Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/26/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich begrüße Sie alle herzlich. Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt II - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 ({0}) - Drucksachen 16/9900, 16/9902 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 - Drucksachen 16/9901, 16/9902, 16/10426 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({2}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Dazu rufe ich den Tagesordnungspunkt II.8 auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes - Drucksachen 16/10404, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Petra Merkel ({3}) Jürgen Koppelin Roland Claus Omid Nouripour Zu diesem Einzelplan liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Wir werden über den Einzelplan 04 später namentlich abstimmen. Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir im Anschluss an die namentliche Abstimmung über den Etat des Kanzleramtes den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit mit Stimmkarte und Wahlausweis wählen werden. Den dafür erforderlichen Wahlausweis können Sie später Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. Die Stimmkarten werden zu gegebener Zeit von den Saaldienern im Plenarsaal ausgegeben. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zu diesem Einzeletat dreieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Daraus ergibt sich auch eine relativ übersichtliche angenommene Zeit für die namentliche Abstimmung, die unmittelbar danach folgt. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({4})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie regieren dieses Land in Zeitlupe. Es ist höchste Zeit, die Vorspultaste zu drücken, damit in Deutschland nicht alles einschläft. Ihr Vorgänger wollte einmal „Politik der ruhigen Hand“ machen. Im Vergleich zu heute wäre er damit fast ein Zappelphilipp. ({0}) Frau Merkel, Sie haben am Sonntag ein bemerkenswertes Interview gegeben. Mir geht es nicht um die öffentlichen Avancen an uns Liberale. Davon lassen wir uns nicht einlullen. Sie haben wörtlich gesagt: Wirtschaft ist zum großen Teil auch Psychologie. - Sie haben vor einer durch Angst angetriebenen Abwärtsspirale gewarnt. Sie sagen im gleichen Atemzug, es werde ein Jahr schlechter Nachrichten, und Ihr Adlatus Steinbrück stimmt in die Kassandrarufe gleich mit ein. Fataler geht es nicht. Vor einem Vierteljahr war Realismus gefragt. Redetext Damals hat Schwarz-Rot noch alles schöngeredet. Jetzt, da die Regierung Zuversicht verströmen müsste, heizt sie bei den Menschen die Angst an. ({1}) Angesichts solch düsterer Stimmungen halten die Leute ihr Geld lieber zusammen. Nicht nur die Opposition sagt: Sie haben die Tiefe und die Schwere der Wirtschaftslage bis heute nicht erkannt. ({2}) Das sagt man in Frankreich; das sagt man in Großbritannien; das sagt man sogar im Wahlkreis von Herrn Kauder. ({3}) Jetzt ist handfeste Rezessionsökonomie gefragt. Jetzt sind die Brot-und-Butter-Themen angesagt. Aber das ist offensichtlich nicht das Metier dieser Regierung. Wie man sieht, kann diese Regierung das nicht. ({4}) Die Menschen machen sich wieder Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Es geht inzwischen nicht nur darum, dass sie Angst haben, dass ihr Erspartes bei der Bank nicht sicher ist, sondern auch darum, dass Zweifel bestehen, ob sie ihre Kreditzinsen noch pünktlich zahlen können. Als Reaktion darauf beschließt Schwarz-Rot das Maßnahmenpaket - die Titel sind immer sehr hübsch - „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“. Das klingt ja putzig. Selbst der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt: Das ist ein Sammelsurium; da haben die Ressorts zusammengekehrt, was sie schon immer machen wollten. Es ist aber kein Programm aus einem Guss, das eine entsprechende Wirkung entfaltet. ({5}) Die Wachstumskräfte hätten Sie schon längst stärken können. In drei relativ guten Jahren haben Sie die Zeit verplempert, Deutschland fit zu machen. Es war doch klar, dass dem Aufschwung wieder ein Abschwung folgt. Auch diese Koalition setzt den Konjunkturzyklus nicht außer Kraft. Allerdings hat sie keine Vorbereitungen dafür getroffen. ({6}) Der private Konsum dümpelt schon lange. Die Hochsteuerpolitik der Regierung ist dafür verantwortlich. Was machen Sie? Innerhalb weniger Tage jagt ein Opel-Gipfel den nächsten. Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen aufpassen, dass Opel nicht Ihr persönliches Holzmann-Erlebnis wird. ({7}) Die entscheidende Frage ist: Wo ist Schluss mit der Verteilung von Steuergeldern? Die Regierung verfährt frei nach dem Motto: „Wer will noch mal? Wer hat noch nicht?“ Man muss in Deutschland nur groß genug sein und laut genug jammern, dann gibt es Rettungsschirme in Milliardenhöhe. Die Kleinen werden abgespeist mit Progrämmchen: ein bisschen mehr Handwerkerrechnungen absetzen, ein bisschen mehr Styropor für die Gebäudesanierung. Nehmen wir einmal Ihre Idee von der Kfz-Steuer-Befreiung. Sie haben durch die Mehrwertsteuererhöhung die Mittelklassewagen um 600 bis 800 Euro teurer gemacht. Sie haben die Autofahrer durch Ihre bedenkliche Änderung der Kilometergeldpauschale mit 2,5 Milliarden Euro belastet. Sie erheben 18 Milliarden Euro Ökosteuer. Denken Sie, dass Sie Menschen dazu bewegen können, ein neues Auto zu kaufen, wenn sie 200 bis 300 Euro weniger zahlen müssen? Das ist eine Lachnummer. ({8}) Überhaupt ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung mit einer Steuerentlastung von 5 Milliarden Euro Investitionen und Aufträge in einer Größenordnung von 50 Milliarden Euro initiieren will. Wir haben uns schon amüsiert, als die Banken von 25 Prozent Rendite geträumt haben. Was Sie hier vorgaukeln, sind 1 000 Prozent Rendite; Sie gaukeln vor, dass man aus 5 Milliarden Euro 50 Milliarden Euro machen kann. Im Vergleich zu Ihrer Berechnung sind die Wirtschaftspläne von Lehman Brothers und Hypo Real Estate noch geradezu solide. ({9}) Wir haben ein klares Antirezessionsprogramm vorgelegt: Vorziehen der vollen steuerlichen Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge, Wiedereinführung der Pendlerpauschale, Senkung des Rentenversicherungsbeitrags, Aussetzen des Gesundheitsfonds - er ist unsinnig - und Investitionen in die Infrastruktur. Das würde die Wachstumskräfte stärken. ({10}) Karl Schiller wusste noch, dass ein Budget mehr ist, als einen Ausgleich zu suchen, dass vielmehr Wachstum und Beschäftigung gefördert werden müssen. Die Schuhe von Karl Schiller sind für den Finanzminister ein paar Nummern zu groß. Was Sie machen müssen, ist, Steuern zu senken, damit die Nettoeinkommen steigen, damit ein Wachstumsimpuls entsteht. Ihr eigener Wirtschaftsminister sagt: Das wäre das Wirksamste. - Machen Sie es! Die CDU hat eine neue Idee: Sie will die Steuern in der nächsten Legislaturperiode senken. Das haben wir schon einmal gehabt. Damals haben Sie Steuersenkungen versprochen und anschließend die größte Steuererhöhung aller Zeiten durchgeführt. Weshalb sollen die Menschen Ihnen jetzt mehr glauben, Frau Merkel? Senken Sie jetzt die Steuern! Handeln Sie jetzt, bevor wir tiefer in den Mist hineingeraten! Sie müssen jetzt handeln. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die internationalen Finanzmärkte sind in diesem Herbst in eine Krise geraten, wie sie die Welt seit Jahrzehnten nicht erlebt hat. Das betraf auch wichtige deutsche Kreditinstitute. Die Politik hat zu außergewöhnlichen Mitteln greifen müssen. Wir alle haben gespürt, dass hier ein Lebensnerv unserer Volkswirtschaft in Gefahr geraten ist. Wir spüren das natürlich umso mehr, weil Deutschland seit jeher eine offene Volkswirtschaft ist. Wir erarbeiten unseren Wohlstand ganz wesentlich auf den Weltmärkten. Es ist deswegen klar, dass wir unsere Wirtschaft vor den konjunkturellen Folgen der internationalen Finanzkrise nicht abschotten können. Die Wucht aber, mit der das erfolgt ist, können wir auch heute noch nicht vollständig abschätzen. Die Politik ist in diesen Wochen und Monaten vor Herausforderungen gestellt, für die es kein Drehbuch gibt. Niemand von uns kann auf wirklich vergleichbare Erfahrungswerte zurückgreifen. Dies prägt natürlich auch - wie sollte es anders sein? - die diesjährigen Beratungen zum Haushalt. ({0}) Wir können nicht alle Entwicklungen voraussagen; das gehört zur Wahrheit. ({1}) Wir wissen jedoch: 2009 wird ein Jahr schlechter Nachrichten sein. Wir bauen eine Brücke, damit es spätestens 2010 wieder besser wird. Das ist der Ansatz der Bundesregierung, und das ist auch der Ansatz der Mehrheit hier im Parlament. ({2}) Was ist klar? Klar ist, dass die aktuellen Prognosen bestenfalls ein marginales Wachstum für das kommende Jahr voraussagen. Das Bruttoinlandsprodukt wird im kommenden Jahr um mindestens 27 Milliarden Euro niedriger ausfallen, als wir alle bis zur Verschärfung der Finanzmarktkrise durch den Konkurs von Lehman Brothers erwarten konnten. Die täglichen Nachrichten, die wir aus der Automobilbranche, aus der Chemie und anderswoher erhalten, zeigen: Wir stehen vor einer schwierigen Wegstrecke für Deutschland, für Europa, für alle Industrieländer und für die Schwellen- und Entwicklungsländer. Zur Dimension dieser Krise gehört: Es hat selten eine wirtschaftliche Krise gegeben, die gleichzeitig in den Vereinigten Staaten von Amerika, Europa und Asien stattfand. Das macht diese ungewöhnliche Herausforderung aus. Die Bundesregierung wird mit dem Blick nach vorn das Notwendige tun, auch wenn es natürlich bisherige Planungen verändert. Außergewöhnliche Umstände erfordern auch besondere Maßnahmen. Dabei gilt: Unser Ziel ist nicht, die Krise irgendwie zu überstehen, sondern unser Ziel ist, mit neuen Chancen auf den Weg zu Wachstum und Wohlstand zurückzukehren. Wir sind überzeugt: Deutschland ist stark. Ich sage sogar: Deutschland ist sehr stark. Wir haben weltweit wettbewerbsfähige Produkte. Wir haben einen vitalen Mittelstand. Wir sind wirtschaftlich so breit aufgestellt wie kaum ein Land in Europa. Wir haben sorgfältig ausgebildete, leistungsbereite Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben gute Ideen und sind bei vielen Zukunftstechnologien führend. Wir haben eine vergleichsweise hervorragende Infrastruktur und eine lebenswerte Umwelt. Auf all das können wir stolz sein. ({3}) In dieser Krise zeigt sich auch: Die Schritte der Regierungspolitik der letzten drei Jahre waren richtig: die Reform der Unternehmensteuern, die Verbesserungen in der Arbeitsmarktpolitik, die Stärkung der Forschungsund Innovationskraft, die Förderung der Umwelttechnologien, der Bürokratieabbau, der im Übrigen ein Entlastungsvolumen bringt, wie es auch eine Unternehmensteuerreform gebracht hat. Wir haben die Finanzen des Staates konsolidiert. Das alles macht uns stärker, als wir vor drei Jahren waren. ({4}) Vor allen Dingen - erinnern wir uns doch! -: Wir Deutsche haben schon in der Vergangenheit große Herausforderungen gemeistert: den Wiederaufbau nach dem Krieg, den Aufbau in den neuen Bundesländern, einen Strukturwandel, der aus Agrargebieten und Kohlerevieren Hightechstandorte gemacht hat, die technologische und gesellschaftliche Revolution, die zur Wissensgesellschaft führt, nicht zuletzt die jahrelange, zum großen Teil hausgemachte Stagnation und die Umkehr von einer Rekordarbeitslosigkeit von 5 Millionen auf heute nur - immer noch zu viel - 3 Millionen Arbeitslose. All das sind Erfolge, all das waren Herausforderungen; die haben wir gestaltet, und die haben wir gepackt. Deshalb werden wir es auch diesmal wieder schaffen. ({5}) All das war jedes Mal ein Beweis für die Lebenskraft der sozialen Marktwirtschaft. Mit ihrer Hilfe haben die Menschen, Arbeitnehmer wie Unternehmer, den Wandel erfolgreich bestanden. Deshalb sind wir jetzt besser vorbereitet auf diese Krise: Wir haben den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren, wir haben die höchste Zahl von Beschäftigten überhaupt - 40,7 Millionen in diesem Herbst -, wir haben einen deutlichen Rückgang der Lohnzusatzkosten, wir haben ein MaastrichtDefizit von etwa 0 Prozent in diesem Jahr, und wir haben die niedrigste Staatsquote seit der Wiedervereinigung. Richtig ist: Natürlich wird, weil außergewöhnliche Umstände eine Antwort brauchen, das Haushaltsdefizit im kommenden Jahr ansteigen. Jawohl, das tut es. Im europäischen Vergleich stehen wir trotzdem gut da. Deshalb können wir sagen: Alles in allem sind die öffentlichen Haushalte in Deutschland solide aufgestellt. Deshalb bleibe ich, auch mit Blick auf die auf uns zukommenden demografischen Veränderungen im nächsten Jahrzehnt, dabei: Das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes sollte, wenn irgend möglich, in der nächsten Legislaturperiode erreicht werden. Auch dazu stehen wir. ({6}) Meine Damen und Herren, beides ist richtig: Wir haben auf der einen Seite Deutschlands grundsätzliche Stärke und auf der anderen Seite die Dramatik des weltweiten Konjunktureinbruchs. Deshalb braucht es jetzt vor allem eines: eine Politik des Maßes, der Mitte und der praktischen Vernunft. ({7}) Das ist das, was wir machen. Dafür brauchen wir Grundsätze, nach denen wir handeln. ({8}) Ich bin der tiefen Überzeugung: Gerade in Krisen muss man klare Grundsätze und Leitsätze haben, an denen man sich orientieren kann; und das tut die Bundesregierung. ({9}) Ein erster Grundsatz gilt für den Umgang mit dem Finanzsektor: Der Staat muss dort mit voller Kraft eingreifen, wo die Volkswirtschaft in Gänze und das gesamte gesellschaftliche Leben unseres Landes in Gefahr geraten. So sehr eine einzelne Bank ein privates Unternehmen ist, so sehr ist das Finanzdienstleistungswesen als Ganzes ein öffentliches Gut. Es ist nämlich existenziell für die gesamte Volkswirtschaft. Deshalb war es unumgänglich, in kurzer Zeit mit atemberaubenden Summen und kürzesten Entscheidungsfristen einzuspringen. Ich glaube, hier haben die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat sich der Herausforderung gestellt und gezeigt, dass sie sie bewältigen können. ({10}) Wo stehen wir heute? Es sind Anträge auf Garantien in Höhe von 100 Milliarden Euro eingegangen. Wir haben insgesamt ein Volumen von 400 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Zugleich liegen Anträge auf Rekapitalisierungshilfe in Höhe von 10 Milliarden Euro vor. Sie erinnern sich: Wir haben hierfür 80 Milliarden Euro vorgesehen. Das heißt also, das Maßnahmenpaket wird Schritt für Schritt angenommen. Die Entscheidungen, die zu fällen sind, sind oft nicht einfach. Sie müssen mit der notwendigen Sorgfalt gefällt werden; denn im Rückblick wird man fragen: Habt ihr das alles richtig entschieden? Gleichzeitig muss natürlich zügig gehandelt werden. Weil viele angesichts der 500 Milliarden Euro für die Banken fragen: „Was habt ihr für uns, die kleinen Unternehmen und die Mittelständler?“, möchte ich an dieser Stelle noch einmal wiederholen: Wir haben dieses Paket nicht für die Banken gemacht. Wir haben dieses Paket für unsere Volkswirtschaft, für die kleinen, mittleren und großen Unternehmen und für die Sparerinnen und Sparer gemacht. Das war die erste Aktion zur Rettung unserer Wirtschaft. ({11}) Wir müssen heute konstatieren: Das Vertrauen zwischen den Banken ist noch nicht wieder so weit hergestellt, wie wir uns das wünschen. Deshalb zwei Zurufe an die Finanzmarktteilnehmer: Erstens. Man sollte nicht aus falschem Prestigedenken eine wettbewerbsfähige eigene Kapitalisierung verhindern oder nicht in Anspruch nehmen. ({12}) Wir haben das Paket gemacht, damit die Banken wettbewerbsfähig bleiben. Zweitens ist es die Pflicht der Finanzinstitutionen, Unternehmen ausreichend mit Krediten zu versorgen. Beide Aufgaben stehen im Raum und müssen erfüllt werden. ({13}) Die Folge dieser Finanzmarktkrise ist ein scharfer Wachstumseinbruch, qualitativ ein ganz anderer Wachstumseinbruch, als wir ihn in einem auslaufenden Konjunkturzyklus gehabt hätten. Diesen qualitativen Unterschied müssen wir bei unseren Beratungen berücksichtigen, wenn wir die richtigen Antworten finden wollen. Das führt mich zum zweiten Grundsatz: Für uns geht es bei der Wirtschaft um Hilfe zur Selbsthilfe, um das Bauen von Brücken. Worum es nicht geht, sind dauerhafte Produktsubventionen oder gar die Verhinderung eines notwendigen Strukturwandels. ({14}) Das kann der Staat nicht. Deshalb ist dieser zweite Grundsatz wichtig. Das heißt also, unsere Maßnahmen bilden eine Brücke für Investitionen, für Beschäftigung, insbesondere auch für unsere Fachkräfte, bis der Aufschwung wieder aus eigener Kraft trägt. Alle Ökonomen sagen uns, diese Maßnahmen sollten unmittelbar wirksam und zeitlich befristet sein. Deswegen führen wir zum Beispiel für zwei Jahre die degressive AfA ein. Wir haben gesagt - es ist richtig -: bis zur Unternehmensteuerreform eine degressive AfA, Ersetzung durch die Unternehmensteuerreform und jetzt mit den Abschreibungsmöglichkeiten zusätzliche Hilfen, befristet auf zwei Jahre. Wir wissen natürlich auch: Damit eine solche Maßnahme und andere Maßnahmen, die von uns angeregt werden, überhaupt wirken können, brauchen die Unternehmen eine sichere Kreditversorgung. Diese ist heute durch die Finanzinstitutionen nicht gewährleistet. Deshalb haben wir gesagt, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau ein neues Finanzierungsinstrument auflegen wird, mit dem wir private Investitionen und Betriebsmittel im Umfang von insgesamt 20 Milliarden Euro absichern. Die Ausfallhaftung wird weitgehend von der Kreditanstalt für Wiederaufbau getragen, damit wir den Banken, Sparkassen und Raiffeisenbanken Risiken abnehmen, die sie zurzeit vielleicht nicht tragen können. Ich sage hier: Die Anträge können ab Montag gestellt werden. Das ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Vielleicht ist dies eines der wirksamsten Mittel, um geplante Investitionen in dieser Zeit doch durchführen zu können. ({15}) Wir haben eine weitere Brücke vorgeschlagen: die Verlängerung des Kurzarbeitergelds. Hier geht es darum, dass Fachkräfte nicht entlassen werden, dass wir die Zeiten für Qualifizierung nutzen. Die Bundesagentur für Arbeit wird an genau dieser Stelle ansetzen. Natürlich war es richtig, dass wir gesagt haben: Wir wollen zusätzliches Personal einstellen, das sich mit der Vermittlung und mit der Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern befasst. Gerade auch die KfW-Programme werden an dieser Stelle sehr wichtig sein; denn wir wissen aus vielen Einzelbeispielen, dass die Unternehmen, die Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen wollen, die Sozialversicherungsabgaben bezahlen müssen, dies oft nicht aus eigener Kraft leisten können und deshalb einen Kredit dafür bekommen müssen. Ansonsten würde das Kurzarbeitergeld völlig ins Leere laufen. Bei dem zweiten Grundsatz und der Frage „Wie helfen wir der Wirtschaft?“ gibt es auch besondere Fälle. Ein solcher Fall könnte Opel sein. Wir beraten darüber; wir wissen überhaupt noch nicht, ob hier eine Bürgschaft in Anspruch genommen werden müsste. Dieses Unternehmen könnte aber allein wegen einer Mutter in den Vereinigten Staaten von Amerika, die in noch viel größeren Schwierigkeiten ist, in Schwierigkeiten geraten sein. Wir werden Opel deshalb keine Subventionen geben; aber ich halte es allemal für legitim, eine Brücke zu bauen, damit Opel als überlebensfähiger Automobilbauer nicht an den Schwierigkeiten der amerikanischen Mutter scheitert. Wir werden das vernünftig machen. ({16}) Wir wissen, dass die Automobilbranche - eine Kernbranche der Bundesrepublik - in einer schwierigen Situation ist. Deshalb haben wir die Aussetzung der KfzSteuer beschlossen. Deshalb werden wir die Kfz-Steuer zügigst durch eine CO2-Verbrauch-Steuer ersetzen. Ich glaube, dass die Bundesregierung die hierfür notwendigen Informationen hat, sodass wir das sehr schnell schaffen können. Wir werden natürlich auch die ökologische Weiterentwicklung der Automobilbranche fördern, auch durch Kredite der Europäischen Union bei der Europäischen Investitionsbank. Ich füge hinzu: Wir müssen bei den anstehenden Klimaverhandlungen in Brüssel, wo gerade der Trilog mit dem Europäischen Parlament stattfindet, darauf achten, dass wir nicht durch unsinnige Strafvorschriften im Bereich der CO2-Reduktion am Ende das wieder einreißen, was wir durch Hilfsmaßnahmen für die Automobilindustrie erreichen. Ich glaube, hier sind wir auf einem guten Weg. ({17}) Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit den Chancen, die aus der Krise erwachsen, sind für den Standort Deutschland auch die Kommunikationsnetze von entscheidender Bedeutung. Ob wir ein moderner Standort sind, wird sich unter anderem daran erweisen, ob wir auch in den ländlichen Räumen in absehbarer Zeit eine vernünftige Breitbandversorgung hinbekommen. Deshalb sage ich: Lasst uns aus dieser Krise die Chance machen, dass in drei Jahren jeder Haushalt in Deutschland einen Breitbandanschluss bekommen kann, wenn er das möchte, ob er sich in einem Ballungsgebiet oder in einer ländlichen Region befindet! ({18}) Ich weiß von den Betreibern, dass sie bereit sind, zu investieren. Aber das ist ein klassischer Fall, in dem wir auch die Europäische Union benötigen. Wir brauchen nämlich einen Regulierungsrahmen, in dem sich diese Investitionen lohnen. Bevor der Fall eintritt, dass noch in 10 oder 20 Jahren im ländlichen Raum keine Investitionen in diesem Bereich getätigt werden, lasse ich lieber Wettbewerbsausnahmen für fünf Jahre zu, um die nötige Versorgung zu erreichen, damit wir nicht nur Autobahnen und Schienenwege, sondern auch Breitbandanschlüsse im ganzen Land haben. ({19}) Die öffentliche Debatte, die in Krisenzeiten naturgemäß dadurch geprägt ist, dass viele um eine Meinungsbildung ringen, zeigt: So hochvermögend die gesamten Ratschläge sein mögen, sie sind unterschiedlich, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Sachverständigenrat hat uns in seinem Gutachten zu Investitionen aufgefordert ({20}) und steuerliche Maßnahmen für nicht sinnvoll gehalten. Der IWF warnt uns vor Mehrwertsteuersenkungen. Die OECD empfiehlt schnelle Investitionen. Die Europäische Union wird heute ein Paket vorschlagen, in dem gerade Mehrwertsteuersenkungen gefordert werden. Was zeigt das? Es zeigt, dass wir einen Weg - ich wiederhole es - des Maßes und der Mitte gehen sollten, der auch für die Situation in der Bundesrepublik Deutschland maßgeschneidert ist. ({21}) Deshalb werden wir uns zunächst am europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt ausrichten, nach dem erst einmal die automatischen Stabilisatoren wirken sollen, und dann werden wir darüber hinausgehen. Die Bundesregierung hat Vorschläge in Bezug auf Verkehrsinvestitionen gemacht, ganz im Einklang im Übrigen mit dem Sachverständigenrat, der allerdings sehr viel größere Summen ansetzt. Gespräche mit dem Verkehrsminister machen deutlich: Die Mittel für zusätzliche Maßnahmen im Bereich Infrastruktur können im nächsten Jahr verbaut werden. ({22}) Wir werden die Planungen beschleunigen, so gut wir das können, und dann werden wir weiter in Infrastruktur investieren. Es hat aber keinen Sinn, 10 Milliarden Euro in den Haushalt einzustellen, um am Ende des Jahres festzustellen, dass 8 Milliarden Euro nicht verbaut wurden. Deshalb gehen wir realistisch an die Sache heran. ({23}) Wir haben gesagt, dass der Privatisierungskurs fortgesetzt werden wird. Aber bei den augenblicklichen Kursen an den Aktienmärkten würde eine Privatisierung bedeuten, Bundesvermögen zu verschleudern. Deshalb verschieben wir Privatisierungsvorhaben; das ist nicht als Abkehr zu verstehen. Zur Wahrheit gehört auch: Staatliches Handeln stößt in der Wirtschaft an seine Grenzen. Da dürfen wir uns nichts vormachen. Der Auslandsumsatz der deutschen Chemie liegt bei gut 55 Prozent. Drei von vier Autos, die in Deutschland hergestellt werden, gehen in den Export. Der deutsche Maschinenbau exportiert 75 Prozent seiner Produkte. Wenn auf dem amerikanischen Markt der Absatz um 30 Prozent einbricht, wie das im Oktober der Fall war, dann wird deutlich: Wir können nicht alle globalen Trends mit nationalen Mitteln bekämpfen. Vielmehr ist gemeinsames europäisches Vorgehen gefragt. Eine Investition in den Strukturfonds der Weltbank zur Ankurbelung von Investitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern kann genauso sinnvoll sein wie eine Maßnahme im eigenen Land. Deshalb wird die Bundesregierung immer ein Vorgehen auf diesen drei Ebenen - national, europäisch und weltweit - praktizieren. ({24}) Mit Blick auf die jetzt stattfindende Entwicklungsländerkonferenz in Doha sage ich: Wir müssen gerade in dieser Zeit auch schauen, dass Länder, die auf dem Pfad des wirtschaftlichen Wachstums waren - die afrikanischen Länder haben in den letzten Jahren mit einem Wachstum von durchschnittlich etwa 5 Prozent zum Weltwachstum beigetragen -, jetzt nicht im Stich gelassen werden und damit das Gesamtwachstum auf der Welt rapide sinkt. Nicht die europäischen Länder waren die Wachstumstreiber auf der Welt, sondern die Schwellenländer und die Entwicklungsländer. Genau dahin müssen wir wieder kommen. ({25}) Aber natürlich können wir national einiges tun. Deshalb setzen wir das fort, was wir erfolgreich begonnen haben: ökologische Gebäudesanierung, Handwerkerbonus und Bauvorhaben bei den Kommunen. An dieser Stelle will ich noch einmal sagen: Deutschland ist - anders als andere europäische Länder - ein föderaler Staat. Unsere Maßnahmen sind immer die Summe von Maßnahmen auf der Bundesebene plus der Länderebene plus der kommunalen Ebene. Ich weiß, dass viele Bundesländer jetzt zusätzliche Maßnahmen planen. Das ist auch richtig so. Die Steuereinnahmen der Länder sind nicht schlechter als die des Bundes. Ich habe die Bitte, dass die finanziellen Haushaltsspielräume der Kommunen vielleicht etwas mehr genutzt werden, ({26}) damit wir zu dem Punkt kommen, dass notwendige Investitionen vor Ort durchgeführt werden können. Das kann mehr bewirken als das, was wir von der Bundesebene aus tun können. ({27}) Der Bund stellt in den Jahren 2009 und 2010 rund 32 Milliarden Euro aus dem öffentlichen Gesamthaushalt zur Verfügung. Das allein ist schon mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit wird die Bundesregierung Investitionen und Aufträge von privaten Haushalten und Kommunen an Unternehmen in Höhe von rund 50 Milliarden Euro auslösen. Wir können natürlich den psychologischen Fehler machen, dass wir all das kleinreden, was wir tun. Ich rate uns nicht dazu. ({28}) Wenn es richtig ist, dass Psychologie eine Rolle spielt, Herr Brüderle, dann sollten wir die Wahrheit benennen, aber wir sollten auch das, was wir tun, nach vorne tragen wenn möglich, gemeinsam. Sie können ja sagen, es reicht nicht. Aber dass Investitionen von 50 Milliarden Euro nichts sind, kann man nicht sagen. Ich bitte deshalb darum, dies positiv zu vertreten. ({29}) Heute wird die Europäische Kommission ihre Vorschläge vorlegen. Darüber wird auf dem Rat im Dezember intensiv zu diskutieren sein. Wir haben die Kommission am 7. November gebeten, uns solche Vorschläge zu machen. Wir werden sicherlich auch eine strittige Diskussion haben. Aber ich glaube, Deutschland liegt absolut im Trend, wenn die Kommission uns nahe legt, dass wir mindestens 1 Prozent unseres Bruttoinlandproduktes in konjunkturelle Maßnahmen stecken sollten. Ich bitte auch darum, dass wir nicht immer sozusagen in einen Wettlauf um Milliarden verfallen, sondern vielleicht ab und zu darüber nachdenken, dass man auch ohne Geld manches machen kann. Ich nenne eine flexiblere Handhabung der Strukturfonds, damit es nicht jedes Jahr Rückflüsse in Milliardenhöhe gibt, nur weil die Gelder, die die Europäische Kommission bereitstellt, in Bulgarien, in Rumänien oder in den neuen Bundesländern nicht verbaut werden. Das darf jetzt nicht passieren. Deshalb ist es richtig, dass die Europäische Kommission sagt: Wir wollen hier flexibler herangehen, wir wollen Maßnahmen vorziehen, wir wollen in dieser Phase das Geld, das wir haben, wirklich ausgeben. ({30}) Wir bitten auch darum - da bin ich mit den Kommissionsvorschlägen noch nicht ganz zufrieden -, dass die Beihilferegelungen für kleine und mittlere Unternehmen gelockert werden. In der gegenwärtigen Situation müssen wir unendlich viel Zeit aufbringen, weil alles, was über 200 000 Euro Förderung liegt, unter die Deminimis-Regel fällt und damit in Brüssel erst langwierig genehmigt werden muss. Wenn wir diesen Grenzwert für eine bestimmte Zeit verdoppeln, dann wird der europäische Binnenmarkt nicht zusammenbrechen, aber die mittelständischen Unternehmen werden wieder leichter investieren können, und staatliche Beihilfen - auch von der Länderebene - werden besser auf den Weg gebracht werden können. ({31}) Ich plädiere dafür, dass wir im Sinne eines einheitlichen Energiemarktes dazu übergehen, dass wir unser Hochspannungsnetz in Europa ausbauen. Dazu gehören insbesondere die verschiedenen Interkonnektoren zwischen den verschiedenen Ländern. Das könnte neben dem Ausbau des Breitbandnetzes ein gutes europäisches Vorhaben sein. Natürlich werden die Klimaverhandlungen auf dem Rat im Dezember nicht abgekoppelt von der Diskussion über die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten Europas stattfinden können. Ich sage hier ganz eindeutig: Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, die gut begründeten Klimaziele der Europäischen Union aufzugeben. Bis 2020 20 Prozent Reduktion der CO2-Emissionen und 20 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien: Das war unser Ziel, und das bleibt unser Ziel. ({32}) Wie wir dann im Einzelfall den Auktionshandel mit CO2-Zertifikaten für die energieintensive Industrie zwischen 2013 und 2020 angesichts der Tatsache, dass es außerhalb Europas noch kein einziges Zertifikatesystem in großem Ausmaß gibt, ausstatten, muss verhandelt werden, und zwar so, dass nicht ökologisch vernünftige Chemie-, Stahl- und andere Arbeitsplätze aus Europa abwandern, weil wir ein falsches Zertifikatesystem vereinbart haben. Es hat mit der Zielerreichung überhaupt nichts zu tun, sondern mit dem gesunden Menschenverstand, dass man nicht Arbeitsplätze aufs Spiel setzt, wenn man solche Maßnahmen macht. ({33}) Wir sind natürlich erfreut, dass der gewählte amerikanische Präsident den Eindruck erweckt, dass er offener gegenüber dem Klimaschutz ist. Wir haben in diesem und im nächsten Jahr viel Gelegenheit, das abzuchecken. Aber wir brauchen natürlich weltweit ein vergleichbares Wettbewerbsfeld. Ansonsten würden wir unsere Stärken wirklich schwächen. Meine Damen und Herren, ein dritter Grundsatz. Uns geht es vor allen Dingen auch darum, die Mitte in unserem Land zu stärken, das heißt die Arbeitnehmer, die Familien, die engagierten Älteren, den leistungs- und verantwortungsbewussten Mittelstand. Dazu brauchen wir natürlich wo immer möglich finanzielle Entlastungen der Menschen. Aber wir dürfen an dieser Stelle auch die Nachhaltigkeit nicht aus dem Auge verlieren. Ich will nur daran erinnern: Ein Treiber der jetzigen Krise war die Tatsache des zu billigen Geldes in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich will hier nicht verhehlen, dass ich mir erhebliche Sorgen mache, ob wir durch ein bestimmtes Verhalten in manchen Teilen - dazu gehört auch Amerika - diesen Trend vielleicht wieder verstärken und in fünf Jahren wieder davorstehen und sagen: Nun haben wir die gleiche Krise. ({34}) Deshalb plädiere ich an dieser Stelle für den Weg von Maß und Mitte, der immer der Weg der sozialen Marktwirtschaft war und der sich auf die lange Frist bewährt hat. Es ist so: Wenn man in den letzten Jahren Amerikaner getroffen hat - das gilt zum Teil auch für Briten -, dann haben sie sich über unsere knappen Anstiege der Durchschnittsgehälter lustig gemacht. Dann haben sie gesagt: Ihr könnt doch ganz andere Renditen machen. Warum geht ihr nicht in die Vollen? Wir sind nicht in die Vollen gegangen. Ich gebe zu: Auch die CDU war damals gegen die Mindestbesteuerung. Die Mindestbesteuerung hat sich heute als ein Element herausgestellt, das zeigt, warum wir in Europa, die Deutschen, keine Verluste aus Amerika zugeschoben bekommen, sondern diese eher an andere Länder gehen. Denn man muss hier auf den Gewinn erst einmal einen Teil Steuern zahlen, bevor man ihn dann mit den Verlusten verrechnen kann. Das ist ein klassischer Weg von Maß und Mitte, den ich aus der heutigen Sicht für richtig halte. ({35}) Deshalb Entlastung wo immer möglich. Wir haben die Lohnzusatzkosten gesenkt. Aber bitte keine Entlastungen, die das Zeichen der nächsten Steuererhöhung schon wieder auf der Stirn tragen. Wir entlasten Familien - ({36}) - Man kann ja mal etwas dazulernen. ({37}) Das soll auch bei der Sozialdemokratie schon vorgekommen sein. Ich finde das nicht so schlimm. Ich möchte jetzt nur die Aufmerksamkeit für die Familien haben. Wir entlasten Familien durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes. Wir werden die volle Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Krankenversicherung einführen. Das alles wird, wenn es voll wirksam sein wird, noch einmal eine Entlastung von 14 Milliarden Euro mit sich bringen. Die Möglichkeit des Wirtschaftswachstums und damit steigender Löhne in diesem Jahr wird dazu führen, dass die Rentnerinnen und Rentner im nächsten Jahr eine gewisse Rentensteigerung erwarten können. Die Höhe kann man nicht voraussagen; aber im Altersvorsorgebericht der Bundesregierung wird gesagt: Das Versorgungsniveau im Alter wird weiter ansteigen, nicht absinken. Das ist eine ganz wichtige Botschaft an diejenigen, die unser Land aufgebaut haben und die natürlich auch nicht aus unserem Blickfeld geraten dürfen. ({38}) Ich will dann auch noch sagen, dass sich in den letzten fünf Monaten in der Gesamtdiskussion, die sich massiv verändert hat, natürlich auch die Rolle der Energiepreise dramatisch geändert hat. Was wir im Sommer sozusagen als Höchstpreise für Energie diskutiert haben, kann in der augenblicklichen Konjunktursituation als Entlastungsmoment für die privaten Haushalte gesehen werden. Deshalb können wir insgesamt davon ausgehen, dass die Mittel, die für den Binnenkonsum, für den privaten Konsum, zur Verfügung stehen, im nächsten Jahr um etwa 0,4 Prozent steigen. Das sind knapp 6 Milliarden Euro. Auch das ist etwas, was uns in der jetzigen Konjunkturschwäche helfen wird. Es gibt einen vierten Grundsatz - den dürfen wir in diesen Zeiten nicht aus den Augen verlieren -: Es geht darum, dass wir uns jetzt besonders anstrengen, dass Gerechtigkeit und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erhalten bleiben. Da geht es um langfristige Investitionen, zum Beispiel um Investitionen in Bildung. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir auf unserem Bildungsgipfel eine ganz klare Zielmarke gesetzt haben, die für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands von essenzieller Bedeutung ist. Neben der Tatsache, dass wir bis 2010 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Innovation ausgeben werden - wir sind mit diesem Haushalt bei fast 2,9 Prozent, also auf einem wirklich erfolgreichen Pfad -, wollen wir bis 2015 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Bildung ausgeben. Das ist eine anspruchsvolle Quote. Ich sage aber auch: Das ist eine notwendige Quote. Wir haben mit der gemeinsamen Qualifizierungsinitiative für Deutschland als Bundesregierung auf allen Stufen des Bildungslebens neue Impulse gesetzt: von der frühkindlichen Bildung über Schule, Ausbildung und Studium bis hin zur berufsbegleitenden Weiterbildung. Wir haben in Dresden einiges erreicht: Die verbindliche Feststellung des Sprachvermögens vor der Einschulung in allen Bundesländern bis 2010 ist eine Verpflichtung der Bundesländer. Der Bund wird das durch Sprachkurse für die Eltern von Migrantenkindern flankieren. Es gibt jetzt eine festgeschriebene Verpflichtung der Länder, die Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher zu halbieren. Wir haben beschlossen, dass die Berufsorientierung an allen allgemeinbildenden Schulen verbindlich sein wird. Das ist eine Verabredung zwischen Bund und Ländern, die es in dieser Weise bisher noch nicht gegeben hat und die natürlich zeigt, dass Bund und Länder an der Schnittstelle zwischen Schul- und Berufsleben zusammenarbeiten müssen. Für Hauptschulabschlüsse wird eine vertiefte Berufsorientierung angeboten, und wer seinen Hauptschulabschluss im normalen Schulgang nicht erreicht, hat einen Anspruch auf Förderung durch die Bundesagentur für einen nachträglichen Abschluss. Wir setzen auf bessere Aufstiegschancen durch bessere Übergänge, Aufstiegsstipendien und die Öffnung von Hochschulen für beruflich Qualifizierte nach dem Motto: Jedem eine Chance geben, aus eigener Kraft weiterzukommen. Ich darf Ihnen sagen: Ein solches umfassendes Konzept von Bund und Ländern hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Das war eine richtige Initiative, auch wenn noch nicht alle davon überzeugt sind, dass das der richtige Weg ist. ({39}) Wir haben mit dem Nationalen Integrationsplan einen Prozess angestoßen. Wir können jetzt wirklich sagen - das hat sich beim dritten Integrationsgipfel gezeigt -: Von der Kommune über die Integrationsministerkonferenz bis hin zum Bund ist das Thema Integration nicht mehr irgendein Nebenthema, sondern ein Teil unseres gesellschaftlichen Engagements, und das ist auch richtig so. Die soziale Marktwirtschaft hat nie nur in Sektoren gedacht, sondern sie hat immer das Zusammenwirken von Ökonomie, Sozialpolitik und ethischen Grundlagen im Blick gehabt. Dabei geht es um eine gesellschaftspolitische Dimension, die nach meiner Ansicht in dieser tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise von außerordentlicher Bedeutung ist. Es muss wieder klarer werden, dass die soziale Marktwirtschaft eine Ordnung der Verantwortung und des Maßhaltens ist. Nur dann kann der Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit überhaupt glaubhaft gelebt werden. Deshalb geht es um eine Wirtschaftskultur, in der der unauflösliche Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung gerade von jenen vorgelebt wird, die über Macht und Einfluss verfügen, von jenen also, die in besonderem Maße Gestaltungsfreiheit in unserer Gesellschaft haben. Ich bin der festen Überzeugung: Es ist die Aufgabe der Politik - nicht nur der Politik, aber auch der Politik -, diese dringend notwendige gesellschaftliche Debatte mit neuer Energie voranzutreiben und auch Widerstände dabei in Kauf zu nehmen. ({40}) Wir werden erleben, dass wir bei allen Fehlentwicklungen viele sehr verantwortungsvolle Unternehmer haben, gerade im persönlich haftenden Mittelstand. Wir haben verantwortungsbewusste, engagierte Bürgerinnen und Bürger und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es sind die Bürger und die Arbeitnehmer dieses Landes, die mit ihrer Leistung den Löwenanteil am Aufschwung der letzten Jahre erarbeitet haben. Wir können - davon bin ich fest überzeugt - auf diese Kraft bauen. Deshalb werden uns diese vier Grundsätze leiten, die dazu führen, dass wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft erhalten, und zwar dadurch, dass wir den Einzelnen stärken, der Wirtschaft Brücken bauen und da, wo unser Gemeinwesen vollständig in Gefahr ist, mit aller Kraft eingreifen. Wir müssen uns natürlich die Frage stellen: Was ist das Neue in der augenblicklichen Situation? Ich glaube, wir alle miteinander haben noch nie so deutlich gespürt, wie sehr die Wirtschaft auf nationaler Ebene, auf europäischer Ebene und auf internationaler Ebene vernetzt ist. Die schlichte Wahrheit ist: Detroit und Rüsselsheim liegen eben nicht mehr auf getrennten Kontinenten. ({41}) Sie liegen, was die Krise anbelangt, dicht nebeneinander. Die Sorgen des Hausbesitzers in Kalifornien und die Sorgen des Facharbeiters in Ludwigshafen nähren sich aus ein und derselben Wurzel von Intransparenz und Maßlosigkeit. Die Hoffnungen dieser Menschen ruhen auf den gleichen Kräften: einer international geordneten sozialen Marktwirtschaft. ({42}) Deshalb müssen wir nicht nur unsere nationale Antwort nach den von mir dargestellten Leitsätzen ausrichten, sondern auch die internationale Antwort. Deshalb war der Finanzgipfel mit den 20 führenden Industriestaaten notwendig. Er war auch ein historisches Ereignis, weil Menschen mit ganz unterschiedlichen Kulturen, wirtschaftlichen Entwicklungen und Lebensstandards zusammengesessen haben und sich ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst geworden sind. Wir haben dort nicht nur diskutiert, sondern wir haben auch 50 Maßnahmen beschlossen. Wir werden uns Anfang April wieder treffen. Die Finanzminister werden diese Maßnahmen umsetzen, damit sie wirksam werden. Ich kann nur sagen: Wir dürfen angesichts aller Schwierigkeiten der Wirtschaft nicht vergessen, was die Ursache war, und wir müssen die Lehren daraus ziehen. Denn wir würden vor der Geschichte versagen, wenn uns so etwas wieder passiert. Ungeregelte Märkte führen ins Unglück. Wir brauchen eine Ordnung auch auf globalem Niveau. ({43}) Wir werden dies im Rahmen der Offenheit unserer Gesellschaft tun. Offenheit hat Deutschland stark gemacht. Deshalb gibt es die feste Absicht, die Welthandelsrunde noch in diesem Jahr zu einem Ende zu bringen und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Denn wir wissen: Nur ein offener und fairer Handel auf der Welt wird die Wachstumskräfte wieder stärken und die Sicherheit geben, die wir für die wirtschaftliche Entwicklung brauchen. An dieser Stelle erleben wir noch etwas anderes, nämlich wie sehr die klassische Sicherheit mit der Sicherheit des Wirtschaftens heute vernetzt ist. Wenn wir über offene Märkte sprechen, sprechen wir über Transportwege, über sichere Transportwege. Dann sind wir schnell bei einem ganz anderen Thema, das sich mit Piraterie und anderen Fragen beschäftigt, bei dem die Bundesregierung natürlich auch ihre Verantwortung wahrnehmen wird. Denn was nützt uns ein freier Handel, wenn man mit einem Schiff nicht dahin kommt, wohin man will? ({44}) So hängen innere und äußere Sicherheit und die Fragen von sicherem Wirtschaften und Sicherheit insgesamt im Sinne einer zivilen Sicherheit aufs Engste zusammen, und die alten Trennlinien passen nicht mehr. ({45}) Deshalb sind wir in Afghanistan engagiert. Deshalb müssen wir uns mit dem Iran und seinem Nuklearprogramm befassen. Deshalb haben wir die Aufgabe, bei unseren Entwicklungsanstrengungen nicht etwa nachzulassen, sondern sie zu stärken. Ich glaube, die Bundesrepublik und die Bundesregierung sind mit ihrem Ansatz der vernetzten Sicherheit auf einem richtigen Weg. Wir werden diesen Ansatz auch auf dem NATO-Gipfel im April nächsten Jahres, der in Deutschland und Frankreich gleichermaßen stattfindet, vorantreiben. Rein militärische Aktionen helfen nicht, aber ohne militärische Aktionen werden wir die Sicherheit auch nicht gewährleisten. Deshalb werden wir für diesen Ansatz werben. Wir haben dafür schon eine große Mehrheit erhalten. Meine Damen und Herren, Deutschland und Europa stehen vor völlig neuen Aufgaben, die wir vor wenigen Monaten so noch nicht gesehen haben. Es ist eine Stärke unserer Gesellschaft, dass wir schneller als andere Fehlentwicklungen korrigieren können. Ich bin der Überzeugung, dass es keine andere Ordnung gibt als die der sozialen Marktwirtschaft, die darauf die richtigen Antworten gibt. Offen für den Wandel, für Innovation, für die Initiative des Einzelnen, für die Leistungsbereitschaft der Vielen, für die Hilfe für Hilfebedürftige und für das Verantwortungsbewusstsein aller - das ist das, was uns leitet. Wenn wir das beherzigen, wenn wir auf dem Fundament aufbauen, das Deutschland stark gemacht hat, dann werden wir aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Herzlichen Dank. ({46})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch nach der Diskussion der letzten Wochen bleiben wir dabei: Es handelt sich bei der Finanzmarktkrise nicht um eine technisch-ökonomische Krise. Es handelt sich um eine Krise unserer Wirtschafts- und Sozialordnung. Diese Bemerkung bezieht sich nicht allein auf die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, sondern auf die Weltwirtschaft. ({0}) Wenn ich von einer Krise der Wirtschafts- und Sozialordnung spreche, dann geht es nicht nur um ökonomisch-technische Vorgänge. Es geht auch um die Wertorientierung der Gesellschaft. Daher ist es zu begrüßen, dass jetzt auch in anderen Parteien und Fraktionen eine Debatte darüber beginnt, ob die Wertorientierung der Gesellschaft in den letzten Jahren überhaupt gestimmt hat. Wenn beispielsweise wieder die Grundsätze des ehrbaren Kaufmannes beschworen werden, dann kann man wohl eines sagen: Auf den internationalen Finanzmärkten herrschten vielleicht viele Grundsätze, aber niemals die Grundsätze des ehrbaren Kaufmannes. ({1}) Wir hatten in den letzten Jahrzehnten die Ausbreitung einer gesellschaftlichen Philosophie, der Philosophie des Neoliberalismus. Der Neoliberalismus ist eine Einstellung, eine Art Alltagsreligion. Diese Alltagsreligion beruht auf bestimmten Denkfiguren und auf Denktraditionen, die heute noch lange nicht überwunden sind. Wenn öffentlich kommentiert wird, der Neoliberalismus sei gescheitert, dann stimme ich dem, bezogen auf die Ergebnisse, zu. ({2}) Ich stimme aber niemals der Auffassung zu, seine Denktraditionen und seine Denkfiguren seien bereits gescheitert, denn Denktraditionen und Denkfiguren, die über Jahrzehnte geprägt wurden, können nicht von heute auf morgen überwunden werden. Deshalb ist die Kernfrage heute die, ob wir denn die Grundsätze und Leitsätze haben, die uns in die Lage versetzen, die jetzige Krise zu überwinden. Über diese Kernfrage muss heute debattiert werden. ({3}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben sehr richtig darauf hingewiesen, dass man Grundsätze und Leitsätze haben muss, um eine solche Krise zu überwinden. Wir sind aber der Überzeugung, dass Sie die falschen Grundsätze und Leitsätze haben und dass Sie daher nicht in der Lage sind, diese Krise zu überwinden. Das prognostiziere ich hier. ({4}) Ich möchte dies an dem Ergebnis des Gipfels der G 20 beleuchten. Natürlich war dort die Absicht, zu regulieren. Natürlich hat man näher hingeschaut: Was wird denn jetzt das Ergebnis dieses Gipfels sein? Natürlich hat man nicht erwartet, dass dort bereits ein Ergebnis wie nach dem Gipfel von Bretton Woods vorliegen würde. Aber es gab zwei Feststellungen, die sehr bedenklich sind und die ich hier werten möchte. Die eine Feststellung im Hinblick auf die Ordnung der Finanzmärkte ist: Wir müssen weiterhin marktwirtschaftliche Grundsätze berücksichtigen. Die andere Feststellung ist: Wir werden weiter am freien Kapitalverkehr festhalten. Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn Sie weiterhin dem Irrtum unterliegen, dass Finanzmärkte genauso wie Gütermärkte zu behandeln seien, dann wird die Krise nicht überwunden werden können. Wenn Sie am freien Kapitalverkehr festhalten, dann legen Sie schon jetzt die Grundlage dafür, dass es in einiger Zeit die nächste Finanzmarktkrise mit allen Folgen geben wird. Mit diesem Problem sind wir heute konfrontiert. ({5}) Grundlage dieser Fehlentscheidungen ist aber der Neoliberalismus. Der Neoliberalismus hat zu der heutigen Krise geführt. ({6}) Der Neoliberalismus beruhte auf drei Prinzipien: Erstens forderte er die Deregulierung. Heute reden alle von Regulierung. Zweitens forderte er die Privatisierung. Wir fordern wieder öffentliche Verantwortung für die Bereiche der Daseinsvorsorge. Statt Privatisierung fordern wir eine Wirtschaftsdemokratie mit Mitbestimmung und Belegschaftsbeteiligung. Das ist ein anderes gesellschaftliches Konzept. ({7}) Drittens und vor allen Dingen forderte der Neoliberalismus die Flexibilisierung. Wir fordern stattdessen Arbeitsplätze - jetzt kommt das Entscheidende; davon war heute aber noch gar nicht die Rede -, auf deren Grundlage man das eigene Leben planen kann, eine Familie gründen und auch ernähren kann. Das ist die Herausforderung, über die wir heute sprechen müssen. ({8}) Nun komme ich zum ersten Punkt, zur Deregulierung. Was hat man in den letzten Jahren alles dereguliert! Zunächst wurden die Wechselkurse freigegeben. Dazu höre ich von dieser Regierung seit Wochen überhaupt nichts. Man hat den Eindruck, als habe sie gar nicht begriffen, dass wir derzeit weltweit Währungskrisen haben, die auch auf die deutsche Volkswirtschaft zurückschlagen. Wenn es nicht gelingt, diese Währungskrisen einzudämmen, dann werden wir in Zukunft immer wieder solche Währungskrisen erleben. Ich verstehe einfach nicht, dass die Bundesregierung keine Vorschläge vorlegt, um diese Krisen zumindest einzudämmen, wenn nicht gar zu bewältigen. ({9}) Zweitens: Der Kapitalverkehr wurde freigegeben. Da man daran festhalten will, stellt sich die Frage: Wie will man bei freiem Kapitalverkehr verhindern, dass zum Beispiel die Krise einer amerikanischen Großbank auf die ganze Welt übergreift? Ich war gestern bei einer Veranstaltung, auf der die These geäußert wurde, dass man Lehman Brothers pleitegehen ließ, weil man wusste, dass diese Großbank am intensivsten mit den Volkswirtschaften anderer Länder verflochten ist. Ist denn niemand auf die Idee gekommen, dass man auch Brandschneisen braucht, wenn man einen Flächenbrand verhindern will? Wie sollen diese Brandschneisen im internationalen Finanzsystem aussehen? Reicht es aus, ständig nur alte Forderungen, beispielsweise nach mehr Transparenz und besserer Kontrolle, wiederzukäuen, ohne konkret zu werden? ({10}) Die dritte Deregulierung, die durchgeführt wurde - sie ist nach wie vor vorhanden -, betrifft die Steueroasen. Sie können auf nationalstaatlicher Ebene so viel regeln und festlegen, wie Sie wollen. Wenn Sie die Steueroasen weiterhin nicht stilllegen, dann wird es in Zukunft so weitergehen wie in den vergangenen Jahren. Dann werden Sie nichts erreichen. Ich wundere mich, dass davon überhaupt nicht die Rede ist. ({11}) - Es ist ziemlich unhöflich, dass auf der Regierungsbank gequatscht wird, wenn man hier versucht, ein anderes Konzept vorzustellen; das will ich in aller Klarheit sagen. ({12}) Wir haben im Parlament gewisse Spielregeln. ({13}) Es wäre wünschenswert, dass auch Sie etwas zu Wechselkursen, freiem Kapitalverkehr oder Steueroasen sagen würden. Man hat Ratingagenturen zugelassen, und man hat zugelassen, dass diese Ratingagenturen von denen finanziert werden, die die Nutznießer der Testate sind. Welche Konsequenz hat man aus der Feststellung, dass dies schiefgegangen ist, gezogen? Ende der 80er-Jahre wurden bei uns die Prüfmechanismen abgeschafft, die die Kundinnen und Kunden der Banken davor geschützt haben, dass ihnen ein Vertreter falsche Papiere andreht. ({14}) Welche Konsequenz ziehen wir heute daraus? Vor einiger Zeit hat die Vorgängerregierung ein Gesetz vorgelegt, durch das diejenigen geschützt werden sollten, denen falsche Papiere angeboten wurden. Dieses Gesetz ist aber auf Druck der Finanzindustrie zurückgezogen worden. Angesichts der schlechten Erfahrungen, die insbesondere alte Leute, denen man Lehman-BrothersPapiere und Ähnliches angedreht hat, gemacht haben, wäre es an der Zeit, dieses Gesetz jetzt erneut vorzulegen. ({15}) In diesem Zusammenhang geht es um zwei Punkte: Erstens. Solche Papiere müssen wieder testiert werden, und zwar von staatlicher Seite, nicht von Agenturen, die von den Banken bezahlt werden. Zweitens. Was die Verjährungsfrist betrifft, kann man gerade bei Produkten, die zur Altersvorsorge erworben werden, nicht von einem Jahr ausgehen, sondern man muss eine Verjährungsfrist von mindestens drei, wenn nicht sogar von zehn Jahren einführen, um die Kundinnen und Kunden zu schützen. ({16}) In Deutschland wurde auf nationaler Ebene eine ganze Reihe von Deregulierungsmaßnahmen durchgeführt. Dazu hört man von Ihnen kein einziges Wort. Ihre ganzen Bekenntnisse zur Regulierung sind völlig unglaubwürdig. Wir haben Sie gefragt: Was haben Sie für mehr Deregulierung unternommen? Daraufhin haben Sie eine ganze Reihe von Maßnahmen vorgetragen - aus Zeitgründen nenne ich nur einige -: die Zulassung der Hedgefonds, die Zulassung der Verbriefungen und die Zulassung der Zweckgesellschaften. Würden Sie eine Lehre aus den jüngsten Entwicklungen ziehen - dass Sie dies nicht tun, ist bedauerlich -, ({17}) dann würden Sie jetzt ankündigen, dass Sie diese Deregulierungsmaßnahmen zurücknehmen. Sonst sind all Ihre Bekenntnisse zur Regulierung völlig unglaubwürdig. Es wäre das Einfachste von der Welt, diese Gesetze jetzt einzukassieren, nachdem wir festgestellt haben, dass diese Mechanismen nicht funktionieren. Der nächste Punkt ist die Privatisierung. Ich habe die öffentliche Verantwortung für die Bereiche der Daseinsfürsorge und eine Wirtschaftsdemokratie mit Mitbestimmung und Belegschaftsbeteiligung dagegengestellt. Das ist ein ganz anderer gesellschaftspolitischer Ansatz. Sie haben die öffentlichen Einrichtungen in großem Umfang privatisiert, und die Bundeskanzlerin hat hier gesagt - deswegen sage ich, dass Sie weiterhin auf der Basis der Grundsätze des Neoliberalismus operieren -, dass Sie zum Beispiel bei der Bahn die Privatisierung fortsetzen wollen. Das heißt, Sie nehmen die Konsequenzen überhaupt nicht wahr; denn Privatisierung bedeutet eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Menschen, die in den privatisierten Unternehmen beschäftigt sind. ({18}) Wenn man diese Konsequenzen nicht wahrnimmt, dann kann man natürlich weiterhin an diesen Vorstellungen festhalten. Das Fatalste war - das möchte ich hier einmal ansprechen - die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme. Ich habe bei der letzten Debatte gehört - ich will das gar nicht an bestimmten Namen abarbeiten -, dass die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme nichts mit der Finanzmarktkrise zu tun habe. Wer übersieht, dass die Ansammlung von Geld in privaten Fonds weltweit eine der Ursachen der Finanzmarktkrise ist, der hat überhaupt nichts verstanden. ({19}) Diese Privatisierung der Sozialversicherung ist unverzüglich zurückzunehmen - das ist die Forderung unserer Fraktion -, weil sie nicht nur in Chile, Argentinien oder den Vereinigten Staaten zu nachteiligen Entwicklungen führt, wo plötzlich viele ältere Leute mit leeren Händen dastehen, sondern auch bei uns, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Gebühr belastet werden und weil ihnen letztendlich keine sichere Basis für das Leben im Alter gegeben wird. Deshalb ist die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme zurückzunehmen. ({20}) Sie haben die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne beschlossen. Das war nicht die jetzige Mehrheit, sondern das war eine andere Mehrheit. Mittlerweile hat man dankenswerterweise erkannt - das taucht in einigen Papieren auf -, dass das ein Fehler war. Wenn man das erkannt hat, dann sollte man aber auch die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen. ({21}) In einer Welt, in der Private-Equity-Gesellschaften Unternehmen kaufen und wieder verkaufen und in der Hedgefonds Unternehmen kaufen, ausschlachten und wieder weiter verkaufen, können wir die Gewinne aus diesen Verkäufen nicht auch noch steuerfrei stellen. Damit reizen wir diesen Menschenhandel doch gerade erst an. Deshalb ist die Steuerfreiheit zurückzunehmen. ({22}) Sie haben die Vermögensteuer abgeschafft. Das hat natürlich Konsequenzen für die Verteilung von Einkommen und Vermögen in unserer Gesamtgesellschaft. ({23}) - Ja. ({24}) - Ich stelle hier fest: Der Kollege Poß ist unschuldig an der Abschaffung der Vermögensteuer. Er wollte das nicht. Das war eine andere Mehrheit. Wenn ich das Wort „Sie“ gebrauche, dann kann ich Sie, Herr Kollege Poß, nicht immer ausklammern. Ausnahmsweise möchte ich das hier aber einmal feststellen. ({25}) Das ändert aber nichts an dem Sachverhalt, dass dieser Wegfall der Vermögensteuer natürlich zu einer ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland geführt hat. Herr Kollege Poß, jetzt möchte ich Ihnen dann doch eine Antwort geben. ({26}) Wenn Sie angesichts dieser Entwicklung die Erbschaftsteuer so regeln, wie sie jetzt geregelt wird, mit dem Ergebnis, dass Milliardäre entlastet werden, dann haben Sie überhaupt nichts von dem Aufbau und der Liquidität der internationalen Finanzmärkte verstanden. ({27}) Unter den Bereich Privatisierung fällt auch die Absicht, die Staatsquote sinken zu lassen. Die Bundeskanzlerin war sehr stolz darauf, dass die Staatsquote sehr niedrig ist. Man kann ja dieser Auffassung sein, aber dann muss man auch wissen, was es heißt, wenn die Staatsquote niedrig ist. Frau Bundeskanzlerin, solange Sie der Meinung sind, eine niedrige Staatsquote sei erstrebenswert, können Sie sich Ihre Bildungsgipfelchen wirklich sparen; denn eine niedrige Staatsquote bedeutet nun einmal weniger Geld für Bildung im Vergleich zu anderen Ländern, die eine höhere Staatsquote haben. Die Grundrechenarten sollte man in der Regierung doch zumindest noch kennen. ({28}) Eine niedrige Staatsquote bedeutet natürlich auch weniger Leistungen für diejenigen, die soziale Leistungen beziehen. Das ist nun einmal die Folge einer niedrigen Staatsquote. Deshalb sage ich: Orientieren Sie sich doch einmal an den Ländern, die in den Bereichen Bildung und soziale Sicherung erfolgreich arbeiten. Wenn Sie einfach nur die internationalen Statistiken zur Kenntnis nehmen, dann werden Sie feststellen, dass diese Länder anders an dieses Problem herangehen. Die Entstaatlichung Deutschlands in den letzten Jahren war ein schwerer Fehler und hat bei vielen Leuten zu Armut geführt. Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis. ({29}) Diese Entwicklung hin zur Privatisierung - insbesondere verbunden mit der Senkung der Unternehmensteuer, die die Kanzlerin vorhin auch wieder ganz stolz angeführt hat - hat dazu geführt, dass in Deutschland teilweise nur 25 Prozent der Gewinne reinvestiert worden sind. Die Frage ist doch: Was ist mit den übrigen 75 Prozent geschehen? Ist Ihnen denn nicht zu vermitteln, dass dies eine der Ursachen dafür ist, dass wir beispielsweise jetzt Unternehmen haben, deren Gewinn größer ist als der Umsatz? Ist denn nicht klar, dass die Gelder nicht mehr in die Investitionen gehen, sondern in die internationale Spekulation? Sie bauen doch das alles mit auf, ziehen aber nicht die geringste Konsequenz daraus. ({30}) Das ist die Fehlentwicklung, die wir in den nächsten Jahren bitter zu spüren bekommen werden; das prognostiziere ich an dieser Stelle. Deshalb sagen wir, dieser Privatisierung, die die Grundlage dafür ist, dass sich die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen dramatisch entwickelt hat, ist ein anderer Ansatz vorzuziehen: Wir wollen wieder eine stärkere Beteiligung der öffentlichen Hand. Wir wollen insbesondere eine Wirtschaftsdemokratie, die die Beschäftigten in weitaus stärkerer Form als derzeit an den Entscheidungen und an den Erträgen der Unternehmen beteiligt. ({31}) Nun komme ich zu dem größten Flurschaden, den der Neoliberalismus angerichtet hat - ich meine nicht den Ordoliberalismus, Herr Kollege Brüderle; ({32}) wenn genügend Zeit da wäre, könnte ich mich dazu äußern -: Das ist die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Dies ist eines der törichtsten und verhängnisvollsten Wörter, die das Denken und Handeln vieler bestimmt haben und die zu enormen Schäden für viele Menschen in Deutschland geführt haben. Nun nenne ich diese Schäden. Erstens. Wer von der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte spricht, der durchlöchert gerne und zuerst einmal die Tarifverträge mit all den Folgen für das Lohndumping, das wir in Deutschland beklagen. ({33}) Zumindest müsste doch festgestellt werden, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um wieder einen geregelten Arbeitsmarkt zu haben, was die Höhe der Bezahlung angeht. Zweitens. Sie waren stolz auf Mini- und Midijobs, die eingerichtet worden sind. Das hatte ja vielleicht einmal einen Sinn, als einige Studenten und Pensionäre beschäftigt worden sind, um Zeitungen auszutragen oder auszuhelfen. Da mag das einen Sinn gehabt haben. Dass aber einzelne Unternehmen aus Gründen der Lohnkostensenkung jetzt flächendeckend Mini- und Midijobs in Millionenzahl ausgebaut haben, ist die Ursache dafür, dass es heute Menschen gibt, die ihr Leben nicht mehr planen können und die, wenn man so will, schlicht und einfach aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden. Genau das wollen wir nicht. ({34}) Dies sind falsche Grund- und Leitsätze, mit denen Sie die Krise niemals bewältigen können. Der dritte Punkt ist die Leiharbeit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Charta der Menschenrechte steht, ein Grundsatz weltweit sei: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. In dem Moment, in dem Sie die Leiharbeit ausufern ließen und zuließen, dass es so gehandhabt wurde, wie es jetzt geschieht, verstießen Sie sogar gegen die Charta der Menschenrechte. Sie reden von Werten. Ja, wo ist denn Ihre Wertorientierung an dieser Stelle? Da wäre ich doch konkret, dann würde man sie nachvollziehen können. Wer nichts gegen die Leiharbeit tut und zusieht, wie Hunderttausende Leiharbeiter jetzt in der Gefahr sind, ihren Job zu verlieren, wobei viele Tausende ihn schon verloren haben, der hat überhaupt keine Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise gezogen. ({35}) Das ist das Ärgerliche an dieser Stelle. Warum legen Sie nicht ein Gesetz vor, um diese Menschen in Zukunft zu schützen? Was soll denn das ganze Gerede von der Wertorientierung, wenn Menschen darunter leiden, dass sie einfach hinausgeworfen werden, weil sie keine Rechte haben, Sie aber nichts vorlegen, um das zu ändern, obwohl auch die große Mehrheit der Bevölkerung der Auffassung ist, dass hier etwas geändert werden muss? Dann gibt es die befristeten Verträge. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Leben der Menschen muss planbar sein. Der große Soziologe Richard Sennett sagte, wenn die Arbeitsverhältnisse so organisiert werden, wie Sie sie organisiert haben, dann führt dies zur Zerstörung des Charakters ({36}) - stellen Sie sich doch einmal diesem Vorwurf -, weil das Leben nicht mehr planbar ist, jedes menschliche Leben sich aber in beschützten Bereichen vollziehen muss. Wer also die Ausweitung der befristeten Arbeitsverträge zu verantworten hat, weil er an das neoliberale Credo der Flexibilisierung geglaubt hat, der hat großen Flurschaden bei den Menschen angerichtet und ist mitverantwortlich dafür, dass in Deutschland keine Familien mehr gegründet werden. ({37}) Welcher junge Mensch kann denn noch eine Familie gründen, wenn er Angst haben muss, dass er in einem halben Jahr hinausfliegt? Warum sehen Sie diese Zusammenhänge nicht? Warum sehen Sie nicht, wie das ineinandergreift? Dann sind wir aufgrund dieser verheerenden Arbeitsmarktpolitik, die der falschen neoliberalen Philosophie geschuldet ist, mittlerweile das Land mit dem größten Niedriglohnsektor unter den Industriestaaten. Niedriglohnsektor heißt nun einmal: ein Jahreseinkommen von 15 000 Euro oder weniger oder ein Monatseinkommen von etwa 1 000 Euro. Es lässt sich zwar leicht sagen: „Das ist immerhin etwas“. Aber dann sollten Sie auch erklären, wie eine Familie mit zwei Kindern bei solchen Einkommensverhältnissen gut leben können soll. Das Entscheidende ist, dass wir das ohne Not getan haben; denn alle anderen Staaten weisen andere Zahlen auf. Es ist verwerflich, dass wir die einzigen waren, die den Niedriglohnsektor so fleißig ausgeweitet haben. Deshalb müssen Sie endlich etwas tun. Führen Sie endlich den gesetzlichen Mindestlohn ein, damit wir wenigstens von unten die Dinge in den Griff bekommen! ({38}) Selbst wenn Sie diese Zusammenhänge nicht sehen, gilt: Wer bei Leiharbeit, befristeten Arbeitsverträgen und beim gesetzlichen Mindestlohn nichts tut, hat nichts von der internationalen Finanzmarktkrise und ihren verheerenden Auswirkungen auf die Volkswirtschaften - auch in Deutschland - verstanden. ({39}) Dazu gehört auch die Zumutung durch Hartz IV. Die Zumutbarkeitsklausel hat erwartungsgemäß zum Rutschen der Löhne nach unten geführt. Das haben die Befürworter mittlerweile auch zugegeben. Sie haben zugegeben, dass sie genau das erreicht haben, was sie wollten. Die Löhne sind in Deutschland immer weiter gesunken. Das beschäftigt einen vielleicht nicht, wenn man nicht selbst betroffen ist. Aber es sind viele Menschen davon betroffen, und es werden immer mehr. Deshalb müssen wir diese verhängnisvolle Rutschbahn schließen. Wir müssen aufhören, die Menschen zu zwingen, weit unter ihrer Qualifikation und zu jedem angebotenen Lohn zu arbeiten. Das ist geradezu eine Einladung, in Deutschland weiter Lohndumping zu betreiben und den Niedriglohnsektor immer weiter auszubauen. ({40}) Ursache für die Verwerfungen auf den Finanzmärkten sind zwei Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft und in den Volkswirtschaften, zu denen wir - also die Mehrheiten, die diese Gesetze beschlossen haben - wesentlich beigetragen haben. Das eine ist das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht. Ich habe vorhin die Wechselkurse angesprochen. Wie soll man zu richtigen Schlussfolgerungen kommen, wenn man das nicht einmal sieht? Wir sind aufgrund des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichtes, zu dem wir mit beigetragen haben und das dazu geführt hat, dass wir wie Japan in großem Umfang Exportüberschüsse und Leistungsbilanzüberschüsse haben, als erste gehalten, Konjunkturprogramme aufzulegen, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren. ({41}) Warum sehen Sie diese Zusammenhänge nicht? Warum begreifen Sie das nicht? Wir sind als erste dazu verpflichtet, weil wir Waren produziert haben, die im Saldo eigentlich in anderen Ländern hätten produziert werden müssen. Das heißt, wir haben Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftet. Welche Länder sind denn jetzt als erste gefordert, die Weltwirtschaft zu stabilisieren? Das sind doch nicht diejenigen, die große Defizite angehäuft haben, sondern diejenigen, die Überschüsse erzielt haben. Das heißt, Sie versagen an dieser Stelle auf der ganzen Linie, und das wird in Europa so gesehen: von Frankreich bis in die anderen europäischen Staaten. ({42}) Das zweite Ungleichgewicht besteht bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die jüngsten Zahlen werden immer eindeutiger. Aufgrund der falschen Philosophie, die Sie vorhin wieder vorgetragen haben, werden sich die Einkommen und Vermögen immer weiter auseinanderentwickeln. Sie haben ja alles dafür getan: steuerlich und durch Ihre Arbeitsmarktgesetzgebung. Marktwirtschaft und soziale Marktwirtschaft funktionieren aber nicht ohne ein gewisses Gleichgewicht zwischen Einkommen und Vermögen in einer Volkswirtschaft. Die Ursache für die derzeitige Krise ist auch darin zu suchen, dass dieses Gleichgewicht empfindlich gestört wurde. Während eine Minderheit immer höhere Einkommen und größere Vermögen angesammelt hat, hat die große Mehrheit mit stagnierenden Löhnen und stagnierenden Renten zu tun. Das ist eine der Ursachen für die ökonomische Schwäche, die Deutschland derzeit aufweist. ({43}) Die Frage, wie man diese Krise bekämpfen kann, ist sehr einfach zu beantworten. Man muss dort ansetzen, wo man bisher Fehler gemacht hat. Es ist richtig, dass Sie die degressive Abschreibung jetzt wieder einführen. Die Linke hat über Jahre dafür gekämpft und entsprechende Anträge eingebracht, die immer wieder abgelehnt wurden. Wir erkennen aber an, dass Sie diesen Schritt jetzt gehen. Denn dahinter steht die Philosophie, nicht den spekulierenden, sondern den investierenden Unternehmer zu belohnen. Aber dazu bräuchte es eine andere Steuergesetzgebung. ({44}) Es ist auch richtig, dass das Kurzarbeitergeld verlängert wird. Denn das ist eine bessere Lösung als Leiharbeit, bei der die Leiharbeiter wieder entlassen werden, oder befristete Arbeitsverträge, bei denen die Menschen sehr schnell wieder auf der Straße stehen. Das alles ist richtig. Aber dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, jetzt den Banken vorwerfen, sie seien Kaltblüter im Winter, wirft die Frage auf, warum Sie selbst sich bei der Bekämpfung der Konjunkturkrise so kaltblütig im Winter verhalten und die Politik der ruhigen Hand praktizieren. Während China 8 Prozent und die Vereinigten Staaten 2 Prozent des Bruttosozialproduktes einsetzen, um die Konjunkturkrise zu bekämpfen, halten Sie mit 0,15 Prozent dagegen und sagen: Vielleicht werden wir irgendwann etwas anders machen. Das ist nichts anderes als ein klägliches Versagen. Sie haben die Dimension nicht erkannt. ({45}) Wir werden dies mit einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit bezahlen müssen, für den Sie persönlich dann die Verantwortung tragen, und zwar aufgrund der zögerlichen Bekämpfung der konjunkturellen Krise. Glauben Sie nicht, dass die anderen Volkswirtschaften aus Leichtfertigkeit mit großen Summen antreten, um den Einbruch zu bekämpfen! Erinnern Sie sich der Tatsache, dass wir als Erste verpflichtet sind, ein Konjunkturpaket zu schnüren, um den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen! Ich sage Ihnen - ich greife Ihren Satz auf -: Es stimmt, dass man diese Krise nur auf der Grundlage richtiger Grundsätze und Leitsätze bekämpfen kann. Solange aber nach wie vor die Philosophie des Neoliberalismus mit Deregulierung, Flexibilisierung, Privatisierung und Senkung der Staatsquote Ihr Handeln bestimmt, so lange werden Sie die Krise verschärfen und nicht bekämpfen. ({46})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Peter Struck für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über den Bundeshaushalt 2009, die wir gerade führen, ist, wenn ich richtig gezählt habe, die 56. Debatte, die ich seit 1980 miterlebe. Seit 28 Jahren bin ich MdB. Pro Jahr gibt es in der Regel eine erste Lesung bei der Einbringung des Haushaltsentwurfs und im September die zweite und dritte Lesung. Als Mitglied des Haushaltausschusses, als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer, als Fraktionsvorsitzender und als Minister ist mir der Ablauf einer solchen Debatte überhaupt nicht neu: Die Regierung und die sie stützenden Koalitionsfraktionen loben sich für die gute Politik. Die Oppositionsfraktionen beklagen die hohen Steuern und die hohen Schulden, fordern mehr Ausgaben für soziale und andere Zwecke und versprechen, alles besser zu machen, wenn der Wähler sie nur ließe. Das ist die Normalität. In diesem Jahr ist aber die Debatte über den Haushalt 2009 völlig anders. Der gesamte Finanzmarkt ist nach der ersten Lesung im September dieses Jahres weltweit wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Ganze Industrien sind in ihrer Zukunft bedroht. Viele Menschen hierzulande befürchten, in diesen Strudel hineingerissen zu werden. Wer jetzt der Koalition vorwirft, sie gebe das Ziel der Nullverschuldung auf, blendet die Realität völlig aus. Noch absurder wird es dann, wenn die Krokodilstränen um den ausgeglichenen Haushalt mit überhitzten Forderungen nach immer gigantischeren Konjunkturprogrammen gepaart werden. Mit Leerverkäufen sind die Finanzmärkte gecrasht. Mit Leerversprechen ist der Realwirtschaft überhaupt nicht zu helfen. ({0}) Die Menschen haben ein Recht darauf, von uns zu erfahren, wo der Staat helfen kann und wo er nicht helfen kann, wo er überfordert ist. Die Reihenfolge der Regierung war genau richtig: Zuerst haben Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück klargestellt, dass der Staat für die Sicherheit der Spareinlagen steht. ({1}) Damit hat die Regierung um Vertrauen bei den Bürgern geworben und verhindert, dass sie massenhaft ihre Konten kündigen und damit den Geldverkehr zum Erliegen bringen. Umgekehrt: Wenn es nicht eine Instanz gegeben hätte, die den Sparern Vertrauen geschenkt hätten, hätte das Abräumen der Konten uns alle das Fürchten gelehrt. Insofern ist die schnelle Vertrauenserklärung von Kanzlerin und Finanzminister nicht hoch genug einzuschätzen. In einem zweiten Schritt hat die Regierung einen gewaltigen finanziellen Schutzschirm über die Banken gespannt, um zum einen das Vertrauen unter den Banken zu stärken und zum anderen ihre Liquidität bei der Kreditvergabe zu sichern. Diese Finanzoperation und Bürgschaft waren kein Geschenk an wenige abgehobene Zocker in den Chefetagen deutscher Banken, sondern ein Sicherheitsnetz für Wirtschaft und Sparer. ({2}) Lassen Sie mich etwas einfügen: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik in letzten Wochen viel an Reputation zurückgewonnen hat, und zwar nicht, weil wir so gut waren, sondern weil die Menschen gespürt haben, dass es außer ihrem Bankautomaten und ihrem Anlageberater noch etwas anderes geben muss, das für ihre Daseinsvorsorge eintritt, und das ist in diesem Fall der Staat. ({3}) Wir haben weltweit eine Renaissance des Staates erlebt. Paradoxerweise war er dort plötzlich besonders stark und wurde er dort am heftigsten herbeigerufen, wo er in der Vergangenheit nur noch ein Nachtwächterdasein führen sollte. Dem Schutzschirm für die Finanzwirtschaft - das war eine Operation am offenen Herzen - hat die Bundesregierung dank einer Fülle von Initiativen von Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier in einem zweiten Schritt einen Schutzschirm für Beschäftigung folgen lassen. Das war eine Reparatur bei laufendem Motor. Will sagen: Wir haben die Räder nicht neu erfunden, indem wir den Motor erst einmal ausgestellt und dann neue Techniken ausgetüftelt hätten; stattdessen haben wir Bewährtes verstärkt und ohnehin Geplantes noch zügiger verabschiedet. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen haben sich nicht damit aufgehalten, nach Etiketten zu suchen, sondern sie haben Ausschau gehalten, wo sie punktgenau die größte Hebelwirkung für die Entlastung der Wirtschaft, des Arbeitsmarkts und der Bürgerinnen und Bürger erzielen konnten. Das hat Erfolg gehabt. ({4}) Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen fördern in den Jahren 2009 und 2010 Investitionen und Aufträge von Unternehmen, privaten Haushalten und Kommunen in einer Größenordnung von rund 50 Milliarden Euro. Ich will einen Satz zu den Kommunen sagen und unterstreichen, was die Kanzlerin dazu gesagt hat. Ich weiß, dass in manchen Ländern Kommunen über Landesgesetze gehindert werden, die Mittel, die wir bereitstellen könnten und würden, zu nehmen. Ich fordere die Innenminister dieser Landesregierungen auf, diese Schranke zu beseitigen, weil gerade Investitionen im kommunalen Bereich erfolgversprechend wären und viel bewirken würden. Wir sollten da nicht nachlassen. ({5}) Darüber hinaus gewährleisten Maßnahmen zur Sicherung der Finanzierung und Liquidität von Unternehmen die Finanzierung von Investitionen im Umfang von gut 20 Milliarden Euro. Zusammen mit den vom Kabinett am 7. Oktober beschlossenen Initiativen werden allein in den Jahren 2009 und 2010 Mittel von mehr als 30 Milliarden Euro aus den öffentlichen Gesamthaushalten zur Verfügung gestellt. Das Bündel der Instrumente ist breit gefächert. Es reicht von der Auflegung eines Innovations- und Investitionsprogramms Verkehr über die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms bis hin zur Entlastung privater Haushalte als Auftraggeber. Herr Kollege Brüderle, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm als Styroporprogramm zu bezeichnen, ist wirklich eine Unverschämtheit. Jeder weiß, welch große Wirkung das in Bezug auf Energieeinsparung hat. ({6}) Es ist auch besonders wichtig, dass wir beschlossen haben, die privaten Haushalte als Auftraggeber und als Arbeitgeber steuerlich zu entlasten. Natürlich sind die Stärkung der Kaufkraft durch die Erhöhung des Kindergeldes und des Wohngeldes genauso wichtig. Dieses Paket muss im Verbund mit Entscheidungen gesehen werden, die wir längst getroffen haben. Wir haben durch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent auf 3 Prozent und weiter auf 2,8 Prozent dafür gesorgt, dass alle Arbeitnehmer mehr Netto vom Brutto haben. Ich erwarte an dieser Stelle den Dank der Arbeitgeber, die uns immer aufgefordert haben, diese Maßnahmen durchzuführen; jetzt, da sie erfolgt sind, werden weitere Forderungen gestellt. Es ist ein wichtiger Schritt, dass wir die Beiträge zur Arbeits20348 losenversicherung im Laufe der drei Jahre dieser Wahlperiode halbiert haben. Ein Wort des Dankes wäre also schon angebracht. ({7}) Das sind nämlich insgesamt Entlastungen von mehr als 30 Milliarden Euro für die Arbeitgeber und für die Arbeitnehmer. Wir haben mit dieser Abgabensenkung vor allem den Beziehern unterer und mittlerer Einkommen geholfen. Eines will ich angesichts der aktuellen Debatte in der Union zu Steuersenkungen auch einmal sagen: Mit Steuersenkungen erreicht man Haushalte mit niedrigen Einkommen überhaupt nicht mehr, weil die Hälfte aller Haushalte - in absoluten Zahlen: 23,5 Millionen Haushalte - überhaupt keine Einkommensteuer zahlen. Es ergibt doch keinen Sinn, weiter über Steuersenkungen zu reden, wenn eine Unternehmensteuerreform auf den Weg gebracht worden ist und der Staat in einer finanziellen Situation wie der jetzt vorzufindenden ist. Ich empfehle dringend, die Debatte über Steuersenkungen sein zu lassen. Das wird nicht möglich sein. Das Geld ist nicht da. ({8}) Wir werden morgen - die Vorredner haben das teilweise schon angesprochen - nach langem Ringen, wie ich es in dieser langen Zeit auch noch nicht erlebt habe, eine Erbschaftsteuer verabschieden, die den Erhalt von Unternehmen belohnt und den Ländern gleichzeitig 4 Milliarden Euro für Bildung und andere Zukunftsinvestitionen zur Verfügung stellt. Es ist ein großer Erfolg, dass die Erbschaftsteuer erhalten bleibt, und zwar in dem von uns festgelegten Umfang. ({9}) Ein Wort zur Bildung. Eine der wichtigsten Bildungsinitiativen für den Arbeitsmarkt der Zukunft geht nicht von dem Hause Schavan, sondern von dem Hause des Arbeitsministers aus. Ich rede hier von dem Recht auf einen Hauptschulabschluss; ein großer Erfolg im Bereich der Bildungspolitik. ({10}) Wenn man weiß, dass von den 3 Millionen Arbeitslosen 500 000 ohne Hauptschulabschluss, überhaupt ohne einen Schulabschluss sind, dann kann man erahnen, wie wichtig diese Qualifizierungsoffensive ist. Es darf nämlich nicht sein, dass wir tatenlos hinnehmen, dass die Hälfte der Langzeitarbeitslosen über keinen Berufsabschluss verfügt. Diese Initiative ist ein großer Fortschritt für die 500 000 Arbeitssuchenden. Sie ist aber auch ein geeignetes Instrument, um in Zeiten drohenden Fachkräftemangels die menschlichen Ressourcen und Fähigkeiten zu nutzen. Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen - an die möchte ich mich jetzt einmal besonders richten -, lassen Sie uns doch das breitgefächerte Bündel an Maßnahmen, das beschlossen worden ist, nicht kleinreden. Stattdessen sollten wir in unseren Wahlkreisen intensiv verbreiten, was wir getan haben. Wir sollten mit den Bürgermeistern, mit den Landräten darüber reden, was noch möglich ist. Wir wollten den Kommunen Hilfe geben. Wir wollen auch den Menschen sagen, was alles durch die Programme des Bundes noch möglich ist. Wir müssen offensiv und positiv darüber reden und nicht immer nur feststellen, was alles noch fehlt. So wird man in der Politik keine Erfolge haben. ({11}) Ich will eine Anmerkung zur ökonomisch-ökologischen Diskussion machen. Es ist doch absurd, in der Diskussion so zu tun, als ginge es etwa in der Automobilindustrie darum, Klimaziele gegen Absatzziele und Arbeitsplatzverluste auszuspielen. Auf eine solche Debatte - einerseits Klima, andererseits Autos - kann man sich nur einlassen, wenn man nicht ahnen kann, was von Amerika auf uns zukommt. Der Wind of Change, der von Obama ausgeht, wird uns in dieser Frage in den nächsten Monaten massiv beschäftigen. Obama sagt: Klima ist das Wichtigste. Man muss sehen, dass daraus eine große Konkurrenz für Deutschland erwachsen kann, der wir weder taten- noch hilflos begegnen sollten; vielmehr müssen wir im Bereich des Klimaschutzes etwas tun. Dazu gibt es gar keine Alternative. ({12}) Wer glaubt, er könne einen Schutzzaun um die Klimavorgaben bauen, der kann seine Autos auf absehbare Zeit vielleicht nur noch in die Vereinigten Arabischen Emirate verkaufen. Machen wir uns doch nichts vor: Die deutsche Autoindustrie war zu sehr von sich überzeugt und zu gesättigt, um in Sachen CO2-Reduzierung mehr zu tun. ({13}) Ich bin mir sicher: Unsere Autobauer werden den nötigen Kurswechsel schaffen. Sie haben ihn nur verschlafen. Sie müssen jetzt langsam in die Gänge kommen. ({14}) Ich befürchte, dass sich dieses Abwarten im Falle von Opel und Ford rächt, weil ihnen die Blaupausen in den Schubladen fehlen, um gewichtigere Worte bei ihren Mutterkonzernen in den USA mitreden zu können, wenn sie nach Obamas Ankündigungen von heute auf morgen umsteuern müssen. Die Entscheidung der Regierung in Sachen Opel steht noch bevor; die Kanzlerin hat davon gesprochen. Da ich unseren Finanzminister kenne, weiß ich, dass sie bei der Regierung in guten Händen ist. Davon unabhängig bin ich schon erstaunt, wer alles jetzt nach Hilfe vom Staat ruft und erwartet, dass der Staat es richten wird. Peer Steinbrück ist wirklich ein guter, ich sage sogar: ein sehr guter Finanzminister. ({15}) Er ist aber, erstens, keine Revisionsinstanz für Managementfehler in Deutschland. ({16}) Er ist, zweitens, leider noch viel weniger Weltfinanzminister. Ich weiß nicht, ob er das gern wäre; ich glaube es nicht. Er minimiert durch sein umsichtiges Verhalten die Gefahren für Deutschland; aber er kann den anderswo zu verantwortenden Crash der Weltfinanzen nicht ungeschehen machen. Das könnte er auch nicht, wenn wir ihm - was er nicht will, was auch ich nicht will - immer weitere Milliarden für seine internationalen Verhandlungen als Blankoscheck geben würden. Der Finanzminister ist an diesem Punkt eher ein bescheidener Mensch. Wir sollten ihm glauben: Am deutschen Finanzwesen wird der Crash nicht genesen. - Wir können ihm noch so viele Milliarden mitgeben: Deutsches Geld wird nicht reichen, um für uns ein Rundumwohlfühlpaket zu schaffen. Mich beeindruckt im Übrigen eine Fußnote im Weltfinanztheater. Zur Stabilisierung der amerikanischen Wirtschaft wären zwei Drittel aller weltweiten Spareinlagen vonnöten: von Australien bis Korea, von Japan bis Argentinien. Deutschlands Sparquote ist zwar hoch - das wissen wir -, aber auch da wären wir als alleiniger Spieler hoffnungslos überfordert. Deswegen finde ich es, drittens, klug, dass die Regierung auf eine enge internationale, vor allem europäische Abstimmung setzt. ({17}) „Enge Abstimmung“ heißt aber nicht, auf nationale Maßnahmen zu verzichten. Es muss einen Mix aus nationalen Wegen und europäischen Impulsen geben. Klug abgestimmt, können sie sich gegenseitig verstärken. Aber nicht jede getroffene nationale Maßnahme empfiehlt sich zum Kopieren in anderen Ländern - zu unterschiedlich sind die wirtschaftlichen Ausgangslagen, zu verschiedenartig die Betroffenheiten durch den Zusammenbruch der Finanzmärkte. Die Instrumente in einem postindustriellen Land wie Großbritannien können und müssen anders aussehen als in stärker industriell geprägten Ländern wie Frankreich oder Deutschland. Richtig ist aber auch, dass Europa gemeinsame Impulse für Beschäftigung setzen kann. Deshalb halte ich den von Außenminister Steinmeier vorgeschlagenen Europäischen Zukunftspakt für Arbeit für sinnvoll und unterstützungswürdig. ({18}) Ich habe meine sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzendenkollegen in den Parlamenten der Europäischen Union gebeten, die Vorschläge in ihren nationalen Debatten zu unterstützen; denn wir müssen alles tun, um die europäischen Möglichkeiten beim Ankurbeln der Weltwirtschaft optimal zu nutzen und zu stärken. Wenn uns dies gelingt, liegt in der momentanen Krise auch die Chance, die Schlagkraft der europäischen Wirtschaft durch ein sinnvolles Zusammenwirken insgesamt zu stärken. Meine Damen und Herren, auf nationaler Ebene sollten wir trotz andersgerichteter Debatten im Augenblick die Neuordnung der Finanzbeziehungen nicht aus den Augen verlieren. Gerade die gegenwärtig schwierige Lage sollte Ansporn sein, dass wir die Föderalismusreform II zu einem erfolgreichen Ende bringen. ({19}) Gemeinsam mit meinem Kovorsitzenden Günther Oettinger werde ich alles tun, um auf Bundes- und Länderebene ein sinnvolles und praktizierbares Schuldenfrühwarnsystem zu installieren. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation sollten sich alle Beteiligten fragen - das richten wir an die Kollegen von der FDP und auch an manche Kollegen aus der Union -, ob ihre bisherigen Vorschläge in dieser Lage realitätstauglich gewesen wären. Nach meinem Verständnis haben die letzten Wochen eher gezeigt, dass eine starre Schuldengrenze von null alle Handlungsspielräume des Staates verschüttet. ({20}) Insofern kann es sich für die Debatte als Chance erweisen, dass die Arbeit der Kommission erst jetzt in die entscheidende Phase geht. Es muss in diesem Jahr aber klargestellt werden, wohin die Reise gehen soll. Darüber müssen wir uns einigen. Einige wenige Anmerkungen zu aktuellen außenund sicherheitspolitischen Themen will ich doch machen. Wir dürfen - das ist die Lehre aus der Finanzkrise Anarchie und Gesetzlosigkeit auf internationaler Ebene nicht zulassen. Das gilt nicht nur für das Finanzsystem, sondern für die internationalen Beziehungen insgesamt. Vor der Küste von Somalia erleben wir derzeit, welche Folgen es hat, wenn Staaten zusammenbrechen, zu sogenannten Failed States werden, wenn Regierungen nicht mehr in der Lage sind, für Recht und Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet zu sorgen. Wir können nicht zulassen, dass diese rechtsfreien Räume von Kriminellen und Terroristen usurpiert werden. Das kann eine zivilisierte Gesellschaft nicht dulden. Es steht für mich deshalb völlig außer Frage, dass die internationale Gemeinschaft gegen die Piraten vor der Küste Somalias vorgehen muss. ({21}) Es steht ebenso außer Frage, dass Deutschland sich daran beteiligen muss. Mit Blick auf die nicht ganz einfachen Beratungen innerhalb der Bundesregierung sage ich aber auch: Wenn wir helfen wollen, Recht und Gesetz auf internationaler Ebene durchzusetzen, dann müssen wir auch selbst sehr genau darauf achten, nach Recht und Gesetz zu handeln. Ich warne jeden, der rechtsstaatliche Bedenken mit einem Handstreich beiseitewischen möchte: Wir dürfen uns hier nicht auf eine schiefe Ebene begeben. Wohin das am Ende führen kann, haben wir am Beispiel Guantánamo erlebt. Das wollen wir natürlich überhaupt nicht herbeiführen, meine Damen und Herren. ({22}) Deshalb unterstütze ich ausdrücklich die sorgfältigen Vorbereitungen einer deutschen Beteiligung an der EUMission zur Pirateriebekämpfung durch die Bundesregierung. Ich unterstütze mit Nachdruck auch den Vorstoß von Außenminister Steinmeier bei den Vereinten Nationen, die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes zu prüfen; nach meinem Dafürhalten wäre dies am Ende wahrscheinlich die beste und auch einfachste Lösung für uns. ({23}) Der Einsatz von Militär zur Bekämpfung von Gewalt und Terrorismus auf internationaler Ebene ist manchmal unabdingbar. Das gilt für die Piraten vor der Küste Somalias ebenso wie für die Terroristen und ihre Unterstützer in Afghanistan. Aber hier wie dort, in Somalia wie in Afghanistan, gilt: Am Ende werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir eine politische Strategie haben, mit der wir die Ursachen bekämpfen. Wir setzen in Afghanistan deshalb auf eine Kombination von militärischer Absicherung und zivilem Wiederaufbau. Wir werden auch mit Blick auf Somalia intensiv darüber nachdenken müssen, wie wir politisch zur Stabilisierung dieses innerlich zerrissenen Landes beitragen können. Mit Blick auf Afrika insgesamt füge ich eines hinzu - ich denke viel darüber nach, nicht nur aufgrund der Fernsehberichterstattung -: Der Kampf gegen die Piraten ist natürlich dringend notwendig. Das ist gar keine Frage. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, was die Menschen im Kongo und im Sudan nach wie vor zu erleiden haben. Hier haben wir eine Verpflichtung, meine Damen und Herren. Wir dürfen dem nicht tatenlos zusehen. ({24}) Wenn es eine Konsequenz aus der Finanzmarktkrise gibt, dann an erster Stelle die, dass ein starker, handlungsfähiger Staat gerade in Zeiten globaler und offener Märkte des 21. Jahrhunderts wichtiger ist denn je. Ich finde es erstaunlich, wer in den letzten Wochen und Monaten nach dem Staat gerufen hat. Gerade die verlangen jetzt Wunderdinge von ihm, die ihn noch vor einem halben Jahr in die Mottenkiste verbannen wollten. ({25}) Der Staat kann nicht alles regeln. Das weiß ich; das wissen wir alle. Wir sollten aber jedem Allmachtswahn einen Riegel vorschieben und uns vor nicht einhaltbaren Versprechen hüten. Aber der Staat kann eines: Er kann und muss für eine gestaltete soziale Marktwirtschaft sorgen. Er muss dem Markt einen ethischen und rechtlichen Rahmen geben. Auch die Bedeutung des ethischen Rahmens ist gerade im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise besonders deutlich geworden. Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, die Chance nutzen, um diesen Rahmen bei allen wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen. Ich bin der festen Überzeugung: Deutschland wird aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Unser Land wird es schaffen. ({26})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier eine Rede gehalten, bei der Sie mit dem Satz „2009 wird ein Jahr schlechter Botschaften“ jetzt schon einmal sicherheitshalber erklärt haben, für was alles Sie selbst nicht verantwortlich sein werden und was Sie alles nicht tun können. Sie haben uns hier erzählt, Sie wollten aber in der Zeit der Not eine Brücke bauen, damit es 2010 besser werde. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Bei Ihrer Rede, Frau Merkel, habe ich nicht verstanden, wohin die Brücke, von der Sie sprechen, eigentlich führen soll. ({0}) Sie haben hier munter über das Sowohl-als-auch geredet. Schauen wir uns einmal an, wie Ihre Politik in den Zeiten der Krise aussah. Ich gebe freihand vorneweg zu: Sie haben an manchen Stellen zeitlich richtig reagiert, zum Beispiel an dem Sonntag, als Sie und Herr Steinbrück etwas zu den Sparguthaben gesagt haben. Das, Frau Merkel, ist aber ehrlich gesagt schon alles. Sie reden über Brücken, die Sie in die Zukunft bauen wollen. Dann fangen Sie hier an, uns zu erklären, dass Sie eine Kfz-Steuer-Befreiung für den Porsche Cayenne finanzieren wollen. Diese Brücke führt nicht in die Zukunft, sie geht rückwärts. ({1}) Sie haben hier erzählt, die Bundesregierung werde das Notwendige tun. Sie wollten hier eine Botschaft von Maß und Mitte senden. Frau Merkel, „Mitte“ bedeutet aber noch nicht Bewegung. An dieser Stelle haben Sie nicht einmal Mut zur Zukunft. ({2}) Herr Kampeter, wenn ich mir anschaue, welche Schritte Sie in den letzten drei Jahren Ihrer Regentschaft hier vollbracht haben, dann muss ich sagen: Es gibt für uns - für die Fraktion der Grünen und für das Land - überhaupt keinen Ansatzpunkt, zu glauben, dass Sie auch nur eine Ihrer schönen Versprechungen in die Realität umsetzen würden. ({3}) In Ihrer Regierungszeit ist die Schere zwischen Arm und Reich noch größer geworden; Ihre Vorschläge laufen darauf hinaus, sie noch größer zu machen. In Ihrer Regierungszeit sind wir bei den Umwelttechnologien keinen einzigen Millimeter weiter vorangekommen. Im Gegenteil: Sie sind die Regierung der Ausnahmen. ({4}) Sie loben sich für sinkende Arbeitslosigkeit, für die Sie und die Regierung aber gar nichts können. Sie hatten nicht den Mut, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Frau Merkel, Sie sagen hier: „Gerade in Krisen muss man klare … Leitsätze haben“, es brauche eine „Politik … der praktischen Vernunft“ und eine ethische Dimension. Sie können es sich gerne selber schönreden; ich sehe diese ethische Dimension bei Ihnen nicht. Ich sehe nur: Heute habe ich wieder eine neue Frau Merkel kennengelernt. Sie haben sich zum so und so vielten Mal neu erfunden: auf jedem Parteitag wieder, im letzten Wahlkampf und jetzt schon wieder. Es gibt gar keinen Grund, Ihnen auch nur ein Wort zu glauben. ({5}) Frau Merkel, jetzt müsste man den Mut haben, Zukunft zu wagen. Jetzt müsste man den Mut haben, sich von den alten Lobbyistinnen und Lobbyisten loszusagen. Wir sehen doch, dass alle Prämissen erodieren, dass die alte Art des Wirtschaftens so nicht mehr funktioniert und nicht mehr akzeptiert wird. Mit Konsum und Wachstum geht es so nicht weiter, weil Natur, Menschen, die Staaten im wahrsten Sinne des Wortes dagegenarbeiten. Sie haben den Zusammenbruch mit den drei Krisen gesehen. Die Grundlagen des Industriezeitalters sind uns sozusagen unter den Füßen weggezogen worden. Das haben Sie quasi selbst organisiert. Frau Merkel, in dieser Zeit haben wir einen Mangel an Leitplanken, an Regeln, an Schutz und an internationalen Strukturen. Sie haben dazu heute nur Allgemeinplätze geboten. ({6}) Frau Merkel, man muss dann auch sagen, dass man die alten Regeln des Industriezeitalters über Bord wirft, weil gerade diese Wirtschaftsweise gescheitert ist. Man darf hier nicht nur über grüne Technologie reden; jedes Handeln von Ihnen ist im Widerspruch zu dem, was Sie hier erzählen, Sie tun ständig das Gegenteil. Wissen Sie, wie der Spitzname von Frau Merkel in Brüssel lautet? Madame Non. Sie tun nämlich so, als würden Sie vorangehen wollen; aber am Ende tun Sie immer wieder das Gegenteil. ({7}) Sie haben hier zu Anfang der Legislaturperiode gesagt: „Ich will Deutschland dienen.“ Sie haben gesagt, in Deutschland begännen „neue Gründerjahre“, es gebe eine „Koalition der neuen Möglichkeiten“ und: „Wir wollen niemanden zurücklassen.“ Frau Merkel, Sie haben, wenn wir einmal zurückschauen, in diesen drei Jahren Gipfel für Gipfel für Gipfel erklommen und sich inszeniert; aber ich kenne keinen einzigen Gipfel, bei dem Sie am Ende Ihrer Wanderschaft die andere Seite des Berges erreicht haben. Sie sind immer mit großem Tamtam und viel Medienaufmerksamkeit den Berg hinaufgestiegen; nachts sind Sie an der gleichen Seite wieder heruntergegangen. Es hat sich nichts geändert, trotz der Mehrheiten, trotz der Tatsache, dass Deutschland im konjunkturellen Aufschwung war, trotz der Tatsache, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern tief in die Tasche gegriffen haben, zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer. Frau Merkel, heute haben wir nicht nur eine Finanzkrise, eine Welternährungskrise und eine Klimakrise, sondern wir leiden auch darunter, dass Deutschland drei verlorene Jahre für Reformen hinter sich hat. ({8}) Sie haben keinen Plan. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Sie repräsentieren die gesellschaftlichen Beharrungskräfte Deutschlands im Deutschen Bundestag. Frau Merkel, die Menschen haben Sorgen. Sie sorgen sich um ihre Jobs, um die Zukunft ihrer Kinder, um die Auswirkungen des Klimawandels, die einige schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und was machen Sie neben Ihrer hübschen Rede heute? Sie unterhalten das Land mit den Inszenierungen der koalitionsinternen Streitigkeiten und der Streitigkeiten zwischen CDU und CSU. Das zeigt, dass Sie noch nicht wissen, was die Uhr geschlagen hat. ({9}) Wohin wollen Sie eigentlich? Sie reden über Pläne und Ziele. Wollen Sie Politik für alle Kinder machen, oder wollen Sie Steuersenkungen für diejenigen, die viel brutto haben? Wollen Sie Politik für alle Kinder machen, indem Sie in Bildung investieren, oder wollen Sie die Millionärsvillen schützen, wie vor allem die CSU es fordert? ({10}) - Da können Sie gerne zwischenrufen. Das ganze Land hat es gesehen. Sie haben sich nicht mit der gleichen Verve um Bildung für alle Kinder in diesem Land bemüht, mit der Sie sich darum bemüht haben, dass die Villen, die steuerfrei vererbt werden können, einen möglichst hohen Wert haben können. ({11}) Und wir sollen auch noch in Dankbarkeit niederknien, ({12}) dass Sie bei der Erbschaftsteuer überhaupt irgendetwas entschieden haben, an dessen Wirksamkeit im nächsten Jahr Sie selber gar nicht glauben. Was sollen eigentlich die Leute draußen bei dieser Inszenierung innerhalb der Koalition und der Regierung denken? Sie mögen zwar zahlenmäßig zurzeit die größte der Fraktionen in diesem Hause sein; aber die Leute draußen haben nicht das Gefühl, dass Sie sich um ihre Jobs und die Bildung ihrer Kinder kümmern. Sie kümmern sich nur um sich selbst. ({13}) Wenn ich daran denke, was die selbsternannte Klimakanzlerin in der letzten Zeit alles zum Besten gegeben und welche Ziele sie für 2050 in die Umlaufbahn geschickt hat, kann ich nur sagen: Da muss man sich schon einmal entscheiden. Will man wirklich ehrgeizige Klimaziele für 2020 und 2050 setzen? Will man in der Automobilindustrie Jobs durch die Produktion moderner Autos schaffen, oder will man bei Luxusschlitten mit 390 Gramm CO2-Ausstoß für eine steuerliche Entlastung sorgen? Diese Entscheidung haben Sie bis heute nicht getroffen. ({14}) Sie sind an dieser Stelle die Partei des Sowohl-als-auch. Gestern gab es dann eine richtige Lachnummer. Nachdem Frau Merkel die CSU hinsichtlich der von ihr gewünschten Steuersenkung vor der Bayern-Wahl hat am ausgestreckten Arm verhungern lassen - da haben Sie ja alle gelitten und gedacht, das Ergebnis der Wahl hätte besser sein können; Ihre gesamte Landesregierung ist darüber implodiert -, ist nun der Zoff so groß, dass man sich vor den Neujahrsklausuren noch einmal treffen muss, um doch wieder über eine Steuerreform zu reden, damit das Treffen in Wildbad Kreuth nicht wie eine Atombombe zündet. Was sollen die Leute eigentlich denken? Ein Plan, eine Strategie für Deutschland, Frau Merkel, sieht anders aus. ({15}) Im Haushalt haben Sie die Finanzkrise bis zum Ende geleugnet. Sie rechnen sich die Zahlen heute immer noch schön. Sie haben die Absicht, einen Haushalt für morgen vorzulegen; aber in Wahrheit schieben Sie uns die Zahlen von vorgestern unter. Sie legen einen Haushalt vor, von dem Sie behaupten, es sei ein Haushalt von morgen; aber dieser Haushalt enthält die Werkzeuge und Maßnahmen von gestern. Mit den Ideen, die in diesem Haushalt stecken, werden wir die Zukunft dieses Landes nicht bauen können. Sie haben die Vernetzung von Klima, Ernährung und Finanzkrise bis heute nicht gesehen. Ich muss Ihnen sogar vorwerfen, dass Sie wiederholt nicht nur das Gegenteil von einer Bekämpfung der Krise tun, sondern die Krise international noch verschärfen. Schauen wir uns einmal an, was Sie zum Thema Welternährungskrise in den letzten Monaten gesagt und getan haben. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Doppelbödigkeit. Sie haben bei der ersten Krise, die aufgetreten ist, Krokodilstränen geweint, sich, ganz christlich, Gedanken über die Welternährung gemacht und gesagt, Sie wollten die Menschen retten, die auf dieser Welt hungern. Was haben Sie dann getan? In diesem Haushalt ist immer noch nicht genug Geld für die Entwicklungshilfe vorhanden. Sie haben letzten Endes die alte Agrarlobby bedient und noch Exportsubventionen für Schweinefleisch hinterhergeworfen. Das Schweinefleisch aus Europa macht aber die Fleischmärkte in Afrika kaputt, weil die Leute dort ihre Produkte nicht mehr verkaufen können. Sie haben in Brüssel gegen eine Reform der Agrarsubventionen und gegen einen Umbau hin zum Klimaschutz, zur Artenvielfalt und zum Tierschutz gekämpft. Das alles ist das Gegenteil von dem, was Sie wollten. Das hilft nicht, die Welternährungskrise zu lösen. ({16}) Sie haben an dieser Stelle gesagt, Sie wollten etwas für das Soziale und für die Kinder tun. Was tun Sie aber für Kinder mit Blick auf Kindergärten und Schulen? Ihre Regierungszeit hat mit der Föderalismusreform begonnen. Sie haben zwar ordentlich auf den Putz gehauen, aber den Rest an Bundeskompetenzen aufgegeben. Da haben wir gesehen, wie groß die Macht der Bundeskanzlerin im Vergleich zu den Ministerpräsidenten ist - sehr klein. Herr Koch hat sich nämlich durchgesetzt. Sie, Frau Merkel, sind verantwortlich dafür, dass in der Bildungsfrage - das ist die zentrale Frage dieser Gesellschaft, weil wir eine Bildungsgesellschaft sind - nicht mehr die Möglichkeit besteht, dass Bund und Länder gemeinschaftlich handeln. Sie haben sich an dieser Stelle schuldig gemacht, weil so die Zukunft unseres Landes verbaut wird. ({17}) Weil es immer heißt, man müsse im Bildungswesen auch Spätzündern eine Chance geben, könnte ich jetzt sagen: Vielleicht ist Frau Merkel ja eine Spätzünderin und hat erst spät - aber immerhin - verstanden. ({18}) Sie haben einen Bildungsgipfel gemacht, von dem ich dachte, dass da etwas Neues kommt. Dieser Gipfel ist aber ebenfalls Sinnbild der Merkel’schen erfolglosen und sinnlosen Gipfelstürmerei. Es wird zwar über große Pakete gesprochen - wie auch hier -, aber kein einziger Euro wird in die Zukunft unserer Kinder investiert. Das ist nicht zukunftstragend, Frau Merkel. ({19}) Sie haben es nicht einmal geschafft, dafür zu sorgen, dass die Ministerpräsidenten zusagen, die Einsparung aufgrund weniger Kinder, also die demografische Rendite, in Zukunft für die Bildung der Kinder einzusetzen. Stattdessen bieten Sie uns hier und heute eine Kindergelderhöhung an. Diese bieten Sie auch in Brüssel an nach dem Motto: „Das große Konjunkturpaket Deutschlands enthält unter anderem 10 Euro Kindergelderhöhung.“ So viel Mut muss man einmal haben, 10 Euro Kindergelderhöhung in ein Konjunkturpaket zu packen und als große Armutsbekämpfung zu betiteln. Dabei kann man über diese Erhöhung nur eines sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat Sie mit seiner Rechtsprechung dazu gezwungen - nicht mehr und nicht weniger. ({20}) Sie haben nicht einmal die Frage beantwortet, wie die Kinder der Ärmsten der Armen von der Erhöhung profitieren. Die 10 Euro Kindergelderhöhung werden nämlich mit den Transferleistungen verrechnet. Das heißt, diese Kinder haben nichts von einer Erhöhung. Wir wollen, dass uns in diesem Land jedes Kind gleich viel wert ist. Aber die mit den Transferleistungen verrechneten 10 Euro Kindergelderhöhung bringen uns da keinen Schritt weiter. ({21}) In einer Zeit des Wandels, wo wir wissen, dass Welternährungskrise, Weltklimakrise und die Finanzkrise zusammenhängen und nur über nationale Grenzen hinweg gelöst werden können, wo wir sehen, dass die alte Technologie nicht mehr zieht - die Autos stehen bei den Autokonzernen auf Halde; das gilt besonders für die USA -, wo wir wissen, dass alle - die Privathaushalte, der Mittelstand und sogar die großen Konzerne - Sorgen wegen der Energiekosten haben, muss man Zukunft wagen. Man muss jetzt den Mut haben, nicht mehr in das Alte zu investieren, sondern auf das Neue zu setzen und die Jobs von morgen und die Grundlagen der Zukunft zu schaffen. Sie tun das an keiner Stelle. Ich will noch auf einige Punkte eingehen und zunächst zum Thema Klima etwas sagen. Frau Merkel, die Ziele, die Sie nennen, sind gut. Ich war beeindruckt, als Sie vor der UN gesagt haben, bis 2050 solle der CO2Ausstoß halbiert werden. Bitte schön, fangen Sie an! Wir brauchen gerade wegen der Finanzkrise eine harte und scharfe Klimapolitik und eine neue Energiepolitik, weil wir nur so volkswirtschaftliche Schäden vermeiden und nur so die Jobs von morgen schaffen können. Gerade heute lesen wir wieder - die Jahresabrechnungen kommen ja bald auf die Privathaushalte zu -: Die Strompreise werden sich im nächsten Jahr um mindestens 8,5 Prozent erhöhen. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen keinen Eiertanz, sondern eine wirkliche Veränderung. Dann haben Sie doch den Mut, das Soziale, die Ökologie und die Ökonomie neu miteinander zu verbinden, diese Prämissen neu zueinanderzubringen und zu sagen: In Zukunft wirtschaften wir nicht mehr auf Kosten anderer, nicht mehr auf Kosten der Natur. Lassen Sie uns einen New Green Deal machen, einen neuen Deal, ({22}) der die Gesellschaft anders zusammenfasst und sagt: Jetzt gehen wir wirklich über die Brücke und verändern unsere Art zu wirtschaften. ({23}) Dieser New Green Deal wird ja nicht nur von uns vertreten. Obama nennt ihn; der UN-Generalsekretär nennt ihn. Wir wissen, wie man an dieser Stelle neue Arbeitsplätze organisiert, und zwar nicht mit Spritschluckern, Herr Kampeter. ({24}) Sie behaupten immer, Ihr Wischiwaschi - Sie machen eine Reform, sehen aber keine Sanktionen und keine Grenzwerte vor; also ist es irgendwie wieder keine Reform - sei im Interesse der Wirtschaft. Das ist falsch. Es ist nicht im Interesse der Wirtschaft und nicht im Interesse der Arbeitsplätze. Lassen Sie mich einmal die EU Corporate Leaders Group on Climate Change zitieren. Mitglieder sind so kleine Unternehmen wie die Allianz, Shell und viele andere. Sie haben diese Gruppe gegründet, um gegen Merkels Strategie in Europa zu kämpfen. Sie sagen: Der künftige Wettbewerbsvorteil … - der EU besteht darin, die europäischen Unternehmen zu ermutigen und in die Lage zu versetzen, an dem für die nächsten Jahrzehnte in der Weltwirtschaft erwarteten Transformationsprozess mitzuwirken und sich ihm nicht zu verschließen. Das sagen selbst die großen Konzerne. Sie sind weiter als Sie mit Ihren Sprechblasen. ({25}) Ich fordere Sie an dieser Stelle auf: Nehmen Sie endlich in Brüssel den Fuß von der Bremse! Sie kämpfen in Brüssel immer noch gegen die Einführung von CO2Grenzwerten für Neufahrzeuge. Sie haben sich gerade noch einmal gegen Sanktionen ausgesprochen. Wenn herauskommt, was die Bundesregierung in Brüssel vertritt, dann brauchen wir vielleicht gar keine Regelung, weil die Verbraucher sagen: „Wir kaufen den Scheiß nicht“ ({26}) und schneller für Klimaschutz sorgen als Sie mit Ihrem angeblichen Programm. ({27}) Sie machen sich an dieser Stelle mit Ihrer verbissenen Salamitaktik auch beim Emissionshandel schuldig. Dann tun Sie noch so mütterlich, als würden Sie die Interessen anderer Mitgliedstaaten mitvertreten wollen. Ich sage Ihnen: Wir sehen, was Sie machen. Sie haben keine Sorge um Polen, sondern sind im Hinblick auf den Großinvestor RWE nicht am Klimaschutz, nicht an der Situation in Polen interessiert, sondern schon wieder nur am Profit von RWE. So macht man aber keinen Klimaschutz, und so schafft man auch nicht die Jobs der Zukunft. ({28}) Sie haben beim Thema Gerechtigkeit in den letzten drei Jahren nichts anderes bewirkt als die Tatsache, dass die Einkommensschere zwischen Arm und Reich in diesem Land noch größer wird. Warum können wir in wenigen Tagen ein Finanzmarktpaket aus dem Boden stampfen, aber bis heute nicht die Regelsätze für Hartz-IVEmpfänger auf 420 Euro erhöhen? ({29}) Wir alle wissen doch: Das Leben ist mit dem heutigen Regelsatz nicht mehr bezahlbar. Warum reden Sie auf der einen Seite über ein stärkeres Anschieben der Konjunktur und des Konsums, sagen auf der anderen Seite aber nicht, dass Sie mit Progressivmodellen, in denen die Lohnnebenkosten übernommen werden, oder durch vereinbarte Mindestlöhne dafür sorgen, dass die Ärmeren ihr Leben finanzieren können? Dieses Geld würden sie im Übrigen sofort investieren, und dies würde zum Konsum beitragen. ({30}) Wieso behaupten Sie hier, Sie würden in die Zukunft gehen und Brücken bauen wollen, und haben an dieser Stelle nicht den Mut, zu sagen: „Ab dem nächsten Jahr investieren wir über den Haushalt Geld in Bildung“? In diesem Land gehen 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit 15 aus der Schule, ohne lesen und rechnen zu können, also auf Grundschulniveau. Das ist nicht in Ordnung. Das ist ungerecht. Da antwortet man mit einem Bildungssoli, indem die ganze Gesellschaft die Finanzierung von Kindergärten und Schulen für jedes Kind und nicht nur für die der Reichen übernimmt. ({31}) Man kann an dieser Stelle nur dankbar sein, dass sich der Osten dem westdeutschen System schon verweigert hat. Das Schulsystem im Osten ist eher Vorbild für den Westen. Was machen Sie? Sie finanzieren weder Bildung noch schaffen Sie mehr Studienplätze. Mein letzter Punkt: Frau Merkel, Sie haben beim Thema Gerechtigkeit das Soziale und die Marktwirtschaft angesprochen; so sage ich es einmal. Wir haben hier in wenigen Tagen ein Finanzmarktpaket aus dem Boden gestampft. Was aber immer noch fehlt, ist, dass Sorge dafür getragen wird, dass die Regeln für den Finanzmarkt endlich so aufgestellt werden, dass die Kundinnen und Kunden der Banken und Finanzdienstleister, dass das Individuum, dass Otto Normalverbraucher nicht mehr über den Tisch gezogen werden können. Diesbezüglich haben Sie bisher noch gar nichts geleistet. ({32}) Mehreren Tausenden von Beratungsstellen und Filialen der Finanzdienstleister und Banken stehen nur ungefähr 180 Verbraucherzentralen gegenüber, wo man eine unabhängige Beratung bekommen kann. Ich frage Sie: Wie finanzieren Sie die unabhängige Beratung der Kunden in Zukunft? Wie finanzieren Sie jetzt die Beratung und den Schutz der vielen Opfer, zum Beispiel von Lehman Brothers? Wann schaffen Sie endlich eine Finanzaufsicht, die die einzelnen Produkte untersucht und kontrolliert und die Produkte nur dann zulässt, wenn sie okay sind? Schaffen Sie Regeln für das Zustandekommen von Verträgen - das brauchen wir - und eine Beweislastumkehr bei falscher Beratung! Wir brauchen Haftungsregeln, damit diejenigen, die die Leute ins Unglück „organisieren“, dafür auch privat haften. Sie tun so, als hätten Sie bei der Finanzmarktkrise Ihre Hausaufgaben gemacht. Nein, Millionen von Bürgern stehen heute, morgen und übermorgen vor der Citibank oder bei Lehman Brothers und fragen: Wo ist mein Geld? An der Stelle haben Sie nichts getan. Nur die Banker und die Banken haben Sie geschützt. ({33}) - Ich gebe ja zu, dass die Rede von Frau Merkel hinten raus ein bisschen besser wurde. Was macht Frau Mustermann? Sie fragt: Wo ist mein Geld geblieben? Wer hilft ihr, sich durchzusetzen? Wer sorgt dafür, dass die Menschen, die mehr Eigenverantwortung für die Zukunft übernehmen sollen, in Zukunft nicht wieder auf die falschen Finanzdienstleistungen hereinfallen? An dieser Stelle haben Sie nichts getan. An dieser Stelle zeigt sich aber, ob Sie es mit einer sozialen und - ich sage - ökologischen Marktwirtschaft ernst meinen. Eine soziale Marktwirtschaft ist unter den Bedingungen des globalen Handels und der globalen Finanzen nur dann möglich, wenn Sie die Konsumenten, die Verbraucher wirklich rechtlich schützen. ({34}) Frau Merkel, Sie haben uns am Anfang Ihrer heutigen Rede erzählt, wie schwer die nächsten Jahre werden. Ich glaube, dass Ihre Rede über das Jahr 2009 dazu diente, sich vorab schon einmal zu exkulpieren, dass Sie nichts tun können. Wir warten darauf, dass es endlich einen Aufbruch gibt. Wir warten auf neue Bedingungen des Wirtschaftens. Wir warten darauf, dass man endlich aus dem Stillstand der letzten drei Jahre ausbricht und die behaupteten Ziele und Visionen endlich zu den Taten passen. ({35}) Hören Sie endlich auf, den alten Lobbyismus zu pampern und zu unterstützen! Dieses Land muss losgehen. Ich sage Ihnen ehrlich: Dieses Land hat eine bessere Regierung verdient, eine, die nicht über Brücken schwadroniert, sondern selber eine Brücke baut, die zukunftsorientierte Politik und keine rückwärtsgewandte macht. ({36})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Volker Kauder. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Bundeshaushalt gibt in außergewöhnlicher, in ungewöhnlicher Zeit Antworten. Er wurde zu einem Zeitpunkt aufgestellt, als ein paar von denen, die heute sagen, sie hätten es damals schon gewusst, erkannt haben wollten, aber viele noch nicht erkennen konnten, was sich an den Finanzmärkten und in der Folge auch in der Wirtschaft entwickelt. Diese Regierungskoalition hat sehr schnell reagiert. Sie hat nicht nur wie Frau Künast dahergeredet, sondern sie hat konkret gehandelt. Sie gibt konkrete Antworten auf die Fragen, die die Menschen in unserer Zeit stellen. ({0}) Dieser Bundeshaushalt, der konkrete Antworten gibt, trägt dazu bei, die Menschen zu stabilisieren, ihnen Zuversicht zu geben. Frau Künast, was Sie hier gemacht haben, ist das genaue Gegenteil davon. Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Realität in unserem Land ist. Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat in diesen Tagen die Meinung der Menschen erfragt. Dabei kam etwas ganz anderes heraus. Da sieht man, dass Sie in Ihrer ideologischen Rede verfangen und meilenweit von den Menschen in unserem Land entfernt sind, Frau Künast. ({1}) Insgesamt, so das Institut in Allensbach, ist die Stimmung der Bevölkerung von einer großen Skepsis, aber keineswegs von einer krisengetriebenen Weltuntergangsstimmung geprägt. Nur 27 Prozent sehen den kommenden Monaten mit großen Befürchtungen entgegen, 28 Prozent sehen ihnen mit abwartender Skepsis entgegen, aber 35 Prozent sind nach wie vor optimistisch gestimmt, vor allem die junge Generation. Es gilt, diesen grundlegenden Optimismus, für den es aufgrund dessen, was die Regierungskoalition macht, auch Anlass gibt, zu stärken und ihn nicht mit dümmlichen Reden zu schwächen. ({2}) Es kommt also ganz entscheidend darauf an, die Lage realistisch einzuschätzen und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Es kommt darauf an, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört, dass die Finanzkrise natürlich Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. Dazu gehört aber auch, dass wir in diesem Land nach drei Jahren Regierung Merkel und Großer Koalition stärker sind als zuvor und deswegen diese Herausforderung packen und meistern können. ({3}) Ich kann nur sagen: Es ist gut, dass Merkel und Steinbrück die Krise managen und nicht Künast und Lafontaine die Krise in unserem Land meistern müssen. ({4}) Man muss der Führung der Regierung außerordentlich dankbar sein. Welche Antworten gibt nun der Bundeshaushalt? Der Bundeshaushalt zeigt: Wir müssen als Staat, als Land das tun, was wir tun können. ({5}) Das heißt, wir müssen im nächsten Jahr Investitionen tätigen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Aber es geht nicht ausschließlich darum, Arbeitsplätze zu erhalten, sondern auch darum, dass alle Maßnahmen, die wir als Staat ergreifen, darüber hinaus eine Zukunftsperspektive haben. Die habe ich bei Ihnen total vermisst. ({6}) Unsere Devise lautet: Wir als Staat machen etwas, das Arbeitsplätze schützt und dafür sorgt, dass wir gestärkt aus der Krise herauskommen. ({7}) Das heißt, dass wir in dem einen oder anderen Bereich, wo wir noch etwas machen müssen, wo wir in der Vergangenheit etwas weniger getan haben, weil wir unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung Investitionen nicht in dem Umfang haben tätigen können, wie wir es uns gewünscht haben, durchaus ein Defizit haben. Die Bundeskanzlerin hat das angesprochen. Deswegen ist es richtig, durch konjunkturstärkende Maßnahme einen Impuls zu geben, indem wir Investitionen tätigen und auslösen. Investitionsorientierte Verschuldung ist die Antwort in diesem Haushalt. Das ist genau die richtige Antwort. Nicht Schulden für den Konsum, sondern Schulden für Investitionen, die uns nach der Krise stärker machen, das ist die Antwort, die wir jetzt geben. ({8}) Das sind die Investitionen im Straßenbau. Das sind die Investitionen über die Fördermittel der KfW, die genannt worden sind. Das sind natürlich auch die Investitionen in die Strukturen der Zukunft, nämlich in das Internet, die wir so dringend brauchen. Es gilt, in dieser Zeit bei diesen Herausforderungen Kurs zu halten und den Kurs nicht aus den Augen zu verlieren. Kurs zu halten heißt: Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, verfolgen wir auch in dieser Situation weiter. Natürlich wollen und werden wir - das ist ein Ziel - unseren Beitrag leisten, den Klimawandel zu bekämpfen. Der Klimawandel lässt sich nämlich durch Finanzkrise und Wirtschaftskrise in keiner Weise beeindrucken. Deswegen werden wir Kurs halten. Frau Künast, es ist überhaupt nicht die Rede davon, dass wir unsere Ziele aus den Augen verlieren. ({9}) Sie aber haben einfach planlos ein Ziel formuliert, ohne zu sagen, in welchen Schritten man es erreichen kann, sodass Arbeitsplätze bestehen bleiben und die Klimaschutzziele erreicht werden. Genau das ist die intelligente Herausforderung, die wir annehmen und auch anpacken. ({10}) Es kommt ganz entscheidend darauf an, dass wir beispielsweise in der Automobilindustrie sowohl das Ziel des Klimaschutzes als auch des Erhalts von Arbeitsplätzen verfolgen. Ich glaube aber auch, dass wir der Automobilindustrie sagen müssen: Es geht nicht nur darum, sich Gedanken zu machen, wie wir neue Automobile auf den Markt bringen können, sondern wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir miteinander Mobilität produzieren und wie wir auf bestimmte Situationen reagieren. Da halte ich Ansätze, wie wir sie heute erleben, für völlig richtig: der Einstieg in das Elektroauto, in das Hybridauto und in neue Konzepte für Bewegung und Mobilität in unserem Land. ({11}) Genau das sind die richtigen Themen. ({12}) Ich sage auch in Richtung Opel: Überall dort, wo der Staat hilft, überall dort muss er auch Wert darauf legen, dass es nicht nur ein „Weiter so“, sondern dass es auch neue, in die Zukunft gerichtete Ansätze gibt. ({13}) Es geht nicht nur ausschließlich darum, Arbeitsplätze zu erhalten, sondern auch darum, in dieser Krise ganz besonders Zukunftsaspekte zu stärken. Wenn wir sagen, wir dürfen unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren, gilt dies natürlich auch für unsere Haushaltsziele. Ich kann mich manchmal nur wundern, wenn ich morgens die Zeitungen aufschlage und lese, was da jeden Tag für neue Vorschläge kommen, gerade auch von denen, die uns noch vor einigen Tagen und Wochen gesagt haben, vor allem für die nachfolgende Generation sei nichts schlimmer als Verschuldung und wir dürften den Haushalt nicht außer Rand und Band geraten lassen. Deswegen kommt es auch jetzt wieder darauf an, den richtigen Mix aus einer investitionsstimulierenden, akzeptablen Verschuldung und der Erkenntnis zu finden, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind und dass sie eines Tages gezahlt werden müssen. Wir werden - darüber sind wir uns in der Koalition einig - kein Wettrennen machen und jeden Tag neue Milliarden auf den Markt werfen, sondern wir werden sehr genau prüfen, was Sinn macht. Nicht jeden Tag neue Milliarden anbieten macht Sinn, sondern genau zu überlegen, was wir tun müssen, also Investitionen tätigen und auslösen, Arbeitsplätze sichern und neue Strukturen aufbauen, aber nicht ein Wettrennen in der Weise veranstalten, dass derjenige, der am meisten fordert, auch am meisten Applaus in unserem Land erhält. ({14}) Ich bin überzeugt davon, dass wir dieses Ziel des ausgeglichenen Haushalts erreichen können. Wenn wir jetzt das Richtige tun, dann werden die Antriebskräfte im nächsten Jahr dazu führen, dass wir wirtschaftlich zwar kein Wachstum haben, dass wir aber für 2010 wieder eine Perspektive entwickeln können. All die Befürchtungen, die jetzt laut werden, es würde über das Jahr 2009 hinaus schwieriger, kann ich überhaupt nicht teilen. Ich bin zuversichtlich, dass das, was wir mit diesem Haushalt in dieser Woche auf den Weg bringen, die Basis dafür ist, dass wir im nächsten Jahr eine Perspektive für Entwicklung haben werden. Ich sage Ihnen weiter, dass wir an dem Ziel der Nullverschuldung auch in der Föderalismusreform II festhalten werden. Lieber Kollege Struck, ich bin der Meinung, dass wir das Ziel der Nullverschuldung und die Möglichkeit von Ausnahmen in besonderen Situationen ausdrücklich festschreiben sollten. Das, was im Augenblick geschieht, wäre eine solche besondere Situation. ({15}) Ich möchte allerdings nicht, dass die Kriterien für eine Neuverschuldung so festgesetzt werden, dass man diese quasi in jeder Situation erfüllt. ({16}) Deswegen fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Rahmen der Föderalismusreform II eine Nullverschuldung mit Ausnahmemöglichkeiten, aber keine aufgeweichte Nullverschuldung. ({17}) Wir wollen an unseren Zielen festhalten. Dazu gehört auch das, was der Kollege Struck angesprochen hat: Wir müssen uns auch in Zukunft gegen den weltweiten Terror wehren; denn der weltweite Terror hat seine Aktivitäten nicht eingestellt. Deswegen kann ich nur hoffen, dass der Bundesinnenminister doch noch die notwendige Zustimmung zu seinem BKA-Gesetz bekommt, sodass es in Kraft treten kann. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dieses Gesetz, das die Koalition und der Deutsche Bundestag beschlossen haben und das Peter Struck als ein gutes Gesetz bezeichnet hat, über die Rampe zu heben und dafür zu sorgen, dass das Bundeskriminalamt, für das Wolfgang Schäuble zuständig ist, so arbeiten kann, dass es den Terrorismus wirksam bekämpfen kann. ({18}) Ich erinnere mich noch sehr gut daran, was geschah, als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einigen Monaten ihre Sicherheitsstrategie vorgelegt hat, in der wir auch einige Punkte, die für Wirtschaft und Welthandel wichtig sind, erwähnt haben. Es wurde eine Diskussion darüber begonnen, was die Unionsfraktion damit eigentlich vorhat. Zum Teil wurde unsere Sicherheitsstrategie sogar ins Lächerliche gezogen. Wir haben darin einen Satz formuliert, der heute Allgemeingut ist, über den man damals aber gestaunt hat: Wir müssen unsere Seehandelswege schützen, weil sie die Voraussetzung dafür sind, dass auch in Zukunft wirtschaftliche Entwicklung stattfinden kann. Vor diesem Hintergrund halte ich es für selbstverständlich, dass wir die Piraterie bekämpfen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie jetzt schnell handelt, damit wir uns daran beteiligen können. Es wäre wirklich ein unmöglicher Zustand, wenn sich alle Länder an der Bekämpfung der Piraterie beteiligen würden, die Deutschen aber abseits stünden, obwohl auch ihre Schiffe betroffen sind. Ich fordere die Bundesregierung auf, jetzt schnell Ergebnisse zu erzielen. ({19}) Viele wissen vermutlich gar nicht, dass die Piraterie kein Randereignis ist. Seit Jahresbeginn wurden auf unseren Seewegen mehr als 90 Schiffe gekapert. Wir erfahren von solchen Vorfällen immer nur dann, wenn es um große Schiffe geht. Insgesamt sind aber mehr als 90 Schiffe betroffen. Fast 400 Mann Besatzung sind vor Somalia festgesetzt. Es besteht die zwingende Notwendigkeit, etwas dagegen zu unternehmen. ({20}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir haben allen Grund, an dieser Stelle nicht nur der Bevölkerung für ihre Vernunft und ihr Augenmaß in dieser Krise zu danken, sondern auch all denjenigen Dank zu sagen, die dabei helfen, diese Krise zu überwinden und die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind: den mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern, ({21}) die nicht bei jedem Windstoß umfallen, die ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht entlassen, sondern überlegen, wie sie auf andere Art und Weise über die Runden kommen können, und die lieber etwas Geld aus ihrem Privatvermögen nehmen, als die Leute, die ihre Firma seit vielen Jahren mit ihnen gemeinsam gestalten, in die Wüste zu schicken. Es ist richtig, dass die Regierungskoalition und die Bundesregierung einen Schwerpunkt darauf legen, die mittelständischen Unternehmen zu stützen. Ich bin für die Zusage der Bundeskanzlerin, dass das Programm der KfW am Montag starten kann, dankbar. Ich hoffe, dass die Prüfung nicht wie sonst mehrere Wochen oder Monate dauert, sondern dass schnell gehandelt werden kann, sodass unsere mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer sagen können: Von dieser Regierung bekommen wir in schwieriger Zeit Hilfe; wir werden dafür sorgen, dass dies auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unseren Firmen spüren. ({22}) In diesen Tagen wird sehr viel über Manager gesprochen. Wir haben allerdings allen Grund, auch denen zu danken, die ihren Anteil daran haben, dass wir in den letzten drei Jahren gut vorangekommen sind: den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land, den Rentnerinnen und Rentnern und den mittelständischen Unternehmern. Allen dreien, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern und unseren mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern, dient unser Konzept. Wir haben eine richtige Antwort auf das, was jetzt auf uns zukommt, und ich rate, das jetzt umzusetzen und nicht bereits wieder mit neuen Dingen zu kommen und die Menschen zu irritieren. Ich sage den Menschen in diesem Land: Wir fahren auf Sicht, und wir reagieren sofort, wenn es notwendig wird, aber wir geben ihr Geld nicht unnötigerweise aus, nur um zu zeigen, dass wir als Politikerinnen und Politiker einfach alles können. Das tun wir nicht. ({23}) Verantwortungsbewusst zu handeln, sich selber zu bescheiden und nur das zu tun, was wirklich notwendig ist und hilft, das ist das Konzept dieser Bundesregierung. Dafür auch herzlichen Dank an Angela Merkel, an Peer Steinbrück und an die ganze Bundesregierung. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die FDP-Fraktion gebe ich ihrem Fraktionsvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle das Wort. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst eine Bemerkung an meinen Kollegen Volker Kauder richten. Was Sie, Herr Fraktionsvorsitzender, lieber Volker, hier am Anfang gesagt haben, finde ich an einer Stelle sehr schwierig und meiner Meinung nach der Debatte auch nicht angemessen. Wir befinden uns hier in einer Generaldebatte und streiten doch nicht über die Qualität von Deutschland, sondern über die Qualität der Politik der Regierung. ({0}) Wenn die Opposition die Regierung kritisiert, dann redet sie Deutschland nicht schlecht, sondern wir sind genauso Patrioten. Ob wir auf der Regierungsbank, in der Opposition oder in den Koalitionsfraktionen sitzen, wir lieben unser Land. Deswegen wollen wir eine andere Politik, um das an dieser Stelle klar zu sagen. ({1}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Rede im Grunde genommen tatsächlich vorgebaut. Sie haben hier gesagt, 2009 werde das Jahr der schlechten Nachrichten sein. Das ist natürlich eine politisch vorbeugende bzw. vorsorgende Erklärung, die hier abgegeben worden ist. Weil das aber die letzte Haushaltsdebatte sein wird, die wir in dieser Legislaturperiode führen werden, möchte ich schon noch einmal an die großen Debatten erinnern, die wir in den letzten Jahren geführt haben, also an die letzten drei Haushaltsdebatten, seitdem die sogenannte Große Koalition im Amt ist. Jedes Mal haben Sie sich hier hingestellt und gesagt, dass das Ihr Aufschwung ist. Das war entweder einmal ein Schröder-Aufschwung, oder es war ein Merkel-Aufschwung. Mit dem Abschwung wollen Sie nichts zu tun haben. Der Aufschwung war Merkel, der Abschwung ist Bush. Das glaubt Ihnen niemand. Das ist absoluter Unfug. ({2}) Wir brauchen keine Regierung, die vor schwierigen Zeiten warnt, sondern wir brauchen eine Regierung, die in schwierigen Zeiten handelt. ({3}) Das ist das Entscheidende, worum es geht. Wir brauchen auch keine Regierung, die den Deutschen gut zuredet, sondern die Deutschen brauchen eine Regierung, die Gutes für sie tut. Das ist das Entscheidende, weshalb wir das, was Sie uns hier vorgelegt haben, völlig anders bewerten. Natürlich haben Sie nicht tatenlos herumgesessen. Sie sind verantwortungsvolle Persönlichkeiten. Wer bestreitet das denn? ({4}) Natürlich haben Sie in Anbetracht einer Krise nicht tatenlos zu Hause gesessen und Däumchen gedreht. Natürlich haben Sie sich abgearbeitet. Das ist doch gar keine Frage. Wir kritisieren weniger, dass Sie ein Sammelsurium von Maßnahmen gefunden haben. Das Problem Ihrer Regierung ist, und zwar auch aufgrund der Uneinigkeit in Ihrer Koalition, dass Sie in Wahrheit keinen gemeinsamen Weg mehr finden können. Herr Kollege Kauder, Sie sagen, Sie fahren auf Sicht. Ich sage: Sie stehen mitten im Nebel. Sie fahren auf Sicht, und Sie wissen nicht, wohin Sie wollen. ({5}) Wer keinen Standpunkt hat, der kann seinem Land auch keine Orientierung geben. Sie haben keinen gemeinsamen Standpunkt mehr. Das drückt sich hier aus. Das ist alles aus der Not geboren. Das mit dem Sammelsurium ist ja nicht etwa die Kritik der bösen oppositionellen FDP, sondern das ist das, was Ihnen Ihr eigener Wirtschaftssachverständigenrat sagt. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt: Sie haben ein sinnloses Sammelsurium beschlossen. ({6}) - Frau Kollegin Künast, das ist ein wichtiger Zwischenruf, den Sie gerade gemacht haben. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung kritisiert die Bundesregierung, sagt, das, was Sie jetzt in der Krise machen, sei putzig und ein sinnloses Sammelsurium, und die Antwort der Koalition in Form von Herrn Kollegen Struck ist: Dann schaffen wir diesen Sachverständigenrat eben ab. ({7}) Das kennen wir aus der Antike: Man köpft den Boten, weil einem die Nachricht nicht passt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen einmal über das reden, womit Sie sich an die Bürger und Bürgerinnen wenden. Das ist das, was Sie im Augenblick in Anzeigen millionenfach verbreiten: Häkchenpolitik, acht Häkchen. Das ist das, warum sich Deutschland keine Sorgen mehr machen soll. Das sind die viele Millionen teuren Anzeigen der Bundesregierung, millionenfach herausgegeben von Ihnen auf Kosten der Steuerzahler: Liebe Deutsche, macht euch keine Sorgen. Wir haben acht Häkchen für euch gefunden. Acht Häkchen! Grund für diese Häkchenpolitik ist in Wahrheit, dass immer dann, wenn die SPD in dieser Großen Koalition ein Häkchen durchsetzen kann, auch die Union eines durchsetzen möchte. Das ist in Wahrheit das Problem. Sie lähmen sich. Dabei zeigt sich eines: Große Mehrheiten sind noch lange nicht zu großer Politik fähig. Viel zu oft ist es nur sehr kleines Karo, was Sie hier fahren. ({8}) Natürlich kommt niemand aus der Opposition auf die Idee, der Regierung allen Ernstes vorzuwerfen, sie habe den Abschwung verursacht. Wir werfen Ihnen doch nicht vor, dass die Krise kommt. ({9}) - Herr Kollege Kampeter, mich für Herrn Kollegen Lafontaine verantwortlich zu machen, ist ihm und mir gegenüber sehr ungerecht. ({10}) Ich glaube, das können Sie getrost zurücknehmen. ({11}) Wir werfen Ihnen ja nicht vor, Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, dass die Krise da ist. Wir wissen, dass sowohl der Aufschwung als auch der Abschwung sehr viel mit der Weltwirtschaft zu tun hat und dass wir nicht alles beeinflussen können. Wir würden uns auch überheben, wollten wir diese Illusion bei den Bürgern hervorrufen. ({12}) Aber das Entscheidende ist: Nicht, dass die Krise da ist, kritisieren wir an der Arbeit der Bundesregierung, sondern wir kritisieren, dass Sie in guten Zeiten, in den fetten Jahren für die mageren Jahre nicht vorgesorgt haben und dass Sie jetzt, da die mageren Jahre weiß Gott vor der Tür stehen - in Wahrheit sind wir mittendrin -, immer noch nicht beherzt handeln, sondern sich immer noch mit einer Politik der kleinen Schritte zufriedengeben. Sie merken gar nicht: Ihre Politik der kleinen Schritte, die einmal von der Großen Koalition als neues Politikprojekt gelobt wurde, ist eine Politik der eingeschlafenen Füße geworden, weil Sie sich nicht mehr einig sind. Das ist das eigentliche Problem dieser Regierung. ({13}) Nun wird einem Abgeordneten der Opposition - das gilt für alle, wenn auch mit großen Unterschieden -, wenn er hier spricht, immer der Vorwurf gemacht - wir haben ihn eben auch gehört -: Sie reden ja nur, Sie handeln nicht. Was für ein - entschuldigen Sie bitte - banaler Vorwurf! Die Opposition hat immer nur die Macht des Wortes, und die Regierung hat die Pflicht zur guten Tat. An beiden muss der Wähler sie messen. So ist es nun einmal in der Demokratie aufgeteilt. ({14}) Übrigens: Tut mal nicht so, als wärt ihr als Regierungsabgeordnete auf die Welt gekommen. Wir saßen bis vor drei Jahren noch zusammen. Da habt ihr es auch nicht gemocht, wenn es immer hieß, ihr redet das Land schlecht. Also fangt nicht an, so über uns zu reden, nur weil ihr jetzt drei Jahre auf der Regierungsbank sitzt wer weiß, wie lange noch, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({15}) - Volker, ist geschenkt. Warten wir einmal ab, wie lange noch! Macht ist ja begrenzt, und es ist nicht ausgemacht, ob einer Kiesinger wird oder Kohl. Das muss man alles einmal abwarten. Wie es weitergeht, entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Meine Damen und Herren, ich möchte an der Stelle aber nicht nur uns einbringen, sondern ich möchte, wenn Sie erlauben, noch darauf eingehen, dass es immer heißt, international sei die Politik der Regierung unumstritten; das sei alles wunderbar. Das entspricht nämlich nicht den Tatsachen. Wenn Sie mit internationalen Gästen zu tun haben, die uns besuchen und die anschließend von Ihnen besucht werden - weil Sie eine mächtige Frau sind, will ich die Namen nicht nennen -, dann hört man schon einmal den Satz: „First she came too late and then she was wrong“. ({16}) Diese Meinung wird nicht nur in Großbritannien und in der Europäischen Union vertreten, sondern das konnten alle Deutschen am Montag bei Ihrem Besuch in Paris am Fernsehschirm verfolgen. Da steht die deutsche Regierungschefin, der ich in Herzlichkeit zugewandt bin ({17}) - ich darf Sie in aller Freundlichkeit bitten, durch Ihr Raunen keine wirklich absurden Gerüchte in die Welt zu setzen -, ({18}) neben dem französischen Staatspräsidenten, sie erzählen in großer diplomatischer Manier, was man immer so tut, nach dem Motto „Wir sind uns alle einig“, und dann sagt Frankreichs Präsident Sarkozy - Angela Merkel steht daneben, und es gefriert ihr das Lächeln -: Wir sind uns einig, dass wir weitere Maßnahmen ergreifen müssen. Frankreich arbeitet daran. Deutschland denkt darüber nach. ({19}) Das sind die internationalen Bewertungen. Frau Bundeskanzlerin, das war kein Handkuss; das war eine Ohrfeige. ({20}) Das ist kein petit bisou - geringe Kenntnisse im Französischen habe ich auch -; es ist eine massive Kritik an dem, was vorgetragen ist. Es wird immer wieder gesagt, das sei alles nur oppositionelles Gerede. Aber in Europa wird das gemacht, was von der liberalen Opposition vorgeschlagen wird. In Wahrheit sind Sie mit Ihrer Politik, die Steuern nicht zu senken, in Europa die Exoten. Wenn Sie es immer noch nicht verstanden haben, sollten Sie die Titelseite der Süddeutschen Zeitung von heute lesen: „Brüssel drängt Merkel zu Steuersenkung“. Wir wollen eines festhalten: Die Europäer drängen zur Steuersenkung. Unsere Nachbarländer wollen die Steuern senken. Die Wirtschaftsverbände, Handwerksverbände und Verbraucherverbände in Deutschland wollen die Steuern senken. ({21}) Der Wirtschaftsminister - unser Quantum Trost in der Regierung ({22}) will die Steuern senken. Die Ministerpräsidenten Herr Müller und Herr Seehofer wollen die Steuern senken. Wir halten Folgendes fest: Die SPD will nicht die Steuern senken. Die Grünen wollen nicht die Steuern senken. Die Linkspartei will nicht die Steuern senken. ({23}) Frau Merkel will nicht die Steuern senken. Frau Merkel, Sie befinden sich in der falschen Gesellschaft. Da müssen Sie wieder raus! ({24}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie lachen jetzt, ({25}) weil Sie sich darüber freuen; denn Sie werden ganz mutig als Heldinnen und Helden der Unionsfraktion nächste Woche auch einmal für Steuersenkungen stimmen dürfen - folgenlos auf eurem Bundesparteitag. Ihr solltet aber nicht auf eurem Bundesparteitag nächste Woche für Steuersenkungen stimmen, sondern im Deutschen Bundestag. Das wäre eure Verantwortung für Deutschland. ({26}) Der Sachverständigenrat und alle anderen empfehlen das. Es heißt immer, Deutschland habe kein Geld für Steuersenkungen. Mittlerweile macht sich eine spannende Argumentation breit. Gehen wir doch einmal im Haushalt der Frage nach, ob wir kein Geld für Steuersenkungen haben. Abgesehen davon sollten wir aber festhalten, dass die Europäer Steuersenkungen durchführen. Stattdessen erhöhen Sie die Steuern. Nach dem von Ihnen gefundenen Erbschaftsteuerkompromiss, der mit neun zu elf Stimmen unter Abwesenheit aller anderen CSU-Abgeordneten in der Landesgruppe mutig beschlossen wurde, hat Finanzminister Peer Steinbrück einen bemerkenswerten Brief verfasst. Wir halten zur Erbschaftsteuerreform eines fest - wie Sie gemerkt haben, formuliere ich diplomatischer, seitdem wir dort zusammen regieren -: Die Länder um uns herum reden nicht darüber, wie man die Erbschaftsteuer erhöhen könnte, und sie verkünden auch keinen Sieg, wie es Herr Steinbrück per Brief an die SPD-Abgeordneten geschrieben hat: Was für ein Erfolg für die Sozialdemokraten! ({27}) Wir haben das Volumen der Einnahmen aus der Erbschaftsteuer erhöht. ({28}) Ich halte fest, dass die Erbschaftsteuerreform ein Erfolg der Sozialdemokraten in der Koalition ist. Ich finde ihn aber furchtbar. Gerade deswegen kritisiere ich ihn an dieser Stelle. ({29}) Was mir nicht einleuchten will, ist die lustvolle Freude, mit der Sie einen solchen Unfug bei der Erbschaftsteuer mitmachen. Die anderen schaffen die Erbschaftsteuer ab, während wir darüber reden, wie man sie erhöhen kann. Nun hat man einen großartigen Begriff gefunden, um der Verfassungswidrigkeit zu entgehen: die Kernfamilie. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn ein Onkel oder eine Tante Nichten und Neffen und wenn eine Schwester ihrem Bruder etwas vererben will, dann gilt ein Freibetrag in Höhe von 20 000 Euro. Anschließend werden Steuersätze von 30 bis 50 Prozent erhoben. Das ist in meinen Augen eine Enteignung durch den Steuerstaat. Was dort stattfindet, ist unfair. Sie werden das beschließen. Wie können Sie nur!? ({30}) - Sie haben eine andere Haltung dazu. Das ist auch legitim. Aber Sie erlauben mir, dass ich unsere Haltung dagegenstelle. ({31}) Nehmen wir als Beispiel die Familienbetriebe. Sie tun so, als wäre alles prima.160 Familienbetriebe sagen: Um Gottes willen, lasst diesen Murks bei der Erbschaftsteuer! Diese Familienbetriebe haben sich vor zehn Tagen schriftlich an die Bundesregierung gewendet und gesagt: Wir werden gezwungen sein, ins Ausland abzuwandern. - Das ist aus unserer Sicht ein ganz schwerer Fehler zulasten der Familienbetriebe. Was machen Sie? Sie sagen: Wenn man zehn Jahre den ererbten Betrieb mit derselben Lohnsumme, also mit der gleichen Zahl an Arbeitsplätzen, die man im Durchschnitt in den letzten fünf Jahren hatte, fortführt, dann ist man erbschaftsteuerfrei. Das ist absoluter Irrsinn; denn jeder weiß, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten zehn Jahren im Schnitt vermutlich schwächer sein wird als in den letzten Jahren. Jeder weiß, dass niemand eine solche Garantie für zehn Jahre geben kann. Wir hatten gute fünf Jahre. Diese sollen nun als Maßstab herhalten. Sie enteignen Familienbetriebe und die betreffenden Familien. Das ist keine Belohnung der Arbeitnehmer. ({32}) Herr Kollege Kauder sagt an dieser Stelle: Wir bedanken uns bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für ihren Fleiß. Was haben Sie getan? Sie haben sich bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland mit der höchsten Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik bedankt. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen. Sie stehen für höhere Steuern und höhere Schulden. Solide ist etwas anderes. ({33}) Sie erklären uns ständig, warum Steuersenkungen - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nicht möglich sind. Möglich ist aber Hilfe für einzelne Unternehmen und Branchen. Das halten wir für falsch. Natürlich ist es richtig, dass sich die Bundesregierung mit den Landesregierungen zusammensetzt, wenn ein solches Drama wie bei Opel passiert. Es ist sicherlich selbstverständlich - wer will das bestreiten? -, dass man, wenn man Verantwortung für Zehntausende Bürgerinnen und Bürger, die um ihre Zukunft bangen, trägt, Gespräche führt und sich darüber Gedanken macht, was zu tun ist. Täten Sie es nicht, würden wir Sie mit Sicherheit kritisieren. Es ist richtig, dass Sie das tun. Aber die Antwort, die Sie geben, ist falsch. Was werden Sie denn machen? Heute ruft Opel. Morgen ruft das zweite Unternehmen, das ebenfalls wichtig ist. Übermorgen ruft das dritte, dann das vierte, das fünfte und das sechste. Es wird im nächsten Jahr Dutzende Unternehmen geben, die in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen sind. Wollen Sie dann jedes Mal - Unternehmen für Unternehmen, Branche für Branche - sagen: „Dafür stellen wir als Regierung einen Scheck aus“? Besser wäre es, nicht die Unternehmen an den Tropf der Subventionen zu hängen, sondern für alle Branchen, für die gesamte Wirtschaft, für alle Bürgerinnen und Bürger durch ein einfacheres und gerechteres Steuersystem mit niedrigen Sätzen für mehr Dynamik zu sorgen. Das wäre die eigentliche Aufgabe. ({34}) Nun ist von Mitte und Maß die Rede. Dann reden wir einmal über den Bundeshaushalt - Mitte und Maß -, der das Schicksalsbuch der Nation ist. Herr Kollege Steinbrück, Sie sind in der Rede, die Sie gestern gehalten haben, scharf und bitter gewesen. Ich möchte Ihnen ehrlich sagen: Einen Vorwurf wie „Rattenrennen“ an die Opposition zu richten, finde ich völlig unangemessen. Sie haben Worte wie Rattenrennen gewählt, gesagt, wir suhlten uns, und Sie haben noch andere Säugetiere genannt, die wir durchs Dorf treiben würden. Ich muss Ihnen sagen: Das ist Ihre Angelegenheit. Ich finde, so etwas kann man in einer Wirtshausrede sagen, aber hier ist das nicht angemessen. Aber so ist es halt. ({35}) Herr Kollege Steinbrück, der Punkt ist: Sie hatten eine riesige Chance. Sie hätten angesichts der genialen drei letzten Konjunkturjahre ein wirklicher Finanzminister werden können. Sie hätten ein Finanzminister werden können, der als der erste Finanzminister seit Jahrzehnten in die Geschichte eingeht, weil er in guten Jahren mit seinem Haushalt ohne Neuverschuldung auskommt. ({36}) Sie sind genauso wie Herr Eichel gescheitert. Das erklärt auch die Aggression, Ihre Angriffe gegen die liberale Opposition, die wir Ihnen an dieser Stelle aber nicht durchgehen lassen. ({37}) Sie wissen es doch selber - und das hat nichts mit mangelnder menschlicher Wertschätzung zu tun; wir schlagen vielmehr einen anderen politischen Weg vor -: Sie setzen in dieser Woche hier im Deutschen Bundestag einen Haushalt durch, der auf einem Wachstum von 0,2 Prozent basiert. Niemand von Ihnen glaubt daran, dass wir im nächsten Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent haben werden. Jeder von Ihnen weiß, dass wir das nicht erreichen werden. ({38}) Jeder Kaufmann, der seine Bücher so frisieren würde, landete vor Gericht. Wir erwarten auch von Ihnen, dass Sie endlich ehrliche Zahlen vorlegen. Das ist das Mindeste, was man vor Ihrem Abgang verlangen kann. ({39}) 73 Milliarden Euro Schulden hat diese Koalition bei Steuermehreinnahmen von 160 Milliarden Euro gemacht, die sie in dieser Legislaturperiode von den Bürgerinnen und Bürgern bekommen hat. Was wir machen müssen, ist relativ klar. Was wir mit einem einfachen Plan - das ist nicht irgendein kleines Häkchenkonzept machen müssten, wäre, dafür zu sorgen, dass wir dem Abschwung entgegenwirken, indem wir die Kräfte freisetzen, die in unserer Volkswirtschaft schlummern. Dazu gehört erst einmal die Leistungsbereitschaft unseres Volkes. Das geht nur, indem sich Leistung lohnt und indem wirklich ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem alle für ihre Leistungen belohnt, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, alle Mittelständler und alle Unternehmer, damit alle wirklich etwas von ihrer Leistung haben. Ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem müsste jetzt beschlossen werden. Sie werden es niemandem erklären können, auch nicht auf Ihrem Parteitag, wenn die Union nächste Woche sagt, Deutschland brauche Steuersenkungen. Es gibt in Anbetracht unserer dramatischen Lage keinen Grund, damit noch ein Jahr zu warten. Es muss jetzt gehandelt werden. ({40}) Sie müssten die Bremsen für Investitionen lösen. Ich will nicht alles aufgreifen, was Frau Kollegin Künast gesagt hat. Ich teile vieles nicht, aber in einem Punkt will ich ihr ausdrücklich recht geben, nämlich bei der KfzSteuer. Die Kfz-Steuer auszusetzen, ist nun strukturell überhaupt keine Antwort. Als ob irgendjemand einen Golf für 19 000, 20 000 Euro kaufen würde, wenn er ein Jahr lang 109 Euro Steuern spart. Das, was Sie als Nachlass anbieten, handelt jeder normale Bürger im ersten Verkaufsgespräch unter der Überschrift „Fußmatten“ schon selber aus. ({41}) Das ist absurd, und das wissen auch Sie. ({42}) Das ist sehr weit weg vom Leben. Schauen Sie in die Gesichter der Bürgerinnen und Bürger! Keiner von den Bürgerinnen und Bürgern dort oben auf der Tribüne wird ein einziges Auto kaufen, nur weil Sie 109 Euro für ein Jahr nachlassen. Absurd ist das. Das weiß jeder. ({43}) Welchen Weg man bei der Kfz-Steuer geht, darüber müsste gestritten werden. Das tun wir dann auch. Aber Ihr Vorschlag ist gar nichts. Was wir machen müssten, wäre, die Bremsen zu lösen, und das gilt insbesondere für die Investitionen. Nehmen wir nur einmal die Investitionen im Energiesektor: Wir reden nicht darüber, dass der Staat Geld ausgibt, sondern wir reden nur darüber, dass Energieinvestitionen stattfinden, die sowieso stattfinden müssen, Investitionen in Leitungsnetze, Gleichstromleitungen, übrigens auch in den Bau von sauberen und modernen Kohlekraftwerken, damit wir dreckige und alte abschalten können. Wenn Sie, die Regierung, nur diese Bremsen, die Verwaltungs- und Genehmigungsbremsen in der Energiewirtschaft, lösen würden, dann müssten Sie keinen einzigen Euro dazutun, und trotzdem würden etwa 20 Milliarden Euro an Investitionen in unsere Volkswirtschaft fließen. Das bedeutete Arbeitsplätze, und das wäre etwas, was in Deutschland hilft. Auch das muss ich Ihnen sagen, Frau Bundeskanzlerin: Es ist richtig, dass Sie das Thema Bildung zu einem zentralen Punkt machen. Das ist doch vernünftig. Übrigens - damit hier nichts missverstanden wird; das gilt ausdrücklich auch für die beiden Damen im Kabinett, die in diesem Falle besonders mitwirken -, es ist richtig, dass das von Ihnen sozusagen mit einem Ausrufezeichen vertreten wird. Aber tun Sie bitte nicht so, als sei dieser Bildungshügel ein Gipfel gewesen. Gut, wenn man flach im Gras liegt, dann ist auch ein Maulwurfshügel ein Gipfel. ({44}) Wenn Sie es ernsthaft als Erfolg, als Durchbruch verkünden, dass Deutschland - das mache ich gar nicht an Parteien fest; da können wir die Länder völlig zu Recht einbeziehen; ich sage das, damit wir da einig sind - seine Bildungsinvestitionen bis zum Jahr 2015 von jetzt 8,9 Prozent auf 10 Prozent steigert, dann sage ich Ihnen: Sie sind nicht ehrgeizig genug für unser Land. Wer sich damit zufriedengibt, gibt sich mit zu wenig zufrieden. Das ist nicht vernünftig. ({45}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben viele Brücken bauen wollen. Sie haben über alles gesprochen, über AfA, über Hauptschulen, über Piraterie, über CO2; aber Sie haben nicht gesagt, wo Deutschland morgen stehen soll. Sie haben sich mit den Themen unserer Zeit nicht wirklich auseinandergesetzt. Nicht wir sind diejenigen, die in der Minderheit in Europa sind, nur weil wir hier im Deutschen Bundestag in der Minderheit sind, wenn es um Steuersenkungen geht; vielmehr gibt es in Europa eine klare Mehrheit. Es ist eine Mehrheit für entschiedene Politik, für eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Es wird Zeit, dass nicht nur Europa, sondern auch Deutschland eine solche, eine neue, vernünftige Mehrheit bekommt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({46})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss sich Sorgen um den Kollegen Westerwelle machen. ({0}) Er denkt immer nur an das eine: also, nicht an Frau Merkel, ({1}) sondern immer nur an Steuersenkungen. Beim Frühstück, beim Mittagessen und beim Abendessen denkt er an Steuersenkungen. Er ist besessen von Steuersenkungen. Habt Erbarmen mit ihm! ({2}) Diese Denkweise ({3}) besagt: Wenn jeder für sich selber sorgt, ist für alle gesorgt. ({4}) Das war das Glaubensbekenntnis von Westerwelle, und genau dieses Glaubensbekenntnis hat die Welt in diese Katastrophe geführt. ({5}) Lieber Kollege Westerwelle, denken Sie deshalb mehr an Frau Merkel und weniger an Steuersenkungen. ({6}) Die Haushaltsdebatte im letzten Jahr haben wir noch gut gelaunt geführt, in diesem Jahr haben wir allerdings mit den sich überschlagenden Prognosen das Fürchten gelernt. Das Frühjahrsgutachten, das Septembergutachten und das Novembergutachten des Weltwährungsfonds - es war fast wie Hitchcocks Die Vögel, die Schwierigkeiten sind immer deutlicher geworden. Das belegen auch die OECD-Gutachten, die Gemeinschaftsdiagnose und der Sachverständigenrat. Ich muss Peter Struck recht geben: So wie der Sachverständigenrat heute arbeitet und begutachtet, ist er überflüssig. Was wir da über Konjunktur und Weltwirtschaft erfahren, haben wir fünfmal anderswo und teilweise besser gelesen. Die Stammtischoder Forschungsergebnisse können auch in anderen Veröffentlichungen publiziert werden. Entweder bekommen wir hier wirklich einen Rat, oder wir können uns in der Zukunft diesen teuren Rat schenken. ({7}) Wir haben gesehen, dass die Tendenz nach unten gerichtet ist; je aktueller die Gutachten, desto trüber der Inhalt. Jetzt kann niemand mehr leugnen: Wir sind mitten in einer Weltrezession. - Was ist noch letztes Jahr von den Wissenschaftlern geschrieben worden? Decoupling - Entkopplung - der Entwicklungsländer, der Emerging Markets oder Europas von der amerikanischen Krise! Davon ist keine Rede mehr. Wir sind als Exportland eben nicht abgekoppelt, sondern mittendrin, und unsere Hauptpartner in der Weltwirtschaft sind in der Rezession. Das ist ein schwieriger Befund. Aber - um es fast mit Hölderlin zu sagen - auch das Rettende wächst. Wir können sehen, dass die Akteure in der Weltwirtschaft heute - anders als bei der ersten großen Depression - zusammenarbeiten. Das ist ein hohes Gut. Deutschland ist nicht, wie damals, am Katzentisch, sondern einer der Hauptakteure. Das bürdet uns Verantwortung auf. Das gibt uns aber auch Chancen. Deshalb brauchen wir vor dieser Krise nicht davonzulaufen, sondern wir haben die Chance, die Krise zu gestalten und zu überwinden. ({8}) Der Internationale Währungsfonds sagt uns deutlich: Abgestimmtes Verhalten bringt doppelte Wirkung. Man braucht nur die jüngsten Reden zu lesen. Der G-20Gipfel, auf dem auch die Emerging Markets dabei waren, hat gemeinsames Handeln gebracht. Eines habe ich aber schon festgestellt: Frau Merkel hat „freie Marktwirtschaft“ unterschrieben. Von „sozialer Marktwirtschaft“ war darin nichts zu lesen. Nun stehe ich vor der Frage: Soll ich sie deswegen tadeln? Aber nachdem das auch die chinesischen Kommunisten und Lula unterschrieben haben, habe ich festgestellt: Offenbar haben wir ein neues semantisches Differenzial, unter dem man alles verstecken kann. Sei’s drum! Man darf nicht deshalb das Richtige unterlassen; man darf nicht an den Worten kleben. Den Linken sage ich: Ihr müsst euch um eure chinesischen Freunde kümmern, bevor ihr die Große Koalition schlagt. ({9}) Wir haben Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Ich hoffe auch, dass die Welthandelsorganisation wieder aus dem Scheintod aufwacht. Ich danke vor allem Frank-Walter Steinmeier dafür, dass er auch auf europäischer Ebene gemeinsames Handeln angestoßen hat. Kein Land kann sich allein aus der Krise ziehen. Nur dann, wenn alle miteinander handeln, wenn jeder seinen Beitrag leistet, werden wir gemeinsam aus der Krise kommen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt in der Weltwirtschaftspolitik, den wir wie unseren Augapfel hüten sollten. ({10}) Was ist unser Beitrag, den Westerwelle und der Sachverständigenrat „Sammelsurium“ nennen? Die sind der Tonnenideologie verhaftet. Die können wir zurzeit in Amerika sehen. Dort besteht aber eine andere Ökonomie. Dort hat man vor ein paar Monaten 150 Milliarden auf die Bürger abgeworfen. Was ist davon übrig geblieben? Nur die Erhöhung der Staatsschuld ist davon übrig geblieben, aber kein Wachstumsimpuls. Deshalb ist unser gezielter Ansatz - wir setzen vor allem auf Investitionen und ermuntern die privaten Verbraucher, zu investieren - richtig. Wir haben primär eine Exportkrise. Diese Exportkrise kann nicht primär mit nationalen Mitteln adressiert werden. Aber all das, was die Chinesen tun, all das, was die Japaner tun, und all das, was wir tun, um die Importe zu steigern, ist ein Beitrag dazu. Langfristig werden wir unsere Exportabhängigkeit redressieren müssen. Wir sind zurzeit einen Tick zu exportabhängig, und das Bein der Binnenwirtschaft ist zu asthenisch. Wir könnten vielleicht größere Initiativen starten, wenn wir eine voll entwickelte Bauwirtschaft hätten. Aber nach dem Rückbau ihrer Kapazitäten kann man nicht über Nacht Milliarden in diesen Bereich schütten und denken, dass gleich Millionen marschieren und Neues bauen. Das dauert vielmehr eine gewisse Zeit. Angesichts dessen ist es notwendig, anderes zu machen, zum Beispiel Kurzarbeit zu fördern. Ich danke Olaf Scholz, dass er den Zeitraum für die Gewährung von Kurzarbeitergeld verlängert hat. ({11}) Für die deutsche Wirtschaft muss gelten: Kurzarbeitszeiten sind das Trainingslager bzw. die Qualifikationszeiten für den nächsten Aufschwung. Das ist das Entscheidende. Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung müssen in dieser Zeit stattfinden, statt die Menschen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Das ist unser Ansatz. ({12}) Meine Damen und Herren, wir stärken auch die Binnennachfrage. Wir haben gute Lohnrunden hinter uns. Dank an die Gewerkschaften! Wir haben Gott sei Dank wieder stabile Preise. Allein der Ölpreis ist um zwei Drittel gesunken. Das bedeutet aufs Jahr gerechnet einen Push der Massenkaufkraft von rund 23 Milliarden Euro. Vor dem Hintergrund von sinkenden Preisen und steigenden Löhnen besteht die Aussicht, dass die Massenkaufkraft im nächsten Jahr steigt, wenn es zugleich gelingt, die Stabilisatoren aufrechtzuerhalten und für ein Wachstum der Sozialeinkommen zu sorgen. Der Anstieg des privaten Verbrauchs wird sich also für uns alle positiv auswirken. Hinzu kommen die privaten Investitionen. Das CO2Gebäudesanierungsprogramm ist das Programm mit dem größten Hebel. 1 Milliarde Euro, die von der KfW hierfür zur Verfügung gestellt werden, lösen an die 9 Milliarden Euro Investitionen aus, die wiederum für ein höheres Wirtschaftswachstum sorgen. Deshalb ist es Quatsch, nur auf die eingesetzten Summen zu schauen. Man muss auch die Hebelwirkung betrachten. Aber dafür sind die Steuersenkungspolitiker in diesem Hause wohl zu blind. ({13}) Meine Damen und Herren, auch mit der Ausweitung von Sonderabschreibungsmöglichkeiten fördern wir die Investitionen. Ich muss allerdings einschränken: Gerade den kleinen und mittleren Unternehmen werden wir auch über Kredite helfen müssen. Dabei dürfen wir uns nicht nur auf die „kaltblütig“ handelnden Banken verlassen. Von denen fordern wir ja auch Deleveraging, also weniger Kredite, ein stärkeres Risikomanagement und ein stärkeres Risikobewusstsein. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass nur Staat und Bankenwelt gemeinsam die Mittelständler fördern können. Das wird die Große Koalition zusammen mit der KfW in Angriff nehmen und auch miteinander durchsetzen. Wir haben außerdem die privaten Haushalte als Arbeitgeber steuerlich bessergestellt und die Absetzbarkeit von Handwerkerdienstleistungen erhöht. Das wird bundesweit an vielen Stellen mehr Wachstum und Beschäftigung bringen. Vor allen Dingen wird das dazu führen, dass Privatleute an ihr Erspartes gehen und es in Haus und Garten investieren. Es kann nicht sein, dass sich immer nur der Staat verschuldet; vielmehr müssen auch private Ersparnisse eingesetzt werden, um die Wirtschaftskrise zu überwinden. ({14}) Meine Damen und Herren, wir fordern auch die Länder auf, mitzumachen. Es ist unmöglich, dass bei einer so zentralen Debatte die Bundesratsbank leer ist. Die Länder wollen alle nur beim Bund abkassieren. Es kann aber nicht sein, dass ausschließlich Forderungen an den Bund gerichtet werden. Auch die Länder stehen in der Pflicht. So ist zum Beispiel die Universität Regensburg eine Tropfsteinhöhle. Der Freistaat Bayern könnte da ohne weiteres 200 Millionen Euro und mehr investieren. ({15}) In Passau und anderen Orten gilt das Gleiche. Ebenso trifft das auch auf andere Länder zu. Die Länder müssen also mitmachen; dafür müssen sie auch die Gemeinden entsprechend unterstützen. Wir wollen, dass gerade die Städte im Westen und im Norden, die unter einem Haushaltsdeckel aufgrund ihrer Schulden leiden, in die Lage versetzt werden, zu investieren. Wir können nicht zulassen, dass die Lebensverhältnisse weiter auseinanderdriften. Lasst uns vielmehr gemeinsam mit den Ländern den Kommunen in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein oder in den neuen Ländern dabei helfen, dass sie die notwendigen Investitionen, die sie sofort tätigen könnten, auch wirklich tätigen können. ({16}) Es wurde schon angesprochen, dass Regulierung als Investitionsbremse wirkt. Wir sind dagegen, flächendeckend - wie mit der Schrotflinte - Steuersenkungen einzuführen. ({17}) - Ihr würdet gerne breit streuen. ({18}) Wir alle wissen, dass die Sparquote in Deutschland hoch ist. Die OECD geht in ihrer jüngsten Prognose von einer Sparquote von über 10 Prozent aus. Diese Ersparnisse bleiben aber liegen. In Deutschland gibt es viel weniger Investitionen, als es die Ersparnisse hergeben würden. Deshalb wird Kapital exportiert, das in zweifelhafte Anlagen fließt und mit zweifelhaften Infektionen zurückkommt. Steuersenkungen sind also nicht der richtige Weg. Vielmehr sollte der Staat, wenn er Mittel hat, Investitionen anstoßen, die die Privaten veranlassen, ihren Teil zu leisten. Es sollten Investitionen getätigt werden, von denen morgen nicht nur Schulden übrig bleiben. Konsum über Schulden ist keine gute Idee und geht auf Dauer nicht gut. ({19}) Investitionen stützen auch die Wirtschaft unserer Exportpartner. Wir müssen kapieren: Wir müssen eine internationale Wirtschaftspolitik betreiben; wir können nicht nur an Deutschland denken, sondern müssen auch andere Länder berücksichtigen. Gerade die Länder, mit denen wir Exportüberschüsse haben, müssen wir in den Blick nehmen. Wenn wir hier investieren, dann steigt auch unsere Importquote. Im dritten Quartal beispielsweise ist unsere Importquote gestiegen. Das hilft der Weltwirtschaft insgesamt. Schauen wir uns die Rolle des Staates an. Wir haben gesehen: Mit Marktdisziplin allein funktioniert es nicht; der Staat muss Regeln setzen und sie auch durchsetzen. Wir, gerade die SPD, mussten uns jahrelang von den liberalen Egoisten verleumden und verhöhnen lassen: Wir wollten alles regulieren und die Wirtschaft fesseln. Ihre entfesselte Wirtschaft ist im Straßengraben gelandet. Wir dürfen sie jetzt herausziehen. ({20}) Wir verlangen nicht einmal Dank oder ein Trinkgeld. ({21}) - Das kann man von denen nicht erwarten; denn die haben immer recht. Ultra posse nemo obligatur. Da kann man nichts machen. ({22}) Wir haben den Staat als „lender and investor of last resort“. Wenn ich bedenke, was diese stolzen Banker vorher getrieben haben, ist es schon interessant, wie sie nun in die sicheren Häfen des Staates einlaufen. Erst haben sie auf den Staat geschimpft und ihn bespuckt. Sie haben immer gesagt: Was willst du Depp da? - Aber wehe, es wird eng; dann kommen sie wie die Küken unter die Henne. ({23}) Das ist die Situation: Sie kommen wie die Küken unter die Henne, und wir müssen den Habicht abwehren. ({24}) Der Westerwelle wird dann wieder sagen: Das ist der Bundesadler, der einem das Einkommen nehmen will. Jetzt zur Rolle der Zentralbanken und dazu, was die amerikanische Zentralbank, aber auch die Europäische Zentralbank gemacht haben. Die Bilanzen der Zentralbanken sind angeschwollen. Wir werden uns noch umschauen, wenn wir deren Bilanzentwicklung betrachten. Trotzdem war es nötig, was sie getan haben. Die Fed hat ihr Pulver weitgehend verschossen. Wir sollten aber die Bekehrung der Europäischen Zentralbank feiern. Das sind die Weisen, die vom Irrtum zur Wahrheit reisen. Deshalb begrüßen wir, dass die Europäische Zentralbank nicht mehr mit schlechtem Gewissen, sondern optimistisch und vorsätzlich Zinssenkungen beschließt. ({25}) Herr Weber, Herr Trichet und vor allem Jürgen Stark, willkommen im Klub! Das war eine Bekehrung. Die haben noch im Sommer die Zinsen erhöht, jetzt sind sie dabei, sie zu senken. Im Hause des Vaters ist über einen reuigen Sünder mehr Freude denn über 100 Gerechte. ({26}) - Genau, es sind nur 99 Gerechte. ({27}) Jawohl! Wo Sie recht haben, haben Sie recht; das muss ich zugeben. Das kommt selten genug vor. Wenigstens beherrschen Sie die Bibel. Das ist schon ein Vorteil. Meine Damen und Herren, der Staat ist der Hüter der Nachhaltigkeit in Bezug auf Bildung, Forschung, Entwicklung und Klima. Aber jetzt heißt es: We have to overcome. Nun müssen wir die Krise überwinden. Die nächsten vier Quartale erfordern unsere gesamte Anstrengung. Die Weltwirtschaft ist nicht nur unser Schicksal, sondern auch ein gestaltbares Geschick. Wir sind entschlossen, unser Geschick zu gestalten. Danke. ({28})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Ramsauer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von der heutigen Debatte geht unter anderem eine Botschaft aus: dass wir den Bundeshaushalt 2009 in einem außergewöhnlich schwierigen konjunkturellen und weltwirtschaftlichen Umfeld beraten. Aber - ich habe das schon mehrfach öffentlich betont - bei aller sorgfältigen und gewissenhaften Betrachtung, Analyse und Entwicklung von Gegenmaßnahmen dürfen wir nicht in eine Weltuntergangsstimmung verfallen und eine Apokalypse heraufbeschwören. Deswegen war es ausgesprochen wichtig, dass die Bundeskanzlerin heute an unser Selbstvertrauen appelliert hat, indem sie betont hat, dass wir Deutsche schon andere gewaltige Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten gemeistert haben und dass wir, wenn wir alles richtig machen, gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden. ({0}) Herr Kollege Lafontaine, Demagogie hilft hier nicht weiter. Derjenige, dessen Antwort in Demagogie besteht, versündigt sich an unserem Volk und löst nicht die Probleme, die wir haben, sondern verschärft sie eher. ({1}) Ich bin deshalb froh, dass der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Weise, in aller Nüchternheit darauf hingewiesen hat - das ist richtig -, dass sich ein schwächeres Wachstum weniger auf die Arbeitslosenzahlen auswirken wird, als viele befürchten. Bei einem Rückgang der Wirtschaftsleistungen um 0,5 Prozent, wie wir es im nächsten Jahr vielleicht erleben werden, werde die Arbeitslosigkeit insgesamt um nur - in Anführungszeichen 130 000 steigen. Ich verstehe das als eine Ermutigung, in dieser Krise um jeden Arbeitsplatz entschlossen zu kämpfen. ({2}) Deswegen kommt es jetzt darauf an, dass wir gemeinsam handeln und unserer Wirtschaft einen verlässlichen Rahmen geben. Das Erste, was wir beschlossen haben und was Wirkung zeigt, ist das Finanzmarktpaket, mit dem die Eskalation der Finanzkrise gebrochen worden ist. Jetzt kommt es unter anderem darauf an, dass die Geschäftsbanken in Deutschland ihrer Verantwortung gerecht werden, nämlich die Wirtschaft mit Geld zu versorgen. Ich sage das vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass wir mit unserem Impulsprogramm eine Reihe von zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten gerade für den Mittelstand schaffen. Es ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass wir das, was wir gemacht haben, nicht nur für die Banken getan haben und dass für uns jemand nicht erst dann hilfsbedürftig ist, wenn er im Gewand und in der Größe von Opel daherkommt, sondern dass uns jeder Mittelständler genauso am Herzen liegt und uns diese Arbeitsplätze ebenso wichtig sind. Deswegen geben wir mit diesem Impulsprogramm kleinen und mittleren Betrieben hervorragende zusätzliche Investitions- und Finanzierungsmöglichkeiten. ({3}) Ich rufe die Banken in Deutschland auf: Fallen Sie bei Sicherheitsbewertungen jetzt nicht in das andere Extrem, sondern helfen Sie mit, die bestehende Krise zu meistern! Ich möchte darauf hinweisen, was vor 80 Jahren wahrscheinlich falsch gemacht worden ist. Was zunächst eine reine Bankenkrise war, ist erst durch eine engstirnige Wirtschaftspolitik zu der gewaltigen Weltwirtschaftsdepression geworden. Wir dürfen diesen Fehler nicht wiederholen. Wir müssen - das ist der zweite Punkt - andere Instrumente wie die Stärkung des Freihandels und das Wiederbeleben der Doha-Runde nutzen. Dort engagiert sich unser Wirtschaftsminister Michael Glos gegen Subventionswettläufe zwischen den einzelnen Volkswirtschaften. Ein solcher Wettlauf wäre Gift. Wir brauchen stattdessen mehr Freihandel. Das hilft einer exportorientierten Nation wie der unsrigen. ({4}) Dritter Punkt. Es ist schon das Spannungsfeld zwischen Klimaschutzzielen auf der einen Seite und den Wirtschaftsproblemen auf der anderen Seite angesprochen worden. Bei den aktuellen Problemen, die die Autoindustrie im Augenblick hat, können wir nicht einfach sagen „Weiter so“. Das würde in der augenblicklichen Situation heißen, dass wir Arbeitsplätze in Deutschland mutwillig gefährden. Ein Auto wird nicht allein dadurch umweltfreundlicher, dass es nicht mehr in Deutschland, sondern irgendwo im europäischen oder außereuropäischen Ausland gebaut wird. Das müssen wir uns vor Augen halten. Frau Künast, Sie haben an die Bundeskanzlerin den Vorwurf gerichtet, sie werde in Brüssel „Madame Non“ genannt. Ich bin froh darüber - dafür danke ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin -, dass Sie, wenn es erforderlich ist, in Brüssel oder sonstwo in Europa zu den anderen Staatsführern sagen: Non, das machen wir wegen der deutschen Interessen nicht mit. ({5}) Wir nehmen zwar Rücksicht auf europäische Interessen, aber wir, das Parlament und die Bundesregierung, sind zuerst dazu da, deutsche Interessen zu wahren. Das erwartet auch die Öffentlichkeit in Deutschland von uns. ({6}) Forderungen in Bezug auf Klimaschutz - ja, aber sie müssen auch erfüllbar sein. ({7}) Dazu gehört auch - ich glaube, da sind wir auf einem vernünftigen Weg, Herr Bundeswirtschaftsminister -, dass wir die energieintensiven Industrien von der Versteigerung der Zertifikate ausnehmen müssen. Ein Wort an Bundesumweltminister Gabriel. Lieber Herr Gabriel, unsere Position für Arbeitsplätze und Klimaschutz haben Sie bisweilen kritisiert. Aber da kann ich Ihnen nur zurufen: Was unsere Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner in Brüssel kann, nämlich deutsche Interessen durchsetzen, das sollten auch Sie gefälligst können. ({8}) Ein vierter Punkt. Es geht natürlich auch um Steuersenkungen; Herr Kollege Westerwelle, Sie haben darauf hingewiesen. Es ist keineswegs so, dass davon nicht die Rede ist. Ich möchte vorlesen, was auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart, der vom kommenden Sonntag bis Dienstag stattfindet - ich werde selbst als Gast in Stuttgart sein -, beschlossen werden soll. ({9}) - Hören Sie mir doch zu, lieber Ludwig Stiegler! - Ich darf zitieren: Der derzeitige Tarifverlauf führt dazu, dass Lohnsteigerungen oder Überstunden zu wenig bei den Menschen ankommen. Diese leistungsfeindliche Wirkung des Steuerrechts werden wir ändern. ({10}) Wir werden den Tarifverlauf so gestalten, dass Gehaltserhöhungen oder Mehrarbeit nicht durch die kalte Progression minimiert werden, sondern bei den Arbeitnehmern auch stärker ankommen. ({11}) Dazu kann ich nur sagen: Bravo, CDU-Parteitag! Vonseiten der CSU haben wir das Notwendige hierzu schon längst gesagt. ({12}) - Ich beantworte Ihre Zwischenfrage später, Herr Kollege Westerwelle. Denn dann können Sie das Thema Erbschaftsteuer inkludieren. ({13}) Das Thema Erbschaftsteuer ist in dieser Debatte zu Recht schon mehrfach angesprochen worden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Frage, wie Erbschaften - egal ob landwirtschaftlich, betrieblich oder privat steuerlich behandelt werden, ein außerordentlich wichtiger Standortfaktor für Deutschland ist. Denn jeder macht sich Gedanken darüber, wie in einem Land mit dem Eigentum umgegangen wird. Eine kluge Erbschaftsteuerreform ist auch ein exzellentes Konjunkturprogramm. Das müssen wir uns immer vor Augen halten. Ich habe in den vergangenen Monaten und Jahren mit Entschiedenheit und mit großem Verantwortungsbewusstsein dafür gekämpft, dass im Rahmen einer Erbschaftsteuerreform Eigentum und auch die Leistung respektiert werden, die der Eigentumsbildung vorausgeht. Ich sage eines klipp und klar: Ich verurteile es aus voller Überzeugung, wenn jemand die These vertritt, dass Erben ein leistungsloser Erwerb sei. Nein, Erben ist kein leistungsloser Erwerb. Erben ist vielmehr zweierlei: Derjenige, der sein ganzes Leben lang gearbeitet und etwas geleistet hat, der es sich vom Mund abgespart hat, was er vererbt, soll dies zu vernünftigen Konditionen an die nächste Generation weitergeben können. ({14}) Derjenige, der einen Familienbetrieb, der über Generationen hinweg besteht, als Erbe übernommen hat, soll ihn weitergeben können. Er kann ihn an seinem Lebensende nicht mitnehmen. Alle diejenigen, die Eigentum haben, unter Generalverdacht zu stellen, es zu verscherbeln und es irgendwo auf der Welt zu verjubeln, ist eine gemeine Anklage gegen all diejenigen, die verantwortungsvoll in unzähligen Familienbetrieben Deutschlands zusammen mit den dortigen Beschäftigten arbeiten und Leistung erbringen. ({15}) - Ich bin noch nicht fertig. ({16}) Dazu ist viel zu sagen. Als liberaler Christsozialer könnte ich mehr zu diesem Thema sagen, als die Formalliberalen dazu überhaupt zu sagen haben. ({17}) Ich stelle steuerpolitisch und grundsätzlich eines fest: Wir müssen mit der Frage, inwieweit sich der Staat bei der Weitergabe von Eigentum durch Besteuerung gütlich tut, sehr sorgfältig umgehen. Wenn sich jemand aus bereits versteuertem Einkommen Eigentum schafft, dann hat der Staat bei der Weitergabe an die nächste Generation nicht mehr Hand anzulegen. Unsere Maßgabe muss sein: Respekt vor Eigentum, Respekt vor Leistung. ({18}) Eines gehört noch hierher: die gesellschaftspolitische Bedeutung des Themas Erben bzw. Erbschaftsteuer. „Respekt vor Eigentum“ habe ich gesagt. Eigentum ist die Voraussetzung für Freiheit. Wir wollen nicht den eigentumslosen Staatsbürger; denn dieser kann keine Eigenverantwortung und keine Freiheit haben. Wir wollen vielmehr den freien Bürger, der für sich selbst sorgt und nicht am Tropf des Staates hängt. Eigentum ist die Voraussetzung nicht nur für Freiheit, sondern auch für etwas, auf das wir im Sozialstaat Deutschland besonders stolz sind. Es ist nämlich die Voraussetzung für Solidarität. Ohne Eigentum funktioniert Solidarität nicht. Ohne Eigentum kann es keine SolidariDr. Peter Ramsauer tät geben. Denn derjenige, der kein Eigentum hat, kann auch keine Solidarität üben. Eine Gesellschaft ohne Eigentum ist eine Gesellschaft ohne Solidarität und nur noch eine Mangelverwaltung. Dies wollen wir nicht. ({19}) Deswegen ein klares Ja zum Eigentum, ein klares Ja zur Leistung, ein klares Ja zur Weitergabe des Eigentums. Dann sind wir auf dem richtigen Weg und schaffen eine großartige Standortvoraussetzung in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Guido Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

An den liberalen Christsozialen gerichtet: Die Rede hat uns viel Freude gemacht. Jetzt weiß man auch, warum wir in Bayern gut zusammen regieren werden. Als Zweites möchte ich ansprechen: Sie haben hier, wie ich finde, sehr klug auf die entscheidenden Sätze aus dem Leitantrag der CDU hingewiesen, Herr Kollege. Werden Sie in Ihrer Eigenschaft als Mitglied der Führung der Unionsfraktion dafür eintreten, dass das, was die CDU auf dem Parteitag mutmaßlich beschließen wird, noch vor der Bundestagswahl hier im Hohen Hause beschlossen wird oder danach? Ich richte meine Frage an den unabhängigen liberalen Christsozialen, der jetzt aus seinem Herzen keine Mördergrube machen muss. Reden Sie bitte frei! ({0}) - Nur mal so unter uns. - Bitte!

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Ramsauer, ich habe eine weitere Bitte nach einer Kurzintervention vorliegen, und zwar vom Kollegen Ernst. Wollen Sie die Frage des Kollegen Westerwelle gleich beantworten oder anschließend?

