Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/25/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Haushaltswoche. Wir treten nachher in die abschließenden Beratungen und Entscheidungen über den Bundeshaushalt 2009 ein. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich den Kollegen Hartwig Fischer und Dr. Christoph Bergner zu ihrem 60. Geburtstag gratulieren, den sie vor einigen Tagen begangen haben. Aus eigener jüngerer Erfahrung weiß ich, dass es schlimmere Schicksale im Leben gibt, als 60 Jahre alt zu werden. Alle guten Wünsche für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. ({0}) - Ich nehme das mit Dank und Respekt zur Kenntnis. Am 31. Dezember enden turnusgemäß die Amtszeit des Kollegen Jürgen Koppelin und die Amtszeit des Kollegen Oskar Lafontaine. Bevor sich jetzt Panik breitmacht: Gemeint ist nicht die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag, sondern die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau. ({1}) Für die FDP-Fraktion soll erneut der Kollege Jürgen Koppelin bestellt werden. Sind Sie damit einverstanden? ({2}) Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Koppelin gewählt. Die Fraktion Die Linke schlägt als neues Mitglied die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch vor. Sind Sie auch damit einverstanden? ({3}) Dazu gibt es zwar Zwischenrufe, aber keinen erkennbaren Widerspruch. Dann ist auch die Kollegin Lötzsch in den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau gewählt. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die im Ältestenrat erörterte und unter Vorbehalt gestellte Tagesordnung durch das Plenum feststellen zu lassen, da eine Vereinbarung über die Tagesordnung im Sinne des § 20 Abs. 1 der Geschäftsordnung nicht zu erreichen war. Zur Änderung der Tagesordnung liegen fristgerechte Anträge der Fraktionen der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Dazu gibt es nun eine kurze Geschäftsordnungsdebatte. Ich erteile zunächst das Wort dem Kollegen Koppelin. ({4})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltswoche im Bundestag ist immer eine besondere Woche. Es geht schließlich um das wichtigste Recht des Parlaments, das Budgetrecht. Mit der Haushaltswoche nimmt das Parlament Einfluss auf Ein- und Ausgaben und damit auf die Grundzüge der Politik. Die intensiven Debatten spiegeln die Beratungen in den Fachausschüssen und im Haushaltsausschuss wider. Gerade dann, wenn die Zeiten schwieriger werden, haben die Bürgerinnen und Bürger Anspruch darauf, dass hier im Bundestag zeitlich ausreichend debattiert wird, um unterschiedliche Argumente von Regierungsund Oppositionsfraktionen zu hören. Wir brauchen Zeit, um uns austauschen zu können. Damit genügend Debattenzeiten für die Regierung, die Regierungsfraktionen und die Opposition zur Verfügung stehen, verzichtet das Parlament sogar auf die sonst üblichen Tagesordnungspunkte einer Sitzungswoche: auf die Befragung der Bundesregierung, auf die Fragestunde und auch auf Aktuelle Stunden. Die völlig unmöglichen Äußerungen des Bundesinnenministers, Wolfgang Schäuble, zu möglichen neuen Abstimmungsregelungen Redetext im Bundesrat wären den Freien Demokraten in dieser Woche sicherlich eine Aktuelle Stunde wert gewesen. ({0}) Es ist jedoch Haushaltswoche. Also nehmen wir als Oppositionsfraktion Rücksicht auf das Königsrecht des Parlaments, über den Bundeshaushalt 2009 ausführlich zu diskutieren, und haben keine Aktuelle Stunde beantragt. Nicht so die Koalition, nicht so die Regierungsseite: Sie nehmen keine Rücksicht auf das Parlament. Sie wollen die Redezeiten für die meisten Einzeletats kürzen, um über einen Gesetzentwurf der CDU/CSU und der SPD sowie zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung zu beraten, darunter auch den Gesetzentwurf über die Erbschaftsteuer. Es hat immer interfraktionelle Vereinbarungen gegeben, keine weiteren Themen in der Haushaltswoche auf die Tagesordnung zu setzen. Sie brechen jetzt diese Vereinbarung. Nun wird die Koalition sagen: Das Gesetz über die Erbschaftsteuer muss ja bis Ende des Jahres beschlossen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie haben über ein Jahr Zeit gehabt, diesen Gesetzentwurf hier zu beraten und zu verabschieden. ({1}) Ihr Streit in der Koalition über das Gesetz hat dazu geführt, dass Sie den Gesetzentwurf nun in letzter Minute vorlegen; in den Fachausschüssen ist er nicht einmal zu Ende beraten worden. ({2}) Jetzt soll in der Haushaltswoche die Beratung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Das ist eine Missachtung der intensiven Haushaltsberatungen in den Ausschüssen. Das ist auch eine Missachtung der Haushaltspolitiker aller Fraktionen, die der Öffentlichkeit hier die Ergebnisse ihrer Beratungen in den Ausschüssen ausführlich vortragen wollen. Um die Aufsetzung der Debatte über Ihre Gesetzentwürfe in dieser Woche durchzusetzen, reduzieren Sie einfach die Debattenzeiten bei wichtigen Etats. Finden Sie es wirklich in Ordnung, dass große Etats wie die der Ministerien für Arbeit und Soziales, der Verteidigung und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Umweltetat, der Etat des Ministeriums für Bildung und Forschung, der wichtige Innenetat und der Etat des Verkehrsministers jeweils nur in 75 Minuten abgehandelt werden sollen? Wir finden das nicht in Ordnung. ({3}) Ein anderer Bereich: Wir würden auch gern mit der neuen Landwirtschaftsministerin über die Verhandlungsergebnisse von Brüssel intensiv diskutieren. Sie geben uns nicht die Möglichkeit dazu. ({4}) Komisch ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dass Sie in zwei Bereichen nicht kürzen. Da wollen Sie bewusst, dass Ihre Leute lange Redezeiten haben. Dies betrifft den Bereich der Kanzlerin und erstaunlicherweise auch den Bereich des Kanzlerkandidaten der SPD. Da kürzen Sie nicht. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. ({5}) Wir sind der Auffassung, es wäre in diesen schwierigen Zeiten richtig gewesen, die Redezeiten über diesen schwierigen Etat sogar zu verlängern und noch intensiver zu diskutieren. Das hätten wir für angemessen gehalten. Nein, Sie reduzieren die Redezeiten. Damit reduzieren Sie vor allem die Redezeiten der Oppositionsfraktionen, die sowieso schon wesentlich weniger Redezeiten haben als Sie. Sie beschneiden unser Recht als Opposition. Opposition gehört zu einer lebendigen Demokratie. Ohne Rücksicht wollen Sie jetzt Ihre Gesetzentwürfe auf die Tagesordnung setzen und unsere Redezeiten kürzen. ({6}) Aufgrund der Schwerfälligkeit der Großen Koalition und ihrer Unfähigkeit, zügig zu Ergebnissen zu kommen, manipulieren Sie jetzt die Tagesordnung dieser Woche. Dafür werden Sie unsere Zustimmung nicht bekommen. Das machen wir nicht mit. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Koppelin, in der Sache haben Sie beantragt, dass sich der Deutsche Bundestag in der Lage, in der unser Land ist, nicht mit den politischen Maßnahmen, die der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage dienen, beschäftigen soll. ({0}) Glauben Sie, dass die Bürger Verständnis dafür haben, dass sich der Bundestag, ihre Volksvertretung, nicht mit der Wirtschaftslage beschäftigt? Ich glaube, dafür hat kein Mensch Verständnis. ({1}) Die Politik steht vielmehr in der Verantwortung. Wir nehmen sie durch Beratung und Entscheidung wahr. Das wird diese Woche geschehen. ({2}) - Ja, Sie dürfen gegen alles sein. Das ist Ihr gutes Recht. ({3}) Aber die Position, überhaupt nicht darüber reden zu wollen, ist keine sehr überzeugende politische Haltung. Vielleicht liegt es daran, dass die Argumente nicht so gut sind. Jetzt zu den von Ihnen vorgetragenen Argumenten. Sie sagen, dass die Debattenzeit für die Beratung des Haushalts beschnitten wird. Das darf natürlich nicht sein, und darum wird das auch nicht sein; das ist gar keine Frage. Das ist auch völlig unstrittig hier im Hause. Wir haben - ich habe es einmal zusammengerechnet zur Beratung des Haushalts eine Debattenzeit von rund 25 Stunden. Wenn Sie selber nicht das Zutrauen haben, innerhalb von 25 Stunden Ihre Kritik am Bundeshaushalt zu artikulieren, ({4}) dann würde ich einmal selbstkritisch fragen, ob es wirklich an der Quantität der Debattenzeit oder ob es nicht doch an der Qualität Ihrer Argumente liegt, dass Sie mit Ihrer Kritik nicht durchdringen. Ich würde die Dinge einfach etwas selbstkritischer angehen. ({5}) Sie sagen weiterhin, wir hätten keine