Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zu unserer Haushaltswoche. Wir treten nachher
in die abschließenden Beratungen und Entscheidungen
über den Bundeshaushalt 2009 ein.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich den Kollegen Hartwig Fischer und Dr. Christoph Bergner zu
ihrem 60. Geburtstag gratulieren, den sie vor einigen Tagen begangen haben. Aus eigener jüngerer Erfahrung
weiß ich, dass es schlimmere Schicksale im Leben gibt,
als 60 Jahre alt zu werden. Alle guten Wünsche für die
nächsten Jahre und Jahrzehnte.
({0})
- Ich nehme das mit Dank und Respekt zur Kenntnis.
Am 31. Dezember enden turnusgemäß die Amtszeit
des Kollegen Jürgen Koppelin und die Amtszeit des Kollegen Oskar Lafontaine. Bevor sich jetzt Panik breitmacht: Gemeint ist nicht die Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag, sondern die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
({1})
Für die FDP-Fraktion soll erneut der Kollege Jürgen
Koppelin bestellt werden. Sind Sie damit einverstanden? ({2})
Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege
Koppelin gewählt.
Die Fraktion Die Linke schlägt als neues Mitglied die
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch vor. Sind Sie auch damit
einverstanden? ({3})
Dazu gibt es zwar Zwischenrufe, aber keinen erkennbaren Widerspruch. Dann ist auch die Kollegin Lötzsch in
den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau
gewählt.
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die im Ältestenrat erörterte und unter
Vorbehalt gestellte Tagesordnung durch das Plenum feststellen zu lassen, da eine Vereinbarung über die Tagesordnung im Sinne des § 20 Abs. 1 der Geschäftsordnung
nicht zu erreichen war. Zur Änderung der Tagesordnung
liegen fristgerechte Anträge der Fraktionen der FDP, der
Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Dazu gibt es nun eine kurze Geschäftsordnungsdebatte. Ich erteile zunächst das Wort dem Kollegen
Koppelin.
({4})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Haushaltswoche im Bundestag ist immer eine besondere
Woche. Es geht schließlich um das wichtigste Recht des
Parlaments, das Budgetrecht. Mit der Haushaltswoche
nimmt das Parlament Einfluss auf Ein- und Ausgaben
und damit auf die Grundzüge der Politik. Die intensiven
Debatten spiegeln die Beratungen in den Fachausschüssen und im Haushaltsausschuss wider.
Gerade dann, wenn die Zeiten schwieriger werden,
haben die Bürgerinnen und Bürger Anspruch darauf,
dass hier im Bundestag zeitlich ausreichend debattiert
wird, um unterschiedliche Argumente von Regierungsund Oppositionsfraktionen zu hören. Wir brauchen Zeit,
um uns austauschen zu können.
Damit genügend Debattenzeiten für die Regierung,
die Regierungsfraktionen und die Opposition zur Verfügung stehen, verzichtet das Parlament sogar auf die sonst
üblichen Tagesordnungspunkte einer Sitzungswoche:
auf die Befragung der Bundesregierung, auf die Fragestunde und auch auf Aktuelle Stunden. Die völlig unmöglichen Äußerungen des Bundesinnenministers, Wolfgang
Schäuble, zu möglichen neuen Abstimmungsregelungen
Redetext
im Bundesrat wären den Freien Demokraten in dieser
Woche sicherlich eine Aktuelle Stunde wert gewesen.
({0})
Es ist jedoch Haushaltswoche. Also nehmen wir als
Oppositionsfraktion Rücksicht auf das Königsrecht des
Parlaments, über den Bundeshaushalt 2009 ausführlich
zu diskutieren, und haben keine Aktuelle Stunde beantragt. Nicht so die Koalition, nicht so die Regierungsseite: Sie nehmen keine Rücksicht auf das Parlament.
Sie wollen die Redezeiten für die meisten Einzeletats
kürzen, um über einen Gesetzentwurf der CDU/CSU
und der SPD sowie zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung zu beraten, darunter auch den Gesetzentwurf
über die Erbschaftsteuer. Es hat immer interfraktionelle
Vereinbarungen gegeben, keine weiteren Themen in der
Haushaltswoche auf die Tagesordnung zu setzen. Sie
brechen jetzt diese Vereinbarung.
Nun wird die Koalition sagen: Das Gesetz über die
Erbschaftsteuer muss ja bis Ende des Jahres beschlossen
werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben über ein Jahr Zeit gehabt, diesen Gesetzentwurf hier zu beraten und zu verabschieden.
({1})
Ihr Streit in der Koalition über das Gesetz hat dazu geführt, dass Sie den Gesetzentwurf nun in letzter Minute
vorlegen; in den Fachausschüssen ist er nicht einmal zu
Ende beraten worden.
({2})
Jetzt soll in der Haushaltswoche die Beratung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Das ist eine Missachtung
der intensiven Haushaltsberatungen in den Ausschüssen.
Das ist auch eine Missachtung der Haushaltspolitiker aller Fraktionen, die der Öffentlichkeit hier die Ergebnisse
ihrer Beratungen in den Ausschüssen ausführlich vortragen wollen.
Um die Aufsetzung der Debatte über Ihre Gesetzentwürfe in dieser Woche durchzusetzen, reduzieren Sie
einfach die Debattenzeiten bei wichtigen Etats. Finden
Sie es wirklich in Ordnung, dass große Etats wie die der
Ministerien für Arbeit und Soziales, der Verteidigung
und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der
Umweltetat, der Etat des Ministeriums für Bildung und
Forschung, der wichtige Innenetat und der Etat des Verkehrsministers jeweils nur in 75 Minuten abgehandelt
werden sollen? Wir finden das nicht in Ordnung.
({3})
Ein anderer Bereich: Wir würden auch gern mit der
neuen Landwirtschaftsministerin über die Verhandlungsergebnisse von Brüssel intensiv diskutieren. Sie geben
uns nicht die Möglichkeit dazu.
({4})
Komisch ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Koalition, dass Sie in zwei Bereichen nicht kürzen. Da
wollen Sie bewusst, dass Ihre Leute lange Redezeiten
haben. Dies betrifft den Bereich der Kanzlerin und erstaunlicherweise auch den Bereich des Kanzlerkandidaten der SPD. Da kürzen Sie nicht. Ein Schelm, der Böses
dabei denkt.
({5})
Wir sind der Auffassung, es wäre in diesen schwierigen Zeiten richtig gewesen, die Redezeiten über diesen
schwierigen Etat sogar zu verlängern und noch intensiver
zu diskutieren. Das hätten wir für angemessen gehalten.
Nein, Sie reduzieren die Redezeiten. Damit reduzieren Sie
vor allem die Redezeiten der Oppositionsfraktionen, die
sowieso schon wesentlich weniger Redezeiten haben als
Sie. Sie beschneiden unser Recht als Opposition. Opposition gehört zu einer lebendigen Demokratie. Ohne
Rücksicht wollen Sie jetzt Ihre Gesetzentwürfe auf die
Tagesordnung setzen und unsere Redezeiten kürzen.
({6})
Aufgrund der Schwerfälligkeit der Großen Koalition
und ihrer Unfähigkeit, zügig zu Ergebnissen zu kommen, manipulieren Sie jetzt die Tagesordnung dieser
Woche. Dafür werden Sie unsere Zustimmung nicht bekommen. Das machen wir nicht mit.
({7})
Das Wort erhält der Kollege Norbert Röttgen für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Koppelin, in der Sache haben Sie beantragt,
dass sich der Deutsche Bundestag in der Lage, in der unser Land ist, nicht mit den politischen Maßnahmen, die
der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage dienen, beschäftigen soll.
({0})
Glauben Sie, dass die Bürger Verständnis dafür haben,
dass sich der Bundestag, ihre Volksvertretung, nicht mit
der Wirtschaftslage beschäftigt? Ich glaube, dafür hat
kein Mensch Verständnis.
({1})
Die Politik steht vielmehr in der Verantwortung. Wir
nehmen sie durch Beratung und Entscheidung wahr. Das
wird diese Woche geschehen.
({2})
- Ja, Sie dürfen gegen alles sein. Das ist Ihr gutes Recht.
({3})
Aber die Position, überhaupt nicht darüber reden zu wollen, ist keine sehr überzeugende politische Haltung.
Vielleicht liegt es daran, dass die Argumente nicht so gut
sind.
Jetzt zu den von Ihnen vorgetragenen Argumenten.
Sie sagen, dass die Debattenzeit für die Beratung des
Haushalts beschnitten wird. Das darf natürlich nicht
sein, und darum wird das auch nicht sein; das ist gar
keine Frage. Das ist auch völlig unstrittig hier im Hause.
Wir haben - ich habe es einmal zusammengerechnet zur Beratung des Haushalts eine Debattenzeit von rund
25 Stunden. Wenn Sie selber nicht das Zutrauen haben,
innerhalb von 25 Stunden Ihre Kritik am Bundeshaushalt zu artikulieren,
({4})
dann würde ich einmal selbstkritisch fragen, ob es wirklich an der Quantität der Debattenzeit oder ob es nicht
doch an der Qualität Ihrer Argumente liegt, dass Sie mit
Ihrer Kritik nicht durchdringen. Ich würde die Dinge
einfach etwas selbstkritischer angehen.
({5})
Sie sagen weiterhin, wir hätten keine Zeit. Wenn wir
diese zusätzliche Debatte heute nicht führen würden,
dann wäre die Sitzung des Plenums um 16.40 Uhr zu
Ende. Mit diesem Debattenpunkt müssen wir bis
17.50 Uhr arbeiten.
({6})
Ich bin dagegen, dass wir dramatisierende Reden zur
wirtschaftlichen Lage halten. Aber die wirtschaftliche
Lage ist doch immerhin so ernst, dass wir uns selber abverlangen können, heute bis 18 Uhr zu debattieren und
zu arbeiten. Darum finde ich das relativ albern.
({7})
Der Grundsatz, den Sie aufgestellt haben, dass in der
Haushaltswoche nie ein anderer Punkt aufgesetzt werden
soll, existiert nicht. Das Debattenrecht wird nicht beschnitten. Es ist so, dass jede Fraktion dieses Hauses die PDS-Fraktion, die Linke-Fraktion,
({8})
die SPD-Fraktion, die Grüne-Fraktion, die CDU/CSUFraktion und die FDP-Fraktion - in früheren Haushaltsdebatten beantragt hat, Punkte zusätzlich aufzusetzen.
Auch Sie selber haben das getan, was Sie heute kritisieren. Jede Fraktion hat das getan. Es hat auch schon jede
Fraktion dagegengeredet. Einmal in jeder Legislaturperiode findet eine solche grundsätzliche Geschäftsordnungsdebatte statt. Es ist also eine Art Ritual, das ich gar
nicht so stark kritisieren möchte. Aber man muss wissen,
worum es sich hier handelt.
Ich möchte mit einer Bemerkung abschließen, die ich
politisch sehr ernst meine. Wir haben hier in den letzten
Wochen über die globale Finanzmarktkrise, die auch unser Land trifft, wiederholt ernsthaft, intensiv und
engagiert diskutiert. Ich glaube, dass das völlig richtig
war. Wir haben die Situation eines Zusammentreffens einer globalen Finanzmarktkrise mit einem zyklischen,
globalen, konjunkturellen wirtschaftlichen Abschwung.
In einer solchen Situation kann sich der Bundestag nicht
der Debatte entziehen: Was kann die Politik leisten, um
die Auswirkungen dieser wirtschaftlichen und finanziellen Krise auf die Unternehmen, die Arbeitnehmer und
die Verbraucher abzulindern?
({9})
Was kann hier die Politik tun? Es geht um die Verantwortung der Politik, in die wir gestellt sind. Die Große
Koalition wird diese Verantwortung wahrnehmen.
({10})
Es ist Ihr gutes Recht zu kritisieren. Aber zu verlangen, dass sich die Politik mit dieser Lage nicht beschäftigt, ist keine überzeugende politische Position. Wir werden das zur Kenntnis nehmen. Wir werden abstimmen.
Wir versuchen, unserer Verantwortung gerecht zu werden: durch Beratung, durch Entscheidung, durch Problemlösung. Das wird die Große Koalition leisten.
Danke.
({11})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin
Dr. Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke
stimmt der veränderten Tagesordnung nicht zu.
({0})
Ja, es ist gute Sitte dieses Hauses, dass eine Haushaltswoche tatsächlich eine Haushaltswoche ist und bleibt.
({1})
Es wurden immer vereinzelt Anträge eingebracht, über
deren Behandlung wir uns einvernehmlich geeinigt haben. Aber was wollen Sie heute? Sie wollen drei schwergewichtige Themen zusätzlich auf die Tagesordnung setzen. Das zeigt eines ganz deutlich: Zu Zeiten großer
Koalitionen verkommen die guten Sitten.
Kollege Röttgen hat gerade wieder gesagt, es gebe einen politischen Handlungszwang, wir müssten heute und
jetzt über ein Konjunkturprogramm reden, die Bürgerinnen und Bürger würden das von uns erwarten. - Ja, Kollege Röttgen hat recht.
({2})
Aber seriöse Wirtschaftswissenschaftler fordern seit
Monaten ein Konjunkturprogramm und machen seit Monaten darauf aufmerksam, dass es einen wirtschaftlichen
Abschwung gibt. Ihr Kollege, Wirtschaftsminister Glos,
war es, der vor Monaten ein Konjunkturprogramm gefordert hat.
({3})
Kollege Glos, wir haben Sie darin unterstützt. Auch die
Linke fordert seit Monaten ein Konjunkturprogramm,
das diesem Namen tatsächlich gerecht wird. Das heißt,
es gab genug Zeit. Sie hätten rechtzeitig handeln können
und auch handeln müssen. Sie haben sich in der Koalition nicht einigen können. Deswegen soll nun in der
Haushaltswoche hopplahopp ein Konjunkturprogramm
verabschiedet werden.
({4})
Zur Erbschaftsteuer. Das Bundesverfassungsgericht
hat den Gesetzgeber bereits im Januar 2007 aufgefordert, die Erbschaftsteuer zu reformieren. Ich wiederhole:
im Januar 2007. Das ist fast zwei Jahre her. Das heißt,
Sie haben genug Zeit gehabt, uns Ihre Vorschläge rechtzeitig vorzulegen.
({5})
Das Thema Erbschaftsteuer stand mehrfach auf unserer
Tagesordnung. Aber in der Koalition gab es Streit. Die
CSU wollte nicht so, wie Sie wollten, und auch die SPD
wollte nicht so, wie Sie wollten. Deswegen steht die Erbschaftsteuer in dieser Woche erneut auf unserer Tagesordnung, sozusagen auf den letzten Drücker. Nun muss
es also ganz schnell gehen.
({6})
Ein weiteres Beispiel ist das Jahressteuergesetz, das
in dieser Woche ebenfalls debattiert werden soll. Es
stand bereits in der letzten Sitzungswoche auf unserer
Tagesordnung. In der Ausschusssitzung, die am Abend
zuvor stattfand, wurden 70 Änderungsanträge eingebracht. Sogar in der letzten Ausschusssitzung wurden,
wie ich gehört habe, noch Änderungsanträge eingebracht.
({7})
Da selbst Abgeordnete der Koalition nicht mehr durchgeblickt haben, haben Sie den Gesetzentwurf schnell
von der Tagesordnung genommen. Damit er noch verabschiedet werden kann, mussten Sie ihn allerdings in dieser Woche auf die Tagesordnung setzen.
Offenkundig hat die Koalition Angst, dass ihr die
mühsam gefundenen Kompromisse in irgendeiner Form
verlorengehen bzw. dass Bruchstellen entstehen; bereits
jetzt wird ja über Konsumguthaben, Steuervergünstigungen usw. diskutiert. Sie haben Angst, dass Ihnen Ihre
Mehrheiten flöten gehen. Deswegen wollen Sie jetzt in
der Haushaltswoche schnell handeln.
Sie haben sich in der Koalition nicht einigen können.
Damit verstoßen Sie gegen die guten Sitten des Parlaments.
({8})
Aber, meine Damen und Herren, das ist kein Kavaliersdelikt. Die Opposition ist für Sie offenkundig nur Spielmasse. Bei Ihrem Vorgehen missachten Sie die Minderheiten; auch das muss deutlich gesagt werden.
({9})
Das zeugt von einem schlechten demokratischen Stil in
diesem Haus.
({10})
Im Interesse der parlamentarischen Demokratie darf
dies aus meiner Sicht nicht kritiklos hingenommen werden. Deswegen stimmen wir gegen die Tagesordnung.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kurios, dass das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, in Gefahr gesehen wird, weil wir im Zusammenhang mit dem Haushalt auch über die Erbschaftsteuer
beraten und entscheiden und das Maßnahmenpaket zur
Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung auf
die Tagesordnung setzen wollen. Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn auf sinnvolle Art und Weise über den
Haushalt 2009 diskutieren, ohne auch das Konjunkturpaket zu debattieren?
({0})
Wenn wir so vorgehen würden, dann würden Sie uns
in der Debatte fragen: Was tun Sie gegen den drohenden
Abschwung? Diese Frage würde dann gestellt.
({1})
Jetzt haben Sie die Chance, zu sagen: Wunderbar! Die
Haushaltsdebatte ist die Stunde des Parlaments.
({2})
Das ist die Debatte, in der wir auch über Wachstum und
Beschäftigung diskutieren können.
({3})
Dabei geht es auch um die Frage, wie die Bundesländer
ihre Einnahmen in Höhe von 4 Milliarden Euro sichern
können. Dass diese Debatte so spät geführt wird, ist ganz
sicher nicht die Schuld der SPD-Fraktion. Wir hätten
diese Vorlage schon vor einigen Monaten für entscheidungsreif gehalten. Innerhalb der Koalition hat dies allerdings etwas länger gedauert.
({4})
Meine Damen und Herren, das Parlament und die Politik in Deutschland insgesamt haben sich durch die Art
und Weise, wie wir alle miteinander innerhalb von nur
fünf Werktagen in Bundestag und Bundesrat das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz verabschiedet haben,
eine Menge Respekt erworben.
({5})
- Frau Lötzsch, auch Sie haben auf Fristeinreden verzichtet.
({6})
Dann können Sie doch jetzt nicht sagen, wir hätten diesen Gesetzentwurf „durchgepeitscht“. Ich wollte Sie gerade loben und darauf hinweisen, dass selbst die Linkspartei eingesehen hat, dass man nicht mit Fristeinreden
und Formalismen auf eine solch wichtige Maßnahme reagieren sollte. Wenn Sie „durchgepeitscht“ rufen, liegen
Sie also völlig daneben.
Den Respekt, den sich das gesamte Parlament in dieser einen Woche erworben hat, sollten wir jetzt nicht
durch Debatten über Geschäftsordnungsformalismen
verspielen.
({7})
Es besteht Entscheidungsbedarf. Wir werden beraten
und dann entscheiden. Herr Westerwelle, Ihnen mag das
vom Inhalt her nicht gefallen.
({8})
Sie können unsere Entscheidung aber nicht verhindern,
({9})
und das ist gut so.
Vielen Dank.
({10})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
richtig: Die Haushaltswoche ist die heilige Woche des
Parlaments.
({0})
Es ist auch richtig, dass wir durch die aktuelle konjunkturelle Situation vor besondere Aufgaben gestellt sind.
Herr Kollege Oppermann und Herr Kollege Röttgen, es
ist aber nicht richtig, wie Sie das hier behauptet haben,
dass der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009 zwingend noch in dieser Woche verabschiedet werden muss,
weil Sie in dieser Woche überraschend festgestellt haben, dass sich der 31. Dezember nähert. Den Entwurf
des Jahressteuergesetzes 2009 hätten Sie früher beraten
können. Dann würde er in dieser Sitzungswoche auch
nicht auf der Tagesordnung stehen.
({1})
Den Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuerreform haben
wir am 28. Januar dieses Jahres eingebracht. Können Sie
mir erklären, warum es jetzt zwingend notwendig ist, ihn
noch vor der Haushaltsberatung zu verabschieden? Die
Beratung darüber stand schon einmal auf der Tagesordnung, nämlich am 14. Oktober 2008.
({2})
In der Woche vor der Bayernwahl haben Sie uns zugemutet, im Ältestenrat keine Tagesordnung zu verabschieden, um am Tag der Sondersitzung am 7. Oktober
2008 auch eine Sondersitzung des Ältestenrats durchzuführen und diesen Punkt auf die Tagesordnung für den
14. Oktober 2008 zu setzen. Auf einmal hatte die CSU
dann Befindlichkeitsstörungen, sodass wir diesen Punkt
wieder absetzen mussten, weshalb er heute wieder auf
der Tagesordnung steht.
Dass das Haushaltsrecht des Parlaments durch die
Diskussion in dieser Sitzungswoche beschädigt wird, ist
nicht der konjunkturellen Lage, sondern der Schlamperei, der Uneinigkeit und dem Murks der Großen Koalition zu schulden.
({3})
Weil wir als Bündnis 90/Die Grünen eine staatspolitisch verantwortliche Opposition sind,
({4})
sagen wir: Ja, wir wollen im Gegensatz zur FDP, dass
die Erbschaftsteuerreform nicht in den Orkus wandert;
denn obwohl diese Reform ein Millionärsschutzprogramm ist, wollen wir nicht, dass auch noch die letzten
Reste der Erbschaftsteuer über die Wupper gehen. Deshalb haben wir Ihnen angeboten, nach dem Ende der
Haushaltsdebatte am Freitag über diesen Punkt, über das
Investitionsprogramm und über den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009 zu reden.
Natürlich müssen diese Gesetze vor dem 31. Dezember 2008 im Bundesgesetzblatt stehen. Dagegen wollen
wir uns nicht stemmen, und wir wollen Ihnen zur Besei20236
Volker Beck ({5})
tigung Ihrer Schlamperei gerne ein bisschen dabei helfen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
({6})
Meine Damen und Herren, wenn wir nachher oder im
Laufe dieser Woche über das Investitionsprogramm reden, dann wollen wir, dass nicht so getan wird, als ob
das, was Sie da vorschlagen, alternativlos ist. Wir haben
einen Antrag dazu vorgelegt, in dem wir uns dafür aussprechen, dass nachhaltig in Klimaschutz, in Bildung
und in soziale Gerechtigkeit investiert wird. Gerade in
einer Situation, in der der Staat für die Binnennachfrage
und für die Erhöhung der Investitionen etwas tun muss,
sollte man nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren,
sondern die Dinge anpacken, die man ohnehin bewältigen muss und die sinnvolle Investitionen darstellen: in
die Bildung, in die soziale Gerechtigkeit und in den Klimaschutz. Man sollte hier nicht mit ungelenkten Steuersubventionen durch die Lande gehen, kleckern und dafür
sorgen, dass Luxuslimousinen durch eine Befreiung von
der Kfz-Steuer eine bessere Stellung auf dem Markt erhalten. Das wäre wirklich eine fehlgeleitete Politik.
Wir haben das Geld ja nicht übrig, weil wir uns in einer konjunkturellen Rezession befinden, sondern wir
brauchen dieses Geld dringend, um die Zukunftsprobleme unseres Landes zu bewältigen. Viel besser als das,
was Sie hier vorgelegt haben, wäre es, den kommunalen
Investitionsstau aufzulösen und dafür zu sorgen, dass die
Kommunen ihre Schulen in Ordnung bringen, ihre Straßen nachbessern und sich auf die Zukunft entsprechend
vorbereiten können.
Deshalb ist Ihr Programm, das Sie hier vorlegen,
nicht alternativlos, weshalb wir Sie bitten, unserem Antrag auf Aufsetzung unserer Alternativen auf die Tagesordnung in dieser Debatte auch zuzustimmen. Wenn Sie
die Tagesordnung hier schon mit der Arroganz der
Macht durchsetzen und mit der Opposition nicht mehr
über die Tagesordnung verhandeln, dann sollten Sie wenigstens dafür sorgen, dass die Alternativen der Opposition hier im Parlament noch Gegenstand der Debatte sein
können. Das ist das Mindeste, was man an Anstand von
Ihnen erwarten muss.
Vielen Dank.
({7})
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Geschäftsordnungsanträge. Die FDP-Fraktion hat beantragt, die Tagesordnungspunkte I, IV und VI - das sind
die Gesetzentwürfe zur Beschäftigungssicherung und
zur Erbschaftsteuerreform sowie der Entwurf eines Jahressteuergesetzes - nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag der
FDP? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.
Weiterhin hat die Fraktion der FDP beantragt, die Debattenzeiten zu den Einzelplänen 30, 06, 16, 14, 11, 17
und 12 auf jeweils eineinhalb Stunden zu verlängern.
Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Dieser Geschäftsordnungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition abgelehnt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
die Tagesordnungspunkte I - Beschäftigungssicherung und IV - Erbschaftsteuer - erst am Freitag nach der
Schlussabstimmung über das Haushaltsgesetz zu beraten. Wer stimmt diesem Geschäftsordnungsantrag zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Geschäftsordnungsantrag ist mit breiter Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Wir kommen nun zur Feststellung der Tagesordnung.
Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Geschäftsordnungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Zu dieser jetzt festgestellten Tagesordnung liegen
weitere Geschäftsordnungsanträge vor, über die ich nun
abstimmen lasse. Die Fraktion Die Linke hat beantragt,
ihren Antrag auf Drucksache 16/10619 mit dem Titel
„Konjunkturprogramm gegen die drohende Wirtschaftskrise“ auf die Tagesordnung zu setzen und verbunden
mit Tagesordnungspunkt I zu beraten. Wer stimmt diesem Aufsetzungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist diesem Aufsetzungsantrag
zugestimmt worden.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
ihren Antrag auf Drucksache 16/11023 mit dem Titel
„Nachhaltig investieren in Klima, Bildung, soziale Gerechtigkeit“ auf die Tagesordnung zu setzen und verbunden mit Tagesordnungspunkt I zu beraten. Wer stimmt
diesem Aufsetzungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist das bei Enthaltung der FDPFraktion mit breiter Mehrheit so beschlossen. Dieser
Aufsetzungsantrag ist damit angenommen.
Außerdem hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
beantragt, ihren Antrag auf Drucksache 16/11024 mit
dem Titel „Neuer Schwung für die Klimaverhandlungen Poznan zum Erfolg machen“ auf die Tagesordnung zu
setzen und verbunden mit Tagesordnungspunkt VII zu
beraten. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist
wiederum bei Enthaltung der FDP-Fraktion mit breiter
Mehrheit dieser Aufsetzung zugestimmt worden.
Damit ist die Tagesordnung mit den soeben beschlossenen Änderungen und Ergänzungen festgestellt, sodass
wir hoffentlich nun unstreitig nach der festgestellten Tagesordnung verfahren können.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
I. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher
Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“
- Drucksache 16/10930 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Konjunkturprogramm gegen die drohende
Wirtschaftskrise
- Drucksache 16/10619 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltig investieren in Klima, Bildung, soziale Gerechtigkeit
- Drucksache 16/11023 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser scheinheiligen Geschäftsordnungsdebatte nun zur
Sache.
({0})
Wie sich die konjunkturelle Lage in den kommenden
Monaten in Deutschland entwickeln wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mit „ungewöhnlich großen Unsicherheiten“ behaftet. - So oder ähnlich formulieren
alle, die sich mit Wirtschaftsprognosen beschäftigen.
Das heißt, es gibt keinerlei neue belastbare Fakten, die
die Unsicherheit darüber beseitigen, wie tief und wie
lange der wirtschaftliche Abschwung in Deutschland
und weltweit wirklich sein wird.
Jedenfalls sollte die Wirtschaftskrise kein Alibi für
umweltpolitische Steinzeitgedanken sein, wie wir sie in
den letzten Tagen gehört haben.
({1})
Wir bleiben auch beim Klimaschutz bei unserer Linie.
Wir wissen nicht, ob das schwarze Bild, das manche
für das nächste Jahr zeichnen, wirklich eintrifft oder ob
es vielleicht doch nicht ganz so schlimm wird.
({2})
Eine Gefahr ist allerdings gegeben, liebe Kollegin
Lötzsch: Durch einen Dramatisierungswettlauf in der
Einschätzung der konjunkturellen Entwicklung könnte
eine weitere Investitions- und Kaufzurückhaltung geschürt werden. Das sollten wir im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland alle gemeinsam vermeiden.
({3})
Klar ist: Wir haben wegen der noch nicht beendeten
Krise im globalen Finanzsektor und durch andere Faktoren eine Situation, für die es in der Vergangenheit keine
Vergleiche gibt.
({4})
Jede Parallele, über die in den letzten Tagen geschrieben
wurde, hat ihre Tücken. Auch darüber müssen wir uns
im Klaren sein. Ob wir 80 Jahre zurückgehen oder von
welchem Zeitraum auch immer wir ausgehen: Für diese
Situation gibt es keine Parallelen.
Das heißt, für uns alle - für die Politikerinnen und
Politiker wie auch für die Wissenschaftler, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände - gilt: Niemand kann sicher
sein, das Königsrezept dafür zu haben, wie mit der Problemgemengelage, vor der wir stehen, umzugehen ist.
Die Maßnahmen, die die Bundesregierung und die
Große Koalition zur Stabilisierung des konjunkturellen
Abschwungs beschlossen haben, sind auf jeden Fall ein
aussichtsreicher, schnell umsetzbarer Ansatz, um gefährdete Beschäftigung in Deutschland in der vor uns liegenden Phase zu sichern.
({5})
Ob das reichen wird, wird sich dann zeigen.
Gesetzgeberisch umgesetzt wird das Stabilisierungspaket im Rahmen des Haushalts 2009, der ab heute abschließend beraten wird. So waren zum Beispiel die
zusätzlichen Investitionen des Bundes oder auch der
Bundesanteil an den zusätzlichen KfW-Programmen in
das Rechenwerk einzupassen. Was die steuerlichen Elemente angeht, so werden sie mit dem Steuergesetz umgesetzt, zu dem ich jetzt rede.
Hierbei geht es um eine auf zwei Jahre befristete attraktive Verbesserung von Abschreibungsmöglichkeiten,
die verbesserte Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen und eine zeitlich befristete Kfz-Steuerbefreiung. Die
dabei gewählte Strategie, möglichst auf gezielte Maßnahmen und Angebote mit Hebelwirkung zu setzen,
schmälert die Wirksamkeit des Paketes nicht, sondern sichert sie ab.
Bei all dem sollten wir bedenken, was im Rahmen eines Jahres praktisch umsetzbar ist. Bei manchen Vorschlägen, die sich im Bruttoregistertonnenbereich bewegen, wird die Praxis überhaupt nicht bedacht. Unsere
Vorschläge sind praxisorientiert. Dadurch zeichnen sie
sich aus.
({6})
Wer bereits heute behauptet, die beschlossenen Maßnahmen würden nur wenig bis gar nichts bewirken, entwertet das Paket und schlägt unsere Erfahrungen mit
dem 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm in den
Wind. Klug ist das nicht, weil die Menschen verunsichert werden und das Gegenteil dessen erreicht wird,
was beabsichtigt ist. Das gilt auch für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesatmwirtschaftlichen
Entwicklung.
Hinzu kommt, dass die konjunkturstabilisierenden
Ansätze unserer Politik sich nicht auf das Paket zur Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung beschränken. Das zentrale Stabilisierungsinstrument bleibt
der Finanzmarktschirm, der - auch nach einigem anfänglichen Stottern - funktioniert und die notwendige
Versorgung von Unternehmen und Verbrauchern mit Liquidität und Krediten weiterhin sichern wird. Lesen Sie
die Zeitungen von heute! Darin wird das bestätigt.
({7})
- Dass wir diesen Finanzmarktschirm aufgespannt haben, ist die notwendige Voraussetzung, um eine Konjunkturbelebung zu erreichen, lieber Kollege.
({8})
Auch die in anderem Kontext beschlossenen Erhöhungen von Kindergeld und Kinderfreibetrag und die
nochmalige Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags werden konjunkturstützend wirken. Gleiches gilt
für viele andere Positionen im Haushalt, der diese Woche verabschiedet wird.
Wir haben in den letzten Jahren Milliarden in die
Hand genommen, um Zukunftsinvestitionen in Bildung,
Forschung und Entwicklung und Familienbetreuung zu
finanzieren.
({9})
Auch Familienbetreuung ist eine Zukunftsinvestition.
({10})
Wir führen diesen Weg in dieser Woche fort. Das muss
man im Zusammenhang sehen und denken.
Erhebliche Entlastungen für Investoren wie für Verbraucher bieten zudem die mittlerweile stark gesunkenen
Energiepreise. Die jüngsten Quartalszahlen zur Wirtschaftsentwicklung, heute veröffentlicht, zeigen, dass
der vor allem energiepreisbedingte Rückgang der Teuerung den privaten Konsum sofort beflügelt hat. Es
stimmt also nicht, dass insgesamt nicht in einem großen
Umfang Konjunkturimpulse entstehen. Weil wir unsere
konjunkturpolitische Verantwortung wahrnehmen, hat
die Koalition die Nettokreditaufnahme des Bundes für
2009 im Vergleich zum Regierungsentwurf fast verdoppelt. Das ist kein Pappenstiel und wird uns von der Opposition in dieser Woche sicherlich noch oft vorgehalten
werden.Wir halten es aber für richtig, in der jetzigen Situation die automatischen Stabilisatoren des Budgets
wirken zu lassen. Wir halten es für falsch, dem Abschwung noch hinterherzusparen.
({11})
Wir in der Großen Koalition wollen aktiv gegensteuern. Das Gleiche sollte übrigens für die Bundesländer
gelten. Auch die Bundesländer müssen ihrer konjunkturpolitischen Mitverantwortung nachkommen und zum
Beispiel kommunale Investitionsprogramme auflegen.
({12})
Wer sich hier verweigert, versagt eventuell in einer historisch nicht ganz belanglosen Situation. Ich bitte die
Ministerpräsidenten, in einer stillen Stunde einige Interviewäußerungen, die in den letzten Wochen zu lesen waren, noch einmal zu überdenken. Konjunkturpolitik ist
nicht nur Sache des Bundes. Wir alle sind in einer gesamtstaatlichen Verantwortung.
({13})
Nach unserer gemeinsamen Auffassung in der Koalition sind wir jetzt gezwungen, unseren Haushaltskonsolidierungskurs an die aktuelle Entwicklung anzupassen.
Auch Frau Bundeskanzlerin Merkel hat verschiedentlich
deutlich gemacht, dass wir das Ziel eines ausgeglichenen
Bundeshaushaltes 2011 an die Realität anzupassen haben. Das Bundeskabinett hat am 5. November formuliert:
Aufgrund der veränderten gesamtwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen wird ein Bundeshaushalt
ohne Neuverschuldung in 2011 aus heutiger Sicht
nicht zu realisieren sein. Dies bedeutet keine Aufgabe des Ziels; vielmehr wird die Bundesregierung
alles tun, um einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung baldmöglichst zu erreichen.
({14})
Dem ist aus Sicht der Sozialdemokraten nichts hinzuzufügen.
Wenn ich mir allerdings vor Augen führe, was der
CSU-Vorsitzende Seehofer, aber auch andere in CDU
und CSU in den letzten Tagen gesagt haben, dann stelle
ich fest, dass manchen das Ziel eines ausgeglichenen
Haushalts nicht mehr viel zu bedeuten scheint.
({15})
Es ist erstaunlich - das muss ich auch als Koalitionsmitglied deutlich sagen -, wie schnell das frühere Glaubensbekenntnis „Keine Steuersenkungen auf Pump!“ aufgegeben wird, gerade in Bayern. Für die nachfolgende
Generation ist eine solche Botschaft durchaus nicht beruhigend.
({16})
Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten
Oettinger bin ich in diesem Zusammenhang dankbar, am
21. November im Handelsblatt noch einmal darauf hingewiesen zu haben, dass Forderungen nach weitgehenden Steuerentlastungen sanierte öffentliche Haushalte
voraussetzen.
({17})
Dieser Zusammenhang wird nach meiner Auffassung
auch in der derzeitigen konjunkturellen Schwächephase
nicht außer Kraft gesetzt, auch wenn uns das viele einreden wollen. Ob massive Steuerentlastungen zugunsten
der privaten Konsumenten zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich in zusätzliche Binnennachfrage umgesetzt würden, bleibt fraglich und ungewiss.
({18})
Denn wir leben in Deutschland mit einem Hang zu einer
hohen Sparquote. Wir leben nicht in strukturell konsumorientierten Volkswirtschaften, in denen die Mechanismen seit Jahrzehnten anders funktionieren.
Und es gibt bereits erste Stimmen im Einzelhandel in
Großbritannien, die die von Gordon Brown geplante
Mehrwertsteuersenkung kritisieren; sie werde überhaupt
nicht spürbar sein, weil die Preise sowieso fielen. Ist die
Situation bei uns nicht ähnlich?
Wenn Herr Oettinger an das finanzpolitische Einmaleins erinnert - je größer die Steuersenkung, desto höher
die Verschuldung -, dann hat er mit seinen Äußerungen
offensichtlich auf die eigenen Reihen gezielt. Mit der
steuerpolitischen Unklarheit in den Reihen unseres
Koalitionspartners werden die Menschen verunsichert
und der Abschwung verstärkt. Deswegen bitte ich auch,
da Klarheit herzustellen.
({19})
Wir brauchen jetzt vertrauensbildende Maßnahmen,
und das sind neben dem Finanzmarktschirm auch die
kurzfristig umsetzbaren Investitionen zur Stabilisierung
des Arbeitsmarktes. Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem „Europäischen Zukunftspakt für Arbeit“ in aller
Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass zur Bewältigung
der Krise, deren Ursachen weit über Deutschlands Grenzen hinausgehen, auch europäische Initiativen und europäische Koordination nötig sind. Die Bundeskanzlerin
hat das richtig aufgenommen. Ich vertraue darauf, dass
hier in den nächsten Tagen vernünftige Lösungen gefunden werden.
Entlang dieser Linie gilt es, mit gemeinsamer Kraft
weiterzuarbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen wird.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({20})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker
Wissing, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Poß, Sie haben eben erklärt, dass der
sinkende Ölpreis die Nachfrage stabilisiert, aber gleichzeitig erklären Sie, dass sinkende Steuern möglicherweise gar keine Auswirkung auf die Nachfrage haben.
Diese Logik müssen Sie einmal erklären.
({0})
Europa diskutiert über Steuersenkungen, aber uns
wird hier ein zusammengeflicktes Konjunkturprogramm
vorgelegt. Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung - das ist ein starker Titel für diese schwache
Vorlage.
({1})
Glauben Sie denn wirklich, das, was Sie uns hier vorlegen, sei dazu geeignet, in Deutschland Wachstum und
Beschäftigung zu fördern? Der ganze Gesetzentwurf
krankt daran, dass man jeder einzelnen Maßnahme deutlich anmerkt: Es soll vor allen Dingen gut klingen. Aber
wie mickrig das ist, was Sie hier abliefern, wird deutlich,
wenn wir uns anschauen, was die sogenannte Große
Koalition gegen mehr Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland in den letzten Jahren aktiv unternommen
hat. Denken Sie an die Mehrwertsteuererhöhung:
3 Prozentpunkte - damit haben Sie den Bürgern die Luft
zum Atmen genommen, die sie jetzt dringend brauchten.
SPD und CDU/CSU haben den Menschen in Deutschland systematisch das Geld aus den Taschen gezogen,
wann immer sie konnten.
({2})
Jetzt wundern Sie sich, dass die Binnennachfrage am
Boden liegt. Das haben wir Ihnen seit Jahren vorausgesagt. Sie ernten jetzt die Früchte Ihrer verfehlten Finanzpolitik und nichts anderes.
({3})
Glauben Sie denn, Sie könnten den Schaden, den Sie angerichtet haben, mit einer begrenzten Aussetzung der
Kfz-Steuer auch nur ansatzweise vergessen machen?
Das Problem Ihres Gesetzentwurfes ist: Sie wollen die
Menschen nicht wirklich entlasten, weil Sie sich im
Kern darauf nicht einigen können. Genau deshalb wird
von Ihrem Gesetz auch kein entscheidender Impuls für
Wachstum und Beschäftigung ausgehen. Das Gesetz
gleicht aber auch das nicht aus, was Sie unternommen
haben, um diesem Land zu schaden: Sie haben die Pendlerpauschale gekürzt, Sie haben die Eigenheimzulage ersatzlos gestrichen, die Versicherungsteuer erhöht und,
und, und. Heute Morgen im Finanzausschuss haben Sie
sich darauf verständigt, dass am Freitag im Jahressteuergesetz die Regelung zum Mantelkauf verschärft wird,
was dazu führen wird, dass wir in einer wirtschaftlich
schwierigen Phase übertragene Sanierungen in Deutschland erschweren. Denken Sie doch einmal darüber nach,
was Sie da anrichten. Das können Sie doch mit einem so
zusammengeflickten Konjunkturprogramm nicht aufwiegen. Ihre Steuer- und Finanzpolitik ist völlig verfehlt.
({4})
Aber es gibt bei Ihnen offensichtlich einen gewissen
Erkenntnisgewinn; denn mit Ihrem Konjunkturpaket gestehen Sie zumindest teilweise ein, dass Sie Fehler gemacht haben. Sie haben die degressive Abschreibung
zunächst abgeschafft, und jetzt meinen Sie, den Stein der
Weisen entdeckt zu haben, und erklären, diese müsse
dringend wieder eingeführt werden. Nun haben wir Ihnen damals schon gesagt, dass es ein Fehler war, was Sie
gemacht haben.
({5})
Es war falsch. Es ist schade, dass eine so große Mehrheit
im Deutschen Bundestag immer nur hinterherhinkt,
nicht auf die Opposition hört, das Kind in den Brunnen
fallen lässt und dann versucht, mit Aktionismus die
Dinge wieder zu retten. Die Hauptursache für die Probleme liegt doch darin, dass Sie seit Jahren kein finanzpolitisches Konzept haben, das Land auf eine schwierige
konjunkturelle Phase nicht vorbereitet haben und jetzt in
blanken Aktionismus verfallen.
({6})
Degressive Abschreibung abschaffen, degressive Abschreibung einführen - wenn man darunter einen Strich
zieht, stellt man fest, was die Bilanz Ihrer Finanzpolitik
ist: Das ist eine Nullnummer, was Sie hier abliefern.
({7})
Es ist mehr als fraglich, ob sich damit in einer Rezession heute noch die gleichen Investitionen generieren
lassen, wie das damals im Aufschwung möglich gewesen wäre. Investitionen sind nämlich auch Ausdruck
wirtschaftlicher Aussichten, und die waren damals entschieden besser als heute. Damals haben Sie ohne Not
Wachstum und Beschäftigung aufs Spiel gesetzt. Ihr spätes Einlenken wird den angerichteten Schaden nicht vollständig wieder ausgleichen können. Ihre Steuer- und
Finanzpolitik ist nicht vorausschauend. Sie hinken hinterher. Sie haben kein klares Ziel vor Augen.
Aber abgesehen davon versuchen Sie nicht nur, einige
Dinge zurückzunehmen, die Sie falsch gemacht haben,
sondern auch, reine Placeboeffekte in unserem Land zu
schaffen. Ich meine, Herr Finanzminister Steinbrück, es
wäre eine Frage der Ehrlichkeit, den Menschen zu sagen: Diese Koalition kann sich auf Strukturreformen
nicht einigen; deswegen sind wir in dieser Krise handlungsunfähig. Das wäre ein Stück Ehrlichkeit, und es
wäre besser, als hier so ein zusammengeflicktes Konzept
vorzulegen und den Menschen vorzumachen, dies sei die
Lösung der enormen Probleme, die unser Land - auch
wegen der Tatenlosigkeit dieser Bundesregierung - hat.
({8})
Es ist noch nicht lange her, dass die Bundeskanzlerin
in diesem Hohen Haus tönte, der Aufschwung komme
bei den Menschen an und das sei gut für Deutschland.
Das Dumme war nur, dass die Menschen davon nichts
gemerkt haben. Der Abschwung trifft die Menschen jetzt
aber in voller Härte. Das ist die schlechte Botschaft für
unser Land, und die Bundeskanzlerin glänzt durch Abwesenheit.
({9})
SPD und CDU/CSU haben eine historische Chance
vertan. Statt den Aufschwung zu nutzen, um den Haushalt zu sanieren, wurde fröhlich weiter auf Pump gelebt.
Sie geben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Geld
aus, das Sie in guten Zeiten nicht angespart haben. Was
Frau Merkel und Herr Steinbrück heute ausgeben, müssen künftige Generationen doppelt zurückzahlen.
Hier tritt eine bemerkenswerte Lernunfähigkeit der
Bundesregierung zutage. Die Beratungen der Föderalismuskommission II wurden ausgesetzt, obwohl dort
dringend Handlungs- und Einigungsbedarf besteht. Gerade jetzt wären eine Schuldenbegrenzung und auch eine
klare Regelung, wie Schulden, in einer konjunkturellen
Schwächephase aufgenommen, zurückgezahlt werden,
dringend notwendig. Aber mit diesen strukturellen Fragen wollen Sie sich in Ihrer angeblich so großen Koalition nicht beschäftigen, weil Sie sich mit den wirklich
zentralen Fragen, durch deren Beantwortung Deutschland nach vorne gebracht und auf diese schwierige Situation hätte vorbereitet werden können, nicht auseinandersetzen wollen. Ihnen fehlt die Kraft zur Einigung auf
Strukturreformen in unserem Land.
„Reformieren, Konsolidieren, Investieren“ war das
Versprechen der Regierung Merkel an die Bürgerinnen
und Bürger. „Abkassieren, Ignorieren und Ruinieren“ ist
die bittere Realität dieser Großen Koalition.
({10})
Sie haben die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland
hemmungslos abkassiert. Sie haben Probleme ignoriert.
Sie haben die Chance nicht genutzt, die Binnennachfrage in Deutschland auf Vordermann zu bringen. Es war
klar, dass die Realität bitter sein wird, wenn wir in eine
konjunkturelle Schwächephase kommen. Dass die konjunkturelle Schwäche kommt, war ebenfalls vorhersehbar. Jetzt stehen Sie tatenlos da und bringen nichts zustande. Es ist bedauerlich, was Sie uns in der
Finanzpolitik bieten.
Deutschland braucht - die FDP sagt das seit Jahren dringend Strukturreformen. Wir brauchen eine Steuerreform, die die Bürgerinnen und Bürger entlastet. Herr
Kollege Poß, es gibt überhaupt keinen Zweifel daran,
dass eine steuerliche Entlastung der unteren und mittleren Einkommen die Binnennachfrage in Deutschland beleben kann. Es wäre gut, wenn die Bundeskanzlerin, die
Bundesregierung auf das achten würden, was die europäischen Partner tun, was sie sagen und was sie auf den
Weg bringen. Das ist allemal besser als das, was die
deutsche Bundesregierung uns hier bietet.
({11})
Sie fuchteln mit einem zusammengeflickten Konjunkturprogramm herum, nehmen Ihre fehlerhaften
Maßnahmen teilweise zurück und haben damit für das
Land nichts erreicht. Inzwischen treten Ihre ehemaligen
sozialdemokratischen Wirtschaftsminister schon aus der
SPD aus. Das sollte Ihnen eine Mahnung sein. Sie sind
auf dem falschen Weg. Sie sind nicht gut aufgestellt, und
Sie können die Probleme dieses Landes nicht lösen.
({12})
Sie haben die Menschen abkassiert. Sie haben ihnen den
Aufschwung in Deutschland vorenthalten und lassen sie
im Abschwung allein. Das ist unverantwortlich.
({13})
Dr. Michael Meister ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben momentan zwei Entwicklungen, die sich überlagern,
zum Ersten eine Abschwächung der Weltkonjunktur,
von der wir als Exportnation, als Exportweltmeister natürlich massiv betroffen sind. Zum Zweiten erleben wir
eine Strukturkrise auf den Finanzmärkten und - das erkennen wir, wenn wir in die USA und in andere Länder
blicken - in der Immobilienwirtschaft. Die Auswirkungen beider Entwicklungen treffen uns nun.
Wir stellen deshalb ein massives Wegbrechen der
Auftragseingänge bei den Unternehmen fest, und wir haben ein Problem in der Liquiditätsversorgung der Unternehmen. Auf diese Probleme müssen wir in der nationalen Politik versuchen eine Antwort zu geben.
Ich möchte ausdrücklich sagen, Herr Wissing: Die
Darstellung, dass wir es hier mit rein national verursachten Problemen zu tun haben, geht nach meiner Wahrnehmung an der Realität massiv vorbei. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das international ist und fast alle
Länder trifft.
({0})
Weil es ein internationales Problem ist, ist es wichtig,
dass wir national die richtigen Antworten geben, aber
genauso wichtig, dass wir diese Antworten international
koordinieren. An der Stelle möchte ich einen Dank an
die Bundesregierung sagen, und zwar dafür, dass sowohl
im Rahmen der Europäischen Union wie auch im Rahmen der G 8 versucht wird, die Handlungsoptionen zu
koordinieren, aber die Verantwortung für das Handeln
jeweils bei den nationalen Regierungen zu belassen. Ich
glaube, das ist der richtige Ansatz.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass sich in den
vergangenen drei Jahren unsere Kondition wesentlich
verschlechtert hat. Ich will hier ausdrücklich feststellen:
Ich teile diese Einschätzung nicht. Meine Wahrnehmung
ist, dass wir in den Bereichen der Staatsverschuldung,
des Arbeitsmarkts und des Potenzialwachstums wesentlich besser aufgestellt sind, als wir es vor drei Jahren waren. Wer in die Unternehmen hineinschaut, sieht: Sie
sind in einer wesentlich besseren Verfassung als vor drei
Jahren.
({1})
Auch was die Verantwortung der Tarifpartner angeht,
wird ein massiver Beitrag dazu geleistet.
({2})
Wir haben die Chance, in der Krise zu bestehen, weil wir
besser aufgestellt sind als vorher.
({3})
Wenn wir uns jetzt die einzelnen Probleme anschauen, dann stellen wir fest, dass es zum einen eine
massive Vertrauenskrise innerhalb der Bankenwelt gibt
und zum anderen eine Vertrauenskrise in der Hinsicht,
ob ein Kreditnehmer aus der Realwirtschaft in der Lage
sein wird, seine Kredite zu bedienen. An diesen Stellen
setzen wir an. Wir haben gemeinschaftlich das Finanzmarktstabilisierungsgesetz verabschiedet und damit als
Politik einen schnellen Beitrag dazu geleistet, neues Vertrauen unter den Akteuren zu schaffen. Wir leisten jetzt
einen zweiten Beitrag, indem wir versuchen, die Kreditversorgung der Realwirtschaft zu stärken. Über die KfW
sorgen wir dafür, dass das Volumen der Kreditmöglichkeiten ausgeweitet wird und dass durch Maßnahmen im
Bereich der Haftungsübernahme die Kreditversorgung
der Realwirtschaft gestärkt wird. Ich glaube, das ist ein
richtiger Ansatz. Jetzt kommt es darauf an, dass die jeweiligen Hausbanken diesen Schritt unterstützen und dafür sorgen, dass die Liquidität wirklich bei den Unternehmen ankommt.
({4})
Ich glaube, es ist richtig, dass wir in dieser Lage keinen Kurswechsel vornehmen. Wir haben zu Beginn gesagt: Sanieren, Investieren, Reformieren. Das ist aus
meiner Sicht auch jetzt die richtige Antwort. Wir dürfen
nicht immer nur auf die Negativfaktoren blicken. Vor einem halben Jahr haben wir massive Inflationsgefahren
am Himmel gesehen. Jetzt erkennen wir: Diese Inflationsgefahren sind gebannt. Deshalb freue ich mich, dass
die Bundesbank den Spielraum ein Stück weit genutzt
hat, um uns in dieser Lage beim Basisrefinanzierungssatz zu helfen.
Wir haben uns vor wenigen Monaten mit extrem hohen Energie- und Rohstoffpreisen herumgeschlagen. Die
Lage hat sich jetzt entspannt. An der Stelle reden wir
über Volumina, die mein Freund Kampeter und der Kollege Schneider aus dem Bundeshaushalt niemals heben
könnten. Natürlich ist es richtig, dass wir über politische
Maßnahmen nachdenken, aber auch die Frage, wie die
sonstigen Rahmenbedingungen sind, sollten wir nicht
aus dem Blick verlieren. Für die Unternehmen ist ein
deutlich besseres Umfeld entstanden und entsteht weiter,
was uns natürlich freut.
({5})
Es wird kritisiert, dass wir unseren Konsolidierungskurs aufgeben. Ich sage an dieser Stelle für die Unionsfraktion eindeutig: Nein, wir bleiben bei unserem Kurs.
Wir wollen den Bundeshaushalt konsolidieren und strukturell ausgleichen. Wir haben in unserem Konzept aber
immer gesagt: Wenn es zu einer konjunkturellen Notlage
kommt, dann brauchen wir ein Haushaltsausgleichskonto.
({6})
Jetzt wird es spannend: Unser Konzept einer Schuldenbremse - dazu stehen wir - trägt auch in dieser Krisensituation, weil es genau für diese Krisensituation den Konjunkturausgleich vorsieht. Wir dürfen uns deshalb nicht
von diesem Modell abwenden, sondern wir müssen es
umsetzen, um ein Stück weit für Vertrauen zu werben
und für Planbarkeit bei der Staatsverschuldung zu sorgen.
({7})
Wir als Unionsfraktion stehen zu diesem Weg. Wir wollen das auch in der jetzigen Situation umsetzen. Das bedeutet natürlich, dass man die Mehrausgaben, die jetzt
temporär notwendig sind, in Zukunft wieder erspart.
Dazu müssen wir uns „committen“; dazu müssen wir an
dieser Stelle eindeutig Ja sagen.
({8})
Wir versuchen mit diesem Programm vor allen Dingen, Investitionen zu stärken. In diesem Zusammenhang
möchte ich eindeutig sagen: Nach meiner Meinung stellt
die Unternehmensteuerreform für die Unternehmen in
Deutschland einen Gewinn bzw. einen Sprung nach
vorne dar: Denn dadurch, dass Erträge geringer als früher versteuert werden, wird der Standort Deutschland international wettbewerbsfähiger. Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir für einen begrenzten Zeitraum dafür
sorgen, dass die Unternehmen Investitionen tätigen.
Deshalb sind die Maßnahmen, die wir im Zusammenhang mit der degressiven AfA getroffen haben, auch
wenn sie teuer sind, richtig, um für einen begrenzten
Zeitraum Investitionen anzuschieben.
({9})
Genauso richtig ist es, dass wir die Investitionen der
öffentlichen Hand zum Beispiel in die Infrastruktur erhöhen. Wir werden in den nächsten beiden Jahren, also
2009 und 2010, rund 4 Milliarden Euro mehr für Infrastrukturinvestitionen bereitstellen. Das ist aus meiner
Sicht ein richtiges Signal - sinnvoll ist es besonders
dann, wenn es dazu dient, langfristig Wachstum und Beschäftigung im Lande zu befördern. Deshalb stehen wir
auch zu dieser Maßnahme.
({10})
Jetzt komme ich zum steuerlichen Bereich. Natürlich
ist es richtig, die Menschen steuerlich zu entlasten.
({11})
Wir als Union wollen Steuerentlastungen aber, wie ich
vorhin gesagt habe, mit einer Konsolidierung des Staatshaushaltes verbinden. Ich will beides:
({12})
strukturellen Ausgleich der Haushalte und steuerliche
Entlastung. Deshalb beschließen wir jetzt, dass zum
1. Januar 2009 - die Gesetze liegen vor - die Familien
durch Erhöhung des Kinderfreibetrages bzw. des Kindergeldes entlastet werden. Wir beschließen jetzt gemeinsam eine Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages. Wir eröffnen jetzt die Möglichkeit,
Handwerkerleistungen noch stärker bei der Einkommensteuer zu berücksichtigen. Das bedeutet eine steuerliche
Entlastung der Einkommensteuerzahler.
({13})
Schließlich sorgen wir für eine Besserstellung der Privathaushalte als Arbeitgeber, um mehr Beschäftigung in
diesem Bereich zu mobilisieren bzw. aus der Illegalität
zu holen. Auch damit ist eine Besserstellung der Steuerzahler verbunden. All diese steuerlichen Maßnahmen
setzen wir zum 1. Januar 2009 um.
({14})
- Nein, das ist kein Placebo. Hierbei handelt es sich um
ganz gezielte Entlastung. Die Menschen werden dadurch
animiert, auch selbst und an der richtigen Stelle zu investieren, meine Damen und Herren.
({15})
Eine zweite Maßnahme haben wir verabredet, nämlich eine steuerliche Entlastung um 8,4 Milliarden Euro
zum 1. Januar 2010, indem wir die steuerliche Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen
deutlich verbessern. Auch das bringt eine massive Entlastung der Steuerzahler mit sich, die wir jetzt gemeinschaftlich beraten und umsetzen wollen.
Man sollte nicht sagen, wir täten nichts. Wir tun jetzt
etwas zu Beginn des Jahres 2009 und etwas zu Beginn
des Jahres 2010. Für die Union sage ich Ihnen: Wir sind
der Meinung, dass wir über diese beiden Schritte hinaus
noch einen dritten Schritt brauchen, nämlich stärkere
Motivierung der Leistungsträger. Dazu müssen wir wirksame Maßnahmen gegen die kalte Progression treffen.
Dies wollen wir machen, indem wir die Kurve der Einkommensteuertarife flacher verlaufen lassen, damit sich
Leistung mehr lohnt. Das ist der dritte Schritt, den wir
gemeinschaftlich umsetzen wollen.
({16})
Ich glaube, deshalb sollten wir nicht immer nur das
tun, was ganz leicht ist, nämlich Kritik an vereinbarten
Zeitplänen oder vereinbarten Maßnahmen üben, sondern
wir sollten auch einmal, um Vertrauen zu schaffen, geDr. Michael Meister
meinschaftlich das, was umgesetzt wird, nach außen
kommunizieren. Damit leistet man einen echten Beitrag
dazu, dass sich Vertrauen bildet. Wir sind ein Teil, der
Stabilität in diesem Lande schafft. Wir sind ein Teil, dem
man vertrauen kann. Deshalb werden wir es auch schaffen, dass wir als Stabilitätsanker in dieser Krise wahrgenommen werden.
Vielen Dank.
({17})
Dr. Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
einen Weltfinanzgipfel erlebt. Die meisten - wir gehören
dazu - sind davon wirklich mehr als enttäuscht, und
zwar deshalb, weil unter anderem beschlossen wurde,
weiterhin freie Finanzmärkte zuzulassen. Es wurde nicht
verstanden, dass es einen Unterschied zwischen dem
Gütermarkt und dem Finanzmarkt gibt.
({0})
Auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt werden Waren und Dienstleistungen entweder gegen Waren und
Dienstleistungen oder gegen Geld getauscht; das ist regulierbar. Auf dem Finanzmarkt wird Geld gegen Geld
getauscht. Das Ergebnis ist immer, dass einer verlieren
muss und einer gewinnen soll. Das Ganze ist reine Spekulation und führt zu solchen Katastrophen, wie wir sie
jetzt erleben. Wenn Ihre Entscheidung nicht anders lautet, als alles weiter so laufen zu lassen, dann haben Sie
nicht verstanden, worum es geht, und sind nicht bereit,
die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
({1})
Es stimmt, es gibt internationale Ursachen. Es gibt
Ursachen, die in anderen Ländern liegen. Es gibt aber
auch Ursachen, die in Deutschland liegen. Ich frage Sie:
Was tun Sie gegen die Ursachen in Deutschland? Ich
nenne Ihnen einige wenige Beispiele.
Nehmen wir die Hedgefonds. Was sind Hedgefonds? Man muss der Öffentlichkeit diesen Begriff erklären.
Diese Fonds beteiligen sich mit einem Minimum an Eigenkapital an einem Unternehmen, das gerade pleitegeht. Sie leihen sich den größten Anteil des Geldes und
bürden die dadurch entstehenden Schulden dem neuen
Unternehmen auf. Dann entlassen sie massenhaft Leute
und verkaufen das Ganze profitabel. Das ist ihr Zweck.
Deshalb sagte Herr Müntefering, nachdem er das Ganze
zugelassen hat, das seien Heuschrecken. Ich frage Sie:
Was machen Sie?
({2})
Außerdem wurde unter der Regierung von SPD und
Grünen geregelt, dass für diese Käufe und Verkäufe
nicht ein Cent an Steuern zu zahlen ist; diese Steuern
musste man unter der von Kohl geführten Regierung
noch zahlen. Die Große Koalition hat an dieser Regelung nichts geändert.
({3})
Das ist ein Anreiz gewesen, all diese Geschäfte in
Deutschland zu betreiben. Ich frage Sie nun: Was haben
Sie für einen Gesetzentwurf? Haben Sie einmal überlegt,
ob Sie Hedgefonds entweder wieder verbieten oder
- wenn Sie weiterhin zulassen wollen - in ihren Möglichkeiten kontrollieren und einschränken? - Sie haben
nichts dergleichen getan.
({4})
Nehmen wir die Zweckgesellschaften. Banken gründen in Steueroasen Zweckgesellschaften, damit sie nicht
der Finanzkontrolle unterliegen. Diese Zweckgesellschaften verkaufen faule Kreditbriefe - das hat uns mit
in den Ruin getrieben -, und dafür müssen sie keine
Steuern zahlen. Wo ist Ihr Gesetzentwurf zum Verbot
oder wenigstens zur Kontrolle dieser Zweckgesellschaften? - Den gibt es nicht.
({5})
Die dritte Forderung, die man aus der Finanzkrise
herleiten kann, ist, dass Steueroasen trockengelegt werden. Ich frage Sie: Wann haben Sie mit Präsident Bush
darüber geredet, ob er versucht, die entsprechenden Inseln im Atlantik diesbezüglich mit amerikanischen Mitteln zu überzeugen?
({6})
- Nein, um die Bundeswehr geht es nicht, es geht um
ganz andere Wege. Die Bundeswehr ist immer Ihre Antwort. Wir haben regelmäßig andere Antworten.
({7})
Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Nichts
dergleichen ist verabredet worden. Ich frage Sie daher:
Haben Sie wenigstens schon einmal mit Obama telefoniert? Ich frage dies, weil ich hoffe, dass man sich mit
ihm diesbezüglich verständigen kann.
({8})
Ein weiterer Aspekt sind die Verbriefungen. Das
sind Handelsgeschäfte mit Krediten, die Banken, Immobiliengesellschaften und Investmentfonds zu Paketen
bündeln und weltweit verkaufen. Genau dadurch wurde
die Krise ausgelöst; denn die meisten Kredite waren
faul, weil keine Werte dahinter standen. Das war die Ursache. Was machen Sie gegen diese Art der Verbriefungen? - Nichts.
({9})
Deshalb sage ich Ihnen: Sie haben keine Schlussfolgerungen gezogen.
Die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, bereitet uns darauf vor, dass das kommende Jahr schlechte Nachrichten
bringen wird. Die Deutsche Bundesbank erklärt: Wir
werden ab dem nächsten Jahr die schwerste Wirtschafts20244
krise seit 1949 erleben, weil die Finanzkrise mit allen
Folgen in die Realwirtschaft überschwappt. Was macht
die Bundesregierung? - Sie legt für das nächste Jahr ein
Konjunkturprogramm im Umfang von weniger als 4 Milliarden Euro vor. Das sind 0,15 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Ich sage Ihnen: Daran wird deutlich,
dass Sie die Situation nicht verstanden haben; denn Sie
sind nicht bereit, die notwendigen Schlussfolgerungen
zu ziehen.
({10})
Die deutsche Wirtschaft lebt nun einmal sehr von den
Ausfuhren. Diese brechen aber wegen der internationalen Finanzkrise weg. Sie erkennen das erste Mal, dass
man vielleicht die Binnenwirtschaft stärken muss. Das
geht aber nur, indem Sie die Kaufkraft erhöhen, die Sie
seit Jahren geschwächt haben, sei es durch die Mehrwertsteuererhöhung, durch die Rentenformel oder durch
was auch immer. Überall haben Sie die Kaufkraft der
Bevölkerung geschwächt. Das muss in unserer Gesellschaft grundsätzlich geändert werden, aus sozialen und
aus wirtschaftlichen Gründen.