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann habe ich zwei mal vier Minuten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zwei mal drei Minuten. ({0}) Gut. Dann kommt jetzt der Herr Kollege Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Ramsauer, Sie haben über die Erbschaftsteuer gesprochen und erklärt, warum es notwendig ist, dass man das Vermögen an die jeweils nächste Generation vererben kann. In der bayerischen Verfassung heißt es, dass die Erbschaftsteuer auch dazu dient - das steht dort wörtlich -, „die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen“ von wenigen „zu verhindern.“ Jetzt stelle ich mir natürlich die Frage - in diesem Zusammenhang stelle ich sie Ihnen -, wie Sie die Aussage, dass man versteuertes Einkommen - und zwar mehr oder weniger ohne Begrenzung; so habe ich Sie verstanden - einfach weitervererben können muss, mit der bayerischen Verfassung in Einklang bringen wollen, die die Ansammlung von Riesenvermögen, die als Folge eines solchen Vererbens entstehen können, verhindern will. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zum Kollegen Ernst - ich bedanke mich für die Gelegenheit, meiner Rede einen Punkt hinzuzufügen, den ich vorhin aus Zeitgründen nicht mehr darlegen konnte -: Vererben hat für uns in der CDU und der CSU sehr viel mit unserem Familienbild zu tun. ({0}) Damit haben Sie und Ihre Partei, Die Linke, vielleicht Probleme. Unsere Grundüberzeugung hat sich vor langer Zeit in der bayerischen Verfassung niedergeschlagen. Wir wollen, dass innerhalb der Familie erbschaftsteuerfrei vererbt werden kann. Das gab es noch nie. Auch nach dem jetzigen Erbschaftsteuerrecht ist es nicht möglich, dass zwischen Ehegatten sowie Eltern und Kindern vollkommen erbschaftsteuerfrei, ohne Rücksicht auf den Wert der Immobilie, vererbt wird. Jetzt sage ich Ihnen, wer einer der größten Nutznießer dieser Regelung für den privaten Bereich ist. Sie und Ihre Parteifreunde haben immer wieder demagogisch auf irgendwelche imaginären Villen am Starnberger See oder in meiner Heimat, am Chiemsee oder am Königssee, verwiesen. Ich kenne eine wirkliche Luxusvilla im Bundesland Saarland. ({1}) Ja, auch das muss man sagen. Hier sitzt er: Ihr Fraktionsmitvorsitzender Lafontaine ist einer der obersten Nutznießer dessen, was die CSU durchgesetzt hat. ({2}) Wir haben auch für Sie aus christlicher Nächstenliebe und einem ordentlichen Familienbild heraus einen Schutzschirm gestaltet, den Ihnen Ihre eigene Partei nicht gönnen würde. ({3}) Sehr geehrter Herr Kollege Westerwelle, zu Ihrer Frage: Eines haben wir sicherlich schon jetzt geschafft: Wir haben die Neugier auf den CDU-Parteitag gefördert. Wie gesagt, wir werden aus geschwisterlichem Zugetansein dort anwesend sein. Wir lernen viel voneinander. Wichtig ist Ihre Frage, ob diese Steuererleichterungen vor der Bundestagswahl oder nach der Bundestagswahl kommen. ({4}) Sie kommen dann, wenn sie erforderlich sind. ({5}) - Entschuldigung, die CDU-Vorsitzende sitzt auf dem Stuhl der Bundeskanzlerin. Insofern bin ich jetzt sozusagen der Interpret von CDU-Politik, was ich außerhalb Bayerns oft und gerne bin. Ich habe mir den zehnseitigen Entwurf des Leitantrages sehr genau durchgelesen. Ich finde es großartig, dass sich zwei Seiten davon, also 20 Prozent, ausschließlich mit Steuersenkungen befassen. Ich habe das ausgesprochen aufmerksam gelesen. Das vielleicht Wichtigste ist: Es steht nicht drin, dass die Steuersenkungen erst nach der Bundestagswahl kommen. Es steht kein Zeitpunkt drin, wann das alles getan wird. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass wir alle miteinander, CDU und CSU, den richtigen Zeitpunkt für die richtigen Steuersenkungen festlegen werden. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Petra Merkel, SPD-Fraktion. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte eigentlich lieber nach der Rede von Herrn Kollegen Kauder gesprochen, weil ich sie angenehm und wohltuend fand. Stattdessen muss ich jetzt nach Ihnen, Herr Ramsauer, sprechen. Ich möchte Herrn Röttgen, der sich für die moralischen Fragen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion häufig zuständig fühlt, bitten, sich die Rede von Herrn Ramsauer anzusehen und sie in Bezug auf Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung zu analysieren. Das wäre ein gutes Werk. ({0}) Wir hatten wahrlich ungewöhnliche Haushaltsberatungen, und wir befinden uns in einer Situation, die sich niemand von uns vor einigen Monaten hätte vorstellen können. Der im Sommer von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf musste nach der Finanzkrise auf eine sich abzeichnende Wirtschaftskrise ausgerichtet werden. Darüber ist gestern und heute viel diskutiert worden. Ich möchte ausdrücklich betonen, wie gut, konstruktiv und schnell wir im Haushaltsausschuss zusammengearbeitet haben, als es um die rasche Verabschiedung der Hilfen zur Stabilisierung der Finanzmärkte ging. Das lief innerhalb der Großen Koalition gut. Es lief auch gut durch die Unterstützung aller Oppositionsfraktionen, die die schnelle Beratung ermöglichten. Dafür herzlichen Dank! Ich möchte an dieser Stelle auch Peer Steinbrück danken, der mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzministerium bis in die Nächte hinein die Vorarbeit geleistet und mit klaren Vorgaben und Regeln Vertrauen statt unkontrollierbarer Panik erreicht hat. ({1}) Lassen Sie mich Folgendes betonen: Das Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ konnten wir guten Gewissens beschließen, weil wir vorher einen verantwortungsvollen Sanierungspfad eingeschlagen hatten, und das übrigens seit zehn Jahren unter sozialdemokratischer Verantwortung. In der Zeit haben wir Strukturveränderungen durchgesetzt. ({2}) Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist beispielhaft, weil es nach zwei Seiten erfolgreich ist: Es hilft, zur Senkung der Energiekosten beizutragen, und es schafft neue Arbeitsplätze. Das sind Strukturveränderungen, die in die richtige Richtung gehen. Der Klimawandel kann nicht warten. Wir Abgeordnete müssen den Staat gerade jetzt handlungsfähig halten, zur Not auch mit höherer Verschuldung, um Investitionen zu ermöglichen. Wir dürfen in dieser Zeit den Staat nicht kaputtsparen. Das sage ich hier auch als Mitglied des Haushaltsausschusses und der Föderalismuskommission ganz klar und deutlich. Wir müssen allerdings auch die eingestellten Mittel so effektiv wie möglich zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen. Ich habe dafür Beispiele aus meinem Haushalt, dem Haushalt des Beauftragten für Kultur und Medien, herausgesucht, die zeigen, dass Investitionen in Kultur nicht nur der Bildung dienen, sondern auch Arbeitsplätze und bleibende Werte schaffen. ({3}) Im Etat des Beauftragten für Kultur und Medien, dem Etat des BKM, werfen wichtige Jubiläen und wichtige Ereignisse schon jetzt ihre Schatten voraus. Wir konnten in diesem Jahr den zehnten Geburtstag des Amtes des Beauftragten für Kultur und Medien feiern. Drei männliche und eine weibliche Beauftragte haben dieses Amt bislang innegehabt, alle mit ihren Schwerpunkten und jede und jeder auf seine oder ihre besondere Weise, die jeweils gut war. Herzlichen Glückwunsch dazu! ({4}) Dass es das Amt des Beauftragten für Kultur und Medien seit 1998 gibt, verdanken wir übrigens dem damaligen Bundeskanzler Schröder. Die Kultur wird von diesem Parlament ganz besonders gut behandelt. Petra Merkel ({5}) Jetzt komme ich zu dem, was ich vorhin schon angesprochen habe, zu den Investitionen in Kultur, die Arbeitsplätze schaffen. Im Etat des Beauftragten für Kultur und Medien findet sich das Programm „Anreiz zur Stärkung der Filmproduktion in Deutschland“, für das jährlich 60 Millionen Euro vorgesehen sind, die dazu dienen, die Filmproduktion in Deutschland zu unterstützen. Dieses Programm ist sehr erfolgreich. Internationale Filmproduktionen zieht es vermehrt nach Deutschland, vor allem nach Berlin, aber nicht nur in die Hauptstadt. Die Bilanz nach den ersten zwei Jahren dieses Anreizprogramms kann sich sehen lassen. Die ersten Schätzungen ergeben, dass für jeden ausgegebenen Euro über 6 Euro zurückkommen. Das nenne ich eine gute Rendite. ({6}) Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor. Ich werde mich aber hüten, Kultur allein darüber zu definieren. Dieser Wirtschaftsfaktor wird allerdings nicht oft genug gesehen. Ich zitiere in diesem Zusammenhang gern unseren Finanzminister, der das Maßnahmenpaket mit den Worten beschrieben hat: langfristig sinnvoll, kurzfristig umsetzbar, rasch wirksam. Das sind die Investitionen in Kultur allemal. Ein weiteres Beispiel für Investitionen im Kulturbereich ist Folgendes: Wir haben im letzten Jahr mit dem Nachtragshaushalt 2007 400 Millionen Euro im Kulturetat für Investitionsmaßnahmen verankert, davon 40 Millionen Euro für ein Sonderprogramm Denkmalschutz, das in diesem Jahr sehr erfolgreich angelaufen ist. Die erste Tranche haben wir im September im Haushaltsausschuss verabschiedet, die zweite Tranche läuft jetzt, und eine dritte folgt im nächsten Jahr. 40 Millionen Euro dienen zur Sanierung und Restaurierung von akut vom Verfall bedrohten Denkmälern. Durch diese 40 Millionen Euro sind weitere 40 Millionen Euro von den Ländern, Gemeinden oder Privaten lockergemacht worden, die sich zur Hälfte an der Finanzierung beteiligen müssen. Insgesamt sind es also 80 Millionen Euro, die gerade kleinen und mittleren Handwerksbetrieben, die an der Sanierung beteiligt sind, zugutekommen. Die Sanierung, die Rekonstruktion eines Gebäudes, bedeutet an manchen Orten die Steigerung der Attraktivität, vielleicht auch höhere Tourismusraten und dadurch wieder mehr Arbeitsplätze. ({7}) Ich möchte gerne weitere Bereiche im Kulturetat hervorheben, die deutlich machen, wie sich Investitionen auszahlen. Das nun folgende Programm befindet sich zwar nicht in meinem Etat, sondern im Etat des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Aber es geht um den Kulturbereich, und deswegen möchte ich diesen Punkt erwähnen. Wir haben insgesamt 150 Millionen Euro eingestellt und fördern damit in den nächsten fünf Jahren die UNESCO-Weltkulturerbestätten in Deutschland. 33 Denkmäler und Denkmalkomplexe in Deutschland gehören zum Weltkulturerbe. Dieses Förderprogramm soll die Erhaltung und Sanierung der baulichen Anlagen der Weltkulturerbeliste unterstützen. Stätten im Norden, Süden, Osten und Westen der Bundesrepublik sind hier vertreten. Wenn ich schon bei einem fremden Etat bin, dann bleibe ich gleich hier, und es geht weiter mit dem Berliner Schloss bzw. dem Humboldt-Forum. Ebenfalls im Etat des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wurden 1,5 Millionen Euro eingestellt, die zur Errichtung einer neuen Stiftung dienen, einer „Stiftung Berliner Schloss/Humboldt-Forum“. Viele von uns erwarten sicherlich mit Spannung die Entscheidung des Wettbewerbs am kommenden Freitag. ({8}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Wie kann man sich in eine Jury berufen lassen, wenn man ein Gegner des Rekonstruktionsbaus ist? Es gibt klare Vorgaben durch den Bundestagsbeschluss. ({9}) Ich zitiere hier mit Erlaubnis der Präsidentin den Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz im Tagesspiegel vom 21. November 2008: Mehrheitsfähig und demokratisch legitimiert ist einzig die historische Rekonstruktion. Nicht nur, dass sich die Bürgerinnen und Bürger das Stadtschloss zurückwünschen, das SED-Chef Ulbricht einst sprengen ließ. Auch der Deutsche Bundestag hat … 2007 den Wiederaufbau eindeutig beschlossen. Wir erwarten, dass in dem Wettbewerb die klaren Vorgaben, die der Bundestag beschlossen hat, auch erfüllt werden, egal was einzelne Jurymitglieder derzeit in der Presse erzählen mögen. ({10}) Die komplexen Baumaßnahmen machen es nötig, hier eine Struktur zu schaffen, die dieses Projekt begleitet. Diese neue Stiftung soll nun als Bauherr der zentrale und verantwortliche Ansprechpartner für alle den Bau und später den Betrieb betreffenden Angelegenheiten werden. Mit dem Humboldt-Forum sollen die Weltkulturen ins Zentrum Berlins geholt und in den Dialog mit den europäischen Kulturen auf der Museumsinsel gesetzt werden. Die außereuropäischen Sammlungen des Ethnologischen und des Asiatischen Museums in Dahlem sollen in das zukünftige Humboldt-Forum einziehen. Somit werden die weltbedeutenden Berliner Sammlungen auch international in den Fokus gerückt. Die Bundesrepublik Deutschland - ein Zitat aus dem Bundestagsantrag nimmt somit die historische Chance wahr, in der Mitte der Hauptstadt ein zukunftsweisendes Signal ihres kulturellen Selbstverständnisses zu setzen. ({11}) Petra Merkel ({12}) Der Haushalt 2009 ist auch der Haushalt für ein spannendes Gedenkjahr. Manchmal sind Daten gut, um etwas zu bewegen oder anzustoßen. Als Erstes möchte ich mit Ihnen auf das Jahr 2010 blicken. Da wird die Region Ruhr eine der Kulturhauptstädte Europas sein. Wir konnten in diesem Haushalt 5 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen, um Projekte für die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 zu unterstützen. Was besonders wichtig ist: Diese Mittel werden schon 2009 fließen, sodass die Arbeit konkret losgehen kann. 2010 wird der Bund 13 Millionen Euro geben, also eine Summe von insgesamt 18 Millionen Euro, ohne die Mittel aus der Bundeskulturstiftung, die wir übrigens um 1 Million Euro aufgestockt haben. Da ich gerade über das Jahr 2010 spreche, kann ich den Bogen zu einem Projekt schlagen, das mir besonders am Herzen lag und liegt und für das ich zum Glück viele begeistern konnte. Nach einem Besuch der Villa Massimo im Rom vor einigen Jahren habe ich davon geträumt, dass es einen ähnlichen Ort auch in Istanbul geben sollte, einen Ort, an dem deutsche Künstlerinnen und Künstler aus den unterschiedlichen Sparten - Film, Literatur, Musik, bildende und darstellende Kunst - eine Zeit lang leben und arbeiten und dadurch in der manchmal vertrauten, manchmal fremden Metropole Istanbul neue Impulse für ihre Arbeit erhalten können. Gleichzeitig sind diese Künstlerinnen und Künstler auch Mittler und schaffen ein weiteres Glied in der Kette der zahlreichen Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland. Ich konnte meinen Koalitionspartner Steffen Kampeter sehr schnell für diese Idee gewinnen; ich glaube, das gilt auch für Gesine Lötzsch, die bei der Reise nach Istanbul dabei war. Wir haben dort einen Ort gefunden: die ehemalige Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Istanbul. Der Ort heißt Tarabya; diesen Namen müssen Sie sich merken. Diese Idee scheint nun Wirklichkeit zu werden. Natürlich ist dies nicht zuletzt auch der Unterstützung unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier zu verdanken, der dieses Projekt begrüßt hat und es tatkräftig unterstützt, ebenso wie der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann. In den Haushaltsberatungen ist es uns gelungen, diese deutsche Kulturakademie sowohl im Etat des BKM als auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes zu etablieren und im Etat des Auswärtigen Amtes schon für das kommende Jahr mit Blick auf die sanierungsbedürftigen Häuser in Tarabya Baumittel bereitzustellen. Es scheint alles auf gutem Weg zu sein, damit wir 2010 den Startschuss geben können, in dem Jahr, in dem sowohl Istanbul als auch die Region Ruhr Kulturhauptstädte Europas sind. Welcher Zeitpunkt wäre passender? Ich komme auf das Jahr 2009 zurück. Nun geht es ganz in die Nähe, in die Normannenstraße, Haus 1, in Berlin. Ich weiß nicht, ob Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon einmal in Haus 1 in der Normannenstraße gewesen sind. Es ist das ehemalige Hauptquartier des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Dies ist ein authentischer Ort, der gewiss als solcher erhalten werden sollte, weil Orte manchmal mehr aussagen und mehr vermitteln als Bücher und Lehrpläne. An diesem Ort befinden sich viele Originalschauplätze, zum Beispiel die sogenannte Mielke-Suite. Dieser Ort sagt aber auch viel über die Geschichte, das System der Überwachung und Unterdrückung sowie über die Diktatur der DDR aus. Vielleicht haben Sie, wie auch ich, noch die Bilder von fliegenden Akten und Papieren beim Sturm auf das MfS im Kopf, oder vielleicht kennen Sie diesen Ort als Kulisse des Films Das Leben der Anderen. Was tut man mit einem solchen Ort? Was tut man mit diesem sanierungsbedürftigen Haus, dem dort sehr engagiert arbeitenden Verein und den Opferverbänden? Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept für die weitere Nutzung vorzulegen, die Sanierungskosten zu ermitteln - auch vor diesem Hintergrund ist ein Besuch vor Ort sehr erhellend - und die dafür notwendigen Mittel in den kommenden Jahren in den Haushalt einzustellen. Damit wollen wir sicherstellen, dass dieser Ort zur Mahnung und zur Aufklärung sowie gegen jegliche Art der Verklärung - Stichwort: Ostalgie beiträgt. Die Geschichte soll gerade jungen Menschen auf diese Weise buchstäblich vor Ort nahegebracht werden können. Zum Gedenken an den Mauerfall vor 20 Jahren gehört auch, dass das Parlament die Gelder für den Bau eines Freiheits- und Einheitsdenkmals kräftig aufgestockt hat. Nun stehen dafür insgesamt 15 Millionen Euro zur Verfügung. So kann 2009 mit der Errichtung dieses Denkmals in der Mitte Berlins begonnen werden. ({13}) - Danke. - Wichtig war uns darüber hinaus, dafür zu sorgen, dass unter Berücksichtigung dieses finanziellen Rahmens auch eine sichtbare Würdigung des Beitrags der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leipzig zur Einheit Deutschlands erfolgt. ({14}) Ich komme zum Schluss. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen, beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Börnsen, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Kultur gehört zum Etat der Bundeskanzlerin. Dort ist sie passend eingebunden. Gleichzeitig erfährt sie dort eine umfassende Förderung. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Petra Merkel, herzlichen Dank für die verständnisvolle Kulturrede, die Sie gehalten haben. Kultur braucht Verbündete. ({0}) Um mit einem wirklichen Kulturthema zu beginnen: Die 1. Fußball-Bundesliga verzeichnet jährlich 10 Millionen Besucher. 396 Fußballerbeine sorgen täglich für Schlagzeilen, und wenn Ballacks Bein keine Beule hat, dann sind wir mit der Nationalmannschaft auch erfolgreich. Mit unseren Kulturerfolgen tun wir uns viel schwerer. Obwohl wir in vielen Bereichen meisterlich - sogar Spitzenklasse - sind, üben wir uns in Bescheidenheit. 10 Millionen Fußballfans - das begeistert. Jährlich besuchen aber 100 Millionen Menschen unsere Museen. Das ist erst recht eine tolle Botschaft. ({1}) 35 Millionen Theatergänger und 35 Millionen Konzert- und Kunsthalleninteressierte haben wir in unserem Land. Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist neben dem Breitensport die größte Bürgerbewegung unserer Republik. Wir sind eine Kulturnation. ({2}) 750 Staats- und Symphonieorchester musizieren in unserem Land. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr. Drei von ihnen gehören seit diesem Jahr zu den besten zehn dieser Welt: die Berliner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und die Sächsische Staatskapelle. Herzlichen Glückwunsch! ({3}) Wir fühlen uns Beethoven, Bach, Brahms und allen anderen großen Komponisten verpflichtet. Es gibt aber auch 50 000 Chöre und 50 000 Rock-, Pop- und Jazzbands zwischen Flensburg und Konstanz. Wir bieten den viertgrößten Musikmarkt der Welt mit einem Umsatz von fast 5 Milliarden Euro. In der Klassik sind wir die Nummer zwei. Und das Interesse wächst. Deshalb ist es klug, mit der Bundesinitiative Musik einen weiteren Förderschwerpunkt zu setzen: für den Nachwuchs, für den Export und für die Integration. Wir sind ein Musikland, und wir wollen es auch bleiben. ({4}) Wir als Bundesrepublik wollen auch ein Filmland bleiben und uns weiter nach vorne bringen. Wir wollen unsere Werte, unsere Sprache und unsere Schauspieler in den Filmen verwirklicht sehen und Hollywood das Feld nicht kampflos überlassen. Dadurch wird die Verstetigung der 60 Millionen Euro für den Filmförderfonds gerechtfertigt. Dieser Betrag und weitere 60 Millionen Euro haben alleine 2008 dazu geführt, dass fast 800 Millionen Euro in die Filmproduktion investiert wurden. 170 Uraufführungen in diesem Jahr: Wir sind ein Filmland im Aufwind. Seit Beginn der Großen Koalition wird der Kreativstandort Deutschland konzeptionell und gezielt gefördert. In der Kulturwirtschaft gibt es bereits 800 000 Arbeitsplätze, mehr als in der Chemieindustrie und mehr als im Autobau. Jahr für Jahr wächst sie um 3,5 Prozent. Jeder dritte Kreative ist selbstständig. Wir treten weiter für die Förderung des Kreativstandortes Deutschland ein. Beachtenswerte Zuwächse erzielt auch der Kulturtourismus. Seit 2000 stieg die Anzahl europäischer Kulturreisender nach Deutschland um 30 Prozent. Nach Frankreich sind wir das zweitbeliebteste Land. 2007 - im letzten Jahr - bestritten über 1,5 Millionen Mitbürger ihr Einkommen alleine aus dem Kulturtourismus. ({5}) Deshalb war es weise, die Mittel für die Denkmalpflege anzuheben. Durch die 40 Millionen Euro für das Denkmalschutz-Sonderprogramm ergaben sich bisher 300 Projekte und Investitionen von über 100 Millionen Euro. Durch den Denkmalschutz wird die Geschichte gesichert, werden aber auch Arbeitsplätze geschaffen. ({6}) Unsere Verantwortung als Parlamentarier geht darüber hinaus. Wir sind auch gegenüber den Künstlern und den Kreativen selbst in einer Verantwortung. Ihre soziale Absicherung muss unser Anliegen sein. Für uns als Union und für alle ist eindeutig und klar: An der Künstlersozialversicherung wird nicht gerüttelt. ({7}) Es gibt sie seit 1983, seit Helmut Kohls Regierung sie eingeführt hat, sie ist weltweit beispielgebend geworden und wird von allen Kulturpolitikern hier mitgetragen. ({8}) Für vier Fraktionen gibt es eine weitere Gemeinsamkeit, sie wollen nämlich mit 35 Millionen Euro gemeinsam für die Realisierung des Gedenkstättenkonzepts sorgen. Das ist nicht selbstverständlich. Den Freien Demokraten und den Bündnisgrünen danke ich für die Mitwirkung am Gedenkstättenkonzept. Die vier Fraktionen waren auch bereit, den Protest gegen die Absicht der Deutschen Post mitzutragen - die jetzt glücklicherweise aufgegeben worden ist -, die Zwangsvereinigung von SPD und KPD von 1946 auf einer Silbermünze zu ehren. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Börnsen!

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. - Das ist ein Ansinnen ohne historisches Fingerspitzengefühl. ({0}) In einer weiteren Sache sind wir uns einig - damit komme ich wirklich zum Schluss -: Der in dieser Legislaturperiode erzielte Kulturerfolg wird von uns laut, von den meisten jedoch verhalten leise und eher zurückhaltend deutlich gemacht. Er ist mit einem Namen verbunden. Bernd Neumann, dem Staatsminister, gelang es, vier Mal einen Anstieg seines Haushaltsvolumens zu erreichen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Börnsen!

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- und den Koalitionsvertrag insoweit sogar zu 110 Prozent zu erfüllen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin GöringEckardt, Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Manches machen wir ja ganz gut in Deutschland, auch weil wir uns, Herr Westerwelle, so viel darüber streiten, wie viel Staat wir eigentlich haben wollen. Wie wichtig eine starke öffentliche Kulturförderung ist, zeigt sich in der aktuellen Finanzkrise ganz besonders; denn dort, wo Kultureinrichtungen vorwiegend auf Fundraising oder private Förderer angewiesen sind, stehen weitaus weniger Gelder zur Verfügung als in Deutschland. Jetzt ist das kulturelle Angebot gerade dort direkt bedroht. Würde oder könnte Guido Westerwelle in Deutschland bestimmen, was sich niemand wünschen kann, wären wir heute genau da, wo andere sind, die sich große Sorgen machen. ({0}) Das gilt natürlich nicht nur für den von den Liberalen angeblich so geschätzten Kulturbereich. ({1}) In New York zum Beispiel müssen einige Museen nicht zuletzt deshalb ihr Personal reduzieren oder geplante Ausstellungen ganz und gar abblasen, weil Lehman Brothers ein wichtiger Förderer von Kultureinrichtungen war. 39 Millionen sind in Häuser wie das Museum of Modern Art oder Guggenheim, also die großen Häuser in New York, geflossen. ({2}) Sosehr wir uns natürlich privatwirtschaftliches Engagement in der Kultur wünschen, so sehr brauchen wir gerade hierfür einen vernünftig handelnden, starken Staat. ({3}) Kulturinstitutionen dürfen nicht vom Gutdünken, von der aktuellen Situation privater Geldgeber oder gar den Unwägbarkeiten globaler Finanzmärkte abhängig sein; denn auch hier in Deutschland zeichnet sich ab, dass wegen der Finanzkrise weniger privates Geld in die Kultur fließen wird. Das wird übrigens erst recht geschehen, wenn die Bundeskanzlerin, wie sie es in den letzten Tagen - heute nicht, aber in den letzten Tagen - ausführlich getan hat, darüber redet, was für ein fürchterlich schwarzes Jahr wir vor uns haben. Wenn das so ist, dann müssen wir aus meiner Sicht jetzt sehr aufpassen, mit welcher Haltung wir gerade mit gesellschaftlichen Fragen, mit Bürgerschaftlichkeit und Engagement in unserer Bürgergesellschaft umgehen. Viele fragen sich heute: Werde ich, wenn 500 Milliarden zur Verfügung stehen - wir alle wissen, wie es gemeint ist; dennoch ist dieses Gefühl vorhanden -, mit meinem Engagement vor Ort eigentlich noch gebraucht? Die da oben drehen das ganz große Krisenrad. Werden wir in dieser Gesellschaft in Zukunft überhaupt noch vonnöten sein? Natürlich ist es immer ärgerlich, wenn die eigenen Anträge zum Haushalt abgelehnt werden; das ist ganz klar. Aber ich will an dieser Stelle auf eine Haltung aufmerksam machen, die mir Sorge macht. Es sind nämlich gerade die Projekte abgelehnt worden, bei denen es ganz besonders um bürgerschaftliches Engagement geht. Ein Beispiel: Der „Zug der Erinnerung“, der an die Deportationen mehrerer Hunderttausend Kinder erinnert, wird nun nicht durch Europa fahren, weil die Summe von 400 000 Euro fehlt. Viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben den Zug wahrscheinlich in Ihrem Wahlkreis ganz in der Nähe besuchen können. Der „Zug der Erinnerung“ wird nun nicht mehr fahren. Dabei handelt es sich um eine bürgerschaftliche Initiative, die sehr viele Jugendliche erreicht hat, die ihnen gezeigt hat, was Erinnerungskultur heute bedeutet, und die ihnen deutlich gemacht hat, dass sie selbst etwas tun können und auch etwas tun müssen. Ich finde es traurig und sehr dramatisch, dass wir das nicht unterstützen. ({4}) Es gibt ähnliche Beispiele. Nehmen wir die ausdrückliche Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, die deutlich gemacht hat, dass wir mehr Geld für die soziokulturellen Zentren in der Republik brauchen. Gerade sie gestalten Kultur von unten und binden Kinder und Jugendliche ein, die sonst keine Chancen haben. Auch diese Empfehlung wurde abgelehnt. Manchmal hat man das Gefühl, die Ablehnung erfolgt pauschal immer dort, wo es um das Engagement der Bürgerinnen und Bürger geht. ({5}) Auf der anderen Seite stehen Großprojekte wie das Freiheits- und Einheitsdenkmal. Ich bin sicherlich die Letzte, die im Verdacht steht, gegen Freiheit und Einheit zu sein bzw. gewesen zu sein. Nichtsdestotrotz reicht es nicht aus, ein Denkmal zu errichten, vor allem dann nicht, wenn man es auf Biegen und Brechen durchsetzen will, wenn statt 5 Millionen Euro plötzlich 15 Millionen Euro gebraucht werden, wenn es im Prinzip immer noch keinen Entwurf gibt - er wird hoffentlich im nächsten Jahr vorliegen, wenn der große Jahrestag begangen wird - und man es unbedingt auf einen bestimmten Sockel stellen muss. Ich finde, der Ansatz für das Denkmal ist gut. Freiheit und Einheit sollten wir zuerst diskutieren. Erst dann können wir ein Denkmal bauen, das den Bürgerinnen und Bürgern wirklich aus der Seele spricht. Darum muss es dabei gehen. ({6}) Ich komme zum letzten Punkt. Auch hierbei geht es um die Frage, welche Prioritäten wir setzen. Wir wissen genau - das hat auch der Bildungsgipfel deutlich gemacht -, wie wichtig auch kulturelle Bildung ist. „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein Projekt, das, glaube ich, viele von uns als etwas besonders Hervorragendes ansehen. Der Antrag, dieses Projekt bundesweit zu vernetzen, um es allen Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen, ist abgelehnt worden. Ich finde, wir hätten uns dazu bekennen sollen, dass wir mit kultureller Bildung und musischer Förderung auch die Kinder erreichen können, deren Eltern sie nicht automatisch in der Musikschule anmelden und sie dann auch noch einmal pro Woche dorthin kutschieren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geht um die Kinder, die diese Chance nicht haben. Es wäre gut gewesen, wenn wir einen anderen Schwerpunkt gesetzt hätten. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Petra Merkel hat schon die wichtigsten Punkte des Kulturhaushalts skizziert. Ich danke ihr ganz herzlich für die geleistete Arbeit. ({0}) Ich danke auch unserem haushaltspolitischen Sprecher Carsten Schneider. Denn das Engagement für die Kultur ist in der SPD-Fraktion sehr groß. Das machen die zusätzlichen Mittel für die UNESCO-Weltkulturerbestätten deutlich, die diese wirklich benötigen. Ganz herzlichen Dank dafür, auch den Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, die mitgeholfen haben, das im Parlament zu erreichen. Gerade in diesen Zeiten wird deutlich - darauf hat auch Frau Göring-Eckardt hingewiesen -, wie sinnvoll staatliche Kulturfinanzierung ist. Kultur ist nämlich Lebensmittel, prägt die Kreativität und fördert Integration. Sie fördert ein friedliches Miteinander und das Zusammenleben. Kultur ist eine Wurzel unserer Gesellschaft, die einen Grundkonsens herstellt, der nicht durch das Wirtschaftssystem oder den Finanzmarkt entstehen kann. Ich denke, mit diesem Haushalt bekennt sich der Deutsche Bundestag zu der weitreichenden Bedeutung von Kultur. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen. ({1}) Die Kulturstiftung des Bundes, die bereits seit ihrer Gründung 2002 innovative Projekte mit nationaler und internationaler Strahlkraft fördert, ist ein Schwerpunkt unseres Engagements. Die Einschnitte bei der Projektförderung 2007 waren falsch, weil gerade die Projekte sehr wesentlich sind, um die Bevölkerung mit einzubeziehen. Deswegen bin ich sehr froh, dass im Haushalt der Jahre 2008 und 2009 wieder 1 Million Euro zusätzlich zur Verfügung steht, damit wir gerade auch solche Projekte fördern können und nicht immer nur Vorhaben von bestehenden Institutionen. Herzlichen Dank auch dafür. ({2}) Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es lohnend ist, aus den zusätzlichen Mitteln eine Aufstockung des Fonds Soziokultur vorzunehmen. Das ist eine Empfehlung der Enquete-Kommission. Gerade die Zahl der Projekte im interkulturellen Bereich nimmt zu. Die Zahl der Anträge steigt. Deswegen ist es sinnvoll, hier mehr Geld auszugeben. Ich freue mich zudem, dass das Institut für Kulturpolitik zusätzlich Geld bekommt, um im Auftrag der Enquete-Kommission eine Evaluation der soziokulturellen Zentren vorzunehmen. So sehen wir, wie die Arbeit weitergeht. ({3}) Die „Ruhr 2010“ bekommt schon 2009 Geld. Das ist sehr sinnvoll. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und weiß um die dortige kulturelle und soziale Vielfalt sowie um die vielen verschiedenen Initiativen. Wenn hier tatsächlich Sachen auf den Weg gebracht und verwirklicht werden, dann hat das eine nachhaltige Wirkung; denn im Ruhrgebiet zeigt sich die Bedeutung des Zusammenlebens sehr stark. Das ist ein sehr guter Punkt. ({4}) Auch das Zusammenleben mit den Sorben ist sehr wichtig. Das Parlament hat 600 000 Euro mehr genehmigt, sodass die kulturelle Identität der Sorben erhalten und dafür mehr getan werden kann. Das ist ein positiver Schritt. ({5}) Initiative Musik. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir das Gefühl, dass hier viel Gutes bewegt wird. Dafür werden die Mittel erhöht. Damit betreiben wir aber keine Wirtschaftsförderung. Stattdessen steht in dem entsprechenden Haushaltsvermerk: „Die Erhöhung der Mittel dient der Durchführung von Maßnahmen im Bereich Jazzmusik.“ Es geht nicht darum, ausschließlich den Stil Jazz zu fördern. Vielmehr geht es um diejenigen, die in vielen Bereichen auch ehrenamtliche Arbeit leisten, Musiker, Veranstalter und andere Engagierte. Es geht um ein Förderprogramm für Konzertklubs, Initiativen und Spielstätten, die sich der Livemusik widmen. Diese kommen sonst zu kurz. Ich finde es sehr gut, dass wir sie jetzt stärker berücksichtigen können. ({6}) Im nächsten Jahr gibt es sehr viele Gedenktage. Wir haben in der letzten Sitzungswoche über das Gedenkstättenkonzept gesprochen. Ich bin froh, dass wir die notwendigen Mittel haben, um vieles von dem, was wir besprochen haben, zu verwirklichen, und dass wir Geld für die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an die friedliche Revolution von 1989, aber auch für diejenigen, die sich für Freiheit und Einheit eingesetzt haben, eingestellt haben. Sachsen und insbesondere Leipzig werden dabei integriert. Wir bekommen beides hin. Sowohl in Leipzig als auch in Berlin soll der Menschen gedacht werden, die sich aktiv eingesetzt haben. Ich bewundere diese Menschen. Ich habe damals, als ich Bildungsreferentin beim CVJM war, mitbekommen, wie es in den Kirchen brodelte und was dort los war. Ich freue mich, dass wir das, was geplant ist, im nächsten Jahr auf den Weg bringen können. Wir werden im nächsten Jahr sicherlich sehr viel mit den Gedenkveranstaltungen zu tun haben. Herzlichen Dank an alle, die mitgeholfen haben. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist es ganz gut, wenn zum Ende dieser Debatte ein Kultur-, Forschungs- und Bildungspolitiker wie ich das Wort bekommt. Damit sind die Prioritäten im Land richtig beschrieben. - Herr Kauder, ich teile Ihre Freude. Weil wir gleich den Datenschutzbeauftragten wählen: Lieber Herr Schäuble, Sie haben in Ihrem Etat noch keine Stelle gefunden, um diesen zu stärken. Ich bitte Sie herzlich, nicht nur Pressemitteilungen für den Datenschutz zu verfassen. Stärken Sie den Datenschutzbeauftragten finanziell! Damit machen Sie ihm eine genauso große Freude wie wir nachher mit seiner Wahl. ({0}) Der Etat für Kultur und Medien ist sicherlich nicht der größte, aber er ist gut. Wir wollen etwas im Bereich des Deutschen Presserates tun. Wir werden ihn auch für den Onlinebereich zuständig machen. Wir werden die vorhandenen Informationsdefizite im Zusammenhang mit der Pressestatistik in diesem Land beseitigen. Wir wissen als Medienpolitiker zu wenig über die Verquickungen von medialen Entwicklungen im Fernsehund im Printbereich. Wir setzen mit dem Etat ein entsprechendes Signal; das ist gut so. ({1}) Wir werden last, but not least nicht, wie die Gelben es mit den Schwarzen in Bayern tun wollen, Computerspiele verbieten - lieber Herr Stadler, da haben Sie kläglich versagt -, sondern wir haben intelligente Lösungen für diesen Bereich. Wir reden nicht darüber, sondern wir schaffen ein Netz für Kinder und fördern vernünftige und gute Computerspiele. Auch das steht in diesem Etat, für den wir gemeinsam gesorgt haben. ({2}) Ich hätte mir von Herrn Westerwelle - er ist nach seiner fulminanten Rede nicht mehr da - gewünscht, dass er sich ähnlich wie Banker und Manager verhält, die im Moment mit Demut durch das Land gehen. ({3}) Aufgeblasen und arrogant verkörpert er weiter die alten Konzepte bis hin zu den Steuersenkungen, die heute angesprochen worden sind und gegen die niemand etwas hat. Lieber Kollege Ramsauer, Sie haben es wunderbar auf den Punkt gebracht. Da sitzt der reiche Lafontaine und hat eine Villa zu vererben. Ich wünsche Lafontaine ein langes Leben - politisch natürlich nicht, aber ansonsten schon -, aber wenn er sie vererbt, dann werden Sie ihm die Erbschaftsteuer erspart haben, wo er sie doch so gerne zahlen würde. Vielleicht wäre das ein Punkt, worüber Sie noch einmal nachdenken sollten. Reiche Leute, die Villen zu vererben haben, sollten einen kleinen Anteil dem Staat zukommen lassen. Das wäre eine vernünftige Politik. ({4}) Nun hat Herr Westerwelle das Ziel, das zusammen mit Frau Merkel und Frau Schavan auf dem Bildungsgipfel vereinbart wurde, nämlich 7 Prozent für Bildung - eine alte SPD-Forderung - und 3 Prozent für den BeJörg Tauss reich Forschung auszugeben, richtig madig und lächerlich gemacht. Wissen Sie, was das heißt? Wenn wir diese 10 Prozent erreichen würden, hieße das, dass in den nächsten Jahren pro Jahr durch Bund, Länder, Gemeinden und Wirtschaft 40 Milliarden Euro mehr für den Bereich Bildung zur Verfügung gestellt würden. Das steckt hinter dem 10-Prozent-Ziel. Herr Westerwelle hat das madiggemacht. Ich sage Ihnen: Ich werde alle Kerzen in Altötting aufkaufen und sie in den Kirchen entzünden, wenn wir das große Ziel erreichen würden, in Bildung und Forschung voranzukommen. ({5}) Sie haben nichts anderes getan, als darüber zu reden, wie man die Menschen entlasten soll. Ich bin sehr dafür. Aber eines muss an dieser Stelle gesagt werden: Seien wir doch kritisch gegenüber diesen Steuersenkungspropheten. Wir haben in Rheinland-Pfalz etwas geschafft, was die Menschen wirklich entlastet. Wir werden die Kindergartengebühren kontinuierlich abschaffen, auch die Gebühren für das letzte Jahr. Wir erheben keine Steuern in Form von Studiengebühren für Menschen, die ihre Kinder auf Universitäten schicken. Das sind Entlastungen für die Menschen, die wichtig und besser sind als manches, was Sie mit Ihrem Gießkannenprinzip vorschlagen. ({6}) Ich sage deshalb ausdrücklich in Richtung FDP - auch sie kann dazulernen -: Misstrauen wir allen diesen Steuersenkungsexperten! Auch ich bin keiner, der gerne Steuern zahlt, aber ich bin jemand, der gerne in einem Staat lebt, wo es Dörfer gibt, in denen es noch Polizei und Grundschulen gibt, in einem Staat, der eine gute Verkehrsinfrastruktur aufweist und in dem es Unis gibt, auf die auch Menschen, die weniger Geld haben, ihre Kinder schicken können. Ich bin ein Mensch, der gerne in einem Staat lebt, in dem die Leute ihre Kinder auf Gymnasien schicken können und in dem die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft wird, die Sie, Frau Flach, nicht mehr bekämpfen wollen. Wenn Ihre Pläne in die Realität umgesetzt werden, dann können nur noch die Menschen im Schwimmbad baden, die sich einen privaten Swimmingpool leisten können. Aus diesem Grunde: Misstraut diesen falschen Propheten! Ein handlungsfähiger Staat ist das, was wir brauchen; einen handlungsfähigen Staat haben wir mit diesem Etat. Ich danke Ihnen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen wollen. Kann bitte jemand das Mikrofon lauter stellen? ({0}) - Nein danke, Herr Tauss, das wäre mir nicht so recht. Ich möchte gerne ohne Sie verstanden werden. ({1}) Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/11042? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag bei Zustim- mung durch die einbringende Fraktion und Gegenstim- men durch das übrige Haus abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/11048? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag bei Zu- stimmung durch die Fraktion Die Linke, bei Gegenstim- men durch die Große Koalition und die FDP und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen1) abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/11049? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und die FDP, bei Gegenstimmen der SPD, der CDU/CSU und bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen ebenso abgelehnt. Jetzt kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich nochmals da- rauf hinweisen, dass wir im direkten Anschluss an diese namentliche Abstimmung eine Wahl durchführen wer- den. Ich bitte Sie daher, hierzubleiben. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze an den Urnen be- setzt? - Das ist der Fall. Dann ist die Abstimmung eröff- net. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli- chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt III auf: Wahl des Bundesbeauftragten für den Daten- schutz und die Informationsfreiheit Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom 16. Oktober 2008 Herrn Peter Schaar für die Wahl vor- geschlagen. Sie benötigen dazu eine Stimmkarte und Ihren weißen Wahlausweis. Die Stimmkarten sind hier im Saal erhält- lich. Ihren Wahlausweis können Sie auch jetzt noch Ih- rem Stimmkartenfach entnehmen, soweit Sie das nicht bereits getan haben. Der Kandidat ist gewählt, wenn er die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich ver- eint. Das heißt, es müssen mindestens 307 Abgeordnete für ihn stimmen. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen, Zusätze oder Zeichnungen enthalten, sind ungültig. 1) Anlage 2 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Die Wahl ist nicht geheim. Sie können das Kreuz auf der Stimmkarte deshalb auch an Ihrem Platz machen. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen wer- fen, geben Sie bitte Ihren Wahlausweis bei den Schrift- führerinnen und Schriftführern ab. Die Abgabe des Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an der Wahl. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer erneut, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist das geschehen? Das scheint mir der Fall zu sein. Dann er- öffne ich die Wahl. Konnten jetzt alle, die es wollten, ihre Stimmkarte ab- geben, oder hat jemand seine Stimmkarte noch nicht ab- gegeben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih- nen später bekannt gegeben.1) Ich würde jetzt gerne die Haushaltsberatungen fortsetzen. - Ich rufe Tagesordnungspunkt II. 9 auf: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksachen 16/10405, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Jürgen Koppelin Omid Nouripour Es ist verabredet, hierüber zwei Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Wenn hier alle wieder Platz nehmen würden, könnte ich die Debatte eröffnen. Ich weiß, dass das auch in Ihrem Interesse ist. Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. ({2})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushalts- ausschuss auf Redezeit verzichtet haben und heute für die FDP nur ein Außen- und ein Europapolitiker reden, möchte ich zu Beginn auch eine Bemerkung zum Haus- halt des Auswärtigen Amtes machen. Wir sind uns einig: Wir brauchen einen gut ausgestat- teten, gut finanzierten und hochmotivierten Auswärtigen Dienst. Ich möchte darauf hinweisen, dass in Ihrem Haus, Herr Minister, doch einige Unruhe herrscht. Es wäre wichtig, dass Sie sich persönlich darum kümmern. Erster Punkt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses leiden unter einem neuen Beurteilungssys- tem, was sie in hohem Maße verunsichert, insbesondere 1) Ergebnis Seite 20380 D weil der Zusammenhang zwischen den Beurteilungen, die von den Dienstvorgesetzten sauber aufgeschrieben werden, und den Benotungen, die nachher unter der Beurteilung stehen, nicht erkennbar ist. Dieser Zusammenhang muss hergestellt werden, weil sonst erhebliche Probleme in der Mitarbeiterführung und im Loyalitätsund Vertrauensverhältnis zwischen Führenden und Geführten auftreten. ({0}) Zweiter Punkt. Wir leben im 21. Jahrhundert. Das müsste sich auch im Umgang mit den Partnerinnen und Partnern von Angehörigen des Auswärtigen Amtes widerspiegeln. Bis heute gibt es nur mit vier Partnerländern Gegenseitigkeitsabkommen über die Berufstätigkeit von Partnerinnen und Partnern im Ausland. Das wird den gesellschaftlichen Realitäten dieses Jahrhunderts nicht mehr gerecht. ({1}) Deswegen würde ich mir wünschen, dass das Haus auf diesem Gebiet mehr Aktivitäten entwickelt. ({2}) - Liebe Frau Kollegin, zunächst einmal ist das Thema erst in den letzten Jahren wirklich brisant geworden. Außerdem - auch wenn es keiner glauben mag - leitet die FDP schon seit zehn Jahren nicht mehr das Auswärtige Amt. Es ist höchste Zeit, dass wir das wieder ändern. Insofern fasse ich Ihren Zuruf als Ermunterung auf. ({3}) Dritter Punkt. Das Kerngeschäft des Auswärtigen Dienstes findet nun einmal draußen statt; das hat ein Auswärtiger Dienst so an sich. Deswegen ist es auch aus gutem Grunde so - wir haben lange dafür gekämpft, dass das möglich wurde -, dass die Dienstposten im Ausland von den pauschalen Stellenkürzungen ausgenommen sind. Ich freue mich, dass das so ist. Aber was passiert faktisch? Allein in dieser Legislaturperiode sind bereits 140 Dienstposten aus dem Ausland ins Inland verlagert worden, teilweise mit Begründungen, die nur auf eine vorübergehende Verlagerung hindeuteten. Hinterher ist das aber nie wieder rückgängig gemacht worden. Das heißt, draußen, wo die Arbeit als Serviceleistung für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und unsere ausländischen Partner erbracht werden muss, fehlen diese Stellen. Es kommt hinzu: Nach der Logik der Regelung zur pauschalen Stellenkürzung können Stellen, die ins Inland verlagert worden sind, der pauschalen Stellenkürzung zum Opfer fallen. Das heißt, Sie schießen sich selber ins Knie. Auch hier wäre es wünschenswert, dass nachgebessert wird. ({4}) Zum Inhalt der Außenpolitik. Die Welt ist in enormer Unordnung. Nach 1990 ist noch keine neue Weltordnung zustande gekommen; sie wird aber dringend gebraucht. Die einfache Fortschreibung dessen, was im Kalten Krieg angesagt war, zieht nicht mehr. Ich sage das ohne Schuldvorwürfe; aber jetzt ist es an der Zeit, zu handeln. Plötzlich wundern sich so viele, dass völlig neue Mächte in Erscheinung treten, die ihren Platz einfordern, zum Beispiel im Rahmen von G 20. Im Umgang mit den großen, aufstrebenden Nationen wird sich zeigen, dass die G 8, nachdem sich die G 20 einmal getroffen hat - ich halte das für eine gute Entwicklung, der wir uns stellen müssen -, in Zukunft nicht einfach so weitermachen kann. ({5}) Man muss auch darauf Rücksicht nehmen, dass wir es heute mit Staaten zu tun haben, die 1990 noch zu den Verlierern zu gehören schienen, aber angesichts ihrer finanziellen Ausstattung aufgrund von Rohstoffvorkommen und anderer Geldquellen heute vor Kraft kaum laufen können. In dieser Phase verlieren die USA, unser nach wie vor wichtigster Partner außerhalb Europas, gewissermaßen ihre Rolle als alleiniger Pol; wir sind in der multipolaren Welt angekommen. Natürlich stellen die Amerikaner immer noch die stärkste militärische Macht dar; es handelt sich auch um die größte Volkswirtschaft, die jetzt besonders große Probleme hat. Die USA sind aber nicht mehr das unumstrittene Leitmodell. Nicht zuletzt haben sie sich moralisch diskreditiert. Ob wir es wollen oder nicht: In einer Welt zeitverzugsloser Informationsübermittlung prägen die Bilder von Guantánamo Bay und Abu Ghureib das Image Amerikas stärker als die Freiheitsstatue. In dieser Phase aber - das finde ich so ermutigend definiert sich Amerika gewissermaßen neu, entdeckt sich selbst. Welche Selbstreinigungskräfte der amerikanischen Demokratie werden da sichtbar! Wir konnten beobachten, dass Wählerinnen und Wähler sechs oder sieben Stunden vor Wahllokalen warten, um ihre Stimme abgeben zu dürfen, während sich unsere Wahlbeobachter darüber mokierten, dass die Organisation der Wahlen so schlecht ist. Ich würde mich freuen, wenn ich mir vorstellen könnte, ein Wähler oder eine Wählerin in Deutschland würde auch nur eine Stunde vor einem Wahllokal warten, um die Stimme abzugeben, nachdem man sich vier Wochen vorher aktiv darum bemühen musste, sich registrieren zu lassen, um überhaupt wählen zu dürfen, wenn man also nicht einfach ein Postkärtchen ins Haus bekommt, auf dem mitgeteilt wird, wann die Wahl stattfindet, gefolgt von der Bitte, einfach mit dem Personalausweis zum Wahllokal zu kommen und zu wählen. Wir können auch auf dem Gebiet der Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern, auf dem Gebiet des Herausholens der Wählerinnen und Wähler aus der Wahlenthaltung, viel von Amerika lernen. ({6}) Wir müssen manches von der Überheblichkeit abwerfen, die wir bisweilen gegenüber Amerika zeigen. Amerika findet zu seinen besten Tugenden zurück, auch zu den Werten, die das ausmachen, was wir als „den Westen“ bezeichnen. Der Westen ist hier kein geografisches Konstrukt, sondern eine philosophische Grundlage, die letztendlich entscheidend auf der Aufklärung fußt. Welch eine Chance für uns Europäer, mit den amerikanischen Freunden zur gemeinsamen Wertebasis zurückzukehren und den Westen gewissermaßen neu zu erfinden! Wir werden die Gemeinschaft der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien noch brauchen. Nehmen wir also Senator Obama, den neuen Präsidenten, beim Wort. Ich habe manchmal das Gefühl, in Deutschland und in der Europäischen Union wird eher abgewartet oder sogar abgewiegelt, nach dem Motto: Die kochen doch auch nur mit Wasser; es wird im Prinzip genauso weitergehen wie bisher; das ist ein normaler Regierungswechsel. Nein, das ist es nicht; es ist eine Veränderung der amerikanischen Politik, die tektonische Verschiebungen in der Weltpolitik auslösen wird. Wir werden Fragen beantworten müssen. Ein enger Berater des künftigen Präsidenten hat am Freitag bei einer Tagung in Washington gesagt: Liebe Europäer, geht bitte davon aus, dass der neue Präsident das, was er sagt, wirklich glaubt, dass er euch damit konfrontieren wird, wenn er mit Fragen auf euch zukommt. Er könnte die Bundesregierung zum Beispiel fragen: Wie können wir Russland und China besser in die Weltpolitik integrieren? Was könnt ihr beitragen, wenn wir versuchen, bestimmte Konflikte zu regionalisieren? Ich nehme nur einmal das Beispiel Afghanistan. Da wird uns gegenwärtig nicht die Frage gestellt, ob wir kurzfristig 1 000 Mann mehr oder weniger dorthin schicken. Wir reden mit solchen Diskussionen über Fragen, die gegenwärtig niemand stellt. Es wird eher um die Frage gehen: Was können wir tun, um Russland, China, Pakistan, Indien, die nördlichen Nachbarn Afghanistans und auch den Iran bei der Lösung von Konflikten zu aktivieren? Das Motto lautet getreu einem alten Spruch von Dwight D. Eisenhower: Wenn du ein Problem nicht lösen kannst, mach es größer; denn dann ist auch die Chance, einen „grand bargain“ anzuzetteln, größer. Diese Gelegenheit müssen wir jetzt nutzen. Die Amerikaner liefern uns eine hervorragende Vorlage. Wenn die Amerikaner wieder aktiv werden, und zwar nicht erst zum Ende der Präsidentschaft von Obama, sondern jetzt, wenn es darum geht, die Dialogunfähigkeit gegenüber Syrien und dem Iran zu überwinden, werden sie uns fragen: Welche Rolle in der Nahost-Politik stellt ihr euch eigentlich für die Europäische Union und für Deutschland vor? - Können wir Beiträge leisten und, wenn ja, welche? Diese Fragen muss die Bundesregierung beantworten. Dann stellt sich die Frage: Wie stellen wir uns eigentlich die Zukunft der NATO vor? Ich erinnere an zwei bemerkenswerte Reden auf der Wehrkundetagung, und zwar von Frau Bundeskanzlerin Merkel und zuvor von Gerhard Schröder. In beiden Reden wurde gefordert, die NATO wieder zur zentralen Plattform des sicherheitspolitischen strategischen Dialogs zu machen. Seither ist bei dem Thema nichts passiert. Der NATO-Rat ist nach wie vor eine ziemlich amorphe Veranstaltung. Deswegen ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Reduzierung der NATO auf die militärische Dimension endlich überwunden wird und dass sie in der Richtung weiterentwickelt wird, wie es schon Harmel gefordert hat: Auf der einen Seite müssen Vertrauensbildung, Zusammenarbeit, Rüstungskontrolle und Abrüstung und auf der anderen Seite die Fähigkeit zur ganz konkreten militärischen Verteidigung gestärkt werden. Wir sollten also langsam einen Harmel-II-Bericht entwickeln. Seine Forderungen sind nach meiner Auffassung aktueller denn je. In diesen Zusammenhang gehören auch die Fragen, mit welchen Abrüstungsinitiativen die Bundesregierung starten will. ({7}) Der Außenminister hat das Thema wiederholt angesprochen, was ich begrüße; aber konkret ist nichts geschehen. Es fehlt zum Beispiel eine klare Positionierung zu dem Papier, das Sam Nunn, George Shultz, Henry Kissinger und andere jetzt schon zweimal im Wall Street Journal verbreitet haben und zu dem sich Barack Obama bekennt, nicht weil er so naiv wäre, zu glauben, innerhalb kürzester Zeit könne man alle Nuklearwaffen loswerden, sondern weil er der festen Überzeugung ist, dass man, wenn man sich dieses Ziel setzt, die Chance hat, angesichts der enormen Überrüstung mit Nuklearwaffen, insbesondere in Russland und in den Vereinigten Staaten, eine massive Abrüstung zu erreichen, weil er nämlich die Logik begriffen hat, dass Nuklearwaffen in Zeiten des Kalten Krieges - auch aus unserer Sicht - ein Teil der Problemlösung gewesen sind, während sie in Zeiten asymmetrischer Konflikte und nicht mehr beherrschbarer Proliferation ein Teil des Problems geworden sind. Auf diese Fragen müssen wir uns vorbereiten; dazu erwarte ich Antworten der Bundesregierung. Da höre ich bisher viel zu wenig. Meine Damen und Herren, die Amerikaner werden die Hand ausstrecken. Wir müssen sie ergreifen, und wir müssen wissen, was wir auf die Fragen antworten wollen. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich komme zu den beiden vorangegangen Abstimmungen zurück. Ich gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 04 bekannt: Es wurden 559 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 415 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 144. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 559; davon ja: 415 nein: 144 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann ({0}) Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Bernd Neumann ({15}) Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({24}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({26}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({27}) Dieter Grasedieck Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({28}) Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Dr. Karl Lauterbach Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Anton Schaaf Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({40}) Silvia Schmidt ({41}) Renate Schmidt ({42}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({43}) Carsten Schneider ({44}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({45}) Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({47}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({48}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({49}) Uwe Barth Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Horst Friedrich ({50}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({51}) Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({52}) Markus Löning Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({53}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({54}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Jan Korte Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({55}) Volker Schneider ({56}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Axel Troost Alexander Ulrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({57}) Cornelia Behm Birgitt Bender Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({58}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Undine Kurth ({59}) Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({60}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({61}) Krista Sager Manuel Sarrazin Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Ich komme nun zu dem Ergebnis der Wahl des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Infor- mationsfreiheit: Hier wurden 554 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 484, mit Nein 52, 12 haben sich enthalten, und es gab 6 ungültige Stimmen.1) Herr Schaar ist anwesend. Ich möchte ihm ausdrücklich die Wünsche des ganzen Hauses und meine persönlichen Glückwünsche überbringen. ({62}) Viel Erfolg bei der Arbeit und vielen Dank für das be- reits Geleistete! 1) Anlage 3 Damit komme ich zurück zu unserer Debatte über den Haushalt des Auswärtigen Amtes und erteile das Wort dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({63})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lage seit Ausbruch der Finanzkrise ist seit gestern in allen Schattierungen beschrieben worden. Wir haben über Verantwortung der Politik ebenso wie über die Grenzen von Politik gesprochen. Aber selbstverständlich reden wir bei all dem nicht nur über Wirtschaft und Finanzen. Wenn Gewohntes in schwerste Unordnung gerät, wenn der aufgewühlte Staub die Orientierung erschwert, wenn die Menschen den Atem anhalten, weil das Alte nicht mehr stimmt und die Umrisse des Neuen noch nicht so richtig erkennbar sind, dann ist wohl vieles in der Krise; das stimmt. Es ist eine Krise, deren Folgen die Menschen von New York bis Neuseeland, von Paris bis Peking durchgeschüttelt hat und noch durchschüttelt und die - darauf kommt es mir besonders an - eine Neujustierung des weltweiten Machtgefüges erzwingt. Diese Krise löst aber nicht nur Erschrecken aus, sondern sie befördert - hoffentlich - auch Erkenntnisse, verändert das Bewusstsein und schafft die Bereitschaft für neues Denken. Dazu gehört vor allen Dingen die Bereitschaft, Lehren aus der Katastrophe zu ziehen, die wir gerade erleben. Wie in jeder Krise gibt es natürlich Verwerfungen, auf die Politik reagieren muss und bei denen sich Politik in die Pflicht nehmen lassen muss. Es gibt aber auch Chancen, und zwar die Chance, Fehler und Fehlentwicklungen der Vergangenheit für die Zukunft zu vermeiden. Diese Chancen, auf die sich die Politik konzentrieren muss, dürfen wir gerade jetzt nicht übersehen. Darauf kommt es an. ({0}) Warum kommt es aus meiner Sicht darauf an? Selten zuvor haben die Menschen so wie jetzt hautnah erlebt, dass das 21. Jahrhundert das erste globale Jahrhundert ist. Jetzt wissen wir, dass die Frage, wie modern chinesische Kohlekraftwerke sind, darüber mitentscheidet, ob unsere Enkel noch schneebedeckte Gipfel in den Alpen sehen werden. Seit wenigen Wochen wissen wir auch, dass das Verhalten von Spekulanten in New York auch Arbeitsplätze und die Zukunft von Familien in Europa betrifft. ({1}) Wir wissen auch, dass sich Wachstumsraten in Asien auf die Frage auswirken, wie viele Autos aus deutscher Produktion verkauft werden. Bei genauem Hinschauen muss man sagen: Keine dieser Erkenntnisse ist wirklich neu. Aber sie schärfen das Bewusstsein, dass wir zentrale Fragen der Menschheit in Zukunft wohl nur noch gemeinsam werden lösen können. ({2}) Wir brauchen ein Verantwortungsbewusstsein, das über nationale und regionale Nachbarschaft weit hinausreicht. Politik kann nicht dafür sorgen, dass wir von solchen Krisen, die wir jetzt erleben, verschont bleiben. Aber wir können dafür sorgen - das erwarten die Menschen von uns -, dass unsere Antworten auf die gestellten Fragen anspruchsvoll sind und dass sie eine langfristige Perspektive in den Blick nehmen. Auf die Außenpolitik angewendet heißt das: Ziel unserer Arbeit muss es sein, dass wir Schritt für Schritt eine - ich nenne es so - globale Verantwortungspartnerschaft schmieden. Das ist mühsam; Fortschritte gibt es nicht jeden Tag; das ist Arbeit. Dazu braucht es Ideen, aber auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung für die Außenpolitik. Ich bedanke mich, dass über die Grenzen der Parteien hinweg diese finanzielle Ausstattung vom Deutschen Bundestag gewährt worden ist. Herzlichen Dank dafür. ({3}) Der Haushalt 2009 zeigt aus meiner Sicht, dass die Zeichen der Zeit erkannt sind, dass wir die Verantwortung unseres Landes in der Welt ernst nehmen und dass wir für unsere Kultur und für unser Lebensmodell in der Welt aktiv werben. Ich sage Ihnen: Das muss unser Weg sein. Ich bedanke mich bei dem Haushaltsausschuss ganz herzlich für die Unterstützung auf diesem Weg. Ganz besonders bedanke ich mich natürlich beim Hauptberichterstatter Jürgen Koppelin und bei den Berichterstattern Lothar Mark, Herbert Frankenhauser, Omnid Nouripour, Michael Leutert und - wir haben die Gründe gehört, warum er nicht hier sein kann - Alexander Bonde. Dass der Haushalt des Auswärtigen Amtes im nächsten Jahr um 5,9 Prozent steigt, ist ein gutes Signal. Dies ist nicht nur ein gutes Signal für das Auswärtige Amt, sondern auch für unser Land insgesamt, dessen Rolle und dessen Engagement auf der internationalen Bühne mehr gefragt ist denn je. Deshalb ist das ein verantwortungsvoll aufgestellter Haushalt. ({4}) Weil es sonst oft nur am Schluss von Reden und in der Regel immer nur am Schluss von Debatten erfolgt, möchte ich ganz besonders Dank sagen für die Unterstützung, die ich bei der Reform und der Neuaufstellung der auswärtigen Kulturpolitik erfahren habe. Es geht hier um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als um das Bild, das wir Deutschen von uns selbst im Ausland vermitteln. Das ist in Zukunft besser möglich mit der finanziellen Ausstattung, die wir vorsehen. Das ist eine Frage, die auch die Zukunft dieses Landes berührt. Deshalb sage ich herzlichen Dank dafür, dass insbesondere der Kulturhaushalt in unserem Bereich in den letzten drei Jahren um jeweils annähernd 10 Prozent angehoben worden ist. Das gibt Möglichkeiten. Jeder Euro ist da gut angelegt. ({5}) Auch ich erlebe es zum ersten Mal, dass wir nicht über die Rettung bzw. Sanierung oder gar über die Schließung von Goethe-Instituten reden müssen. Zum ersten Mal sind wir vielmehr wieder in der Situation, dass wir neue Goethe-Institute fördern und neue entsprechende Programme auflegen können. Wir werden im Jahre 2009 die Zahl der weltweiten Partnerschulen auf 1 000 - in vier Jahren um immerhin 600 - erhöht haben. Wir werden mit diesem Haushalt auch in der Lage sein, den Wissenschaftsstandort Deutschland in der Welt wesentlich besser zu präsentieren, als das in der Vergangenheit der Fall war. All das sind Investitionen in die Zukunft dieses Landes und letztendlich in das, was ich das Wurzelwerk der globalen Verantwortungsgemeinschaft nenne. Es sind richtige und notwendige Investitionen. ({6}) Ich denke, wir sind uns einig: Für die Welt von morgen, die noch nicht - Herr Hoyer, Sie haben recht - klar absehbar ist, deren Konturen sich aber abzuzeichnen beginnen, werden jetzt und nicht irgendwann die Weichen gestellt. Es ist eine Zeit, in der unsere Prinzipien von Außenpolitik - Verständigung, Zusammenarbeit und Dialog - aus meiner Sicht so aktuell sind, wie sie nie zuvor waren. Deshalb müssen wir jetzt ganz besonders intensiv dafür werben. Was folgt aus all dem für unser Handeln in der Außenpolitik? Drei Dinge: Erstens. Wir setzen nach schwierigen Tagen, die wir mit Europa in diesem Jahr hatten, ganz bewusst - das betone ich hier - auf Europa. Die EU hat sich nämlich, wenn man sich das genauer anschaut, gerade in der Krise der letzten Wochen und des letzten Sommers sowohl außenpolitisch wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik als handlungsfähig erwiesen. Sie hat Stabilität und Verlässlichkeit just in den Momenten ausgestrahlt, als es darauf ankam. Daran sollten wir uns gelegentlich erinnern, wenn im nächsten Jahr im Wahlkampf für das Europäische Parlament der eine oder andere wieder schlecht über Europa denkt. ({7}) Auch beim Weltwirtschaftsgipfel - ich darf daran erinnern; er liegt noch nicht so weit zurück - hat die EU ihre Führungsrolle am Ende, Frau Bundeskanzlerin, ganz eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Viele Elemente des Aktionsplanes, die da verabschiedet worden sind - Regeln, Prinzipien für eine Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte und für Transparenz -, gehen auf Vorschläge zurück, auf die wir uns in Europa bereits im Aktionsprogramm ein paar Tage zuvor verständigt haben. Gemeinsames Handeln ist auch dann gefragt, wenn es um die Bewältigung der Finanzkrise nicht unmittelbar, sondern um die Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft geht. Das, was wir sinnvoll auf europäischer Ebene bewerkstelligen können - ich unterstreiche das -, müssen wir gemeinsam und koordiniert miteinander angehen. ({8}) In dieser Krisenzeit wächst ganz offenbar europaweit, teilweise sogar über Europa hinaus - das spüren wir in diesen Tagen besonders stark -, das Bewusstsein dafür, dass diese Europäische Union nicht nur eine starke Gemeinschaft ist, sondern sie auch einen Wert hat und gerade den kleineren Partnern Schutz bietet. Ich höre von den Iren - das mag den einen oder anderen von uns erstaunen -, dass gerade jetzt, in Zeiten der Krise, in Irland die Zustimmung zur Europäischen Union wieder steigt. Für mich ist es ein gutes Zeichen, dass Länder wie Schweden und Dänemark, in denen der Euro in der Vergangenheit verpönt war und abgelehnt wurde, jetzt darüber nachdenken, ob man nicht doch den Zutritt zur Eurozone beantragen sollte. Deshalb ist es aus meiner Sicht weder vermessen noch selbstgerecht, wenn man gerade jetzt sagt: Inmitten dieser weltweiten Krise gibt es erste Anzeichen dafür, dass wir vor einer Renaissance Europas stehen. Das ist gut so, weil wir gemeinsam mit diesem und in diesem Europa mehr schaffen, als jeder von uns alleine schaffen würde. ({9}) Zweitens. Wir werden - auch da hat Herr Hoyer recht in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten den ganz engen Schulterschluss mit den USA suchen müssen. In Washington steht ab Januar ein Partner zur Verfügung, mit dem wir - das wissen wir - in vielen Fragen gemeinsame Visionen teilen. Die neue Administration bietet aus meiner Sicht die Chance - darauf weisen die Gespräche, die wir hatten, hin -, dass wir eine grundlegende Erneuerung des transatlantischen Verhältnisses, auch mit Vorteilen für uns, wirklich schaffen. Ich denke dabei an durchaus anspruchsvolle Dinge wie eine gemeinsame Führungsrolle Europas und der Vereinigten Staaten beim weltweiten Klimaschutz, auch bei der Abrüstung, Herr Hoyer, bei der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, bei der Lösung von regionalen Konflikten und vor allen Dingen bei der - das ist keine ganz leichte Aufgabe - friedlichen Einbindung jener Spieler auf der internationalen Bühne, die dort politisch bisher nicht ausreichend präsent waren und nicht in ausreichendem Maße politische Verantwortung übernommen haben. Darauf kommt es im transatlantischen Verhältnis zwischen Deutschland und den USA an. Ich glaube, wir haben unsererseits aber auch ein darüber hinausgehendes Interesse daran, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Russland entscheidend verbessern, dass eine bessere und belastbare Grundlage für das Verhältnis gefunden wird. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass das mit zwei Präsidenten an der Spitze, deren Denkmuster nicht mehr vom Kalten Krieg geprägt worden sind, gelingt. Da muss mehr möglich sein, als wir in der Vergangenheit erlebt haben. Ich wünsche mir das sehr und will dafür arbeiten. ({10}) Dahinter stecken gemeinsame Fragen, nicht nur die Frage, wie wir uns zu Nonproliferationsvorschlägen verhalten, sondern auch die schwierig zu beantwortende Frage, wie wir uns zu anderen Vorschlägen für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur verhalten. Wie verhalten wir uns bei der Frage der weiteren Annäherung Georgiens und der Ukraine an die NATO? Das wird bereits in allernächster Zukunft, am Mittwoch der kommenden Woche, Hauptgesprächsgegenstand beim Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel sein. Ich will mich in diesem Hohen Haus nicht um eine klare Position herumdrücken. Meine Überzeugung ist und bleibt: Es gibt keinen Grund, jetzt, einige Monate nach dem NATO-Gipfel im März, über die Beschlüsse von Bukarest hinauszugehen. ({11}) Wir sollten darüber nachdenken, wie man unterstützend gegenüber Georgien und der Ukraine in den gemeinsamen NATO-Georgien- bzw. NATO-Ukraine-Kommissionen tätig werden kann, aber bei den Beschlüssen vom März bleiben. Wenn die USA und Europa wieder stärker an einem Strang ziehen, dann werden wir auch in Zukunft - da bin ich mir sicher - großen Einfluss auf die Gestaltung der politischen Globalisierung haben. Aber dennoch ist aus meiner Sicht klar - ich hoffe, dass das die allermeisten hier im Hohen Haus so sehen -: Es wird ganz unzweifelhaft zu globalen Gewichtsverschiebungen kommen. Ich habe schon vor einigen Monaten angemahnt, aufstrebende Mächte aus Asien, Lateinamerika und Afrika bei der Gestaltung der globalen Zukunft wesentlich stärker zu berücksichtigen. Deshalb - das ist die dritte Schlussfolgerung, die ich aus der gegenwärtigen Krise ziehe - plädiere ich dafür, dass wir die Konstruktion der G 8 weiterentwickeln. Wir haben in Heiligendamm im vergangenen Jahr einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir sollten jetzt die nächste G-8-Präsidentschaft, die Präsidentschaft Italiens, nutzen, um zu Klärungen zu kommen. Jedenfalls ist aus meiner Sicht für alle Staaten, die ich eben genannt habe, eines unverzichtbar: Ihnen muss sozusagen der Weg vom Katzentisch der internationalen Gemeinschaft zum Konferenztisch eröffnet werden. Das ist nicht nur zum Vorteil dieser Staaten, wie manche missverständlich meinen, sondern das wird am Ende auch unser Vorteil sein. Ich bin fest davon überzeugt. Beim Weltfinanzgipfel in Washington hat sich das schon gezeigt. ({12}) Afghanistan wird uns im nächsten Jahr aufgrund der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dort intensiv beschäftigen. Natürlich wird es darauf ankommen, dass wir neben dem militärischen Engagement unser ziviles Engagement weiter ausbauen. Wir haben dafür vermehrte finanzielle Möglichkeiten. Ich bedanke mich dafür bei den Haushältern. Ich sage auch mit Blick auf das, was eben schon gesagt worden ist, hier noch einmal ausdrücklich: Es wird nicht ausreichen, sich auf Afghanistan zu konzentrieren. Es ist hoffentlich auch aus meinen Bemühungen deutlich geworden, dass wir einen regionalen Ansatz verfolgen und dass wir Pakistan, dieses Schlüsselland für die Stabilität in der Region, von vornherein in die Betrachtung einbeziehen müssen. ({13}) Um es klar zu sagen: Das nächste Jahr wird auch außenpolitisch mit Blick auf die internationale Konfliktsituation kein einfaches Jahr werden. Es wird ein Jahr der Weichenstellung sein: in Europa, in den transatlantischen Beziehungen, in der Weltwirtschaft und bei der Gestaltung der neuen globalen Ordnung. Ich sage Ihnen: Viele schauen mit großen Erwartungen auf uns, die wir nicht enttäuschen dürfen. Wir teilen die Einsicht, dass in der Welt von morgen der Einfluss eines Landes nicht so sehr von seiner Größe abhängen wird und auch nicht von seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltregion, sondern davon, dass es vernünftige und ausgewogene Beiträge zur Bewältigung der drängenden Zukunftsaufgaben leistet. Das wollen wir gemeinsam mit Ihnen tun. Herzlichen Dank für die bisherige Wegstrecke. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Linke hat jetzt der Kollege Michael Leutert das Wort. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben soeben den G-8-Gipfel in Heiligendamm angesprochen. Auf diesem Gipfel wurde groß angekündigt, dass das Engagement in Afrika verstärkt und eine Afrika-Initiative ins Leben gerufen werden soll. Nun liegt uns heute der Etat vor, und wir können überprüfen, ob dies entsprechend in Zahlen umgesetzt wird. Tatsächlich gibt es einen Titel „Afrika-Initiative“, der mit 33 Millionen Euro untersetzt ist. Uns interessiert natürlich nicht nur, ob es diesen Titel gibt, sondern uns interessiert auch, wie dies umgesetzt wird, nach welchen Kriterien und nach welchen Schwerpunkten. Man sollte annehmen, dass einer der Schwerpunkte - wir beobachten die Situation dort jetzt leider wieder in den Medien - die Demokratische Republik Kongo ist. Die katastrophale Lage dort ist bekannt. Somit müsste dies ein Schwerpunkt sein. 2006 gab es in der Demokratischen Republik Kongo schon einen Militäreinsatz, an dem auch Deutschland mit 780 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beteiligt gewesen ist. Immerhin 56 Millionen Euro sind damals ausgegeben worden. Zu diesem Einsatz gab es damals von den Koalitionsfraktionen einen Entschließungsantrag, der zwei Begründungen lieferte, warum man diesen Einsatz vollziehen sollte. Die erste Begründung ist eine humanitäre. Es wird von 4 Millionen Vertriebenen gesprochen. Von Gewalt und Flucht ist die Rede. Es wird von 20 Prozent der Kinder, die nicht das fünfte Lebensjahr erreichen, von 50 Prozent, die keine Schule besuchen, und von 10 Prozent Aidswaisen gesprochen. Das aber sind Gründe, die mit einem Militäreinsatz nicht zu verändern sind. Sie sprechen aber als zweite Begründung sehr wohl eine geostrategische Bedeutung an. Ich zitiere: Die Demokratische Republik Kongo als drittgrößtes afrikanisches Land ist von strategischer Bedeutung … Kongo hat ein Drittel aller Kupfer- und ein Zehntel der Kobaltvorkommen, bei Coltan … sind es 80 Prozent. Daneben gibt es reiche Diamant- und Goldvorkommen. Gebracht hat der Einsatz offensichtlich nicht viel, wie wir heute sehen können. Wieder sind im Ostkongo 250 000 Flüchtlinge zu verzeichnen. Der UN-Generalsekretär spricht derzeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen, nicht nur durch Rebellengruppen, sondern auch durch Regierungstruppen. Im Spiegel-Interview mit Hans-Ulrich Klose ist sogar von einem Völkermord à la Ruanda die Rede. Was passiert nun in der Öffentlichkeit? Das, was wir bisher kennen: Der Bundespräsident Horst Köhler fordert eine Verstärkung der Truppen im Kongo. Herr Außenminister, ehe Sie sich dieser Forderung anschließen, sagen wir von den Linken Ihnen, was wir Ihnen schon 2006 gesagt haben: Das ist der falsche Weg. ({0}) Die Frage hinsichtlich der humanitären Situation ist nämlich, was bis jetzt getan wurde. Da muss man als Antwort verzeichnen: nichts oder nicht viel. Ein Jahr nach dem Kongo-Einsatz 2007, an dem die Bundeswehr beteiligt war, sind die Mittel für finanzielle und technische Zusammenarbeit auf dem Stand null. Mittlerweile sind die Mittel wieder hochgefahren worden. Für nächstes Jahr sind insgesamt 28 Millionen Euro veranschlagt. Um das aber zu vergleichen: Für ganz Afrika wird vom BMZ 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Nun ist natürlich die Frage: Was wird vom Auswärtigen Amt getan? Ich hatte den Titel „Afrika-Initiative“ mit 33 Millionen Euro angesprochen. Leider müssen wir feststellen, dass im Mittelpunkt erstens die Stärkung der afrikanischen Sicherheitsarchitektur und zweitens der Ausbau der Fähigkeit afrikanischer Länder zum Einsatz in Friedensmissionen steht. 