Zeit. Wenn wir diese zusätzliche Debatte heute nicht führen würden, dann wäre die Sitzung des Plenums um 16.40 Uhr zu Ende. Mit diesem Debattenpunkt müssen wir bis 17.50 Uhr arbeiten. ({6}) Ich bin dagegen, dass wir dramatisierende Reden zur wirtschaftlichen Lage halten. Aber die wirtschaftliche Lage ist doch immerhin so ernst, dass wir uns selber abverlangen können, heute bis 18 Uhr zu debattieren und zu arbeiten. Darum finde ich das relativ albern. ({7}) Der Grundsatz, den Sie aufgestellt haben, dass in der Haushaltswoche nie ein anderer Punkt aufgesetzt werden soll, existiert nicht. Das Debattenrecht wird nicht beschnitten. Es ist so, dass jede Fraktion dieses Hauses die PDS-Fraktion, die Linke-Fraktion, ({8}) die SPD-Fraktion, die Grüne-Fraktion, die CDU/CSUFraktion und die FDP-Fraktion - in früheren Haushaltsdebatten beantragt hat, Punkte zusätzlich aufzusetzen. Auch Sie selber haben das getan, was Sie heute kritisieren. Jede Fraktion hat das getan. Es hat auch schon jede Fraktion dagegengeredet. Einmal in jeder Legislaturperiode findet eine solche grundsätzliche Geschäftsordnungsdebatte statt. Es ist also eine Art Ritual, das ich gar nicht so stark kritisieren möchte. Aber man muss wissen, worum es sich hier handelt. Ich möchte mit einer Bemerkung abschließen, die ich politisch sehr ernst meine. Wir haben hier in den letzten Wochen über die globale Finanzmarktkrise, die auch unser Land trifft, wiederholt ernsthaft, intensiv und engagiert diskutiert. Ich glaube, dass das völlig richtig war. Wir haben die Situation eines Zusammentreffens einer globalen Finanzmarktkrise mit einem zyklischen, globalen, konjunkturellen wirtschaftlichen Abschwung. In einer solchen Situation kann sich der Bundestag nicht der Debatte entziehen: Was kann die Politik leisten, um die Auswirkungen dieser wirtschaftlichen und finanziellen Krise auf die Unternehmen, die Arbeitnehmer und die Verbraucher abzulindern? ({9}) Was kann hier die Politik tun? Es geht um die Verantwortung der Politik, in die wir gestellt sind. Die Große Koalition wird diese Verantwortung wahrnehmen. ({10}) Es ist Ihr gutes Recht zu kritisieren. Aber zu verlangen, dass sich die Politik mit dieser Lage nicht beschäftigt, ist keine überzeugende politische Position. Wir werden das zur Kenntnis nehmen. Wir werden abstimmen. Wir versuchen, unserer Verantwortung gerecht zu werden: durch Beratung, durch Entscheidung, durch Problemlösung. Das wird die Große Koalition leisten. Danke. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Dr. Enkelmann das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke stimmt der veränderten Tagesordnung nicht zu. ({0}) Ja, es ist gute Sitte dieses Hauses, dass eine Haushaltswoche tatsächlich eine Haushaltswoche ist und bleibt. ({1}) Es wurden immer vereinzelt Anträge eingebracht, über deren Behandlung wir uns einvernehmlich geeinigt haben. Aber was wollen Sie heute? Sie wollen drei schwergewichtige Themen zusätzlich auf die Tagesordnung setzen. Das zeigt eines ganz deutlich: Zu Zeiten großer Koalitionen verkommen die guten Sitten. Kollege Röttgen hat gerade wieder gesagt, es gebe einen politischen Handlungszwang, wir müssten heute und jetzt über ein Konjunkturprogramm reden, die Bürgerinnen und Bürger würden das von uns erwarten. - Ja, Kollege Röttgen hat recht. ({2}) Aber seriöse Wirtschaftswissenschaftler fordern seit Monaten ein Konjunkturprogramm und machen seit Monaten darauf aufmerksam, dass es einen wirtschaftlichen Abschwung gibt. Ihr Kollege, Wirtschaftsminister Glos, war es, der vor Monaten ein Konjunkturprogramm gefordert hat. ({3}) Kollege Glos, wir haben Sie darin unterstützt. Auch die Linke fordert seit Monaten ein Konjunkturprogramm, das diesem Namen tatsächlich gerecht wird. Das heißt, es gab genug Zeit. Sie hätten rechtzeitig handeln können und auch handeln müssen. Sie haben sich in der Koalition nicht einigen können. Deswegen soll nun in der Haushaltswoche hopplahopp ein Konjunkturprogramm verabschiedet werden. ({4}) Zur Erbschaftsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber bereits im Januar 2007 aufgefordert, die Erbschaftsteuer zu reformieren. Ich wiederhole: im Januar 2007. Das ist fast zwei Jahre her. Das heißt, Sie haben genug Zeit gehabt, uns Ihre Vorschläge rechtzeitig vorzulegen. ({5}) Das Thema Erbschaftsteuer stand mehrfach auf unserer Tagesordnung. Aber in der Koalition gab es Streit. Die CSU wollte nicht so, wie Sie wollten, und auch die SPD wollte nicht so, wie Sie wollten. Deswegen steht die Erbschaftsteuer in dieser Woche erneut auf unserer Tagesordnung, sozusagen auf den letzten Drücker. Nun muss es also ganz schnell gehen. ({6}) Ein weiteres Beispiel ist das Jahressteuergesetz, das in dieser Woche ebenfalls debattiert werden soll. Es stand bereits in der letzten Sitzungswoche auf unserer Tagesordnung. In der Ausschusssitzung, die am Abend zuvor stattfand, wurden 70 Änderungsanträge eingebracht. Sogar in der letzten Ausschusssitzung wurden, wie ich gehört habe, noch Änderungsanträge eingebracht. ({7}) Da selbst Abgeordnete der Koalition nicht mehr durchgeblickt haben, haben Sie den Gesetzentwurf schnell von der Tagesordnung genommen. Damit er noch verabschiedet werden kann, mussten Sie ihn allerdings in dieser Woche auf die Tagesordnung setzen. Offenkundig hat die Koalition Angst, dass ihr die mühsam gefundenen Kompromisse in irgendeiner Form verlorengehen bzw. dass Bruchstellen entstehen; bereits jetzt wird ja über Konsumguthaben, Steuervergünstigungen usw. diskutiert. Sie haben Angst, dass Ihnen Ihre Mehrheiten flöten gehen. Deswegen wollen Sie jetzt in der Haushaltswoche schnell handeln. Sie haben sich in der Koalition nicht einigen können. Damit verstoßen Sie gegen die guten Sitten des Parlaments. ({8}) Aber, meine Damen und Herren, das ist kein Kavaliersdelikt. Die Opposition ist für Sie offenkundig nur Spielmasse. Bei Ihrem Vorgehen missachten Sie die Minderheiten; auch das muss deutlich gesagt werden. ({9}) Das zeugt von einem schlechten demokratischen Stil in diesem Haus. ({10}) Im Interesse der parlamentarischen Demokratie darf dies aus meiner Sicht nicht kritiklos hingenommen werden. Deswegen stimmen wir gegen die Tagesordnung. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion.

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kurios, dass das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, in Gefahr gesehen wird, weil wir im Zusammenhang mit dem Haushalt auch über die Erbschaftsteuer beraten und entscheiden und das Maßnahmenpaket zur Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung auf die Tagesordnung setzen wollen. Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn auf sinnvolle Art und Weise über den Haushalt 2009 diskutieren, ohne auch das Konjunkturpaket zu debattieren? ({0}) Wenn wir so vorgehen würden, dann würden Sie uns in der Debatte fragen: Was tun Sie gegen den drohenden Abschwung? Diese Frage würde dann gestellt. ({1}) Jetzt haben Sie die Chance, zu sagen: Wunderbar! Die Haushaltsdebatte ist die Stunde des Parlaments. ({2}) Das ist die Debatte, in der wir auch über Wachstum und Beschäftigung diskutieren können. ({3}) Dabei geht es auch um die Frage, wie die Bundesländer ihre Einnahmen in Höhe von 4 Milliarden Euro sichern können. Dass diese Debatte so spät geführt wird, ist ganz sicher nicht die Schuld der SPD-Fraktion. Wir hätten diese Vorlage schon vor einigen Monaten für entscheidungsreif gehalten. Innerhalb der Koalition hat dies allerdings etwas länger gedauert. ({4}) Meine Damen und Herren, das Parlament und die Politik in Deutschland insgesamt haben sich durch die Art und Weise, wie wir alle miteinander innerhalb von nur fünf Werktagen in Bundestag und Bundesrat das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz verabschiedet haben, eine Menge Respekt erworben. ({5}) - Frau Lötzsch, auch Sie haben auf Fristeinreden verzichtet. ({6}) Dann können Sie doch jetzt nicht sagen, wir hätten diesen Gesetzentwurf „durchgepeitscht“. Ich wollte Sie gerade loben und darauf hinweisen, dass selbst die Linkspartei eingesehen hat, dass man nicht mit Fristeinreden und Formalismen auf eine solch wichtige Maßnahme reagieren sollte. Wenn Sie „durchgepeitscht“ rufen, liegen Sie also völlig daneben. Den Respekt, den sich das gesamte Parlament in dieser einen Woche erworben hat, sollten wir jetzt nicht durch Debatten über Geschäftsordnungsformalismen verspielen. ({7}) Es besteht Entscheidungsbedarf. Wir werden beraten und dann entscheiden. Herr Westerwelle, Ihnen mag das vom Inhalt her nicht gefallen. ({8}) Sie können unsere Entscheidung aber nicht verhindern, ({9}) und das ist gut so. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck das Wort. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig: Die Haushaltswoche ist die heilige Woche des Parlaments. ({0}) Es ist auch richtig, dass wir durch die aktuelle konjunkturelle Situation vor besondere Aufgaben gestellt sind. Herr Kollege Oppermann und Herr Kollege Röttgen, es ist aber nicht richtig, wie Sie das hier behauptet haben, dass der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009 zwingend noch in dieser Woche verabschiedet werden muss, weil Sie in dieser Woche überraschend festgestellt haben, dass sich der 31. Dezember nähert. Den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009 hätten Sie früher beraten können. Dann würde er in dieser Sitzungswoche auch nicht auf der Tagesordnung stehen. ({1}) Den Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuerreform haben wir am 28. Januar dieses Jahres eingebracht. Können Sie mir erklären, warum es jetzt zwingend notwendig ist, ihn noch vor der Haushaltsberatung zu verabschieden? Die Beratung darüber stand schon einmal auf der Tagesordnung, nämlich am 14. Oktober 2008. ({2}) In der Woche vor der Bayernwahl haben Sie uns zugemutet, im Ältestenrat keine Tagesordnung zu verabschieden, um am Tag der Sondersitzung am 7. Oktober 2008 auch eine Sondersitzung des Ältestenrats durchzuführen und diesen Punkt auf die Tagesordnung für den 14. Oktober 2008 zu setzen. Auf einmal hatte die CSU dann Befindlichkeitsstörungen, sodass wir diesen Punkt wieder absetzen mussten, weshalb er heute wieder auf der Tagesordnung steht. Dass das Haushaltsrecht des Parlaments durch die Diskussion in dieser Sitzungswoche beschädigt wird, ist nicht der konjunkturellen Lage, sondern der Schlamperei, der Uneinigkeit und dem Murks der Großen Koalition zu schulden. ({3}) Weil wir als Bündnis 90/Die Grünen eine staatspolitisch verantwortliche Opposition sind, ({4}) sagen wir: Ja, wir wollen im Gegensatz zur FDP, dass die Erbschaftsteuerreform nicht in den Orkus wandert; denn obwohl diese Reform ein Millionärsschutzprogramm ist, wollen wir nicht, dass auch noch die letzten Reste der Erbschaftsteuer über die Wupper gehen. Deshalb haben wir Ihnen angeboten, nach dem Ende der Haushaltsdebatte am Freitag über diesen Punkt, über das Investitionsprogramm und über den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2009 zu reden. Natürlich müssen diese Gesetze vor dem 31. Dezember 2008 im Bundesgesetzblatt stehen. Dagegen wollen wir uns nicht stemmen, und wir wollen Ihnen zur Besei20236 Volker Beck ({5}) tigung Ihrer Schlamperei gerne ein bisschen dabei helfen, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. ({6}) Meine Damen und Herren, wenn wir nachher oder im Laufe dieser Woche über das Investitionsprogramm reden, dann wollen wir, dass nicht so getan wird, als ob das, was Sie da vorschlagen, alternativlos ist. Wir haben einen Antrag dazu vorgelegt, in dem wir uns dafür aussprechen, dass nachhaltig in Klimaschutz, in Bildung und in soziale Gerechtigkeit investiert wird. Gerade in einer Situation, in der der Staat für die Binnennachfrage und für die Erhöhung der Investitionen etwas tun muss, sollte man nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren, sondern die Dinge anpacken, die man ohnehin bewältigen muss und die sinnvolle Investitionen darstellen: in die Bildung, in die soziale Gerechtigkeit und in den Klimaschutz. Man sollte hier nicht mit ungelenkten Steuersubventionen durch die Lande gehen, kleckern und dafür sorgen, dass Luxuslimousinen durch eine Befreiung von der Kfz-Steuer eine bessere Stellung auf dem Markt erhalten. Das wäre wirklich eine fehlgeleitete Politik. Wir haben das Geld ja nicht übrig, weil wir uns in einer konjunkturellen Rezession befinden, sondern wir brauchen dieses Geld dringend, um die Zukunftsprobleme unseres Landes zu bewältigen. Viel besser als das, was Sie hier vorgelegt haben, wäre es, den kommunalen Investitionsstau aufzulösen und dafür zu sorgen, dass die Kommunen ihre Schulen in Ordnung bringen, ihre Straßen nachbessern und sich auf die Zukunft entsprechend vorbereiten können. Deshalb ist Ihr Programm, das Sie hier vorlegen, nicht alternativlos, weshalb wir Sie bitten, unserem Antrag auf Aufsetzung unserer Alternativen auf die Tagesordnung in dieser Debatte auch zuzustimmen. Wenn Sie die Tagesordnung hier schon mit der Arroganz der Macht durchsetzen und mit der Opposition nicht mehr über die Tagesordnung verhandeln, dann sollten Sie wenigstens dafür sorgen, dass die Alternativen der Opposition hier im Parlament noch Gegenstand der Debatte sein können. Das ist das Mindeste, was man an Anstand von Ihnen erwarten muss. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Geschäftsordnungsanträge. Die FDP-Fraktion hat beantragt, die Tagesordnungspunkte I, IV und VI - das sind die Gesetzentwürfe zur Beschäftigungssicherung und zur Erbschaftsteuerreform sowie der Entwurf eines Jahressteuergesetzes - nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag der FDP? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag abgelehnt. Weiterhin hat die Fraktion der FDP beantragt, die Debattenzeiten zu den Einzelplänen 30, 06, 16, 14, 11, 17 und 12 auf jeweils eineinhalb Stunden zu verlängern. Wer stimmt für diesen Geschäftsordnungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Dieser Geschäftsordnungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, die Tagesordnungspunkte I - Beschäftigungssicherung und IV - Erbschaftsteuer - erst am Freitag nach der Schlussabstimmung über das Haushaltsgesetz zu beraten. Wer stimmt diesem Geschäftsordnungsantrag zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Geschäftsordnungsantrag ist mit breiter Mehrheit des Hauses abgelehnt. Wir kommen nun zur Feststellung der Tagesordnung. Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Geschäftsordnungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zu dieser jetzt festgestellten Tagesordnung liegen weitere Geschäftsordnungsanträge vor, über die ich nun abstimmen lasse. Die Fraktion Die Linke hat beantragt, ihren Antrag auf Drucksache 16/10619 mit dem Titel „Konjunkturprogramm gegen die drohende Wirtschaftskrise“ auf die Tagesordnung zu setzen und verbunden mit Tagesordnungspunkt I zu beraten. Wer stimmt diesem Aufsetzungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist diesem Aufsetzungsantrag zugestimmt worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, ihren Antrag auf Drucksache 16/11023 mit dem Titel „Nachhaltig investieren in Klima, Bildung, soziale Gerechtigkeit“ auf die Tagesordnung zu setzen und verbunden mit Tagesordnungspunkt I zu beraten. Wer stimmt diesem Aufsetzungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist das bei Enthaltung der FDPFraktion mit breiter Mehrheit so beschlossen. Dieser Aufsetzungsantrag ist damit angenommen. Außerdem hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt, ihren Antrag auf Drucksache 16/11024 mit dem Titel „Neuer Schwung für die Klimaverhandlungen Poznan zum Erfolg machen“ auf die Tagesordnung zu setzen und verbunden mit Tagesordnungspunkt VII zu beraten. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist wiederum bei Enthaltung der FDP-Fraktion mit breiter Mehrheit dieser Aufsetzung zugestimmt worden. Damit ist die Tagesordnung mit den soeben beschlossenen Änderungen und Ergänzungen festgestellt, sodass wir hoffentlich nun unstreitig nach der festgestellten Tagesordnung verfahren können. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: I. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ - Drucksache 16/10930 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Präsident Dr. Norbert Lammert Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Konjunkturprogramm gegen die drohende Wirtschaftskrise - Drucksache 16/10619 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachhaltig investieren in Klima, Bildung, soziale Gerechtigkeit - Drucksache 16/11023 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort. ({3})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser scheinheiligen Geschäftsordnungsdebatte nun zur Sache. ({0}) Wie sich die konjunkturelle Lage in den kommenden Monaten in Deutschland entwickeln wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mit „ungewöhnlich großen Unsicherheiten“ behaftet. - So oder ähnlich formulieren alle, die sich mit Wirtschaftsprognosen beschäftigen. Das heißt, es gibt keinerlei neue belastbare Fakten, die die Unsicherheit darüber beseitigen, wie tief und wie lange der wirtschaftliche Abschwung in Deutschland und weltweit wirklich sein wird. Jedenfalls sollte die Wirtschaftskrise kein Alibi für umweltpolitische Steinzeitgedanken sein, wie wir sie in den letzten Tagen gehört haben. ({1}) Wir bleiben auch beim Klimaschutz bei unserer Linie. Wir wissen nicht, ob das schwarze Bild, das manche für das nächste Jahr zeichnen, wirklich eintrifft oder ob es vielleicht doch nicht ganz so schlimm wird. ({2}) Eine Gefahr ist allerdings gegeben, liebe Kollegin Lötzsch: Durch einen Dramatisierungswettlauf in der Einschätzung der konjunkturellen Entwicklung könnte eine weitere Investitions- und Kaufzurückhaltung geschürt werden. Das sollten wir im Interesse der Arbeitsplätze in Deutschland alle gemeinsam vermeiden. ({3}) Klar ist: Wir haben wegen der noch nicht beendeten Krise im globalen Finanzsektor und durch andere Faktoren eine Situation, für die es in der Vergangenheit keine Vergleiche gibt. ({4}) Jede Parallele, über die in den letzten Tagen geschrieben wurde, hat ihre Tücken. Auch darüber müssen wir uns im Klaren sein. Ob wir 80 Jahre zurückgehen oder von welchem Zeitraum auch immer wir ausgehen: Für diese Situation gibt es keine Parallelen. Das heißt, für uns alle - für die Politikerinnen und Politiker wie auch für die Wissenschaftler, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände - gilt: Niemand kann sicher sein, das Königsrezept dafür zu haben, wie mit der Problemgemengelage, vor der wir stehen, umzugehen ist. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung und die Große Koalition zur Stabilisierung des konjunkturellen Abschwungs beschlossen haben, sind auf jeden Fall ein aussichtsreicher, schnell umsetzbarer Ansatz, um gefährdete Beschäftigung in Deutschland in der vor uns liegenden Phase zu sichern. ({5}) Ob das reichen wird, wird sich dann zeigen. Gesetzgeberisch umgesetzt wird das Stabilisierungspaket im Rahmen des Haushalts 2009, der ab heute abschließend beraten wird. So waren zum Beispiel die zusätzlichen Investitionen des Bundes oder auch der Bundesanteil an den zusätzlichen KfW-Programmen in das Rechenwerk einzupassen. Was die steuerlichen Elemente angeht, so werden sie mit dem Steuergesetz umgesetzt, zu dem ich jetzt rede. Hierbei geht es um eine auf zwei Jahre befristete attraktive Verbesserung von Abschreibungsmöglichkeiten, die verbesserte Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen und eine zeitlich befristete Kfz-Steuerbefreiung. Die dabei gewählte Strategie, möglichst auf gezielte Maßnahmen und Angebote mit Hebelwirkung zu setzen, schmälert die Wirksamkeit des Paketes nicht, sondern sichert sie ab. Bei all dem sollten wir bedenken, was im Rahmen eines Jahres praktisch umsetzbar ist. Bei manchen Vorschlägen, die sich im Bruttoregistertonnenbereich bewegen, wird die Praxis überhaupt nicht bedacht. Unsere Vorschläge sind praxisorientiert. Dadurch zeichnen sie sich aus. ({6}) Wer bereits heute behauptet, die beschlossenen Maßnahmen würden nur wenig bis gar nichts bewirken, entwertet das Paket und schlägt unsere Erfahrungen mit dem 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm in den Wind. Klug ist das nicht, weil die Menschen verunsichert werden und das Gegenteil dessen erreicht wird, was beabsichtigt ist. Das gilt auch für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesatmwirtschaftlichen Entwicklung. Hinzu kommt, dass die konjunkturstabilisierenden Ansätze unserer Politik sich nicht auf das Paket zur Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung beschränken. Das zentrale Stabilisierungsinstrument bleibt der Finanzmarktschirm, der - auch nach einigem anfänglichen Stottern - funktioniert und die notwendige Versorgung von Unternehmen und Verbrauchern mit Liquidität und Krediten weiterhin sichern wird. Lesen Sie die Zeitungen von heute! Darin wird das bestätigt. ({7}) - Dass wir diesen Finanzmarktschirm aufgespannt haben, ist die notwendige Voraussetzung, um eine Konjunkturbelebung zu erreichen, lieber Kollege. ({8}) Auch die in anderem Kontext beschlossenen Erhöhungen von Kindergeld und Kinderfreibetrag und die nochmalige Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags werden konjunkturstützend wirken. Gleiches gilt für viele andere Positionen im Haushalt, der diese Woche verabschiedet wird. Wir haben in den letzten Jahren Milliarden in die Hand genommen, um Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung und Familienbetreuung zu finanzieren. ({9}) Auch Familienbetreuung ist eine Zukunftsinvestition. ({10}) Wir führen diesen Weg in dieser Woche fort. Das muss man im Zusammenhang sehen und denken. Erhebliche Entlastungen für Investoren wie für Verbraucher bieten zudem die mittlerweile stark gesunkenen Energiepreise. Die jüngsten Quartalszahlen zur Wirtschaftsentwicklung, heute veröffentlicht, zeigen, dass der vor allem energiepreisbedingte Rückgang der Teuerung den privaten Konsum sofort beflügelt hat. Es stimmt also nicht, dass insgesamt nicht in einem großen Umfang Konjunkturimpulse entstehen. Weil wir unsere konjunkturpolitische Verantwortung wahrnehmen, hat die Koalition die Nettokreditaufnahme des Bundes für 2009 im Vergleich zum Regierungsentwurf fast verdoppelt. Das ist kein Pappenstiel und wird uns von der Opposition in dieser Woche sicherlich noch oft vorgehalten werden.Wir halten es aber für richtig, in der jetzigen Situation die automatischen Stabilisatoren des Budgets wirken zu lassen. Wir halten es für falsch, dem Abschwung noch hinterherzusparen. ({11}) Wir in der Großen Koalition wollen aktiv gegensteuern. Das Gleiche sollte übrigens für die Bundesländer gelten. Auch die Bundesländer müssen ihrer konjunkturpolitischen Mitverantwortung nachkommen und zum Beispiel kommunale Investitionsprogramme auflegen. ({12}) Wer sich hier verweigert, versagt eventuell in einer historisch nicht ganz belanglosen Situation. Ich bitte die Ministerpräsidenten, in einer stillen Stunde einige Interviewäußerungen, die in den letzten Wochen zu lesen waren, noch einmal zu überdenken. Konjunkturpolitik ist nicht nur Sache des Bundes. Wir alle sind in einer gesamtstaatlichen Verantwortung. ({13}) Nach unserer gemeinsamen Auffassung in der Koalition sind wir jetzt gezwungen, unseren Haushaltskonsolidierungskurs an die aktuelle Entwicklung anzupassen. Auch Frau Bundeskanzlerin Merkel hat verschiedentlich deutlich gemacht, dass wir das Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushaltes 2011 an die Realität anzupassen haben. Das Bundeskabinett hat am 5. November formuliert: Aufgrund der veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird ein Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung in 2011 aus heutiger Sicht nicht zu realisieren sein. Dies bedeutet keine Aufgabe des Ziels; vielmehr wird die Bundesregierung alles tun, um einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung baldmöglichst zu erreichen. ({14}) Dem ist aus Sicht der Sozialdemokraten nichts hinzuzufügen. Wenn ich mir allerdings vor Augen führe, was der CSU-Vorsitzende Seehofer, aber auch andere in CDU und CSU in den letzten Tagen gesagt haben, dann stelle ich fest, dass manchen das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nicht mehr viel zu bedeuten scheint. ({15}) Es ist erstaunlich - das muss ich auch als Koalitionsmitglied deutlich sagen -, wie schnell das frühere Glaubensbekenntnis „Keine Steuersenkungen auf Pump!