, ganz viel mehr
zu haben. - Nicht einmal wurde gesagt: Eine Leistung ist
falsch, unnötig oder Derartiges. Das war doch keine
Evaluierung, was da gemacht worden ist, sondern ein
reines Wünsch-dir-was-Programm.
({5})
Ich gehe kurz auf die Otto Benecke Stiftung ein. Sie
haben diesen Punkt angesprochen und gesagt, dass die
Leute übernommen werden. Das betrifft aber nur die
Fachleute. Was geschieht mit den anderen, die jetzt
Ängste haben, weil Sie die Stiftung nicht weiter finanzieren wollen? Ich gestehe ja zu - das ist ja vollkommen
richtig -, dass die Otto Benecke Stiftung in dem Bereich,
wo sie bisher arbeitete, nicht mehr arbeiten kann. Sie
will das ja auch gar nicht mehr. Das hat sie von sich aus
gesagt. Bitte kümmern Sie sich aber auch um die genannten Personen. Der Haushaltsausschuss wird mit Sicherheit ein genaues Auge darauf haben - das sage ich
jetzt auch im Namen meiner Mitberichterstatter -, was
da passiert.
Ich will noch kurz auf die Erbschaftsteuer zu sprechen kommen. Ich finde es sehr bemerkenswert, dass Sie
als Familienministerin das dort verankerte Prinzip der
Kernfamilie haben durchgehen lassen.
({6})
Ich habe Sie immer so verstanden, dass Sie Ihre Partei
dahin gebracht hätten, einzusehen, dass der Begriff der
Familie viel vielschichtiger ist: Es gibt die PatchworkFamilien, Unterschiede aller Art.
({7})
Aber jetzt kommt Ihre Partei und sagt: Nein, bei der Erbschaftsteuer erkennen wir nur ein Modell von Familie
an, das steuerrechtlich bevorzugt wird. Ich halte das für
einen großen Schritt zurück. Ich verstehe das nicht.
Hierzu hätte ich gerne mehr von Ihnen gehört.
({8})
Zum Schluss meiner Rede
({9})
möchte ich etwas zum Schluss des Lebens sagen. In der
Politik gibt es ein hohes Engagement von Senioren. Bei
meinen Bürgergesprächen und beim Zusammentreffen
mit Besuchergruppen erlebe ich es immer wieder, dass
hier sehr viel kommt.
({10})
- Da kommt es wieder. Ich trage doch als 43-Jähriger
nicht nur Verantwortung für meine drei Kinder. Ich trage
auch Verantwortung für meine Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten usw. in höherem Alter. Hier zu sagen, das
müsste man trennen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
halte ich für völlig falsch. Man steht in der Mitte des Lebens, und das heißt, man trägt für alle Generationen Verantwortung.
Ich möchte insbesondere auf ein Thema ganz kurz hinaus, nämlich auf die Patientenverfügung. Kein Thema
wird mir gegenüber von Senioren häufiger angesprochen
als die Patientenverfügung. Ich will jetzt nicht die Position darstellen, für die ich stehe, aber ich will ganz bewusst sagen, dass es hier bei den Bürgern sehr viele
Ängste und einen unglaublichen Bedarf gibt, diese
Ängste abzubauen. Die Bürger sorgen sich, ob man in
ihr Leben hereinreden wolle bzw. was sie tun können,
damit man sie nicht so lange wie möglich an irgendwelche Apparate anschließt. Wir müssen hier dringend etwas tun. Eine Ministerin, die für Senioren zuständig ist,
muss, auch wenn dieses Problem jedes Ressort betrifft,
an dieser Stelle irgendwann bekennen, wo sie hin will,
was sie für die Senioren tun will.
Alles in allem: Der Haushalt könnte besser sein. Es
sind noch viele Aufgaben zu erledigen; ich bin gespannt,
wie Sie das bis zum Ende der Legislaturperiode hinbekommen wollen. Danach werden Sie einen neuen Koalitionspartner benötigen, der Ihnen dabei ein bisschen
mehr auf die Beine hilft. Welcher das ist, können Sie
sich denken.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Spanier von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über die Fakten des Einzelplans 17, Familienministerium, ist hier ausreichend informiert worden. Weil es
sich um den letzten Haushalt in dieser Legislaturperiode
handelt, gestatte ich mir, die Gelegenheit zu nutzen, eine
Art Bilanz zu ziehen.
Zunächst einmal stelle ich fest: Es gab auf diesem politischen Feld durchaus eine konstruktive Zusammenarbeit in der Koalition
({0})
und auch - das will ich gern einräumen, Frau Lenke eine konstruktive Diskussion mit den Oppositionsfraktionen.
Natürlich sind nicht alle Erwartungen erfüllt worden.
Aber wir - das ist das Entscheidende - haben große
Schritte in die richtige Richtung gemacht.
({1})
Wir haben einen Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Familienpolitik eingeleitet. Dass Sie, Frau
Lenke, Sie, Frau Golze, und Sie, Frau Haßelmann, die
Bilanz anders sehen, kann ich nachvollziehen.
({2})
Aber insgeheim werden Sie mir sicherlich recht geben.
({3})
Wir haben einen Familienbegriff zugrunde gelegt, der
nicht nur die Tatsache berücksichtigt, dass Eltern und
Kinder zusammenleben, sondern darüber hinaus vom
Zusammenleben mindestens dreier Generationen ausgeht. Dies war ein wichtiger Paradigmenwechsel, weil er
der demografischen Entwicklung Rechnung trägt und
den Zusammenhalt der Generationen betont.
({4})
Ich nenne die wichtigsten Punkte. Wir haben das
Ganztagsschulprogramm fortgesetzt: 6 500 Grundschulen in Deutschland mit dem offenen Ganztag. Das
sind noch keine Ganztagsschulen;
({5})
aber das hat im Bewusstsein und in der politischen Diskussion eine wirklich nachhaltige Änderung gebracht.
Die Widerstände, die es vor allen Dingen aus den Reihen
der Union vor Ort über Jahrzehnte gegeben hat, sind aufgebrochen worden. Dies gibt uns Zuversicht, dass wir
das Instrument der Ganztagsschulen nutzen können, weil
es besondere Fördermöglichkeiten für benachteiligte
Kinder gewährleistet.
({6})
Das Kinderförderungsgesetz ist ein Meilenstein. RotGrün hat mit dem Tagesstättenausbaugesetz den Anfang
gemacht und das ehrgeizige Ziel verfolgt, bis 2010
20 Prozent zu erreichen. In dieser Legislaturperiode haben wir noch einmal richtig draufgelegt und das mehr als
ehrgeizige Ziel festgeschrieben, bis 2013 auf 35 Prozent
zu kommen. In diesem Zusammenhang haben wir, was
für uns Sozialdemokraten besonders wichtig war, den
Rechtsanspruch durchgesetzt.
({7})
Dies ist, gerade was wiederum die Förderung benachteiligter Kinder anbetrifft, ein echter Meilenstein. Dass
wir hier den Akzent auf die frühe Förderung gesetzt haben, ist ein ganz entscheidender Fortschritt. Dass wir dabei gleichsam als Anmerkung einen Hinweis auf das Betreuungsgeld ins Gesetz aufgenommen haben, war eine
bayerische Kröte, die nicht nur wir Sozialdemokraten,
sondern auch Sie, Frau Ministerin, schlucken mussten.
({8})
Ich gehe davon aus, dass der nächste Bundestag, dem ich
nicht mehr angehören werde, hier eine weise Entscheidung treffen und sich nicht an dem genannten Beispiel
orientieren wird.
({9})
Ganz entscheidend - dies betone ich an dieser Stelle erneut - ist, dass wir neben der Familienpolitik die Bildungspolitik an die Stelle gerückt haben, an die sie gehört.
Bildung ist in der Tat der Schlüssel. Vor über 40 Jahren
hat der Philosoph Georg Picht ein Buch über den
Bildungsnotstand geschrieben. Dieses Thema hat mich
damals als jungen Lehrer umgetrieben. Es ist beschämend und erschreckend, dass sich an dieser Situation in
40 Jahren nichts grundlegend geändert hat. Deswegen
müssen wir hier - wir tun es ja auch - einen neuen Anlauf nehmen.
Im Übrigen müssen wir uns alle, egal welchem politischen Lager wir angehören und auf welcher politischen
Verantwortungsebene wir tätig sind, an die Nase fassen,
auch wenn man ein paar Jahre Ministerpräsident des
Saarlandes war. Wir haben dieses Thema nicht angepackt; wir haben diese grundsätzliche Schwäche unseres
Bildungssystems, nämlich dass die Bildungschancen in
Deutschland von der sozialen Herkunft abhängig sind,
leider nicht beseitigt und noch nicht einmal gemildert.
({10})
Deswegen ist das Kinderförderungsgesetz ein so entscheidender Schritt nach vorne.
Das Elterngeld. Ich freue mich, dass Sie, Frau Ministerin, Renate Schmidt in diesem Zusammenhang genannt haben. Das Elterngeld ist in der Tat eine Initiative
der SPD, namentlich von Renate Schmidt. Es ist hier
schon genügend vorgestellt und gewürdigt worden. Es
hat sich in der Tat in den Köpfen der jungen Männer etwas verändert. Ich sehe es an unseren beiden Söhnen.
Sie haben eine ganz andere Einstellung zu den Kindern
und zu den Erziehungsaufgaben der Väter. Deswegen
hat es mich nicht erstaunt, dass das Angebot in einem
solch erfreulichen Umfang von den Vätern angenommen
wird.
({11})
Frau von der Leyen hat vorhin schon darauf hingewiesen, wie wichtig es war, dass wir bei den Frühen Hilfen, beim Frühwarnsystem vorangekommen sind. Ich
beobachte das auch bei mir zu Hause im Kreis Herford.
Da ist wirklich etwas in Bewegung gekommen. Der Anstoß kam von der Bundesebene. Dass das novellierte
Kinderschutzgesetz in absehbarer Zeit hier ergänzend
verabschiedet wird, sei nur noch erwähnt.
({12})
Das Kindergeld. Die Erhöhung der Freibeträge und
dementsprechend die Erhöhung des Kindergeldes waren
eine zwangsläufige Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Natürlich hätten wir Sozialdemokraten
uns eine andere Gestaltung des Kindergeldes vorstellen
können: gleicher Betrag für jedes Kind. Das ist in der
Großen Koalition nicht durchsetzbar gewesen. Das wird
sicherlich eine Aufgabe der Zukunft sein.
Es war leider genauso wenig durchsetzbar, beim Ehegattensplitting Veränderungen vorzunehmen. Der Staat
soll selbstverständlich die Ehe schützen und fördern.
Aber ich will an einem Punkt deutlich machen, wie verquer die ganze Regelung ist. Wenn beide Ehepartner
gleich viel verdienen, dann ist die steuerliche Förderung
der Ehe gleich null.
({13})
Da kann doch irgendetwas nicht stimmen. Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand.
({14})
Wir müssen da also ran. Das war aber in dieser Koalition
bislang - leider - noch nicht möglich.
({15})
Die Ausweitung des Kinderzuschlages und die deutliche Anhebung des Wohngeldes - beides gehört zusammen - zum 1. Januar 2009 sind weitere wichtige Maßnahmen, die wir in dieser Großen Koalition in diesen gut
drei Jahren auf den Weg gebracht haben. Auch das ist
ein Erfolg, den wir uns sicherlich zugute halten lassen
können.
Schulbedarfspaket. Da will ich ganz offen einräumen, dass wir es für richtig halten. Es war ein längst
überfälliger Schritt. Aber es ist uns in der Großen Koalition nicht gelungen - das möchte ich an dieser Stelle
frank und frei sagen -, die Regelsätze und die Ermittlung
der Regelsätze insbesondere für Kinder tatsächlich auf
den Prüfstand zu stellen und zu verändern. Möglicherweise wird uns ein höchstrichterliches Urteil dazu zwingen. Das scheint absehbar zu sein. Ich halte es für bedauerlich, dass womöglich erst ein Urteil uns dazu bringt,
dieses endlich zu vollziehen.
Für den Zusammenhalt der Generationen ist das
Mehrgenerationenhaus ein Beispiel und Impulsgeber.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Anträge
der Linken eingehen. Was Frau Golze hier vorgetragen
hat, klang sehr sympathisch. Eines hat sie aber vergessen. Sie hat keine Zahlen genannt. Allein die Kosten, die
die Vorschläge in Ihren beiden Anträgen zum Einzelplan 17 verursachen würden, belaufen sich auf annähernd 6 Milliarden Euro jährlich. Der gesamte Haushalt
unseres Einzelplans umfasst gerade einmal 6,3 Milliarden Euro. Das wäre also mal eben locker eine Verdoppelung.
Dazu sollen 18 Milliarden Euro Mehrausgaben jährlich für Bildung, 9 Milliarden Euro für SGB II und XII
und 38 Milliarden Euro für die Rente kommen. Ich
werde es noch erleben - wir werden noch ein halbes Jahr
Sitzungswochen im Deutschen Bundestag haben -, dass
Sie endlich Ihr Ziel erreichen werden, dass Ihre Forderungen nach jährlichen Mehrausgaben die Höhe des jetzigen Bundeshaushalts übertreffen werden. Das wäre
dann schlicht eine Verdoppelung.
Wie soll man das nennen? Ich möchte mich im parlamentarischen Rahmen bewegen. Vorhin hat uns eine Ihrer Rednerinnen Doppelmoral vorgeworfen. Ich meine,
man sollte mit solchen Vorwürfen vorsichtig sein. Ich
nenne das, was Sie hier machen, auch Doppelmoral. Das
sind wirklich Versprechungen im absolut luftleeren
Raum.
({16})
Wenn jemand irgendwo in diesem Land etwas fordert
- mag es inhaltlich auch noch so wenig begründbar
sein -, dann greifen Sie das auf, formulieren hier mal locker einen Antrag und warten eigentlich immer nur darauf, dass wir diese Anträge ablehnen müssen, weil wir
auch eine Verantwortung hinsichtlich der Finanzen und
eine Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen haben.
({17})
Herr Kollege Spanier.
Das scheinen Sie zu vergessen.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident, Entschuldigung.
({0})
Das Wort erhält jetzt der Kollege Kai Gehring von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Spanier, für Ihre nachdenklichen und
zum Teil auch selbstkritischen Worte möchte ich mich
ganz herzlich bedanken. Frau Ministerin, an Sie gerichtet, möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Obwohl Sie Kleckerbeträge draufgelegt haben, stellen Sie
sich mit diesem Haushalt im Bereich der Jugendpolitik
selber ein Armutszeugnis aus.
({0})
Weder verfolgen Sie eine Strategie gegen die zunehmende Armut von Jugendlichen, noch setzen Sie Prioritäten bei deren sozialer und beruflicher Integration. Viel
zu viele Jugendliche und junge Erwachsene befinden
sich in sinnlosen Warteschleifen oder müssen 1-EuroJobs machen. Sie sind in diesen Warteschleifen geparkt.
Das ist für die Betroffenen demotivierend und kommt
die Gesellschaft teuer zu stehen. Deshalb fordern wir,
dass der Vorrang für die Vermittlung junger Arbeitslosengeld-II-Bezieher in eine Ausbildung endlich gesetzlich festgeschrieben wird. Da fragen wir uns schon: Wo
bleibt da die Initiative der Bundesjugendministerin, zusammen mit dem Arbeitsminister und der Bildungsministerin, für diese Jugendlichen? - Sie sollten hier
nicht über den Aufstieg durch Bildung schwadronieren,
sondern Sie sollten ihn als Bundesregierung endlich organisieren.
({1})
Angesichts der Vergeudung von Lebenschancen der
Jugendlichen können Sie als Jugendministerin nicht
schweigen und wegsehen. Anstatt die jugendpolitischen
Scheuklappen bei der Arbeit in Ihrem Ministerium weiter
zu tragen, sollten Sie sich bei unseren grünen Anträgen
bedienen und unsere Vorschläge aufgreifen, die zeigen,
wie die Lage armer und benachteiligter Jugendlicher verbessert werden kann.
({2})
Frau Ministerin, Sie dürfen zum Beispiel das Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in
sozialen Brennpunkten“ nicht einfach streichen, sondern
Sie müssen es fortsetzen und fortentwickeln. Nur so
kann der Bund auch weiterhin Verantwortung dafür
übernehmen, dass es eine starke Jugendhilfe gibt und
dass mehrfach benachteiligten Jugendlichen tatsächlich
geholfen wird. Sie müssen besser unterstützt werden.
Dafür brauchen wir starke Initiativen.
({3})
Ebenso wie in der gesamten Jugendpolitik erwarten
wir auch, dass beim Zivildienst und bei den Freiwilligendiensten endlich mehr geschieht und Sie uns nicht
jedes Jahr aufs Neue Ihre konservativen Ladenhüter vorstellen. Vielmehr sollten Sie uns endlich zukunftsfähige
Konzepte anbieten. Es ist so, dass sich die Wehrungerechtigkeit in den Zeiten dieser Großen Koalition von
Jahr zu Jahr verschärft hat.
({4})
Das geht jedes Mal auf Kosten der Ausbildungschancen
junger Menschen. Da sind wir uns, die Vertreter der Opposition, völlig einig.
({5})
Es gibt in diesem Deutschen Bundestag längst eine
parlamentarische Mehrheit, um endlich aus der Wehrpflicht auszusteigen, die Freiwilligendienste massiv aufzustocken und den Zivildienst entsprechend umzuwandeln. Das ist eine Gegenkonzeption, von der ich mir
wünschen würde, dass man den Mut hat, das endlich in
diesem Land umzusetzen, um damit das Engagement Jugendlicher stärker zu fördern und anzuerkennen.
({6})
Frau Ministerin, ich würde mir auch wünschen, dass
Sie Jugendliche als Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und sie nicht bevormunden. Starten Sie endlich eine
Ausbauoffensive für demokratische Jugendarbeit in
unserem Land! Anderenfalls überlassen Sie das Feld den
Rechtsextremisten, die Jugendliche für ihre menschenverachtende Ideologie ködern wollen.
Ich finde es schade, dass Sie unsere Vorschläge, zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus
gezielt zu fördern und diesen eine direkte Antragsmöglichkeit bei der Mittelvergabe zu eröffnen, in den letzten
Jahren immer wieder aus ideologischen Gründen abgelehnt haben. Sie sind damit konzeptionslos umgegangen.
Das ist aus unserer Sicht verantwortungslos und reicht
nicht aus, um Rechtsextremismus in diesem Land wirklich zu bekämpfen und eine demokratische Jugendkultur
zu fördern.
({7})
Diese brauchen wir aber dringend; denn wir benötigen
Nachwuchs für die Demokratie.
Ein letzter Punkt. Seit Roland Koch Jugendliche mit
Migrationshintergrund skrupellos in seinem Wahlkampf
instrumentalisiert hat,
({8})
hat die Bundesjugendministerin ein Jahr lang zum
Thema Jugendgewaltprävention geschwiegen. Es ist
schon ein starkes Stück, dass Sie vorgestern zusammen
mit Herrn Schäuble einmal ganz locker eine PR-Aktion
zum Thema Jugendgewalt gestartet haben, in der Sie
zum Ausdruck bringen, dass Sie den Extremismus allein
über das Ehrenamt bekämpfen wollen. Das wird nicht
ausreichen. Da Sie gleichzeitig einzelne Programme zur
Prävention und zur Jugendarbeit auslaufen lassen, ist das
wieder nur ein typischer PR-Gag. Das reicht überhaupt
nicht aus, um eine entsprechende Jugendgewaltprävention zu betreiben.
Die Jugendlichen hierzulande haben es nicht verdient,
von Ihnen weitgehend ignoriert zu werden. Das spiegelt
dieser Haushalt wie alle vorherigen Haushalte auch wider. Das wird der jungen Generation nicht gerecht. Stellen Sie endlich Kinder und auch Jugendliche in den Mittelpunkt Ihrer Politik, anstatt sie großkoalitionär im
Regen stehen zu lassen!
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die wichtigste, erfreulichste, mutmachendste,
kurzum, die schönste Zahl im Haushalt für das kommende Jahr ist die der Steigerung der Ausgaben des
Elterngelds: 225 Millionen Euro sind für das kommende Jahr zusätzlich eingeplant. Ich glaube, da wird es
auch dem ansonsten verschlossensten Haushälter warm
ums Herz.
({0})
Warum ist das so? Diese 225 Millionen Euro werden
deshalb mehr eingeplant, weil aller Voraussicht nach
mehr Elterngeld beantragt werden wird. Mehr Elterngeld
wird deshalb beantragt, weil voraussichtlich mehr Kinder geboren werden.
({1})
Seit dem Jahr 1964 haben wir bei der Zahl der Geburten einen Rückgang zu verzeichnen; manche sprechen
auch von einem freien Fall. Seit der Einführung des Elterngelds erstmals 2007 gibt es eine Trendwende - zwar
auf einem niedrigen Niveau, aber immerhin. In diesem
Jahr hat sich die Trendwende fortgesetzt. Die Prognosen
für das kommende Jahr lassen, wie dieser Haushaltsplan
zeigt, einen weiteren Anstieg erwarten.
Das ist deshalb schön, weil wir in einer Zeit leben, in
der viele eine Krise heraufziehen sehen, in der Unheilspropheten nicht müde werden, apokalyptische Szenarien zu entwickeln. Gleichzeitig gibt es nichts Mutmachenderes, als wenn sich junge Menschen entschließen,
Kinder zu bekommen, weil sie damit ihr Vertrauen nicht
nur in die eigene Partnerschaft, sondern auch in die Zukunft unseres Landes dokumentieren.
({2})
Es wird immer an der Kindergelderhöhung im kommenden Jahr herumgemäkelt. Mindestens 120 Euro
mehr im Jahr und, je nach Kinderzahl, 240 Euro,
432 Euro oder 624 Euro mehr für Familien mit mehr
Kindern - das ist nicht nur Symbolpolitik, sondern effektiv mehr.
({3})
Natürlich kann man daran herummäkeln und fordern,
man müsse noch mehr machen. Führen Sie, liebe Kollegen von der Opposition, sich die Zahlen einmal vor Augen: Elterngeld - 300 Euro mindestens - und erhöhtes
Kindergeld zusammengenommen, das bedeutet für die
ersten zwölf Monate beim ersten Kind mindestens
464 Euro im Monat. Man kann zwar sagen, dass das immer noch zu wenig ist, aber Sie müssen doch feststellen,
dass damit die Zeit des Abwartens, der Pausen und des
Verzögerns vorbei ist. Hier wird nicht nur geredet, sondern auch gehandelt. Der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr zeigt das.
({4})
Herr Kollege Singhammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Gruß?
Sehr gerne.
Bitte schön, Frau Gruß.
Herr Singhammer, Sie haben gerade Beträge genannt,
die den Familien jetzt angeblich zur Verfügung stehen.
Sind Sie ungeachtet der Koalition in Bayern geneigt, zur
Kenntnis zu nehmen, dass die CSU zusammen mit SPD
und CDU in den letzten drei Jahren mit insgesamt
19 Steuererhöhungen dafür gesorgt hat, dass einer
durchschnittlichen vierköpfigen Familie auf der anderen
Seite 1 600 Euro mehr aus der Tasche gezogen wurden?
({0})
Sehr geehrte Frau Kollegin Gruß, wollen Sie bei Ihren
Überlegungen zur Kenntnis nehmen, dass mit dem schon
beschlossenen Kinderzuschlag, dem Schulbedarfspaket,
der Kindergelderhöhung, dem Ausbau der Kinderbetreuung,
({0})
dem beabsichtigten Betreuungsgeld und dem Umstand,
dass die Kindergartenplätze in den Ländern nach und
nach - hoffentlich - kostenfrei werden,
({1})
in den letzten Jahren wesentlich mehr passiert ist als in
den Jahren zuvor?
({2})
Sind Sie bereit, zumindest zuzugestehen, dass nach sieben Jahren der Durststrecke in Bezug auf Kindergelderhöhungen im kommenden Jahr das Kindergeld endlich
wieder erhöht wird?
({3})
Erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage der Frau
Gruß?
Ich würde jetzt gerne weitermachen.
({0})
An dieser Stelle sage ich aber auch: Geld allein ersetzt nicht mehr Kinderfreundlichkeit in unserem Land.
Ohne Geld und ohne einen Ausgleich für die ständig
steigenden Kosten ist mehr Kinderfreundlichkeit aber
schwer vorstellbar.
Ich freue mich, dass es nach vielen Jahren des Stillstands, nach mehr als zehn Jahren gelungen ist, bei den
Mitteln für die Stiftung „Mutter und Kind“
5 Millionen Euro draufzusatteln.
({1})
Dabei geht es nicht um Nebensächliches, sondern darum, jemandem zu helfen, der sich in einem schwierigen
Abwägungsprozess befindet. Es geht darum, schwangeren Frauen eine finanzielle Unterstützung anzubieten.
({2})
An dieser Stelle sage ich aber auch: Wir wissen, dass
alle Steigerungen im Haushalt, dass alle staatlichen
Maßnahmen nicht das aufwiegen können, was die Eltern
an Fürsorge, Liebe und Erziehung ihren Kindern angedeihen lassen.
({3})
Deshalb sage ich gerade in einer Haushaltsdebatte: Das,
was wir vorhaben, sind keine Almosen, sind keine Wohltaten.
({4})
Das ist das, was der Staat den Familien schuldet. Wir sagen den Familien, die wesentlich mehr leisten, die wesentlich mehr tun, gleichzeitig Danke schön. Ich denke
an die Mütter und die Väter, die heute früh, an diesem
Donnerstag, früher als ihre Kinder aufgestanden sind,
um ihnen ein Pausenbrot zu machen. Ich denke an die
Eltern, die sich krummlegen und ein paar Stunden länger
arbeiten, damit ihre Kinder es besser haben. Ich möchte
diesen Eltern im Rahmen der Haushaltsberatungen an
dieser Stelle sagen: Danke schön. Ohne eure Leistung
wäre das alles nichts. Wir brauchen euch.
Danke.
({5})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat das Wort
der Kollege Sönke Rix von der SPD-Fraktion.
Schönen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Singhammer, natürlich muss die Politik den Eltern
danken. Wir müssen aber auch den engagierten Menschen in den Kindertagesstätten und den Ganztagsschulen, die sich um die Kinder kümmern, immer mal wieder
Danke sagen. Ich glaube, es ist ein Gesamtkunstwerk,
dass wir uns alle gemeinsam als Gesellschaft um die
Kinder kümmern.
({0})
Im Rahmen der Haushaltsberatungen, nachdem der
Regierungsentwurf vorgelegen hat, haben wir ein paar
Veränderungen gemeinsam innerhalb der Koalition vorgenommen. Ich will hier auf einige eingehen, die die
Vorredner schon genannt haben.
Wir nehmen mehr Geld in die Hand für die generationenübergreifenden Freiwilligendienste bzw. die - sie
heißen jetzt anders - Freiwilligendienste aller Generationen. Wir alle gemeinsam haben erkannt, dass es hier
gute Ansätze gibt, um nicht nur junge Menschen für
Freiwilligendienste zu begeistern, sondern eben auch ältere Menschen. Deshalb sind eine Verdoppelung der Projekte und 750 000 Euro mehr ein sehr guter Ansatz.
({1})
Leider hat es vorher im Haushalt eine Kürzung im
Bereich NAKOS - das ist die Organisation, die den
Selbsthilfegruppen Infrastruktur bietet - gegeben. Die
hier vorgesehenen 260 000 Euro sind wenig Geld im
Verhältnis zum großen Haushalt. Man hätte diese Strukturen, die Selbsthilfegruppen, die so sinnvoll sind, beinahe zerschlagen. Auf Druck der SPD haben wir dieses
Geld wieder in den Haushalt eingestellt. Ich finde, wir
haben da eine gute gemeinsame Leistung erbracht.
({2})
Auch die Mittel für die Bekämpfung des Rechtsextremismus und des Antisemitismus haben wir nicht
gekürzt. Wir haben in dieser Legislaturperiode - das war
erst vor ein paar Wochen - einen Antrag zum Thema
Antisemitismus verabschiedet. Darin haben wir die Forderung aufgestellt, dass wir die Projekte, die im Moment
zum Thema Antisemitismus laufen - das sind die Projekte gegen rechts, für Demokratie und für Toleranz -,
daraufhin prüfen, ob wir sie verstetigen, ob wir eine dauerhafte Förderung vorsehen. Hier haben wir einen riesigen Schritt getan. Ich hoffe, wir kommen da gemeinsam
zu guten Zielen.
({3})
Wenn ich über den KJP, über den Bereich Jugend,
spreche, dann muss ich erwähnen, dass wir 1 Million
Euro mehr für Jugendliche mit Migrationshintergrund, für Projekte, die sich speziell um diese Jugendlichen kümmern, haben einstellen können. Das ist ein guter Ansatz. Im KJP sind auch die Mittel für die
Jugendverbandsarbeit enthalten. Wir sagen, wenn wir
dort zu Gast sind, immer gern, dass die Verbände ein
wichtiger und starker Partner für die Arbeit des Jugendund Familienministeriums sind. Deshalb bitte ich umso
stärker, bei der Verteilung der Mittel für die Jugendverbände darauf zu achten, dass sie weiterhin ein starker
Partner bleiben, auch wenn sie manchmal kritische Meinungen gegenüber unserer Politik äußern.
({4})
In einem Punkt waren wir uns in der Großen Koalition leider nicht einig. Wir haben in der, glaube ich, vorSönke Rix
letzten Legislaturperiode einen Beschluss gefasst, dass
mehr Mittel für Freiwilligendienste, für in diesem Rahmen tätige Jugendliche bereitgestellt werden sollen. Wir
haben in den letzten Jahren nur zaghaft ein paar Millionen draufgelegt. Die Trägerorganisationen und die Einrichtungen hätten es verdient, dass wir hier deutlich
mehr Mittel in die Hand nehmen und nicht immer nur in
Sonntagsreden sagen, wie wichtig das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr sind.
Nein, hier hätten wir an die Trägerorganisationen und
vor allen Dingen an die Jugendlichen selbst ein Signal
setzen können. Wir hätten ihnen sagen können: Hier
macht ihr gute Arbeit; das ist ein guter Punkt. Wir haben
uns leider mit der Union nicht einigen können, mehr
Mittel dafür zur Verfügung zu stellen.
({5})
Aber hier ist noch nicht aller Tage Abend. Wir haben
noch Gelegenheit, in dem Bereich mehr Mittel zur Verfügung zu stellen.
({6})
In der vergangenen Debatte war öfter das Schulbedarfspaket angesprochen worden. Es wurde zu Recht
kritisiert, dass es für Schüler im 11., 12. und 13. Jahrgang nicht gelten soll. Dies ist ein zweiter Punkt, bei
dem wir uns mit der Union leider nicht einigen konnten.
Für die Sozialdemokraten ist klar: Auch Kinder aus Familien mit Geringverdienern haben das Anrecht, Abitur
zu machen. Deshalb sollten wir das Schulbedarfspaket
auf Schüler des 11., 12. und 13. Jahrgangs ausweiten;
auch für diese Schüler sollte es gelten.
({7})
Es ist schön, wenn man einmal vor einem so vollen
Haus sprechen darf; aber meine Redezeit ist abgelaufen.
Ich hätte noch jede Menge Punkte nennen können, bei
denen wir uns einig sind oder vielleicht auch nicht einig
sind. Aber wir machen trotzdem immer wieder richtige
und gute Schritte im Bereich der Familien- und Jugendpolitik. Ich finde, daran sollten wir alle gemeinsam weiterarbeiten.
Schönen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11058? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11051? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist ebenfalls bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11057. Die Fraktion
Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich
bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, ihre Plätze
einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung vorliegt, unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den dritten Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke zum Einzelplan 17, Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, bekannt: abgegebene Stimmen 526. Mit Ja haben gestimmt 40, mit Nein haben gestimmt 486. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 526;
davon
ja: 40
nein: 486
Ja
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({0})
Volker Schneider
({1})
Dr. Petra Sitte
Alexander Ulrich
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({4})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({19})
Gerald Weiß ({20})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({21})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({35})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({37})
Silvia Schmidt ({38})
Renate Schmidt ({39})
Heinz Schmitt ({40})
Carsten Schneider ({41})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({42})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({43})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
({44})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({45})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({46})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({47})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({48})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({49})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({50})
Birgitt Bender
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({51})
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({52})
Markus Kurth
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({54})
Manuel Sarrazin
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Damit kommen wir nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-
für? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte VII a und b sowie
Zusatzpunkt 3 auf:
VII a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Humanitäre Entschädigungslösung für mit
HCV infizierte Hämophilieerkrankte schaffen
- Drucksache 16/10879 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({55})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({56}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({57})
Energiespeicher - Stand und Perspektiven
Sachstandsbericht zum Monitoring „Nachhaltige Energieversorgung“
- Drucksache 16/10176 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({58})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neuer Schwung für die Klimaverhandlungen Poznan zum Erfolg machen
- Drucksache 16/11024 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({59})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen, wobei die Vorlage auf Drucksache 16/10176
federführend beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie beraten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/11024 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, zur Mitberatung an den
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte VIII a bis o auf. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt VIII a:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes
({60})
- Drucksache 16/7252 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({61})
- Drucksache 16/10690 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({62})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10690, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7252
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Geschäftsführer, aufpassen! - Es stimmt also keiner zu. Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Was machen Die
Linken? ({63})
Wünschen Sie, dass ich die Abstimmung wiederhole?
({64})
- Stimmt, Herr Tauss; da gebe ich Ihnen ausnahmsweise
recht.
({65})
Wir wiederholen also die Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt VIII b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den
unlauteren Wettbewerb
- Drucksache 16/10145 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({66})
- Drucksache 16/11070 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11070, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10145 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({67}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Michael Link ({68}), Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Das Instrument der Wahlbeobachtungen
durch die OSZE darf nicht geschwächt werden - ODIHR muss handlungsfähig und unabhängig bleiben
- Drucksachen 16/7001, 16/10919 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Grund
Uta Zapf
Harald Leibrecht
Monika Knoche
Marieluise Beck ({69})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10919, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/7001 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII d:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothée Menzner, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Bahnchef Mehdorn ablösen - Bundesminister
Tiefensee entlassen - Börsengang der Deutschen Bahn AG endgültig absagen
- Drucksache 16/10848 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Zustimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt VIII e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({70})
Sammelübersicht 474 zu Petitionen
- Drucksache 16/10856 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 474 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({71})
Sammelübersicht 475 zu Petitionen
- Drucksache 16/10857 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch Sammelübersicht 475 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({72})
Sammelübersicht 476 zu Petitionen
- Drucksache 16/10858 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 476 ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt VIII h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({73})
Sammelübersicht 477 zu Petitionen
- Drucksache 16/10859 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 477 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den übrigen Stimmen
aller Fraktionen.
Tagesordnungspunkt VIII i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({74})
Sammelübersicht 478 zu Petitionen
- Drucksache 16/10860 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 478 ist einstimmig angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt VIII j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({75})
Sammelübersicht 479 zu Petitionen
- Drucksache 16/10861 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch Sammelübersicht 479 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({76})
Sammelübersicht 480 zu Petitionen
- Drucksache 16/10862 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 480 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen.
Tagesordnungspunkt VIII l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({77})
Sammelübersicht 481 zu Petitionen
- Drucksache 16/10863 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 481 ist bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({78})
Sammelübersicht 482 zu Petitionen
- Drucksache 16/10864 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 482 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({79})
Sammelübersicht 483 zu Petitionen
- Drucksache 16/10865 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 483 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/Die Grünen
bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion
Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt VIII o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({80})
Sammelübersicht 484 zu Petitionen
- Drucksache 16/10866 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 484 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt II. 14 auf:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
- Drucksachen 16/10412, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Norbert Königshofen
Dr. Claudia Winterstein
Anna Lührmann
Zum Einzelplan 12 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über die wir morgen nach der Schlussabstimmung
abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr. Claudia Winterstein, FDP-Fraktion, das Wort.
({81})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir erleben die letzten Haushaltsberatungen vor
der Bundestagswahl im nächsten Jahr. Herr Minister
Tiefensee, wenn man sich Ihre Bilanz nach drei Jahren
Regierungszeit ansieht, kann man davon ausgehen, dass
es für Sie die letzten Haushaltsberatungen im Amt des
Verkehrsministers sein werden. Pleiten, Pech und Pannen haben Ihre Amtszeit geprägt. Ich nenne nur die
jüngsten Fälle.
Bonuszahlungen für Bahnmanager: Sie wollten sich
als edler Ritter darstellen und wetterten gegen die Boni
für den Bahnvorstand im Fall des Bahnbörsenganges,
nur leider viel zu spät. Sie haben bereits viel früher von
den Bonusplänen gewusst und hätten das Problem entschlossen aus der Welt schaffen können. Stattdessen haben Sie sich in Widersprüche verwickelt und sogar Ihren
Staatssekretär als Bauernopfer entlassen,
({0})
um Ihre eigene Haut zu retten. Das ist nicht nur schlechter Stil, sondern schlichtweg unwürdig für einen Minister.
({1})
Verschiebung des Bahnbörsenganges: Es ist in letzter
Zeit billige Masche der Regierung, die Schuld für alles
Mögliche in der Finanzkrise zu suchen. Wir stimmen mit
Ihnen überein, dass ein Verkauf von Bahnaktien in diesem Herbst nicht die 5 Milliarden Euro eingebracht
hätte, die mindestens nötig gewesen wären. Der Grund
dafür ist aber das schlechte Privatisierungskonzept der
Bundesregierung. Das Scheitern der Bahnprivatisierung in dieser Legislaturperiode ist das größte Desaster
Ihrer Amtszeit.
({2})
Jetzt kommen diese Woche undurchsichtige Zahlungen an Beraterfirmen hinzu, übrigens nicht das erste Mal
in Ihrem Hause. Herr Tiefensee, Sie haben sich und Ihr
Ministerium ganz offensichtlich nicht im Griff.
Das gilt auch für Ihren Haushalt. Der Haushalt des
Verkehrsministeriums ist der Etat, der am stärksten vom
sogenannten Konjunkturpaket profitiert: 1 Milliarde
Euro mehr für Investitionen in 2009, 1 Milliarde Euro
mehr in 2010. Je 11 Milliarden Euro können in den beiden nächsten Jahren in Straße, Schiene und Wasserstraße
investiert werden. Das ist eine sehr positive Nachricht.
Aber was kommt danach? 2011 sollen die Investitionen
schon wieder sinken, und zwar auf ganze 9,8 Milliarden
Euro. Sie wissen ganz genau, dass das zu wenig ist.
({3})
Allein für die Straße empfehlen Verkehrsexperten
jährliche Investitionen in Höhe von 7 Milliarden Euro.
Aktuell sind es aber weniger als 5 Milliarden Euro. Es ist
kaum zu glauben: Im Jahre 2004, als es die Maut noch
nicht gab und Rot-Grün an der Regierung war, lagen die
Investitionen für die Straße höher als heute.
({4})
Dabei hätten Sie längst höhere Investitionen realisieren
können, wenn Sie die Einnahmen aus der Lkw-Maut
konsequent für den Ausbau der Infrastruktur genutzt hätten. Ich erinnere noch einmal daran: Die Mauteinnahmen waren ursprünglich als zusätzliche Mittel für die
Verkehrsinfrastruktur gedacht. Daran haben Sie sich
aber nicht gehalten. Im Gegenteil: Die Mauteinnahmen
verschwinden zum großen Teil im Haushalt. Das ist
Mautbetrug; das werfe ich Ihnen auch heute wieder vor,
Herr Minister.
({5})
- Das kommt noch, im nächsten Jahr. Sie werden sich
wundern.
({6})
Bei der Bahn gehen Sie in gleicher verantwortungsloser Weise mit dem Geld der Steuerzahler um. Nach unzähligen Versuchen liegt nun eine Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung vor, in der die Zahlungen
des Bundes an die Bahn für das Schienennetz geregelt
werden. 2,5 Milliarden Euro sollen jährlich fließen.
({7})
Leider aber hat die Vereinbarung einige Macken. Sie
wird nichts an der Situation ändern, dass die Bahn unattraktive Strecken verrotten lässt, obwohl sie jährlich
Milliardenzuschüsse aus dem Steuertopf erhält.
({8})
Die Vereinbarung enthält keine ausreichenden Kontrolloder Sanktionsmöglichkeiten für den Bund, um den Einsatz des Geldes wirkungsvoll zu prüfen. Das halte ich für
sehr fahrlässig, Herr Minister.
({9})
Die Vereinbarung wird auch nichts an der Situation ändern, dass der Bund jährlich auf Millionensummen verzichtet, weil er die Mittel an die Bahn als Zuschüsse
zahlt und nicht als Darlehen vergibt, die die Bahn dann
zurückzahlen müsste. Sie verschenken hier einfach Millionen von Steuergeldern.
Der Rechnungshof weist schon seit Jahren darauf hin,
dass die Vergabe von Darlehen die Regel ist, und bis
Ende der 90er-Jahre ist auch so verfahren worden. Die
FDP hat deswegen den Antrag gestellt, der Bahn wieder
Darlehen statt Zuschüsse zu gewähren. Durch die Rückzahlungen wären dann pro Jahr etwa 750 Millionen Euro
mehr in der Kasse. Aber die Koalition ist offenbar der
Meinung, dass solche - um einmal den Bahnjargon aufzunehmen - „Möhrchen“ nicht weiter ins Gewicht fallen.
Herr Tiefensee, Ihr leichtfertiger Umgang mit öffentlichen Mitteln verdeutlicht noch einmal Ihre Unfähigkeit
im Amt des Ministers.
({10})
Die Diskussion um Ihre Person und die Rücktrittsforderungen haben sehr wohl berechtigte Gründe. Die Tatsache, dass Sie überhaupt noch im Amt sind, verdanken
Sie vor allem dem anstehenden Wahljahr.
Vielen Dank.
({11})
Der Kollege Dr. Frank Schmidt spricht jetzt für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Claudia Winterstein,
({0})
da Sie eben rhetorisch den Bundesminister Wolfgang
Tiefensee angegriffen haben, muss man auf eines hinweisen: Sie in der FDP gehören doch zu denen, die sich
im nächsten Jahr aufgrund dessen, dass ein Rekordetat
hinsichtlich der Investitionen ansteht, bei Pressefotos genüsslich mit auf das Bild drängen und dabei sein wollen,
wenn dieser Bundesminister den Spatenstich macht.
({1})
Das ist der beste Beweis dafür, wie man hier im Parlament mit den Dingen umgeht: Auf der einen Seite wird
auf alles eingedroschen, auf der anderen Seite ist man
gerne dabei, wenn Positives bewegt wird.
({2})
Mit diesem Bundeshaushalt wird viel Positives bewegt. Wir haben nach dem Mautkompromiss, den wir
Gott sei Dank erzielt haben, und der Einstellung zusätzlicher Bundesmittel einen starken Einzelplan 12 vorlegen können. Dieser Rekordinvestitionsetat kommt ohne
Luftbuchungen aus; das muss man sehr deutlich hervorheben. Einige Fraktionen hier im Deutschen Bundestag
haben noch mehr gefordert. Aber wir haben sehr deutlich gemacht: Wir können nur das etatisieren - das haben
wir auch im Haushaltsausschuss gesagt -, was auch ausgegeben werden kann.
Es ist natürlich das Vorrecht der Opposition, zu fordern, die Steuern zu senken, die Investitionen zu erhöhen
und gleichzeitig die Neuverschuldung abzubauen. Aber
diese Rechnung geht nun einfach nicht auf, liebe
Freunde; das ist nicht möglich. Das kann die Bundesregierung nicht umsetzen. Natürlich kann man den
Minister angreifen. Natürlich kann man hier die eine
oder andere Forderung stellen. Aber all das geht ins
Leere: Wir haben einen guten Bundesminister.
Wir haben eine gute Regierung, und mit dem Einzelplan 12 wurde ein hervorragender Investitionsetat vorgelegt, der sich sehen lassen kann.
({3})
Ich will aber auch auf die Ansätze selber eingehen.
Wir haben - ich habe es eben gesagt - realistische Ansätze eingebracht. Das sieht man allein daran, dass wir
zum Beispiel für die Straße einen höheren Barmittelanteil als VEs eingestellt haben, weil wir hier schneller
anfangen können. Bei der Schiene hingegen haben wir
einen niedrigeren Barmittelansatz und einen höheren
VE-Anteil eingebracht, weil wir nämlich wissen, dass im
Schienenbereich Dinge etwas langsamer auf den Weg
gebracht werden, weil die Vorplanungen intensiver sind.
Das heißt, dass wir einen realistischen Ansatz gewählt
haben. Es gab andere Fraktionen hier im Deutschen
Bundestag, die mehr bereitstellen wollten. Nur, was
nützt es, Geldmittel als Barmittel im Bundeshaushalt 2009 bereitzustellen, die überhaupt nicht ausgegeben werden können? Wir haben hier einen realistischen
Ansatz gewählt, der die Antwort auf die gestiegenen
Baupreise und die zahlreicheren Instandhaltungsmaßnahmen, die wir durchführen müssen, ist. Der Ansatz
zeigt aber auch, dass wir neue Investitionen tätigen wollen.
Ich weise hier darauf hin, dass wir allein 5,7 Milliarden Euro für die Straße bereitstellen. Das ist ein Rekordanteil. Hier steht eine Menge an. Das bedeutet aber
nicht, dass nur Neubaumaßnahmen durchgeführt würden
- darauf will ich ausdrücklich hinweisen -, es sind auch
eine Menge Instandhaltungsmaßnahmen notwendig. Jeder von uns, der über die Autobahn zu seinem Wahlkreis fährt, weiß, was auf der rechten Spur los ist. Die ist
in der Zwischenzeit nämlich ziemlich zusammengefahren worden. Wir müssen kräftig in die rechte Spur der
Autobahnen investieren und Instandhaltungsmaßnahmen
durchführen, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein.
Diese Instandhaltungsmaßnahmen können mit dem erhöhten Einzelplanansatz, den wir hier haben, durchgeführt werden. Sonst hätten wir das nicht tun können. Der
Einzelplan 12 mit insgesamt 11 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen ist eine hervorragende Antwort auf
die Herausforderungen, vor denen wir im nächsten Jahr
stehen.
({4})
Im Bereich des Schienennetzes stellen wir insgesamt
4,1 Milliarden Euro bereit. Viele von uns haben teilweise Bahnhöfe in ihren Wahlkreisen, mit deren äußerlichem Bild es nicht unbedingt zum Besten bestellt ist.
({5})
Wir haben im Bundeshaushalt reagiert und ein Sonderprogramm zur Sanierung von Bahnhöfen aufgelegt. Das
ist ein Teil dieser 4,1 Milliarden Euro. Darüber wurde
lange Jahre geredet. Wir packen es jetzt an und bringen
diese wichtige Maßnahme auf den Weg, mit der in ganz
Deutschland die Bahnhöfe saniert werden.
({6})
Wir haben auch im Bereich Wasserstraßenbau kräftig zugelegt. Ich will auf das eine oder andere verweisen.