10,5 Millionen Euro der Mittel werden für den Aufbau der „African Standby Forces“, 15,5 Millionen Euro für den Polizeiaufbau und 7 Millionen für die Grenzsicherung ausgegeben. ({1}) Die Funktionsfähigkeit der Polizei der Demokratischen Republik Kongo wird extra benannt. Falsch ist, dass auch hier wieder nicht im zivilen Sektor investiert wird, sondern eben nur im Sicherheitssektor. Um es deutlich zu sagen: Uns Linke interessiert - der Kongo ist jetzt das Beispiel -: Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung und damit auch das Auswärtige Amt? Ist es entweder die Sicherheit zur Absicherung wirtschaftlicher Aktivitäten, also geostrategische Aspekte, oder ist es tatsächlich die Linderung des Leides in Afrika, also die nachhaltige Beendigung von humanitären Katastrophen? Die Zahlen, die ich hier genannt habe, sprechen eine eindeutige Sprache, nämlich zugunsten der geostrategischen Variante. Exakt dies lehnen wir ab. Deshalb können wir diesem Etat auch dieses Jahr wieder nicht zustimmen. Danke. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU spricht an dieser Stelle der Kollege Herbert Frankenhauser. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn die großen Felder der Außenpolitik erörtert werden, ist es für einen Überraschungsgast aus dem Haushaltsausschuss immer schwierig, noch etwas beizutragen. Schließlich befinden wir uns nach der Tagesordnung in der Haushaltsdebatte. Aber ich will Sie nicht mit Details aus dem Einzelplan des Auswärtigen Amtes langweilen, erlaube mir aber, kollegial auf einige Dinge hinzuweisen, weil wir hie und da - nicht oft genug, aber zuweilen schon - von unserem parlamentarischen Recht Gebrauch machen, den Regierungsentwurf zu verändern und besondere Schwerpunkte zu setzen. ({0}) - Wir haben den schon. - Ich freue mich, dass den meisten Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen auch die Oppositionsfraktionen zugestimmt haben. Das wird sie aber nicht davon abhalten, letztlich wieder dagegenzustimmen. ({1}) Wir haben die humanitären Minenräummaßnahmen höher dotiert. Wir haben auch die Ausstattungshilfe, auf die der Haushaltsausschuss besonders großen Wert legte - der Verteidigungsminister nimmt das bitte zur Kenntnis -, höher dotiert. Außerdem haben wir 100 Millionen Euro für Afghanistan und Umgebung bereitgestellt - der Herr Außenminister hat schon darauf hingewiesen -, und zwar 50 Millionen Euro in bar und 50 Millionen Euro als Verpflichtungsermächtigungen. Allerdings haben wir diese Mittel mit einer Sperre versehen, Herr Außenminister. Sie werden nur unter der Maßgabe zur Verfügung gestellt, dass die Bundesregierung ein noch besser abgestimmtes Programm über das Vorgehen in Afghanistan vorlegt. ({2}) - Es gibt innerhalb der Koalition immer die Möglichkeit zur Steigerung, Herr Kollege. ({3}) Wir meinen, dass der Erfolg aufgrund der hohen Anzahl von mittlerweile über 100 Einzelmaßnahmen insbesondere im zivilen Bereich möglicherweise nicht mehr gewährleistet ist. ({4}) Wir sind der Meinung, dass der Krieg in Afghanistan nicht gewonnen werden kann, wenn wir nicht auch die Menschen dort gewinnen. ({5}) Darüber hinaus haben wir die Mittel für die Schulen im Ausland erneut höher dotiert. Jetzt wende ich mich an die „überfüllte“ Bundesratsbank. ({6}) Ich halte es für ein nicht hinnehmbares Vorgehen, dass sich die Finanzminister der Länder per Beschluss aus der anteiligen Finanzierung der Lehrkräfte, die an den deutschen Auslandsschulen tätig sind, zurückziehen wollen. ({7}) Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, beim Ministerpräsidenten und beim Kultusminister ihres Bundeslandes dafür zu werben, dass dies nicht getan wird. Schließlich werden diese Schulen auch von den Kindern der von Unternehmen aus allen deutschen Bundesländern ins Ausland entsandten Arbeitskräfte besucht; nicht alle von ihnen kommen aus der Bundeshauptstadt. Sonst müssten wir darüber nachdenken, die Eltern der betroffenen Schüler mit einem besonderen Obolus zu belegen. Das würde den Druck in den einzelnen Bundesländern vielleicht erhöhen. Apropos Schulen. Trotz der schwierigen Haushaltslage war es unser Anliegen, das deutsche Auslandsschulwesen wegen seiner besonderen Bedeutung zu stärken. So ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass die deutsche Schule in Madrid, die die örtlichen gesetzlichen Vorgaben längst nicht mehr erfüllt, neu gebaut wird. ({8}) Wir haben auch sichergestellt, dass eines der Leuchtturmprojekte unserer ausländischen Kulturarbeit, das Deutsche Archäologische Institut in Rom, ordentlich „zwischenuntergebracht“ wird und die bisherigen Räumlichkeiten adäquat saniert werden. ({9}) Ich möchte noch zwei Punkte inhaltlicher Art ansprechen. Erstens möchte ich an die Innenpolitiker appellieren, unsere Visavergabepraxis zu überdenken. ({10}) Ein Beispiel: Das deutsche Konsulat in Petersburg stellt mittlerweile nur noch etwa 40 000 Visa pro Jahr aus, der Schengen-Mitgliedstaat Finnland hingegen 140 000. Ich muss sagen: Unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ist das für einen Haushälter nicht zu erschließen. Wie die Sicherheit besonders gewährleistet wird, wenn dann Leute mit einem finnischen Visum in Deutschland einreisen, weiß ich nicht. Möglicherweise gibt es aber Innenpolitiker, die mir das erklären können. ({11}) Ich denke jedenfalls, dass das auch nicht die alleinige Aufgabe des Auswärtigen Amtes ist, das sich bei einer Änderung der Praxis schließlich wieder in einem Untersuchungsausschuss wiederfindet und vom Parlament kritisiert wird. Ich bin der Meinung, das Parlament sollte zu einer abgestimmten Meinung darüber kommen, wie wir das künftig, weil wir das offensichtlich nicht europäisch regeln können - jeder Schengen-Staat verhält sich ja, wie er lustig ist -, national regeln, und zwar so, dass die Menschen, die in Deutschland Geschäfte machen wollen, nicht erst zu den Finnen gehen müssen, um mit weniger Aufwand nach Deutschland einreisen zu können. Diese lachen uns ja aus. Ich halte das für nicht akzeptabel. ({12}) Weil wir gerade von der Europäischen Union sprechen: Sie wissen, dass ich bei jeder meiner Haushaltsreden einen kleinen Hinweis auf die doch sehr, sehr solide Haushaltspolitik gebe. ({13}) Die Europäische Kommission hat jetzt überraschenderweise festgestellt, dass in Bulgarien ein bestimmtes System der Zuwendungsempfänger besteht. Das konnte vorher natürlich niemand wissen. ({14}) Jetzt wurde ein Teil der Mittel gesperrt, aber es gibt noch andere Möglichkeiten der kreativen Geldschöpfung aus europäischen Töpfen. In Rumänien gibt es zum Beispiel für die Rodung von Weinbergen eine Prämie von etwa 4 000 Euro pro Hektar. Selbstverständlich gibt es auch Mittel für die Neuanpflanzung. Diese belaufen sich auf 10 000 bis 12 000 Euro pro Hektar. Im Sinne der Vereinfachung gab es rumänische Familien - ich glaube, in Italien heißen sie Familien -, die den kleinen Weinbauern ihre Weinberge abgekauft und sie in großem Stile zunächst gerodet und danach neu bepflanzt haben, bis sie gemerkt haben, dass der Aufwand viel zu groß ist. Jetzt wird einfach mitgeteilt, dass gerodet worden ist, und nach Ablauf einer gewissen Zeit wird der Europäischen Kommission gesagt, dass neu angepflanzt worden ist. Ohne großen Aufwand kommt man also an den Fördertopf heran. Jetzt weiß ich nicht, ob wir auch in Deutschland so etwas anwenden könnten. Dadurch könnten unsere etwas knappen Haushaltsmittel merklich erhöht werden. ({15}) Ich wäre ausgesprochen dankbar, sehr geehrter Herr Außenminister, wenn Sie einem solchen Blödsinn Einhalt gebieten könnten. Zum Abschluss habe ich an Sie in Ihrer Eigenschaft als Botschafter des Bieres die Bitte, die Überlegungen in der Europäischen Union, Warnhinweise auf Bier- oder Weinflaschen zu verordnen, endgültig im Papierkorb verschwinden zu lassen. Vielen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jürgen Trittin hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Frankenhauser, bei dem kritischen Unterton Ihrer Rede frage ich mich, ob die Frage hinsichtlich des Weinberges in erster Linie vielleicht an den Kollegen Jung gerichtet gewesen ist. ({0}) Wir haben ja eine paradoxe Situation: Eigentlich freuen wir uns alle, dass Barack Obama in den USA die Wahl gewonnen hat. Ich finde es aber erstaunlich, was in Teilen der veröffentlichten Meinung geäußert wird. Es wird jetzt darüber philosophiert - bevorzugt von jenen Kommentatoren, die uns eigentlich damals schon mit in den Irak schicken wollten -, was nun alles Schreckliches auf uns zukommt, weil Barack Obama Präsident wird. Man macht das vor allen Dingen an der Frage fest, ob und inwieweit es Forderungen hinsichtlich zusätzlicher deutscher Soldaten geben wird. Ich will an dieser Stelle eines sagen: Ich bewerte diesen Wechsel bzw. diese Wahl positiv, und wir sollten uns wirklich genau auf diese positive Seite konzentrieren. Wir werden mit Barack Obama zum ersten Mal eine Administration haben, mit der wir über die Strategie und das Vorgehen in Afghanistan überhaupt reden und verhandeln können. Ich finde, diese Chance sollten wir als Bundesrepublik Deutschland nutzen. ({1}) Das wird allerdings, liebe Bundesregierung, eines voraussetzen, nämlich dass man da, wo man Zusagen in Bezug auf Afghanistan gemacht hat, auch tatsächlich liefert, also Schluss macht mit der - um den Kollegen Frankenhauser noch einmal zu zitieren - zerstreuten - so haben Sie gesagt - Aufbauhilfe in Afghanistan. Dann muss man auch Schluss machen mit einer Politik, die 200 Polizisten verspricht und gerade einmal in der Lage ist, 72 zu liefern. Das wird nicht mehr gehen. So wird man die Chancen, die sich aus dem Wechsel in den USA ergeben, nicht nutzen können. ({2}) Es ist überhaupt mein Eindruck: Das, was aus den USA herüberkommt, erwischt diese Koalition eigentlich zu einem sehr schlechten Zeitpunkt. Während dort über Wandel, Veränderung und Optimismus geredet wird, hat man sich hier sozusagen schon im Vorwahlkampf eingemauert. Die Kanzlerin und der Vizekanzler streiten darüber, wer am besten Opel retten kann. Frank-Walter hat hier im Bundestag inzwischen eine Tonalität angeschlagen wie sonst nur auf dem SPD-Parteitag. ({3}) Das schlägt sich auch in der Außenpolitik nieder. Was ist eigentlich aus den Schwerpunkten des Bundesaußenministers geworden? Was ist aus dem Schwerpunkt Abrüstung geworden? Was ist aus dem Anspruch geworden, zu mehr Multilateralität bei der Bewältigung globaler Krisen auf den Finanzmärkten, bei der Energieaußenpolitik und im Umgang mit dem Klimawandel zu kommen? Wie geht die Bundesrepublik Deutschland mit den häufiger werdenden Krisen um, die aus solchen Risiken und Konflikten erwachsen, die Staaten zerfallen lassen? Ich finde, die Bilanz ist - mit Verlaub - nicht überzeugend. Schauen wir uns die Abrüstung an. Sie haben bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt, das ist einer der Schwerpunkte. Aber gleichzeitig hat diese Bundesregierung dafür gestritten, dass es Ausnahmen beim Verbot von Streumunition gibt. Ich finde, das geht nicht zusammen. Man kann nicht Abrüstung predigen und Ausnahmen für Streumunition einklagen. ({4}) Nehmen wir ein anderes Beispiel, die Nichtverbreitungspolitik. Wir alle wollen nicht, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt. Dafür bedarf es eines soliden und festen Nichtverbreitungsregimes. Was macht diese Bundesregierung? Ihr ist es wichtiger, das außenpolitische Erbe von George W. Bush zu sichern, und sie hilft im letzten Moment der Lieferung von Nuklearmaterial an Indien über die Hürde. So sorgt man nicht für bessere Nichtverbreitung, sondern so begünstigt man Verbreitung. ({5}) Oder nehmen wir die Äußerungen dieser Bundesregierung zu der Frage, wie man mit dem Aufbau eines Raketenabwehrsystems umgeht, das offensichtlich innerhalb der EU eine spaltende Wirkung entfaltet und unser Verhältnis zu Russland beschädigt. Gibt es da eigentlich eine konsistente Position beider Teile dieses Hauses? Ich kann das nicht erkennen. ({6}) Wo ist denn Ihr Vorstoß im Zusammenhang mit dem KSE-Vertrag gewesen? Wir haben uns alle über Herrn Putin erregt. Aber wo ist eigentlich Ihr Vorschlag gewesen als Zeichen der Bereitschaft, das hier einzubringen und zu ratifizieren? Warum halten Sie, wenn Sie es ernst meinen mit Abrüstung und Nichtverbreitung, für Deutschland weiterhin an der nuklearen Teilhabe fest? Das passt doch alles nicht zusammen. ({7}) Herr Bundesaußenminister, Sie haben gesagt, Europa und die USA wollen beim Klimaschutz zusammen eine Initiative ergreifen und Führung übernehmen. Ja, es stimmt: Die Probleme dieser Welt werden nur mit Indien, China, Russland und all diesen Staaten sowie einer starken EU gelöst werden können. Aber wenn ich mir angucke, was in den letzten Tagen beim Klimaschutz passiert ist, so muss ich sagen: Ich bin da sehr skeptisch geworden. Zum ersten Mal haben wir eine Chance, mit einer kommenden Administration tatsächlich über ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zu reden. Was aber passiert in der Bundesregierung? Sie diskutieren den ganzen Tag darüber, wie man die Klimaschutzziele in der Europäischen Union aufbohren, aufschrauben und abschwächen kann. Das ist das Gegenteil von Führung. ({8}) Um es ganz konkret auszudrücken - die Bundeskanzlerin weiß das genau -: Es wird nur dann einen Beitrag der USA zum Klimaschutz geben, wenn es in den USA gelingt, ein Cap-and-Trade-System - also ein Emissionshandelssystem - auf den Weg zu bringen. In der Situation diskutiert man hier in Europa, das Emissionshandelssystem nicht nach dem Grundprinzip der Auktionierung zu gestalten, sondern die Emissionsrechte gratis zu vergeben. Es wird aber in den USA kein solches System geben, wenn wir in Europa nichts Entsprechendes liefern. Ohne ein solches System in den USA wird es nicht gelingen, China, Indien und andere Schwellenländer in ein internationales Klimaabkommen einzubeziehen. Das ist Ihre Verantwortung. Sie müssen zu Hause, in Europa liefern, damit Sie global etwas bewegen können. ({9}) Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Bezüglich des Iran werden wir sicherlich über viele Chancen verhandeln. Wir nutzen übrigens die Chancen, Herr Bundesaußenminister, die sich aus der inzwischen wieder leicht positiven Entwicklung im Irak ergeben. Wir hatten gute Chancen, in Kurdistan etwas zu machen. Ich vermisse Ihre Initiativen in diesem Bereich. Ich will mit Blick auf die Auseinandersetzung noch einen Punkt ansprechen, der gerade für Europa wichtig ist. Es wird auch mit Barack Obama Interessenkonflikte geben. Die Haltung der USA beispielsweise zu Georgien ist eine andere als die vieler Europäer. Aber weil unsere Interessen berührt sind, erwarte ich in einer solchen Frage von Ihnen, dass Sie öffentlich sagen, worum es uns geht, statt an dieser Stelle wegzutauchen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie klarmachen, dass die leichtfertigen Versprechungen aus der NATO heraus und das abenteuerliche Vorgehen, das dann ein entsprechendes Vorgehen Russlands zum Beispiel in Georgien ausgelöst hat, etwas reduziert werden sollten, statt zum Weitermachen zu ermuntern. ({10}) Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Wir haben mittlerweile 7 000 Soldatinnen und Soldaten im Ausland stationiert, die dort übrigens in der Regel UNmandatiert und zunehmend UN-kommandiert in Stabilisierungseinsätzen tätig sind. Ich finde, dass diese Soldatinnen und Soldaten eine Antwort auf die Frage verdienen, nach welchen Kriterien sie entsandt werden. Sie haben in Ihrem Weißbuch angegeben, es gehe um vernetzte Sicherheit und darum, diese effizient auf den Weg zu bringen. Stellen Sie sich einmal der Wirklichkeit! In Wirklichkeit fehlen regelmäßig die zivilen Partner, und die Soldatinnen und Soldaten müssen regelmäßig die zivilen Aufgaben mit übernehmen. Ich glaube, dass wir diesen Zustand nicht weiter akzeptieren können. Etwas Weiteres ist notwendig. Wenn wir so etwas machen, dann brauchen die Menschen, die dort für die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinten Nationen tätig sind, klare und unzweideutige Rechtsgrundlagen. Was ist das Prinzip für das Engagement der Bundesrepublik vor dem Horn von Afrika? Es gibt die NATO und die „Coalition of the Willing“. Die einen jagen Piraten; die anderen jagen Terroristen. Man muss froh sein, dass sie sich nicht gegenseitig jagen. ({11}) - Das ist so. - Es soll eine EU-Mission hinzukommen. Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass es eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist, die Handelswege zu sichern. Ich glaube, dass es auch eine Verantwortung der internationalen Gemeinschaft ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Schiffe des Welternährungsprogramms, von denen die Versorgung von 3,5 Millionen Somalis abhängig ist, durchkommen. Aber wenn man zu dieser Verantwortung steht, dann muss man hier für Klarheit sorgen. Klarheit kann nur so aussehen, Herr Außenminister: Beenden Sie die Berufung auf OEF am Horn von Afrika! Hören Sie auf, eine neue Existenzberechtigung der NATO hineinzuinterpretieren! Sorgen Sie für ein einheitliches Kommando bzw. ein einheitliches Mandat! Es gibt eine UN-Resolution und einen Beschluss des Europäischen Rates. Sorgen Sie dort für eine einheitliche EU-Mission! Das ist der richtige Weg, statt mit diesem Nebeneinander weiterzumachen. ({12}) Ich füge hinzu: Sie müssen das mit politischen Initiativen begleiten. Dieser Konflikt wird nicht auf See, sondern am Ende nur in Afrika, im Land selber, gelöst werden können. Es stimmt mich daher sehr misstrauisch - wenn ich das sagen darf -, dass Sie bisher weitgehend abgetaucht sind, wenn es um den Kongo ging. Sie haben es bislang für nicht nötig befunden, hier politische Initiativen zu entwickeln. Das ist aber nötig, gerade wenn man einer größeren Verantwortung gegenüber unserem Nachbarkontinent Afrika gerecht werden will. ({13}) Die Orientierungslosigkeit der Bundesregierung in der Außenpolitik kann man in drei Punkten festhalten. Genauso wie die Linkspartei bekennen Sie sich zum Primat der Vereinten Nationen. Aber Sie scheuen die Konsequenzen, was man im Kongo leider beobachten kann. ({14}) Sie sprechen von einer Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, vermeiden es aber, sich dem Zielkonflikt zu stellen, was das für die Rolle der NATO bedeutet. Sie bekennen sich zwar zur transatlantischen Freundschaft, reden aber nicht offen mit Ihren Freunden, wenn es um Kerninteressen Europas geht. Hier wird in der Tat nur noch Stillstand produziert. Ich finde, dass es sich lohnt, diesen Stillstand zu überwinden. Aber ich befürchte, dass das erst nach der Großen Koalition möglich sein wird. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat das Wort der Kollege Lothar Mark für die SPD-Fraktion.

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will auf die Ausführungen von Jürgen Trittin nicht im Detail, ({0}) lediglich auf die letzten drei Punkte pauschal eingehen. Das Auswärtige Amt und der Minister des Auswärtigen betreiben sehr wohl eine klar definierte Außenpolitik im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union, der Vereinten Nationen und der Menschlichkeit. So viel dazu. ({1}) Als Haushälter, der zusammen mit Herbert Frankenhauser in der Koalition für den Etat des Auswärtigen Amtes zuständig ist, will ich nun doch gern etwas zum Haushalt sagen. Der Haushalt des Auswärtigen Amtes hat in diesem Jahr die 3-Milliarden-Grenze überschritten, Herr Minister. Das ist ein besonderes Ereignis. Im letzten Jahr hatten wir uns noch darüber gefreut, dass die 1-Prozent-Marke, gemessen am Gesamthaushalt, überschritten wurde. Die Überschreitung der 3-Milliarden-Grenze bedeutet, dass diese Marke nun deutlich übertroffen ist. In Zukunft muss sichergestellt werden, dass dieser Entwicklungsprozess weitergeht. Angesichts der internationalen Verantwortung Deutschlands muss ein weiterer Zuwachs in diesem Haushalt - auch prozentual - in den nächsten Jahren sichergestellt werden; denn es kann nicht sein, dass wir immer mehr Verantwortung übernehmen, aber dann - hierin stimme ich mit Jürgen Trittin überein - knauserig sind, wenn es darum geht, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Den höchsten Zuwachs im Haushalt des Auswärtigen Amtes weist in diesem Jahr - das wurde schon angesprochen - erneut die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit 68 Millionen Euro auf. ({2}) 50 Millionen Euro davon gehen auf die erhöhte ODAZuweisung zurück, 10 Millionen Euro auf den Finanzpakt Forschung und Entwicklung. Dies ist eine sehr glückliche Konstellation. Bei den ODA-Mitteln will ich nur darauf hinweisen, dass wir nach derzeitigen Berechnungen 0,37 Prozent erreicht haben. Wir müssen bis zum Jahr 2010 0,5 Prozent und bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent erreichen. Jeder kann sich ausrechnen, welche Aufwüchse hier noch notwendig sind. Dabei hat der Anteil beim Auswärtigen Amt glücklicherweise zugenommen. Der Anstieg geht also nicht allein auf das BMZ zurück. Die zusätzlichen Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro im Rahmen des Stabilitätspakts für Afghanistan und Südosteuropa wurden von meinem Koalitionskollegen bereits erwähnt. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass diese Mittel ganz gezielt auch für das Umfeld von Afghanistan und für die Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan eingesetzt werden müssen; aber auch an den Irak ist in diesem Zusammenhang zu denken. Dies sind wichtige Investitionen, die eine klare außenpolitische Orientierung und Verantwortung zeigen. Mit weiteren 20 Millionen bzw. 10 Millionen Euro haben wir die Maßnahmen zur Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung, unter anderem mit Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Ausbildung und berufliche Schulung sowie Stipendien, erhöht. Auch dies weist exakt in die Richtung, dass wir hier mehr Verantwortung übernehmen müssen. Diese Aufstockung wird, so glaube ich, von uns allen sehr begrüßt; denn wir haben in der Vergangenheit immer wieder beklagt - Herbert Frankenhauser hat das angedeutet -, dass hier nicht immer konzeptionell zusammengearbeitet wurde. Durch den Druck, den wir mit der Sperre beabsichtigen, wird diese Zusammenarbeit mit Sicherheit verstärkt werden. Das wird zum Wohle der Menschen in den betroffenen Regionen beitragen. Ich will einzelne Beispiele für Erhöhungen nennen, die noch nicht von meinem Kollegen erwähnt wurden. Wir haben für die politischen Stiftungen im Bereich des Auswärtigen Amtes einen Zuwachs von 2,5 Millionen Euro erreicht. Ich glaube, dies ist sehr wichtig, weil die politischen Stiftungen einen ganz besonderen Stellenwert haben und eine exzellente Hilfe für den Aufbau deLothar Mark mokratischer Strukturen der jeweiligen Länder leisten, in denen sie vertreten sind. ({3}) Ich glaube, dass dies für die Zivilgesellschaft und für die volkswirtschaftlichen Entwicklungen sehr bedeutsam ist. Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen. Die humanitäre Minenräumung spielt bei uns immer eine sehr große Rolle. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit 1992 mit 166 Millionen Euro an dieser humanitären Minenräumung beteiligt. Das ist nicht überwältigend viel, aber wenn man diese Summe zu den Beiträgen anderer Länder in Bezug setzt, ist das unendlich viel. Wir sind bisher in 38 Ländern engagiert gewesen. Ohne Frage sind auch in den kommenden Jahren weitere internationale Anstrengungen nötig, um die durch die Ottawa-Konvention vorgegebenen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. 156 Länder haben bisher die Ottawa-Konvention ratifiziert, 38 weitere Länder haben sie unterschrieben. Dennoch: Deutschland sollte meines Erachtens mehr Druck auf die USA - das ist sofort ein Thema, Herr Minister -, Russland, China, Indien und Pakistan ausüben, der Konvention endlich beizutreten. Deutschland sollte mit dafür sorgen, dass europäische Staaten, zum Beispiel England auf den Falklandinseln, ihren Verpflichtungen zur Räumung nachkommen. ({4}) Ein großer Erfolg unter anderem des „Aktionsbündnis Landmine“ ist es, dass Antipersonenminen inzwischen weltweit geächtet sind und legal nicht mehr hergestellt werden dürfen. Ich komme noch zu einigen Aussagen zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Herbert Frankenhauser hat ihren Stellenwert bei uns sehr deutlich aufgezeigt, insbesondere den des deutschen Auslandsschulwesens. Ich will darauf hinweisen, dass wir mit unserem Außenminister auch in der zurückliegenden Zeit ganz klare Akzente gesetzt haben. Wir haben 2007 gesagt, dass das Goethe-Institut auf eine neue Basis gestellt und gesichert werden müsse. 2008 haben wir dann das deutsche Auslandsschulwesen verstärkt unterstützt, und 2009 wird die internationale Außenwissenschaft besonders von uns gefördert. Ich muss nicht im Einzelnen aufzeigen, welche Bedeutung dies für uns haben wird. Zum bereits angesprochenen Versorgungszuschlag für deutsche Lehrer im Ausland will ich nur folgenden Hinweis geben: Wenn ab 2010 die deutschen Bundesländer nicht mehr ihren Teil des Versorgungszuschlags übernehmen, dann würde dies bedeuten, dass der Bund, also das Auswärtige Amt, mit über 20 Millionen Euro zusätzlich belastet würde oder 200 Lehrerstellen im Ausland abgebaut werden müssten. Dies kann nicht gewollt sein. Wir sollten mit allen Kräften versuchen, dies zu verhindern. ({5}) Lassen Sie mich noch etwas zum Thema „auswärtige und internationale Sportbeziehungen“ sagen. Wir haben im parlamentarischen Verfahren eine Erhöhung um 500 000 Euro erreicht. Damit soll die Vorbereitung der Universiade und der Olympischen Winterspiele in München erleichtert werden, und damit sollen Trainingslager für Teilnehmer aus Entwicklungsländern mit finanziert werden. Ich danke in diesem Zusammenhang der Kollegin Dagmar Freitag und dem Kollegen Dr. Peter Danckert sehr herzlich für die engagierte Zusammenarbeit. Ich will noch kurz auf ein Thema eingehen, das bei allen Haushaltsberatungen mein Lieblingsthema ist: Budgetierung. - Staatssekretär Karl Diller ist nicht zusammengezuckt. Ich weise auf dieses Thema sehr gern hin, weil ich das Finanzministerium loben will. In diese Thematik ist nämlich wirklich Bewegung gekommen. Mit den Goethe-Instituten ist in diesem Bereich eine internationale Präsenz gewährleistet. Meine Bitte an Sie wäre, dass Sie vom Haushaltsverfahren her die Mittlerorganisationen insgesamt mit den neuen Steuerungselementen wesentlich stärker vertraut machen, weil nur damit eine Effizienzsteigerung der Arbeit erreicht werden kann. Zum Schluss möchte ich dem Haushaltsreferat des Auswärtigen Amtes danksagen, insbesondere Herrn Wolfgang Dold und Herrn Ralf Mildebrath, ({6}) die immer sofort alles geliefert haben, was wir bei ihnen angefordert haben. Das war also eine ganz tolle Zusammenarbeit. Ich danke auch Dr. Frank-Walter Steinmeier, unserem Außenminister, den Staatsministern Gernot Erler und Günter Gloser sowie dem früheren Staatssekretär Georg Boomgaarden und den jetzigen Staatssekretären Peter Ammon und Reinhard Silberberg. Danken will ich aber auch Herbert Frankenhauser und den anderen Berichterstatterkollegen. Ganz am Schluss will ich Gert Weisskirchen danksagen. Er hat als Sprecher der SPD-AG „Außenpolitik“ sehr kooperativ und konstruktiv mit mir als Haushälter zusammengearbeitet. Ich wiederum habe eine genauso enge Zusammenarbeit mit Herbert Frankenhauser gepflegt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie man gut zusammenarbeiten kann. ({7}) Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir die finanziellen Mittel nicht nur erhöht, sondern bei einzelnen Titeln auch ganz gewaltig abgesenkt haben. Bis auf die 50 Millionen Euro, die mittlerweile mehrfach erwähnt wurden, ist alles in diesem Haushalt gedeckt finanziert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Michael Georg Link hat jetzt das Wort für die FDPFraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner und auch die, die nach mir sprechen werden, werden es mir nachsehen, wenn ich sage, dass der eigentliche Höhepunkt heute für mich als Europapolitiker nicht diese Debatte ist, sondern das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts, das am heutigen Tage die Vereinbarkeit des Vertrags von Lissabon mit der tschechischen Verfassung erklärt hat. ({0}) Das ist ein wirklicher Erfolg und ein Hoffnungsschimmer für den Vertrag von Lissabon, den wir uns gewünscht und für den wir gekämpft haben. Ich würde mich freuen, wenn dieses Urteil - man kann es bald nachlesen - dazu führte, dass man sich bei der Linkspartei vielleicht noch einmal überlegt, ({1}) ob es in dem wichtigen vor uns liegenden Jahr der Europawahlen - der Bundesaußenminister hat es vorhin angesprochen - nicht sinnvoller wäre, für die EU einzutreten, anstatt sich gegen sie zu profilieren. ({2}) In der Haushaltsdebatte soll traditionell auch auf den EU-Haushalt eingegangen werden. Ich komme gleich dazu, will aber, weil „Tschechische Republik“ gefallen ist, noch ein Wort dazu verlieren. Die Tschechische Republik hat heute einen positiven Akzent gesetzt. Ich glaube, in der Tschechischen Republik kommt einiges in Bewegung. Es wäre sehr wichtig - das ist eine Erwartung an die Bundesregierung, die wir sehr klar formulieren -, mit der Tschechischen Republik und mit Polen, diesem so wichtigen Partner, neue Lösungen in der Frage der Raketenstationierung zu finden weg von einseitigen, an EU und NATO vorbei geplanten Maßnahmen. ({3}) Hier hat die Bundesregierung eine Riesenchance, das zu erreichen. Auf diesem Wege werden wir sie gern unterstützen, wenn sie ganz konkrete Maßnahmen ergreift. Der EU-Haushalt ist erwähnt worden. Herr Frankenhauser, ich fürchte, Sie haben mit Ihren Bemerkungen heute - ich denke etwa an das schöne Beispiel von den bulgarischen Verrechnungsmethoden - einige erst auf Ideen gebracht. Leider ist genau das die Art von EU, die wir nicht wollen. Aber eine Institution wie die EU, die über 80 Prozent ihrer eigenen Mittel für Subventionen ausgibt, provoziert solche Mechanismen regelrecht. Damit will ich nichts herbeireden. Aber damit wird, wie gesagt, die Fantasie geweckt in der Frage, wie man denn Mittel noch besser abschöpfen könnte. Deshalb begrüßen wir von der FDP ganz ausdrücklich, dass die Kommission hier auch einmal Zähne gezeigt und Gelder für Bulgarien gestrichen hat. ({4}) 2009 wird uns nicht nur den klassischen Jahreshaushalt der EU bringen; das Jahr wird uns auch die Vorlage der Kommission über den zukünftigen EU-Haushaltsrahmen bringen; er soll voraussichtlich im März vorgelegt werden. Uns besorgt sehr, dass Frankreich jetzt eine Initiative angekündigt hat - es gibt einige ganz aktuelle Agenturmeldungen zu Präsident Sarkozy -, nach der die Agrarpolitik möglichst noch während der französischen Ratspräsidentschaft in der ersten Säule - Direktzahlungen - festgeschrieben werden soll. Hierzu will ich für die FDP klipp und klar sagen: Wir werden auf keinen Fall akzeptieren, dass bereits jetzt, lange bevor die nächste finanzielle Vorausschau wirklich verhandelt wird, in einem Bereich Fakten geschaffen werden sollen, der - Herr Frankenhauser hat es mit guten Beispielen belegt - sehr fehleranfällig ist. Es muss klar sein: Die Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau gehören dorthin, wo das vorgesehen ist, nämlich zunächst in den Rat, vorbereitet auch im Bundestag, und sie müssen vor allem zeitlich richtig eingeordnet werden, eben nicht bereits in diesem Jahr. Hier sollten wir der französischen Präsidentschaft, die im Krisenmanagement sicherlich viel Gutes erreicht hat, klar entgegentreten. ({5}) Es hat uns gefreut, dass die Bundesregierung bei den Verhandlungen über den Haushalt 2009 der EU klare Kante gezeigt hat, über lange Zeit hinweg, was das Thema Übersetzungsregime angeht. Das ist ein wichtiger Punkt. Der Bundestag hat immer wieder darum gebeten, dass man an dem Thema dranbleibt. Uns würde interessieren, ob es jetzt tatsächlich konkrete Verbesserungen gibt. Inzwischen wurde dem 2009er-Haushalt im Rat Zustimmung signalisiert, aber über konkrete Verbesserungen beim Übersetzungsregime haben wir leider nichts gehört. Ich denke, dazu werden wir von der Bundesregierung noch konkrete Informationen bekommen. Es gibt heute in der FAZ einen schönen Artikel mit dem Titel „Der Aufschwung kann nicht warten“. Es ist ein Namensartikel von der Frau Bundeskanzlerin und Staatspräsident Sarkozy. Darin wird von einer flexiblen Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts der EU gesprochen. Das nehmen wir als Liberale mit Misstrauen zur Kenntnis. ({6}) Was heißt das? Was wird da vorbereitet? Punktuell kann man in Krisenzeiten sicherlich über vieles reden, aber wir als Liberale werden das Gefühl nicht los, dass PräsiMichael Link ({7}) dent Sarkozy die Finanzkrise nutzt, um das Thema Wirtschaftsinterventionismus wieder auf die Tagesordnung zu bringen und dort auch zu belassen. Wir werden einen klaren Kurs dagegen fahren. ({8}) Auch seine Versuche, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank im Zuge der europäischen Vertragsrevision zu beschneiden, haben zumindest wir noch nicht vergessen. Wir müssen aufpassen, dass es nicht wieder in diese Richtung geht. Die Kommission hat heute ihr konkretes Konjunkturprogramm vorgestellt. Es umfasst nun plötzlich 200 Milliarden Euro, nicht nur 130 Milliarden Euro. Es sind 70 Milliarden Euro mehr, als es noch gestern sein sollten. Wir warten auf die Erklärungen. Es ist sicherlich noch zu früh, sich endgültig eine Meinung darüber zu bilden; aber wir sind schon sehr gespannt darauf, welche Erklärungen dazu gegeben werden. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in der Kommission auch in diesem Bereich der Aktionismus teilweise etwas zu weit getrieben wird. ({9}) Wenn es darum geht, Maßnahmen der Strukturpolitik bzw. insbesondere des Kohäsionsfonds vorzuziehen, lassen wir durchaus mit uns reden. Wenn es aber um eine Aushöhlung des Kreditaufnahmeverbots der EU oder gar um einen Einstieg in eine EU-Steuer geht, zum Beispiel durch Abzweigen gewisser Erlöse aus dem CO2-Zertifikatehandel für die EU, sind wir der Meinung, das geht ganz eindeutig in die falsche Richtung. ({10}) Eine EU-Steuer, in welcher Form auch immer, ist nämlich aus unserer Sicht kontraproduktiv. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss: Steuern und EU sind ein wichtiger Punkt, der uns auf jeden Fall in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Die Kommission schlägt in ihrem heute vorgestellten Programm erneut vor, vermehrt reduzierte Mehrwertsteuersätze einzuführen und generell die Mehrwertsteuersätze zu senken. Hier hat die Bundesregierung die große Chance, zu einem positiven Image der EU beizutragen. Es wurde heute gesagt, dass wir die Europawahlen nicht nutzen sollten, um Europa schlechtzureden. Wir als FDP werden das niemals machen, weil für uns die EU ein enormes Friedensprojekt ist. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die EU muss aber auch lernen, bescheidener zu sein, wenn es um die Besteuerung und Belastung der Bürger geht. Die Bundesregierung hat hier als wichtiges Mitglied im Rat eine enorme Chance, durch die Aufgabe ihres Verhinderungskurses bezüglich der ermäßigten Mehrwertsteuersätze ein ganz klares proeuropäisches Zeichen zu setzen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Eckart von Klaeden hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich glaube, es ist doch angebracht, noch ein paar Worte zu der Rede des Herrn Kollegen Trittin zu sagen. ({0}) Er ist ja mit seiner selbstgestellten Aufgabe, die Bundesregierung für so ziemlich alle negativen Entwicklungen in der internationalen Politik verantwortlich zu machen, grandios gescheitert. ({1}) Das wäre dann nicht besonders bedauerlich, wenn er hier nicht Dinge behauptet hätte, die sich nur dann so darstellen lassen, wenn man wesentliche Fakten unter den Tisch fallen lässt. Das gilt zum Beispiel für die Frage des amerikanisch-indischen Nukleardeals. ({2}) Sie haben ja behauptet, dies würde unsere Möglichkeiten, den Iran wieder zur Einhaltung des internationalen Rechts zu bewegen, beeinträchtigen. Der wesentliche und qualitative Unterschied zwischen den Ländern Indien und Iran ist, dass Indien nicht Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages ist und deswegen auch nicht gegen ihn verstoßen hat bzw. gegen ihn verstoßen kann, während der Iran Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages ist und fortwährend gegen ihn verstößt. ({3}) Nichtsdestotrotz hat der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Behörde erklärt, dass die einstimmige Genehmigung der Lieferung von zivilem Nuklearmaterial an Indien und die Kooperation mit Indien in diesem Bereich Indien näher an den Nichtverbreitungsvertrag heranführt und deswegen eine Stärkung des Nichtverbreitungsvertrages darstellt. ({4}) - Das müssen Sie Herrn al-Baradei fragen. Aber vielleicht stellen Sie eine Zwischenfrage, ({5}) wenn Sie noch weiteres Informationsbedürfnis haben; ansonsten geht das nämlich alles von meiner Redezeit ab. Al-Baradei hat davon gesprochen, dass das den NPT stärkt und Indien mit seinem Verhalten auch ein Beispiel dafür geben kann, wie andere Staaten, die den NPT nicht unterzeichnet haben, an dieses Regime herangeführt werden können. Wenn Sie aber die Heranführung Indiens an den NPT durch die einstimmige Genehmigung der Nuclear Suppliers Group für einen so großen Fehler halten, dann frage ich mich in der Tat, warum die Bundesregierung, in der die Grünen den Außenminister stellten, mit der G-4-Initiative auch Indien in den Weltsicherheitsrat bringen wollte. Es macht doch keinen Sinn, ein Land in den Weltsicherheitsrat bringen zu wollen, das angeblich durch seine Politik die Nichtproliferation gefährdet, aber zugleich verhindern zu wollen, dass es an den NPT herangeführt wird. Das ist keine konsistente Position. ({6}) Nun zu dem, was Sie zum KSE-Vertrag gesagt haben. ({7}) Die Behauptung, es habe von der Bundesregierung, insbesondere vom Außenminister, keine Initiative gegeben, die Ratifizierung des KSE-Vertrages möglich zu machen, ist entweder ein Zeichen von Unkenntnis oder von Bösartigkeit. ({8}) Denn es hat gerade vom Auswärtigen Amt mehrere Initiativen gegeben, eine Ratifizierung Zug um Zug möglich zu machen. Der KSE-Vertrag wurde deswegen nicht ratifiziert, weil sich Russland nach wie vor nicht an die Verpflichtungen hält, die es 1999 in Istanbul eingegangen ist. ({9}) Herr Kollege Trittin, das unter den Tisch fallen zu lassen, ist wirklich keine Position, die man als redlich bezeichnen kann. ({10}) Ihre Unterstellung, Ihre Behauptung, der im August in Georgien geführte russisch-georgische Krieg sei eine Folge der Beschlüsse von Bukarest, ist nun wirklich nichts als die Wiedergabe russischer Propaganda. ({11}) - Doch, das haben Sie gesagt. ({12}) Herr Trittin, die Position, die Sie hier vertreten haben, ist in Ihrer eigenen Fraktion, selbst bei den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses, höchst umstritten. Dass der Krieg zwischen Russland und Georgien genauso wie die internationale Finanzkrise und die Wahl des US-Präsidenten allerdings zu den Ereignissen gehören, die unsere Außenpolitik in den nächsten Monaten und Jahren nachhaltig bestimmen werden, ist hier von den Vorrednern schon angesprochen worden. Der kommende Wechsel in der amerikanischen Außenpolitik hat sich nicht erst am 4. November 2008 mit der Wahl von Barack Obama abgezeichnet. Vielmehr geschah das schon während der Kampagne. Denn auch die Republikaner haben mit John McCain auf einen Kandidaten gesetzt, der für den Wechsel steht. Es war eine noble Geste, die auch folgerichtig war, dass McCain Obama noch in der Wahlnacht zum Sieg gratuliert und ihm seine Unterstützung angeboten hat. Ich finde, es ist ebenso nobel wie beeindruckend gewesen, wie Obama in seiner Rede diese Geste erwidert und seinerseits den außen- und sicherheitspolitisch versierten McCain um Rat und Unterstützung gebeten hat. ({13}) Denn Obama steht vor großen Herausforderungen. Es handelt sich um eine dreifache Herausforderung, die eigentlich nur mit der in der Zeit von Franklin D. Roosevelt zu vergleichen ist: Erstens muss Obama versuchen, eine ökonomisch tief verunsicherte sowie eine politisch und sozial polarisierte amerikanische Gesellschaft zu versöhnen. Zweitens muss er den von vielen innerhalb und außerhalb der USA perzipierten wirtschaftlichen und außenpolitischen Niedergang und den damit einhergehenden angeblichen Verlust amerikanischer Führungskraft stoppen und umkehren. Schließlich muss er das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten - auf Neudeutsch gesagt: die Soft Power der USA - wiederherstellen. Bereits im Wahlkampf hat sich Obama sowohl als Idealist als auch als Pragmatiker gezeigt. Dabei hat er ein gutes und ausgewogenes Verhältnis zwischen den Notwendigkeiten amerikanischer Führungsstärke einerseits und den Grenzen amerikanischer Führungsstärke andererseits gefunden. Das bringt die Europäische Union ins Spiel. Denn auch nach seiner Wahl sind die Probleme, die heute schon angesprochen wurden, nicht weniger komplex und nicht einfacher zu lösen. Deswegen erwarte ich auch keinen radikalen Wandel in der amerikanischen Europapolitik. Vielmehr gehe ich davon aus, dass Obama an die Zeit der zweiten Administration von George Bush und an die von Clinton anknüpfen wird, wenn es um die Frage geht, so viel Multilateralismus wie möglich und so wenig Unilateralismus wie nötig einzusetzen. Wenn es zu der von vielen vorhergesagten oder angekündigten Berufung von Hillary Clinton zur Außenministerin kommt, dann wird diese personelle Anknüpfung ganz besonders deutlich werden. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag von dem Prinzip des effektiven Multilateralismus gesprochen. Das Prinzip des effektiven Multilateralismus lässt sich wie folgt am besten erklären: Einerseits müssen die Vereinigten Staaten von Amerika zu multilateralem Handeln bereit sein. Andererseits müssen aber auch wir bereit sein, unser außenpolitisches Handeln nicht allein am Verfahren, sondern auch an seinen Ergebnissen, also seiner Effizienz, messen zu lassen. Es gibt von Niklas Luhmann das schöne Wort, dass Demokratie Legitimation durch Verfahren sei. Aber in der Politik kommt es eben wesensnotwendig nicht nur auf die Legitimation durch das Verfahren, sondern auch auf die Legitimation durch den Erfolg an. Wenn wir in unserer Außenpolitik diese neue Chance der transatlantischen Zusammenarbeit im Wesentlichen nur dazu nutzen würden, auf Verfahrensfragen und nicht auf den Erfolg abzustellen, dann würden wir in den USA wieder diejenigen stärken, die die Forderung nach multilateralem Vorgehen als eine Ausrede der Europäer diffamieren, sie wollten eigentlich nichts tun. Es gibt also eine ganze Reihe von Handlungsfeldern, wo wir relativ schnell die Initiative ergreifen müssen. Wir sollten - da stimme ich dem Kollegen Hoyer zu nicht abwarten, was die neue amerikanische Administration vorschlägt und wo sie uns zur Kooperation einlädt, sondern die nächsten Wochen und Monate unsererseits nutzen, um auf die neue Administration zuzugehen und die Punkte zu nennen, die aus unserer Sicht besonders wichtig sind. An erster Stelle steht in der Tat die Bewältigung der iranischen Nuklearkrise. Dabei müssen wir deutlich machen, dass wir in dem Fall, dass Iran nicht bereit ist, die neuen Gesprächsangebote der amerikanischen Administration anzunehmen, zu schärferen Sanktionen bereit sind. Es ist damit zu rechnen, dass die Double-TrackStrategie, die die Europäer und die Amerikaner schon bisher gemeinsam vertreten haben, in beiden Richtungen ausgeweitet wird: stärkere Gesprächsangebote auf der einen Seite, aber eben auch die Bereitschaft zu stärkeren Sanktionen auf der anderen Seite. Außerdem geht es um die Stabilisierung des Irak. Es geht um unser Engagement in Afghanistan, um das gemeinsame Ziel, eine dauerhafte Stabilisierung des Landes zu erreichen. Es geht um eine aktivere Rolle Europas bei der Lösung des Nahostkonfliktes. Da ist zu hoffen, dass Obama nicht den Fehler seiner beiden Vorgänger wiederholt, ({14}) sich erst zum Ende seiner Amtszeit dieses Konfliktes anzunehmen, sondern das, was er verändern will, verändert, aber die Initiative einer Nahostfriedenskonferenz, wie sie mit dem Annapolis-Prozess begonnen worden ist, weiter fortsetzt. ({15}) Schließlich ist - auch das ist hier schon angesprochen worden - die Bekämpfung der alten Geißel Piraterie ein Thema, über das wir voraussichtlich im Dezember diskutieren und wozu wir ein entsprechendes Mandat im Bundestag verabschieden werden. Es gibt also ein großes Feld der Kooperation zwischen den USA und Europa. Das gilt nicht zuletzt für die Russlandpolitik. Unsere Aufgabe muss es jetzt sein, unsere eigenen Vorstellungen vorzutragen und so viel wie möglich davon bei der Entstehung der Konzeption der neuen amerikanischen Administration einzubringen. Das ist dann möglich, wenn für uns klar ist, dass Einfluss und Einsatz zwei Seiten einer Medaille sind. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke Wolfgang Gehrcke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir eigentlich gewünscht und hatte erwartet, dass wir, weil wir es mit einer neuen Situation zu tun haben, die ja auch beschrieben worden ist, hier die Chance haben, über Grundlinien der Außenpolitik miteinander zu diskutieren. ({0}) Ich hatte eigentlich auch gedacht, dass Sie, Herr Außenminister, uns eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik zumindest anhand von einzelnen Punkten vorstellen. Was Sie beschrieben haben, waren die Faktoren, die die neue Lage ausmachen. Aber Sie haben nicht beschrieben, was die Neuorientierung beinhaltet. ({1}) Das halte ich für einen großen Mangel. Entweder hat die Bundesregierung keine solche Neuorientierung, oder sie ist nicht in der Lage, sie zu beschreiben. Die Faktoren sind wenig umstritten. Ich rufe noch einmal einige in Erinnerung: die weltweite Finanzkrise, drohende Staatsbankrotte - davon ist noch gar nicht gesprochen worden -, die militärischen Konflikte und Kriege im Irak und in Afghanistan, im Kaukasus und im Nahen Osten, Hunger- und Armutskatastrophen - auch darauf muss aufmerksam gemacht werden -, die Endlichkeit von Energiequellen, der drohende Klimakollaps und anderes mehr. Es kann vor dem Hintergrund dieses Tableaus nicht angehen, dass die deutsche Außenpolitik sagt: Wir handeln im Grundsatz so, wie wir bisher gehandelt haben. ({2}) Das ist keine Konzeption. Ich hätte gedacht, dass Sie ein bisschen mehr liefern würden. Es muss nicht meine Zustimmung finden; aber Ideen könnten anregend sein. Ich möchte zumindest ein paar Punkte benennen, von denen ich glaube, dass eine kategorische Kurswende notwendig ist. Ich denke, der Deutsche Bundestag wird irgendwann einmal die Kraft haben, zu sagen, dass die Politik des Krieges gegen den Terror gescheitert ist. ({3}) Wir werden irgendwann einmal - nicht in dieser Legislaturperiode - die Kraft haben, festzustellen, dass es falsch war, dass sich Deutschland an den Kriegen in Afghanistan und im Irak beteiligt hat. Das einzige Ergebnis dieser Kriege sind Zehntausende Tote und Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Ein weiteres Ergebnis dieser Politik ist, dass die Hochrüstung einen gigantischen Umfang angenommen hat. Jährlich wird über 1 Billion US-Dollar für Rüstung verschwendet, das heißt, in Krieg und Mord umgesetzt. Auch das muss man hier einmal aussprechen. ({4}) Ich glaube, man kann sich darin einig sein, dass die Zeit einer unipolaren Weltordnung ihrem Ende entgegengeht. Die USA waren weder politisch, sozial, ökonomisch noch moralisch in der Lage, die von ihnen beanspruchte Rolle eines Weltpolizisten auszufüllen. Jetzt ist es notwendig, gegenüber dem neuen amerikanischen Präsidenten deutlich zu machen, dass es um keine neue Runde im Kampf um die Vorherrschaft in der Welt gehen kann und gehen darf, sondern dass wir es mit einer Neuregelung der internationalen Beziehungen zu tun haben. Die Basis, die dafür unbedingt notwendig ist, sind für mich das Völkerrecht ohne Abweichungen und globale soziale Gerechtigkeit. Sicherheit im umfassenden Sinne kann nur bedeuten, dass man gleichberechtigt miteinander und nicht gegeneinander handelt. Das ist die politische Richtung, die man einschlagen muss. Ich gebe zu, dass die Forderung nach einer neuen Weltordnung für mich immer etwas Bedrohliches hatte. Aus den USA kam die Forderung nach einer Neuaufteilung der Welt. Die Welt braucht in der Tat eine neue Ordnung. In diesem Zusammenhang finde ich es sehr interessant, was der ehemalige Außenminister Herr Genscher jüngst in einer Rede dazu gesagt hat. Er benutzte den Begriff „Weltnachbarschaftsordnung“, der mir sehr sympathisch ist. Die Linke ist so frei, diesen vernünftigen Begriff zu übernehmen und zu benutzen. ({5}) Wenn man über eine Weltnachbarschaftsordnung nachdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass das Verhältnis EU-USA-Russland neu ausbalanciert werden muss. Wir müssen einen Rückfall in Zeiten des Kalten Krieges verhindern. Deswegen muss man klar sagen: Ukraine und Georgien werden nicht in die NATO aufgenommen; die NATO wird nicht erweitert. Man muss außerdem völlig klar sagen: Deutschland ist dagegen, dass in Polen und Tschechien Raketensysteme stationiert werden. ({6}) Sie reden immer um eine klare Bestimmung herum. Bei Ihren Ausführungen besteht das Problem, dass man sie so oder so verstehen kann. Sie können das als „diplomatisch“ bezeichnen. Aber es hat aus meiner Sicht mit Klarheit in der Politik wenig zu tun. Ich habe nie verstanden - damit will ich zum Schluss kommen -, warum die deutsche Außenpolitik nicht die Initiative des russischen Präsidenten für eine neue Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zumindest aufgegriffen hat, der gesagt hat, die NATO habe sich überlebt und solle durch ein nichtmilitärisches Sicherheitssystem in Europa ersetzt werden. Man muss es ja nicht so umsetzen, aber man muss darüber miteinander reden und verhandeln. Das würde signalisieren, dass man bereit ist, sich den neuen Bedingungen in der Welt zu stellen. ({7}) Aber da kommt von Ihrer Seite nichts. ({8}) Bislang wollten Sie sich, Herr Außenminister, nicht mit den USA anlegen. Im Moment wissen Sie nicht, was Obama machen will. Das verunsichert Sie. Ich glaube, Ihre Reden werden etwas deutlicher werden, wenn der Kurs der amerikanischen Regierung klar wird. Ich will Ihnen aber ehrlich sagen: Passen Sie auf, dass Sie nicht zu einem Ankündigungsminister werden, auf dessen Ankündigungen nie reale Politik folgt. Schönen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Gert Weisskirchen für die SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme dem Außenminister ausdrücklich zu, der sehr klar gesagt hat, dass das Jahr 2009 zu einem Jahr der globalen Verantwortungsgemeinschaft werden wird. Deutschland wird innerhalb dieser Gemeinschaft eine konstruktive Rolle spielen und dazu beitragen, dass die Krisenmomente, die wir gegenwärtig erleben, bewältigt werden, sodass wir aus dieser großen internationalen Krise herausfinden. Ich bin ganz gewiss: Die drei Schwergewichte dieser Regierung - die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und der Außenminister - werden maßgeblich dazu beitragen, dass die drei großen Krisen, vor denen wir stehen, beherrscht werden können. Die erste Krise ist die internationale Finanzkrise. Die zweite, in der wir uns bereits gegenwärtig befinden, ist die internationale Wirtschaftskrise. Auf eine, die uns erst bevorsteht, möchte ich hinweisen - wir sollten unser Augenmerk darauf richten -: Das ist die zu befürchtende humanitäre Krise; denn am meisten unter diesen Krisen werden diejenigen leiden müssen, die die Schwächsten Gert Weisskirchen ({0}) auf dieser Erde sind, insbesondere in Schwarzafrika oder in anderen Regionen dieser Erde. Ich glaube, dass es unsere gemeinsame große Aufgabe ist, diesen drei Krisen konstruktiv zu begegnen und dafür zu sorgen, dass nicht die Schwächsten dieser Erde am schlimmsten unter den Krisenmomenten zu leiden haben. ({1}) Das ist in der Tat unsere gemeinsame Aufgabe. Deswegen ist das Wort von der globalen Verantwortungsgemeinschaft so wichtig und richtig. Was bedeutet das denn, liebe Kolleginnen und Kollegen? Schauen wir uns doch einmal an, wie die Situation in Schwarzafrika ist. Ich erinnere nur an ein einziges Detail - man kann es heute in der Neuen Zürcher Zeitung nachlesen -: In Schwarzafrika haben es jetzt zwei Länder - Kenia und Ghana - nicht schaffen können, Obligationen in Höhe von 800 Millionen Dollar für sich selber zu akquirieren. Das ist ein schreckliches Signal, ein Zeichen dafür, dass diese Länder leider als Allererste in Schwarzafrika unter die Räder geraten können. Was auch immer der IWF beschließen wird oder im Rahmen des Mandats beschlossen wird, das die G 20 mit Blick auf Ende März nächsten Jahren erteilt haben: Wir müssen ein deutliches Signal aussenden. Denn wenn es so ist, dass wir eine globale Verantwortungsgemeinschaft auf dieser Erde entwickeln wollen und wir uns dabei konstruktiv verhalten wollen, dann kommt es darauf an, dass diejenigen Länder und Menschen, die am gefährdetsten sind, eine Chance haben, mit uns gemeinsam durch diese drei Krisen hindurchzusteuern. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung. ({2}) Ich möchte nur zwei Details nennen: 40 Prozent der gesamten Weltbevölkerung leben - man muss sich das wirklich vor Augen führen - von 2 Dollar pro Tag und 1 100 Millionen Menschen von 1 Dollar pro Tag. Wir gehören zum reichen Gürtel dieser Erde. Natürlich stehen auch wir vor schwierigen Auseinandersetzungen und vor Konfliktlagen, durch die wir hindurchsteuern müssen. Aber wenn es uns nicht gemeinsam gelingt, die Millenniumsziele, die von Kofi Annan formuliert wurden und die sich das ganze Haus angeeignet hat, Schritt für Schritt zu realisieren, dann wird das dazu führen, dass die Armut dieser Erde eben nicht bis zum Jahr 2015 um die Hälfte verringert werden kann. Es besteht immer noch die Chance, dass wir das schaffen. Aber wir schaffen es nur dann - ich bin dankbar, Herr Außenminister, dass Sie sich diesen Zielen verpflichtet fühlen -, wenn wir diese Verantwortung für unsere Außenpolitik ernst nehmen. Die Haushälter haben dafür gesorgt, dass eine materielle Grundlage für eine konstruktive Außenpolitik sichergestellt worden ist. Ich danke ausdrücklich dafür, dass die Haushälter das für das Jahr 2009 geschafft haben. ({3}) Ban Ki-moon hat sich gerade an die G 20 mit der dringenden Bitte gewandt, dass die Chance genutzt wird, die wir jetzt haben. Sie besteht darin, dass eine technologische Revolution, eine Effizienzrevolution, vorangetrieben wird, die dafür sorgt, dass wir vom Öl und vom Gas, also von den nicht erneuerbaren Energieträgern, unabhängiger werden. Diese Chance ist jetzt gegeben. Wir können diese Chance nur nutzen, wenn wir unsere materiellen Ressourcen jetzt nicht durch einen Subventionswettlauf oder durch - pardon - falsche keynesianische Instrumente - es gibt gute und es gibt nötige - aufbrauchen. Ich sage ausdrücklich: Das, was Obama gestern vorgeschlagen hat, ist durchaus ein vernünftiger Ansatzpunkt. Nicht nur Obama, sondern auch die Europäische Union und China haben das vorgeschlagen. Ich finde diesen Vorschlag durchaus sinnvoll. Wir befinden uns nämlich tatsächlich in einer keynesianischen Situation. Nur, wir wissen auch, was nach Keynes am Ende herauskommen kann, wenn es schwierig wird - Stichwort: Moral Hazard -: Aus einer verfehlten Subventionspolitik können ökonomisch unvernünftige Konsequenzen gezogen werden. Das muss verhindert werden. Der Klimawandel wartet aber nicht. Wir müssen jetzt die richtigen Instrumente in die Hand nehmen, mit denen wir die drei großen Herausforderungen, vor denen die Erde steht, vor denen wir alle stehen, gemeinsam bewältigen können: Das erste Instrument ist die „grüne Revolution“. Das heißt, wir müssen die Technologiebasis unserer Industriegesellschaften verändern. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass die Armut bekämpft werden kann. Insbesondere der Teil der Menschheit, der Abnehmer unserer Produkte werden kann, muss Marktteilnehmer werden können. Das heißt, alle Handelsbarrieren sind abzubauen und der freie Handel durchzusetzen. Das sind die beiden größten Aufgaben. Unsere dritte Aufgabe bzw. unser drittes Instrument: Deutschland muss im internationalen Zusammenspiel eine konstruktive Rolle spielen. Die Bundeskanzlerin und der Außenminister müssen das realisieren, was hier gesagt worden ist: Erstens muss die Doha-Runde positiv vorankommen, und zweitens muss sich Deutschland konstruktiv verhalten, um in der globalen Verantwortungsgemeinschaft eine zentrale Rolle spielen zu können. Ich bin sicher, im Jahr 2009 wird das gelingen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainder Steenblock von Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von uns haben in dieser Haushaltswoche festgestellt, dass die politische und ökonomische Kraft der Europäischen Union zur Bewältigung der aktuellen Krise dringend notwendig ist, dass wir diese Kraft brauchen und die Bürgerinnen und Bürger Europas - das zeigen alle Umfragen - auf die Kraft der Europäischen Union vertrauen, dass sie darin ein Lösungsinstrument sehen, das über die Möglichkeiten der Nationalstaaten hinausgeht. Das ist insbesondere für die Debatte über den Lissabon-Vertrag wichtig; denn die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, die die Menschen von der EU erwarten, damit solche Krisen auch auf struktureller Ebene überwunden werden können, wird durch den LissabonVertrag verbessert. Das wissen alle. Die Handlungsfähigkeit und die demokratischen Kontrollmöglichkeiten Europas werden durch den Lissabon-Vertrag gestärkt. Deshalb ist es ein gutes Signal, dass das tschechische Verfassungsgericht heute grünes Licht für Tschechien gegeben hat. Damit sind wir der Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas einen Schritt näher gekommen. Das ist wichtig. Das sollten wir begrüßen. ({0}) Allerdings war es für mich sehr befremdlich - gestatten Sie mir, das einmal zu sagen -, dass der Präsident Tschechiens das Verfassungsgericht seines Landes gestern noch einmal aufgefordert hat, in seinem Sinne zu entscheiden, weil die Souveränität des Landes gefährdet sei. ({1}) Heute hat das Verfassungsgericht aber gesagt - das zeigt die demokratische Kultur Tschechiens -: Es ist uns völlig egal, was der Präsident sagt; wir entscheiden nach den Gesetzen dieses Landes. ({2}) Das ist ein wichtiges Signal. Die Tatsache, dass der Präsident, der die Souveränität seines Landes immer hochhält, heute gesagt hat: „Ob ich jetzt unterschreibe? Wollen wir erst einmal abwarten, ob die Iren unterschreiben“, er seine Entscheidung über die Ausübung zentraler Souveränitätsrechte also von der Entscheidung eines anderen Landes abhängig macht, zeigt seine politische Gesinnung. Auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. ({3}) Ich möchte mich an die Haushaltspolitiker wenden und mich einmal ganz herzlich bedanken. Herbert Frankenhauser, aber auch der Kollege Mark und andere haben schon deutlich gemacht, dass die Aufstockung dieses Haushaltes, gerade was die auswärtige Kulturpolitik angeht, ein sehr positives Signal ist. Rot-Grün hat damit in der vergangenen Legislaturperiode begonnen. Die Große Koalition hat diesen Weg fortgesetzt. Ich halte das für eine der - im wohlverstandenen Sinne besten Interessenwahrnehmungen Deutschlands, die wir in unserer auswärtigen Politik machen können. Dafür noch einmal herzlichen Dank an das Ministerium und den Minister. ({4}) Ich habe eine zweite Bitte. Kollege Frankenhauser, das, was Sie über die Europäische Union gesagt haben, ist richtig. Ich bitte Sie, sich noch einer anderen Frage im Haushaltsbereich zuzuwenden, die mir große Sorge bereitet. Das ist die Hilfe für Georgien. Wir sind uns hier völlig einig, dass dieses Land unabhängig von der Schuldfrage, die in einem anderen Zusammenhang geklärt werden muss, Unterstützung braucht. Den Wiederaufbau des Landes wollen wir. Aber wir geben jetzt Hilfen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro; das sind fast 40 Prozent eines Haushalts dieses Landes. Wir wissen genau, was passiert, wenn wir in so kleine Länder solche Summen geben, ({5}) nicht nur hinsichtlich der Absorptionsfähigkeit dieser Länder - das können sie nicht absorbieren -, sondern auch hinsichtlich der Preissteigerung, der inflationären Tendenzen durch so viel Geld, das von außen kommt. Wenn dieses Geld, wie es im Augenblick aussieht, sozusagen nur in Haushaltsbeihilfen fließt, das heißt nicht in gezielte Maßnahmen, dann ist das natürlich auch ein Programm zur Wiederankurbelung der Korruption in Georgien. Ich glaube, dass wir - Deutschland gibt 34 Millionen Euro - ein großes Interesse haben, zu kontrollieren, was mit diesem Geld passiert. ({6}) Wir brauchen Transparenz und sollten es nicht zulassen, dass dieses Geld allgemein in den Haushalt fließt. Vielmehr sollte es für konkrete Maßnahmen ausgegeben werden. Das ist meine Bitte an den Haushaltsausschuss. ({7}) Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Thema ansprechen, das ich wichtig finde. Ich glaube, dass diese Finanzkrise die Chance bietet, einen großen Partner östlich von uns, der zum Teil mit uns zusammen, aber nicht immer mit uns zusammen Politik macht, nämlich Russland, sozusagen wieder ins Boot zu ziehen. Die Finanzkrise hat Russland und denen, die eine - ich sage es einmal so - eher national-chauvinistische Politik betreiben, deutlich gemacht, dass die Kooperation mit den Europäern dringend geboten ist, um all die gravierenden Probleme, die auf die Russische Föderation zukommen, lösen zu können. Dass wir im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens wieder anfangen zu verhandeln, ist ein guter Schritt. Ein gutes Signal ist auch, dass Putin deutlich gemacht hat, dass der WTO-Beitritt Russlands etwas positiver sein könnte, als es in den letzten Monaten dargestellt worden ist. Wir brauchen die russische WTO-Mitgliedschaft, um das PKA umzusetzen. Dies halte ich für wichtig. Mir wäre es allerdings auch lieb, wenn der russische Präsident in diesem Zusammenhang seine Definition von Einflusszonen um dieses Land zurücknehmen würde. Die ehemaligen Sowjetrepubliken sind selbstständige Staaten, ({8}) und sie entscheiden selber über ihre Zukunft. Das ist in unserem Interesse. Das gehört zusammen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Alois Karl von der CDU/ CSU-Fraktion.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushaltstitel des Außenministers umfasst lediglich 1 Prozent des Gesamthaushaltes. Dies ist also kein Megathema, könnte man sagen. Viele der Ausgaben gehen in die Finanzierung der Auslandsvertretungen, sind also nicht operativ. Viele Ausgaben sind Beiträge zur Finanzierung internationaler Organisationen, zum Beispiel des Internationalen Strafgerichtshofes, oder zum humanitären Minenräumen. Es finden sich also vielfältige humanitäre Aspekte in Ihrem Haushalt, Herr Außenminister. Diese Aspekte werden nicht nur im Auswärtigen Ausschuss behandelt, sondern auch im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. In diesem Zusammenhang trifft es sich gut, dass es heuer, 2008, im Zusammenhang mit den Menschenrechten ungewöhnlich viele Termine gibt, an die erinnert werden sollte. Wir haben sie nicht besonders gefeiert. Dennoch möchte ich - sozusagen als Fußnote dieser Haushaltsdebatte - darauf hinweisen, dass vor 160 Jahren, im Dezember 1848, in der Frankfurter Nationalversammlung erstmals ein „Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volks“ beschlossen worden ist. Heute ist uns das natürlich geläufig. Damals wurde schon nach drei Jahren das Gesetz über die Grundrechte wieder aufgehoben. In wenigen Tagen begehen wir ein weiteres historisches Datum: Vor etwa 60 Jahren wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Nationen verabschiedet. Diese Erklärung der Menschenrechte dient der Achtung und Förderung der Grundrechte für alle ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache, Religion usw. Aber auch soziale Grundrechte finden sich in dieser Erklärung, zum Beispiel das Recht auf Arbeit und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Auch unsere heutige Politik lässt sich danach beurteilen, ob diese Grundrechte in der Innenpolitik wie in der Außenpolitik implementiert sind. Vor zehn Jahren hat der Bundestag beschlossen, einen eigenen Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe einzurichten. ({0}) Die Parteien haben dem dadurch Rechnung getragen, dass sie renommierte Vertreter in den Ausschuss geschickt haben, zum Beispiel Norbert Blüm, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP oder Claudia Roth, die den Vorsitz übernommen hat. Seit 160 Jahren stehen wir in einer guten Tradition. Die Menschenrechte sind Richtschnur auch unserer Außenpolitik geworden. Die Kolonialpolitik prägte für viele Jahrhunderte die Außenpolitik. Das ist heute Gott sei Dank zu Ende. Dennoch können wir feststellen, dass viele Länder oder sogar Kontinente der Erde oft ihrer Schätze und Bodenschätze und damit ihres Reichtums beraubt werden. Die weltweit geltenden Menschenrechte verbieten das. Trotzdem schauen wir oft genug weg. Fairer Handel ist nirgendwo auf der Welt Allgemeingut geworden. Fairer Handel statt des dummen Schlagworts „Geiz ist geil“ würde Hunderttausenden von Kleinbauern weltweit helfen, ihre kodifizierten Menschenrechte zu erringen, und ihnen so ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es ist auch Aufgabe unserer Außenpolitik, das weltweit zu implementieren. ({1}) In Westeuropa ist Krieg kein Mittel der Machtpolitik. Dennoch sehen wir in Georgien, im Kongo und in Darfur im Sudan, dass dort das Gegenteil der Fall ist. Die Menschenrechte stehen in weiten Teilen der Erde in gar keiner Weise im Mittelpunkt der Politik. Die Unterstützung der Menschenrechte wäre aber auch für unsere eigene Politik in Europa bzw. in Deutschland wichtig. Wir, die wir im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe tätig sind, wissen, dass dies immer das Bohren dicker Bretter bedeutet. Wir können nicht wegschauen, wenn wir in den Fortschrittsberichten lesen, dass in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien kaum Fortschritte zu verzeichnen sind und dass in diesen Ländern Korruption und organisierte Kriminalität immer noch an der Tagesordnung sind. Sehr geehrter Herr Außenminister, hier wären klare Worte oft besser als diplomatische Verbrämungen. ({2}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Zustände in der Türkei eingehen. Die Glaubensfreiheit steht dort eben nicht unter staatlichem Schutz, weder im negativen noch im positiven Sinne. Unsere Außenpolitik darf nicht vorgaukeln, dass Länder in die Europäische Union aufgenommen werden, die die Grundsätze der Menschenrechte nicht achten. Ein anderes Thema: Die USA haben bald eine neue Regierung. Ich denke, dass die deutsche Außenpolitik das Thema Guantánamo nicht außer Acht lassen darf. Die deutsche Außenpolitik muss hier einen deutlichen Standpunkt einnehmen. Guantánamo ist eine unerträglich klaffende Wunde in der Menschenrechtspolitik weltweit. Hier haben wir unsere Aufgaben. ({3}) Wir müssen auch über den Skandal im Irak sprechen. Wir erleben heute eine der weltweit größten Christenverfolgungen aller Zeiten. Es ist ein Skandal, dass 200 Millionen Christen auf der Welt in 50 Ländern verfolgt werden. Wenn im Irak davon gesprochen wird, dass ein Bereich „christenfrei“ ist, dann weckt dieser Duktus und dieser Sprachgebrauch in Europa und insbesondere in Deutschland ganz schmerzliche Erinnerung. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die deutsche Außenpolitik muss auch künftig all ihre Möglichkeiten einsetzen, um den universell geltenden Menschenrechten zur Achtung zu verhelfen. Der Einsatz hierfür lohnt sich. Deutschland steht auf diesem Feld seit mehr als 160 Jahren in einer guten Tradition. Diese gilt es fortzusetzen. Möglichkeiten dazu gibt es für unsere Außenpolitik weltweit genug. Hierfür wünschen wir Ihnen alles Gute und viel Glück, sehr geehrter Herr Außenminister. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Diether Dehm von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat heute früh in ihrer Haushaltsrede die Notwendigkeit deutlich gemacht, die Praxis der EU-Beihilfekontrolle vorübergehend zu lockern und die Grenzen, ab wann die bürokratischen Kontrollen der EUKommission beginnen, anzuheben. Das ist richtig, aber zu kurz gedacht. Herr Steinmeier hat gesagt - als ich das hörte, habe ich meinen Ohren nicht getraut -, Politik könne Krisen nicht verhindern. Herr Steinmeier, das ist eine Kapitulation. Diese Krise wurde hauptsächlich durch die marktradikale Ausrichtung der EU verursacht. ({0}) Ihre Folgen können nicht ohne einschneidende Änderungen im Bereich der EU bewältigt werden. Die EU-Kommission tut gegenwärtig zwar so, als handele sie bei der Subventionskontrolle flexibel und schnell. Aus ihrem aktuellen Bericht über staatliche Beihilfen vom 17. November dieses Jahres geht aber hervor, dass Flexibilität und Zügigkeit nur kurzfristig praktiziert und die staatlichen Einflüsse und Regulierungen schnell zurückgenommen werden sollen. Angesichts der Erfahrungen mit dieser Krise ist es erforderlich, die konkrete Praxis der EU-Kommission bei der Beihilfekontrolle und die Art. 87 bis 89 des EG-Vertrages radikal zu korrigieren. Die Einordnung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse - auf Deutsch: die Daseinsvorsorge - in Wettbewerbsrecht und Beihilfekontrolle ist rückgängig zu machen. Art. 86 des EG-Vertrages darf nicht so bleiben, wie er ist. Zum Fall Opel. Die Bundesregierung hat grundsätzlich Hilfe zugesagt. Die taz schrieb am 18. November dieses Jahres: Sorge bereitet der Bundesregierung besonders die Frage, wie verhindert werden kann, dass die von Opel angeforderte Bundesbürgschaft … nicht in die USA abfließt. Wie das verhindert werden kann, bleibt offen. ({1}) Schließlich gibt es noch die vom Europäischen Gerichtshof in seinem unseligen Urteil gegen das VW-Gesetz häufig beschworene Kapitalverkehrsfreiheit. In Art. 56 des EG-Vertrages heißt es, es seien - Zitat alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs … zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Ich wiederhole: Auch Beschränkungen gegenüber dritten Staaten sind verboten. Der ursprüngliche EWG-Vertrag war an dieser Stelle übrigens nicht so strikt neoliberal ausgerichtet. Dort hieß es in Art. 67 noch: Soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist, beseitigen die Mitgliedstaaten untereinander … alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs in bezug auf Berechtigte, die in den Mitgliedstaaten ansässig sind, … Die jetzige Regelung darf daher nicht bestehen bleiben. Herr Trittin, Sie wollen mich fragen, warum wir zugestimmt haben. Selbstverständlich stimmen wir immer zu, wenn es um Belegschaften geht. Trotzdem muss die Frage beantwortet werden - in der taz wurde sie zu Recht aufgeworfen -, was zu tun ist, damit das Geld, das über Bürgschaften mobilisiert wird, nicht in die USA abfließt. Sie können Ihre Frage aber gerne stellen. ({2}) Ich wäre Ihnen für jede Redezeitverlängerung dankbar. Die aktuelle Finanzkrise beruht auf der Einkommensdiskrepanz zwischen Arm und Reich. Aus hohen und übermäßig stark gestiegenen Einkommen fließen Gelder in spekulative Anlagen. Wegen der mangelnden Kaufkraft der abhängig Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner fehlt es an Binnennachfrage zur Belebung der Realwirtschaft. Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Rüffert-Urteil zum Vergabegesetz des Landes Niedersachsen verboten, für anständige Arbeit eine anständige tarifliche Bezahlung zu verlangen. Das ist ein Skandal. Um solche Urteile zu verhindern, muss das EUVergaberecht geändert werden. Wir brauchen im EU-Primärrecht sofort eine sogenannte soziale Fortschrittsklausel; dies wird auch von den Gewerkschaften gefordert. Insgesamt bedarf es einer grundlegenden Revision des EU-Vertragsrechts, weg vom Neoliberalismus der geltenden Verträge, zum Beispiel des gescheiterten Vertrags von Lissabon. Durch die Entscheidung des irischen Volkes haben wir diese Chance bekommen. Nutzen wir sie! Die Frau Bundeskanzlerin hat heute Morgen die Grundwerte beschworen. Die Grundwerte der EU, die Kapitalfreiheit und der unverfälschte Wettbewerb, haben zur aktuellen Spekulationsblase und damit zu dieser Krise geführt. Was Europa jetzt vor allem braucht, ist die Verwirklichung eines Grundwerts, nämlich des Grundwerts der Solidarität. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Kurt Bodewig von der SPD-Fraktion.