({11})
Andere Länder reagieren ganz anders als Deutschland. Nehmen Sie das Beispiel China.
({12})
- Ja, ich bitte Sie. - China legt ein Konjunkturprogramm
in Höhe von 1,2 Billionen Euro auf. Das entspricht der
Hälfte des Bruttoinlandprodukts, nicht 0,15 Prozent.
Wenn Ihnen China nicht gefällt, dann nehmen wir die
USA. Obama hat gesagt, er wolle 700 Milliarden Dollar
in ein Konjunkturprogramm einbringen. Davon sind wir
meilenweit entfernt.
Nehmen Sie Großbritannien. Großbritannien steckt
im nächsten Jahr 23 Milliarden Euro in ein Konjunkturprogramm
({13})
und senkt die Mehrwertsteuer von 17,5 auf 15 Prozent.
Nichts dergleichen fällt Ihnen ein, was aber dringend erforderlich wäre, wenn eine Wirtschaftsrezession verhindert werden soll.
({14})
Ich weiß ja, dass Sie uns nicht glauben; deshalb nenne
ich Ihnen auch andere Stimmen. Die EU-Kommission
hat gerade vorgeschlagen, jedes Mitgliedsland solle ein
Konjunkturprogramm im Umfang von wenigstens 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts starten. Das wären in
Deutschland 25 Milliarden Euro. Sie setzen weniger als
4 Milliarden Euro ein. Mit diesem Kleckern werden die
Probleme nicht gelöst.
({15})
Auch der Sachverständigenrat, die Fünf Weisen, die
durch und durch neoliberal geprägt sind, schlagen Ihnen
plötzlich, ebenso wie die Linke, vor, doch mindestens
25 Milliarden Euro zu investieren.
({16})
Auch sie haben erkannt, dass wir in Deutschland einen
anderen Weg gehen müssen.
Wir haben 50 Milliarden Euro vorgeschlagen. Sie
werden sagen, das sei viel zu viel Geld und maßlos übertrieben. Aber Ihr Geldargument zieht nicht mehr richtig.
Wenn Sie einen Schutzschirm von 480 Milliarden Euro
über die Banken breiten, können Sie nicht sagen, Sie hätten keine 50 Milliarden Euro zur Rettung, zur Erhaltung
und zum Ausbau der Arbeitsplätze in Deutschland; denn
das ist die zentrale Aufgabe.
({17})
Die 50 Milliarden Euro sollen auf verschiedene Bereiche aufgeteilt werden; davon schlagen wir 30 Milliarden Euro als Investitionssumme vor: 15 Milliarden
Euro sollen in Bildung fließen. Das ist ungeheuer wichtig, damit wir diesbezüglich wieder durchschnittlich
oder sogar überdurchschnittlich in Europa dastehen und
damit endlich alle Kinder chancengleich oder wenigstens annähernd chancengleich aufwachsen können, indem ihnen eine gute Bildung zuteil wird.
({18})
4 Milliarden Euro brauchen wir für die Energiewende.
Für die Gesundheit brauchen wir 3,5 Milliarden Euro.
All das führt nicht nur zu gerechteren Verhältnissen, sondern kurbelt auch die Binnenwirtschaft an; denn es gibt
immer mehr kleine und mittlere Unternehmen, die auf
die Kaufkraft der Bevölkerung und auf Investitionen dieser Art angewiesen sind. In diesem Zusammenhang haben wir auch eine Erhöhung der Regelsätze von
Hartz IV auf 435 Euro vorgeschlagen. Diese Erhöhung
würde 7 Milliarden Euro kosten und wäre vertretbar. Außerdem fordern wir eine Erhöhung der Renten um
4 Prozent. Es soll endlich einmal wieder eine wirkliche
Erhöhung der Renten sein.
({19})
Auch diese kostet 7 Milliarden Euro. Wir wollen endlich
die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohns von 8,71 Euro brutto die Stunde. Auch das
stärkt die Kaufkraft in Deutschland.
({20})
Herr Kollege Gysi!
Der Herr Präsident weist zu Recht darauf hin, dass
meine Redezeit abgelaufen ist. Ich weiß, dass Sie das
freuen wird. Sonst würde ich Ihnen noch unsere tollen
Vorschläge für die kleinen und mittleren Unternehmen
erläutern. Das erzählt Ihnen Oskar Lafontaine morgen.
Sie müssen also keine Sorge haben; das werden Sie noch
erfahren.
Eines müssen Sie begreifen: Sie müssen aufhören, zu
kleckern, und endlich klotzen. Sonst geraten wir in die
schlimmste Wirtschaftskrise seit 1949, wie es die Deutsche Bundesbank vorausgesagt hat.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts des Konjunkturprogramms, das in dieser Woche
in erster Lesung beraten wird, und der Diskussionen, die
darüber hinausgehen, ist unser Eindruck, dass die Große
Koalition in ihrer Konjunkturstabilisierungsbemühung
keine klare Richtung hat, dass sie extrem schlecht koordiniert ist und dass sie bislang auch nicht bereit ist, wirklich ernsthaft in einen europäischen Verbund von Konjunkturmaßnahmen einzutreten.
({0})
Letzteres kann ich an einem einfachen Beispiel belegen. Einen Tag, nachdem die Bundeskanzlerin Herrn
Glos beauftragt hat, auf der europäischen Ebene zu sondieren und in das europäische Konjunkturprogramm
deutsche Vorschläge einzubringen, stellt der Außenminister sein Konzept für ein europäisches Konsolidierungsprogramm vor. Wenn eine Regierung so agiert,
dann muss doch auf dem Markt der Eindruck entstehen,
dass die Große Koalition nicht so richtig weiß, was sie
eigentlich will. Wenn man uns zudem schon jetzt erklärt,
die 10 Euro Kindergelderhöhung seien der deutsche Beitrag zum europäischen Konjunkturprogramm, dann kann
ich eigentlich nur lächeln.
({1})
Ein konsistentes Konzept wird daraus jedenfalls nicht.
Wir sagen: Gebt dem, was wir machen müssen, endlich einmal eine Richtung! Lasst uns schauen, wo
Deutschlands Wirtschaft Schwächen aufweist! In diesen
Bereichen müssen wir ein effektives Investitionsprogramm auflegen. Dies würde erstens positive Konjunktureffekte bewirken und zweitens dem Ziel dienen, die wirtschaftlichen Schwächen der Bundesrepublik Deutschland
auszugleichen. Dadurch spart man Kosten und gewinnt
neue Spielräume.
({2})
Herr Meister, diese Felder, die wir auch in unserem Antrag genannt haben, sind: erstens Investitionen in den
Klimaschutz, zweitens Investitionen in Bildung - das
umfasst Investitionen in die Ausstattung des Bildungssystems, aber auch in die Schulgebäude - und drittens
mehr Investitionen in eine bessere soziale Infrastruktur
und in Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit.
({3})
Ich will mit der Umwelt anfangen. Wir haben die
Zahlen in unserem Antrag genannt, die aufzeigen, was
man zusätzlich alles machen könnte. Man kann aber
nicht einerseits Umweltinvestitionen in das Paket aufnehmen - das machen Sie in einem bescheidenen Umfang - und andererseits, wie die CSU, eine Debatte führen nach dem Motto, jetzt müsse der Klimaschutz
zurücktreten; denn Klimaschutz sei schließlich teuer.
({4})
Was die CSU da offenbart, ist das Uraltdenken, man
könne sich Klimaschutz und Umweltschutz nur leisten,
wenn es der Wirtschaft gut gehe, ansonsten stünden sie
hintenan. Das Gegenteil ist richtig: Gerade wenn es der
Wirtschaft schlecht geht, müssen wir in die Stabilisierung unserer Umwelt und des Klimas investieren. Damit
verbinden wir Wirtschaft und Umwelt und kreieren die
notwendigen zusätzlichen Arbeitsplätze.
({5})
Es ist schon ein starkes Stück, dass Sie sich nicht wegen Ihres Kfz-Steuer-Gruschds schämen, der heute in
erster Lesung behandelt wird. Wer im nächsten halben
Jahr ein Auto kauft, soll nach Ihren Plänen ein Jahr von
der Kfz-Steuer befreit werden. Das bedeutet für einen
Smart eine Steuerentlastung von 135 Euro, aber für einen Audi Q 7, der 298 Gramm CO2 pro Kilometer emittiert, eine Steuerentlastung von 1 852 Euro. Das ist - mit
Ihrer Unterstützung - die staatliche Subventionierung
von CO2-Dreckschleudern.
({6})
Nun gab es Bewegung in dieser Sache. Zuerst sollte
diese Regelung für den Neukauf ein Jahr gelten. Dann
hat die SPD ein bisschen gezuckt, und nun ist ein halbes
Jahr daraus geworden. Ich sage Ihnen aber deutlich: Was
ein Jahr lang Unsinn ist, ist auch ein halbes Jahr lang
Unsinn, liebe Genossinnen und Genossen. An dieser
Stelle hätten Sie das Kreuz gerademachen müssen.
({7})
Damit es keiner falsch versteht: Die Anrede „Genossinnen und Genossen“ war in Anführungszeichen.
({8})
Jetzt zur sozialen Frage. Die CDU führt eine Steuerentlastungsdiskussion. Sie tut so, als sei eindeutig klar,
dass eine Steuerentlastung einen wirksamen Konsumschub bringen könnte. Aber die Steuerentlastung, über
die Sie diskutieren und die Herr Meister in seiner Rede
an die dritte Stelle gestellt hat, als er von einem gleichmäßigen, linear progressiven Tarif sprach, kostet nach
Einschätzung der Experten 45 Milliarden Euro.
({9})
- Sie müssen schon die Summe nennen, um die es eigentlich geht. - Wir sagen klar: Eine Steuerreform in
dieser pauschalen Form ist unter den bestehenden Bedingungen nicht zu finanzieren,
({10})
weil nicht garantiert ist, Herr Meister, dass sie wirklich
konsumsteigernde Effekte in der Breite hat. Sie können
diese Effekte nicht genau vorhersagen.
Wir stellen eine andere Frage: Warum entlasten wir
nicht die Leute, denen es sozial so schlecht geht, dass sie
sicherlich mehr für ihre Familien kaufen würden, wenn
sie nur etwas mehr Geld hätten? Deswegen sagen wir:
Lasst uns das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro anheben!
Damit ist auch ein Anstieg des steuerlichen Grundfreibetrages auf 8 500 Euro verbunden, was im unteren Einkommensbereich zu positiven Effekten führt. Lasst uns
endlich die Beseitigung der sozialen Schieflage, die es in
Deutschland gibt, mit der Notwendigkeit eines Konjunkturprogramms verbinden! Davon haben Sie bislang nicht
geredet.
({11})
Ich will von der Union wirklich einmal wissen - aus
Ihren Reihen gibt es ja noch Redner zu diesem Punkt -,
wie Sie die Aussichten für Ihre Steuerreform einschätzen. Wollen Sie sie noch in dieser Legislaturperiode machen, oder stimmen Sie Herrn Meister zu, der davon gesprochen hat, erst den Haushalt zu konsolidieren und
dann die Steuern zu senken?
Für den Fall, dass Sie das ernst meinen, Herr Meister,
stelle ich Ihnen einmal folgende Frage: Wieso ist im
Rahmen der Föderalismuskommission II noch nicht
von Herrn Oettinger und Herrn Struck zu einem Anschlusstermin für eine Plenarsitzung eingeladen worden?
Zur Erinnerung: Im Oktober sollte in der Föderalismuskommission eine Regelung zur Schuldenbremse verabschiedet werden - wegen der Bayern-Wahl erst so spät
im Oktober. Das ist bekannt; es ist kein Geheimnis.
Dann hat man die Sitzung mit der Begründung des SPDParteitags abgesagt. Klar war: Der eigentliche Grund
war die Finanzkrise; denn in der Großen Koalition
glaubt keiner mehr ernsthaft an eine Schuldenbremse.
Jetzt ist der SPD-Parteitag vorbei, und es gibt noch immer keine Einladung zu einer Sitzung der Föderalismuskommission, auf der vereinbart werden könnte, dass eine
Schuldenbremse beschlossen wird, die - mit Ausnahmen
für Notzeiten, wie dies die Finanzkrise ja jetzt ist - funktioniert.
Ich sage Ihnen, Herr Meister: Die Verwirklichung des
Plans, zuerst zu konsolidieren und den Haushalt dann
tatsächlich auszugleichen, schaffen Sie nie bis zur
nächsten Bundestagswahl. Ihre Vorstellung: „Wir führen
nach der Bundestagswahl eine Steuersenkung durch, damit wir einen schönen Wahlkampf führen können“ ist
nicht richtig und nicht zu verwirklichen - zumindest
dann nicht, wenn das stimmt, was Sie heute gesagt haben.
({12})
Zum Schluss stelle ich fest: Ein richtiges Investitionsprogramm, das Arbeitsplätze schafft, muss bei der Klimapolitik, der Bildung und bei sozialer Gerechtigkeit
ansetzen. Es muss eine Richtung haben und darf kein
wildes Sammelsurium sein, wie es das der Bundesregierung ist.
({13})
Dr. Hans Michelbach ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Zweifel: Die Finanzmarktkrise, die
Angst vor der Rezession, die Sorge um Auftragseinbrüche, die Furcht vor Arbeitsplatzverlusten, Investitionskürzungen sind leider Realität. Ursachen sind das Versagen von Marktakteuren in der Kreditwirtschaft und ein
breiter Stimmungsabschwung in der gesamten Wirtschaft, insbesondere in allen Exportländern dieser Welt.
Da ist es gut, wenn die Politik schnelle und konkrete
Handlungsfähigkeit beweist. Die Krisenfähigkeit, das
Krisenmanagement dieser Bundesregierung, der Großen
Koalition haben funktioniert und funktionieren.
({0})
Das sieht die Wirtschaft so; das sehen die Menschen so.
Wir erzeugen Vertrauen in die Zukunftssicherung. Wir
haben in den Maßnahmen eine klare Richtung. Wir haben klare ordnungspolitische Grundsätze.
({1})
Wir müssen deutlich sagen, was getan wurde und was
noch getan werden muss. Das ist ein fortlaufender Prozess; denn auch Wirtschaft ist ein fortlaufender Mechanismus. Zunächst haben wir wirtschaftliche Erfolge erzielt. Darüber muss man reden. Wir hatten im letzten
Jahr Steuermehreinnahmen von 38,2 Milliarden Euro.
Das heißt, hier wurden überhaupt erst die Grundlagen
geschaffen, die nötig sind, um Maßnahmenpakete, Investitionsanreize und Steuersenkungen in Angriff zu
nehmen. Die Situation ist: Wir haben in den letzten drei
Jahren etwas geschaffen; wir haben einen wirtschaftlichen Erfolg auf der Habenseite. Das ist ein wesentlicher
Punkt.
({2})
Wir müssen deutlich machen, welche Grundlage vorhanden ist: zum Beispiel die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent.
Das ist eine Entlastung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber um 30 Milliarden Euro. Auch das ist ein Punkt
auf der Habenseite. Damit geben wir Konjunkturanreize.
({3})
Wir müssen natürlich deutlich machen, dass gezielte
Maßnahmen ergriffen wurden. Ich denke dabei an den
500-Milliarden-Euro-Schirm für das Funktionieren des
Geldmarktes. Das war ein wichtiger Schritt und hat bei
den Sparern und Anlegern Vertrauen geschaffen. Es
wurde verhindert, dass sich wie in Großbritannien vor
den Banken Schlangen gebildet haben. Es wurde das
richtige Paket aufgelegt. Natürlich wünschen wir uns,
dass die Standards der Kreditvergabe wieder so sind,
dass es keine Kreditklemme gibt. Aber zunächst einmal
ist wesentlich gehandelt worden. Auch das ist ein Punkt
auf der Habenseite.
Das heutige Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ ist ein weiterer wichtiger Schritt, ein Impuls für mehr Konsum und Investitionen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Troost?
Selbstverständlich, gerne.
Herr Kollege Michelbach, Sie haben gerade von der
expansiven Wirkung der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags gesprochen. Stimmen Sie mir zu, dass
dieser Senkung die erhöhten Beiträge für die Gesundheitsversorgung gegenüberstehen und die Bürgerinnen
und Bürger insofern letztlich nicht mehr Geld in der Tasche haben werden, sondern eher weniger?
({0})
Da stimme ich Ihnen nicht zu; denn letzten Endes
dient eine solche Maßnahme der Stärkung des Wettbewerbs. Mit Einführung des Gesundheitsfonds wird es zu
mehr Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen kommen. Durch Bonuszahlungen und andere Wettbewerbsmaßnahmen wird ein Systemwechsel bewerkstelligt.
({0})
Der Konjunkturbeitrag ist in jedem Fall dadurch gegeben, dass beim Arbeitnehmer und beim Arbeitgeber
durch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge Wirkung entfaltet wird.
({1})
Die Bundesregierung wird auch das EU-Paket auf den
Weg bringen. Schon jetzt weitere Maßnahmen anzukündigen, halte ich für kontraproduktiv. Die Situation darf
nicht schlechtgeredet werden. Wir müssen gegen den
Pessimismus und die Aktionismusforderungen Einzelner
vorgehen.
({2})
Wir müssen deutlich machen, dass eine ordnungspolitische Linie - Vernunft, Effizienz und Optimismus - der
richtige Weg ist. Auf diesem Weg wird es das eine oder
andere weitere Maßnahmenpaket geben.
Natürlich wollen wir im steuerlichen Bereich weitere
Maßnahmen ergreifen, aber alles zu seiner Zeit. Wir haben gehandelt: Mit der Wiedereinführung der degressiven
AfA und der Verbesserung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen haben wir Mittelstandsfreundlichkeit bewiesen. Der Motor des Beschäftigungssektors, der Motor der Wirtschaft ist der Mittelstand, und
dieses Maßnahmenpaket ist absolut zielsicher auf den
Mittelstand angelegt. Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen. Diesen Weg sollten wir gemeinsam beschreiten; denn er führt zu Erfolg bei Wachstum und zu
Beschäftigungssicherung in Deutschland.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Schultz,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befindet, kommt es auf zwei
wesentliche Dinge an: Erstens. Die Erkenntnis der
Schwierigkeiten darf nicht in Panik umschlagen. Als
verantwortliche Politiker haben wir einen ganz wesentlichen Beitrag dazu zu leisten.
({0})
In der Bevölkerung wird Ruhe bewahrt. Wir haben sogar
Daten vorliegen, nach denen der private Konsum steigt,
obwohl man eigentlich vermuten müsste, dass er zurückgeht. Im Bereich der Wirtschaft handelt man trotz des
Ernstes der Lage sehr rational und tritt mit der Politik in
einen Dialog über die Frage ein, was erforderlich ist und
was nicht.
Auslöser der Probleme ist die Finanzkrise. Ich glaube,
wir haben sehr schnell und gut gehandelt. Wir stellen sicher, dass der Geldverkehr, der Geldfluss, die Finanzierung von Unternehmen und privaten Haushalten, ohne
Kreditklemme möglich ist. Wir werden darauf achten,
dass das auch weiterhin möglich bleibt. Auch das Paket,
das wir heute beschließen, enthält Elemente, die dafür
sorgen sollen, dass Unternehmen, private Haushalte und
verschuldete Gemeinden, die Schwierigkeiten am Kapitalmarkt haben, leichter an Geld herankommen, um investieren zu können.
Zweitens. Wir müssen natürlich darauf achten, dass
die Maßnahmen, die wir ergreifen, sofort funktionieren
und nicht wie ein Forschungsförderungsprogramm
- manch einer schlägt hier Programme vor, die er schon
immer mal umsetzen wollte - erst in fünf, zehn oder
15 Jahren spürbare Erträge abwerfen. Man darf die Umstrukturierungen von Wirtschaft und Gesellschaft, die
langfristig erforderlich sind, hin zur Forschungs- und
Bildungsgesellschaft - das machen wir ja - und auch den
ökologischen Umbau der Gesellschaft nicht mit Konjunkturpolitik verwechseln. Konjunkturpolitik ist nur
das, was sofort treffgenau wirkt; es geht dabei um Treffgenauigkeit.
({1})
Reinhard Schultz ({2})
- Zur Kfz-Steuer will ich gern etwas sagen. Wenn der
Präsident des Verbandes der Automobilindustrie diese
Reform ausdrücklich für eine geeignete Maßnahme hält,
({3})
kann man trotzdem seine Zweifel haben - auch ich
glaube nicht immer allen Präsidenten -, aber dann ist sie
zumindest nicht völlig weltfremd. Wenn eine Reform der
Kfz-Steuer dazu beiträgt, dass wir vielleicht schneller als
erwartet mit den Ländern zu einem Konsens über eine
CO2-orientierte Umgestaltung der Kfz-Steuer kommen
- vielleicht sogar noch im nächsten Jahr -, dann wäre
das eine gute Sache. Allein das wäre es wert, diese Diskussion zu führen.
({4})
Die Kaufzurückhaltung bei Automobilen liegt zum
Teil daran, dass die Käufer nicht genau wissen, welche
steuerliche Kulisse mittelfristig auf sie zukommt. Da
gibt es aufgrund der Konjunktur, aber auch aufgrund unsicherer Besteuerungsgrundlagen in der Zukunft einen
Attentismus.
({5})
Insofern können wir nur appellieren und daran arbeiten,
so schnell wie möglich mit der richtigen Kfz-Steuer-Reform über die Rampe zu kommen.
Konjunkturprogramme müssen etwas Besonderes
sein. Das, was wir in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten organisieren, darf nicht auf die Ewigkeit angelegt
sein; denn dann gäbe es gar keinen Grund, jetzt zu handeln.
({6})
Deswegen haben wir unsere Maßnahmen im Wesentlichen auf zwei Jahre angelegt.
({7})
Wer in den nächsten zwei Jahren nicht handelt, guckt in
die Röhre. Man muss in diesem Zeitraum, in dem es
wirtschaftlich schwierig ist, investieren und ausgeben.
Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass diese
Maßnahmen zu dem passen, was wir langfristig erreichen wollen. Dazu dienen die Maßnahmen, die im Haushalt angelegt sind, zum Beispiel die, die mit der KfW
insbesondere im Bereich der Gebäudesanierung durchgeführt werden, übrigens unter Einbeziehung öffentlicher Gebäude, insbesondere Schulen und Kindergärten.
({8})
Das wird hier immer gefordert. Aber viele, die das fordern, lesen offensichtlich nicht, was in den Vorlagen
steht; das muss man leider manchmal feststellen.
Ich denke, wir sind richtig aufgestellt. Diese Maßnahmen sind nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Gesamtkulisse. Ich denke an das Finanzmarktpaket. Übrigens, Herr Gysi, ich weiß nicht, was Sie so im
Allgemeinen lesen - hoffentlich nicht nur Neues
Deutschland -,
({9})
aber das Kommuniqué nach den Gipfeln war völlig eindeutig: Alle Themen, von den Ratingagenturen bis zu
der Frage, dass Risiken, die außerhalb der Bilanzen stehen, in die Bilanzen aufgenommen werden, usw. sind
angelegt.
({10})
Wenn Sie der Diskussion über das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz in Deutschland folgen würden - als
Berichterstatter haben Sie das Recht, daran teilzunehmen -, dann wüssten Sie, dass in der Koalition verabredet ist, die Aufnahme von außerbilanziellen Risiken in
die Bilanzen noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. Ich denke, da sind wir völlig richtig aufgestellt. Ich
kann nicht nachvollziehen, was Sie erzählen; aber ich
weiß, aus welchen Gründen Sie das tun.
({11})
Sie sind eine personifizierte Zweckgesellschaft, die nur
einen Zweck verfolgt, nämlich die Bürger hinter die
Fichte zu führen. Das ist Ihre Aufgabe als Zweckgesellschaft namens Linkspartei.
({12})
Wir haben die Situation, dass die Energiepreise gesunken sind. Das ist natürlich auch ein Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Situation. Daher sinkt auch die Inflationsrate. Darüber freuen sich insbesondere die
Rentner - sie werden dauernd erwähnt -, die mit einer
Rentenerhöhung von über 2 Prozent fest rechnen können, die nicht von der Inflation im nächsten Jahr aufgefressen werden wird. Das ist eine gute Botschaft und
trägt - das war von uns so nicht geplant - zum Erfolg
des Konjunkturprogramms bei.
({13})
Dies gilt auch für die volle Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge im Jahr 2010. Auch dies war
nicht als Konjunkturprogramm geplant; aber wenn man
sich überlegt, wie viel Geld bei den privaten Haushalten
zusätzlich ankommt, dann muss man auch das einbeziehen, was man sowieso schon beschlossen hat. Es trifft
sich gut, dass Milliardenbeträge gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Situation bei den privaten Haushalten als Entlastung ankommen werden.
Zur Frage der Größenordnung. Herr Gysi nennt das
1,3-Billionen-Programm der Chinesen. Bei den Chinesen gibt es 800 Millionen arme Leute, die nur davon leben, ihren Reis anzubauen. Dort gibt es soziale Unruhen.
Der Einzige, der dort wirklich Geld hat, ist der Staat.
({14})
Reinhard Schultz ({15})
Beispiel USA: Dort ist der Staat verschuldet, und die
Sparquote liegt im Schnitt im Minusbereich. Dort kann
man kein Programm machen wie bei uns. Wir haben eine
sehr hohe Sparquote. Wir müssen den Sparern sozusagen
ein Bonbon anbieten, damit sie mit ihrem Ersparten herausrücken. Wir wollen das private Geld mobilisieren,
nicht nur Staatsknete.
({16})
Das gelingt mit unserem Programm. Das ist in den
USA überhaupt nicht möglich, weil es kein privates
Geld gibt. Das ist in China erst recht nicht möglich, wie
man sich lebhaft vorstellen kann. Dort ist nur der Einsatz
von Staatsknete möglich. Da wir aber weder die USA
noch China sind, sondern Deutschland sehr sparsame
Bürger hat, die auf ihrem Ersparten sitzen, müssen wir
ihnen das Vertrauen geben, dass es sich lohnt, ihr Geld
jetzt für Investitionen in den privaten Haushalt auszugeben. Diese Investitionen erleichtern wir ihnen, indem sie
die Handwerkerrechnungen absetzen können und auch
durch andere Art und Weise.
Wir haben damit auch schon Erfahrungen gemacht.
Mit dem ersten Wachstumsprogramm, das wir zu Beginn
der Großen Koalition aufgelegt haben, haben wir Grundlagen für Maßnahmen gelegt, die sehr gut gewirkt haben.
Ein Beispiel ist das Programm zur Gebäudesanierung
und noch viele andere Dinge. Daran knüpfen wir an.
Dann wurden hier die degressive AfA und auch andere Abschreibungstatbestände kritisiert. Der Vorwurf
war, dass diese nicht für immer gelten. Das aber ist der
Sinn der Sache. Ich als Berichterstatter habe schon bei
der Unternehmensteuerreform gesagt: Diese Dinge müssen wir für wirtschaftlich schwierige Zeiten in petto haben. Das ist kein Tatbestand für normale Zeiten. Gut,
dass wir das getan haben. Denn jetzt können wir mit diesen Maßnahmen die Konjunktur anschieben. Hätten wir
sie als Regeltatbestand, dann würden diese Instrumente
nicht mehr zur Verfügung stehen.
({17})
Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht der Panik das Wort zu reden, aber auch nicht
hasenfüßig zu sein. Ich glaube, wir sind auf einer ausgesprochen guten Spur, auch dieses wirtschaftliche Risiko
gemeinsam zu bewältigen.
Herzlichen Dank.
({18})
Olav Gutting ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns dieser Tage in einer Situation, die
vor wenigen Monaten noch keiner für möglich gehalten
hätte. Die Indikatoren sind klar: Wir befinden uns in einer Rezession. Dennoch ist das nicht die Katastrophe,
die jetzt einige an die Wand malen. Die deutsche Wirtschaft und vor allem auch der deutsche Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Jahren eine Robustheit erarbeitet, die ihresgleichen sucht.
Wir sollten deshalb jetzt nicht damit beginnen, den
Abschwung in ein tiefes Tal geradezu herbeizureden.
({0})
Wie lange und wie tief die Wachstumsdelle wird, hängt
von einem Gutteil von uns selbst ab.
({1})
Die Industrie in Deutschland ist jedenfalls sehr viel stärker als in anderen vergleichbaren Industrieländern.
Gerade auch deshalb gilt es, trotz der Finanzkrise die
Haushaltskonsolidierung nicht völlig aus den Augen zu
verlieren.
Die letzten Jahrzehnte haben immer wieder gezeigt:
Ein klassisches Konjunkturprogramm entwickelt ungefähr die Wirksamkeit eines Regentanzes der Hopi-Indianer. Der einzige Unterschied ist: Ein solcher Tanz ist
regelmäßig umsonst zu haben, ein klassisches Konjunkturprogramm hingegen belastet die öffentlichen Haushalte bis weit in die nächste Generation hinein.
({2})
Wir haben deswegen heute kein klassisches Konjunkturprogramm auf dem Tisch liegen. Nein, wir wollen Beschäftigung durch Wachstumsstärkung sichern.
Hier kann das heutige Maßnahmenpaket ein wichtiger
Impulsgeber sein. Ich möchte besonders die geplante
Verdoppelung des Absetzbetrages für Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen im privaten Bereich hervorheben.
({3})
Hier werden wir den Steuerbonus von bisher maximal
600 Euro auf 1 200 Euro verdoppeln. Nachdem es bei
der ursprünglichen Einführung der 600-Euro-Grenze ein
bisschen gedauert hat, bis die Kunden und die Handwerker das ganze System verstanden haben, bis es durchgedrungen war und die Handwerker das Ganze in ihren
Akquisebemühungen berücksichtigt haben, können wir
heute sagen: Die Anlaufschwierigkeiten bei den Regelungen zur Verdoppelung, die wir heute beschließen
werden, gibt es nun nicht mehr. Das Handwerk weiß,
wie es geht. Das wird gut angenommen. Deswegen wird
diese Maßnahme unmittelbar und sofort Wirksamkeit
entfalten.
({4})
Wir werden des Weiteren, befristet für die nächsten
zwei Jahre, die degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter einführen. Ich meine aber - diese
Bemerkung erlauben Sie mir -, dass die Beschränkung
auf bewegliche Wirtschaftsgüter doch zu wenig innovativ ist. Was machen wir mit den immateriellen, also den
unkörperlichen Wirtschaftsgütern? Hierzu zählt zum
Beispiel Software. Schon längst sind die immateriellen
Wirtschaftsgüter in den modernen Unternehmen in
Deutschland nämlich mindestens genauso wichtig wie
die materiellen.
({5})
Ich will klarstellen: Es geht nicht darum, jetzt noch einer weiteren notleidenden Branche etwas zukommen zu
lassen nach dem Motto „Wer hat noch nicht, wer will
noch mal?“, sondern es geht darum, unsere erfolgreiche
Stellung im internationalen Wettbewerb zu stärken. Dafür brauchen wir Effizienz- und Intelligenzverstärker.
Hierfür ist zum Beispiel moderne Software hervorragend
geeignet.
({6})
Wenn wir auch zukünftig Weltmarktanteile hinzugewinnen wollen - das wollen wir, und das werden wir -,
dann müssen wir gerade in diesen Bereich zusätzlich investieren, das Investitionsverhalten stimulieren und entsprechende Anreize schaffen. Wir sollten geeignete
Maßnahmen ergreifen, um gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen.
Lassen Sie mich auf Folgendes hinweisen - das
wurde schon mehrfach angesprochen -: Man darf das
vorliegende Maßnahmenpaket nicht isoliert betrachten.
Es ist ein Bestandteil vieler verschiedener Bausteine.
Vorhin wurde bereits hervorgehoben, dass die Senkung
des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von 6,5 Prozent auf demnächst 2,8 Prozent eine Maßnahme ist, die
bei den Arbeitnehmern hälftig ankommt.
({7})
Die Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dadurch erzielt wird, entspricht in etwa einer
Senkung der Mehrwertsteuer um zwei bis drei Prozentpunkte.
({8})
Auch das gehört zur Wahrheit und muss einmal deutlich
gemacht werden.
Insgesamt kann man festhalten: Die Maßnahmen des
jetzt vorliegenden Paketes sind langfristig sinnvoll,
kurzfristig umsetzbar und rasch wirksam. Darauf kommt
es jetzt an.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 16/10930 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vor-
lage auf Drucksache 16/10619 soll federführend an den
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie zur
Mitberatung an den Finanzausschuss und an den Haus-
haltsausschuss überwiesen werden. Die Vorlage auf
Drucksache 16/11023 soll federführend an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie sowie zur Mitbe-
ratung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für
Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie
an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie
damit einverstanden, oder gibt es weitere Vorschläge zur
Überweisung? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte II a und b auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2009 ({0})
- Drucksachen 16/9900, 16/9902 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012
- Drucksachen 16/9901, 16/9902, 16/10426 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwar
zunächst zu den drei Einzelplänen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksache 16/10424 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Ewald Schurer
Dr. Dietmar Bartsch
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss-
fassung? - Stimmt jemand dagegen oder enthält sich der
Stimme? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Einzel-
plan 01 einstimmig angenommen. - Das fängt doch gut
an.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.2 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 16/10402, 16/10423 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Königshofen
Gunter Weißgerber
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wer stimmt dem Einzelplan 02 in der Ausschussfas-
sung zu? - Stimmt jemand dagegen oder enthält sich der
Stimme? - Dann ist auch dieser Einzelplan einstimmig
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 16/10423, 16/10424 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Johannes Kahrs
Dr. Dietmar Bartsch
Wer dem Einzelplan 03 in der Ausschussfassung zu-
stimmt, den bitte ich ums Handzeichen. - Ist jemand da-
gegen, oder enthält sich jemand der Stimme? - Dann
darf ich auch hier die einstimmige Annahme des Einzel-
planes feststellen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk-
ten II.4 a und b:
a) Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen
- Drucksachen 16/10408, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Bernhard Brinkmann ({3})
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 16/10423, 16/10424 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel ({4})
Dr. Claudia Winterstein
Omid Nouripour
Zum Einzelplan 08 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion Die Linke vor, über die wir später abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Das ist offensichtlich einvernehmlich und damit so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Bundeshaushalt 2009 ist ein guter Haushalt
in schwierigen Zeiten. Wir haben diesen Etat im Haushaltsausschuss und in der Großen Koalition gemeinsam
beraten. Wir haben uns Zeit genommen, um auch die
eben diskutierten Maßnahmen zur konjunkturellen Stützung aufzunehmen. Das heißt: Auch die Opposition
hatte lange Gelegenheit, sich damit auseinanderzusetzen.
({0})
Wir haben fast alle Minister, deren Aussagen gewünscht
wurden, gehört und die Beratungen in einer konstruktiven Atmosphäre durchgeführt.
({1})
Seitdem der Bundeshaushalt vor fünf Monaten im
Kabinett beschlossen wurde, haben sich dramatische
Veränderungen ergeben. Wir haben das teilweise eben
schon diskutiert und gehört. Wer hätte im Juli gedacht,
dass es zu einer Insolvenz von Lehman Brothers, einem
150 Jahre alten Unternehmen, kommen könnte? Wer
hätte gedacht, dass aus dem Mutterland des Turbokapitalismus innerhalb weniger Wochen die Vereinigten Verstaatlichungen von Amerika werden würden? Wer hätte
damals gedacht, dass europäischen Staaten wie Island
und Ungarn der Staatsbankrott drohen könnte? All dies
geschah im Zeitraffer und mit einer unglaublichen Beschleunigung, wodurch auch wir Abgeordnete und die
Bevölkerung vor große Herausforderungen gestellt wurden.
Heute sind wir alle klüger. Wir wissen, dass sich die
Welt da draußen dramatisch verändert hat. Wir wissen,
dass die Finanzmärkte, ohne die eine moderne Volkswirtschaft nicht funktionieren kann, nicht mehr das sind,
was sie waren. Wir wissen, dass die Auswirkungen auf
die Realwirtschaft eingetreten sind und nicht nur einzelne Unternehmen, sondern auch ganze Branchen
Schwierigkeiten haben, Kredite zu erhalten.
Auf all diese Veränderungen haben wir als Parlament
in den Beratungen reagiert und entsprechend gehandelt.
Von daher können wir auch klar sagen, dass der Haushalt
nach den Beratungen durch das Parlament wie immer
besser geworden ist, als er vorher war.
({2})
Wir haben unter dramatisch schlechteren äußeren Bedingungen das Bestmögliche getan.
Wenn wir diese Legislaturperiode als Vergleich nehmen - wir hatten uns das Ziel gesetzt, den Haushalt zu
konsolidieren, wir wollten gemeinsam in der Großen
Koalition dafür sorgen, dass die Einnahmen und Ausgaben in Einklang gebracht werden, wir haben trotz der
Umstände zusätzliche Investitionen angestoßen und andere gesellschaftspolitische Maßnahmen umgesetzt, zum
Beispiel das Elterngeld, aber auch den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen -, dann lässt sich konstatieren, dass wir 2005 mit einem strukturellen Defizit beim
Bund von über 60 Milliarden Euro gestartet sind und
heute mit dem Entwurf, den wir Ihnen vorlegen und in
Carsten Schneider ({3})
dieser Woche debattieren, bei einem strukturellen Defizit
von knapp 20 Milliarden Euro liegen, und dies trotz der
wirtschaftlich schwierigen Zeit.
Ja, wir werden die Nettokreditaufnahme in diesem
Jahr um 8 Milliarden Euro gegenüber der Planung erhöhen. 10,5 Milliarden Euro waren es nach unseren Planungen. Wir kommen auf insgesamt 18,5 Milliarden
Euro. Dies ist notwendig, weil wir als Staat in eine wirtschaftliche Krise nicht noch hineinsparen und damit die
Krise verstärken wollen. Nein, wir lassen die automatischen Stabilisatoren - so nennt sich das, wenn man die
Steuermindereinnahmen und die Mehrausgaben durch
eine schlechtere Arbeitsmarktsituation zum Beispiel
beim Arbeitslosengeld II in den öffentlichen Haushalten
hinnimmt - gelten und wirken. Das ist der eine Grund
für die Erhöhung der Kreditaufnahme.
Der andere Grund ist Vorsorge. Schauen Sie sich die
Entwicklung an den Börsen an, was die Unternehmenswerte betrifft. Eine Commerzbank bekommen Sie mittlerweile für 6 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank gibt es
für 12 Milliarden Euro. In diesen Zeiten ist es nicht gerechtfertigt, Privatisierungen in dem Umfang durchzuführen, den wir geplant hatten. Deswegen haben wir den
Verkauf von Vermögen, von Beteiligungen des Bundes,
den wir grundsätzlich für gerechtfertigt erachtet haben,
und damit das Erwirtschaften von Privatisierungserlösen
geschoben. Dies führt zu einer Veränderung, aber auch
einer strukturellen Verbesserung des Haushalts um
2,3 Milliarden Euro, denn in diesem Umfang erhöhen
wir die Kreditaufnahme und senken die Privatisierungserlöse.
Wenn Sie dies mit der Zahl des strukturellen Defizits
im Jahre 2008 vergleichen - da hatten wir eine Kreditaufnahme von knapp 12 Milliarden Euro plus 10 Milliarden Euro Privatisierungserlöse; wir haben in diesem Jahr
18,5 Milliarden Euro plus 2 Milliarden Euro -, dann
stellen Sie fest, dass das strukturelle Defizit nahezu
gleich groß ist.
({4})
Das zeigt, trotz der wirtschaftlichen Krisensituation
haben wir es geschafft, einen soliden Haushalt vorzulegen, der sich, was das Defizit betrifft, im europäischen
Vergleich sehen lassen kann.
({5})
Das Defizit der öffentlichen Haushalte liegt in der
Bundesrepublik nach der neuesten Meldung für 2009 an
die EU-Kommission bei 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den Vereinigten Staaten werden es im
nächsten Jahr 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein.
Im Vereinigten Königreich werden es 5,6 Prozent und
bei den Franzosen 3,5 Prozent sein. Bei uns sind es
0,8 Prozent und dies, obwohl wir die Maßnahmen, auf
die ich noch eingehen werde, zur Investitionsstärkung
eingerechnet haben. Dies ist nur möglich, weil wir in den
vergangenen Jahren eine solide Haushaltspolitik mit einer deutlichen Rückführung der Kreditaufnahme, der
Privatisierungserlöse und des strukturellen Defizits gemacht haben.
({6})
Dies ermöglicht uns unser Vorgehen in der heutigen
Krise, von der niemand weiß, wie stark sie tatsächlich
ist, wie tief sie greifen wird und wie lange sie dauern
wird. Wenn man sich die Konsumzahlen in der GfK-Studie von heute anschaut, dann stellt man fest, dass die Bevölkerung diesem Land vertraut, dass sie seiner Leistungsfähigkeit vertraut. Das müssen wir verstärken,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
({7})
Wir verstärken dies zum einen durch die Entlastungen, die wir sowohl durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages als auch bei den steuerlichen
Maßnahmen durch die Absetzbarkeit von Vorsorgeaufwendungen in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro vornehmen. Wir verstärken es zum anderen durch die Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge - das
ist alles in diesem Haushalt drin - und durch zusätzliche
Maßnahmen zur Investitionsförderung.
Dies alles ermöglicht uns, als Staat zu handeln. Das
ist auch notwendig in einer Zeit, in der die Märkte verrückt spielen und der letzte Anker letztendlich der Staat
ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Staat steuerlich
so ausgestattet sind, dass wir dies auch alles tun können.
Das sage ich auch klar in Richtung FDP. Wer ständig
Steuersenkungen und eine Verarmung des Staates fordert, kann in Krisenzeiten nicht mehr handeln.
({8})
Ich glaube, wir schaffen mit diesem Etat eine solide
Grundlage, um sowohl in der Europäischen Union als
auch für unsere Volkswirtschaft die notwendigen Impulse zu setzen, wohl wissend, dass wir einen gesamtwirtschaftlichen Aufschwung weder stimulieren noch
maßgeblich beeinflussen können - und schon gar nicht
den Abschwung aufhalten können. Was wir machen können, ist ein Vorziehen - das ist auch sinnvoll - von gezielten Investitionen auch in den Kapitalstock unseres
Landes. Dies tun wir mit Mehrausgaben im Bereich der
Straßenbauinvestitionen. Das rechnet sich langfristig.
Das ist auch sinnvoll für eine Volkswirtschaft wie die
unsere im Zentrum Europas, die leistungsfähig sein will
und sein muss. Das tun wir durch zusätzliche Investitionen auch in den Forschungsbereich. Wir investieren also
nicht etwa in Projektförderung oder sonstiges, sondern
finanzieren gezielte Investitionsmaßnahmen in Höhe
von 200 Millionen Euro auf Initiative des Parlaments für
den bereits bestehenden Bedarf an Großforschungseinrichtungen. Durch diesen Impuls werden diese Maßnahmen in Gang gesetzt werden können, und damit bleiben
uns langfristig unser Know-how, das das Entscheidende
für unsere Volkswirtschaft ist, unser Wissensvorsprung
und damit auch unser Produktivitätsvorsprung gegenüber anderen Volkswirtschaften erhalten.
({9})
Carsten Schneider ({10})
Wir erhöhen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ um
100 Millionen Euro, um Investitionen voranzutreiben
- auch dabei ist eine klare Aufteilung vorgesehen:
50 Prozent der Mittel fließen in die neuen Bundesländer,
50 Prozent in die alten Bundesländer -, um einen Vorzieheffekt bei Investitionen zu erreichen und Attentismus zu
verhindern.
Zusätzlich haben wir ein Programm aufgenommen,
das mir als Haushaltspolitiker besonders wichtig war
- ich bin dankbar, dass die Große Koalition dies so beschlossen hat -, nämlich die investive Verstärkung von
Weltkulturerbestätten. Wir haben 33 Weltkulturerbestätten in Deutschland. Sie sind ein elementarer Bestandteil
unserer Kulturgeschichte. Es sind meistens kleine
Städte, die gar nicht in der Lage sind, mit diesem Kulturgut umzugehen und die notwendigen Finanzierungsvoraussetzungen zu schaffen, um den touristischen und kulturellen Effekt, aber auch den wirtschaftlichen Effekt
durch zusätzliche Investitionen gezielt zu nutzen. Hierfür haben wir 150 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Ich gehe davon aus, dass Bundesminister
Tiefensee uns im Laufe des Jahres eine Aufstellung vorlegen wird, wie wir dieses besondere kulturelle Erbe
auch mit Mitteln des Bundes ausfüllen können.
({11})
Wir machen Tempo bei den Verkehrsinvestitionen.
Das habe ich schon erwähnt.
Wir haben einen Schutzschirm von knapp
500 Milliarden Euro gespannt. Das ist die wichtigste
konjunkturelle Maßnahme zur Stabilisierung unserer
Wirtschaft im Bankensektor, aber nicht für die Banken
und Banker, sondern dafür, dass die Finanzwirtschaft,
die für die Kapitalversorgung der Unternehmen unseres
Landes entscheidend ist, wieder Kredite vergibt und Unternehmen investieren können. Das war eine einmalige
Entscheidung in diesem Parlament und die wichtigste
Maßnahme, um die Konjunktur und die wirtschaftliche
Stabilität in unserem Land zu sichern, insbesondere was
die Spareinlagen der Bürgerinnen und Bürger betrifft.
Hier herrschen Sicherheit und Vertrauen.
In dieser Zeit sind viele dabei, eine Krise herbeizureden und auch zu verstärken. Wir sollten dies nicht tun,
({12})
und es sollte auch nicht noch in jeder Branche nach zusätzlichen Förderungen und Subventionen geschrien
werden. Das geht nicht an. Wir müssen als Staat sehr solide und bewusst mit dem Geld umgehen. Das meiste,
das wir einnehmen, kommt von den Bürgerinnen und
Bürgern, von den einfachen Leuten. Sie finanzieren diesen Staat.
Von daher kann man in einer Zeit, in der es vielleicht
wirtschaftlich schlechter läuft, nicht Subventionen für
jede einzelne Branche wiederaufleben lassen und mit
dem Füllhorn durchs Land gehen. Ich warne davor. Das
ist das Gesetz der großen Zahl: je größer, desto besser,
und dann kommt noch eine Ebene oder noch ein Minister, der etwas fordert, was er schon immer fordern
wollte. Das werden wir als Deutscher Bundestag nicht
mitmachen.
({13})
Wir nehmen nur ganz gezielte Investitionen vor, die auch
den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen.
Dabei gilt das alte Gelassenheitsgebet: Gib mir die
Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern
kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden! Dazu rate ich uns auch.
({14})
Zu den Entlastungen, die vielfach angesprochen
wurden - aus der Union ist ein vielstimmiger Chor dazu
zu hören; ich bin froh, dass mein Kollege Kampeter Ordnung hält; ich hoffe, er dringt damit auch auf dem Bundesparteitag ab Ende dieser Woche durch -, sage ich
klar: Die größte Einzelentlastung der Bürgerinnen und
Bürger, die es gibt und auf die wir keinen Einfluss haben, ist der Rohölpreis. Was haben wir im Sommer für
Diskussionen geführt: 150 Dollar pro Barrel! Jetzt liegt
der Rohölpreis bei unter 50 Dollar. Das entspricht einer
Entlastung von 20 Milliarden bis 25 Milliarden Euro für
die Bevölkerung.
Hätten wir damals die Pendlerpauschale angepasst,
wie es die CSU und auch die Oppositionsfraktionen gefordert haben, dann wären wir jetzt erst mit der Gesetzgebung durch, aber die Situation sähe schon wieder ganz
anders aus. Das heißt, wer glaubt, dass der Staat ständig
auf Marktveränderungen kurzfristig reagieren kann oder
eingreifen muss, geht vollkommen fehl. Ich rate zu Gelassenheit und dazu, nicht zur Verunsicherung beizutragen und mit dem Füllhorn durch das Land zu gehen.
Wenn wir etwas anpacken müssen, dann ist es die Stabilisierung der Wirtschaft. Das tun wir mit den Maßnahmen, insbesondere den gezielten Investitionen. Aber die
Voraussetzung für das, was wir heute tun, ist der Erfolg
der Haushaltskonsolidierung. Diese dürfen wir nicht
aus den Augen verlieren. Das gilt für uns weiterhin. Deshalb werden wir Haushaltspolitiker darauf achten, dass
nicht alle beim Geldausgeben sozusagen besoffen werden, dass die Mittel gezielt eingesetzt werden und dass
sich vor allen Dingen alle staatlichen Ebenen an der
Finanzierung beteiligen. Das sage ich explizit in Richtung Bundesrat. Es ist Aufgabe nicht nur des Bundes, für
eine starke Konjunktur zu sorgen, sondern es ist eine
Aufgabe auch der Bundesländer. Ich fordere die Bundesländer auf, im Bundesrat dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank.
({15})
Der Kollege Jürgen Koppelin hat nun das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Keine Frage, es waren ganz schwierige Beratungen im
Haushaltsausschuss. Wir hatten über einen Haushaltsentwurf zu beraten, der mit der Realität überhaupt nichts
mehr zu tun hatte. Es ist sicherlich unbestritten, dass wir
eine andere Situation hatten, als der Etatentwurf vom
Kabinett beschlossen wurde. Bei den Haushaltsberatungen Mitte September lobten sich Bundeskanzlerin und
Bundesfinanzminister für eine gute Konjunktur, sinkende Arbeitslosenzahlen und hohe Steuereinnahmen.
Noch vor zwei Monaten erklärte der Bundesfinanzminister hier im Plenum, dass wir uns zwar in einem Abschwung befänden, von einer Rezession aber keine Rede
sein könne; in Deutschland gebe es eine positive Entwicklung. Auf unsere Kritik erklärte der Bundesfinanzminister - das habe ich mir gemerkt -: Diese verbreiteten Sado-Maso-Tendenzen sind mir ein Rätsel.
Originalzitat des Bundesfinanzministers!
({0})
Die Hinweise aus meiner Fraktion, dass nach einem
Aufschwung auch ein Abschwung, vielleicht sogar eine
Rezession kommen könne und deshalb für solche Zeiten
Vorsorge getroffen werden müsse, wurden von ihm wie
folgt kommentiert: Die positive Entwicklung sollte nicht
durch Kassandrarufe gestört werden. - Der Bundesfinanzminister vergaß dabei natürlich - das will ich ihm
zugute halten; vielleicht ist er in Geschichte nicht so gut
gewesen -, dass Kassandra mit ihren Warnungen recht
hatte.
Nun, zwei Monate später, erklärt uns die Regierung,
insbesondere die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister, wir seien in einer Rezession, und es liege ein schweres Jahr 2009 vor uns. Das stimmt. Wer wollte das bestreiten? Doch wenn das die Wahrheit ist, fragt man sich,
warum nicht auch wahre Zahlen im Bundeshaushalt stehen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wer
gute Zeiten für sich als politisches Verdienst reklamiert,
der muss dann auch Verantwortung übernehmen, wenn
es eine Rezession und schwere Zeiten gibt. Das ist dann
auch seine Verantwortung. Sie tragen zumindest teilweise Verantwortung; denn Sie haben alle Warnungen in
den Wind geschlagen. Für eventuell schlechte Zeiten haben Sie keine Vorsorge getroffen. Das ist einer unserer
Hauptvorwürfe.
({2})
Nun wollen Sie plötzlich für die aktuelle Situation
nicht mehr verantwortlich sein. Die Gründe für das
Scheitern der Haushaltskonsolidierung liegen nach unserer Auffassung vor allem bei der Bundesregierung. Es
geht doch gar nicht um die Finanzmarktsituation. Es
geht vielmehr darum, dass die Bundesregierung falsche
Entscheidungen getroffen hat. Ich nenne Ihnen zwei Bereiche. Die Große Koalition hat nicht auf Ausgabenbegrenzung gesetzt, sondern allein auf Einnahmeerhöhung
durch massive Steuererhöhungen. Das war ihr erster großer Fehler.
({3})
Ihr zweiter großer Fehler war: Aktuelle, positive
Steuereinnahmen haben Sie zur Grundlage für langfristig den Haushalt belastende Ausgaben gemacht. Das darf
man ebenfalls nicht machen. Jedes Mal birgt der Bundeshaushalt Risiken, so auch jetzt wieder, 2009. Dazu
hätten Sie, Kollege Schneider, vielleicht etwas mehr sagen müssen. In diesem wirtschaftlich noch guten Jahr
2008 werden die ALG-II-Ausgaben circa 22 Milliarden
Euro betragen. Warum haben Sie dann für das nächste
Jahr, in dem es wahrscheinlich schlechter aussehen wird,
nur 20 Milliarden Euro im Etat vorgesehen? Damit kommen Sie auf keinen Fall aus. Das sagen wir Ihnen bereits
heute.
({4})
Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die wirtschaftlichen Eckdaten überzeichnet sind. In seinem
Haushalt geht der Bundesfinanzminister immer noch
von einer positiven Konjunktur aus, während er draußen
schon ganz anders redet. Der Bundeswirtschaftsminister
hat bei unseren Beratungen die kommende Entwicklung
sehr realistisch beschrieben. Nur, im Bundeshaushalt
findet sich davon überhaupt nichts wieder. Ein anderes
Beispiel: Die Koalition lobt sich - das werden wir in den
Debatten noch hören -, weil sie in den Straßenbau und in
die Infrastruktur investieren will. Woher nehmen Sie das
Geld? Die Sache ist einfach zu erklären. Sie machen es
wie immer. Sie kassieren zuerst einmal ordentlich ab - in
diesem Fall bei den Spediteuren; Sie kassieren 1 Milliarde Euro durch die Erhöhung der Mautgebühren -,
und dieses Geld wollen Sie dann investieren. So geht es
nicht. Sie hätten im Haushalt sparen müssen, und dann
hätten Sie investieren können. Das wäre das Richtige gewesen.
({5})
Alle Haushaltspläne der Koalition zeichnen sich
durch Maßlosigkeit bei den Ausgaben aus. In vier Haushaltsjahren der Großen Koalition sind die Ausgaben auf
über 30 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen. Von Sparwillen kann überhaupt keine Rede sein. Die FDP hat aufgezeigt, dass Einsparungen bei den Ausgaben möglich
sind. Kollege Brinkmann wartet förmlich darauf; deswegen sage ich es schon jetzt: In über 400 Anträgen haben
wir ein Einsparvolumen auf der Ausgabenseite von
10,5 Milliarden Euro aufgezeigt. Diese Anträge werden
wir demnächst ins Internet stellen, damit sie jeder Bürger abrufen kann.
({6})
Sie haben alle Anträge von uns abgelehnt. Das zeigt,
dass Sie sich die Ausgabenseite noch nicht einmal vernünftig angeschaut haben. Sie haben gar nicht den Willen zum Sparen. Das ist Ihr Problem.
({7})
Statt 10,5 Milliarden Euro - das war die geplante Neuverschuldung - wollen Sie jetzt sogar 18,5 Milliarden
Euro neue Schulden aufnehmen. Damit liegt die Neuverschuldung für 2009 höher als die für 2007 und 2008.
Kollege Schneider, wenn man die Situation der Banken
auf den Haushalt übertragen würde, dann müsste auch
Ihr Haushalt jetzt einen Schutzschirm haben. Das ist
meine Meinung dazu.
({8})
Die Große Koalition hat in ihrer Amtszeit insgesamt
73 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen - und
das bei Steuermehreinnahmen von 155 Milliarden Euro.
Es wäre doch genug Geld zur Haushaltssanierung vorhanden gewesen, und ein ausgeglichener Haushalt wäre
ebenfalls möglich gewesen.
({9})
Nun wollen Sie - das ist das Tollste - mit einem
schuldenfinanzierten Konjunkturpaket - Programm darf
man das ja nicht nennen - der Konjunkturschwäche begegnen. Was hat denn der Bundesfinanzminister hier
noch im September erklärt? Der Bundesfinanzminister
sagte wörtlich:
Es ist nicht möglich, eine konjunkturelle Eintrübung … mit einem nationalen Konjunkturprogramm zu bekämpfen. Wer das tut, verbrennt lediglich Steuergeld.
({10})
Weiter sagte der Bundesfinanzminister - das kann man
alles unterschreiben -:
Jede Abkehr vom … Konsolidierungskurs, die mit
einem Konjunkturprogramm verbunden wäre,
würde zwangsläufig zu gegenläufigen Entwicklungen führen.
Das ist ein Originalzitat des Bundesfinanzministers von
vor zwei Monaten hier im Plenum des Deutschen Bundestages.
Die FDP hat seit langem gesagt, dass das beste Konjunkturprogramm endlich eine deutliche Steuersenkung
für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wäre, und
zwar vor der Bundestagswahl, Herr Kollege Kampeter.
Die Steuern vor der Bundestagswahl zu senken, wäre ein
Signal gewesen, und das wäre ein Konjunkturprogramm.
({11})
Nun kommt die Union - das liest man in diesen Tagen und sagt, auf ihrem Parteitag wolle sie Steuersenkungen
beschließen. Das verkünden die Kanzlerin und der Generalsekretär der Union. Wieso wollen Sie eigentlich erst
auf dem CDU-Parteitag Steuersenkungen beschließen?
Ich erinnere mich übrigens daran, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, vor der letzten
Bundestagswahl das schon einmal beschlossen haben.
Sie haben es nur nicht durchgeführt. Ich dachte, die alten
Beschlüsse würden noch gelten. Aber nun beschließen
Sie das noch einmal. Wenn die Kanzlerin mit ihrer Voraussage, dass wir ein schwieriges Jahr bekommen, recht
hat, und wenn Sie nach der nächsten Bundestagswahl die
Steuern senken wollen, dann muss man Sie doch fragen:
Warum machen Sie es denn nicht jetzt? Jetzt wäre der
richtige Zeitpunkt.
({12})
Deswegen sage ich noch einmal: Bezieher kleiner und
mittlerer Einkommen müssen steuerlich entlastet werden. Das wäre die Botschaft des Haushalts 2009 gewesen. Das wäre auch ein Programm zur Belebung der Binnenkonjunktur gewesen.
Ebenso könnten die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Damit würden wir den Beitragszahlern 3 Milliarden Euro zurückgeben. Auch das Geld würden wir dringend zur Belebung
der Binnennachfrage brauchen.
Der Bundesfinanzminister als großer Weltökonom
hätte wissen müssen, dass es Konjunkturzyklen gibt und
dass Wirtschaftsaufschwünge nicht ewig anhalten. Er
hätte entsprechende Vorsorge treffen müssen. Diesen Rat
hat er in den Wind geschlagen, und das rächt sich jetzt.
Am 7. November schrieb die Süddeutsche Zeitung über
die Berliner Märchentage, bei denen auch Peer
Steinbrück jungen Schülerinnen und Schülern ein Märchen vorgelesen hat. Die Süddeutsche Zeitung schrieb
- sehr interessant! -:
Und im Grunde war der Termin ja auch Routine für
ihn: Steinbrück redet, und viele staunende Gesichter blicken ihm gebannt zu und finden das, was er
erzählt, so faszinierend wie unrealistisch.
({13})
… „Warst du in der Schule gut in Mathe?“, fragte
ein Mädchen … „Nein“, sagte der Finanzminister,
„im Rechnen war ich nie so gut.“
({14})
„Ist Finanzminister Ihr Lieblingsberuf?“, fragte
eine andere. „Eher Pirat“, antwortete Steinbrück.
({15})
Ich hatte mir das mit dem Piraten schon gedacht; denn
anderer Leute Geld und Wertsachen wegnehmen, das
versteht er. Davon sind wir überzeugt.
({16})
- Ein bisschen Humor darf sein.
({17})
- Herr Bundesfinanzminister, diesen Zuruf von der Regierungsbank lasse ich ausnahmsweise zu.
({18})
Herr Bundesfinanzminister, zum Ernst der Sache zurück. Ihnen sind die Finanzen des Bundes aus dem Ruder gelaufen. Der Bundeshaushalt ist ein Dokument verpasster Chancen. Sie haben kein haushaltspolitisches
Konzept mehr. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Bundeshaushalt zeigt eindrucksvoll, dass diese
Große Koalition nun auch an ihrer letzten selbsternannten Legitimation, an der Sanierung der Finanzen des
Bundes, gescheitert ist. Sie werden verstehen, dass wir
Ihrem Haushalt nicht zustimmen können.
({19})
Ich erteile das Wort Kollegen Steffen Kampeter,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zuerst einmal möchte ich feststellen, dass es
nichts Ehrenrühriges ist, wenn man als Kind Pirat werden möchte. Meine Tochter Elisabeth erzählt mir jede
Woche, dass sie Pirat werden möchte. Jetzt muss ich allerdings nachdenken, ob ich ihr zumuten möchte, dass
sie daraus später einmal den Anspruch ableitet, politische Führungsaufgaben zu übernehmen. Ich glaube, das
sollte ich ihr nicht raten. Ich möchte, dass sie eine ungestörte Kindheit hat. In dem Ansehen meiner Tochter,
Herr Bundesfinanzminister, dürften Sie stark gestiegen
sein. Das birgt für so eine christdemokratische Familie
wie die unsere natürlich einiges an Konfliktpotenzial.
({0})
Der Haushalt wird oft das Schicksalsbuch der Nation
genannt. Ich habe in meiner zehnjährigen Mitgliedschaft
im Haushaltsausschuss selten einen Etatentwurf erlebt,
bei dem sich zwischen Einbringung und Verabschiedung
so viel Wesentliches verändert hat. Auch wir als Parlament mussten handeln und auf veränderte Rahmenbedingungen eingehen.
Ein paar Hinweise: Wir haben eine Finanzkrise gehabt,
die sich mit der Insolvenz der Lehman-Brothers-Bank erheblich verschärft hat. Wir haben Zahlungsbilanzprobleme in vielen Ländern, insbesondere in Osteuropa und
weit darüber hinaus, zu lösen gehabt. Hinzugekommen ist
eine hohe Unsicherheit im realwirtschaftlichen Bereich.
Ja, wir haben eine Rezessionspanik, und wir haben
ebenso Trittbrettfahrer, die ihr eigenes wirtschaftliches
Versagen unter dem Deckmantel der Finanzkrise sozialisieren wollen.
({1})
Wir haben höchst unterschiedliche Signale aus der
Wirtschaft. Wir hören doch selbst in unseren Wahlkreisen von Unternehmerinnen, Unternehmern und Belegschaften, die sagen: Bei uns brummt die ganze Veranstaltung; wir können gar nicht so viel arbeiten. In vielen
Unternehmen wird das Gerede, das die Politik teilweise
veranstaltet, überhaupt nicht verstanden.
Wir kennen aber auch andere Informationen aus unseren Wahlkreisen, durch die klar wird, dass es Sorgen
gibt, dass in bestimmten einzelnen Bereichen in panikartiger Reaktion - nicht aufgrund von realwirtschaftlichen Veränderungen - angepasst werden muss. Dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher darauf trotzdem noch
so positiv reagieren - aus einer heute veröffentlichten
Umfrage der GfK geht hervor, dass das Konsumentenvertrauen steigt -, zeigt, dass die Menschen in unser
Land sehr viel mehr Vertrauen haben, als die Schlechtredner unserem Land zum gegenwärtigen Zeitpunkt zutrauen.
({2})
Trotzdem müssen wir auf diese Veränderung seit der
Einbringung unseres Bundeshaushalts im Sommer dieses Jahres reagieren. Das wollen wir. Dies ist ein Haushalt des Vertrauens und der Handlungsfähigkeit der
unionsgeführten Koalition.
({3})
Was wir hier vorlegen, ist maßvoll und verantwortungsvoll. Wir spüren allerdings allerorten Aktionismus, insbesondere im Ausland. Wir halten diesen Aktionismus
im Hinblick auf die deutsche Situation für nicht angemessen. Ich glaube, dass die Kontinuität und das Vertrauen zu dem, was man einmal gesagt hat, richtig sind.