Es ist notwendig, mehr Geld für den Wasserstraßenbau
bereitzustellen, auch wenn die Vorplanungsmaßnahmen
ihre Zeit brauchen. Allein im letzten Jahr wurden
12 Prozent mehr Gütertransporte über die Wasserstraßen
abgewickelt. Das sind 12 Prozent mehr Gütertransporte,
die nicht auf der Straße durchgeführt werden mussten.
Das ist eine richtige Antwort zur richtigen Zeit. In einigen Regionen haben wir Schleusenkanäle und Schleusenanlagen, die noch aus der Mitte des 19. Jahrhunderts
stammen. Diese bewältigen nicht mehr den Verkehr der
Schiffe aus der heutigen Zeit. Wir müssen dringend
Schleusen bauen, um für Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Wir müssen die Häfen besser als bisher an den
Hinterlandverkehr anbinden. Hierfür stellen wir
1,2 Milliarden Euro bereit. Das ist gut investiertes Geld.
({7})
Auch im Bereich Städtebau haben wir die richtigen
Akzente gesetzt. Insbesondere bei der Energieeinsparung können wichtige Maßnahmen durchgeführt werden. Ich erinnere nur an das äußerst erfolgreiche CO2Gebäudesanierungsprogramm. Das wurde vor vielen
Jahren noch belächelt. In der Zwischenzeit müssen wir
im Haushaltsausschuss jedes Jahr zur Jahresmitte aufstocken, weil wir zu wenig Geld bereitgestellt haben. Die
Abfrage hat sich aufgrund der gestiegenen Energiepreise
erheblich erhöht, und das Programm ist so erfolgreich,
dass mit der über 1 Milliarde Euro, die wir in den beiden
Jahren bereitstellen, mehr als das Zehnfache an entsprechenden Finanzmitteln bewegt wird. Das bedeutet Arbeitsplätze in der mittelständischen Wirtschaft.
({8})
Wir konnten im Rahmen der Haushaltsberatung erreichen, dass wir die Mittel für den Stadtumbau West und
den Stadtumbau Ost anheben konnten. Wir konnten den
Investitionspakt von Bund, Ländern und Kommunen mit
300 Millionen Euro wesentlich besser ausstatten, und
wir konnten Mittel für strukturschwache Kommunen bereitstellen, und zwar immerhin 150 Millionen Euro. Darauf weise ich ausdrücklich hin; denn nicht alle Kommunen sind auf Rosen gebettet. Was nützt ein zinsgünstiges
Angebot von der KfW oder wem auch immer, wenn eine
Kommune unter verschärfter Finanzaufsicht steht und
gar keine Kredite aufnehmen darf? Wir haben in diesem
Bundeshaushalt die richtige Antwort gefunden. Wir haben ein Bundesprogramm für strukturschwache Kommunen aufgelegt, damit auch diese Kommunen in den
Genuss kommen können, Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Das ist der richtige Weg.
({9})
Bei einem Programm bin ich besonders froh, dass es
aufgelegt worden ist. Ich denke an das Programm zur
Förderung seniorengerechten Wohnens, das wir in
den letzten Haushaltsberatungen schon einmal andiskutiert haben. Man schaue sich an, wie sich unsere Gesellschaft verändert: Wir alle werden älter - gesünder älter,
Gott sei Dank -, und wir wollen gerne dort älter werden,
wo wir aufgewachsen sind, in unserer Heimatgemeinde.
Dies bedingt aber, dass wir Möglichkeiten dafür schaffen, dass die eigenen vier Wände so umgebaut werden,
dass man darin älter werden kann. Dieses neue Programm halte ich für bahnbrechend; denn es ist die richtige Antwort auf die Fragen der Zeit. Wir sind dadurch in
der Lage, älteren Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, in den eigenen vier Wänden alt zu werden. Das
ist die drängende Frage der Zukunft.
Es ist wichtig, dass dieser Bundeshaushalt mit einem
großen Investitionsanteil für den Verkehr, den Städtebau
und Weiteres ausgestattet ist. Wir alle können froh darüber sein, dass wir diesen Bundeshaushalt als richtige
Antwort zur richtigen Zeit verabschieden können. Wir
alle können uns im nächsten Jahr freuen, wenn Bundesminister Tiefensee mit seiner hervorragenden Mannschaft, darunter seine drei Parlamentarischen Staatssekretäre, bei uns in den Wahlkreisen auftaucht
({10})
und den einen oder anderen Spatenstich vornimmt, den
wir uns schon seit Jahren wünschen. Plötzlich sind wir
alle wieder einer Meinung: dass das ein hervorragendes
Werk ist. Deswegen bedanke ich mich für die gute Zusammenarbeit. Alles Gute!
Danke.
({11})
Roland Claus spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch dieser Haushaltsplan wird mit dem
1. Januar 2009 beginnen. Was wir heute beschließen,
wird schon zu Beginn zu einem guten Stück veraltet
sein. Wir lesen heute, dass die Kanzlerin die Koalitionsspitzen bereits zum 5. Januar zusammenruft.
Seit Mitte September ticken auf dieser Welt die ökonomischen Uhren anders. Nur die Bundesregierung erweckt den Eindruck, als hätte sie den Schuss nicht gehört und könnte mit einem „Weiter so!“ agieren.
Ungewöhnlich häufig wird in dieser Haushaltsdebatte
von staatlicher Verantwortung, gar von Verstaatlichung
geredet. Bei diesem Begriff kann man sich unter anderem vorstellen, dass etwas Werthaltiges in die Hände des
Staates genommen wird, um es zum Nutzen zu vermehren. Man muss hier erst einmal die Wahrheit aussprechen: Was wir im Moment machen, ist eine Verstaatlichung von Schulden.
Wenn ich hier einmal, Frau Präsidentin, Karl Marx
zitieren darf, dann würde ich das gerne tun.
({0})
- Für Sie ist es, glaube ich, ganz hilfreich, zuzuhören. Marx schrieb im Kapital:
Der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums, der wirklich in den Gesamtbesitz der modernen Völker eingeht, ist - ihre Staatsschuld.
Die Quelle kann ich nachliefern.
({1})
- Auch Sie wären gut beraten, sich mit dieser Quelle
vertraut zu machen.
({2})
Wir reden hier über den Etat des Ministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der zuständige
Bundesminister und Ostbeauftragte war während der
ganzen Beratung des Etats vorwiegend mit dem Dilemma der DB AG und natürlich mit der Rettung seines
eigenen Amtes beschäftigt. Er hat großes Glück gehabt,
dass der Titel „Ostbeauftragter“ nicht so eine Art Nebenjob ist; denn wenn er nicht der Ostbeauftragte wäre,
wäre er jetzt nicht mehr Minister. Das wissen nicht nur
die Oppositionskollegen hier im Haus.
Es ist der Invest-Etat des Bundes; das ist hier schon
richtig hervorgehoben worden. Die Bundesregierung hat
die Chance gehabt, an dieser Stelle ein Konjunkturprogramm zu platzieren, das diesen Namen verdient.
({3})
Natürlich steckt in diesem Etat viel Richtiges und Gescheites; darum machen wir doch keinen Bogen. Aber es
wird den Anforderungen der Zeit in keiner Weise gerecht.
Das Beispiel Gebäudesanierungsprogramm ist
schon angesprochen worden. Regelmäßig hat meine
Fraktion hier Erhöhungen beantragt.
({4})
Regelmäßig haben Sie sie abgelehnt. Regelmäßig haben
Sie sie in der Realität dann doch vorgenommen. Wir
können so weitermachen.
Herr Minister, richtig wäre an dieser Stelle gewesen
- ich nenne Ihnen nur eine Idee -, sich mit Ihrer Kollegin von der Leyen sowie mit den Ländern und Kommunen zu verbünden und zu sagen: Wir legen ein großes
Programm auf, um in der Kinderbetreuung im Westen
wenigstens das Niveau zu erreichen, das wir gegenwärtig im Osten schon haben. Das wäre ein mutiger Schritt
gewesen, den Sie hätten gehen können.
({5})
Leider leben wir immer noch mit der Situation: Im Westen gibt es die Arbeit, aber keine Kita, und im Osten gibt
es die Kita, aber keine Arbeit. Hier hätten Sie wirklich
etwas zur Stadtentwicklung leisten können.
Insofern ist das, was Sie uns vorlegen, ein Etat in der
Krise und nicht ein Etat gegen die Krise.
In den Haushaltsberatungen haben wir mehrfach den
Satz zu hören bekommen: Auf einem Schuldenberg können unsere Kinder nicht spielen.
({6})
Das ist ja okay, aber ich sage Ihnen: Auf dem Scherbenhaufen Ihrer verfehlten Investitions- und Bildungspolitik
können unsere Kinder noch weniger spielen.
({7})
Der Ostbeauftragte muss natürlich Antworten auf die
Frage geben: Was bedeutet die Krise für Ostdeutschland? Da die Ostdeutschen nicht so hohe Spareinlagen
haben, konnte man zunächst annehmen, dass sie davon
nicht so sehr betroffen sein würden. Ich will nur einen
Fakt hervorheben, nämlich dass wir im Osten eine riesige Dimension von Zeit- und Leiharbeit haben; es gibt
viele 1-Euro-Jobber und Aufstocker. In mehr als einem
Drittel der ostdeutschen Betriebe stellen die genannten
Gruppen die Mehrheit der Beschäftigten. Wir gehen also
auf eine sehr ernsthafte Herausforderung zu.
Ein positiver Schritt ist im Zuge der Haushaltsberatungen erreicht worden - er gehört natürlich zum Bauetat -, und das ist der kleine Schritt, den der Haushaltsausschuss vollzogen hat, nämlich die Möglichkeit
einzuräumen, dass die Bundesregierung, die noch immer
zweigeteilt in Bonn und Berlin arbeitet, eine Wiedervereinigung in Berlin vollzieht. Wenn wir das nicht angestoßen hätten, hätten Sie dort nichts bewegt.
({8})
Die Bundesregierung hätte an dieser Stelle die
Chance gehabt, einen Etat für Investitionen und für die
Konjunktur vorzulegen. So ist es ein Plan der vertanen
Chancen. Diese Bundesregierung ist in schwieriger
Situation nicht konjunkturfähig. Das ist zu bedauern.
Deshalb können wir diesem Etat nicht zustimmen.
({9})
Der Kollege Bartholomäus Kalb spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Koalitionsfraktionen hatten bei den
Beratungen zu diesem Haushalt durchgängig das Anliegen, die Investitionen zu stärken. Es ist uns gelungen, in
diesem Etat die Investitionssumme auf insgesamt
27 Milliarden Euro zu erhöhen.
Dabei hat das Programm „Beschäftigungssicherung
durch Wachstumsstärkung“ einen besonderen Stellenwert. Wir stellen für Verkehrsinvestitionen im Jahr 2009
1 Milliarde Euro mehr und im Jahr 2010 ebenfalls
1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung. Damit erreichen
die Verkehrsinvestitionen einen historischen Höchststand. Ich sage dazu: Das ist notwendig und richtig, weil,
wie schon gesagt worden ist, sowohl bei den Neubauten
als auch beim Erhalt und beim Unterhalt der Infrastruktur ein großer Nachholbedarf besteht.
({0})
Einschließlich der Mittel aus der Mauterhöhung und
aus dem Programm „Beschäftigungssicherung durch
Wachstumsstärkung“ werden wir über 11 Milliarden
Euro für die klassische Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung haben. Im Bereich Straße können wir - beide Blöcke eingerechnet, also Mautmittel und Mittel aus der
Mauterhöhung sowie Mittel des Programms „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ - die Investitionen um 824 Millionen Euro verstärken, bei den Bundesschienenwegen um 374 Millionen Euro und bei den
Bundeswasserstraßen um 369 Millionen Euro. Auch im
Jahr 2010 - dafür haben wir bereits Verpflichtungsermächtigungen ausgemacht - werden wir die Mittel für
diese drei Verkehrsträger um insgesamt 1 Milliarde Euro
verstärken können.
Ich danke dem Bundesfinanzministerium ganz herzlich dafür, dass es in den Ausschussberatungen eines
deutlich gemacht hat: Für den Fall, dass die Mittel in
diesen beiden Jahren nicht abfließen sollten, werden
Überhänge zusätzlich nachveranschlagt; übertragbar
sind die Mittel ohnehin, weil sie investiv sind. Das ist
wichtig, damit diese Mittel wirklich ausschließlich für
die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen. Das BMF will dies auch in einem Schriftverkehr mit dem BMVBS absichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine gute
Verkehrsinfrastruktur ist nun einmal die wichtigste Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung. Heute gehört dazu natürlich auch eine gute Infrastruktur bei den
Datenkommunikationsnetzen; die Frau Bundeskanzlerin
hat es in Ihrer Rede gestern angesprochen. In diesem Zusammenhang darf ich auch das Projekt Galileo, das in
unserem Haushalt eine Rolle spielt, erwähnen. All das
gehört zusammen, um die Leistungsfähigkeit unseres
Landes und auch der ländlichen Räume zu sichern, zu
verbessern und zukunftsfest zu machen.
({1})
Ich stehe nicht an, zu sagen, dass bereits in den letzten
Monaten und Jahren deutlich geworden ist, dass die
Leistungsfähigkeit der Verkehrsinfrastruktur zum begrenzenden Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist. Umso richtiger ist es, dass wir hier nun deutliche Verstärkungen vornehmen.
Wir haben auch dafür Sorge getragen - das möchte
ich auch erwähnen -, dass die Zusagen, die beim Mautkompromiss gemacht wurden, jetzt voll erfüllt werden
können. 600 Millionen Euro werden zur Entlastung des
nationalen Transportgewerbes bereitgestellt. Dafür haben wir Vorsorge getroffen. Deshalb habe ich auch kein
Verständnis für die Kampagne, die derzeit vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung gegen die Bundesregierung gemacht wird.
({2})
Wir haben auch ein neues Programm zur Modernisierung der Binnenschifffahrtsflotte initiiert. Ich denke, das
ist auch ganz wichtig, zum einen für die Unternehmen,
zum anderen aber auch für die Sicherheit auf den Wasserstraßen und zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit dieser Verkehre.
Für die Engpassbeseitigung auf viel befahrenen
Schienenstrecken - darauf wird sicherlich der Kollege
Norbert Barthle eingehen - ist es uns gelungen, Vorsorge
für wichtige Zukunftsprojekte zu treffen. Ich nenne die
Stichworte Stuttgart 21, Rhein-Ruhr-Express.
Auch im Bereich des Lärmschutzes sind wir drauf
und dran, neue Wege zu gehen; zum Beispiel soll mit
Absorbern direkt an der Schiene der Lärmschutz verbessert werden. Hier müssen wir aber europäisch koordiniert vorgehen. Hier müssen Standards gesetzt werden.
Es darf nicht sein, dass wir mit nationalen Mitteln Verbesserungen an unserem rollenden Material vornehmen,
aber dann Güterwaggons aus ganz Europa ohne diese
Ausstattung auf den viel belasteten Strecken fahren und
zusätzlichen Lärm verursachen. Wir müssen auch die
Trassenentgelte je nach Lärmemission staffeln, so wie es
beim Luftverkehr schon der Fall ist. Wir haben auch kein
Verständnis dafür, wenn auf hoch belasteten elektrifizierten Strecken mit Dieselloks gefahren wird und diese
dann nachts mit laufenden Motoren vor den Häusern der
Bürger abgestellt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege
Dr. Schmidt hat schon darauf hingewiesen, dass wir wiederum Schwerpunkte bei der Gebäudesanierung und anderen Maßnahmen zur CO2-Minderung gesetzt haben im Interesse des Klimaschutzes, aber auch im Interesse
von Beschäftigung. Gerade hier kann eine große Hebelwirkung erzielt werden, und davon können sehr positive
Beschäftigungseffekte für die mittelständischen Handwerksbetriebe ausgehen.
Ich freue mich, dass dieser Haushalt ein Investitionshaushalt mit einer Akzentuierung ist, wie wir sie noch
nicht erlebt haben.
Ich möchte zum Abschluss den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern und auch den Kolleginnen
und Kollegen aus der Verkehrspolitik ganz herzlich danken. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit! Ich
wünsche natürlich dem Minister und den Mitarbeitern
im Ministerium viel Erfolg bei der Umsetzung des Haushaltes, den wir heute verabschieden werden. Ich danke
im Übrigen auch - das sei an dieser Stelle auch gesagt den Mitarbeitern der Ministerien, der Fraktionen und des
Haushaltsausschusssekretariates. Es waren in diesem
Herbst doch etwas ungewöhnliche und anstrengende
Haushaltsberatungen.
Herzlichen Dank.
({3})
Als Nächste hat jetzt Anna Lührmann für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Großen Koalition! Sie feiern sich gerade, weil Sie die Verkehrsinvestitionen für die nächsten
Jahre um 1 Milliarde Euro steigern.
({0})
Es ist ja richtig - nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen -, dass der Staat in einer Rezession mehr investieren
muss. Aber es kommt nicht nur darauf an, dass Geld ausgegeben wird, sondern es kommt vor allem darauf an,
dass es sinnvoll ausgegeben wird.
({1})
Das aber kriegen Sie, Herr Tiefensee, nicht auf die
Reihe.
({2})
Sinnvoll Geld auszugeben, bedeutet zum einen, dass
das Geld für die richtigen Projekte ausgegeben wird. Da
denke ich zum Beispiel an klimafreundliche Mobilität,
an Gebäudesanierung und Ähnliches. Dazu wird mein
Kollege Herrmann nachher noch mehr sagen. Sinnvoll
Geld auszugeben, bedeutet zum anderen, dass man für
jeden Euro möglichst viel Leistung bekommt. In der
Bundeshaushaltsordnung heißt das „wirtschaftliche und
sparsame“ Mittelverwendung. Eine Ausnahme für den
Verkehrsbereich ist in der Bundeshaushaltsordnung nicht
vorgesehen, auch wenn Sie, Herr Minister Tiefensee, so
tun, als gälte dieser Grundsatz für Ihr Ministerium nicht.
Dafür führe ich drei Beispiele an:
Erstes Beispiel: Jahrelang verhandelt das Verkehrsministerium mit der Bahn über eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die LuFV. Sie soll die Ausgaben des Bundes für Investitionen in das bestehende
Schienennetz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro - einer
enormen Summe - regeln. Eigentlich war der Sinn dieser LuFV, dass die Bahn damit zu einer effizienteren
Verwendung von Steuergeldern gebracht werden sollte.
In der Vorlage der Regierung ist davon allerdings nicht
mehr viel übrig geblieben; denn nach dem jüngsten Ländergutachten ist die LuFV schlicht und einfach unwirksam. Zudem kritisiert der Rechnungshof, dass eine echte
Kontrolle des Bundes nur bei den viel befahrenen Schienen möglich ist. Das heißt, dass Strecken mit geringer
Auslastung, Weichen, Brücken, Tunnel und Bahnhöfe
außen vor bleiben. Als Folge kann die Bahn schalten und
walten, wie sie will, und muss keinerlei Sanktionen
befürchten, wenn sie Bahnhöfe, Brücken und Tunnel
verlottern lässt. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger
Investitionspolitik und eine Verschwendung von Steuergeldern.
({3})
- Ich habe das sehr wohl gelesen. In der nächsten Woche
werden wir im Verkehrsausschuss eine Anhörung dazu
durchführen, und ich hoffe, dass die Expertinnen und
Experten Ihnen hierzu noch einiges sagen können, damit
Sie diesen Unfug wirklich stoppen.
({4})
Ein zweites Beispiel für eine nicht sinnvolle Verwendung von Steuergeldern: Für Stuttgart 21, auch ein
Bahnthema, sind 3 Milliarden Euro eingeplant. Diese
Kostenschätzung ist jedoch nicht mehr aktuell; denn in
einem Bericht an den Haushaltsausschuss stellt Ihr Ministerium, Herr Tiefensee, fest:
Besonders anfällig für außergewöhnliche Preissteigerungen scheinen sehr komplexe Bauvorhaben mit
Gesamtkosten jenseits von 100 Millionen Euro zu
sein … Hier werden aktuell Kostensteigerungen
von bis zu 100 Prozent beobachtet.
In dem Bericht heißt es weiter, dass gerade bei Tunneln
die Kosten um bis zu 60 Prozent steigen. Mithilfe dieser
Zahlen rechnete der Bundesrechnungshof das Großbauprojekt Stuttgart 21, auf das genau diese Kriterien zutreffen, nach. Dabei kam heraus, dass die Untertunnelung
des Stuttgarter Hauptbahnhofs nicht mehr 3 Milliarden
Euro, sondern realistischerweise 5,3 Milliarden Euro
kosten wird. Minister Tiefensee leugnet diese Kostenexplosion. Dabei hat sein eigenes Haus, wie ich eben zitiert
habe, vor solchen Kostensteigerungen gewarnt. Angesichts dessen frage ich Sie, Herr Tiefensee: Wollen Sie
uns hier eigentlich für dumm verkaufen? 3 Milliarden
Euro sind für dieses unsinnige Prestigeprojekt schon viel
zu viel. 5,3 Milliarden Euro für einen einzigen Bahnhof
sind absurd.
({5})
Ein drittes Beispiel: Mittelverschwendung gibt es
nicht nur bei Bahnprojekten, sondern auch bei der
Schifffahrt. Der Spiegel berichtete am Wochenende über
Lohnkostenzuschüsse für deutsche Reedereien. Hier
haben Sie, Herr Tiefensee, den Bock zum Gärtner gemacht; denn die Unternehmensberatung PwC hat zum
einen für die Bearbeitung der Anträge 700 000 Euro
vom Ministerium kassiert. Gleichzeitig hat PwC als
Wirtschaftsprüfer für die Reedereien gearbeitet, deren
Anträge sie hinterher bearbeitet hat, und auch dafür noch
einmal Geld kassiert. Ich halte es ja für gut, dass das Ministerium angesichts dieser Faktenlage irgendwann auf
die Idee gekommen ist, die Sinnhaftigkeit dieser Subventionen überprüfen zu lassen. Jetzt raten Sie einmal,
wer dazu mit einem Gutachten beauftragt wurde!
({6})
- Genau. - Kein Wunder, dass dabei herauskam, dass
sich diese Subventionen lohnen, jedenfalls für PwC.
({7})
Herr Tiefensee, diese drei Beispiele zeigen sehr deutlich: Sie können mit Geld nicht umgehen, und es wäre
das beste Konjunkturprogramm für Deutschland, wenn
Sie endlich Ihren Hut nehmen würden.
Vielen Dank.
({8})
Jetzt hat der Herr Bundesminister Wolfgang
Tiefensee das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Gäste! Ich vermute, die Damen und Herren, die uns heute hier zuhören, und diejenigen, die morgen die Zeitung lesen werden, werden weniger an den
Zahlen interessiert sein, die wir uns gegenseitig vorrechnen. Sie haben in dieser Zeit vielmehr ganz schlichte
Fragen: Ist mein Sparkonto sicher? Bleibt mein Arbeitsplatz erhalten? Kann ich mir die Wohnung noch leisten?
Ist für mich Mobilität bezahlbar? In der äußerst schwierigen Situation, in der wir uns jetzt mit Blick auf die Finanzmärkte und mit Blick auf die Wirtschaft befinden,
hat Politik eine Antwort zu geben. Der Einzelplan 12 mit
einem riesigen Volumen an Investitionen muss eine besondere Antwort auf diese Fragen geben.
({0})
Frau Winterstein, billige Polemik, und dem Minister
am Schlips zu ziehen, wird keinen interessieren. Auch
die Antworten von Karl Marx aus dem 19. Jahrhundert
passen nicht. Das Gleiche gilt für eine falsche Darstellung der Fakten. Das sind nicht die richtigen Antworten
auf diese Fragen. Die richtige Antwort ist vielmehr, dass
wir gemeinsam etwas dafür tun müssen, dass Arbeitsplätze gesichert werden, dass Wohnen bezahlbar bleibt
und dass man mobil sein kann, auch wenn man wenig
Geld im Portemonnaie hat. Unsere Koalition gibt diese
Antwort.
Ich möchte mich am Anfang, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr herzlich dafür bedanken, dass Sie es uns im engen Schulterschluss ermöglicht haben, eine Antwort zu geben. Diese legen wir
Ihnen hier vor.
Ich will es so zusammenfassen: Eine Finanzkrise, die
wir nicht verursacht haben, bedarf einer Antwort im investiven Bereich. Ich nehme zunächst den Bereich des
Verkehrs und will versuchen, auf ein paar Ihrer Einwürfe
zu reagieren.
({1})
Im Verkehrsbereich hat der Haushalt hinsichtlich der Investitionen die Grenze von 10 Milliarden nicht nur
knapp, sondern mit 11,2 Milliarden Euro deutlich überschritten. Das ist einmalig und das ist gut, damit wir in
verschiedenen Sektoren einen großen Schritt vorankommen. So sichern wir vor allem im Baugewerbe und in der
Bauindustrie direkt und indirekt Arbeitsplätze.
({2})
Das gilt für die Straße genauso wie für die Schiene oder
für die Binnenwasserstraße.
Darüber hinaus tun wir endlich etwas für die Bahnhöfe und gegen den Lärm, damit Mobilität und Verkehr
Akzeptanz bei der Bevölkerung finden. Es ist unsinnig,
dass alle drei Oppositionsfraktionen an der Leistungsund Finanzierungsvereinbarung auf diese Weise herumkritisieren. Das bringt uns unserem Ziel nicht näher. Ich
rate insbesondere Ihnen, Frau Lührmann, einmal die aktuelle Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zu
lesen. Da ist explizit enthalten, dass es Parameter für die
Qualität von Bahnhöfen und für die Qualität des Nebennetzes gibt.
({3})
Diese Parameter müssen eingehalten werden. Ansonsten gibt es Sanktionen mittels Abzug von Geldern.
Wie kann man an dieser Stelle nur so viel Falsches über
ein schriftlich vorliegendes Vertragswerk sagen?
({4})
Das Gleiche gilt in Bezug auf die Deutsche Bahn AG.
Frau Winterstein, Sie wissen ganz genau, dass wir
2,5 Milliarden Euro konstant als Zuschuss über die
nächsten Jahre gewähren müssen, um die Dienstleistungsqualität zu erhöhen. Etwas anderes zu behaupten,
ist Unsinn. Warum propagieren Sie nach den ausführlichen Diskussionen, die wir geführt haben, nach wie vor
die, dass der Zuschuss auf Kreditbasis erfolgen soll? Am
Ende müssten wir bei der Bahn wieder zuschießen, damit
sie die erforderliche Qualität erreicht. Das ist Unsinn.
Aus diesem Grund haben wir uns anders entschieden und
legen eine andere Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vor.
Herr Claus, ich wundere mich darüber, wie Sie von einem Scherbenhaufen reden können. Wissen Sie, was unser zentrales Problem ist? Das zentrale Problem ist, dass
wir von den 185 Milliarden Euro, die wir seit 1990 in die
Infrastruktur Deutschlands gesteckt haben, 75 Milliarden
Euro in den Osten transferieren mussten, damit wir den
Scherbenhaufen beseitigen konnten, der sich bis 1990
aufgehäuft hatte. Das ist die Wahrheit.
({5})
Ich wünschte mir, wir brauchten nicht Stadtumbau in
dieser Art und Weise zu leisten. Ich wünschte mir, dass
wir nicht die Ortsumgehungen bauen und die Lückenschlüsse im Osten in dieser Art und Weise finanzieren
müssten. Ich wünschte mir, dass wir nicht 40 Jahre Misswirtschaft - 40 Jahre, die auf Karl Marx aufgebaut haben ausgleichen müssten. Das kann also nicht das Argument
sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
aber Ihren Blick weg vom Verkehr hin zu einem anderen
Bereich lenken. Das ist der Gebäudesektor. Die Zahlen
wurden von den Vorrednern angesprochen. Ist Ihnen bewusst, dass wir bei all diesen Programmen mit 1 Euro
eingesetztem Geld mindestens 8 Euro Investitionen generieren? Das fließt direkt in die Bauwirtschaft.
Erstens betrifft dies das CO2-Gebäudesanierungsprogramm.
Zweitens können wir erstmalig Großwohnsiedlungen
umbauen. Ich appelliere an die Städte und Gemeinden,
daraus ein Klima- und Energieprogramm zu machen.
Drittens können wir dann aufgrund des Investitionspaktes einen Zuschuss an die Kommunen geben - das ist
kein Kredit -, damit Schulen, Kindertagesstätten, Turnhallen und Krankenhäuser endlich energetisch saniert
werden.
({6})
Viertens arbeiten wir darüber hinaus an dem Umbau
von Wohnungen, die seniorengerecht werden sollen. Außerdem wollen wir älteren Menschen ermöglichen, so
lange wie möglich in ihren vier Wänden zu bleiben.
Das fünfte Programm bezieht sich auf den Sektor
Stadtumbau. Das meint den Stadtumbau Ost und den
Stadtumbau West. Das meint die „Soziale Stadt“, das
meint den städtebaulichen Denkmalschutz, der erstmalig
ab dem Januar 2009 auch für Westdeutschland gelten
wird. Dort können wir zulegen.
Sechstens tun wir schließlich erstmals etwas dafür,
dass die Städte und Gemeinden unterstützt werden, die
Weltkulturerbe haben und pflegen müssen. Ich meine,
aus diesem Grund kann man auch in dem Gebäudesektor
von einer Erfolgsstory reden.
({7})
Herr Tiefensee, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hofreiter zulassen?
Ich möchte den Gedanken gerne zu Ende führen. Sie
haben nachher Gelegenheit, in Ihren Beiträgen etwas
dazu zu sagen.
Mir sind zwei Dinge noch wichtig. Die möchte ich
kurz ansprechen und damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Dinge richten.
Das erste ist Folgendes. Wir kümmern uns darum,
dass Wohnen bezahlbar bleibt, indem wir das Wohngeld
erhöhen. Das Wohngeld wird erhöht, sodass Rentnerinnen und Rentner mit schmalem Portemonnaie im Durchschnitt statt 90 Euro 140 Euro im Monat erhalten werden. Ich hoffe, dass auch der Bundesrat zustimmen wird,
damit wir dieses Wohngeld rückwirkend vom 1. Oktober
2008 zahlen können. Wir haben also eine soziale Komponente eingebaut, die dafür sorgt, dass Wohnen bezahlbar bleibt.
Ein anderer Aspekt ist, dass dieser Haushalt alles andere als ein Haushalt sein wird, mit dem in Beton investiert wird. Vielmehr handelt es sich um einen Haushalt,
der sich den neuen Technologien und den Innovationen
stellt. Gestern haben wir eine Konferenz über Wasserstoff- und Brennstoffzellen und über Elektromobilität
abgehalten. Wir können auf solche Programme wie Galileo, auf moderne Verkehrsleittechnik und die Ausstattung kombinierter Verkehrsterminals schauen. Wenn wir
das tun, wird klar, dass es sich um einen Haushalt handelt, mit dem im doppelten Sinne investiert werden soll.
Mit ihm wird in die Infrastruktur investiert werden. Mit
ihm wird in neue Technologien investiert werden. Mit
ihm wird vor allem aber auch in die Menschen und in
das soziale Gefüge in unserem Land investiert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser
Haushalt ist gut. Die Bilanz ist gut. Das ist so, auch
wenn es immer wieder Nörgler gibt, die das anders sehen.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Anton Hofreiter das Wort zu
einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Sehr geehrter Herr
Minister, ich wollte Ihnen eigentlich eine Zwischenfrage
stellen. Ich habe bei Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört. Es war viel von der Finanzkrise die Rede. Es war
auch viel von der Finanzierung des Haushalts die Rede.
Mir ist aufgefallen, dass ein Thema überhaupt nicht vorkam. Dazu wollte ich Sie jetzt fragen. Sie haben auf dem
Gewerkschaftstag der Transnet bekannt gegeben, dass es
unter einem Verkaufserlös von 5 Milliarden Euro für das
Paket der Bahn von 24,9 Prozent keinen Börsengang geben soll. Da das mehr als finanzrelevant ist und zum
Haushalt passt, würde mich sehr interessieren, ob Sie das
hier bestätigen können oder ob die Berichte falsch waren, die dazu in der Zeitung zu lesen waren.
Herr Hofreiter, die Teilprivatisierung der Mobilitätssparte der Deutschen Bahn AG ist kein Selbstzweck. Sie
verfolgt Ziele. Dazu gehört, diese Ziele mit einer bestimmten Erlösstruktur zu erreichen.
Was sind das für Ziele? Das erste Ziel ist: Die Deutsche Bahn AG muss angesichts geöffneter Grenzen in
Deutschland und in Europa wettbewerbsfähig gemacht
werden. Das zweite Ziel ist: Wir wollen die Dienstleistungsqualität erhöhen. Das gilt sowohl für die Kunden,
die am Bahnsteig stehen, als auch für die Unternehmen,
die ihre Güter auf die Schiene bringen. Das dritte Ziel
ist, dass wir in dieser Branche eine große Verantwortung
für 240 000 direkt Beschäftigte und für eine weitaus größere Zahl indirekt Beschäftigte haben. Dies wollen wir
mit der Teilprivatisierung der Mobilitätssparte stabilisieren.
Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir einen Erlös, der nicht unter 5 Milliarden Euro sein soll. Im gegenwärtigen Umfeld ist ein solcher Erlös nicht zu erzielen. Aus diesem Grund wird es zurzeit keine
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG geben.
Ich nehme diese Gelegenheit wahr, auch noch auf
Frau Winterstein einzugehen, die meint, dass dieses Kapitel des Koalitionsvertrages nicht eingelöst ist. Sie irren. Drei Voraussetzungen sind für den Börsengang nötig: Die erste ist, dass sich das Parlament dazu positiv
verhält und der Minister dafür die Vorbereitungen trifft.
Die zweite ist, dass die Bahn kapitalmarktfähig ist, und
die dritte, dass der Kapitalmarkt eine Teilprivatisierung
hergibt.
Zwei Punkte kann ich direkt und indirekt beeinflussen
- sie sind positiv -, nämlich Kriterium eins und zwei.
Das dritte Kriterium hängt von der Finanzmarktsituation
ab. Die ist momentan nicht geeignet, die Teilprivatisierung zu vollziehen. Ich denke, die Experten haben Verständnis dafür.
({0})
Jetzt erteile ich Herrn Mücke das Wort für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bevor Sie sich weiter selbst feiern für
1 Milliarde Euro mehr, die Sie für das kommende Haushaltsjahr einplanen, muss ich Sie daran erinnern, dass
Sie mit diesem Geld nicht wesentlich mehr bauen können, als es bisher schon der Fall war. Das vergessen Sie
bei Ihrer Diskussion gern, und deshalb muss es immer
wieder für die Öffentlichkeit klargestellt werden. Sie
können mit diesem Geld höchstens genauso viel bauen
wie in den Jahren zuvor; denn es hat eine Mehrwertsteuererhöhung gegeben, die jede Bauleistung sehr viel teurer macht. Die Baupreise und die Stahlpreise sind massiv
gestiegen. Überhaupt sind alle Baustoffe etwas teurer
geworden. Das heißt, dass Sie, wenn Sie mehr Geld einsetzen, trotzdem nicht unbedingt mehr Infrastruktur errichten können. Tun Sie also bitte nicht so, als könnten
Sie mit den bisher zur Verfügung gestellten Haushaltsmitteln und der 1 Milliarde Euro zusätzlich wesentlich
mehr bauen. Das ist schlicht falsch.
({0})
Es ist sehr verräterisch, was Kollege Dr. Schmidt von
der SPD hier geäußert hat. Er hat vorhin gesagt - ich
habe es mir genau aufgeschrieben -, dass Herr Minister
Tiefensee „bei uns in den Wahlkreisen auftauchen und
den einen oder anderen Spatenstich vornehmen“ werde.
Das ist eine sehr verräterische Äußerung; denn aus meiner Sicht zeigt es ganz deutlich, was dieses Programm
eigentlich sein soll. Es geht Ihnen gar nicht um eine Verbesserung der Infrastruktur. Es geht Ihnen darum, damit
Wahlkampf zu machen. Das ist alles, was Sie damit vorhaben.
({1})
Sie können gern versuchen, Ihr Wahlkampfprogramm
„Spatenstich mit Tiefensee“ durchzuführen. Wir werden
weiter darauf hinweisen, dass bestimmte Dinge trotzdem
nicht fertigwerden.
Ich will dafür ein Beispiel nennen, das mir persönlich
sehr am Herzen liegt. Herr Minister Tiefensee müsste eigentlich das gleiche Interesse haben wie ich als sächsischer Abgeordneter. Herr Minister, nehmen Sie es mir
nicht übel; aber ich habe den Eindruck, Sie vergessen
manchmal, woher Sie kommen. Ich will Ihnen eines unserer wichtigsten Infrastrukturprojekte nennen - darüber
habe ich heute in der Zeitung gelesen -: die Bahnstrecke Dresden-Berlin. Sie soll nun endlich ausgebaut
werden. Die ursprüngliche Planung war, dass wir bereits
im vergangenen Jahr - ich rede vom Jahr 2007 - mit der
vollständigen Sanierung dieser Bahnstrecke durch sind
und dass man bereits ein Jahr lang die Strecke zwischen
Dresden und Berlin mit dem Zug in 58 Minuten hätte zurücklegen können. Passiert ist bisher nichts. In den
nächsten Monaten soll eine Finanzierungsvereinbarung
geschlossen werden. Sie planen einen Ausbau für
Tempo 160, um keine Bahnübergänge beseitigen, um
keine Brücken und keine Tunnel bauen zu müssen. Sie
sparen also Mittel ein. Eigentlich müssten wir mit
Tempo 200 fahren, um die geplante Fahrtzeit zu erreichen. Das ist der Hintergrund. Trotz der Tatsache, dass
Sie 1 Milliarde Euro mehr ausgeben wollen, fehlen Ihnen für den Ausbau der Strecke Dresden-Berlin immer
noch über 200 Millionen Euro, um genau dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Ich kann Ihnen weitere Verkehrsprojekte überall in
Deutschland nennen, wo genau das der Fall ist. Tun Sie
also bitte nicht so, als ob Sie enorme Summen investieren, um die Infrastruktur in Deutschland wesentlich zu
verbessern. Sie versuchen nur, die Bugwelle, die Sie
schon seit Jahren vor sich hertreiben, ein bisschen abzumildern. Das ist nicht das, was wir uns unter einer langfristigen Haushalts- und Investitionspolitik im Bereich
Verkehrsinfrastruktur vorstellen.
({2})
Die Bundeskanzlerin hat gesagt, es würde keinen
Sinn machen, ein Infrastrukturprogramm aufzulegen und
7 oder 8 Milliarden Euro zu investieren, wenn es dafür
gar keine Projekte gibt. Der Frau Bundeskanzlerin
nehme ich es aufgrund all ihrer Verantwortung nicht
übel, dass sie nicht genau weiß, wie viele Verkehrsprojekte in Deutschland planfestgestellt und sofort begonnen werden können. Ich kann Ihnen auch diesbezüglich
nur einen Blick auf die Details empfehlen. Allein im Bereich Straßenbau - ich rede noch nicht über die Schiene
und auch noch nicht über die Wasserwege - haben wir
überall in Deutschland planfestgestellte Projekte mit einem Volumen von mehr als 2 Milliarden Euro, bei denen
sofort mit dem Bau begonnen werden kann.
({3})
- Allein in Baden-Württemberg, das der Kollege gerade
erwähnt hat, geht es um Projekte mit einem Volumen
von 600 und 700 Millionen Euro, die sofort begonnen
werden können. - Jeder von uns kann leicht feststellen,
welche Projekte in seinem Bundesland auf Eis liegen,
weil schlicht und einfach kein Geld da ist.
({4})
So kann man Verkehrsinfrastrukturpolitik nicht betreiben. Sie sollten versuchen - da haben Sie die Opposition immer an Ihrer Seite -, eine langfristige Planung zu
machen. Es macht keinen Sinn, jedes Jahr wieder
1 Milliarde Euro mehr zu versprechen. Im letzten Jahr
haben Sie nur eine halbe Milliarde Euro zusammenbekommen. Das Wichtige ist, dass es bei den Verkehrsinvestitionen langfristig ein hohes Niveau gibt, damit
langfristig geplant werden kann. Das gilt insbesondere
für die Schiene. Bevor im Bereich Schiene ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt, bevor Sie große Projekte
umsetzen können, vergehen mindestens zwei, wahrscheinlich eher drei bis vier Jahre. Wenn Sie solche Projekte realisieren wollen, sollten Sie langfristig mehr
Geld zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass Planungssicherheit besteht. Die erratische Haushaltspolitik, die Sie betreiben - erst einmal 10 Milliarden Euro,
und dann schauen wir, ob wir in den Nachverhandlungen
noch 1 Milliarde Euro mehr bekommen -, hilft niemandem in Deutschland.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Eine solche Politik hilft vielleicht Ihrem Wahlkampf,
sie wird am Ende aber nicht dazu führen, dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland wesentlich verbessert
wird.
({0})
Dem Kollegen Norbert Barthle erteile ich jetzt das
Wort für die CDU/CSU.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An den Anfang meiner Ausführungen will ich die wichtigste Botschaft stellen: Der große Gewinner der diesjährigen
Haushaltsberatungen ist der Verkehrsetat.
({0})
Wir haben die Mittel für Investitionen im Etat um insgesamt 1,35 Milliarden Euro erhöht. Davon fließt ein
großer Teil in Investitionen in Verkehrsachsen. Man
muss hinzufügen: Als Haushälter bedauern wir es zwar,
dass wir das Ziel der Konsolidierung unseres Haushaltes
etwas verschieben müssen. Dennoch kann ich diese
neuen Schulden gegenüber der jüngeren Generation gut
vertreten; denn wir schaffen Werte, denn wir investieren
in die Zukunft. Das ist ein Verfahren, das man zu Recht
vertreten kann. Wir Abgeordneten folgen dabei nicht nur
unserer Einsicht und unserer Erfahrung. Nein, wir folgen
auch dem Sachverständigenrat, der explizit gesagt hat:
Für die Verkehrsinfrastruktur sind jetzt Investitionen
auch zulasten neuer Schulden sinnvoll.
Warum investieren wir in den Verkehr?
Ich denke, erstens, weil es klug ist. Minister Tiefensee
hat bereits darauf hingewiesen, dass der Multiplikatoreffekt hier besonders groß ist. Jeder investierte Euro
sorgt für ein Mehrfaches an Wachstum. Mit diesen Investitionen sichern wir Beschäftigung und schaffen
Werte für die Zukunft. Das ist sinnvoll.
Zweitens. Genauso wichtig ist, dass diese Investitionen direkt vor Ort wirken. Beim Bau einer Ortsumfahrung zum Beispiel bleiben die Investitionsmittel in der
Region. Dort werden Arbeitsplätze gesichert. Dort wird
die Nachfrage angeschoben. Dort wird der Warenverkehr erleichtert. Dienstleistungen können schneller erbracht werden. Eines ist sicher: Wo Verkehr ist, da ist
Leben. Es geht darum, dass wir jetzt dort, wo Leben und
Verkehr sind, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
der Wirtschaftskreislauf wieder in Gang kommt.
({1})
Drittens. Die Verstärkung in diesem Bereich ist eine
großartige Botschaft insbesondere für die Teile unseres
Landes - Baden-Württemberg wurde schon mehrfach
angesprochen -, in denen erheblicher Nachholbedarf
besteht. Ganze Regionen warten schon seit Jahren auf
den Bau entsprechender Verkehrsachsen. Wenn ich allein an meine Wahlkreisgemeinde Mögglingen denke,
die seit 50 Jahren von zunehmend unerträglicher werdendem Durchgangsverkehr geplagt wird, dann weiß
ich, dass Investitionen in solche und ähnliche Projekte
gut angelegtes Geld sind. Denn dadurch wird - auch
über die Punkte, die ich bereits angeführt habe, hinaus Lebensqualität geschaffen.
({2})
Baden-Württemberg hat tatsächlich großen Nachholbedarf. Wir haben planfestgestellte Straßenverkehrsmaßnahmen mit einem Volumen von rund 1,2 Milliarden
Euro, aber die notwendigen Baufirmen müssen natürlich
vorhanden sein. Das ist ein limitierender Faktor. Es ist
richtig und gut, dass jetzt das Notwendige vor dem Wünschenswerten gebaut wird. Da bin ich ganz bei den Entscheidungen des Ministeriums.
Viertens. Es ist auch gut und richtig, dass wir von den
zusätzlichen 2 Milliarden Euro den Löwenanteil, nämlich knapp 1 Milliarde Euro, in den Straßenverkehr
fließen lassen. Denn dort kann dieses Geld sofort wirken, dort kann schnell gebaut werden. Wir können es uns
nicht leisten, in Projekte zu investieren, die erst in zwei
oder drei Jahren realisiert werden können. Wir brauchen
frisches Geld für Projekte, die jetzt anstehen. Man muss
schnell handeln; das ist richtig so.
Es gibt für Baden-Württemberg - wenn ich als jemand, der von dort kommt, schon einmal die Gelegenheit habe, zum Verkehrsetat zu sprechen, will ich diese
nutzen - eine weitere gute Botschaft, die bereits angesprochen worden ist. Das ist die finanzielle Beteiligung
des Bundes an Stuttgart 21 und an der Neubaustrecke
Wendlingen-Ulm. Das ist im Haushalt abgesichert. Das
gilt dank der Kollegen Kampeter und Königshofen auch
für den Rhein-Ruhr-Express.
({3})
Das ist gut so; das ist wichtig. Denn damit sind sozusagen die Hauptsignale für die Finanzierungsvereinbarung
zwischen Stadt, Land, Bund und Bahn auf Grün gestellt.
Freie Fahrt ist angezeigt. Damit kann eines der wichtigsten Zukunftsprojekte des gesamten Landes zügig in Angriff genommen werden. Dafür sind uns viele, viele
Menschen dankbar,
({4})
auch wenn die Grünen, Frau Lührmann - Kollege
Hermann wird es wahrscheinlich auch noch tun -, immer wieder dagegen polemisieren und versuchen, die
Gegner zu mobilisieren. Natürlich gibt es wie bei jedem
großen Projekt Gegner. Aber dieses Signal ist für ganz
Baden-Württemberg ganz wichtig, weil es sich um ein
Zukunftsprojekt handelt, das für das ganze Land von Bedeutung ist, nicht nur für Stuttgart.