Kurt Bodewig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003051, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen diese Debatte aus dem Europaausschuss, und eigentlich kennen wir dies auch hinsichtlich des Verfassungsvertrags. Lieber Kollege Dehm, das ist die gleiche Irrhaltung; denn auch dort lehnen Sie etwas ab, dessen Umsetzung dazu führen würde, dass wir Europa sozialer gestalten. Ich glaube, das ist inkonsequent. ({0}) Ich hätte eben spontan nicht die Frage gestellt, was zu tun ist, sondern ich hätte gefragt: Was denn nun? Die Doppelbödigkeit haben Sie mit Ihrem eigenen Abstimmungsverhalten natürlich beschrieben. Ich glaube, Politik muss gestalten. Es gibt ein schönes Buch von Enzensberger über einen demokratischen General in der Weimarer Zeit, nämlich Hammerstein oder der Eigensinn. Er sagt: „Angst ist keine Weltanschauung“. Genau das ist diese Auseinandersetzung. Ich kann etwas dramatisieren, was zur Verunsicherung führen und die Sparquote in Deutschland noch weiter hochtreiben kann, oder ich kann sagen: Politik hat die Aufgabe, mit Augenmaß klare Aktivitäten zu entfalten, die zur Wiedergewinnung des Vertrauens geeignet sind. ({1}) - Das heißt, dass wir gehandelt haben. Wer hätte sich denn vor zehn Jahren vorstellen können, dass die Europäische Union in allen wichtigen Industrieländern Europas in einer relativ kurzen Zeit abgestimmte Krisenpakete zur Stabilisierung der Finanzmärkte bewirken kann? ({2}) Es waren doch die USA, die Lehman Brothers bewusst in den Konkurs haben gehen lassen. In den USA gab es die Theorie: Lassen wir Lehman Brothers in Konkurs gehen, dann wird das disziplinierend wirken. Genau das Gegenteil erfolgte. Deswegen ist diese Politik auch falsch. Ich finde es richtig, dass der Bundesaußenminister - ich danke ihm dafür - mit einem Neun-Punkte-Programm ausdrückt, dass wir in Europa etwas tun müssen, das über das, was ist, hinausgeht. Das ist die Chance, Europa zu gestalten: Die Markenzeichen Deutschlands - erneuerbare Energien und die Energieeffizienz - sind voranzubringen, Breitbandnetze usw. Ein neues Energienetz, durch das die Teilung Ost- und Westeuropas aufgehoben wird, auch das ist eine Aufgabe. Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, zum Beispiel Kreditprogramme. Es muss die Frage beantwortet werden, was man tun kann. Wir brauchen spezifische Kreditprogramme, die funktionieren. Wir haben auch ein Konjunkturprogramm, nämlich aufgrund des Sinkens dieser extrem hohen, spekulativen Energiepreise. Auch das wird sich auswirken. Genau diese Politik müssen wir vorantreiben. Deswegen glaube ich, dass es richtig war, europäische Impulse zu geben. Auf eines will ich aber hinweisen: Es müssen abgestimmte nationale Programme sein. Ich möchte der Kommission nicht einen Batzen Geld - ein paar Milliarden Euro - hinlegen und sagen: Schaut einmal, was jeder Kommissar in seiner Zuständigkeit gerade verwenden kann. Das wäre falsch. Wir haben die Verpflichtung, zu gestalten, und wir werden das tun. Mir ist noch etwas anderes sehr wichtig. Ich bedanke mich bei den Haushältern. Auch ich finde die Schulpartnerschaften und die Tatsache toll, dass wir die Schulen weiter unterstützen und das Thema deutsche Sprache weiterhin als Thema in der Europäischen Union behandeln. Es war eine große Leistung der Haushälter, die Mittel dafür um über 10 Prozent zu erhöhen. Ich glaube, das ist sehr hilfreich. ({3}) Wir brauchen darüber hinaus aber natürlich auch die politischen Initiativen. Die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks war wichtig und richtig. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir etwa den Dialog mit Russland unterbrechen. Das Beispiel NATO hat doch genau gezeigt, wie falsch es ist, Dialogstrukturen zu unterbrechen. Russland zieht sich dann aus der militärischen Zusammenarbeit zurück. Eine neue Ost-West-Konfrontation können wir nicht zulassen. Ich nenne ein nächstes Thema, nämlich die Ostseepolitik. Herr Außenminister, ich glaube, dass es richtig war, das zu reaktivieren, und dass das ein ganz wichtiges Feld ist. Es ist eine dynamische Region und das einzige europäische Binnenmeer. Es gibt Streitpunkte, zum Beispiel die Pipeline. Ist aber die Alternative zur Pipeline - etwa aus schwedischer Sicht -, dass dann vielleicht 800 LNG-Schiffe pro Jahr durch die Ostsee, eines der sensitivsten Meere, fahren? Das zeigt eigentlich auch, dass wir einen Interessensausgleich nur über Dialoge erreichen können. Das dient gerade Polen und den baltischen Staaten, aber natürlich auch der Energieversorgung in Westeuropa. ({4}) - Herr Löning, das ist nicht zynisch, sondern ein Ausdruck dafür, dass man gemeinsame internationale Probleme nur durch Kooperation lösen kann. Durch einen Rückfall in die alte Ost-West-Konfrontation werden die Probleme verschärft und nicht gelöst. ({5}) Ich freue mich auch - das ist gerade aktuell -, dass in Tschechien dieses Verfassungsgerichts-Urteil gefällt worden ist und dass Präsident Klaus, ein Euroskeptiker, unterlegen ist. Ich hoffe, es wird ihm eine Lehre sein. Aber es wäre ein sehr deutliches Signal für Irland, wenn ratifiziert würde; dies würde den irischen Prozess befördern. In Irland gab es eine dubiose Unterstützung der LibertasBewegung. Das kam aus irgendwelchen Quellen. Das hat ja in Irland zu einer Reaktion geführt. Nur noch 39 Prozent lehnen den Vertrag ab. Aber es gibt noch Unentschiedene. Ich glaube, es wird in Irland im zweiten Anlauf gelingen, diesem wichtigen Vertrag, der die Handlungsfähigkeit Europas sicherstellt, zum Durchbruch zu verhelfen. Ich jedenfalls freue mich darauf. Wir unterstützen die Iren in ihren Bemühungen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Veronika Bellmann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wesentlicher Verantwortungsbereich des Auswärtigen Amtes ist neben der Außenpolitik die Europapolitik. Wir debattieren heute schon die ganze Zeit darüber, vor welch große Herausforderungen uns die finanz- und wirtschaftspolitische Situation stellt. Wir müssen uns fragen: Wo agieren wir? Wo reagieren wir? Welche neuen Fragen gibt es, und welche neuen Antworten müssen wir geben? Das gilt insbesondere auch für die Europäische Kommission. Ich denke hierbei an die Beihilfeproblematik. Welche Strenge wird die Kommission an den Tag legen und welche Maßstäbe gibt es für die Einhaltung einer verantwortlichen Haushaltsdisziplin, wenn die Nationalstaaten ihre Schutzschirme für die Aufrechterhaltung ihrer Wirtschafts- und Finanzordnung aufspannen? Welche Antworten gibt die Europäische Gemeinschaft auf die Frage der Ausgestaltung der Klimaschutzprogramme, der Regelung der CO2-Emissionen für Kfz, für energieintensive Industrien unter den Bedingungen der weltweiten Rezession? Was wird aus der LissabonStrategie für Wachstum und Beschäftigung - nur noch ein Rettungspaket? Welche Aufgaben bekommen unter den geänderten Vorzeichen die europäischen Banken? Was die Europäische Zentralbank angeht, so muss man sich fragen, wieso sich das deponierte Bankengeld ausgerechnet jetzt auf das 500- bis 1 000-Fache gegenüber normalen Zeiten beläuft? 240 Milliarden Euro liegen dort. Ich hoffe nicht, dass ausgerechnet die Staatsgelder, die zur Rettung der Banken initiiert worden sind, dort deponiert werden. Was wird mit der Europäischen Investitionsbank? Reichen die Darlehen in Höhe von 480 Millionen Euro, die wir bisher für Kredite, für Bildung, Forschung und Innovation hatten? Was wird mit dem Zusammenschluss mit der Osteuropabank? Da ist viel fortschrittliches, kreatives, vor allem aber überlegtes und schnelles Handeln gefragt, aber auch das Halten von Maß und Mitte sowie, wie die Kanzlerin heute Morgen so treffend sagte, auch praktische Vernunft. ({0}) Das fällt der EU in vielerlei Hinsicht schwer, vor allem wenn es um die Einhaltung ihres Kompetenzrahmens und des Subsidiaritätsprinzips bei den vielen Richtlinien, Mitteilungen und Verordnungen geht. Hier wünsche ich mir - genauso wie Sie, Herr Außenminister - eine Renaissance Europas, nämlich eine Rückbesinnung auf die Kernaufgaben. ({1}) Ich nenne als Beispiel die EU-Mitteilung zum Aktionsrahmen für die Bekämpfung der Finanzkrise. Maß, Mitte und Vernunft gelten natürlich zuallererst bei den Managergehältern. Aber müssen sie deswegen gleich europaweit geregelt werden? Ich gehe in einen anderen Politikbereich und beziehe mich auf die Forderung nach dem sozialen Europa. Ein künftiges soziales Europa kann vieles aus dem deutschen Sozialstaatsmodell übernehmen. Unsere Standards sind mit Sicherheit in vielen Bereichen beispielgebend. Ich denke an die Mitbestimmung, aber ich denke auch an das Thema Antidiskriminierung. Es liegt die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie auf dem Tisch. Die vorhergehenden sind noch nicht einmal auf ihre Wirkungsweise hin endgültig überprüft oder evaluiert, da liegt schon die fünfte auf dem Tisch. Der Geltungsbereich soll auf alle Bereiche außerhalb von Beruf und Beschäftigung erweitert werden. Das ist ein ziemlich starker Eingriff auch in die Vertragsfreiheit. Da habe ich größte Bedenken, ob das überhaupt der Rechtsetzungskompetenz der EU entspricht. Ein anderes Beispiel ist die von der Gemeinschaft erlassene Verordnung zur Abgabe von Nahrungsmitteln an Bedürftige. Sie wurde 1987 eingeführt und regelte, dass Überschussbestände - sogenannte Interventionsbestände für Nahrungsmittelhilfe freigegeben werden können. Der Anteil dieses Überschusses ist stetig zurückgegangen. Deshalb wurden die Nahrungsmittel zugekauft. Nach der neuen Richtlinie sind Nahrungsmittel im Wert von 500 Millionen Euro vorgesehen, die aus dem Agrarhaushalt kommen. Das heißt, Mittel aus dem Agrarhaushalt werden für ein fachfremdes Programm verwendet. Es hat sicherlich niemand etwas gegen Hilfe für Bedürftige. Aber wir haben etwas dagegen, wenn eine rein sozialpolitische Maßnahme in die Regelungskompetenz der EU fällt. ({2}) Ich nenne ein weiteres Beispiel: das sogenannte Schulobstprogramm. Mit diesem Programm für eine kostenlose Abgabe von Obst und Gemüse an Schulen soll ein politischer und finanzieller Rahmen geschaffen werden, um den Obst- und Gemüseanteil an der Ernährung von Kindern dauerhaft zu erhöhen. Das Ziel der gemeinsamen Marktorganisation soll die Steigerung des Obst- und Gemüseverbrauchs sein. Dazu gibt es fünf flankierende Maßnahmen, die sich wie ein Rundumsorglospaket lesen. Am Ende kommt dann noch heraus, dass diese Richtlinie in die Lehrpläne der Schulen eingreifen soll. Lehrpläne von Schulen fallen aber nicht in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten, sondern sind in unserem föderativen System in Deutschland eindeutig Sache der Länder. Da hat die EU weiß Gott nichts zu suchen. Die Einhaltung des Kompetenzrahmens und des Subsidiaritätsprinzips ist meiner Ansicht nach sehr wichtig, nicht nur für die Akzeptanz der EU im Allgemeinen, sondern auch hinsichtlich der Haushaltsrelevanz sowohl für Deutschland als auch für die EU. Dabei gilt es, nicht nur nach Brüssel zu blicken - meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen - und auf die Europäische Kommission oder das Europäische Parlament zu schimpfen, sondern die Kritik richtet sich auch an die Regierungen der Mitgliedstaaten. Denn diese haben im Europäischen Rat ein gewaltiges Wörtchen mitzureden. Dabei möchte ich auch die deutsche Regierung in die Pflicht nehmen und deutlich auf die Beteiligung des Parlaments hinweisen. Die EU ist immer noch ein Staatenbund; sie ist kein Bundesstaat. Insofern gilt es, sich auf ein vernünftiges Maß der Regulierung und Aufgaben zu beschränken. Das mag schwer sein, vor allen Dingen, wenn sich jeder immer wieder in seiner Wichtigkeit bestätigt fühlen will. Aber die Selbstbeschränkung gilt nicht nur für die Akteure des Finanzmarktes. Dabei mag uns eine Volksweisheit trösten, die unsere Zukunft so trefflich beschreibt: Kein Vormarsch ist so schwer wie der Weg zurück zur Vernunft. In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich dem Kollegen Erich Fritz von der CDU/CSU das Wort.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie warten sicherlich alle mit großer Spannung auf den letzten Beitrag in dieser Debatte. ({0}) Trotzdem will ich versuchen, ein neues Thema in die Debatte einzuführen. Ich will nur kurz auf die Aussage von Herrn Trittin eingehen, er vermisse die deutliche Sprache bei der Bundesregierung. Ich erinnere mich an ein Interview eines früheren Außenministers, in dem ich diese deutliche Sprache bewundert habe. Er kam aus Tschetschenien, hatte mit Putin gesprochen und wurde gefragt, was er von der Menschenrechtssituation in Tschetschenien halte. Herr Fischer antwortete: Herr Putin spricht blendend deutsch. Das war seine Antwort auf diese Frage. Da lobe ich mir die Bundeskanzlerin und den Bundesaußenminister, die dort, wo es richtig und notwendig ist, ein deutliches Wort sagen ({1}) und dort, wo Pragmatismus angebracht ist und Gesprächsbereitschaft erst hergestellt werden muss, auf eine jeweils geeignete Weise vorgehen und der Versuchung widerstehen, Außenpolitik für populistische Auseinandersetzungen zu missbrauchen. Denn Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit müssen ein Markenzeichen der deutschen Außenpolitik bleiben. Dafür steht diese Bundesregierung. ({2}) Die Finanzkrise wächst sich zu einer Wirtschaftskrise aus. Wer sich in diesen Tagen die OECD-Nachrichten über den vermutlichen wirtschaftlichen Rückgang in den wichtigen Industrieländern, zum Beispiel in den USA, vor Augen führt, weiß, dass schwere Zeiten kommen. Wer die Prognosen für die Schwellenländer betrachtet, der kann vermuten, dass auch dort nicht alles ohne gravierende Veränderungen ablaufen wird. Herr Professor Weisskirchen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gefahr in den Ländern, in denen die Hoffnung besteht, aus der Armut herauszukommen, und es gute Beispiele gibt, denen die Menschen nacheifern, am größten ist, dass Entwicklungen abgeschnitten werden, und dass diejenigen, die noch nicht in das Weltwirtschaftssystem integriert sind wie das Afrika südlich der Sahara, am meisten unter der derzeitigen Entwicklung zu leiden haben. Es wurde gesagt, 2009 sei ein Jahr der Neuorientierung des internationalen Systems. Entscheidend wird sein, ob die bestehenden Institutionen im Kern geeignet sind, Antworten auf die Frage zu geben, wie eine neue Ordnung aussehen soll, ob eine Gruppe bestimmter Institutionen und Länderorganisationen auf der Basis von Vertrauen und gemeinsamen Interessen geeignet ist oder ob es regionale Strukturen sind, die sich verstärken lassen. Ich glaube, dass wir in Kooperation über den Atlantik hinweg - dazu wurde bereits viel gesagt - die Chance haben, Pfeiler für eine neue Ordnung zu setzen. Diese Pfeiler werden das Gebäude aber nicht tragen, wenn die Schwellenländer nicht dabei sind und wenn diejenigen, die nach einer kurzen Schwächephase aufgrund des Rohstoffverkaufs wieder zu reichen Ländern geworden sind, nicht ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten. In der jetzigen Situation zeigt sich, wie gut wir als Europäer beraten waren, zu sagen: Eine wichtige Reform ist - am liebsten durch einen Verfassungsvertrag die Herstellung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. ({3}) Dieses Ziel zu verfolgen, dafür zu werben, ist deshalb so wichtig, weil nur eine wirklich handlungsfähige Europäische Union zusammen mit einem neuen Partner in den USA wesentliche Beiträge leisten und es ermöglichen kann, dass im Umfeld unseres Lebensraumes, in Zentralasien und im Nahen Osten, Konfliktlösung betrieben wird. Mir liegt noch etwas anderes am Herzen. In diesen Zeiten stellt sich die Frage, woran sich künftig die Weltpolitik orientieren soll. Diese Frage wird oft gestellt, wurde aber bis heute nicht richtig beantwortet. Was ist eigentlich Global Governance? Wer sind die Beteiligten? Woher kommen die Impulse, die ein neues Regelsystem - das muss entstehen - den Menschen als Möglichkeit zur Lösung von Zukunftsaufgaben plausibel macht? Wenn wir über internationale soziale Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit sprechen, dann geht es immer um die Frage, wie man eine effektive Wirtschaft, die den Menschen möglichst überall Wohlstand bringt, mit dem Schutz der Ressourcen und der natürlichen Lebensgrundlagen, sozialer Verantwortung, Entwicklungschancen für diejenigen, die noch nicht so weit sind, und der Durchsetzung der Menschenrechte und demokratischer Ordnungen verbinden kann. ({4}) Die jetzige Situation eröffnet auch Chancen; denn man muss vieles neu reflektieren und auf neue Beine stellen. Man muss einen Weg finden, eine solche Ordnung herzustellen, sowie Global Governance aus der Diskussion an den Hochschulen und in Initiativen herausholen und zum Gegenstand der internationalen Politik machen. Herr Außenminister, für das, was Sie sich in der deutschen Außenpolitik vorgenommen und hier überzeugend dargelegt haben, wünschen wir alle Ihnen eine glückliche Hand. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.10 auf: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung - Drucksachen 16/10413, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Susanne Jaffke-Witt Bartholomäus Kalb Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Zum Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und bitte, die Gespräche auf der Regierungsbank einzustellen, damit wir uns der ersten Rednerin widmen können. Jetzt hat die Kollegin Elke Hoff das Wort, und sie hat die Aufmerksamkeit des Plenums. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir beraten heute in letzter Lesung über den Verteidigungshaushalt. Kurz nachdem wir das heute abschließend tun, steht der nächste Einsatz der Bundeswehr im Ausland an. Wir werden, wie es der Presse zu entnehmen ist, noch in diesem Jahr über den Einsatz der Marine zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika abzustimmen haben. Sehr geehrter Herr Minister Jung, wir bedauern wirklich sehr, dass es, nachdem sie sich jetzt so viele Jahre hervorragend in Auslandseinsätzen betätigt und das beste Bild für unser Land hinterlassen hat, wieder nicht gelungen ist, die Bundeswehr mit einer klaren Marschrichtung und unter klaren rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen in diesen Einsatz zu schicken. ({0}) Das ist etwas, was wir nicht nachvollziehen können. ({1}) Spätestens mit der Vorlage des Weißbuches im Oktober 2006 war klar, dass eines der wesentlichen Ziele auch dieser Bundesregierung die Sicherung der Transportwege und auch die Bekämpfung der Piraterie sein wird. In dieser Zeit hätte die Möglichkeit bestanden, den notwendigen rechtlichen Rahmen für unsere Soldatinnen und Soldaten zu setzen. Wir diskutieren heute über den Haushalt. Ich habe bis heute nicht gehört, welche Kosten auf den Einzelplan 14 zukommen werden bzw. ob die finanziellen Mittel, die für diesen Einsatz aufzuwenden sind, aus dem allgemeinen Haushalt bezahlt werden. Ich hoffe, dass wir heute von Ihnen, Herr Minister - Sie werden noch dazu reden -, erfahren, wie dieser zusätzliche Einsatz finanziert werden wird. Die Last, die wir der Bundeswehr inzwischen mit den unterschiedlichsten Auslandseinsätzen aufbürden, ist enorm. Zu Recht wird uns auch von unseren Soldatinnen und Soldaten häufig genug die Frage gestellt, welche deutschen Interessen denn in den verschiedenen Einsatzgebieten vertreten werden sollen und welche Rolle die Bundeswehr dabei spielt. Zudem ist die BundesregieElke Hoff rung bis heute die Antwort auf eine grundsätzliche Frage schuldig geblieben, die sich auch auf die Verteilung der Finanzen im Haushalt auswirkt. Entsenden wir die Bundeswehr nach Afghanistan zu ihrem bedeutendsten Einsatz nun in einen militärischen Einsatz mit einer zivilen Aufbaukomponente oder in einen zivilen Aufbaueinsatz mit einer militärischen Komponente? Ein Blick in die bisherigen Haushalte spricht für die erste Variante. Nach wie vor steht das Geld, das wir für den Militäreinsatz in Afghanistan ausgeben, in keinem ausgewogenen Verhältnis zu den Mitteln für den zivilen Wiederaufbau. ({2}) Wenn sich aber inzwischen alle Akteure darüber einig sind, dass eine erfolgreiche Aufstands- und Terrorismusbekämpfung in Afghanistan allein militärisch nicht zu erreichen ist, sollten wir endlich damit aufhören, der Bundeswehr fast die gesamte Last aufzubürden. Wir müssen vielmehr endlich dafür Sorge tragen, dass das gemeinsame Ziel, nämlich die Menschen vor Ort auf unsere Seite zu bringen, auch erreicht werden kann. Wenn beispielsweise der zügige Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte der Weg zu einer absehbaren Beendigung des Einsatzes sein soll, muss schon jetzt die Frage beantwortet werden, wie der afghanische Staat zukünftig überhaupt in der Lage sein soll, diese Sicherheitskräfte zu finanzieren. So wie es jetzt aussieht, ist es ein unmögliches Unterfangen. Auch dieses Thema wird uns in den Haushaltsdebatten wieder einholen. Wenn ein Comprehensive Approach, wie von Ihnen, Herr Minister, zu Recht in jeder Ihrer Reden angedeutet, tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg sein soll, warum verabschieden wir dann hier im Deutschen Bundestag nicht auch ein gemeinsames Mandat für die Auslandseinsätze, ({3}) mit dem allen beteiligten Ressorts der finanzielle und inhaltliche Handlungsrahmen gesetzt wird? ({4}) Wir als Parlament hätten wirklich die Möglichkeit, diese Einsätze noch mehr als bisher zu unterstützen. Warum soll es nicht möglich sein, die Basis für den Wiederaufbau in Afghanistan mit all seinen vernetzten Maßnahmen und Projekten festzulegen, wenn es inzwischen sogar möglich ist - wie im Mandat zur Operation Enduring Freedom geschehen -, die Einsatzbedingungen bis auf Längen- und Breitengrade festzulegen? Warum soll es dann nicht auch möglich sein, die konkreten Ziele für den Wiederaufbau in Afghanistan mit all seinen vernetzten Maßnahmen und Projekten festzulegen? Warum sollte das, was wir beispielsweise in der Regionalplanung in Deutschland seit langem erfolgreich praktizieren, nicht auch in den Regionen Afghanistans möglich sein - unter einer umfassenden Einbeziehung der lokalen Bevölkerung, mit dem gezielten Aufeinanderabstimmen aller Maßnahmen? Das zwingt nicht nur die Ressorts zu einer gemeinsamen Strategie, sondern auch uns Parlamentarier, über den jeweiligen fachlichen Horizont hinauszublicken und ein Gefühl für die Möglichkeiten, aber auch für die Grenzen des jeweils anderen Fachgebiets zu bekommen. ({5}) Durch eine Ausrichtung auf ein gemeinsames Mandat wird auch der Einsatz aller finanziellen Ressourcen, über die wir entscheiden, klarer und effizienter. Wir könnten unseren Bürgern - diese Fragen werden uns gerade im nächsten Jahr besonders beschäftigen; das kann man heute in jeder Veranstaltung feststellen - besser als bisher Rede und Antwort über die konkreten Fortschritte und über die Verwendung der Gelder stehen. Diplomatisches Können, geduldiger ziviler Aufbau mit Zielen, die auch erreicht werden können, Respekt vor der spezifischen Kultur des Gastlandes, Einbeziehung aller regionalen Akteure in einen politischen Prozess, die umfassende Förderung der demokratischen Kräfte, die ständige Überprüfung der eigenen Strategien und vor allem eine klare Zuordnung persönlicher Verantwortung würden unseren gemeinsamen Anstrengungen mehr Dynamik und damit auch mehr Erfolg verleihen als bisher ({6}) und mittelfristig auch etwas Druck vom Verteidigungshaushalt nehmen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe. Ich bin der Meinung, wir müssen unsere Bundeswehr hier ein Stück weit entlasten, zumal wir wissen, dass es allein militärisch nicht zu bewerkstelligen ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hoff, zu Beginn vielleicht zwei Sätze zu Ihnen. ({0}) - Es können auch drei sein, Ernst; das ist richtig. ({1}) Zunächst einmal: Ich bin sehr dafür, dass wir das, was Sie am Schluss verlangt haben - gemeinsam für Sicherheit und Frieden zu sorgen -, als gemeinsame Aufgabe begreifen und dabei viel stärker ressortübergreifend zusammenarbeiten. Diese Anregung nehme ich gern auf. Ernst-Reinhard Beck ({2}) Im Übrigen war im Verteidigungsausschuss vor kurzem die Frau Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ Kortmann zu Gast. Die entsprechenden Ansätze sind vorhanden; sie sind ausbaufähig. Ich glaube, dass unsere Arbeit in die richtige Richtung gehen wird. Daher wäre hier durchaus einmal Beifall vonseiten der Opposition möglich. Ich muss Ihnen aber auch widersprechen. Ich finde, es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie den Minister beschuldigen, das Mandat im Hinblick auf die Piraterie nicht vorbereitet zu haben. Ich habe an sämtlichen Sitzungen des Verteidigungsausschusses teilgenommen: Wir haben das Thema Piraterie im Grunde das gesamte Jahr hindurch besprochen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind nun einmal so, wie sie sind. Im Augenblick müssen die Rahmenbedingungen auch international erst noch geklärt werden. Darüber, wer was dazu beiträgt, welche Aufgaben und welches Mandat es gibt, wird im Augenblick auf der internationalen Ebene verhandelt. Dieses Parlament wird damit befasst werden, wenn es so weit ist - ich hoffe, möglichst bald -, wenn wir hier wirklich über Sachfragen diskutieren können. Liebe Frau Hoff, möglicherweise ist es in der Opposition manchmal so, dass man besonders herausgefordert wird und bestimmte Detailfragen hoch aufhängt, sie so diskutiert, als ob sie das Allerwichtigste wären, und dass man darüber im Grunde das Ganze etwas aus dem Auge verliert. ({3}) - Der Gesamtansatz, liebe Frau Kollegin Homburger, ist im Grunde völlig klar: Es geht um die Sicherung von Seewegen. ({4}) Es geht um die Bekämpfung von internationaler Kriminalität. ({5}) - Ja natürlich; wir sind dabei. Auf Wunsch wird gehext, und Unmögliches wird sofort erledigt. ({6}) Ich bitte Sie sehr, hier auf dem Boden der Realität zu bleiben. Ich möchte auf den Einzelplan 14 zurückkommen. Einen Punkt sollte man vielleicht von vornherein sehen: Wir sind in der Gefahr, auch bei den Etatberatungen, Einzelprobleme, Einzelfragen und einzelne Beschaffungen in den Mittelpunkt zu stellen, wenn Attentate oder andere punktuelle Ereignisse stattgefunden hatten. Beim Einzelplan 14 oder beim Haushalt generell geht es aber darum, die weiter reichende Fragestellung nicht aus dem Auge zu verlieren: Was ist notwendig? Was ist für die Sicherheitsvorsorge dieses Landes wichtig? Welchen Beitrag gibt es? Was sind die langfristigen Weichenstellungen? Welche Ressourcen und welche Instrumente müssen wir unseren Streitkräften dafür zur Verfügung stellen? Das sind Fragen, die weit über den Tag, auch weit über eine Aktion gegen Piraten in Somalia hinausreichen, die grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft, für den Frieden und für die Sicherheit unseres Landes haben. Ich möchte bei den Haushaltsberatungen zunächst einmal einen Dank aussprechen. Ein Dankeschön geht an die Haushaltsabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung und auch an die Kollegen im Haushaltsausschuss, die dieses wichtige und komplizierte Zahlenwerk erarbeitet haben. Haushaltspläne sind in Zahlen gegossene Politik eines Ressorts. Dazu brauche ich nichts weiter auszuführen. Um es für unsere Fraktion vorweg festzustellen: Mit dem vorliegenden Entwurf für den Haushalt 2009 schaffen wir eine tragfähige Grundlage für die weitere Modernisierung und Anpassung der Bundeswehr. ({7}) Der Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr hat ein Volumen von 31,2 Milliarden Euro. Die Steigerung gegenüber dem Haushalt 2008 beträgt 1,7 Milliarden Euro. Ich möchte einen Aspekt hervorheben, nämlich dass die Steigerung der investiven Ausgaben auf immerhin 24,4 Prozent - über 600 Millionen Euro nahezu ausschließlich militärischen Beschaffungen zugute-kommt. Das ist auch richtig so. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung Modernisierung unserer Streitkräfte. Diese Steigerung ist hoch, wenn man die schleichende Reduzierung der letzten Jahre bedenkt; sie ist aber nicht zu hoch, wenn man die gestiegenen Anforderungen betrachtet. Eine dieser gestiegenen Anforderungen ist in der Tat das vor der Tür stehende neue Mandat Atalanta, mit dem zusammen mit den europäischen Partnern die Piraterie am Horn von Afrika bekämpft werden soll. Die Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 5,9 Prozent ist insbesondere den gestiegenen Gehältern, der Erhöhung des Wehrsolds geschuldet. Sie lässt aber gleichzeitig Spielraum für eine Verbesserung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte und für eine Verbesserung der Infrastruktur, zum Beispiel im Rahmen des Programms „Kasernensanierung West“. Für 2008/09 werden immerhin 300 Millionen Euro in eine Vielzahl von Bauprojekten investiert. Herr Minister, ich bin froh, dass diverse Truppenbesuche diese Entscheidung beschleunigt haben, gebe aber zu bedenken, dass angesichts dieser Sanierung das Stationierungskonzept beibehalten werden sollte. Es wäre nicht vermittelbar, wie ich meine, wenn eben erst mit hohem Finanzaufwand renovierte Standorte aufgelöst würden. Ich sage dies ganz bewusst mit Blick auf die heute in der Presse aufgeflammte Diskussion um den Standort der Deutsch-Französischen Brigade. Hierzu vielleicht noch einige Bemerkungen: Ich halte die Deutsch-Französische Brigade nicht nur für ein politisches Symbol der deutsch-französischen Kooperation, sondern über den Symbolcharakter hinaus halte ich sie auch für das Kernstück des Eurocorps und für ein bewährtes, in der Zwischenzeit in der militärischen Wirklichkeit angekommenes Instrument der europäischen Sicherheitspolitik. Deshalb glaube ich, dass wir dieses Instrument nicht aufs Spiel setzen sollten, insbesondere Ernst-Reinhard Beck ({8}) nicht durch Diskussionen über die Standortfrage. Ich erinnere daran, Herr Minister, dass Sie in Immendingen ausdrücklich eine Garantie für den Standort Immendingen abgegeben haben. Auch dies setzt, wie ich glaube, ein bisschen den Rahmen für die weiteren Gespräche. ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Wettbewerb um die besten Köpfe unserer Gesellschaft besteht die Bundeswehr in der Frage der Nachwuchsgewinnung. Wenn wir an die Einsatzbereitschaft und die Leistung unserer Soldaten hohe Anforderungen stellen, müssen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. In der Vergangenheit wurde damit begonnen; dies bleibt aber auch eine wichtige Herausforderung für die Zukunft. Mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz, dem Einsatzversorgungsgesetz und dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz haben wir eine Reihe von wichtigen gesetzlichen Schritten getan. Die finanziellen Verbesserungen, die wir beschlossen haben - ich erinnere nur an die Leistungen, die wir jetzt etwa KSK-Soldaten gewähren, aber auch bestimmten Gruppierungen wie den Rettungsmedizinern und den Piloten -, sind bei aller Problematik, Herr Kollege Kahrs, die Insellösungen mit sich bringen, richtig und zielführend. Über die Tatsache, dass man dadurch strukturelle Ungerechtigkeiten im System weiter verschärft, bin ich mir schon im Klaren. ({10}) Ich glaube aber, dass wir im Augenblick keine andere Lösung haben, um bestimmten Notlagen abzuhelfen. Zur Attraktivitätsförderung gehört auch eine verbesserte Familienbetreuung und soziale Fürsorge des Dienstherrn. Das Programm zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst beinhaltet ein gutes und zukunftsweisendes Konzept. Dies ist aber, wie ich vielfach höre, finanziell nicht so unterfüttert, wie wir es uns wünschen. Manchmal wird mir aber auch gesagt: Das Geld ist zwar da, aber es gibt noch nicht das richtige Konzept, um den speziellen Anforderungen der Bundeswehr gerecht zu werden. Es reicht ja nicht, einen Kindergarten in der Kaserne einzurichten. Vielmehr muss gesehen werden, dass 15 000 Soldatinnen Dienst tun und über gewisse, manchmal auch längere Zeiträume Familien auseinandergerissen werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich hängt die Motivation der Truppe nicht nur von finanziellen Anreizen ab. Hohe Motivation und Leistungsfähigkeit unserer Soldaten können wir nur erwarten, wenn wir sie ernst nehmen und die Realitäten, die der Einsatz mit sich bringt, offen ansprechen. Ich denke manchmal, dass wir nicht nur eine Transformation der Strukturen, sondern auch eine Transformation der Begriffe und des rechtlichen Rahmens brauchen, in dem wir uns bewegen. Hier verweise ich besonders darauf, dass wir Rechtsschutz für unsere Soldaten brauchten. Es ist ja erstaunlich, dass die Bundeswehr schon seit 50 Jahren besteht, ohne dass diese Frage überhaupt aufgetaucht ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sehr froh, dass wir dies in einer, wie ich meine, guten Form gelöst haben. Ich weiß, Herr Präsident, meine Redezeit geht zu Ende.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, sie ist zu Ende. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte dennoch zum Schluss zwei Dinge sagen: Ich bedanke mich auch im Namen meiner Fraktion für die Leistungen der Soldaten im Einsatz. Ich bedanke mich ganz besonders - das wird häufig vergessen - für die Leistungen der Reservisten, die zu Hause und im Einsatz einen wichtigen Beitrag leisten. ({0}) Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir uns angesichts der neuen territorialen Strukturen nahezu ausschließlich auf Reservisten verlassen. Sie sind Teil unserer Sicherheitsvorsorge. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön. Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre große Geduld. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Inge Höger von der Fraktion Die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle sieben Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger. Durch Hunger sterben viel mehr Menschen als durch alle Kriege auf dieser Welt. Armut bedroht Sicherheit und Demokratie weltweit. Armut ist eine der Hauptursachen für Bürgerkriege und Krisen in der Welt. Armutsbekämpfung ist deshalb für uns alle das A und O. Armutsbekämpfung entscheidet über die Zukunft unserer Kinder. Armutsbekämpfung ist Friedenspolitik. ({0}) Der Verteidigungshaushalt, den die Große Koalition vorgelegt hat, steht nicht für Friedenspolitik. Es handelt sich um einen Aufrüstungshaushalt. Er zielt auf die Teilnahme an Kriegen. ({1}) - Ich weiß, das Wort hören Sie nicht gerne. Sie reden lieber von Missionen, von Einsätzen und von einem Einsatzhaushalt. Viele Soldaten sind da längst deutlicher geworden: „Wir befinden uns in einem Krieg“, so beschrieb der scheidende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Herr Gertz, die Lage der Bundeswehr in Afghanistan. ({2}) - In dieser Frage stimme ich ihm zu. Die in Ihrem Einsatzhaushalt vorgesehenen Ausgaben ermöglichen sowohl die Vorbereitung als auch die Durchführung von Kriegen. Damit gerät Deutschland immer tiefer in eine politische und auch finanzielle Sackgasse. Anstatt angesichts der globalen Finanzkrise endlich umzusteuern, geben Sie noch mehr für Rüstung aus. Der militärische Wahnsinn wird zusehends teurer. Deutschland will nächstes Jahr nach den Kriterien der NATO 33,5 Milliarden Euro für militärische Zwecke einsetzen. Hinsichtlich der Militärausgaben liegt Deutschland damit unter allen Ländern dieser Welt auf Platz 6 ein trauriger Spitzenplatz. ({3}) Bei der Entwicklungshilfe hingegen dümpelt Deutschland nur auf Platz 12 der 22 OECD-Geberstaaten. Für die Linke ist verantwortungsvolle Außenpolitik etwas ganz anderes. ({4}) Die sogenannten Rüstungsinvestitionen sollen im Jahr 2009 erneut wachsen, dieses Mal um 540 Millionen Euro. Die größte Verschleuderung von Steuergeldern stellt nach wie vor der Eurofighter dar. ({5}) Die Gesamtkosten summieren sich inzwischen auf 22 Milliarden Euro. Die Kosten für dieses Kampfflugzeug sind nach wie vor ein aktuelles Thema. Der Vertrag über die dritte und letzte Lieferung 68 weiterer Eurofighter ist noch nicht unterschrieben. In den nächsten Monaten ist mit einer Entscheidung zu rechnen. Es geht dabei um viel Geld. Etwa 120 Millionen Euro kostet nur eines dieser Kampfflugzeuge. Insgesamt geht es um über 8 Milliarden Euro. Herr Jung, ich sage Ihnen: Noch ist der Ausstieg aus diesem Irrsinn möglich. ({6}) Um skandalöse Geldverschwendung geht es auch bei einem anderen Projekt, dem Schützenpanzer Puma. Einschließlich Bewaffnung soll es etwa 5 Milliarden Euro kosten. Sie sagen, mit dem Puma solle die Schlagkraft der Bundeswehr in weltweiten Einsätzen erhöht werden. Ich sage: Mit Verteidigung hat das nichts zu tun. Die Linke fordert: Lassen Sie die Hände weg vom Puma! ({7}) Auch der Militärtransporter Airbus A400M verschlingt mit insgesamt 9,3 Milliarden Euro unglaubliche Summen. Hier gibt es Verzögerungen in der Produktion. Nutzen Sie diese Chance, um aus diesem Projekt auszusteigen! Kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, Abrüstung würde Arbeitsplätze gefährden. Das ist Blödsinn. Rüstungsausgaben sind ein denkbar schlechtes Investitionsprogramm. Wenn Sie nur wollen, können Sie diese Politik ändern. Mit dem Geld für einen Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie könnte man fünf Krankenschwestern oder vier Lehrerinnen bezahlen. Noch zynischer ist es, die Rüstungsindustrie durch zahllose Genehmigungen für Rüstungsexporte zu fördern. Die Bundesrepublik liegt inzwischen als Rüstungsexporteur weltweit an dritter Stelle. Es ist zynisch, weltweit Waffen zu verkaufen und dann den Friedensengel zu spielen. ({8}) Die Linke sagt: Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. - Wir wissen gesichert, dass deutsche Waffen im Kaukasus- und auch im Libanon-Krieg eingesetzt wurden. Anschließend schicken Sie dann Soldatinnen und Soldaten in diese Regionen. Das mag zwar manches schlechte Gewissen beruhigen. Die Konflikte lassen sich aber mit Militär nicht lösen. Denken Sie eigentlich auch daran, dass durch deutsche Waffen Menschen sterben? Ich sage: Deutschland braucht ein durch und durch ziviles Zukunftsinvestitionsprogramm. Nur durch einen Ausstieg aus der Hochrüstung bleibt genügend Geld für eine vernünftige Investitionspolitik in Deutschland und für eine verantwortungsvolle Außenpolitik übrig. ({9}) Mein Kollege Paul Schäfer hat bereits bei der ersten Lesung dieses Haushaltes erläutert, wie die Lage von Kranken oder Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern mit den Geldern des Verteidigungsetats konkret verbessert werden könnte. Fakt ist aber auch, dass es Projekte der Bundeswehr gibt, die nicht nur Geld kosten, sondern direkt Arbeitsplätze vernichten. Ich sage nur: Bombodrom. Nach etwa zwei Dutzend verlorenen Gerichtsprozessen hält die Bundeswehr immer noch an ihrem Plan fest, auf dem Gelände wieder militärische Übungen durchzuführen. Der Lärm durch Tiefflüge und Explosionen wird einen weiteren Ausbau des Tourismus in der Region unmöglich machen. Ich war gerade letzte Woche in der Region und habe mir von der Tourismusindustrie erklären lassen, dass bestehende Projekte in dem Fall in der Zukunft nicht weitergeführt werden können. Die existierenden Arbeitsplätze und Investitionen werden durch den geplanten massiven Übungsbetrieb mit bis zu 1 700 Einsätzen im Jahr bedroht. Die Linke sieht darin eine Kriegserklärung an die gesamte Region und lehnt die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide als Übungsplatz ab. ({10}) Im Übrigen gratuliere ich den Bürgerinitiativen gegen das Bombodrom von ganzem Herzen zu dem RegineHildebrandt-Preis, den sie gerade erhalten haben. ({11}) Wer Frieden will, braucht Aufklärung und Bildung. Eine Investition in Bildung ist auf jeden Fall eine kluge Zukunftsinvestition. Eine Grundbildung für alle Kinder dieser Welt würde laut UNESCO 11 Milliarden Dollar im Jahr kosten. Das entspricht der Summe, die Deutschland für die dritte Tranche des Eurofighters ausgeben will. Natürlich wird Deutschland diese Kosten nicht dauerhaft alleine tragen können. Aber was spricht eigentlich dagegen, wenigstens in einigen Ländern damit anzufangen? Bildung statt Rüstung, das ist Armutsbekämpfung. Auch eine gute Gesundheitsversorgung gehört für alle Menschen dieser Welt zu den Grundrechten. Die Weltgesundheitsorganisation, WHO, rechnet mit etwa 25 Euro pro Kopf und Jahr für eine Basisgesundheitsversorgung. Für Afghanistan wären das insgesamt etwa 750 Millionen Euro. Das entspricht in etwa den Zusatzkosten für den Einsatz der Bundeswehr in den nächsten 14 Monaten in diesem Land. Die Linke verfolgt ein klares Ziel: Wir wollen den Ausstieg aus den militärischen Strukturen, die einen Angriffscharakter haben. Wer Eurofighter für Flächenbombardements umrüstet oder Fregatten für die Seekriegsführung bestellt, der verabschiedet sich von einem rein defensiven Verteidigungsbegriff. Friedens- und Sicherheitspolitik sieht aus Sicht der Linken anders aus. So wie das internationale Bündnis gegen das NATOJubiläum 2009 glauben auch wir, dass eine friedliche Welt möglich ist. Deshalb unterstützt die Linke die Proteste gegen die NATO. ({12}) Ich schließe mich dem Aufruf des Protestbündnisses an. Um unsere Vision einer friedlichen Welt zu erreichen, lehnen wir militärische Antworten auf globale und regionale Krisen ab. Sie sind Teil des Problems und nicht der Lösung. ({13}) - Genau. - Wir weigern uns, unter dem Terror von Atomwaffen zu leben, und widersetzen uns einem neuen Rüstungswettlauf. Wir müssen die Militärausgaben reduzieren und die dadurch frei werdenden Ressourcen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse einsetzen. Ich denke, die NATO hat in diesen Ländern keinen Krieg zu führen. Es gibt kein überzeugendes Argument für Kriege und für diesen Rüstungshaushalt. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs von der SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn man sich die Zahlen im Haushalt anschaut, versteht man nicht, was die Kollegin Höger eben von sich gegeben hat. ({0}) Sie hat gesagt, Armutsbekämpfung ist Friedenspolitik. Das ist vollkommen richtig. Wenn man sich anschaut, was Frau Wieczorek-Zeul als Entwicklungshilfeministerin tut und welche Aufwüchse es in ihrem Etat gibt, sieht man, dass sich das auch im Haushalt widerspiegelt. Jeder weiß, dass Entwicklungshelfer und Organisationen, die Hilfe, Unterstützung und Nahrungsmittel bringen, nur dann in die betreffenden Länder kommen können, wenn sie geschützt werden, wenn dort ein Zustand herrscht, der es möglich macht, dass überhaupt geholfen werden kann. ({1}) - Ich bin relativ bereit, mit Ihnen inhaltlich darüber zu diskutieren. Aber wenn Sie plumpe Parolen bringen, habe ich auch eine auf Lager. Sie haben ja eben über die Kyritz-Ruppiner Heide als Truppenübungsplatz gesprochen. In der Vergangenheit hat die SED, die später erst zur PDS und dann zur Linkspartei wurde, den Laden betrieben, und in der Zeit sind jedes Jahr 20 000 scharfe Einsätze geflogen worden. Vielleicht sollten Sie erst einmal Ihre Geschichte aufarbeiten und hier nicht laufend Unsinn erzählen. ({2}) - Wie lautet der Spruch? Getroffene Hunde bellen. Der Verteidigungshaushalt hat ein Volumen von ungefähr 31 Milliarden Euro. Das sind 1,6 Milliarden Euro mehr als im letzten Haushalt. Diese Anhebung ist deswegen zielführend, weil es viel Bedarf gibt, der sich aus den Personalkosten, der Wehrpflicht und dem AVZ ergibt. Sie erlauben, dass ich die eine oder andere Zahl anführe; anscheinend bin ich hier der einzige Haushälter, der in dieser Debatte spricht. Die Kosten für Materialerhaltung sind in diesem Jahr konstant geblieben; sie liegen bei circa 2 Milliarden Euro. Trotzdem werden wir gerade in diesem Bereich mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Ich glaube, dass wir Haushälter dem Ministerium stärker als bisher empfehlen müssen, ein Augenmerk auf diese Kosten zu legen. Denn besonders im Bereich der Materialerhaltung haben wir Probleme. Das gilt nicht nur für die Fregatten F 122, sondern auch für alle anderen Bereiche. Ich glaube, hier müssen wir in Zukunft mehr tun. Wir brauchen eine tragfähige Lösung. Die Kosten für Infrastruktur steigen leicht auf 950 Millionen Euro und die Kosten für Beschaffung auf 5,2 Milliarden Euro. Die Privatisierungsvorhaben, die Betreiberlösungen, kosten uns 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Auch hier müssen wir jedes Jahr neu überprüfen, ob es die wirtschaftlichste Lösung ist. Die Personalausgaben steigen von 11,5 Milliarden auf über 12 Milliarden Euro. Dieser Aufwuchs ist vor allem auf die Besoldungs- und Tarifverbesserung, den AVZ und die Erhöhung des Wehrsoldes zurückzuführen. Wir Sozialdemokraten haben uns dafür starkgemacht. Ich glaube, dass es gut war, dass die Koalition diese Erhöhungen durchgesetzt hat. ({3}) Mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz haben wir einen kleinen Schritt in Richtung Verbesserung der Besoldung gemacht. Diese Verbesserung kommt allerdings nur einigen zugute; nur Ärzte und Transportpiloten profitieren davon. Im Einzelfall kann man dies begründen; denn in diesen Bereichen gibt es besorgniserregende Abwanderungstendenzen. Aber letzten Endes ist es nur ein finanzielles Pflaster, mit dem man den Rohrbruch nicht beheben kann. Wir haben bei der Bundeswehr, was ihre Attraktivität angeht, ein strukturelles Problem. Das hat auch etwas mit der Besoldung des Personals zu tun. Dieses Problem bekommen wir nicht allein mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz in den Griff. Herr Minister, ich habe manchmal den Eindruck, im Verteidigungsministerium wartet man gespannt auf das nächste Leck, das sich demnächst auftut, um dann mit geringstmöglichem Aufwand eine bestimmte Gruppe zufriedenzustellen und in dem jeweiligen Einzelfall zu helfen. Ich glaube, dass das auf Dauer nicht trägt. Wir Sozialdemokraten sollten uns ein Konzept überlegen - das sollte die Koalition insgesamt tun -, wie wir auf die Lage am Arbeitsmarkt reagieren und die jungen Frauen und Männer gewinnen können, die die Bundeswehr eigentlich braucht. Unter Rudolf Scharping wurden die ersten Schritte in die richtige Richtung unternommen, was die Veränderung bei den Strukturen angeht. Die Besoldungsstufen A 1 und A 2 wurden abgeschafft. Diejenigen, die sich im öffentlichen Dienst auskennen, wissen, dass es die Besoldungsstufen A 1 und A 2 sonst nirgendwo gibt. Ich glaube, dieses strukturelle Problem muss man in der nächsten Legislaturperiode einmal angehen. Es hilft nämlich nicht, nur einigen zu helfen. Ich persönlich kann mir vorstellen - darüber diskutieren wir zurzeit -, dass man in der nächsten Legislaturperiode die Besoldung in zwei Schritten strukturell ändert. Wir müssen nicht immer neue Dienstgrade und neue Schulterklappen erfinden, sondern man muss dafür sorgen, dass die vorhandenen Dienstgrade mit höheren Besoldungsstufen unterlegt werden. Das würde bedeuten: Die Besoldungsstufen A 3, A 4 und A 5 werden nach A 6 angehoben, danach A 6 nach A 7, A 7 nach A 8, A 8 nach A 9, A 9 nach A 10, A 10 nach A 11 und A 11 nach A 12. An dieser Stelle kann man aufhören. Diese Anhebung ist notwendig, weil wir in diesem Bereich grundlegende Probleme haben. Wir haben zu rot-grünen Regierungszeiten einmal versucht, alle Hauptleute von A 11 auf A 12 anzuheben - Herr Kollege Nachtwei nickt -, aber das Ministerium hat dies nur zur Hälfte umgesetzt. Nur Kompaniechefs wurden von A 11 auf A 12 gesetzt. Das war ein Problem, weil das zu vielen Ungerechtigkeiten und zu großer Unzufriedenheit innerhalb der Truppe geführt hat. Deswegen muss man diesen Schritt einmal komplett durchführen. Anders bekommt man es nicht hin. Das kostet Geld. Aber wenn man sich anschaut, dass die Kosten in Höhe von 250 Millionen bzw. 260 Millionen Euro, die da entstehen, in mehreren Schritten anfallen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass dies, bei einem Aufwuchs von 1,6 Milliarden Euro allein in diesem Jahr, durchaus machbar ist. Das Ganze hat das Ziel, dass man eine Besoldungsstruktur bekommt, die der der Bundespolizei zumindest gleicht. Ich weiß, dass man in der Union vielleicht Freunde findet, die da mitgehen. Der Präsident des Reservistenverbandes hat geklatscht; vielleicht kann man entsprechend verhandeln, sodass man das in der nächsten Legislaturperiode hinbekommt. ({4}) Das Thema Rechtsschutz ist uns wichtig. Herr Minister, Sie haben in den letzten Wochen einen diesbezüglichen Missstand beseitigt, und das ist gut so. Ich finde das sehr vernünftig. Das haben Sie gut hinbekommen. Ich finde es immer gut, wenn Anregungen der Haushälter vom Ministerium so schnell aufgegriffen und umgesetzt werden. Das erfüllt uns Haushälter mit einem gewissen Stolz. Der Kollege Kalb müsste jetzt klatschen. ({5}) - Er tut es. Wunderbar! - Es ist gut, wenn Haushälter ihren Einfluss nutzen und dies für die Soldaten so umgesetzt wird. Wichtig ist, dass der Bundeswehrverband an unserer Seite gestanden hat, dass man dies zusammen mit dem Bundeswehrverband gemacht hat. Deswegen gebührt dem Bundeswehrverband, den Kolleginnen und Kollegen und dem Ministerium, Herr Minister, unser herzlicher Dank, dass da so schnell etwas geregelt wurde. ({6}) Was die Ausrüstung angeht: Wir haben sehr viel für den Schutz der Soldaten getan. Das geschützte Transportfahrzeug Eagle IV ist beschafft worden. Es geht eben nicht immer nur darum, wie es uns die Linken glauben machen wollen, dass man teures Kriegsgerät beschafft, sondern vor allen Dingen auch darum, dass man die Soldaten mit Gerät in den Einsatz schickt, das größtmöglichen Schutz bietet. ({7}) Das gilt übrigens auch für den Puma. Ich glaube, das hat höchste Priorität. Wichtig ist allerdings, dass auch die Industrie das nicht für einen kurzen Sprint hält, um wieder einmal einen Auftrag zu ergattern. Das hat vielmehr etwas mit Marathonläufen zu tun. Man muss langfristig planen, um vernünftigen Schutz hinzubekommen, sodass er, wenn er gebraucht wird, auch vorhanden ist. Ich glaube, diejenigen, die dies betrifft, wissen das. Die unglaubliche Vielfalt an Fahrzeugen, die wir in den Streitkräften haben - Duro, Mungo, Yak, Eagle IV, Dingo -, spricht da Bände. Wenn jede Teilstreitkraft ihr eigenes Fahrzeug fordert, dann hat man sowohl bei der Logistik als auch bei der Instandhaltung riesige Probleme. Ich kann das im Einzelfall immer verstehen. Aber dann bestellen wir 44 Fahrzeuge davon, 60 Fahrzeuge davon und 80 Fahrzeuge davon. Als Haushälter sage ich: Das ist der Fluch der kleinen Zahl. Das ist Manufakturarbeit. Die Dinger werden immer teurer. Das heißt, wenn man etwas will, muss man sich eine Plattform aussuchen, davon die richtige Menge bestellen und schauen, dass die Teilstreitkräfte damit auskommen und es vernünftig machen. Nur dann können auch Verbesserungen eingearbeitet werden. Nur dann lohnt es sich, ein Modell weiterzuentwickeln. Deswegen würde ich mich freuen, wenn das Ministerium darauf achtet, dass die Instandsetzungs- und Logistikkette nicht aufgebläht wird. Dieser Fluch der kleinen Zahlen wird uns verfolgen. Wir als Haushälter müssen da ein bisschen nachhelfen. Ich finde es manchmal schwer, nachzuvollziehen - das ist vorhin schon angesprochen worden -, was mit dem NH 90, dem Tiger, dem A400M und anderen passiert. Ich hoffe, dass die Kosten für die späte Auslieferung nicht auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Ich gehe davon aus, dass die Verträge eingehalten werden. Ich glaube nicht, dass wir als Steuerzahler letztendlich dafür geradestehen sollten. Deswegen bitte ich, insbesondere auch beim A400M für das Einhalten der Verträge zu sorgen. Wir haben schon viel über die Infrastruktur gesprochen. Ich habe hier häufig über Schwarzenborn geredet. Ganz ehrlich, Herr Minister, ich möchte Sie noch einmal darum bitten: Es funktioniert noch immer nicht so richtig. Wir brauchen immer noch fünf Jahre für eine große Baumaßnahme und drei Jahre für eine kleine. Wenn man es schaffen würde, in der Kette der Instanzen etwas zusammenzulegen, dann bekäme man das irgendwie hin. Noch immer gehen Bauanträge über viel zu viele Schreibtische. Es gilt immer noch der Spruch: Viele Köche verderben den Brei. Historische Informationen kann man beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam oder beim Militärarchiv in Freiburg archivieren. Die sollten nicht die Realität bestimmen. Wir müssen die Vorschriften ändern. Wir müssen dafür sorgen, dass zivile und militärische Vorgänge zusammengelegt werden. Es darf nicht fünf Jahre an einem Gebäude gearbeitet werden. Wenn es dann nicht anders klappt, dann sollten wir uns in der Großen Koalition einmal über den Art. 87 b des Grundgesetzes unterhalten und diese Sache grundsätzlich angehen. Herr Minister, ein bisschen Schwung, ein bisschen Mut! Wir helfen Ihnen dabei. ({8}) Ich berufe mich da auf meinen Fraktionsvorsitzenden Peter Struck, der das schon mehrfach gesagt hat. Peter Struck war einmal ein hervorragender Verteidigungsminister, genauso wie er jetzt ein hervorragender Fraktionsvorsitzender ist. Man muss ja auch einmal am Rande erwähnen, dass wir ihm vieles zu verdanken haben. Wir schaffen es immer noch nicht, in den Liegenschaften, in den Stuben für die Soldaten, die dort wohnen, Internetanschlüsse zu verlegen. Und dann wird noch gesagt, das habe etwas mit Sicherheitsproblemen zu tun. Bei aller Freundschaft: Das kann doch wohl nicht angehen. Es gibt Standards im 21. Jahrhundert, die einfach eingehalten werden müssen. Ich glaube, dass man das machen muss. ({9}) Eine abschließende Bemerkung sei mir erlaubt: Wir haben im Haushaltsausschuss über die Privatisierung der ortsfesten Logistik diskutiert. Wir haben gesagt: Wir können das, was zurzeit im Ministerium läuft, nicht nachvollziehen. Mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD haben wir das Projekt mit einer Sperre versehen, weil wir den Vorgang kritisch sehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, über die Frage zu diskutieren, ob man privatisiert oder den Beschäftigten, den Zivilangestellten und den Soldaten, die Chance gibt, mit zusätzlichen Mitteln für Infrastruktur ein optimiertes Eigenmodell hinzubekommen. Das würde aber bedeuten, dass man veraltete Vorschriften abschafft, die Handlungsspielräume erweitert, dass man den Angestellten und den Soldaten in den Depots sagt: „Es geht weiter, es gibt keine ungewisse Zukunft, wir kriegen das gemeinsam hin“ und man die Betroffenen nicht ständig gegen die Wand laufen lässt. Wenn diejenigen, die privatisieren wollen, mit ihren Vorschlägen gegen das optimierte Eigenmodell antreten sollen, dann muss flächendeckend erst einmal ein optimiertes Eigenmodell vorliegen. Aber das ist nicht der Fall. Wenn man das nicht hat, kann man auch keinen Ausschreibungssieger dagegen antreten lassen. Man muss das optimierte Eigenmodell erst einmal drei Jahre lang laufen lassen. Dann muss man schauen, wie es wirkt. Wenn eine Privatisierung günstiger ist, kann man dann ja darüber nachdenken. Ich glaube das aber nicht. Ich glaube, dass die Beschäftigten das hinbekommen können, wenn man die Vorschriften entschlackt und ihnen Geld in die Hand gibt, sodass sie die Möglichkeit haben, vor Ort etwas zu entscheiden. Ich würde es gut finden, wenn wir ein optimiertes Eigenmodell mit den notwendigen Investitionen einführen und den Mitarbeitern eine Chance geben würden. Herr Minister, ich glaube, wenn Sie Ihren Mitarbeitern eine Chance geben, schaffen wir das. Das heißt nicht, dass ich prinzipiell gegen Betreiberlösungen oder Privatisierungen bin. Ich finde aber, man muss auch über folgende Frage diskutieren können: Warum soll man den Beschäftigten der Bundeswehr, ob Soldaten oder Zivilbeschäftigten, nicht die Chance geben, das optimierte Eigenmodell auszuprobieren? Wir sollten ihnen die Möglichkeit geben. Glaubt denn jemand ernsthaft, dass wir nach zehn Jahren eine Exitstrategie haben, dass man eine privatisierte Basislogistik zur Bundeswehr zurückholen kann? Das glaubt doch keiner. Das heißt, man wäre dem Preisdiktat ausgeliefert. Ich finde, dass wir den Kompaniechefs, den Bataillons- und Brigadekommandeuren die Gewissheit geben müssen, dass sie nicht nur Schnittstellen verwalten. Wir haben schon unendlich viel privatisiert. Herr Minister, geben Sie den Mitarbeitern eine Chance im Wettbewerb unter fairen Bedingungen! Wir werden Sie dabei unterstützen. Die CDU hat in einer Pressemitteilung begrüßt, dass sie die Privatisierung gestoppt hat. Wenn wir das gemeinsam hinbekommen, ist das umso besser. Ich glaube, dass wir das hinbekommen werden. Wir werden eine attraktive Bundeswehr haben, für die wir die Menschen gewinnen können, mit vernünftiger Infrastruktur und vernünftiger Bezahlung, eine Bundeswehr, in der die Menschen die Chance haben, ihre Arbeit sinnvoll zu gestalten. Vielen Dank. Glück auf! ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der ersten Lesung dieses Haushaltsentwurfs hat Kollege Bonde kritisch zu verschiedenen Einzeltiteln Stellung bezogen, vor allem zu einigen sehr fragwürdigen und besonders teuren Rüstungsprojekten. Ich möchte zu einem anderen Punkt Stellung nehmen. Herr Minister, Sie stellen seit mehr als zwei Jahren den Begriff der vernetzten Sicherheit immer wieder in den Vordergrund. Dieser ist bekanntlich in die entsprechenden Dokumente der NATO eingegangen. Internationale Krisenbewältigung im Auftrag der Vereinten Nationen ist Auftrag und Einsatzrealität der Bundeswehr. Uns ist bekannt, dass heutige Konflikte militärisch nicht zu lösen sind, erst recht nicht durch militärische Siege, sondern nur durch das Zusammenwirken der verschiedenen diplomatischen, militärischen, polizeilichen und zivilen Akteure. Deshalb ist der Ansatz der vernetzten Sicherheit in der Tat eine Schlüsselvoraussetzung für erfolgreiche Krisenbewältigung und Gewaltminimierung. Der Anspruch ist richtig. Wie steht es um die Wirklichkeit? Ich nenne als erstes Beispiel eine Mission, die wir vor zwei Jahren durchgeführt haben. In diesen Tagen jährt sich zum zweiten Mal die Wahl von Joseph Kabila zum Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo. Dass die Wahl damals überraschend friedlich ablief, war unter anderem der damaligen EU-Mission zu verdanken. Aber was ist aus diesen Hoffnungstagen geworden? Im Ostkongo tobt weiterhin, gerade gegen die Zivilbevölkerung und vor allem gegen Frauen, exzessive Gewalt. Dort herrscht seit vielen Monaten eine Hölle auf Erden. Alle, die dort waren, haben das gesehen. In der letzten Zeit, seit August, ist die Gewalt im Osten wieder eskaliert. Es droht tatsächlich der Rückfall in den großen Kongo-Krieg. Gestern wurde der neueste Bericht von Human Rights Watch zu den Menschenrechtsverletzungen der kongolesischen Regierung veröffentlicht. In dem Zusammenhang wird von Staatsterrorismus gesprochen. Von