Wir sollten das in diesem Sinne weiter vorantreiben.
Wir müssen schauen, ob unsere Instrumente auf die
erkannten Ursachen wirken. So warne ich alle: Die monetären Probleme sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt
noch nicht gelöst. Wir müssen in den nächsten Monaten
an der Front der Finanzmarkt- und Geldpolitik noch
sehr viel stärker arbeiten und dürfen nicht versuchen, die
Probleme dort mit realwirtschaftlichen Antworten zu bekämpfen; das wäre die falsche Therapie. Wenn jemand
eine schwere Lungenentzündung hat, würde der Arzt ja
auch nicht raten, ihm das Bein oder den Arm in Gips zu
legen.
Wir handeln überlegt und maßvoll. Erstens machen
wir mit diesem Bundeshaushalt höhere Schulden, als
wir ursprünglich vorgesehen haben - das ist eine schwierige Entscheidung -, und zwar 8 Milliarden Euro mehr.
({4})
Das ist für einen Haushälter keine leichte Entscheidung.
Sie bereitet mir innerlich Schmerzen, aber sie ist der Situation geschuldet, richtig und notwendig.
({5})
Zweitens. Wir schieben das Ziel des ausgeglichenen
Haushalts auf der Zeitachse nach hinten. Es hilft nicht,
darum herumzureden. Auch das schmerzt mich. Es ärgert mich nicht deshalb, weil Haushälter eitel sind, sondern deshalb, weil wir alle wissen, dass dies unsere Kinder und deren Kinder abtragen müssen. Schulden zu
machen, das ist nichts anderes als die Verlagerung von
politischen Kosten auf die nachfolgenden Generationen.
({6})
Deshalb sollten wir damit vorsichtig sein.
Ich höre und lese aus dem Ausland, Deutschland sei
knickrig und knausrig. Ich will an dieser Stelle mit zwei,
drei Argumenten deutlich machen, auch vor dem Hintergrund der Oppositionskritik hier, warum wir den Schuldenhahn nicht weiter aufdrehen.
Wir haben in Deutschland nicht so auf die Finanzindustrie gesetzt wie andere Staaten. Wir haben deswegen geringere Anpassungslasten.
Wir haben in Deutschland in den vergangenen drei
Jahren eine gute Arbeit geleistet. Wir haben unser Land
durch die Wirtschafts- und Sozialpolitik widerstandsfähiger gemacht.
Wir setzen den Hebel nicht allein über den Bundeshaushalt, sondern auch über die Kreditanstalt für Wiederaufbau an. So kann man mit weniger Haushaltsmitteln eine höhere Hebelwirkung erzeugen, als das
Ländern möglich ist, die ein solches Förderbankensystem nicht haben.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine
Sparquote von über 10 Prozent; das ist in dieser Debatte
schon vorgetragen worden.
({7})
Weil wir der Überzeugung sind, dass privates Kapital
vor staatlichem Kapital geht, nutzen wir die Möglichkeit, durch vertrauensbildende Maßnahmen gerade privates Kapital für Investitionen in unsere Zukunft zu mobilisieren.
({8})
Das halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für richtiger
als den Aktionismus, den ich beispielsweise aus dem
Élysée höre. Das gilt auch für die riesigen Zahlen, die
über den Atlantik zu uns rüberplatschen.
Vor allen Dingen: Wir betreiben keinen Raubbau an
den nachfolgenden Generationen. Wer heute übermäßig
Schulden macht, der verlagert notwendige politische
Entscheidungen aus der Gegenwart auf die nachfolgenden Generationen. Dies war nicht unser Anliegen, dies
wird nicht unser Anliegen sein, und dies sollte auch
nicht das Anliegen einer verantwortungsvollen Regierungspolitik sein.
({9})
Wir tragen mit diesem Haushalt - das zeigt sich auf
den zweiten Blick - den besonderen Herausforderungen
von Rezession und Finanzmarktkrise Rechnung. Wir erhöhen die Investitionen deutlich. Wir stoßen zentrale
Infrastrukturprojekte an und realisieren sie. Ich nenne:
Stuttgart 21, Rhein-Ruhr-Express. Ich sage ebenso
selbstbewusst: Wir investieren auch in unsere kulturelle
Infrastruktur, indem wir die UNESCO-Welterbestätten
jetzt sanieren. Dies sind wichtige und notwendige Investitionen in Bereichen, wo die Kapazitätsauslastung noch
nicht so groß ist.
Wir setzen Steuerentlastung durch. Manchmal frage
ich mich, ob diejenigen, die heute Steuerentlastung fordern, in den Bundeshaushalt geschaut haben.
({10})
Wir entlasten die deutsche Wirtschaft und die deutschen
Verbraucher und Verbraucherinnen in Milliardenhöhe.
Ich nenne den Handwerkerbonus und die verbesserten
Abschreibungsbedingungen.
Wir erweitern den Bürgschaftsrahmen des Bundes
zusätzlich zu dem bereits gewährten Bürgschaftsrahmen
für das Bankenpaket um knapp 100 Milliarden Euro. Es
gibt jetzt fast 500 Milliarden Euro Bürgschaften für die
gewerbliche Wirtschaft. Dies macht deutlich: Wir geben
nicht nur Bürgschaften zugunsten von Banken; diejenigen, die außerhalb von Banken arbeiten, haben genauso
Möglichkeiten, unter bestimmten Bedingungen vom
Staat Garantieübernahmen gegen Entgelt, gegen Gegenleistung zu erhalten. Diejenigen, die behaupten, dass wir
nur Banken retten und andere im Stich lassen, sollten
einmal in den Bundeshaushalt schauen. Das ist nicht die
Wahrheit.
({11})
Die Rolle von Teilen der Opposition in dieser Debatte
ist in meinen Augen höchst fragwürdig. Ganz Europa
kritisiert Deutschland dafür, dass wir zu wenig Schulden
machen. Aber die Opposition in Deutschland, eine
kleine Insel der Standhaften, so könnte man sagen, kritisiert uns dafür, dass wir zu viel Schulden machten.
({12})
Ich möchte in diesem Zusammenhang eines einmal
deutlich machen: Kein Ökonom würde jetzt fordern, den
staatlichen Konsum zu drosseln, egal, ob er Neo-Keynesianer ist oder die angebotsorientierte Richtung vertritt.
Keine verantwortliche internationale Organisation rät
jetzt den Volkswirtschaften dieser Welt, auf die Bremse
zu treten. Wir haben ein differenziertes Vorgehen als Koalitionsfraktionen in unseren Beschlussfassungen für die
Föderalismusreform festgelegt. Unser Vorschlag für die
FöKo sah vor, dass in einer solchen Situation, in der wir
uns jetzt befinden, die Nettokreditaufnahme steigen
darf, weil das konjunkturpolitisch geboten ist.
Entscheidend ist aber, dass die Bundesregierung deutlich macht - das erwarten wir von ihr bei der Vorlage der
nächsten mittelfristigen Finanzplanung; da steht sie in
der Pflicht -, wann diese zusätzlichen Schulden wieder
zurückgeführt werden sollen. Erst so wird daraus ein
Schuh. Hier geht es nicht um eine dauerhafte zusätzliche
Verschuldung, sondern hier geht es darum, einer besonderen Situation mit besonderen Maßnahmen Rechnung
zu tragen und das zu tun, was unserem Land und den
Bürgerinnen und Bürgern nutzt.
({13})
Unser Kernanliegen bleibt aber, mittelfristig diese überbordende Verschuldung wieder zurückzuführen. Genauso
ist es unser Kernanliegen, einen Fahrplan für einen ausgeglichenen Bundeshaushalt noch in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam zu erarbeiten.
({14})
Ich füge an dieser Stelle hinzu - den Haushältern wird
ja zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer mal wieder vorgeworfen, sie seien reine Buchhalter -: Die Renitenz der
Haushaltspolitiker, das unangenehme Beharren darauf,
alles dafür zu tun, um einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen, ist überhaupt die Voraussetzung
dafür gewesen, dass wir jetzt als Staat handeln konnten,
ohne an den Abgrund des Staatsbankrotts zu geraten wie
etwa die Staaten, die jetzt nahezu 10 Prozent ihrer jährlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an neuen
Schulden aufnehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deutliches
und richtiges Handeln, ohne in die Nähe des Staatsbankrotts zu kommen, wäre ohne die Konsolidierungspolitik
der Großen Koalition überhaupt nicht möglich gewesen.
({15})
Das heißt: Ohne diese penetranten Buchhalter, ohne
diese Erbsenzähler befänden wir uns jetzt in einer krisenhaften Situation.
Ich will auch deutlich sagen: Lassen Sie uns jetzt bitte
nicht kleinreden, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. Wir hatten in den abgelaufenen Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten, wir haben 1,3 Millionen Arbeitsplätze mehr.
({16})
Über 40 Millionen Beschäftigte stellen einen Nachkriegsrekord dar. Die letzten Arbeitslosenzahlen, die unter 3 Millionen Arbeitslose in Deutschland aufweisen,
sind außerordentlich erfreulich. Wir haben im Dreiklang
von Sanieren, Investieren und Reformieren
({17})
offensichtlich den richtigen Kurs gewählt, um jetzt auch
in einer krisenhaften Situation die Aufgaben zu schultern, die vor uns liegen.
Wir haben trotz anderslautender Wünsche an den
Bundeshaushalt in der Vergangenheit die Schulden kontinuierlich verringert. Wir liegen jetzt mit dem strukturellen Defizit in der Finanzkrise noch deutlich unter dem
strukturellen Defizit zum Amtsantritt der Großen Koalition ohne Finanzkrise. Diese Dinge sollte die Opposition
vielleicht auch einmal berücksichtigen, statt kleinkariert,
wie es die Opposition ja manchmal ruhig machen kann,
auf die Regierung einzudreschen,
({18})
und anerkennen, dass wir angesichts einer nationalen, einer säkularen Krise trotzdem noch Finanzkennziffern
aufweisen, die sich international eindeutig sehen lassen
können.
({19})
Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen: Die Entscheidungen, die wir getroffen haben, haben sich für die
Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt. Die deutliche Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 6,5 Prozent zu Beginn dieser Legislaturperiode auf demnächst
unter 3 Prozent bedeutet ein deutlich zweistelliges Entlastungsvolumen für die Bürgerinnen und Bürger sowie
Unternehmer. Die von uns gesetzten Rahmenbedingungen haben deutliche Lohnsteigerungen ermöglicht, im
Übrigen auch im öffentlichen Dienst. Eine höhere Rentenanpassung, eine Erhöhung des Kinderzuschlages,
eine Erhöhung des Wohngeldes und des Elterngeldes,
ein Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten
({20})
und die höhere steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten sind wesentliche Maßnahmen auf
unserem Weg zu mehr Netto für alle gewesen. Wir
sollten daran festhalten, dass wir einen Teil der Konsolidierungsrendite den Menschen zurückgeben. Diese müssen nämlich dafür arbeiten. Aber das zu vergessen, was
wir in den vergangenen Jahren schon geleistet haben,
wäre schade. Wir haben deutlich gemacht, dass es mehr
Netto für alle gibt.
({21})
Da die Opposition nicht darüber redet und Teile der
Koalition es leider auch nicht tun, sage ich: Wir machen
weiter auf diesem Weg mit dem Ziel mehr Netto für alle.
Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird im nächsten
Jahr trotz der Finanzkrise weiter gesenkt. Das bedeutet
für die Unternehmen und die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten netto ein Mehr von 4 Milliarden Euro.
({22})
- Wenn wir das nicht gemacht hätten, dann würden Sie
auf die Barrikaden gehen und sagen, wir würden die
Entlastungen unterschlagen. Die notwendige Krankenkassenbeitragserhöhung wäre ohne die Senkung der
Arbeitslosenversicherungsbeiträge und ohne eine konsequente Reduzierung der Arbeitsmarktausgaben gar nicht
möglich gewesen.
({23})
Ich verstehe Ihre Kritik an dieser erfolgreichen Politik
nicht.
Das Wachstumspaket bedeutet 20 Milliarden Euro
weniger Steuern und somit höhere Nettobeträge, und
zwar insbesondere bei denjenigen, die Handwerkerdienstleistungen in Anspruch nehmen, und bei den Unternehmen. Die Erhöhung des Kinderfreibetrages bedeutet netto ein Mehr von 2 Milliarden Euro. Wenn ich die
stärkere Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab dem Jahr 2010 hinzuziehe, dann
haben wir allein durch diese Maßnahmen, die wir jetzt
oder in den nächsten Wochen beschließen, im Rahmen
dieses Finanzplans bis zum Jahr 2013 eine Nettoentlastung unserer Leistungsträger in der Gesellschaft, die
Steuern zahlen, von 85 Milliarden Euro. Das ist eine
respektable Leistung. Diese darf in der Finanzkrise nicht
untergehen. Wir dürfen auch in der Politik nicht in Panik
geraten.
({24})
Das heißt, wir setzen den Entlastungskurs für die Bürgerinnen und Bürger fort.
({25})
An dieser Stelle will ich hinzufügen: Es gibt auch
Dinge, die nichts mit dem Bundeshaushalt zu tun haben,
die unseren Bürgerinnen und Bürgern aber auch ein
Mehr an Kaufkraft bringen. Das sind mir die liebsten
Dinge. Ich nenne hier die Senkung der Benzin- und Dieselpreise von 1,50 Euro auf 1,15 Euro. 10 Cent weniger
pro Liter bedeuten im Jahresdurchschnitt ein Mehr von
6 Milliarden Euro in den Taschen derjenigen, die tanken.
Wir kommen so auf eine Senkung der Energierechnung
der Bürgerinnen und Bürger in einer Höhe von deutlich
über 20 Milliarden Euro. Das ist nicht unsere Leistung,
aber trotzdem darf das nicht vergessen werden. Ich sage
auch, dass angesichts des Rückgangs der Inflation eine
situationsangepasste Lohnpolitik ein wichtiger Aspekt
ist. Das ist ein Appell an die Tarifvertragsparteien, dies
zu berücksichtigen. Wie haben unsere Exporteure gejammert, als der Dollarkurs um 1,50 Euro pendelte. Jetzt
liegt er bei 1,25 Euro. Das ist ein Exportprogramm in einem schwierigen Umfeld.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
uns diese Signale der Zuversicht und auch der verbesserten Rahmenbedingungen in Teilen der Wirtschaft nicht
vergessen. Wir haben eine schwierige Zeit vor uns.
Wenn wir uns als Politiker aber an die Spitze der
Schlechtredner und der Panikerzeuger setzen, dann wird
es in diesem Land nicht aufwärts gehen. Wenn wir gemeinsam das tun, was nötig ist, und das ehrliche und differenzierte Bild unserer Wirklichkeit darstellen, dann
wird es vorwärts gehen, dann wird es in diesem Land
wieder aufwärts gehen.
Mit diesem Bundeshaushalt haben wir ein ehrliches
Bild gezeichnet und notwendige Maßnahmen in Kraft
gesetzt. Wir brauchen das. Die Große Koalition unter der
Führung der Union ist dazu herzlich bereit. Wir freuen
uns auf diese Arbeit. Wir dienen unserem Land gern.
({26})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Bundesregierung hat immer
noch nicht den Ernst der Lage erkannt. Die Kanzlerin
und ihr Finanzminister tanzen auf den Vulkangipfeln
dieser Welt, doch in unserem Land tun sie nichts, um die
Menschen wirksam vor der Weltwirtschaftskrise zu
schützen.
({0})
Die Banken werden mit frischem Geld versorgt, doch
die Spielregeln des Kasino-Kapitalismus wurden noch
nicht geändert. Das ist eine absurde Klientelpolitik.
({1})
Ein Konjunkturprogramm, das diesen Namen verdient,
gibt es nicht. Das hat auch die vorangegangene Debatte
gezeigt.
Wir als Linke haben von Anfang an gesagt, dass ein
Rettungspaket für die Banken mit strengen Regeln für
den Finanzmarkt verbunden werden muss. Gleichzeitig
muss ein wirkliches Konjunkturprogramm aufgelegt
werden; sonst wird das nichts.
({2})
Was die Regeln angeht, ist es doch immer noch so, dass
jede Lidl-Filiale in diesem Land besser überwacht wird
als die Hypo Real Estate, die Milliarden verzockt hat
und jetzt mit üppigen Bürgschaften des Staates ausgestattet wird.
({3})
Wir beobachten jetzt die Entwicklung eines neuen
Volkssports unter Regierungspolitikern: das Schattenboxen. Die Kanzlerin, der Finanzminister und sogar der
Bundespräsident schimpfen auf die gierigen Bank20260
manager. Dabei kommt natürlich kein Manager zu
Schaden. Es ändert sich auch nichts an der Politik der
Bundesregierung gegenüber den Managern. Aber zumindest entsteht bei den Bürgern der Eindruck, dass es
jetzt den Richtigen an den Kragen geht. Ziehen Sie lieber die Schattenboxhandschuhe aus und gehen Sie endlich an Ihre Arbeit!
({4})
Der Finanzminister interessiert sich weniger für die
Wirtschaftskrise als vielmehr für das Ziel, keine neuen
Schulden aufzunehmen. Konjunkturprogramme scheut
Herr Steinbrück wie der Teufel das Weihwasser. Aber
Minister Steinbrück betreibt ebenso wie sein Vorgänger
Hans Eichel Politik gegen die ökonomischen Gesetze,
({5})
und das geht nie gut.
({6})
Herr Steinbrück will jetzt auch nicht mehr an seinen Zielen gemessen werden, die er noch vor ein paar Wochen
hier immer wieder trotzig verkündet hat. Jetzt muss die
Finanz- und Weltwirtschaftskrise, die nach Auffassung
des Finanzministers keiner voraussehen konnte, für sein
Scheitern herhalten. Das erinnert mich an den Kapitän
der Titanic, der zu seiner Entschuldigung gesagt haben
soll, dass ja schließlich keiner habe wissen können, dass
es im Eismeer Eisberge gibt.
Ich kann der Bundesregierung nur empfehlen, dem
Beispiel von Tausenden Studenten zu folgen und einen
Marx-Lesekurs zu besuchen. Im Kapital könnte der Finanzminister dann lernen, dass Wirtschaftskrisen und
Kapitalismus zusammengehören wie Blitz und Donner.
({7})
Herr Steinbrück, Sie können sich das auch von Ihrer
Bundeskanzlerin erklären lassen; denn Frau Merkel hat
schließlich während ihres Studiums einen Grundkurs
über Marxismus-Leninismus absolviert. Da kann sie Ihnen sicherlich auf die Sprünge helfen.
({8})
Meine Damen und Herren, es gibt ein paar ganz
schlaue Mitarbeiter in der SPD-Fraktion,
({9})
die auf dem Oktoberfest bei ein paar Maß Bier alle Vorschläge der Linken zusammengerechnet haben wollen.
Sie kamen auf eine astronomische Summe, weil sie ihre
üppige Bierrechnung und das Geburtsdatum der Kellnerin dazugerechnet haben. Richtig ist, dass die Linke ein
Konjunkturprogramm gegen die Wirtschaftskrise fordert. Wir wollen, dass der Bund gemeinsam mit den
Ländern und den Gemeinden ein Konjunkturprogramm
startet, um einen Absturz in die Rezession zu verhindern.
Die Europäische Union hat ein Konjunkturprogramm in
Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefordert. Das wären für Deutschland 25 Milliarden Euro. Die
Kanzlerin hat ein solches Konjunkturprogramm zwar öffentlich unterstützt; doch in dem vorliegenden Haushalt
gibt es dieses Programm nicht. Wenn Sie sagen, das sei
alles schon eingerechnet, ist das ein Rosstäuschertrick,
den Ihnen niemand abnehmen wird; für so dumm können Sie die Menschen nicht verkaufen.
({10})
Ich bin sehr gespannt, wie uns die Kanzlerin dieses Täuschungsmanöver gegenüber der EU und den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik morgen in ihrer
Rede erklären wird. Ich hoffe sehr, dass sie das tun wird.
Sie soll uns hier einmal den Widerspruch zwischen öffentlichem Reden und praktischem Nichthandeln darlegen.
({11})
Die Bundesregierung hat für 2009 ein Progrämmchen
im Wert von ungefähr 3 Milliarden Euro in den Haushalt
eingestellt. Das erinnert mich wieder an die Titanic: Erst
werden die Bankenrettungsboote für die erste Klasse ins
Wasser gelassen, und dann wird den Passagieren der
zweiten bis vierten Klasse mitgeteilt, dass es keinen
Grund zur Sorge gebe; sie bekämen schließlich Gutscheine für Rettungsringe, wenn sie das rettende Ufer erreicht haben sollten. So funktioniert das nicht.
Die Linke fordert Sofortmaßnahmen für die Bürgerinnen und Bürger, die wir bei gutem Willen aller Abgeordneten noch in dieser Woche beschließen könnten.
Erstens fordern wir die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro. Herr Kuhn, auch Sie haben vorhin
die Anhebung des Arbeitslosengeldes II gefordert. Sie
haben aber vergessen, zu erwähnen, dass Ihre Fraktion
Miterfinder dieses beschämenden Arbeitslosengeldes II
war.
({12})
Zweitens fordern wir die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohnes und drittens die Erhöhung des Kinderzuschlages und des Kindergeldes.
Die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf
435 Euro ist sozial und ökonomisch sinnvoll. Dieses
Geld wäre gut angelegt; denn in der Regel reicht das
Arbeitslosengeld II für die Menschen nicht bis zum
Ende des Monats. Das Geld würde sofort in den Konjunkturkreislauf fließen, also wie eine Infusion wirken.
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes
entlastet den Haushalt sogar direkt. Immerhin zahlen wir
9 Milliarden Euro für Aufstocker, also für Menschen, die
von ihrer Arbeit nicht leben können und staatliche Zuschüsse benötigen. Viele Unternehmen machen sich auf
Kosten des Staates hier einen schlanken Fuß. Auch das
sollten wir endlich beenden.
({13})
Meine Damen und Herren, das Kindergeld wird von
der Koalition gegen den Widerstand des Finanzministers
um 10 Euro pro Kind erhöht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat errechnet, dass der Kaufkraftverlust
seit der letzten Kindergelderhöhung 12 Prozent beträgt.
Das heißt, das Kindergeld müsste also auf mindestens
172 Euro ansteigen, damit wenigstens dieser Verlust ausgeglichen wird. Aber selbst das funktioniert nicht. Die
164 Euro, die nun herausgekommen sind, gleichen den
Verlust nicht aus. Was ich im Übrigen besonders beschämend finde: Die Kindergelderhöhung gilt für alle
Kinder - außer für die Kinder von ALG-II-Empfängern.
Es ist wirklich empörend, wie diese Regierung arme
Kinder diskriminiert und ausgrenzt.
({14})
Die Linke fordert ein Kindergeld von 200 Euro pro
Kind und eine Anhebung des Kinderzuschlages für Kinder, deren Eltern mit dem Arbeitslosengeld II auskommen müssen.
({15})
Diese drei Vorschläge muss die Regierung nicht auf
G-20- oder G-8-Gipfeln debattieren. Wir könnten sie
heute oder am Freitag im Bundestag beschließen. Bis
Freitag haben Sie noch Zeit, nachzudenken. Vielleicht
nutzt es etwas.
Es gibt den legendären Satz: „Wer zu spät kommt,
den bestraft das Leben!“
({16})
Der Finanzminister kam zu spät, um bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei der IKB Ordnung zu
schaffen. Der Finanzminister kam zu spät, als die
schlimmsten Folgen der Finanzkrise verhindert werden
mussten. Er kam wiederum zu spät, als es darum ging,
mit einem Konjunkturprogramm Arbeitsplätze zu sichern.
Herr Steinbrück, Sie haben uns einen SchönwetterHaushalt vorgelegt. Sie haben die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Sie laufen den Ereignissen hinterher und sind unfähig, einen krisenfesten Haushalt vorzulegen. Einen Haushalt wie den vorliegenden kann die
Fraktion Die Linke nur ablehnen.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Eigentlich müsste
jetzt unser haushaltspolitischer Sprecher Alexander
Bonde hier stehen. Er ist aber auf dem Weg in den
Kreißsaal. Wir wünschen der Mutter, dem Kind und dem
Vater für die Zukunft alles Gute.
({0})
Seit der Einbringung des Bundeshaushaltes Mitte
September haben sich die konjunkturellen Rahmenbedingungen extrem verändert. Was die Bürgerinnen
und Bürger von einer guten Regierung in einer solch
schwierigen Phase - wir sind in einer Rezession - zu
Recht erwarten, ist eine offene und ehrliche Analyse der
Situation.
Steffen Kampeter hat es schon gesagt: Die Menschen
haben Vertrauen in unser Land. Lieber Steffen
Kampeter, auch ich glaube, dass die Menschen Vertrauen in unser Land haben. Das heißt aber noch lange
nicht, dass sie auch Vertrauen in diese Regierung haben
({1})
und auch Vertrauen in einen Haushalt haben, der nicht
das Papier wert ist, auf dem er steht.
Zu Beginn der Finanzkrise in den USA im Sommer
2007 - es ist schon eine ganze Weile her - hatten wir vor
einem Übergreifen auf den globalisierten Markt gewarnt. Der Minister hat uns damals - Kollege Koppelin
hat es schon angesprochen - Sadomaso-Tendenzen
nachgesagt und hat außerdem vor den Kassandrarufern
gewarnt. Jetzt muss man sagen: Wir waren einfach nur
realistisch, als wir davon gesprochen haben, dass man
die Entwicklung nicht ignorieren darf und dass man
Positionen nicht erst dann aufgeben sollte, wenn ihre
Grundlagen von der Realität bereits meilenweit überholt
wurden. Ein solches Handeln schafft kein Vertrauen.
({2})
Das gilt für die Finanzkrise und gilt jetzt auch für den
Bundeshaushalt. Denn Sie verdoppeln die Schulden und
sagen nur die halbe Wahrheit. Im Hinblick auf die Banken haben wir - ich sage bewusst: leider - immer noch
eine Vertrauenskrise. Das gegenseitige Gewähren von
notwendigen Krediten läuft immer noch nicht so, wie
wir es eigentlich brauchen. In dieser Situation müssen
wir aufpassen, dass diese Vertrauenskrise nicht auf das
Handeln der Regierung überschwappt.
Die Wachstumsprognose ist im Vergleich zum Entwurf des Haushaltsplans vom Sommer von 1,2 auf
0,2 Prozent für 2009 geändert worden. Diese Eintrübung
hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf der Einnahmeseite, sondern auch auf der Ausgabenseite, und
zwar in Form von Ausgabensteigerungen, beispielsweise
beim Sozialtransfer. Das haben Sie im jetzt vorgesehenen Haushaltsplan in dieser Form nicht berücksichtigt,
({3})
abgesehen davon, dass der Sachverständigenrat, die
Bundesbank und viele andere schon jetzt davor warnen,
dass wir im nächsten Jahr in eine Situation geraten, in
der es kein Wachstum von 0,2 Prozent, sondern ein Minuswachstum von 0,5 bis 1 Prozent geben wird. Darauf
muss man sich vorbereiten, und diese Vorbereitung hat
vonseiten der Koalition bislang überhaupt nicht stattgefunden.
({4})
Sie verstecken den Finanzmarktstabilisierungsfonds in einem Sondervermögen, statt hier transparent
zu agieren.
({5})
Die Bundesregierung rechnet mit Bürgschaftsausfällen
von 20 Milliarden Euro. Man muss davon ausgehen,
dass ein Teil davon 2009 anfällt. Auch die Kosten für Eigenkapitalmaßnahmen bei Unternehmen der Finanzbranche - es sind 80 Milliarden Euro für die nächsten
drei Jahre vorgesehen - verstecken Sie in diesem Sondervermögen. Hier wurde etwas getan, wozu wir sagen:
Dies muss transparent sein. Die Leute wollen verstehen,
wie es funktioniert, wenn Banken gerettet werden, und
wollen genaue Kenntnis über die Gegenleistungen haben. Das haben wir von unserer Seite im Zusammenhang
mit dem Rettungspaket immer eingefordert.
({6})
Noch schwieriger ist es beim Arbeitslosengeld II. Da
haben Sie im Entwurf 1,4 Milliarden Euro weniger veranschlagt, als Sie dieses Jahr, das konjunkturell bestimmt besser gewesen ist, als es das kommende sein
wird, benötigen. Carsten Schneider hat vorhin gesagt,
dass die Arbeitslosengeldzahlungen steigen werden.
Wenn ich mir anschaue, dass im Etat für 2009 20,8 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II vorgesehen
sind, dieses Geld aber schon jetzt, im November, nicht
ausreicht und Sie im Haushaltsausschuss eine überplanmäßige Ausgabe von 800 Millionen Euro beantragen
mussten, Herr Minister - und das vor dem Hintergrund
einer noch guten Konjunktur -, dann frage ich mich:
Wem wollen Sie weismachen, dass wir in einem konjunkturellen Abschwung mit einem um mindestens
1 Prozent geringeren Wirtschaftswachstum im nächsten
Jahr plötzlich 1,4 Milliarden Euro weniger Geld für das
Arbeitslosengeld II aufwenden müssen?
({7})
Das ist doch Voodoo-Politik, was Sie hier betreiben, und
keine realistische Haushaltspolitik.
Vergangene Woche hat die Kanzlerin noch einmal für
eine nachhaltige Schuldenpolitik geworben: Zwar
dürfe man in schwierigen Zeiten Schulden machen; aber
in Zeiten des Wachstums müsse man diese Schulden
kompensieren. Wichtig sei, dass man in einem Wirtschaftszyklus mit Null herauskommt - so hat sie sinngemäß gesagt -; denn sonst seien die Politik und das, was
man bei den Haushaltsberatungen tue, insgesamt nicht
nachhaltig.
Wir stellen fest: Die Kanzlerin scheint das Konzept
der Schuldenbremse verstanden zu haben. Aber was
zählt, ist nicht die Theorie, sondern die Praxis. Gerade
im Zusammenhang mit der Föderalismuskommission ist
nichts vorangegangen. Sie hätte längst eine Schuldenbremse beschließen sollen - eine Schuldenbremse, die
atmet, wie Fritz Kuhn vorhin gesagt hat, indem man in
wirtschaftlich guten Zeiten Geld zurücklegt und in
schwierigen Zeiten genug Spielräume hat. Das hätten
Sie längst tun können; aber auch das ist Ihnen nicht gelungen.
({8})
Wenn man sich die Regierungsjahre von 2005 bis
2009 und das entsprechende Wachstum anschaut, dann
sieht man, dass Sie neue Schulden in einer Größenordnung von insgesamt 72 Milliarden Euro gemacht haben.
Sie haben 72 Milliarden Euro neue Schulden gemacht,
obwohl Sie die Steuern erhöht haben und die Steuermehreinnahmen im gleichen Zeitraum 160 Milliarden
Euro betragen haben. Sie sollten den Menschen einmal
erklären, wie man es schafft, so hohe Steuereinnahmen
zu haben und trotzdem in guten Zeiten so viele Schulden
zu machen, wie Sie das getan haben.
({9})
Wir vonseiten der Grünen haben mit unserem Zukunftshaushalt dokumentiert, wie nachhaltiges Haushalten funktioniert. Dieser würde in der Krise mehr
Spielräume ermöglichen, um den Herausforderungen zu
begegnen. In einer solchen Krise ist es noch wichtiger,
darauf zu achten, wofür man Geld ausgibt, und vor allem
darauf zu achten, was für eine Wirkung dieses Geldausgeben hat.
Die Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker
unserer Fraktion haben alles getan, um dafür zu sorgen,
dass in langfristiger Hinsicht die Weichen richtig gestellt
werden können. Uns geht es - wir glauben, dass es das
Richtige für dieses Land ist - um Investitionen in den
Klimaschutz, um Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung und um Investitionen in den sozialen Zusammenhalt dieses Landes.
({10})
Solche Investitionen können eine konjunkturelle Wirkung entfalten und gleichzeitig nachhaltig wirken. Das
ist der Punkt: konjunkturell wirken und gleichzeitig für
die Zukunft Sinn machen.
({11})
Aus diesem Grund haben wir Haushaltspolitiker in den
Beratungen viele Anträge vorgelegt.
Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger bei ihren Energiekosten durch einen Fonds entlastet werden.
Wir möchten die energetische Sanierung von Gebäuden,
den Ausbau von hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und den Ausbau der Stromnetze. Wir
wollen, dass die Kfz-Steuer zu einer CO2-Steuer umgebaut wird. Das, was Sie hier vorgelegt haben, was verabschiedet werden soll, ist eine Perversion ökologischer
Logik. Man muss sich das einmal vorstellen: Je mehr
Hubraum ein Auto hat, das jetzt gekauft wird, desto höher ist die Steuerentlastung. Das ist doch verrückt!
({12})
Wenn man denjenigen, die die Autos bauen, Anreize für
die Entwicklung zukunftsfähiger Technologien bieten
möchte, dann muss man eine klare Kante zeigen. Im Koalitionsvertrag steht die CO2-Steuer. In drei Jahren ist es
Ihnen aber nicht gelungen, dies umzusetzen. Und jetzt,
in Krisenzeiten, wo die Möglichkeit dazu bestünde, machen Sie einen solchen Quatsch, der uns in keiner Weise
voranbringt, der uns sogar zurückwirft und außerdem
500 Millionen Euro kostet.
({13})
Unsere Kinder brauchen hochwertige Kindergartenund Betreuungsplätze. Unsere Schüler und Schülerinnen
brauchen vernünftige Schulen. Unsere Studenten und
Studentinnen brauchen Studienplätze, die sachgerecht
ausgestattet sind. Unser Land muss für den globalen
Wettbewerb fit gemacht werden.
Die Große Koalition hat ihre große Mehrheit in Bundestag und Bundesrat leider nicht genutzt, um diese Impulse zu setzen, sondern sie hat sich mit der verkorksten
Föderalismusreform freiwillig die Hände gebunden. Ich
verstehe bis heute nicht, dass man sich auf so etwas einlassen konnte.
({14})
Wir erwarten, dass man etwas für die Nachfrage tut.
Wenn man etwas für die Nachfrage tun will, dann ist es
notwendig, den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II anzuheben; denn diese Menschen, die das Geld dringend
brauchen, verkonsumieren es, wodurch das Geld in den
Wirtschaftskreislauf einfließt. Das, was Sie sich vorstellen, eine Senkung des Spitzensteuersatzes, würde bedeuten, dass die Leute mehr Geld sparen. Das würde für unsere Wirtschaftsentwicklung aktuell überhaupt nichts
bringen.
({15})
Aus diesem Grund meinen wir, dass wir die kleinen Einkommen entlasten müssen. Das wäre der richtige Weg.
({16})
Die Anforderungen, die an den Haushalt gestellt werden, haben zwei Ebenen: einen zukunftsfähigen Haushalt aufstellen und gleichzeitig die Folgen der Finanzund Konjunkturkrise abmildern. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, wie man mit Strukturreformen, die
sich an ökologischen und sozialen Zielen ausrichten, die
Basis eines Haushaltes verbessern kann. Wir hätten
heute ganz andere Handlungsmöglichkeiten, wenn Sie
dem ein Stück weit gefolgt wären. Es ist sehr schade,
dass Sie uns nicht gefolgt sind. Auch deswegen befinden
wir uns jetzt in dieser schwierigen Situation; denn man
kann nur mit langfristig sinnvollen Investitionen etwas
erreichen. Maßnahmen zur Krisenbekämpfung dürfen
kein Strohfeuer sein. Das müssen Investitionen sein, die
tragfähig sind und insgesamt zünden.
Sie feuern ein ziemlich widersprüchliches Ideenfeuerwerk ab. Wenn sich der Rauch gelegt hat, wird es wieder
keiner gewesen sein wollen. Dann wird die CDU/CSU
sagen: Das haben wir gemacht, weil die SPD das wollte.
Und die SPD wird sagen: Das wollten die Schwarzen.
Am Ende war es wieder keiner. Das ist genau das Problem, vor dem wir stehen. Das heißt, wir brauchen ein
vernünftiges Programm, das nach vorne weist. Wir brauchen kein Sammelsurium von beliebigen Maßnahmen,
die am Ende gar nicht greifen.
({17})
Ich sage, dass für diese Haushaltspolitik nicht allein
der Finanzminister die Schuld trägt, sondern auch das
quasi unbesetzte Wirtschaftsministerium, die Kanzlerin
und die bei Detailfragen zerstrittene Große Koalition.
Deswegen haben die Grünen völlig zu Recht im
Haushaltsausschuss gefordert, dass ein neuer Haushalt
vorgelegt wird, der für die Zukunft gut ist, der auf ehrlichen Zahlen basiert und uns für die nächsten Jahre gut
rüstet. Wir brauchen im Grunde einen neuen Haushalt.
Aber wir brauchen im nächsten Jahr auch eine andere
Regierung.
Danke schön.
({18})
Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen,
Peer Steinbrück.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur ich, sondern auch die Oppositionspolitiker treffen ihre Bewertungen und ihre Einschätzungen
auf der Basis verfügbarer Informationen. Diese verfügbaren Informationen von Ende August/Anfang September unterscheiden sich von den heute verfügbaren Informationen. Frau Scheel, Sie hatten damals keine anderen
Informationen als ich, aber Sie als Opposition können
sich eine Art oppositionsbedingte Abweichungsrhetorik
gegenüber der Regierung leisten. Das heißt, es macht gar
keinen Sinn, mir Zitate entgegenzuhalten, die auf den Informationsstand von Ende August/Anfang September
zurückgehen, der sich deutlich von dem heutigen unterscheidet.
({0})
Sie haben genauso wenig wie ich vorhergesehen, dass
mit Lehman Brothers ein systemrelevantes Institut pleitegehen kann. Die daraus resultierende Erschütterungsdynamik hat viele europäische Länder erfasst; von den
USA will ich gar nicht reden. Sie haben nicht vorhergesehen, dass seitdem ungefähr acht oder neun weitere USBanken pleitegegangen sind. Sie haben einen möglichen
Staatsbankrott von Island genauso wenig vorhersehen
können wie ich.
({1})
Sie haben die Nöte von Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht vorhersehen können. Sie haben auch
nicht diese Übersprungeffekte der Finanzmarktkrise auf
die Realwirtschaft vorhergesehen. Wir hatten keine unterschiedlichen Informationen, aber Sie können es sich
leisten, Reden zu halten, die erkennbar eine gewisse Entfernung und Distanz zu den Einschätzungen der Bundesregierung bzw. der Koalitionsfraktionen wiedergeben.
({2})
Ich bleibe dabei: Auch in dieser Situation warne ich vor
dem Vergnügen des Erschauerns, vor dem Vergnügen an
schlechten Nachrichten, vor dem Vergnügen, sich immer
weiter da hineinzuversetzen, fast zu suhlen.
({3})
Es gab einen Debattenbeitrag von einem Vertreter der
CDU/CSU-Fraktion - ich weiß nicht mehr genau, von
wem -, der völlig richtig darauf hinwies, dass es auch an
unserer öffentlichen Rede liegt, wie wir mit dieser Krise,
mit dieser Rezession, auf die ich gleich ungeschminkt zu
sprechen komme, fertig werden. Dafür tragen wir Verantwortung.
({4})
Politische Verantwortung zeichnet sich übrigens dadurch
aus, dass man bei unsicheren Informationen entscheiden
muss. Das unterscheidet uns von der Opposition. Das ist
die Übernahme politischer Verantwortung.
({5})
Bei einer Haushaltsrede in dieser Zeit muss aufgrund
der geänderten Situation natürlich an den Anfang gestellt
werden: Ja, die Weltwirtschaft ist auf einer Talfahrt. Ja,
die Bundesrepublik Deutschland ist in einer Rezession.
Es wäre nicht mehr eine zutreffende Feststellung, zu sagen, dass wir in einer Stagnation sind. Dass die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgeschüttelt wird,
ist kein Wunder. Denn ein Land, das 40 Prozent seiner
Wirtschaftsleistung in Im- und Exportbeziehungen verdient, das weltweit so vernetzt ist, wird an der weltweiten Entwicklung kaum vorbeigehen können.
Keiner kann mit Bestimmtheit sagen - ich sage keiner: weder aus der wissenschaftlichen Expertise noch
aus dem Bereich der Politik -, wie scharf diese Rezession ist und wie lange sie dauern wird. Ich rate sehr
dazu, nicht mit Scheingenauigkeiten aufzuwarten und
nicht in ein Rattenrennen hineinzugehen, bei dem man
sich selber negativ übertrifft nach dem Motto: Der eine
sagt minus 0,2, der Nächste minus 0,4, der Nächste
minus 0,8 und der Nächste minus 1,0. Das widerspricht
dem, was ich für notwendig halte, um der Verunsicherung entgegenzuwirken.
({6})
Ich rate auch dazu, keine historischen Zeitreihen aufzumalen, die suggerieren sollen, die Bundesrepublik
Deutschland sei plötzlich auf den Stand von 1949 zurückgeworfen worden. Ich rate davon ab.
({7})
In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, sondern
eher verständlich, dass es Unsicherheiten und viele Fragen gibt, dass es auch Irritationen und die Suche nach
Lösungen gibt. Das beschäftigt uns, das beschäftigt die
Bürgerinnen und Bürger, und das beschäftigt all diejenigen, die uns kommentierend begleiten. Dennoch: In
diesem sehr engen Beziehungsgeflecht von Politik, wissenschaftlicher Expertise und Medien gibt es diverse
Vorschläge und Ratschläge, gelegentlich auch andere
Schläge, die der ökonomischen Vernunft nicht standhalten.
Das Wochenende bietet offenbar immer eine sehr gute
Gelegenheit, die halbe Republik auf dem medialen Resonanzboden - davon rate ich ab - aufzumischen.
({8})
Die jüngste Blüte, die allerdings, wie ich glaube, in der
heutigen Tagespolitik verwelken wird, ist der Vorschlag
zur Einführung sogenannter Konsumgutscheine oder
Konsumcoupons. Ich bin dem nachgegangen, habe aber
nichts Genaues herausfinden können. Aber daran kann
man sehen, wie schnell ein solches Stichwort - in die
Debatte hineingeworfen, und zwar unverantwortlich,
wie ich finde - eine Eigendynamik bekommen kann. Ich
kann dazu nur sagen: In meinem Haus gibt es solche
Pläne nicht, ich vermute, an anderen Stellen auch nicht.
({9})
Ich wäre sehr dankbar, wenn wir durch solche Säugetiere, die wir durchs Dorf jagen, die Bevölkerung nicht
noch mehr verunsichern, als sie ohnehin schon verunsichert ist.
({10})
Das ist übrigens nicht nur eine Aufgabe der Politik,
wie ich mit Blick auf die Ränge sagen darf. Unbenommen dieser Verunsicherung und unbenommen der jetzt
herrschenden unsicheren Zeiten halte ich ein Plädoyer
dafür, dass Beständigkeit, Sorgfalt, Solidität und auch
eine gewisse Standpunktfestigkeit durchaus ein Qualitätsmerkmal von Politik sein können, selbst wenn wir in
einer so schwierigen Lage sind wie der jetzigen. Noch
einmal: Nicht jeder Vorschlag besteht den Test der ökonomischen Vernunft. Der Überbietungswettbewerb
hochdimensionierter Konjunkturprogramme lässt viele
Grundsätze sehr schnell verblassen.
({11})
Das ist genau das, was der Kollege Poß vorhin ganz
zutreffend als die „Bruttoregistertonnenideologie“ bezeichnete. - Wie viel darf es denn sein, Frau Lötzsch?
25 Milliarden Euro? 50 Milliarden Euro? 75 Milliarden
Euro? Gleichzeitig werden wir von einer anderen Politikerin der Opposition, Frau Scheel, aufgefordert, einen
genauen Plan vorzulegen, wie wir von den Schulden,
ausgelöst durch die Nettokreditaufnahme, wieder herunterkommen.
({12})
- Das erwarten Sie. Aber auch Sie beteiligen sich an diesen maßlosen Aufforderungen, die in die Welt gesetzt
werden.
({13})
Das sind doch Beruhigungstabletten, die Sie aufgrund
Ihrer eigenen Verunsicherung verteilen. Das hat doch
mit ökonomischer Vernunft und mit Maßhalten nichts
mehr zu tun. Das ist der alte Fehler, dem wir in dieser Situation leicht nach dem Motto unterliegen: Viel hilft
viel; das sei schon richtig!
({14})
Aber keiner denkt darüber nach, ob dabei nicht die
Grundsätze der Effizienz und der Treffsicherheit verletzt
werden.
Das gilt ebenso für Steuersenkungsprogramme und
für staatliche Ausgabenprogramme. Herr Gysi hat in seiner Rede verlangt: Klotzen statt kleckern! - Was heißt
das denn? Nennen Sie einmal einen Betrag. Sagen Sie
den Beteiligten, insbesondere den Jugendlichen, die dort
oben sitzen, ob Sie den Kapitaldienst der damit verbundenen Schulden bedienen wollen. Das müssen Sie einmal
klar sagen. Sie können nicht einfach etwas dahinmurmeln
oder in einer großen Rhetorik mit bombastischer Darstellung erklären, kleckern sei nicht erlaubt, sondern es
müsse geklotzt werden. - Was heißt „Klotzen“ konkret?
({15})
- Entschuldigen Sie, bei den Banken klotzen wir doch
nicht mit Haushaltsgeld. Sie haben das bis heute nicht
begriffen. Ich habe die starke Vermutung, Sie wollen es
auch gar nicht begreifen. Das ist doch nicht der Punkt.
Sie versuchen doch nur, daraus Kapital zu schlagen.
({16})
Die Veränderungen des Haushaltsplanes 2009 zwischen der Kabinettsentscheidung Anfang Juni und der
Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss am Freitag
spiegeln exakt die zwischenzeitlich eingetretene wirtschaftliche Situation wider. Wir kommen in sehr schweres Wetter.
Ich mache etwas, was in der Politik wahrscheinlich
gar nicht so ratsam ist: Ich glaube, wir sollten den Menschen ehrlicherweise sagen, dass die Politik zwar Turbulenzen lindern kann, dass sie Schutz organisieren kann,
dass sie abschirmen kann, aber dass wir in Deutschland
nicht jede Fährnis und nicht jede Unbill in der Entwicklung des nächsten Jahres von den Menschen werden abwenden können. Wir sollten nicht vollmundig etwas versprechen, das wir erkennbar nicht halten können.
({17})
- Das tun wir nicht. Keine meiner Reden und auch die
der Mitglieder der Bundesregierung insgesamt laufen
darauf hinaus, dass wir etwas versprechen, was wir nicht
halten können, weil wir uns sehr bewusst sind, dass der
Vertrauensverlust und der Ansehensverlust der Politik
dadurch eher zunehmen als abnehmen.
({18})
Worüber ich gelegentlich bekümmert bin, um das
ebenso deutlich zu sagen, ist, dass Pläne gemacht werden, die dann mit einer Handbewegung wieder weggewischt werden. Teilweise wird auch mit falschen Zahlen
gearbeitet.
Herr Minister, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der
Kollege Fricke möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Geht das auf Kosten meiner Redezeit?
Nein.
({0})
Herr Fricke.
Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass wir
keine vollmundigen Versprechen machen sollten. Sie haben gesagt: Heute verfügen wir über andere Informationen als vor ein paar Monaten. Sie haben gesagt:
Deutschland befindet sich in einer Rezession.
({0})
Würden Sie der Bevölkerung vor diesem Hintergrund
Folgendes sagen: „Der geänderte Haushalt, den ich
heute vorlege, basiert auf einem Wachstum von 0,2 Prozent. Nach den mir als Finanzminister vorliegenden und
verfügbaren Informationen gehe ich davon aus - das ist
kein vollmundiges Versprechen -, dass es dabei bleibt,
dass das Wachstum im Jahre 2009 ungefähr 0,2 Prozent
betragen wird. Ich mache auch kein vollmundiges Versprechen, wenn ich sage, dass die Erhöhung der Zahl der
Arbeitslosen, die gerade erst prognostiziert wurde, nicht
eintreten wird“?
({1})
Bleiben Sie bei diesen Aussagen, oder können Sie in Anbetracht der Ihnen vorliegenden und verfügbaren Informationen nicht versprechen, dass das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr 0,2 Prozent betragen wird?
({2})
Die verfügbaren Informationen, die mir vorliegen,
laufen, was das Wachstum angeht, auf einen Korridor
von ungefähr 0,2 Prozent bis minus 1 Prozent hinaus. Insofern liegen die Planungen der Bundesregierung - das
gebe ich zu - am oberen bzw. am „optimistischen“ Ende
der momentan verfügbaren und vorliegenden Informationen.
({0})
Damit bewegen wir uns im Rahmen dessen, was wir
auch in unseren Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft, der Verbände und der Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft hören. Daher halte ich es für legitim, dass der Haushalt vor dem Hintergrund dieses
Korridors aufgestellt wurde.
({1})
Ich will zu dem Punkt zurückkommen, an dem ich
vorhin versucht habe, aufzuhören:
({2})
zur Geschwindigkeit, mit der öffentlich, aber auch in unserer eigenen Kommunikation konsumiert wird, was in
Gang gesetzt worden ist. Da mir nicht sehr viel Zeit zur
Verfügung steht, will ich nur daran erinnern, was das Kabinett am 7. Oktober diesen Jahres beschlossen hat: Entlastungen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro im Jahre
2009 und Entlastungen in Höhe von 13 Milliarden Euro
im Jahre 2010, und zwar ohne Hebelwirkung. Diese Beträge umfassen nur das, was die öffentlichen Haushalte
insgesamt zur Konsolidierung beitragen.
Ich möchte insbesondere an die weitere Senkung des
Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung erinnern,
die mit 4 bis 4,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen
wird. Insgesamt hat diese Koalition den Beitragssatz zur
Arbeitslosenversicherung in den letzten drei Jahren von
6,5 auf 2,8 Prozent gesenkt, mit einem Entlastungsvolumen von 30 Milliarden Euro.
({3})
- Darauf komme ich gleich zu sprechen. Seien Sie doch
nicht so nervös. Ich lege Ihnen diesen Zusammenhang
noch dar. ({4})
Meine Mutter würde sagen: 30 Milliarden Euro sind
60 Milliarden DM. Über die Größenordnung dieses Betrages reden wir aber gar nicht.
Auf der anderen Seite kam es zu einer Erhöhung des
Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung in
Höhe von 0,5 Prozent; das entspricht einem Volumen
von 5 Milliarden Euro. Zu dieser Erhöhung, Herr Kuhn,
wäre es übrigens auch völlig unabhängig von der Gesundheitsreform gekommen, schlicht und einfach aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen, der
demografischen Entwicklung, der Verteuerung des medizinischen Fortschritts etc. Machen Sie diese Beitragssatzerhöhung also bitte nicht zum Gegenstand Ihrer
Polemik gegen die Gesundheitsreform.
Die Maßnahmen, die das Kabinett am 7. Oktober diesen Jahres beschlossen hat, wurden ergänzt. Die Schritte,
die das Kabinett am 5. November diesen Jahres beschlossen hat, haben weitere Entlastungen zur Folge:
Entlastungen in Höhe von 3,8 Milliarden Euro im nächsten Jahr und Entlastungen in Höhe von 7 Milliarden
Euro im übernächsten Jahr. Alles zusammen kommt man
auf ein Entlastungsvolumen von 31 bis 32 Milliarden
Euro. Das ist weit mehr als 1 Prozent des Bruttosozialproduktes. Hinzu kommen die Hebelwirkungen, die insbesondere aus den jüngsten Maßnahmen resultieren werden; das hat Herr Kampeter bereits beschrieben.
Am 7. November diesen Jahres haben wir insgesamt
15 vernünftige Maßnahmen beschlossen. Die gesamte
öffentliche Debatte kapriziert sich aber auf einen einzigen Punkt: die Kfz-Steuer. Frau Scheel, warum erwähnen Sie nicht auch einmal eine der anderen 14 vernünftigen Maßnahmen? Warum reden Sie nicht von der
Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms im
Sinne von Klima- und Umweltschutz?
({5})
Warum reden Sie nicht von der Unterstützung des Mittelstandes? Warum reden Sie nicht davon, dass wir zusätzlich 15 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um zu
verhindern, dass kleinere, aber auch größere mittelständische Unternehmen in eine Kreditklemme kommen?
Über diese Punkte könnten Sie genauso offenherzig
sprechen, wie Sie es bei der Kfz-Steuer tun; über dieses
Thema kann man übrigens so oder so denken.
({6})
Ich möchte unterstreichen, dass die deutschen Unternehmen durch die Unternehmensteuerreform zusätzlich
in einer Größenordnung von 7 Milliarden Euro entlastet
wurden. Darüber hinaus will ich nicht unerwähnt lassen,
dass wir weitere wachstumsstärkende Maßnahmen ergriffen haben, insbesondere zur Stärkung der Kaufkraft.
So wurde im öffentlichen Dienst ein Tarifabschluss vereinbart, durch den die Kaufkraft gestärkt wird, und zwar
in einem Volumen von 2 Milliarden Euro.
Im Jahre 2009 wird die öffentliche Hand 20 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf pumpen, im Jahre
2010 werden es 30 Milliarden Euro sein. Angesichts dieser Beträge kann man der Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie passiv war; die diesbezügliche Debatte
mit den Ländern steht übrigens noch aus. Kaum haben
wir diese beiden Pakete verabschiedet, wird, bevor sie
ihre Wirkungen entfalten können, schon eine heftige Debatte über irgendwelche Anschlussmaßnahmen geführt.
Kann mir jemand diese Debatte und das Signal, das von
ihr an die Marktteilnehmer ausgeht, erklären?
({7})
- Von den beiden Koalitionsfraktionen jedenfalls niemand, und auch sonst niemand.
Wir sollten endlich einmal die Beständigkeit und
übrigens auch, wie ich finde, die Standpunktfestigkeit
haben, das zur Wirkung zu bringen, was vernünftigerweise beschlossen worden ist. Wir können uns ja gerne
wieder unterhalten, aber doch nicht so, dass wir uns selber infrage stellen und das schon verheizen, was wir selber in Gang gebracht haben, wodurch wir die Menschen
geradezu dazu einladen, zu denken: Die wissen ja selber
nicht, ob das hinreichend oder zureichend ist, also halte
ich mich weiter zurück.
({8})
Die dahinter stehende ökonomische Logik habe ich keineswegs verstanden.
Ich werde so nüchtern wie möglich auf einen Punkt
zu sprechen kommen, der mit Steuern zu tun hat. Ich
darf daran erinnern, dass es ab dem Jahre 2000 Steuersenkungen im Umfang von jährlich fast 32 Milliarden
Euro gegeben hat. Die anschließende Rezession ist dadurch nicht verhindert worden. Wir stellen fest, dass es
47 Millionen private Haushalte gibt. Von denen sind nur
23,6 Millionen einkommensteuerpflichtig. Das heißt, an
50 Prozent der Haushalte geht jede Einkommensteuersenkung vorbei.
Im Übrigen zahlen die unteren 50 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen nur 6,3 Prozent des Einkommensteueraufkommens.
({9})
Das heißt, im Hinblick auf die Massenkaufkraft erreicht
man sie auch nicht. Wir stellen fest, dass die Steuerquote
um 2 Prozent gesunken ist, während die Sparquote im
selben Zeitraum zwischen 2000 und 2004 um 1,2 Prozent gestiegen ist.
({10})
Wissen Sie, wie die Sparquote bei denjenigen aussieht,
bei denen durch Steuererleichterungen die größten Spielräume erschlossen werden? 22 bis 23 Prozent.
({11})
Das ist meine Antwort auf die ewige Vorstellung, dass
dadurch die Kaufkraft eins zu eins gesteigert wird.
({12})
Ich könnte die Argumentation fortsetzen, merke aber,
dass mir meine Redezeit davonläuft.
Mich beschäftigen viel mehr die Fragen: Hatten wir
vor Kurzem nicht einen Bildungsgipfel, auf dem wir beschlossen haben, dass die Bildungsausgaben 7 Prozent,
gemessen am Bruttosozialprodukt, betragen sollen? Haben wir nicht eine Lissabon-Verpflichtung, die besagt,
dass 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung
und Entwicklung ausgegeben werden sollen?
({13})
Wissen Sie, wie hoch im Augenblick das Defizit ist, um
diese 10 Prozent zu erreichen? Im Jahre 2008 fehlen uns
28,7 Milliarden Euro.
({14})
Wir müssten ungefähr 32,4 Milliarden Euro für das
Jahr 2012 aufwenden. Sind wir in Heiligendamm nicht
Verpflichtungen hinsichtlich der ODA-Quote eingegangen? Haben wir nicht gerade die Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer beschlossen, was 9 Milliarden Euro
ausmacht? Haben wir nicht beschlossen, dass der Zuschuss an die Krankenversicherungen jährlich um
1,5 Milliarden Euro - im nächsten Jahr sind es
4 Milliarden Euro, dann 5,5 Milliarden Euro, dann
7 Milliarden Euro - steigen soll? Haben wir es nicht erkennbar mit Steuermindereinnahmen zu tun, wobei es
im Lichte der Steuerschätzung im Mai noch größere Probleme als im Lichte der Steuerschätzung im November
gibt? Und vor dem Hintergrund reden Sie dann noch von
weiteren Steuersenkungen!
({15})
Wenn man das alles tut, was sich diese Große Koalition vorgenommen und beschlossen hat - damit schaue
ich das gesamte Haus an -, dann kann es nicht klappen,
dass der Staat mit immer weniger Geld auskommen
muss.
({16})
Ich will darauf hinaus, dass man sich und andere mit
dem, was mit Blick auf einen handlungsfähigen Staat
und mit Blick auf die Erwartungen an diesen handlungsfähigen Staat wirklich finanziert werden muss, nicht hinter die Fichte führen sollte.
Ich bin betrübt darüber, dass die Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr erkennbar höher, als im Plan
der Bundesregierung vorgesehen, liegen muss. Dies ist
einer aktuellen konjunkturpolitischen Entwicklung,
Steuermindereinnahmen und der Tatsache geschuldet,
dass wir die Privatisierungseinnahmen realistisch einschätzen, weil wir Bundesvermögen vor dem Hintergrund einer im Augenblick sehr ungünstigen Börsensituation nicht verschleudern wollen. Dies ist auch mit Blick
auf das gerechtfertigt, was wir zur Abschirmung von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich finanzieren.
Ich sage freimütig: Dies bedeutet nicht die Aufgabe
des Konsolidierungsziels; keineswegs. Wir werden dies
auf der Zeitachse aber neu justieren müssen. Das bedeutet, dass wir bis zum Jahr 2011 keinen Bundeshaushalt
ohne Neuverschuldung erreichen können, es sei denn,
dass es in den nächsten zwei Jahren eine wundervolle
Entwicklung gibt. Ich will aber sehr deutlich machen:
Wir bleiben bei diesem wichtigen und richtigen Ziel, und
sei es aus Gründen der Generationengerechtigkeit.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Liebhaber knallharter Worte sind eben wieder einmal zu
ihrem Recht gekommen. Aber die Zuhörer der heutigen
Debatte sollten sich darüber im Klaren sein, dass wir
zurzeit einen Finanzminister haben, der vor allen Dingen
die dramatische Rede besonders gut beherrscht.
({0})
Nur weil Sie, Herr Steinbrück, Bottiche ätzender
Lauge über die Opposition ausschütten, sind Ihre Aussagen weder richtig noch helfen sie weiter.
({1})
Wir suhlen uns nicht, Herr Minister. Wir sind keine
Ratten, und wir sind auch keine anderen ähnlichen Säugetiere; vielmehr beobachten die Liberalen in diesem
Bundestag die wirtschaftliche Entwicklung in diesem
Lande einfach genauer als Sie, Herr Minister.
({2})
Fakt ist und bleibt: Sie haben in den letzten Monaten
die Augen vor der heraufziehenden Wirtschaftsflaute geschlossen. Sie haben weder den Fall des Ifo-Geschäftsklimaindexes beachtet, noch haben Sie auf das Konsumklima und schon gar nicht auf die heraufziehende
Immobilienkrise geachtet.
Herr Kampeter hat uns eben mit dem Brustton der
Überzeugung erzählt, das Konsumklima werde sich so
toll entwickeln. Es ist heute das schlechteste seit dem
Jahre 1991, Herr Kampeter. Sie müssen das bitte auch zu
Ende lesen, was Sie den Leuten hier zu erklären versuchen.
({3})
Die Menschen in diesem Lande wissen, dass die Rezession auf sie zukommt, und das unter einer Großen
Koalition. Das ist nicht die Schuld der Opposition, sondern das ist die Schuld dieser Großen Koalition.
({4})
Sie haben uns Liberale noch im September als Apokalyptiker und Sadomasochisten beschimpft, als wir vor
dem Einbruch der Wirtschaft warnten, liebe Kollegen.
Trotz gegenteiliger Aussagen der renommiertesten Ökonomen in diesem Lande und trotz Aussagen des IWF vor
wenigen Tagen schaffen Sie es noch heute - Herr Fricke
hat es durch seine Nachfrage eben erneut betont -, einen
Haushalt aufzustellen, der auf einem Plus, auf einem
Wachstum aufbaut. Das heißt, Sie arbeiten in Ihrem Ministerium mit Zahlen, die mit Risiken in Milliardenhöhe
für diesen Haushalt verbunden sind.
({5})
Liebe Kollegen, die Steinbrück’sche Regierungszeit
wird einmal als eine Zeit der Verdrängung und des Hinterheragierens in die Geschichte eingehen.
({6})
Weil Sie die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkennen wollen - ich unterstelle Ihnen ja gar nicht, Herr Minister, dass Sie sie nicht erkennen; Sie wollen sie nicht
erkennen -, treffen Sie weder die nötige Vorsorge durch
konsequentes Sparen im Haushalt noch sind Sie in der
Lage, die Steuersenkungen vorzunehmen, die wir jetzt
bräuchten, um Deutschland auf dem Wachstumspfad zu
halten.
({7})
Stattdessen verstecken Sie sich hinter kleinteiligen
Subventionsprogrammen. Übrigens - darauf haben
schon mehrere Redner zu Recht hingewiesen - sagen Sie
genau das Gegenteil dessen, was Sie uns noch vor wenigen Tagen gesagt haben.
({8})
Noch am 29. August haben Sie großartig erklärt, ein
Konjunkturprogramm sei in der aktuellen Situation
weder angemessen noch notwendig, sondern sogar
schädlich.
({9})
Nur weil Sie das heute rhetorisch zurücknehmen,
wird die Sache doch nicht besser. Sie führen die Leute
ganz systematisch hinter die Fichte.
({10})
Deswegen konnten wir uns darauf nicht einstellen.
({11})
- Lieber Kollege, ich nehme das nicht zurück.
({12})
Sie sparen weder, Herr Steinbrück, noch sind Sie dabei, ein Konjunkturprogramm auf den Weg zu bringen;
vielmehr spannen Sie eilfertig einen Schutzschirm für
Arbeitsplätze, von dem der Sachverständigenrat übrigens zu Recht von einem Sammelsurium an Einzelmaßnahmen spricht.
({13})
15 Maßnahmen mit einem Finanzvolumen von rund
50 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren, anfinanziert auf Pump und über eine Erhöhung der Neuverschuldung auf 18,5 Milliarden Euro. Da Sie den Mut
und, ich vermute, auch die Mehrheit in Ihrer Fraktion
zum konsequenten Sparen
({14})
und dem eigentlich erforderlichen handfesten Antirezessionsprogramm nicht haben, kleckern Sie mit Subventionen nach dem altbekannten Gießkannenprinzip vor sich
hin: Kfz-Steuerbefreiung, Absetzbarkeit der Handwerkerrechnungen, Verbesserung der Jobvermittlung durch
1 000 zusätzliche Vermittler bei der BA.