({5})
Das Gutachten des Bundesrechnungshofes haben
wir sehr wohl zur Kenntnis genommen und auch kritisch
beleuchtet. Es gibt aber auch eine Gegenstellungnahme
der Landesregierung. Ich muss dem Bundesrechnungshof von dieser Stelle sagen, dass er sich an manchen
Stellen etwas verrechnet hat und dass er vielleicht auch
nicht mehr auf dem aktuellsten Stand ist. Zum Beispiel,
Herr Kollege, sind die Stahlpreise inzwischen ähnlich
abgestürzt wie die Ölpreise. Würde man es jetzt berechnen, käme man auf ganz andere Kosten. Deshalb muss
man das alles in einem größeren Gesamtzusammenhang
sehen. Das heißt, eine kurzfristige betriebswirtschaftliche Betrachtung, bei der man allein die eingesparte
Fahrzeit oder ähnliche Parameter misst, wird diesem
Verkehrsprojekt nicht gerecht. Man muss es volkswirtschaftlich beleuchten. Aus volkswirtschaftlicher Betrachtung ist das eines der wichtigsten Projekte für ganz
Baden-Württemberg. Wir Baden-Württemberger sind
dem Bund, diesem Hohen Hause und Verkehrsminister
Tiefensee sehr dankbar, dass jetzt grünes Licht gegeben
wird.
Deshalb bin ich der Auffassung - ich komme zum
Schluss -: Mit diesem Etat wird der Verkehr zu einem
der wichtigsten Treiber für die wirtschaftliche Stabilisierung Deutschlands. Sie, Herr Minister, haben eine großartige Chance und eine großartige Verantwortung zugleich, dies entsprechend umzusetzen und einen Beitrag
zu leisten, dass es mit uns wirtschaftlich wieder aufwärts
geht. Wir vertrauen Ihnen und empfehlen Zustimmung
zum Einzelplan.
Herzlichen Dank.
({6})
Die Kollegin Dorothée Menzner ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Linken, zitieren die EU-Kommission nicht
sehr oft. Wenn sie recht hat, kann man sie aber einmal zitieren. Gestern war der Süddeutschen Zeitung zu entnehmen - ich zitiere -:
Um Unternehmen und Arbeitsplätze zu retten, empfiehlt die EU-Kommisson den Mitgliedsländern,
die Steuern massiv zu senken und die Staatsausgaben zu steigern.
Der größte Widerspruch dagegen komme von der Bundesregierung. Die Zahl der Wirtschaftswissenschaftler,
die fordern, die Wirtschaft anzukurbeln, um die Konjunktur am Laufen zu halten und sie nicht abstürzen zu
lassen, steigt.
Sie schlagen zwei Instrumente vor: erstens die Erhöhung des verfügbaren Einkommens der unteren Einkommensgruppen und zweitens Investitionen in Infrastrukturprojekte. Hierfür ist der Verkehrsetat prädestiniert,
und er gibt - das muss ich zugeben - positive Signale;
denn sein Volumen wird erhöht. Dennoch ist die Schwerpunktsetzung falsch.
Es wurde schon mehrfach erwähnt, dass viel zu viele
überdimensionierte und zweifelhafte Großprojekte in
Milliardenhöhe durchgeführt werden: der Hyper-U-Bahnhof Stuttgart 21, die Y-Trasse als Rennbahn durch die
Lüneburger Heide mit zweifelhaftem Nutzen für den Hafenhinterlandverkehr,
({0})
die ICE-Piste unter dem Thüringer Wald, vom Berliner
Stadtschloss und der Kfz-Steuer-Befreiung, die in die
falsche Richtung geht und nicht die richtigen Anreize
setzt, ganz zu schweigen.
Was ist stattdessen zu tun? Engpässe im Schienengüterverkehr müssen dringend beseitigt werden; in aktuellen Studien heißt es, dass es einen akuten Mangel an
Abstellgleisen in einer Größenordnung von rund 60 Kilometern gibt. Knotenbahnhöfe im Güterverkehr sind
dringend auszubauen. Die Zahl der Lkw-Rastanlagen an
Autobahnen ist zügig dem gestiegenen Lkw-Aufkommen anzupassen;
({1})
jeder, der nachts einmal auf der A 2 unterwegs war,
weiß, wovon ich rede.
Schäden an Autobahnbrücken sind zu beheben. Die
Anstrengungen zum Lärmschutz sind deutlich zu verstärken. Wir brauchen kleinteilige Projekte, keine
Großprojekte. Bahn und öffentlicher Nahverkehr müssen
ausgebaut und Mobilitätsbarrieren beseitigt werden;
dazu gehört auch, dass der Eisenbahnfernverkehr dort,
wo er in den letzten Jahren abgebaut wurde, wiederbelebt werden muss.
({2})
Die Infrastruktur muss für die Zukunft fit gemacht
werden. Dabei müssen die Bedingungen der globalen
Welt und der knapper werdenden Ressourcen berücksichtigt werden. Nur so können wir die von uns allen immer wieder formulierten Ziele der Minimierung des
CO2-Ausstoßes und des Klimaschutzes erreichen.
({3})
Eine gute Infrastruktur, die die Bedürfnisse der Menschen erfüllt, ist auch für die Volkswirtschaft von morgen unerlässlich.
In Zeiten, in denen wir in den Abgrund einer von profitgeilem Kapital angezettelten Weltkrise blicken, ist die
Linke nicht dagegen, für Verkehrsprojekte Geld auszugeben,
({4})
auch viel Geld auszugeben. Wir wollen aber, dass dieses
Geld nicht von Mammutprojekten mit zweifelhaftem
Nutzen verschlungen wird.
Das eingesetzte Geld muss mehrere Stationen der
Volkswirtschaft durchfließen, damit es vielen Menschen
nützt, nicht nur wenigen Konzernen.
({5})
Das eingesetzte Geld muss nachhaltige Wirkungen haben; es muss zur Schaffung sicherer Arbeitsplätze beitragen und ökologisch nachhaltig wirken. Mit dem eingesetzten Geld müssen wir auch deutlich machen, dass wir
unseren Auftrag, uns um die Daseinsvorsorge zu kümmern, ernst nehmen und verstanden haben.
Ich danke.
({6})
Winfried Hermann spricht jetzt für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist nicht klug,
dass die Große Koalition die Kritik der Opposition als
Nörgelei abtut;
({0})
das haben Sie in Ihren heutigen Reden allerdings immer
wieder getan. Auch eine Regierung kann nämlich durch
die Argumente einer guten Opposition besser werden.
Auffällig ist, dass einige Probleme sowohl von Ihnen als
auch von uns, obwohl wir in vielen Punkten auch unterschiedlicher Meinung sind, wahrgenommen werden.
Erstens zur Finanzierung der Infrastruktur. Wir erkennen an, dass dafür im nächsten und im übernächsten
Jahr jeweils 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung gestellt wird. Eines darf man aber nicht übersehen: Diese
Erhöhung der Mittel um 1 Milliarde Euro pro Jahr ist in
Anbetracht der Unterfinanzierung des Bundesverkehrswegeplanes und der Preissteigerungen, die bei Bauprojekten zu beobachten sind, nicht wirklich eine Steigerung. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
({1})
Zweitens zu den verschiedenen Projekten. Ein Kollege hat gesagt: Wir verschönern die Bahnhöfe, wir
bauen neue Strecken, wir betreiben Klimaschutz und
Lärmschutz usw. - Schauen Sie sich nur einmal das
Großprojekt Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm an. Alleine diese beiden Großprojekte haben
einen Umfang von mehr als dem Zehnfachen von dem,
was Sie in den zwei Jahren drauflegen.
({2})
Das heißt, im selben Augenblick, in dem Sie sagen, dass
Sie vorankommen und die Zahl der Projekte verringern
wollen, stoßen Sie noch zwei Großprojekte an, was nur
dazu führt, dass alles andere noch langsamer realisiert
wird. Das ist doch die Wahrheit.
({3})
Wir sind ja nicht gegen Stuttgart 21, weil wir etwas
gegen die Bahn oder gegen eine Modernisierung haben,
sondern weil wir einfach sehen, dass ein funktionierender Bahnhof mit unglaublich viel Geld von oben nach
unten verlegt werden soll, wodurch ein unterirdischer
Engpass gebaut wird, den man anderswo beseitigen
möchte.
({4})
Der Bahnhof ist anschließend so groß wie der Cannstatter Bahnhof und kleiner als der Karlsruher Bahnhof als
vergleichbarem Bahnhof. Das ist doch der Unsinn. Es
bringt für das Netz nichts. Insofern ist das gesamtwirtschaftlich unsinnig. Deswegen lehnen wir das ab.
({5})
Ich will dazu jetzt nichts mehr sagen, sondern aufgrund der Kürze meiner Redezeit noch ein ganz anderes
Thema ansprechen, nämlich Klimaschutz und Autoverkehr.
Herr Minister, Sie haben, wie übrigens auch die
Kanzlerin, vor einem guten Jahr nach dem MesebergBeschluss hier verkündet, was Sie alles tun werden, um
das Autofahren klimafreundlicher zu machen. Dazu haben gehört: neue CO2-Grenzwerte auf europäischer
Ebene, eine Effizienzauszeichnung mit Ampeln usw., sodass die Bürger wissen, welches Auto sie kaufen können, welches klimafreundlich ist, und die Umstellung
der Kfz-Steuer auf CO2-Basis. Von diesen drei zentralen
Punkten Ihres Klimaschutz- und Energieprogramms ist
nach einem Jahr nichts, aber auch gar nichts übrig. Das
ist angesichts der Tatsache, dass wirklich etwas zu tun
ist, verheerend.
Ich komme zu dem, was Sie in dem Zusammenhang
wirklich beschlossen haben, nämlich zur Aussetzung
der Kfz-Steuer für zwei Jahre bei dem Neukauf eines
Autos. Das ist sozusagen Ihre Klimaschutzantwort.
Jetzt spreche ich die Genossen und die Freunde der
Facharbeiter an: Sie sorgen für eine Steuerbefreiung,
durch die der Käufer eines teuren spritfressenden Wagens wie der Audi Q7 - wie wir alle wissen, kostet er
60 000 Euro aufwärts - von 3 600 Euro Kfz-Steuer in
zwei Jahren befreit wird, während der Käufer eines kleinen Smarts, eines kleinen Toyota-Aygos oder eines anderen spritsparenden Kleinwagens zusammengerechnet
auf vielleicht 300 Euro Steuerbefreiung kommt. Das ist
Ihre sozial verträgliche Klimaschutzpolitik. Das ist doch
absurd. Das ist Absurdistan.
({6})
Dass Sie dann auch noch stolz darauf sind, dass Sie
diese Maßnahme korrigiert haben, kann ich gar nicht
mehr nachvollziehen, weil Sie bei einer völlig vermurksten, mistigen Regelung, die weder ökonomisch der Automobilindustrie etwas bringt noch ökologisch dem Klimaschutz hilft, nur die entsprechende Frist verkürzt
haben. Sonst haben Sie aber nichts korrigiert.
Sie haben das, was Sie in diesem Bereich wollten,
letztendlich gar nicht getan, sondern stattdessen noch
eine Maßnahme durchgeführt, mit der all das konterkariert wird, was Sie bisher erzählt haben. Das ist wirklich
eine Schande für Sie und Ihre Klimaschutz- und Verkehrspolitik.
({7})
Klaus Hofbauer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Wir werden uns das nicht kleinreden lassen: Mit 11,2 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur wird ein Rekordhaushalt aufgestellt, und wir
sind gemeinsam stolz darauf, dass wir dies bei diesen
Haushaltsberatungen erreicht haben.
({0})
Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit auch bei unserer Bundeskanzlerin und beim Bundeswirtschaftsminister, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass für
die Verkehrsinfrastrukturprogramme pro Jahr 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung gestellt werden kann.
Erlauben Sie mir, auch festzustellen, dass für mich
zwei Dinge dafür entscheidend sind, dass wir in diese
Verkehrsinfrastruktur investieren:
Erstens. Durch diese Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur fördern wir die dringend notwendige Mobilität. Wir leisten damit einen wesentlichen Beitrag dafür,
den Zuwachs des Verkehrs - insbesondere des Güterverkehrs - zu bewältigen.
Zweitens. Mit diesen Investitionen sichern wir
Arbeitsplätze. Durch Verkehrsinvestitionen werden Arbeitsplätze geschaffen und gehalten. Ich glaube, das ist
in der heutigen Zeit von ganz großer Bedeutung.
({1})
Es verdienen nämlich nicht nur einige Bauunternehmer. Schauen Sie sich zum Beispiel an, wie der Mittelstand vom CO2-Gebäudesanierungsprogramm profitiert. Gehen Sie doch zu unseren Elektromeistern und zu
denen, die Sanierungsmaßnahmen im Wohnungsbereich
durchführen. Hier gibt es doch einen Auftragsboom; die
Menschen nehmen diese Maßnahmen an und sind vor allen Dingen bereit, zu investieren. Das ist ein Beitrag zur
Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Klimaschutz in
der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Es wurde gesagt, wir würden nur Konzerne und Großprojekte fördern. Diese Große Koalition bemüht sich um
Großprojekte, aber zum Beispiel auch um den öffentlichen Nahverkehr. Hier gibt es eine optimale Lösung;
hier erreichen wir einiges. Das zeigt, dass wir auf einem
guten Weg sind.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Günther zulassen?
Ja.
Bitte schön.
Kollege Hofbauer, Sie haben das CO2-Gebäudesanierungsprogramm angesprochen und gesagt, der Gesamthaushalt sei gut. Wenn Sie am Beispiel dieses Programms das zugrunde legen, was der Bundesminister
gesagt hat, nämlich dass mit 1 Euro 8 Euro angestoßen
werden, dann zeigt sich, dass allein durch die Mehrwertsteuer mehr eingenommen wird, als Sie ausgeben. Warum begrenzen Sie dann die Investitionen in dieses Programm?
Die meisten der Kolleginnen und Kollegen kommen
aus der Kommunalpolitik und sind dort zum Teil nach
wie vor verankert.
({0})
- Das sind die Besten, das gebe ich zu; schließlich bin
ich seit 40 Jahren im Stadtrat.
({1})
Als Kommunalpolitiker sehen wir, wie sich die Initiativen, die wir im Bundestag beschließen, bei den Menschen vor Ort, in den Kommunen, konkret auswirken.
Sie dürfen nicht nur das CO2-Gebäudesanierungsprogramm sehen, sondern müssen die Maßnahmen, die der
Herr Minister angesprochen hat, insgesamt betrachten.
Das ist eine Palette von verschiedenen Initiativen, die
sich positiv auswirken. Deswegen bleibe ich bei meiner
Feststellung: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist
ein Erfolgsprogramm.
({2})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine Bemerkung zum Bereich der Schiene. Es tut uns leid - ich
teile hier die Auffassung vom Herrn Minister -, dass der
Börsengang momentan nicht sinnvoll ist. Aber was zum
Beispiel die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
anbelangt, ist bisher hervorragende Arbeit geleistet worden. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Beckmeyer, Herr
Dr. Friedrich, Herr Ferlemann, die Sie mit dem Ministerium einen Weg aufgezeigt haben, auf dem wir Politiker
erstmals die Möglichkeit haben, noch mehr bei der Gestaltung der Investitionen in die Bahn mitzuwirken.
({3})
Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Weg sind,
wenn wir politisch Einfluss darauf nehmen, wie die
2,5 Milliarden Euro umgesetzt werden.
Herr Kollege Mücke, ich gebe Ihnen recht, und ich
möchte das als zentrale Forderung für uns alle aufstellen:
Wir haben einen Rekordhaushalt; aber dieser wird nichts
nutzen, wenn wir die Summe nicht verstetigen.
({4})
Wir müssen sie über das Jahr 2011 hinaus verstetigen,
und zwar im Interesse der Planungsbehörden und der
Bauten. Sie können nicht für ein Jahr 1 Milliarde Euro
dazulegen und im nächsten Jahr wieder 1 Milliarde Euro
wegnehmen. Das können wir uns nicht leisten. Das
heißt, wir müssen und werden miteinander darum kämpfen, dass die hohe Verkehrsinvestition - ich gebe Ihnen
recht, dass hier sicherlich das eine oder andere noch geschehen muss und dass wir einen gewissen Nachholbedarf haben - verstetigt wird. Dabei möchte ich auch erwähnen, dass wir - der Kollege Barthle hat es gesagt bratfertige Projekte vorliegen haben. In Bayern sind es
Projekte in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro,
die wir sofort starten können. Hinzu kommt, dass wir
Verkehrsinvestitionen in die Sanierung von Brücken
usw. tätigen, die sofort umgesetzt werden können.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung zu den Mauteinnahmen. Wir sind uns sicherlich einig, dass die gezogenen Einnahmen richtig sind
({5})
und dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Aber eines möchte ich sagen: Die Spediteure haben gewusst,
was auf sie zukommt.
({6})
- Lassen Sie mich doch den Satz vollenden. - Aber wir
sollten die Probleme, die die Spediteure zurzeit haben,
ernst nehmen.
({7})
Es darf nicht das Ziel der Politik sein, dass für die
Spediteure die deutschen Verkehrszeiten nicht mehr gelten. Deswegen müssen wir diese Themen aufgreifen. Es
gibt dazu einiges zu sagen.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Thema
Breitbandversorgung. Der Kollege Kalb hat es bereits
angesprochen. Für mich ist das ein zentrales Thema.
Früher stand der Bau von Autobahnen im Vordergrund.
Natürlich ist eine Autobahn notwendig, aber eine attraktive Breitbandversorgung auch im ländlichen Raum ist
für die Lebensqualität von entscheidender Bedeutung.
({8})
Die Breitbandversorgung ist ein Thema, das nicht nur
die Wirtschaft angeht. Jede Familie ist auf Breitbandversorgung angewiesen. In Zukunft wird ein Bürgermeister
keinen Bauplatz mehr verkaufen können, der keine
Breitbandversorgung bietet.
({9})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Es ist für mich von
entscheidender Bedeutung, diesen hohen Ansatz zu verstetigen. Ich halte es für wichtig, die Wirtschaft und hier
insbesondere den Mittelstand in den Mittelpunkt zu stellen. Ich glaube, wir können feststellen, dass wir mit dem
Einzelplan 12 einen Superhaushalt haben. Darauf können wir stolz sein. Wir werden ihn miteinander erfolgreich umsetzen.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich gebe jetzt dem Kollegen Uwe Beckmeyer für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist schon fast alles gesagt worden,
({0})
gleichwohl, so ist mein Eindruck, von einigen Oppositionsrednern noch nicht.
({1})
Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der
Welt und die größte innerhalb der Europäischen Union.
Ich glaube, wir haben allen Grund, dafür zu sorgen, dass
das, was diese Volkswirtschaft am Laufen hält - nämlich
die Verkehrsinfrastruktur -, in einem ausgesprochen
guten Zustand ist. Ich denke, dass der Bundesverkehrsminister und die für die Verkehrsinfrastrukturpolitik Verantwortlichen in diesem Hause sich dessen immer bewusst sind. Wir kämpfen um hohe Investitionen und
haben erreicht - die Kollegen der Großen Koalition haben darauf hingewiesen -, dass im Haushaltsjahr 2009
eine überaus große Investitionssumme den Haushalt
schmückt. Das ist gut, und das ist eine grundsätzlich
richtige Voraussetzung.
Wenn wir jetzt gleichzeitig darum ringen, dass wir
auch mit dem Verkehrshaushalt einen Schutz vor der
Krise erreichen, die auf uns zukommt, und die Arbeitsplätze schützen wollen, dann geht es insbesondere darum, dass wir mit diesem vielen Geld möglichst viel bewirken. Was bedeutet das für die Ausgabe der vor uns
liegenden Projekte? Es geht darum, dass wir die Projekte identifizieren, die schon laufen, und dass wir sie
dazu bringen, noch schneller zu laufen, und vorziehen,
was vorgezogen werden kann. Das sind schon alles planfestgestellte Projekte. Es geht auch darum, die Projekte,
die schon planfestgestellt sind und vielleicht erst im
übernächsten Jahr anlaufen würden, vorzuziehen.
Diese Aufgabenstellung sehen der Bund und die
obersten Verkehrsbehörden der Länder für das Jahr 2009
auf sich zukommen.
({2})
Das ist, denke ich, unsere Aufgabe, die wir jetzt zu leisten haben.
Das bedeutet, dass für den Verkehr, den Tiefbau und
den Hochbau in der Bundesrepublik Deutschland, die
Gebäudesanierung, das Handwerk, aber auch das produzierende Gewerbe ein großer Schub kommen wird, der
aber auch verkraftet werden muss. Wir müssen alles tun,
dass diese Aufgaben so zügig und exakt umgesetzt und
unserer Wirtschaft zugeführt werden, dass wir am Ende
des Jahres 2009 feststellen können, die 11 Milliarden Euro für Investitionen sind vollständig ausgegeben
und haben den größtmöglichen Effekt erreicht. Das ist
unser Ziel für das kommende Jahr.
({3})
Ich will einige Beispiele nennen, weil man nicht nur,
wie es die Opposition heute teilweise gemacht hat, kritisieren, sondern auch darüber nachdenken sollte, was
man mit den Mitteln Sinnvolles anfangen kann. Es gilt
nicht nur die Bauinvestitionen zu berücksichtigen, sondern auch das, was der Umweltminister und der Verkehrsminister in der letzten Woche vorgestellt haben.
Das eröffnet dem Verkehr, aber auch der Industrie eine
Zukunftsperspektive. Stichwort Elektromobilität: Wir
müssen das Thema Elektromobilität so puschen - hier
sind der Bundesverkehrsminister und der Bundesumweltminister hochgradig engagiert -, dass unsere Automobilindustrie rechtzeitig - vielleicht noch zügiger als
bisher geplant - in die Lage versetzt wird, Elektrofahrzeuge in Deutschland auf den Markt zu bringen. Das
lässt die Arbeitsplätze in dieser Branche krisenfester
werden als bisher. Die Brennstoffzellentechnologie ist
ein weiteres wichtiges Thema.
Der Haushalt enthält auch kleine Positionen, die ich
dennoch erwähnen möchte, weil sie für ganz bestimmte
Branchen wichtig sind. Thema Binnenschiffflotte: Wir
fördern zum Beispiel Doppelhüllenschiffe, die auf unseren Kanälen fahren. Wir machen den Verkehr so sicherer, egal ob es um die Tankschifffahrt oder um Stückgutfrachter geht. Das alles ist wichtig und wesentlich.
Ich habe in meinen letzten Reden häufig darauf hingewiesen, dass wir uns um die Akzeptanz des Verkehrs
kümmern müssen, zum Beispiel um den Lärmschutz am
Gerät der Bahn, entlang der Autobahnstrecken und des
Bahnnetzes. Das ist weiterhin ein ganz wesentliches
Thema und wird in unserem Haushalt gut abgebildet.
Mich erfreut außerdem, dass es uns gelungen ist, im
Rahmen des CO2-Gebäudesanierungsprogramms einen Programmteil zu verstärken, der von struktur- und
steuereinnahmenschwachen Gemeinden genutzt werden
kann. Nicht nur Darlehen, sondern auch Zuschüsse spielen hier eine Rolle; denn solche Gemeinden können sich
nicht weiter verschulden und müssen dennoch dringend
in den Genuss der Vorteile des CO2-Gebäudesanierungsprogramms kommen, egal ob es um städtische Einrichtungen oder Sportstätten geht. Es ist wichtig, dass wir
das Programm so gestalten, dass auch finanzschwache
Gemeinden mit Bundes- und Landesmitteln ausgestattet
werden können, um ihre Projekte vor Ort zu realisieren.
({4})
Da ich noch ein paar Minuten Zeit habe, möchte ich
auf das eine oder andere, was seitens der Opposition gesagt wurde, eingehen. Frau Menzner, Sie haben von einer falschen Projektsetzung gesprochen. Das kann ich
überhaupt nicht nachvollziehen. Auch andere Kollegen
haben das Projekt Stuttgart 21 angesprochen. Wir sind
hier nicht im baden-württembergischen Landtag.
({5})
Unsere Aufgabe ist, die Projektkosten, die bei der Ertüchtigung der Strecke ohnehin anfallen, zu tragen.
({6})
Wenn Sie anderer Meinung sind, empfehle ich, sie im
baden-württembergischen Landtag zu artikulieren. Der
Bundestag ist jedenfalls die falsche Adresse.
({7})
Das Land ist für das Projekt verantwortlich. Die Kommune Stuttgart will dieses Projekt. In einer Demokratie
müssen Sie dies akzeptieren.
Es ist wichtig, hier nicht Wahlkampf zu machen, Herr
Mücke. Wir müssen im Rahmen der Infrastrukturvorhaben für sichere Straßen, intakte Autobahnen und sanierte Fernstraßen sorgen. Hier wird nicht nur ein Spatenstich ausreichen. Vielmehr muss eine Bauleistung
erbracht werden, und zwar möglichst rasch. Wenn planfestgestellte Projekte begonnen werden, dann ist das gut,
egal ob in Ihrem Wahlkreis oder im Wahlkreis anderer
Kollegen. Das hat aber nichts mit Wahlkampf zu tun.
Vielmehr wird mit einem notwendigen Projekt begonnen, für das wir alle gemeinsam gestritten haben.
({8})
Was wir haben, ist ein echtes Konjunkturprogramm; denn alles, was wir ausgeben, wirkt ganz gezielt auf eine große Branche.
Gleichzeitig ist es uns mit Unterstützung des Bundesrates gelungen, die Mautmittel für das Jahr 2009 parlamentsfest zu machen. Ich denke, das ist ein großer Vorteil, weil uns die Mauteinnahmen auf diese Weise für
den Haushalt 2009 zur Verfügung stehen. Wenn man all
dies zusammennimmt, kann man schlussendlich einen
relativ guten und wohldotierten Haushalt für die Jahre
2009 und 2010 erwarten.
Bei welchem Verkehrspolitiker kommen Initiativen,
dies zu verstetigen, nicht gut an? Ich denke, dass sie bei
uns allen gut ankommen. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu
sorgen, dass wir auch in den kommenden Jahren der Finanzplanung einen gut dotierten Bundesverkehrshaushalt vorfinden. Die Sozialdemokraten jedenfalls werden
dafür streiten, damit dies auch in Zukunft der Fall ist.
Recht herzlichen Dank.
({9})
Zum Ende der Debatte spricht der Herr Kollege
Arnold Vaatz für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In einer Situation, in der man damit rechnen
muss, dass die Nachfrage infolge der Finanzkrise schlagartig wegbricht, ist es sicher richtig, wenn die öffentliche
Hand ihre Nachfrage forciert. Das hat sie in diesem Fall
getan. Sie hat es sogar in erheblichem Maße getan. Allerdings sollte uns allen angesichts der Tatsache, dass
wir die neu zustande kommende Nachfrage ausschließlich durch Verschuldung erzeugen, ein kleines bisschen
unwohl sein. Wir sollten uns daran erinnern, dass das,
was Keynes als erste Phase beschrieben hat, in der Welt
sehr oft praktiziert worden ist. Die zweite Phase, die Refinanzierung, ist allerdings fast nie eingetreten.
({0})
Das sollte man einfach als nachdenkenswerten Hinweis
aus dieser Debatte mitnehmen.
Jetzt komme ich auf die Bemerkung des Herrn Kollegen Mücke zu sprechen. Herr Kollege Mücke, ich
möchte Ihnen fast Punkt für Punkt recht geben.
({1})
- Ich habe gesagt: fast. Klatschen Sie nicht zu früh. - Sie
sagen: Die Baupreise sind viel schneller gestiegen als
der Aufwuchs unserer Infrastrukturhaushalte. Selbstverständlich haben wir Projekte en masse. Wir könnten
eigentlich aus dem Vollen schöpfen und sofort alles umsetzen. Eigentlich brauchten wir aber viel mehr. Ich bin
auch der Meinung, dass wir für die Infrastrukturhaushalte mehr Geld aus dem Bundeshaushalt benötigen.
Herr Mücke, gleichzeitig verlangt Ihre Partei eine
Steuersenkung. Das bedeutet, dass das Deckungsdefizit
zunächst einmal größer und nicht kleiner wird. Das Vabanquespiel, das wir auf diese Weise beginnen, wird für
uns damit noch unkalkulierbarer.
Wir sollten zu einer realistischen Politik kommen.
Das heißt, dass wir das, was wir ausgeben, durch Einnahmen so stark wie möglich abdecken müssen. Das ist
die große Zukunftsaufgabe. Erstens müssen wir unsere
Infrastrukturhaushalte vergrößern; dies gilt insbesondere
für Ostdeutschland, wo die Lücken noch am größten
sind. Zweitens müssen wir für eine wesentlich bessere
Deckung durch Einnahmen sorgen. Es wäre uns sehr
lieb, wenn der größte Anteil dieser vermehrten Deckung
durch Einnahmen aus einer florierenden Wirtschaft
käme. Lassen Sie uns alles dafür tun.
({2})
Genau in diese Richtung geht unser Haushalt. Ich
finde es großartig, dass es in der Bereinigungssitzung
möglich war, 2 Milliarden Euro aufzusatteln, und zwar
für das nächste und das übernächste Jahr. Allerdings
sollten wir es nicht nur bei Lückenschlussplänen belassen. Lückenschlüsse sind zum Beispiel im Autobahnbereich notwendig. Wir brauchen auch noch eine ganze
Menge von Ortsumgehungen in Ostdeutschland.
Aber es gibt einen großen Mangel. Darüber sollten
wir uns in diesem Haus einmal intensiver unterhalten
und nicht immer nur am Rande. Das ist die Tatsache,
dass eine leistungsfähige Nord-Süd-Verbindung in
Deutschland, nämlich die Rhein-Schiene, zu wenig für
das wiedervereinigte Deutschland ist.
({3})
Wir brauchen ein Konzept und eine langfristige Planung in Übereinstimmung mit den Planungen der Europäischen Union für einen zweiten leistungsfähigen
Nord-Süd-Korridor, der die Ostsee mit den Ländern
Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt verbindet und eine
Erschließungswirkung für Ostdeutschland entfaltet. Das
wäre nämlich etwas, was die Wirtschaft selbst täte und
was wir nicht Schritt für Schritt finanzieren müssten.
Diese Erschließungswirkung kennen wir von anderen
Nord-Süd-Verbindungen, die in der Bundesrepublik
Deutschland die Stärke des Westens erzeugt haben.
Das ist umso wichtiger, als im Augenblick die chinesischen Schifftransporte durch den Suezkanal, soweit sie
nicht von Piraten gekapert werden, in das Mittelmeer über
die Straße von Gibraltar an der Bretagne vorbei nach Rotterdam führen. Wenn aber der Hafen Koper in Slowenien
als leistungsfähiger Abnehmer infrage kommt und eine
Ableitung nach Norden durch eine leistungsfähige Schienen-Meer-zu-Meer-Verbindung stattfände, dann hätten
wir eine tolle Verkürzung dieser wichtigen Verkehrsader.
Wir hätten eine Erschließungslinie für Ostdeutschland
und für ganz Osteuropa, die für uns einen existenziellen
Rang haben könnte.
({4})
Ich kann Sie, Herr Minister Tiefensee, nur auffordern:
Bitte, kümmern Sie sich darum, verstolpern Sie nicht die
Möglichkeit, werden Sie in Brüssel vorstellig, und sorgen Sie dafür, dass dieser Gedanke bei der Revision der
transeuropäischen Netze aufgenommen wird!
({5})
Gestatten Sie mir noch ein Wort in Bezug auf die Bereinigungssitzung. Ich freue mich besonders, dass es gelungen ist, Gelder für ein Denkmal für die Freiheit und
Einheit Deutschlands in Leipzig lockerzumachen. Ich
hoffe, dass es uns gelingt, mit diesem Denkmal ein Symbol für einen der wichtigsten und entscheidendsten Momente in der europäischen Geschichte nach dem Zweiten
Weltkrieg in Leipzig zu installieren.
({6})
Die Menschen warten auf dieses Signal der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben es verdient, und wir sollten
es machen.
Ganz herzlichen Dank.
({7})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11062? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der einbringenden Fraktion, Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und Ablehnung des übrigen Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11063? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt wie vorher.
Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt II.15 auf:
Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Drucksachen 16/10423, 16/10424 Berichterstattung:
Abgeordnete Georg Schirmbeck
Ernst Bahr ({0})
Roland Claus
Alexander Bonde
Zum Einzelplan 10 liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Zwischen den Fraktionen ist eine Debattenzeit von
eineinviertel Stunden vorgesehen worden. - Damit sind
Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Beginn der Debatte dem Kollegen Jürgen Koppelin und grüße alle Besuchergruppen
ganz herzlich.
({1})
Frau Präsidentin, Sie sind anscheinend sehr gut informiert. Ich glaube, auf der Besuchertribüne sitzt auch eine
Besuchergruppe des Kollegen Kampeter.
Deswegen habe ich alle Besuchergruppen begrüßt
und nicht nur Ihre, Herr Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Wer die
einzelnen Beratungen zu den Etats, auch die zum Verkehrsetat eben, den ganzen Nachmittag verfolgt hat, der
stellt etwas teilweise Erschreckendes fest: dass das Bundeskanzleramt an diesen Etats anscheinend überhaupt
nicht interessiert ist. Es ist nicht ein Vertreter des Bundeskanzleramtes da, und das trotz seiner starken Besetzung. Man verlangt nicht, dass die Kanzlerin da ist, aber
zumindest einer der Staatsminister. Frau Präsidentin, das
sollte auch im Ältestenrat einmal angemerkt werden.
Das ist ein Vorgang, der nicht in Ordnung ist.
({0})
Aber das mag auch ein bisschen ein Symbol für das Interesse des Kanzleramtes an einzelnen Etats sein.
Frau Ministerin, Gratulation, dass Sie seit kurzem Ministerin sind. Ich denke, Sie werden zu den Freien Demokraten immer ein sehr gutes Verhältnis pflegen. Das
mag daran liegen, dass die FDP durch einen sensationellen Erfolg in Bayern nun in der Koalition ist. Der frühere
Minister Seehofer wurde Ministerpräsident, und dadurch
sind Sie - eigentlich durch die FDP - Ministerin geworden.
({1})
Wir gratulieren und hoffen, dass wir ein gutes Verhältnis
zueinander pflegen können.
({2})
Jetzt aber zum Ernst der Sache. Man muss diesen
Ministerwechsel eigentlich begrüßen; denn in dieser
Legislatur - das muss man einfach sagen, und daran
muss man sich erinnern - war das Landwirtschaftsministerium in einen Dornröschenschlaf gefallen. Das lag an
Herrn Minister Seehofer, der an diesem Ministerium eigentlich überhaupt kein Interesse hatte, sondern ganz andere Interessen verfolgte. Das mag ja menschlich verständlich sein. Das Ministerium hat allerdings erheblich
darunter gelitten. Frau Ministerin, insofern hoffen wir,
dass Sie jetzt etwas daraus machen.
({3})
Dass Minister Seehofer an diesem Etat und an seinem
Ministerium wenig Interesse hatte, das mögen Sie auch
daran sehen, dass er in seiner Amtszeit - immerhin fast
drei Jahre - keinerlei Akzente und auch keine politischen Schwerpunkte gesetzt hat. Wenn man sich den
Etat anschaut, dann kann man sagen: Er hat eigentlich
einfach den Etat der ehemaligen Ministerin Künast fortgeführt und keine neuen Akzente gesetzt. Das war das
Bedauerliche.
({4})
Allerdings hat es Minister Seehofer immer verstanden
- das wollen wir gar nicht verkennen -, uns Wasser als
Wein zu verkaufen. Das war sein größtes Talent.
Aber der Etat hat sich - das muss man sagen - nicht
allzu sehr geändert. Sie haben nach wie vor hohe Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit. Da sollten Sie einfach einmal schauen. Auch wenn Sie diesen Etat nicht auf den
Weg gebracht haben, müssen Sie ihn jetzt verantworten.
Außerdem ist die Ökoförderung in diesem Etat ganz
stark: 16 Millionen Euro für ein Programm, das überhaupt nicht angenommen wird. Schauen Sie sich die
Dinge einfach einmal an!
Keiner hat etwas gegen Öko; das ist bei den Menschen angekommen. Frau Ministerin - jetzt haben auch
Sie eine Stimme im Kabinett -, sorgen Sie dafür, dass
die Menschen durch Steuersenkungen wieder mehr Geld
in der Tasche haben, damit sie sich Öko auch leisten
können.
({5})
Die Entscheidung wird ja am Ladentisch getroffen.
Frau Ministerin, ich hoffe, dass Sie in einem Punkt
anders als Ihr Vorgänger handeln. Minister Seehofer hat
nur an 18 von 32 Sitzungen in Brüssel teilgenommen.
Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein schlechtes Ergebnis. Bei Ihnen kann man zumindest sagen: Sie haben bisher an 100 Prozent der Sitzungen teilgenommen. Ich
glaube, in Ihrer bisherigen Amtszeit hat nur eine Sitzung
stattgefunden.
({6})
Ich möchte einen anderen Bereich ansprechen, in dem
wir uns als Freie Demokraten sehr engagiert haben: Verbraucherschutz. Frau Ministerin, ich weiß, dass Sie
sich ebenfalls in diesem Bereich engagieren wollen. Setzen Sie bitte Akzente! Wenn beim Verbraucherschutz in
diesem Ministerium nicht endlich etwas geschieht - wir
haben nicht nur Streichungsanträge gestellt, sondern
auch Aufstockungen der Mittel verlangt -, dann werden
Sie erleben, dass man in der nächsten Legislatur sagt:
Verbraucherschutz gehört gar nicht in dieses Ministerium, sondern ins Justizministerium. Wir wollen, dass
der Verbraucherschutz bei Ihnen ist; aber dann sorgen
Sie auch dafür, dass wir in Deutschland einen vernünftigen Verbraucherschutz haben
({7})
und dass unsere Bevölkerung durch Ihr Ministerium intensivst informiert wird.
({8})
Nehmen Sie einmal Themen wie Gaspreise, Energiekosten, Interneteinkauf, Onlinebanking, Finanzanlagen.
Eine Aufgabe Ihres Ministeriums besteht darin, die Verbraucher auf diesen Gebieten zu schützen und vor allem
ein verlässlicher Ratgeber zu sein.
Frau Ministerin, Sie haben sich in der Vergangenheit
- das weiß ich - im Bereich der Agrarsozialpolitik sehr
engagiert. Sie haben Reformen gefordert. Jetzt haben Sie
die Chance, sie durchzusetzen. Minister Seehofer hatte
anscheinend weder Zeit noch Lust, sich um die landwirtschaftliche Unfallversicherung oder die landwirtschaftliche Krankenversicherung zu kümmern. Hier brauchen
wir dringend Reformen. Wir sind dabei, wenn Sie das
anpacken; wir wollen das mit Ihnen zusammen angehen.
Wir halten das für dringend erforderlich.
({9})
Frau Ministerin, lassen Sie mich wegen der kurzen
Redezeit zum Schluss nur noch Folgendes sagen: Mit
uns können Sie rechnen, wenn es darum geht, die Interessen der Landwirte zu vertreten, so wie Sie es in Brüssel versucht haben. Da war aus meiner Sicht mehr nicht
drin; es war schon vorher durch Herrn Seehofer so verkorkst. Wie soll man sagen? Vielleicht haben Sie wirklich versucht, das Beste zu erreichen. Befriedigend ist
das Ergebnis für unsere Landwirte natürlich nicht. Dazu
werden Sie gleich sicherlich etwas sagen.
Sie werden unsere Unterstützung haben, auch meine
als Berichterstatter; das ist ganz klar. Aber gehen Sie auf
die Landwirte zu! Ihr Vorgänger Seehofer konnte das leider nicht.
Herzlichen Dank.
({10})
Der Kollege Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für
die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Unterhaltungswert mancher Rede
mag hoch sein, aber es geht eigentlich darum, dass wir
uns mit den Fragen von Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz auseinandersetzen. Deshalb möchte
ich zu diesen Einzelpunkten etwas sagen.
Der besonderen Initiative des Vorsitzenden der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ist es zu verdanken, dass wir einen unabhängigen Verbraucherschutz bekommen,
({0})
der auch von den Zyklen des Haushalts unabhängig ist.
Auf hohem Qualitätsniveau werden die Verbraucher von
unabhängigen Personen informiert.
Deshalb ist es unser Anliegen, dass die Stiftung Warentest dauerhaft selbstständig ist und das Kapital so aufgestockt wird, dass dort unabhängig von den Zyklen des
Bundeshaushalts gearbeitet werden kann. Es ist uns in
intensiven Gesprächen mit dem Koalitionspartner auch
gelungen, entsprechende Verpflichtungsermächtigungen
im Haushalt auszubringen. Herr Kollege Kelber, in diesem Zusammenhang verwundert uns, dass Sie in einer
Presseerklärung den Eindruck erweckt haben, das sei
Ihre Idee gewesen. Wir sollten gerade unter Koalitionsfreunden so viel Charakterfestigkeit beweisen, dass wir
uns nur die Blumen ans Revers heften, die wir auch selber gepflückt haben.
({1})
Ich gehe davon aus, dass wir die Probleme mit dem
Verbraucherschutz im nächsten Jahr geregelt bekommen. Der Kollege Ernst Bahr und ich haben wiederholt
mit den Verbraucherschützern gesprochen und großes
Einvernehmen erzielt. Deshalb darf man sagen: Das, worüber früher immer Streit zwischen den verschiedenen
politischen Gruppierungen war, ist heute in der Sache
auf gutem Weg. Wir haben wirklich eine ganze Menge
auf den Weg gebracht. Herr Kollege Koppelin, vielleicht
haben Sie das gar nicht bemerkt.
({2})
Das ist uns ebenfalls im Ökolandbau gelungen, und
das ist uns auch bei der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung gelungen.
Natürlich kann man in jedem Politikbereich immer
Reformen fordern. Aber erst einmal ist festzustellen,
dass uns Folgendes gelungen ist: Die Kinder der Landwirte werden, was die Krankenversicherung angeht,
genauso behandelt wie die, die in der allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung sind.
({3})
- Das ist überhaupt nicht selbstverständlich,
({4})
und deshalb darf man das auch herausstellen. Für die
Krankenversicherung der Landwirte müssen immerhin
45 Millionen Euro zusätzlich oder 3,8 Prozent mehr zur
Verfügung gestellt werden. Das darf man in diesem Zusammenhang erwähnen.
Dass es uns gelungen ist, die Berufsgenossenschaft
mittelfristig, vielleicht sogar langfristig, beitragsstabil zu
organisieren, ist auch erwähnenswert. Wir werden im
Haushalt 2009 dafür 200 Millionen Euro zusätzlich zur
Verfügung stellen. Ich sage einmal ganz ehrlich: Ich
habe mich im vorigen Jahr ein bisschen geärgert, wenn
der eine oder andere Vertreter der Berufsgenossenschaften den Eindruck vermittelt hat, als wäre das alles nichts
oder als wäre das alles selbstverständlich. 200 Millionen
Euro sind viel Geld.
({5})
Man darf dabei auch erwähnen, dass in dieser Wahlperiode in jedem Jahr, also laufend, 100 Millionen Euro
zusätzlich zur Verfügung gestellt worden sind. Das ist
eine enorme Leistung. Dafür darf man auch dankbar
sein.
({6})
Im letzten Jahr ist hier mit Recht kritisiert worden,
dass die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ nicht so ausgestattet worden ist, wie das in der Vergangenheit der
Fall gewesen ist. Man kann in einem Haushalt, der ja
nach Möglichkeit irgendwann ausgeglichen sein soll,
nicht jeden Wunsch erfüllen. Umso bemerkenswerter ist,
dass jetzt 700 Millionen Euro zur Verfügung stehen und
dass vor allen Dingen der Wunsch der norddeutschen
Länder oder der Küstenländer nach einem Sonderprogramm zum Küstenschutz erfüllt werden konnte. Langfristig stehen dafür 25 Millionen Euro zur Verfügung.
({7})
Ich habe in der ersten Beratung des Einzelplans 10
hier deutlich gemacht, dass in der Vergangenheit die eine
oder andere Küstenschutzmaßnahme unterblieben ist,
weil die Länder ihre Pflichten nicht erfüllt haben. Ich
gehe davon aus, dass die Länder die Mittel, die jetzt insgesamt durch die GAK und das genannte Sonderprogramm zur Verfügung stehen, auch wirklich ausschöpfen
und dass nicht immer auf den Bund mit dem Finger gezeigt wird, obwohl der Bund seine Pflichten eigentlich
schon lange erfüllt hat.
Bei der Diskussion im Fachausschuss hat mich enttäuscht, dass wir uns nicht darauf einigen konnten, die
GAK um weitere 150 Millionen Euro aufzustocken. Der
Kollege Carsten Schneider ist mir noch eine Antwort auf
die Frage schuldig, warum er dagegen war. Wir wollen
ja mit diesem Haushalt kurzfristig Arbeit schaffen.
Überlegt man sich einmal, wo man kurzfristig Arbeit
schaffen und wo man kurzfristig privates Kapital mobilisieren kann, dann käme man darauf, dass eine Möglichkeit wäre, die GAK um weitere 150 Millionen Euro aufzustocken. Das hätte dazu geführt, dass beispielsweise
schon im Januar Aufträge für die einzelbetriebliche Förderung hätten vergeben werden können. Das wäre wirklich etwas gewesen, was jedem Tischler und jedem
Zimmermann im ländlichen Raum Arbeit gebracht hätte.
({8})
Es ist schade, dass das nicht geklappt hat. Aber ich sage
schon jetzt: Es wird eine Wiedervorlage geben. Wenn es
dann an der einen oder anderen Stelle Handlungsbedarf
gibt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, dann werden wir
darauf zurückkommen. Jedenfalls ist das bei uns auf
Wiedervorlage.
Hier ist eben schon von den Verkehrspolitikern die
Breitbandverkabelung, also der Anschluss an die sogenannte Datenautobahn, angesprochen worden. Man
könnte ja sagen, dass das die moderne Form des Verkehrs ist.
({9})
Dadurch, dass wir im Einzelplan 10 hierfür im laufenden
Haushalt mindestens 10 Millionen Euro zur Verfügung
gestellt haben, ist es uns gelungen, diese Frage zu einem
Thema zu machen, das in ganz Deutschland diskutiert
wird. Wir können mit den Mitteln, die wir im Einzelplan 10 zur Verfügung stellen, nicht die Probleme lösen,
aber wir haben Problembewusstsein geschaffen.
Ich fand es beachtlich, dass die Bundeskanzlerin bei
den Gesprächen, die jetzt in Brüssel über ein europäisches Konjunkturprogramm geführt werden, vorschlagen wird, mit den großen Versorgern wie Vodafone und
Telekom darüber zu diskutieren, ein großes Breitbandprogramm aufzulegen, damit in drei oder vier Jahren jeder Haushalt in Deutschland entsprechend versorgt werden kann. Wenn das gelingt, dann ist das wirklich ein
Konjunkturprogramm, das auch sehr gute Auswirkungen
im ländlichen Raum haben wird. Deshalb können wir
das nur unterstützen.
({10})
Ich glaube, es ist ein großes Verdienst von uns, dass wir
diese Initiative ergriffen haben.
({11})
Meine Damen und Herren, wer ein bisschen weiß,
wofür ich mich besonders engagiere, der wird Verständnis dafür haben, dass ich auch darauf hinweise, dass in
diesem Jahr 2 Millionen Euro für die Waldkalkung zur
Verfügung stehen. Ich möchte nur darauf hinweisen,
dass es entsprechende Anträge gibt, die einen Umfang
von 5,6 Millionen Euro haben. Es reicht also eigentlich
überhaupt nicht aus, nur 2 Millionen Euro zur Verfügung
zu stellen. Deshalb liegt dieses Anliegen bei mir auch
auf Wiedervorlage. Bei passender Gelegenheit werde ich
versuchen, eine entsprechende Aufstockung dieser Mittel zu erreichen.