“ aufgegeben wird, gerade in Bayern. Für die nachfolgende Generation ist eine solche Botschaft durchaus nicht beruhigend. ({16}) Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger bin ich in diesem Zusammenhang dankbar, am 21. November im Handelsblatt noch einmal darauf hingewiesen zu haben, dass Forderungen nach weitgehenden Steuerentlastungen sanierte öffentliche Haushalte voraussetzen. ({17}) Dieser Zusammenhang wird nach meiner Auffassung auch in der derzeitigen konjunkturellen Schwächephase nicht außer Kraft gesetzt, auch wenn uns das viele einreden wollen. Ob massive Steuerentlastungen zugunsten der privaten Konsumenten zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich in zusätzliche Binnennachfrage umgesetzt würden, bleibt fraglich und ungewiss. ({18}) Denn wir leben in Deutschland mit einem Hang zu einer hohen Sparquote. Wir leben nicht in strukturell konsumorientierten Volkswirtschaften, in denen die Mechanismen seit Jahrzehnten anders funktionieren. Und es gibt bereits erste Stimmen im Einzelhandel in Großbritannien, die die von Gordon Brown geplante Mehrwertsteuersenkung kritisieren; sie werde überhaupt nicht spürbar sein, weil die Preise sowieso fielen. Ist die Situation bei uns nicht ähnlich? Wenn Herr Oettinger an das finanzpolitische Einmaleins erinnert - je größer die Steuersenkung, desto höher die Verschuldung -, dann hat er mit seinen Äußerungen offensichtlich auf die eigenen Reihen gezielt. Mit der steuerpolitischen Unklarheit in den Reihen unseres Koalitionspartners werden die Menschen verunsichert und der Abschwung verstärkt. Deswegen bitte ich auch, da Klarheit herzustellen. ({19}) Wir brauchen jetzt vertrauensbildende Maßnahmen, und das sind neben dem Finanzmarktschirm auch die kurzfristig umsetzbaren Investitionen zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes. Frank-Walter Steinmeier hat mit seinem „Europäischen Zukunftspakt für Arbeit“ in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass zur Bewältigung der Krise, deren Ursachen weit über Deutschlands Grenzen hinausgehen, auch europäische Initiativen und europäische Koordination nötig sind. Die Bundeskanzlerin hat das richtig aufgenommen. Ich vertraue darauf, dass hier in den nächsten Tagen vernünftige Lösungen gefunden werden. Entlang dieser Linie gilt es, mit gemeinsamer Kraft weiterzuarbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen wird. Danke für die Aufmerksamkeit. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Poß, Sie haben eben erklärt, dass der sinkende Ölpreis die Nachfrage stabilisiert, aber gleichzeitig erklären Sie, dass sinkende Steuern möglicherweise gar keine Auswirkung auf die Nachfrage haben. Diese Logik müssen Sie einmal erklären. ({0}) Europa diskutiert über Steuersenkungen, aber uns wird hier ein zusammengeflicktes Konjunkturprogramm vorgelegt. Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung - das ist ein starker Titel für diese schwache Vorlage. ({1}) Glauben Sie denn wirklich, das, was Sie uns hier vorlegen, sei dazu geeignet, in Deutschland Wachstum und Beschäftigung zu fördern? Der ganze Gesetzentwurf krankt daran, dass man jeder einzelnen Maßnahme deutlich anmerkt: Es soll vor allen Dingen gut klingen. Aber wie mickrig das ist, was Sie hier abliefern, wird deutlich, wenn wir uns anschauen, was die sogenannte Große Koalition gegen mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland in den letzten Jahren aktiv unternommen hat. Denken Sie an die Mehrwertsteuererhöhung: 3 Prozentpunkte - damit haben Sie den Bürgern die Luft zum Atmen genommen, die sie jetzt dringend brauchten. SPD und CDU/CSU haben den Menschen in Deutschland systematisch das Geld aus den Taschen gezogen, wann immer sie konnten. ({2}) Jetzt wundern Sie sich, dass die Binnennachfrage am Boden liegt. Das haben wir Ihnen seit Jahren vorausgesagt. Sie ernten jetzt die Früchte Ihrer verfehlten Finanzpolitik und nichts anderes. ({3}) Glauben Sie denn, Sie könnten den Schaden, den Sie angerichtet haben, mit einer begrenzten Aussetzung der Kfz-Steuer auch nur ansatzweise vergessen machen? Das Problem Ihres Gesetzentwurfes ist: Sie wollen die Menschen nicht wirklich entlasten, weil Sie sich im Kern darauf nicht einigen können. Genau deshalb wird von Ihrem Gesetz auch kein entscheidender Impuls für Wachstum und Beschäftigung ausgehen. Das Gesetz gleicht aber auch das nicht aus, was Sie unternommen haben, um diesem Land zu schaden: Sie haben die Pendlerpauschale gekürzt, Sie haben die Eigenheimzulage ersatzlos gestrichen, die Versicherungsteuer erhöht und, und, und. Heute Morgen im Finanzausschuss haben Sie sich darauf verständigt, dass am Freitag im Jahressteuergesetz die Regelung zum Mantelkauf verschärft wird, was dazu führen wird, dass wir in einer wirtschaftlich schwierigen Phase übertragene Sanierungen in Deutschland erschweren. Denken Sie doch einmal darüber nach, was Sie da anrichten. Das können Sie doch mit einem so zusammengeflickten Konjunkturprogramm nicht aufwiegen. Ihre Steuer- und Finanzpolitik ist völlig verfehlt. ({4}) Aber es gibt bei Ihnen offensichtlich einen gewissen Erkenntnisgewinn; denn mit Ihrem Konjunkturpaket gestehen Sie zumindest teilweise ein, dass Sie Fehler gemacht haben. Sie haben die degressive Abschreibung zunächst abgeschafft, und jetzt meinen Sie, den Stein der Weisen entdeckt zu haben, und erklären, diese müsse dringend wieder eingeführt werden. Nun haben wir Ihnen damals schon gesagt, dass es ein Fehler war, was Sie gemacht haben. ({5}) Es war falsch. Es ist schade, dass eine so große Mehrheit im Deutschen Bundestag immer nur hinterherhinkt, nicht auf die Opposition hört, das Kind in den Brunnen fallen lässt und dann versucht, mit Aktionismus die Dinge wieder zu retten. Die Hauptursache für die Probleme liegt doch darin, dass Sie seit Jahren kein finanzpolitisches Konzept haben, das Land auf eine schwierige konjunkturelle Phase nicht vorbereitet haben und jetzt in blanken Aktionismus verfallen. ({6}) Degressive Abschreibung abschaffen, degressive Abschreibung einführen - wenn man darunter einen Strich zieht, stellt man fest, was die Bilanz Ihrer Finanzpolitik ist: Das ist eine Nullnummer, was Sie hier abliefern. ({7}) Es ist mehr als fraglich, ob sich damit in einer Rezession heute noch die gleichen Investitionen generieren lassen, wie das damals im Aufschwung möglich gewesen wäre. Investitionen sind nämlich auch Ausdruck wirtschaftlicher Aussichten, und die waren damals entschieden besser als heute. Damals haben Sie ohne Not Wachstum und Beschäftigung aufs Spiel gesetzt. Ihr spätes Einlenken wird den angerichteten Schaden nicht vollständig wieder ausgleichen können. Ihre Steuer- und Finanzpolitik ist nicht vorausschauend. Sie hinken hinterher. Sie haben kein klares Ziel vor Augen. Aber abgesehen davon versuchen Sie nicht nur, einige Dinge zurückzunehmen, die Sie falsch gemacht haben, sondern auch, reine Placeboeffekte in unserem Land zu schaffen. Ich meine, Herr Finanzminister Steinbrück, es wäre eine Frage der Ehrlichkeit, den Menschen zu sagen: Diese Koalition kann sich auf Strukturreformen nicht einigen; deswegen sind wir in dieser Krise handlungsunfähig. Das wäre ein Stück Ehrlichkeit, und es wäre besser, als hier so ein zusammengeflicktes Konzept vorzulegen und den Menschen vorzumachen, dies sei die Lösung der enormen Probleme, die unser Land - auch wegen der Tatenlosigkeit dieser Bundesregierung - hat. ({8}) Es ist noch nicht lange her, dass die Bundeskanzlerin in diesem Hohen Haus tönte, der Aufschwung komme bei den Menschen an und das sei gut für Deutschland. Das Dumme war nur, dass die Menschen davon nichts gemerkt haben. Der Abschwung trifft die Menschen jetzt aber in voller Härte. Das ist die schlechte Botschaft für unser Land, und die Bundeskanzlerin glänzt durch Abwesenheit. ({9}) SPD und CDU/CSU haben eine historische Chance vertan. Statt den Aufschwung zu nutzen, um den Haushalt zu sanieren, wurde fröhlich weiter auf Pump gelebt. Sie geben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Geld aus, das Sie in guten Zeiten nicht angespart haben. Was Frau Merkel und Herr Steinbrück heute ausgeben, müssen künftige Generationen doppelt zurückzahlen. Hier tritt eine bemerkenswerte Lernunfähigkeit der Bundesregierung zutage. Die Beratungen der Föderalismuskommission II wurden ausgesetzt, obwohl dort dringend Handlungs- und Einigungsbedarf besteht. Gerade jetzt wären eine Schuldenbegrenzung und auch eine klare Regelung, wie Schulden, in einer konjunkturellen Schwächephase aufgenommen, zurückgezahlt werden, dringend notwendig. Aber mit diesen strukturellen Fragen wollen Sie sich in Ihrer angeblich so großen Koalition nicht beschäftigen, weil Sie sich mit den wirklich zentralen Fragen, durch deren Beantwortung Deutschland nach vorne gebracht und auf diese schwierige Situation hätte vorbereitet werden können, nicht auseinandersetzen wollen. Ihnen fehlt die Kraft zur Einigung auf Strukturreformen in unserem Land. „Reformieren, Konsolidieren, Investieren“ war das Versprechen der Regierung Merkel an die Bürgerinnen und Bürger. „Abkassieren, Ignorieren und Ruinieren“ ist die bittere Realität dieser Großen