({15})
Putzig hat das der Sachverständigenrat genannt, Herr
Steinbrück. Genau das ist es. Das wird diesem Land in
dieser Situation natürlich nicht helfen.
({16})
Die FDP hat Ihnen heute zum vierten Mal in Folge
ein milliardenschweres Sparbuch vorgelegt, lieber Herr
Kampeter. Wir haben in den Jahren Ihrer Regierung
Sparvorschläge in Höhe von 40 Milliarden Euro gemacht. Hätten Sie diese umgesetzt, Herr Steinbrück,
dann ständen Sie heute nicht hier und würden uns sagen:
Ich kann doch gar nicht anders. Sie hätten das Volumen
gehabt, um die Menschen in diesem Lande zu entlasten.
Sie hätten eine Steuerreform machen können: niedrig,
einfach und gerecht. Sie hätten die Rentenversicherungsbeiträge absenken können. Da haben Sie mich im Haushaltsausschuss übelst beschimpft und gefragt, warum
wir so etwas vorschlagen können.
({17})
Sie haben doch die Reserven. Natürlich können Sie das.
({18})
Sie hätten die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge vorziehen können. Das wäre - um in
Ihren Worten zu sprechen, Herr Minister - konzise, zielgerichtet und punktgenau. Das würde diesem Lande helfen.
({19})
Das Wort hat nun Kollege Jochen-Konrad Fromme
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Hier wird
der Eindruck von sozialer Kälte erzeugt. Deswegen
muss man zunächst einmal einige Blöcke nennen, aus
denen sich dieser Haushalt zusammensetzt. Er hat ein
Volumen von 290 Milliarden Euro. Davon sind 124 Milliarden Euro für Arbeit und Soziales, allein 80 Milliarden Euro für die Rentenversicherung, 30 Milliarden
Euro für den Arbeitsmarkt, 31 Milliarden Euro für den
Verteidigungshaushalt, 42 Milliarden Euro für die Bundesschuld und 6 Milliarden Euro für Familie und Jugend
vorgesehen. Ich erwähne das deshalb, weil man den Gesamtzusammenhang sehen muss.
Es schmerzt uns zwar, dass dieser Haushalt mit einer
höheren Nettokreditaufnahme abschließen muss als geplant, aber das ist der Situation geschuldet. Ich rufe eines
in Erinnerung - das macht deutlich, was sich unter dieser
Koalition verändert hat; der Kollege Schneider hat es bereits angesprochen -: Wir haben trotz der erhöhten Nettoneuverschuldung in diesem Jahr das strukturelle Defizit
von 60 Milliarden Euro auf gut 20 Milliarden Euro gesenkt. Das heißt, wir haben Fortschritte gemacht. Wir haben durch die Reformen unsere Gesellschaft und Wirtschaft robuster gemacht. Sonst sähe es bei all dem, was
aus der ganzen Welt auf uns einwirkt, viel schlechter aus.
Wir wissen, dass wir mit einem solchen Haushalt keinen Schönheitswettbewerb gewinnen können. Aber
wenn man auf hoher See ist und im Sturm steht, dann ist
das eben kein Laufsteg, und dann kann man nicht das
machen, was in anderen Zeiten vielleicht machbar wäre.
Deshalb muss man deutlich differenzieren, was wir ohne
den Eintritt der Krise getan hätten und was wir der jetzigen Situation schulden.
({0})
Es ist durchaus umstritten, was in dieser Situation zu
tun ist. Eines dürfen wir nicht tun - das haben wir aus
der Vergangenheit gelernt -: Konjunkturprogramme
alter Art auflegen
({1})
bzw. den Staatshaushalt sozusagen einfach aufblähen.
Das hat nämlich am Ende immer Folgendes bewirkt: erstens höhere Staatsschulden und damit zweitens höhere
Zinsen. Drittens sind die Folgekosten der Einrichtungen
zu tragen, die wir uns geleistet haben. Das hat das strukturelle Defizit noch weiter erhöht. Letzten Endes hat das
immer zu einer erhöhten Sockelarbeitslosigkeit geführt.
Deswegen war das der falsche Weg.
Da die Mehrwertsteuersenkung in England als Beispiel angeführt wurde, weise ich noch einmal darauf hin,
dass wir das mit der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags in der Summe längst vorweggenommen
haben. Diese Maßnahme ist viel wirksamer.
({2})
Ihrer Behauptung, die Krankenversicherungsbeiträge
seien gegenzurechnen, ist entgegenzuhalten, dass der
Krankenversicherungsbeitrag wegen der besseren medizinischen Versorgung und des Älterwerdens der Menschen steigt. Über beides sollten wir uns freuen. Aber
das hat auch seinen Preis. Wenn wir noch die medizinische Versorgung der 70er-Jahre hätten, dann würden wir
mit einem anderen Krankenversicherungsbeitrag auskommen. Heute sind neue Hüften und Knie möglich.
Das heißt, wir können das Leben der Menschen deutlich
erleichtern. Das hat seinen Preis. Deswegen müssen wir
für diesen Bereich auch in Zukunft mehr aufwenden, ob
uns das gefällt oder nicht. Es ist eben die zweite Seite
der Medaille - ich sage bewusst nicht Kehrseite, weil
das negativ klingt -, dass wir heute älter werden und
mehr Möglichkeiten haben.
Kollege Koppelin - er ist gerade nicht anwesend - hat
vom finanzpolitischen Blindflug gesprochen.
({3})
Er hat offensichtlich in den haushaltspolitischen Beratungen nicht zugehört. Vielleicht sollte er aus den erhöhten Aufwendungen für die Gesundheitspflege ein Hörgerät und eine bessere Brille kaufen.
({4})
Denn wir haben sehr deutlich dargestellt, was wir machen.
Sie haben vorsichtshalber Ihr Sparbuch, von dem Sie
gar nicht mehr so viel reden,
({5})
nicht ins Internet gestellt, damit man es dort einsehen
kann, sondern nur als Bild gezeigt, damit man sich nicht
mit den Inhalten beschäftigen kann.
({6})
Bei dem, was Sie hier vorgetragen haben, hätten Sie realistischerweise feststellen müssen, dass wir mit Hartz IV
nicht auskommen, und eine Ansatzerhöhung beantragen
müssen, wenn Sie es mit einem besseren Haushalt als
dem, den wir vorgeschlagen haben, ernst meinen. Aber
das haben Sie nicht gemacht. Sie haben auch nicht aufgezeigt, wie Sie die von Ihnen vorgeschlagenen Steuersenkungen finanzieren wollen.
({7})
Wenn Sie das aufgezeigt hätten, dann hätten Sie nicht sagen können, wir seien bei der Nettoneuverschuldung
schlechter; denn dann wäre Ihr Ergebnis noch viel
schlechter gewesen.
Der Kollege Wissing beklagt, dass wir die degressive
AfA wieder einführen. Er hat offenbar das Prinzip nicht
verstanden. Die befristete Einführung der degressiven
AfA führt genau dazu,
({8})
dass bestimmte Sachen vorgezogen werden und dass damit ein Schub erzeugt wird. Das ist doch das Prinzip.
Wir machen das im Übrigen ohne Steuersubstanzverlust.
Nur der Zeitpunkt, zu dem die Steuern erhoben werden,
ändert sich. Das ist eine der wirksamsten Maßnahmen,
die man ergreifen kann. Als wir in der Vergangenheit im
Vorgriff auf eine Steuerreform schon einmal die degressive AfA übergangsweise eingeführt hatten, hat das gewirkt. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir nun genau das Richtige machen. Sie sollten das entsprechend
würdigen.
({9})
Die Grünen schlagen - so haben sie es im Haushaltsausschuss beantragt - vor, den Haushaltsentwurf nicht
zu verabschieden. Das ist das Falscheste, was man in der
jetzigen konjunkturellen Situation machen kann.
({10})
Den Haushaltsentwurf wegen bestimmter Risiken nicht
zu verabschieden, bedeutet, dass der Haushalt später in
Kraft tritt und damit später Wirkung entfaltet. Das heißt,
dass die Firmen erst später beispielsweise Straßenbauaufträge erhalten. Damit führt man eine künstliche Verzögerung herbei, die die Konjunktur verschlechtert. Das
ist falsch. Man darf diese Wirkungen nicht außer Acht
lassen.
Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Ausführungen sind nichts anderes als ein Konzert nach dem
Motto „Wünsch dir was“. Sie wollen hier und da mehr.
Aber Sie haben an keiner Stelle aufgezeigt, wie Sie das
finanzieren wollen. Im Übrigen möchte ich noch eines
sagen: Natürlich ist es kein Vergnügen, von Hartz IV leben zu müssen. Aber es ist auch klar: Jemand, der arbeitet und eine vierköpfige Familie zu ernähren hat, muss
etwa 12,50 Euro pro Stunde verdienen, um auf die gleichen Leistungen wie im Rahmen von Hartz IV zu kommen; denn man darf nicht vergessen, dass der Betreffende Miete zahlen muss. Hier muss man bei der vollen
Wahrheit bleiben.
({11})
- Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden oder lassen Sie es lieber.
Sie haben als Finanzierungsmaßnahme eine Erhöhung der Millionärsteuer gefordert. Sie haben das Prinzip der Marktwirtschaft noch immer nicht verstanden.
Wenn wir das Kapital aus dem Land jagen, können wir
auch keine Arbeitsplätze finanzieren. Ihre Vorschläge
sind schlicht und einfach eine Luftnummer.
({12})
Frau Kollegin Lötzsch, in einer Pressemitteilung werfen Sie der Kanzlerin ein Täuschungsmanöver vor. Ich
kann dazu nur sagen: Sie begehen ein riesiges Täuschungsmanöver; denn Sie werfen immer nur ein, was
Sie alles Gutes tun wollen, ohne die Auswirkungen auf
das gesamte System aufzuzeigen. Sie haben bewusst
kein Parteiprogramm veröffentlicht, damit man nicht
nachvollziehen kann, was Sie eigentlich wollen.
({13})
Sie haben natürlich ein inneres Programm. Aber genau
das ist der Punkt: Sie wollen dieses innere Programm
den Menschen nicht zeigen, weil Sie ihnen dann sagen
müssten: Eigentlich sind wir erst zufrieden, wenn die
Menschen am Monatsanfang ihr Geld abliefern und die
staatlichen Leistungen erhalten, die wir ihnen als Politiker zuteilen.
Wohin das führt, haben wir erlebt. Für Zinsen sind im
Haushalt rund 42 Milliarden Euro eingestellt.
({14})
Davon geht rund die Hälfte nicht auf die Wiedervereinigung - das war ein Federstrich im Gesetzblatt -, sondern
auf den Wiederaufbau einer von Ihren politischen Vorgängern verhunzten Landschaft und Nation zurück. Sagen Sie den Menschen doch bitte alles, was Sie wollen,
damit sie das erkennen. Aber genau das tun Sie nicht,
weil Sie nicht wollen, dass man erkennt, was Sie vorhaben.
Eines ist klar: Wir müssen jetzt eine höhere Nettoneuverschuldung in Kauf nehmen. Schulden an sich
sind weder gut noch böse. Damit verhält es sich wie mit
dem Feuer: Das Feuer kann wärmen; dann ist es gut. Das
Feuer kann verbrennen; dann ist es zerstörerisch und
schlecht. Es kommt also auf die richtige Verwendung der
Mittel an, für die man sich verschuldet. Deswegen sehen
wir in unserem Föderalismuskonzept vor, dass man in einer konjunkturellen Abschwungphase mehr Geld ausgeben kann, wenn man dafür sorgt, dass das nicht auf
Dauer zur Finanzierung struktureller Haushaltsdefizite
führt, sondern dass die Ausgaben in der anderen Hälfte
des Zyklus zurückgeführt werden.
Herr Kollege Poß - er ist jetzt leider nicht da -, ich
verstehe überhaupt nicht, warum Ihre Fraktion einen entsprechenden Entschließungsantrag, um dies deutlich zu
machen, abgelehnt hat. Wir wollten durch einen Entschließungsantrag deutlich machen, dass wir im System
der Föderalismusreform bleiben und nicht einfach
Schulden machen, um höhere strukturelle Defizite zu finanzieren, sondern deshalb, weil wir durch ein konjunkturelles Tal müssen und den Faden nicht abreißen lassen
wollen.
({15})
Wir geben unser Ziel nicht auf. Ich fordere jeden, der
es ernst meint, auf, sich in dieser Form zu binden, damit
das am Ende nachvollziehbar ist. Wir wollen doch mit
einer positiven Bilanz vor die Öffentlichkeit treten, und
wir wollen deutlich machen, dass es genau das ist, was
uns in der Vergangenheit in die Katastrophe geführt hat,
nämlich dass wir laufende Staatsausgaben mit Krediten
finanziert haben. Das war falsch. Man kann das vorübergehend machen, aber man kann durch Kredite seine
Konsumkraft nicht verändern. Ich kann Konsum zeitlich
befristet vorziehen oder, was heute aus der Mode gekommen ist, durch Ansparen aufschieben, aber am Ende
wird das Volumen nicht größer. Wenn der Konsum über
Kredite finanziert wird, dann endet das entweder in
steigenden Zinsen - über die letzten 50 Jahre hat die
Bundesrepublik Deutschland 42 Milliarden Euro aufgehäuft - oder in Steuererhöhungen. Beides ist auf Dauer
gesehen falsch.
Deswegen müssen wir die Konsequenzen ziehen. Das
können wir auch. Unser System, das wir im Rahmen der
Föderalismusreform auf den Tisch gelegt haben und das
hoffentlich noch - der Finanzminister steht noch dazu;
von anderen weiß ich es nicht ganz genau - verwirklicht
wird, besteht darin, dass wir uns selbst Daumenschrauben anlegen; denn es ist doch völlig klar, dass Politik immer ausweicht und die Maßnahmen zur Lösung der Probleme vertagt. Ich sage aber eines: Kinder können auf
Schuldenbergen nicht spielen. Deswegen dürfen wir
keine Schulden anhäufen, sondern wir müssen sie beseitigen.
({16})
Ich will noch eines ganz deutlich machen: Die Krise
ist kein Versagen der Marktwirtschaft. Vielmehr haben
viele bei uns Bürokratieabbau mit Regellosigkeit verwechselt. Auch eine Marktwirtschaft - deswegen heißt
sie bei uns soziale Marktwirtschaft - braucht Spielregeln. Wir müssen uns darum bemühen, dass wir an
dieser Stelle besser werden.
Andere Länder können für uns kein Maßstab sein.
Wir müssen vielmehr unseren eigenen Weg finden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Haushalt,
wie er jetzt aufgestellt ist, den Anforderungen dieser Situation entspricht. Wir haben auf die Lage mit dem Konzept „Sanieren, Investieren, Reformieren“ reagiert. Bei
diesem Dreiklang wollen wir bleiben. Wir dürfen aber
den roten Faden nicht verlieren, und wir dürfen uns jetzt
nicht irremachen lassen. Wenn sich die Fakten noch einmal ändern, dann müssen wir einen Nachtrag beschließen. Wir dürfen aber nicht vor lauter Angst, etwas falsch
zu machen, gar nichts machen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Gesine Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Fromme,
Sie haben hier eine Behauptung wiederholt, die auch
schon andere Mitglieder des Hauses bzw. der Bundesregierung in den Raum gestellt haben, die aber schlichtweg falsch ist und die darum korrigiert werden muss. Sie
haben behauptet, die Partei Die Linke habe kein Programm. Nun muss man den Bürgerinnen und Bürgern
der Republik sagen, dass eine Partei, die kein Programm
hat, gar nicht zugelassen ist und wir als Abgeordnete einer Partei ohne Parteiprogramm hier gar nicht sitzen
könnten. Wir haben ein Programm. Wir haben das
Programm auf dem Gründungsparteitag der Partei Die
Linke am 16. Juni 2007 in Berlin beschlossen. Im Mittelpunkt dieses Programms stehen die Interessen der
Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, der kleinen
Leute, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der
Rentner und der Arbeitslosen.
Sehr geehrter Kollege Fromme, ich werde Ihnen persönlich demnächst ein Exemplar zur Verfügung stellen,
damit Sie alles im Detail nachlesen können.
({0})
Kollege Fromme, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Frau Kollegin Lötzsch, ich will wiederholen: Sie sagen den Menschen nicht voll die Wahrheit über all das,
was Sie wollen. In Ihrem Programm steht zum Beispiel
- ich habe es nicht gelesen - ({0})
- Ich habe es jedenfalls nicht so gelesen, dass ich es wie
ein Gebetbuch, das ich auf dem Nachttisch habe, verinnerlicht hätte; denn daraus kann ich wenig lernen.
Sie haben zum Beispiel gesagt, Sie wollten die Banken und solche Unternehmen wie Schaeffler verstaatlichen. Das ist in einer der Debatten hier herausgekommen. Das macht deutlich, dass Sie etwas wiederholen
wollen, was einen Teil unseres Vaterlandes schon einmal
in eine große Katastrophe geführt hat.
({1})
Ich würde mich freuen, wenn Sie das alles aufschreiben und den Menschen sagen würden. Umso schneller
würden die Menschen erkennen, auf welchem Irrweg Sie
sich befinden.
({2})
Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesen Wochen ist in diesem Haus viel von Vertrauen
die Rede:
({0})
von Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger, von Vertrauen in Märkte und Politik. Es trifft zu, dass eine Geldwirtschaft ohne Vertrauen nicht funktionieren kann.
({1})
Es stimmt aber auch, dass in den letzten Wochen viel
Vertrauen verloren gegangen ist. Dieses Vertrauen ist aus
unserer Sicht zu Recht verloren gegangen.
({2})
Die Politik der Bundesregierung Merkel wie auch der
Vorgängerregierung Schröder hatte dieses Vertrauen
nicht verdient. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise bekommen wir die Quittung für politische Fehler, die Sie,
Herr Steinbrück, aber auch Sie als Abgeordnete der Regierungsfraktionen mit verantwortet haben.
({3})
Ich könnte stundenlang aus Reden vorlesen, in denen
Sie die Segnungen freier Finanzmärkte preisen. Ich
möchte hier nur zwei Beispiele bringen. Im Februar dieses Jahres hat unsere Fraktion einen Aktionsplan zur
Finanzkrise eingebracht. Herr Oswald von der CSU, ich
zitiere Sie:
Zur Deregulierung der Finanzmärkte gibt es keine
Alternative. Sie hat der Wirtschaft und den Bürgern
neue Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet, und sie hat zur Risikostreuung beigetragen.
Jetzt befürworten Sie und Ihre Koalition Teilverstaatlichungen von Banken. Sie reden von internationaler Regulierung. Insgesamt habe ich das Gefühl, jetzt überall
von frischgebackenen Reregulierern umgeben zu sein.
({4})
Unsere Fraktion, Die Linke, hat ebenso wie viele
Engagierte in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen
und Nichtregierungsorganisationen davor gewarnt, dass
Ihre Politik der Deregulierung unbeherrschbare Risiken
schafft. Diese Stimmen haben leider recht behalten.
Ende April dieses Jahres haben wir einen zusätzlichen
Sicherungsfonds für private Banken vorgeschlagen, damit nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern die privaten Banken Risiken übernehmen und dafür
bezahlen müssen. Angeblich haben wir übertrieben.
Auch hier möchte ich ein Zitat bringen. Der Kollege
Dautzenberg von der CDU hielt uns entgegen:
Die Darstellung in Ihrem Antrag, in dem Sie die
Gefahr von Serienbankrotten deutscher Banken
skizzieren, bedeutet Panikmache und ist unverantwortlich.
Leider kam es viel schlimmer. Inzwischen gibt es den
Rettungsfonds von 480 Milliarden Euro.
({5})
- Aber das haben wir mit diesem Fonds ja verhindert,
der jetzt aus Steuermitteln und eben nicht von den privaten Banken bezahlt wird. Genau das ist der Unterschied.
({6})
Von allen Parteien hatten wir sicherlich die wenigsten
Informationen im Fall DEPFA und im Fall Hypo Real
Estate. Aber es war eigentlich klar - zu diesem ZeitDr. Axel Troost
punkt wusste man es schon -: Hier ist Sanierung, hier ist
ein solcher Fonds notwendig.
Ehrlich gesagt traue ich Ihrer Rhetorik von der Regulierung insgesamt nur wenig. Die Tatsache, dass Sie,
Herr Steinbrück, als Schreiber der Rechtsverordnung
zum 480-Milliarden-Euro-Paket den Sohn des Wirtschaftsministers beauftragt haben, macht mich da skeptisch. Der Sohn von Herrn Glos ist nicht gewählter Politiker und kein unabhängiger Berater oder Beamter,
sondern Anwalt in der Kanzlei Freshfields und vertritt
dort die Finanzbranche.
({7})
- Ja, aber eben ein Anwalt, der im Interesse der Kreditwirtschaft arbeitet und so Einfluss nimmt.
({8})
Wie auch immer Sie es schaffen wollen, die Wählerinnen und Wähler von Maßnahmen zu überzeugen, eines scheint mir ungeheuer wichtig zu sein: Machen Sie
endlich Schluss mit der Umverteilung von unten nach
oben!
({9})
Holen Sie die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise
von denen zurück, die an der Deregulierung verdient haben!
({10})
Die reichsten 30 Prozent der Deutschen haben ihr Geldvermögen von 2002 bis 2007 um 780 Milliarden Euro
gesteigert. Freie Finanzmärkte sind die Grundlage, um
Staaten, Bevölkerung und Beschäftigte durch Steuerwettbewerb und Lohndumping gegeneinander auszuspielen. Nur so konnte sich eine kleine Minderheit diesen unvorstellbaren Reichtum aneignen.
({11})
Eine Chance zur Korrektur der Kluft zwischen Arm
und Reich hat die Große Koalition leider völlig verpasst.
Ich spreche von der Erbschaftsteuer, über die wir am
Freitag reden werden. Statt hier korrigierend einzugreifen, werden wir einen Kompromiss sehen, mit dem nicht
einmal erreicht wird, dass das alte Aufkommen beibehalten wird, geschweige denn dass Aufkommenssteigerungen entstehen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal etwas zur
konjunkturellen Situation und zum Konjunkturprogramm sagen. Es gibt inzwischen Prognosen, nach denen wir in einem Jahr einen Wachstumsrückgang um bis
zu 1,8 Prozent haben werden. Das ist - um das deutlich
zu sagen - doppelt so hoch wie der stärkste Rückgang,
den wir bisher hatten, nämlich im Jahr 1975.
Wenn hier erklärt wird: „Wir wollen nicht dagegenhalten, wir wollen keine Staatsverschuldungserhöhung,
wir wollen keine großangelegten Konjunkturprogramme“, dann hört sich das erst einmal solide an. Nur,
wir kennen das doch aus den Erfahrungen: Wir werden
Steuermindereinnahmen haben. Wir werden steigende
Arbeitslosigkeit haben. Wir werden deswegen anschließend steigende Staatsverschuldung haben, aber auf höherem Niveau der Arbeitslosigkeit und bei schlechterer
wirtschaftlicher Situation.
Deswegen sage ich Ihnen: Sie sollten mit dieser Politik der ruhigen Hand Schluss machen. Sie landen sonst
am Ende mit eingeschlafenen Füßen in einer wirtschaftlichen Katastrophe.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Bernd Brinkmann für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Troost, es ist schon ein starkes Stück.
({0})
Den Vorwurf, es sei mit Vetternwirtschaft zu vergleichen, wenn sich der Bundesfinanzminister oder das Ministerium in Sachen Finanzmarktstabilisierungsgesetz
durch den Sohn eines Ministers aus der Regierung von
Frau Dr. Merkel, der ein renommiertes Anwaltsbüro vertritt, hat beraten lassen, muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen.
({1})
Wir kennen das schon, was Sie in dieser Art und
Weise in diesem Hohen Hause immer wieder zum Besten geben.
({2})
Sie haben eben Milliardensummen von Vermögensvermehrung in den Raum gestellt. Ich sage Ihnen zu Beginn
meiner Ausführungen: Wir könnten in einer stillen
Stunde einmal ausrechnen, welche zusätzlichen Lasten
unser Land durch die Wiedervereinigung tragen musste.
({3})
Es sind Kosten, die letztendlich Ihre Vorgängerpartei bis
1989 durch Misswirtschaft zu verantworten hat, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({4})
Damit komme ich zu einem Punkt, der sich auch
durch die Äußerungen anderer Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei zieht und sich durch nichts
rechtfertigen lässt. Der Kollege Fromme hat schon völlig
Bernhard Brinkmann ({5})
recht: Sie ziehen durchs Land und versprechen den Menschen den Himmel auf Erden.
({6})
Sie kritisieren den Haushalt 2009 und fordern gleichzeitig jährliche Mehrausgaben in der Größenordnung von
150 Milliarden Euro. Sie sind aber bis heute die Antwort
auf die Frage schuldig geblieben, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Mit dem, was Sie an Vorschlägen unterbreitet haben, ist das beim besten Willen nicht zu machen.
Am Schluss dieser Debatte kann man über den Weg
aus der Krise durchaus unterschiedlicher Meinung sein;
das ist schon aus den Äußerungen der Kolleginnen und
Kollegen der Koalition hervorgegangen. Ich will dazu
zwei Beispiele geben.
Die Bundesregierung hat mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz reagiert. Von der linken Seite dieses
Hauses wird nichts unterlassen, um den Eindruck zu erwecken, als wäre mit diesem Gesetz eine entsprechende
Belastung des Bundeshaushalts in Verbindung zu bringen. Dem ist nicht so. Wir haben das Geld auch nicht
den Banken in den Rachen geworfen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die Linke, sondern wir
haben dafür gesorgt, dass verloren gegangenes Vertrauen
wieder zurückgewonnen werden kann. Das, was dort gemacht worden ist, dient dem Mittelstand in Deutschland;
das dient den Sparerinnen und Sparern; das dient der gesamten Wirtschaft. Deshalb wird es auch mit entsprechenden Erfolgen in Verbindung gebracht werden.
({7})
Ein zweiter Punkt - der ist auch von entscheidender
Bedeutung - betrifft die Veranschlagung der Ausgaben
für das Arbeitslosengeld II. Zur Erinnerung sei hier
noch einmal gesagt: Im Februar 2005 lag die Arbeitslosenzahl jenseits von 5 Millionen; im letzten Monat lag
sie erstmals seit vielen Jahren unter 3 Millionen. Das ist
ein großer Erfolg solider Haushalts- und Finanzpolitik
dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen.
({8})
Schauen wir uns jetzt einmal an, welche Botschaften
man den Medien in den letzten Tagen bezüglich der
Frage entnehmen kann, wie sich die Arbeitslosigkeit
entwickelt. In der Bild-Zeitung vom 24. November war
zu lesen: „BA-Chef Weise warnt vor Rezessions-Panik“.
Andere Wirtschaftsfachleute schüren genau diese. Nun
könnte man sich vielleicht darauf einigen, dass die
Wahrheit in der Mitte liegt. Aber, meine sehr verehrten
Damen und Herren, wenn wir in einer Krise sind und
durch Schlechtreden diese Krise letztendlich noch verschärfen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die
Menschen im Land, wenn Handwerk und Mittelstand,
also die tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft, weiter verunsichert werden. Dabei wäre es doch unsere gemeinsame Aufgabe, zur Bewältigung dieser Krise dem
entgegenzusteuern.
({9})
Heute Morgen sind hier Prozentrechnungen aufgestellt worden.
({10})
Es wurde gesagt: Das, was durch die massive Senkung
der Arbeitslosenversicherungsbeiträge - sie wurden
mehr als halbiert von 6,5 auf 2,8 Prozent - eingespart
wurde, würde aufgefressen durch die Steigerung des
Krankenversicherungsbeitrages. Meine sehr verehrten
Damen und Herren, mein Parteivorsitzender Franz
Müntefering würde dazu sagen: Das kann man mit Volksschule Sauerland schon ganz einfach rechnen. Ich ergänze: Auch mit Volksschule Dinklar - das ist die Schule,
wo ich gelernt habe - kommt man eindeutig zu dem
Schluss, dass eine Senkung um 3,7 Prozentpunkte in jedem Falle mehr ist als eine Steigerung um 0,5 Prozentpunkte. Auch das müsste man einmal deutlich machen
gegenüber denjenigen, die in dieser Frage ständig etwas
anderes behaupten.
({11})
Bezüglich der prozentualen Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liefern Sie, Herr Kollege
Troost, mir geradezu Steilvorlagen: Sie haben doch in
Ihrem Programm stehen,
({12})
dass der Rentenversicherungsbeitrag von derzeit
roundabout 20 Prozent auf 28 Prozent erhöht werden soll.
({13})
- Der Kollege Gysi hat das hier - Sie können das im
Protokoll nachlesen - bestätigt.
({14})
- Vielleicht falsch erklärt, weil er nicht weiß, worüber er
spricht. - Wenn wir diese Erhöhung vornehmen würden,
dann hätte das zur Folge, dass die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland mit 2500 Euro brutto
jeden Monat 100 Euro netto weniger im Portemonnaie
hätten. Gleichzeitig würden auch die Lohnnebenkosten
steigen.
({15})
Das würde zum Abbau von Arbeitsplätzen und zu entsprechenden Mindereinnahmen der sozialen Sicherungssysteme führen. Hören Sie auf, solche Milchmädchenrechnungen aufzustellen! Das führt uns nicht weiter.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht noch zwei Sätze zu dem
Überbieten bei Steuersenkungsvorschlägen. Ich kann
mich daran erinnern, dass der Kollege Brüderle von diesem Platz aus vor einigen Jahren einmal gefordert hat,
Bernhard Brinkmann ({17})
den Menschen zu Weihnachten einen Steuerscheck zu
schicken - jedem 200 Euro.
({18})
Die Antwort darauf, wie er das finanzieren will und welche Basis bzw. welcher Berechnungssockel zugrunde
gelegt werden soll, ist er schuldig geblieben.
({19})
Die Freien Demokraten legen zum wiederholten Male
ein Sparbuch vor. Ich bringe ein Sparbuch immer mit
Guthaben in Verbindung und nicht mit den unrealistischen Vorschlägen, die Sie in Ihrem Sparbuch zum Besten geben.
({20})
Im Übrigen würde das, Herr Kollege Koppelin, nicht zu
einem ausgeglichenen Bundeshaushalt führen,
({21})
sondern das, was Sie vorgeschlagen haben - in einigen
Bereichen ist ja noch nicht einmal die Datenbasis sicher -,
würde auch nur ein kleines Strohfeuer entfachen und die
Probleme im Haushalt nicht beseitigen.
({22})
Zurück zu den Steuersenkungsvorschlägen: Es wurde
vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zu senken; denn
das führe dazu, dass Konsumanreize gegeben würden.
Es ist heute Morgen schon deutlich geworden, dass andere Forderungen Steuersenkungen bei den mittleren
und unteren Einkommen ansprechen. Ich habe eine herzliche Bitte: Definieren wir erst einmal, was ein mittleres
und was ein unteres Einkommen ist, und gucken uns
dann deren Steuerbelastung an. Wir werden feststellen,
dass die Steuerbelastung gering oder gleich null ist. Das
Problem liegt eher bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Hier haben wir mit der gewaltigen Absenkung des
Arbeitslosenversicherungsbeitrags den richtigen Schritt
unternommen.
Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich noch
zwei Punkte ansprechen. Auch das ist eine Botschaft, die
wir nach draußen geben sollten: Deutschland ist ein starkes Land. Mehr als 40 Millionen Frauen und Männer
- auch junge Menschen - gehen jeden Tag zur Arbeit
und leisten letztendlich ihren Beitrag dazu, dass die
Steuereinnahmen und die Sozialversicherungsbeiträge
fließen. Wenn wir darüber hinaus auch denjenigen danken, die sich Tag für Tag und Woche für Woche ehrenamtlich für unser Land engagieren - es sind mehr als
23 Millionen Menschen -, dann geben wir auch eine
Botschaft nach draußen. Wir bedanken uns dann bei denjenigen, die über ihre tägliche Arbeitsleistung hinaus mit
zum Wohlstand unseres Landes beitragen. Das könnte
der Staat nie leisten und schon gar nicht finanzieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Bundeshaushalt 2009 wird den Problemen, die wir haben, gerecht.
Wenn wir die beschlossenen Maßnahmen mit einem hohen Maß an Gemeinsamkeit positiv nach draußen transportieren, dann werden wir diese Krise auch in den Griff
bekommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({23})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Axel Troost.
Lassen Sie mich kurz etwas zu zwei Punkten sagen:
Erstens. Ich habe überhaupt nicht von Vetternwirtschaft
gesprochen. Es ging mir darum, zu sagen, dass im Ministerium Vertreter und Anwälte von Kanzleien arbeiten,
die eben sehr eng mit der Finanzindustrie zusammenarbeiten. Das ist der Punkt.
({0})
Ich finde, es ist ungeheuer wichtig, dass die Politik ihre
Souveränität behält. In diesem Zusammenhang will ich
sagen: Als wir im Finanzausschuss über das Bankenpaket diskutiert haben, wurde einstimmig gesagt: Wenn das
etwas kostet, dann soll das die Kreditwirtschaft bezahlen. Das ist im Gesetz nicht durchgesetzt worden. Das ist
der Unterschied.
({1})
Ein zweiter Punkt zur Rente: Es ist richtig, dass wir
- wenn auch nicht in unserem Parteiprogramm - bei unseren Rentenvorstellungen einmal gesagt haben, im Jahr
2030 könnten beide Seiten paritätisch 28 Prozent - also
je 14 Prozent - bezahlen. Jetzt haben wir ein Einfrieren
der Arbeitgeberanteile und einen Einstieg in die private
Altersvorsorge. Jetzt zahlen die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer bereits 14 Prozent und die Unternehmen
nur 10 Prozent. Das ist der Unterschied zwischen gesetzlicher und privater Altersvorsorge.
({2})
Kollege Brinkmann bitte.
Herr Kollege Troost, in der Frage, wer das Finanzministerium beraten hat, kann man durchaus abwägen, wie
man es gesagt hat und wie Sie es gemeint haben. Allein
der Vorwurf, den ich hier zu Recht angesprochen habe,
ist schon ein starkes Stück. Ich werde auch weiterhin auf
dieser Aussage bestehen. Hier habe ich nichts zurückzunehmen.
({0})
Zweitens. In der Frage der Renten haben Sie auch
nichts dazugelernt. Wenn Sie den Beitrag auf 28 Prozent
Bernhard Brinkmann ({1})
erhöhen, dann bleibt es bei 4 Prozent mehr für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Arbeitgeber.
({2})
- Durch die lauten Zurufe wird es nicht besser. Wenn der
Arbeitnehmer jetzt aber für die Riester-Rente und für andere kreative Versorgungsmodelle 4 Prozent aufbringen
soll, dann bekommt er einen Zuschuss von bis zu 80 Prozent. Das ist - um bei meinem Beispiel von 2 500 Euro
zu bleiben - in jedem Fall besser als netto 100 Euro weniger. Auch das haben Sie nicht begriffen, aber Sie werden es im Laufe der Zeit bestimmt noch begreifen, wenn
Ihnen dazu die entsprechenden Zahlenbeispiele geliefert
werden.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Eduard Oswald für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man über den Haushalt des Finanzministers debattiert, gehört richtigerweise dazu, zu den Themen der Finanzpolitik Bemerkungen zu machen und dabei die Arbeit des Finanzministers zu würdigen - positiv natürlich.
Die Bundesregierung und die Koalition haben durch verantwortungsbewusstes politisches Handeln alles getan,
um Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern und der
Wirtschaft in unserem Lande zu schaffen.
({0})
Ich glaube, das ist das Entscheidende.
Die weltweite Finanzkrise hat uns gezeigt, dass die
Selbstregulierungsmechanismen des Marktes nicht ausreichen, um eine schwere Krise des internationalen Finanzsystems zu verhindern. Deshalb muss alles getan
werden, um die Krise zu überwinden und eine Wiederholung auszuschließen. Durch konkrete staatliche
Regulierungsvorschriften müssen wir dem Finanzsystem dauerhaft die Stabilität zurückgeben, die es als
Rückgrat der Realwirtschaft benötigt. Für mich ist klar:
Letzten Endes kann nur ein international abgestimmtes
Vorgehen auf einem international vernetzten Finanzmarkt künftige Krisen verhindern.
Klar ist auch: Der Staat kann den Markt nicht ersetzen. Die soziale Marktwirtschaft ist das erfolgreichste
Wirtschaftssystem in der Geschichte. Aufgabe der Politik ist es und muss es sein, die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass dies auch so bleibt. Deshalb muss es unser
Ziel sein, die Finanzmärkte nachhaltig zu stabilisieren,
um die soziale Marktwirtschaft auch international zukunftsfähig zu machen.
Das entschlossene und rasche Vorgehen der wichtigsten Industrienationen und der wichtigen Schwellenländer ist ein deutliches Signal: Die internationale Staatengemeinschaft handelt. Unser Dank gilt unserer
Bundeskanzlerin und dem Finanzminister für ihren Einsatz und ihren Beitrag beim Weltfinanzgipfel in
Washington. Die G-20-Staaten haben ohne Zweifel den
Grundstein für die Reform des internationalen Finanzsystems gelegt.
Bis zum nächsten Treffen im März nächsten Jahres
sollen für einige Punkte bereits konkrete Maßnahmen erarbeitet werden: erstens eine schärfere Kontrolle und lückenlose Aufsicht der Finanzmärkte unter Einbeziehung
der Ratingagenturen; zweitens einheitliche Bilanzierungsregeln, die für mehr Transparenz und internationale
Vergleichbarkeit sorgen sollen; drittens weniger Risiken
durch einen neuen Verhaltenskodex, eine verbesserte Risikobewertung sowie die Schaffung eines Frühwarnsystems; viertens eine Stärkung des Internationalen Währungsfonds, IWF, der die zentrale Frühwarneinrichtung
des internationalen Finanzsystems werden soll. Die Beschlüsse machen deutlich: Die Kapitalmärkte sind für
die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen da
und nicht umgekehrt.
({1})
Das Neue an der gegenwärtigen Situation ist: So wie
die Globalisierung in der ganzen Welt jahrelang zu
mehr Wohlstand geführt hat, erfasst auch der Abschwung alle Länder gleichzeitig. Eine Welt, die sich
immer schneller zu drehen scheint, in der Geldströme in
Millisekunden um den Globus geschickt werden, in der
Waren über das Internet in Sekunden von einem Ort an
den anderen verkauft werden, überfordert viele Menschen in unserem Lande. Was wir also brauchen - das
gilt insgesamt -, ist nicht eine weitere Beschleunigung,
sondern als erste Folgerung daraus eine Entschleunigung, das heißt, das Tempo muss aus dieser Entwicklung herausgenommen werden. Wir brauchen eine Entschleunigung zum Beispiel bei den Bankern, die immer
neue Produkte kreieren und ihr Gewinnstreben überproportional gesteigert haben. Wir brauchen eine Entschleunigung bei den Unternehmen, die allein auf kurzfristige
Aktienkurssteigerungen geschaut haben. Das heißt, wir
müssen die Langfristigkeit im Denken wieder stärken.
Kurzfristige Erfolge mögen das Selbstbewusstsein Einzelner sicher kräftigen. Sie sind aber nicht nachhaltig,
weder für unsere Wirtschaft noch für unsere Umwelt.
Entschleunigung heißt aber auch, dass die vielen Produkte mit den fantasievollen Namen, die die Banker
rund um die Uhr in alle Welt verkauft haben, besser kontrolliert werden. Wer etwas verkauft, muss sagen, was
drin ist, und wer etwas kauft, muss wissen, was und wer
dahinter steckt.
({2})
- Nicht jeder deiner Zwischenrufe ist gut; dieser war es
jedenfalls nicht.
({3})
Wir müssen nicht nur auf internationaler Ebene die
Herausforderungen angehen, sondern wir müssen auch
schauen, was wir im nationalen Bereich tun können. Wir
haben für die Bankenaufsicht zwei Institutionen: die
Bundesbank und die BaFin. Zwei Institutionen haben
immer Reibungsverluste. Eine Integration der Bankenaufsicht in die Bundesbank sollte überlegt werden. Doppelarbeiten könnten vermieden werden, eine einheitliche
Aufsicht würde gewährleistet und die Potenziale der
Bundesbank in der Fläche würden besser genutzt.
({4})
- Da hätten meine Fraktionskollegen ruhig mitklatschen
können. Aber gut, es ist schon in Ordnung.
Um die Unabhängigkeit der Bundesbank aber nicht
zu gefährden, muss eine Lösung gefunden werden, wo
die Bankenaufsicht in einer der Zentralbank nachgeordneten Einheit konzentriert ist. Auch im europäischen Bereich muss sichergestellt werden, dass die Aufsichtsbehörden besser zusammenarbeiten, um schneller agieren
und reagieren zu können.
({5})
Die Gründung von europäischen Aufsichtskollegs ist ein
erster und richtiger Schritt. Die Europäische Zentralbank
könnte hier in Zukunft koordinierend tätig werden. Aus
all dem ersehen wir, dass es nicht reicht, nur national
vorzugehen. Wir müssen auch auf europäischer und internationaler Ebene handeln.
({6})
Heute wissen wir, dass die Krise in Europa womöglich weitaus geringer hätte ausfallen können; doch die
US-Regierung wollte die traditionsreiche Investmentbank Lehman Brothers nicht retten. Dies löste eine weltweite Vertrauenskrise aus. Die Botschaft aus den USA
war: Es gibt keine Regel, wonach ein Institut gerettet
wird oder nicht. Darauf muss man sich aber international
einigen; denn die Auswirkungen einer solchen Pleite
treffen fast immer eine ganze Reihe von Ländern und
eine Vielzahl von Menschen. Die Staaten müssen Gewissheit haben, dass sie sich hier im Notfall auf Partner
im Ausland verlassen können. Daher ist international zu
regeln, wie sich der Staat verhalten soll, wenn Banken
vorübergehend Liquiditätshilfen benötigen oder gar auf
Dauer am Leben gehalten werden müssen, weil sonst
nicht wiedergutzumachende Schäden für die Volkswirtschaften zu erwarten wären.
Als weiterer Regulierungsschritt ist den Banken vorzuschreiben, dass künftig alle Geschäfte in den Bilanzen
auftauchen müssen - auch die von Ablegern möglicherweise in Niedrigsteuerländern.
({7})
Es geht also um mehr Transparenz und Offenlegung; es geht um Transparenz über Risiken und die
effizientere Aufsicht etwa über Ratingagenturen. Das ist
ein ganz entscheidendes Thema der nächsten Wochen
und Monate. Nur so kann wieder Vertrauen entstehen.
Der zentrale Punkt ist: Wo Vertrauen ist, da ist wirtschaftliches Handeln möglich. Vertrauen bewirkt, dass
Menschen konsumieren.
({8})
Auf eine funktionierende Kreditversorgung sind
unsere soliden Unternehmen und auch die Mittelständler
angewiesen. Auch in diesen turbulenten Zeiten gilt festzuhalten: Ein starker Finanzplatz ist ein zentraler Eckpfeiler des Wirtschaftsstandortes Deutschland, und der
Finanzmarkt darf nicht pauschal für jede Fehlentwicklung verantwortlich gemacht werden. Wir müssen aber
auch deutlich machen, dass nicht der Finanzmarkt der eigentliche Markt ist, sondern dass der Finanzmarkt der
klassischen Wirtschaft zu dienen hat. Dies scheint mir in
der zurückliegenden Zeit von manchen vergessen worden zu sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Einzelplan 08, Bundesministerium der
Finanzen, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei
Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die
wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf
Drucksache 16/11025? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf
Drucksache 16/11026? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von FDP und
der Linken bei Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu Einzelplan 08. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 08 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen
angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 20 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.5 auf:
Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung
- Drucksachen 16/10420, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Ulrike Flach
Anna Lührmann
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor, über den wir am Freitag im Anschluss an
die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Ulrike Flach für die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Haushalt, über den wir heute hier beraten, ist der letzte in
dieser Regierungsperiode und bietet damit natürlich eine
gewisse Chance, eine Bilanz der bisherigen Arbeit der
Bildungs- und Forschungsministerin zu ziehen. Frau
Schavan, aus unserer Sicht fällt diese Bilanz sehr gemischt aus. Sie haben auf der Habenseite erfreuliche
Steigerungen im Haushalt
({0})
sowie bundesweite Initiativen wie den Hochschulpakt
und die Exzellenzinitiative, die Ihrer Vorgängerin, liebe
Kollegen von der SPD und den Grünen, noch nicht einmal im Ansatz gelungen sind.
({1})
Aber Sie haben genauso wie Edelgard Bulmahn weder
das 3-Prozent-Ziel erreicht noch für Deutschland den
großen Schritt - das ist eigentlich das Wichtigste bei einer Bildungs- und Forschungsministerin - in die Crème
de la Crème der Hightechländer geschafft. Deutschland
ist nach wie vor Spitze in Bereichen wie Automobilbau;
aber es fehlt der Schritt in die internationale Elite der
Hochtechnologie - und das übrigens in Zeiten, in denen
die Treiber der bisherigen Technologiepolitik, insbesondere die Autoindustrie, in schwere Turbulenzen geraten
sind.
Sie springen von Gipfel zu Gipfel, Frau Schavan. Ich
beobachte das eigentlich fast jeden Abend in den Nachrichten. Ich habe das Gefühl, diese Regierung macht
gerne Gruppenreisen zu Gipfeln. Da sind auch Sie immer dabei. Aber selbst Ihnen wohlgesonnene Medienberichterstatter haben jedes Mal mehr Schwierigkeiten, etwas Positives bei diesen Gipfeln herauszuloben.
({2})
Dass nach nunmehr zehnjähriger Diskussion auf dem
letzten IT-Gipfel endlich die Bedeutung Deutschlands
als Breitbandstandort erkannt wird, ist schon mehr als
erstaunlich. Statt über gewünschte Jobzahlen zu spekulieren, hätte sich die Große Koalition in den letzten Jahren mit den mehr bodenständigeren Sektoren des IT-Bereichs befassen sollen. Warum zum Beispiel - so muss
man sich fragen - gelingt es Ihnen als Chefkoordinatorin
der Hightech-Strategie so gar nicht, den Innovationsstau
in den Behörden in den Griff zu bekommen? Warum
sieht die Telekom immer noch in der Überregulierung
des Telekommunikationsmarktes das bedeutendste Problem für den flächendeckenden Ausbau von Breitbandanschlüssen? Das heißt, es ist Ihnen unter der Großen
Koalition genauso wenig wie unter Rot-Grün gelungen,
in diesem sicherlich innovationskräftigsten und zukunftsträchtigsten Bereich der Wirtschaftspolitik auch
nur in etwa Fuß zu fassen.
Bildungs- und Forschungspolitik ist mehr - das haben
gerade die Haushaltsberatungen der letzten Wochen gezeigt - als das Verteilen von Milliarden. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen - das zeigt das Beispiel
Breitbandtechnologie nur zu deutlich -, werden Sie unser Land nie an die Weltspitze der wichtigsten Zukunftsmärkte,
({3})
wie Sie sich das vorgestellt haben, führen.
({4})
Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch die Steigerung der FuE-Tätigkeit unserer Wirtschaft. Drei
Jahre hatten Sie jetzt Zeit. Wir mussten vor wenigen Tagen im Haushaltsausschuss mit großem Erstaunen feststellen, dass die von Ihnen mit lautem Getöse eingeführten Innovationsallianzen zwischen Wirtschaft und
Wissenschaft nach wie vor in den Kinderschuhen stecken. Die Forschungsprämie, Frau Schavan, ist leider
- so muss man an dieser Stelle sagen - ein Flop.
({5})
Die FuE-Förderung ist nach wie vor hochselektiv und
mit hohem Bewerbungsaufwand und Bürokratiekosten
verbunden.
Ich finde es besonders bedauerlich - ich bedauere
auch, dass unser Freund Riesenhuber heute nicht da ist;
denn er hätte an dieser Stelle eigentlich dazugehört -,
({6})
dass es Ihnen nicht gelungen ist, gegen den Finanzminister endlich eine steuerliche F-und-E-Förderung durchzusetzen.
({7})
Das ist etwas, was Sie mit der FDP mit links geschafft
hätten
({8})
und was diesem Land vor allen Dingen wirklich gutgetan hätte.
Wie der Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative
weiterfinanziert werden sollen, haben wir in den Haushaltsberatungen nicht erkunden können. Aus unserer
Sicht sind Sie diesbezüglich genauso in die Länderfalle
hineingeraten wie Ihre Vorgängerin, Frau Bulmahn.
Beim Thema Wissenschaftsfreiheit wirft Ihnen sogar
der hochgeschätzte Kollege Hagemann - ich muss das
ablesen - ein „zielloses Verfahrens({9})management“
vor. Herr Hagemann, ich bin da ganz bei Ihnen. An
dieser Stelle hätten wir ein ordentliches Gesetz haben
müssen und nicht eine Initiative, die sogar in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses noch nachbearbeitet werden musste, damit sie in einigermaßen treffsicherer Form bei den Wissenschaftsorganisationen
ankommt.
({10})
Wenn Sie sich in diesen Tagen zum Beispiel mit dem
Präsidenten der DFG darüber unterhalten, stellen Sie
fest, dass Ihre Initiative vor allen Dinge große Irritationen hinterlassen hat.
Liebe Frau Schavan, lassen Sie mich zum Abschluss
sagen - das sage ich ganz neidlos -: Sie sitzen auf einem
Sack mit wirklich viel Geld. Ihre Regierungszeit ist genauso schillernd wie Ihr Geld. Sie haben viel Geld und
viele schöne Worte, aber Sie haben nur einige wenige
Erfolge auf dem Weg zu verzeichnen, den wir alle seit
vielen Jahren gemeinsam verfolgen, nämlich Deutschland zu dem Wissens- und Innovationsstandort zu machen, den wir uns alle erwünschen.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Willsch,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Flach, bereits bei der ersten Lesung
habe ich Ihnen empfohlen, sich einzureihen und sich an
den gemeinsamen Erfolgen zu erfreuen; denn die sind
unbestreitbar.
({0})
Ich glaube, heute besteht noch mehr Anlass dazu. Ihr Angebot, sich mit uns in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam an eine steuerliche Förderung von FuE-Vorhaben zu machen, nehme ich gerne auf. Lassen Sie uns im
September des nächsten Jahres darüber reden, wenn wir
eine Mehrheit für eine bürgerliche Regierung in
Deutschland gewonnen haben.
({1})
Aber auch das, was wir in der Großen Koalition erreicht haben, lässt sich sehen. In vielen Sitzungen des
Haushaltsausschusses sowie in Gesprächen zwischen
Berichterstattern und Vertretern des Ministerieums
wurde der Entwurf verbessert. Heute können wir sagen,
dass wir in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in Zeiten,
in denen sich die Menschen Sorgen machen, zu Ergebnissen gekommen sind, die ein Zeichen der Hoffnung
sind.
Weil Frau Flach das schon angesprochen hat, will ich
kurz auf unseren Koalitionspartner eingehen, der unsere
Ministerin Annette Schavan in einer Pressemitteilung
wegen der hohen Zahl von Änderungsanträgen, die im
Laufe des Verfahrens zu beraten waren, ich will mal sagen, kritisiert hat.
({2})
Ich rate hier zu mehr Gelassenheit. Wir sollten den Aufbruch und die Erfolge im Feld der Forschungspolitik gemeinsam feiern. Wir sollten uns darüber freuen. Ich
glaube, dass wir mit einem Betrag von nunmehr 10,2 Milliarden Euro für den Bereich Bildung und Forschung die
Messlatte auf ein Niveau gelegt haben, das sich sehen
lassen kann. Wir tun das Richtige in einer schwierigen
Zeit.
Natürlich ist es so, dass, wenn man neue Verfahren
implementiert, wenn man neue Wege geht, nicht immer
alles wie geplant zum Erfolg führen kann. Wenn man zu
neuen Ufern aufbricht, dann weil einem das Ziel erstrebenswert erscheint und man eine Vorstellung vom Weg
dorthin hat. Dass man auf dem Weg oder am Ziel Überraschungen erleben kann, das sollte gerade im Bereich
der Forschung nicht fremd sein, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen werden.
Thema Wissenschaftsfreiheit; Frau Flach hat es kurz
angesprochen. Ich meine, wir sollten uns auch hier zunächst einmal anschauen, was wir erreicht haben, und
das wirken lassen. Mit der Wissenschaftsfreiheitsinitiative haben wir langgehegte Wünsche der Wissenschaftsszene umgesetzt. Wir haben mehr Freiheit und mehr Flexibilität gegeben.
Wir müssen aber immer bedenken, dass wir mit öffentlichen Mitteln, mit hart erarbeiteten Steuergeldern
der Bürger umgehen.
({3})
Wir müssen darauf achten - gerade wir im Haushaltsausschuss -, dass diese Mittel sinnvoll eingesetzt werden.
Deshalb muss beim Umgang mit den Mitteln eine Balance zwischen mehr Freiheit und einer haushaltspolitisch notwendigen Verantwortlichkeit gefunden werden.
({4})
Unsere Wissenschaftsorganisationen, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die FraunhoferGesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz und die
Deutsche Forschungsgemeinschaft, erhalten zusätzliche
Freiräume bei der Bewirtschaftung ihrer Finanzmittel
und beim Personal.
({5})
Den Wissenschaftsorganisationen stehen zur Selbstbewirtschaftung erheblich mehr Mittel zur Verfügung, und
die gegenseitigen Deckungsfähigkeiten wurden, um die
Flexibilität zu erhöhen, erheblich erweitert. Ganz wichtig
war - das wurde uns von den Wissenschaftsorganisationen immer wieder vorgetragen -: Es gibt Flexibilitäten
bei der Möglichkeit der Bezahlung des wissenschaftlichen Personals, um Nachverhandlungen, um jemanden
zu halten, zu ermöglichen, um jemanden aus dem Ausland zurückzuholen, um dafür zu sorgen, dass die besten
Köpfe in Deutschland forschen und daran arbeiten, dass
dieser Standort eine Zukunft hat. Dass er sie hat, davon
bin ich überzeugt.
({6})
Ich möchte zu den Rahmendaten des Einzelplans 30
kommen. Wir sollten uns wirklich nicht mit kleinlichem
Geplänkel abgeben, sondern uns schlicht auf die Zahlen
konzentrieren.
({7})
Wir legen 850 Millionen Euro obendrauf, dabei haben
wir nochmals 200 Millionen Euro aus der Investitionsoffensive mitgenommen und stellen insgesamt einen Betrag in Höhe von 10,2 Milliarden Euro für Forschung
und Bildung in Deutschland zur Verfügung. Es gibt keinen Einzelplan im Bundeshaushalt, der mehr für Zukunftsinvestitionen steht als der Einzelplan 30.
({8})
Flaggschiff ist und bleibt dabei die Hightech-Strategie.
Mithilfe dieses Maßnahmenpakets - beginnend mit
Übernahme der Regierungsverantwortung, beginnend
mit der Übernahme der Verantwortung durch Frau Bundesministerin Schavan - haben wir eine Aufbruchstimmung in der deutschen Wissenschaftsszene erzeugt.
({9})
Sie ist mit Händen greifbar, sie ist spürbar. Darauf müssen wir aufbauen.
Wir müssen heute angesichts der Lage, in der wir uns
befinden, dafür sorgen, dass wir in den Labors, an den
Hochschulen und an den Forschungsinstituten die Produkte und Verfahren entwickeln, die es uns erlauben, am
Ende des Konjunkturtales, das wir jetzt durchschreiten,
gleich vorne wieder dabei zu sein. Wir haben als Exportnation eine besondere Problemlage, wenn in allen Weltregionen gleichzeitig wirtschaftliche Schwierigkeiten
wie gegenwärtig auftauchen. Sobald auch nur eine dieser
Regionen - sei es Asien, sei es Amerika oder sei es
Europa - wieder Tritt fasst, dann müssen wir wieder
vorne dabei sein. Dafür legen wir mit den Forschungsmitteln, die wir jetzt einsetzen, die Grundlage. Denn
dann werden wir mit innovativen Produkten und innovativen Verfahren einen wesentlichen Beitrag zum Aufschwung in Deutschland leisten.
({10})
Mit den 200 Millionen Euro aus dem Innovationsund Investitionsprogramm für Bildung und Forschung
setzen wir Schwerpunkte. Das haben wir uns im Haushaltsausschuss vorgenommen. Wir geben 10 Millionen
Euro mehr für den weiteren Ausbau des Programms
KMU-innovativ. Es ist uns ein besonderes Anliegen,
dass im Bereich des Mittelstandes Forschung ausgeweitet wird und mehr für Forschung aufgewendet wird. Wir
helfen auf diese Weise. Wir geben 10 Millionen Euro
mehr für die Förderung innovativer Produktionssysteme
sowie für ein Cluster zum Ausbau der Bioenergien. Daneben stellen wir für die Wissenschaftsorganisationen
155 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung, die im
Wesentlichen in Energieeffizienzmaßnahmen investiert
werden sollen. Wir geben die restlichen 15 Millionen
Euro in den Bildungsbereich, um Modernisierungs- und
Fortentwicklungsmaßnahmen an den circa 700 überbetrieblichen Berufsbildungsstätten durchzuführen. Das ist
gerade mit Blick auf die notwendigen Ausbildungsplätze
für unsere Jugend eine sinnvolle Investition.
({11})
Ich komme zur Leistungsfähigkeit des Bildungswesens und zur Nachwuchsförderung. Wir haben in diesem Hause schon häufig über das wichtigste Kapital in
Deutschland gesprochen, das zwischen den Ohren der
Menschen in Deutschland steckt und nicht im Boden.
Hier stehen mit rund 140 Millionen Euro für „Stärkung
des Lernens im Lebenslauf“ ebenfalls Rekordbeträge zur
Verfügung. Wir investieren weiter in die Förderung der
besonders Begabten, weil wir natürlich die Spitze haben
wollen. Wir brauchen eine gute Bildung in der Breite.
Aber wir brauchen auch die Spitze. Das ist wie beim
Sport: Die Spitze kann auf einer guten Breite wachsen.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen - deshalb
stellen wir uns dem -, dass die Menschen länger arbeiten
müssen und sich gleichzeitig das verfügbare Wissen der
Menschheit ständig schneller reproduziert und überholt.
Deshalb müssen wir lebenslanges Lernen ernst nehmen.
Wir tun das durch einen Aufwuchs in diesem Bereich.
Das kann man sich auch vor Ort anschauen. Ich kann anhand meiner Volkshochschule im Rheingau-Taunus sehen, wie das „Netzwerk lernende Region“ lebt, wie es
alle Altersgruppen fördert und nach vorne bringt.
({12})
- Herr Tauss, Sie fragen nach meinem Kurs bei der
Volkshochschule. Ich würde Ihnen einen Kurs in der
Tanzschule empfehlen, und zwar insbesondere den Teil,
in dem man Umgangsformen lernt. Ein bisschen bescheidener, ein bisschen zurückhaltender und nicht so
viel dazwischenquasseln, das wäre das Richtige für Sie.
({13})
Ich sehe, dass meine Redezeit abläuft.
({14})
Ich hätte Ihnen gerne noch 20 oder 30 Minuten von dem
erzählt, was wir tun, wie verdienstvoll, wie wichtig das
ist und wie sehr das nach vorne gerichtet ist. Zum
Schluss möchte ich betonen: Wir befinden uns in wirtKlaus-Peter Willsch
schaftlich schwierigen Zeiten. Gerade dann braucht man
eine Förderung der Innovation und der Schaffenskraft
unserer Bürger. Wir müssen sie stärken, und das tun wir
mit diesem Einzelplan. Wir haben die richtigen Grundlagen gelegt, um die wertvollste Ressource in Deutschland, nämlich das Wissen, die Lernbereitschaft und die
Lernfähigkeit der Menschen, zu stärken.
Dafür lohnt es sich einzutreten. Wir haben im Ausschuss lange Stunden damit verbracht und haben, wie
ich glaube, ein gutes Werk zustande gebracht.
({15})
Ich danke allen, die daran beteiligt waren. Mein Dank
gilt vor allen Dingen dem Ministerium und den Mitarbeitern, die uns gut unterstützt haben. Bleiben Sie so in
der Zusammenarbeit. Ich denke, dann werden wir auch
in den nächsten Jahren für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland ein gutes Werk tun.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({16})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Hirsch,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan! Sie haben diesen
Haushalt mit zwei zentralen Versprechen verknüpft.
Das erste war: Die Bundesregierung investiert verstärkt
in die Zukunft. Das zweite war: Die Bundesregierung
sorgt für Bildung für alle. Wenn wir uns aber diesen
Haushaltsentwurf angucken, dann müssen wir feststellen, dass beide Versprechen nicht umgesetzt werden.
({0})
Ich möchte mit dem ersten Versprechen beginnen. In
den letzten Wochen hatte man hier im Parlament doch
sehr eindrückliche Erlebnisse. Wir erinnern uns: Mitte
Oktober hat die Bundesregierung in nur einer Woche
schwuppdiwupp ein Rettungspaket für die Banken in
Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro beschließen lassen.
Eine Woche später kommen die Spitzen von Bund
und Ländern in Dresden zum Bildungsgipfel zusammen.
Das Ergebnis dieses Gipfels ist - man muss es sich vorstellen: nachdem eine Woche vorher innerhalb nur einer
Woche Hunderte Milliarden einfach so zur Verfügung
gestellt wurden -:
({1})
Das Ergebnis des Gipfels ist: Wir sind uns zwar einig,
dass es mehr Geld für die Bildung geben sollte. Aber wie
und woher genau, wissen wir auch nicht. Wir richten erst
einmal eine Arbeitsgruppe ein.
Das ist noch nicht alles. Wieder eine Woche später
kommt das Bundeskabinett zusammen und stellt fest: Irgendwie müssen wir nicht nur die Banken retten, sondern uns auch einmal darum kümmern, dass die gesamte
Gesellschaft nicht den Bach heruntergeht. Also müsste
vielleicht doch so etwas wie ein Konjunkturprogramm
auf den Weg gebracht werden.
({2})
Nun aber muss man sich dieses sogenannte Konjunkturprogramm der Bundesregierung einmal genauer anschauen. Nicht nur sind die darin vorgeschlagenen Beträge lächerlich, sondern wir müssen auch feststellen: Es
enthält nicht einen einzigen Cent für Bildung. Da müssen wir sagen: So eine Politik, Milliarden für die Banken, aber nicht 1 Cent für die Bildung, kann die Linke
nicht mitmachen.
({3})
Ich frage Sie, Frau Schavan: Wie wollen Sie diese
Politik einer Alleinerziehenden erklären, die nicht weiß,
wie sie die Kitagebühren für ihre Tochter aufbringen
soll?
({4})
Wie wollen Sie das einem Schüler erklären, der sich in
der Schule nicht mehr auf die Schultoilette traut, weil sie
in einem erbärmlichen Zustand ist? Wie wollen Sie das
einem Auszubildenden erklären, der seine Ausbildung
hinschmeißt, weil ihm ausbildungsbegleitende Hilfen
fehlen und er ohne sie nicht durchkommt? Das alles sind
nur Beispiele.
Ich muss sagen: Ich kann das diesen Leuten nicht erklären. Das ist einfach ein politischer Skandal. Deshalb
sagt die Linke: Wir brauchen jetzt einen nationalen Bildungspakt, in dem festgeschrieben wird, jedes Jahr
mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für
Bildung bereitzustellen. Vor allen Dingen müssen wir
dafür sorgen, dass wir jetzt ein Konjunkturprogramm
auflegen, in dem der Ausbau der bildungspolitischen Infrastruktur ganz eindeutig festgehalten wird.
({5})
Damit komme ich zu Ihrem zweiten Versprechen: Bildung für alle. Wenn wir uns den Haushaltsentwurf ansehen, stellen wir fest: Das Problem ist nicht nur, dass für
Bildung insgesamt deutlich zu wenig Geld zur Verfügung gestellt wird, sondern auch, dass das wenige Geld,
das dafür vorhanden ist, komplett falsch verteilt wird.