Ich sage das auch deshalb, weil im Einzelplan des
Umweltministeriums Einnahmen in Höhe von 600 Millionen Euro aus dem CO2-Zertifikatehandel eingestellt
sind. Eigentlich sind das ja Gelder, die Umwelt- bzw.
Luftverschmutzer zahlen. Wenn nun durch diese Luftverschmutzung auch unsere Wälder in großem Umfang
geschädigt worden sind, dann ist es, wie ich glaube, naheliegend, von den Einnahmen aus diesem CO2-Zertifikatehandel auch einen größeren Teil für die Wälder in
Deutschland zur Verfügung zu stellen.
({12})
Immerhin ist jeder dritte Quadratmeter in Deutschland
durch Wald bedeckt.
Der Kollege Koppelin hat eben gesagt, in diesem
Haushalt seien überhaupt keine Schwerpunkte gesetzt
worden. Wo liegt denn nun unser Schwerpunkt in einem
Hochtechnologieland? Unser Schwerpunkt liegt auf der
Förderung der Forschungsinstitute, die wir haben. Wir
können feststellen, dass wir gerade für diese Forschungsinstitute in den vergangenen Jahren Mittel in erheblicher Höhe zur Verfügung gestellt haben. Im nächsten Jahr werden wir 50 Millionen Euro bzw. 16 Prozent
mehr Mittel zur Verfügung stellen. Das führt dazu, dass
wir auf hohem wissenschaftlichen Niveau Verbraucherund Gesundheitsschutz für die Menschen betreiben, auf
hohem Niveau Tierzucht betreiben und auf hohem Niveau für Tiergesundheit sorgen können und Technologien für die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen voranbringen können. Das führt dazu, dass wir in
unserem Land eine höhere Wertschöpfung haben. Das
führt dazu, dass wir diese Technologien auch auf den internationalen Märkten anbieten können.
({13})
Ich sage Ihnen, das führt dazu, dass Wohlstand in
Deutschland, gerade auch im ländlichen Bereich, dauerhaft gesichert wird.
Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass über
unseren Einzelplan heute nicht namentlich abgestimmt
wird, zeigt ja, dass es unter den wirklichen Fachleuten
gar nicht so viel Streit gibt, wie es hier bei den Diskussionen manchmal scheint. Wenn es um richtige Sachfragen geht, habe ich sogar ein gutes Einvernehmen mit
Frau Behm. Mit Michael Goldmann liege ich eh auf einer Linie, auch wenn es manchmal so aussieht, als wären
gerade wir diejenigen, die sich heftig bekämpfen. In den
dreieinhalb Jahren, in denen wir beide, Ernst Bahr, diese
Fragen erörtert haben - das gilt auch für Frau Wolff und
für Frau Drobinski-Weiß -, haben wir dies sehr einvernehmlich hinbekommen.
({14})
Spannend wird es immer erst, wenn Leute, die von der
Sache relativ wenig verstehen, von außen hineinschießen. Ich bedanke mich jedenfalls bei dir, Ernst, ganz
herzlich für die gute Zusammenarbeit. Wir werden hier
ja noch einige Monate gemeinsam das eine und andere
bestreiten können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Ich habe,
Frau Präsidentin, meine Redezeit bis auf eine Sekunde
ausgeschöpft.
({15})
Jetzt hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion
Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es gibt für meine Fraktion eine ganze Reihe von
Gründen, den Einzelplan des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz abzulehnen. Auf einige wenige werde ich eingehen.
Der wichtigste Grund ist für mich die Rolle der ostdeutschen Agrarbetriebe. Ich habe jene Zeit nicht vergessen, als wir - im Jahre 1990 war ich Mitglied der
Volkskammer - beim Entstehen des Einigungsvertrages
in einem halben Jahr fraktionsübergreifend darum rangen, dass die Ergebnisse der Bodenreform nicht revidiert, sondern anerkannt wurden. Dies war die rechtliche
Grundlage dafür, dass ostdeutsche Agrarunternehmen
unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überhaupt
eine ökonomische Chance hatten, sich am Wettbewerb
zu beteiligen und sich durchzusetzen.
Ich verweise deshalb darauf, weil gerade die ostdeutschen Agrarunternehmen von der Kürzung der EU-Fördermittel in besonders hohem Maße betroffen sind. Dies
wissen Sie hier natürlich alle, zumal die Frau Ministerin
in einem Brief an die agrarpolitischen Sprecher gerade
die Ergebnisse der Beratungen von Brüssel zu erklären
versucht hat.
Bevor Sie uns nun wieder der Kassandrarufe zeihen,
zitiere ich den Landwirtschaftsminister von Brandenburg, der als Folge dieser Kürzungen den Verlust von
5 000 Arbeitsplätzen befürchtet, was strukturelle Probleme in Form von Verlusten ganzer Unternehmen aufwirft. Ich sage Ihnen ganz deutlich: So kann man Menschen im ländlichen Raum nicht für die europäische Idee
gewinnen.
Zu den Fakten, die Ihnen auch nicht neu sind: Von
den Kürzungen sind in der Gruppe der größten Unternehmen 1 900 Betriebe betroffen, von denen 95 Prozent
im Osten und 5 Prozent im Westen ihren Standort haben.
Nun wird oft damit argumentiert, dass das Geld nicht
verlorengehe, sondern zurückfließe, es gebe als zweite
Säule die Förderung des ländlichen Raums. Dafür können sich aber die neuen Bundesländer nichts kaufen.
Eine solche Förderung des ländlichen Raums kann nur
dann zum Tragen kommen, wenn sie eine entsprechende
Kofinanzierung erfährt. Wenn ich den Finanzministern
in den neuen Bundesländern mit einem gewissen Stolz
aus dem Haushaltsausschuss berichte, dass wir bei der
Gemeinschaftsaufgabe gemeinsam wieder etwas bewegt
hätten, sagen sie: Oje, wir können das nicht kofinanzieren. - Wegen dieses Problems produzieren die Mittelkürzungen, die einseitig die ostdeutschen Agrarunternehmen treffen, so viel Frust in den neuen Bundesländern.
Ich sage dies deshalb, weil ich die Agrarbetriebe - unter ihnen viele Genossenschaften - im Osten wirklich für
zukunftsfähig halte. Sie praktizieren ein hohes Maß an
Mitbestimmung und Mitarbeiterbeteiligung und sind der
einzige lebendige ökonomische Beweis, dass es in der
DDR wirtschaftliche Strukturen gab, die denen des Westens überlegen waren.
({0})
Deswegen hatten sie es auch seit 1990 schwer und mussten sich gegen erhebliche Widerstände durchsetzen.
Aber sie haben es getan, und das verdient Anerkennung.
Nach langer Zeit hat dies ja auch der Bauernverband eingesehen.
Der zweite Bereich betrifft die Problematik der ländlichen Räume. Ich hatte eine gewisse Hoffnung, als ich
Ihr Konjunkturprogramm, das Sie so nicht nennen dürfen, zum ersten Mal durchgeblättert habe. Darin stand etwas von Hilfe für strukturschwache Kommunen, natürlich in Ost und West; das versteht sich. Da habe ich
gedacht: Hoppla, das ist ja die von vielen schon lange
geforderte Investitionspauschale; das wäre eine tolle
Hilfe. Aber es ist nur eine Erweiterung des Kreditrahmens der KfW. Das hilft natürlich den Kommunen in Ost
und West, die hoch verschuldet sind, keineswegs. Dort
haben wir es mit solchen Problemen zu tun, dass die Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2020 um ein Drittel zurückgeht und eine mangelhafte medizinische Versorgung auf
absehbare Zeit zu befürchten ist.
Als einen falschen Weg sehen wir auch die Kürzung
der Mittel für die Agrarforschung an. Gerade angesichts
solcher großen Herausforderungen wie der Bewältigung
des Klimawandels ist es falsch, dass in den Bereichen
Energieerzeugung, Flächenkonkurrenz und globaler
Wasserhaushalt im Durchschnitt um 2 Prozent gekürzt
wird.
({1})
Über die Verbraucherschutzprobleme gerade infolge
der Finanzmarktkrise wird meine Kollegin Binder sprechen.
Weil Sie sich vorhin so aufgeregt haben, als ich Karl
Marx zitiert habe, werde ich noch ein Zitat von ihm präsentieren.
({2})
- Sie sollten mich nicht über Gebühr ärgern. Ich halte
noch mehrere Reden in dieser Haushaltswoche.
({3})
Zum Schluss also ein Zitat von Karl Marx:
… bildet sich mit der kapitalistischen Produktion
eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als bescheidene Beihilfe
der Akkumulation sich einschleicht, … aber bald
eine neue und furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation der
Kapitale verwandelt.
Recht hatte er, damals wie heute.
Vielen Dank.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Ernst
Bahr das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer Marx als Zeugen für eine erfolgreiche Gesellschaftspolitik zitiert, der muss beachten, dass die Theorie von Marx da, wo sie angewendet
wurde, völlig gescheitert ist.
({0})
Wenn mein Vorredner, der in der DDR gelebt hat und der
jetzt in einem der wohlhabendsten und nach innen und
außen sichersten Länder der Welt lebt, versucht, alles
schwarzzumalen, dann muss ich sagen: Die Landwirtschaft in der DDR war nun wirklich kein Musterbeispiel
für Versorgungssicherheit, Umweltschutz und Mitbestimmung.
({1})
Der Bürgermeister musste einen Kindergarten bauen,
weil die Partei das angeordnet hatte. Manchmal wurden
auch diejenigen Bürgermeister, die es gar nicht wollten.
Solche Verhältnisse kann man doch wohl nicht loben.
({2})
An dieser Stelle ist es mir sehr wichtig, zu sagen: Die
Politik, die seit 1990 für die ehemaligen ostdeutschen
Landwirtschaftsbetriebe gemacht wurde, ist so gut und
erfolgreich, dass alle existierenden Eigentumsformen
- ob es die Wiedereinrichter, die Alteigentümer, die
Agrargenossenschaften oder auch die GbRs sind - eine
stabile Entwicklung genommen haben. Mit großer Unterstützung der Politik haben sie eine wirtschaftlich gute
Existenzgrundlage bekommen.
({3})
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es
immer noch eine Reihe von Problemen gibt. Die Veredelungspolitik liegt immer noch im Argen, weil wir leider
immer noch nicht die richtigen Möglichkeiten haben,
dort voranzukommen.
Die Kürzungen aus Brüssel sind natürlich nicht unbedingt zu begrüßen. Dennoch müssen wir den Landwirten in Ostdeutschland sagen: Es muss an dieser Stelle
mitgemacht werden, ob wir es nun wollen oder nicht.
Wir müssen eine Umstrukturierung in diesem Bereich
mittragen, auch wenn es vielleicht - das ist nicht zu
leugnen - besonders für die ostdeutschen Betriebe zum
Teil schmerzhaft ist.
Ich wollte eigentlich mit einem Glückwunsch an die
Ministerin, also an Sie, liebe Frau Aigner, liebe Ilse, beginnen und möchte auf unsere gute Zusammenarbeit hinweisen.
Ich möchte auf einen anderen bemerkenswerten, für
unsere Arbeit wichtigen Aspekt zu sprechen kommen,
nämlich auf den Finanzmarkt. Der Kollege Schirmbeck
hat in seiner tollen Rede unsere Leistung dargestellt. Dafür herzlichen Dank, Schorsch. Damit hast du wieder
Pluspunkte sammeln können.
({4})
Du hast es richtig dargestellt, wie es ist.
({5})
Wir sind hier an einer Stelle, an der wir auf die Finanzkrise aus dieser Sicht eingehen müssen. Denn das Problem ist, dass wir oft so tun, als sei alles vorhersehbar
gewesen und als habe man wissen können, was da alles
kommt.
Ich erinnere an die Diskussion, die wir voriges Jahr
geführt haben. Die Agrarmärkte sind vor die Situation
gestellt worden, dass in den Schlagzeilen zu lesen war,
dass es demnächst in den Supermärkten leere Regale geben würde. So war die Situation. Wenn wir uns das ansehen, erkennen wir, dass es sich inzwischen so entwickelt
hat, dass die Preise für Agrarprodukte leider wieder gesunken sind. Ich sage „leider“, weil das die Verbraucher
nicht in allen Fällen zurückbekommen haben, was man
bedauern muss. Ich sage „leider“ natürlich auch hinsichtlich der Landwirte, weil sie ihre Produktion nicht
entsprechend bezahlt bekommen.
Das sind zwei Probleme. Es wäre zu wünschen, dass
man da Änderung schaffen kann. Die Agrarstrukturreform, die die Europäische Union eingeleitet hat, soll
langfristig darauf hinwirken. Das heißt, die Umverteilung der Mittel aus der ersten Säule in die zweite Säule
wird fortgesetzt. Damit sind wir bei den Kürzungen, von
denen wir gesprochen haben, die wir unter diesem Gesichtspunkt dann auch akzeptieren müssen.
Wir haben bei der Sicht auf die Entwicklung des
Agrarmarktes und die landwirtschaftliche Produktion
nicht nur Sorgen. Die Landwirtschaft arbeitet mit einem
Produktionsmittel, das nicht mehr, sondern eher weniger
wird. Wir haben die Bodenerosion. Wir haben die VerErnst Bahr ({6})
salzung und die Versteppung landwirtschaftlicher Produktionsflächen. Ich sage das alles unter dem Gesichtspunkt, dass nicht nur mehr Nahrungsmittel in hoher
Qualität und Güte, übrigens in Deutschland, produziert
werden sollen, sondern dass wir auch eine Nachfrage
nach Energierohstoffen aus der Landwirtschaft haben.
Das wird zu einer großen Nachfrage in der Landwirtschaft führen. Das wird natürlich auch zu einer Anhebung der Preise führen.
Ich hoffe, dass die Landwirte, die das dann produzieren, davon auch etwas haben werden. Wir brauchen eine
gesunde Landwirtschaft. Das ist uns allen hoffentlich
klar. Denn die Landwirte sind nicht nur eine Betriebsform und ein Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum.
Vielmehr haben sie im ländlichen Raum eine wesentliche, tragende Funktion. Deswegen muss uns daran liegen, die Landwirtschaft im Sinne eines Wirtschaftsfaktors im ländlichen Raum zu stärken.
Das ist auch der Grund, warum wir noch versuchen,
Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen. Beispielsweise
wollen wir bei der Gemeinschaftsaufgabe um 85 Millionen Euro aufstocken, um sie damit zu verstärken. Das ist
für den ländlichen Raum ein wesentliches Infrastrukturpaket.
Wir haben darin auch das enthalten, was wir schon im
vorigen Jahr begonnen haben, nämlich die Versorgung
mit dem Breitbandkabel zu verbessern. Hierfür sollen
wieder mehr als 10 Millionen Euro vorgesehen werden,
sodass man davon ausgehen kann, dass auch nichtlandwirtschaftliche Betriebe, also Unternehmer, Handwerker, Ärzte, Ingenieurbüros und andere, die auf dem Land
arbeiten, dann auch eine verbesserte Infrastruktur für
ihre Arbeit zur Verfügung haben. Der ländliche Raum
wird deshalb weiter belebt bleiben.
({7})
Die Situation in der Verbraucherpolitik haben wir insofern verbessert, als wir die schon, so glaube ich, im
Jahre 2004 begonnene Förderung der Landesverbraucherzentralen insgesamt verstärken werden. Wir wissen,
dass da die Situation ziemlich schlecht war. An dieser
Stelle möchte ich aber auch noch einmal unterstreichen,
dass der Rechnungshof kritisiert hat, dass wir diese Aufgabe übernommen haben. Denn so ohne Weiteres ist dafür keine Zuständigkeit des Bundes gegeben. Ich plädiere
sehr dafür, dass wir diese Zuständigkeit durch Gesetz
schaffen, aber mit der Maßgabe, dass wir die Länder darauf hinweisen, dass sie ihrer gesetzlichen Aufgabe mit
angemessener Beteiligung nachkommen, damit das umgesetzt wird, was wir da fordern.
({8})
Herzlichen Dank.
({9})
Nun erhält die Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der
Haushaltsentwurf des Einzelplans 10 macht wieder einmal deutlich: Der Verbraucherschutz steht bei dieser
Bundesregierung immer an letzter Stelle. Das ist auch
den Bürgerinnen und Bürgern nicht verborgen geblieben. Eine Studie aus dem Sommer dieses Jahres belegt
- da war Herr Seehofer, zumindest formal, für den Verbraucherschutz noch zuständig -: Die Hälfte der Befragten hat der verbraucherpolitischen Arbeit der Bundesregierung geringe Wirksamkeit bescheinigt.
Als gefragt wurde, welche Politikerin oder welcher
Politiker sich denn besonders für die Verbraucherinnen
und Verbraucher einsetzt, bekam nicht Horst Seehofer,
sondern natürlich Renate Künast mit Abstand die meisten Stimmen.
({0})
- Nur zu Ihrer Erläuterung: Das Gutachten wurde nicht
von den Grünen bezahlt, sondern von einer unabhängigen Verbrauchervertretung, der vzbv, die Sie in Ihrer
Rede auch sehr gelobt und unterstützt haben.
Zurück zum Thema. Die Bilanz der Arbeit der Bundesregierung in Sachen Verbraucherpolitik ist mager. Sie
hinken den Themen hinterher, die die Menschen in diesem Land wirklich bewegen. Das beste Beispiel hierfür
ist die aktuelle Finanzmarktkrise. Die gibt es nicht erst
seit gestern, sondern schon seit einiger Zeit. Wer sind
denn die wirklich Leidtragenden dieser Krise? Es sind
die Sparerinnen und Sparer, diejenigen Menschen, die
ihr Gespartes den Sparkassen und Banken anvertraut haben und jetzt Angst um ihre private Altersvorsorge, um
ihre Fonds haben. Die Leute haben Angst um ihr Geld,
und sie wollen von der Bundesregierung etwas hören,
und zwar nicht nur vom Finanzminister, sondern natürlich vor allem auch von dem Haus, das den Verbraucherschutz im Namen trägt.
Da brauchen wir gar nicht über Marx zu reden, sondern eher über Horst Seehofer.
({1})
Der hat sich nämlich in diesem Bereich nicht besonders
engagiert. Außer der Finanzierung des Notfalltelefons
- das ist ja schon einmal ganz gut - kommen aus dem
Verbraucherschutzministerium überhaupt keine Vorschläge, wie man die Finanzmärkte verbraucherpolitisch
besser gestalten kann.
({2})
- Die Wahrheit tut weh; aber es wäre doch schön, wenn
Sie etwas leiser leiden würden.
({3})
Es wäre zum Beispiel notwendig, bei der unabhängigen Finanzberatung zu klotzen, statt zu kleckern.
({4})
Aber eine solche Schwerpunktsetzung können wir im
Haushalt nicht erkennen.
Die Mittel, die Sie für die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher zur Verfügung gestellt haben, reichen nicht aus. Das gilt vor allem für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz und für das Thema
„nachhaltiger Konsum“. Aber als konstruktive Opposition haben wir natürlich umfangreiche Verbesserungsvorschläge gemacht.
Punkt eins: Stärkung der sektorspezifischen Verbrauchervertretung. Das Land Baden-Württemberg,
die vzbv und natürlich auch Bündnis 90/Die Grünen arbeiten seit langem an Konzepten zu den sogenannten
Watch-Dogs, an Konzepten für eine sektorspezifische
Verbrauchervertretung. Leider hören wir aber aus dem
Bundesverbraucherministerium nichts über Konzepte.
Der Einzige, der das in einem Nebensatz anspricht, ist der
Wirtschaftsminister. Auch das Verbraucherministerium,
das für die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher zuständig ist, sollte sich da engagieren - und nicht
nur die Grünen.
({5})
- Nein, das werde ich mir verkneifen.
Punkt zwei. Die Erhöhung der Zuschüsse an die Vertretung der Verbraucherinnen und Verbraucher ist notwendig; das hat mittlerweile sogar die FDP eingesehen.
Die Zahl der Aufgaben steigt; da müssen auch die Mittel
moderat steigen. Vorschläge dazu haben wir Ihnen gemacht.
Punkt drei. Es ist notwendig, zusätzliche Mittel für
die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher
zur Verfügung zu stellen. Ich habe das Thema „wirtschaftlicher Verbraucherschutz“ angesprochen.
Ich möchte noch etwas zum Thema „nachhaltiger
Konsum“ sagen. Sie alle wissen: Die Art, wie wir einkaufen, verändert die Welt. Mit unseren Konsumentscheidungen können wir beeinflussen, ob Arbeiterinnen
auf Ananasplantagen knietief im Gift stehen oder nicht.
({6})
- Da brauchen Sie gar nicht zu jammern. Da werden
Pestizide ausgebracht, die in der EU schon lange verboten sind und von denen auch die Union nicht will, dass
sie wieder eingeführt werden. Das will schon etwas heißen bei diesem Thema.
({7})
Darüber entscheiden also die Verbraucherinnen und
Verbraucher. Damit sie aber ihre Macht auf den Märkten
ausspielen können, müssen sie informiert werden. Zu
rot-grünen Zeiten war im Bereich des nachhaltigen Konsums noch einiges an Geld im Haushalt eingestellt. Das
ist Ihnen jetzt nur noch eine halbe Million wert. Ich finde
das ziemlich dürftig; da war mal mehr. Zu diesem Standard sollten wir zurückkommen.
({8})
Letztes Thema: die Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung. Die Bundesregierung macht ein gutes Projekt in
Form dieser Kennzeichnung. Das haben auch wir von
den Grünen immer unterstützt. Aber wo sind denn die
Mittel im Haushalt, um dieser Kennzeichnung durch Informationskampagnen auch durchschlagende Wirkung
auf den Märkten zu verschaffen? Da sehen wir nichts.
({9})
Aber das ist auch nicht verwunderlich bei einem Minister, der seine Zustimmung zur Gentechnik vom bayerischen Landtagswahlkampf abhängig macht.
({10})
Frau Aigner, die Verhandlungen zum Health Check in
Brüssel sind jetzt beendet und gegen den Widerstand der
Bundesregierung zu einem positiven Ende gebracht worden.
({11})
Jetzt haben Sie Ihre ganze Kraft und Ihre ganze Zeit der
Verbraucherpolitik zuzuwenden. Wir wünschen Ihnen
dabei ein gutes Händchen. Sie haben mit den Grünen
eine konstruktive Opposition an Ihrer Seite. Ein erster
Schritt in die richtige Richtung wäre wie immer die Zustimmung zum Haushaltsantrag der Grünen.
Ich bedanke mich.
({12})
Nun erhält die Bundesministerin Gelegenheit, sich für
die guten Wünsche auch und gerade aus den Reihen der
Opposition zu bedanken.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es sei mir am Anfang gestattet, mich bei allen
zu bedanken, die mir zu der Amtsübernahme gratuliert
haben. Ich bedanke mich wirklich ganz herzlich bei allen
Seiten. Ich kann Ihnen zusichern: Ich habe bisher bei all
meinen Tätigkeiten immer auf eine kollegiale, konstruktive Zusammenarbeit Wert gelegt und plane, dies auch in
Zukunft so fortzuführen. Ich glaube, das ist auch im
Sinne der Politik.
({0})
Dabei setze ich auf der einen Seite natürlich auf Kontinuität, was offensichtlich nicht allen gefällt. Dafür setze
ich auf der anderen Seite aber auch auf Innovation, und
zwar in allen Bereichen, nämlich der Ernährungs-, der
Landwirtschafts- und der Verbraucherpolitik.
Aufgrund der aktuellen Situation will ich mit der Verbraucherpolitik beginnen. Es wurde schon mehrfach
gesagt, dass es auch in diesem Bereich aufgrund der
Finanzmarktkrise große Turbulenzen gibt. Die Bundesregierung hat einen Schutzschirm aufgespannt, um
gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Zeichen an
den Finanzmarkt und die Sparer gewesen, aber auch die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weiterhin auf
ihr Erspartes hoffen können. Auf der anderen Seite werden aber auch die Firmen unterstützt, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ich glaube, auch das ist ein wichtiger Punkt.
({1})
Ferner haben wir mit dem Wachstumspaket dafür gesorgt, dass die Land- und Forstwirtschaft in die besondere Abschreibung einbezogen wird. Ich glaube, das ist
im Sinne der ländlichen Räume, weil die besondere Abschreibung zu zusätzlichen Investitionen führen kann.
Ich bedanke mich bei allen, die dafür gesorgt und dieses
Vorhaben unterstützt haben.
Ich bedanke mich bei den Haushälterinnen und Haushältern dafür, dass sie die Verpflichtungsermächtigungen
für die Stiftung Warentest eingestellt haben. Ich glaube,
das war ein Zeichen im Sinne des Verbraucherschutzes.
Zwar sind die Mittel noch gesperrt, aber ich hoffe, dass
sie irgendwann entsperrt werden.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir für Verbraucherpolitik insgesamt rund 88 Millionen Euro in den
Haushalt eingestellt haben, allein 17 Millionen für die
Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Ich gehe dementsprechend davon aus, dass alle Bereiche
der Informationspolitik abgedeckt werden können.
Ein weiteres Anliegen ist mir gesunde Ernährung in
Verbindung mit viel Bewegung. Wir werden in der
nächsten Woche im Gesundheitsministerium gemeinsam
das neue Projekt „IN FORM“ auf den Weg bringen. Das
ist auch deshalb wichtig, weil gesunde Ernährung etwas
mit Bewusstsein zu tun hat und durch das Bewusstsein
vielleicht auch das Verständnis für die Landwirtschaft,
für die Produktion von gesunden Nahrungsmitteln gestärkt wird. Auch das ist mir ganz wichtig.
({2})
Damit sind wir bei einem wesentlichen Bereich, der
Agrarpolitik. In der vergangenen Woche hat eine Ratssitzung in Brüssel stattgefunden, die heute schon mehrfach angesprochen wurde. Natürlich kann man hierzu
viele hundertprozentige Forderungen aufstellen. Die
meisten zielten übrigens in ganz unterschiedliche Richtungen. Man sieht an diesem Beispiel, dass es bei
27 Nationen nicht ganz einfach ist, alle Wünsche zu erfüllen. Die Wünsche sind schon innerhalb Deutschlands
unterschiedlich und erst recht bei 27 Nationen. Ich
glaube aber nach wie vor, dass wir uns mit dem Ergebnis, das wir nach Hause gebracht haben, durchaus sehen
lassen können. Wir haben wesentliche Eckpunkte, die
wir uns gewünscht haben, umsetzen können. Ich nenne
als Beispiel nur die Milchpolitik und den Bereich der
Modulation, bei dem wir die bisherigen Vorgaben wesentlich verändern konnten.
Fangen wir bei der Milch an. Wir haben einen Milchfonds gefordert, und wir haben ihn bekommen. Das
Schöne an dem Milchfonds ist, das jedes Land ihn seinen Prioritäten entsprechend einsetzen kann, wie es will.
Die Mittel, die wir bei der Modulation umgeschichtet
haben, und die Mittel aus den Direkthilfen bleiben in
dem jeweiligen Mitgliedstaat und dem jeweiligen Bundesland. Daher kann jedes Land eigene Akzente setzen.
({3})
Um auf den Bereich der Modulation zu sprechen zu
kommen - damit klar wird, woher wir kommen und wo
wir letztlich gelandet sind -: Die ursprüngliche Regelung war eine 8-prozentige Basismodulation und eine
progressive Modulation in drei Stufen: 3 Prozent, 6 Prozent und 9 Prozent. Durch Verhandlungen haben wir
eine Reduzierung auf eine 5-prozentige Basismodulation
erreicht. In der obersten Stufe, bei Betrieben, die mehr
als 300 000 Euro Direktzahlungen erhalten, ist zusätzlich eine 4-prozentige progressive Modulation vorgesehen. Das muss ich Ihnen vielleicht einmal an einem Beispiel verdeutlichen, damit man das versteht: Wenn ein
Betrieb bis 300 000 Euro Direktbeihilfen bekommt, werden 5 Prozent Basismodulation abgezogen. Bei allem,
was darüber liegt, greift zusätzlich die 4-prozentige Modulation. Bei einem Betrieb mit 500 000 Euro Direktzahlungen macht das einen Unterschied von 8 000 Euro
aus.
Ich weiß, dass das nicht schön ist, aber ich glaube,
dass das eine oder andere überzogen dargestellt wird,
wenn man sagt, dass daran der Betrieb scheitert. Ich
glaube, wir haben das Bestmögliche in diesem Bereich
erreicht. Noch einmal - ich will das betonen -: Die Mittel bleiben in dem jeweiligen Bundesland, in dem diese
Modulation entsprechend umgestaltet wird.
({4})
Ferner haben wir beim Bürokratieabbau einiges vorangebracht - auch das ist ein wichtiger Bereich in diesem Wirtschaftsfeld -,
({5})
und - das will ich noch sagen, weil die Debatte darüber
heute früh stattgefunden hat - wir haben bei der Erbschaftsteuer auch für die Landwirtschaft extrem viel erreicht. Mittlerweile braucht kein landwirtschaftlicher
Betrieb mehr Angst zu haben, wenn der Betrieb übergeben bzw. vererbt werden muss,
({6})
dass eine hohe Erbschaftsteuer anfällt oder der Betrieb
sogar gefährdet ist.
({7})
Ein weiterer wichtiger Punkt - das wurde schon angesprochen - ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“.
Wir haben es mittlerweile geschafft, die Mittel dafür
wieder auf 700 Millionen Euro aufzustocken; 25 Millionen Euro davon sind für den Küstenschutz reserviert.
Das ist sozusagen ein Zeichen in diese Richtung. Aber
das ist nur die reine Summe. Ich weise immer darauf hin,
was für eine große Hebelwirkung die Gemeinschaftsaufgabe hat.
({8})
Sie löst in den Regionen, in denen die Mittel eingesetzt
werden, ein Investitionsvolumen in vier- bis sechsfacher
Höhe aus. Genau diese Investition in die Zukunft brauchen wir in den ländlichen Regionen.
({9})
Es wurde auch schon angesprochen, dass ländliche
Räume sehr viel mit Infrastruktur, mit der Frage der
Breitbandverkabelung zu tun haben. In diesem Jahr
wurden schon 10 Millionen Euro auf den Weg gebracht.
Das wird fortgesetzt. Ich halte es für zwingend erforderlich, dass - so hat es auch die Kanzlerin gestern früh gesagt - jeder Haushalt die Möglichkeit hat, auf einen
Breitbandanschluss zuzugreifen. Dazu werden wir aber,
glaube ich, auf europäischer Ebene noch über andere
Maßnahmen diskutieren müssen,
({10})
zum Beispiel darüber, ob es nicht sinnvoll ist, im Wettbewerbsrecht eine Ausnahmeregelung für diejenigen zu
finden, die diese Infrastruktur zur Verfügung stellen, damit es sich für sie auch rentiert. Denn sonst werden sie es
im Zweifelsfall nicht machen. Ich glaube, dafür sollten
wir uns gemeinsam einsetzen.
({11})
Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass für
alle diese Bereiche, sowohl für die Ernährung als auch
für die Verbraucherpolitik, aber auch für die Landwirtschaft, Forschung ganz wesentlich ist. Ich möchte mich
hier ausdrücklich dafür bedanken, dass die Mittel für das
Forschungsinstitut auf der Insel Riems zur Verfügung
gestellt werden. Auch hier setzen wir in diesem Haushalt
einen wichtigen Schwerpunkt.
({12})
- Ich gehe davon aus und bedanke mich dafür ganz herzlich. - Ich will darauf hinweisen, weil uns die Innovationen, die letztendlich aus Forschungsergebnissen entstehen, wettbewerbsfähig machen. Wir haben heute Mittag
die Exportstrategie vorgestellt. Wir können im internationalen Wettbewerb hauptsächlich mit qualitativ sehr
hochwertigen Produkten bestehen. Deshalb ist der Bereich der Forschung ein ganz wichtiger Schwerpunkt,
den wir setzen werden.
({13})
Die Zukunft erkennt man nicht, man schafft sie.
({14})
Ich glaube, mit diesem Haushalt haben wir ein ordentliches Fundament gelegt. Lassen Sie uns gemeinsam im
Sinne einer ordentlichen, zukunftsgewandten und zukunftsinnovativen Ernährungspolitik, Verbraucherpolitik
und Landwirtschaftspolitik auf diesem Fundament
bauen.
Herzlichen Dank.
({15})
Bevor der Kollege Goldmann nun das Wort erhält,
der, um den Präsidenten gar nicht auf andere Einfälle zu
bringen, vorsichtshalber schon einmal ans Rednerpult
geschritten ist,
({0})
möchte ich die Ministerin mit dem Hinweis ermutigen,
dass ich den Kollegen Kampeter in einer Haushaltsdebatte bei der Rede eines amtierenden Ministers oder einer amtierenden Ministerin noch nie so häufig ohne Not
und erkennbar im Brustton der Überzeugung ein kräftiges „Sehr wahr!“ habe rufen hören wie heute Nachmittag.
({1})
Nun hat der Kollege Goldmann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als Nachbar von Herrn Kampeter war es unter Verbrauchergesichtspunkten schwer erträglich;
({0})
denn es hat fast zu einem Hörschaden geführt.
({1})
Aber wenn man manches laut sagt, ist man vielleicht
mehr davon überzeugt.
({2})
Frau Ministerin, auch ich bzw. die Fraktion der FDP
gratuliert. Wir sind leider heute sehr schwach vertreten;
Frau Dr. Happach-Kasan und Herr Dr. Geisen sind erkrankt. Ich wünsche Ihnen ganz viel Erfolg. Ich hatte bei
Ihrer Rede und bei dem einen oder anderen kleinen
Schnack mit Ihnen den Eindruck, dass wir endlich wieder über die Probleme, die uns bewegen, gemeinsam reden können.
Ich bitte Sie nur um eines - das sage ich ganz deutlich -: Verzichten Sie auf Kontinuität zu Ihrem Vorgänger!
({3})
Was unter seiner Verantwortung passiert ist, war eine
einzige Katastrophe.
({4})
Er hat auf der Anuga erklärt, die Ampelkennzeichnung
sei dummes Zeug. Später hat er sie eingeführt, weil er
sich an den Ergebnissen einer komischen Umfrage, die
er hat durchführen lassen, orientiert hat. Er hat gefordert,
in Bayern auf die Anwendung Grüner Gentechnik zu
verzichten. Gleichzeitig hat er gesagt, in Brandenburg
könne Grüne Gentechnik angewandt werden, weil dort
nicht so viele Menschen lebten.
({5})
Hinzu kommt, dass er sich selbst als „Bananenminister“ bezeichnet hat. Das muss man sich einmal auf der
Zunge zergehen lassen!
({6})
Hier geht es immerhin um einen Bereich, in dem wir
vor dramatischen Herausforderungen stehen. Angesichts
dessen muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Es ist gut,
dass er gegangen ist. Soll er doch in die Bierzelte Bayerns gehen. Vielleicht findet er dort größere Zustimmung
zu seiner Politik, als er sie hier gefunden hat.
({7})
Es kann nur besser werden.
Liebe Frau Aigner, Sie haben ein schweres Erbe übernommen. Ich will ganz vorsichtig anmerken: Sie haben
den Verbraucherschutz völlig zu Recht angesprochen;
das möchte ich gar nicht kritisieren. Wir müssen aber
feststellen, dass es im Moment ein Thema gibt, das unsere Dörfer bzw. den ländlichen Raum insgesamt zerreißt: die Diskussion über die Milchpreise. In diesem
Bereich ist so ziemlich alles falsch gelaufen, was falsch
laufen konnte.
({8})
Das Anliegen der BDM-Vertreter ist berechtigt. Die
Milchpreise sind zum Teil nicht fair. Herr Seehofer und
zum Teil auch sein Haus haben darauf überhaupt nicht
erfolgsorientiert reagiert. Der BDM ist galoppiert, hat
die Leute mitgenommen und Erwartungen geweckt.
Diese Erwartungen kann er aber nicht erfüllen. Das
BDM-Modell eines national regulierten und zollbestimmten Marktes ist in Anbetracht der vergemeinschafteten Agrarpolitik völlig unrealistisch. Das hätte Herr
Seehofer den Bäuerinnen und Bauern des BDM klipp
und klar sagen müssen.
Jetzt haben wir das Problem, dass bestimmte Versprechen, zum Beispiel die Maßnahmen zu Saldierung und
Umrechnungsfaktor, nicht eingehalten werden können,
und zwar völlig zu Recht. Das hätte im Grunde genommen nur dazu geführt, dass Milch aus dem Ausland nach
Deutschland gebracht worden wäre. Jetzt ist das Problem, dass die Leute beim BDM nicht mehr weiterwissen und die Sache mit den Köpfen verwechseln. Mittlerweile werden dort zum Teil ohne Sinn und Verstand
Personen abgelöst, die in diesem Bereich eigentlich gute
Politik gemacht haben.
Frau Ministerin, das Wort Wortbruch spielt auch mit
Blick auf das, was beim Health Check passiert ist, eine
Rolle. Wer die Modulation im vorauseilenden Gehorsam politikfähig macht, indem er erklärt, sie sei ein gutes
Instrument, der darf sich nicht wundern, dass die Modulationsmittel von den Betrieben, die bereits im Markt
sind, abgezogen werden. Genau das ist das Problem.
Frau Aigner, ich unterstütze den von Ihnen befürworteten Milchfonds. Aber Ihr Milchfonds wird aus Modulationsmitteln und nicht aus frischem Geld gespeist; das ist
der springende Punkt. Sie nehmen dieses Geld den Betrieben, die schon im Markt sind, weg. Ich glaube, man
sollte einmal sehr gründlich darüber nachdenken, ob das
richtig ist.
({9})
Ich muss einen zweiten Punkt ansprechen - dabei
geht es um eine Erfahrung, die keinem von uns gefällt -:
Wir alle kommen bei Veranstaltungen immer wieder mit
Bäuerinnen und Bauern ins Gespräch. Dann erzählen sie
uns zum Beispiel von ihrer Betriebsstruktur und sprechen von 12 bis 14 Kühen. Daraufhin werden wir gefragt: Welche Perspektive habe ich? Ich bin nicht so vermessen, zu behaupten, dass ich genau weiß, wie die
Perspektive eines solchen Betriebes ist; denn ich kenne
weder seine finanzielle Situation noch seine Chancen im
Tourismusbereich gut genug. Unter normalen Umständen muss ich einem Bauern, der mir diese Frage stellt,
allerdings sagen: Steig so schnell wie möglich aus diesem Markt aus! Mit deiner Betriebsstruktur hast du in
diesem Markt, der sich global entwickelt, keine Chance!
Wir müssen klipp und klar sagen: Mit dem Milchfonds müssen wir dafür sorgen, dass den noch produzierenden Betrieben der Ausstieg aus dem Markt erleichtert
wird. Mit dem Milchfonds müssen wir an den Stellen, an
denen eine andere Form der Beweidung nötig oder eine
andere Form der regionalen Vermarktung möglich ist,
Hilfen geben. Mit dem Milchfonds müssen wir aber
auch ganz klar zum Ausdruck bringen, dass die Dinge
nicht bis zum Jahr 2015 - dann wird die Quote fallen;
das ist erneut beschlossen worden - so weitergehen, wie
es sich der eine oder andere erträumt.
Ich finde es super, dass Sie heute auch die Absicht
zum Ausdruck gebracht haben, den Export zu fördern.
Ihr Staatssekretär hat die Weichen richtig gestellt.
({10})
Bei diesem Thema werden Sie immer unsere volle Unterstützung haben.
Wir müssen aber auf beiden Schienen fahren: so viel
Export wie möglich und so starke unternehmerische
Marktorientierung wie möglich, um - auch im Bereich
der Biotechnologie - neue Chancen zu nutzen und in
diesen Bereichen Akzente zu setzen. Dann müssen wir
denjenigen, die langfristig keine Chance in diesem
Markt haben, sagen: Wir helfen euch beim sozialen Umoder sogar Ausstieg.
In diesem Sinne bieten wir unsere Zusammenarbeit
sehr gerne an, und wir wissen, dass wir bei Ihnen auch
Gehör finden.
Herzlichen Dank.
({11})
Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion ist der nächste
Redner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die Finanzkrise wurde in der Tat nicht nur gezeigt, welche Bedeutung die Verbraucherinnen- und Verbraucherpolitik unmittelbar für den Einzelnen oder die
Einzelne hat, der oder die Schutz vor Überforderung und
unlauterem Wettbewerb benötigt und nach Sicherheit
und Gesundheit strebt, sie hat auch gezeigt, dass ein solcher Verbraucherschutz auch für das reibungslose
Funktionieren von Märkten notwendig, also auch ein
Teil von unmittelbarer Wirtschaftspolitik ist.
Die Große Koalition macht diese Bedeutung des Verbraucherschutzes mit dem Budget im Haushalt durchaus
erneut deutlich: durch Akzentsetzungen und durch das
Aufrechterhalten bestimmter Budgetansätze für die Bereiche, in denen wir in den letzten Jahren Arbeit geleistet
haben. Nach über drei Jahren können wir gemeinsam
durchaus auf einige Erfolge beim Verbraucherschutz zurückblicken. In nächster Zeit haben wir einige weitere
wichtige Weichenstellungen zu erreichen.
Die Erste wird sein, dass wir den Verbraucherschutz
im gesamten Bereich der digitalen Welt stärker durchsetzen müssen. Ein Beispiel: gegen die unerwünschte, lästige und in ihren finanziellen Folgen für die Menschen
schwer zu tragende Telefonwerbung. Zweitens wollen
wir im Bereich der Fahrgastrechte ein einfaches, klares
und im gesamten Bereich des Bahnverkehrs gültiges
Entschädigungsrecht in der Form einführen, dass am
Ende nicht möglichst viel Entschädigung gezahlt wird,
sondern dass die Bahn auch wirtschaftlich angereizt
wird, möglichst pünktlich zu sein. Wenn wir diese beiden Punkte demnächst erledigt haben werden, dann haben wir in etwas mehr als drei Jahren ein großes Pensum
geschafft.
({0})
Ein weiterer Bereich: Nach den ersten Rettungsmaßnahmen für das Finanzsystem und nach den ersten Definitionen dafür, was auf dem internationalen Finanzmarkt
anders laufen muss, müssen wir klare und zusätzliche
Regelungen für den Bereich der Finanzmärkte schaffen, und zwar über das hinaus, was in den letzten drei
Jahren schon erreicht wurde. Wir müssen erreichen, dass
die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Kundinnen
und Kunden bei den Finanzgeschäften mit Banken und
Versicherungen auf gleicher Augenhöhe sind und einen
Schutz vor Übervorteilung haben.
Wer einmal in die Beraterprotokolle bestimmter Banken hineingeschaut und gesehen hat, wie Menschen
- zum Teil hohen Alters - aus sicheren Finanzanlagen
wie Tagesgeldern oder Sparbüchern herausgelockt wurden, wird mir zustimmen. Bei ihnen wurde ein Risikoprofil festgestellt: möchte kein Risiko eingehen, möchte
Sicherheit für die Anlage, ist auch zu niedrigeren Zinsen
bereit, wenn dadurch Sicherheit gewährleistet ist. - Weiter unten auf der Seite wird dann ein Häkchen gemacht,
dass es der Wunsch des Kunden ist, ein Zertifikat zu
kaufen, was aber mit der Gefahr eines Totalverlustes
verbunden ist. Irgendwo auf der siebten Seite erscheint
dann eine Unterschrift.
Die Menschen dürfen in einem solchen sogenannten
Beratungsgespräch, das in Wirklichkeit ein Aufschwätzgespräch ist, nicht mehr im Stich gelassen werden. Dass
wir dort klare Informationen, eine Standardisierung und
eine Veränderung der Dokumentationspflicht und der
Rücknahmepflicht brauchen, ist offensichtlich. Ich bin
mir sicher, dass diese Große Koalition dies bis zum
Frühjahr auch erreichen wird.
({1})
Wir werden ein ganzes Stück weitergehen müssen.
Vorhin habe ich einen Zwischenruf gehört. Man muss in
der Tat aufpassen, dass es zu keiner Nabelschau kommt.
Sowohl bei der CDU/CSU als auch bei der SPD hat es
Arbeitsgruppen, Konferenzen und Fachgespräche zum
Thema Marktwächterfunktion gegeben. Ich glaube,
das ist eine gute deutsche Übersetzung für die Consumer
Watchers.
({2})
Wir müssen eine Möglichkeit schaffen, dass zusätzlich zur verstärkten staatlichen Aufgabenteilung auch
Nichtregierungsorganisationen mit Aufgaben des Marktwächtertums - verbunden mit unabhängiger Information - betraut werden, und wir müssen die Frage beantworten, wie wir die Finanzkompetenz unserer Bürger
durch entsprechende Inhalte in den Schulen und durch
entsprechende Förderungen im Erwachsenenbereich vergrößern können.
Der Kollege Schirmbeck ist in einer für ihn ungewohnt harten Wortwahl auf zwei Presseerklärungen von
SPD und CDU/CSU eingegangen. Die Presseerklärung
der CDU/CSU endete mit dem Satz, damit sei wieder der
Beweis angetreten, dass die CDU/CSU der alleinige Vorantreiber von Verbraucherschutzpolitik sei.
({3})
Ich finde das gut. Ich habe zwar irgendwann einmal gelernt, dass man, wenn man etwas betont, das in der Regel
deshalb tut, weil es sonst niemand merkt;
({4})
aber Sie sind herzlich eingeladen zu einem Wettbewerb
in diesem Bereich.
Ich biete Ihnen drei weitere Bereiche für einen Wettbewerb an: Erstens. Lassen Sie uns gemeinsam das Verbraucherinformationsgesetz endlich auf alle Produkte
und Dienstleistungen ausdehnen
({5})
und verzichten Sie auf die bisher von der CDU/CSU vorgebrachten Vorbehalte in Bezug auf die Fälle, in denen
die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht durch die
öffentlichen Behörden informiert werden dürfen!
({6})
Zweitens. Beschließen Sie mit uns gemeinsam eine
klare, übersichtliche Kennzeichnung dessen, was in den
Lebensmitteln enthalten ist, damit die Menschen das
schnell erkennen können!
({7})
Auch da scheitern wir bisher am alleinigen Vorantreiber
des Verbraucherschutzes.
Drittens; das ist mir besonders wichtig. Nach dem
Gammelfleischskandal haben die Landesregierung und
Ihr Vorgänger, Frau Ministerin, einen Mitarbeiter, der
die Öffentlichkeit darüber informiert hat, dass sein Arbeitgeber mit Gammelfleisch arbeitet, mit einem Orden
ausgezeichnet. Gleichzeitig will unser Koalitionspartner
diesem Menschen aber den nötigen gesetzlichen Schutz
verweigern. Wir brauchen in Deutschland endlich einen
Informantenschutz für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Öffentlichkeit über gefährliche Machenschaften ihrer Arbeitgeber informieren.