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Zerquetscht die Gegner! - Weit mehr als 500 Menschen sind diesem staatlichen Terrorismus zum Opfer gefallen. Wir müssen feststellen: Der Entwaffnungsprozess, die Reform des Sicherheitssektors, der Aufbau der Polizei und die Reform der Armee - diese wichtigen Ansätze der Europäischen Union sind gescheitert. Wir alle erinnern uns noch an die sehr großen Worte von vor zwei Jahren über die sicherheitspolitischen Interessen Europas und die humanitäre Verantwortung. Ja, sie waren richtig. Aber offenkundig waren sie von der Staatengemeinschaft, von der Europäischen Union und auch von der Bundesregierung nicht ernst gemeint. Ich muss feststellen, dass die Staatengemeinschaft, die Europäische Union und die Bundesregierung die fantastische Zivilgesellschaft, die im Kongo lebt und arbeitet, politisch im Stich gelassen haben und dass der Kongo zu einem politisch-moralischen Desaster einer Sicherheitspolitik mit umfassendem Anspruch geworden ist. Zweites Beispiel: Afghanistan. Manche mögen erleichtert sein, dass das Afghanistan-Mandat jetzt verlängert wurde. Aber das ist kein Grund zum Ausruhen. Auf der einen Seite wissen wir, also diejenigen, die mehr mit Afghanistan zu tun haben, welche Fortschritte es in der Tat gibt. Sie sind unverkennbar und eindeutig; das sollte man nicht unter den Scheffel stellen. ({0}) Auf der anderen Seite werden die Warnzeichen schlimmer und beunruhigender. Ich nenne als Beispiel nur die Sicherheitsvorfälle, also Anschläge, Gefechte und Raketenüberfälle. Die Zahl der Sicherheitsvorfälle hat sich gegenüber dem Vergleichszeitraum des vorigen Jahres verdoppelt. Fast noch wichtiger ist die Frage, wie die Stimmung im Lande ist, wie es um Angst und Einschüchterung steht. Hier bekommen wir verschiedene Meldungen, die zeigen, dass Angst und die Distanz zu den Internationalen eindeutig zunehmen. Schließlich lautet der Auftrag von ISAF, ein sichereres Umfeld zu schaffen. Inzwischen ist die Tendenz in weiten Landesteilen leider gegenläufig. Im nächsten Jahr müssen wir wegen der Wahlen mit einer Verschärfung der Situation rechnen. Die Frage an die Bundesregierung lautet: Was tut sie zusammen mit ihren Partnern, um diese negative Dynamik aufzuhalten und möglichst umWinfried Nachtwei zukehren? Ich appelliere ausdrücklich an Sie: Nutzen Sie die relative Winterruhe, um neue ressortübergreifende Initiativen und Anstrengungen zu entwickeln, und warten Sie nicht darauf, bis Obama bzw. die neue US-Administration kommt, die zwar neue Chancen bietet, aber auch Ansprüche stellen wird. ({1}) Der Ansatz der vernetzten Sicherheit muss sich in Strukturen und Fähigkeiten abbilden. Aber wie sieht das konkret aus? Ein gemeinsames integriertes Lagebild bei Krisenengagements - Fehlanzeige. Gemeinsame Planung im Vorfeld - Fehlanzeige. Gemeinsame Wirkungsanalysen als Antwort auf die Frage, was dabei herauskommt Fehlanzeige. Hie und da gibt es zwar eine Evaluation, aber keine gemeinsame Wirkungsanalyse. Mit der Bundeswehrtransformation wird das ehrgeizige Ziel verfolgt, dass in einigen Jahren bis zu 14 000 Soldaten gleichzeitig bei bis zu fünf Stabilisierungseinsätzen über längere Zeit eingesetzt werden können. Wenn von Stabilisierungseinsätzen die Rede ist, dann stellt die Staatsaufbauunterstützung einen zentralen Bereich dar. Das bekommt man nicht einfach mit gutem Willen hin oder indem man bei einer Telefonkonferenz verschiedene Polizeidienststellen fragt, wer denn mal Zeit hat bzw. wer entbehrlich ist. Nein, so geht es nicht. Vielmehr muss man sukzessive entsprechende Fähigkeiten aufbauen und besonders qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen, das schnell einsatzbereit ist. Die EU hat in diesem Zusammenhang bemerkenswerterweise sogenannte zivile Planziele 2008 und 2010 für zentrale Bereiche der Unterstützung des Staatsaufbaus aufgestellt. Wir haben in diesem Zusammenhang bei der Bundesregierung nachgefragt, wie das auf bundesdeutscher Ebene aussieht. Denn wenn die EU so etwas macht, dann müssen doch auch wir solche Planziele entwickeln. Aber Fehlanzeige! Das hält man nicht für notwendig. Der umfassende Ansatz von vernetzter Sicherheit wird von Ihnen, Herr Minister Jung, im Mund geführt. Mir ist aufgefallen, dass die Bundeskanzlerin in der ersten Beratung des Haushaltes und auch heute diesen Begriff ebenfalls aufgenommen hat. Von anderen Ressortministern - ich habe das genau beobachtet - werden Sie mit diesem Anspruch beschwiegen. Das muss man so feststellen. Was folgt daraus? Der Ansatz umfassender vernetzter Sicherheit ist offenbar in der Bundesregierung nicht angekommen. Das ist nicht nur ein fundamentaler Mangel, sondern das verdunkelt zugleich die Chancen der Tausenden von Diplomaten, Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfern, die sehr verdienstvolle und gute Arbeit in den Krisenregionen leisten, erfolgreich tätig zu sein. Dazu sind wir verdammt noch mal verpflichtet. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Nachtwei, gestatten Sie mir eine kleine Vorbemerkung, bevor ich auf den Haushalt zu sprechen komme. Ich finde, dass wir in Bezug auf Afghanistan unser Licht nicht unter den Scheffel stellen sollten. Ich verwende bewusst diesen von Ihnen gebrauchten Ausdruck. Wir haben im Jahre 2003 als Erste begonnen, die vernetzte Sicherheit in Afghanistan zu realisieren. Wir haben die Wiederaufbauteams in Kunduz und in Faizabad gegründet. Wir haben die Dinge weiter fortentwickelt. Wir haben dafür gesorgt, dass es einen gemeinsamen, internationalen Konsens gibt. Ich stimme Ihnen zu, dass das für Gesamtafghanistan noch besser implementiert werden muss. Aber wir haben bei uns beispielsweise nicht nur die Abstimmung auf Staatssekretärsebene, sondern haben auch den Einsatzführungsstab, in dem auch die anderen Ressorts entsprechend tätig sind, sodass wir gerade auf diesem Gebiet weiterkommen. Wie Sie wissen, haben wir auch den Anteil für den Bereich Entwicklung in Afghanistan in diesem Jahr auf 170 Millionen Euro erhöht. Deshalb finde ich, dass es richtig und klug ist, dass wir diese Strategie, die wir auch im Weißbuch als Bundesregierung einheitlich beschlossen haben, in Afghanistan umsetzen. Denn nur so werden wir erfolgreich sein. ({0}) Jetzt zum Haushalt. Ich denke, wir haben mit diesem Haushalt eine gute Grundlage dafür geschaffen, dass unsere Bundeswehr weiterhin einsatzfähig und leistungsfähig bleibt, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausbilden und gut ausrüsten können und dass sie auch in Zukunft eine positive Motivation für ihren schwierigen Einsatz haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wir jetzt über eine Erhöhung der Mittel um 1,7 Milliarden Euro, für die ich dankbar bin, sprechen, sollten wir auch zur Kenntnis nehmen, dass die Herausforderungen für die Bundeswehr enorm gestiegen sind. Beispielsweise ist nicht jedermann in unserem Land bewusst, dass ich in diesem Sommer mit dem 17. Einsatzkontingent den 250 000 Soldaten der Bundeswehr in einen Auslandseinsatz geschickt habe. Daran wird, wie ich finde, deutlich, welch enorme Herausforderungen auf die Bundeswehr zukommen, sei es durch unseren Einsatz in Afghanistan, sei es durch unseren Einsatz auf dem Balkan, also im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, sei es durch unseren Einsatz vor der Küste des Libanon, sei es durch unseren Einsatz unter OEF-Mandat am Horn von Afrika oder die Operation Active Endeavour im Mittelmeer, sei es durch unsere Einsätze im Sudan, in Darfur, oder in Georgien. Eine weitere Herausforderung, über die gegenwärtig diskutiert wird und auf die wir uns notwendigerweise vorbereiten müssen, ist die Mission zur Piraterie vor der Küste Somalias. ({1}) - Ja, gegen die Piraterie. Frau Kollegin Hoff, zu diesem Thema möchte ich noch Folgendes sagen: Die Verteidigungsminister haben darüber auf europäischer Ebene diskutiert. Dabei habe ich gespürt, dass diese Frage nicht nur in Deutschland der rechtlichen Klärung bedarf. Ich halte es für notwendig und richtig, dass wir einen klaren Operationsplan, klare Einsatzregeln und eine klare Rechtsgrundlage für das Handeln unserer Soldatinnen und Soldaten haben. Dafür zu sorgen, ist unser Bestreben. Auf dieser Grundlage werden wir dann das Parlament bitten, einem solchen Einsatz zuzustimmen. ({2}) Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass die Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr groß sind. Dann ist es auch notwendig, dass wir die sozialen Rahmenbedingungen für unsere Soldatinnen und Soldaten den Anforderungen an sie einigermaßen anpassen. Das tun wir mit dem vorliegenden Haushalt. Was heißt das? Das heißt, dass wir den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst jetzt auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten und auf die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr übertragen. Das ist eine kluge Entscheidung, stellt für den Verteidigungshaushalt allerdings eine enorme Belastung dar. Dennoch halte ich es für notwendig, dafür zu sorgen, dass auch unsere Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr an dieser Entwicklung teilhaben. Wir verfügen über eine Armee, die - wenn ich das so sagen darf - gegenseitig ausgebildet und ausgerüstet worden ist. Die Bundeswehr hat sich nach der deutschen Einheit, die wir zum Glück erreicht haben, in hervorragender Art und Weise integriert. Heute haben wir nicht nur eine Bundeswehr für unser gesamtes Vaterland, sondern wir leisten auch einen Beitrag dazu, dass innerhalb der Bundeswehr die Angleichung der Ost- an die Westbesoldung vorgenommen wird. Das ist, wie ich denke, eine gute Grundlage, die wir mit diesem Haushalt beschließen. ({3}) Meine Damen und Herren, es findet auch eine strukturelle Entwicklung statt. Dieser Haushalt enthält 7 000 Beförderungsmöglichkeiten. Dabei wurde auch die Situation berücksichtigt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten in einer Gefahrensituation besonders gefordert sind. Es ist richtig, dass wir darüber hinaus eine Erhöhung des Auslandsverwendungszuschlags vornehmen. Natürlich geht es nicht nur um das Finanzielle; das ist klar. Wer aber einen riskanten Auftrag - denken Sie nur an den Einsatz in Kunduz - in hervorragender Art und Weise erfüllt, der sollte dafür auch einen entsprechenden Auslandsverwendungszuschlag erhalten. ({4}) Auch den Wehrsold konnten wir um 2 Euro pro Tag erhöhen; dafür bin ich dankbar. Im Rahmen der Dienstrechtsneuordnung haben wir außerdem, wie vom Kollegen Kahrs bereits angesprochen wurde, Stellenzulagen berücksichtigt: eine Stellenzulage für die Spezialkräfte, eine Stellenzulage für die Transportpiloten und eine Stellenzulage für die Ärzte. Ich stimme Ihnen aber in einem Punkt natürlich zu: Dabei geht es nicht nur um die Stellenzulage, sondern ich habe sowohl den Inspekteur Sanitätsdienst als auch den Inspekteur der Luftwaffe gebeten, dass wir noch über gemeinsame Veränderungen von Rahmenbedingungen sprechen, um dadurch eine zusätzliche Attraktivitätssteigerung zu erreichen; denn es ist sinnvoll und notwendig, dass wir auch in Zukunft hervorragendes und fachlich qualifiziertes Personal in der Bundeswehr haben. Dieses brauchen wir zur Erfüllung unseres Auftrags, und deshalb kommen die Stellenzulage, aber auch die Veränderung von Rahmenbedingungen hinzu, um eine potenzielle Personalnot in Zukunft wirkungsvoll verhindern zu können. ({5}) Es wurde angesprochen, dass wir den Rechtsschutz für unsere Soldatinnen und Soldaten verbessert haben, dass wir das Kasernensanierungsprogramm West durch diesen Haushalt ebenfalls weiter vorantreiben - ich würde mir wünschen, dass auch dort das eine oder andere vielleicht noch ein Stück zügiger geht; das ist sofort zugestanden - und dass wir auch dem Kriterium der Vereinbarkeit von Familie und Dienst unseren Blick zuwenden; denn es sind jetzt 15 000 Soldatinnen in der Bundeswehr. Dies ist mit Sicherheit ein Gewinn für die Bundeswehr, und ich glaube, dass wir dem Kriterium der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, wie wir es in der Dienstvorschrift Innere Führung auch formuliert haben, hier in Zukunft konkreter Rechnung tragen sollten. ({6}) Dazu gehört dann auch der investive Anteil. Natürlich werden wir durch diese Auslandseinsätze herausgefordert, aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin heute noch froh darüber, dass wir bereits Ende des Jahres 2006 entschieden haben, nur mit geschützten Fahrzeugen in Afghanistan zu fahren. Wie viele Soldaten haben überlebt, weil sie im Dingo oder im Fuchs gefahren sind? Wir haben jetzt rund 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan. Wir haben den ursprünglich geplanten Anteil von 30 Dingos auf 100 Dingos erhöht. Das hat auch etwas mit Kosten zu tun. Deshalb werbe ich auch um Verständnis dafür, dass wir, wenn wir den Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten verbessern wollen, dafür auch die notwendigen finanziellen Grundlagen brauchen. Mit diesem Haushalt werden die Grundlagen dafür gelegt. ({7}) Ich finde, all diese Punkte gehören zusammen. Durch sie wird die notwendige finanzielle Grundlage dargestellt, die benötigt wird, damit die Bundeswehr ihren Auftrag zum Schutz unserer Interessen - sei es im Rahmen der Auslandseinsätze, sei es zum Schutz Deutschlands und zur Gewährleistung von Frieden, Recht und Freiheit - auch in Zukunft weiterhin erfüllen kann. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Haushalt. Besten Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über den Haushaltsansatz 2009 sprechen, dann sprechen wir auch über die Bilanz von drei Jahren Verteidigungspolitik unter Verteidigungsminister Jung. ({0}) Wenn ich mir diese Bilanz anschaue, dann kann ich zunächst einmal sagen, dass es in der Zwischenzeit mehr Auslandseinsätze gibt. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass die Zahl der Fragen der Soldatinnen und Soldaten über die Perspektiven dieser Einsätze zugenommen hat. Dem muss man sich auch stellen. Das bedeutet, dass vor allen Dingen die diplomatischen und politischen Anstrengungen vor allem zur Flankierung immer dann drastisch ausgeweitet werden müssen, wenn man die Bundeswehr in einen Einsatz schickt. Das ist etwas, was wir ganz augenfällig bei dem Einsatz im Kongo zu verzeichnen haben. Der Kollege Nachtwei hat das angesprochen. Herr Minister, ich sage aber auch hinsichtlich Afghanistan: Wir haben die Mandate gerade wieder beschlossen, und ich habe ein bisschen den Eindruck, dass jetzt Funkstille herrscht. Mit dem Militär allein werden wir die Herausforderungen dort nicht bewältigen. Deswegen ist es wichtig, in Afghanistan vor allen Dingen die nichtmilitärischen Mittel zu forcieren. Sie haben es selbst gesagt: Es geht jetzt um die Umsetzung des vernetzten Ansatzes. Genau diese Umsetzung muss gelingen. Das heißt: Jetzt müssen bei der Ausbildung von Militär und Polizei die notwendigen Anstrengungen unternommen werden. Jetzt müssen die Weichen dafür gestellt werden, dass im Frühjahr die Umsetzung des verstärkten Wiederaufbaus tatsächlich gelingt. Jetzt entscheidet sich, ob wir Erfolg haben werden oder ob die Situation in Afghanistan noch schwieriger wird. Jetzt, Herr Minister, muss gehandelt werden, nicht erst vor der nächsten Mandatsentscheidung und auch nicht erst vor der Wahl. ({1}) Der zweite Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist folgender: Wenn ich Ihre Amtszeit und auch dieses Jahr betrachte, dann habe ich das Gefühl, es gibt ein - ich formuliere es einmal positiv - etwas angestrengtes Verhältnis zum Parlament. Oft genug erleben wir, dass wir Informationen nicht erhalten, sondern dass zunächst einmal irgendwie die Presse informiert wird. Jetzt haben wir wieder eine solche Situation. Im Zusammenhang mit der Diskussion über ein neues Mandat zur Pirateriebekämpfung vor Somalia erfahren wir aus der Zeitung, dass Sie offensichtlich 1 400 Soldaten dorthin schicken wollen. In der Rede, die Sie hier gehalten haben, sind Sie darauf nicht eingegangen. Im Übrigen haben Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen auch nicht die Frage beantwortet, wie dieser zusätzliche Einsatz denn finanziert werden soll. Hierzu sage ich für meine Fraktion ganz deutlich: Wir sind nicht bereit zu akzeptieren, dass das wieder alles aus dem Einzelplan 14 erwirtschaftet werden muss und damit zulasten von Ausbildung und Ausrüstung der Soldaten im Einsatz geht. Das kann nicht sein, Herr Minister. ({2}) Wenn ich mir die Diskussion um die Piraterie vor Somalia anschaue, dann frage ich mich, warum Sie eigentlich nicht handeln. Ich zitiere den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Kossendey, der in Focus-Online gesagt hat: Es geht darum, dass wir unsere Verpflichtungen, die wir im Seerechts-Übereinkommen übernommen haben, von denen machen lassen, die das auch können. Er meinte damit die Bundeswehr. Die Bundeswehr, die deutsche Marine, ist vor Ort, Herr Minister. Sie ist vor Ort im Rahmen von OEF und der Standing NATO Maritime Group. Warum darf die deutsche Marine sich eigentlich nicht an dem beteiligen, was alle Partnernationen dort machen? Es gibt eine einfache Antwort: weil Sie die Marine nicht lassen. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Einsatz sind längst vorhanden. Wir haben das Seerechts-Übereinkommen Mitte der 90er-Jahre ratifiziert. Das ist Bestandteil von Art. 25 des Grundgesetzes, antwortet die Bundesregierung, also Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts und damit unmittelbar gültig. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Es ist nicht hinnehmbar, dass die Bundesregierung unsere Soldatinnen und Soldaten vor Ort im Hinblick auf die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Nationen immer wieder in schwierige Situationen bringt. Die Bundesregierung blamiert die Bundeswehr bis auf die Knochen. Wir fordern Sie auf: Machen Sie endlich Schluss damit und geben Sie den Soldatinnen und Soldaten vor Ort eine klare Handlungslinie. ({3}) Herr Präsident, ich komme zum Schluss und fasse zusammen: Es gäbe zu diesem Etat noch viel zu sagen. ({4}) Bevor die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wieder fragt, weil sie nicht auf die Abstimmung warten kann, sage ich: Wir haben auch in diesem Jahr wieder die falsche Schwerpunktsetzung im Etat moniert. Der Vorwurf der falschen Schwerpunktsetzung gilt auch für die Politik der letzten drei Jahre. Es waren drei verlorene Jahre. ({5}) Deswegen können Sie nicht davon ausgehen, dass wir diesem Etat zustimmen. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ulrike Merten von der SPD-Fraktion. ({0})

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Laufe dieser Debatte auch über die Rahmenbedingungen gesprochen, die sicherstellen, dass die Bundeswehr, die sich um die Besten bemühen muss, dies auch tun kann. Das personelle Eignungsprofil unserer Soldaten wird künftig durch die Beherrschung militärischer Fähigkeiten, durch moralisch-ethische Integrität, geistige Flexibilität und lebenslanges Lernen gekennzeichnet sein. Sprachkenntnisse, interkulturelle und soziale Kompetenz, Innovationsfähigkeit, technisches Verständnis, Leistungs- und Einsatzbereitschaft, psychische und physische Belastbarkeit sind dabei wichtige Voraussetzungen, die die Soldatinnen und Soldaten erfüllen müssen. Dabei wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Geburtenrückgang wirkt sich mittlerweile deutlich auf das Bewerberaufkommen für einen Dienst in den Streitkräften aus. Im Ergebnis wird der demografische Wandel fast unvermeidlich zu einer Umkehrung der Wettbewerbsposition führen. Qualifizierte Arbeitskräfte werden in wenigen Jahren ein knappes Gut sein. Deshalb sind schon heute erhebliche Anstrengungen und neue Konzepte erforderlich, um in Zukunft ausreichend qualifizierten Nachwuchs für die Streitkräfte zu gewinnen. Zum Konzept der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Familie und Dienst ist schon einiges gesagt worden. Deshalb will ich mich auf eine Bemerkung beschränken, die mir sehr wichtig erscheint. Ich glaube, der Mentalitätswandel wird von allen - sicherlich auch von den Soldatinnen und Soldaten - positiv vermerkt. Wenn aber über diesen Mentalitätswandel hinaus etwas erreicht werden soll, dann brauchen wir sicherlich auch eine stärkere finanzielle Ausstattung als bisher. Wir stehen aber nicht nur in den eben genannten Bereichen in der Nachwuchsgewinnung vor großen Herausforderungen, sondern das gilt auch für die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr. Die Zielstruktur sieht bis 2010 75 000 Stellen vor. Momentan sind wir von den 75 000 Stellen noch sehr weit entfernt. Gleichzeitig ist schon heute ein Fehl von 600 Ingenieurinnen und Ingenieuren im Rüstungsbereich festzustellen. Deshalb müssen wir den Beschäftigten im zivilen Bereich der Bundeswehr mit klaren Strukturen und Stellenplänen Verlässlichkeit und Planbarkeit bieten. Gerade den Nachwuchskräften aus dem Ingenieurbereich, die überall begehrt sind, muss die Bundeswehr attraktive Angebote machen. ({0}) Wir haben Anfang des Jahrzehnts ein Attraktivitätsprogramm mit der Neuordnung der Laufbahn, der Anhebung der Eingangsbesoldung und den zahlreichen Angeboten der zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung aufgelegt. Damit wurde ein wichtiger Eckpfeiler für die Gewinnung junger bildungsorientierter und engagierter Männer und Frauen für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr geschaffen. Die Möglichkeit, zu Beginn der Dienstzeit in der Bundeswehr eine Berufsausbildung zu absolvieren, wird von sehr vielen jungen Menschen genutzt. So stehen seit einigen Jahren ständig circa 10 000 Soldatinnen und Soldaten in der beruflichen Ausbildung. Jedes Jahr verlassen circa 25 000 ausgebildete Soldatinnen und Soldaten die Bundeswehr, häufig mit einer während der Dienstzeit erworbenen Qualifikation auf der Meisterebene. Deswegen glaube ich, dass die Fähigkeiten, die in der Bundeswehr erworben werden, auch später für die Wirtschaft von unschätzbarem Wert sind. Wenn wir eine ausreichende Zahl von Bewerbern für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wollen, aus der die Besten ausgewählt werden können, dann müssen sich jedes Jahr circa 50 000 junge Menschen bewerben. Angesichts der demografischen Entwicklung müssen wir aus meiner Sicht aber schon heute darüber nachdenken, wie wir diesen jährlichen Bedarf reduzieren können. Es wird uns nichts anderes übrig bleiben. Langfristige Planbarkeit und eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung sind starke Argumente für eine Karriere bei der Bundeswehr auf allen Laufbahnebenen. Ein Weg, um dies zu realisieren, besteht zum Beispiel darin, dass die Mannschaftsdienstgrade die Möglichkeit erhalten, sich bis zu zwölf Jahre als Zeitsoldat zu verpflichten. Der Bundestag hat im letzten Jahr aus dem Bericht über den maroden Zustand der westdeutschen Kasernen Konsequenzen gezogen. Die Haushaltsmittel für den Bauunterhalt und für Baumaßnahmen wurden deutlich erhöht. Darüber hinaus wurde ein Infrastruktur-SonUlrike Merten derprogramm „Sanierung Kasernen West“ für die Sanierung und Modernisierung westdeutscher Kasernen verabschiedet. Hierfür sind für den Zeitraum 2009 bis 2011 weitere 542 Millionen Euro eingeplant. Dabei wird schrittweise ein neuer Unterbringungsstandard realisiert - das wird höchste Zeit -, der den geänderten Anforderungen der Bundeswehr an eine zeitgemäße Unterbringung Rechnung trägt. Auch das gehört zur Attraktivität. ({1}) Darauf wurde bereits hingewiesen, aber ich möchte das wiederholen: Es ist sehr bedauerlich, dass die Planungskapazitäten der Bau- und Liegenschaftsbetriebe der Bundesländer in einigen Wehrbereichen nicht ausreichend sind, sodass die bereitgestellten Mittel für die Sanierung und Modernisierung 2008 nicht genutzt werden konnten. Ich hebe das hervor, damit klar wird, dass das Parlament seine Hausaufgaben gemacht hat. Weiterhin dringlich bleibt, dass die Modellversuche zum Bau der Pendlerappartements realisiert werden, um der großen Zahl von Soldatinnen und Soldaten, die nicht mehr an den neuen Standort umziehen - diese Zahl steigt ständig -, eine angemessene Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Eine bedrohungsgerechte und moderne Ausrüstung ist insbesondere für die Auslandseinsätze von großer Bedeutung. Darüber haben wir nicht nur heute das eine oder andere gehört. Mir haben die verantwortlichen Kommandeure versichert, dass sie mit der Ausrüstung im Einsatz sehr zufrieden sind. Wenn ein neuer Bedarf auftritt, wird dieser im Rahmen des einsatzbedingten Sofortbedarfes - auch kurzfristig - gedeckt. Aufgrund des erreichten hohen Ausstattungsgrades der Auslandskontingente haben sich die Ausgaben in Höhe von fast 400 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 105 Millionen Euro im letzten Jahr reduziert. An dieser Stelle darf man zu Recht den Mitarbeitern des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung für ihre kompetente und schnelle Arbeit bei der kurzfristigen Beschaffung für die Auslandseinsätze danken. Allerdings sehe ich die Notwendigkeit, in Zukunft neben dem Ankauf auf dem Markt verfügbarer Produkte langfristig stärker anforderungsgerechte Eigenentwicklungen in unsere Überlegungen wieder einzubeziehen. Auf einen dieser Aspekte hat Kollege Kahrs - aus meiner Sicht zu Recht - hingewiesen. Bei der Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes sind wir darauf angewiesen, leistungsfähige Männer und Frauen für den Dienst in der Bundeswehr zu gewinnen. Dazu gehört - machen wir uns nichts vor - auch und in erster Linie eine auskömmliche Besoldung. In den letzten Jahren haben wir mit mehreren gesetzlichen Nachbesserungen die Voraussetzungen für die Steigerung der Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften geschaffen; darauf wurde bereits mehrfach hingewiesen. Wir sind im Rahmen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes wichtige Schritte gegangen, um die drohende Abwanderung und Abwerbung qualifizierter Kräfte aus der Bundeswehr zu verhindern. Wenn wir uns aber auch in Zukunft um die Besten bemühen wollen, wird am Ende ein Gesamtkonzept stehen müssen, um die Attraktivität der Bundeswehr nachhaltig und langfristig zu steigern. Gerade Fachärzte, erfahrene Piloten und IT-Personal - um nur einige zu nennen - sind nicht auf die Arbeitsplätze in der Bundeswehr angewiesen, sondern könnten auch draußen in der Wirtschaft attraktive Arbeitsplätze finden. Deswegen sollten wir die Zeit nutzen, die wir haben. Ich glaube, alle haben die Notwendigkeit erkannt. An einer Steigerung der Attraktivität müssen wir weiter arbeiten. Wir dürfen nicht vergessen: Dies wird Geld kosten. Ohne Geld in die Hand zu nehmen, wird es nicht gelingen, ein Gesamtkonzept auf den Weg zu bringen. Ich will mich an dieser Stelle sehr herzlich bei den Soldaten, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Familien für den Dienst im Ausland bedanken. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zum Einzelplan 14 hat das Wort der Kollege Hans Raidel von der CDU/CSU-Fraktion.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nur einige ganz kurze Anmerkungen zu dem Haushalt machen. Wir im Parlament tragen die Verantwortung für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, und wir haben gleichzeitig die Fürsorgepflicht. Daraus ergeben sich drei Themenbereiche, auf die sich unsere besondere Verantwortung erstreckt. Erstens. Reichen die Mittel aus, um Personal und Ausstattung weiterzuentwickeln? Zweitens. Kann die Bundeswehr in den laufenden und möglichen künftigen Einsätzen erfolgreich bestehen? Drittens. Ist die Bundeswehr auch künftig attraktiv genug, um qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl zu gewinnen? Vor diesem Hintergrund muss jeder, der diesen Haushalt objektiv beurteilt, feststellen: Der Haushalt entwickelt sich in die richtige Richtung. Wir können viele Notwendigkeiten, die hier schon dargestellt worden sind, zum Beispiel Lohn-, Gehalts- und Wehrsolderhöhungen, abdecken. Die Verteidigungsinvestitionen steigen um rund 620 Millionen Euro. Der Investitionsspielraum für die Einsatzfähigkeit, also die militärischen Beschaffungen, erweitert sich um rund 600 Millionen Euro. Wir sind hier auf einem guten Wege, aber wir sind natürlich noch nicht am Ziel. Das weiß jeder, der sich mit den Einzelheiten beschäftigt. Wir drücken alle die Daumen, dass die wirtschaftliche Entwicklung die Nachhaltigkeit, die im Wehretat gefordert werden muss, nicht stört. Wir reden heute über den Haushalt 2009, aber wir wissen nicht, wie die Entwicklung im nächsten Jahr sein wird. Möglicherweise werden die wirtschaftlichen Verhältnisse andere Maßnahmen erfordern. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir die Nachhaltigkeit besonders im Auge behalten und bei den Beschaffungen auch auf die Modernisierung achten. Trotz aller positiven Argumente stellen wir fest, dass viele Beschaffungen erst bis zum Jahre 2015 oder zu einem noch späteren Zeitpunkt realisiert werden können. Das heißt, dass der Spielraum, den wir im Haushalt haben, nach wie vor eng ist. Gleichwohl plädiere ich sehr dafür, dass wir uns der Verantwortung stellen. Das heißt in erster Linie: Wir stimmen diesem Haushalt zu; denn ohne diese Grundlage sind alle anderen Vorstellungen nur schöne Reden. Wer sich der Zustimmung zum Haushalt entzieht, kann zwar über die Verantwortung für die Bundeswehr reden, er zeigt aber, dass er nicht willens und bereit ist, sie zu tragen. Wir stellen uns dieser Verantwortung und stimmen diesem Haushalt zu. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11054? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.11 auf: Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 16/10419, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen Borchert Iris Hoffmann ({0}) Jürgen Koppelin Alexander Bonde Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hellmut Königshaus für die FDPFraktion das Wort. ({1})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Haushaltsentwurf sieht einen deutlichen Aufwuchs vor. Darüber freuen wir uns, wenngleich sich dieser Aufwuchs in verschiedenen Einzelplänen wiederfindet: in dem des Auswärtigen Amtes, in dem des BMU, in dem des Bundesministeriums für Bildung und Forschung usw. Die zunehmende Zersplitterung im Entwicklungsbereich ist aber zugleich beängstigend. Ich glaube, das ist eines der Hauptprobleme dieses Haushalts. Generell sind bei dieser Koalition - das kann man hier sagen - Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit im Moment nicht mehr eindeutig zu erkennen. In diesem Punkt ist Herr Gabriel mit seinem Einzelplan 16 deutlich ehrlicher. Er sagt nämlich: „… enthält Elemente der Außenwirtschaftsförderung“, obwohl er eigentlich nur Umweltpolitik betreiben will. Aber bei allen Ansätzen, die etwas mit dem Thema Entwicklung zu tun haben, ist die von mir angesprochene Zersplitterung feststellbar. Ärgerlich ist auch: Immer mehr Mitglieder der Bundesregierung drängen in die Bereiche anderer Ressorts, auch und gerade in dieses. Ich weiß nicht, ob das gewollt ist. Ich weiß nicht, ob die Ministerin das sogar befürwortet. Auf jeden Fall verstärkt dies ein Problem, über das die OECD immer wieder geklagt hat, nämlich die Zersplitterung: Herr Gabriel redet zwar weltweit von Klimapolitik, macht aber in weiten Bereichen Entwicklungspolitik. Ähnlich agieren Frau Schavan wegen der Forschung und Herr Glos wegen der Wirtschaftsförderung usw. Alles wird als ODA-anrechenbare Entwicklungsmaßnahme getarnt. Dieses Durcheinander setzt sich natürlich in den Institutionen fort. Ich will jetzt gar nicht von den Durchführungsorganisationen reden. Frau Ministerin, vielleicht sagen Sie nachher einmal etwas dazu, ob diesbezüglich noch vor Ende der Legislaturperiode etwas geschieht. Dieses Durcheinander findet auch in den Ministerien selbst statt. Die Ministerin - Sie, Frau Wieczorek-Zeul richtet praktisch ein Neben-Auswärtiges-Amt ein. Herr Steinmeier richtet im Auswärtigen Amt ein NebenKanzleramt ein, und die Kanzlerin richtet im Kanzleramt ein Über-Auswärtiges-Amt und ein „Über-Ministerium für alles“ ein. All diese Institutionen, all diese Ministerien machen große Versprechungen und lassen sich anschließend weltweit gegeneinander ausspielen. Das können wir überall beobachten. Ich glaube nicht, dass das Deutschland und der deutschen Politik guttut. Ich glaube, das müssen wir beenden. ({0}) Wenn wir über den Einzelplan 23 reden, dann reden wir eben nur über ein Stück der Wahrheit. Dabei müssen wir aber eines sehen: In schwierigen Zeiten - es sind schwierige Zeiten - müssen wir natürlich genauer hinsehen, wofür das Geld des Steuerzahlers ausgegeben werden soll. Da muss ich schon die Frage stellen: Was passiert eigentlich mit Ländern, mit Partnern, die erkennbar unfreundlich, also gegen Deutschland, handeln? Was soll im Falle Ruanda geschehen? Ich habe selbst gesagt: Ruanda ist von seinen Institutionen her und von der Art, wie die Administration dort aufgebaut wurde, eigentlich ein gutes Beispiel. Zu diesem Land sage selbst ich: Da kann man auch mit Budgethilfe herangehen. Aber was machen wir mit einem solchen Land, wenn es unseren Botschafter hinauswirft? Was machen wir mit einem solchen Land, wenn es ganz offensichtlich auf verschiedenen Ebenen an den Massakern mitwirkt, die jetzt schon wieder im Kongo ausbrechen? Warum bekommen wir darauf keine Antwort? Was ist mit dem Kosovo, wo wir mit unseren Institutionen ausgespielt werden? Auch dorthin fließen 23 Millionen Euro. Wollen wir da einfach weitermachen? Wie soll das aussehen? Wir müssen uns tatsächlich Gedanken darüber machen, wie wir mit so etwas umgehen. Das hatten wir vorher noch nicht. Vielleicht hören wir dazu etwas. Immerhin hat sich seit der ersten Lesung in einem sehr viel bewegt: Das ist der Bereich China. Frau Ministerin, die Bundesregierung hat unserem starken Drängen auf Einschränkung bzw. Einstellung der Finanzhilfen für China nachgegeben. Das ist doch ein Erfolg. ({1}) Aber es wird Sie nicht wundern, dass wir das nicht als Endpunkt sehen. Es gibt noch andere Länder, zum Beispiel Indonesien, Indien, Brasilien und Mexiko, die inzwischen eine relative wirtschaftliche Stärke erreicht haben, sodass sie mittlerweile am G-20-Gipfel teilnehmen und dort unentbehrlich sind. Wir können doch nicht so tun, als wäre dort nichts passiert. Diesen Ländern haben wir in diesem Haushalt 260 Millionen Euro zugesagt. Wir müssen uns noch einmal darüber unterhalten, ob das so bleiben kann, ob die klassische Nehmerposition beibehalten werden soll oder ob wir diese Länder nicht lieber an die Hand nehmen sollten, um mit ihnen gemeinsam zu marschieren. Zum Beispiel kann und soll es in Teilbereichen ganz konkret passieren, dass wir mit Indien in Afrika aktiv werden, sodass dort deren Erfahrungen, gekoppelt mit unserem Geld, zur Geltung kommen. Was wollen wir bei den Ländern machen, die sich Dinge leisten, die wir uns selbst nicht leisten können, aber bei uns am Finanztropf hängen? Wie mein Kollege Markus Löning schon vor einigen Jahren gesagt hat - das gilt heute immer noch -: Es kann doch nicht sein, dass ein Land aufrüstet und Taikonauten in den Weltraum schickt, die Armutsbekämpfung im Land aber uns überlässt. Das werden wir unseren Steuerzahlern auf Dauer nicht erklären können. ({2}) Das Geld fehlt dann an anderer Stelle. Das Thema Afghanistan ist schon angesprochen worden. Immerhin hat die Einstellung der Finanzhilfe für China unter dem Strich ganz offenkundig zumindest dazu geführt, dass Spielräume entstanden. - Ich sehe das Signal, Frau Präsidentin; ich komme gleich zum Schluss. - Dass das Geld, welches dort eingespart wird, in Afghanistan zusätzlich verwendet werden kann, begrüßen wir natürlich sehr. Es bleiben Probleme. Die Budgethilfe - ich habe es eben angesprochen - ist und bleibt ein Problem. Noch ein anderes Problem muss bewältigt werden. Es kann nicht mehr hingenommen werden, dass die Europäische Union beim Europäischen Entwicklungsfonds immer mehr aufstockt. Allein für das nächste Jahr sind es rechnerisch über 800 Millionen Euro. Es kann nicht sein, dass das ohne parlamentarische Kontrolle geschieht. Wir verlangen eine endgültige Änderung. Das ist ein Grund dafür, dass wir Sie auffordern - Sie alle, meine Damen und Herren -, insoweit eine konsequente und harte Haltung gegenüber der Kommission einzunehmen. ({3}) Die Entwicklung beim Haushalt geht in die falsche Richtung. Es soll wieder mehr Geld für falsche Entwicklungspolitik gegeben werden. Deshalb werden wir den Haushalt ablehnen. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Iris Hoffmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Auch dieses Jahr konnten wir die Beratungen über den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit einem sehr guten Ergebnis abschließen. Die Mittel für den Einzelplan wachsen gegenüber dem Vorjahr wiederum deutlich an und werden in 2009 auf über 5,8 Milliarden Euro steigen. Damit verstetigen sich der positive Trend und die dynamische Entwicklung der Mittel für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2005 ist es uns gelungen, die Mittel um nahezu 50 Prozent zu steigern. Das sind fast 2 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2005. Gerade im Vergleich zur Entwicklung des Gesamthaushalts unterstreichen diese Zahlen, dass wir den Koalitionsvertrag ganz konsequent umsetzen und die Entwicklungszusammenarbeit in dieser Legislaturperiode zu einem der zentralen Politikfelder der Großen Koalition gemacht haben. Mit den zusätzlichen Mitteln werden im multilateralen Bereich insbesondere die Beiträge zur Weltbank - sie erhält gegenüber dem Vorjahr fast 30 Prozent mehr - und zum Afrikanischen Entwicklungsfonds erhöht. Gleichzeitig werden durch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in 2009 weitere signifikante Neuzusagen für den multilateralen Bereich gemacht werden können, unter anderem für die Klimainvestitionsfonds unter dem Dach der Weltbank, ({0}) Iris Hoffmann ({1}) den Asiatischen Entwicklungsfonds und den Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung. Wir weiten aber auch den Spielraum der staatlichen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit deutlich aus. Allein die Finanzielle Zusammenarbeit wird im kommenden Jahr fast 230 Millionen Euro mehr Barmittel zur Verfügung haben. Die Verpflichtungsermächtigungen werden sogar um gut 300 Millionen Euro erhöht. Damit wurden seit 2005 sowohl die Barmittel als auch die Verpflichtungsermächtigungen der Finanziellen Zusammenarbeit um mehr als 80 Prozent gesteigert. Zudem sind im parlamentarischen Verfahren die Rahmenbedingungen für die Finanzielle Zusammenarbeit erleichtert worden. Die Haushaltsvermerke und Erläuterungen wurden so angepasst, dass zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen auf den Abschluss völkerrechtlicher Verträge verzichtet werden kann. Diese Maßnahmen ermöglichen es, die Initiativen des G-8-Gipfels in Heiligendamm inhaltlich und finanziell auf breiter Grundlage fortzusetzen. Mit ihnen werden vor allem die innovativen Instrumente der finanziellen Zusammenarbeit wie Zinssubventionen, Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung oder auch länderübergreifende Vorhaben gestärkt. Insbesondere die länderübergreifenden Ansätze wie beispielsweise der regionale Mikrofinanzfonds für Afrika werden zukünftig im Rahmen der Umsetzung der Paris-Deklaration eine noch größere Bedeutung erfahren. Da sich diese Instrumente von der sogenannten klassischen bilateralen Finanziellen Zusammenarbeit unterscheiden, ist für sie im Haushalt 2009 ein neuer, ein eigener Titel ausgebracht worden. Sehr geehrte Damen und Herren, gerade angesichts der zunehmenden Programmorientierung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ist auch ein Ausbau der Technischen Zusammenarbeit absolut unabdingbar. Nur durch den Aufbau von Kapazitäten in den Partnerländern lassen sich beispielsweise Budgethilfen vernünftig vorbereiten, begleiten und nachhaltig in Wert setzen. Getreu dem Motto: „Man kann nicht das eine wollen, ohne das andere zu tun“, wurde deshalb in den parlamentarischen Beratungen der Titel „Technische Zusammenarbeit“ gegenüber dem Regierungsentwurf verstärkt. Der Barmittelaufwuchs erreicht mit knapp 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zwar bei weitem nicht die Steigerungsraten der Titel der Finanziellen Zusammenarbeit oder der Weltbank, aber ich denke, mit den nun zur Verfügung stehenden Geldern und den erhöhten Verpflichtungsermächtigungen lässt sich vernünftig umgehen und arbeiten. Wie in den vergangenen Jahren war es auch bei den diesjährigen Haushaltsberatungen unser Anliegen, dass die kleineren Programme und die zivilgesellschaftliche Entwicklungszusammenarbeit angemessen an der positiven Entwicklung des Einzelplanes partizipieren. Es wurden unter anderem die Mittel für die entwicklungspolitische Bildung, die Förderung der Sozialstruktur, die politischen Stiftungen, die Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft und die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit verstärkt. ({2}) Zwei Beispiele für die gute und wichtige Arbeit dieser Organisationen und Institutionen möchte ich heute herausgreifen. Zunächst zum DGB Bildungswerk. Wenn Sie sich den Haushalt des Einzelplans anschauen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Sie feststellen, dass das DGB Bildungswerk namentlich nicht erwähnt wird. Es ist einer der Träger des Titels „Förderung der Sozialstruktur“. Dennoch ist die Arbeit des Bildungswerkes wichtig für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere mit seiner Konzentration auf Projekte zur Durchsetzung von Kernarbeitsnormen, Arbeitnehmerrechten und internationalen Standards im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Es ist deshalb ein Erfolg, dass maßgeblich auf Bestreben des Parlaments - das sollte hier angemerkt werden - der Baransatz für das DGB Bildungswerk seit 2005 weit mehr als verdoppelt werden konnte. ({3}) Für 2009 werden die Mittel für das Bildungswerk auf 2,6 Millionen Euro angehoben. In dieser Richtung sollte es in den kommenden Jahren weitergehen. Als zweites Beispiel möchte ich kurz den Zivilen Friedensdienst ansprechen. Der Zivile Friedensdienst hat sich als ein wichtiges Instrument der Bundesregierung zur zivilen Krisenprävention in Ländern wie dem Sudan, Afghanistan oder Nepal bewährt. Die durch ihn entsandten Friedensfachkräfte vermitteln bei Konflikten und leisten einen ungemein wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau und zur Versöhnung. Folgerichtig wird der Zivile Friedensdienst nun ausgebaut, sein Profil geschärft und seine Wirksamkeit noch weiter verbessert. Das spiegelt sich auch in der Mittelausstattung wider. Für 2009 wird der Baransatz um 60 Prozent erhöht. ({4}) Abschließend möchte ich noch auf ein Instrument unserer Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen kommen, das mir persönlich sehr am Herzen liegt: den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“. Durch „weltwärts“ bietet sich uns die große Chance, junge Menschen für die Notwendigkeit von Entwicklungszusammenarbeit zu sensibilisieren. „weltwärts“ ermöglicht es, Begriffe wie internationales Engagement, Solidarität oder die Idee von der Einen Welt persönlich zu erfahren und bewusst zu leben. Diese Erfahrungen, die die Jugendlichen durch ihren Einsatz in einem unserer Partnerländer machen, können in ihrer Bedeutung für die Akzeptanz von Entwicklungszusammenarbeit bei uns in Deutschland nicht hoch genug eingeschätzt werden. ({5}) Es freut mich deshalb sehr, dass „weltwärts“ sowohl von den Freiwilligen als auch von den Entsendeorganisationen sehr gut angenommen wird und sich im ersten Iris Hoffmann ({6}) Jahr seines Bestehens absolut positiv entwickelt hat. Die Bilanz nach acht Monaten kann sich sehen lassen: Bereits mehr als 200 Organisationen haben einen Antrag auf Anerkennung als Entsendeorganisation gestellt, 164 wurden schon zugelassen. Knapp 2 500 der 3 000 eingereichten Anträge auf Einsatzplätze wurden anerkannt. Mehr als 10 000 junge Leute haben sich für einen Einsatz beworben, über 1 500 sind ausgereist. Die ersten Teilnehmer sind bereits zurückgekehrt. - Ich kann die Lektüre der Erfahrungsberichte auf der Homepage von „weltwärts“ eigentlich nur jedem wärmstens empfehlen und nahelegen. Der Freiwilligendienst ist also auf einem guten Weg und wird planmäßig weiter ausgebaut. Die Barmittelansätze für das kommende Jahr wollen wir dementsprechend um 20 Prozent anheben. ({7}) Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Für das Jahr 2009 ist der Entwicklungshaushalt gut aufgestellt. Aber es ist ganz klar, dass wir uns auf diesen Erfolgen nicht ausruhen dürfen und werden, sondern dass wir gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen müssen, damit diese Entwicklung in den kommenden Jahren unter den erschwerten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen fortgesetzt werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht nur im Interesse unserer Partnerländer, sondern auch in unserem eigenen Interesse alles daransetzen müssen, die Entwicklungszusammenarbeit weiter voranzubringen. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Hüseyin Aydin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Etat des Entwicklungsministeriums soll im Jahr 2009 gegenüber dem letzten Jahr um 12 Prozent steigen. Allerdings bleibt es bei einer ODA-Quote von 0,37 Prozent. Damit wird nicht, wie von Frau Merkel in Heiligendamm vollmundig versprochen, die Anhebung der Entwicklungshilfe bis zum Jahre 2010 auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfolgen. Das wurde verkündet, aber nicht eingehalten. Das zeigt, wie wichtig bzw. - genau genommen - unwichtig Ihnen die Entwicklungshilfe ist. ({0}) Sie könnten, wenn Sie wollten. Das zeigt die Höhe der Bürgschaften zur Rettung der Banken. Derzeit hungern 932 Millionen Menschen auf der Welt. 23 Milliarden Euro pro Jahr wären nötig, um dieses Problem zu lösen, sagte Jacques Diouf, der Generaldirektor der UNOrganisation für Ernährung und Landwirtschaft. Das Rettungspaket der Regierungen Deutschlands, Englands und Frankreichs hat ein Volumen von 1 330 Milliarden Euro. 1,7 Prozent des Aufkommens aus dem Rettungspaket dieser drei Länder würden ausreichen, um den Hunger in der Welt zu beseitigen. Anders ausgedrückt: Mit der Bürgschaft für die Banken, die Milliarden Euro verzockt haben, könnten 57 Jahre lang der Hunger beseitigt, eine Grundbildung für alle gesichert und die sozialen Sicherungssysteme aufgebaut werden. Südlich der Sahara sterben jeden Tag 14 000 Kinder an Unterernährung und Durchfall. Das sagt der aktuelle UNICEF-Bericht. Wer soll der Bundesregierung eigentlich noch glauben, dass Armutsminderung und Erreichung der Millenniumsziele eine Priorität der deutschen Außenpolitik sind? Aber: Dafür steigen die Ausgaben für militärische Auslandseinsätze. Allein für die ISAF hat der Steuerzahler bis heute 2,7 Milliarden Euro ausgegeben. Mit der Erhöhung des deutschen Kontingents von 3 500 auf 4 500 Soldaten werden die Kosten in den kommenden Jahren noch einmal deutlich steigen. Aber für die Entwicklungspolitik und den zivilen Aufbau hat die Regierung im Jahr 2008 nur 170 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. In diesem Winter werden wieder 70 Prozent der afghanischen Bevölkerung hungern. „Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben“, sagte Willy Brandt bereits im Jahre 1980. Solange in Afghanistan Krieg herrscht, wird es keine dauerhafte stabile Entwicklung und damit auch keine Befriedung der Menschen geben. Nach wie vor lebt die sogenannte Erste Welt auf Kosten der Entwicklungsländer. ({1}) Dort haben sich zu Beginn des Jahres 2008 die Preise für die lebensnotwendigen Grundnahrungsmittel wie Reis und Mais in nur drei Monaten bis zum Vierfachen erhöht. Am 9. November 2006 - relativ zu Beginn der Großen Koalition - sagte die Ministerin: Wir wollen Lösungen mit dem Markt, nicht gegen den Markt, mit den Menschen in den betroffenen Ländern, nicht gegen diese Menschen. Die Menschen in den ärmsten afrikanischen Ländern können Ihnen kein Wort glauben, Frau Ministerin. Sie sehen, dass das Elend zu- statt abnimmt, und das ist skandalös. Die Ursachen der Ernährungskrise sind schon lange bekannt. Sie ist auf jahrelang versäumte Agrar- und Handelspolitik zurückzuführen. Mit den Abschlüssen der EPAs sind Afrikas lokale Märkte weiter bedroht. Die Industriestaaten subventionieren ihre Landwirtschaft mit jährlich rund 268 Milliarden Euro; das ist rund viermal so viel, wie sie für Entwicklungshilfe ausgeben. Für ein europäisches Rind werden 2,50 Euro pro Tag an Subventionen ausgegeben. Das tägliche Einkommen der meisten afrikanischen Männer und Frauen liegt unter 1 Euro. Lokales Geflügel ist in Kamerun fast 1 Euro teurer als das europäische Dumpinghuhn. Weil Europäer nur Hähnchenbrust kaufen, werden die Überreste an afrikanische Importeure verscherbelt. Die Subsahara-Länder werden mit französischem Billiggeflügel zugeschüttet, sodass die eigene Geflügelproduktion nicht mithalten kann. Dadurch sind allein im Jahr 2004 120 000 Jobs verloren gegangen. Die neoliberale Politik von Rot-Grün, aber auch von Schwarz-Rot hat die risikoreichen Hedgefonds immer noch nicht verboten. Als eine der ersten parlamentarischen Initiativen im November 2005 hat die Linke den Antrag gestellt, die Hedgefondszulassung zurückzunehmen. Die Koalitionsparteien lehnten den Antrag mit dem Hinweis ab, bei richtiger Regulierung könnten diese Fonds die Finanzmärkte stabilisieren. Das war eine folgenschwere Fehleinschätzung, wie sich heute zeigt. Die Rede der FDP von den „positiven Effekten“ der Hedgefonds wirkt heute zynisch und realitätsfern. Sehen Sie sich die Nahrungsmittelpreise an, die Millionen von Menschen in den Hunger getrieben haben! Die Länder des Südens verlieren nach groben Schätzungen pro Jahr mindestens 383 Milliarden Euro durch Kapitalflucht und Steueroasen. Das ist ein Vielfaches der Entwicklungshilfe der OECD-Staaten im Jahr 2007. Auch die Asiatische Entwicklungsbank beteiligt sich an mehr als 40 Private-Equity-Fonds, zum Teil mit Sitz auf den Cayman-Inseln. Dies geschieht mit deutscher Beteiligung. Im Mai dieses Jahres forderte die Linke einen sofortigen Stopp der Beteiligung von ADB-Geldern an Offshorefonds. Wir fordern: Alle intransparenten Fonds auf den Cayman-Inseln müssen sofort geschlossen werden. ({2}) Die Kontrolle des Finanzmarktes ist das A und O. „Deutschland als verantwortungsbewusster Partner in Europa und der Welt“, so steht es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, und die hat hier aus meiner Sicht versagt. Die Realität zeigt ein klares Bild. In unseren Haushaltsanträgen fordern wir eine nachhaltige Veränderung der Prioritäten der Entwicklungspolitik: Erstens. Die bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit soll mit mindestens 30 Prozent für soziale Sicherungssysteme, für eine Stärkung der Geschlechtergerechtigkeit und für die Grundbildung der Partnerstaaten gebunden werden. Die Sicherstellung einer obligatorischen, gebührenfreien und qualitativ guten Grundbildung für alle Kinder bis 2015 ist ein weiteres erklärtes Millenniumsziel und damit auch Ihr Ziel. Fakt ist jedoch: Der deutsche Beitrag zur Grundbildung stagniert bei 120 Millionen Euro. All dies haben wir übrigens auch in unserem Antrag „Entwicklung braucht Bildung - Den deutschen Beitrag erhöhen“ deutlich dargelegt. Zweitens. Die Mittel für die bilaterale Technische Zusammenarbeit sollen zu mindestens 30 Prozent für ländliche Entwicklung gebunden werden. Die Nahrungsmittelkrise der letzten Monate hat gezeigt, wie notwendig eine radikale Wende in der Agrarpolitik ist. Im Mittelpunkt müssen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und angepasste Technologien stehen. Drittens fordern wir mehr finanzielle Mittel für die Agrarforschung. Insbesondere Forschungen für angepasste Technologien und der Einsatz erneuerbarer Energien in der Landwirtschaft sind notwendig. Auch die Förderung der Nutzung von indigenem Wissen ist entscheidend. Daher fordern wir die Aufstockung der internationalen Agrarforschung auf 25 Millionen Euro. Dabei sollen mindestens 50 Prozent der Mittel für die Unterstützung der Agrarforschung in afrikanischen Staaten gebunden werden. Die Linke will die lokalen Märkte vor allem in den afrikanischen Ländern stärken und die Ernährungssouveränität sicherstellen. Die ODA-Quote muss langfristig real steigen; das ist unbestritten. Die Linke hat Vorschläge für alternative Finanzquellen wie Flugticketsteuer und internationale Devisensteuer gemacht, um zusätzliche Mittel für Entwicklungsprojekte zur Verfügung stellen zu können. Die FDP lehnte unseren Antrag auf eine Flugticketsteuer 2006 mit dem Hinweis auf „einen Mangel an sinnvollen Projekten“ ab. Behaupten Sie das heute immer noch angesichts der katastrophalen Ernährungssituation in der Welt? Die SPD wollte im Jahr 2007 eine Erhöhung der ODA-Quote auch ohne zusätzliche Finanzmittel erreichen. Auch das hat wohl nicht funktioniert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Die CDU/CSU wiederum konstatierte, die Flugticketsteuer in Frankreich gehe nicht weit genug und sei daher auf Deutschland nicht anwendbar. Ein weiter gehender Vorschlag der CDU/CSU liegt heute immer noch nicht vor. Wenn Sie zukunftsfähiges Denken bewiesen hätten, wäre die Situation heute weniger fatal - für die Menschen hier und in den armen Ländern. Entwicklungspolitik ist für die Linke Friedenspolitik, die sich auf Konfliktprävention, die Achtung des Völkerrechts und die Einhaltung der Menschenrechte stützt. In einem Punkt möchte ich der Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul beipflichten. Sie hat in einem Interview mit der taz im Jahr 2005 gesagt: Aber die Strukturen des Welthandels machen die Bemühungen oft zunichte. Man muss zum Beispiel endlich den Agrarexportsubventionen ein Ende machen. Da hat sich die CDU/CSU immer gedrückt. Die SPD leider auch, Frau Ministerin. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Jochen Borchert das Wort. ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Haushaltsberatungen 2009 möchte ich mich sehr herzlich bei meiner Kollegin und Mitberichterstatterin Iris Hoffmann bedanken. Unsere Zusammenarbeit in den letzten vier Haushaltsberatungen war immer sehr offen und konstruktiv. Liebe Iris, herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit. Genauso will ich mich aber auch bei den Kollegen der anderen Fraktionen bedanken. Ich denke, die diesjährigen Beratungen haben wieder gezeigt, dass die Kollegen im Haushaltsausschuss über die Fraktionsgrenzen hinweg ein großes Interesse an der Entwicklungszusammenarbeit haben und sich engagiert dafür einsetzen. ({0}) Für diese gute und erfolgreiche Arbeit möchte ich mich bei allen sehr herzlich bedanken. Unser Dank gilt aber auch Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Hause. Auf unsere vielfältigen Fragen haben wir immer ausführliche und offene Informationen bekommen. Das machte uns die Arbeit leichter, Ihre gelegentlich schwerer. Vor allem machte es Ihnen und Ihrem Haus mehr Arbeit. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit. Der Ministerin gilt aber auch Dank dafür, dass sie sich so engagiert für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einsetzt, und das auch, wenn es um die hart umkämpften Haushaltsmittel geht. Unterstützt durch unsere Bundeskanzlerin, der die Entwicklungszusammenarbeit am Herzen liegt, ist der Etat des BMZ während der Großen Koalition um gut 50 Prozent gestiegen. Das sind rund 2 Milliarden Euro mehr als im letzten Etat der rot-grünen Regierung. Ich erspare es mir, jetzt auf die Argumente der Linken einzugehen. Ich denke, das lohnt nicht. ({1}) Einschließlich der Mittel in anderen Etats stehen der Bundesregierung insgesamt fast 2,6 Milliarden Euro mehr für die Entwicklungspolitik zur Verfügung als noch im Jahr 2005. ({2}) Ich denke, das ist überaus erfreulich, stellt uns aber auch vor einige Herausforderungen. Denn die zusätzlichen ODA-Mittel sind nicht nur im Einzelplan 23 veranschlagt. Auch im Etat des BMU und des Auswärtigen Amtes sind die ODA-Mittel stark angewachsen. Auch im Forschungsministerium sind Mittel für die wirtschaftliche Zusammenarbeit etatisiert. Diese Diversifizierung darf nicht zu einer Zersplitterung der EZ führen. Wer mit ODA-Mitteln arbeitet, muss die entwicklungspolitische Ausrichtung gewährleisten. Das bedeutet, es muss einheitliche Verfahren und Richtlinien für den Einsatz dieser Mittel geben. Es kann nicht sein, dass innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Regeln für den Umgang mit ODA-Mitteln herrschen. Das würde der Entwicklungszusammenarbeit und unserem internationalen Ansehen schaden. Ich denke, nie war Kohärenz in der Entwicklungspolitik der Bundesregierung so wichtig wie heute; denn Entwicklungspolitik ist eine echte Querschnittsmaterie und ein wichtiger Baustein unserer internationalen Politik, unserer globalen Strukturpolitik. Die Beratungen im Haushaltsausschuss haben auch gezeigt, Herr Kollege Königshaus, dass die Bundesregierung dies erkannt hat und dass sie mit der Abstimmung zwischen den Ministerien eine kohärente Politik sicherstellen wird. ({3}) Da greife ich gerne Ihre Kritik auf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf zwei Themenschwerpunkte möchte ich eingehen: Afrika und die ländliche Entwicklung. Nicht erst seit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm steht Afrika im Fokus der Entwicklungszusammenarbeit. Auch hier gab es ein klares Bekenntnis der Kanzlerin und der Ministerin, die Hilfe für Afrika massiv aufzustocken. Dies geschieht völlig zu Recht, sind doch die Probleme auf dem afrikanischen Kontinent am schwierigsten. Aber man darf dabei die anderen Regionen nicht vernachlässigen, vor allem die Länder, die auf einem erfolgreichen Entwicklungspfad sind. Gerade diese Länder brauchen unsere Unterstützung jetzt am nötigsten, um möglichst schnell völlig unabhängig von unserer Hilfe zu werden. Dies muss doch das eigentliche Ziel unserer Arbeit sein. ({4}) Auch die Schwellenländer brauchen da unsere Unterstützung, natürlich eine angepasste Hilfe. Es kann nicht die gleiche Unterstützung sein. ({5}) Da geht Ihre Kritik ins Leere. Natürlich ist die Unterstützung in den Schwellenländern der Situation angepasst. Mit genau angepassten Maßnahmen wollen wir ihnen helfen, den Weg weiterzugehen und am Ende völlig unabhängig von unserer Hilfe zu werden. ({6}) Auch wenn Afrika im Fokus steht, leben - dies dürfen wir nicht vergessen - zwei Drittel aller absolut Armen auf dem asiatischen Kontinent. Dies gerät leicht aus dem Blickfeld, wenn nur das Wachstum und die technologische Entwicklung in einigen asiatischen Ländern die Debatte bestimmen. Lassen Sie mich zu Afrika zurückkommen, vor allen Dingen zu Afrika südlich der Sahara. Staatskrisen, bewaffnete Konflikte, Naturkatastrophen, HIV/Aids, Verschuldung, Kapitalflucht, unausgewogene Regelungen des Welthandels, dies sind nur einige Aspekte, die die Entwicklung der Gesellschaften und der Wirtschaft in diesen Ländern hemmen. Die momentane Antwort der Gebergemeinschaft darauf ist: mehr Geld. Darüber lässt sich trefflich streiten. Es gibt auch Fachleute und Betroffene, die der Meinung sind: Afrika braucht nicht mehr Geld, sondern mehr Bildung, mehr Wissen, mehr Beratung. ({7}) Worüber man aber trefflich streiten kann, ist die Frage, wie die Partnerländer das Geld bekommen sollen. ({8}) Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht vor allen Dingen die Budgethilfe. Sie wissen, dass es über Fraktionsgrenzen hinweg Befürworter und Kritiker dieses entwicklungspolitischen Instrumentes gibt. Beide Seiten haben gute Gründe. Je nachdem, wie die Situation und die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Haushaltskontrolle, der Schattenhaushalte, der Korruption und weiterer Kriterien, die wir unter Good Governance zusammenfassen, beurteilt werden, kommt man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das BMZ hat Good-Governance-Kriterien für die Vergabe der Budgethilfe entwickelt. Wir unterstützen dieses Vorgehen, und wir erwarten, dass diese Kriterien strikt eingehalten werden, auch dann, wenn es manchmal unbequem wird. ({9}) Es geht dabei nicht darum, dass wir unsere Hilfe für diese Länder kürzen wollen. Die Entscheidung dreht sich einzig und allein um die Wahl des Instrumentes. Wir müssen die Situation vor Ort sehr genau überprüfen, um herauszufinden, welches das richtige Instrument ist. Grundsätzlich bin ich der Meinung: Solange wir noch keine belastbaren Ergebnisse über die Budgetfinanzierung haben, sollten sich sowohl die Exekutive als auch das Parlament die Mühe machen, jeden Einzelfall zu betrachten und dann zu entscheiden. ({10}) Lassen Sie mich bei der Wahl der Instrumente noch auf einen anderen Aspekt hinweisen, der bei den diesjährigen Haushaltsberatungen wieder ein Thema war: die Aufteilung zwischen multilateraler und bilateraler Hilfe. Ich halte unsere Arbeit bei den wichtigen multilateralen Organisationen für wichtig. Ich halte es aber für genauso wichtig, unsere bilaterale staatliche Hilfe und die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Gruppen zu stärken. Wir haben in den vergangenen Jahren in diesem Bereich in der parlamentarischen Beratung immer wieder Veränderungen vorgenommen. Vor allem haben wir uns immer wieder darum bemüht, die Etats der zivilgesellschaftlichen Gruppen so zu gestalten, dass sie am allgemeinen Etataufwuchs teilhaben. Vor allem Kirchen und Stiftungen leisten eine wichtige Entwicklungszusammenarbeit, und sie sollten an diesen Steigerungen beteiligt werden. ({11}) Sie können in Bereichen tätig werden, in denen es der staatlichen Hilfe, aber auch den multilateralen Organisationen eben nicht in diesem Umfang möglich ist. Deshalb brauchen wir eine starke bilaterale EZ und starke zivilgesellschaftliche Gruppen. ({12}) Sie werden verstehen, dass ich dem Thema „ländliche Entwicklung“ besonders verbunden bin. Nicht nur meine Nähe zu diesem Thema, sondern auch seine Aktualität und Bedeutung lassen mich hier einen Schwerpunkt setzen. 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern leben in extremer Armut. Gleichzeitig sollen aber ländliche Räume die Ernährung für die gesamte Bevölkerung sicherstellen. In den letzten Jahren war die ländliche Entwicklung - damit meine ich auch Ernährungssicherung, Agrarforschung und Agrarsubventionen - von anderen Themen wie HIV/Aids und Klimaschutz verdrängt worden, sowohl auf der nationalen Ebene als auch bei uns. Deshalb habe ich es begrüßt, dass die Weltbank die ländliche Entwicklung wiederentdeckt hat und die Fachpolitiker einen Antrag dazu in Vorbereitung haben. Ich unterstütze diesen Antrag voll. Auf diesem Gebiet besteht großer Handlungs- und Nachholbedarf. Das muss sich auch im Haushalt widerspiegeln. Die Welternährungskrise zeigt deutlich, dass wir viel mehr investieren müssen, um nicht entscheidende Entwicklungsfortschritte zu gefährden. Die steigende Nachfrage steht einem stagnierenden oder sogar sinkenden Angebot gegenüber. Diese Entwicklung gilt es zu bremsen und umzukehren. Hinter diesem Trend stehen unterschiedliche Ursachen: steigende Bevölkerungszahlen, verschlechterte Anbaubedingungen durch Klimaveränderungen, zunehmende Naturkatastrophen und die damit verbundenen Ernteausfälle, konkurrierende landwirtschaftliche Erzeugnisse - Energie aus nachwachsenden Rohstoffen steht in Konkurrenz zur Produktion von Lebensmitteln -, der zunehmende Wohlstand in den Schwellenländern führt ebenfalls zu einer Verknappung von Getreide durch andere Essgewohnheiten. Die Steigerung der Not- und Übergangshilfe ist richtig und notwendig. Aber genauso wichtig sind Investitionen in die Ursachenbekämpfung. Die Agrarforschung ist ein wichtiges Instrument, um Ertragssteigerungen in der Land-, Fischerei- und Forstwirtschaft zu entwickeln, sodass sie auf die speziellen Bedingungen der Entwicklungsländer zugeschnitten sind. Gerade hier brauchen wir mehr Mittel. Wir haben bei den diesjährigen Haushaltsberatungen einstimmig den Ansatz für die Agrarforschung um 3,5 Millionen Euro aufgestockt, um einmal mehr klarzumachen, dass die Nahrungsmittelkrise mehr Augenmerk bedarf. 75 Prozent der in ländlichen Gebieten Lebenden sind von absoluter Armut bedroht. Deren Unterstützung und deren positive Entwicklung sind Schlüsselfaktoren für die Erreichung des ersten Millenniumziels, die Zahl der in Armut Lebenden zu halbieren. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Blick auf die aktuelle Finanzkrise werfen. Die letzten Wochen haben uns dramatisch vor Augen geführt, dass auch die Finanzmärkte global vernetzt sind und wir uns weder abschotten können noch abschotten dürfen. Die Finanzkrise wird uns auch in der Entwicklungspolitik vor neue Herausforderungen stellen. Deshalb brauchen wir die Solidarität der Gebergemeinschaft. Die Herausforderungen sind gewaltig. Wir stehen einer globalen Krise gegenüber. Umso wichtiger ist es, nun auch eine globale Verantwortung zu übernehmen. Die ersten wichtigen Entscheidungen zur Bekämpfung der Finanzkrise sind national und international getroffen worden. Nun wird es wichtig sein, unsere Partnerländer trotz einer drohenden Rezession nicht im Stich zu lassen. Ziel muss es sein, die Herausforderungen der Finanzkrise ohne Einschränkungen für die Entwicklungsländer zu bewältigen. ({13}) Wir haben eine globale Verantwortung und dürfen uns jetzt nicht hinter den Herausforderungen der Finanzkrise verstecken. Deshalb plädiere ich dafür und unterstütze Sie, Frau Ministerin, gern darin, dass wir an der Fortschreibung der Steigerungsraten bei den ODA-Mitteln dringend festhalten müssen. Denn Entwicklungspolitik ist keine Einbahnstraße. Sie ist eine Investition in die Zukunft der Entwicklungsländer und in die Zukunft Deutschlands. Herzlichen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Borchert, Sie sind gerade stark auf die ländliche Entwicklung eingegangen. Da sprechen Sie mir aus dem Herzen. ({0}) Das möchte ich mit Nachdruck unterstützen. Ich habe dieses Thema jetzt nicht besonders herausgegriffen, weil wir höchstwahrscheinlich in der nächsten Woche über zwei oder drei Anträge zur ländlichen Entwicklung diskutieren werden. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen. Sie haben einen Gegensatz zwischen der Unterstützung für ländliche Entwicklung und Maßnahmen gegen den Klimawandel aufgebaut. Dies muss konsequent zusammengebracht werden. Auch Sie wissen: Die Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, kann entweder ein Beitrag zum Klimaschutz sein, wenn sie denn angepasst ist, oder kann das Klimaproblem verschärfen. Einerseits sollen mehr Gelder für ländliche Entwicklung bereitgestellt werden - das ist absolut richtig und gut -, aber wir sehen mit Sorge, dass andererseits Programme angeschoben werden nach dem Motto: Wir düngen die Welt mit Stickstoffdünger, wir überziehen die Welt mit Pestiziden und Insektiziden. ({1}) Dies kann ein Beitrag sein, der die Klimakatastrophe sogar verschärft. Wir brauchen also eine angepasste grüne Revolution im doppelten Sinne, auch eine ökologische grüne Revolution. ({2}) Wenn man die Summen auf sich wirken lässt, über die von diesem Pult und in diesem Haus in den letzten Tagen und Wochen im Rahmen der Finanzmarktdebatten und im Rahmen der Debatten über die Konjunkturprogramme diskutiert wurde, dann fällt es ein bisschen schwer, jetzt in die Detailarbeit zu gehen und über die vergleichsweise kleinen Summen des Einzelplans 23 zu diskutieren. Ich möchte eine Relation herausgreifen. In der Koalition wird allen Ernstes darüber diskutiert - es ist nur eine Idee -, jedem Beschäftigten in Deutschland 500 Euro zu schenken, die dann aber bitte ganz schnell ausgegeben, konsumiert werden sollen, um die Konjunktur anzukurbeln. ({3}) Wir diskutieren im Entwicklungsausschuss über ein Fünftel der Menschheit, über Menschen in Entwicklungsländern, die mit 350 Dollar im Jahr auskommen müssen und damit ihre Familien durchbringen müssen. Wir befinden uns in einer Zeit ungeheurer Turbulenzen auf den Finanzmärkten, die zunehmend die Realwirtschaft erfassen. Präsident Lula hatte leider nicht recht, als er sagte, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer von dieser Krise verschont bleiben würden. Die ärmsten Staaten befürchten, dass die ODA-Zusagen nicht eingehalten werden, dass die Gelder gekürzt werden. In Japan und vielen anderen Ländern sind solche Tendenzen schon zu beobachten. Bedrückend ist die Befürchtung, dass durch die Finanzkrise die Bekämpfung des Klimawandels, des Hungers und der extremen Armut ins Abseits gedrängt wird. An diesem Wochenende findet die Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Doha statt. Aber über diese Konferenz liest man in den Zeitungen fast nichts. Sie ist jetzt schon ein bisschen ins Abseits gedrängt worden. Deshalb ist es enorm wichtig, dass man jetzt alle Kraft in diese Konferenz steckt. Von dieser Konferenz muss das folgende Signal ausgehen: Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir werden gemeinsam mit den Entwicklungs- und Schwellenländern Auswege aus der Krise suchen. Wir werden die gemachten Zusagen tatsächlich einhalten. Schaut man sich einmal an, was Deutschland international zugesagt hat, dann wirkt die zugegebenermaßen erfreuliche Steigerung im Haushalt 2009 nicht wirklich überzeugend. Um dem Zwischenruf zuvorzukommen, der an dieser Stelle häufig kommt, ({4}) dass unter der rot-grünen Regierung die Steigerungsraten viel geringer waren, geben wir das zu und bedauern das auch. Es lag aber nicht an uns Grünen. ({5}) Auch das muss man nicht ständig wiederholen. Wir müssen auch daran erinnern: Wenn die Bundesregierung, wie die Ministerin immer wieder beteuert, im nächsten Jahr tatsächlich 0,51 Prozent des Bruttonationalprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzt, dann müssten im nächsten Jahr 3 Milliarden Euro draufgesattelt werden. Das kann man ganz einfach ausrechnen. Das ist keine Unterstellung. Aus Budgetmitteln alleine werden diese Summen nicht kommen. Deshalb muss ich den Dreiklang wiederholen. Wo bleiben Ihre innovativen Finanzierungsinstrumente? ({6}) Wir brauchen Entschuldung, wir brauchen die Flugticket-Tax, und wir brauchen die Finanztransaktionssteuer. Sie berufen sich einzig und allein auf die Erlöse aus dem Zertifikatehandel. Dafür sind 120 Millionen Euro eingestellt. ({7}) Wo aber sind die Steigerungsraten? Das ist alles Spekulation. Dafür gibt es noch nicht einmal Beschlüsse. Noch bleiben Sie den Beweis schuldig, dass Sie dieses Ziel tatsächlich erreichen können und erreichen werden. Meine Fraktion hat Änderungsanträge zum Entwicklungsetat eingebracht. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein Protokoll, das zirkuliert, berichtigen, das einen Fehler enthält. In dem Bericht des Haushaltsausschusses steht, FDP und Grüne hätten Anträge eingebracht, die zu Senkungen der Haushaltstitel führen, um die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu entlasten. Das ist ein ausdrücklicher Fehler, der auch an die Öffentlichkeit gelangt ist. Die Grünen haben Anträge eingebracht, die Mehreinnahmen bzw. Steigerungen in Höhe von 450 Millionen Euro vorsehen. Die FDP hat ein dickes Kohärenzproblem. Sie hat im Entwicklungsausschuss Anträge eingebracht, die Steigerungen in Höhe von 34 Millionen Euro vorsehen. Das ist richtig so. Aber Ihr Haushälter, Herr Koppelin, hat Streichungen von 450 Millionen Euro beantragt. Da geht es also weit auseinander. Der Bericht trifft auf die FDP zu, aber nicht auf die Grünen. Wir sind für Steigerungen in Höhe von 450 Millionen Euro und wissen, es müsste eigentlich noch mehr sein. Aber unsere Haushaltspolitiker wollten eine solide Gegenfinanzierung vorlegen, die sofort umsetzbar ist. ({8}) Wir haben das genau ausgerechnet. Die Flugticket-Tax, die man sofort umsetzen kann - in Frankreich hat es auch keinen Volksaufstand gegeben; dort ist es praktiziert worden -, würde genau den Steigerungsraten, die wir beantragt haben, entsprechen. ({9}) Die Finanzmarktkrise - der Fastbankrott vieler Länder - hat uns vor Augen geführt, dass eine andere Diskussion, die wir mehrfach angestoßen haben, jetzt aktueller denn je ist: die Einführung eines internationalen Insolvenzrechtes. Aber von der Bundesregierung gibt es keinerlei Initiativen, die in diese Richtung gehen. Vielleicht führt die Diskussion in Doha in eine andere Richtung und gibt Anstöße. ({10}) Es ist immer wieder zu beobachten, dass es gute Positionen aus den Entwicklungsministerien gibt, die aber von anderen Häusern wieder kassiert werden. Ich erinnere an die unselige Diskussion über die EU-Milliarde. Zunächst hatte Frau Kommissarin Fischer Boel und dann Kommissionspräsident Barroso angesichts der dramatischen Welternährungskrise vorgeschlagen, 1 Milliarde Euro unverbrauchter Mittel aus dem Agrarhaushalt zur Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern in den Entwicklungsländern umzuwidmen. ({11}) In Accra gab es zu Recht Riesenbeifall, auch von der Ministerin, die dafür gekämpft hat. Aber Herr Seehofer und jetzt Frau Aigner fanden, es ist notwendig, dass die deutschen Bäuerinnen und Bauern dieses Geld zurückbekommen bzw. die europäischen Bauern das Geld behalten dürfen; denn sie bekommen ja auch nur 54 Milliarden Euro jährlich an Subventionen. ({12}) - Der Vorschlag des Kommissionspräsidenten Barroso war abgestimmt und rechtlich einwandfrei. ({13}) In der Präambel zur EU-Agrarpolitik steht, dass sie auch Beiträge zur Sicherung der Welternährung leisten soll. Würde man das Geld den Kleinbauern in den Entwicklungsländern geben, wäre das ein Beitrag entsprechend der Präambel. ({14}) Dies wurde - wie gesagt - von der Entwicklungsministerin direkt unterstützt, aber von Herrn Seehofer bzw. von Frau Aigner - auch Herr Steinbrück war dagegen - einkassiert. Was jetzt in Europa geschieht - dass man diese 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellt, sie aber aus dem Entwicklungsetat nimmt, also aus Geldern, die ohnehin vorgesehen waren -, ist ein plumper Etikettenschwindel. ({15}) Das sind keine zusätzlichen Gelder. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Man sollte diese Niederlage eingestehen. ({16}) Da ich meine Redezeit bereits weit überschritten habe, ({17}) komme ich zum Schluss. Ihre Ankündigungen waren gut. Das, was im Entwicklungsetat tatsächlich enthalten ist, ist aber viel zu dünn. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort. ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um beim letzten Punkt anzufangen: Im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister ist beschlossen worden, dass 1 Milliarde Euro zur Bekämpfung des Hungers in der Welt zur Verfügung gestellt werden. ({0}) Dieses Geld wird zwar nicht dem Topf entnommen, der dem einen oder anderen einem lieber gewesen wäre. Es handelt sich aber um zusätzliche Mittel. ({1}) Außerdem wurden die Mittel für die Nothilfe aufgestockt. Ich finde, wir sollten uns nicht über die Frage streiten, aus welchem Topf dieses Geld gekommen ist. Sondern: Es ist ein Signal der Solidarität mit den hungernden Menschen in der Welt. Das ist das Wichtige, und das sollten wir deutlich machen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich bei allen Beteiligten bedanken, bei Iris Hoffmann, bei Herrn Borchert, bei Herrn Koppelin, bei allen anderen, die daran mitgewirkt haben, und natürlich auch bei Herrn Bonde und Herrn Leutert. ({3}) Sie haben in dieser Diskussion in immer wieder unterschiedlichen Facetten deutlich gemacht, dass wir unsere Verpflichtungen in der Entwicklungspolitik einhalten. Mit diesem Haushalt tun wir das. Wir lösen unsere Verpflichtungen ein, zum Beispiel bei der Hilfe für Afrika. Allen Unkenrufen zum Trotz ist es gelungen, das Volumen der Mittel, die für Afrika bereitgestellt werden, zu verdoppeln. Über 50 Prozent der Mittel, die wir für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, gehen nach Afrika. Das ist ein wichtiges Signal. Außerdem haben wir die Gelder für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria deutlich aufgestockt. Wir haben zusätzliche Mittel für den Wiederaufbau Afghanistans, den Klimaschutz und die Biodiversität bereitgestellt. Besonders wichtig ist - diese Bemerkung richte ich an Herrn Borchert -, dass wir auch zusätzliche Mittel für die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherung aufgebracht haben. Die Mittel für die Nothilfe haben wir drastisch aufstocken müssen. Gleichzeitig haben wir auch den Verhandlungsrahmen für die Wiederauffüllung des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung um 75 Prozent auf bis zu 47,5 Millionen Euro aufgestockt. ({4}) Ich finde, es ist ein wichtiges Signal, dass wir beim Kampf gegen Hunger und Armut in der Welt nicht nachlassen. Dafür danke ich Ihnen allen. Das sind ganz konkrete Schritte für den Frieden und für die Verbesserung des Lebens der Menschen. Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen, der uns allen am Herzen liegt - in einer der Plenardiskussionen der letzten Sitzungswoche haben wir über dieses Thema schon gesprochen -: die Entwicklung im Osten des Kongo und die Gewalt gegen Frauen. Das, was dort geschieht, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit; das müssen wir ganz deutlich sagen. ({5}) Die Regierung des Kongo ist verpflichtet, der Gewalt Einhalt zu gebieten. Aber es ist genau umgekehrt. Auch ein Teil der Regierungstruppen begeht solche Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie alle militärischen Gruppen in dieser Region. Es ist notwendig, dass die kongolesische Regierung alles unternimmt, um die Täter vor Gericht zu stellen; ({6}) sie sind schließlich namentlich bekannt. Wenn sie das nicht tut, dann hat die internationale Gemeinschaft die Verpflichtung, die Täter vor den Internationalen Strafgerichtshof zu stellen ({7}) und damit deutlich zu machen, dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Luis MorenoOcampo, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, hat gesagt, er sei bereit, diese Anklage tatsächlich zu erheben. ({8}) Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass wieder Massaker und Massenvergewaltigungen stattfinden. Wir haben die Verpflichtung, die Menschen zu schützen, Stichwort „Responsibility to Protect“. ({9}) Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich persönlich angesichts der Eskalation der Brutalität den Vorschlag des Bundespräsidenten befürworte, europäische Soldaten in diese Region zu entsenden. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Diskussion ist mehrfach angesprochen worden, dass die große Gefahr besteht, dass sich die Finanzkrise, die Ernährungskrise und die Auswirkungen des Klimawandels so zu einer globalen weltweiten Wirtschaftskrise kumulieren, dass sich in den Entwicklungsländern eine schwere humanitäre Krise entwickelt. Durch die Finanzmarktkrise, die in den USA ihren Anfang genommen hat, wurden schon jetzt 40 Millionen Menschen mehr in die Armut gedrängt. Jeder Prozentpunkt weniger Wachstum führt zu 20 Millionen armer Menschen mehr. Die Kanzlerin hat heute Morgen deutlich gemacht - dafür bin ich ihr außerordentlich dankbar; alle Sprecher haben das hier auch gesagt -, dass es in unserem ureigensten Interesse ist, dass Entwicklungsländer und Schwellenländer nicht tiefer in die Rezession geraten; denn sie waren bisher die wichtigsten Wachstumsmotoren in dieser Welt. Wir haben ihnen gegenüber unsere Verpflichtungen. Der G-20-Finanzgipfel war ein erster wichtiger Schritt. Wir brauchen aber - ich hoffe, dass das bei der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha, die am Freitag beginnt, auch deutlich wird - das, was ich einen Global New Deal für das 21. Jahrhundert nennen möchte, mit dem auf ein kooperatives Weltmodell gesetzt wird. Dazu gehört aus meiner Sicht eine Reihe von Elementen: Erstens. Zuverlässige internationale GovernanceStrukturen. Die Entwicklungsländer müssen ein wirkliches Mitspracherecht haben. Afrika braucht seinen festen Platz im Kreise der G 20 - oder welcher Nummer auch immer -, und zwar nicht am Nebentisch, sondern mit vollen Mitwirkungsrechten. ({11}) Zweitens. Die Zivilgesellschaft muss den Global New Deal mitgestalten. Nur so kann es ein Pakt werden, durch den die Menschen tatsächlich beteiligt werden. Drittens. Es ist zentral und notwendig - das ist hier immer wieder deutlich geworden -, massiv in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer, in den Klimaschutz, in die Anpassung an den Klimawandel, in erneuerbare Energien und in die Infrastruktur der Entwicklungsländer zu investieren. Viertens. Wir dürfen keinen Kasinokapitalismus mehr zulassen. Wir müssen zuverlässige Regeln für die globalen Finanzmärkte schaffen. Weltbank und IWF müssen zu soliden Stabilitätsankern werden. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, dass wir, Herr Hoppe, alle Möglichkeiten mobilisieren für die Finanzierung der Millenniumsentwicklungsziele, zu denen wir stehen. All das zeigt: Auf der Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha, die jetzt stattfindet, muss eine schwierige Arbeit in schwierigen Zeiten geleistet werden. Ich zähle diese Konferenz zu den wichtigsten seit der Millenniumserklärung 2000. Seit Jahren sind wir auf dem Weg. Die Konferenz in Monterrey im Jahre 2002 wurde zum Meilenstein der Entwicklungsfinanzierung. Ich sehe die Gefahr, dass der eine oder andere - nicht bei uns, aber anderswo - die Konferenz in Doha nicht als nächsten Meilenstein, sondern als Ausfahrt nutzen will. Ich sage: Wir stehen zu unseren Zusagen zur Steigerung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Diese Aussage werde ich dort für Deutschland und für die deutsche Bundesregierung machen. ({12}) Wir werden aber auch andere Mittel mobilisieren müssen. Mit einem International Tax Compact können wir helfen, faire und effektive Steuersysteme aufzubauen, und der Steuerflucht entgegenwirken. Wir können die Mittel aus dem Emissionshandel einsetzen, die im Haushalt 2009 auch schon deutlich steigen. Soweit ich das sehe, wird die Idee auch in den USA aufgegriffen. Daneben müssen wir - das ist mehrfach deutlich geworden - Mittel für Investitionen in die Landwirtschaft - besonders in Afrika - mobilisieren. Da wir in Doha tagen, gibt es auch einen gewissen Anlass dafür, dass sich die arabischen Fonds an der Finanzierung dieser Investitionen in die Landwirtschaft beteiligen. Ich glaube, das wäre ein richtiges und gutes Signal. ({13}) Ich komme zum Schluss. Albert Einstein hat einmal gesagt: Es gibt keinen Fortschritt auf dieser Welt, solange es noch ein unglückliches Kind gibt. - Wir alle wissen, wie viele Millionen unglückliche, hungernde Kinder es gibt, deren Schicksal uns niemals gleichgültig sein darf. Die Millenniumsentwicklungsziele, denen wir uns alle verpflichtet fühlen, tragen mit dazu bei, dass wir Fortschritt erreichen, dass wir globale Verantwortung wahrnehmen und so auch Frieden befördern. Ich bedanke mich für die große Unterstützung und Ihr Engagement. Wir werden an diesen Fragen weiter dranbleiben. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Woche die letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode. Bald ist ja auch Weihnachten. Daher möchte ich als Abgeordneter gerne ein paar Wünsche an die künftige Regierung richten. Ich wünsche mir - ich glaube, da werden mir einige folgen - eine neue Schwerpunktsetzung in der Entwicklungspolitik, die vor allem auch im Haushalt ihren Niederschlag findet. Zum Beispiel brauchen wir dringend mehr Mittel für die Agrarforschung. Das ist heute Abend schon gesagt worden. Ich wünsche mir auch mehr Mittel für Wirtschaftspartnerschaften, vor allem im Bereich der Gesundheit. Der Anstieg bei den Haushaltsmitteln ist sehr zu begrüßen, aber er ist in Zeiten der Finanzkrise natürlich nicht selbstverständlich. Umso größer ist die Leistung zu schätzen, die dahintersteckt. Das verpflichtet uns als Politiker, mit diesen Mitteln noch zielbewusster und verantwortungsvoller umzugehen. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir eigentlich auch eine grundlegende Änderung in der Entwicklungszusammenarbeit. Die internationale Gemeinschaft und auch die Bundesregierung haben in den letzten Jahren die Entwicklung des ländlichen Raumes sträflich vernachlässigt. Das haben der Kollege Borchert und die Frau Ministerin heute schon angesprochen. Die Mittel sind 20 Jahre lang kontinuierlich gekürzt worden. Wir haben seit Jahren gepredigt, dass die Entwicklung des ländlichen Raumes eine der Uraufgaben von Entwicklungspolitik überhaupt ist. In dem Weltbankbericht, der uns vorgestellt worden ist, ist das kritisiert worden, und es ist aufgezeigt worden, welchen Entwicklungseffekt man hätte erzielen können, wenn man etwas getan hätte. Ich habe das hier schon mehrfach gesagt und brauche es eigentlich nicht zu wiederholen. Ich schaue dabei immer den Kollegen Raabe an. Ich habe es damals im Ausschuss so gesagt, wie ich es hier gesagt habe. Sie haben dazu gesagt, der Addicks will wohl am liebsten jedem eine Schaufel in die Hand drücken. Ich wiederhole es heute: Es sollte unsere Aufgabe sein, jedem Menschen in den Entwicklungsländern eine Schaufel in die Hand zu drücken - das meine ich im übertragenen Sinne -, damit er in die Lage versetzt wird, sich und seine Leute selbst zu versorgen. ({0}) Da haben wir leider wertvolle Jahre ungenutzt verstreichen lassen, und das angesichts von mehr als einer Milliarde hungernder und unterernährter Menschen. In diesen Zusammenhang passt sehr gut unsere Forderung nach Grüner Gentechnik, die wir gerade in der Entwicklungszusammenarbeit brauchen. Ich weiß, das gefällt den Kollegen von den Grünen gar nicht. Wir halten es für einen Luxus, darauf zu verzichten. Auf Stickstoffdünger zu verzichten, halten wir ebenfalls für einen großen Luxus. Es ist eine deutsche Erfindung, Stickstoff aus der Luft zu binden. Für das Haber-Bosch-Verfahren - Sie erinnern sich an die Chemiestunde, Herr Kollege Hoppe - wurde deutschen Forschern damals der Nobelpreis verliehen. Sie aber wollen das mal eben so kippen. Das halte ich insbesondere im Hinblick auf die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern für einen ganz großen Fehler. ({1}) Immerhin ist in der gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Nahrungsmittelsicherheit im Bundeskanzleramt ein Papier verfasst worden, dass diese Vorschläge zumindest in die Überlegungen einbezogen werden. Wir können nur hoffen, dass sich das auch in der Politik des BMZ fortsetzt. Im BMZ gibt es leider ein Basisproblem: Was die Frau Ministerin nicht will, das wird einfach nicht gemacht. Bei aller Liebe, Frau Ministerin: Sie sträuben sich seit Jahren ({2}) - es ist ja bald Weihnachten - gegen eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. ({3}) Gestern war eine Delegation vom BDI hier. Ganze vier Kollegen waren dabei. Es gab einen äußerst interessanten Vortrag. Vom BMZ habe ich da leider überhaupt niemanden gesichtet. Auch unsere Anhörung hat gezeigt: Wirtschaftliche Zusammenarbeit genießt bei Ihnen leider keine Priorität. Die Erkenntnis, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Basis für die Entwicklung eines Landes ist, hat doch bei der Namensgebung des Ministeriums Pate gestanden. Warum erkennen Sie nicht den Wert, den eine Verzahnung von wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung haben könnte? ({4}) Mein größter Wunsch an eine neue Bundesregierung wäre ein Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit; denn er ist notwendig. Ich erinnere an den Bonner Aufruf, den wir in weiten Teilen unterstützen. ({5}) Auch Sie, Frau Ministerin, sollten die Erkenntnisse aus diesem Aufruf unterstützen, in dem namhafte Fachleute zu Wort gekommen sind. Das sollte man zur Kenntnis nehmen, statt es einfach beiseitezuwischen und zur Tagesordnung überzugehen. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, um eine ehrliche Debatte über Fehlentwicklungen in der Entwicklungszusammenarbeit zu führen. Ich bin davon überzeugt, dass wir von der Armutsbekämpfung wegkommen müssen. So gut sie auch ist, ist die Armutsbekämpfung im Grunde eine symptombezogene Therapie. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen. Wir brauchen eine kausale Therapie, die an der Basis der Wertschöpfungsketten ansetzt - das wurde schon alles zigmal herunterdekliniert -: Dazu gehören Kleinhandel, Kleingewerbe, Handwerk und Landwirtschaft. Wir haben in Europa eine historische Erfahrung gemacht, wie Entwicklung verläuft. Warum setzen Sie das nicht um? ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist fast abgelaufen. Gestatten Sie gleichwohl noch eine Zwischenfrage des Kollegen Riester?

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Okay. Bitte, Herr Riester.

Walter Riester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003616, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, können Sie mir zustimmen, dass wir gestern bei dem von Ihnen erwähnten Gespräch mit dem BDI informiert worden sind, dass dieser Gesprächskreis vom BMZ mit 52 000 Euro finanziert wird und ein Mitarbeiter des BMZ abgeordnet ist, um diesen Kreis zu koordinieren? Wenn Sie mir zustimmen, dann korrigieren Sie bitte das, was Sie gerade gesagt haben. ({0})

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Riester, darin stimme ich Ihnen gerne zu. Aber was wollen Sie mit 52 000 Euro, die gestern genannt wurden und die Sie jetzt ins Spiel bringen? Sie müssten schon 52 Millionen Euro daraus machen. Dann wird vielleicht ein Schuh daraus. ({0}) - Ich meine nicht nur den Arbeitskreis. Das wissen Sie doch, Herr Riester. Aber okay, ich stimme Ihnen insoweit zu. Frau Ministerin, Sie fahren demnächst als Gesandte des UN-Generalsekretärs nach Doha. Meinen herzlichen Glückwunsch dazu. Das ist schön für Sie. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dort meine Forderung, die ich eben dargestellt habe, propagieren. Denn in der Entwicklungszusammenarbeit brauchen wir nicht nur mehr Geld. Mehr Geld wäre schön und gut, aber am dringendsten brauchen wir in der Entwicklungszusammenarbeit mehr Qualität und vor allen Dingen mehr Effizienz. Vielen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hartwig Fischer. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Phoenix überträgt direkt aus dem Parlament, aber nicht die Sendung „Wünsch dir was“, lieber Karl Addicks. ({0}) Wir sind gewählt worden, um politische Schwerpunkte zu setzen. Wir können auch den einen oder anderen Wunsch äußern, wie es Herr Hoppe getan hat, der mehr Haushaltsmittel anmahnt. Er gehört genau wie ich seit 2002 dem Parlament an und hat in seiner Rede zugegeben, dass heute alles besser ist. Die Grünen haben damals politische Verantwortung getragen und entsprechende Anträge gestellt, aber sie haben sich nicht durchsetzen können. Die Grünen haben sich in der Koalition sicherlich an die Vereinbarung gehalten, wie auch wir es heute tun. Aber wir haben - das hat Jochen Borchert deutlich gemacht - die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit innerhalb von drei Jahren verdoppelt und kommen damit dem Ziel, die MDGs zu erreichen, erheblich näher als andere. ({1}) Lieber Kollege Hoppe, wir haben die Emissionszertifikate als alternatives zusätzliches Finanzierungsinstrument. ({2}) Wir werden sehen, was sich in den nächsten drei bis vier Jahren daraus entwickelt. Dass diese Mittel nicht insgesamt in unseren Haushalt fließen, bedaure auch ich außerordentlich. ({3}) Ich würde diese Mittel auch lieber in unserem Haushalt sehen, als dass zu viel für andere Haushalte wie dem des BMU oder des AA abgezweigt wird. Wir hatten noch nie eine Bundesregierung, die uns in ihrem Haushaltsentwurf für das Parlament so viele Mittel zur Verfügung gestellt hat und uns damit ermöglicht hat, so viele internationale Verpflichtungen zu übernehmen. Sie hatte damit die Möglichkeit, nicht nur im multilateralen, sondern auch im bilateralen Bereich die Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Sie hat erreicht, dass NGOs, Stiftungen und Kirchen ihre Mittel aufgestockt haben. Ich werde noch auf Beispiele von Kirchen eingehen, die die Entwicklungspolitik für die Menschen und mit den Menschen vor Ort sehr attraktiv gestalten. Wir sind materiell richtig aufgestellt. Das ist angesichts der Situation, in der wir uns befinden, gut. Wer aber nicht den Anspruch an sich selbst stellt, noch besser zu werden - damit meine ich nicht nur das Materielle, sondern auch die Art und Weise, wie wir aufgestellt sind -, hat schon ein Stück seines Gestaltungsspielraums in der Politik aufgegeben. Wir können gemeinsam sicherlich noch mehr tun, als eine Länderliste aufzustellen. Wir haben das gemacht, um besser Schwerpunkte setzen und Hartwig Fischer ({4}) uns mit der EU abstimmen zu können. Aber ich möchte auch, dass die Erkennbarkeit deutscher Entwicklungszusammenarbeit nach außen durch Schwerpunktsetzungen verbessert wird. ({5}) Ich finde, daran können wir gemeinsam arbeiten. Dabei sollten wir uns an anderen Geberländern orientieren. Ich will als Beispiel die kanadische Entwicklungsagentur CIDA nennen. Die Kanadier betreiben eine vernetzte Außenpolitik der verschiedenen Ressorts. Es geht nicht darum, ob unsere Ressorts CDU/CSU- oder SPD-geführt sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die Kanadier erheblich vernetzter und kohärenter zusammenarbeiten, als das bei uns geschieht, und damit einen anderen Auftritt nach außen gerade in der Entwicklungszusammenarbeit haben. Ich bin der Überzeugung, dass das der richtige Weg ist, damit Deutschland auch in den multilateralen Einrichtungen mehr Gewicht bekommt, damit wir neue Schwerpunktsetzungen mitbestimmen können und nicht Getriebene von bestimmten Entwicklungen werden. Das ist einer der Ansatzpunkte, den wir nach meiner Meinung in der Großen Koalition noch verstärken müssen. ({6}) Das Gleiche gilt für die EU. Ich glaube, dass diese Vorgehensweise uns die Chance gibt, innerhalb der EUGremien Themen verstärkt zu bestimmen. Ich nenne ein Beispiel - hier müssen wir die Ministerin gemeinsam mit den anderen Ressorts unterstützen -, das uns alle umtreibt. Wir waren vor einiger Zeit mit einer Delegation auf den Kapverden, im Senegal und in Benin. Damals gab es den riesigen Wunsch - das gilt für ganz Afrika -: Helft uns, ein Satellitensystem aufzubauen, mit dem wir unsere Gewässer überwachen können, damit unsere Gewässer nicht von Fremden überfischt werden! Stellt uns zu den zwei Patrouillenbooten, die uns Portugal gegeben hat, weitere zur Verfügung, damit wir diejenigen überwachen können, die den Kokainhandel von Südamerika bzw. Lateinamerika aus über die Kapverden als Einfallstor zu Europa abwickeln und vor der westafrikanischen Küste Migrantenhandel betreiben, bei dem viele Menschen ertrinken! Das ist ein gemeinsames Projekt, bei dem die EU nach meiner Überzeugung die Meinungsführerschaft übernehmen muss. Denn was nutzt der Aufbau von Entwicklungsprojekten, wenn die Menschen die eigene Lebensgrundlage, zum Beispiel beim Fischen, verlieren? ({7}) Ich will auf die Schwerpunkte eingehen. Wir sind dankbar, dass die ländliche Entwicklung zu einem Schwerpunktthema gemacht wird. Das ist genau der richtige Zeitpunkt. Aber, Frau Ministerin, es gibt einen Punkt, über den wir in der Koalition ernsthaft diskutieren müssen; ich sage das angesichts meiner Kenntnisse von Afrika. In jedem Land, in dem wir in den letzten Jahren gewesen sind - das wird jeder, der dabei gewesen ist, bestätigen, egal welcher Fraktion er angehört -, wurden wir gefragt, warum wir uns weitestgehend aus der Bildungsarbeit zurückgezogen haben. Ich wünsche, dass wir bei den Verhandlungen - auch mit den Europäern - dafür sorgen, dass der Bereich der beruflichen Bildung ein Schwerpunkt wird. Hier geht es noch einmal um die Frage nach der Erkennbarkeit. Jedes Unternehmen versucht, einen Markenkern herauszuarbeiten, anhand dessen es identifiziert wird. Ich weiß, dass im Augenblick über die regenerativen Energien als Markenkern diskutiert wird, weil wir dort gut sind. Das ist im Hinblick auf die ländliche Entwicklung wichtig. Aber der Bildungsbereich ist von existenzieller Bedeutung in der Zusammenarbeit. Ich greife das auf, was Westdeutschland und die DDR früher gemacht haben; das kann man noch heute sehen. Damals handelte es sich um einen Kampf gegeneinander, der zeigen sollte, wer besser ist. In Angola beispielsweise trifft man heute die Eliten, die damals in Westoder Ostdeutschland ausgebildet wurden. Auf diese können wir zurückgreifen. Wir müssen deshalb die Bildungspolitik wieder zu einem Schwerpunkt machen. Das gilt auch im Hinblick auf die Verhandlungen auf der europäischen Ebene. ({8}) Noch einmal zur beruflichen Bildung: Wenn wir uns auf die Länder konzentrieren, in denen wir berufliche Bildung betreiben, und diese mit Mikrofinanzprogrammen unterstützen, dann wird die Konsequenz sein, dass die Menschen über eine technisch-gewerbliche oder kaufmännische Ausbildung aus dem informellen in den formellen Bereich überführt werden. Wir haben doch Projekte gesehen, in denen eine Person von jemandem, der selbst nicht ausgebildet war, dazu ausgebildet worden ist, mit einem Schraubenzieher ein Kfz zu reparieren. Diese Person hat einen Kredit in Höhe von 15 Euro erhalten und dafür Schraubenzieher und Schraubenschlüssel gekauft. Denselben Mann haben wir nach vier Jahren wiedergesehen. Er hatte nach vier Jahren den Anspruch auf einen Kredit von 10 000 Euro, weil er in der Zwischenzeit immer die kleinen und mittleren Kredite, die er aufgenommen hatte, abbezahlt hatte. Diese Person hat in den letzten zwei Jahren bereits acht Leute ausgebildet, sie hat jetzt acht Angestellte, und einige der Ausgebildeten machen sich ihrerseits selbstständig. Das ist nachhaltige Entwicklung, auf die wir meiner Meinung nach setzen müssen. ({9}) Lassen Sie mich noch einmal zu den NGOs kommen. Ich bin mit Kollegin Riemann-Hanewinckel - ich glaube, auch Frau Pfeiffer war dabei - in Äthiopien gewesen. Dort haben wir uns ein integriertes Projekt des Evangelischen Entwicklungsdienstes angesehen, in dem in den Bereichen Wasser, Gesundheit, Bildung und ländliche Entwicklung gearbeitet wurde. Wir haben erlebt, dass sich die Lebenssituation insbesondere der Frauen, aber auch der Familien insgesamt in vier Jahren deutlich verbessert hat. Das war kein Projekt der staatlichen Hartwig Fischer ({10}) Zusammenarbeit, sondern ein integriertes Projekt. Wir müssen uns auf Sektoren konzentrieren, aber für solche Projekte der NGOs oder der Kirchen sind die Mittel angebracht, wenn die Projekte so durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich eines sagen: In einem kleinräumlichen Bereich hat man erreicht, dass das elende Thema Beschneidung offen angesprochen wurde. In dieser Region wurden in der Folge die Mädchen nicht mehr beschnitten, weil man durch Argumentation überzeugt und den Menschen durch Bildungs- und Gesundheitsangebote geholfen hat. ({11}) Die Redezeit ist leider immer zu kurz. Deshalb lassen Sie mich ein Thema, das eigentlich viel mehr in den Mittelpunkt gehört und das Sie bei meiner Rede erwartet haben, ansprechen. Es betrifft die Regionen Darfur und Kongo. Über Darfur wird im Augenblick nicht viel geredet, weil die Fernsehbilder von der Situation im Kongo beherrscht werden. Das wird in einem Vierteljahr wieder anders sein. Dann wird Darfur wieder im Vordergrund stehen, und es geht immer so weiter. Wir haben letzte Woche über das Thema gesprochen. Die UN sind bei diesen beiden Mandaten in einer absoluten Glaubwürdigkeitskrise. Die UN haben gestern zum internationalen Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen aufgerufen. Wenn man das tut, dann muss man auch das Mandat in Darfur und das Mandat im Kongo konsequent umsetzen. ({12}) Frau Ministerin, ich glaube, das ist einer der Punkte, bei denen ich mit einigen Personen nicht übereinstimme. Man kann jetzt nach einer europäischen Battle-Group rufen. Ich bin der Letzte, der sich nicht für Artemis und die Bundeswehreinsätze bei der Wahlüberwachung eingesetzt hätte. Aber wir haben ein MONUC-Mandat, das insbesondere deshalb ein zahnloser Tiger ist, weil es in dem Mandat heißt, dass MONUC die kongolesische Armee bei der Entwaffnung der Milizen und Rebellen unterstützt. Mit dieser kongolesischen Armee kann ich keine Entwaffnung vornehmen. Das muss Aufgabe der MONUC sein. Gestern wurde in Diskussionen gesagt, es handele sich um eine zusammengewürfelte Truppe. Die Militärs dort - 16 475 an der Zahl - sind aus 18 Ländern. Das mag man als zusammengewürfelt ansehen. Aber alleine aus vier Ländern kommen 11 300 Soldaten. Die Inder, die Pakistaner, die Südafrikaner und die Uruguayer haben dort hervorragende Leute. Ich will das Licht auch der anderen fünf wichtigen afrikanischen Länder nicht unter den Scheffel stellen. 80 Prozent der Soldaten kommen aus neun Ländern. Wir müssen diese Truppe weiter technisch ausstatten, und wir müssen sie in die Lage versetzen, ihren Auftrag dort umzusetzen. ({13}) - Wir haben zwölf Zivilisten. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch wir uns stärker im zivilen Bereich engagieren können. Aber die deutsche Bundeswehr kann nicht an jeder Stelle eingesetzt werden. Erst muss die MONUC ihren Auftrag mit ihren Möglichkeiten umsetzen. Frau Präsidentin, ich sehe das Zeichen, dass meine Redezeit zu Ende ist. - Ich bedanke mich bei allen, die an diesem Haushalt mitgearbeitet haben. Ich wünsche uns bei der Umsetzung viel Erfolg und hoffe auf die entsprechenden Schwerpunktsetzungen im Laufe des kommenden Haushaltsjahres. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner ist der Kollege Sascha Raabe für die SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt das Jahr 2008. 1998 hat unsere Ministerin ihr Amt übernommen. Wir haben neulich im Rahmen einer Veranstaltung unserer Arbeitsgruppe einen Rückblick gehalten und überlegt, was in den letzten zehn Jahren geschehen ist. Diese Haushaltsdebatte ist vielleicht für viele Kollegen die letzte in dieser Legislaturperiode. Manche treten nicht wieder an oder werden nicht wieder gewählt. Bei uns sind mittlerweile fast 10 Milliarden Euro ODA-anrechnungsfähig; davon entfallen fast 6 Milliarden Euro auf den Einzelplan 23. Wir sind weltweit der zweitgrößte Geber für Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube, das ist etwas, worauf wir alle gemeinsam stolz sein können. ({0}) Wir haben in diesem Jahr schon wieder einen Mittelzuwachs in zweistelliger Millionenhöhe in diesem Bereich. Wie gesagt, brauchen wir ihn angesichts der Armut in dieser Welt und der Millenniumsziele, die wir noch erreichen müssen, wirklich unbedingt. Wir haben die Mittel für die Nichtregierungsorganisationen seit 1998 mehr als verdoppelt. Herr Dr. Addicks, wir haben seit 1998 3 000 Public-Private-Partnerships geschaffen. Was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, das stimmt nicht. Obwohl ich Sie persönlich schätze, muss ich sagen: In Ihrer Rede war so viel Unfug - darauf muss ich noch ein paarmal zu sprechen kommen -; das war unterirdisch und grottenschlecht. ({1}) Wir haben den Zivilen Friedensdienst neu geschaffen. Wir sorgen jetzt für eine Mittelsteigerung von fast 60 Prozent. Wir haben den politischen Stiftungen in den letzten Jahren umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt; im nächsten Haushalt werden es noch einmal 10 Millionen Euro sein. Manchmal wird gefragt: Wo sind die Erfolge der Entwicklungspolitik sichtbar? Darauf möchte ich antworten: Wir haben es mit den politischen Stiftungen zum Beispiel in Lateinamerika - neben anderen Stiftungen ist die Friedrich-Ebert-Stiftung dort sehr stark und erfolgreich und mit dem, was das BMZ und die Durchführungsorganisationen machen - Schwerpunkte sind Demokratisierungsprozesse, öffentliche Verwaltung, Partizipation - geschafft, dass alle Länder dieses Kontinents, der noch vor 10 oder 15 Jahren von Militärputschen in vielen Ländern gekennzeichnet war, demokratisch gewählte Regierungen haben. Wir haben es zum Beispiel in einem Land wie Kolumbien, das sehr fragil ist, über unsere Konfliktprävention, über Friedensprozesse, aber auch über die Mittel, die wir dort in den Rechtsstaat, in die Justiz, investieren, geschafft, dass dort Missstände aufgedeckt werden, dass Generäle und Politiker, auch hochrangige, vor Gericht gestellt werden. Wir haben es mit unserer Entwicklungshilfe geschafft, dass in vielen Ländern sogar Personen, die früher für uns gearbeitet haben - sei es der Generalstaatsanwalt in Kolumbien, sei es Alberto Acosta, ehemaliger Präsident der verfassunggebenden Versammlung in Ecuador -, heute in verantwortlichen Positionen sind. Lateinamerika ist mittlerweile wirklich demokratisch. Ohne jetzt überheblich sein zu wollen, glaube ich sagen zu können: Das ist mit ein kleiner Erfolg dessen, was wir hier an Entwicklungszusammenarbeit geleistet haben. ({2}) Das ist sowieso ein Markenzeichen der Entwicklungspolitik, seit Heidemarie Wieczorek-Zeul dieses Ressort leitet, seitdem es also sozialdemokratisch geführt wird. Wir haben eben auch die globale Strukturpolitik zum Thema gemacht, Herr Dr. Addicks. Zu dem, was Sie immer wieder hinsichtlich der Schaufeln sagen - Stichwort „Projektitis“, unter der wir all die Jahre zuvor gelitten haben -: Was hat es in den letzten Jahren genutzt, für Hühnerzuchten und für andere kleinteilige landwirtschaftliche Bereiche Geld ausgegeben zu haben, wenn die entsprechenden Hühner zum Beispiel durch die Agrarpolitik der WTO gar nicht verkauft werden konnten? Wir werden deshalb auch für ein gerechtes Welthandelssystem sorgen müssen, das Menschen nicht nur die Möglichkeit gibt, Hühner zu halten und Landwirtschaft zu betreiben, sondern auch, sie zu fairen und gerechten Preisen zu verkaufen. Das ist ganz wichtig. Erst jetzt, wo die Weltmarktpreise von Agrargütern wieder hoch sind, ist es richtig, wieder verstärkt in Landwirtschaft zu investieren. Aber ich sage Ihnen auch: Bei bald 9 Milliarden Menschen werden wir nur mit Subsistenzlandwirtschaft sicherlich nicht weit kommen; vielmehr ist ländliche Entwicklung für uns umfassend.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Pfeiffer möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Raabe, eigentlich wollte ich darauf nicht eingehen. Aber nachdem Sie es jetzt zum dritten, vierten oder fünften Mal wiederholt haben, möchte ich Sie fragen: Stimmen Sie mir zu, dass der Aufwuchs im BMZ nicht seit dem Tag existiert, an dem Frau Wieczorek-Zeul Ministerin wurde, sondern seit dem Zeitpunkt, an dem ein Wechsel im Kanzleramt stattgefunden hat? Erst dann hatten wir einen Aufwuchs in diesem Einzelplan.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Pfeiffer, ich finde es jetzt ein bisschen kleinlich, zu schauen, in welchem Jahr es welche Mittelaufwüchse gab. Ich habe mit Blick auf die Leistungen, die wir seit 1998, liebe Kollegin Pfeiffer, hier eingeführt haben, darauf hingewiesen, dass wir globale Strukturpolitik betrieben haben, zum Beispiel, indem wir die Mittel für zivilgesellschaftliches Engagement verdoppelt haben. Natürlich gab es auch große Steigerungen, seitdem unsere Ministerin im Amt ist. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl ist die ODA-Quote auf, ich glaube, 0,26 heruntergefahren worden. Wir haben sie unter Rot-Grün auf 0,36 oder 0,38 gesteigert. Jetzt haben wir sie weiter erhöht. Dank der Initiative der Ministerin haben wir in Köln die Entschuldungsinitiative auf den Weg gebracht. ({0}) - Ich bin mit der Antwort noch nicht fertig. - Dadurch ist es gelungen, über 29 Millionen Kinder in Afrika wieder in die Schule zu bringen. Die Ministerin ist immer noch, zu Recht, mit voller Kraft im Amt. Wenn es in den letzten zwei, drei Jahren kräftige Steigerungen gegeben hat, dann ist das - das muss man doch sagen - der Fachministerin geschuldet. ({1}) Wir freuen uns aber, dass wir es nach so vielen Jahren geschafft haben, liebe Frau Pfeiffer, auch die Kollegen der CDU/CSU davon zu überzeugen, dass mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. ({2}) - Nein, ich beantworte Ihre Frage noch. ({3}) Selbst Ihre Kanzlerin - den Satz möchte ich Ihnen noch als Antwort geben - haben wir überzeugen können, dass bei der WTO die Umwelt- und Sozialstandards ins Regelwerk aufgenommen werden müssen, was wir unter Rot-Grün schon immer gefordert haben. ({4}) Es freut uns, dass jetzt endlich auch die Kanzlerin unseren Anregungen folgt. Wir freuen uns, dass Sie mit im Boot sind. Jetzt bin ich mit der Antwort fertig. ({5}) Sehr schön. Erst jetzt tickt die Uhr hier weiter. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war beim Bereich der globalen Strukturpolitik stehen geblieben. Natürlich gehört die Klimaschutzpolitik zu den Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben uns auch um die globalen Zukunftsfragen zu kümmern. Herr Königshaus, Sie haben kritisiert, dass wir mit Indonesien, Brasilien und Indien noch Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Ich frage mich manchmal, warum Sie mit dem Kollegen Klimke immer dorthin fahren, wenn am Ende doch kein Lerneffekt eintritt. ({6}) Indien ist ein Land, in dem 350 Millionen Menschen von weniger als einem Dollar am Tag leben. Es ist das Land mit den meisten extrem Armen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, jetzt muss ich Sie noch einmal unterbrechen. Der Kollege Königshaus hätte auch noch eine Zwischenfrage.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr gern. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Je länger die Redezeit ist, desto klarer wird, was er nicht weiß. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da machen Sie es mir ja sehr leicht.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bevor Sie in dieser Art fortfahren, will ich Ihnen einfach eine Frage stellen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich mich nicht gegen die Zusammenarbeit mit den genannten Ländern ausgesprochen habe? Ich habe vielmehr gesagt: Wir müssen sie an die Hand nehmen und mit ihnen gemeinsam diese Politik betreiben, und zwar auch gegenüber Dritten. Insbesondere habe ich das Beispiel Indien genannt, wo tatsächlich die Bereitschaft vorhanden ist, gemeinsam zu handeln. - Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? Dann können Sie Ihre Suada fortführen. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Königshaus, wenn Sie mir die Gelegenheit zur Antwort geben: Das ist das Spiel, das Sie schon immer auch mit China gespielt haben. Jedes Mal, wenn wir Sie konkret darauf festgenagelt haben, wenn wir Ihnen aufgezeigt haben, warum wir auch mit China noch Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel im Klima- und Energiebereich, betreiben sollten - oder mit Indien oder mit anderen Ländern, Indonesien etwa, wo wir den Tropenwald schützen -, haben Sie erklärt, Sie hätten das so gar nicht gesagt. ({0}) In jedem Zeitungsinterview sagen Sie - das kann ich hier zitieren -, 260 Millionen Euro sollten nicht mehr gegeben werden. Ihr Fraktionsvorsitzender Westerwelle, Herr Kollege Königshaus, hat in jeder Haushaltsberatung angeprangert, dass wir mit diesen Ländern Entwicklungszusammenarbeit betreiben. ({1}) Wenn wir Sie dann konkret darauf hinweisen, was wir dort tun, dann werden Sie immer ganz schnell kleinlaut und sagen: Das alles sollte man schon machen. - Jetzt erklären Sie, ausgerechnet Sie - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -: Wir wollen das mit den Ländern dort gemeinsam machen. Das ist mit Ihnen manchmal wie mit einem kleinen Schulkind. Man muss immer wieder erklären, was Budgethilfe eigentlich bedeutet. Wir erklären Ihnen jedes Mal wieder, dass Budgethilfe, wenn sie gut konditioniert ist, dazu führt, dass die Eigenverantwortung der Partnerländer gestärkt wird. - Würden Sie mir zuhören, Herr Königshaus? Aber Sie begreifen es ja auch beim zehnten Mal nicht, glaube ich; dann ist es eigentlich egal, und dann können Sie sich weiter mit anderen unterhalten. Sie kritisieren auf der einen Seite, dass wir Budgethilfe geben, fordern aber auf der anderen Seite, dass wir mit den Partnerländern gemeinsam Projekte durchführen. Das machen wir längst. Wir sind da schon ein paar Quantensprünge weiter als Sie. Wenn wir die Klimaprobleme lösen wollen, Herr Königshaus, dann müssen und werden wir weiterhin mit Indonesien zusammenarbeiten, wo die größten verbliebenen Tropenwälder sind. Fast 18 Prozent des CO2-Ausstoßes stammen aus der Rodung von Regenwäldern. Gerade in Indonesien werden wir weiter Tropenwaldschutz brauchen. Herr Kollege Königshaus, Sie müssen sich einmal eines überlegen - ein bisschen Mathe, die Grundrechenarten haben Sie bestimmt drauf -: In den Ländern leben fast 2 Milliarden Menschen, nämlich 1,75 Milliarden. Wenn Sie die 260 Millionen Euro einmal zu dieser Zahl ins Verhältnis setzen, werden Sie feststellen, dass wir pro Kopf in diesen Ländern wesentlich weniger aufwenden als pro Kopf in den afrikanischen Ländern. ({2}) Sie werden auch feststellen, Herr Königshaus, dass wir ohne diese Länder, in denen in den nächsten Jahren das größte Bevölkerungswachstum stattfinden wird, unsere Klimaprobleme nicht lösen können. ({3}) In dem Sinne: Hören Sie doch einfach einmal zu. Nehmen Sie die entsprechenden Erfahrungen von den Reisen mit, und erzählen Sie hier nicht immer das Gegenteil von dem, was Sie dort erfahren haben. Die Frage ist, wie ich glaube, jetzt beantwortet. ({4}) Ich könnte auch noch zehn Minuten weiterreden, aber für Sie, Herr Dr. Addicks, werden zwei mal zwei immer fünf sein. Sie werden es einfach nicht begreifen. ({5}) Nachdem Sie, Herr Dr. Addicks, sich hier mehr Mittel für Gesundheit gewünscht haben und Sie gefordert haben, den Kleinbauern dadurch zu helfen, dass man ihnen eine Schaufel in die Hand gibt, verstehe ich nicht, dass Sie dann am Ende die Dreistigkeit hatten - ich habe wirklich gedacht, Sie hätten sich davon schon längst distanziert; man unterschreibt ja manchmal auch irgendeinen Blödsinn -, noch einmal den Bonner Aufruf zu zitieren und sogar zu sagen, Sie seien stolz darauf, dass Sie den unterschrieben haben. ({6}) Sie sind der entwicklungspolitische Sprecher der FDPBundestagsfraktion. Als solcher unterschreiben Sie einen Aufruf, in dem steht: Politische Beschlüsse, die Entwicklungshilfe für Afrika zu verdoppeln, sind unvernünftig und gefährlich. Wer so etwas sagt, der ist nicht nur unvernünftig, der ist auch dumm und zynisch. Das möchte ich Ihnen, Herr Dr. Addicks, einmal sagen. ({7}) Wer selbstgefällig in der ersten Reihe sitzt und sagt, dass wir den ärmsten Menschen, die vor Hunger und Armut sterben, nicht mehr Geld, nicht mehr Hilfe zur Selbsthilfe geben sollen, ({8}) und unterschreibt, dass es unvernünftig sei, die Hilfe für Afrika zu verdoppeln, dem kann ich nur sagen: Wenn man Menschen, die hungern, das Brot wegnimmt, wenn man Menschen, die hungern, sozusagen ihre Schaufel wegnimmt, mit der sie Nahrungsmittel anbauen könnten, wenn man Menschen, die hungern, nicht mehr helfen möchte, indem man einen so dümmlichen Aufruf mit unterschreibt, Herr Dr. Addicks, und darauf auch noch stolz ist, dann ist jeder Konsens unter Entwicklungspolitikern aufgehoben. ({9}) Für jemanden, der so etwas unterschreibt - das tut mir wirklich leid -, habe ich kein Verständnis. ({10}) An dieser Stelle sollten Sie vielleicht auch noch einmal darüber nachdenken, ob Sie sich in der Vorweihnachtszeit nicht dazu durchringen könnten, zu sagen, dass auch die Menschen in Afrika unsere Solidarität verdient haben, insbesondere über Maßnahmen unserer Durchführungsorganisationen und der Nichtregierungsorganisationen. Vor diesem Hintergrund sollten wir alle dem Haushalt zustimmen. Manche von uns sollten sich vielleicht auch noch einmal überlegen, ob es nicht wirklich bitter ist, wenn man einen Aufruf unterschreibt, der es für unvernünftig hält, den Menschen in Afrika zu helfen. In diesem Sinne: Stimmen Sie unserem Haushalt zu. ({11}) Damit tun Sie den Menschen in den ärmsten Ländern einen großen Gefallen. Danke. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/11052? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. November 2008, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und schließe die Sitzung.