Das beste Beispiel ist Ihre Exzellenzinitiative im
Hochschulbereich, mit der Sie den Weg in die Zweiklassenhochschullandschaft fortsetzen. Mit dieser Exzellenzinitiative wird für einige wenige Hochschulen jedes Jahr
doppelt so viel Geld zur Verfügung gestellt wie im Rahmen des Hochschulpaktes für alle anderen Hochschulen
zusammen. Wir stellen fest: Hier besteht ein krasses
Missverhältnis. Es fehlt an Qualität in der Breite. Deshalb fordert die Linke: Diese Exzellenzinitiative darf
nicht fortgesetzt werden. Wir brauchen einen gut ausgestatteten zweiten Hochschulpakt.
({6})
Frau Ministerin, wenn Sie Ihre Forderung nach Bildung für alle ernst meinten, dann müssten Sie ganz andere Maßnahmen auf den Weg bringen. Dazu würde gehören, dass man sich auch auf Bundesebene für die
Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Weiterbildung einsetzt. Dazu würde gehören, ein Schüler/innen-BAföG
einzuführen und das bisherige BAföG so auszubauen,
dass wirklich jeder und jede an Bildung teilhaben kann.
Dazu würde auch gehören, in den Schulen bessere Förderangebote zu schaffen, anstatt zu akzeptieren, dass der
Nachhilfesektor boomt; wenn ich von „besseren Förderangeboten“ spreche, meine ich übrigens nicht die geringen Kleckerbeiträge, die die SPD im Haushaltsplan unterzubringen versucht hat. Das wären geeignete Schritte,
um die Forderung nach Bildung für alle zu erfüllen.
({7})
Ich fasse zusammen: In Ihrem jetzigen Bildungshaushalt entlarvt sich ganz eindeutig, was Ihr ganzes Bildungsgetöse - Bildungsreise, Bildungsgipfel, Bildungsrepublik
Deutschland - eigentlich ist: lauter leere Wahlkampfversprechen. Glauben Sie mir: So dumm sind die Leute trotz
Ihrer Bildungspolitik noch nicht, dass sie so etwas nicht
merken.
({8})
Wir finden, es ist ein ermutigendes Zeichen, dass vor
zwei Wochen hunderttausend Schülerinnen und Schüler
auf die Straße gegangen sind und gesagt haben: So nicht!
Wir streiken für eine bessere Bildung! - Dafür haben sie
unsere Unterstützung.
Besten Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich kann an das anknüpfen, womit ich in meiner
Rede bei der ersten Lesung im September dieses Jahres
aufgehört habe.
Frau Flach, als Sie an der Regierung beteiligt waren,
waren die Ausgaben für Bildung und Forschung wesentlich geringer als heute.
({0})
Unter Herrn Rüttgers, der nun Ihr Ministerpräsident in
Nordrhein-Westfalen ist, wurden die Mittel erheblich gekürzt. Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit
Steinen werfen.
({1})
An die Kollegin Hirsch gewandt möchte ich sagen:
Sie haben wie immer ein Schwarz-Weiß-Bild gemalt, haben sich nur negativ geäußert und keine Differenzierungen vorgenommen. Sie erkennen nicht an, was alles getan wurde. Deswegen gebe ich die Formulierung, die Sie
gewählt haben, an Sie zurück: Die Leute sind nicht so
dumm, das zu glauben, was Sie vorgetragen haben, sehr
geehrte Frau Hirsch.
({2})
Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege
Willsch gesagt hat: dass unsere Beratungen gut waren.
Vielen Dank dafür, Herr Kollege! Ich möchte hervorheben: Einschließlich der Mittel für das Ganztagsschulprogramm werden für Forschung und Entwicklung etwa
11 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Gott sei Dank
haben wir das Ganztagsschulprogramm.
({3})
Es wurde nämlich lange bekämpft, hauptsächlich von
den CDU-Ministerpräsidenten, aber auch von Ihnen,
Frau Schavan, als Sie noch Ministerin in BadenWürttemberg waren. Im vorliegenden Einzelplan haben
wir die Mittel um weitere 200 Millionen Euro erhöhen
können. In der Rede, die ich bei der ersten Lesung gehalten habe, sagte ich: Der Entwurf der Regierung ist gut.
Im Rahmen der Haushaltsberatungen wollen wir ihn allerdings noch weiter verbessern. - Das haben wir getan.
Den Erfolg können wir heute sehen.
({4})
Wir haben außerdem eine Reihe Anträge gestellt, um
den Einfluss des Parlamentes hier noch einmal deutlich
zu machen.
Man darf nicht nur reden, sondern muss auch handeln. Das möchte ich für die Koalition hier sagen; denn
die Aufgabe des vorsorgenden Sozialstaates ist es,
durch mehr Bildung für alle Schichten der Bevölkerung
soziale Ungleichheiten abzumildern und Chancengleichheit herzustellen. Das haben wir auch dringend nötig.
Wenn man die OECD-Studien - PISA-Studien genannt und die Untersuchungen des DSW, des Deutschen Studentenwerks, betrachtet, dann stellt man fest, dass es leider immer noch so ist - und das ist ein Skandal -: Wer
aus einem Arbeiterhaushalt kommt oder einen Migrationshintergrund hat, der hat bei uns weniger Bildungsund damit auch weniger Berufs- und Aufstiegschancen.
Das ist nicht gut. Unsere Leitlinie muss es sein, das zu
bekämpfen, damit Chancengleichheit hergestellt wird.
Deswegen kann ich den Steuersenkungswettlauf, der
zurzeit stattfindet, und die Diskussionen über Steuersenkungen auf Pump nicht nachvollziehen; denn der Staat
- damit meine ich Bund, Länder und Gemeinden braucht die Einnahmen, um gerade das zu finanzieren,
was wir uns vorgenommen haben. Deshalb können wir
das nicht nachvollziehen.
({5})
Im Oktober fand der Bildungsgipfel statt. Ich freue
mich, dass man dort zumindest das Ziel festgelegt hat,
7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und
3 Prozent für Forschung auszugeben. Um dieses Ziel zu
erreichen, müssten schon heute - der Finanzminister hat
vorhin darauf hingewiesen - 28,7 Milliarden Euro mehr
zur Verfügung stehen. Ich hoffe, dass dies nicht nur Deklamationen bleiben, die man sich vorgenommen hat - es
sind schöne Bilder entstanden -, sondern dass wir die
Bildungsrepublik hier wirklich gemeinsam - Bund, Länder und Gemeinden - realisieren können. Wir brauchen
gemeinsame Strategien und nicht einen Streit um Zuständigkeiten.
McKinsey, das bekannte Beratungsunternehmen, und
die Robert-Bosch-Stiftung haben gesagt: Wir brauchen
bis zum Jahre 2020 ein 500-Milliarden-Euro-Paket für
Forschung und Bildung zusätzlich - das wären jährlich
40 Milliarden Euro zusätzlich für diesen Bereich -, ansonsten werden durch den Fachkräftemangel Kosten in
Höhe von 1 000 Milliarden Euro entstehen. - Das ist sicherlich eine richtige Analyse. Es wird verlangt, dass die
Hälfte eines Jahrgangs zu Abitur und Studium geführt
wird. Es ist aber interessant - damit zurück zur Steuerdiskussion -, wie das nach dem Vorschlag von
McKinsey finanziert werden soll. Das müsse der Staat
machen, sagen sie. Die Wirtschaft könne sich höchstens
mit 100 Millionen Euro an diesem Betrag beteiligen.
Das kann natürlich nicht sein und ist auch zurückzuweisen.
Unsere Grundidee ist es, im Bildungsbereich Aufstieg durch Bildung zu erreichen. Das drücken wir auch
mit diesem Bundeshaushalt aus, Frau Hirsch. Dies gilt
gerade für den Bereich BAföG. Wir haben im vorigen
Jahr eine deutliche Erhöhung beschlossen, die in diesen
Tagen in Kraft tritt.
({6})
Mehr Studierende bekommen Geld, und höhere Leistungen werden ausgegeben. Die volle Wirksamkeit wird im
Haushalt 2009 festzustellen sein.
Wir wollen mehr für das sogenannte Meister-BAföG
tun. Die Beschlüsse sind gefasst.
({7})
Am 1. Juli 2009 tritt das Gesetz in Kraft. Mehr Geld soll
zur Verfügung stehen, und mehr Gruppen sollen einbezogen werden.
({8})
Wir hoffen, dass auch die Erzieherinnen jetzt bald in ein
entsprechendes Programm einbezogen werden, damit
dies vorangebracht werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten
hinsichtlich des Stichworts Aufstieg durch Bildung - das
heißt, ohne Abitur, aber mit entsprechender beruflicher
Qualifikation einen universitären oder Hochschulabschluss zu erreichen - auch noch einmal klarstellen: Nur
0,5 Prozent der Studierenden können dies zurzeit tun. Die Pläne dafür - Frau Ministerin, Sie hatten sich dazu
im Sommer geäußert - sollten bald mit den Ländern abgestimmt werden, sodass sie auch entsprechend umgesetzt werden können; denn hierin ist eine große Chance
dafür enthalten, Aufstieg durch Bildung zu erreichen.
({9})
Wir stellen mehr Geld für die Studienförderwerke zur
Verfügung. Wir stellen ein Bundesprogramm für mehr
Betriebspraktika von Schülern zur Vorbereitung auf die
Berufsreife bereit. Wir bauen die überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten aus und stellen auch hier mehr Mittel zur Verfügung. Wir haben das Lehrstellenprogramm
Ost auf einem hohen Niveau angesiedelt. Meine Damen
und Herren, diese Aufzählung ist eine Ergänzung dessen, was der Kollege Willsch schon vorgetragen hat. Es
sind wichtige Schritte getan worden, um das Ziel, Aufstieg durch Bildung, zu erreichen.
Lassen Sie mich noch einen kleinen Betrag erwähnen,
der für kleine Kinder zur Verfügung steht, aber Zukunftswirkung hat: Auch die Mittel für das Programm
„Haus der kleinen Forscher“ wurden erhöht. Auch das
sei an dieser Stelle noch einmal genannt.
({10})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf den
Hochschulpakt zu sprechen kommen. Wir wissen, dass
wir mehr Studierende haben und in den nächsten Jahren
auch mehr brauchen. Es werden in nächster Zeit noch
einmal zusätzlich 275 000 Studienplätze gebraucht. Hier
ist schnelles Handeln notwendig. Der Wissenschaftsrat
hat kürzlich auch vor dem Fachausschuss noch einmal
darauf hingewiesen. Aber bei der Finanzierung müssen
wir schon darauf achten, dass wirklich nur die Länder
Mittel vom Bund erhalten, die nachweisbar zusätzliche
Studienplätze geschaffen haben.
({11})
Insoweit kann nur dem Grundsatz gefolgt werden:
Geld folgt den Studierenden. Die Zahlen aus den verschiedenen Ländern, die im Zusammenhang mit dem
Hochschulpakt I vorgelegt worden sind, sind noch nicht
so überzeugend.
({12})
Ein weiteres Thema ist folgendes: Die Studienbewerber des ersten Semesters haben dieses Jahr ein Chaos erlebt, weil die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen nicht funktioniert. Da schaue ich gerne zu
Ihnen, Frau Flach, erstens weil sie in Nordrhein-Westfalen, in Dortmund, ist und zweitens weil Herr Pinkwart es
in erster Linie war, der diese Stelle kaputt- und schlechtgeredet hat.
({13})
Sie hat nicht funktioniert. Jetzt ist es notwendig, dass der
Bund mit 5 Millionen Euro eine neue Einrichtung, eine
Serviceagentur unterstützt. Wir stellen das Geld gerne
zur Verfügung, damit es endlich klappt, dass sich möglichst alle Hochschulen anschließen, ohne dass ihnen
Kosten dafür entstehen. Man sollte, wenn man etwas kaputtschlägt, Alternativen haben.
({14})
- Man sollte vorher schon Alternativen haben.
({15})
Herr Kollege Hagemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Ja, wenn das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Gut, dass Kollege Tauss meinen Fragewunsch gemerkt hat.
({0})
Herr Hagemann, Sie kennen ja unseren langen Streit
zu dem Thema ZVS. Das ist ja nichts Neues in diesem
Raum. Aber ist Ihnen eigentlich bekannt, dass die Neugestaltung der ZVS unter der Federführung des nordrhein-westfälischen Ministers durch seinen Staatssekretär Stückradt erfolgt ist, den Sie eben so negativ bewertet
haben?
Den kenne ich gar nicht.
Das heißt, Nordrhein-Westfalen hat alles getan - übrigens gegen viele Widerstände auch in den eigenen Reihen -, um sie zu einem Instrument zu machen, mit dem
wir den Menschen helfen können, schnell und zügig ihren Universitätsplatz zu finden. Ist Ihnen das nicht bewusst?
Mir ist bewusst, dass, obwohl es Sache der Länder ist,
sehr geehrte Frau Flach, der Bund erst einmal eine Anschubfinanzierung in Höhe von 5 Millionen Euro leisten
muss, damit es überhaupt funktioniert und die Universitäten und Hochschulen Vertrauen gewinnen und sich anschließen, sodass dieses Chaos endlich aufgelöst wird.
Das scheint nur zu klappen, wenn der Bund Geld zur
Verfügung stellt. Das ist mir klargeworden, und deswegen habe ich dem so zugestimmt.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Für den Forschungsbereich stellen wir für das
nächste Jahr insgesamt etwa 12 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir haben eine tolle Forschungslandschaft. Der
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft hat gerade in der
vergangenen Woche - Kollege Willsch, wir haben es zusammen gehört - von einem Allzeithoch dieser Einrichtung, sowohl was die zur Verfügung stehenden Mittel als
auch was die Initiativen angeht, gesprochen. Insofern
sind wir hier sicherlich auf einem guten Weg.
Frau Flach, auch was das 3-Prozent-Ziel betrifft, sind
wir auf einem guten Weg. Wenn wir die 200 Millionen
Euro dazurechnen, die wir im Haushaltsverfahren oben
draufgepackt haben, dann kommen wir fast an
2,9 Prozent des BIP heran. Ich meine, wir sind hier auf
einem guten Weg. Er ist jedenfalls besser als der vor
15 Jahren, als Sie hier noch mit in der Verantwortung gestanden haben.
({1})
Ich hoffe nur, dass die 0,5 Prozent des BIP, die die
Länder zu leisten haben, auch von den Ländern erbracht
werden und dass die Wirtschaft, liebe Frau Flach, zu der
Sie ja ein sehr gutes, enges Verhältnis haben, die von ihr
zu erbringenden 2 Prozent trotz der wirtschaftlich schweren Zeit aufbringt.
({2})
Wir brauchen auch für den Pakt für Forschung und Innovation, der demnächst ausläuft und verlängert werden
muss, neue Ideen. Denn die Forschungsgemeinschaften
weisen darauf hin, dass die Kosten für Energie und Personal die Steigerung um 3 Prozent schon fast auffressen.
Hier werden wir sicherlich neue Wege gehen müssen.
Die großen Forschungseinrichtungen brauchen auch
mehr Flexibilität - ich kann mich kurzfassen; Kollege
Willsch hat schon darauf hingewiesen -; deswegen haben wir die Initiative „Wissenschaftsfreiheit“ gestartet.
Wir mussten erst einige chaotische Situationen bewältigen.
({3})
Wir haben das aber in der Diskussion auf einen sehr guten Weg gebracht. Den großen Forschungsorganisationen muss bei der Selbstbewirtschaftung und der Verwaltung der Personalstellen mehr Vertrauen und mehr
Flexibilität entgegengebracht werden. Ich glaube, dass
wir einen guten Kompromiss gefunden haben, der auch
den Interessen des Parlaments gerecht wird, Einblick zu
haben und Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen.
Ich weise auch darauf hin, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Programmpauschale erhält. Wir bringen ihr seitens des Parlaments das notwendige Vertrauen entgegen.
Unsere Forschungsorganisationen spielen in der
Forschungsweltliga. Das wird immer wieder festgestellt.
Aber sie haben das Problem, dass sie zwar hervorragende Ergebnisse im Bereich der Grundlagenforschung
erzielen, aber Schwierigkeiten haben, diese in Produkte
und Dienstleistungen umzuwandeln. Ich erinnere nur an
den MP3-Player. Es hat lange gedauert, bis diese Erfindung umgesetzt werden konnte. Leider sind die damit
verbundenen Arbeitsplätze nicht in Deutschland, sondern in Amerika entstanden.
Die Forschungseinrichtungen haben den Wunsch, in
der Validierungsforschung mehr zu erreichen. Wir hatten
schon für das laufende Jahr Mittel zur Verfügung gestellt
und wären dem Ministerium sehr dankbar, wenn abgestimmte Pläne und Ziele vorgelegt werden könnten, wie
an dieser Stelle mehr erreicht werden kann. Deswegen
haben wir nur einen geringen Baransatz vorgesehen,
aber 100 Millionen Euro zusätzlich für Verpflichtungsermächtigungen in diesem Bereich vorgesehen.
({4})
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, das mit entsprechendem Nachdruck voranzubringen.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben in
den Haushaltsberatungen in der Koalition zusätzliche
200 Millionen Euro vorgesehen und wollen, dass jetzt
auch entsprechend gehandelt wird. Die Forschungsorganisationen sollen über ausreichende Mittel verfügen, um
Maßnahmen durchführen zu können, die bisher aus
Geldmangel nicht möglich waren. Das gilt beispielsweise für die energetische Sanierung von Institutsgebäuden. Wir haben ein umfangreiches Programm mit auf
den Weg gebracht.
Es wäre schön, wenn die Länder die Mittel, die wir
aus dem Hochschulbauprogramm zur Verfügung stellen - wenn ich mich richtig erinnere, erhalten die Länder
800 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt -, auch für
die Sanierung der Universitäten und Hochschulen nutzten. Denn das ist dringend notwendig. Wir wissen, dass
dadurch schnell Arbeitsplätze entstehen. Deshalb haben
wir uns dazu entschlossen.
({6})
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es wichtig, die Mittel
für Zukunftsaufgaben wie Bildung und Forschung zur
Verfügung zu stellen. Wir haben deshalb bei den Haushaltsberatungen den Einzelplan 30 gestärkt und mehr
Mittel bereitgestellt. Die Opposition hat den meisten unserer Anträge zugestimmt - herzlichen Dank dafür -;
deswegen kann ich die Kritik zum Teil nicht nachvollziehen. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben. Die
Diskussionen im Ausschuss waren immer fair und sachlich. Selbstverständlich stimmen wir unserem Einzelplan
zu.
({7})
Für Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort der
Kollegin Priska Hinz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Große Koalition lobt die Steigerungen im Einzelplan 30.
({0})
- Sie sagen: Zu Recht. - Ich möchte Ihnen entgegenhalten: Hätten Sie die vorsorgende Haushaltspolitik der
Grünen in den letzten Jahren mitgetragen, dann könnten
wir jetzt noch viel mehr Geld für Bildung und Forschung
ausgeben. Das wäre eigentlich dringend notwendig.
({1})
Die Mittel für das Konjunkturprogramm der Bundesregierung wurden mühselig um 200 Millionen Euro für
den Bildungs- und Forschungsbereich aufgestockt. Es
spricht Bände, dass die Bundesregierung diesen Bereich
nicht selber aufgenommen hat. Diese Aufstockung ist
aber zu wenig. Dagegen setzen wir unser Konjunkturprogramm. Sie haben noch Zeit, ihm zuzustimmen. Wir
zeigen in unserem Programm deutlich, was Zukunftsausgaben in Bildung sind. Es macht keinen Sinn, Spritschleudern steuervergünstigt durch die Gegend fahren zu
lassen.
({2})
Wir brauchen eine echte Klimaforschung. Wir brauchen
eine Energieforschung. Wir brauchen Investitionen in
Köpfe, das heißt eine bessere Bildungsinfrastruktur. Hier
haben Sie noch die Möglichkeit, Ihren Kurs zu korrigieren.
({3})
Mehr Investitionen und eine andere Schwerpunktsetzung sind notwendig, genauso wie eine Kombination
von Haushaltspolitik und Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die Reformen einleitet, Strukturen in diesem Land verändert und positive Anreize für Forschungs- und Entwicklungsausgaben setzt - und zwar
auch in der Wirtschaft -, damit wir das 3-Prozent-Ziel
erreichen, Frau Dr. Schavan. Sie haben in diesem Haus
die Forschungsprämie als die Wunderstrategie gelobt,
die dazu führe, dass Hochschulen und Forschungsorganisationen mit mittelständischen Unternehmen besser
zusammenarbeiteten. Ihre Forschungsprämie ist in der
Realität ein Flop. Aber Sie ziehen keine Konsequenzen
daraus, abgesehen davon, dass Sie den Haushaltsansatz
nach unten korrigieren. Sie sagen nicht, was Sie stattdessen machen wollen. Darauf warten wir bis heute.
({4})
Selten wurde über Bildung so viel geredet wie im Jahr
2008. Die Kanzlerin hat eine Bildungsreise gemacht. Sie
hat aber auch den größten Flop des Jahres gelandet, und
zwar mit einem Bildungsgipfel, bei dem nichts herausgekommen ist, weder inhaltlich noch finanziell.
({5})
Eigentlich müsste sich etwas von diesem Bildungsgipfel
im Bundeshaushalt 2009 niederschlagen, genauso wie in
den Landeshaushalten. Aber, Frau Schavan, Sie haben
schon vor dem Bildungsgipfel gesagt, eigentlich solle er
kein Finanzierungsgipfel werden.
({6})
Priska Hinz ({7})
Wir brauchen aber Geld für bessere Rahmenbedingungen. Wir Grünen haben vorgeschlagen, die Hälfte der
Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag, der nicht mehr
für die neuen Länder genutzt wird, in Bildungsinvestitionen umzuwandeln. Dann könnten wir tatsächlich vorangehen.
({8})
- 23 Milliarden, von 2009 bis 2019. - Bitte gehen Sie
diesen Weg mit uns!
({9})
Dann haben wir die Möglichkeit, die Bundesländer auf
unsere Seite zu ziehen. Auch diese müssen in Bildung
investieren. Sie müssen Butter bei die Fische tun. Wenn
Sie sich im Gestrüpp der Föderalismusreform so verheddert haben, dass Sie die Ministerpräsidenten nicht mehr
auf Linie bringen können, dann müssen Sie darüber
nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, erstens das Kooperationsverbot aufzuheben und zweitens einen soliden
Finanzierungsvorschlag zu machen, der dazu führt, dass
sich auch die Bundesländer beteiligen. Dann könnten
wir tatsächlich mehr in Bildung investieren.
({10})
Sie haben aber auf Bundesebene auch originäre Zuständigkeiten: die berufliche Bildung. Wir geraten nun
in eine Rezession. Von der wirtschaftlichen Entwicklung
ist aber auch die Zahl der Ausbildungsplätze abhängig.
Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren in
diesem Bereich keine Steigerungen mehr verzeichnen
können wie zuletzt. Wir Grüne haben mit dem Konzept
„DualPlus“ einen eigenen Vorschlag gemacht. Sie von
der Großen Koalition lösen nun einen Modernisierungsschub bei den überbetrieblichen Einrichtungen aus. Aber
das reicht nicht, wenn kein Konzept dahintersteht. Wir
wollen nach dem dualen Prinzip mehr Ausbildungsplätze durch einen Dreiklang aus überbetrieblichen Einrichtungen, Betrieben und Berufsschulen. Daran können
sich mehr Betriebe beteiligen. Modularisierungen können eingeführt, das heißt bestimmte Ausbildungsschritte
anerkannt werden. Damit wird zusätzlich das Übergangssystem, das uns so große Probleme bereitet, verkleinert. Damit hätten wir 3 bis 4 Milliarden Euro frei,
die wir entsprechend dem nationalen Bildungsbericht
umschichten können. Sie sollten den grünen Vorschlägen in diesem Punkt ebenfalls folgen. Wir machen solide
Finanzierungsvorschläge und solide inhaltliche Vorschläge. Es liegt an Ihnen mitzumachen.
({11})
Ein letzter Satz. Was die Weiterbildung betrifft, so
sind Sie mit dem Bildungssparen nicht sehr viel weiter
gekommen. Das wird den Geringqualifizierten nicht helfen. Die Ausweitung des Meister-BAföG ist viel zu zaghaft; denn wir brauchen eigentlich ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz, das die Weiterbildung in allen
Phasen des Erwerbslebens möglich macht. Andere Staaten haben das erkannt. Mehr Weiterbildung, gerade in
der Rezession, fördert die Kompetenzen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und führt dazu, dass dann,
wenn die Wirtschaft wieder anzieht, kein Fachkräftemangel aufgrund von mangelnden Fähigkeiten zu verzeichnen ist. Wir sollten uns ein Beispiel an anderen
Ländern nehmen. Wir haben einen entsprechenden Finanzierungsvorschlag gemacht. In diesem Punkt können
Sie uns einfach folgen. Wenn Sie das täten, stünden wir
in Sachen Bildung in den nächsten Jahren viel besser da.
Danke schön.
({12})
Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Bildung
und Forschung, Annette Schavan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! In turbulenten Zeiten gilt einmal mehr der Satz: Bildung und Forschung sind das Gebot der Stunde.
({0})
Jetzt beschäftigen wir uns nicht allein mit der Bewältigung der derzeitigen Situation, sondern wir müssen zugleich die Weichen so stellen, dass künftige Generationen ein gutes Fundament und Perspektiven für
Entwicklung haben. Ich finde: Der Haushalt 2009 meines Hauses gibt eine Menge positiver Impulse für die
Schaffung eines solchen Fundaments. Ein ganz wichtiger Punkt - ich sage das gleich, weil Frau Hinz es angesprochen hat - in diesen turbulenten Zeiten wird es sein,
nicht über allen Sorgen des Alltags die nächste Generation zu vergessen, also auch im Jahr 2009 ausreichend
Ausbildungsplätze in Deutschland zur Verfügung zu
stellen.
({1})
Daran sollten unsere Unternehmen denken. Wir aber
sollten auch daran denken, dass sich in diesen drei Jahren vieles positiv für die junge Generation entwickelt
hat. Wir haben in diesem Jahr erstmals - das ist völlig
anders als noch vor vier, fünf Jahren - eine völlig neue
Situation. Wir haben offene Lehrstellen, nie zuvor gab es
so viele Jugendliche, die eine Chance bekommen haben,
und wir sind auch bei dem wichtigen Thema des Übergangs von der Schule zur Ausbildung weitergekommen.
Es ist richtig, dass der Übergang von der Schule zur
Ausbildung viele Schwachstellen aufweist, Schwachstellen, die auf junge Leute entmutigend wirken und die
viel Geld kosten. Deshalb war es richtig, gemeinsam mit
den Ländern und übrigens auch beim Bildungsgipfel für
frühere Förderung und individuellere Förderung Sorge
zu tragen; denn das führt zu weniger Entmutigung bei
jungen Leuten.
({2})
Frau Flach, ich kann verstehen, dass man sprachspielerisch von „Gipfelei“ spricht.
({3})
Ich entgegne Ihnen: Besser von Gipfel zu Gipfel als von
einem Tal zum anderen.
({4})
- Es gab schon andere Zeiten in der Bildungspolitik. Ich verstehe, dass man sich bei manch einer Veranstaltung fragt, was denn wirklich das Ergebnis ist. Das Ergebnis des Bildungsgipfels ist ein Konsens quer durch
alle Parteien über zentrale Themen der Bildungspolitik,
über die Entwicklungen der nächsten zehn Jahre und
über das 10-Prozent-Ziel, ein Ziel im Bereich Bildung
und Forschung, das es in 60 Jahren Bundesrepublik
Deutschland nie gegeben hat.
({5})
Kollege Steinbrück hat heute Morgen gesagt, welche
Perspektiven damit verbunden sind.
({6})
Zum 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung
sage ich Ihnen auch: Berücksichtigt man die Jahre 2000
bis heute, dann muss man feststellen, dass durch dieses
Ziel enorme Investitionsmittel für die Forschung mobilisiert worden sind. Betrachtet man den Anteil des Bundes
an der Erreichung des 3-Prozent-Ziels im Haushalt 2009,
erkennt man: Unser Anteil liegt unter Zugrundelegung
der uns heute vorliegenden Zahlen bei 2,88 Prozent. Das
heißt, wir sind, was den Bundesanteil angeht, kurz vor
Erreichung des 3-Prozent-Ziels. Jetzt muss klar sein: Wir
erwarten entsprechende Leistungen der Länder und der
Unternehmen in Deutschland.
({7})
Mir wird in diesem Zusammenhang immer wieder gesagt: Die Unternehmen werden diesen Anteil erst leisten
können, wenn es in Deutschland neben der Institutionenförderung und der Projektförderung in der Forschungsförderung steuerliche Anreize für F und E gibt. Das wird
ganz gewiss ein Thema der nächsten Legislaturperiode
sein. Bereits im nächsten Koalitionsvertrag wird dazu
Stellung genommen werden müssen. Ich halte die damit
verbundenen Vorschläge für interessant. Ich bin da sehr
offen. Das wird kommen.
({8})
- Sie kennen die Vorschläge, Anreize anders zu setzen
und nicht einfach nach dem Gießkannenprinzip vorzugehen.
Aber ich sage Ihnen auch: Glaube doch niemand - man
schaue sich die Länder in Europa an -, das sei jetzt der
Königsweg! Genauso hat man es von der Forschungsprämie gesagt. Ich betone: Diesen Weg werden wir dann gehen, wenn klar ist, welche Effekte damit verbunden sind
und welche zusätzlichen Investitionen der Unternehmen
wir uns davon versprechen können.
({9})
Entscheidender Impuls der aktuellen Forschungspolitik in dieser Legislaturperiode ist, Wissenschaft und
Wirtschaft zu natürlicher Partnerschaft zu bringen. Die
Innovationsallianzen haben uns ein großes Stück vorangebracht.
({10})
- Neun sind es mittlerweile. Das Ganze hat erst einmal
angefangen und geht über mehrere Jahre; das ist wohl
wahr. Man muss irgendwann anfangen. Wir haben im
Unterschied zu mancher Forschungspolitik früherer Zeiten angefangen.
Wir haben ein völlig anderes Klima. Wir haben in der
Wissenschaft Aufbruchstimmung. Das ist doch wahr; das
kann jeder nachvollziehen. Schauen Sie sich nur die Wissenschaftsseiten in den großen Zeitungen in Deutschland
an: Eine solche Berichterstattung über wissenschaftliche
Entwicklungen, über die Rolle der Wissenschaft in unserer Gesellschaft hat es nie zuvor gegeben.
Nun ist die Frage: Wie erreichen wir eine entsprechende Aufbruchstimmung in der Bildungspolitik? Da
sage ich Ihnen: Alle die, die da agieren - es sind ziemlich viele in Deutschland -, müssen wissen, dass das,
was auf dem Bildungsgipfel vereinbart worden ist, jetzt
Stück für Stück umgesetzt werden muss. Wir werden jedes Jahr nachfragen, und wir werden uns jedes Jahr die
Bilanz ansehen. Das, was für den Wissenschaftsstandort
Deutschland gilt, muss genauso für den Bildungsstandort gelten. Wir brauchen in Deutschland eines der besten
Bildungssysteme der Welt, weil dies die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass wir in Zukunft einen der besten Wissenschaftsstandorte der Welt haben.
({11})
Es gibt wichtige neue Akzente. Dazu gehört die Weiterentwicklung des Meister-BAföG. Dazu gehören die
Aufstiegsstipendien. Dazu gehört eine deutliche Verstärkung der Bildungsforschung.
Zur ZVS will ich betonen: Die Schritte, die Kollege
Pinkwart gemacht hat, waren ein Anfang. Ich kann Ihnen
nur sagen: So kommen wir natürlich überhaupt nicht
zum Ziel.
({12})
Deshalb ist es unbedingt notwendig, den nächsten Schritt
zu vollziehen. Ich bin wirklich jemand, der hinter Exzellenzinitiativen und allem, was damit verbunden ist, voll
und ganz steht. Aber ich sage auch all denen, die für
Hochschulen Verantwortung tragen: Eine weitere Exzel20288
lenzinitiative wird in der deutschen Öffentlichkeit nur akzeptiert werden, wenn wir auch für die Studierenden sorgen,
({13})
das heißt, wenn wir dafür sorgen, dass es vernünftige
Zugänge zur Hochschule gibt, dass nicht einer am ersten
Studientag vier Studienplätze hat, während drei andere
keinen haben.
Damit sind die Länder bislang anscheinend überfordert. Deshalb muss hier mehr geschehen, und es muss
bald geschehen, weil wir auch zu diesem Wintersemester
wieder feststellen, dass die Zahl derer, die studieren wollen, deutlich gestiegen ist.
Ich nenne als wichtige Schwerpunkte die Spitzenforschung und Innovation in den neuen Ländern - ich danke
ausdrücklich für die weitere Erhöhung der Möglichkeiten
in diesem Zusammenhang -, die Neuordnung in der Gesundheitsforschung mit den Stichworten „nationales Demenzzentrum“ und „nationales Netzwerk Diabetesforschung“,
({14})
aber auch die Verstärkung der Forschungsförderung an
den Fachhochschulen, denen ich im Innovationsprozess
eine wichtige Rolle beimesse, etwa durch das Programm
zur älteren Gesellschaft. Ich verweise auch auf verstärkte Fördermöglichkeiten und Instrumente im Bereich
von Klima- und Energieforschung. Wir werden in den
nächsten Wochen ein Climate Institute for Advanced
Studies in Potsdam mit Wirkung zum nächsten Jahr
gründen. Das wird auch international ein Anziehungspunkt werden und die besten Forscher nach Deutschland
holen.
Schließlich nenne ich die Wissenschaftsfreiheit und
danke für die Unterstützung in diesem Bereich. Natürlich
hätte ich mir mehr gewünscht. Die Forschungsorganisationen in Deutschland verdienen Vertrauen. Wir brauchen
neue Spielregeln. Der jetzige Einstieg ist ein guter Weg,
Erfahrung zu sammeln, um dann über weitere Schritte
nachzudenken.
Es sind turbulente Zeiten, jetzt muss auch öffentlich
deutlich werden: Bildung und Forschung sind das Gebot
der Stunde. Die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung setzen mit dem Bundeshaushalt 2009 das richtige Signal: Es gibt einen deutlichen Zuwachs und - das
ist mindestens so bedeutsam - konzeptionelle Ansätze,
die deutlich machen, wie stark wir Bildung und Forschung als Quelle künftigen Wohlstands verstehen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Uwe Barth, FDP-Fraktion.
({0})
Der Kurs in Prozentrechnung folgt im Anschluss unter vier Augen, lieber Herr Tauss.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Ministerin, „Bildung und Forschung
sind das Gebot der Stunde“, haben Sie gesagt. „Ich
möchte, dass Deutschland eine Bildungsrepublik wird“,
so klingt das bei der Kanzlerin. Mit diesen Sätzen, mit
diesen Ankündigungen zeigen Sie, dass Sie die Prioritäten richtig erkennen, aber Sie wecken natürlich auch
Hoffnungen damit,
({0})
die Hoffnung zum Beispiel, dass kraft der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin die Bildungspolitik tatsächlich
ein Schwerpunkt in der politischen Arbeit der Bundesregierung sein wird, die Hoffnung, dass die vielen Probleme und Unzulänglichkeiten in unserem Bildungssystem nun auch wirklich gezielt angegangen und behoben
werden, und die Hoffnung, dass das dafür notwendige
Geld nun auch wirklich bereitgestellt und zielgerichtet
eingesetzt wird.
Auf dem Bildungsgipfel, über den Sie auch gesprochen haben, Frau Ministerin, der den Aufbruch in diese
Wunschrepublik der Bundeskanzlerin kennzeichnen sollte,
hat man sich in der Tat nicht lumpen lassen: 10 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts sollen es bis 2015 sein, die für
Bildung und Forschung ausgegeben werden. Da will man
natürlich nicht als Kleingeist oder Erbsenzähler am Wegrand stehen
({1})
und fragen, ob 2015 nun richtig ist; dass 2012 noch viel
besser wäre, darüber können wir sicherlich schnell Einigkeit herbeiführen. Aber hier und heute sprechen wir
über den Bundeshaushalt 2009. Darin müsste sich diese
Prioritätensetzung, wenn man das denn bis 2015 erreichen will, widerspiegeln.
({2})
Das suche ich aber vergebens.
({3})
Will man 10 Prozent erreichen, muss man mit gutem
Beispiel vorangehen.
Frau Ministerin, Sie sagen, in 60 Jahren habe es ein
Ziel wie das 3-Prozent-Ziel noch nicht gegeben. Entschuldigung! Ich will nicht Ziele feiern; mir wären Feierstunden beim Erreichen von Ergebnissen wichtiger.
({4})
Was das 3-Prozent-Ziel angeht, haben Sie die Einladungen immer noch nicht drucken können; denn Sie werden
dieses Ziel nicht erreichen.
9 Prozent mehr im Haushalt - das ist richtig, das ist
erfreulich; überhaupt keine Frage. Aber das relativiert
sich natürlich, wenn man auf die anderen Einzelpläne
schaut. Das Umwelt- oder das Gesundheitsministerium
zum Beispiel bekommen weit über 50 Prozent mehr gegenüber dem Vorjahr. Wenn wir eine Hitliste der prozentualen Zuwächse des Etats der einzelnen Ressorts erstellen, landet Ihr Ressort, Frau Ministerin, gerade einmal
auf Platz sieben.
({5})
Um es ganz klar zu sagen: Eine Prioritätensetzung zugunsten der Bildung stelle ich mir anders vor. Eine solche sieht anders aus.
({6})
1,2 Prozent des Gesamthaushaltes fließen in die Bildung. 1,2 Prozent! Das, Frau Ministerin, verkaufen Sie
uns hier auch noch als den großen bildungspolitischen
Aufbruch in neue Sphären.
({7})
Wenn wir bildungspolitisch in neue Galaxien aufbrechen
wollen, um Ziele zu erreichen, die nie ein Mensch zuvor
gesehen hat, dann brauchen wir dazu ein Raumschiff namens „Bildungsland Deutschland“ mit einer gut ausgebildeten Mannschaft und mit einem Warp-Antrieb. Sie,
Frau Ministerin, tuckern hier stattdessen mit dem Ausflugsdampfer „Angela“ mit Holzvergaser durch die Gegend. In der aktuellen Situation sind Sie noch nicht einmal in der Lage, selbst für diesen eine gut ausgebildete
Mannschaft zu stellen.
({8})
Das ist die Realität: 10 Prozent der ausbildungswilligen Unternehmen können ihre Lehrplätze nicht besetzen; Sie haben es angesprochen. Der Grund ist das Fehlen von ausbildungsfähigen Bewerbern. Mehr als die
Hälfte der ausbildenden Unternehmen beklagt eklatante
Schwächen der Schulabgänger in elementaren Rechenfertigkeiten wie Addieren und Subtrahieren. Und wenn
die Stiftung Lesen meldet, dass es in Deutschland
4 Millionen erwachsene Analphabeten gibt, wird klar,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wie weit wir von dem
Ziel einer Bildungsrepublik Deutschland noch entfernt
sind.
Gerade in Zeiten, wo das Geld knapper wird, muss
die Erkenntnis gelten, dass wir uns gute Bildung leisten
müssen, weil wir uns schlechte Bildung nicht leisten
können.
({9})
Gerade weil in den letzten zehn Jahren insgesamt viel zu
wenig in die Bildung investiert wurde, müssen wir jetzt
verstärkt eine Erhöhung der Bildungsinvestitionen einfordern. Zugleich benötigen wir ein Umdenken bei der
staatlichen Förderung des Bildungswesens. Denn bei aller Notwendigkeit der Bereitstellung staatlicher Mittel
ist es nicht mit einem Griff in das Staatssäckel getan,
Bildung ist auch eine ganz persönliche Sache, an der jedem Einzelnen gelegen sein muss und für die jeder Einzelne auch etwas tun muss.
({10})
- Ja, Herr Tauss, auch jeder Einzelne muss etwas dafür
tun.
({11})
- Nein, kein Schulgeld.
({12})
- Wenn Sie sich einen Moment gedulden, dann sage ich
es Ihnen, lieber Herr Tauss.
({13})
Gerade im Bereich der Hochschul- und Weiterbildung
müssen wir die Bereitschaft zu privaten Investitionen
erhöhen. Die FDP-Fraktion hat hier deshalb den Vorschlag unterbreitet, ein System des privaten Bildungssparens aufzubauen. Damit soll ein Kapitalstock befördert werden,
({14})
aus dem jeder später seine privaten Bildungsinvestitionen bezahlen kann. Die entsprechende Systematik kennen Sie: Die Vermögensbildung gerade von einkommensschwächeren Schichten wird ja in analoger Weise
durch Bausparprämien und vermögenswirksame Leistungen gefördert. Genau diese Logik und dieses System
wollen wir in den Bereich der Bildungsinvestitionen
übertragen.
({15})
Meine Damen und Herren, die Bildungsrepublik
Deutschland ist auch unser Ziel. Das ist ganz klar. Mit
diesem Haushalt verpasst die schwarz-rote Koalition leider eine weitere und, wie ich hoffe, die letzte Chance,
dafür nicht nur ein Zeichen zu setzen, sondern endlich
auch Fakten zu schaffen.
({16})
Das machen wir dann nächstes Jahr im Herbst.
Herzlichen Dank.
({17})
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Jörg Tauss.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich fand Ihre Rede, Frau Ministerin, bemerkenswert. Sie war sehr gut.
({0})
- Nein, das spricht für die Koalition, dass wir auch solche Dinge einmal aussprechen können. - Vor allen Dingen haben mir Ihre Hinweise auf die Studierenden gefallen. Wichtig war auch die Bemerkung, Exzellenz dürfe
nicht zulasten der Breite gehen. Das ist schon fast sozialdemokratisch.
({1})
Auch die Forderung nach Aufstieg durch Bildung - die
stammt ja auch von uns ({2})
fand ich prima. Ihre Gute-Laune-Rede, Frau Schavan,
hat mich etwas mit der Schlechte-Laune-Rede des Kollegen Willsch versöhnt. Deswegen habe ich, Kollege
Willsch, in mein Konzept ein paar Gemeinheiten zur
CDU und zur Unionsfraktion insgesamt hereingeschrieben. Daran sind Sie selber schuld. Ich werde das dann
vortragen. Außerdem möchte ich Ihnen sagen: Ihre Attacke auf den Kollegen Hagemann fand ich nicht in Ordnung.
({3})
Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir haben die Frau
Ministerin in der Frage der Wissenschaftsinitiative
unterstützt, auch unsere Haushälter, unser Kollege
Hagemann. Herr Kollege Willsch, ich hätte mir gewünscht, dass Herr Kampeter die Frau Ministerin nicht
so im Regen hätte stehen lassen, wie er es getan hat. Hier
hätten wir uns auch vonseiten des Koalitionspartners in
der Tat mehr Unterstützung gewünscht.
({4})
Ich habe wenig Verständnis für den Kollegen Kampeter.
Kollege Willsch, ich finde es nicht fair und nicht in
Ordnung, wie Sie die Erfolge von Edelgard Bulmahn herunterreden. Es gehörte zu Ihrer Souveränität, wenn Sie
anerkennen würden, was damals nach Ihrer Regierungszeit erreicht wurde. Dann würden wir uns noch besser
vertragen. Der Haushaltszuwachs lag bei 37,6 Prozent.
Bei Schwarz-Rot ging es in dieser Tradition weiter. Kollege Willsch, das könnte man doch mit etwas mehr Souveränität einfach einmal sagen. Ihre Aufforderung an
mich, gemeinsam mit Ihnen einen Tanzkurs zu belegen,
entschädigt mich nicht für diese Verärgerung. Das will
ich an dieser Stelle sagen.
In die Richtung der FDP und der Grünen sage ich:
Natürlich haben Sie Einsparvorschläge gemacht. Jetzt
liegt dieses dicke Ding, das telefonbuchähnliche Werk,
das der Kollege Koppelin immer in die Kameras hält,
nicht mehr da.
({5})
- Sie haben es schon umgedreht, damit man es nicht
mehr so sieht. Also gut, das ist das Ding, über das wir
hier reden. - Gucken wir einmal, was drinsteht. Allein
im Bereich der Arbeitsmarktinstrumente enthält es
Kürzungen von 2 Milliarden Euro.
({6})
Das geht zulasten von arbeitslosen Jugendlichen, die wir
von der Straße holen wollen und denen wir in diesem
Land helfen müssen.
({7})
An die Adresse der Grünen sage ich: Ihr habt dies gegenüber der FDP sogar noch deutlich übertroffen. Das finde
ich auch nicht in Ordnung. Wenn man Einsparvorschläge
macht, dann sollte man auch sagen, wo diese Einsparungen gemacht werden sollen.
Zur FDP sage ich: Ganz nebenbei wollen Sie auch
noch das Erziehungsgeld um 500 Millionen Euro kürzen. Sagen Sie das einmal den Betroffenen. Das Erziehungsgeld ist in dem Ausmaß, wie es angenommen wird,
ein großartiges Ergebnis der letzten Jahre. Es wird auch
von Männern immer mehr angenommen. Das wollen Sie
einfach um 500 Millionen Euro kürzen. Es gilt also nicht
nur, Sparbücher hochzuhalten; es ist gut, dass Sie das
umgedreht haben, damit man es nicht mehr so sieht. Es
geht darum, ein Stück weit auch auf die Inhalte der Verpackung hinzuweisen.
({8})
Zum Bildungsgipfel. Meine Begeisterung hält sich
auch in Grenzen. Ich hätte mir in der Tat gewünscht,
dass Konkreteres dabei herauskommt. Das 10-ProzentZiel mit 7 Prozent für Bildung, wie wir es immer gefordert haben, und - entsprechend dem Lissabon-Prozess 3 Prozent für Forschung ist wichtig. Die Bildungsrepublik, wie sie Jürgen Zöllner schon vor Jahren forderte,
wurde durch den Bildungsgipfel noch nicht erreicht; das
ist keine Frage.
Herr Kollege Tauss, die Kollegin Flach würde gern
eine Zwischenfrage stellen. Wie stehen Sie dazu?
Ich stehe positiv dazu, da mir die Zeit ohnehin davonrennt. Frau Kollegin Flach, vielleicht geben Sie mir die
Gelegenheit, möglichst viele Teile meiner Rede mit unterzubringen.
({0})
- Mit Frau Flach würde ich den Tanzkurs lieber machen
als mit Ihnen, Herr Kollege Willsch. Das müssen Sie mir
zugestehen.
Lieber Kollege Tauss, Sie vermengen hier immer Tatsachen mit dem, von dem Sie sich vorstellen, dass Sie es
uns gern unterstellen möchten. Würden Sie bitte zur
Kenntnis nehmen, dass wir, wenn wir etwas im Sozialbereich einsparen wollen, dies tun, weil diese Mittel
nicht abgerufen werden oder weil es sich um Doppelförderungen handelt. Ich vermute, dass Sie das Thema Eingliederungshilfen gemeint haben; es ist ja immer etwas
obskur, was Sie so von sich geben. Gerade bei diesem
Thema haben wir jedes Jahr bei den Haushaltsberatungen dasselbe Spielchen. Sie beschimpfen uns in jedem
Jahr übelst, dass wir den Menschen, die in diesem Land
schlechter wegkommen als zum Beispiel ein Bundestagsabgeordneter Tauss, angeblich Böses tun wollen.
({0})
Aber jedes Jahr tun Sie das Gleiche wie wir. Sie müssen
zugeben, dass die Mittel falsch eingesetzt sind und dass
die Vorschläge der FDP den Realitäten entsprachen und
nicht die Ihren.
({1})
Liebe Frau Kollegin, ich beschimpfe Sie doch nicht.
Ich weise nur darauf hin, was die Folgen dessen wären,
was Sie uns seit Jahren hier vortragen.
({0})
Ich kann nur sagen: Die Kürzungsvorschläge Ihrer Partei
gehen insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktindikation an den Bedürfnissen vorbei, die wir in diesen Bereichen haben. Das ist der Punkt, über den wir hier diskutieren.
({1})
Ich habe oft das Vergnügen, mit Herrn Niebel über diesen Punkt zu diskutieren. Dessen schon fast paranoides
Verhalten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit
({2})
ist kaum nachvollziehbar. Wir müssen doch etwas tun,
um Menschen, die am Arbeitsmarkt Probleme haben, zu
helfen. Wenn wir hier mit der FDP einmal eine gemeinsame Position haben sollten, Frau Kollegin Flach, dann
wäre ich noch nicht einmal traurig. Wir wollen ja auch
mit Ihnen Koalitionsverhandlungen führen.
({3})
Aber Sie werden ja heute von der anderen Seite sehr umworben. Schauen wir mal!
Ich komme zurück zum Bildungsgipfel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zu Recht ist das mit der Föderalismusreform I beschlossene Kooperationsverbot kritisiert worden. Aber, liebe Kollegin Hinz, ich kann Ihnen
meinen Hinweis da nicht ersparen. Man muss den Föderalismus in diesem Land richtig begreifen: Nicht der
Bund leistet sich 16 Bundesländer; vielmehr leisten sich
von der Anlage unseres Grundgesetzes her - leider oder
wie auch immer - 16 Länder mit den entsprechenden
Zuständigkeiten für Bildung einen Bund. Ich erinnere
mich gut - deswegen immer wieder mein Zuruf bezüglich Kretschmann -: Das war keine parteipolitische Veranstaltung. Schauen Sie einmal hinter sich, Herr Kollege
Barth; der Kollege Meinhardt ist in Sachen Bildungsföderalismus völlig anderer Auffassung als Sie.
({4})
- Erst recht ist er völlig anderer Auffassung als ich. Deswegen haben wir im Wahlkreis immer wieder heftige
Kräche ausgetragen. - Es war eine Veranstaltung der
Länder gegen den Bund. Erinnern Sie sich doch an die
Anhörung! Auf der Bundesratsbank saßen sie alle; heute
sind weniger Ländervertreter da, obwohl die Länder für
Bildung zuständig sind.
({5})
- Ich würde die Zwischenfrage gerne beantworten, wenn
Sie erlauben, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Tauss, ich wollte Sie fragen, aber ich
wollte Ihren Redefluss nicht unterbrechen. Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Hinz?
Ich gestatte diese Zwischenfrage natürlich und hoffe
auf Einsicht bei der Kollegin Hinz, was den Föderalismusprozess anbelangt.
({0})
Herr Kollege Tauss, würden Sie mir zustimmen, dass
der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit, mit den Abgeordneten von CDU/CSU und SPD, gegen die Stimmen
der Grünen, aber auch der Linken und der FDP diese Föderalismusreform beschlossen hat, in der das Kooperationsverbot festgezurrt wurde,
({0})
wodurch der Bund nicht mehr gemeinsam mit den Ländern Programme zur Verbesserung der Bildung auflegen
darf, dass die Länderkammer anschließend mit Zweidrittelmehrheit diesem Gesetz zugestimmt hat und dass Herr
Kretschmann, den Sie immer zitieren, weder im Bundestag sitzt, noch im Bundesrat je eine Stimme hatte? Das
heißt, lediglich die CDU/CSU und die SPD in diesem
Land sind dafür verantwortlich, dass der Bund nicht
mehr die Möglichkeit hat, irgendein Programm
Priska Hinz ({1})
aufzulegen, und sei es ein so sinnvolles wie das Ganztagsschulprogramm.
({2})
Liebe Frau Kollegin Hinz, Sie haben selbst gesagt,
was auch ich gerade gesagt habe: Es war eine Veranstaltung der Länder gegen den Bund, und da gab es ein Geben und Nehmen in diesen Fragen.
({0})
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben beispielsweise
das Kooperationsverbot in Bezug auf die Hochschulen in
letzter Minute verhindert, das übrigens der Kollege
Kretschmann befürwortet hat; er hat mit Blick auf die
Grünen in Berlin immer gesagt, sie seien sehr zentralistisch und begriffen nicht so recht die Herausforderungen. Wir sollten uns das nicht gegenseitig vorhalten. Wir
hier im Bund hätten uns alle miteinander mehr gewünscht. Ich halte es wirklich für einen Treppenwitz der
Geschichte und für einen Skandal - ich billige Ihnen das
ja auch zu -, dass Herr Koch aus Hessen gesagt hat, es
dürfe nie wieder ein Ganztagsschulprogramm des Bundes geben. Das ist aus dieser Ecke gekommen. Herr
Althaus war übrigens derjenige, der gefragt hat, warum
dann überhaupt noch ein Bildungsgipfel stattfinde. Es ist
skandalös, wie die Ministerpräsidenten der Union mit
der Kanzlerin umgegangen sind und erklärten, der Bund
sei nicht zuständig; denn sie wollten das erreichen.
Ich sage Ihnen nochmals: Ich habe die Zustimmung
nur gegeben, um das Kooperationsverbot wenigstens in
Bezug auf die Hochschulen in letzter Minute zu verhindern. Das ist ein Erfolg, den wir erzielt haben. Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich mir eine andere Föderalismusreform gewünscht hätte. Das ist so, und das bleibt
so. Ich werde beispielsweise weiterhin fordern, dass wir
den entsprechenden Grundgesetz-Artikel in eine vernünftige Gestalt bringen in dem Sinne, dass, wenn Bund
und Länder miteinander kooperieren wollen, eine solche
Kooperation möglich ist und nicht verboten wird, wie es
der Koch’sche Unfug vorgesehen hat; denn ich bin von
der Richtigkeit einer solchen Kooperation überzeugt.
({1})
- Die können doch alle klatschen, wie Sie übrigens auch.
({2})
- Die fanden das schon richtig; denn das ist doch der
Sachverhalt.
({3})
Ich komme jetzt zu einem weiteren Punkt, der ebenfalls eines Beifalls wert ist. Die Große Koalition hat vier
Rekordhaushalte in direkter Folge vorgelegt. Darauf
können wir stolz sein. Heute Morgen hat Ihr Kollege gesagt - mir fällt sein Name nicht ein; ich glaube, er
kommt bezeichnenderweise aus Heuchelheim -,
({4})
wir hätten die Eigenheimzulage ersatzlos gestrichen.
Das ist falsch. Wir haben die Eigenheimzulage nicht ersatzlos gestrichen, sondern wir haben die Mittel, die an
dieser Stelle eingespart wurden - dies tut auch mir leid -,
für Investitionen in den Bereich Forschung und Wissenschaft eingesetzt, wie auch Sie es gefordert haben, Frau
Kollegin Flach. Ich denke, es gehört zur Korrektheit
dazu, zu erwähnen, dass wir die Hightech-Strategie nur
deswegen auf den Weg bringen konnten, weil an anderen
Stellen gespart wurde. Ich gönne jedem - das ist überhaupt keine Frage - sein Eigenheim. Aber wir setzen die
Priorität nicht im Vorgartenbereich, sondern bei Wissenschaft und Forschung. Ich hätte gerne beides gehabt.
Aber beides zusammen geht nicht; es sei denn, man ist
bei der PDS, die der Meinung ist, dass Manna vom Himmel fällt.
An dieser Stelle will ich auf das hinweisen, was der
Kollege Hagemann zum Ausdruck gebracht hat. Bei
dem vorliegenden Haushalt handelt es sich um den im
Rahmen dieser Haushaltsberatungen am stärksten veränderten Einzelplan. Das dokumentiert zweierlei. Erstens.
Wir sind dem Anspruch gerecht geworden, als Parlament
zu gestalten und zu Verbesserungen beizutragen. Ich
finde es sehr erfreulich, dass wir unserem Gestaltungsauftrag nachgekommen sind. Zweitens. Es wurden wichtige Neuausrichtungen beschlossen. Die 200 Millionen
Euro im Rahmen des Investitionsprogramms für Bildung und Forschung sind schon angesprochen worden.
Ich hätte überhaupt nichts dagegen, Frau Kollegin Hinz,
wenn wir mit den Ländern zu einer unbürokratischen
Regelung kommen könnten. Der Kollege Brase hat dieser Tage in unserer Fraktion diesen Punkt mit Blick auf
die Schulen angesprochen. Auch hier stellt sich die
Frage: Was könnten wir alles an Programmen auf den
Weg bringen, wenn Koch uns nicht den Unfug eingebrockt hätte, dass wir es nicht tun dürfen?
({5})
Wir haben das getan, was möglich ist. Wir investieren
im Rahmen des Investitionsprogramms 200 Millionen
Euro in die Bereiche, in denen es uns möglich ist. Dieses
Geld kommt den Wissenschaftsorganisationen zugute,
die sich natürlich darüber freuen. Darunter sind die MaxPlanck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, die
Fraunhofer-Gesellschaft und die Helmholtz-Gemeinschaft. Damit werden nachhaltige Entwicklungen im Bereich der Energieeinsparung und Energieeffizienz unterstützt, was sicherlich auch die Kollegin Hinz erfreut.
Sie wirft uns nämlich immer vor, wir täten zu wenig in
diesem Bereich. In den Forschungseinrichtungen, die natürlich viel Energie verbrauchen, wird zukünftig weniger
verbraucht. Das sind nachhaltige Investitionen.
Frau Präsidentin, könnten Sie nicht meine Redezeit
verlängern? Ich habe hier nämlich noch rund zehn Seiten
vor mir liegen.
Wenn Sie noch länger warten, ist die Zeit noch
schneller abgelaufen, Herr Kollege Tauss.
({0})
Ich habe es befürchtet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss
noch der Hinweis: Ihr wahlkämpferischer Redebeitrag,
Herr Kollege Willsch, war unnötig. Wir haben nämlich
insgesamt gesehen erneut einen ordentlichen Erfolg bei
der Aufstellung dieses Haushalts erzielen können. Ich
freue mich, dass die Opposition nur ein bisschen daran
mäkeln konnte.
Da wir so viel über den Föderalismus geschimpft haben, möchte ich ganz zum Schluss sagen: Es gibt natürlich Länder, die das Ganze ein bisschen anders machen.
Herr Kollege Hagemann, in diesem Zusammenhang fällt
mir Rheinland-Pfalz ein. Dort wurde die Gebührenfreiheit vom Kindergarten bis zur Universität erreicht, liebe
Frau Kollegin Hirsch. Im nächsten Jahr wird die letzte
Stufe verwirklicht. So sieht seriöse linke Politik aus, wie
die SPD sie macht.
({0})
Sie aber machen, wie Ihre Rede bewiesen hat, das blanke
Gegenteil.
Ich bedanke mich - auch bei Ihnen, Frau Präsidentin für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Volker Schneider,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem vor lauter Szenen einer Große-Koalitions-Ehe
die Inhalte beim Kollegen Tauss am Schluss etwas zu
kurz gekommen sind,
({0})
wieder zurück zu den Fragen der Politik. Ich möchte
mich den Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich
der Weiterbildung zuwenden und stelle erst einmal fest:
Ich hätte problemlos jede meiner Haushaltsreden in dieser Legislaturperiode heute noch einmal halten können;
({1})
denn sie sind leider erschreckend aktuell.
({2})
Ich werde Ihnen das ersparen; aber an eines muss ich
Sie schon erinnern. In Ihrem Koalitionsvertrag steht geschrieben - ich zitiere -:
Wir wollen mittelfristig die Weiterbildung zur
4. Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren.
({3})
An dieser von Ihnen selbst formulierten hochtrabenden
Zielsetzung müssen Sie sich in der Weiterbildung schon
messen lassen. Wenn ich mir das kritisch anschaue, dann
erkenne ich in der realen Politik allenfalls starke Worte
und ansonsten fast immer nur kleinstmögliche Trostpflästerchen, die Sie dann auch noch an den falschen
Stellen platzieren.
({4})
Wer heute lebenslang lernen will, sollte sich schon
einmal auf lebenslanges Löhnen einstellen; denn die Förderung des lebenslangen Lernens, die Sie hier beschließen werden, überlässt die Finanzierung im Wesentlichen
den um Weiterbildung bemühten Menschen. Gerade einmal 500 000 Euro mehr wollen Sie für die Weiterbildung
ausgeben. Wenn ich mir allein Ihr Leuchtturmprojekt
Weiterbildungsprämie anschaue, dann komme ich zu
dem Ergebnis, dass Sie es vermutlich mit der Förderung
der Weiterbildung nicht ganz so ernst nehmen. Maximal
154 Euro versprechen Sie jedem Bürger und jeder Bürgerin als Zuschuss zu einer Weiterbildungsmaßnahme.
({5})
- Meinen Sie denn, dass die Mittel, die Sie heute dafür
beschließen werden, tatsächlich dafür ausreichen? - Immerhin reicht es für eine Plakatkampagne für das Weiterbildungssparen. Der Slogan „Weiter durch Bildung“
richtet sich doch wohl am ehesten an Selbstzahler und an
solche, die bereit sind, sich zu verschulden. An den Geringqualifizierten, an denjenigen, die in ihrer Bildungskarriere schon immer benachteiligt waren, geht diese Politik völlig vorbei.
({6})
Es ist also ein nettes Plakat, aber nichts dahinter. Es gilt
nicht „Weiter durch Bildung“, sondern eher: Was Hänschen nicht lernen durfte, braucht Hans nimmermehr. Das
ist das wahre Motto Ihrer Weiterbildungspolitik.
Leider ist das kein bedauerlicher negativer Ausreißer
in einer ansonsten recht ordentlichen Weiterbildungsförderung. Das ganze erschreckende Ausmaß Ihrer Unfähigkeit, richtige Antworten auf aktuelle Herausforderungen zu geben, offenbart die aktuelle Finanzkrise. Man
weiß nicht mehr, ob man weinen oder lachen soll, wenn
die Bundesregierung treuherzig vermutet, dass es mit der
Arbeitslosigkeit schon deshalb nicht so schlimm werden
wird, weil angesichts des heraufziehenden Mangels an
Fachkräften die Personen, die nicht mehr ausreichend
ausgelastet sind, gehalten und qualifiziert werden. Das
will die Bundesregierung dann auch noch im Rahmen
des Konjunkturprogramms flankieren und gräbt ein zwei
Jahre altes Sonderprogramm aus, das bislang dadurch
Volker Schneider ({7})
geglänzt hat, dass es einen Mangel an Inanspruchnahme
gab. Sie sollten einmal im Bildungsbericht nachlesen, in
welch erschreckendem Umfang sich die Unternehmen
aus der betrieblichen Weiterbildung zurückgezogen haben.
Herr Hagemann, Sie haben vollkommen recht: Wie
kann die Wirtschaft, wenn sie 1 Billion Euro Verluste
wegen des Fachkräftemangels erwartet, damit kommen,
ein Trostpflästerchen zu geben? Sie müsste die Qualifizierung in eigener Verantwortung voll übernehmen. Dafür ist nicht der Staat verantwortlich.
({8})
Nicht nur angesichts der Finanzkrise müssen wir Weiterbildung endlich wieder als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und dürfen sie nicht in die Eigenverantwortung des Einzelnen abschieben.
Wir von der Fraktion Die Linke fordern ein umfassendes Erwachsenenbildungsgesetz wie die Grünen, das
Sicherheit für Anbieter und Nachfrager von Weiterbildung schafft. Wir fordern, die Lücken bei BAföG und
Meister-BAföG zu schließen, die, Herr Hagemann, immer noch bestehen. Wir wollen, dass die Menschen in
diesem Land durch finanzielle Unterstützung ermutigt
werden, lebenslang zu lernen.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den vergangenen Monaten haben wir eine großkoalitionäre Hochschulpolitik erlebt, die für Studierende und
Hochschulen reihenweise schlechte Nachrichten und
halbherzige Entscheidungen gebracht hat. Daran ändert
dieser Haushalt leider nichts. Fakt ist: Als Anwältin für
Studierende, Frau Schavan, fallen Sie leider aus. Da hilft
auch Ihre heute gehaltene Wahlkampfvorbereitungsrede
überhaupt nicht weiter.