({8})
Geben Sie sich endlich einen Ruck und beschließen Sie
mit uns gemeinsam diesen Informantenschutz! Das wäre
ein echter Fortschritt für den Verbraucherschutz in
Deutschland, und der ist wichtiger als irgendwelche beleidigten Pressemitteilungen, die auf das zurückgehen,
was man selber zwei Wochen zuvor gemacht hat.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort erhält nun die Kollegin Karin Binder für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Angst, ob später die
Rente reichen wird, hat viele Menschen in Deutschland
in die Fänge von windigen Finanzinstituten getrieben.
Mit entsprechend schlechter oder falscher Beratung wurden den Leuten Zertifikate mit hohen Gewinnerwartungen aufgeschwatzt, wie es auch der Herr Kollege Kelber
gerade beschrieben hat. Die Information, dass damit ein
entsprechendes Risiko verbunden ist, ist dabei leider auf
der Strecke geblieben. Die Problematik wurde zumindest
von einigen dieser Bankberater nicht so zum Ausdruck
gebracht, dass die Menschen es verstanden hätten. Deshalb brauchen wir dringend eine qualifizierte und
unabhängige Finanzberatung, insbesondere vor dem
Hintergrund, dass durch den Abbau von Sozialleistungen immer mehr Menschen in private Vorsorge gedrängt
werden. Langfristige Geldanlagen für zusätzliche Altersvorsorge oder kurzfristige Kreditnahmen für Ausbildung
stellen Verbraucherinnen und Verbraucher immer wieder
vor schwierige Entscheidungen.
Viele dieser Menschen waren, wie sich jetzt herausstellt, schlecht beraten. Die Verbraucherverbände haben
Belege dafür. Es gibt nicht wenige Bankkunden, die mit
dem ausdrücklichen Wunsch nach sicherer Geldanlage
in die Beratung gehen und mit einem risikobehafteten
Papier wieder herauskommen.
({0})
Fest steht, dass durch die weltweite Finanzmarktkrise
auch in Deutschland schon Tausende Menschen ihre
Rücklagen fürs Alter, für den Pflegefall oder für sonstige
Notfälle verloren haben.
Als Maßnahme zur Unterstützung der Verbraucherinnen und Verbraucher wurde eine Hotline geschaltet.
({1})
Diese Hotline finde ich durchaus lobenswert; aber sie
war völlig überlastet, und sie ist nach wie vor überlastet.
({2})
Hunderttausende Menschen haben versucht, diese Hotline zu erreichen und dort Beratung zu bekommen; aber
nur ein Bruchteil von ihnen kam durch. Es sind also viel
zu wenige unabhängige Finanzberater und Finanzberaterinnen eingesetzt. Sie reichen gerade einmal für die
Spitze des Eisbergs.
({3})
Diese unabhängige Finanzberatung darf vor allem
nicht dadurch lahmgelegt werden, dass sie sich immer
wieder über befristete Projekte finanzieren muss. Es
wäre viel sinnvoller, die Energie und die Arbeit, die immer wieder für die Beschaffung der notwendigen Mittel
aufgewendet werden muss, für die Beratung selbst einzusetzen. Deshalb plädieren wir dafür, die unabhängige
Finanzberatung als wichtige Kernaufgabe für die Verbraucherverbände zu betrachten und sie verlässlich, kontinuierlich und langfristig abzusichern.
Für die Finanzierung der Finanzberatungsstellen
werden derzeit von Bund und Ländern rund 4 Millionen
Euro pro Jahr aufgebracht. Jetzt gibt es ein großes Konjunkturprogramm mit einem Schutzschirm, der aber diesen Bereich und die betroffenen Menschen gar nicht berücksichtigt. Damit komme ich zu unserem Antrag. Die
Linke möchte gerne mit 10 Millionen Euro zusätzlich
für 2009
({4})
- was ist das im Vergleich zu den vielen Milliarden, die
jetzt aufgebracht werden müssen? - die unabhängige
Finanzberatung dauerhaft auf- und ausbauen.
({5})
Die Verbraucherzentrale Bundesverband schlägt in einem Papier zur Finanzmarktkrise den Aufbau einer sogenannten Leitzentrale vor. Diese Finanzleitzentrale soll
den Markt - also Produkte und Unternehmen - beobachten, bewerten und kontrollieren, Verbraucherbeschwerden aufnehmen und kollektiven Rechtsschutz gewährleisten. Ich denke, dass die Politik die Pflicht hat, die
Mittel dafür bereitzustellen, dass diese Arbeit geleistet
werden kann.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen die
unabhängige Finanzberatung. Dafür müssen wir jetzt die
Entscheidung treffen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Behm,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, Sie werden sich
nicht wundern, dass wir als bündnisgrüne Fraktion zumindest einen Teil der Beschlüsse zum Health Check begrüßen,
({0})
auch wenn der Kompromiss weit hinter den Erwartungen an die dringend notwendigen Reformen der EUAgrarpolitik zurückgeblieben ist. Durch die Erhöhung
der Modulation geht die EU in die richtige Richtung,
mehr Mittel für die Landwirtschaft zur Verfügung zu
stellen, um klima-, wasser- und umweltschonend zu produzieren.
Allerdings geht diese Rechnung nur auf, wenn auch
die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben machen. Davon
ist in Deutschland allerdings bisher nicht viel zu merken.
Herr Schirmbeck, auch auf die Gefahr hin, die Harmonie zwischen uns zu stören: Der vorgelegte Agrarhaushalt ist nicht nur in dieser Hinsicht ein Armutszeugnis der Großen Koalition. Sie sind nicht bereit, mehr für
die so notwendige ökologische Intensivierung der deutschen Landwirtschaft zu tun. Ich will einige Beispiele
nennen.
Um auf die neuen Herausforderungen angemessen reagieren zu können, ist eine deutliche Verbesserung der
Bedingungen für den Ökolandbau nötig. Dafür muss
die zwischen den Agrarministern in Bund und Ländern
vereinbarte Erhöhung der Umstellungs- und Beibehaltungsprämien in den Bundesländern zügig umgesetzt
werden. Außerdem brauchen die Landwirte die Wiedereinführung des Fördertatbestandes „Ökologischer Landbau“ bei den Agrarinvestitionen, der einen um immerhin
10 Prozentpunkte erhöhten Fördersatz von 35 Prozent
ermöglicht.
Zusätzlich muss die Forschung in diesem Bereich
verstärkt werden. Dazu fordern wir die Umwandlung des
Bundesprogramms Ökologischer Landbau in ein permanentes Forschungsprogramm und eine deutliche Erhöhung des Forschungsbudgets für diesen Bereich.
({1})
Ich meine, wir brauchen nicht nur für diesen Bereich
ein erhöhtes Forschungsbudget. Ich glaube, dass die von
Ihnen angesprochene Aufstockung, Herr Schirmbeck,
vor allem dann nicht ausreicht, wenn sie für Gentechnikforschung verwendet wird. Wir brauchen Forschung zur
nachhaltigen Landnutzung, zum Beispiel zur Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen.
({2})
Gestatten Sie mir einige Sätze zur Milchpolitik. Die Erhöhung der Milchquote ist - das ist wohl unbestritten eine Katastrophe für die Milchbauern in Deutschland.
Die Industrialisierung im Milchsektor wird weiter angeheizt. Der Strukturwandel wird befördert. Ich meine den
Strukturwandel, bei dem die Agrarproduktion anstelle
der Agrikultur im Vordergrund steht. Daran wird auch
der von Ihnen als Verhandlungserfolg gefeierte Milchfonds, Frau Ministerin, nichts ändern. Die enormen Verluste der Milchbauern lassen sich so nicht ausgleichen.
Das wird schon an der geplanten Konstruktion des Fonds
deutlich. Die Speisung dieses Fonds durch die Modulationsmittel in der zweiten Säule, die in den Bundesländern
verbleiben, aus denen sie stammen, wird zu einer sehr unausgewogenen Situation zwischen den Bundesländern
führen. Im Grunde genommen kann man davon ausgehen, dass in den südlichen Bundesländern, wo die Milchbetriebe vor besonders großen Schwierigkeiten stehen,
der Zuwachs an Modulationsmitteln eher bescheiden
ausfallen wird. Hier ist nicht wirklich Hilfe zu erwarten.
Das Abzweigen der eigentlich für Klimaschutz, Biodiversität und Wassermanagement gedachten zusätzlichen
Modulationsgelder für einen wirkungslosen Milchfonds
darf deshalb auf keinen Fall dazu führen, dass Milchbauern und Umwelt gegeneinander ausgespielt werden. Das
Konstrukt sieht leider im Moment so aus.
Ich fordere die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene endlich für die Einführung eines flexiblen
Milchmengenregulierungsinstruments als Nachfolge
der heutigen Quotenregelung stark zu machen und den
Milchfonds so zu gestalten, dass die bäuerlichen Betriebe unterstützt werden. Investitionsbeihilfen, die zur
weiteren Industrialisierung der Milchwirtschaft führen,
sind der falsche Weg. Ihr Agrarhaushalt bedeutet nichts
weiter als ein „Weiter so“. Sie nehmen den Ball der EUKommission nicht auf und bereiten die deutsche Landwirtschaft auf die bevorstehenden Probleme nicht vor.
Ihr Haushalt ist nicht mutig und konsequent. Er ist leider
nicht zukunftsfähig.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Wilhelm
Priesmeier, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in der Diskussion
ist einiges klar geworden. Wir haben an sich einen guten
Haushalt auf den Weg gebracht, einen Haushalt, der dazu
beiträgt, die deutsche Landwirtschaft wettbewerbsfähig
zu halten. Als kleine Replik auf Sie, Frau Kollegin
Behm: Was Sie eben zur Milchpolitik geäußert haben,
halte ich für äußerst fragwürdig. Sie stellen sich den wahren Problemen der Milchbauern und -bäuerinnen nicht.
An der in Brüssel gefallenen Entscheidung, die Milchquote 2015 auslaufen zu lassen, wird sich in absehbarer
Zeit nichts ändern. Deshalb kommt es darauf an, das richtige Instrumentarium zu entwickeln, um diesen Prozess
zu begleiten. Man kann aber nicht in die Mottenkiste des
Kartellrechts bzw. des Kartellwidrigen greifen und versuchen, mit Instrumentarien, die wir längst überwunden
zu haben glaubten, eine Lösung herbeizuführen. Was Sie
betreiben, ist nichts anderes als Anbiederung an einen bestimmten Verband, den ich hier nicht namentlich nennen
will; denn das Optionsmodell ist nicht zukunftsfähig.
Das ist unbestritten. Aus diesem Grunde werden die Forderungen zunehmend leiser erhoben. Ich glaube, dass
das, was wir zu entscheiden haben, nicht mit dem von
dieser Seite geforderten Instrumentarium begleitet werden kann; das sage ich ganz klar.
Frau Ministerin, mein Kompliment für das, was Sie in
Brüssel erreicht haben! Das ist mehr, als man erwarten
konnte. Das gilt auch im Hinblick auf die Unterlegung
der prozentualen Größenordnungen mit Zahlen. So wird
in Bayern für 23,2 Millionen Euro aus dem Milchfonds
Masse moduliert. Insgesamt stehen zu Beginn 30 Millionen Euro zur Verfügung. Das wächst bis 2013 auf etwa
das Doppelte auf. Das reicht natürlich nicht aus, um alle
Strukturprobleme gerade in den süddeutschen Bundesländern anzugehen. Deshalb müssen wir den Landwirten
und den Milchbauern eine klare Antwort auf ihre Fragen
geben. Die klare Antwort heißt: Wir werden erhebliche
Strukturveränderungen hinnehmen müssen. Das heißt
auch, dass in bestimmten Bereichen die Milchviehhaltung nicht in dem Umfang vorhanden sein wird, wie dies
bisher der Fall war. Das ist eine klare Ansage und auch
eine klare Aussage.
Dieser Entwicklung müssen wir uns ganz klar und
deutlich stellen. Wir dürfen nicht so tun, als ob diese Entwicklung rückgängig zu machen wäre. Wir haben Verpflichtungen, was die Maßnahmen, die der Milchfonds
ermöglicht, angeht. Per definitionem ist das eine der großen Herausforderungen, von denen hier auch noch andere zu erwähnen sind, wie zum Beispiel die Frage der
nachhaltigen Energieerzeugung oder die Frage des Klimawandels. Deshalb ist dies als gleichgewichtig anzusehen.
Ich halte es für richtig, dass die Mittel den Ländern
zugewiesen werden
({0})
und dort entsprechend der Ausgestaltung der jeweiligen
Schwerpunkte verausgabt werden können. Das bringt den
Ländern Flexibilität, und sie können entsprechend reagieren.
({1})
Zur Größenordnung ist eines natürlich zu bemerken:
Die neuen Bundesländer verlieren zwar nominal. Wenn
man es aber umrechnet, steht zumindest dem Milchbereich, auch in den neuen Bundesländern, eine erhebliche
Größenordnung zur Verfügung. Die dortigen Betriebe
sind bereits wettbewerbsfähig. Aus diesem Grunde brauchen sie keine Förderung in dem Maße, wie sie in den
süddeutschen Ländern erforderlich wäre.
Wir dürfen nicht alles und jeden fördern. Die Illusion,
jeder Landwirt würde dadurch überleben - so haben wir
es bei der Einführung der Milchquote in den 80er-Jahren
getan -, sollten wir nicht erwecken. An dieser Stelle ist
Klarheit und Wahrheit angesagt.
Ich glaube, dass kein Hektar in Baden-Württemberg
oder Bayern in Zukunft nicht mehr bewirtschaftet wird.
Wir müssen intelligente Agrarumweltprogramme
schaffen, um diesen Regionen eine Perspektive zu geben.
({2})
Geld ist ausreichend vorhanden, wenn man das bisherige
Instrumentarium im Rahmen der zweiten Säule entsprechend ausgestaltet.
Das kann aber nicht bedeuten, dass wir jeden Cent,
der moduliert wird, nur für den Bereich Milch ausgeben.
Die aktuellen Äußerungen vonseiten der neuen Bundesländer besagen, dass sie die Mittel zur Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit im Bereich Milch in dieser Größenordnung nicht brauchen werden. Es gibt also auch
dort neue Optionen in den Gestaltungsmöglichkeiten.
Das sollte man entsprechend ausschöpfen.
({3})
Wichtig sind mir auch die strukturverändernden Maßnahmen im Hinblick auf die Molkereien. An dieser
Stelle muss ein klares Wort gesprochen werden. Ich halte
es für notwendig, dass wir die Andienungsverpflichtung,
den Ausnahmetatbestand für Genossenschaften aus dem
Wettbewerbsrecht streichen. Das macht die Milcherzeuger freier, zum Beispiel bei der Gestaltung von Verträgen
mit den Molkereien. Das macht den Molkereien Druck,
ihre Strukturen zu reformieren.
Rund um Deutschland passiert einiges. In den Niederlanden fusionieren zwei große Molkereien und stellen
sich zur viertgrößten Molkerei der Welt auf. Arla in Dänemark fusioniert mit einer großen Molkerei aus Großbritannien. Um uns herum passiert also etwas. Es gibt einen erheblichen Nachholbedarf. Auch in diesem Bereich
sind zusätzliche Kosten zu senken und zusätzliche Erträge zu erwirtschaften.
({4})
Wir müssen aber auch vorsichtig sein. Dies gilt zum
Beispiel für die Förderung der Biogasanlagen. In einer
Untersuchung - die Ergebnisse habe ich aus Kiel bekommen - wurden dazu ganz klare Feststellungen getroffen. In den Bereichen, in denen die Energieerzeugung mit der Milcherzeugung konkurriert, ist aufgrund
steigender Flächenpreise die Vollkostenrechnung Milch
um 3 bis 5 Cent angestiegen.
Herr Kollege.
Wir müssen an dieser Stelle klare Prioritäten setzen.
Was wollen wir? Wollen wir Milch in wettbewerbsfähigen Standorten, oder wollen wir Energieerzeugung in
diesen Standorten? Für mich ist die Entscheidung klar:
Unsere deutsche Milcherzeugung ist auch im Weltmaßstab wettbewerbsfähig.
Ich glaube, dass die Entscheidungen, die getroffen
wurden, auch im Hinblick auf die Quotenerhöhung, uns
die Perspektive verschaffen, dass wir auf den Zukunftsmärkten bestehen können. Aus diesem Grunde ist mir
nicht bange.
Vielen Dank.
({0})
Peter Bleser ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man eine gerade Furche pflügen will, muss
man weit vorausschauen, und man muss wissen, wo man
steht. Wenn wir uns das vor Augen halten, dann müssen
wir zunächst einmal attestieren, dass wir jetzt schon den
zweiten Monat haben, in dem die Arbeitslosenzahl vorne
eine zwei aufweist. Wir müssen auch attestieren, dass
wir die Einkommen in der Agrarwirtschaft in den letzten
Jahren verbessert haben. Wenn wir das feststellen, dann
bedeutet das, dass unsere Grundsätze, unsere Ziele und
auch die Maßnahmen, die wir getroffen haben, richtig
waren.
({0})
Das ist zunächst einmal das Erste, was wir heute feststellen müssen. Wenn wir uns dann vor Augen halten, dass
wir auch dieses Jahr in der Agrarwirtschaft im dritten
Quartal hintereinander ein Exportplus von 17 Prozent
vorweisen können, dann zeigt das, dass wir in der Wettbewerbsfähigkeit einen entscheidenden Schritt vorangekommen sind. Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, von Herrn Seehofer und von Frau Aigner, die diese
Politik fortsetzt.
Die Einkommen der Landwirte sind stabilisiert
worden, aber wir dürfen nicht verkennen, dass seit einigen Wochen die Situation eine andere ist. Wir haben eine
Finanzkrise, die von den USA und Großbritannien auf
uns hereingebrochen ist, und wir haben eine veränderte
Marktsituation bei den Agrarrohstoffen. Das führt zu
Veränderungen der Einkommenssituation in der Gesamtwirtschaft, aber auch in der Agrarwirtschaft. Deswegen
ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir jetzt die
Rahmenbedingungen so setzen, dass wir aus dieser Krise
gut herauskommen. Es ist nicht entscheidend, wie man
in eine Krise hineinschlittert, sondern entscheidend ist,
wie man wieder herauskommt. Dazu werden wir die
richtigen Entscheidungen treffen.
Ein gutes Ergebnis ist, dass der Health Check in
Brüssel so ausgegangen ist, wie er ausgegangen ist. Frau
Aigner, das war ein erster Härtetest. Der ist bestanden
worden, auch wenn unsere Fraktion eigentlich überhaupt
keine höhere Modulation wollte. Man muss attestieren,
dass die Forderung der Kommission, zusätzlich Mittel
für die Landwirtschaft in Höhe von 17 Prozent zu streichen, doch deutlich unterschritten worden ist. Damit ist
den Betrieben geholfen worden, diese schwierige Zeit zu
überstehen. Herzlichen Dank, Frau Ministerin.
({1})
Es ist schon angesprochen worden, dass die Einrichtung eines Milchfonds erreicht worden ist. Man muss
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was damit
möglich wird. Damit ist bei der Milchproduktion nicht
nur ein gleitender Übergang für die Landwirte, die Milch
produzieren, für die Zeit nach der Quote möglich geworden, sondern mit der Weideprämie kann gleichzeitig
- das sollten Sie, Frau Behm, achten, wenn Sie den Namen „Grüne“ weiter zu Recht tragen wollen - natürlich
etwas für den Umweltschutz und den Erhalt der Kulturlandschaft getan werden. Jetzt können auch mit Investitionshilfen, die zusätzlich für Stallbauten gewährt werden können, modernere und artgerechtere Ställe errichtet
werden. Sie sollten auch sehen, dass mit zusätzlichen
Mitteln die Verbesserung der Infrastruktur in der Milchwirtschaft - Herr Goldmann, da sind wir einer Meinung - erreicht werden kann. Das ist der richtige Weg,
um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Milchwirtschaft zu
stärken. Das hilft den Bauern in Deutschland, insbesondere denen in Bayern, wo die natürlichen Voraussetzungen nicht ganz so gut wie woanders sind.
({2})
In diese Strategie der Hilfe, um die vor uns liegenden
Probleme zu überwinden, passt die Erhöhung der Mittel
für die Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz.
40 Millionen Euro mehr - das ist schon sehr viel. Herr
Kollege Schirmbeck, Dank auch an Sie, dass Sie im
Haushaltsausschuss für weitere Mittel im Rahmen des
Impulsprogramms gekämpft haben. Dass das mit dem
Koalitionspartner nicht zu machen war, ist das eine; aber
richtig ist, dass wir nach wie vor in der Landwirtschaft
einen Investitionsstau haben. Den aufzulösen, wäre eigentlich eine dringende Aufgabe. Das gelingt jetzt nicht
in der Form, wie es möglich gewesen wäre, aber es gelingt mit 40 Millionen Euro mehr besser, und das ist ein
riesiger Erfolg.
Frau Ministerin, dass wir die Förderung für die DSLAnschlüsse fortsetzen, ist sehr lobenswert. Das hat nicht
nur Impulse ausgelöst, sondern letztlich auch dazu beigetragen, dass sich die große Politik, auch die Europäische Union, des Themas annimmt. Wenn es gelingt, in
drei Jahren in jedem Weiler einen leistungsfähigen
DSL-Anschluss bereitzustellen, dann dient das der
Schaffung von Arbeitsplätzen mehr als manche Million
oder Milliarde an Förderung.
({3})
Deswegen muss das intensiv verfolgt werden. Ich bin
wirklich begeistert, dass unsere Bundeskanzlerin das in
dieser Klarheit angesprochen hat. Von ihr kann man erwarten: Wenn sie etwas ankündigt, dann wird es auch
umgesetzt.
({4})
Hier ist viel über Verbraucherschutz geredet worden.
Es wurde gesagt, es sei nicht genug getan worden. Dazu
will ich, weil das schon viele andere angesprochen haben, nicht viel sagen. Die Tatsache, dass die Bundeskanzlerin mit einer sehr gewagten, aber richtigen Erklärung alle deutschen Sparer vor dem Verlust ihrer
Spareinlagen geschützt hat, zeigt: Wir betreiben Verbraucherschutz, wie er besser nicht sein kann.
({5})
Das sollte man nicht vergessen. Ich will die lange Liste
unserer Erfolge - sie ist schon angesprochen worden nicht noch einmal vortragen: Fahrgastrechte, Verbraucherinformationsgesetz -
Das wäre in Ihrer verbleibenden Redezeit auch
schwer möglich, Herr Kollege.
Herr Präsident, das ist schade, denn jetzt wird es gerade interessant.
({0})
Es sind viele Dinge, die wir aufweisen können.
Wir haben Erfolge erzielt; aber wir befinden uns jetzt
in einer Situation, in der wir eine gewisse Sorge wegen
der Zukunft haben. Das soll man den Menschen nicht
verschweigen. Man soll ihnen auch sagen, dass wir die
richtigen Rezepte haben, um aus dieser Krise herauszukommen. Ich sage Ihnen eines: Wir werden am Ende
stärker sein als vorher.
Herzlichen Dank.
({1})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Aigner, es war
noch Ihr Vorgänger, Herr Seehofer, der diesen Haushalt
als Landwirtschaftsminister in erster Lesung eingebracht
hat. Er hat ihn als Bekenntnis zur Landwirtschaft bezeichnet. Dabei hat er die Stärke der ländlichen Räume
explizit an die Stärke der Land- und der Forstwirtschaft
geknüpft.
Vor zwei Wochen nun hat die EU-Kommission die
Rückmeldungen auf ihr Grünbuch zur Reform des EUHaushalts vorgestellt. Das Ergebnis: Viele der Konsultationsteilnehmer wünschen eine Senkung der Agrarausgaben, insbesondere der Direktzahlungen. Aus dieser
Reformdebatte erwächst natürlich ein sehr großer Druck
auf die Agrarpolitik.
Dieses Ergebnis kommt für uns nicht überraschend.
Es bedeutet aber, dass wir sehr aufpassen müssen. Wir
müssen uns mit unserer nationalen Agrarpolitik darauf
vorbereiten, was in der EU schon absehbar ist. 2003 hat
die EU die Landwirtschaft in den Markt entlassen. Sie
hat die Förderung an höhere Anforderungen gekoppelt.
Im Jahr 2013 - das ist uns allen klar - folgt der
nächste Schritt. Das ist keine Überraschung. Die Frage
ist aber: Werden wir darauf vorbereitet sein? Mein Kollege Wilhelm Priesmeier hat ausführlich zum Thema
Milch gesprochen. Ich will hier nur eines doppelt unterstreichen: Ab 2015 wird es keine Mengensteuerung
mehr geben, auch nicht, Frau Behm, auf nationaler
Ebene. Da wird es nichts geben. Das bedeutet ganz klar:
Wir müssen den Ausstieg begleiten; wir können es nicht
einfach laufen lassen. Die Vorschläge des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter - ich nehme das doch
noch einmal in den Mund - würden eindeutig zum Verlust von Marktanteilen und der Wettbewerbsfähigkeit
führen.
({0})
Das ist jedenfalls das Ergebnis des Gießener Instituts für
Agribusiness. Das deckt sich mit unserer Einschätzung.
Wir wollen die Milcherzeugung in Deutschland aber
nicht vor die Wand fahren. Wir wollen einen sanften
Ausstieg. Deshalb heißt Verlässlichkeit an dieser Stelle:
Perspektiven eröffnen. Das bedeutet wiederum, dass wir
uns wirklich dem stellen müssen, was absehbar vonseiten der EU auf uns zukommt.
Waltraud Wolff ({1})
Sind wir denn darauf vorbereitet, die neuen Herausforderungen überhaupt anzunehmen? Es wäre natürlich
wichtig gewesen, die Entwicklung der ländlichen Räume
auf EU-Ebene als neue Herausforderung zu begreifen
und anzunehmen. Wie erhalten wir in den ländlichen
Räumen die öffentliche Infrastruktur, wie die Daseinsvorsorge und wie die regionale Wirtschaftsstruktur? Wir
haben mit der Förderung der Breitbandversorgung über
die GAK einen kleinen Schritt gewagt. Ansätze dafür
gibt es auch noch in der zweiten Säule. Diese Ansätze
müssen wir national und auch europäisch stärken.
In den Beschlüssen zum Gesundheitscheck ist es leider nicht gelungen, die ostdeutschen Landwirte vor
Sonderlasten zu bewahren. Die progressive Modulation
- lassen Sie es mich als ostdeutsche Abgeordnete so sagen - ist ein Sündenfall, und sie passt nicht zur Gesamtreform der Agrarpolitik.
({2})
Wir brauchen eine zielgerichtete Politik, die sich an den
Leistungen für die Gesellschaft orientiert, und das ist
keine Frage der Größe von Betrieben.
({3})
Immerhin ist es gelungen, dass die Mittel in den jeweiligen Bundesländern verbleiben. Das ist auch notwendig, damit nämlich nicht gerade die strukturell benachteiligten Gebiete noch einmal leiden müssen. Frau
Ministerin, bei den künftigen Verhandlungen in Brüssel
müsste als Erstes auf der Tagesordnung stehen: Schluss
mit dieser Sonderlast!
({4})
Eines ist uns auch ganz klar: Es muss aufhören, dass
Deutschland in Brüssel aus kurzfristigen Überlegungen
heraus, vielleicht auch mit Blick auf das Wahlverhalten
bayerischer Bauern, zu den Bremsern gehört. Wir müssen in Brüssel für eine zielgerichtete Agrarpolitik eintreten.
({5})
Wir müssen sie so gestalten, dass sie auch nach 2013
noch Bestand hat, national, indem wir gerade in der Gemeinschaftsaufgabe den neuen Herausforderungen begegnen und uns daran orientieren, und in Europa müssen
wir dafür sorgen, dass es eine Agrarpolitik gibt, die die
Leistungen für die Gesellschaft honoriert. Das verstehen
die Menschen - nicht nur hier im Saal, sondern auch
draußen.
({6})
Dafür müssen wir die Weichen stellen. Das sind wir
allen unseren Landwirten schuldig.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 10
- Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz - in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zunächst
abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf der Drucksache 16/11067? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist
abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/11068? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser
Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.16 auf:
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Gesundheit
- Drucksachen 16/10414, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Omid Nouripour
Zum Einzelplan 15 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor. Über einen Änderungsantrag
werden wir am Schluss dieser Debatte namentlich abstimmen.
Nun bitte ich diejenigen, die an der Debatte teilnehmen wollen, die reichlich vorhandenen Plätze einzunehmen, und diejenigen, die gegebenenfalls anderes Dringliches zu erledigen haben, den Sitzungssaal zu verlassen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
So kann man sich auch schon darauf einrichten, dass wir
gegen 19.30 Uhr die namentliche Abstimmung durchführen werden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am 1. Januar 2009 beginnt das letzte Amtsjahr
der Großen Koalition. Das ist eine gute Nachricht. Es
startet aber auch das, laut Kanzlerin Merkel, wichtigste
Projekt dieser Großen Koalition: der Gesundheitsfonds.
Das ist eine schlechte Nachricht. Schon vor dem Start
droht das wichtigste Projekt von Schwarz-Rot zu einem
Debakel zu werden, und das aus mehreren Gründen.
Wunsch und Wirklichkeit liegen bei der Koalition weit
auseinander. Das zeigt ein Blick in den Koalitionsvertrag. Dort sind unter der Überschrift „Wettbewerbliche
und freiheitliche Ausrichtung des Gesundheitswesens“
vier zentrale Ziele aufgezählt.
Im Koalitionsvertrag steht erstens: „Erweiterung der
Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Versicherten“. Aber: Wo ist denn die Wahlmöglichkeit, wenn alle
Versicherten den gleichen Beitrag bezahlen müssen?
Zweitens: „Intensivierung des Wettbewerbs um Qualität und Wirtschaftlichkeit“. Aber: Wo ist der Wettbewerb, wenn alle Versicherungen den gleichen Beitrag
anbieten müssen?
Drittens: „Erhöhung der Transparenz über Angebote,
Leistungen und Abrechnung“. Aber: Wo ist denn die
Transparenz, wenn alle Mittel in einen Topf fließen und
nach einem undurchsichtigen System dann wieder verteilt werden?
Viertens: „Verminderung des bürokratischen Aufwands“. Aber: Wo ist der Bürokratieabbau, wenn die
Kassen neue Strukturen aufbauen müssen, um mit ihren
Versicherten abzurechnen?
({0})
Die Große Koalition ist vor drei Jahren mit großen
Ambitionen angetreten und droht jetzt kläglich zu scheitern. Der Gesundheitsfonds steht auf äußerst wackeligen
Beinen. Unter dieser Regierung sind die Gesundheitskosten seit 2005 um 24 Milliarden Euro gestiegen.
167 Milliarden Euro sollen 2009 aus den Taschen der
rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten in den Fonds
fließen. Um diese Kosten zu decken, haben Sie den Einheitsbeitrag mit 15,5 Prozent auf Rekordhöhe angesetzt.
90 Prozent der Versicherten werden im nächsten Jahr höhere Beiträge zahlen müssen.
({1})
Ich weiß nicht, was der Einzelne dazu sagt.
Das ist aus ökonomischer Sicht auch der größte Fehler überhaupt, den Sie mit der Einführung dieses Gesundheitsfonds begehen; denn Deutschland befindet sich
in keiner besonders guten Situation. Wir befinden uns im
Wirtschaftsabschwung. Genau in dieser Phase erhöhen
Sie die Beiträge und treiben damit die Lohnnebenkosten in die Höhe. Damit wird es für Arbeitgeber noch
schwieriger, Arbeitsplätze zu halten, und die Arbeitnehmer haben immer weniger Geld im Portemonnaie, um
den Konsum zu stützen. Eine fatale Entwicklung.
Da nutzt es dann leider auch gar nichts, wenn der Arbeitsminister den Arbeitslosenbeitrag um 0,5 Prozentpunkte senkt. Diese Bemühungen machen Sie, Frau Ministerin, durch höhere Krankenkassenbeiträge wieder
zunichte. Auch in diesem Punkt ist die Regierung an ihren Ansprüchen aus dem Koalitionsvertrag gescheitert.
Ich zitiere aus dem Papier:
CDU, CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohnzusatzkosten … dauerhaft unter 40 % gesenkt werden.
({2})
2009 werden die Beiträge auf 40,15 Prozent steigen.
({3})
Von Entlastung bei den Arbeitskosten also keine Spur.
({4})
- Sie können mir das gern noch einmal anders vorrechnen; da bin ich sehr gespannt.
Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob der Rekordbeitrag von 15,5 Prozent überhaupt ausreichen wird, um
den Fonds zu 100 Prozent auszustatten. Ich habe ernste
Zweifel an den Rechenkünsten Ihrer Experten, Frau Ministerin. Schon bei der Berechnung des Konvergenzbetrags, also des Ausgleichs der Bundesländer aus dem
Fonds, hat sich Ihr Haus um über 700 Millionen Euro
verschätzt, weswegen jetzt kaum Rücklagen im Fonds
gebildet werden können. Dies bedeutet, dass Sie mit dem
Gesundheitsfonds ein massives Risiko für den Bundeshaushalt schaffen. Wir alle kennen doch die Konjunkturprognosen für das nächste Jahr. Die Arbeitslosigkeit
wird steigen, damit gehen die Beitragszahlungen zurück.
Wer muss zahlen, wenn dann nicht genug Geld im Fonds
ist? Der Steuerzahler!
Sie reden nur von „unterjährigen Schwankungen“, die
„kurzfristig mit Steuermitteln ausgeglichen werden“,
oder davon, dass das Risiko beim Fonds liege. Frau Ministerin, sagen Sie doch deutlich, wie es ist: Das Risiko
für Ihre Gesundheitspolitik liegt beim Steuerzahler und
sonst nirgendwo.
({5})
Der Bürger wird doppelt zur Kasse gebeten: als Beitragszahler und als Steuerzahler. Das ist die ganze Wahrheit.
Das wichtigste Projekt dieser Legislaturperiode ist im
Ergebnis ein Reinfall. Das können aber weder die SPD
noch die CDU zugeben; denn wir befinden uns schließlich im Wahlkampf.
Vielen Dank.
({6})
Für die Bundesregierung erhält nun die Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wäre bei Ihrer Rede jetzt gar nicht auf die Idee gekommen, dass sich auch die FDP im Wahlkampf befindet.
Zunächst bedanke ich mich bei den Mitgliedern des
Haushaltsausschusses für die konstruktiven Beratungen
und vor allen Dingen bei den Berichterstattern der Koalition, den Kollegen Schurer und Barthle, für die wirklich
sehr gute Zusammenarbeit, die dazu geführt hat, dass wir
auch im kommenden Jahr einen Haushalt haben werden,
der gute Voraussetzungen für die gesundheitliche Versorgung unserer Bürgerinnen und Bürger schafft.
Mit diesem Haushalt werden wir mehr in Prävention
investieren, vor allen Dingen bei HIV/Aids; aber auch im
Hinblick auf Bewegung und Ernährung bei den Programmen „IN FORM“ und „3.000 Schritte“. Wir investieren
des Weiteren in die Erprobung besserer Versorgungskonzepte vor allen Dingen für demenziell erkrankte Menschen, aber auch in die Verbesserung der Kindergesundheit. Aufgrund der uns vorliegenden Daten wissen wir,
dass nicht alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen haben, gesund aufzuwachsen. Hier setzen wir im
Rahmen dessen, was ein öffentlicher Haushalt dazu tun
kann, die richtigen Schwerpunkte.
({0})
Der größte Betrag in unserem Haushalt ist der Bundeszuschuss an die Krankenversicherung in Höhe von
4 Milliarden Euro. Ich bin sehr froh, dass wir in der langfristigen Haushaltsplanung sichergestellt haben, dass der
Betrag in den folgenden Jahren bis zum Erreichen einer
Summe von 14 Milliarden Euro um jeweils 1,5 Milliarden Euro erhöht wird. Diese Mittel benötigen wir als
pauschale Abgeltung dafür, dass die gesetzliche Krankenversicherung eine Reihe von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben übernimmt, womit bislang die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler belastet werden. Wir
halten es für richtig, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen Anteil mittragen, weil dies nicht allein Sache der Beitragszahler sein kann.
Insgesamt stehen den gesetzlich Versicherten im kommenden Jahr über den Gesundheitsfonds 167 Milliarden
Euro zur Verfügung. Ich bleibe dabei: Die Krankenkassen
tragen im kommenden Jahr kein Einnahmerisiko. In der
jetzigen Situation stellt dies eine sehr gute Grundlage im
Hinblick auf die Ausgabenplanung für 2009 dar. Die
Krankenkassen tragen das Ausgabenrisiko, da sie dafür
verantwortlich sind, dass diese 167 Milliarden Euro, die
die Beitragszahler hart erarbeiten, effizient und effektiv
eingesetzt werden und dafür gesorgt wird, dass kein Geld
in irgendwelche Projekte fließt, die für eine gute medizinische Versorgung nicht notwendig sind.
Frau Kollegin Winterstein, die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland sind auch in Zukunft wettbewerblich organisiert. Wettbewerb allein über Beiträge wollten
wir nicht mehr, weil er dazu führt, dass Krankenkassen, in
denen viele ältere und kranke Menschen versichert sind,
höhere Beitragssätze erheben müssen als diejenigen Kassen, die junge und gesunde Versicherte haben. Der Wettbewerb allein über den Beitrag hat dazu geführt, dass wir
heute bei den Beiträgen eine Spreizung von 5 Prozent haben. Bei einem Einkommen von 1 000 Euro im Monat
macht das 50 Euro Unterschied bei gleichem Anspruch
auf Leistung, Medikamente, ärztliche Behandlung und
Behandlung im Krankenhaus aus.
Es ist daher richtig, dafür zu sorgen, dass bei den
Krankenkassen, die viele ältere Menschen haben, die
Beitragssätze nicht stark ansteigen und bei den Krankenkassen, die viele junge Versicherte haben, die Beitragssätze nicht immer weiter abgesenkt werden. Alle sollen
sich mit dem gleichen Anteil ihres Einkommens an der
Finanzierung der medizinischen Versorgung beteiligen.
Die Koalition stellt sich einen Wettbewerb vor, bei
dem es um gute Qualität in der Versorgung geht. Dazu
gehört, dass sich Krankenkassen anstrengen, einen guten
Service für ihre Versicherten zu bieten und gute Verträge
abzuschließen, damit die ambulante und die stationäre
Versorgung besser koordiniert werden können. Dazu gehört auch, dass eine gute Versorgung für chronisch
kranke Menschen organisiert wird und dass Wahlmöglichkeiten, die die Versicherten wollen, eingeräumt werden. Das ist Wettbewerb, wie wir ihn wollen. Wir wollen
aber keinen Wettbewerb, der sich nur an Beitragssätzen
ausrichtet.
({1})
Im kommenden Jahr fließen fast 11 Milliarden Euro
mehr in das System der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist sehr viel Geld. Aber dieses Geld hat nichts
mit dem Gesundheitsfonds zu tun. Es wird investiert, damit wir eine bessere und zugleich transparentere Bezahlung beispielsweise der Vertragsärzte auf den Weg bringen können und damit wir die Kliniken bei ihrer
schweren Aufgabe unterstützen können, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Dieses Geld steht auch
dafür zur Verfügung, dass mehr Pflegekräfte eingestellt
werden können oder dass in der Gesundheitsversorgung
auf einen wachsenden Behandlungsbedarf reagiert werden kann, der entsteht, weil es mehr ältere Menschen
gibt. Außerdem kostet der medizinische Fortschritt,
der therapeutische Erfolge mit sich bringt, mehr Geld.
Wir haben ein Ziel: Wir wollen, dass 100 Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger am medizinischen Fortschritt teilhaben können. Wir wollen eine Versorgung für
alle. Deswegen werden wir auch dafür sorgen, dass das
notwendige Geld zur Verfügung steht.
({2})
Die FDP hingegen will eine Grundversorgung und eine
privat abgesicherte gute Rundumversorgung für die, die
Geld haben. Das wissen wir schon lange. Aber das entspricht nicht unserer Auffassung von Gesundheitspolitik
in diesem Lande.
Ich will auch noch sagen: Die Lohnnebenkosten liegen im kommenden Jahr bei 39,15 Prozent.
({3})
Sie können das nachrechnen. Die Versicherten übernehmen 0,9 Prozentpunkte, was zu einer Entlastung bei den
Lohnnebenkosten führt.
({4})
Hören Sie auf, dies in die Lohnnebenkosten hineinzurechnen!
({5})
Die Kassen wissen seit der letzten Woche, wie viel
Geld ihnen zugewiesen wird. Wir erwarten, dass die
Kassen ihre Chancen nutzen, Verhandlungsmöglichkeiten ausloten und dass sie sich daranmachen, dieses Geld
- sie wissen jetzt erstmals, wie viel Geld sie für ein ganzes Jahr, aufgeteilt auf zwölf Monatsraten, zur Verfügung haben - für gute Versorgungsangebote, für guten
Service und für wirtschaftliches Handeln einzusetzen.
Ich glaube, an diesem Punkt haben die Kassen einiges zu
tun. Das wird sie vor neue Herausforderungen stellen.
Aber wir brauchen das, damit wir zu einer guten Gesundheitsversorgung kommen.
({6})
Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung und Zukunft
der Krankenhäuser. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass wir im kommenden Jahr zusätzliche Mittel zur
Verfügung stellen. Demnächst wird ein entsprechendes
Gesetz hier beraten. Wir sind bei der Verabschiedung des
Gesetzentwurfs davon ausgegangen, dass 3 Milliarden Euro
zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Der Schätzerkreis hat 500 Millionen Euro für Mengenausweitungen
und anderes mehr hinzuaddiert.
In diesen 3,5 Milliarden Euro sind aufgrund des Wegfalls des Solidarbeitrages, des Auslaufens der Anschubfinanzierung und der Grundlohnsummensteigerung
1,5 Milliarden Euro enthalten, die den Krankenhäusern
für eine gute Versorgung zur Verfügung stehen. Dadurch
werden sie in die Lage versetzt, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Die Krankenhäuser selbst fordern 6,7 Milliarden Euro
für die Jahre 2008 und 2009. Alle Experten gehen davon
aus, dass die Krankenhäuser im Jahre 2008 2 Milliarden
Euro erhalten werden. Für das kommende Jahr haben
wir im Gesundheitsfonds 3,5 Milliarden Euro eingeplant. Wenn man dazunimmt, was die Krankenhäuser
auch über die private Krankenversicherung und die Beihilfe erhalten, kann man sagen: Allein damit sind rund
6 Milliarden Euro von den geforderten 6,7 Milliarden erfüllt.
Das Folgende sage ich jetzt auch an die Fraktion Die
Linke. Wenn die Länder ihre Verpflichtung wahrnehmen
und Mittel für die Investitionen bereitstellen würden,
stünden die deutschen Krankenhäuser richtig gut da.
({7})
Sie haben heute wieder gefordert, dass der Bund Steuermittel zur Verfügung stellen soll, während sich Ihre Gesundheitssenatorin in Berlin, so glaube ich, nie dafür eingesetzt hat, dass die 50 Prozent von den Investitionen,
die in Berlin noch fehlen und die in jedem Land erhöht
werden müssen, erbracht werden. So funktioniert das
Ganze nicht.
({8})
- Ich greife meine Leute an, Sie greifen Ihre nicht an.
Ich bin die Einzige, die deswegen durchs Land geht. Von
Ihnen habe ich noch nichts gehört, damit der Investitionsanteil der Länder wirklich hereinkommt.
({9})
Dazu sage ich: Hier werden nur Forderungen gestellt,
und es wird gar nicht akzeptiert, dass in der föderalen
Struktur, die wir haben, die Länder für die Investitionen
verantwortlich sind. Wenn die Länder das nicht wollen,
sind wir gerne bereit, andere gesetzliche Grundlagen zu
schaffen. Wer bestimmt, wie viele Betten es in einem
Land gibt, der muss auch dafür sorgen, dass die Aufgabenteilung bei der Finanzierung stimmt. Die Krankenkassen sind für den Bedarf an medizinischer Versorgung
und für die Innovationen da. Die Länder sind für die Investitionen, also die Kosten der Gebäude und auch der
Geräte, zuständig. Da haben sie ihre Aufgabe wahrzunehmen. Ich erwarte, dass auch die Vertreter der Krankenhäuser - und Sie mit - genau dies einfordern. Denn
das brauchen wir.
({10})
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, das Geld der
Beitragszahler ist hart erarbeitet. Deshalb werden wir
auch nicht lockerlassen, darauf zu achten, dass das Geld
der Beitragszahler dahin fließt, wo wir es für eine gute
Versorgung brauchen.
Hinsichtlich der Frage, wie das Geld verteilt wird,
möchte ich hier abschließend noch einmal Folgendes sagen. Da geht es nicht nur um die Krankenhäuser. Da geht
es nicht nur um die Apotheker. Da geht es nicht nur um
die Ärzte oder andere. Vielmehr geht es uns um die Patientinnen und Patienten. Wir müssen dafür sorgen, dass
das Ganze und nicht nur ein Teilbereich stimmt. Ich
glaube, dass wir deswegen mit unseren Projekten und
auch mit dem Gesundheitsfonds, der eine fairere Finanzierung bietet, sowie mit dem, was wir im Haushalt vorgesehen haben, einen guten Weg einschlagen.
Ich bedanke mich ganz herzlich. Machen wir weiter
so!
({11})
Martina Bunge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
Wochen dreht sich die Debatte um den Gesundheitsfonds mit seinen rund 167 Milliarden Euro. Der Einzelplan des Bundeshaushalts, über den wir heute sprechen
und zu befinden haben, ist dagegen sehr bescheiden. Für
das Jahr 2009 sind ganze 4,45 Milliarden Euro vorgesehen.
Die Ministerin sagte es gerade: 4 Milliarden Euro davon sollen an den Fonds gehen. Also nur mit Aufwendungen im Null-Komma-Milliarden-Bereich will die
Bundesregierung gesamtgesellschaftliche Aufgaben für
die Gesundheit der Bevölkerung befördern. Da ist es
nicht verwunderlich, dass die Gesundheit in Deutschland
trotz der milliardenschweren Ausgaben über die Krankenversicherung im EU-weiten Vergleich im hinteren
Mittelfeld liegt.
Es ist traurig, aber wahr: In der Bundesrepublik ist
Gesundheit stark vom sozialen Status abhängig. - Zugegeben, die Erkenntnis ist nicht neu. Die Erkenntnis ist
nicht neu, dass arme Männer im Durchschnitt zehn Jahre
früher als reiche sterben. Es ist lange bekannt: Armut
macht krank. Das ist unhaltbar, so denken wir.
({0})
Gerade weil diese Erkenntnis nicht neu ist, sollte man
meinen, dass sie zu politischen Maßnahmen führt. Aber
an dieser Bundesregierung geht diese Erkenntnis vorüber, ohne dass sie den geringsten Niederschlag in der
Politik und auch im Haushalt findet.