Koalition. ({10}) Sie haben die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland hemmungslos abkassiert. Sie haben Probleme ignoriert. Sie haben die Chance nicht genutzt, die Binnennachfrage in Deutschland auf Vordermann zu bringen. Es war klar, dass die Realität bitter sein wird, wenn wir in eine konjunkturelle Schwächephase kommen. Dass die konjunkturelle Schwäche kommt, war ebenfalls vorhersehbar. Jetzt stehen Sie tatenlos da und bringen nichts zustande. Es ist bedauerlich, was Sie uns in der Finanzpolitik bieten. Deutschland braucht - die FDP sagt das seit Jahren dringend Strukturreformen. Wir brauchen eine Steuerreform, die die Bürgerinnen und Bürger entlastet. Herr Kollege Poß, es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass eine steuerliche Entlastung der unteren und mittleren Einkommen die Binnennachfrage in Deutschland beleben kann. Es wäre gut, wenn die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung auf das achten würden, was die europäischen Partner tun, was sie sagen und was sie auf den Weg bringen. Das ist allemal besser als das, was die deutsche Bundesregierung uns hier bietet. ({11}) Sie fuchteln mit einem zusammengeflickten Konjunkturprogramm herum, nehmen Ihre fehlerhaften Maßnahmen teilweise zurück und haben damit für das Land nichts erreicht. Inzwischen treten Ihre ehemaligen sozialdemokratischen Wirtschaftsminister schon aus der SPD aus. Das sollte Ihnen eine Mahnung sein. Sie sind auf dem falschen Weg. Sie sind nicht gut aufgestellt, und Sie können die Probleme dieses Landes nicht lösen. ({12}) Sie haben die Menschen abkassiert. Sie haben ihnen den Aufschwung in Deutschland vorenthalten und lassen sie im Abschwung allein. Das ist unverantwortlich. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Michael Meister ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben momentan zwei Entwicklungen, die sich überlagern, zum Ersten eine Abschwächung der Weltkonjunktur, von der wir als Exportnation, als Exportweltmeister natürlich massiv betroffen sind. Zum Zweiten erleben wir eine Strukturkrise auf den Finanzmärkten und - das erkennen wir, wenn wir in die USA und in andere Länder blicken - in der Immobilienwirtschaft. Die Auswirkungen beider Entwicklungen treffen uns nun. Wir stellen deshalb ein massives Wegbrechen der Auftragseingänge bei den Unternehmen fest, und wir haben ein Problem in der Liquiditätsversorgung der Unternehmen. Auf diese Probleme müssen wir in der nationalen Politik versuchen eine Antwort zu geben. Ich möchte ausdrücklich sagen, Herr Wissing: Die Darstellung, dass wir es hier mit rein national verursachten Problemen zu tun haben, geht nach meiner Wahrnehmung an der Realität massiv vorbei. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das international ist und fast alle Länder trifft. ({0}) Weil es ein internationales Problem ist, ist es wichtig, dass wir national die richtigen Antworten geben, aber genauso wichtig, dass wir diese Antworten international koordinieren. An der Stelle möchte ich einen Dank an die Bundesregierung sagen, und zwar dafür, dass sowohl im Rahmen der Europäischen Union wie auch im Rahmen der G 8 versucht wird, die Handlungsoptionen zu koordinieren, aber die Verantwortung für das Handeln jeweils bei den nationalen Regierungen zu belassen. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Es ist darauf hingewiesen worden, dass sich in den vergangenen drei Jahren unsere Kondition wesentlich verschlechtert hat. Ich will hier ausdrücklich feststellen: Ich teile diese Einschätzung nicht. Meine Wahrnehmung ist, dass wir in den Bereichen der Staatsverschuldung, des Arbeitsmarkts und des Potenzialwachstums wesentlich besser aufgestellt sind, als wir es vor drei Jahren waren. Wer in die Unternehmen hineinschaut, sieht: Sie sind in einer wesentlich besseren Verfassung als vor drei Jahren. ({1}) Auch was die Verantwortung der Tarifpartner angeht, wird ein massiver Beitrag dazu geleistet. ({2}) Wir haben die Chance, in der Krise zu bestehen, weil wir besser aufgestellt sind als vorher. ({3}) Wenn wir uns jetzt die einzelnen Probleme anschauen, dann stellen wir fest, dass es zum einen eine massive Vertrauenskrise innerhalb der Bankenwelt gibt und zum anderen eine Vertrauenskrise in der Hinsicht, ob ein Kreditnehmer aus der Realwirtschaft in der Lage sein wird, seine Kredite zu bedienen. An diesen Stellen setzen wir an. Wir haben gemeinschaftlich das Finanzmarktstabilisierungsgesetz verabschiedet und damit als Politik einen schnellen Beitrag dazu geleistet, neues Vertrauen unter den Akteuren zu schaffen. Wir leisten jetzt einen zweiten Beitrag, indem wir versuchen, die Kreditversorgung der Realwirtschaft zu stärken. Über die KfW sorgen wir dafür, dass das Volumen der Kreditmöglichkeiten ausgeweitet wird und dass durch Maßnahmen im Bereich der Haftungsübernahme die Kreditversorgung der Realwirtschaft gestärkt wird. Ich glaube, das ist ein richtiger Ansatz. Jetzt kommt es darauf an, dass die jeweiligen Hausbanken diesen Schritt unterstützen und dafür sorgen, dass die Liquidität wirklich bei den Unternehmen ankommt. ({4}) Ich glaube, es ist richtig, dass wir in dieser Lage keinen Kurswechsel vornehmen. Wir haben zu Beginn gesagt: Sanieren, Investieren, Reformieren. Das ist aus meiner Sicht auch jetzt die richtige Antwort. Wir dürfen nicht immer nur auf die Negativfaktoren blicken. Vor einem halben Jahr haben wir massive Inflationsgefahren am Himmel gesehen. Jetzt erkennen wir: Diese Inflationsgefahren sind gebannt. Deshalb freue ich mich, dass die Bundesbank den Spielraum ein Stück weit genutzt hat, um uns in dieser Lage beim Basisrefinanzierungssatz zu helfen. Wir haben uns vor wenigen Monaten mit extrem hohen Energie- und Rohstoffpreisen herumgeschlagen. Die Lage hat sich jetzt entspannt. An der Stelle reden wir über Volumina, die mein Freund Kampeter und der Kollege Schneider aus dem Bundeshaushalt niemals heben könnten. Natürlich ist es richtig, dass wir über politische Maßnahmen nachdenken, aber auch die Frage, wie die sonstigen Rahmenbedingungen sind, sollten wir nicht aus dem Blick verlieren. Für die Unternehmen ist ein deutlich besseres Umfeld entstanden und entsteht weiter, was uns natürlich freut. ({5}) Es wird kritisiert, dass wir unseren Konsolidierungskurs aufgeben. Ich sage an dieser Stelle für die Unionsfraktion eindeutig: Nein, wir bleiben bei unserem Kurs. Wir wollen den Bundeshaushalt konsolidieren und strukturell ausgleichen. Wir haben in unserem Konzept aber immer gesagt: Wenn es zu einer konjunkturellen Notlage kommt, dann brauchen wir ein Haushaltsausgleichskonto. ({6}) Jetzt wird es spannend: Unser Konzept einer Schuldenbremse - dazu stehen wir - trägt auch in dieser Krisensituation, weil es genau für diese Krisensituation den Konjunkturausgleich vorsieht. Wir dürfen uns deshalb nicht von diesem Modell abwenden, sondern wir müssen es umsetzen, um ein Stück weit für Vertrauen zu werben und für Planbarkeit bei der Staatsverschuldung zu sorgen. ({7}) Wir als Unionsfraktion stehen zu diesem Weg. Wir wollen das auch in der jetzigen Situation umsetzen. Das bedeutet natürlich, dass man die Mehrausgaben, die jetzt temporär notwendig sind, in Zukunft wieder erspart. Dazu müssen wir uns „committen“; dazu müssen wir an dieser Stelle eindeutig Ja sagen. ({8}) Wir versuchen mit diesem Programm vor allen Dingen, Investitionen zu stärken. In diesem Zusammenhang möchte ich eindeutig sagen: Nach meiner Meinung stellt die Unternehmensteuerreform für die Unternehmen in Deutschland einen Gewinn bzw. einen Sprung nach vorne dar: Denn dadurch, dass Erträge geringer als früher versteuert werden, wird der Standort Deutschland international wettbewerbsfähiger. Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir für einen begrenzten Zeitraum dafür sorgen, dass die Unternehmen Investitionen tätigen. Deshalb sind die Maßnahmen, die wir im Zusammenhang mit der degressiven AfA getroffen haben, auch wenn sie teuer sind, richtig, um für einen begrenzten Zeitraum Investitionen anzuschieben. ({9}) Genauso richtig ist es, dass wir die Investitionen der öffentlichen Hand zum Beispiel in die Infrastruktur erhöhen. Wir werden in den nächsten beiden Jahren, also 2009 und 2010, rund 4 Milliarden Euro mehr für Infrastrukturinvestitionen bereitstellen. Das ist aus meiner Sicht ein richtiges Signal - sinnvoll ist es besonders dann, wenn es dazu dient, langfristig Wachstum und Beschäftigung im Lande zu befördern. Deshalb stehen wir auch zu dieser Maßnahme. ({10}) Jetzt komme ich zum steuerlichen Bereich. Natürlich ist es richtig, die Menschen steuerlich zu entlasten. ({11}) Wir als Union wollen Steuerentlastungen aber, wie ich vorhin gesagt habe, mit einer Konsolidierung des Staatshaushaltes verbinden. Ich will beides: ({12}) strukturellen Ausgleich der Haushalte und steuerliche Entlastung. Deshalb beschließen wir jetzt, dass zum 1. Januar 2009 - die Gesetze liegen vor - die Familien durch Erhöhung des Kinderfreibetrages bzw. des Kindergeldes entlastet werden. Wir beschließen jetzt gemeinsam eine Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages. Wir eröffnen jetzt die Möglichkeit, Handwerkerleistungen noch stärker bei der Einkommensteuer zu berücksichtigen. Das bedeutet eine steuerliche Entlastung der Einkommensteuerzahler. ({13}) Schließlich sorgen wir für eine Besserstellung der Privathaushalte als Arbeitgeber, um mehr Beschäftigung in diesem Bereich zu mobilisieren bzw. aus der Illegalität zu holen. Auch damit ist eine Besserstellung der Steuerzahler verbunden. All diese steuerlichen Maßnahmen setzen wir zum 1. Januar 2009 um. ({14}) - Nein, das ist kein Placebo. Hierbei handelt es sich um ganz gezielte Entlastung. Die Menschen werden dadurch animiert, auch selbst und an der richtigen Stelle zu investieren, meine Damen und Herren. ({15}) Eine zweite Maßnahme haben wir verabredet, nämlich eine steuerliche Entlastung um 8,4 Milliarden Euro zum 1. Januar 2010, indem wir die steuerliche Absetzbarkeit von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen deutlich verbessern. Auch das bringt eine massive Entlastung der Steuerzahler mit sich, die wir jetzt gemeinschaftlich beraten und umsetzen wollen. Man sollte nicht sagen, wir täten nichts. Wir tun jetzt etwas zu Beginn des Jahres 2009 und etwas zu Beginn des Jahres 2010. Für die Union sage ich Ihnen: Wir sind der Meinung, dass wir über diese beiden Schritte hinaus noch einen dritten Schritt brauchen, nämlich stärkere Motivierung der Leistungsträger. Dazu müssen wir wirksame Maßnahmen gegen die kalte Progression treffen. Dies wollen wir machen, indem wir die Kurve der Einkommensteuertarife flacher verlaufen lassen, damit sich Leistung mehr lohnt. Das ist der dritte Schritt, den wir gemeinschaftlich umsetzen wollen. ({16}) Ich glaube, deshalb sollten wir nicht immer nur das tun, was ganz leicht ist, nämlich Kritik an vereinbarten Zeitplänen oder vereinbarten Maßnahmen üben, sondern wir sollten auch einmal, um Vertrauen zu schaffen, geDr. Michael Meister meinschaftlich das, was umgesetzt wird, nach außen kommunizieren. Damit leistet man einen echten Beitrag dazu, dass sich Vertrauen bildet. Wir sind ein Teil, der Stabilität in diesem Lande schafft. Wir sind ein Teil, dem man vertrauen kann. Deshalb werden wir es auch schaffen, dass wir als Stabilitätsanker in dieser Krise wahrgenommen werden. Vielen Dank. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Weltfinanzgipfel erlebt. Die meisten - wir gehören dazu - sind davon wirklich mehr als enttäuscht, und zwar deshalb, weil unter anderem beschlossen wurde, weiterhin freie Finanzmärkte zuzulassen. Es wurde nicht verstanden, dass es einen Unterschied zwischen dem Gütermarkt und dem Finanzmarkt gibt. ({0}) Auf dem Güter- und Dienstleistungsmarkt werden Waren und Dienstleistungen entweder gegen Waren und Dienstleistungen oder gegen Geld getauscht; das ist regulierbar. Auf dem Finanzmarkt wird Geld gegen Geld getauscht. Das Ergebnis ist immer, dass einer verlieren muss und einer gewinnen soll. Das Ganze ist reine Spekulation und führt zu solchen Katastrophen, wie wir sie jetzt erleben. Wenn Ihre Entscheidung nicht anders lautet, als alles weiter so laufen zu lassen, dann haben Sie nicht verstanden, worum es geht, und sind nicht bereit, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. ({1}) Es stimmt, es gibt internationale Ursachen. Es gibt Ursachen, die in anderen Ländern liegen. Es gibt aber auch Ursachen, die in Deutschland liegen. Ich frage Sie: Was tun Sie gegen die Ursachen in Deutschland? Ich nenne Ihnen einige wenige Beispiele. Nehmen wir die Hedgefonds. Was sind Hedgefonds? Man muss der Öffentlichkeit diesen Begriff erklären. Diese Fonds beteiligen sich mit einem Minimum an Eigenkapital an einem Unternehmen, das gerade pleitegeht. Sie leihen sich den größten Anteil des Geldes und bürden die dadurch entstehenden Schulden dem neuen Unternehmen auf. Dann entlassen sie massenhaft Leute und verkaufen das Ganze profitabel. Das ist ihr Zweck. Deshalb sagte Herr Müntefering, nachdem er das Ganze zugelassen hat, das seien Heuschrecken. Ich frage Sie: Was machen Sie? ({2}) Außerdem wurde unter der Regierung von SPD und Grünen geregelt, dass für diese Käufe und Verkäufe nicht ein Cent an Steuern zu zahlen ist; diese Steuern musste man unter der von Kohl geführten Regierung noch zahlen. Die Große Koalition hat an dieser Regelung nichts geändert. ({3}) Das ist ein Anreiz gewesen, all diese Geschäfte in Deutschland zu betreiben. Ich frage Sie nun: Was haben Sie für einen Gesetzentwurf? Haben Sie einmal überlegt, ob Sie Hedgefonds entweder wieder verbieten oder - wenn Sie weiterhin zulassen wollen - in ihren Möglichkeiten kontrollieren und einschränken? - Sie haben nichts dergleichen getan. ({4}) Nehmen wir die Zweckgesellschaften. Banken gründen in Steueroasen Zweckgesellschaften, damit sie nicht der Finanzkontrolle unterliegen. Diese Zweckgesellschaften verkaufen faule Kreditbriefe - das hat uns mit in den Ruin getrieben -, und dafür müssen sie keine Steuern zahlen. Wo ist Ihr Gesetzentwurf zum Verbot oder wenigstens zur Kontrolle dieser Zweckgesellschaften? - Den gibt es nicht. ({5}) Die dritte Forderung, die man aus der Finanzkrise herleiten kann, ist, dass Steueroasen trockengelegt werden. Ich frage Sie: Wann haben Sie mit Präsident Bush darüber geredet, ob er versucht, die entsprechenden Inseln im Atlantik diesbezüglich mit amerikanischen Mitteln zu überzeugen? ({6}) - Nein, um die Bundeswehr geht es nicht, es geht um ganz andere Wege. Die Bundeswehr ist immer Ihre Antwort. Wir haben regelmäßig andere Antworten. ({7}) Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Nichts dergleichen ist verabredet worden. Ich frage Sie daher: Haben Sie wenigstens schon einmal mit Obama telefoniert? Ich frage dies, weil ich hoffe, dass man sich mit ihm diesbezüglich verständigen kann. ({8}) Ein weiterer Aspekt sind die Verbriefungen. Das sind Handelsgeschäfte mit Krediten, die Banken, Immobiliengesellschaften und Investmentfonds zu Paketen bündeln und weltweit verkaufen. Genau dadurch wurde die Krise ausgelöst; denn die meisten Kredite waren faul, weil keine Werte dahinter standen. Das war die Ursache. Was machen Sie gegen diese Art der Verbriefungen? - Nichts. ({9}) Deshalb sage ich Ihnen: Sie haben keine Schlussfolgerungen gezogen. Die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, bereitet uns darauf vor, dass das kommende Jahr schlechte Nachrichten bringen wird. Die Deutsche Bundesbank erklärt: Wir werden ab dem nächsten Jahr die schwerste Wirtschafts20244 krise seit 1949 erleben, weil die Finanzkrise mit allen Folgen in die Realwirtschaft überschwappt. Was macht die Bundesregierung? - Sie legt für das nächste Jahr ein Konjunkturprogramm im Umfang von weniger als 4 Milliarden Euro vor. Das sind 0,15 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Ich sage Ihnen: Daran wird deutlich, dass Sie die Situation nicht verstanden haben; denn Sie sind nicht bereit, die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. ({10}) Die deutsche Wirtschaft lebt nun einmal sehr von den Ausfuhren. Diese brechen aber wegen der internationalen Finanzkrise weg. Sie erkennen das erste Mal, dass man vielleicht die Binnenwirtschaft stärken muss. Das geht aber nur, indem Sie die Kaufkraft erhöhen, die Sie seit Jahren geschwächt haben, sei es durch die Mehrwertsteuererhöhung, durch die Rentenformel oder durch was auch immer. Überall haben Sie die Kaufkraft der Bevölkerung geschwächt. Das muss in unserer Gesellschaft grundsätzlich geändert werden, aus sozialen und aus wirtschaftlichen Gründen. ({11}) Andere Länder reagieren ganz anders als Deutschland. Nehmen Sie das Beispiel China. ({12}) - Ja, ich bitte Sie. - China legt ein Konjunkturprogramm in Höhe von 1,2 Billionen Euro auf. Das entspricht der Hälfte des Bruttoinlandprodukts, nicht 