({0})
Die unsoziale Zinsexplosion bei den hochriskanten
KfW-Studienkrediten war noch nicht ganz verhallt, als
uns die neuesten Hiobsbotschaften zum Hochschulpakt
erreicht haben. Statt der für 2007 verabredeten zusätzlichen 13 000 Studienplätze bundesweit sind nur rund
5 500 geschaffen worden. Gerade unionsgeführte Bundesländer wie NRW, Baden-Württemberg, Niedersachsen und das Saarland haben sogar Studienplätze abgebaut, statt zusätzliche zu schaffen.
({1})
Wenn das so weitergeht, Frau Schavan, dann droht Ihr
Hochschulpakt als Hochstapelpakt zu scheitern, und das
wäre schlecht für die Studienberechtigten in unserem
Land.
({2})
Wir brauchen einen Kurswechsel und erheblich mehr
Studienplätze. Wir Grüne wollen einen echten Pakt für
Studierende.
Der Ausbau unserer Hochschulen ist eine zentrale
Frage von Zugangsgerechtigkeit. Das haben die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition offensichtlich noch nicht begriffen; sonst hätten sie gehandelt und
der von uns beantragten erheblichen Aufstockung der
Mittel im Rahmen des Hochschulpakts I um über
470 Millionen Euro zugestimmt.
({3})
Das wäre notwendig und entspräche im Übrigen auch
den Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Offensichtlich sind Ihnen aber die Empfehlungen Ihres eigenen Beratungsgremiums schnuppe.
Auch die Empfehlungen für gute Lehre, die vom Wissenschaftsrat entwickelt wurden, werden überhaupt nicht
aufgegriffen. Das ist traurig, aber wahr. Ich frage mich
ernsthaft: Was hat diese Große Koalition auf den Weg
gebracht, um die Studienbedingungen und die Lehre in
diesem Land nachhaltig zu verbessern? Nichts haben Sie
dazu beigetragen. Das kann so nicht weitergehen.
({4})
Wir haben eine Drei-Säulen-Strategie für gute Lehre
vorgeschlagen. Dazu gehört unter anderem, dass man
der Exzellenzinitiative eine neue Richtung gibt. Wir
wollen die Exzellenzinitiative um einen Baustein für herausragende Lehre ergänzen. Wir sagen: Nur wer exzellente Leistungen in Forschung und Lehre erbringt, kann
sich Spitzenuni nennen. Das ist etwas, was Sie seit Jahren ignorieren und ablehnen, obwohl das einen Schub
geben würde.
({5})
Um Spitze in der Breite zu werden, braucht es mehr
als Wettbewerb. Das ist uns allen klar. Deshalb muss ich
noch einmal an alle appellieren: Bund und Länder müssen sich zusammentun und mehr Geld für den Ausbau
der Studienplatzkapazitäten zur Verfügung stellen.
({6})
Auf dem Bildungsgipfel hätten Sie einen großen Schritt
machen können. Bund und Länder hätten das dort verabreden können.
({7})
Aber das war ein Gipfel der Kleingeisterei. Das war ein
einziges Jammertal. Da hilft es auch nichts, wenn Herr
Tauss, die SPD und die Union sich da durchlavieren.
Dieser Gipfel war ein Vollflop, und das ist schade.
({8})
Wir erleben einerseits einen erfreulichen Boom bei
den Studienberechtigten, andererseits aber einen fatalen
Fachkräfte- und Akademikermangel und mittendrin eine
Große Koalition, die nicht in der Lage ist, die Zugangshürden vor den Hörsaaltüren einzureißen. Entgegen aller
Empirie verteidigt die Union - vor allem die Bundesbildungsministerin - die Erhebung von Studiengebühren,
und das, obwohl Sie regierungsamtlich, durch eine Studiengebührenstudie, selber festgestellt haben, dass Studiengebühren abschrecken.
({9})
Die Ergebnisse sind so verheerend, dass Sie diese Studie
wochenlang in Ihrem Ministerium in einer Schublade
verbergen mussten. Diese Studie belegt, dass allein im
Jahr 2006 bis zu 18 000 junge Menschen allein durch
unsoziale Studiengebühren abgeschreckt worden sind.
({10})
Das ist etwas, was man nicht ignorieren darf.
({11})
Laut Studie werden durch Studiengebühren Bildungschancen vernichtet.
({12})
Das ist ein hochschulpolitischer Irrweg.
Je deutlicher die Fakten zum Vorschein kommen,
desto mehr verschanzen sich Union und FDP in ihren
ideologischen Schützengräben.
({13})
Nehmen Sie diese Fakten endlich zur Kenntnis, und handeln Sie danach. Sonst werden Sie das Ziel, dass
40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium beginnen, verfehlen. Sie verfehlen dieses Ziel leider seit Jahren. Unter
Rot-Grün waren wir da schon viel weiter. Damals hatten
wir die 40 Prozent fast erreicht.
Herr Kollege Gehring, Sie müssen zum Ende kommen.
Davon sind Sie weit entfernt. Es ist also höchste Zeit
- nicht nur für mich - für die Große Koalition, diese unsoziale und ideologische Bildungspolitik zu beenden.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Finanzmarktkrise schüttelt die Weltwirtschaft. Die
Unsicherheit ist groß. Die Prognosen für 2009 bleiben
schwierig. Aber jede Krise bietet am Ende auch die
Möglichkeit für einen Neuanfang. Ich glaube, dass eines
sicher ist: Die Länder, die systematisch in Bildung und
Forschung investieren, werden aus dieser Krise gut herauskommen. Es gilt jetzt mehr denn je, in das Kapital
des 21. Jahrhunderts, nämlich in Wissen, zu investieren.
Nicht von ungefähr hat die Obama-Administration angekündigt, einen Chief Technology Officer im Weißen
Haus zu installieren und die Ausgaben für die Grundlagenforschung zu verdoppeln. Aus eigener Erfahrung
weiß ich, welche Dynamik eine solche Ankündigung in
dem begeisterungsfähigen US-Wissenschaftsbetrieb entwickeln kann; das wird sicherlich wieder einen Sog auslösen. Das Ziel ist klar: Die Vereinigten Staaten bleiben
dran, um die besten Köpfe in der Welt zu werben.
So erweist sich unsere Strategie, die Strategie der
Großen Koalition und der Bundesbildungsministerin, als
richtig, seit 2005 eine sehr solide Basis zu schaffen und
die Weichen richtig zu stellen. Wir investieren in dieser
Legislaturperiode mehr als 6 Milliarden Euro in Bildung
und Forschung. Dieser Haushalt wird erstmals über
10 Milliarden Euro umfassen, so viel wie nie zuvor. Das
ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir verstanden haben,
was es bedeutet, in Forschung und Entwicklung zu investieren, nämlich den Wohlstand von morgen zu schaffen.
({0})
Vor allem haben wir in Bildungs- und Forschungsfragen aus einem Gemischtwarenladen, um es einmal so zu
formulieren, ein strategisches und zukunftsorientiert
ausgerichtetes Politikschwergewicht gemacht. Es zeigt
sich, dass wir auch in diesen schwierigen Zeiten Kurs
halten. Ja, die Länder und die Wirtschaft müssen mitziehen. Deshalb war der Bildungsgipfel kein einfaches Unterfangen. Dennoch haben Annette Schavan und die
Bundeskanzlerin es geschafft, dem Ziel einer Bildungsnation näher zu kommen, indem sich die Teilnehmer dieses Gipfels darauf geeinigt haben, 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auszugeben.
({1})
Das Strategiepapier, das Annette Schavan dort vorgestellt und eingefordert hat, nimmt die Teilnehmer in die
Pflicht. Das ist das Gegenteil von dem, was die Opposition hier behauptet. Natürlich können wir die Länder
nicht aus ihrer Pflicht entlassen, die Wirtschaft ebenso
wenig; der Bund allein kann es nicht richten. Ich habe
aber auch nicht den Eindruck, dass dies jemand tut.
Katherina Reiche ({2})
Leitmotiv der Großen Koalition war: Aufstieg durch
Bildung. Die Botschaft, dass uns jedes Talent, jede Fähigkeit und jede Begabung wichtig ist, dringt durch. Wir
haben das BAföG deutlich erhöht und die Familienkomponente umgesetzt. Wir haben Studienkredite ermöglicht. Wir haben uns um Weiterbildung und um Begabtenförderung gekümmert. Ja, die Schwächeren verdienen
unsere Solidarität - das ist richtig -, aber auch besonders
begabte Studenten und Schüler dürfen wir nicht vergessen. Ich finde es gut, dass wir wieder unbeschwert über
Bildungseliten sprechen können und Begabung und Begabtenförderung als etwas Positives begreifen. Wir brauchen die Eliten von morgen.
({3})
- Das habe ich gesagt, Herr Tauss. Sie sollten zuhören.
({4})
Das wichtigste Instrument der Forschungsförderung
bleibt die Hightech-Strategie. Sie bündelt die Initiativen der Bundesressorts und nimmt die gesamte Innovationskette in den Blick: von der Forschung über die Anwendung, zum Produkt bis hin zum Markt. Die
Exzellenzinitiative, die die Linke nach wie vor nicht versteht, weil ihr der Ansatz so fremd ist wie nur irgendwas,
ist frei von Ideologie und voll Leistung. Durch den Pakt
für Forschung und Innovation, die Gründung der Nationalen Akademie sowie die Strategie zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung haben wir eine
hohe Dynamik in Deutschlands Forschungslandschaft
und bei den Hochschulen erreicht. Das spürt man, wenn
man in die Hochschulen geht; vor allem spürt man es,
wenn man im Ausland ist und mit Bewunderung sieht,
was sich in Deutschlands Wissenschaftslandschaft tut.
({5})
Aber Wissenschaft braucht nicht nur finanzielle Planungssicherheit, Wissenschaft braucht vor allem Freiheit. Geld ohne mehr Freiheit in der akademischen Welt
entfaltet nicht die ganze Wirkung, die es haben könnte.
Forschung braucht dringend mehr Flexibilität. Deshalb
werden wir als Union an der Stelle nicht nachlassen. Die
ersten guten Instrumente, mehr Wissenschaftsfreiheit
zuzulassen, gibt es. Wir werden da weiter nachsetzen.
Am Ende kommen wir vielleicht doch noch zu einem
Wissenschaftsfreiheitsgesetz.
({6})
Ein letzter Satz zu den neuen Ländern. Wir haben für
die neuen Länder viel erreicht. 245 Millionen Euro stehen erstmals zur Verfügung. Das sind knapp 80 Millionen mehr, als geplant waren. Das ist ein wichtiges
Signal, weil Forschung und Innovation, hervorragende
Schulen, wie sich an PISA und dem PISA-Sieger Sachsen beweisen lässt, hervorragende Hochschulen angesichts der demografischen Entwicklung wichtiger denn
je sind, ja die Lebensader für die Länder zwischen Ostsee und Fichtelberg sind.
Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang für die
konstruktiven Beratungen, die unsere Bildungsnation,
den Forschungsstandort Deutschland, weiter nach vorne
bringen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung,
in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.6 auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des
Innern
- Drucksachen 16/10406, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Norbert Barthle
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke und zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kleine Ausmaße, große Wirkung. Der Einzelplan
des Bundesinnenministers hat mit nur circa 2 Prozent,
was das Finanzielle angeht, einen geringen Anteil am
Haushalt des Bundes. Große Wirkung erzielt man für die
nötigen sicherheitspolitischen und innenpolitischen
Schwerpunkte jedoch nur dann, wenn die richtigen Akzente gesetzt werden. Außerdem dürfen nach unserer
Auffassung keine finanziellen Risiken im Haushalt
schlummern. In Zeiten der Finanzkrise ist es diesmal
- sonst natürlich auch - besonders notwendig, die erforderlichen Mittel richtig und effektiv einzusetzen.
Wir Liberale haben den Haushalt des Bundesinnenministers auf Herz und Nieren geprüft. Mit im Operationssaal waren, wenn ich im Bild bleiben darf, nicht nur
Ihre Mitarbeiter, bei denen ich mich herzlich bedanken
möchte, sondern auch die Berichterstatter der anderen
Fraktionen, bei denen ich mich auch herzlich bedanken
möchte, unsere Mitarbeiter und die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes. Ich denke, für die entstandene Arbeit ist an dieser Stelle ein herzlicher Dank angebracht.
({0})
Leider muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass der Patient - in diesem Falle der Haushalt - aus unserer Sicht
schon ernsthaft krank ist. Es ist schon verwunderlich,
wie schnell das Sparen vergessen wird, wenn die nächste
Wahl vor der Tür steht. So fragen wir uns, warum wir
drei Polizeiorchester brauchen. Die Frage hat uns bisher
niemand ernsthaft beantwortet.
({1})
- Es ist immer schön, wenn Sie sich aufregen, weil Sie
etwas nicht auf die Reihe bekommen haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie im Innenausschuss auch so lebhaft diskutieren und nicht nur alles durchwinken würden.
({2})
Wer im Bundesinnenministerium glaubt, dass wir
Parlamentarier für jede Studie mal eben so das erforderliche Geld herüberwachsen lassen, der irrt gewaltig.
Quantencomputer zum Beispiel werden sicherlich irgendwann einmal Wirklichkeit sein. Da werden Rechenschritte nicht wie beim normalen Computer sequenziell
ausgeführt, sondern können in einer einzigen Operation
ausgeführt werden, sodass die Rechnerleistung insgesamt erheblich gesteigert wird. Das sind im Moment
aber theoretische Überlegungen. Von einer tatsächlichen
Anwendung sind wir noch meilenweit entfernt. Die geplanten Ausgaben der Bundesregierung sind eher damit
vergleichbar, als ob jemand ein Beamgerät erfinden
würde, das man nachher im Straßenverkehr einsetzt.
Aber der Befehl, wenn ich mir das erlauben darf „Kirk
an Enterprise, beam me up, Wolfgang“ - Sie werden mir
das hoffentlich verzeihen -, wird noch ein Weilchen dauern.
({3})
Mit Raumschiff Enterprise auf unseren Straßen wird es
genauso lange dauern wie mit den Quantencomputern.
({4})
An anderer Stelle im Haushalt wird uns ein Mehr für
ein Weniger vorgemacht. Zieht man nämlich bei den
Ausgaben für das BKA die Tarif- und Besoldungserhöhungen sowie die Ausgaben für das umstrittene BKAGesetz ab, kommt man zu dem Ergebnis, dass das BKA
tatsächlich weniger Geld als in den Vorjahren erhält. Das
ist nicht das, was wir unter Aufstockung im Sicherheitsbereich verstehen. Außerdem ist noch gar nicht klar, ob
es das BKA-Gesetz überhaupt geben wird. Geld haben
Sie dafür allerdings schon in den Haushalt eingestellt.
Herr Minister, die Ausgaben dafür können Sie noch
nicht als Gewinn für diesen Haushalt verkaufen.
Mich persönlich wundert auch, wie Sie als Verfassungsminister mit diesem Gesetz umgehen. Es kann
nicht sein, dass Sie, weil Sie sich nicht durchsetzen können, das Verfahren infrage stellen.
({5})
Dass Sie, nachdem Sie gemerkt haben, dass das Verfahren nicht funktioniert, weil Sie dafür eine Grundgesetzänderung brauchen, dann die FDP in die Pfanne
hauen und behaupten, wir hätten im Bundestag für die
Föderalismusreform I gestimmt, wie Sie es heute in der
Presse getan haben, ist nicht redlich. Das ist kein ordentlicher Umgang mit der Opposition. Mich würde interessieren, woher Sie die Information, wir hätten diesem Gesetz zugestimmt, haben.
({6})
Außerdem kritisieren wir, dass die nicht verbrauchten
Mittel des sogenannten Programms zur Stärkung der Inneren Sicherheit in weiten Teilen noch gar nicht ausgegeben worden sind. Ende Oktober dieses Jahres waren
25 Stellen noch nicht besetzt. Das mag seine Gründe haben. Allerdings kann ich mich noch daran erinnern, dass
wir vor gut zwei Jahren sozusagen die Welt retten mussten, damit dieses Programm noch an den Haushalt angedockt werden konnte. Vieles hat der Bundesrechnungshof kritisiert, und viel Geld haben Sie gar nicht
ausgegeben. Im Nachhinein frage ich mich wirklich, wo
hier eine Stärkung der inneren Sicherheit stattgefunden
haben soll.
Andere dringend notwendige Ausgaben stellen Sie
zurück, zum Beispiel die Sanierung des Laborgebäudes
des BKA. Die Mitarbeiter müssen dort unter unwürdigen
und technisch nicht einwandfreien Bedingungen arbeiten. In diesem Fall denkt aber niemand von Ihnen daran,
dafür Geld zur Verfügung zu stellen. Das alles passt
nicht zusammen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was nicht passt,
wird passend gemacht. Das ist die Art und Weise, in der
Sie Politik machen. So gibt es bis heute keine Kriterien
zur Evaluierung der Bundespolizeireform. Was wir beobachten können, ist Folgendes: Sie haben eine Polizeireform durchgeführt und werfen jetzt uns vor, dass sie
aufgrund einer nicht so schnell getroffenen Entscheidung für den Standort und den Neubau ins Wanken gerät. So kann man keine Reform machen. Eine Reform
bedingt eine ordentliche Planung. Wenn wir nicht erfahren, dass ein Neubau notwendig ist, müssen Sie damit
umgehen können, dass wir eine gewisse Zeit brauchen,
um dies zu prüfen. Nur so kann man als Haushälter verantwortungsvoll mit Geld umgehen.
Zum Datenschutz. Dieses Thema hat uns in den vergangenen Wochen immer wieder beschäftigt. Es ist
schön, dass jeder von uns Verbesserungen beim Datenschutz will. Was wir aber nicht verstehen können, ist,
dass die Große Koalition für die angekündigten Gesetzentwürfe, deren Umsetzung beim Bundesdatenschutzbeauftragten natürlich auch Geld kosten wird, nicht mehr
Mittel bereitgestellt hat. Das haben wir immer gefordert,
und das haben alle Fraktionen beantragt. Sie haben es
aber nicht umgesetzt.
({7})
Weiterhin möchte ich an das sehr umstrittene Großprojekt beim Digitalfunk erinnern. Ist Ihnen eigentlich
klar, dass seit dem 2. April 2007 eine Bundesanstalt mit
142 Planstellen existiert, wir aber bis heute keinen flächendeckenden Digitalfunk haben und noch gar nicht
klar ist, ob der, den wir im Moment haben, im Ernstfall
wirklich funktioniert? Meine Damen und Herren, so
stellt man keinen Haushalt auf, und so macht man erst
recht keine effektive Sicherheitspolitik. Die Kosten dieses Projekts, für das bisher 2,5 Milliarden Euro angesetzt
waren, sind bereits jetzt auf 3 Milliarden Euro gestiegen,
und wahrscheinlich werden sie noch höher. So kann das
nicht funktionieren.
({8})
Bei der angestrebten Errichtung einer gemeinsamen
Bundesabhörzentrale der deutschen Sicherheitsbehörden
haben Sie sich wohl an folgendes Motto gehalten:
Ich rechne hin, ich rechne her,
am Ende kostet es gar nicht mehr,
({9})
die Überwachung, einfach sie gelingt,
weil das Trennungsgebot in Vergessenheit versinkt.
({10})
Anders kann ich mir nicht erklären, warum der Bundesrechnungshof festgestellt hat, dass Sie sich die Parameter so lange schönrechnen, bis Sie mit dem Ergebnis
zufrieden sind. Mit solchen Schönrechnereien und Experimenten kann man aus unserer Sicht keinen Blumentopf
gewinnen. Das verdient auch kein Bundeshaushalt.
Deshalb können wir diesem Einzelplan und dem
Haushalt insgesamt nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat Dr. Michael Luther, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Etat des Bundesministeriums des Innern
hat in diesem Jahr einen Umfang von 5,6 Milliarden
Euro. Das klingt sehr viel, sind aber bei 290 Milliarden
Euro für den gesamten Bundeshaushalt lediglich 2 Prozent. Trotzdem muss man sagen, dass das eine ganze
Menge Geld ist.
Man kann sich immer wieder die Frage stellen: Warum geben wir eigentlich jedes Jahr so viel Geld insbesondere für die innere Sicherheit aus? Für mich ist die
Frage ganz einfach zu beantworten: Wir wollen, dass unsere Bürger in unserem Land sicher leben können, und
zwar Tag für Tag.
({0})
Deshalb ist Sicherheit für uns nicht verhandelbar. Ich
hoffe, dass wir uns in diesem Haus darin einig sind.
Die Erfahrung zeigt, dass sich zum Beispiel die organisierte Kriminalität und der Terrorismus heute mit den
modernen Medien, den modernen Möglichkeiten, die es
gibt, und den modernen Technologien anfreunden, sie
verwenden und sich zunutze machen. Das heißt für uns
als Staat natürlich - ob wir wollen oder nicht -: Wir
müssen auf Augenhöhe bleiben, um der Aufgabe gerecht
zu werden, Sicherheit für unsere Bürger zu garantieren.
({1})
Deswegen wurden die Haushaltsberatungen auch
ganz besonders durch zwei Themen geprägt, nämlich
zum einen durch das Thema BKA-Gesetz und zum anderen durch das Thema Telekommunikationsüberwachung.
Dazu will ich kurz Stellung nehmen.
Das BKA-Gesetz ist hier im Haus mit großer Mehrheit beschlossen worden. Die Zustimmung des Bundesrates steht noch aus. Ich will sagen: Letztendlich werden
dem Bundeskriminalamt durch dieses Gesetz die Befugnisse verliehen, die Abwehr von Gefahren im Bereich
des internationalen Terrorismus zu leisten und im begründeten Einzelfall eine Onlineuntersuchung durchzuführen. Sinn und Zweck der Onlineuntersuchung ist es
- das will ich auch ganz klar sagen -, Terrorismus zu bekämpfen, Anschlags- bzw. Attentatspläne aufzudecken,
und zwar dann, wenn die bisherigen Ermittlungsmethoden dafür nicht ausreichen, und die Hintermänner zu
identifizieren. Ich erwarte, dass der Bundesrat dem Gesetz zustimmt;
({2})
denn ansonsten - das sage ich auch ganz klar - übernimmt der Bundesrat eine große Verantwortung.
({3})
Ich stelle mir nämlich vor, was wäre, wenn in Deutschland etwas passieren würde, was mithilfe des Instrumentariums, das durch das BKA-Gesetz geboten wird, hätte
verhindert werden können. Ich glaube, diese Verantwortung sollte der Bundesrat nicht auf sich nehmen.
({4})
Die Menschen in unserem Land verdienen es auf jeden Fall, dass wir alles tun, damit sie hier in Sicherheit
leben können. Wir haben zumindest im Haushalt die entsprechende Vorsorge dafür getroffen.
Zur Telekommunikationsüberwachung, abgekürzt:
TKÜ. Die TKÜ ist aus meiner Sicht die Fähigkeit der Sicherheitsbehörde, die Kommunikation von organisierter
Schwerstkriminalität oder von Terroristen mittels Internet oder Mobilfunk bei einem begründeten Verdacht wirkungsvoll überwachen und dann auch schnell im Sinne
von Gefahrenabwehr handeln zu können. Die technische
Entwicklung in den Bereichen Mobilfunk, Internet und
E-Mail schreitet rasant voran. Deshalb ist die TKÜ heute
viel aufwendiger als früher und heute noch zum Beispiel
die Telefonüberwachung.
Das anfallende Datenvolumen ist riesig. Über eine
moderne DSL-Standardleitung können pro Tag rund
500 Gigabyte transportiert werden. Wenn man das in
DIN-A-4-Schreibmaschinenseiten ausdrücken will: Dies
entspricht 2 Milliarden Seiten. Die Erfassungsanlagen,
mit denen das realisiert werden kann, sind viel aufwendiger und damit natürlich auch viel teurer. Das Prinzip
der Sparsamkeit gebietet es, zu versuchen, die Mittel zu
reduzieren. Letztendlich wollen wir in Deutschland nur
noch zwei Anlagen haben, nämlich eine für den laufenden Betrieb und eine Redundanzanlage, damit die Ausfallsicherheit gegeben ist.
Ich finde, dass die rein technische Erfassung beim
Bundesverwaltungsamt, das mit großen IT-Projekten
große Erfahrungen hat, richtig angesiedelt ist und dass
die Auswertung dann in den jeweiligen Sicherheitsbehörden, die für die bestimmte Aufgabe, die gestellt ist,
zuständig sind, erfolgen kann.
Ich glaube, das ebenfalls diskutierte Zweisäulenmodell führt dazu, dass Kompetenzstreitigkeiten zwischen
den Sicherheitsbehörden vorprogrammiert sind. Abschließend dazu will ich gegenüber dem, was der Bundesrechnungshof dargestellt hat, noch sagen - wir haben
es im Haushaltsausschuss diskutiert -: Wenn man die
Ausfallsicherheit, die notwendig ist, gewährleisten will,
dann wird es auch noch viel teurer. Deswegen haben wir
im Haushaltsausschuss letztendlich den Weg für das sogenannte Bündelungsmodell freigemacht.
({5})
Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Technischen
Hilfswerk sagen. Ich denke, das ist das Beste, was wir
im Bereich des Innenministeriums haben: Wir können
auf eine Organisation blicken, die mit 80 000 Freiwilligen im Rahmen des Katastrophenschutzes für uns tätig
ist. Das THW ist ein fester Bestandteil unserer Sicherheitsagentur. Das THW verdient deshalb unsere uneingeschränkte Unterstützung, damit es für seine Aufgaben
letztendlich entsprechend ausgestattet ist.
({6})
Auf Anregung der Union konnten die Mittel für Investitionen und die Modernisierung von Einsatzfahrzeugen
und Geräten gegenüber dem Regierungsentwurf um
1,6 Millionen Euro aufgestockt werden. Ich denke, dass
damit die entsprechende Ausstattung des THW gewährleistet werden kann.
Ein Wort zur Integration. Die Integration der in
Deutschland lebenden Ausländer ist uns wichtig. Ich
glaube auch, dass die Integrationspolitik der Bundesregierung auf einem guten Weg ist. Dass wir erfolgreich
sind, wird daran deutlich, dass wir mehr Geld für Integrationskurse brauchen, als wir ursprünglich dafür eingeplant hatten, nämlich in diesem Jahr 15 Millionen und
im nächsten Jahr 20 Millionen. Wir haben das Geld
selbstverständlich etatisiert. Ich freue mich auch über die
steigenden Kursteilnehmerzahlen. Ich ärgere mich allerdings über das schlechte Monitoring beim zuständigen
Bundesamt, in dem man erst im August gemerkt hat, wie
die Entwicklung ist. Ich denke, hier gibt es Möglichkeiten, etwas zu verbessern. Ich bitte das Bundesinnenministerium, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf hinzuwirken, dass man schneller
beobachtet, was in der Realität tatsächlich passiert.
Zusammenfassend will ich noch einmal festhalten:
Die Zahlen zeigen, dass wir bei dem Thema Integration
auf einem guten Weg sind.
BOS-Digitalfunk. Frau Piltz, im Unterschied zu dem,
was Sie dargestellt haben, finde ich, dass wir auch hier
auf einem guten Weg sind.
({7})
Es ist ein unbekanntes Terrain, das wir beschreiten. Wir
haben gerade das im Haushaltsausschuss sehr intensiv
begleitet. Der Durchbruch ist mit Beginn dieser Legislaturperiode gelungen. Es gibt so manche Unebenheit, die
wir dabei zu überwinden haben. Ich kritisiere auch, dass
wir nach wie vor noch nicht genau wissen, wie das
Ganze finanziell ausgeht. Aber nach den Erfahrungen,
die wir in den letzten drei Jahren gemacht haben, verstehe ich zum Teil auch die Schwierigkeiten. Wir müssen versuchen, mit den Schwierigkeiten umzugehen.
Wir als Haushaltsausschuss werden das Projekt BOSDigitalfunk auch im nächsten Jahr sehr intensiv begleiten; denn uns ist es wichtig, dass das ganze Projekt zum
Erfolg geführt wird. Wir werden mit dem Bundesministerium und mit dem Bundesrechnungshof, denke ich, gemeinsam versuchen, die Standards zu setzen und die Lösungen zu finden, die zu einem guten Ergebnis führen.
({8})
Nicht unerwähnt lassen will ich das Kapitel Sport.
Sport ist sehr wichtig.
({9})
Sport ist etwas, was viele Menschen aktiv verfolgen. Es
zeigt sich, dass die Olympischen Spiele, aber auch die
Paralympics in Peking auch in Deutschland eine ungeheuer große Faszination ausgelöst haben. Wir müssen
- das sollte für alle klar sein - im internationalen Spitzensport spitze bleiben oder zur Spitze zurückfinden.
Deswegen haben wir den Haushalt in diesem Bereich in
diesem Jahr um 9 Prozent aufgestockt. Das betrifft insbesondere die Deutsche Sporthilfe und den DOSB.
({10})
Zum Schluss sage ich Minister Schäuble und seinem
gesamten Haus Danke. Ich weiß, dass Sie es mit uns als
Haushältern nicht immer leicht haben. Aber wir bemühen uns, gemeinsam etwas Gutes zum Ergebnis zu bringen. Ganz besonders danke ich auch dem Haushaltsreferat und den Mitarbeitern im Haushaltsausschuss, die
gemeinsam mit uns an dem ganzen Projekt gearbeitet haben. Ich glaube, wir haben einen ordentlichen Haushalt
im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern
vorgelegt.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser
Haushalt hat im Wesentlichen nur eine Botschaft: Weiter
so mit dem Ausbau des Überwachungsstaates, weiter mit
der Missachtung von Flüchtlingen und weiter im Versagen beim Kampf gegen Neonazis. Dazu sagen wir ganz
klar Nein.
({0})
Es wäre die Aufgabe des Innenministers, im Umgang
mit den Flüchtlingen wenigstens die Menschlichkeit zu
wahren. Stattdessen hat die Regierung das Aufenthaltsgesetz verschärft, den Familiennachzug erschwert und
die Luftnummer einer Altfallregelung beschlossen.
Beim Flüchtlingsschutz versagt sie permanent. Ich erinnere nur an die beharrlichen Diskussionen, die wir über
die Aufnahme irakischer Flüchtlinge geführt haben. Die
EU fordert jetzt, 75 000 Iraker schnellstmöglich aufzunehmen. Die Bundesregierung erwägt, gerade einmal
2 500 aufzunehmen, und das, wo insgesamt 2 Millionen
irakische Flüchtlinge das Land verlassen haben. Das ist
meines Erachtens beschämend.
({1})
Es wäre die Aufgabe des Innenministers, den Rechtsextremismus entschlossen zu bekämpfen. Ich erinnere
daran, dass seit 1990 140 Menschen durch Übergriffe
von Neonazis ermordet worden sind. Aber nach wie vor
muss jede Initiative gegen Rechtsextremismus um jeden
Euro kämpfen und feilschen, und ein Verbotsverfahren
gegen die NPD ist von dieser Bundesregierung blockiert
worden. Genau darin, Herr Schäuble und übrigens auch
Herr Luther, sehe ich die Sicherheitsgefährdung in diesem Land.
Gleichzeitig erhält der Bund der Vertriebenen weiterhin Millionen Euro Fördergelder und betreibt damit
puren Geschichtsrevisionismus. Das hat seine Vorsitzende Erika Steinbach erst unlängst vorgeführt, indem
sie die Deutschen als Opfer eines zweiten Holocaust darstellte und Ländern wie Polen und der ČSSR Nazimethoden unterstellte.
({2})
- Lesen Sie die Rede Ihrer Kollegin! Darin steht es so. Für so einen gefährlichen, rechtsgestrickten Blödsinn
darf es unserer Meinung nach keine Steuergelder geben.
({3})
Es wäre auch die Aufgabe eines Innenministers, den
Rechtsstaat zu verteidigen. Stattdessen stellt ihn diese
Bundesregierung mit sogenannten Sicherheitsgesetzen
auf den Kopf. Sie stockt beispielsweise den Haushalt des
Innenressorts um eine halbe Milliarde Euro auf und redet
von einer modernen Sicherheitsarchitektur, aber in Wirklichkeit bauen Sie einen neuen, monströsen Überwachungsstaat auf. Jeder gilt heute als verdächtig, bis geheime Ermittlungen von Polizei und Geheimdiensten
seine Unschuld beweisen. Deswegen gibt es zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung, die biometrischen
Pässe und weitere Überwachungsmaßnahmen.
Wo es wirklich sinnvoll wäre, zu investieren - etwa
beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik -, wird geknausert, genauso wie beim Datenschutz.
Da stagniert der Etat. Denn da geht es ja auch „nur“ um
die Sicherheit der normalen Bürgerinnen und Bürger.
Dagegen soll das BKA 25 Millionen Euro extra erhalten,
nur um die Onlinedurchsuchung zu realisieren und den
Bürgern hinterherzuspionieren. Hier wäre weniger mehr,
nämlich ein Plus für die Demokratie.
Weil der Innenminister für sein BKA-Gesetz keine
Mehrheiten findet, will er nun kurzerhand die Abstimmungsregeln im Bundesrat in seinem Interesse ändern.
Das ist wirklich ein verqueres Demokratieverständnis,
Herr Schäuble.
({4})
Eine Verfassung à la Schäuble wäre die Garantie für einen autoritären Überwachungsstaat. Das muss man ganz
deutlich sagen. Dazu können wir nur sagen: Nein danke.
Das einzige Erfreuliche ist, dass die SPD zunehmend
von Panik erfasst wird und etwa von dem Einsatz der
Bundeswehr im Innern, aber auch, wie wir hören, vom
BKA-Gesetz vorsichtig abrückt.
({5})
Offenbar merkt die SPD, dass der Kampf gegen die eigene Bevölkerung doch keine Wählerstimmen bringt.
Das zeigt, dass die Linke mit ihrer eindeutigen Haltung
für Bürgerrechte und gegen die Preisgabe des Grundgesetzes auf dem richtigen Weg ist.
Deshalb fordern wir in den vorliegenden Anträgen:
Weg mit den 25 Millionen Euro für das BKA! Senken
Sie die Mittel für die Förderung des Bundes der Vertriebenen! Erhöhen Sie die Mittel für Initiativen gegen
Rechtsextremismus! Wir fordern, dass 5 Millionen Euro
für eine unabhängige Beobachtungsstelle im Bereich des
Rechtsextremismus bereitgestellt werden, damit endlich
Klarheit geschaffen wird, welches Ausmaß vorhanden
ist. Im Unterschied zu Herrn Luther wollen wir nicht nur
einige Millionen mehr für die Integrationskurse. Vielmehr unterstützen wir in unseren Anträgen die Initiativen, die 50 Millionen Euro mehr fordern.
Ich fordere Sie auf: Wenn dieser Haushalt im Hinblick auf eine menschenwürdige und demokratische Politik eine Rolle spielen soll, dann stimmen Sie unseren
Anträgen zu!
Danke.
({6})
Ich gebe das Wort der Kollegin Bettina Hagedorn,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Hauptberichterstatterin für den Einzelplan 06 bin ich
uneingeschränkt froh und erleichtert, dass wir am Ende
der Beratungen sind; denn nicht nur wegen der Finanzmarktkrise und des Konjunkturpaketes waren die Beratungen anstrengend. Ich denke, wir alle haben unsere Sache gut und gründlich gemacht. Wir haben im Laufe der
Beratungen drei Berichterstattergespräche zusätzlich anberaumt. Alle fünf Fraktionen haben insgesamt über
100 Berichte angefordert. Das alles hat dazu beigetragen, dass wir die Ansätze gut abwägen konnten. Sicherlich sind wir in dem, was wir wollen, verschiedener Meinung. Aber unter dem Strich kann man sagen: Ende gut,
alles gut. Herr Minister, mit diesem Etat können Sie etwas anfangen.
Der Etat, in den 5,6 Milliarden Euro eingestellt sind,
wies schon im Regierungsentwurf mit 10,5 Prozent die
fünfthöchste Zuwachsrate insgesamt auf. In den parlamentarischen Beratungen sind 22 Millionen Euro hinzugekommen. Davon profitieren in allererster Linie - das
freut mich besonders - die Bereiche Integration und
Sport; das wurde schon kurz angesprochen. Lieber
Michael Luther, ich möchte noch etwas zu deiner Analyse und deinen Schuldzuweisungen im Hinblick auf die
Unterfinanzierung im Bereich der Integration sagen.
Aus meiner Sicht verhält es sich folgendermaßen: Wenn
das BMI eine Evaluation anberaumt und diese eigenmächtig von März auf Juli verlegt, dann ist es klar, dass
man das Ergebnis der Evaluation erst im Sommer, also
lange nachdem der Regierungsentwurf vorliegt, erhalten
kann. Im Sommer erschienen dann die erhöhten Zahlen,
aus denen hervorgeht, dass wir in diesem Jahr ungefähr
16 Millionen Euro und im nächsten Jahr knapp
20 Millionen Euro mehr für Integration benötigen. Das
war aber nicht unerwartet und ist nicht vom Himmel gefallen. Für diesen Bereich waren vor ein paar Jahren unter Otto Schily schon 200 Millionen Euro etatisiert. Nun
waren es 154 Millionen Euro. Die Mittel werden jetzt
auf 174 Millionen Euro aufgestockt. Mein Kollege
Michael Bürsch, der als zuständiger Fachpolitiker noch
zu diesem Thema reden wird, wird sicherlich darauf hinweisen, dass wir insbesondere für Frauen, Frauen mit
Kindern, Jugendliche und Analphabeten dringend mehr
tun müssen als bisher, um die berufliche Integration dieses Personenkreises zu verbessern. Das ist für ein Land
wie Deutschland, das unter einem Fachkräftemangel leidet, existenziell notwendig. Ich bin froh, dass die entsprechenden Ansätze gelungen sind.
Zum Bereich des Sports nur so viel - meine Kollegin
Dagmar Freitag wird das sicherlich noch detailliert beschreiben -: Ich bin froh, dass hier ein Aufwuchs möglich ist.
Ich möchte im Hinblick auf die Zuständigkeiten von
Bundesländern und Wirtschaft noch etwas zur NADA,
zum Thema Doping sagen. Der Deutsche Bundestag hat
im Jahr 2000 die NADA etabliert. Damals haben Bund,
Länder und die Wirtschaft verabredet, das Stiftungskapital im Verhältnis 1 : 1 : 1 aufzustocken.
Es ist beschämend, dass bis heute nur der Bund mit
9,1 Millionen Euro seiner Verantwortung gerecht geworden ist, sich die Länder und die Wirtschaft aber vornehm
zurückhalten - und das, wo doch das Doping diese gesellschaftspolitische Bedeutung erlangt hat. Ich appelliere von dieser Stelle aus dringend an die Länder und
die Wirtschaft, endlich ihrer Verantwortung gerecht zu
werden; denn die NADA braucht mehr Stiftungskapital.
({0})
Ich komme zum Digitalfunk, der schon angesprochen wurde. Eigentlich stehen dafür 400 Millionen Euro
zur Verfügung; 200 Millionen Euro aus diesem Jahr
kommen hinzu, weil wegen der Verzögerung des Projekts um ein Jahr die Mittel in diesem Jahr nicht mehr
verausgabt werden können. Nun sollte man meinen, dass
sich 600 Millionen Euro, die 2009 zur Verfügung stehen,
nach einer richtig guten Nachricht für all jene anhören,
die sich bis heute bei der Feuerwehr, bei Sanitäts- und
Rettungsdiensten, beim Technischen Hilfswerk und bei
der Polizei noch mit den Tücken der veralteten Analogtechnik abmühen müssen. Aber das ehrgeizige und dringend notwendige Projekt des Digitalfunks ist leider ins
Stocken geraten, wie wir hier schon gehört haben. Die
Verzögerung des Projekts beträgt fast ein Jahr. Da die
Notwendigkeit dieses Projekts parteipolitisch völlig unumstritten ist, sorgt uns das schon sehr. Als Haushälter
hat es uns auch ein Stück weit befremdet, dass wir erst
nach viel Nachhaken im Oktober überhaupt von dieser
Projektverzögerung und von den explodierenden Kosten
erfahren haben.
({1})
Lassen Sie mich etwas dazu sagen, weil wir hier in
den Haushaltsberatungen sind. Es ist schon beängstigend, dass innerhalb von nur einem einzigen Jahr aus
dem sogenannten Best-Case-Szenario - mit 2,5 Milliarden Euro Bundesmitteln bis 2021 kalkuliert - das WorstCase-Szenario mit über 3 Milliarden Euro geworden ist.
Das sind Mehrkosten von über 500 Millionen Euro. Ob
das das Ende der Fahnenstange ist, weiß man nicht; man
kann es nur hoffen.
Wir haben uns mit guter Unterstützung des Bundesrechnungshofs ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Ich will für die, die das interessiert, nur drei Gründe
nennen, warum die Kosten so explodieren. Allein die
Kosten für die Systemtechnik sind um 20 Prozent gewachsen, die Basisstationen haben sich von 3 000 auf
4 000 erhöht - ein Plus von 34 Prozent -, und die Kosten
für die Umbaumaßnahmen pro Standort sind durchschnittlich von 1,5 Millionen Euro auf 3,3 Millionen
Euro angewachsen; das ist ein Plus von 120 Prozent. Bei
einem so komplexen Projekt kann einen das schon besorgt machen. Herr Minister, dabei erwartet niemand
von Ihnen oder Ihrem Haus die prophetische Gabe, für
die nächsten zehn Jahre vorausplanen zu können. Das
Problem ist aber, dass man kein Prophet sein muss, um
zu wissen, dass eine undifferenzierte Planung, die nicht
Jahr für Jahr geplante Ausgaben konkret beschriebenen
Leistungen zuordnet, und ein Projekt, das weder kontinuierliches Controlling noch ein effektives Berichtswesen und vor allem kein ganzheitliches Projektmanagement kennt - also ein Mangel an Fachaufsicht -,
Kostensteigerungen geradezu provozieren.
({2})
Vor dem Hintergrund, dass wir es schon im nächsten
Jahr trotz der 600 Millionen Euro wieder mit einer Lücke von 40 Millionen Euro zu tun haben werden und wir
wissen, dass das dicke Ende erst 2010 bis 2012 auf den
Bundesetat zukommen wird, war es natürlich das Mindeste, was wir als Haushälter tun konnten, die Verpflichtungsermächtigung von 560 Millionen Euro, die im
nächsten Jahr neu ausgebracht werden muss, zu sperren.
Ich kann der Öffentlichkeit versichern, dass wir Haushälter alles in unserer Macht Stehende tun werden, um
dieses umfangreiche Projekt einerseits zu einem guten
Ende zu führen - denn wir alle wollen es -, andererseits
aber auch aufzupassen, dass das Parlament für eine enge
Begleitung sorgt. Der Rechnungshof wird uns dabei unterstützen.
Ein Wort zur Bundespolizei und zur inneren Sicherheit. Michael Luther hat darauf hingewiesen - darin sind
wir uns alle einig -, dass die innere Sicherheit ein
Schwerpunktthema ist und natürlich auch sehr viel Geld
kostet. Mit 2,4 Milliarden Euro umfasst die Bundespolizei die Hälfte des Etats des Innenministeriums. 1,5 Milliarden Euro davon sind Personalausgaben. Es ist klar,
dass dieses Geld für 40 000 Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, erforderlich ist. Lassen Sie mich ein Wort
zur Bundespolizeireform und zur Suche nach dem Bundespolizeipräsidium sagen. Es ist unumstritten, dass
wir einen geeigneten Standort finden wollen und dass es
ein ordentliches Polizeipräsidium werden soll. Allerdings hat der Haushaltsausschuss das Standortsuchverfahren im Sommer auf unsere Initiative hin neu aufgemacht. Die Räumlichkeiten in Potsdam, in denen die
Bundespolizei im Moment untergebracht ist, sind eine
Zwischenlösung. Das Innenministerium hat sich ursprünglich auf Potsdam fokussiert. Wäre man dem gefolgt, hätte man möglicherweise zur Verfügung stehende
Bundesliegenschaften ausgeschlossen. Ich wiederhole:
Wir haben das Suchverfahren noch einmal eröffnet. Wir
werden uns im Dezember andere Liegenschaften im Berliner Umland, vor allen Dingen in Oranienburg, anschauen.
Wir werden dann - das kann ich der Bundespolizei
versichern - schnell eine Entscheidung treffen; denn sie
ist erforderlich, damit die dort Beschäftigten Sicherheit
haben. Perspektivisch werden an dem neuen Standort
750 Menschen arbeiten. Dieses Verfahren muss dringend
transparent gestaltet werden. Es muss ein Standort gefunden werden, der gegenüber dem Steuerzahler auch
langfristig zu verantworten ist.
Was die Bundespolizei angeht, haben wir einen
neuen, einen eigenen Schwerpunkt gesetzt, indem wir
das maritime Schulungs- und Trainingszentrum in
Neustadt an der Ostsee gestärkt haben. Dieses Zentrum
gibt es auf dem Papier schon seit dem Jahr 2005. Es soll
nicht nur die Aus- und Fortbildung bei der Bundespolizei, sondern auch bei anderen Ressorts, die eine maritime Komponente haben, zum Beispiel der Zoll, aber
auch Länderbehörden, zukunftssicher gestalten. Der
Fachkräftemangel im nautischen Bereich ist nämlich
enorm. Die öffentliche Hand kann sich hinsichtlich des
Personals auf dem freien Markt einfach nicht mehr bedienen, sodass es notwendig ist, eigene Schulungen vorzunehmen.
Herr Schäuble, das Konzept aus Ihrem Hause wird
fortgeschrieben. Diese Fortschreibung ist zwar noch
ganz frisch, nämlich vom Oktober, aber hervorragend.
Wir haben dieses Konzept mit einem Plus von 20 Stellen
ausgestattet. Damit gehen Mehrkosten sowohl bei der
Gebäudesanierung - Ziel sind mehr Unterkünfte - als
auch bei der Ausgestaltung des Lehrbetriebs einher. Bemerkenswert ist sicherlich, dass dieser Ansatz dennoch
haushaltsneutral ist. Es lagen uns sehr viele Bundesrechnungshofberichte, die Bundespolizei betreffend, vor. Bei
deren Abarbeitung haben wir ein so großes Einsparvolumen vorgefunden, dass das Ganze haushaltsneutral bleiben konnte.
Zum Thema Telekommunikationsüberwachung hat
auch Michael Luther schon einiges gesagt. Da gibt es in
der Großen Koalition durchaus eine unterschiedliche Bewertung. Herr Luther hat hier darauf hingewiesen, dass
der Haushaltsausschuss den Weg für das Bündelungsmodell freigemacht hat. Das ist eine aus meiner Perspektive
etwas eigenwillige Sichtweise. Richtig ist, dass schon
der Regierungsentwurf die Personal- und Sachmittel für
das Bundesverwaltungsamt vorsah. Wie es üblich ist,
muss sich eine Koalition immer einig sein, um den Regierungsentwurf zu ändern.
Ich mache hier aus meinem Herzen keine Mördergrube. Ich will auch für die SPD-Haushälter deutlich
sagen, dass die Debatte darüber, welches Modell das
Bündelungs- oder Zweisäulenmodell des Bundesrechnungshofes - richtig gewesen wäre, aus unserer Sicht
noch nicht beendet war und dass dieses Projekt deshalb
noch nicht etatreif war. Das heißt nicht, dass man dagegen ist, sondern: Es ist noch nicht etatreif.
Das Problem ist, dass unser Wunsch, die Stellen und
die Mittel zu sperren, nicht einigungsfähig war und dass
damit jetzt in der Tat der Weg frei ist. Das bedeutet aber
auch, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen und Herr Minister, dass der Weg, den Sie jetzt eigenverantwortlich einschlagen werden, tatsächlich Ihr Weg ist. Noch einmal:
Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Die
Bedenken des Bundesrechnungshofes waren für mich
sehr nachvollziehbar.
({3})
Ich stehe mit meinen Kollegen im Haushaltsausschuss uneingeschränkt dafür, dass wir die Telekommunikationsüberwachung im Vergleich zum Status quo zentralisieren müssen.
({4})
Das kann man aber auch an zwei Stellen und nicht nur an
einer Stelle tun. Dafür muss man auch viel Geld in die
Hand nehmen. Das alles ist richtig. Wir brauchen da
auch Know-how; auch das ist richtig. Es hat mich bis
heute nicht überzeugt, dass es vernünftig ist, das Ganze
beim Verwaltungsamt anzusiedeln und die Bereiche Verfassungsschutz und Polizei zu verschränken. Wenn man
das auseinandergehalten hätte, dann hätte dieses Modell
durchaus sehr viel Charme gehabt.
({5})
Lassen Sie mich abschließend sagen - meine Redezeit geht zu Ende -: Ich freue mich natürlich darüber,
dass wir das THW gestärkt haben. Das haben wir wie
immer gemeinsam gemacht; diesmal war es das vierte
Jahr in Folge. Ich freue mich aber auch, dass wir der
Bundeszentrale für politische Bildung für ein besonderes
Projekt noch einmal 500 000 Euro genehmigen konnten.
Dabei geht es darum, dass wir auf ein Superwahljahr zusteuern. In Schaufensterreden kommt immer wieder zur
Sprache, dass die Wahlbeteiligung zurückgeht. Man ist
besonders traurig darüber, dass die Wahlbeteiligung der
jungen Leute sinkt.
Da stimme ich allen zu. Wir wollen aber nicht jammern, sondern wir wollen etwas dagegen tun. Die Bundeszentrale wird in einem Projekt versuchen, insbesondere was die sogenannten bildungsfernen Schichten
anbelangt, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Bundestagswahl 2009 und die Europawahl 2009 von vielen
jungen Menschen aktiv begleitet werden.
({6})
In diesem Sinne möchte ich mich für, wie ich finde,
faire und konstruktive Haushaltsberatungen bedanken.
Das Ergebnis ist ein durchdachter, runder Entwurf, mit
dem Sie, Herr Schäuble, glaube ich, gut ins neue Jahr gehen können. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute. Machen Sie das Beste draus!
({7})
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Kollege Grindel, ich finde, es gibt Zwischenrufe,
die muss man Menschen überlassen, die ein kleineres
Sendungsbewusstsein haben als Sie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben
Sie mir am Anfang, nach all den Wochen der intensiven
Beratung zum Haushalt einen Dank auszusprechen an
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im BMI, im BMF,
in den Ausschusssekretariaten, in den Fraktionen und in
den Büros der Abgeordneten; denn ohne sie wäre diese
Beratung in der Form ganz bestimmt nicht möglich gewesen.
({0})
Nun liegt uns ein Entwurf des Einzelplans 06 vor,
dem meine Fraktion so keineswegs zustimmen kann.
Wir werden ihn selbstverständlich ablehnen.
Herr Minister, ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern:
Ich habe vor über zwei Jahren an dieser Stelle meine
erste Rede im Bundestag gehalten.
({1})
Ich habe damals ein Geschenk überreicht und Sie gelobt,
und zwar für die Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz. Nach über zwei Jahren und nach diesen Haushaltsberatungen sind mir die Flausen der lobenden Worte
eher vergangen.
Wenn man sich das Fachgeschäft Innenpolitik des
Dr. Schäuble anschaut, dann sieht man ein schönes
Schaufenster und einiges an schöner Dekoration. Aber
wenn man hineingeht, stellt man fest: Es gibt etliche Regale, in denen man nur Staub vorfindet. Beispiele sind
genannt worden: Digitalfunk, Bundespolizeireform, Bekämpfung des Rechtsextremismus. Erlauben Sie mir,
drei Punkte zu vertiefen.
Zunächst noch einmal zur Deutschen Islamkonferenz. Wir haben das damals gut gefunden. Ich freue
mich immer noch darüber, dass es eine Deutsche Islamkonferenz gibt, in der die Selbstverständlichkeit von
Menschen muslimischen Glaubens in dieser Gesellschaft
dargestellt wird. Aber so langsam fragen wir uns: Wo
sind denn eigentlich die Ergebnisse? So langsam fragen
wir uns: Welche Substanz soll eigentlich dabei herauskommen?
({2})
Wir fragen uns vor allem: Welches Ziel hat eigentlich
diese Islamkonferenz? Das ist bis heute nicht klar.
({3})
Bei uns gibt es mittlerweile den Verdacht, dass das Ziel
von vornherein nicht so ganz klar war.
Dasselbe kann man zum Thema Integrationspolitik
sagen. Natürlich gibt es große Überschriften - „Nationaler Integrationsplan“ -, aber mit ganz viel Unverbindlichkeit dahinter. Ich erwähne aber auch die Integrationskurse. Die Kollegin Hagedorn und der Kollege Luther
haben gerade gesagt, dass die Mittel aufgestockt werden.
Sie haben sich ein bisschen darüber ausgetauscht, wer
eigentlich schuld ist. Ich habe keine Lust mehr, immer
wieder die Konflikte in der Koalition zu moderieren, nur
weil wir in der Mitte sitzen. Fakt ist, dass im ersten Entwurf des Einzelplans hierfür derselbe Ansatz vorgesehen
war wie 2008, aber relativ schnell war klar, dass dieses
Geld nicht ausreichen würde. Schnell war nämlich klar,
dass immer mehr Menschen gewillt sind, an den Integrationskursen teilzunehmen.
({4})
Der Bedarf ist riesig.
({5})
Wir wollen, dass mehr Menschen an den Kursen teilnehmen können. Wir wollen, dass die Bürokratie nicht mehr
so groß ist und die Kinderbetreuung funktioniert.
({6})
- Dazu können Sie noch mehr beitragen, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen, in dem wir zusätzlich 50 Millionen Euro fordern, was auch von fachkundiger Seite gefordert wird. Es darf nicht bei der
Lückenschließerei bleiben, die Sie jetzt betrieben haben.
Da ist die Priorität nicht richtig gesetzt.
({7})
Dasselbe gilt beim Thema Datenschutz, und das ist
gerade nach dem letzten Sommer eigentlich unverständlich. Wir haben im Sommer erlebt - wir erleben es bis
heute immer wieder -, dass Unternehmen leider - erst
recht leider auch staatliche Unternehmen - nicht so verantwortungsvoll mit den Daten der Menschen in diesem
Land umgehen, wie sie das sollten.
Herr Minister, Sie haben damals gesagt: Wir haben
ausreichende Gesetze; sie müssen nur konsequent umgesetzt werden. - Auf eine Frage sind Sie uns bis heute die
Antwort schuldig geblieben, nämlich: Wer soll die Gesetze umsetzen? Es gibt eigentlich eine Person dafür,
und das ist der Bundesdatenschutzbeauftragte. Sein Stab
ist aber völlig unterbesetzt. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter dort ersticken in Arbeit. Sie bekommen immer mehr Zuständigkeiten. Sie sind zuständig für den
Bund, für Telekommunikationsunternehmen und demnächst in immer stärkerem Maße für das Gesundheitswesen. Sie werden sich, wenn sie Pech haben - das wäre
unser Glück -, auch mit den Argen beschäftigen müssen.
Die Frage ist: Warum werden nicht mehr Mittel für
die Wahrnehmung dieser Aufgaben bereitgestellt? Wir
versuchen, dem abzuhelfen. Ein diesbezüglicher Antrag
steht hier zur Abstimmung. Demnach sollen die Mittel
für das Personal in diesem Bereich verdoppelt werden.
Wir hoffen in diesem Punkt ebenfalls auf die Vernunft
der Mehrheit in diesem Hause, zumal es nicht wirklich
um große Sprünge geht. Allein bei Ihrem Einzelplan,
Herr Minister, gibt es einen Aufwuchs um 500 Millionen
Euro; uns geht es um 0,7 Prozent davon, die wir dafür
ausgeben wollen. Deshalb noch einmal mein Appell:
Datenschutz ist nicht irgendein Thema fürs gute Wetter;
Datenschutz ist ein Thema, durch das die Menschen in
diesem Land Vertrauen in die Politik gewinnen. Deshalb
bitte ich um Zustimmung zu unserem diesbezüglichen
Antrag.
({8})
Das Problem ist, dass es Ihnen, Herr Minister, nicht
darum geht, Daten zu schützen, sondern darum, Daten
zu jagen und zu sammeln. Das sieht man ja beim BKAGesetz. Ich würde im Übrigen jedem jede Wette anbieten, dass das BKA-Gesetz in der Form, wie es vorliegt,
nicht durch den Bundesrat kommen wird. Das ist auch
gut so; denn in diesem Gesetz wird die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit aus unserer Sicht massiv
aufgehoben. Die Hauptkritik richtet sich dabei nicht unbedingt in Richtung der Verbesserung der Sicherheit.
Vielmehr erleben wir, dass teilweise Datenberge gesammelt werden sollen, mit denen die Bundesbehörden
überschwemmt werden. Das wird nicht zu mehr, sondern
zu weniger Sicherheit führen, Herr Minister. Auch deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab.
({9})
Doch jetzt kommt Hoffnung auf. Hoffnung deswegen,
weil sich die Sozialdemokraten überlegt haben, dass sie
diesem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen und es
deshalb dort keine Mehrheit erhalten wird. Das ist erst
einmal sehr erfreulich. Ich frage mich aber: Warum erst
jetzt? Wo waren Sie denn die letzten Monate, als es darum ging, aktiv gegen dieses Gesetz vorzugehen?
({10})
Es ist sehr bedauerlich, dass erst der Bundesrat einschreiten musste. Es ist sehr bedauerlich, dass erst ein
Wahlkampf am Horizont auftauchen musste. Es ist jetzt
aber nicht zu spät. Deshalb rufe ich Ihnen zu: Guten
Morgen! Und: Schön, dass Sie bei uns angekommen
sind!
Einen bleibenden Schaden haben Sie allerdings wohl
doch hinterlassen. Sie haben nämlich beim Bundesinnenminister den Eindruck hinterlassen, dass nicht nur
Sie, sondern das ganze Parlament schläft, und zwar - das
ist hier schon mehrfach gesagt worden - beim Thema
„Abstimmungsverfahren im Bundesrat“. Hier soll ja
Mehrheit so definiert werden, dass bei Abstimmungen
das Ergebnis herauskommt, das Ihnen, Herr Minister,
passt.
({11})
Das ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick. Ich
finde, Herr Minister, so etwas wird Ihnen, Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Biografie keineswegs gerecht. Ich
kann nur an Sie appellieren, davon Abstand zu nehmen,
über eine Veränderung des Abstimmungsverfahrens im
Bundesrat zu diskutieren.
({12})
Sie haben an dieser Stelle viel Kreativität gezeigt. Es
wäre erfreulich, wenn Sie diese Kreativität nicht nur für
das Herumbiegen von Verfahren, sondern vor allen Dingen für den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern und
von deren Rechten aufwenden würden. Sie haben nicht
mehr so viel Zeit dazu, nur noch bis zum 27. September.
Danach wird jemand anders zuständig sein. In dieser
Zeit können Sie aber noch einiges aufholen und das aufgreifen, was Sie bisher noch nicht gemacht haben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich zunächst auch einmal sehr bedanken: Die
Haushaltsberatungen waren - das müssen sie ja auch
sein - intensiv, was von guter Partnerschaft zeugt. Ich
glaube, mit dem Ergebnis, das wir dabei erzielt haben,
kann das Innenministerium die Aufgaben, die sich dem
Bund im Bereich der Innenpolitik stellen, gut erfüllen.
Ich habe schon bei der ersten Lesung darauf hingewiesen: Die Steigerungsrate täuscht, weil darin viele
Sonderposten enthalten sind. Ich glaube aber, wir haben
gemäß dem Prinzip, dass wir mit begrenzten Mitteln
auskommen müssen - es handelt sich ja um Steuergelder, und die Lage ist ernst -, vernünftige Ergebnisse erzielt.
Die Innenpolitik dient in allen Bereichen dem Ziel,
unsere Freiheitsordnung nachhaltig zu machen. Deshalb,
weil Sie, Herr Kollege Nouripour, es gerade angesprochen haben, würde ich zunächst einmal gern eine Bemerkung zur Deutschen Islamkonferenz machen. Sie
warten auf Ergebnisse. Wenn Sie sich die Wirklichkeit in
diesem Land ein bisschen unvoreingenommen anschauen, dann werden Sie überhaupt nicht bestreiten
können, dass im Verhältnis zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen und zwischen den Muslimen in ihrer
Vielfalt eine ganze Menge geschehen ist. Ich habe gestern mit dem türkischen Staatsminister für Religion und
für Türken im Ausland Sait Yazicioglu ein langes Gespräch geführt. Wir haben am Samstag in München den
Eugen-Biser-Preis an drei Muslime verliehen. Ich habe
die Festrede dazu gehalten. Es wird niemand ernsthaft
bestreiten, dass sich etwas an dem Verhältnis verändert.
Das gilt übrigens auch aufseiten der nichtmuslimischen
Mehrheitsgesellschaft. Das ist der Sinn dieser Islamkonferenz.
Wir haben zum Beispiel im März dieses Jahres in der
Vollversammlung zwischen den 15 unterschiedlichen
muslimischen Teilnehmern und den 15 Vertretern von
Bund, Ländern und Kommunen einvernehmlich Regeln
festgelegt, wie der Religionsunterricht im Sinne von
Art. 7 als Bekenntnisunterricht an staatlichen Schulen
in Deutschland durchgeführt werden kann. Wir haben
diese der Kultusministerkonferenz übermittelt, deren
Präsidentin an der Islamkonferenz teilnimmt. Die Länder haben nun die Voraussetzungen, um dies Schritt für
Schritt zu verwirklichen, die Lehrerausbildung und die
Curricula anzupassen. Entsprechendes wird sich natürlich auch an den Hochschulen in dem Sinne entwickeln,
wie es nach unseren bewährten Prinzipien im Verhältnis
von Staat und Religionsgemeinschaften nur geht und
auch richtig ist. Da hat sich etwas bewegt. Das geht nicht
auf Knopfdruck. Solche Dinge gehen nie auf Knopfdruck, aber es bewegt sich. Das dient der Nachhaltigkeit
unserer Ordnung von Freiheit und Toleranz. Deshalb ist
das richtig.
Gleiches gilt für die Integration. Es ist gut, dass wir
jetzt dort die Mittel erhöhen. Frau Kollegin Hagedorn,
Sie haben gesagt, die Mittel waren schon einmal höher
etatisiert. Das ist wahr. Damals sind sie aber nicht abgeflossen; selbst im letzten Jahr noch nicht.
({0})
Deshalb haben wir von Jahr zu Jahr gesagt: Sobald die
Nachfrage höher ist, was wir hoffen, müssen wir die
Mittel entsprechend erhöhen. Ich bin sehr dankbar dafür,
dass dies im Haushaltsausschuss gelungen ist. Ich will
mich ausdrücklich dafür bedanken. Man kann darüber
streiten, ob man das früher hätte wissen können oder
nicht. Die Nachfrage hat sich im Laufe dieses Jahres verstärkt. Wir sind uns darüber einig und es ist erfreulich,
dass sie nicht in erster Linie Neuzugewanderte betrifft.
Es sind vor allem Frauen und Mütter, die schon länger da
sind. Das wollen wir auch, und zwar gerade im Interesse
der Kinder.
Man muss übrigens auch gar nicht mehr darüber streiten, dass die Regelung im Aufenthaltsgesetz, über die
wir lange gestritten und die wir dann eingeführt haben,
besagt, dass wir für den Familiennachzug ein Minimum
an Deutschkenntnissen zur Voraussetzung machen. Das
wirkt sich vor allem auch insofern segensreich aus, als
alle begreifen, dass nicht nur die Kinder Deutsch lernen
müssen, damit sie im Bildungs- und Ausbildungssystem
unseres Landes Chancen haben. Auch die Eltern sollten
Deutsch sprechen. So kommen wir auf diesem Weg
voran.
({1})
In diesem Sinne ist es auch wichtig, dass wir weiterhin dem freien Sport in unserem Lande helfen, um im
härter werdenden Wettbewerb der Besten der Welt
Schritt zu halten, eine Position zu verteidigen oder dort,
wo wir besser werden können, auch besser zu werden.