Wer die Gesundheit befördern will, muss aber zuallererst die sozialbedingte Ungleichheit der Gesundheitschancen verringern. Gesundheits-, Arbeitsmarkt-,
Sozial-, Familien- und Bildungspolitik müssen hierfür
Hand in Hand gehen; aber leider passiert das nicht.
Wenn Sie nun schon nichts dagegen tun, dass sich die
Schere immer weiter auseinanderspreizt, dann wäre es
zumindest geboten, gegen die Auswirkungen dieses
Auseinanderspreizens auf die Gesundheit vorzugehen.
({1})
Was aber macht die Bundesregierung? Gesundheitskampagnen. Obwohl in der Koalitionsvereinbarung
2005 fixiert, hat die Große Koalition dank besonderer
Unterstützung seitens der CDU/CSU kein Präventionsgesetz zustande gebracht.
({2})
Werbekampagnen - ich meine, Gesundheitskampagnen sollen jetzt demonstrieren, dass die Bundesregierung auf
dem Feld der Prävention aktiv ist. Die Wirkung dieser
Kampagnen ist aber sehr umstritten, vor allem, weil sie
nicht diejenigen erreicht, die am meisten betroffen sind,
nämlich Menschen mit wenigen Ressourcen - und das
sind in der Regel sozial benachteiligte Menschen. Anstatt dass die Regierung also versucht, die gesundheitlichen Folgen ihrer Politik zumindest zu mildern, verschärft sie die Situation noch.
({3})
Verschärft wird unseres Erachtens auch die Situation
für die Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen.
Diese werden zuallererst bei freiwilligen Leistungen und
damit bei der Prävention sparen, wenn das Geld in Zeiten des Gesundheitsfonds knapp wird. Aus Wettbewerbsgründen werden sie sehr lange - so lange wie möglich - warten, Zusatzbeiträge zu erheben. Ich habe,
ehrlich gesagt, sehr große Sorge um die Primärprävention. Ich sehe da richtig schwarz.
Trotz aller Beteuerungen der Bundesregierung ist zu
konstatieren: Gesundheitsförderung und Prävention haben keinen guten Stand bei dieser Bundesregierung.
Tausende auf diesem Gebiet Engagierte sind zutiefst enttäuscht. Funktionierende Konzepte für Kinder und Jugendliche, für Menschen aller Altersgruppen können
nicht verstetigt bzw. verbreitert werden. Um hier endlich
Änderungen zu schaffen, muss ein Präventionsgesetz
her,
({4})
das die soziale Ungleichheit ins Zentrum rückt, wie von
meiner Fraktion vorgeschlagen.
({5})
Dies ist ein Ansatz, der im Juni dieses Jahres in einer
Anhörung breite Zustimmung bei den Experten fand. Im
Haushalt muss die gesamtgesellschaftliche Verantwortung hierfür zum Ausdruck kommen. Deshalb schlagen
wir die Bereitstellung von 1 Milliarde Euro für die Prävention vor. Das wäre nicht zu viel für diese wichtige
Aufgabe.
Danke schön.
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Barthle,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Bunge, Sie haben eine interessante These
aufgestellt: Armut macht krank.
({0})
- Ich will darüber gar nicht streiten. Ich will nur feststellen: In denjenigen Ländern in Deutschland, in denen die
Linke mitregiert, geht es den Menschen deutlich
schlechter als in denen, in denen die CDU mitregiert.
({1})
Also heißt dies doch: Die Linke macht arm.
({2})
Wenn dies so ist, brauche ich gar nicht weiterzureden.
Nach der hervorragenden Haushaltsrede, die die
Ministerin Schmidt gehalten hat, will ich meine Ausführungen auf einige Schwerpunkte lenken, die sonst untergehen könnten. Zuallererst möchte ich sagen: Den Dank,
Frau Ministerin, den Sie geäußert haben, will ich zurückgeben. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen und Ihrem Haus für die sehr gute Zusammenarbeit und die tatkräftige Unterstützung. Ich bedanke mich auch beim
Sekretariat des Haushaltsausschusses; es hat häufig bis
in die Nachtstunden aufopferungsvoll gearbeitet. Ich bedanke mich bei den Referenten unserer Fraktion und natürlich bei den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern, die über die Parteigrenzen hinweg sehr gut und
konstruktiv zusammengearbeitet haben.
Eines ist mir noch erwähnenswert: Der Etat des Gesundheitsministeriums wurde im parlamentarischen Verfahren dieses Jahres praktisch nicht verändert. Es war
gerade einmal eine Baumaßnahme, die wir verschieben
mussten; ansonsten sind wir beim Regierungsentwurf
geblieben. Das ist angesichts der Tatsache, dass das
Haushaltsrecht das Königsrecht des Parlaments ist, etwas Außergewöhnliches.
({3})
Dieses Ergebnis kam dadurch zustande, dass der Regierungsentwurf gut war und die Kommunikation zwischen
den Berichterstattern und dem Haus sehr gut funktioniert. Sie wissen, was wir wollen, und wir wissen, was
Sie wollen. Auch dafür mein herzlicher Dank.
Nun aber zur Gesundheit. Ein kluger Kopf sagte einmal: Gesundheit ist ein Geschenk, das man sich selber
machen muss. Da ist was dran. Je älter man wird, desto
wahrer wird dieser Satz. Da wir Deutschen immer älter
werden, ist er umso richtiger. Mädchen, die heute geboren werden, zum Beispiel die Tochter unseres Haushaltskollegen Alexander Bonde, dem ich von dieser Stelle
ebenso wie seiner Frau Conny ganz herzlich gratulieren
will
({4})
- ja, das ist einen Beifall wert; dazu kann man nur sagen:
Weiter so! -, haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 82 Jahren.
Ein anderer kluger Kopf sagte, dass nicht die Jahre in
unserem Leben zählen, sondern das Leben in unseren
Jahren. Es kommt also auch auf die Qualität und nicht
nur auf die Quantität an. Das ist der Grund, weshalb
viele Menschen Sport treiben. Damit bin ich wieder am
Ausgangspunkt: Gesundheit ist nichts Selbstverständliches. Dafür ist nicht nur die Medizin zuständig, sondern
dafür sind vor allem wir selbst zuständig. Je früher man
dieses Bewusstsein bei den Menschen implantiert, desto
besser ist es.
Wenn Mädchen und Jungen bereits in der Familie, im
Kindergarten und in der Schule gesundes Verhalten von
ihren Eltern, ihren Erzieherinnen und Erziehern sowie
ihren Lehrerinnen und Lehrern erlernen, dann ist das der
beste Weg.
({5})
Das können wir zwar nicht herbeiführen, aber unterstützen, und das tun die Koalitionsfraktionen und die Regierung mit dem Haushaltsentwurf für 2009 noch stärker als
bisher: 3 Millionen Euro mehr für Prävention, 40 Millionen Euro insgesamt. Das ist angesichts der geringen
Spielräume in diesem Etat eine gute Botschaft für uns
alle.
Dabei lobe ich ausdrücklich, dass sich das Ministerium nicht nur gegen die Volksseuche Übergewicht einsetzt, sondern sich zunehmend auch das Thema Schlankheitswahn vornimmt; denn die gesundheitlichen Folgen
sind in beiden Fällen ähnlich gravierend.
In den Bereichen „Aidsaufklärung“ und „Drogenund Suchtmittelmissbrauch“ unterstützen Union und
SPD die lobenswerte Arbeit Ihres Hauses und der nachgeordneten Behörden ebenfalls. Jede vermiedene Neuinfektion und jedes vermiedene Abrutschen in die Sucht
sind ein Erfolg und ersparen der Solidargemeinschaft,
nebenbei bemerkt, erhebliche Folgekosten.
Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt aufgreifen, der in den Gesprächen der Berichterstatter mit dem
Hauptpersonalrat eine große Rolle gespielt hat. Die Personalsituation in den Ministerien und in den nachgeordneten Behörden ist angespannt. Normalerweise
drängen wir Haushälter auf weitere Personaleinsparungen; heute muss ich aber sagen: Ich begrüße es, dass wir
die lineare Stellenkürzung auf 0,6 Prozent abgesenkt haben. Inzwischen ist das für manch eine nachgeordnete
Behörde Ihres Hauses, Frau Ministerin, genug, fast zu
viel.
Ich erwarte deshalb, dass Ihr Haus zusammen mit
dem Personalrat in den kommenden Jahren ein tragfähiges Konzept entwickelt, das uns über lange Zeit hinweg
vor einer schwierigen Situation bewahrt. Vielleicht muss
man eine ordentliche Aufgabenkritik vornehmen und
sich von manchen Tätigkeitsfeldern trennen. Ein „Weiter
so!“ kann es jedenfalls nicht geben; denn auch bei der
Personalgewinnung stehen wir inzwischen vor Problemen, die sich nicht einfach lösen lassen. Wir brauchen in
den Fachabteilungen und in den Behörden immer weniger allgegenwärtige Juristen oder Verwaltungsexperten,
sondern Chemiker, Physiker, Mediziner und Informatiker.
({6})
Der öffentliche Dienst steht natürlich in Konkurrenz
zu anderen Bereichen, insbesondere zur Privatwirtschaft.
Manchmal passiert es, dass eine junge Ärztin, die sich
beworben hat, nachdem sie die Rahmenbedingungen,
zum Beispiel das Gehaltsniveau, erfahren hat, sofort
wieder Lebewohl sagt. Kompensieren kann man das nur
dadurch, dass man die ohnehin „schwierige“ Bezahlung
durch entsprechende Angebote kompensiert, zum Beispiel durch solche, die die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf betreffen. Man muss also Dinge anbieten können,
die ansonsten nicht so leicht zu erreichen sind. Wir brauchen vor allem auf diesem Feld gute Ideen und kreative
Konzepte, um die öffentliche Verwaltung flexibler gestalten und für attraktive Stellen sorgen zu können.
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch auf die Kritik am Gesundheitsfonds eingehen. Das richtet sich an
die Adresse der FDP: Wenn Ihnen die Erhöhungen des
Beitragssatzes, die wir aufgrund der Vergütung für die
Ärzte, aufgrund der Vergütung für das Pflegepersonal in
den Krankenhäusern und aufgrund der Kostensteigerungen im Medikamentenbereich vorgenommen haben,
nicht recht sind, dann können Sie das sagen. Aber die
Beitragssteigerungen sind genau darauf zurückzuführen
und haben mit dem Fonds nichts, aber auch gar nichts zu
tun. Das muss man wieder einmal feststellen.
({7})
Abschließend möchte ich sagen: Der Etat des Gesundheitsministeriums ist ein guter. Ich empfehle Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({8})
Birgitt Bender ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den
letzten Wochen ist viel von der Rückkehr des Staates die
Rede gewesen: Angesichts der Finanzmarktkrise müsse
die Politik wieder die Zügel in die Hand nehmen; Deregulierung und übermäßiges Marktvertrauen seien gestern gewesen. Wenn man sich die Gesundheitspolitik
dieser Ministerin und der Großen Koalition in ihrem
Fahrwasser ansieht, könnte man fast auf die Idee kommen, dass sie ihrer Zeit voraus sind: So viel Staat wie
seit der letzten Gesundheitsreform hat es im Gesundheitswesen dieser Republik noch nie gegeben.
({0})
Da aber endet die Analogie. Was für die anarchischen
Finanzmärkte eine dringend notwendige Medizin ist,
wird sich für die Gesundheitsversorgung als Gift erweisen. Verglichen mit Gesundheitssystemen in anderen
Ländern ist die gesetzliche Krankenversicherung in
Deutschland finanziell gut ausgestattet.
({1})
Das liegt auch daran, dass die GKV mit ihren zweckgebundenen Beiträgen und der Beitragsfestsetzung durch
die Kassen bisher vergleichsweise unabhängig über ihre
Finanzausstattung entscheiden konnte. Das unterscheidet sie von Gesundheitssystemen, die aus allgemeinen
Steuermitteln finanziert werden.
({2})
Herr Kollege Spahn, wir haben das in Großbritannien
studieren können, und wir haben beispielsweise in Kanada sehr eindrucksvoll vorgeführt bekommen, zu welchen Situationen von Unterversorgung das je nach Haushaltslage führen kann.
In Deutschland wird sich das durch den Gesundheitsfonds grundlegend ändern; denn jetzt übernimmt auch
hier der Staat die Regie für die Einnahmeseite des Gesundheitswesens.
({3})
Künftig, liebe Kollegin Widmann-Mauz, wird die
Finanzausstattung der Krankenkassen mehr von politischen Konjunkturen und Kalkülen als von den Anforderungen der Gesundheitsversorgung abhängig sein.
({4})
Den Auftakt für diesen Paradigmenwechsel haben wir
in den letzten Wochen mit der Diskussion über die erstmalige Festsetzung des Einheitsbeitrags für das nächste
Jahr schon erlebt.
({5})
Die beschlossenen 15,5 Prozent sind ausschließlich der
Absicht geschuldet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu Beginn des Wahljahres möglichst nicht ansteigen
zu lassen - die Ministerin hat uns das vorhin noch einmal vorgeführt -; deswegen darf der Beitragssatz der
GKV nicht stärker ansteigen, als Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung absenken.
({6})
Reichen werden diese 15,5 Prozent aber hinten und
vorne nicht. Das sagen die Kassen schon seit einiger
Zeit.
({7})
Inzwischen - das muss man sagen - räumt die Koalition, wenn auch auf etwas verdruckste Weise, im Grunde
genommen genau dies ein. Die Spatzen pfeifen von den
Dächern, dass Sie bei den Krankenhäusern das zusätzliche Geld, das Sie mit der einen Hand versprochen haben,
mit der anderen Hand wieder einsammeln wollen.
({8})
In Zukunft soll wieder 1 Milliarde Euro aus diesem Bereich herausgeholt werden. Daran sieht man doch, liebe
Kolleginnen und Kollegen aus der Union und überhaupt
aus der Koalition, dass Sie hier eine Gesundheitspolitik
machen, die sich zwischen gesundheitspolitischen Zielsetzungen auf der einen Seite und fiskalpolitischen auf
der anderen Seite nicht entscheiden kann. Mit diesen
selbstgeschaffenen Handlungszwängen haben Sie sich
selber völlig überfordert.
({9})
Tatsächlich ist das erst der Anfang; denn wer die Einnahmen kontrolliert, muss natürlich auch die Ausgaben
diktieren. Auch da kann man wieder auf das Beispiel
Krankenhausfinanzierung schauen: Künftig möchte die
Regierung jedes Jahr festlegen, ob - und, wenn ja, wie
stark - die Preise für Krankenhausleistungen steigen
dürfen. Damit wird dieser Sektor, der ohnehin schon
stark von politischen Kalkülen geprägt ist, vollends von
Kalkülen abhängig, die mit der Gesundheitsversorgung
nichts zu tun haben.
Statt für mehr finanzielle Eigenständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sorgt die Große Koalition
für staatliche Finanzsteuerung und Dirigismus. Bald
wird man das System kaum noch wiedererkennen. Das
ist kein Kompliment. Das wird der Qualität der Gesundheitsversorgung schaden. Manchmal habe ich den Eindruck, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, dass noch nicht alle von Ihnen wirklich erfasst
haben, auf welchen Weg Sie sich begeben haben.
({10})
Ich kann Ihnen nur sagen: Es wird Zeit, aufzuwachen.
({11})
Ewald Schurer erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der guten Ordnung halber möchte auch ich mich erst einmal bedanken.
Das ist der letzte Haushalt, zu dem ich in dieser Legislatur in meiner Funktion als Hauptberichterstatter für Gesundheit spreche. Was danach geschieht, werden das
Schicksal und das Ergebnis der Bundestagswahl im
September 2009 entscheiden.
({0})
Alle Spekulationen, die vonseiten der FDP angestellt
werden, sind ohnehin verfrüht. Sie werden sich nicht so
erfüllen, wie man es sich bei Blau-Gelb wünscht.
Mein Dank geht an die Ministerin und an alle Beteiligten im Gesundheitsministerium. Mein Dank geht natürlich auch an das Finanzministerium, an die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker, an das Haushaltssekretariat
und an alle anderen, die daran mitgewirkt haben, dass
wir unsere Beratungen relativ geräuschlos abschließen
konnten, und das trotz einer Unterbrechung. Denn aufgrund der Finanzmarktkrise waren die Haushaltsberatungen faktisch für eine Woche unterbrochen. Trotzdem haben wir inhaltlich sehr gute Ergebnisse erzielt.
Ich möchte mich auch bei meinem Kollegen Norbert
Barthle bedanken. Wir hatten im Hinblick auf die Gesundheitsreform zwar nicht immer die gleichen inhaltlichen Präferenzen, haben es aber geschafft, relativ kollegial und sehr gut zusammenzuarbeiten.
({1})
Mein Dank richtet sich auch an die Berichterstatter
der Oppositionsfraktionen. Trotz unterschiedlicher Auffassungen haben wir es geschafft, immer sehr fair über
die Inhalte zu diskutieren, auch wenn wir oftmals zu verschiedenen Ergebnissen gekommen sind.
Richtig ist: Im Mittelpunkt des Gesundheitshaushalts
stehen die 4 Milliarden Euro, die für die pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben bereitgestellt werden.
Diese Mittel wurden um 1,5 Milliarden Euro erhöht.
({2})
In der Perspektive wollen wir auf einen Betrag von
14 Milliarden Euro kommen.
Verehrte Frau Bunge, aufgrund der Rückstellungen
für die Baumaßnahmen beim RKI stehen nur noch
424 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist zwar der
Kern dieses Haushalts, wurde von Ihnen allerdings missinterpretiert. Dieser Betrag versetzt das Gesundheitsministerium in die Lage, gemeinsam mit fünf weiteren
Instituten alle hoheitlichen Aufgaben in diesem Bereich
wunderbar zu erledigen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass wir auch den fachlichen Belangen des Leitinstituts im Bereich von Public Health, dem RKI, durch
einen Stellenaufwuchs gerecht geworden sind.
Ich möchte auf die Struktur des Haushalts eingehen.
Für die eigentlichen Aufgaben des BMG werden
73 Millionen Euro und für allgemeine Bewilligungen
121,5 Millionen Euro bereitgestellt. Aufgrund der bereits erwähnten Rückstellungen für Baumaßnahmen
beim RKI benötigen wir im Augenblick noch 210 Millionen Euro für Institute. In Kap. 1567 verbleiben noch
19,4 Millionen Euro für die sogenannten Versorgungsausgaben in diesem Bereich.
Meine Damen und Herren, wir haben inhaltliche
Schwerpunkte gesetzt. Mit diesem Haushalt werden
73 Millionen Euro für gesundheitspolitisch relevante
Maßnahmen des Ministeriums zur Verfügung gestellt.
({3})
- Frau Bunge, Sie müssen sich einmal genau informieren, was im Haushalt steht.
({4})
Es geht um Forschungsvorhaben, Modellprogramme
und Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung.
Mich interessiert ganz besonders der Bereich der
Prävention. Das hat allerdings nichts mit Ihrem Schau20556
fensterantrag zu tun, der nur beweist, dass Sie das System
der Bezahlung und der finanziellen Generierung gesundheitlicher Leistungen nicht verstehen. Die 1 Milliarde
Euro, um die es hierbei geht, muss auch durch die im
Gesundheitswesen gezahlten Beiträge aufgebracht werden, also von den Krankenkassen. Auch die Kassen werden sich künftig vermehrt präventiven Leistungen widmen. Die 40 Millionen Euro, die an dieser Stelle
eingeplant sind, sind wichtig, weil es um ernste Inhalte
geht. Uns alle beschäftigt zum Beispiel die Tatsache,
dass die Zahl der Aids-Neuinfektionen leider erneut gestiegen ist; deswegen kommt der Aufklärung an dieser
Stelle eine eminent wichtige Bedeutung zu.
Ich habe schon bei der ersten Lesung des Haushalts
darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung des Drogenund Suchtmittelmissbrauchs, gerade durch junge Menschen, intensiv fortgesetzt werden muss. In einer Studie
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die
am 14. November dieses Jahres veröffentlicht wurde,
kommt ganz deutlich zum Ausdruck, dass mittlerweile
mehr als 1 Million junge Menschen in Deutschland regelmäßig exzessiv Alkohol trinken, um sich zu entspannen.
Diese Dinge müssen mit neuen, wirksamen Konzepten bekämpft werden. Wir brauchen dabei neue und unkonventionelle Wege, um junge Menschen in dieser
schwierigen Lebensphase - zum Beispiel in der Pubertät zu erreichen. Wir erreichen mit dem pädagogischen Zeigefinger und altbackenen Methoden nichts. Das sind
ganz wichtige Dinge. Verehrte Kollegin, über diese
Dinge und nicht über Schaufensteranträge müssen wir
reden.
({5})
Zum RKI ist bereits einiges gesagt worden. Wir sind
stolz darauf, dass wir als Haushälter aufgrund der fachlichen Notwendigkeiten - Stichwort: Public Health - dazu
beigetragen haben, die zentrale Überwachungs- und Forschungseinrichtung RKI in drei Schritten mit 45 neuen
Stellen so auszustatten, dass es seine originären Aufgaben auch künftig wahrnehmen kann.
Es gibt eben auch Gesundheitsrisiken, die sich verändert haben. Ich nenne zum Beispiel den Anstieg der Anzahl der HI-Viren, die Influenzaverbreitung, das Auftreten von Pandemien und die Ausweitung der
Antibiotikaresistenzen. All das sind immense wissenschaftliche Aufgaben, denen sich das RKI zu stellen hat.
Deswegen haben wir als Haushälter an dieser Stelle gesagt: Es geht nicht nur um den Sparprozess, sondern
auch darum, dieses Institut im Hinblick auf seine weltweite Reputation und den wissenschaftlichen Dialog so
auszustatten, dass man federführend ist und gut arbeiten
kann.
Werte Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns
nichts vor: Der politische Diskurs über die Ursachen und
Wirkungen der internationalen Finanzkrise wird sich
auch auf das Feld der Gesundheitsversorgung ausweiten; das ist ganz klar. Daher sage ich als Sozialdemokrat
ganz bewusst: Wir sehen jetzt, dass es für die Menschen
von eminenter Bedeutung ist, dass es funktionierende öffentliche Gesundheitssysteme gibt, die durch die Art und
Weise, wie sie in Deutschland - auch aufgrund der öffentlichen Strukturen - angelegt sind, ein Stück weit Stabilität besitzen. Das ist ein Wert an sich, den wir als Sozialdemokraten in dieser Zeit der Finanzkrise bewusst
unterstreichen wollen und müssen.
({6})
Ich möchte hier auch noch einen weiteren Gedanken
ansprechen, der für mich in diesen vier Jahren als Gesundheitshaushälter immer mehr an Bedeutung gewonnen hat: Es wird in der öffentlichen Diskussion immer
nur von den Kosten der Gesundheitsmechanik gesprochen. Kosten bedeuten aber auch Wertschöpfung. Diese
Wertschöpfung dient der Gesundheit der Menschen. Es
ist richtig: In allen wissenschaftlichen Studien wird gesagt, dass die Bildungsvoraussetzungen der Menschen
für ihr späteres Bewusstsein im Bereich der Gesundheit
immens wichtig sind. Auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen sind für ihre Gesundheit von
eminenter Bedeutung.
Umso mehr betone ich, dass Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer mit gesicherten Arbeitsverhältnissen
durch ihre soziale Absicherung bessere Chancen haben,
gesund zu werden bzw. zu bleiben, während Menschen
in prekären Beschäftigungsverhältnissen - auch das besagt die Sozialforschung - aufgrund der nicht vorhandenen sozialen Standards in der Tat einem eminent hohen
Risiko ausgesetzt sind, krank zu werden. Daher will ich
diesen Zusammenhang hier bewusst ansprechen.
In der Gesundheitslandschaft gibt es mittlerweile
ganz andere Verhältnisse.
Herr Kollege, denken Sie bitte daran, dass Sie jetzt
gerade noch Zeit für eine fulminante Schlussbemerkung,
aber nicht mehr für einen neuen Abschnitt haben.
({0})
Herr Präsident, ich danke Ihnen für diesen zarten Hinweis. Ich möchte zum Schluss sagen: 4,6 Millionen
Menschen in Deutschland sind mittlerweile im Gesundheitssektor beschäftigt. Die Prognosen besagen, dass es
bis 2020 800 000 Menschen mehr sein werden. Ich
glaube, Herr Präsident, das ist fulminant.
({0})
Der Versuch, jetzt alle namentlich anzusprechen,
würde sicher scheitern.
({0})
Der Gesundheitssektor ist gemeinsam mit dem Umweltsektor derjenige Sektor, der für die Wertschöpfung
der Volkswirtschaft künftig von eminenter Bedeutung
ist. In diesem Sinne glaube ich sagen zu können, dass
wir einen guten Haushalt vorgelegt haben.
Ich bedanke mich für die große Aufmerksamkeit.
({0})
Nun hat der Kollege Heinz Lanfermann für die FDPFraktion das Wort, die ihm ärgerlicherweise auch nur
fünf Minuten zubilligt.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade heute - zu
dieser Debatte passend - ist die neue Allensbach-Studie
zum Gesundheitswesen vorgestellt worden. Ich nenne
einmal vier wesentliche Ergebnisse in Schlagworten:
Nur noch etwa jeder Zweite ist mit dem Gesundheitswesen zufrieden. Mehr als 60 Prozent rechnen mit einer
sich verschlechternden Gesundheitsversorgung. 87 Prozent aller Ärzte prophezeien eine Zweiklassenmedizin.
94 Prozent der ostdeutschen Ärzte rechnen mit einem
Ärztemangel in ihrer Region. Nach drei Jahren Gesundheitspolitik der Großen Koalition ist das die Realität.
Realität ist also nicht die Heile-Welt-Rhetorik der Gesundheitsministerin.
({0})
Die Bilanz der letzten drei Jahre ist - auch wenn die
Jahre davor ebenfalls nicht besonders gut waren - wirklich erschreckend: immer mehr Gesetze, die zudem
handwerklich immer schlechter werden; immer mehr
Bürokratie; immer mehr Staat; höhere Beiträge; ein nicht
zu übersehender Trend zu schlechteren Leistungen; weniger Selbstverwaltung und dafür noch mehr Gängelung.
({1})
Verbunden wird das Ganze mit einer gewissen Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung - ich will
jetzt nicht „Propaganda“ sagen - und der Realität. Ein
Beispiel dafür haben wir heute erlebt.
Meine Damen und Herren, machen wir heute
Abend noch eine kleine Rechenstunde - alles bezogen
auf das nächste Jahr -: 19,9 Prozent Rentenversicherung,
14,6 Prozent Krankenversicherung - so sagt die Ministerin; ich belasse es einmal dabei -, 2,8 Prozent Arbeitslosenversicherung und 1,9 Prozent Pflegeversicherung; bei
den Kinderlosen ist es noch etwas mehr - das sind insgesamt 39,2 Prozent. Damit, so behauptet die Ministerin,
wäre die Selbstvorgabe der Großen Koalition im Koalitionsvertrag erfüllt, dauerhaft dafür zu sorgen, dass die
Lohnnebenkosten unter 40 Prozent sinken.
({2})
Dabei haben Sie etwas übersehen, Frau Ministerin. Es
war nämlich nicht die Rede von Arbeitgeberbeiträgen,
sondern von Lohnnebenkosten. Das sind diejenigen prozentualen Beiträge, die nach dem Gesetz verpflichtend
von Lohn und Gehalt abgeführt werden. Dann gibt es
den kleinen Unterschied - der wirkt sich für Arbeitnehmer aber noch schlimmer aus, als wenn, wie üblich, geteilt wird; das bejammern Sie sonst immer -: Das ist der
Teil des Beitrages zur Krankenversicherung - 0,9 Prozent -, den die Arbeitnehmer selbst zu zahlen haben. Das
gehört aber auch zu den gesetzlich vorgeschriebenen
Lohnnebenkosten, die man abführen muss.
({3})
Wenn wir also auf diesen Taschenspielertrick aus der
untersten Schublade nicht hereinfallen wollen, dann
müssen wir diese 0,9 Prozent dazurechnen. Damit sind
wir tatsächlich bei 40,1 Prozent. Das sind - glauben Sie
es mir, Frau Ministerin - wirklich mehr als 40 Prozent.
({4})
Ein weiterer Gedanke zur Differenz zwischen Darstellung und Realität. Die Bundesregierung gibt sich
trotz aller Anfragen, trotz aller Bemerkungen und trotz
aller entsprechenden Vorträge in diesem Hohen Hause
viel Mühe, einfach darüber hinwegzureden und zu ignorieren, dass bei diesem bürokratischen Monster Gesundheitsfonds Bürokratiekosten entstehen. Die Bundesregierung behauptet immer - das ist sogar amtlich; es steht
nämlich in den Mitteilungen des Bundespresseamtes -,
es seien nur ganz wenige Stellen, die zusätzlich geschaffen würden, damit man die Gelder, die im Zusammenhang mit dem Risikostrukturausgleich schon jetzt eingingen und verwaltet würden, an die Krankenkassen
verteile, die auf das warteten, was ihnen zugeteilt werde.
Immer wieder verschweigen oder negieren Sie, dass
51 Millionen Versicherte - ich rede nur von denen, die
etwas zahlen, nicht von den Mitversicherten - jetzt neue
Konten bekommen müssen. Konten dieser Art hat es bisher nicht gegeben und musste es auch nicht geben. Der
AOK-Bundesverband - nicht die FDP - hat gesagt: Das
führt zu Kosten von 2,50 Euro pro Versicherten und Monat. Ich glaube, das ist eher konservativ gerechnet; denn
man muss Personalkosten, Raumkosten, Kosten für EDV
usw. dazurechnen. Im Monat 2,50 Euro mal 51 Millionen
- ich bleibe bei dieser Rechnung - sind nun einmal etwa
125 Millionen Euro. Da das bezogen auf das Jahr bekanntlich zwölfmal so viel ist, sind das jährlich 1,5 Milliarden oder 1 500 Millionen Euro, wie immer Sie es
gerne hätten. Das entspricht im Übrigen 0,15 Prozentpunkten des Beitragssatzes.
Jetzt rede ich vom Geld der Beitragszahler. Das ist
nämlich wichtig, wie wir schon bei dem anderen Beispiel gesehen haben. Entweder schlagen Sie das Geld
den Versicherten bei Ihrer nächsten staatlichen Zwangsfestsetzung der Beiträge drauf,
({5})
oder Sie schreiben den Kassen vor, die 0,15 Prozentpunkte wieder einzusparen oder nach der Logik dessen,
was Sie mit Ihrem Gesundheitsfonds angerichtet haben,
Zusatzbeiträge in entsprechender Höhe zu erheben.
Das sind nur drei kleine Beispiele für den Unterschied
zwischen Darstellung und Realität.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Zöller für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege
Lanfermann. Da Sie sich so stark auf Umfragen gestützt
haben, schildere ich Ihnen das folgende Ergebnis einer
Umfrage: Danach befragt, ob ältere, pflegebedürftige
Menschen in Pflegeheimen mit Dihydrogenmonoxid behandelt werden dürfen, gaben 95 Prozent an, das müsse
sofort abgestellt werden. Dabei ist Dihydrogenmonoxid
normales Trinkwasser.
Es kommt also darauf an, wie eine Frage gestellt wird
und welche Konsequenzen man daraus zieht.
({0})
Ich kann schon im Vorhinein die gewünschte Antwort
mit meiner Frage vorgeben.
({1})
- Wenn Sie eine Frage haben, können Sie sie gerne stellen. Dann bekommen Sie die richtige Antwort.
({2})
Jetzt haben Sie Herrn Lanfermann zu einer Zwischenfrage ermuntert.
Ja, natürlich.
Herr Kollege Lanfermann, bitte.
Herr Kollege Zöller, meine Frage geht dahin: Hat
Allensbach falsch gefragt, haben die betroffenen Menschen - darunter auch mehrere Hundert Ärzte, wie aus
der Darstellung erkennbar war - falsch geantwortet, oder
waren sie zu dumm, die richtigen bzw. die falschen Fragen zu verstehen?
Nein, ich würde sagen, Sie haben die falschen
Schlüsse gezogen.
({0})
Wenn nämlich 50 Prozent etwas nicht gut finden, dann
müssen die übrigen 50 Prozent sagen, dass sie zufrieden
sind.
({1})
Sie hätten heute genauso verkünden können, in Deutschland hätten über 50 Prozent angegeben, sie seien mit
dem Gesundheitssystem zufrieden.
Wenn Sie Menschen fragen - damit sind wir wieder
beim Thema -, ob sie in der gesetzlichen Krankenversicherung alle Medikamente bekommen, dann werden sicherlich einige antworten, sie bekämen nicht jedes Medikament. In der gesetzlichen Krankenversicherung wird
auch nur das bezahlt, was notwendig und wirtschaftlich
ist. Insofern kann man mit einer Frage eine Antwort vorformen. Deshalb sollte man damit sehr vorsichtig sein.
({2})
Trotz aller Kritik, die vorgetragen wurde, können wir,
glaube ich, feststellen, dass wir in den letzten Wochen
unsere Hausaufgaben gemacht haben. Die gesetzlichen
Krankenversicherungen erhalten im kommenden Jahr
167 Milliarden Euro. Das sind über 10 Milliarden Euro
mehr als in diesem Jahr. Es trifft also nicht zu, dass die
Krankenkassen mehr Probleme haben werden. Die Kassen bekommen mehr Geld als in diesem Jahr. Damit
werden die Versorgung der Patienten und eine leistungsgerechtere Vergütung sichergestellt. Gleichzeitig haben
wir durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages erreicht, dass es nicht zu einer Steigerung der
Lohnzusatzkosten kommen wird. Die Koalition kann mit
Recht behaupten: Wir haben Wort gehalten. Es werden
mehr als 3 Milliarden Euro für die ambulante Versorgung und 3,5 Milliarden Euro für die stationäre Versorgung ausgegeben. Das heißt, diese beiden Bereiche sind
finanziell besser ausgestattet als in diesem Jahr.
Bei dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
haben wir mit der Konvergenzklausel erreicht, dass der
Gesundheitsfonds keine negativen Auswirkungen auf
einzelne Bundesländer hat. Auch hier gilt: In jedem
Land steht für die Krankenversorgung nach Einführung
des Gesundheitsfonds 2009 mehr Geld zur Verfügung als
2008.
({3})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas ansprechen. Ich halte es für verantwortungslos, wie manche im Vorfeld der Reform die Menschen mit Zahlen
verunsichert haben. Ich nenne ein konkretes Beispiel.
Eine Krankenkasse hat behauptet, aus Bayern würden
500 Millionen abfließen.
({4})
- Von wegen „So ist es“! Sie haben wirklich Ahnung. Daraufhin haben die Ärztevertreter ihren Mitgliedern
mitgeteilt, sie würden Einbußen in Höhe von 25 bis
30 Prozent haben. Dann hat man die Patienten durch
Plakataktionen verunsichert. Gleichzeitig hat man Mitarbeiter unter Androhung von Personalabbau zu Postkartenaktionen aufgerufen, um Einfluss auf die Politik zu
nehmen. So weit zum Vorspiel. Was kam als Ergebnis
heraus? Die besagte Krankenkasse bekommt nicht
500 Millionen Euro weniger, sondern erhält 200 MillioWolfgang Zöller
nen Euro mehr. Deshalb sage ich: Es ist unverantwortlich, wie manche die Menschen verunsichern.
({5})
Ich wünsche mir, dass man in Zukunft mit Zahlen ehrlicher umgeht. Man kann sicherlich unterschiedlicher
Meinung sein. Aber dann wären keine sachlich unbegründeten Protestaktionen mehr notwendig.
Das Gesetz ist auch mit Verbesserungen für die
Patienten verbunden, speziell für chronisch Kranke und
Menschen mit Behinderung. Auf Leistungen zur sozialmedizinischen Nachsorge besonders für chronisch
kranke und schwerstkranke Kinder besteht künftig ein
Anspruch. Die enterale Ernährung wird sichergestellt,
genauso wie eine Versorgung mit qualitativ hochwertigen Hilfsmitteln. All das sind Maßnahmen, die den Versicherten zum Vorteil gereichen.
Die Ministerin hat es schon angesprochen: In diesem
Jahr geht es auch um die Krankenhausfinanzierung. Wir
wissen, dass die Krankenhäuser nicht nur einer der wichtigsten Kostenträger, sondern auch wichtig für die Versorgung der Patienten sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert?
Ja, selbstverständlich.
Herr Zöller, ist es Ihrer Ansicht nach wirklich eine
Verbesserung für Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, wenn Krankenkassen nun dazu
übergehen, Monopolverträge zum Beispiel über die
Versorgung von inkontinenten Menschen abzuschließen,
was zur Folge hat, dass einem das, was man früher aus
der Apotheke um die Ecke geholt hat oder was einem
nach Hause gebracht wurde, von irgendwoher geliefert
wird - in Berlin zum Beispiel gibt es noch nicht einmal
einen barrierefreien Zugang, sodass man sich als
Mensch mit Behinderung noch nicht einmal beschweren
kann - und dass viele Apotheken vor Ort ruiniert werden?
({0})
Genau den Fall, den Sie beschreiben, beheben wir mit
der Gesetzesänderung.
({0})
- Selbstverständlich.
({1})
- Entschuldigung, ich bin gefragt worden.
Ich habe gesagt, dass wir eine Regelung vorbereiten,
die besser ist. Sie ist deshalb besser, weil wir die Hilfsmittelerbringer in die Verhandlungen einbeziehen. Es
wird zuerst festgestellt, was überhaupt sinnvoll ist auszuschreiben. Das, was Sie geschildert haben, wäre nicht
sinnvoll. Wir wollen eine wohnortnahe, qualitativ hochwertige Versorgung erreichen. Die Kritik ist angekommen. Wie Sie sehen, sind wir nicht beratungsresistent.
Wir werden hier handeln.
({2})
Bei der Krankenhausfinanzierung müssen wir folgende Überlegungen berücksichtigen: Man darf das
nicht aus dem Blickwinkel einer Kapitalgesellschaft sehen, sondern man muss sich am medizinischen Bedarf
orientieren. Frau Kollegin Bender, wir werden deshalb
im Gegensatz zu Ihrer Äußerung die Budgetierung aufheben. Wir sind für eine wohnortnahe Versorgung. Das
heißt, wir müssen sicherstellen, dass die Krankenhäuser
auch im ländlichen Raum eine Regelversorgung anbieten können. Aber der Ehrlichkeit halber muss man
sagen, dass hier die Bundesländer gefordert sind. Sie
müssen endlich ihren Investitionsverpflichtungen nachkommen. Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser etwas
von dem Geld, das sie für den Betrieb brauchen, abzweigen müssen, um notwendige Investitionen tätigen zu
können. Die richtigen Ansprechpartner sind hier die
Bundesländer.
Wir wollen eine ausreichende Anzahl an Ärzten und
Pflegepersonal. Hierbei kommt es uns auch auf die Qualität der Patientenversorgung an.
Ein Punkt, der immer wieder angesprochen wird, betrifft die Entbürokratisierung der Arbeitsabläufe. Auch
die Selbstverwaltung muss etwas ernster an diese Sache
herangehen. Wir wollen den Aufwand nämlich auf das
wirklich Notwendige reduzieren und unnötige - ich sage
jetzt: bürokratische - Vorgaben ersatzlos streichen.
Die Notwendigkeit der Sicherstellung der Aus- und
Weiterbildung in den medizinischen Berufen sowie einer leistungsgerechten Vergütung ist, glaube ich, ebenfalls unbestritten.
Frau Kollegin Bender, ich finde es schade, dass Sie
sich hier hinstellen und etwas behaupten, das nicht
stimmt. Sie suggerieren wieder, die Leute würden
1 Milliarde Euro weniger bekommen. Ich kenne niemanden aus der Koalition, der das vorgeschlagen hat. Sie zitieren aus einem Brief, den eine Krankenversicherung
geschrieben hat.
({3})
Aber noch ist die Koalition nicht der Handlungsbevollmächtigte von Krankenversicherungen.
({4})
Wir werden mit der Reform der Krankenhausfinanzierung weiter dafür sorgen, dass die finanzielle Lage
der Kliniken wesentlich verbessert wird. Schwerpunkte
sind eine anteilige Refinanzierung der Tariflohnsteige20560
rungen für die Jahre 2008 und 2009 sowie ein Förderprogramm für die Pflege, das es ermöglicht, zusätzliche
Pflegekräfte einzusetzen. Außerdem wird in diesem Gesetz die Aufhebung des bisherigen Sparbeitrags der
Krankenhäuser geregelt. Ebenfalls geregelt wird der
neue Orientierungswert; da rufen Sie auch wieder nach
dem Staat. Es ist doch sinnvoll, dass sachverständige
Fachleute einen bestimmten Betrag festsetzen, der dann
flexibel gestaltet werden kann.
Nun kommt natürlich von den Krankenkassen die
Kritik, das sei nicht ausreichend. Die Krankenhäuser sagen: Wir brauchen mehr Geld. - Die Krankenkassen sagen: Es ist genügend da. - Es ist unbestritten, dass wir an
dieser Stelle mehr finanzielle Mittel brauchen. Die wirtschaftliche Lage der einzelnen Kliniken ist jedoch
höchst unterschiedlich. Die aktuellen Daten des Deutschen Krankenhausinstituts weisen zwar aus, dass rund
30 Prozent der Krankenhäuser ein Defizit verzeichnen.
Sie weisen aber gleichzeitig aus, dass 50 Prozent der
Krankenhäuser einen ausgeglichenen Haushalt bzw. einen Überschuss haben. Deshalb ist es verkehrt, alle
Krankenhäuser pauschal zu beurteilen.
({5})
Wir haben mit diesem Gesetz erhebliche Verbesserungen vorgesehen. Dies sollte man nicht kleinreden. Wie in
jedem Gesetzgebungsverfahren wird es sicherlich noch
zu der einen oder anderen Änderung des Regierungsentwurfs kommen. Die Krankenhäuser bieten eine hochwertige medizinische Versorgung. Sie nehmen damit
eine wichtige Schlüsselrolle in der gesamten medizinischen Versorgung ein. Deshalb werden wir als Fraktion
dafür sorgen, dass die Verbesserung der Finanzausstattung wie zugesagt erfolgen kann.
Vielen Dank.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Frank
Spieth das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Um es noch einmal zu sagen:
Knapp 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sowie
fast 90 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland
befürchten eine Entwicklung, die mehr und mehr zu einer Zweiklassenmedizin führt. 60 Prozent sagen, die Gesundheitsversorgung sei in den vergangenen zwei bis
drei Jahren schlechter geworden. Herr Zöller, das kann
doch einen normalen Menschen nicht kaltlassen.
({0})
Die Zufriedenheit sank von 82 Prozent im Jahre 1994
auf mittlerweile nur noch 59 Prozent. In Ostdeutschland
sind sogar nur noch 49 Prozent mit der Versorgung zufrieden.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Sie müssten bei diesem Vertrauensverlust eigentlich
längst die Warnsignale hören.
({1})
Um es medizinisch zu sagen: Das ist kein Tinnitus, den
Sie da klingeln hören, sondern das ist eine Katastrophe
in der Bewertung.
({2})
- Herr Koschorrek würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Entschuldigung, ich war gerade abgelenkt. - Herr
Kollege, bitte sehr.
Herr Kollege Spieth, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass dieselbe Allensbach-Studie auch ergeben
hat, dass 60 Prozent der Bevölkerung die gesundheitliche Versorgung als gut oder sehr gut bezeichnen und
80 Prozent der Ärzte die medizinische Versorgung genauso beurteilen?
Das ist richtig, Herr Koschorrek.
({0})
- Herr Zöller, Sie lachen zu früh. - Vorhin hat Herr
Zöller in Entgegnung auf Herrn Lanfermann versucht,
den Leuten dicken Kleister auf die Augen zu schmieren
und ihnen die Ohren zuzustopfen.
({1})
Tatsächlich ist es so, dass diese Studie, die gestern vorgestellt worden ist, besagt, dass die Zufriedenheitswerte
dramatisch gesunken sind. Das ist kein Widerspruch zu
der von Ihnen getroffenen Aussage. Wir haben einen erheblichen Vertrauensverlust zu verzeichnen.
({2})
Die Bürgerinnen und Bürger sehen für die Zukunft
des Gesundheitssystems schwarz und geben dieser
Bundesregierung schlechte Noten. Sie befürchten höhere
Zuzahlungen und steigende Beiträge bei gleichzeitig abnehmenden Leistungen. Nur noch 15 Prozent der Bürger
und Ärzte glauben, dass die Politik es schafft, längerfristig eine gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen.
90 Prozent glauben nicht daran, dass der Gesundheitsfonds daran etwas ändert, im Gegenteil. - Das sind, wie
gesagt, keine Horrorszenarien der Linken. - Gesetzlich
Krankenversicherte fühlen sich nur noch zu 56 Prozent
gut abgesichert; bei privat Versicherten sind dies immerhin 89 Prozent. Klar, wir haben schon längst den Weg in
die Zweiklassenmedizin beschritten. Gesetzlich Krankenversicherte warten länger in den Arztpraxen auf die
Behandlung, kommen schwerer an Termine und erhalten
weniger Leistungen. Sie werden deutlich schlechter behandelt. Das ist die gelebte Realität in Deutschland.
({3})
Wenn die Damen und Herren oben auf der Tribüne abstimmen könnten, dann würden sie diese Aussagen sehr
wahrscheinlich einstimmig bestätigen.
Schlecht behandelt fühlen sich die Patientinnen und
Patienten auch im Krankenhaus. Die unterlassenen Investitionen haben zu einem Investitionsstau von rund
50 Milliarden Euro geführt. Viele Krankenhäuser haben
durch Personalkosteneinsparungen über den Abbau von
Stellen für Krankenschwestern und Krankenpfleger die
Mittel frei gemacht, die sie für die dringendsten Investitionen brauchten. Patienten werden deshalb schlechter
betreut. Die Länder - das stimmt - sind ihrer Aufgabe,
in neue Gebäude und in neue Technik zu investieren, seit
Jahren - auch in Bayern, Herr Zöller - nicht mehr ausreichend nachgekommen.
({4})
Sie sind nicht mehr dazu in der Lage - das ist die andere
Seite der Medaille -, die entstandene Investitionslücke
zu schließen.
Wir schlagen deshalb ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Krankenhäuser vor,
({5})
mit dem der Bund über einen Zeitraum von zehn Jahren
jährlich 2,5 Milliarden Euro bereitstellt. Der Bund wird
außerdem von uns aufgefordert, die Länder nicht zu entlasten, sondern zu verpflichten, einen Beitrag in derselben Höhe aufzuwenden. Das wäre übrigens ein sinnvolles Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm zugleich.
({6})
Im April 2008 hat Frau Staatssekretärin CaspersMerk einen Brief an die Abgeordneten der Großen
Koalition geschrieben. Darin heißt es wörtlich:
Die Krankenhäuser brauchen für ihre Investitionsentscheidungen solide Kalkulationsgrundlagen und
verlässliche Rahmenbedingungen. Diese können
oder wollen die Länder trotz ihrer gesetzlichen Verpflichtung … nicht mehr bieten.
So weit das Zitat. Sie führt dann weiter aus, dass die Investitionen der Länder in den Krankenhäusern seit den
1970er-Jahren stetig gesunken sind. Sie erwähnt ein aktuelles Gutachten von Professor Dr. Bert Rürup, in dem
ein notwendiger Investitionsbedarf von 5 Milliarden
Euro pro Jahr beschrieben wird. - Genau diese 5 Milliarden Euro wollen wir den Krankenhäusern zukommen
lassen.
({7})
Auf der Grundlage richtiger Erkenntnisse ist jetzt
endlich konsequentes Handeln geboten. Sie müssen deshalb, wenn Ihre Erkenntnisse zutreffen, unserem Änderungsantrag zustimmen. Alles andere ist unglaubwürdig
und überhaupt nicht mehr zu vermitteln.
({8})
Die Linke lehnt den Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Gesundheit aus weiteren vier zentralen Gründen ab: erstens weil Sie wahrscheinlich unseren Änderungsantrag zur Beseitigung des Investitionsstaus bei
den Krankenhäusern ablehnen
- ich komme zum Ende -, zweitens weil Sie die von
uns geforderte 1 Milliarde Euro für Prävention -
Ich wollte Sie nicht auf Ihre Redezeit aufmerksam
machen, sondern auf den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Wodarg.
Entschuldigung. - Selbstverständlich gerne.
Können Sie mir zustimmen, dass das, was Sie eben
gefordert haben, nämlich den Krankenhäusern jedes Jahr
5 Milliarden Euro zusätzlich zu geben, ohne über die Ursachen des Defizits zu diskutieren, verantwortungslos
ist?
Ich habe vor kurzem ein Praktikum in der Aufnahmestation eines Krankenhauses gemacht. Dort sind in
zwölf Stunden 40 Patienten eingeliefert worden. Die
Hälfte der Einlieferungen wäre nicht nötig gewesen. Wir
haben keine Strukturen, die dafür sorgen, dass Menschen nicht ins Krankenhaus müssen. Im ambulanten
Bereich haben wir schlechte Strukturen. Hier muss viel
gemacht werden. Es spricht doch für eine schlechte Qualität von Politik, wenn Sie jetzt einfach nur mehr Geld in
diesen Bereich stecken wollen.
Ich bedanke mich ausgesprochen für Ihre Zwischenfrage. Sie gibt mir die Gelegenheit, Folgendes zu entgegnen: In unserem Antrag, den wir im März eingebracht
haben, um die Finanznot der Krankenhäuser zu beenden,
haben wir genau das gefordert, was jetzt im Krankenhausfinanzierungsreformgesetz steht. Wir haben in diesem Zusammenhang über 3 bis 3,5 Milliarden Euro
geredet. Damals hat uns insbesondere die sozialdemokratische Fraktion erklärt, das sei finanzpolitisch unverantwortlich. Genau das, was wir gefordert haben, machen Sie jetzt. Das ist die Halbwertszeit Ihrer Aussagen
hinsichtlich unverantwortlicher Politik. Insofern ist Ihre
Frage beantwortet.
({0})
Ich möchte zu dem zweiten Punkt zurückkommen,
weshalb wir den Einzelplan 15 ablehnen: Die von uns
geforderte 1 Milliarde Euro für einen Präventions- und
Gesundheitsförderungsfonds wird von Ihnen abgelehnt.
Drittens. Sie unterstützen unsere Forderung nach einer industrieunabhängigen Forschung nicht.
Viertens. Die Bundesregierung ist nicht bereit, den
Krankenkassen für einen Arbeitslosengeld-II-Bezieher
anstatt der Pauschale von nur 118 Euro den Betrag zuzuweisen, den Sie selbst, Frau Ministerin, als notwendig
ansehen, nämlich eine Pauschale in Höhe von 180 Euro.
An welcher Stelle im Haushalt finden wir die finanzielle
Umsetzung Ihrer richtigen Erkenntnis?
In diesem Gesundheitssystem brennt es an allen
Ecken und Enden. Die Löschwerkzeuge reichen nicht
aus.
Herr Kollege, kommen Sie dann zum Schluss?
Deshalb lehnen wir diesen Haushalt ab.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Harald Terpe für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Drogen- und Suchtpolitik ist
selten Gegenstand von Plenardebatten. Wie sieht die Bilanz der drogenpolitischen Arbeit der Bundesregierung
aus? Der Haushalt 2009 enthält eine Vielzahl drogenpolitischer Projekte, sicher auch auf Initiative der Drogenbeauftragten der Bundesregierung. Aber so richtig
Einzelmaßnahmen auch sind, der bunte Strauß aus Forschungs- und Modellprojekten, aus Fachtagungen und
Kampagnen ist eben nur ein bunter Strauß. Eine umfassende, ebenso wirksame wie glaubwürdige Präventionspolitik, die alle Drogen gleichermaßen betrachtet, sieht
anders aus.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
es offenbaren sich wieder und wieder die entscheidenden
Schwächen und Differenzen Ihrer Drogenpolitik. Sie betonen in Teilen weiter ideologische Vorbehalte, die am
Alltag der Menschen vorbeizielen. Sie setzen bei einigen
Drogen noch immer vor allem auf das Mittel der Repression und eben nicht auf die Stärkung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung,
({1})
ganz zu schweigen von fehlender ausreichender Hilfestellung gegenüber den Suchtkranken. Bei anderen Drogen wie Alkohol wird Verharmlosung als Selbstbestimmung stilisiert.
Ich will Ihnen das anhand einiger Beispiele illustrieren. Wir diskutieren in diesem Hause seit fast zwei Jahren über die Behandlung von schwer abhängigen Menschen mit Heroin - bisher ohne Ergebnis; es werden
sogar Bundesmittel gestrichen. Weder die geballte Mehrheit des Bundesrates noch Hilferufe aus den Kommunen
können die Unionsfraktion in ihrer halsstarrigen Ablehnung beirren. Sie von der Union haben seit zwei Jahren
keinen einzigen sachlichen Grund dafür geliefert, warum
Sie den Betroffenen die Hilfe zum Weiterleben mit einem besseren Gesundheitszustand verweigern. Das
grenzt an Borniertheit, ist mitmenschlich fragwürdig und
volkswirtschaftlich gesehen fahrlässig.
({2})
Aber es gibt einen aktuellen Lichtblick. Die SPD hat
heute den Entwurf eines Gruppenantrags zur Heroinbehandlung herumgeschickt. Natürlich bin ich darüber sehr
froh, eröffnet er doch die Möglichkeit, über die Heroinbehandlung als ethische Frage frei vom Fraktionszwang
zu entscheiden.
({3})
Ein weiteres Beispiel belegt anschaulich, dass der
Koalition wirtschaftliche Interessen der Industrie im
Zweifelsfall wichtiger sind. Es geht um bis zu
400 000 Menschen in Deutschland, die glücksspielabhängig sind. Sie sind häufig hoch verschuldet, haben ihren Job verloren; ihre Familien sind auseinandergebrochen. Ich erwähne dieses Beispiel, weil Ihre Regierung
es war, die Anfang 2006 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Spielverordnung geändert und so die Probleme
eher verschärft hat.
({4})
Mein drittes Beispiel ist gewissermaßen das Paradebeispiel für die Folgen einer ideologischen Drogenpolitik. Es geht um Cannabis. Cannabis kann bei riskantem
Gebrauch zu einer psychischen Abhängigkeit und, falls
es geraucht wird, zu Lungenkrebs führen. Cannabis ist
also keineswegs harmlos. Aber es gibt bis heute keinen
praktischen Beleg dafür, dass die Kriminalisierung von
Cannabis in Deutschland irgendeinen Effekt auf die Prävention des riskanten Konsums hätte;
({5})
im Gegenteil: Das Strafrecht ist und bleibt ein stumpfes
Schwert.
({6})
Unser Anliegen muss eine Präventionspolitik sein,
die auf die Stärkung der Selbstverantwortung und auf einen besseren Jugendschutz setzt. Nachhaltige Primärprävention ist von Ihnen unzureichend gesetzlich verankert
worden. Sicherlich kostet sie Geld - im Haushalt ist zu
wenig eingestellt -, aber mit Sicherheit ist sie ökonomisch sinnvoller, als es später notwendige Therapien
sind.
({7})
Ich komme zum Schluss. Eine wirksame Drogenpolitik verlangt vor allem Glaubwürdigkeit und ein schlüssiges Konzept. Ihrer Drogenpolitik fehlt es an beidem. In
diesem Sinne ist Ihre bisherige Regierungszeit leider
verschenkte Zeit.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jella Teuchner für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Das Volumen des Einzelplans 15 wird im kommenden Jahr um über 50 Prozent steigen. Der Großteil davon, nämlich 1,5 Milliarden Euro, dient dem Ausgleich
für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die von der
Krankenversicherung getragen werden.
({0})
Bis zum Jahr 2014 wird der Bundeszuschuss auf
14 Milliarden Euro angehoben.
({1})
Damit sollen die gesetzliche Krankenversicherung und
somit auch die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler
entlastet werden. - An die Adresse der FDP sage ich:
Wir glauben, dass das so vollzogen wird.
({2})
- Wir werden es auch machen.
Im aktuellen Einzelplan 15 stehen einige Bereiche im
Mittelpunkt, die ganz besonders hervorzuheben sind
- die Bundesministerin hat darauf hingewiesen -: Damit
Prävention und Aufklärung gestärkt werden, stehen fast
40 Millionen Euro bereit. Wichtig sind die Programme
zu gesunder Ernährung, für mehr Bewegung, für die
Stärkung der Bereitschaft zum Spenden von Blut oder
Organen und nicht zuletzt gegen den Drogen- und
Suchtmittelmissbrauch. Das ist gut angelegtes Geld.
Zu dem Schluss kommt man, wenn man die täglich erscheinenden Meldungen in der Zeitung liest, nach denen
junge Menschen nach viel Alkoholkonsum in Kliniken
eingeliefert worden sind. Ich finde es richtig und wichtig, dass hierfür mehr Mittel fließen. Der Politik und damit uns kann es nicht gleichgültig sein, wenn sich junge
Menschen - zum Teil sind es noch Kinder - mit Alkohol
zudröhnen.
Auch sehr wichtig ist der Kampf gegen Aids. Dafür
sind fast 17 Millionen Euro vorgesehen. Unter anderem
werden wichtige Projekte in Osteuropa unterstützt.
({3})
Prävention erscheint mir ganz besonders wichtig, damit die Lebensqualität steigt, Kinder gesund aufwachsen
und wir alle gesund altern können. Ich bin sehr dafür,
dass sich die Koalitionsfraktionen noch einmal zusammenraufen und ein Präventionsgesetz auf den Weg bringen. Wir in der SPD-Fraktion wollen dieses Gesetz,
gerne auch mit Ihnen, werte Kollegen und Kolleginnen
von der CDU/CSU, verabschieden und durchsetzen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der
aktuellen Nachrichten über die Finanzkrise bin ich sehr
froh darüber, dass die Koalition an einer solidarischen
Krankenversicherung festhält. Die Umlagefinanzierung ist wichtig, leistungsfähig, funktionierend und meiner Meinung nach auch modern. Eine Kapitaldeckung
könnte allenfalls eine Ergänzung in einem gewissen
Rahmen darstellen. Bisher jedoch hat sich die Umlagefinanzierung bewährt. Es ist zweifellos gut, dass die
Politik nicht denjenigen Wissenschaftlern und Verbänden folgte, die auf Kapitaldeckung umstellen wollten.
({5})
Im kommenden Jahr werden Mehrbelastungen auf
die gesetzliche Krankenversicherung zukommen. Daran
ist aber mitnichten der Gesundheitsfonds schuld. Das hat
mit der vereinbarten Honorarreform zu tun. Hier will die
Politik ein überschaubares, kalkulierbares und verlässliches Vergütungssystem. Wir wollen auch, dass es in unterversorgten Regionen weiter Ärzte gibt. Dafür wird es
Anreize geben. Ebenso sollen Hausbesuche, die Arbeit
in Pflegeeinrichtungen und vieles mehr adäquat honoriert werden.
({6})
Ebenfalls für die Mehrausgaben ursächlich ist das geplante Gesetz zur Krankenhausfinanzierung. Wenn in
der Gesundheitspolitik etwas falsch läuft, dann schimpfen alle immer zuerst auf den Bund. Ich kann mich noch
gut an die Proteste der Ärzte und Pflegekräfte in den
Krankenhäusern Ende September vor dem Brandenburger Tor erinnern. Auf den Plakaten stand: „Ullas Politik
sorgt für kranke Häuser“. Aber für die Misere ist nicht
die Bundesministerin oder die Bundespolitik verantwortlich, sondern die Bundesländer sind es. Eigentlich hätte
diese Demonstration am 25. September vor dem Bundesrat statt vor dem Brandenburger Tor stattfinden müssen.
({7})
Seit Jahren weigern sich die Länder, genügend Geld
für die Instandsetzung der Kliniken auszugeben, obwohl
es ihre Aufgabe wäre. Hier liegt für die Kliniken ein viel
größeres Problem, als es die gestiegenen Personalkosten
darstellen, deretwegen die Bundesregierung richtigerweise eine Finanzspritze von 3 Milliarden Euro setzt.
Oft werden die Kliniken durch Baumängel immer unwirtschaftlicher. Obwohl die Länder die Kliniken vernachlässigen, wachen sie geradezu eifersüchtig darüber,
dass der Bund ihnen nicht die Finanzhoheit wegnimmt.
Es spricht vieles dafür, dass die Versorgung der Krankenhäuser besser würde, wenn sich die Länder aus der
Bauplanung heraushielten und die Kliniken einheitliche
Investitionspauschalen von den Kassen bekämen. So etwas lehnen aber gerade Bayern und Baden-Württemberg
ab. Es ist doch zu verlockend für die Landespolitiker,
weiter als Gönner und Planer aufzutreten.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Krankenhausfinanzierung ist richtig und wichtig. Mehr
Einsicht bei den Ländern wäre aber wirklich schön und
würde uns weiterhelfen.
({8})
Mehr Ausgaben haben auch Auswirkungen auf den
Beitragssatz; das kann sich ja jeder denken. Aber eine
realitätsnahe Politik hat mit dem Wünsch-dir-was der
Opposition nichts zu tun.
Wir als SPD drängen schon seit der letzten Gesundheitsreform auf eine größere Steuerfinanzierung, damit
Beitragszahler entlastet werden. Wir wollen nach wie
vor eine Bürgerversicherung, die sich ebenfalls entlastend auf die Beiträge auswirkt. Daran zu arbeiten, bleibt
auch weiterhin unsere Aufgabe.
Vielen Dank.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich nun der
letzten Rednerin in dieser Debatte das Wort erteile, bitte
ich Sie, dieser Kollegin auch wirklich noch ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Wort hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Haushaltsberatungen über den Etat des Gesundheitsministeriums gleichen im Grunde den Haushaltsberatungen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Sie haben, liebe Kollegin Winterstein, ganz zu Beginn
der Debatte gesagt, wir hätten steigende Ausgaben. Ja,
Frau Winterstein, da haben Sie recht. Aber warum haben
wir sie? Weil es einen steigenden medizinischen Bedarf
gibt, weil wir die Ärzteschaft endlich von der Budgetierung befreit haben - nach 16 Jahren der Budgetierung
werden wir leistungsgerechte Honorare bezahlen -,
({0})
weil wir Innovation und Fortschritt in diesem System
weiterhin allen Menschen verfügbar erhalten und weil
wir den Krankenhäusern, die zum Teil wirklich am
Rande der Zumutbarkeit arbeiten müssen, das notwendige Finanzpolster verschaffen wollen, damit angemessene medizinische Leistungen auch im ländlichen Raum
möglich sind.
({1})
Wir ignorieren die Versorgungsnotwendigkeiten
nicht. Das ist in einer Zeit, in der wir nicht wissen, wie
stark sich die Finanzkrise auf die Wirtschaft niederschlagen wird, von besonderer Bedeutung. Die Gesundheitswirtschaft ist der größte Sektor in unserem Land.
Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade hier beschäftigungspolitische Impulse geben. Dies tun wir zum Beispiel mit dem geplanten Programm zur Mehreinstellung
von Pflegekräften.
({2})
Ich kann die Bundesländer nur auffordern, die Chance
zu nutzen, den Antragsstau bei den Bauinvestitionen in
ihren jeweiligen Ländern abzubauen. Das sind sinnvolle
Investitionen, die der Wirtschaft, aber in allererster Linie
den Patientinnen und Patienten in unserem Lande zugutekommen.
({3})
Ich kann es auch nicht nachvollziehen, dass Sie hier
von steigenden Lohnnebenkosten sprechen. Es ist zum
ersten Mal die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags
gelungen. Das können Sie nicht ignorieren; die Wirtschaftsverbände zumindest ignorieren es nicht. Außerdem trägt die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags dazu bei, dass die Lohnnebenkosten
weiterhin deutlich unter 40 Prozent bleiben. Nehmen Sie
dies zur Kenntnis und machen Sie den Menschen nicht
ständig etwas anderes vor!
({4})
Gott sei Dank ist mittlerweile auch an der Krankenkassenfront etwas mehr Ruhe eingekehrt. Die Demonstranten haben die Barrikaden verlassen und sind an ihre
Arbeitsplätze zurückgekehrt, wohin sie auch gehören.
Die einen arbeiten an neuen Verträgen und an Strukturveränderungen. Andere sind noch etwas unsicher, weil
sie sich auf der neuen Fahrbahn Gesundheitsfonds mit
ihren neuen Autos noch nicht zurechtfinden; weil sie die
Strecke nicht kennen, fahren sie besonders langsam und
auf Sicht. Manche fahren im Hinblick auf eine adäquate
medizinische Versorgung sogar zu langsam. Mehr Erfahrung mit dem neuen System wird aber mehr Sicherheit
bringen. Wir haben auf jeden Fall die Steuerungsinstrumente ins Gesetz hineingeschrieben. Sie sind dafür da,
angewandt zu werden; denn nur derjenige, der sie anwendet, kann mit ihnen auch etwas bewirken.
({5})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf ein Steuerungsinstrument näher eingehen, das wir in der Gesundheitsreform verankert haben und das insbesondere dafür von
Bedeutung ist, auf der einen Seite Innovation weiterzugeben und auf der anderen Seite die Ausgabenentwicklung im Griff zu halten. Ich spreche von der KostenNutzen-Bewertung, um Höchstpreise für Arzneimittel
festlegen zu können. Seit 2007 haben wir diese Vorschriften im Gesetz. Seitdem tobt eine akademische Diskussion, die sich im Kreis dreht. Die Selbstverwaltungspartner, die Träger des Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Ärzteschaft,
Krankenhäuser, Krankenkassen, das Gesundheitsministerium und die Pharmaindustrie kommen nicht zu Potte.
Aus meiner Sicht ist dies eine skurrile Situation: Niemand bewegt sich, niemand entscheidet, weil die einen
lieber nichts als etwas Suboptimales wollen und die anderen am liebsten gar nichts wollen, da sie wissen, dass
bei so viel Druck im System am Ende Zwangsmaßnahmen die einfachere Lösung sind. Das kann nicht das Ziel
unserer Politik sein, da die politischen Steuerungsinstrumente nicht fürs Nichtstun vorgesehen sind und Selbstverwaltungspartner fürs Nichtstun nicht belohnt werden.
({6})
Deshalb kann ich Sie nur auffordern, Frau Ministerin:
Setzen Sie nicht aufs Aussitzen, sondern nehmen Sie
sich die Verhandlungspartner vor, setzen Sie sich mit ihnen an einen Tisch und bringen Sie die Verantwortlichen
endlich zum Handeln! Wir brauchen diese Kosten-Nutzen-Bewertung.
({7})
Zur Linken kann man wirklich nur sagen: Dass Sie in
solchen Situationen nach mehr Steuergeld rufen und die
Verantwortlichen damit aus der Verantwortung nehmen,
ist verantwortungslos. Das können wir nicht hinnehmen,
und deshalb machen wir bei dieser Art Gesundheitspolitik nicht mit.
({8})
Meine Damen, meine Herren, wir haben mit der
Finanzierungsreform einen ersten Schritt getan, das kasseninterne Denken zu verändern. Wir wollen weg von
der Risikoselektion unter Einnahmeoptimierung hin zu
mehr medizinischer Versorgung und hin dazu, dass die
Qualität, der Zugang und der Service zum besten Preis
im Vordergrund der Vertragsverhandlungen und des
Kassengeschehens stehen. Zugegeben: Für den einen
oder anderen Kassenvertreter war und ist dies ein Kulturschock. Trotzdem ist dieser Schritt notwendig und
richtig.
Ich sage am Ende ganz bewusst: Dies ist erst der
halbe Weg; denn ohne die notwendige Transparenz und
Orientierung für die Versicherten und für die Patientinnen und Patienten entfaltet das neue System nur die
halbe Wirkung. Deshalb sind wir noch nicht am Ende
des Weges, den wir gemeinsam gehen wollen.
Die gesetzliche Krankenversicherung ist für die Versicherten und für die Patientinnen und Patienten geschaffen; sie sind der Souverän. Also lassen Sie uns gemeinsam auf dieser Grundlage für bessere Bedingungen
streiten und unsere Verantwortung dafür im Hause wahrnehmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 15, Bundesministerium für Gesundheit, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11036? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag auf
Drucksache 16/11035. Die Fraktion Die Linke verlangt
dazu namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Stimmen auszuzählen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und
gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/11035 bekannt: abgegebene Stimmen 510. Mit Ja haben gestimmt 38, mit Nein haben gestimmt 472. Enthaltungen gab es keine. Damit ist der
Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 509;
davon
ja: 38
nein: 471
Ja
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({0})
Volker Schneider
({1})
Dr. Petra Sitte
Alexander Ulrich
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({2})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({3})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({4})
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({26})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Michael Müller ({34})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({35})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({36})
Anton Schaaf
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({37})
Silvia Schmidt ({38})
Renate Schmidt ({39})
Heinz Schmitt ({40})
Carsten Schneider ({41})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({42})
Swen Schulz ({43})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({44})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({45})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({46})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({47})
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({48})
Dr. Erwin Lotter
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({49})
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({50})
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({51})
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({52})
Markus Kurth
Monika Lazar
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({53})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({54})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Wir können mit der Abstimmung über den
Einzelplan 15 in der Ausschussfassung fortfahren. Wer
stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 15 ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.17 auf:
a) Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Justiz
- Drucksachen 16/10407, 16/10423 20568
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Lothar Binding ({0})
Roland Claus
Manuel Sarrazin
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 16/10423, 16/10424 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Lothar Binding ({1})
Dr. Dietmar Bartsch
Manuel Sarrazin
Zum Einzelplan 07 liegen ein Änderungsantrag sowie
ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Über den Entschließungsantrag werden wir morgen nach
der Schlussabstimmung abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir
so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger für die FDP-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundesjustizministeriums ist
klein, fein und enthält ein Juwel: das Deutsche Patentund Markenamt. Es ist ein Juwel, weil es für einen fetten Einnahmeposten sorgt und weil es für den Wirtschaftsstandort Deutschland eine überragend wichtige
Stellung einnimmt. Innovativen Unternehmen bei der
Absicherung der Verwertung ihrer Produkte zu helfen,
ist gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs
wichtig. Alle Maßnahmen, die der Verkürzung und der
Effektivität der Patenterteilungsverfahren dienen, sind
zu unterstützen. Patentrecht ist insofern auch ein Standortfaktor.
Finanziell nicht so gut wie dem Patent- und Markenamt geht es der Justiz insgesamt. Wir von der FDP-Fraktion unterstützen es vom Grundsatz her, dass die Bundesanwaltschaft personell verstärkt wird, um große
Prozesse besser bewältigen zu können. Aber es wird sich
zeigen, in welchem Umfang die Stellen wirklich benötigt werden. Noch entscheidender ist aber, dass auch die
Länderjustizhaushalte in den nächsten Jahren so ausgestattet werden, dass sie gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs die bei ihnen anhängigen Verfahren
zügig bewältigen können. In Bayern haben wir uns in
der Koalitionsvereinbarung deshalb darauf verständigt,
in den Haushalt 2009/2010 400 Stellen für Richter,
Staatsanwälte und für den Bereich der Justizvollzugsanstalten einzustellen und sie natürlich auch zu besetzen.
Das soll ein Zeichen sein: Wir wollen den Trend der
Kürzung bei der Justiz stoppen. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern die Botschaft übermitteln, dass man
ihre Erwartungen in die Funktionsfähigkeit der Justiz
und ihre berechtigten Klagen über zu lange Verfahrensdauern, wodurch dem Gerechtigkeitsanspruch nicht
Rechnung getragen wird, ernst nimmt. Wir wollen, dass
das Vertrauen in die Justiz gestärkt wird.
({0})
Deshalb sieht die FDP-Bundestagsfraktion eine Entwicklung mit Sorge: Das Gleichgewicht zwischen Richterschaft und Staatsanwaltschaft auf der einen und der
Polizei auf der anderen Seite verschiebt sich nachhaltig
zugunsten der Polizei. Um andere zu zitieren: Nicht zu
Unrecht warnen Generalbundesanwältin Monika Harms
und der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes,
Christoph Frank, immer wieder vor einem Paradigmenwechsel im Strafprozess.
({1})
Der Umstand, dass sich die Ausübung der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft zunehmend stärker auf
eine gewisse Anzahl von bedeutenden Verfahren konzentriert, die entscheidende Einwirkung und vor allen
Dingen die Bestimmung von Art und Umfang der konkreten Ermittlungsmaßnahmen aber bei der Polizei liegen, ist aus Sicht des Richterbundes und aus Sicht der
FDP-Fraktion berechtigterweise zu kritisieren.
({2})
Gerade angesichts der Verlagerung der Tätigkeit der
Polizei in den präventivpolizeilichen Bereich kommt den
Anforderungen an eine möglichst frühzeitige Überleitung der Ermittlungsergebnisse vom präventiven in den
repressiven Bereich mit einer staatsanwaltschaftlichen
und richterlichen Absicherung eine große Bedeutung zu,
um die Justizförmigkeit der Verfahren bis in die Hauptverhandlung zu sichern. Deshalb muss unserer Meinung
nach der Ermittlungsrichter aufgewertet werden, stärker
spezialisiert werden, und in den Ländern, in denen das
notwendig ist, muss eine personelle Aufstockung bei den
Ermittlungsrichtern erfolgen.
({3})
Wenn wir das tun, brauchen wir keine Eilfallregelungen
in dieser Form. Die rechtsstaatliche Hürde des Richtervorbehalts, die bei seiner Einführung eine Rolle gespielt
hat, darf nicht entwertet werden.
({4})
Ich denke, wir sollten im Rechtsausschuss einmal überlegen, wie wir das Gewicht des Richtervorbehalts wieder
stärken können.
Weil die Justizhaushalte unter starkem Druck der Finanzminister stehen, erleben wir erhebliche rechtspolitisch nachteilige Auswirkungen. Der Deal im Strafprozess ist eine Folge wegbrechender Ressourcen. Bei einer
Vielzahl von Verfahren entsteht insbesondere in HaftSabine Leutheusser-Schnarrenberger
sachen ein immer stärker werdender Druck, die Verfahren irgendwie ökonomisch zu beenden. Deshalb lässt
man sich in Absprachen auf einen verkürzten Abschluss
ein. Dass das von Dritten nicht unbedingt als gerecht
empfunden wird, ist eine Einschätzung, die wir, glaube
ich, teilen. Deshalb ist wichtig, was vonseiten der Bundesregierung auf diesem Themenfeld verfolgt wird; es
gibt da ja Überlegungen. Ich darf für die FDP-Fraktion
sagen: Wir sehen diese Entwicklung als sehr problematisch an. Man muss alles tun, um das massiv einzuschränken. Wir wissen ja, wo die Probleme liegen.
({5})
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort
zur Stellung der Berufsgeheimnisträger - ich habe dieses Thema schon in der letzten Debatte zu diesem Haushalt angesprochen -: Ich denke, es wäre gut, wenn die
rechtspolitisch unterschiedliche Behandlung von Berufsgeheimnisträgern auf den Prüfstand käme und hier eine
Korrektur vorgenommen würde, und zwar im Interesse
des Schutzes aller Berufsgeheimnisträger. Strafverteidiger, Anwälte und Ärzte sollen gleichbehandelt werden.
Ich weiß, wie kontrovers das ist. Ich denke aber, dass es
gerade angesichts der Tatsache, dass sich das in allen
Rechtsordnungen festsetzt, gut wäre, wenn wir diesen
Punkt nicht als der Materie angemessen stehen lassen.
({6})
Wir erwarten, Frau Ministerin, dass Sie uns zu den offenen Punkten - Kronzeugenregelung und Strafbarkeit
des Aufenthalts in einem Terrorcamp - heute sagen, wie
es weitergeht. Wird das betrieben? Wird das beerdigt?
({7})
Gibt es dazu noch ein Verfahren im Rechtsausschuss?
Erlauben Sie mir noch ein paar Worte zum Schluss.
Frau Raab, Sie hatten letztes Mal, am 16. September dieses Jahres, in der Haushaltsdebatte darauf hingewiesen,
dass ganz entscheidend ist, dass das Einverständnis des
Verbrauchers zur Weitergabe der personenbezogenen
Daten generell in die Gesetze aufgenommen wird. Ich
spreche das heute an.
Frau Kollegin.
Das ist mein letzter Satz.
Frau Kollegin, ich möchte Sie zwar auf die Redezeit
hinweisen, aber auch darauf, dass es vom Kollegen
Stünker den Wunsch nach einer Zwischenfrage gibt.
Oh, Entschuldigung.
Wenn Sie mir versprechen, dass Sie den Schluss Ihrer
Rede in die Antwort einbeziehen, sind wir alle zufrieden.
Ja.
Frau Präsidentin, auch ich verspreche, dass ich mich
kurz fasse.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich fand Ihre Ausführungen bezogen auf die Stärkung der Strafjustiz und
die Probleme, die wir vor Ort teilweise beobachten können, sehr überzeugend. Ich möchte Sie fragen: Sind Sie
bereit, das in die Landesregierungen zu tragen, in denen
die FDP mitregiert? Denn die sind gegenwärtig dafür
verantwortlich.
({0})
Vielen Dank, Herr Stünker, dass Sie mir die Möglichkeit geben, noch einmal zu sagen, dass wir gerade im
Rahmen der Koalitionsvereinbarung in Bayern - da habe
ich nun die meiste Einwirkungsmöglichkeit - die Bereitstellung von 400 Stellen für Richter, Staatsanwälte und
die Justizvollzugsanstalten beschlossen haben.
({0})
Weil das nicht ganz leicht war, habe ich es hier erwähnt.
Ich denke, das zeigt, dass man es auch anders machen
kann.
({1})
Ein letztes Wort zur Einwilligung.
({2})
- Ich komme zu meinem letzten Wort.
Beim Scoring ist dies nicht vorgesehen. Ich hoffe,
dass wir nächste Woche, wenn wir im Rechtsausschuss
darüber sprechen, gemeinsam eine Korrektur vornehmen.
Damit kann ich hier für die FDP-Fraktion meinen
Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums und des gesamten Rechtsausschusses für
die guten Arbeiten zum Ausdruck bringen.
Vielen Dank.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Lothar Binding.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist ein schöner Zufall, dass wir hier heute eine Besuchergruppe der Bundesrechtsanwaltskammer begrüßen
dürfen, die gerade zu diesem Tagesordnungspunkt anwesend sein kann. Das ist, finde ich, ein netter Zufall.
({0})
- Ja, wir haben noch Termine. Fritz Rudolf Körper hat
gerade gefragt, worüber ich zehn Minuten reden wolle,
es gebe doch umfangreichere und spannendere Einzelpläne. Umfangreicher stimmt in jedem Fall; aber es kann
durchaus spannend sein, worüber wir hier sprechen.
Zum Beispiel ist spannend, wie wir Berichterstatter
miteinander kooperieren. Dafür möchte ich Ole
Schröder, Otto Fricke, Manuel Sarrazin, Roland Claus
und Dietmar Bartsch danken.
({1})
- Es ist eine reine Männergruppe, funktioniert aber trotzdem sehr gut, manche sagen, gerade deswegen.
({2})
Nicht minder möchte ich die gute Kooperation und
lösungsorientierte Arbeit mit den Mitarbeitern des Ministeriums hervorheben: natürlich mit der Ministerin,
Brigitte Zypries,
({3})
Herrn Schmidt-Wellbrock und Axel Vogel, aber auch
den damit befassten Staatssekretären, Lutz Diwell,
Alfred Hartenbach und, last, but not least - er ist jemand,
der so über und zwischen allem steht - Karl Diller.
({4})
Ich erwähne das, weil es Dinge gibt, die nicht selbstverständlich sind. Wir wollten zum Beispiel für einzelne
Stellen, die sehr notwendig sind, zusätzliche Mittel. Jeder kennt die Komplexität in diesem Haushalt und den
Mittelbedarf insgesamt. Es war nicht ganz einfach, den
Deckungsbeitrag aus dem Einzelplan selbst herauszuquetschen. Dass ein Ministerium da mitmacht, halte ich
nicht für selbstverständlich. Dafür vielen Dank. Karl
Diller winkt mir gerade zu; er dankt in einer ähnlichen
Weise. Denn das hat die Ausgabesituation dort sehr entspannt.
Apropos Ausgaben: Es ist ein sehr kleiner Haushalt,
der nur eine halbe Milliarde Euro umfasst. Er ist aber besonders erwähnenswert, weil es der einzige Haushalt ist,
der eine so hohe Deckungsquote hat. Er deckt 76 Prozent
aus sich selbst, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, deshalb teile ich Ihr Lob für das DPMA, das Sie eben vorgetragen haben. Wenn man die Versorgungsausgaben herausrechnet, ist sogar eine Deckungsquote von 100 Prozent
gegeben. Das ist eine Einmaligkeit. Vielleicht können
wir deshalb gelegentlich darüber nachdenken, in diesem
Ministerium insgesamt mehr zu machen. Darauf komme
ich gleich noch einmal zurück.
Ich möchte die Besonderheiten dieses Haushalts erwähnen. Dabei geht es um die Personalausstattung.
Zur Verstärkung des internationalen Bereichs, zur Institutionalisierung des Redaktionsstabes für verständliche
Gesetzessprache und natürlich zur Ausstattung mit dem
erforderlichen Personal im Zusammenhang mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz wird das Ministerium
mehr Stellen bekommen.
Auch Zuwendungsempfänger, das Deutsche Institut
für Menschenrechte und das Institut für Ostrecht, werden personell verstärkt. Der Generalbundesanwalt wird
ebenfalls personell verstärkt. Auch der Bundesfinanzhof
wird personell verstärkt. Darüber hinaus wird das Bundesamt für Justiz personell verstärkt, natürlich insbesondere mit Blick auf das EHUG. Das Bundesamt für Justiz
wird im Zusammenhang mit der Strafregistervernetzung
in den Bereichen IT und Sonstiges ebenfalls personell
verstärkt. Ich denke, das ist eine sehr gute Sache.
Dem Anliegen von Frau LeutheusserSchnarrenberger ist dadurch Rechnung getragen worden,
dass für das DPMA 45 zusätzliche Stellen geschaffen
wurden, allerdings in dem Wissen, dass es im Moment
nicht gerade leicht ist, auf dem Markt geeignete Bewerber zu rekrutieren. Die Ausstattung ist also ganz gut. Zumindest erlaubt sie uns, alles, was nötig ist, zu tun.
Jetzt komme ich zu einem Thema, mit dem sich Ole
Schröder und ich seit zwei Jahren etwas intensiver befassen: zur Einrichtung eines Redaktionsstabes der Bundesregierung für verständliche Gesetzessprache.
({5})
In diesem Bereich wurde sozusagen ein kleiner Quantensprung erzielt; eigentlich sind Quantensprünge ja gar
nicht unterscheidbar.
({6})
Das, was hier gelungen ist, ist deshalb ein Quantensprung, weil es im Justizministerium künftig eine Art
Fremdkörper geben wird: einen Redaktionsstab, der sich
mit Sprache befasst.
({7})
Die Einrichtung eines solches Redaktionsstabes hielten
wir für sehr wichtig. Ich als Nichtjurist bin natürlich besonders daran interessiert, dass sich die Situation auf
diesem Gebiet verbessert.
Ich will Ihnen erklären, warum. Zu diesem Zweck
gebe ich Ihnen ein paar Kostproben, die zumindest bei
Laien zu Verwirrung führen. Einzelne Beispiele kennen
Sie eventuell schon, und wahrscheinlich können Juristen
diese Formulierungen besser interpretieren als Nichtjuristen. Ich zitiere aus dem Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts. Darin heißt es:
Lothar Binding ({8})
Der Entwurf sieht davon ab, im Rahmen der
Absätze 3 bis 5 ein bloßes entgeltliches Nutzungsverhältnis der Ehegatten untereinander zuzulassen.
({9})
Wie ist das zu verstehen? Wer nutzt wen oder was in der
Ehe gegen Entgelt? Ich halte diese Formulierung für relativ kompliziert.
Außerdem gibt es sprachliche Spezialprobleme, die
uns auch in der Gesetzessprache Probleme bereiten. Damit beschäftigt sich die Wissenschaft. Ich möchte auf ein
Projekt hinweisen, das im Fachbereich Allgemeine und
Theoretische Psychologie an der Universität Heidelberg
durchgeführt wird. Es geht darum, auch in Gesetzen eine
geschlechterneutrale Sprache zu verwenden. Hier findet man Formulierungen, die einen ganz einfachen Text
unlesbar machen:
Der/Die Wähler/in ist an die vorgeschlagenen Bewerber/innen der Wahlvorschläge gebunden. Jeder/
Jede Wähler/in hat 8 Stimmen. Von dieser Gesamtstimmenzahl können einem/r Bewerber/in bis zu
zwei Stimmen gegeben werden.
Wie Sie sehen, ist eine solche Formulierung absolut unlesbar. Das erscheint Ihnen jetzt vielleicht sehr weit hergeholt zu sein. Sie merken aber, dass solche Projekte unterstützenswert sind.
({10})
Ich werde Ihnen noch etwas vorlesen, damit Sie merken, wie notwendig die Einrichtung dieses Redaktionsstabes ist. Es handelt sich um die Formulierung in einem
Gesetzentwurf, den wir noch in dieser Woche, nämlich
morgen, beschließen werden. Auch wenn fast nur Juristen anwesend sind, habe ich jetzt die Leute im Blick, die
mich auf der Straße ansprechen und mich fragen: Wie ist
das eigentlich gemeint? Vielleicht können wir uns, wenn
an dieser Stelle gelegentlich etwas vorsichtiger und sorgfältiger gearbeitet würde, in Zukunft sogar unendlich
viel unnötige Bürgerkorrespondenz sparen. Ich zitiere:
Der Ausgleich oder die Verrechnung eines Übertragungsgewinns mit verrechenbaren Verlusten, verbleibenden Verlustvorträgen, nicht ausgeglichenen
negativen Einkünften und einem Zinsvortrag nach
§ 4 h Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes
({11}) des übertragenden Rechtsträgers
sind nur zulässig, wenn dem übertragenden Rechtsträger die Verlustnutzung auch ohne Anwendung
der Absätze 1 und 2 möglich gewesen wäre. Satz 1
gilt für negative Einkünfte des übertragenden
Rechtsträgers im Rückwirkungszeitraum entsprechend.
Das wollen wir morgen beschließen.
({12})
Wir müssen uns darum kümmern, dass die Gesetzestexte sprachlich verbessert werden, auch um Lerneffekte
bei den Verfassern zu erzielen. Ich glaube, dass die Installation eines solchen Redaktionsstabes im Bundesjustizministerium, flankiert durch Mittel, die es ermöglichen, diese Aufträge nach außen zu vergeben, ein sehr
guter Weg ist, um die Rechtssprache in Zukunft auch in
der Gesetzgebung zu verbessern.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin, Selbstbetrug ist nicht strafbar,
aber oft verhängnisvoll. Ich halte es für ein Stück Selbstbetrug, dass wir heute einen Etat beschließen, von dem
die meisten von uns wissen, dass er zu dem Zeitpunkt,
ab dem er gültig ist, am 1. Januar 2009, zu einem guten
Stück schon veraltet sein wird.
({0})
Ich halte es auch für Selbstbetrug, dass den Menschen
gesagt wird, man wolle ihnen mit dem Haushalt eine
Brücke über das Jahr 2009 bauen, damit es 2010 wieder
besser wird. Allerdings wird damit die Grenze zwischen
dem Selbstbetrug und dem Wählerbetrug schon ziemlich
fließend.
Wenn das soziale Gleichgewicht bedroht ist, dann
wird es für den Rechtsstaat schwerer, aber gerade dann
muss er sich beweisen und vorsorgen. Er muss stark und
widerständig sein, und er darf sich nicht bücken. In diesen Tagen erleben wir in manchen Situationen auch eine
Krise des Rechtsstaates. Es ist doch Fakt, dass auch
Menschen in rechtliche Notlagen geraten - zum Beispiel
durch Insolvenzen -, die sich das vor einigen Jahren
überhaupt noch nicht vorstellen konnten.
({1})
Das Maß, mit dem Sie durch Ihre Politik beispielsweise
den Mittelstand zerstören, ist ein Ausdruck dafür.
({2})
In dieser Situation wäre ein guter Justizetat erforderlich.
Mit dem vorliegenden leisten Sie das nicht.
({3})
Ich will das an drei Fakten kenntlich machen:
Erstes Beispiel. Seit dem vorigen Jahr ist das Bundesamt für Justiz in Bonn. Die Bundesministerin preist die
Entscheidung, die ministerielle Weisheit hier in Berlin
und die Ausführungskompetenz in Bonn zu konzentrieren,
({4})
gewissermaßen als eine sehr gute Lösung. Wir beurteilen
die Situation anders und sehen das wesentlich kritischer.
({5})
Inzwischen gibt es zwei etwa gleich große Verwaltungsstrukturen. Für die Verwaltung des Bundesministeriums steht ein Ausgabenblock von 50 Millionen Euro
zur Verfügung, während es beim Bundesamt 41 Millionen Euro sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass
zwei so große sich gegenüberstehende Verwaltungen
auch Verselbstständigungstendenzen gegeneinander entwickeln.
({6})
Ein zweites Beispiel. Wir schlagen Ihnen, wie bereits
im vergangenen Jahr, vor, die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den obersten Gerichten zu erhöhen,
({7})
um wenigstens auf ein Verhältnis von eins zu eins zwischen den Richterinnen und Richtern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kommen. Wir machen das
ausdrücklich mit dem Ziel, die Verfahrensdauern an den
Gerichten zu verkürzen. Bei so vielen Wohltaten, die wir
Ihnen vorschlagen, sollten Sie hier wirklich nicht noch
protestieren.
({8})
Der dritte Punkt, bei dem es eine Differenz zwischen
uns gibt - das ist hier erfreulicherweise schon angesprochen worden -, ist das Deutsche Patent- und Markenamt mit Sitz in München und Jena. Ihnen ist bekannt,
dass wir seit dem Jahr 2006 beharrlich Anträge dafür
stellen, die Zahl der Stellen zu erhöhen und die Sachmittel aufzustocken. Ich freue mich, wie mein Vorredner,
dass es hier im Vergleich zum vorigen Etat einen tatsächlichen Aufwuchs gibt. Das begrüßen wir selbstverständlich auch.
Dennoch stellen auch wir fest, dass die Patentbearbeitung, also die Phase von der Anmeldung und damit dem
einsetzenden Rechtsschutz bis zur möglichen Vermarktung, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen und für Existenzgründerinnen und Existenzgründer
immer noch zu lang ist. Gerade in der jetzigen Situation
ist es doch ein Gebot, jedem Start-up-Unternehmen, den
jungen Unternehmen, die Chance zu geben, ihre kreativen Leistungen auch zu vermarkten. Es ist schlimm, dass
Ihnen ein Sozialist einen solchen Grundzug der Marktwirtschaft hier erklären muss.
({9})
Wir wissen, dass das der Justizetat nicht hergibt. Dafür ist er zu klein. Deshalb schlagen wir die Deckung aus
dem Einzelplan 09 vor. Das ist der Etat des Ministers für
Wirtschaft und Technologie. Dieser enthält auch einen
entsprechenden Titel, nämlich „Patentbegleitung“. Das
ist also nichts Unmögliches. Das einzige, woran das immer wieder scheitert, ist ein purer Ressortegoismus. Dieser passt auch nicht mehr in diese Zeit.
({10})
Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss noch einmal:
Selbstbetrug ist nicht strafbar, aber oft verhängnisvoll.
Aus diesem Grunde müssen wir diesen Etat auch ablehnen.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die derzeitige Wirtschaftskrise macht deutlich,
dass für unsere Gesellschaft nicht nur der nationale
Rechtsrahmen, sondern vor allem auch der internationale Rechtsrahmen von großer Bedeutung ist.
({0})
Die Gestaltung und die Regelung insbesondere der internationalen Finanzmärkte sind eine Herausforderung
von epochaler Bedeutung, die vielleicht höchstens mit
der internationalen Klimapolitik vergleichbar ist. Daher
ist es so wichtig, dass wir diese Rahmenbedingungen
mitgestalten und unsere Wirtschaftsordnung, die geregelte soziale Marktwirtschaft, auch international etablieren.
Die Ergebnisse des internationalen Finanzgipfels sind
ein guter Anfang. Es kommt jetzt auf deren Umsetzung
und die Ausgestaltung der einzelnen Bereiche an. Deshalb ist es auch richtig, dass wir bei der Aufstellung des
Haushalts darauf geachtet haben, in den einzelnen Ressorts die entsprechenden Stellen zu schaffen, damit wir
insoweit Einfluss nehmen können.
Wenn wir von internationalen Rahmenbedingungen
sprechen, heißt das auch, dass diese für deutsche Unternehmen so zu gestalten sind, dass sie im internationalen
Wettbewerb gut bestehen können. Für unsere exportorientierte Wirtschaft ist es ein Vorteil, wenn auch die
Rechtsrahmen auf internationaler Ebene so gestaltet
sind, dass sie unseren Prinzipien und nicht denen anderer
Länder entsprechen.
({1})
Eine vergleichbare Rechtsordnung in anderen Ländern führt zu mehr Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen, erspart diesen Rechtsberatungskosten und führt
damit automatisch zum Bürokratieabbau. Es ist ein Vorteil, wenn sich internationale Unternehmen bei Vertragsabschlüssen für das deutsche Rechtssystem entscheiden.
({2})
Andere Nationen machen es uns vor. Die Briten beispielsweise schaffen es, ihre Rechtsordnung internationalen Unternehmen so schmackhaft zu machen, dass
diese nicht unsere Rechtsordnung nutzen, sondern vor
allem die Rechtsordnung des Königreichs. Das erspart
den britischen Unternehmen erhebliche Kosten, weil sie
günstiger prozessieren können.