Deshalb bin ich auch sehr dankbar dafür, dass es im Rahmen der Haushaltsberatungen gelungen ist, die immer
knappen Mittel aufzustocken. Das ist ein wichtiger
Punkt.
Das, was in der Debatte zum Technischen Hilfswerk
gesagt wurde, will ich auch von meiner Seite aus ausdrücklich unterstreichen. Das ist wirklich vorbildlich.
Ich weiß nicht, ob das im Bereich des Innenministeriums
wirklich das Beste ist. Wir haben hier viel Gutes. Es ist
aber vorbildlich, dass wir für eine Katastrophenschutzorganisation nicht nur hervorragende hauptberufliche Mitarbeiter haben, sondern vor allem auch 80 000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Das ist ein Gütezeichen für die
Lebensfähigkeit und für die Vitalität unserer freiheitlichen Lebensordnung.
({2})
Diese freiheitliche Lebensordnung wird nachhaltig
sein, wenn die Menschen auch darauf vertrauen können,
dass der Staat diese Freiheitsrechte schützt. Der Staat
bedroht die Freiheitsrechte nicht. Das ist ein verbreiteter
Irrtum, der von manchen bewusst geschürt wird.
({3})
Es gibt keine Freiheit, ohne dass auch eine Instanz im
Sinne des staatlichen Gewaltmonopols vorhanden ist,
die diese Freiheitsrechte schützt. Es gibt keine Freiheit
ohne Regeln, und es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung.
({4})
Freiheit braucht einen Rahmen, nur so ermöglicht dieser
Verfassungsstaat überhaupt Freiheit. Deshalb brauchen
wir eine leistungsfähige Polizei. Das ist und bleibt in unserem Land zuallererst Sache der Bundesländer. Diese
föderale Grundstruktur hat sich bewährt.
Ergänzend haben wir die Bundespolizei. Die Standorte der Bundespolizei - ich möchte darauf aufmerksam
machen -, so steht es im Gesetz - werden vom Bundesinnenminister im Einvernehmen mit den Regierungschefs der Bundesländer festgelegt. So ist die Regelung
im Gesetz. Ich habe sehr bewusst entschieden, dass das
neu zu bildende Bundespolizeipräsidium in einem neuen
Bundesland liegen soll. Das hat mit vielen Beschlussfassungen in diesem Hause im Zusammenhang mit dem
Umzug und der Überwindung der Folgen der deutschen
Teilung zu tun.
Ich würde aber doch bitten, dass, wenn wir über die
Bundespolizei reden, Frau Kollegin Piltz und die anderen, die das getan haben, nicht einen der großen Erfolge
in diesem Jahr völlig unterschlagen, nämlich die Tatsache, dass es gelungen ist, die Kontrollen an unseren
Grenzen abzuschaffen, ohne dass die vor einem Jahr
reichlich vorhandenen Besorgnisse, dass das zu weniger
Sicherheit führen würde, wahr geworden wären.
({5})
- Entschuldigung, ich komme in zwei Wochen wieder
mit meinen Kollegen aus der Region, aus den Bundesländern, aus Polen und Tschechien zusammen, wo wir
Bilanz ziehen werden. Sie können mit den Betroffenen
in der Region sprechen. Die Besorgnisse sind alle nicht
wahr geworden. Es ist uns gelungen, ein Europa ohne
Grenzkontrollen mit nicht weniger Sicherheit zu schaffen. Das ist ein großer Erfolg, und das zeigt: Freiheit und
Sicherheit gehören zusammen.
({6})
- Frau Kollegin Jelpke, das ist ein offensichtlich bewusst
verbreitetes Missverständnis. Indem Europa noch an seinen Außengrenzen kontrolliert, schottet es sich nicht ab.
An den Binnengrenzen wird weniger kontrolliert. Das ist
ein Fortschritt, den wir nicht kleinreden sollten.
({7})
Das Bundeskriminalamtgesetz haben wir lange diskutiert und in diesem Haus verabschiedet. Am Freitag
steht es auf der Tagesordnung des Bundesrates. Wie der
Bundesrat entscheiden wird, werden wir sehen. Je nachdem, wie die Entscheidung ausfällt, ist im Grundgesetz
geregelt, wie es weitergehen kann. Kommt das Bundeskriminalamtgesetz nicht zustande, bleibt es bei der bisherigen Rechtslage.
({8})
- Ja, das ist schon wahr. Herr Kollege Wieland, es ist
völlig legitim, diese Meinung zu vertreten. Der Verfassungsgesetzgeber hat es allerdings vor zwei Jahren anders entschieden, und zwar angesichts der Intensität der
Gefahr durch den internationalen Terrorismus.
({9})
- So legitim es ist, dass Sie Ihre Auffassung vertreten, so
legitim ist es auch, darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgesetzgeber anders entschieden hat.
Ich füge hinzu: In der vergangenen Woche hat in
Potsdam eine Konferenz der Innenminister und -senatoren der Bundesländer stattgefunden. Von 16 Innenministern haben 15 gesagt, wir bräuchten dieses Gesetz dringend. Der Kollege Wolf hat gesagt, er sei immer
dagegen gewesen, dem Bundeskriminalamt diese Aufgabe zu übertragen. Alle anderen haben gesagt, wir brauchen dieses Gesetz. Sollte es nicht zustande kommen,
bleibt es bei der ausschließlichen Zuständigkeit der Länderpolizeien zur Abwehr der Gefahren auch durch den
internationalen Terrorismus. Anderenfalls werden wir einen Weg finden. Wir haben gesagt, wir führen den Auftrag des Verfassungsgesetzgebers aus.
Ich will noch eine Bemerkung machen. Glauben Sie
doch nicht, dass ich so blöd wäre, zu glauben, man
könne die Abstimmungsregeln im Bundesrat verändern. Das Thema, das in den Koalitionsverträgen auf
Länderebene zu leicht geschrieben wird, nämlich sich
bei Uneinigkeit in Bundesratsabstimmungen zu enthalBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
ten, weitet sich zunehmend im Lauf des Jahres zu einem
Problem aus.
({10})
- Entschuldigung, wir reden von der Föderalismuskommission. Der Kollege Körper und ich sind für die Große
Koalition in dieser Arbeitsgruppe die beiden Federführenden. In dieser Eigenschaft haben wir den Brief an die
beiden Vorsitzenden geschrieben. Das ist absolut legitim. Diese Debatte werden Sie nicht los; das hat mit dem
Bundeskriminalamtgesetz nichts zu tun. Aber die Debatte um das Bundeskriminalamtgesetz zeigt, dass es absurd ist, dass die Länder erst sagen, sie bräuchten das
Gesetz dringend, und sich anschließend im Bundesrat
enthalten. Das geht so nicht weiter.
({11})
Frau Kollegin Piltz, ich will Ihnen ganz freundschaftlich noch etwas sagen: Wenn wir in unserem Land Probleme haben, von denen wir wissen, dass sie gelöst werden müssen, dann ist es doch notwendig, dass wir
darüber reden. Dann ist es falsch, dass man jedes Mal,
wenn ein Vorschlag gemacht wird, mit einem Geschrei
anfängt, als fürchte man die Debatte. Ich finde, die freiheitliche Demokratie bewährt sich in der offenen Debatte.
({12})
Deswegen ist der Versuch, Debatten immer zu verhindern und zu verbieten, im Grunde mit einem liberalen
Verständnis von freiheitlicher Demokratie nicht zu vereinbaren.
({13})
Jetzt höre ich aus Ihrer Fraktion spöttische Bemerkungen über die schwierigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Piraterie am Horn
von Afrika unter deutscher Beteiligung; es wird gesagt,
da passten die Rechtsvorschriften nicht mehr. Als ich
schon vor zwei Jahren gesagt habe, dass wir angesichts
neuer Bedrohungen nationales wie internationales Recht
auf seine Wirksamkeit überprüfen müssen, ist gesagt
worden, das sei ein Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit.
Ich finde, wir sollten die Kirche im Dorf lassen, wir sollten ein bisschen abrüsten, und wir sollten wieder mehr
über die Sache diskutieren, anstatt das Nachdenken über
Probleme durch eine falsche Tabuisierung zu verbieten.
({14})
In diesem Sinne bedanke ich mich noch einmal für
die gute Zusammenarbeit. Wir werden aus dem Haushalt
das Beste machen. Ihre guten Wünsche zum neuen Jahr
erwidere ich zu einem späteren Zeitpunkt, Frau Kollegin
Hagedorn.
Ich bitte Sie, diesem Haushalt zuzustimmen, und bedanke mich für Ihre Unterstützung.
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, niemand und schon gar
nicht die Freie Demokratische Partei will hier offene Debatten abwürgen. Aber Sie müssen sich schon sagen lassen: Wenn Sie einen Vorschlag für die Änderung der
Abstimmungsregeln im Bundesrat ausgerechnet zu
dem Zeitpunkt erneut - Sie haben es auch schon früher
getan - in die öffentliche Debatte bringen, wo Sie Gefahr laufen, mit Ihrem BKA-Gesetz im Bundesrat zu
scheitern, dann ist natürlich der Verdacht naheliegend,
dass man die Regeln so gestalten möchte, dass eine
Mehrheit für das eigene Gesetzesvorhaben zustande
kommt, die nach den jetzt gültigen Vorschriften nicht in
Sicht ist.
Es ist nicht die FDP allein, die Sie in diesem Punkt
kritisiert hat, sondern es gibt auch Kritiker aus Ihren eigenen Reihen: Ole von Beust, Hamburgs Erster Bürgermeister, hat gesagt, aktuelle Schwierigkeiten sollten
nicht ein Grund dafür sein, das zu ändern, was sich über
Jahrzehnte bewährt hat. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat Kritik geübt. Sogar der
bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat dies getan. Ich will jetzt nicht auf das näher eingehen, was Bremens Bürgermeister, der der SPD angehört, gesagt hat,
der von einem Anschlag auf bewährte parlamentarische
Prinzipien gesprochen hat.
Debatten müssen zur richtigen Zeit geführt werden.
Dann ist allerdings in der Tat - da stimme ich Ihnen zu eine Tabuisierung nicht der richtige Weg. Ich möchte
darauf aufmerksam machen, dass wir vorhin - vielleicht
hat es nicht jeder bemerkt - Zeugen einer Art Tabuisierung waren, gegen die wir uns wehren. Herr Kollege
Luther, vielleicht haben Sie es nicht so gemeint, als Sie
vorhin zu der rhetorischen Figur der präemptiven
Schuldzuweisung gegriffen haben.
({0})
Sie haben nämlich gesagt: Wer dieses BKA-Gesetz verhindert, der trägt die Verantwortung dafür - ich will es
einmal so auf den Punkt bringen -, wenn später etwas
passiert. Dagegen wehren wir uns allerdings.
({1})
Denn die deutschen Sicherheitsbehörden haben jede
Menge Eingriffsbefugnisse, und sie haben in der Vergangenheit mit den geltenden Gesetzen erfreulicherweise
schlimme Anschläge verhindern können. Sie können uns
hier nicht einreden, dass nur mit dem neuen BKA-Gesetz die Sicherheit in Deutschland gewährleistet sei.
Herr Minister Schäuble hat neulich in einem Interview im Stern zu einem kühnen Vergleich gegriffen, als
er auf Wallensteins Kriegsführung rekurriert hat, um das
BKA-Gesetz zu rechtfertigen. Uns erscheint etwas
anderes aus dem 17. Jahrhundert passender, nämlich das
Zitat von Thomas Hobbes, der von „bellum omnium
contra omnes“ gesprochen hat, also von der Auseinandersetzung jeder gegen jeden. Das ist das, was wir derzeit in der Großen Koalition erleben: beim BKA-Gesetz,
bei der Auseinandersetzung um die Abstimmungsregeln
im Bundesrat und - das liegt schon etwas länger zurück bei der Maßnahme, die Sie vorhin so gepriesen haben,
nämlich bei der Forderung, Sprachkenntnisse beim
Ehegattennachzug nachzuweisen. Dazu hat der Kollege
Edathy, immerhin Vorsitzender des Innenausschusses des
Bundestages, gesagt - ich werde dies nie vergessen -, er
stimme dem Gesetz zu, hoffe aber, dass das Bundesverfassungsgericht es aufheben wird.
({2})
Das ist symptomatisch für den Zustand der Großen
Koalition.
Herr Minister Schäuble, Sie haben in der letzten Ausgabe des Stern eines sehr richtig gesagt und damit das eigentliche Stichwort für die heutige Haushaltsdebatte geliefert. Sie haben nämlich gesagt:
Ich bin kein Anhänger der Großen Koalition … Sie
ist vom System her falsch.
Völlig richtig, füge ich hinzu. Ich zitiere Sie - am Ende
des Interviews - noch einmal:
Wir hatten gute Vorsätze, haben auch manches vorangebracht, aber es ist gut, wenn es vorbei ist.
Dem stimmen wir wirklich zu.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Bürsch von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrter Kollege Max Stadler, ich darf darauf hinweisen: Die Legislaturperiode dauert noch bis zum
28. September 2009.
({0})
Bis dahin wird - so sage ich einmal voraus - diese
Koalition mit diesem Innenminister und auch den Innenpolitikern der SPD ihre Pflicht tun
({1})
und versuchen, das umzusetzen, was wir uns in der
Koalitionsvereinbarung vorgenommen haben.
Ich nehme die Debatte heute zum Anlass, drei Stichworte zu nennen, die uns beschäftigt haben und die uns
in den nächsten neun bis zehn Monaten noch beschäftigen werden. Das sind die Stichworte „innere Sicherheit“,
„Integration“ und „Datenschutz“.
In aller Kürze zum ersten Stichwort, zur inneren
Sicherheit. Es geht - das spielt auch in der Koalition
eine Rolle - um den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit. Das beschäftigt uns. Insofern, lieber Max
Stadler, würde ich den Zustand der Koalition auch nicht
beschreiben, als kämpfe jeder gegen jeden, sondern als
das Ringen um den besten Weg. Da sehe ich allerdings
uns und sogar die Opposition in der Verpflichtung.
Der Innenminister hat in einer früheren Debatte etwas
gesagt, was für mich Richtlinie ist und bleiben wird:
Die Freiheitsrechte, die unser Grundgesetz verbürgt, bedürfen des Schutzes durch den Rechtsstaat,
durch den freiheitlich verfassten Staat. Sie sind …
ohne Gesetze nicht garantiert. Deswegen ist es notwendig, dass der freiheitlich verfasste Rechtsstaat
die Grundrechte schützt.
Wenn wir diese beiden Interessen, um die es geht
- Freiheit und Sicherheit -, gegeneinander abwägen,
dann kann es nicht sein, dass man sich im Zweifel entweder für die Sicherheit oder für die Freiheit ausspricht.
Ich glaube, die richtige Beschreibung ist: Dies sind zwei
Seiten derselben Medaille. Das gilt dann auch für die
endgültige Verabschiedung eines Gesetzes über das Bundeskriminalamt.
Die SPD ist jedenfalls der Meinung, dass wir ein solches Gesetz brauchen.
({2})
Das ist vor drei Jahren so beschlossen worden. Insofern
geht es aus meiner Sicht nicht um das Ob, sondern um
das Wie. Dazu sage ich dem Innenminister allerdings: Es
ist keine Majestätsbeleidigung, wenn von Länderseite
gesagt wird: An der einen oder anderen Stelle haben wir
durchaus noch Verbesserungsbedarf. - Das wird hoffentlich im Vermittlungsausschuss eine Rolle spielen. Das ist
eine Institution, die wir im Grundgesetz vorgesehen haben. Diese soll jetzt bitte schön ihre Arbeit tun, und dann
werden wir zum Beispiel darüber reden, ob wir den
Richtervorbehalt generell einführen oder ob wir wirklich
eine Eilfallregelung brauchen und an dieser Stelle nicht
auch generell den Richter einsetzen.
({3})
Die Integration - das zweite Stichwort - ist eine Erfolgsgeschichte; daran möchte ich erinnern. Seit 2005
haben wir einen Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen. Das ist ein Quantensprung in der Integration gewesen. Es gibt seitdem 600 000 Teilnahmeberechtigungen und 200 000 Absolventen dieser Kurse.
Das ist eine enorme Erfolgsgeschichte. Das hat nicht nur
mit dem Erlernen der Sprache zu tun, sondern auch damit, dass wir damit gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Wir ermöglichen damit, dass Menschen, die aus einem anderen Land zu uns kommen oder länger bei uns
sind, an unserem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben teilhaben können. Das bedeutet Sprache.
Insofern freue ich mich über den Zuwachs an Mitteln.
Meine Vorstellung wäre, Herr Innenminister, dass wir
dahin zurückkehren, was wir 2005 an den Anfang gesetzt haben, nämlich über 200 Millionen Euro. Das ist
eine Zahl, die wir, so glaube ich, verkraften können und
die dem Anspruch gerecht wird, den dieses Thema verdient. Integration wird uns nicht nur in diesem und im
nächsten Jahr nach Integrationsgipfeln beschäftigen,
sondern nach meinem Verständnis mindestens das
nächste Jahrzehnt. Dies muss uns beschäftigen, damit
kein sozialer Sprengstoff entsteht, der uns und unsere
Gesellschaft auseinanderreißt.
({4})
Drittes Stichwort in aller Kürze: der Datenschutz, der
uns in den nächsten Wochen intensiv beschäftigen wird.
Ich sage für alle, die sich mit dem Datenschutz nicht beschäftigen können: Was jetzt auf dem Wege ist, ist für
mich ein enormer Sprung nach vorne. Ich kann nur hoffen, dass der Innenminister das umsetzt, was er am
4. September angekündigt hat. Ich nenne drei entscheidende Stichworte: Wir brauchen eine Einwilligung. Jedes Mal, wenn Daten genutzt werden, wenn mit ihnen
gehandelt wird, brauchen wir eine Einwilligung der Betroffenen. Wir wollen Transparenz schaffen. Wir brauchen einen Überblick, was mit den Daten geschieht. Wir
wollen die Wirtschaft dazu bringen, dass sie sich einer
Überprüfung unterzieht. Das nennen wir Audit. Diese
drei Stichworte sind enorm wichtig. Ich hoffe, dass sie in
den kommenden Verhandlungen tatsächlich erhalten
bleiben, Herr Minister; denn das ist das, was ein fortschrittliches Gesetz im Bereich des Datenschutzes mit
sich bringen muss.
Es bleibt eine Menge zu tun, lieber Max Stadler. Ich
glaube aber, dass die Vorhaben, die gerade im Zusammenhang mit dem letzten Thema, Datenschutz, auf unserer Tagesordnung stehen, eine gemeinsame Anstrengung
verdienen. Vielleicht ist sogar eine gemeinsame Anstrengung mit der Opposition möglich; denn der Datenschutz steht jetzt im Mittelpunkt. Nach dem Motto „Pack
an“ wollen wir das Thema gemeinsam voranbringen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
kann mit meinem ersten Stichwort an die Rede des Kollegen Bürsch anschließen, allerdings nicht ganz so optimistisch enden wie er.
({0})
In den zurückliegenden Monaten hatten wir eine Serie
von Datenschutzskandalen. Ich erinnere nur an Lidl, die
Telekom und andere. Ihr Ausmaß ist noch nicht absehbar. Dann gab es im September einen sogenannten
Datenschutzgipfel. Innenminister trafen sich mit Datenschützern. Bundesinnenminister Schäuble versprach danach: Noch im November wird der Bundestag über ein
Maßnahmenpaket der Bundesregierung beraten und entscheiden können.
({1})
Ich stelle fest: Der November ist so gut wie zu Ende,
aber noch nicht ein einziger Datenschutzvorschlag der
Regierung hat das Plenum erreicht. Ich finde das blamabel.
({2})
Die Linke bleibt bei ihrer Forderung: Wir brauchen
ein neues Datenschutzrecht, ein Datenschutzrecht, das
nicht nur private Verfehlungen ahndet, sondern auch den
Staat in seiner Datengier zügelt. Wir brauchen ein Datenschutzrecht, das dem 21. Jahrhundert gerecht wird.
({3})
Dazu hat die Linke drei aktuelle Forderungen: Wir
fordern ein Moratorium für alle elektronischen Großprojekte, die den Datenschutz gefährden können. Dazu gehört auch die elektronische Gesundheitskarte.
({4})
Wir fordern, dass die ausufernde Erfassung persönlicher
Daten gestoppt wird. Dazu gehört vor allem die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten. Wir
fordern, die Datenschutzbeauftragten endlich so auszustatten, dass sie handeln können. Dazu gehören mehr
Autonomie, mehr Geld und mehr Personal.
({5})
Stimmen Sie unserem Antrag heute zu, dann können wir
einen ersten Schritt gehen.
Zweites Stichwort: BKA-Gesetz. Die Linke hat bekanntlich gegen das BKA-Gesetz gestimmt. Dafür gab
und gibt es viele Gründe im Detail. Vor allem aber halten
wir das BKA-Gesetz für einen weiteren Schritt auf dem
Weg vom demokratischen Rechtsstaat zum präventiven
Sicherheitsstaat. Diesen Weg lehnt die Fraktion Die
Linke ab. Wenn Bundesländer ihre Entscheidung heute
korrigieren - es ist ja richtig, Herr Bundesinnenminister,
dass diese damals der Föderalismusreform zugestimmt
haben -, dann begrüßt die Linke das. Ich denke, wir sollten als Politikerinnen und Politiker überhaupt gelegentlich zeigen, dass wir Fehler im Nachhinein korrigieren
können, wenn wir sie erkannt haben.
({6})
Damit bin ich bei meinem dritten Stichwort: Bundespolizei. Die Bundespolizei wurde und wird in großem
Stil umgebaut. Dazu hatten wir hier im Bundestag mehrere Debatten. Ich will sie nicht wiederholen. Ein Grund
für die Reform der Bundespolizei war ganz offensichtlich:
Sie soll immer häufiger und zahlenstärker zu Auslandseinsätzen geschickt werden. Aktuell sind Einsätze gegen
die Piraterie vor Somalia im Gespräch. Über den Sinn
dieser Einsätze will ich jetzt nicht sprechen. Mir geht es
um etwas Grundsätzliches: Jeder Bundeswehreinsatz im
Ausland braucht ein Mandat des Bundestages. Die Bundespolizei braucht dies nicht. Ich halte das für widersinnig. Deshalb fordert die Linke einen Parlamentsvorbehalt des Bundestages auch bei Einsätzen der Polizei
im Ausland. Das ist überfällig.
({7})
Damit bin ich bei meinem vierten Stichwort: Rechtsextremismus. Wir haben hier jüngst über das Gift des
Antisemitismus gesprochen. Wir wissen, auch beim
Rechtsextremismus gibt es keinerlei Entwarnung. Allein
die Zahl der offiziell registrierten Straf- und Gewalttaten
mit einem rechtsextremen Hintergrund ist nicht hinnehmbar. Entsprechend größer ist übrigens noch die
Zahl der Opfer. Der organisierte Rechtsextremismus versucht planmäßig und mit langem Atem, Terrain zu gewinnen, inmitten der Gesellschaft. Das ist eine akute Gefahr für die Demokratie, häufig auch für Leib und Leben.
Gemessen daran sind die Bundesprogramme für Vielfalt,
Demokratie und Toleranz geradezu leichtsinnig kurzatmig und unzureichend.
Deshalb fordert die Linke, die bestehenden Programme zu überprüfen. Wir müssen mehr denn je auf
Prävention statt auf Reaktion zielen. Vor allem müssen
die Programme auf Dauer angelegt sein. Das können Sie
heute unterstützen, indem Sie unserem Antrag, ein Sonderprogramm einzurichten, zustimmen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei der Betrachtung des Zahlenwerks des Haushaltes fällt zunächst die augenscheinlich
erhebliche Steigerung der Etatmittel für das Bundesinnenministerium um mehr als 10 Prozent auf. Betrachtet
man die Zahlen allerdings genauer, so relativiert sich
diese Steigerung schnell, und es wird deutlich, dass die
tatsächliche Steigerung äußerst moderat ist.
Die Kollegin Piltz von der FDP-Fraktion hat jüngst
bei der BKA-Debatte und heute wieder moniert, die
Etatmittel seien zu gering angesetzt. Insbesondere im
Bereich des Bundeskriminalamtes seien nach ihrer Auffassung erheblich mehr Mittel nötig. Ich ermuntere Sie
und Ihre Fraktion, im nächsten Jahr bei den Beratungen
zum Haushalt 2010 mit dafür zu sorgen, dass hier tatsächlich noch mehr Mittel eingestellt werden.
({0})
Von den insgesamt 554 Millionen Euro, um die der
Einzelplan wächst, muss man bei realistischer Betrachtung zunächst die haushaltsneutralen Positionen abziehen. - Wenn Sie sich weiter unterhalten wollen, kann ich
meine Rede gern unterbrechen.
({1})
- Sie stören mich sehr.
Ebenso muss man die Mehrkosten für die Umsetzung
der Tarif- und Besoldungserhöhungen abziehen. Wenn
man dies alles abzieht, bleiben von den 554 Millionen
Euro lediglich etwas mehr als ein Drittel, also nur noch
rund 200 Millionen Euro, an Steigerung übrig. Diese
verhältnismäßig geringe Steigerung ist aber unabdingbar, um die unbestritten notwendigen Mehrausgaben tätigen zu können. Denn unsere Aufgabe ist es, jedem einzelnen Bürger dieses Landes ein Leben in Freiheit und
Sicherheit zu ermöglichen. Freiheit ist jedoch ohne Sicherheit nicht denkbar.
({2})
Um dieses Ziel zu erreichen, stehen im Haushalt 2009
für die Bundespolizei 206 Millionen Euro mehr zur Verfügung als im Jahr 2008. Hierdurch werden insbesondere die Kosten für die Neuorganisation der Bundespolizei und die Aufwendungen für die Auslandseinsätze
gedeckt. Der Stärkung im Bereich der Terrorbekämpfung dient insbesondere die Umsetzung des jüngst vom
Parlament verabschiedeten BKA-Gesetzes, wofür im
vorliegenden Haushalt die dafür notwendigen Mittel bereits zur Verfügung gestellt werden.
Erlauben Sie mir, bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung zu dem Verhalten einiger Landesverbände der SPD
zu machen.
({3})
- Ich habe es nicht nur aufgeschrieben, ich weiß es auch
so.
Nach den Diskussionen, die sich hier im Parlament
über anderthalb Jahre hingezogen haben, nach umfangreichen Sachverständigenanhörungen und intensiver Beratung mit dem Koalitionspartner wurde ein Ergebnis in
Form eines Gesetzentwurfes erzielt, der von Herrn
Wiefelspütz als Jahrhundertgesetz bezeichnet wurde und
dem die große Mehrheit des Bundestages zustimmt. Ich
finde es unsäglich, dass dieser Gesetzentwurf nun von
einzelnen Landesverbänden, genauer gesagt von einigen
Jungsozialisten, infrage gestellt wird.
({4})
Ich kann nur die Hoffnung zum Ausdruck bringen,
dass wir in den offensichtlich notwendig werdenden Vermittlungsausschusssitzungen rasch zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen. Jeder Tag, der weiter ins
Land geht, ohne dass wir dem Bundeskriminalamt die
notwendigen Kompetenzen in seinem Kampf gegen den
Terror geben, erhöht die Anschlagsgefahr in unserem
Land.
({5})
- Ja, zu Recht.
Im Haushalt sind nunmehr auch hinreichend Mittel
vorgesehen, um die zugegebenermaßen schwierige Einführung des BOS-Digitalfunks weiter voranzutreiben.
Es darf keine Zeit verloren gehen, wenn wir verhindern
wollen, dass unsere Polizeikräfte nur unzureichend ausgestattet sind und nicht mit der technischen Entwicklung
Schritt halten können.
Besonders hervorheben möchte ich aber auch die zusätzlichen Mittel von 1,6 Millionen Euro für Fahrzeuge,
Geräte und Ausrüstungsgegenstände des Technischen
Hilfswerks. Dies unterstreicht unser Anliegen, in diesem wertvollen ehrenamtlichen Bereich des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes alles zu tun, um das
Technische Hilfswerk auch in Zukunft auf dem gleichen
hohen technischen Niveau zu halten. Ich möchte mich an
dieser Stelle bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern aller
Bereiche - nicht nur des Technischen Hilfswerks - für
ihre uneigennützige Arbeit bedanken.
Ebenfalls der Sicherheit dienen die zusätzlich bereitgestellten 3,9 Millionen Euro, die das Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik für seine Arbeit
im Bereich Kryptografie erhält. Ohne die schnelle Entschlüsselung kodierter Nachrichten von Terroristen ist
ein effektiver Kampf gegen den Terror nicht denkbar.
Gleiches gilt für den Bereich der organisierten Kriminalität.
Ein Thema liegt mir noch besonders am Herzen. Ich
spreche von der Notwendigkeit, die Erfolge der Integrationsbemühungen dieser Bundesregierung weiterzuführen. Die eingeführten Integrationskurse sind ein Erfolgsmodell. Das wurde bereits erwähnt. Durch die erfreuliche
Erhöhung der Teilnehmerzahlen werden zusätzliche Mittel benötigt. Dies zeigt, dass das Thema Integration bei
der CDU auf Bundes- wie auf Länderebene gut aufgehoben ist. Entscheidend zu dieser positiven Entwicklung hat
mein Kollege in Nordrhein-Westfalen, Herr Minister
Armin Laschet, als bundesweit erster Landesminister für
Integration beigetragen.
({6})
Der zusätzliche Finanzbedarf für Integrationskurse beträgt rund 19,3 Millionen Euro. Wir meinen, dass das sowohl für die Besucher der Integrationskurse wie auch für
unsere Gesellschaft insgesamt gut angelegtes Geld ist.
Im Jahr 2009 werden wir uns neben den hier angesprochenen Themen sicherlich auch noch schwerpunktmäßig der Verbesserung des Datenschutzes widmen
müssen. Der notwendige Datenschutz darf allerdings
nicht dazu führen, dass diejenigen, die in der Vergangenheit redlich mit Daten umgegangen sind und dies in Zukunft sicherlich auch tun werden, durch kriminelle
Handlungen Einzelner bestraft werden und hierdurch
ganze Geschäftsbereiche mit Hunderttausenden von Beschäftigten in Existenznot gebracht werden.
Schließen möchte ich mit der Feststellung: Der Haushalt bietet die Grundlage dafür, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande auch künftig sicher
fühlen können. Wir können mit Fug und Recht sagen,
dass wir auch mit diesem Haushalt die Freiheit in unserem Lande weiterhin gewährleisten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das
Wort die Kollegin Dagmar Freitag von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Kollegin Bettina Hagedorn hat schon darauf hingewiesen, dass im Einzelplan 06 auch die Zahlen der
Spitzensportförderung des Bundes zu finden sind. Ich
bin froh sagen zu können, dass es sich einmal mehr um
einen Sporthaushalt handelt, der sich aus unserer Sicht
sehen lassen kann. Wir können erneut einen erheblichen
Aufwuchs verzeichnen - und das in Zeiten, wie sie
schwieriger kaum sein könnten. Mein ausdrücklicher
Dank hierfür gilt den Kolleginnen und Kollegen des
Haushaltsausschusses, insbesondere meiner Kollegin
Bettina Hagedorn und dem Kollegen Carsten Schneider,
die einmal mehr verlässliche Partner des Sports waren.
({0})
Mein Dank gilt auch Ihnen, Herr Minister Schäuble, sowie Ihrem Kollegen Steinbrück. Ohne Ihre Unterstützung wären wir vielleicht nicht dort, wo wir sind.
Aber auch das Parlament hat seine Hausaufgaben gemacht. Gestatten Sie mir daher bitte einige Anmerkungen zu den finanziellen Mitteln, die wir sozusagen on
top ausgehandelt haben. Es ist uns gemeinsam gelungen
- allerdings auf Initiative meiner Fraktion -, dafür zu
sorgen, dass für die Stiftung Deutsche Sporthilfe einmal mehr 1 Million Euro bereitgestellt werden.
({1})
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass es hierfür im
außerpolitischen Bereich durchaus Widerstände zu überwinden galt. Gestatten Sie mir die persönliche Bemerkung: Das finde ich ziemlich merkwürdig.
({2})
Mit der Förderung unserer Spitzenathletinnen und Spitzenathleten übernimmt die Stiftung Deutsche Sporthilfe
eine wesentliche Aufgabe im deutschen Sport.
({3})
Dafür verdient und bekommt sie auch im Jahre 2009 unsere Unterstützung.
({4})
Ein deutlicher Hinweis: Diese Maßnahme soll und
darf kein Signal an bisherige und vor allen Dingen an
künftige Sponsoren der Sporthilfe sein, sich jetzt entspannt zurückzulehnen. Nein, die Sporthilfe ist und
bleibt unsere gemeinsame Aufgabe.
Mit der Bereitstellung von 400 000 Euro für die Entsendung unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu
den World Games in Taiwan hat das Parlament ein gewolltes oder ungewolltes Versäumnis von BMI und/oder
DOSB geheilt. Wie Sie sehen, betreibe ich keine Ursachenforschung in der Tiefe. Wichtig ist heute die Botschaft an die nichtolympischen Verbände, dass wir ihre
Teilnahme an den World Games finanziell sichergestellt
haben.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Olympischen
Spiele in Peking sind Geschichte. London 2012 liegt vor
uns. Wir hätten uns bei den Olympischen Spielen in Peking in einigen Sportarten, auch in der Leichtathletik, ein
besseres Ergebnis gewünscht.
({6})
Mehr Geld sei vonnöten, war anschließend eine der
Hauptforderungen. Es stellt sich allerdings die Frage
nach der Verwendung zusätzlicher Mittel. So ist zum
Beispiel die Bedeutung der Sportwissenschaft unter
Fachleuten völlig unbestritten. Unsere Institute, IAT und
FES, leisten in den Bereichen der Trainingswissenschaft
und der Entwicklung von Sportgeräten anerkannt gute
Arbeit. Daher ist es richtig, auch hierfür zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
({7})
Natürlich geht die sportwissenschaftliche Forschung
über den von mir gerade genannten Bereich deutlich hinaus. Die Mitglieder des Sportausschusses, die an der
Delegationsreise nach Japan teilgenommen haben, konnten sich dort über den Stellenwert und die enorme finanzielle Förderung der Sportwissenschaft informieren. Ich
denke, die Forderung nach mehr Geld ist auch im Hinblick auf den deutschen Sport unverzichtbar. Nur so ist
der erforderliche Wissenstransfer zu gewährleisten.
Ich bedaure, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner nicht über die Förderung einer wegweisenden und
auf London 2012 ausgerichteten sportwissenschaftlichen
Forschung verständigen konnten, auf ein Projekt, das zuvor die ausdrückliche Unterstützung der Sportsprecher
aller Fraktionen bekommen hatte. An dieser Stelle wäre
es vernünftig gewesen, dem Sachverstand der Sportpolitiker zu folgen.
In der kommenden Sitzungswoche werden wir uns im
Sportausschuss erneut mit dem Thema Sportwissenschaft beschäftigen. Ich sage nicht ohne Grund: Für Eifersüchteleien zwischen den Protagonisten ist kein Platz
mehr. Auch im Hinblick auf die Sportwissenschaft muss
unser Ziel sein, den vor uns liegenden Weg gemeinsam
zu gehen.
Noch eine kurze Anmerkung zum Änderungsantrag
der Linken, die Mittel für das Sonderförderprogramm
„Goldener Plan Ost“ um 18 Millionen Euro zu erhöhen. Hier ist eine interessante Entwicklung zu beobachten: Im vergangenen Jahr haben Sie im Rahmen der
Haushaltsberatungen ebenfalls einen Änderungsantrag
zum Programm „Goldener Plan Ost“ eingebracht. Damals forderten Sie eine Erhöhung der Mittel auf „nur“
10 Millionen Euro, allerdings auch eine Ausweitung des
Plans auf alle Bundesländer. Heute greifen Sie noch ein
wenig tiefer in die Schatulle und fordern einen Aufwuchs der Mittel auf 20 Millionen Euro, jetzt allerdings
ausschließlich für die neuen Bundesländer. Ganz offensichtlich wissen Sie selbst nicht, was Sie wollen. Für solche Anträge - mal so, mal so - können Sie nicht ernsthaft unsere Zustimmung erwarten.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen insgesamt fünf Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/11030? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/11031? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/11032? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11027? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11028? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt II.7:
Einzelplan 16
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 16/10415, 16/10423 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Ulrike Flach
Anna Lührmann
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir
am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen
werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ulrike Flach von der FDP-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundesumweltminister hat im nächsten Jahr so viel Geld
zur Verfügung wie noch nie irgendein Umweltminister
vor ihm,
({0})
nämlich 1,4 Milliarden Euro. Und die Koalitionsfraktionen waren auch noch so gütig und haben noch 94 Millionen Euro obendrauf gelegt. Dieses Geld stammt aber zu
mehr als einem Drittel aus den Einnahmen aus dem Verkauf der Emissionszertifikate. 460 Millionen Euro der
insgesamt 900 Millionen Euro Einnahmen landen beim
Umweltminister.
Das sind die haushalterischen Fakten, und hier teilen
sich dann auch die politischen Welten. Sie, Herr Gabriel,
verteilen die Einnahmen aus der Veräußerung von Verschmutzungsrechten nach Gutsherrenart und ihrem politischen Gusto, die FDP gibt den Bürgern das Geld zurück.
({1})
Wir wollen die Bürger mit den 900 Millionen Euro
entlasten, indem wir die Stromsteuer absenken.
({2})
Herr Minister, man kann eben nicht mit dem Finger auf
die Stromkonzerne zeigen, wenn der Staat selbst den
Bürgern im letzten Jahr gleichzeitig 6,4 Milliarden Euro
Stromsteuer aus der Tasche gezogen hat.
({3})
900 Millionen Euro weniger Stromsteuer, das wäre eine
spürbare Entlastung für die Bürger und Unternehmen
und natürlich auch ein Beitrag zur Konjunkturbelebung,
über die wir heute Morgen ja so heftig gestritten haben.
Sie, Herr Gabriel, sagen uns dagegen, dass Sie die
Einnahmen für den Klimaschutz verwenden. Der Haushaltsausschuss war bereits so misstrauisch - und zwar
über alle Fraktionsgrenzen hinweg -, dass er Ihnen auferlegt hat, jedes Projekt mit einem Umfang von über
5 Millionen Euro vorher dem Ausschuss vorzulegen. Ich
habe mir dann den Spaß gemacht, die Projekte mit einem
Umfang von unter 5 Millionen Euro auch noch einmal
extra abzufragen.
Offensichtlich mit Recht: Der Klimaschutz ist bei Ihnen zu einem Nebenprodukt der Industriepolitik verkommen. Viele der Projekte, die Sie im Ausland anschieben, haben wenig Klimaschutzwirkungen, zumal
ihre Überprüfung nicht sichergestellt ist.
({4})
In der Vorlage haben Sie so verschämt dazugeschrieben: „enthält auch Elemente der Exportförderung“. Lieber Herr Gabriel, das ist Außenwirtschaftsförderung und
hätte an erster Stelle im Haushalt von Herrn Glos und
weniger bei Ihnen etwas zu suchen.
Was übrigens den inländischen Bereich betrifft: Das
sind Subventionen pur. Ist es wirklich Aufgabe des
Staates - fragen die Liberalen -, Pilotanlagen für die Industrie zu finanzieren, wie beispielweise eine Verzinkungsanlage für Stahlseile oder eine Anlage zur Wiederverwertung von Gummireifen? Ist es Aufgabe des
Bundes, für den Flugplatz in Köthen eine Biogasanlage
zu finanzieren oder für die Gemeinden dieses Landes
Laternen zu sanieren? Warum - das frage ich ganz gezielt die Haushälter der CDU/CSU-Fraktion, die ja so
wie wir immer gerne die Auffassung vertreten, Subventionen an dieser Stelle nicht vorzusehen ({5})
erhält Köthen mit einer Einsparung von 3 000 Tonnen
im Jahr 777 000 Euro, während für die Verzinkungsanlage bei einer Einsparung von 486 Tonnen aber 1 Million Euro gewährt werden? Das hat doch mit Einsparung
von CO2 rein gar nichts zu tun. Das scheint nicht im
Zentrum Ihres Handelns zu liegen. Das ist Subvention
pur, für wen auch immer, Herr Gabriel.
({6})
Fazit: Das Integrierte Klima- und Energieprogramm
klingt gut, ist nach Meinung der FDP in seiner Wirkung
aber mehr als zweifelhaft. Dies ist umso schmerzhafter,
als das von Ihnen selbst in Auftrag gegebene Element
des IKEP, die Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2, auf
die lange Bank geschoben wurde. Hiermit könnte man
nach Ihren eigenen Studien immerhin einen volkswirtschaftlichen Gewinn von 360 Euro pro Tonne CO2 erzielen. Aber gerade hier hat die Koalition mit dem Konjunkturprogramm und der unsinnigen und ökologisch
wie ökonomisch wirkungslosen Steuerbefreiung für
Neuwagen klimapolitisch gesündigt. Die CSU - wenn
ich das richtig verstehe - mit Horst Seehofer an der
Spitze will diese Klimaziele, so weich sie auch sind,
auch noch aufweichen.
({7})
Der Bundesumweltminister hat seine neue Rolle als
Füllhorn der Subventionen gefunden. Ich finde, das ist
ein schönes Bild für Herrn Gabriel. Auch sein eigener
Wahlkreis wird mit einer 30-Millionen-Spende für entgangene Gewerbesteuereinnahmen aus dem atomaren
Endlager bedacht. Da frage ich mich, wie viele Regionen
es wohl in diesem Lande gibt, die unter ähnlich guten
Bedingungen in Zukunft leben könnten. Der Wahlkreis
von Herrn Gabriel kriegt es bezahlt, die anderen nicht.
Das ist nun wirklich Subvention im eigenen Sinne pur.
({8})
Wer so offen Subventionspolitik als Umweltpolitik
verkauft, lieber Herr Kelber, kann mit der Unterstützung
der FDP nicht rechnen. Wir werden Ihrem Haushalt
nicht zustimmen.
({9})
Das Wort hat der Kollege Andreas Weigel von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Zahlen sind genannt worden. Das Volumen des Haushalts des Umweltministeriums steigt um 477 Millionen
Euro. Allein 460 Millionen Euro gehen in die Klimaschutzinitiative. Gemessen an dem, was wir zurzeit im
Rahmen der Finanzmarktkrise an Mitteln aufwenden, ist
das natürlich ein bescheidener Betrag. Aber mit diesem
Programm und diesem Geld bringen wir eine durchdachte und, wie ich meine, zukunftsweisende Klimapolitik auf den Weg. Wir zeigen damit, dass wir über die Tagespolitik hinaus Ziele und Themen formulieren, die
nachhaltig wirken und Bestand haben.
Wenn ich mir die Presse des heutigen Tages vor Augen halte, dann stelle ich fest, dass es um Themen geht,
über die man über den Tag hinaus diskutieren muss und
die man nicht dem Populismus preisgeben darf, indem
man kurzerhand fordert, bei den Klimazielen, die man
sich gesetzt hat, den einen oder anderen Weg nicht mehr
einzuschlagen, um zum Beispiel der Automobilindustrie
gegenüber Zugeständnisse zu machen. Ich halte das für
außerordentlich problematisch.
({0})
Das Klimaschutzprogramm des Umweltministeriums
gibt keine einfachen Antworten. Es gibt aber Lösungen,
die, wie ich meine, langfristig durchaus hilfreich und
wichtig für unser Land sind.
Im Bereich der industriellen Fragen diskutieren wir
über Programme zum Beispiel zur Fernwärmeversorgung, bei der wir im Bereich der CO2-Einsparung erhebliches Potenzial haben. Es gibt Projekte, die für unser
Land wichtig sind, die Modellcharakter haben und die
wir ausweiten müssen. Damit setzen wir durchaus ein
Zeichen für unsere Klimaschutzinitiative.
In der ersten Beratung des Haushaltes wurde stark bemängelt, dass wir im Bereich der Klimaschutzinitiative
im Jahr 2008 zu wenig getan haben. Frau Flach hat auf
diese Kritik hingewiesen, die von ihrer Fraktion mehrfach vorgebracht worden ist. Ich habe mich noch einmal
gründlich mit den Zahlen befasst und bin der Überzeugung, dass wir im Jahr 2008 durchaus richtig gehandelt
haben. Wir haben aus haushälterischer Sicht seriös und
richtig entschieden, zuerst die Programme und damit
auch die Förderrichtlinien für die Klimaschutzinitiative
zu besprechen und festzulegen, bevor wir dafür Geld zur
Verfügung stellen.
Wir haben die Mittel im Sommer dieses Jahres zur Verfügung gestellt, und die Zahlen sprechen für sich. Im Bereich des Marktanreizprogramms sind immerhin 245 Millionen Euro der zur Verfügung stehenden 350 Millionen
Euro ausgebracht worden. Für Projekte und Programmdurchführungen wurden 40 Millionen Euro von 70 Millionen Euro ausgebracht. Das ist zwar nicht alles, aber
gemessen an dem Zeitraum, den wir zur Verfügung hatten, nämlich insgesamt nur ein halbes Jahr, eine beachtliche Zahl. Das Ministerium mit Sigmar Gabriel an der
Spitze hat, wie ich meine, gut und richtig gearbeitet. Wir
Haushälter haben eine seriöse und solide Entscheidung
getroffen.
({1})
Es geht bei der Klimaschutzinitiative darum, einzelne
Modellprojekte im Inland wie im Ausland anzustoßen
und mit diesen Projekten einen deutlichen Multiplikationscharakter zu entwickeln, mit dem wir - ob in China
oder Russland, bei der internationalen Klimaschutzinitiative oder auf nationaler Ebene - dazu beitragen, dass
sich viele dazu bereit erklären, ebenfalls ähnliche Projekte auf den Weg zu bringen. Das hat nichts mit Subventionen zu tun; es sind vielmehr Vorreiterprojekte, die
für uns, unser Land und die Klimaschutzinitiative wichtig sind, weil sie die eingesetzten Mittel deutlich verstärken.
Ich glaube, dass wir im Jahr 2009 mit insgesamt
600 Millionen Euro viel Geld für die Klimaschutzinitiative zur Verfügung haben. Insgesamt werden 460 Millionen Euro der 600 Millionen Euro im Haushalt des BunAndreas Weigel
desumweltministeriums eingeplant. 140 Millionen Euro
gehen an andere Ministerien. Das ist im Kabinett so beschlossen worden. Ich glaube, diese Entscheidung ist für
das Jahr 2009 grundsätzlich richtig. Aber wir müssen
darauf achten, dass andere Ministerien, die Geld aus der
Klimaschutzinitiative erhalten, diese Mittel auch tatsächlich für eine konzertierte Klimaschutzinitiative des
Bundes einsetzen, statt sie für eigene Projekte zu verwenden, die nicht abgestimmt sind. Ich plädiere für eine
intensive Abstimmung in diesem Bereich.
({2})
Wir werden im nächsten Jahr genau darauf achten, ob
die Abstimmung erfolgt. Andernfalls müssen wir uns sicherlich noch einmal damit befassen. Ich bin der Auffassung, dass die Verantwortung für den Haushalt und
damit auch für die Klimaschutzinitiative beim Bundesumweltministerium liegt.
Ein weiteres großes Thema für den Haushalt 2009 ist
die Übernahme des Schachtes Asse als Endlager. Wir haben die Mittel aus dem Bundesministerium für Forschung
und Entwicklung an den Haushalt des Bundesumweltministeriums übertragen. Damit ist die Grundlage dafür
geschaffen, dass das Ministerium die Lösung der Endlagerproblematik Asse ordentlich und seriös angehen
kann. Wir wissen aber schon heute genau, dass diese finanzielle Grundlage von fast 90 Millionen Euro, die wir
eingesetzt haben, nicht ausreichen wird. Wir werden im
kommenden Jahr sehr intensiv darüber diskutieren, wie
hoch die finanziellen Aufwendungen sein werden, die
wir für den Schacht Asse erbringen müssen. Ich plädiere
sehr dafür, dass diese Aufwendungen nicht zu zusätzlichen Lasten für das Bundesumweltministerium werden,
sondern aus dem Gesamthaushalt finanziert werden.
Ich glaube, dass wir mit dem Haushaltsentwurf 2009
eine solide Grundlage geschaffen haben, insbesondere
im Hinblick auf die internationale Klimaschutzinitiative,
die an die Ergebnisse von 2008 anknüpft und hoffentlich
in den nächsten Jahren ihre Wirkung entfalten wird. Ich
möchte mich bei allen Berichterstattern zu diesem
Thema, beim Bundesumweltministerium und bei allen
anderen bedanken, die an der Vorbereitung mitgewirkt
haben. Ich wünsche dem Ministerium viel Kraft, Glück
und Erfolg bei der Ausbringung der Mittel im Jahr 2009.
({3})
Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich habe eine sehr wichtige Frage an Sie.
Man kann das Bundesumweltministerium nicht losgelöst
von den anderen Ministerien betrachten, sondern nur im
Zusammenhang. Frau Flach hat schon daran erinnert:
Als es im Haushaltsausschuss um das Klimaschutzprogramm ging, haben die Koalitionsfraktionen peinlich genau darauf geachtet, dass der Verkehrs- und der Wirtschaftsminister eingebunden sind. Es ging so weit, dass
sogar 100 000-Euro-Projekte im Haushaltsausschuss behandelt und abgesegnet werden mussten. Meine Frage
lautet nun: In dem Klimaschutzprogramm geht es um die
Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Waren Sie ebenfalls in
die Beratungen über das milliardenschwere Konjunkturprogramm eingebunden, durch das der CO2-Ausstoß mit
Millionen gefördert wird?
({0})
- Ich möchte genau das wissen. Es gab Verstimmungen
zwischen Herrn Glos und der Kanzlerin, ob er bei der
Bewältigung der Bankenkrise eingebunden werden
sollte. Meine Frage richtet sich an Herrn Gabriel.
Wenn man den Haushaltsentwurf 2009 einschließlich
des Konjunkturprogramms betrachtet, dann kann man
nur feststellen, dass von Klima- und Umweltschutz beim
besten Willen keine Rede mehr sein kann.
({1})
Die Ausgangslage war: Die Kanzlerin hat sich hier im
Haus als Klimaschützerin präsentiert und hat von Notwendigkeiten und moralischer Verantwortung gesprochen. Sie hat auf der Klimaschutzkonferenz im September letzten Jahres in New York gesagt, der Klimaschutz
sei ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft und für sie
eine moralische Notwendigkeit. Man muss sich die Zahlen genau anschauen und bedenken, dass Ihr Ministerium, Herr Gabriel, eines der zukunftsträchtigsten Ministerien sein könnte. Sie haben den höchsten Zuwachs bei
den Einnahmen aufgrund der Erlöse aus dem Zertifikatehandel und die höchste Ausgabensteigerung aufgrund
des Klimaschutzprogrammes zu verzeichnen.
Vor einem Jahr hat sich die Summe 400 Millionen
Euro vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe gewaltig
ausgenommen. Immerhin sind es dieses Jahr 460 Millionen Euro. Aber diese Summe nimmt sich vor den milliardenschweren Konjunkturprogrammen geradezu lächerlich
aus. In diesen Programmen spielt der Klimaschutz keine
Rolle. Ich darf daran erinnern, dass im Rahmen des Konjunkturprogramms 550 Millionen Euro allein für den
Bau von Autobahnen und Bundesfernstraßen an Direktinvestitionen ausgegeben werden. Das sind 90 Millionen Euro mehr als für das Klimaschutzprogramm.
({2})
Die Kfz-Steuer wird unter bestimmten Umständen ganz
einkassiert. Lediglich 5 Millionen Euro werden für das
CO2-Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt. Deswegen frage ich Sie: Wie waren Sie in die Verhandlungen eingebunden?
Man fragt sich, wo die kreativen Gedanken zur Umweltpolitik geblieben sind, von denen man so viel gehört
hat. Wo sind die ergriffenen Chancen? Wo ist die nachhaltige Investitionspolitik in den Bereichen Umwelt- und
Klimaschutz? Optionen gäbe es zuhauf. Ich erinnere an
die CO2-Gebäudesanierung, den Ausbau der KraftWärme-Kopplung, den Ausbau der Stromnetze, die Forschung im Bereich der regenerativen Energien oder den
Ausbau des Schienennetzes.
Damit komme ich zum nächsten Punkt. Wir haben
uns in letzter Zeit oft mit dem Schienennetz befasst.
Dafür sind lediglich 170 Millionen Euro an Direktinvestitionen vorgesehen. Es ist wirklich unglaublich:
Die Bahn kümmert sich derzeit nur um den Börsengang
und die Bonizahlungen, aber um die Verkehrsanbindung
kümmert sich die Bahn nicht.
({3})
Ich möchte dafür ein Beispiel nennen. Chemnitz ist
nach allen Prognosen ein aufstrebender Wirtschaftsstandort, Chemnitz hat eine viertel Million Einwohner,
aber Chemnitz ist die einzige Stadt in Deutschland in
dieser Größenordnung, die nicht an das ICE-Netz angeschlossen ist. Wenn Sie das nachprüfen wollen, können
Sie sich gerne mit dem Wirtschaftsminister von Sachsen,
Ihrem Parteikollegen Herrn Jurk, unterhalten. Der hat
genau dies heute in der Freien Presse moniert. Im Übrigen ist nicht nur Chemnitz vom Fernverkehr abgekoppelt, sondern ganz Sachsen. Man kommt mit dem ICE
nicht von der Bundeshauptstadt in die Landeshauptstadt
Dresden. Nach Chemnitz führt nicht einmal eine Direktverbindung der Deutschen Bahn.
({4})
Wenn diese schwarz-rote Regierung jetzt Milliarden
in die CO2-Schleuder Auto investiert, dann ist das Klimaschutzprogramm das Papier nicht wert, auf dem es
steht. Herr Minister Gabriel, wenn die anderen Ministerien, ohne sich mit Ihnen abzusprechen, so viele Millionen in den Straßenverkehr investieren können, Sie aber
auf der anderen Seite für jede Million, die Sie für den
Klimaschutz ausgeben wollen, das Okay von Wirtschafts- und Verkehrsminister einholen müssen, dann
würde ich mir an Ihrer Stelle den Kopf darüber zerbrechen, wie hoch der Stellenwert des Klimaschutzes bei
der Kanzlerin tatsächlich ist. Meine Fraktion kann jedenfalls unter diesen Bedingungen diesem Haushalt auf gar
keinen Fall zustimmen.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Natürlich haben die Ereignisse auf den Finanzmärkten den Bundeshaushalt verändert. Das ist selbstverständlich. Aber ich möchte eines ganz deutlich sagen:
Trotz der Finanzkrise wird beim Klimaschutz nicht gespart. Das noch einmal klar zu Ihnen von der Opposition!
({0})
Die Zahlen wurden genannt. Es handelt sich um einen
Haushalt von 1,4 Milliarden Euro für 2009. Das sind
über 570 Millionen Euro mehr als 2008. Daran sieht man
die Bedeutung dieses Haushalts.
Es ist auch zu einer Verstetigung gekommen. Darüber
haben wir in der letzten Zeit sehr oft diskutiert. Es kam
zu einer Verstetigung bei klimaschützenden Programmen. Als Beispiel nenne ich das Marktanreizprogramm.
Schon im letzten Jahr wurden die Mittel dafür erhöht,
aber jetzt haben wir auch die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit der Durchführung dieser
Aufgabe betraut sind, verbessert. Befristungen wurden
abgeschafft, was deutlich zeigt, dass das Marktanreizprogramm keine befristete Aufgabe ist. Vielmehr ist und
bleibt die Förderung der erneuerbaren Energien eine
Daueraufgabe.
({1})
Ich möchte etwas zum Naturschutz sagen. Es ist der
Bundesregierung gelungen, im Rahmen der G-8-Präsidentschaft das Thema Biodiversität ganz oben zu platzieren. Bei der Vertragsstaatenkonferenz in Bonn ist ein
weltweiter Aufbruch zum Schutz der Natur gelungen,
({2})
und die Regierung hat eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossen.
({3})
Deshalb ist es auch richtig, dass wir dahinterstehen, und
deshalb ist es richtig, dass das Bundesamt für Naturschutz in diesem Bereich personell verstärkt wird.
({4})
Ich möchte einen Punkt ansprechen, bei dem wir besonders verantwortungsbewusst sein müssen, nämlich
die Endlagerung radioaktiver Stoffe. Die Linke stellt
während der Haushaltsberatungen immer wieder Anträge mit dem Standardsatz: Die Linke lehnt die Einrichtung des Endlagers Konrad ab. Dann gibt es eine Presseerklärung mit dem Inhalt, die Asse müsse ausgeräumt
werden. Ich glaube, das war die von Herrn Hill. Man
muss den Menschen deutlich sagen, dass die Abfälle da
sind,
({5})
natürlich aus Atomkraftwerken, aber auch aus der Industrie, der Forschung und der Medizin.
Im Augenblick wird über verschiedene Optionen des
Zurückholens diskutiert. Wenn man vorschnell das Ausräumen fordert, dann stellt sich die Frage: Wohin soll
denn ausgeräumt werden? Da bleibt doch nur das Endlager Konrad. Sie sind doch völlig auf dem falschen
Dampfer, wenn Sie beides nicht wollen.
({6})
Eine konstruktive und verantwortungsvolle Politik
- ich hoffe, Sie kennen diese Begriffe überhaupt - sieht
ganz anders aus.
Ich möchte darauf zu sprechen kommen, dass die Forschungsministerin und der Umweltminister eine Lösung
für die Probleme der Asse erarbeitet haben.
({7})
Das Ergebnis fließt in diesen Bundeshaushalt ein, Frau
Flach. Das Umweltministerium übernimmt die finanzielle und personelle Verantwortung. Mittel aus dem Forschungshaushalt werden in den Umwelthaushalt umgeschichtet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Bergwerks werden von dem neuen Betreiber übernommen. Auch das ist, finde ich, richtig und wichtig. Zusätzlich werden über 4 Millionen Euro investiert und 80 neue
Stellen beim Umweltministerium und beim Bundesamt
für Strahlenschutz geschaffen. Das ist ein starkes Signal,
dass die Sorgen der Menschen ernst genommen werden
und dass jetzt zügig an einer Lösung gearbeitet wird.
({8})
Ich möchte sagen, was für mich bei den Endlagern an
erster Stelle steht: die Sicherheit.
({9})
Ich möchte die Frage stellen, ob sich der Bund an Unternehmen, die Endlager bauen oder betreiben, stärker beteiligen sollte. Dadurch würden viele Probleme, die jetzt
noch da sind, gelöst.
({10})
- Sie sind zwar Hauptberichterstatter, aber das haben Sie
gerade nicht verstanden.
({11})
- Ja.
In den vergangenen Wochen haben wir uns sehr intensiv mit dem Rettungspaket für den Finanzmarkt beschäftigt; deshalb möchte ich auch das noch ansprechen. Wir
haben in den Debatten klargestellt: Da geht es nicht um
einen Rettungsschirm für Banken oder Banker; dieser
Schirm soll vielmehr dazu dienen, die Sparerinnen und
Sparer nicht im Regen stehen zu lassen. Außerdem soll
er dazu dienen, dass die Wirtschaft so stabil wie möglich
bleibt. Das ist der Sinn dieser Angelegenheit.
({12})
Ich meine, auch beim Klimaschutz stehen die Menschen
im Mittelpunkt. Die Arbeitsplätze haben die höchste
Priorität. Auch wenn man das kurzfristig sieht - andere
sehen das vielleicht langfristig -, steht das an erster
Stelle.
In diesen Tagen wird auf europäischer Ebene über die
Zukunft des Emissionshandels verhandelt. Ich freue
mich, dass zwischen den betroffenen Ministerien, Umwelt und Wirtschaft, eine Einigung hergestellt worden ist.
Ich hoffe, das ist früh genug geschehen; denn besonders
die Bereiche Stahl, Papier und Chemie sind gefährdet, je
nachdem, was bei den Verhandlungen auf europäischer
Ebene herauskommt. Auch andere Branchen könnten davon sehr betroffen sein, zum Beispiel in meiner Heimat
die Zementindustrie. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Wettbewerbsfähigkeit auch der energieintensiven Industrien, also derjenigen Industrien, die zwangsläufig einen
hohen CO2-Ausstoß haben, keinen Schaden nimmt.
({13})
Uns ist überhaupt nicht geholfen, wenn unsere effizienten, effektiven Industrien mit möglichst geringem
CO2-Ausstoß durch bestimmte Maßnahmen dazu gezwungen werden, ihren Standort zu verlagern.
({14})
Davon hat das Klima in der Welt überhaupt nichts, und
wir haben hier nur Nachteile. Deshalb wünsche ich der
Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel sehr
viel Erfolg.
Danke.
({15})
Das Wort hat der Kollege Hans-Josef Fell von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „Wir müssen alles tun, um das Klimaproblem zu
lösen“ - ein richtiger und wichtiger Satz, den ich häufig
von Kanzlerin Merkel und Umweltminister Gabriel
hörte. Ich frage mich aber, warum Sie dann nicht alles
tun, um das Klimaproblem zu lösen, Herr Umweltminister.
Der Neubau von Kohlekraftwerken zementiert den
Ausstoß klimaschädlicher CO2-Emissionen über Jahrzehnte. Gemeinsam mit der Kanzlerin kämpfen Sie in
Brüssel dafür, dass deutsche Autos auch in Zukunft
möglichst viel Sprit saufen dürfen. Die deutsche Automobilindustrie wird aber doch nicht am Spritschlucker
genesen.
Die Spitze der Uneinsichtigkeit kommt gerade vom
neuen bayerischen Ministerpräsidenten, Herrn Seehofer.
Er hat allen Ernstes behauptet, dass Jobs wichtiger seien
als Klimaschutz. Er übersieht, dass Klimaschutz Arbeitsplätze schafft.
Haben Sie, Herr Seehofer, Frau Merkel, Herr Gabriel,
immer noch nicht begriffen, warum General Motors, der
ehemals größte Automobilkonzern der Erde, aktuell vor
dem Konkurs steht und seit Monaten Zehntausende von
Arbeitslosen produziert? Jahrzehntelang haben die Konzernmanager ökologische Grundsätze missachtet. Sie
haben übersehen, dass wegen der Endlichkeit der Erdöl20318
ressourcen die Preise so stark steigen werden, dass viele
Menschen den Sprit für die klimazerstörenden Autos gar
nicht mehr bezahlen können. Was wir endlich brauchen,
sind erdölfreie Null-Emissions-Autos und eine klare
politische Unterstützung dafür statt halbherziger Maßnahmen der Großen Koalition.
({0})
Der neu gewählte Präsident der USA, Barack Obama,
hat dies klar erkannt. Er stellt in den Mittelpunkt seines
Konjunkturprogramms: Schulen und erneuerbare Energien. Das ist richtig so; dies sind genau auch die grünen
Vorschläge.
Auch im heute zu verabschiedenden Umweltetat können wir erkennen, dass die Große Koalition nicht alles
tut, um Klimaschutz zu leisten. Es ist ein Etat, der hohe
Altlasten aus den Atomenergiesünden der Vergangenheit
zu bewältigen hat, der nur halbherzig die Chancen der
erneuerbaren Energien aufgreift und der immer noch am
alten, fossilen Energiesystem festhält.
Im Bundeshaushalt 2009 soll allein für die Endlagerung in der Asse mit 90 Millionen Euro fast das Dreifache der Mittel für die Windenergieforschung - sie soll
vom BMU gerade mal 35 Millionen Euro erhalten - ausgegeben werden. Angesichts der Kostenentwicklung ist
anzunehmen, dass allein für die Asse bald mehr Mittel
ausgegeben werden als für die Erforschung aller erneuerbaren Energieträger zusammen. Wenn wir die gesamten Energiekosten der alten Atomanlagen und der Endlager zusammenrechnen, wird klar: Für die Bewältigung
der atomaren Vergangenheit zahlen wir bereits heute ein
Vielfaches der Mittel, die wir für Forschung und Entwicklung sämtlicher erneuerbaren Energien und Einspartechnologien zusammen ausgeben. Und dann reden
Sie von der Union immer noch von billiger Atomenergie!