Auch die Amerikaner sind uns um einiges voraus,
wenn es darum geht, Recht als Wettbewerbsfaktor zu
nutzen. Während beispielsweise wir Deutschen im Kosovo das Führerscheinrecht eingeführt haben, was
durchaus eine wichtige Sache ist, haben die Amerikaner
sich darauf konzentriert, das Immobilienrecht nach ihren
Prinzipien zu gestalten, was für die Unternehmen, für die
Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt von wesentlich größerer Bedeutung ist als das Führerscheinrecht.
Deshalb ist es wichtig, dass Deutschland sich im Wettbewerb der Rechtsordnungen noch stärker engagiert und
gleichzeitig sein eigenes Recht attraktiver gestaltet.
Ich denke, wir haben mit der GmbH-Rechtsreform
und der Gründung der Unternehmergesellschaft einen
wichtigen Schritt gemacht, deutsche Rechtsformen im
europäischen Wettbewerb attraktiver zu gestalten. Aber
verglichen mit anderen Ländern haben wir hier noch ein
großes Stück Arbeit vor uns.
Wenn ich mir anschaue, was auf der Ebene des EURechts passiert, auf der insbesondere immer mehr angloamerikanische Rechtsprinzipien eingeführt werden,
wie beispielsweise die Sammelklage nach US-Vorbild,
dann kann ich nur sagen: Wir müssen hier wirklich aufpassen; wir müssen uns auf diesem Gebiet einfach stärker engagieren.
({3})
Das gilt auch für internationale Organisationen.
Wir sind im Bereich der internationalen Organisationen
einfach zu wenig engagiert. Wir haben es in den letzten
Jahrzehnten versäumt, unsere eigenen guten Leute dort
hinzubekommen, um Einfluss nehmen zu können.
Viele Staaten, wie beispielsweise die USA, leisten
sich zum Beispiel Attachés für den Bereich des internationalen Privatrechts, die informell Einfluss nehmen.
Diese Einflussmöglichkeiten haben wir nicht; wir verzichten darauf. Aus den genannten Gründen haben wir
das Justizministerium mit sechs neuen Stellen ausgestattet. Ich denke, das ist ein Anfang. Es kann aber noch
nicht das Ende sein. Wir müssen etwas tun, um gerade
bei den internationalen Organisationen besser vertreten
zu sein.
Das Justizministerium setzt sich auf internationaler
Ebene auch für Rechtsstaatlichkeit ein. Das ist wichtig,
um anderen Ländern auf ihrem Weg zu Demokratie und
zur Durchsetzung von Menschenrechten zu helfen. Dabei nimmt die Stiftung für Internationale Rechtliche
Zusammenarbeit eine besonders bedeutende Stellung
ein. Die Stiftung wurde 1992 als gemeinnütziger Verein
gegründet. Das hat der damalige FDP-Justizminister
Klaus Kinkel vollbracht.
Die Stiftung verbindet zwei Ziele. Sie unterstützt
Länder auf dem Weg zum Rechtsstaat. Diese Länder
orientieren sich dann wiederum beim Aufbau einer privaten Wirtschaftsordnung an deutschen Rechtsvorschriften und suchen den Dialog mit deutschen Rechtspartnern. Das führt letzten Endes dazu, dass wir dort indirekt
Einfluss gewinnen können, was die Rechtsordnung angeht. Deshalb ist es gut, dass wir die vernünftige Idee
von Klaus Kinkel über das Jahr 2011 hinaus fortführen
und die Mittel mit 1,3 Millionen Euro deutlich erhöht
haben.
({4})
Eines ist dabei allerdings wichtig: Wir haben noch andere Organisationen, die sich im Bereich der internationalen Rechtspflege engagieren und in diesem Bereich
Entwicklungshilfe leisten, zum Beispiel die GTZ. Ich
denke, wir können als Parlament erwarten, dass zwischen diesen Organisationen eine stärkere Abstimmung
erfolgt. Statt parallel zu arbeiten, muss klar geregelt werden, für welche Bereiche die Stiftung für Internationale
Rechtliche Zusammenarbeit und die GTZ jeweils zuständig sind.
Gestatten Sie mir eine Anmerkung zur internationalen Bedrohung. Der internationale Terrorismus hat sich
zur größten sicherheitspolitischen Herausforderung entwickelt. Unsere bisherigen Methoden und Vorgehensweisen sind nicht auf eine solche Bedrohung zugeschnitten. Deshalb sind Anpassungen dringend notwendig.
Aus diesem Grund ist es auch erforderlich, dass wir das
BKA-Gesetz bekommen.
({5})
Sonst sind wir nicht vernünftig gewappnet.
({6})
Darüber hinaus sind auch im Bereich der Generalbundesanwaltschaft entsprechende Anpassungen notwendig.
Denn die Verfahren werden in einem Rechtsstaat immer
noch von der Anwaltschaft geführt statt von der Polizei.
Damit rechtsstaatliche Maßstäbe auch weiterhin eingehalten werden können und überführte Terroristen schnell
angeklagt werden können, ist es notwendig, dass die Generalbundesanwaltschaft besser ausgestattet wird. Deshalb haben wir 21 neue Stellen geschaffen, die zum
größten Teil mit Staatsanwälten besetzt werden.
Ich habe bisher vor allen Dingen von internationalen
Herausforderungen gesprochen. Zum Schluss möchte
ich auch auf unser Projekt „Verständliche Gesetze“
eingehen. Lothar Binding hat das Projekt bereits gut vor20574
gestellt. Wir haben bei dem Projekt erlebt, dass alle Beteiligten sehr positiv dazu eingestellt waren, dass die anderen Ministerien vernünftig daran mitgearbeitet haben
und dass dieses Projekt akzeptiert wird. Insofern ist es
richtig, es angemessen zu institutionalisieren.
Deshalb ist es auch wichtig, dass wir den Redaktionsstab der Bundesregierung auch in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien verankern. Die
jetzige Situation ist nicht stringent. In der Gemeinsamen
Geschäftsordnung der Bundesministerien wird auf den
Redaktionsstab des Bundestages Bezug genommen. In
der Geschäftsordnung des Bundestages wird aber nicht
auf den Redaktionsstab des Bundestages Bezug genommen.
Es ist jetzt insbesondere Aufgabe der Justizministerin,
den Redaktionsstab der Bundesregierung, der beim Bundesministerium angesiedelt ist, in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien zu verankern.
Wir müssen im Bereich des Bundestages unsere Aufgabe hinsichtlich der Geschäftsordnung des Bundestages
wahrnehmen.
Ich möchte mich auch für die gute Zusammenarbeit
bedanken. Ich denke, wir haben einen guten Haushalt aufgestellt. Ich bitte Sie daher, die beiden Haushalte - den
Haushalt des Bundesverfassungsgerichts und den Justizhaushalt - zu unterstützen.
({7})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun das
Wort der Kollege Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Stokar meinte gerade, ich solle erzählen, was der BND im Kosovo gemacht habe; das interessiere sie viel mehr.
({0})
Dazu kann ich nur sagen: Erstens darf ich das nicht, weil
ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin.
({1})
Zweitens hätte wahrscheinlich die Präsidentin etwas dagegen, weil das nicht zur Tagesordnung gehört. Drittens
gibt es hier einige, die das genauso erläutern könnten
wie ich. Diese kann man vielleicht nachher befragen, soweit die Betreffenden dazu überhaupt etwas sagen dürfen.
Ich wende mich dem Haushalt der Bundesjustizministerin zu.
({2})
Ich will ihr den überhaupt nicht streitig machen. Ich will
nicht über Zahlen reden.
({3})
Ich glaube, über die Zahlen muss man sich nicht streiten.
Hier herrscht weitgehend Einigkeit. Ich will vielmehr
versuchen, eine Art Bilanz zu ziehen.
({4})
Bei dieser Bilanz kommt es sicherlich darauf an, dass
Sie in der Regierung sitzen und wir in der Opposition.
Trotzdem sage ich: Es war nicht alles schlecht, was aus
Ihrem Hause gekommen ist.
({5})
Es war auch nicht alles schlecht, was die Große Koalition in der Rechtspolitik auf den Weg gebracht hat. Ich
nenne die Reform des FGG und des Urheberrechts als
Beispiele. Hier gibt es eine ganze Reihe von Gesetzen
- an den Beratungen hat sich auch der Kollege Montag
verdienstvoll beteiligt -, die wir gemeinsam getragen haben und die vorzeigbar sind. Hier wurden notwendige
Reformen durchgeführt.
({6})
Ich will auch nicht kritisieren, dass Sie, Frau Ministerin, sich persönlich vor das Oberlandesgericht gestellt
haben, das die Freilassung von Christian Klar angeordnet hat, und darauf hingewiesen haben, dass Gesetze für
alle gleich gelten, dass Entscheidungen, die nach Gesetz
gefällt werden, zu akzeptieren sind und dass man keine
neuen Voraussetzungen schaffen muss. Das war in Ordnung. Das sehe ich positiv.
Aber, Frau Ministerin, wenn ich mir Ihre Bilanz als
Verfassungsministerin, als Ministerin, die die Freiheitsund Bürgerrechte sowie wichtige Verfassungsgrundsätze
wahren soll, ansehe, dann muss ich feststellen, dass Ihre
Bilanz viel trauriger aussieht.
({7})
Ich will versuchen, das an sechs Beispielen zu verdeutlichen.
({8})
- Das müssen Sie sich schon anhören. Das ist meine Redezeit und nicht Ihre.
Als Erstes haben Sie uns die Vorratsdatenspeicherung - das war das Weihnachtsgeschenk im letzten Jahr sozusagen vererbt. Sie haben dazu gesagt, damit verhalte
es sich nicht viel anders als mit einem gefüllten Briefumschlag; mehr Gefahren gebe es nicht. Das Bundesverfassungsgericht sieht das offenbar anders.
({9})
Es ist mit der höchsten Zahl von Verfassungsbeschwerden befasst, die jemals in der Bundesrepublik erhoben
wurden. Es gibt eine Wiederbelebung der Straße. Seit
den Notstandsgesetzen und vielleicht seit der Volkszählung ist noch nie so intensiv über ein Gesetz, bei dem es
um Bürgerrechte geht, auf der Straße diskutiert worden.
15 000 Menschen sind - auch hier in Berlin - dagegen
auf die Straße gegangen. Das haben Sie wenigstens zur
Kenntnis genommen. Leider haben Sie daraus bisher
keine Schlussfolgerungen gezogen. Sie hätten beispielsweise die Anwendung dieses Gesetzes aussetzen können, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.
Das wäre vernünftig gewesen.
({10})
Ich komme zweitens zum BKA-Gesetz. Hierzu haben
Sie sich am Anfang - das schien ganz hoffnungsvoll zu
sein - mit einigen kritischen Bemerkungen an die Öffentlichkeit gewagt. Sie haben beispielsweise geäußert,
dass das BKA-Gesetz die Onlinedurchsuchung beinhalten soll. Sie haben außerdem gefragt: Welchen Sinn
macht eigentlich die präventive Onlinedurchsuchung?
Wozu brauchen wir das? Sie haben auch etwas zum
Spähangriff auf Privatwohnungen gesagt: Wenn der
Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht abgehört
werden darf, also etwa intime Gespräche im Schlafzimmer, dann gilt das erst recht für die heimliche Beobachtung mit Kameras.
Sie haben das BKA-Gesetz mit auf den Weg gebracht
und im Deutschen Bundestag für die Verabschiedung gesorgt. Offenbar waren Ihnen all Ihre starken Worte, die
Sie vorher in der Kritik, auch an Ihrem Ministerkollegen,
geäußert haben, nichts mehr wert. Das war alles vergessen. Das ist nicht gut und wirft ein schlechtes Licht auf
die Ministerin, die eigentlich für die Wahrung der Freiheits- und Bürgerrechte zuständig ist.
({11})
Als dritten Punkt möchte ich etwas erwähnen, wo es
noch viel schneller ging. Zunächst haben Sie sich durchaus kritisch zu den Plänen, den bewaffneten Einsatz
der Bundeswehr im Inneren zuzulassen, geäußert. Sie
haben dann mit Ihrem Kollegen im Bundeskabinett,
ganz stickum und ohne dass es irgendjemand außerhalb
bemerkt hat, eine Änderung des Grundgesetzes ausgehandelt und verabschiedet.
({12})
Eine solche Änderung wird hier im Hause offenbar und
glücklicherweise keine Mehrheit finden. Auch da haben
Sie wichtige Verfassungsgrundsätze, nämlich dass die
Bundeswehr für Sicherheit und Ordnung im Inneren
nicht zuständig ist und auch nicht zuständig werden soll,
einfach aufgegeben und über Bord geworfen.
Ich komme zum vierten Punkt. Er betrifft eine unserer
Lieblingskritiken. Sie haben unter Rot-Grün einmal etwas gewagt, was ich damals anerkannt habe. Sie haben
die UN-Konvention gegen Korruption vom 31. Oktober 2003 unterzeichnet, obwohl Sie wussten, dass das einige Fraktionen im Parlament und einzelne Abgeordnete
aus allen Fraktionen anders sehen.
({13})
Sie haben aber nicht dafür gesorgt, dass diese internationale Verpflichtung, die Sie eingegangen sind, auch eingehalten wird. Diese Verpflichtung beinhaltet,
({14})
dass wir eine gesetzliche Bestimmung schaffen, nach der
Abgeordnetenbestechung über die jetzige Regelung
§ 108 e StGB hinaus strafbar wird. Darum haben Sie
sich nicht mehr gekümmert. Sie können auch nicht sagen, dass das Sache des Parlaments ist und Sie damit
nichts zu tun haben. Soweit ich weiß, sind Sie auch Bundestagsabgeordnete
({15})
und wären durchaus aufgerufen, eine Regelung zu treffen.
Ich komme zum vorletzten Punkt, den ich in diesem
Zusammenhang nennen will. Es geht um den neuesten
Vorstoß Ihres Regierungskollegen Schäuble.
({16})
Nachdem er für das BKA-Gesetz im Bundesrat ganz offensichtlich keine Mehrheit gefunden hat, nicht findet
und keine Aussicht darauf besteht, will er nichts anderes
tun, als die Verfassung kompatibel zu machen und sie so
zu ändern, dass in Zukunft der Bundesrat nicht mehr so
wie bisher darüber entscheiden kann, wie das in den inzwischen fast 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland
üblich war. Ich habe von Ihnen kein Stopp und keine
klare Aussage gehört, dass Sie das für falsch halten und
auf keinen Fall mitmachen.
Ich komme zum letzten Punkt,
({17})
der vor allen Dingen mich betrifft. Im Jahre 1999 - damals waren Sie noch nicht Ministerin - haben die damalige Justizministerin und insbesondere der Staatssekretär
Geiger mir persönlich und der grünen Bundestagsfraktion versprochen, dass das Bundesdatenschutzgesetz
novelliert wird. Das Datenschutzgesetz sollte modern
und bürgernah gestaltet werden und die Daten in allen
Bereichen, auch im privaten Bereich, schützen. Bis
heute warten wir darauf, dass ein solches Gesetz vorgelegt wird, obwohl es immer wieder von Verbänden, von
Fachleuten und von Sachverständigen gefordert worden
ist. Da sind Sie Ihrer Pflicht nicht nachgekommen.
({18})
Herr Kollege, achten Sie auf die Redezeit.
Letzter Satz: Eine gute Ministerin für die Verfassung
und für die Grundrechte und Freiheitsrechte sind Sie leider nicht gewesen. Ich hoffe, Sie geloben Besserung.
({0})
Nun hat für die Bundesregierung die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kollegen! Herr Ströbele, das trifft
sich gut: Ich mag in Ihren Augen keine gute Ministerin
für die Verfassung sein, Ihnen hingegen fehlen grundlegende Kenntnisse über den Verfassungsaufbau des Staates.
({0})
Es kann überhaupt nicht sein, dass ich ein Gesetz aussetze, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.
({1})
Was glauben Sie, welche Kompetenzen eine Ministerin
in diesem Lande hat?
({2})
Es kann auch gar nicht sein, dass eine Ministerin alleine
ein Gesetz zur Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung im Parlament durchbringt. Das geht nicht. Es
muss schon die Mehrheit dieses Hauses diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({3})
Es ist auch - das hat weniger mit Verfassungsrecht als
mit der Frage zu tun, wer innerhalb der Bundesregierung
zuständig ist - immer noch so, wie seit 1999, dass für
das Bundesdatenschutzgesetz der Bundesinnenminister
zuständig ist und nicht die Bundesjustizministerin.
({4})
- Das ist eine andere Frage, lieber Herr Kollege Fricke. Deswegen gebe ich diese Empfehlung weiter. Das geht
einfach nicht. Insofern bitte ich sehr um Nachsicht, dass
man nicht alles machen kann, was man tun möchte. Ich
gebe Herrn Fricke durchaus recht; ich hätte gegen die
Zuständigkeit nichts einzuwenden.
({5})
Für die Haushaltsberatungen des Parlaments will ich
zunächst einmal Dank sagen, zum einen an das Haus
BMJ, das mich sehr unterstützt hat und dessen Mitarbeiter hier schon hinreichend gelobt worden sind. Also auch
von mir das verdiente Lob!
({6})
Zum anderen will ich auch dem Parlament Dank sagen,
das die Aufstellung dieses Haushalts sehr gut unterstützt
hat, insbesondere Dank an die beiden Berichterstatter
Lothar Binding und Ole Schröder.
({7})
Gute Berichterstatter - das haben Sie heute Abend an
den Reden schon gemerkt - verfolgen eigene Projekte.
Es ist keineswegs so, dass sie nur den Haushalt begleiten, sondern sie haben eigene Vorstellungen. Die Vorstellungen, die die beiden Berichterstatter haben, betreffen zum Beispiel die verständliche Gesetzessprache.
Sie haben schon gemerkt, dass es ihnen diesmal gelungen ist, uns zu den dazugehörigen Stellen zu verhelfen.
Wir haben die Ankündigung schon gehört. Das nächste
Mal müssen wir die GGO ändern, damit das Ganze weitergeht. Lieber Ole Schröder, wir werden das gerne im
Auge behalten.
Weil wir die Ehre haben, heute Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer als einzige Gäste bei unserer Parlamentsdebatte zu begrüßen, habe ich mir vorgenommen, etwas über das Anwaltsrecht und über die vielen
Projekte, die wir im Bereich des Anwaltsrechts gemacht
haben, zu sagen; denn es gibt nicht nur die innere Sicherheit und andere Themen, sondern wir haben durch Gesetzgebung auch für den Berufsstand einzutreten, der ein
wesentlicher Berufsstand in der Justiz ist.
Das Erste, das ich gerne in dem Zusammenhang erwähnen möchte, ist ein Gesetz, das schon seit vielen
Jahren in Kraft ist. Es betrifft die Rechtsanwaltsvergütung. Das ist eines der ersten größeren Gesetzgebungsvorhaben, für die ich als Ministerin verantwortlich war.
Ich habe schon Mitte des Jahres deutlich gemacht, dass
ich für eine vernünftige Evaluierung dieses Gesetzes offen bin; denn jedes Gesetz gehört evaluiert. Bei dieser
Evaluierung müssen wir die Einkommensentwicklung
ab dem Jahre 2004 berücksichtigen. Wir müssen auch
schauen, in welchen Tätigkeitsgebieten es Defizite gibt;
denn wir haben seinerzeit mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz neue Schwerpunkte gesetzt. So sind zum
Beispiel die Streitwerte für die Asylverfahren seit
15 Jahren nicht mehr angepasst worden. Wir müssen
auch überlegen, ob wir bei den Sozialrechtsmandaten sowie bei den Regelungen für die Prozesskostenhilfe und
die Beratungshilfe bei den Familienrechtsmandaten etwas ändern müssen. Denn auch hier gilt mit Blick auf
die Anwaltsgebühren: Gerechtigkeit hat ihren Preis; den
Zugang zu einer guten anwaltlichen Beratung kann es
nicht zu Dumpingpreisen geben.
({8})
Das zweite Thema, das die Anwaltschaft betrifft, ist
das Rechtsdienstleistungsgesetz, das am 1. Juli 2008
nach langen Beratungen in Kraft getreten ist und das von
der Anwaltschaft durchaus mit einer gewissen Skepsis
beäugt wurde. Deshalb bin ich froh, hier sagen zu können: Die erste Bilanz nach einem knappen halben Jahr
zeigt, dass sich das Gesetz in der Praxis in der Tat bewährt. Auch die Regelungen zur Rechtsberatung als Nebenleistung, die von der Anwaltschaft besonders skeptisch beäugt worden waren, sind so gut wie keiner
nennenswerten Kritik ausgesetzt. Vielen Dank dafür,
dass es gelungen ist, mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz ein Gesetz aus der Zeit des Faschismus abzulösen
und ein modernes Recht zu schaffen.
({9})
Das dritte Thema, das die Anwaltschaft interessieren
wird und das das Haus noch nicht kennt, ist die Frage der
Anrechnung der Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit auf die Verfahrensgebühr.
({10})
Das ist ein Thema, das durch die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs eine gewisse Aktualität erfahren hat.
({11})
Wir wollen mit Ihnen gemeinsam darüber sprechen, ob
es noch einer kurzfristigen Änderung bedarf.
({12})
Ein vierter Punkt, den ich ansprechen möchte und
dessen Beratung noch auf das Parlament zukommt, ist
die Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung. Dabei
geht es um zwei wesentliche Punkte:
Erstens. Streitigkeiten über die Zulassung zur Anwaltschaft sollen künftig nach der VwGO erfolgen.
Zweitens. Bei der BRAK, der Bundesrechtsanwaltskammer, soll eine Schiedsstelle mit einem sogenannten
Ombudsmann eingerichtet werden, damit Konflikte zwischen Mandantschaft und Anwaltschaft schon auf dieser
Ebene beigelegt werden können. Der Ombudsmann der
Versicherungswirtschaft, der sich in den letzten Jahren
gut bewährt hat, ist ein bisschen das Vorbild für diese
Institution. An dieser Stelle geht mein Dank an die Bundesrechtsanwaltskammer, insbesondere an ihren Präsidenten, Herrn Filges, der sich für diese Idee sehr engagiert eingesetzt hat.
({13})
Last, but not least wollen wir auch den Zugang zum
Anwaltsnotariat ändern und eine andere notarielle
Fachprüfung einführen. In Zukunft wollen wir bei der
Auswahl der Bewerber noch stärker auf die individuelle
Eignung der Bewerber achten. Das ist das Ergebnis einer
gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Der Gesetzentwurf hat bei einer Anhörung im Rechtsausschuss am
5. November 2008 breite Unterstützung gefunden, sodass man davon ausgehen kann, dass er noch verabschiedet wird. Es geht der Dank an die Anwaltschaft für die
gute Zusammenarbeit.
Dank gilt der Anwaltschaft, aber auch dem Deutschen
Richterbund, dem Deutschen Juristinnenbund und anderen für die Zusammenarbeit beim „Bündnis für das
deutsche Recht“. Dieses Thema hat Ole Schröder schon
angesprochen. Wir haben jetzt eine neue, druckfrische
Broschüre, die in großer Zahl vorliegt.
({14})
Ich sende sie Ihnen gerne zu, damit Sie sie verteilen
können, um deutlich zu machen: Unser deutsches Recht
ist gutes Recht; wir wollen das kontinentaleuropäische
Recht behalten. Im Hinblick darauf, dass die Vertreter
der Bundesrechtsanwaltskammer auf das Essen warten,
will ich dazu keine weiteren Ausführungen machen; ich
erinnere Sie an die Ausführungen von Herrn Schröder zu
diesem Thema.
({15})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Otto
Fricke.
({0})
Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Damen und Herren! Justiz und Finanzkrise: Passt das zusammen? Eigentlich könnte man fragen: Führt die Tatsache, dass sich die Wirtschaft in der Rezession befindet,
nicht dazu, dass sich möglicherweise irgendwann auch
das Recht in der Rezession befindet? Ich glaube, dass
das Recht durch die Wirtschafts- und Finanzkrise und
die Reaktion des Staates darauf gefordert sein wird, dass
die Gerichte gefordert sein werden.
Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, ich möchte Ihnen - gerade als Rechtspolitiker - Folgendes anheimgeben: Achten Sie bei allem,
was jetzt Wirtschafts- und Finanzpolitiker machen, darauf, dass wir im Rahmen des Haushalts nicht Investitionen versprechen, die später aufgrund überlanger Verfahren nicht getätigt werden können! Achten Sie bitte auch
darauf, dass die zusätzlichen Mittel, die die Länder für
die Personalausstattung der Gerichte bereitstellen - sie
geben ausnahmsweise mehr -, am Ende nicht steckenbleiben, weil viele Verfahren bei den Bundesgerichten,
die immer mehr angefordert werden, hängenbleiben!
Das wird eine Aufgabe sein, Frau Ministerin, bei der
ich Sie wirklich nur bitten kann, genau zu schauen, wohin die Entwicklung geht, und dann, wenn Sie sehen,
dass sie in die falsche Richtung geht, sehr schnell, frühzeitig zu reagieren; denn sonst bleiben die Investitionen,
die wir in der nächsten Zeit brauchen, sozusagen beim
Recht hängen, und das kann in einem gut funktionierendem Rechtsstaat nicht der Sinn der Sache sein.
({0})
Ich habe die Länder angesprochen. Insofern will ich
durchaus auch Kritik üben. Wenn ich mir anschaue, was
die Länder in der letzten Zeit so alles gemacht haben,
({1})
fällt mir auf, dass sie finanziell immer wieder auf der
Bremse stehen, um so den Rechtsstaat mehr oder weniger Stück für Stück an die Wand zu fahren.
({2})
- PKH, Kollege Stünker; genau.
({3})
Es kann nicht sein, dass man versucht, Prozesskostenhilfe abzuwürgen, indem man da und dort die Gebühren
herunterfährt.
({4})
Das kann mit Sicherheit nicht sein; denn Recht - ich
glaube, da sind wir uns einig - steht allen zu. Der Zugang zum Recht ist essenzielle Voraussetzung für unseren Rechtsstaat.
({5})
Es gibt nach meiner Meinung immer wieder den Versuch der Länder, sich aus der finanziellen Verantwortung
zu stehlen. Wir erleben es zurzeit beim Kindergeld, wo
es gerade umgekehrt ist. Eigentlich sind die Länder - mit
den Kommunen - für das Kindergeld und den Aufwand
zuständig, sie sagen aber: Das soll der Bund machen. Wir haben eine Aufteilung. Sie ist richtig so. Darauf
sollten wir achten.
Ich glaube, dass die Aufteilung - Gesetzgebung, Zuständigkeit für den größten Teil der Rechtsprechung,
Frage der Finanzierung - so richtig ist. Gerade im
Rechtsstaat ist der Föderalismus ein starker Faktor. Aber
dann müssen wir auch dafür sorgen, dass sich die Länder
nicht aus der Verantwortung stehlen.
({6})
Ein wenig Kritik muss ich in der Frage der Verständlichkeit von Sprache im Recht üben.
({7})
Wenn ich bei der Sprache die Wahl habe zwischen
Schönheit und Präzision, zwischen Lesbarkeit und Präzision,
({8})
dann wähle ich als privater Leser die Schönheit und die
Lesbarkeit. Wenn ich aber als Jurist mit Sprache umgehe, ist das anders. Weil beim Recht und bei der Auslegung des Rechts die Grenze der Wortlaut ist, muss diese
Grenze präzise sein; sonst ist Recht nichts mehr wert.
({9})
Deshalb bitte ich darum, bei dem, was Sie wollen
- ich weiß, Sie wollen, dass es in eine andere Richtung
geht -, darauf zu achten, dass die Grenze nicht verwischt
wird. Der Glaube, man könne durch bessere Lesbarkeit
Recht präziser und besser machen, ist nach meiner Meinung ein Irrglaube.
({10})
Eine kurze Anmerkung zum Einzelplan 19, um den es
jetzt ja auch geht. Ohne es zu weit auszuführen - die Berichterstatter wissen es; ich möchte es aber auch im Protokoll haben -: Ein Parlament muss sich bei der Frage,
wie man mit der Bezahlung eines Präsidenten eines Verfassungsorgans umgeht, immer vergegenwärtigen, wie
die Kleiderordnung sein sollte. Ich glaube, dass das, was
wir insofern beim Verfassungsgericht gemacht haben,
nicht richtig ist und dass wir das spätestens in der nächsten Legislatur - sprich: im nächsten Jahr - klären sollten.
Oder handelt es sich etwa um eine Strafaktion des Parlaments gegenüber dem Gericht?
({11})
Das kann ich mir auf gar keinen Fall vorstellen. Deswegen hoffe ich, dass wir vernünftig im Blick behalten, wie
die Kleiderordnung ist.
Zum Schluss: Eine Tendenz fällt mir auch hier im
Parlament im Umgang mit dem Recht auf. Ich will
nicht sagen, dass wir da ein wenig feige wären, aber
doch, dass wir immer mehr zurückschrecken. Ich nenne
die Themen „Spätabtreibung“ und „Patientenverfügung“. Ohne in die Details zu gehen, will ich sagen - das
ist meine persönliche Meinung, nicht die Meinung meiner Fraktion -: Ich erlebe, dass immer mehr Kolleginnen
und Kollegen den Standpunkt vertreten: Besser nicht anpacken, besser nichts regeln. - Ich will ausdrücklich davor warnen. Nach der Gewaltenteilung ist es unsere Aufgabe, Regeln zu treffen, wo das, was die Rechtsprechung
normiert hat, nicht ausreicht, und dann müssen wir ihr
auch nachkommen.
({12})
Das Ergebnis bei der Spätabtreibung mag für viele
kein gutes Ergebnis sein, aber es ist immer noch ein besseres als gar keins. Das Gleiche gilt bei der Patientenverfügung. Eine Regelung, sei es die vom Kollegen
Stünker, die ich nicht unterstütze, sei es die vom Kollegen Bosbach, ist besser als keine. Etwas zu regeln, ist
besser, als zu sagen: Bloß keine Regelung, bloß nicht anfassen.
({13})
Alles andere würde die Menschen auf Dauer zu sehr verunsichern, nicht deshalb, weil die Rechtsprechung
schlecht ist, sondern deshalb, weil die Menschen vom
Gesetzgeber eine Orientierung erwarten.
({14})
Diese Art von Rechtspolitik ist unsere Verantwortung.
Diese Art von Rechtspolitik werden wir in der nächsten
Zeit, so hoffe ich, auch betreiben, spätestens wieder nach
den Wahlen.
Herzlichen Dank.
({15})
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
gemerkt, dass nicht nur ich die Haushaltsdebatte zum
Anlass nehme, über den nationalen Tellerrand der
Rechtspolitik hinauszublicken - ich habe das schon immer getan -, sondern auch Ole Schröder und die Ministerin. Das freut mich insofern ganz besonders, als ich
merke, dass das auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
Nun will ich Ihnen nicht schon wieder mit meinem
Lieblingslogo „German Law goes Hollywood“ auf die
Nerven fallen, aber es war kein Geringerer als der Bundespräsident, der dieses Thema auf dem Juristentag in
Erfurt aufgegriffen hat.
Nicht nur er hat dieses Thema aufgegriffen: Die Berufsorganisationen der Anwälte und Notare und die der
Richter haben vor kurzem ein „Bündnis für das deutsche Recht“ gegründet. Vor wenigen Tagen wurde uns
- mit „uns“ meine ich die rechtspolitischen Sprecher im Beisein der Ministerin aus den Händen des Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes, Herrn Frank, im Beisein der Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer,
Herrn Filges, des Deutschen Notarvereins, Herrn
Vossius, und der Bundesnotarkammer, Herrn Götte, sowie eines Vertreters des Deutschen Anwaltvereins ein
entsprechendes Schriftstück überreicht. Das heißt, auch
der DAV macht sich für den Export deutschen Rechts
stark, und das, obwohl sich dessen Präsident beim Deutschen Anwaltstag im Mai hier in Berlin vor dem Hintergrund der Sicherheitsdebatte weiß Gott dazu hat hinreißen lassen, unsere Rechtsordnung in die Nähe von
Guantánamo zu rücken.
({0})
- Vorsicht, Herr Montag, sonst erzähle ich die Geschichte mit den 2 Zentimetern.
({1})
Wörtlich hat er ausgeführt - das ist im Anwaltsblatt vom
Juni 2008 auf Seite 407 nachzulesen -: Unsere Rechtsordnung reicht. Alles andere, meine Damen und Herren,
ist ein Schritt in die Zustände von Guantánamo.
Wir haben bisher ein gutes Verhältnis zur BRAK,
zum DAV und allen anderen Vereinigungen gehabt.
({2})
Ich kann an dieser Stelle Herrn Kilger nur auffordern,
dass er mit dem Ausdruck des Bedauerns dafür um Entschuldigung bittet, sonst kann er für uns kein seriöser
Gesprächspartner mehr sein. Guantánamo hat hier nichts
zu suchen.
({3})
Genauso neben der Kappe ist ein Artikel in der Ausgabe des Spiegels vom 17. November, also vom letzten
Montag, mit dem schmissigen Titel „Der letzte Versuch“. Hier ist ein Bild vom Plenum abgedruckt, das von
oben aus der Kuppel aufgenommen wurde und unter
dem steht: „Deutscher Bundestag: eine Maschine, gebaut für Gesetze, nicht für Gerechtigkeit.“ Hintergrund
dieses Artikels ist ein zugegebenermaßen tragisches
Schicksal des Witwers einer ermordeten Frau. Der Mörder läuft frei herum, obwohl man ihn möglicherweise
mit neueren Erkenntnismethoden, namentlich der DNAAnalyse, überführen könnte.
Der Bundesrat hatte ja eine diesbezügliche Initiative
zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts auf den Weg gebracht; den entsprechenden Gesetzentwurf haben wir vor wenigen Wochen im ganz
normalen Verfahren in erster Lesung, wenn auch ohne
Debatte, an den zuständigen Ausschuss überwiesen. Wir
müssen uns nun in diesem Bericht vorhalten lassen:
„Doch der Großen Koalition ist die Sache vor allem eines: lästig.“
({4})
Meine Damen und Herren, bei allem, was uns vielleicht
parteipolitisch trennt, diesen Vorwurf sollten wir uns alle
nicht gefallen lassen.
({5})
Wir werden in einem ganz normalen Prozedere dieses
Gesetzesvorhaben auf die Tagesordnung des Rechtsausschusses setzen und noch im Frühjahr hierzu eine Anhörung
durchführen. Hier warten zwar sehr viele Schlingpflanzen,
sehr viele verfassungsrechtliche und prozessuale Implikationen auf uns. Dennoch sage ich an dieser Stelle, ohne
hiermit schon dem Ergebnis vorzugreifen: Ich persönlich,
meine Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeitsgruppe
Recht und wahrscheinlich die gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben für diesen Antrag viel Sympathie.
Auch wir halten es für unerträglich, dass für das schwerste
Verbrechen, nämlich für unverjährbaren Mord, die materielle Gerechtigkeit hinter dem Prinzip der formellen
Rechtssicherheit zurückstehen soll.
({6})
Wo ich nun schon an diesem Punkt bin: Haushaltsdebatten sind ja in der Regel eine Generalabrechnung der
Opposition mit der Regierung. Da aber die Opposition
nicht wahrzunehmen ist, müssen wir deren Aufgabe
auch noch mit übernehmen.
({7})
Es gibt viele Dinge zu kritisieren, aber den Grünen,
die sich jetzt über die Höhe der Haftentschädigung, die
ja Thema der Justizministerkonferenz war, echauffieren
- immerhin ist der Vorschlag gemacht worden, sie von
mindestens 11 Euro auf 25 Euro zu erhöhen; das sind
mehr als 100 Prozent -, sage ich:
({8})
Jemand, der dieses Thema überhaupt noch nicht angepackt hat und in seiner Regierungszeit nicht in der Lage
war, den Betrag um einen einzigen Cent zu erhöhen,
sollte ganz kleine Brötchen backen.
({9})
Vor wenigen Tagen haben wir uns, liebe Frau Justizministerin, darauf geeinigt, dass wir den Ball an die Justizminister zurückgeben, zumal sie in ihrer Auffassung
nicht ganz einheitlich waren. Frau von der Aue aus Berlin hat wie der DAV von 100 Euro gesprochen.
({10})
Wir haben gesagt, die Justizminister sollten einen schönen Gesetzentwurf erarbeiten und die Höhe der Haftentschädigung bestimmen, die schließlich aus ihrem Landesetat bezahlt wird.
Dann werden wir dies genauso auf den Weg bringen
wie den Opferschutz - diese Initiative haben Sie aus dem
Bundesrat aufgenommen - und wie die Erhöhung des
Kinderschutzes im Wege eines erweiterten Führungszeugnisses. Auch hier freue ich mich, Brigitte, dass du
das aufgenommen hast. Aber die Freude über die Aufnahme wäre noch größer, wenn gelegentlich auch einmal
der geistige Urheber der einen oder anderen Idee genannt würde, insbesondere wenn er aus dem Lager der
Union kommt.
({11})
Es gibt kein Copyright und auch keinen Schutz des geistigen Eigentums; aber es gibt eine gewisse Fairness.
Meine Damen und Herren, das Thema Justiz ist immer nur abends an der Reihe. Deswegen bewundere ich,
dass immer noch ein Teil des Vorstands der BRAK auf
der Besuchertribüne sitzt, obwohl klar war, dass ich jetzt
reden würde. Ich hätte es ja verstanden, Herr Filges,
wenn Sie früher gegangen wären. Aber nach mir müssen
Sie noch einen anderen ertragen; das wird noch viel
schöner.
({12})
Meine Damen und Herren, wir können uns weiß Gott
nicht den Vorwurf gefallen lassen, wir würden Fälle nur
dilatorisch und sehr schleppend bearbeiten. Wir haben,
auf Deutsch gesagt, die Raufe voll bis oben hin. Weit bis
in das nächste Jahr werden wir in jeder Sitzungswoche
mindestens eine Anhörung, gelegentlich sogar zwei
Anhörungen durchführen. Andreas Schmidt, der Vorsitzende unseres Rechtsausschusses, hat vor wenigen Tagen bei einem sehr schönen parlamentarischen Abend
des Rechtsausschusses in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung Bilanz gezogen und dargestellt, was wir
schon alles erledigt haben.
Wenn heute unter unserer Zuhörerschaft schon die
großen Repräsentanten der Bundesrechtsanwaltskammer
sind, um deren Anerkennung und Lob alle Vorredner ein
bisschen gebuhlt haben, dann will ich Folgendes sagen:
Wir haben nicht nur ein hervorragendes Verhältnis miteinander, wir haben das Rechtsdienstleistungsgesetz gewissermaßen im Zusammenspiel mit den Anwälten erarbeitet, wir haben für die Erfolgshonorare gesorgt, wenn
auch in abgespeckter Form, aber eigentlich so, wie es die
Anwaltskammer wollte. Wir werden des Weiteren - auch
dies hat die Ministerin angesprochen -, um die Sache
rund zu machen, das Anwaltsnotariat so regeln, dass wir
weder ein drittes Staatsexamen einführen noch zulassen,
dass nur Anwälte aus großen Kanzleien dahin kommen.
Vielmehr soll auch der kleine Krauter aus Falkensee oder
aus meinem Heimatort Heringen eine Chance haben; wir
werden also die lokale Verwurzelung ins Gesetz schreiben. Wenn uns dies gelingt, dann werden wir auch im Berufsrecht unsere Pflicht erfüllt haben.
Wir konnten sie nur erfüllen, weil außer den Politikern von der Ministerin über den Staatssekretär bis zu
den Sprechern und Berichterstattern sowie den Haushältern all die vielen fleißigen Ministerialbeamten - ein Teil
von ihnen sitzt da hinten - mitgearbeitet haben. Die
Große Koalition funktioniert mindestens auf dem Gebiet
der Rechtspolitik.
({13})
Dies wollte ich vor Beginn der Adventszeit, die ja auch
die Zeit der Besinnlichkeit ist, als ein versöhnliches Abschlusswort zum Ausdruck bringen.
Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mir so diszipliniert
zugehört haben.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Dr. Gehb, recht herzlichen
Dank, dass Sie mich so freundlich annonciert haben. Da
die Zeit nun fortgeschritten ist, könnte es dazu führen,
ein wenig kuschelig mit der Ministerin und ihrer Politik
umzugehen. Da Sie von mir sicherlich keine kuschelige
Rede erwarten, werde ich Sie in Ihrer Hoffnung auch
nicht enttäuschen, sondern gleich an einen Vorwurf anknüpfen, den ich in meiner letzten Rede erhoben habe.
Frau Ministerin, ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie
wirklich keine Bremserin von Herrn Schäuble sind, sondern dass Sie gemeinsam mit ihm in die falsche Richtung fahren: im Zweifel für die Sicherheit und nicht für
die Freiheit. In der Süddeutschen Zeitung vom 21. November heißt es hierzu:
Auch bei der SPD dominieren in der Innen- und
Rechtspolitik die Innenpolitiker, für die Sicherheit
stets den Vorrang vor Freiheit hat. Justizministerin
Brigitte Zypries, die ehemalige Staatssekretärin
Schilys, stammt auch aus dieser Denkschule und ist
von daher kein gleichrangiges Gegengewicht zu
Schäuble und seinen orwellhaften Vorstellungen
vom Staat.
({0})
So schnell, Frau Zypries, wird unsere Einschätzung Ihrer
Politik bestätigt.
({1})
Ein weiterer Vorwurf, den ich erhoben habe, war: Das
Personaldilemma der SPD schlägt sich in den Personen
Steinbrück, Steinmeier und Zypries in prägnanter Weise
nieder. Sie stehen für den Typ Politikbeamte und Technokraten.
({2})
Was ist das Wesen des Technokraten? Kein Herzblut,
keine inhaltlichen Überzeugungen und keine politischen
Visionen.
({3})
An der Stelle der Macht der Visionen tritt nur noch die
Vision von der Macht. Die politischen Inhalte sind nur
ein Mittel, ein Instrument zum Machtgewinn und zum
Machterhalt.
Die Reaktion auf meine Rede und auf diesen Vorwurf
war erstaunlich: Frau Zypries grüßt mich nicht mehr.
({4})
Diese Form des Beifalls ist bemerkenswert, aber nicht
bedeutsam. Bedeutsam ist vielmehr, dass Frau Zypries
einen bemerkenswerten Eifer an den Tag legt, ihre Kritiker durch immer neue Aktionen zu bestärken. Jüngstes
Beispiel - Herr Ströbele hat es schon angeführt -: ist die
Einigung innerhalb der Koalition zum Bundeswehreinsatz im Innern. Gemeinsam mit Herrn Steinmeier haben Sie sich im Wesentlichen den Begehrlichkeiten von
Herrn Schäuble unterworfen. Herr Steinmeier verkündet
dann im besten Technokratendeutsch, die Einigung belege die Handlungsfähigkeit der Koalition. Kein Wort
zum Inhalt. Das einzig Entscheidende ist also nur die
Handlungsfähigkeit der Koalition. Das ist das beste
Technokratendeutsch.
({5})
Doch auch Technokraten beherrschen manchmal
nicht ihr Geschäft. Frau Zypries, Sie vergaßen die Abstimmung mit Ihrer Fraktion. Sie wurden von dieser
auch zurückgepfiffen und standen sehr blamiert da. Was
machen Technokraten angesichts einer solchen Situation? Natürlich, sie reagieren technokratisch. Sie setzen
dem Ganzen noch die Krone auf, indem Sie sich, Frau
Zypries, als Leiterin einer Arbeitsgruppe installieren lassen, die einzig und allein die Aufgabe hat, das mit
Steinmeier erarbeitete Ergebnis wieder einzusammeln.
Das ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus. Das ist
nicht Realpolitik, sondern Realsatire.
({6})
Aber auch das BKA-Gesetz belegt den Kotau vor
Herrn Schäuble und erneut das Verhalten von Technokraten. Entgegen den Bedenken vieler Fachleute, insbesondere des ehemaligen Staatssekretärs aus dem Justizministerium Herrn Professor Geiger haben Sie, Frau
Zypries, dem BKA-Gesetz zugestimmt. Dies ist ein Gesetz, das Herrn Schäuble einen ungeheuren Machtzuwachs sichert und das mit wesentlichen rechtsstaatlichen
Prinzipien bricht. So wird das Bundeskriminalamt zukünftig die Kompetenzen von Geheimdiensten und Polizei unter einem Dach besitzen. Damit wird gegen das
rechtsstaatliche Trennungsgebot verstoßen.
({7})
- Ich sehe mich zur Wiederholung veranlasst, weil es ein
Prinzip der Pädagogik ist.
({8})
Auch der Kernbereichsschutz ist verfassungswidrig
geregelt. Aber auch hier die gleiche Inszenierung für die
Technokratentruppe Zypries und Steinmeier wie beim
Bundeswehreinsatz, diesmal aber mit anderen Akteuren.
Diesmal sind es die Landesverbände der SPD, die die
Bauchlandung für diese Truppe organisieren.
({9})
Gut, dass es gelegentlich noch Sozialdemokraten gibt,
die sich daran erinnern, dass es in der Anatomie einer
Partei etwas gibt, das man Rückgrat nennt. Herz und
Rückgrat sind die Elemente, die für die Zukunft einer
Partei überlebensnotwendig sind. In Ihrer Politik, Frau
Zypries, sind solche Wesenselemente nicht erkennbar.
Sie stehen nicht in der rechtsstaatlichen Tradition eines
Adolf Arndt, eines Hans-Jochen Vogel, eines Herbert
Schnoor oder einer Frau Herta Däubler-Gmelin. Die
SPD ist - das sage ich an die Adresse der Kollegen rechtsstaatlich unzuverlässig geworden.
Ich teile deswegen ausdrücklich die Auffassung des
Autors aus der Süddeutschen Zeitung in dem eingangs
zitierten Artikel, der dazu auffordert, die SPD müsse
sich endlich auf ihre rechtsstaatlichen Traditionen besinnen.
({10})
Mit Ihnen, Frau Zypries, wird das nicht möglich sein.
Ich erinnere dabei nur an das Strafvollzugsgesetz. Ein
Kleinod sozialdemokratischer Rechtspolitik wird mit der
Föderalismusreform einfach über Bord geworfen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich bin am Ende meiner Rede angelangt.
Frau Zypries, ich würde Ihnen wünschen, dass Sie
wirklich einmal in die Werke Adolf Arndts und anderer
gucken, die ich zitiert habe. Ich glaube, dann hätten wir
eine bessere Rechtspolitik der SPD.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Joachim Stünker hat seine Rede zu Pro-
tokoll gegeben. Ebenso hat dies die Kollegin Daniela
Raab getan.1)
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der Linken vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11037? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt nun für den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist damit
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 19 ist damit mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich bedanke mich herzlich für die aktive Diskussion
und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 28. November 2008, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
die Sitzung.