({1})
Die Atomkonzerne hingegen drücken sich weitgehend um ihre Verantwortung. Die gleichen Konzerne
wollen ihre Kohlekraftwerke in den nächsten Jahren mit
Milliarden subventionieren lassen. Bundeswirtschaftsminister Glos hat bereits 1,7 Milliarden Euro zugesagt.
SPD und Union setzen dabei blind auf eine Kohletechnologie, die heute noch nicht einmal zur Verfügung
steht.
({2})
Sie kehren die Probleme in Machbarkeitsutopien für sogenannte saubere Kohle unter den Boden.
({3})
Real stoßen auch die neuen Kohlekraftwerke Millionen
von Tonnen CO2 in die Atmosphäre, und daran ändern
auch die PR-Konferenzen von Vattenfall nichts.
Der Umweltminister und der Finanzminister setzen
stattdessen auf Steuererhöhungen für reine Biokraftstoffe, die wesentlich ökologischer hergestellt wurden
als die Biokraftstoffe, die von den Mineralölkonzernen
im Hinblick auf den Beimischungszwang benötigt wurden; dafür wurden Urwälder abgeholzt, und das kann
nicht das Ziel sein.
({4})
Mit der Besteuerung der reinen Biokraftstoffe haben Sie
eine wichtige ökologische Alternative zum Erdöl im
Keim zerstört - und gleichzeitig Tausende heimische Arbeitsplätze im Mittelstand. Das ist Ihre Antwort auf die
Rezession.
Wer heute noch auf Erdöl setzt, sei es in der Automobilindustrie oder im Heizungsbau, dem ist nicht zu
helfen. Über die vielen Millionen Euro, die Umweltminister Gabriel dazu missbraucht, dass aus dem Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien stinknormale
Ölbrennwertkessel subventioniert werden, freuen sich
nur die Mineralölkonzerne; das schadet den Verbrauchern - über hohe Energiekosten - und dem Klima.
Anstatt auf knappe Energieträger und veraltete Technologien zu setzen, müssen wir bis 2030 unsere Stromversorgung vollständig auf erneuerbare Energien
umstellen. Das ist realistisch und möglich, allen Argumenten der Energiekonzerne zum Trotz. Wenn wir dies
anstreben, tun wir im Energiesektor wirklich alles, um
das Klima zu schützen.
({5})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar
Gabriel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich zuerst das Wichtigste machen, nämlich mich
bei den Koalitionsfraktionen dafür bedanken, dass sie etwas mitgemacht haben, was nicht selbstverständlich ist.
({0})
Dass in einer solchen Situation die Große Koalition
- Sie wissen, Geld macht bekanntlich sinnlich - die Einnahmen aus dem Emissionshandel jedenfalls zum ganz
überwiegenden Teil dem Bundesumweltministerium für
Klimaschutzpolitik zur Verfügung gestellt hat, zeigt,
dass die Große Koalition bereit ist, sich im Umweltsektor und in der Klimaschutzpolitik große Ziele zu setzen.
Diese hat sie ja auch zum Teil schon erreicht. Vielen
Dank, meine Damen und Herren, dass Sie hierzu bereit
waren.
({1})
Ich bedanke mich auch in aller Offenheit dafür, dass
Sie akzeptiert haben, dass die Wahrnehmung immer
weiterer Aufgaben zum Beispiel bei der Chemikaliensicherheit und der Reaktorsicherheit bedingt, dass der Personalabbau in einer Reihe unserer Behörden nicht fortgesetzt werden kann, sondern es im Gegenteil nötig ist,
zusätzliches Personal bereitzustellen. Auch das ist in solchen Zeiten nicht selbstverständlich. Ich glaube, dass
man auch als Minister und Teil der Regierung an dieser
Stelle dem Parlament zu danken hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber im
Wesentlichen ein paar der Scheinargumente aufgreifen,
die eben Herr Fell und Herr Leutert vorgetragen haben.
Ich fange einmal mit Herrn Leutert an. Ich akzeptiere,
dass nicht jeder den Unterschied zwischen Verpflichtungsermächtigungen und Barmitteln kennt, aber ein
Mitglied des Haushaltsausschusses sollte diesen kennen.
({2})
Im Haushalt, Herr Leutert, steht - das stimmt -, jeweils
plus 1 Milliarde in 2009 und 2010 für die beschleunigte
Umsetzung von Verkehrsinvestitionen. Das sind, wie
wir beide wissen, seit wir die Grundschule besucht haben, wie viel zusammen? 2 Milliarden Euro. Was steht
weiterhin dort? Plus 3 Milliarden Euro in 2009 und 2010
für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Sie haben
eben der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag
schlicht Unfug erzählt, es sei denn, Sie sind der Meinung, dass 3 Milliarden weniger sind als 2 Milliarden.
Dann allerdings müsste ich die Vermutung, Sie hätten
die Grundschule besucht, doch noch revidieren.
({3})
- Nein, der Unterschied, den Sie nicht erkannt haben, ist
der Unterschied zwischen Barmitteln und Verpflichtungsermächtigungen. Aber vielleicht kann man das im
Haushaltsausschuss noch einmal in Seminarform nachholen.
({4})
- Ja, gut, okay. Versuchen Sie, es noch einmal zu überprüfen.
Weiterhin sagten Sie, im Konjunkturprogramm
stehe nichts drin. Ich antworte Ihnen: Unter anderem
steht da drin:
Zusätzliches KfW-Finanzierungsinstrument mit einem Volumen von 15 Mrd. Euro.
Dazu zählt zum Beispiel die Absicherung der hohen Investitionen in Offshore-Windparks, deren Betreiber natürlich auch in Schwierigkeiten geraten sind. Ich kann
das noch ein bisschen fortsetzen. Ich wollte nur einen
Hinweis darauf geben, dass das Halten einer schlanken
Rede nicht unbedingt zwingend etwas mit der Realität zu
tun hat.
Nun komme ich zu den Ausführungen des Kollegen
Fell. Neben allen notwendigen Unterschieden möchte
ich Ihnen insbesondere sagen, dass ich glaube, dass Sie
zu den Rednern des Deutschen Bundestages gehören, die
das EU-Klima- und Energiepaket auf internationalen
Veranstaltungen - hier treten Sie ja auch als Redner auf massiv hintertreiben und damit dazu beitragen, dass unsere Verhandlungen über den Emissionshandel kaum
öffentliche Unterstützung erfahren. Im internationalen
Bereich fordern Sie sogar das Gegenteil dessen, wozu
wir aufgefordert wurden, uns weltweit in Verhandlungen
einzusetzen, nämlich die Durchsetzung eines starken
Emissionshandels. In Ihren Redebeiträgen erwähnen Sie
den Emissionshandel mit keinem einzigen Wort. Ich
weiß auch, warum. Würden Sie den Emissionshandel erwähnen, würde sich Ihre Kohlediskussion in Luft auflösen, und zwar in schlechte.
({5})
Ein starker Emissionshandel begrenzt die Emissionen.
({6})
Ich weiß, dass Sie gerne vergessen machen wollen, dass
während der Zeit, in der Ihre Partei an der Regierung beteiligt war, die CO2-Emissionen um ganze 2 Millionen
Tonnen gesenkt wurden. Dagegen haben wir sie bis zum
1. Januar 2008 um fast 60 Millionen Tonnen gesenkt.
Der Emissionshandel führt dazu, dass die Zahl der Kohlekraftwerke keine Auswirkungen auf die Menge der
CO2-Emissionen hat, sondern nur auf den Preis von CO2.
Darüber wollen Sie nicht mehr reden. Sie möchten das
verschweigen.
({7})
Ich sage Ihnen: Würden wir das tun, was Sie wollen
- leider setzen Sie sich dafür ja öffentlich international
ein -, würden wir das europäische Klima- und Energiepaket wirklich gefährden. Sie gehören nicht mehr zu den
Verteidigern des europäischen Klima- und Energiepakets.
({8})
- Doch, sonst würden Sie das Wort „Emissionshandel“
ja einmal in Ihren Reden aussprechen. Das tun Sie nicht,
stattdessen führen Sie eine Schein-Kohledebatte, die mit
der Realität nichts zu tun hat.
({9})
Zweitens. Derzeit verhandeln 27 Mitgliedstaaten über
CO2 und Pkw. Ich sage Ihnen, wir kommen zu einer Regelung. 120 Gramm CO2 sind ab 2012 die Obergrenze.
Wir streiten nun noch über die Frage, ob es im Jahr 2012
65 Prozent oder 100 Prozent der Pkw sind. Spätestens
2015 sind es 100 Prozent. Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass eine möglichst kostensparende Einführung in der Automobilindustrie das Klimaproblem
schafft?
Ich verstehe den Ärger darüber, dass man das nicht
früher gemacht hat. Unterschätzen Sie aber nicht, welche
Bedeutung es hat, dass wir gerade beschließen, im Jahr
2020 95 Gramm vorzugeben, also der Industrie zu
sagen, wo sie hin soll. Es gibt 27 Mitgliedstaaten, wodurch es einige Schwierigkeiten gibt.
Wenn Sie für eine Erdölfreiheit eintreten, dann müssen Sie entscheiden, wofür Sie sind. Sind Sie für Biokraftstoffe oder - wie in anderen Reden im Bundestag dagegen?
({10})
Wir setzen auf die Steuerfreiheit der zweiten Generation von Biokraftstoffen bis zum Jahr 2015. Das müssten Sie doch wissen. Wir reden aber nicht über die Rapsmühle des Bäuerleins,
({11})
sondern wir reden über Hochtechnologie. Das ist eben
nicht unser Fehler. Wir wollen dafür sorgen, dass sich
die Konkurrenz zwischen Tank und Teller nicht immer
weiter ausbreitet. Sie verschweigen völlig, dass die Bundesregierung eine Nachhaltigkeitsverordnung beschlossen hat und dass die Europäische Union gerade dafür
sorgt, dass diese europaweit eingeführt werden soll, damit der billige Import von Palmöl und Sojaöl aufgrund
der Abholzung von Regenwäldern nicht stattfindet. All
das verschweigen Sie.
({12})
Sie sind immer präzise bei 50 minus 1 Prozent der
Wahrheit unterwegs. Sie liegen stets 1 Prozent unter der
Hälfte der Wahrheit. Ich finde, das muss man im Deutschen Bundestag einmal sagen.
Das gilt auch für die Debatte, die Sie über die Frage
führen, wofür wir eigentlich Geld ausgeben. Sie haben
gerade behauptet, das Bundesumweltministerium würde
im Marktanreizprogramm für Öl-Brennwertkessel
Geld ausgeben. Sie verschweigen hier, dass dies nur in
Kombination mit erneuerbarer Wärme funktioniert und
dass dies das einzige nachgefragte Programm in der Altbausanierung ist, das im Handwerk Jobs erhält und dazu
führt, dass wir unabhängiger von Erdöl und Erdgas werden. Das ist wieder weniger als die Hälfte der Wahrheit.
({13})
Das ist Ihre Politik, weil das für Sie die einzige
Chance ist, öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen. Sonst
müssten Sie zugeben, dass Sie froh wären, wenn Sie in
Ihrer Regierungszeit auch nur die Hälfte dessen erreicht
hätten, was die Große Koalition hier erreicht hat. Das ist
eigentlich das, was Sie aufregt.
({14})
Ich verstehe das, ich habe dafür ein gewisses Maß an
kollegialem Verständnis. Sie müssen aber damit rechnen,
dass Ihnen widersprochen wird.
Zu der Bemerkung der Kollegin Flach möchte ich sagen: Der Bundeshaushalt beinhaltet im Bereich der Klimapolitik eine Steigerung von rund 800 Millionen Euro
im Jahr 2005 auf jetzt über 3 Milliarden Euro. Vor allem
aber steigert er im Umweltschutzbereich die Ausgaben
von 4 Milliarden Euro auf 5,5 Milliarden Euro. Im Bundesumweltministerium liegt hierbei der größte Anteil im
Marktanreizprogramm. Ich wundere mich darüber, wie
eine Vertreterin einer angeblich wirtschaftsfreundlichen
Partei darüber spricht. Dieses Marktanreizprogramm hat
zur Folge, dass im nächsten Jahr im Bereich von Klimaschutz und Energieeffizienz eine Investition von 4 Milliarden Euro erfolgt. Das sind 4 Milliarden Euro in den
Haushalten in Deutschland. Das ist ein massives Programm. Die Deutsche Bank sagt, dass dies das größte
Programm zur Stabilisierung der Beschäftigung im
Handwerk ist.
({15})
Von daher verstehe ich Ihre Kritik an diesem Punkt
nicht. Zu einer Steigerung der Mittel des Bundesumweltministeriums auf mehr als das Doppelte und zu einer
Steigerung der Mittel für Klima- und Umweltschutz im
Bundeshaushalt um rund 40 Prozent kann man schon sagen, dass dies ein großer Erfolg der Großen Koalition ist.
Das gilt jedenfalls dann, wenn der Haushalt in Zahlen
gegossene Politik ist.
({16})
Ich glaube, dass wir als Große Koalition mit den rund
30 Gesetzen und Verordnungen zum Klimaschutz, mit
dem Erreichen und zum Teil Übertreffen der deutschen
Klimaschutzziele im Kioto-Protokoll bereits im Jahr
2010, mit einem Minus von 36 Prozent CO2-Emissionen
im Rahmen des Integrierten Klima- und Energieprogramms, mit dem EEG, mit dem Wärme-EEG, mit der
Kraft-Wärme-Kopplung, mit der Energieeinspeiseverordnung und mit vielem anderen mehr zu Recht sagen
können: Deutschland ist europaweit und international
das einzige Land, das es geschafft hat, damit zu beginnen, seine ehrgeizigen Ziele in tatsächliche Politik umzusetzen. Ich sage nicht, dass das das Ende dessen ist,
was wir erreichen müssen. Ich sage nicht, dass wir nicht
noch mehr tun könnten. Ich sage nicht, dass wir damit in
Zukunft zufrieden sein können. Gelegentlich muss man
aber denen, die in Bürgerinitiativen und in Umweltverbänden dafür eintreten, dass man solche Politik macht,
auch einmal signalisieren, dass ihr Eintreten erfolgversprechend gewesen ist und dass sie Mut haben sollen,
weiterzumachen, die Politik und die Wirtschaft dazu zu
drängen. Man muss ihnen sagen, dass man damit Erfolg
haben kann. Wenn man alles immer nur in Grund und
Boden redet, macht man den Menschen keinen Mut. Ich
finde, es gibt guten Grund, gerade jetzt weiter in Klimaschutz und Effizienztechnologien zu investieren; denn
das schafft Arbeitsplätze, sichert nachhaltiges Wachstum
und schützt das Leben zukünftiger Generationen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Michael Leutert.
Herr Minister, meine Schulausbildung war recht gut.
Ich habe zehn Jahre die Polytechnische Oberschule und
dann das Gymnasium besucht. Ich kann sehr wohl rechnen und auch lesen. Ich möchte daran erinnern: Nicht
wir von der Linken sind diejenigen gewesen, die gesagt
haben, 0 Prozent Mehrwertsteuererhöhung plus 2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung sind 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung, sondern das waren Ihre Regierung, Ihre
Koalition, Ihre Fraktionen.
({0})
So weit zum Rechnen; das können wir ganz gut.
({1})
Zweitens zum Lesen. Ich habe nicht von den Ausgaben in diesen Bereichen gesprochen, sondern von den
zusätzlichen Ausgaben im Konjunkturprogramm. Dazu
gibt es eine Drucksache - die Drucksachennummer reiche ich Ihnen gern nach -, in der ausdrücklich steht: Förderung von Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung „CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ der KfWFörderbank: 0 in 2009, Verpflichtungsermächtigung
580 Millionen Euro; Zuschüsse im Rahmen des Programms zur energetischen Gebäudesanierung „CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ der KfW-Förderbank: Ausgaben in Höhe von 5 Millionen Euro in 2009,
Verpflichtungsermächtigung ebenfalls 5 Millionen Euro.
Das habe ich hier erwähnt und nichts anderes.
Zur Erwiderung, Herr Minister.
Herr Kollege Leutert, Sie haben gesagt, dass wir Verkehrsinvestitionen von mehreren Milliarden Euro tätigen
würden und dass lediglich 5 Millionen Euro auf zusätzliche Klimaschutzmittel beim Gebäudesanierungsprogramm entfielen. Ich stelle noch einmal fest: Es gibt einen Unterschied zwischen Barmitteln - die für die
Verkehrsinfrastruktur aufgewendet werden - und Verpflichtungsermächtigungen; sie betreffen Programme in
der Gebäudesanierung, die, wie bisher auch, über acht
Jahre laufen. Diese Haushaltssystematik müsste Ihnen
klar sein. In den Jahren 2009 bis 2011 sind insgesamt
3 Milliarden Euro mehr für die CO2-Gebäudesanierung
vorgesehen. Wenn ich mich richtig an meine Grundschulzeit erinnere, dann sind 3 Milliarden 1 Milliarde
mehr als 2 Milliarden. Das wollte ich klarstellen. Sie haben einen Eindruck vermittelt, von dem ich meinte, dass
man ihn richtigstellen muss, und ich glaube, das ist auch
gelungen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon bemerkenswert: Man konnte den Umweltminister
zu den meisten Dingen, die er in Richtung der Grünen
gesagt hat, nur beglückwünschen.
({0})
Ich bin gespannt, wie Sie als SPD nach der nächsten
Bundestagswahl mit einer Fraktion koalieren wollen, die
das Klimaprogramm der Europäischen Union hintertreibt. Das war eine sehr starke Aussage, die der SPD zu
denken geben sollte.
({1})
Auch inhaltlich hat der Minister natürlich völlig recht,
wenn er den Emissionshandel als zentralen Punkt des
Klimaschutzprogramms der Europäischen Union darstellt. Wir sollten uns noch einmal klarmachen, was der
Emissionshandel bringt. Er bringt eine effiziente Umsetzung der Klimaschutzziele. Vor allem aber - das sollte in
dieser Umweltdebatte besonders interessieren - ist der
Emissionshandel das einzige Instrument, das qua Definition das Ziel erreicht, weil schlichtweg nicht mehr Emissionsrechte ausgegeben werden, als man für ökologisch
verträglich hält. Deshalb ist der Emissionshandel so
wichtig für die Umwelt und nicht nur für die Wirtschaft.
({2})
Deshalb wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, wenn wir
uns auch beim Thema Pkw etwas stärker konzeptionell
Gedanken über den Emissionshandel machten. Denn
würden wir den Verkehr in den Emissionshandel einbeziehen, würden die ökologischen Ziele auch hier automatisch erreicht, und wir könnten uns die enervierenden
Diskussionen über 120, 125 oder 130 Gramm, die potenziell aus dem Auspuff kommen, sparen; denn dann
würde tatsächlich das gedeckelt, was aus dem Auspuff
kommt, und zwar je nach Fahrleistung und nicht nur potenziell.
({3})
Die Debatten, die momentan um den Emissionshandel in der Europäischen Union, auch in den Bundesländern, geführt werden, sind zum Teil nicht zielführend.
Ich kann verstehen, wenn Bundesländer regionale Interessen haben. Auch mein Bundesland hat regionale Interessen angemeldet. Aber wenn beispielsweise Herr
Wulff und Herr Schmoldt davon sprechen, man solle
doch bitte die Entscheidung über das Klimapaket der
EU verschieben, dann kann ich nur sagen, dass das nicht
nur die Klimaschutzziele, sondern auch die Investitionssicherheit deutscher Unternehmen gefährdet.
({4})
Denn dieses Paket wird seine Wirkung erst 2013 entfalten. Dann befinden wir uns hoffentlich wieder in einer
Aufschwungsphase. Die Unternehmen, die ihre Investitionen für die Zukunft planen, müssen aber schon heute
Investitionssicherheit haben. Wenn sie diese Sicherheit
jetzt nicht bekommen, dann werden sie die Investitionen
verschieben müssen. Das wäre tatsächlich Gift für die
Konjunktur.
({5})
Was den Emissionshandel angeht, so gibt es momentan in den Verhandlungen Entwicklungen, die ich aufgrund eines Vergleichs mit den Vorgaben, die der Deutsche Bundestag der Bundesregierung mit auf den Weg
gegeben hat, ziemlich negativ finde. Beispielsweise
schlägt Frankreich vor, dass 50 Prozent der Mittel aus
den Versteigerungserlösen zweckgebunden sein sollen.
Das hat nichts mit der Position zu tun, die der Deutsche
Bundestag beschlossen hat, nämlich dass über das Versteigerungsaufkommen national entschieden wird. Ich
erwarte von Ihnen, dass Sie diese deutsche Position im
Ministerrat durchsetzen.
({6})
Umweltpolitik ist mehr als nur Geld ausgeben. Deshalb ist die Tatsache, dass der Haushalt so groß ist wie
noch nie zuvor, allein noch kein Beweis für eine gute
Umweltpolitik. Man muss sich einmal anschauen, was
bei den Dingen passiert, die kein Geld kosten und bei denen das Umweltministerium einfach seine Hausaufgaben
machen muss. Sie haben die Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung angesprochen. Wir sind uns hier im
Hause einig, dass in Blockheizkraftwerken kein Palmöl
eingesetzt werden soll, das auf Flächen angebaut wird,
auf denen vorher Regenwald zu finden war. Wir wollen
Palmöl, das auf nachhaltige Weise gewonnen wurde.
Das ist richtig.
Sie sagen, dass die Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung im Kabinett verabschiedet wurde. Diese Verordnung ist aber nicht in Kraft getreten. Am 1. Januar tritt
die EEG-Novelle in Kraft, und dann werden die Blockheizkraftwerke kein Palmöl mehr einsetzen können, weil
sie nicht nachweisen können, dass dieses Öl aus nachhaltigem Anbau stammt. Sie treiben die Unternehmen in
die Insolvenz, weil Sie es versäumen, hier entsprechende
Übergangsregelungen zu treffen.
({7})
- Aber dann müssen Sie Übergangsregelungen treffen,
wenn die Europäische Union Probleme macht. Das versäumt die Bundesregierung.
({8})
Hinsichtlich des CCS-Gesetzes müssen wir noch in
dieser Wahlperiode Klarheit schaffen, wie die Pipelines,
die das von Kohlekraftwerken abgeschiedene CO2 aufnehmen sollen, genehmigt werden können. Das ist nicht
nur eine Frage der europäischen Verordnung, sondern
auch eine Frage nationaler Gesetze. Hier muss die Bundesregierung zumindest skizzieren, wie ein nationales
Gesetz aussehen soll, damit wir direkt nach Verabschiedung der entsprechenden europäischen Verordnung das
Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode abschließen können. Hier vernachlässigt die Koalition momentan ihre Aufgaben, was die langfristige Sicherung einer CO2-armen Kohleverstromung angeht.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
im Jahr 2008 im Umweltbereich eine Vielzahl wichtiger
Gesetze beschlossen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz
und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz waren für
uns Umweltpolitiker sicher die beiden wichtigsten, aber
auch die arbeitsintensivsten Gesetzesvorhaben. Ich
denke, wir können mit den Ergebnissen unserer Arbeiten
durchaus zufrieden sein. Deutschland hat seine Zusagen
beim Klimaschutz mit konkreten Maßnahmen umgesetzt. Das, was wir auf Bali angekündigt haben, haben
wir auch eingehalten.
Klimapolitik findet nicht nur national statt. Auch Europa hat sich Ziele gesetzt und ein Maßnahmenpaket beschlossen, das in diesen Wochen zur Entscheidung ansteht. Europa muss international der Schrittmacher für
den Klimaschutz bleiben. Das unterstützen wir nachdrücklich, und in diesem Sinne verhandelt die Bundesregierung in Brüssel.
Allerdings kommt es bei der konkreten Ausgestaltung
insbesondere des künftigen europäischen Emissionshandelssystems darauf an, dafür zu sorgen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht Schaden nimmt.
Wettbewerbsnachteile für unsere Unternehmen - egal ob
für die Automobilindustrie, die Stromerzeuger oder das
produzierende Gewerbe - müssen verhindert werden. Es
ist nicht die Zeit, in der Unternehmen zusätzlich Belastungen in Milliardenhöhe aus der Portokasse bezahlen
können.
({0})
Es ist nicht akzeptabel, dass die Bürger zu den ohnehin
hohen Strom-, Wärme- und Kraftstoffkosten weitere Belastungen aus einem unausgewogenen europäischen Klimapaket aufgebürdet bekommen.
({1})
Herr Minister Gabriel, passen Sie in Brüssel auf, dass
Sie in Präsident Sarkozy nicht Ihren Meister in ökologischer Industriepolitik finden!
Meine Damen und Herren, die Aufforderung, eine die
Wirtschaft sowie die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen unterstützende Klima- und Umweltpolitik
zu gestalten, geht nicht nur in Richtung Brüssel. Wir
müssen auch in Deutschland dafür sorgen, dass umweltMarie-Luise Dött
und klimapolitische Maßnahmen Innovationen fördern,
die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes
Deutschland stärken und so Arbeitsplätze sichern und
neu schaffen.
Herr Minister Gabriel, Sie erwecken in der Öffentlichkeit immer wieder den Eindruck, als gäbe es hier einen Automatismus: je mehr Umwelt- und Klimaschutz,
desto besser für die Entwicklung der Wirtschaft.
({2})
Das mag für einzelne Maßnahmen und die bevorteilten
Branchen wie zum Beispiel die erneuerbaren Energien
gelten.
({3})
Diese haben dank der Novelle zum EEG und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes einschließlich des
Marktanreizprogramms hervorragende Entwicklungsbedingungen, auch wenn die für uns alle allerdings nicht
ganz billig sind. Aber das Geld ist gut angelegt; wir sind
da einer Meinung.
Nur, der Standort Deutschland lebt nicht allein von
den erneuerbaren Energien.
({4})
Er lebt vom Maschinen-, vom Fahrzeug- und Anlagenbau,
({5})
von der Chemie, vom verarbeitenden Gewerbe und von
Tausenden mittelständischen Unternehmen.
({6})
Wenn Sie in die Unternehmen gehen und sich ansehen,
mit welcher Effizienz dort gearbeitet wird, welche Innovationen entstehen und wie ernst Umwelt- und Klimaschutz genommen werden, dann sehen Sie: Es ist eben
nicht eine Old Economy, wie Sie sie zu Unrecht gern
leichtfertig abtun. Auch wenn sie vielleicht keine Windmühlen oder Solarkollektoren herstellen, müssen wir
klima- und umweltpolitische Maßnahmen so ausgestalten, dass diese Unternehmen, die das Rückgrat unserer
Wirtschaft bilden und das Gros der Arbeitsplätze sichern, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten
Unterstützung erhalten. Zusätzliche Kosten und mehr
Bürokratieaufwand durch Umwelt- und Klimaschutz
sind Gift für diese Unternehmen, die in einem knallharten internationalen Wettbewerb stehen. Effizienzgewinne, Beschäftigungseffekte, Kostenminderung und
Bürokratieabbau müssen wieder stärker Prüfkriterien für
Maßnahmen gerade auch im Umweltbereich sein.
Das Umweltgesetzbuch ist beispielsweise ein Vorhaben in diesem Sinne. Kürzere, einfachere Genehmigungsverfahren für Investitionen mit weniger Bürokratie
und weniger Zeitaufwand für Unternehmen, ohne die
Umweltstandards abzusenken - das ist die Umweltpolitik, die dem Standort hilft.
({7})
Genau deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das UGB in
den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Das UGB
hat das Potenzial, Innovationen und Investitionen zu
stärken, und schafft mehr Rechtssicherheit auch in Bezug auf europäisches Umweltrecht. Damit unsere Unternehmen weiter investieren, brauchen sie diese Rechtssicherheit.
({8})
Ich möchte Ihnen gerne ein Beispiel nennen, das
zeigt, wie es nicht geht, wie man statt Investitionssicherheit Investitionsattentismus erzeugt. Das ist uns im EEG
bei den Pflanzenöl-Blockheizkraftwerken passiert. Ich
weiß, dass es nicht Ihre Schuld ist, Herr Minister, dass
die Kommission noch keine Nachhaltigkeitsverordnung
vorgelegt hat. Gleichwohl hatten wir Sie bereits frühzeitig im parlamentarischen Verfahren auf die Gefahren des
Verlustes der Bonusvergütung für die bestehenden Pflanzenöl-Blockheizkraftwerksanlagen hingewiesen. Jetzt
stehen viele Anlagen vor dem Aus und die Anlagenbetreiber vor dem wirtschaftlichen Ruin. Solche handwerklichen Fehler müssen in wirtschaftlich normalen Zeiten
vermieden werden - und in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten erst recht. Ich bitte Sie nochmals, auch von diesem Platz aus: Legen Sie umgehend eine Übergangsregelung vor, um das Überleben der Anlagen zu sichern.
Ich würde jetzt gerne noch etwas sagen, was ich aber
leider wegen der abgelaufenen Redezeit nicht mehr sagen kann. Daher nur: Wir werden Sie in allem unterstützen, Herr Minister.
({9})
Der Kollege Hans-Kurt Hill hat jetzt das Wort für die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wann,
wenn nicht jetzt, wollen Sie in den Klimaschutz investieren? Die Linke fordert eine Aufstockung der Mittel
für den Klimaschutz auf 4 Milliarden Euro. Das entspricht dem Gesamtpaket der Bundesregierung gegen
die Finanzkrise. Das als Beispiel.
Es hat den Anschein - Herr Kelber grinst so schön -,
dass Christ- und Sozialdemokraten das Gegenteil von
Klimaschutz wollen. Sie wollen eine Aussetzung der
CO2-Senkung, sie wollen mehr Autobahnen, und sie
wollen eine Kfz-Steuerbefreiung für Spritschlucker.
„Grassierender Populismus“ titelt Die Zeit in der gestrigen Onlineausgabe einen Artikel zu den Vorschlägen der
Wirtschaftsradikalen der CDU.
({0})
Dabei zeigt das Versagen der Finanzmärkte eines ganz
deutlich, Herr Nüßlein: Wer auf kluge Energienutzung
und anspruchsvollen Klimaschutz setzt, kommt durch
die Krise und schafft Arbeitsplätze.
({1})
Leider hinkt die Bundesregierung beim Klimaschutz
hinterher. Das belegt auch die „Leitstudie 2008“, von
Bundesumweltminister Gabriel selbst in Auftrag gegeben. Darin wird der Koalition bescheinigt, dass, erstens,
die Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz und
Kraft-Wärme-Kopplung nicht ausreichen, zweitens, dass
nach 2012 keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden
dürfen und drittens, Herr Kelber, dass das ErneuerbareEnergien-Wärmegesetz nicht das Papier wert ist, auf
dem es gedruckt steht. Warum setzen Sie nicht stärker
auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien? Sie wollen mit dem Bau von Autobahnen das Klima retten. Ich
weiß nicht, wie das gehen soll. Wer Klimaschutz ernst
nimmt, der muss andere Prioritäten setzen.
({2})
Hier zwei Punkte, an denen sich meine Fraktion im
Rahmen der Haushaltsberatungen für 2009 für wirksamen Klimaschutz einsetzt:
Erstens: Energieeffizienz. Kluge und sparsame Erzeugung und Nutzung von Energie führt am schnellsten
zum Klimaschutz. Gleichzeitig zahlt sich Energieeffizienz bei den Bürgerinnen und Bürgern direkt aus und
kann Energiearmut verhindern helfen. Die Linke fordert
deshalb eine Energieeffizienzoffensive für dieses Land.
Wir fordern neben gesetzlichen Vorgaben gegen Energieverschwendung einen Energiesparfonds mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro. Mit ihm können Maßnahmen zur Energieeinsparung gefördert werden. Davon
haben alle etwas. Das führt zu Investitionen in allen Bereichen: bei den privaten Haushalten, den Unternehmen
und bei der öffentlichen Hand. Der Energiesparfonds unterstützt zum Beispiel Handwerksbetriebe mit zielgerichteten Schulungsprogrammen. Er hilft aber auch armen
Haushalten mit Klimaschecks, die beim Kauf besonders
energiesparender Haushaltsgeräte einlösbar sind.
Zweitens: erneuerbare Energien. Jetzt ist eine durchgreifende Förderung erneuerbarer Energien erforderlich.
Je später Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden, desto höher sind die Kosten für die Volkswirtschaft.
Lassen Sie uns die Geothermie stärker fördern. Wir brauchen mehr Mittel zur Erforschung und zum Ausbau von
Speicher- und Netztechnologien.
Die Linke fordert deutlich mehr Mittel bei Forschung
und Entwicklung, die Förderung von Einzelmaßnahmen
und Investitionsvorhaben für erneuerbare Energien. Wie
lange wollen Sie noch auf den Klimakollaps warten? Mit
diesem Haushalt haben wir die Chance, ein Zurückfallen
beim Klimaschutz zu verhindern und zukunftssichere
Arbeitsplätze zu schaffen. Erklären Sie mir nicht, das sei
nicht finanzierbar. Mit einem unserer Vorschläge für die
Besteuerung von fossil- und uranbefeuerten Kraftwerken
lenken wir die überzogenen Profite der Energieversorger
direkt in die Hände der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Handwerksbetriebe. Frau Dött, wir sagen:
Mehr Klimaschutz heißt mehr Beschäftigung.
({3})
Machen Sie einfach mit!
Danke schön.
({4})
Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin
Bärbel Höhn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe mir die Rede von Herrn Gabriel eben aufmerksam angehört und muss sagen, dass ich überrascht war.
({0})
Normalerweise - auch wenn ich anderer Meinung bin als
Herr Gabriel - finde ich, dass er gut redet. Heute hat er
eine Rede gehalten, die gar nicht zu ihm gepasst hat:
sehr unsouverän. Ich habe mich gefragt: Was hat der
Mann? Wir haben erlebt, wie er zum Beispiel den Kollegen von der Linken attackiert hat. Das war eine Art, wie
es ein Dorfschullehrer in den 60er-Jahren gemacht hat,
und zwar mit dem Holzhammer drauf - bum, bum! -,
und nicht wie ein moderner Lehrer, der er sonst ist. Seine
Rede war also wirklich schlecht und diesem Parlament
nicht angemessen. Das muss ich ehrlich sagen. So geht
man miteinander nicht um.
({1})
Er hat zum Beispiel übertrieben aggressiv auf HansJosef Fell reagiert. Normalerweise macht er das nicht.
Normalerweise ist er bei seinen Reden sehr souverän
und auch sehr clever; Herr Gabriel ist eine Herausforderung. Aber heute war er schlecht. Da fragt man sich: Warum? Man muss nicht lange nach der Antwort suchen.
Nächste Woche findet in Polen eine große Klimakonferenz statt. Normalerweise geht er für Deutschland mit
breiter Brust - die hat er sowieso - dorthin und zeigt,
was wir vorzuweisen haben. Wir in Deutschland machen
viel für den Klimaschutz. Dieses Jahr hat er ein Problem.
Denn was ist in Europa passiert? Genau das, was Europa
leisten müsste, wenn es in Polen Gastgeber ist, nämlich
ein gutes Klima- und Energiepaket auf den Weg zu bringen, zerbröselt. Es gleitet Gabriel weg. Die EU wollte
dieses Klima- und Energiepaket im Oktober verabschieden. Es ist verschoben worden. Jetzt hat Europa gesagt:
Okay, jetzt kann man vielleicht parallel zur Konferenz in
Poznan noch etwas verabschieden. Auch das ist weggeglitten, weil das Europaparlament noch zustimmen
muss. Ihnen gleitet die Grundlage weg, die zu einer guten Basis gehört, wenn man in Poznan etwas erreichen
will. Deshalb sind Sie so aggressiv und unsouverän.
({2})
Warum? Dieses Energie- und Klimapaket der EU
wird auch von der Bundesregierung, von Ihren Kollegen
im Kabinett, zerstört, nicht von Hans-Josef Fell. Er ist
gut und international unterwegs. Herr Glos und die Ministerpräsidenten der Länder zerstören dieses Paket und
schwächen momentan die Position von Deutschland und
damit auch die der EU.
({3})
Wenn Sie hören, wie die Umweltverbände mit Ihnen, mit
der Bundesregierung heute ins Gericht gehen, dann können Sie das nicht einfach so platt abservieren, wie Sie es
heute hier getan haben.
Ich komme noch einmal auf den Emissionshandel
zurück. Die entscheidende Frage lautet: Wie wird der
Emissionshandel ausgestaltet? Wenn die Bundesregierung am Ende sagt, ein immer größer werdender Teil der
Unternehmen bekommt Ausnahmen, bekommt die Zertifikate umsonst, werden Sie genau das nicht erreichen,
was Sie hier immer fordern, nämlich einen guten Emissionshandel. Wenn ein immer größerer Teil dieser CO2Senkungen im Ausland mithilfe von CDM-Projekten erbracht werden soll, dann ist das eine Verlagerung der
Probleme ins Ausland. Sie wollen hier weiter Ihre Kohlekraftwerke bauen und die Probleme ins Ausland verlagern. Das geht so nicht.
({4})
Wenn wir uns noch einmal den Bereich der Automobilindustrie anschauen, dann muss ich ehrlich sagen,
Herr Gabriel, dass Sie hier eine Lachnummer abgeliefert
haben. Die Automobilindustrie wollte schon heute bei
dem Standard sein, den Sie jetzt für 2015 als Erfolg verkaufen. Das ist doch eine Lachnummer. 10 Gramm CO2Ausstoß kann man durch CO2-reduzierende Maßnahmen
erbringen, zum Beispiel durch eine Fotovoltaikanlage
auf dem Dach. Was soll das denn? Stellen Sie sich einmal vor, dass Betreiber von Kohlekraftwerken demnächst eine Fotovoltaikanlage an den Schornstein hängen und als Ausgleich dafür weniger CO2-Zertifikate
kaufen wollen. Diese Lösung wird momentan in der EU,
angeschoben von der Automobilindustrie, diskutiert. Sie
wirft uns um Jahre zurück. Was derzeit auf EU-Ebene
beschlossen wird, ist das Gegenteil von Klimaschutz.
({5})
Außerdem ist die sechsmonatige Befreiung von der
Kfz-Steuer, die Sie in der Großen Koalition vereinbart
haben, der größte Unsinn, den man im Klimabereich machen kann. Der Besitzer eines kleinen klimaschonenden
Autos spart 130 Euro, der Besitzer eines großen Porsche
Cayenne, eines richtigen Klimavernichters, spart
1 800 Euro.
({6})
Diese Politik fördert diejenigen, die mit Klimaschluckern unterwegs sind. Diese Politik schadet dem Klimaschutz. Sie stehen für eine solche Politik. Das geht nicht.
({7})
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. - Klimaschutz gefährdet keine Arbeitsplätze, sondern er schafft
Arbeitsplätze, Frau Dött. Wir müssen aufpassen, dass
Obama nicht an uns vorbeirennt und dass wir die Vorteile, die wir im Klimaschutz erreicht haben, nicht an andere verlieren, die straighter sind als die Bundesregierung.
Frau Kollegin.
Gehen Sie zu Ihren Ministerpräsidenten! Kämpfen
Sie für Arbeitsplätze und Klimaschutz! Tun Sie nicht so,
als ob Klimaschutz Arbeitsplätze zerstören würde. Das
ist nicht der Fall.
({0})
Der Kollege Marco Bülow spricht jetzt für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich glaube, als Erstes muss man festhalten - ich will die
Zahl noch einmal nennen -, dass 460 Millionen Euro für
den Klimaschutz vorgesehen sind. Davon sind 340 Millionen Euro für den nationalen Klimaschutz vorgesehen,
in den wir gut investieren, was richtig ist, weil er Arbeitsplätze schafft, CO2 einspart und nachhaltiges
Wachstum fördert. Ich glaube, dass man das zu Beginn
festhalten sollte, bevor man zu den Einzelpunkten
kommt.
({0})
Ich denke, dass man am Rande auch erwähnen kann,
dass wir im Parlament mit der Unterstützung des Ministers dafür gesorgt haben, dass wir das Geld, das durch
den Emissionshandel eingenommen wird, für den Klimaschutz ausgeben können.
Ich möchte auf den Bereich des kommunalen Klimaschutzes eingehen, weil er heute noch nicht erwähnt
worden ist und weil ich ihn für einen sehr wichtigen Beitrag innerhalb des Klimaschutzpaketes halte. Wir haben
dafür 25 Millionen Euro vorgesehen. Vielleicht weiten
wir das noch aus. In diesem Bereich gibt es eine Menge
Potenzial, das Geld sinnvoll zu verwenden.
Ich rate Ihnen, sich die Internetseite des BMU zum
Thema kommunaler Klimaschutz anzusehen. Dort
werden mehrere Projekte wie Schulen vorgestellt, an deren Beispiel deutlich gemacht wird, wie man das eingenommene Geld in der Kommune investieren kann, um
Geld bzw. CO2 einzusparen, und wie man das Handwerk
vor Ort stärkt.
Ich würde auch jedem Abgeordneten empfehlen, sich
zu Hause mit dem Oberbürgermeister oder den Politikern vor Ort zusammenzusetzen und zu beraten, wie
man das Geld, das für den kommunalen Klimaschutz bereitgestellt wird, am besten und am sinnvollsten verwendet. Denn gerade in den Kommunen haben wir ein riesiges Potenzial, um in den Klimaschutz zu investieren, um
das kommunale Handwerk zu stärken und um Arbeitsplätze direkt vor Ort zu schaffen. Das ist gerade in Zeiten, in denen wir in der Konjunktur Schwächen zu erwarten haben und dringend Arbeitsplätze brauchen, das
beste Programm, das wir nutzen können.
({1})
Ich möchte an einen anderen Topf erinnern, auch
wenn er nicht unseren Einzelplan betrifft. Die Mittel aus
dem Topf, die für die Gebäudesanierung vorgesehen
sind, lassen sich in diesem Zusammenhang gut kombinieren, denn auch mit diesen Mitteln wird in den Klimaschutz investiert. Dort sind, so glaube ich, die Potenziale
gar nicht hoch genug einzuschätzen. Es gibt 186 000 öffentliche Gebäude, von denen jedes Jahr 24 Millionen
Tonnen CO2 in die Luft gepustet werden. Allein die
Energiekosten schlagen mit 3,5 Milliarden Euro jährlich
zu Buche. Hier gibt es riesige Einsparpotenziale. In diesem Bereich brauchen wir das Geld, das wir für das Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt haben. An dieser Stelle sollten wir investieren.
Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Es gibt Kommunen, die einem Haushaltssicherungskonzept unterliegen und nicht so investieren können, wie sie wollen. In
solchen Kommunen sagt der Regierungspräsident: Das
geht nicht, weil ihr sparen müsst. - In Zukunft müssen
wir es hinbekommen - das ist ein Aufruf an alle Kolleginnen und Kollegen, auch an mich selbst -, Möglichkeiten zu schaffen, damit auch diese Kommunen in den
Klimaschutz investieren können.
({2})
Eine Anmerkung zu Herrn Kauch. Ich muss zugeben:
Es passiert nicht häufig. Heute haben wir allerdings in
vielen Punkten übereinstimmende Positionen. Daher
möchte ich jetzt noch einen Aspekt aufgreifen, in dem
wir nicht einer Meinung sind. Sie haben sich zur Nachhaltigkeitsverordnung geäußert. Was ihren Sinn betrifft, stimmen wir natürlich überein. Sie sollten in diesem Zusammenhang aber auch erwähnen, dass die
Bundesregierung gerade dabei ist, eine nationale Verordnung zu erarbeiten. Ich denke, dass wir dabei zu einem
guten Ergebnis kommen werden.
Allerdings wird derzeit auch eine europäische Verordnung erarbeitet.
({3})
Auf europäischer Ebene ist man leider nicht so schnell
wie wir in Deutschland. Ich hoffe, dass die deutsche Verordnung auf die europäische Ebene transferiert wird.
Dann müssten wir nicht länger Palmöl und andere Öle
verwenden, die nicht nachhaltig, sondern auf Kosten der
Urwälder produziert wurden. Dann müssten wir auch die
Zerstörungen der Wälder, von deren Ausmaß sich der
Ausschuss ein Bild gemacht hat, nicht mehr hinnehmen.
Ich glaube, was die Nachhaltigkeitsverordnung angeht,
handelt es sich nicht um einen Fehler der Bundesregierung. Das Problem ist vielmehr, dass Europa an dieser
Stelle noch nicht so weit ist wie wir in Deutschland.
Nach dem Haushalt ist immer vor dem Haushalt. Deswegen sollten wir heute auch einen Blick darauf werfen,
wie es in Sachen Emissionshandel in Zukunft aussehen
wird. Von allen möglichen Seiten werden abenteuerliche
Diskussionen darüber geführt, wofür das Geld, das wir
durch den Emissionshandel eventuell einnehmen, verwendet werden sollte. Interessant ist auch, wer sich, obwohl er mit dem Emissionshandel eigentlich nichts zu
tun hat, in diese Diskussionen einschaltet.
Die SPD jedenfalls steht zu dem Beschluss, den dieses Haus im Mai dieses Jahres gefasst hat: Wir wollen
die 100-prozentige Versteigerung der Zertifikate,
({4})
und wir wollen, dass das Geld, das dadurch eingenommen wird, zum überwiegenden Teil in den Klimaschutz
in Deutschland und in den internationalen Klimaschutz
investiert wird. Das ist eine Aussage, die nach wie vor
Gültigkeit hat, welche Diskussionen auch immer hier geführt werden.
({5})
Frau Flach, das war die Antwort auf Ihre Forderung,
die Energiesteuer zu senken. Indem Sie diese Forderung erheben, tun Sie nichts anderes, als den Leuten vorzumachen, dass sie davon profitieren. Davon profitieren
aber nur diejenigen, die Aktien der großen Unternehmen
haben.
({6})
Denn eines ist klar: Wenn die Energiesteuer gesenkt
wird, dann werden die Unternehmen die Energiepreise
erhöhen. Die Einsparkosten landen allerdings nicht beim
Verbraucher. Dem Verbraucher käme allerdings zugute,
wenn man in den Klimaschutz investierte.
({7})
Denn dann würden die Kosten sinken, und das Problem
des Klimawandels würde sich verringern. Das sind die
Gewinne, die wir erwirtschaften wollen, nicht das, was
Sie hier vorgetragen haben.
({8})
Nicht nur abenteuerlich, sondern auch ärgerlich sind
manche Aussagen, die in den letzten Wochen von Politikern fast aller Couleur - der Name eines Politikers ist
schon erwähnt worden - zu hören waren. Herr Seehofer
sagte, der Klimaschutz müsse jetzt hintangestellt werden, da im Augenblick wichtigere Dinge zu erledigen
seien. Natürlich darf man die Finanzkrise und ihre Folgen nicht unterschätzen. Wenn man ein bisschen genauer
hinsieht, stellt man aber fest: Der Klimawandel ist eine
größere Gefahr.
All denjenigen, die es immer noch nicht verstanden
haben, sage ich: Investitionen in Klimaschutz und Umwelttechnologien führen zu Wachstum und schaffen Arbeitsplätze. Durch solche Investitionen werden weder
Arbeitsplätze vernichtet noch wird dadurch das Wachstum negativ beeinflusst. Wir dürfen nicht kurzfristig,
sondern wir müssen mittel- und langfristig denken; darauf sollten wir immer wieder hinweisen.
({9})
Und zudem - einige haben es gesagt; es wurde auch
heute wieder Obama zitiert, aber viele andere in
Deutschland sagen es Gott sei Dank auch -: Man muss
die Krisen gemeinsam betrachten, das ist die Chance
dieser Stunde. Wir müssen jetzt und auch in Zukunft investieren; die Grundlagen dafür schaffen wir mit dem
vorliegenden Haushalt. Wir müssen Zukunftsinvestitionen tätigen: beim Klimaschutz, bei Umwelttechnologien, bei Bildung und Forschung und in den Bereichen,
in denen wir gute Renditen erzielen und etwas zurückbekommen, in denen wir Arbeitsplätze schaffen, in denen
wir CO2 einsparen und in denen in Deutschland Technologien entwickelt werden, bei denen wir Marktführer
werden können, also in den Bereichen, die für die Welt
immer wichtiger werden.
Wenn wir ein solches Zusammendenken parteiübergreifend hinbekommen - ich weiß, dass es in jeder Partei
Leute gibt, die das verstehen, und ich hoffe, dass es mehr
und nicht weniger werden; das ist gerade in Zeiten einer
Krise wichtig -, dann haben wir eine gute Chance, nicht
nur bei den Klimakonferenzen in Poznan und im nächsten Jahr in Kopenhagen gut dazustehen, sondern auch
Krisen wie die Finanzkrise zu bewältigen. Darauf hoffe
ich. Den Anfang haben wir mit dem vorliegenden Haushalt gemacht. Klar ist: Die Diskussion über Zukunftsinvestitionen und Klimaschutz muss fortgesetzt werden.
Ich lade alle herzlich ein, sich daran zu beteiligen.
Danke schön.
({10})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ein
bisschen hat mir der Kollege Fell vorhin ja schon leidgetan. Trotzdem, lieber Kollege, sage ich jetzt, dass ich Sie
auch an einer anderen Stelle korrigieren muss: Barack
Obama hat schon jetzt die Bereitstellung von
25 Milliarden Dollar für Notkredite für die Automobilindustrie in den USA angekündigt. Wir werden uns wundern und uns noch umschauen, mit wie vielen Subventionen und mit wie viel Protektionismus dort reagiert
wird, um mit der Finanzkrise und den Auswirkungen auf
die Realwirtschaft umzugehen.
({0})
Es bleibt abzuwarten, wie hoch der Stellenwert des Klimaschutzes dann am Schluss dort noch ist.
({1})
Ich hoffe, dass sich das nicht umgekehrt darstellt, wie
der Herr Hill das formuliert hat, was ich für ein Unding
halte. Herr Hill, wenn Sie ernsthaft mehr Klimaschutz
statt mehr Beschäftigung fordern, dann sage ich Ihnen:
Erklären Sie das einmal Ihren Hartz-IV-Empfängern und
den Arbeitslosen, deren Zahl in Zukunft steigen wird.
Genau so haben Sie das gesagt. Das wird im Protokoll
letztendlich auch so stehen.
({2})
- Nein, ich habe zugehört. So hat er es formuliert.
Ich sage Ihnen aber auch eines: Wir sollten die Themen Finanzkrise und Klimaschutz bei der Diskussion
ein bisschen auseinanderhalten; denn aus meiner Sicht
haben diese Dinge nicht so viel miteinander zu tun.
({3})
Unabhängig von Aufschwung oder Abschwung sind wir
als Politiker doch dafür verantwortlich, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass am Ende Klimaschutz neben der Schaffung von Arbeitsplätzen und
der Erhöhung des Wirtschaftswachstums möglich ist.
Das ist doch ein ganz entscheidendes Thema.
({4})
Warum ist das so entscheidend? - Ich trage das hier ja
fast schon gebetsmühlenartig immer wieder vor: Der
kleine Emittent Deutschland, der pro Jahr weniger emittiert, als in China als Zuwachs an Emissionen zu verzeichnen ist, kann für den Klimaschutz doch nur eines
tun, nämlich der Welt zeigen, dass wir beides können:
wachsen und das Klima sinnvoll schützen, indem wir
zum Beispiel den Einsatz der Ressourcen reduzieren.
Das ist doch das Entscheidende.
Also hören Sie doch auf, diesen Gegensatz zu konstruieren, sondern schauen Sie sich an, was diese Bundesregierung alles unternommen hat.
({5})
- Sie schreien natürlich wieder. - Ich weiß natürlich,
dass dem einen oder anderen - insbesondere den Grünen das nicht gefällt. Es ist eine ganze Menge mehr gemacht
worden als unter Rot-Grün. Der Herr Bundesumweltminister hat das richtig angesprochen. Durch eine Reihe
von Maßnahmen werden tatsächlich auch Arbeitsplätze
geschaffen: EEG, Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz,
Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien, CO2-Gebäudesanierungsprogramm. All dies sind Dinge, die positiv wirken.
Ich halte den Emissionshandel für deutlich problematischer, wenn es uns nicht gelingt, ihn richtig auszugestalten. Auch diesbezüglich möchte ich hier ein paar
Akzente setzen. Aus meiner Sicht müssen wir das produzierende Gewerbe in Deutschland davon ausnehmen,
und wir müssen einen stufenweisen Einstieg in die Vollauktionierung schaffen. Das ist wichtig für unsere Wirtschaft.
({6})
Bei den Versteigerungserlösen muss es natürlich darum gehen, dass das Geld im ersten Schritt bei den Mitgliedstaaten ankommt und nicht irgendwo bei der Europäischen Union hängen bleibt. Das kann nicht sein.
({7})
Wir entscheiden dann in eigener Souveränität darüber,
was wir mit dem Geld tun. Ich bin auch der Meinung,
dass man den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen
größeren Teil zurückgeben muss, weil es nicht sein kann,
dass wir die Energiepreise von verschiedenen Seiten aus
belasten, zum Beispiel steuerlich und über den Emissionshandel und was uns sonst noch alles einfällt. Das
halte ich für vollständig richtig und wichtig.
({8})
Lassen Sie mich im Übrigen auch etwas zu dem sagen, was heute hier schon über die Verlässlichkeit der
Politik gesagt worden ist. Natürlich ist es richtig, dass
wir beim Thema Biokraftstoffe eine Kehrtwende gemacht haben, durch die diejenigen, die darin investiert
haben, böse auf die Nase gefallen sind.
({9})
Ich bedauere das nach wie vor. Das war falsch, und wir
hätten das nicht tun dürfen. Viele von uns haben dagegen
protestiert, insbesondere gegen das, was hier angeblich
aus finanziellen Gründen hätte gemacht werden sollen
- dafür wurde die Steuerpolitik vorgeschoben -, was
aber in der Tat wohl auf das Lobbying insbesondere der
Mineralölkonzerne zurückging. Das muss man einmal in
dieser Klarheit sagen.
Herr Minister Gabriel, ich bin auch der Meinung, dass
wir einen solchen Fehler nicht wiederholen dürfen. Ich
spreche das an, was hier hinsichtlich des Palmöls heute
schon verschiedentlich angesprochen worden ist. Es geht
darum, eine Übergangslösung zu schaffen. Diese müssen
wir schnell schaffen. Wir können doch nicht sagen: Na
ja, die Europäische Union hat leider nicht so zügig gehandelt, wie wir uns das vorgestellt haben. Unter diesem
Gesichtspunkt haben alle, die in mit Palmöl betriebene
Blockheizkraftwerke investiert haben, leider Pech gehabt. - Das können wir nicht machen. Ich meine, wir
sollten insbesondere diejenigen, die unserem Kurs folgen, die für den Klimaschutz etwas tun wollen und die
das wirtschaftlich sinnvoll tun wollen, nicht im Regen
stehen lassen. Deswegen brauchen wir an der Stelle eine
sinnvolle Übergangslösung. Ich darf Sie herzlich bitten,
diese zügig in Angriff zu nehmen.
Vielen herzlichen Dank.
({10})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Hans-Kurt Hill das Wort.
Ich dachte eigentlich, ich käme heute ohne eine Kurzintervention aus; aber es muss sein.
Herr Nüßlein, Sie haben nicht richtig zugehört. Sie
sind doch mit mir der Meinung, dass es im Bereich der
erneuerbaren Energien insgesamt, einschließlich dessen,
was ansonsten im Bereich der Gebäudesanierung geschehen ist, einen Zuwachs von Arbeitskräften gibt. Wir
rechnen im Handwerk bis 2013 mindestens mit einer
Verdoppelung der Zahl der Arbeitskräfte. Ich habe nie
etwas anderes gesagt. Da müssen Sie die Ohren irgendwo anders gehabt haben.
Zweiter Punkt. Was die Versteigerung angeht, so geht
es nach den Berechnungen des Öko-Instituts um
35 Milliarden Euro bis 2010. Wenn Sie der Meinung
sind, dass die Bevölkerung, die Menschen in diesem
Land dazuzahlen sollen, damit die Energiekonzerne sich
weiter die Taschen vollstopfen und sich an Atomkraftwerken im Ausland beteiligen können, dann finde ich
diese Politik verachtenswert.
Danke.
Möchten Sie antworten? - Bitte schön.
Zunächst einmal habe ich überhaupt nicht in Abrede
gestellt, dass durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz
Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn Sie mir zugehört
haben - das sage ich häufig in gleicher Weise -, dann
wissen Sie, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich habe vorhin auch gesagt, dass es im Klimaschutz eine Menge von
Maßnahmen gibt, durch die tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen werden. Darum ist es wichtig, dass wir als Regierung den Akzent genau darauf setzen.
Zweiter Punkt. Das, was Sie im Hinblick auf die
Energiekonzerne behaupten, stelle ich in Abrede. Wir
sind momentan auf dem besten Wege, den Wettbewerb
in dem Bereich zu stärken. Sie können doch nicht sagen,
dass all die Dinge, die preislich gemacht werden, nicht
wirken, dass sie verpuffen und die Konzerne letztendlich
die Preise so gestalten, wie sie wollen. Das würde das infrage stellen, was wir politisch tun. Ich meine, der Wettbewerb entwickelt sich nach und nach; er wird immer intensiver.
Im Übrigen habe ich auch noch nicht gesagt, wie wir
den Verbraucherinnen und Verbrauchern letztendlich das
Geld zurückgeben. Ein größerer Teil muss dahin zurück.
Das, was bleibt, wollen wir für den nationalen und internationalen Klimaschutz einsetzen. Lassen Sie das doch
in der Souveränität des Bundestages. Lassen Sie uns das
gemeinsam entscheiden. Warten Sie doch einmal ab und
lassen Sie uns überhaupt erst einmal sicherstellen, dass
das Geld von Europa nicht kassiert wird. Das wäre das
Schlimmste, was uns an der Stelle passieren kann.
Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege Ulrich Petzold für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eine
Steigerung des Haushaltsvolumens von rund 70 Prozent
in einem Jahr für ein Ressort - wann gab es das schon
einmal? Mehr als 570 Millionen Euro werden im Umweltschutz für das Jahr 2009 mehr veranschlagt als in
diesem Jahr. Ich glaube, wir Umweltpolitiker haben allen Grund, stolz darauf zu sein. Ich finde es traurig, dass
wir in dem Zusammenhang immer so viel schlechtreden.
Selbstverständlich hat der Geldsegen eine Ursache.
Der von uns allen beschlossene Verkauf und ab 2010 die
Versteigerung der Emissionszertifikate bringt eine für
den Umweltbereich beträchtliche Verbesserung der Einnahmen mit sich. Es ist unser Verdienst als Umweltpolitiker, dass diese Mehreinnahmen nicht irgendwo im
Haushalt versickern, sondern ganz überwiegend dem
Umwelt- und Klimaschutz zugutekommen. Begehrlichkeiten aus anderen Ressorts gab es ja genug. Das wissen
wir; darüber haben wir auch lange diskutiert.
Überlegungen sollten wir allerdings hinsichtlich der
Abwicklung des Emissionshandels durch die KfW anstellen. Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen berechnet die KfW die Kosten pro Zertifikat mit
6 Eurocent.
Zur Finanzierung der Deutschen Emissionshandelsstelle wurden in den vier Jahren der ersten Handelsperiode weniger als 3 Eurocent pro Zertifikat berechnet.
Bei 40 Millionen Zertifikaten macht das immerhin eine
Differenz von 2,4 Millionen Euro aus. Vor dem Hintergrund, dass eine Mitwirkung der Emissionshandelsstelle
in jedem Fall notwendig ist und dort auch eine leistungsfähige EDV-Infrastruktur vorhanden ist, müssen wir
zwingend überlegen, ob die Abwicklung des Zertifikatehandels nicht auch ohne die KfW durch die Deutsche
Emissionshandelsstelle möglich ist.
Nach dem Verursacherprinzip ist es auch zu begrüßen, dass der Löwenanteil der Mehreinnahmen durch
den Zertifikatehandel wieder in die Forschung und die
Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien fließt. Wir als Union versprechen uns dadurch einen nicht unbeträchtlichen Anschub auch in der
mittelständischen Wirtschaft. Es geht um einen effizienten Klimaschutz. Wir können nicht Klimaschutz um jeden Preis machen, sondern wir setzen gerade mit diesem
Haushalt einen hocheffizienten und sinnvollen Klimaschutz durch. Das sollten alle anerkennen.
({0})
Dass auch der Personalhaushalt sowohl im Ministerium selbst als auch in den nachgeordneten Behörden
entsprechend dem Bedarf besser ausgestattet wurde,
kann ich nach meinen Mahnungen in den letzten Jahren
nur begrüßen. Das Problem der ungerechtfertigten kwStellen und der befristeten Übernahme der Auszubildenden wurde endlich gelöst, und das Problem der Finanzierung von Stellen für Vollzugsdienstleistungen für andere
Ministerien wurde wenigstens angegangen. Dabei sollten wir wohl überlegen, woher wir auch in Zukunft das
Geld nehmen.
Bis jetzt folgt der Bundeshaushalt den Vorgaben der
Kameralistik. Bereits im Oktober 2006 hat eine Projektgruppe des BMF empfohlen, das Modell der erweiterten
Kameralistik zu verfolgen. Im Rahmen der Evaluation
dieser erweiterten Kameralistik wurde allerdings dem
BMF im September 2007 vorgeschlagen, die Vor- und
Nachteile einer Doppik zu prüfen. Das Statistische Bundesamt sowie das UBA sind interessiert, aber auch in der
Lage, an einer solchen Erprobung der Doppik teilzunehmen. Durch das Durchbrechen des Jährlichkeitsprinzips,
die Lockerung der Zweckbestimmung und die Möglichkeit der Verschiebung von Titel zu Titel in einem Globalhaushalt können wir eine höhere Wirtschaftlichkeit erwarten. Deswegen ist das durchaus sinnvoll.
({1})
Lassen Sie mich noch mit einigen Sätzen auf die
Windkraft und das Jahressteuergesetz eingehen. Die Debatte um den Haushalt und das Jahressteuergesetz ist
eine gute Gelegenheit, um Dank zu sagen. Im April 2007
hat der Bundesfinanzhof letztinstanzlich geurteilt, dass
eine Regelabweichung bei der Zerlegung der Gewerbesteuer durch Vereinbarung, wie sie bis dahin bei Windparks üblich war, nicht zulässig ist. Danach musste die
für Windparks anfallende Gewerbesteuer nach den allgemeinen Grundsätzen am Ort der Arbeitsplätze - also am
jeweiligen Firmensitz - gezahlt werden. Da das auch
rückwirkend gilt, kann sich wohl jeder vorstellen, was
das für die Standortgemeinden, die bisher sehr stark von
den Einnahmen profitiert haben, bedeutete.
In dankenswerter Weise haben sich bei der Lösung
des Problems Länder, Ministerien und eine ganze Zahl
von Kollegen, aber auch Kommunen und Unternehmen
eingebracht. Der gefundene Kompromiss einer Aufteilung von 30 zu 70 zwischen Unternehmensstandort und
Anlagenstandort ist gut, auch wenn bisher schon in Einzelfällen eine von 10 zu 90 üblich war. Da hiervon insbesondere der Norden und dort ganz wesentlich die neuen
Bundesländer profitieren, ist es gut und richtig, wenn wir
Dank dafür sagen, dass wir an der Stelle ein vernünftiges
Ergebnis erreicht haben.
Danke schön. Ich wünsche Ihnen einen schönen
Abend.
({2})
So schnell geht es nicht. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung. Zwei
Änderungsanträge liegen vor, über die wir zunächst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/11033? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt gegen die Stimmen der Linken mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/11034? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit
ist der Einzelplan 16 bei Zustimmung durch die Koalition
und Ablehnung durch die Opposition angenommen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 26. November
2008, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.