0,15 Prozent. Wenn Ihnen China nicht gefällt, dann nehmen wir die USA. Obama hat gesagt, er wolle 700 Milliarden Dollar in ein Konjunkturprogramm einbringen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Nehmen Sie Großbritannien. Großbritannien steckt im nächsten Jahr 23 Milliarden Euro in ein Konjunkturprogramm ({13}) und senkt die Mehrwertsteuer von 17,5 auf 15 Prozent. Nichts dergleichen fällt Ihnen ein, was aber dringend erforderlich wäre, wenn eine Wirtschaftsrezession verhindert werden soll. ({14}) Ich weiß ja, dass Sie uns nicht glauben; deshalb nenne ich Ihnen auch andere Stimmen. Die EU-Kommission hat gerade vorgeschlagen, jedes Mitgliedsland solle ein Konjunkturprogramm im Umfang von wenigstens 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts starten. Das wären in Deutschland 25 Milliarden Euro. Sie setzen weniger als 4 Milliarden Euro ein. Mit diesem Kleckern werden die Probleme nicht gelöst. ({15}) Auch der Sachverständigenrat, die Fünf Weisen, die durch und durch neoliberal geprägt sind, schlagen Ihnen plötzlich, ebenso wie die Linke, vor, doch mindestens 25 Milliarden Euro zu investieren. ({16}) Auch sie haben erkannt, dass wir in Deutschland einen anderen Weg gehen müssen. Wir haben 50 Milliarden Euro vorgeschlagen. Sie werden sagen, das sei viel zu viel Geld und maßlos übertrieben. Aber Ihr Geldargument zieht nicht mehr richtig. Wenn Sie einen Schutzschirm von 480 Milliarden Euro über die Banken breiten, können Sie nicht sagen, Sie hätten keine 50 Milliarden Euro zur Rettung, zur Erhaltung und zum Ausbau der Arbeitsplätze in Deutschland; denn das ist die zentrale Aufgabe. ({17}) Die 50 Milliarden Euro sollen auf verschiedene Bereiche aufgeteilt werden; davon schlagen wir 30 Milliarden Euro als Investitionssumme vor: 15 Milliarden Euro sollen in Bildung fließen. Das ist ungeheuer wichtig, damit wir diesbezüglich wieder durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich in Europa dastehen und damit endlich alle Kinder chancengleich oder wenigstens annähernd chancengleich aufwachsen können, indem ihnen eine gute Bildung zuteil wird. ({18}) 4 Milliarden Euro brauchen wir für die Energiewende. Für die Gesundheit brauchen wir 3,5 Milliarden Euro. All das führt nicht nur zu gerechteren Verhältnissen, sondern kurbelt auch die Binnenwirtschaft an; denn es gibt immer mehr kleine und mittlere Unternehmen, die auf die Kaufkraft der Bevölkerung und auf Investitionen dieser Art angewiesen sind. In diesem Zusammenhang haben wir auch eine Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV auf 435 Euro vorgeschlagen. Diese Erhöhung würde 7 Milliarden Euro kosten und wäre vertretbar. Außerdem fordern wir eine Erhöhung der Renten um 4 Prozent. Es soll endlich einmal wieder eine wirkliche Erhöhung der Renten sein. ({19}) Auch diese kostet 7 Milliarden Euro. Wir wollen endlich die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,71 Euro brutto die Stunde. Auch das stärkt die Kaufkraft in Deutschland. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi!

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Herr Präsident weist zu Recht darauf hin, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Ich weiß, dass Sie das freuen wird. Sonst würde ich Ihnen noch unsere tollen Vorschläge für die kleinen und mittleren Unternehmen erläutern. Das erzählt Ihnen Oskar Lafontaine morgen. Sie müssen also keine Sorge haben; das werden Sie noch erfahren. Eines müssen Sie begreifen: Sie müssen aufhören, zu kleckern, und endlich klotzen. Sonst geraten wir in die schlimmste Wirtschaftskrise seit 1949, wie es die Deutsche Bundesbank vorausgesagt hat. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts des Konjunkturprogramms, das in dieser Woche in erster Lesung beraten wird, und der Diskussionen, die darüber hinausgehen, ist unser Eindruck, dass die Große Koalition in ihrer Konjunkturstabilisierungsbemühung keine klare Richtung hat, dass sie extrem schlecht koordiniert ist und dass sie bislang auch nicht bereit ist, wirklich ernsthaft in einen europäischen Verbund von Konjunkturmaßnahmen einzutreten. ({0}) Letzteres kann ich an einem einfachen Beispiel belegen. Einen Tag, nachdem die Bundeskanzlerin Herrn Glos beauftragt hat, auf der europäischen Ebene zu sondieren und in das europäische Konjunkturprogramm deutsche Vorschläge einzubringen, stellt der Außenminister sein Konzept für ein europäisches Konsolidierungsprogramm vor. Wenn eine Regierung so agiert, dann muss doch auf dem Markt der Eindruck entstehen, dass die Große Koalition nicht so richtig weiß, was sie eigentlich will. Wenn man uns zudem schon jetzt erklärt, die 10 Euro Kindergelderhöhung seien der deutsche Beitrag zum europäischen Konjunkturprogramm, dann kann ich eigentlich nur lächeln. ({1}) Ein konsistentes Konzept wird daraus jedenfalls nicht. Wir sagen: Gebt dem, was wir machen müssen, endlich einmal eine Richtung! Lasst uns schauen, wo Deutschlands Wirtschaft Schwächen aufweist! In diesen Bereichen müssen wir ein effektives Investitionsprogramm auflegen. Dies würde erstens positive Konjunktureffekte bewirken und zweitens dem Ziel dienen, die wirtschaftlichen Schwächen der Bundesrepublik Deutschland auszugleichen. Dadurch spart man Kosten und gewinnt neue Spielräume. ({2}) Herr Meister, diese Felder, die wir auch in unserem Antrag genannt haben, sind: erstens Investitionen in den Klimaschutz, zweitens Investitionen in Bildung - das umfasst Investitionen in die Ausstattung des Bildungssystems, aber auch in die Schulgebäude - und drittens mehr Investitionen in eine bessere soziale Infrastruktur und in Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit. ({3}) Ich will mit der Umwelt anfangen. Wir haben die Zahlen in unserem Antrag genannt, die aufzeigen, was man zusätzlich alles machen könnte. Man kann aber nicht einerseits Umweltinvestitionen in das Paket aufnehmen - das machen Sie in einem bescheidenen Umfang - und andererseits, wie die CSU, eine Debatte führen nach dem Motto, jetzt müsse der Klimaschutz zurücktreten; denn Klimaschutz sei schließlich teuer. ({4}) Was die CSU da offenbart, ist das Uraltdenken, man könne sich Klimaschutz und Umweltschutz nur leisten, wenn es der Wirtschaft gut gehe, ansonsten stünden sie hintenan. Das Gegenteil ist richtig: Gerade wenn es der Wirtschaft schlecht geht, müssen wir in die Stabilisierung unserer Umwelt und des Klimas investieren. Damit verbinden wir Wirtschaft und Umwelt und kreieren die notwendigen zusätzlichen Arbeitsplätze. ({5}) Es ist schon ein starkes Stück, dass Sie sich nicht wegen Ihres Kfz-Steuer-Gruschds schämen, der heute in erster Lesung behandelt wird. Wer im nächsten halben Jahr ein Auto kauft, soll nach Ihren Plänen ein Jahr von der Kfz-Steuer befreit werden. Das bedeutet für einen Smart eine Steuerentlastung von 135 Euro, aber für einen Audi Q 7, der 298 Gramm CO2 pro Kilometer emittiert, eine Steuerentlastung von 1 852 Euro. Das ist - mit Ihrer Unterstützung - die staatliche Subventionierung von CO2-Dreckschleudern. ({6}) Nun gab es Bewegung in dieser Sache. Zuerst sollte diese Regelung für den Neukauf ein Jahr gelten. Dann hat die SPD ein bisschen gezuckt, und nun ist ein halbes Jahr daraus geworden. Ich sage Ihnen aber deutlich: Was ein Jahr lang Unsinn ist, ist auch ein halbes Jahr lang Unsinn, liebe Genossinnen und Genossen. An dieser Stelle hätten Sie das Kreuz gerademachen müssen. ({7}) Damit es keiner falsch versteht: Die Anrede „Genossinnen und Genossen“ war in Anführungszeichen. ({8}) Jetzt zur sozialen Frage. Die CDU führt eine Steuerentlastungsdiskussion. Sie tut so, als sei eindeutig klar, dass eine Steuerentlastung einen wirksamen Konsumschub bringen könnte. Aber die Steuerentlastung, über die Sie diskutieren und die Herr Meister in seiner Rede an die dritte Stelle gestellt hat, als er von einem gleichmäßigen, linear progressiven Tarif sprach, kostet nach Einschätzung der Experten 45 Milliarden Euro. ({9}) - Sie müssen schon die Summe nennen, um die es eigentlich geht. - Wir sagen klar: Eine Steuerreform in dieser pauschalen Form ist unter den bestehenden Bedingungen nicht zu finanzieren, ({10}) weil nicht garantiert ist, Herr Meister, dass sie wirklich konsumsteigernde Effekte in der Breite hat. Sie können diese Effekte nicht genau vorhersagen. Wir stellen eine andere Frage: Warum entlasten wir nicht die Leute, denen es sozial so schlecht geht, dass sie sicherlich mehr für ihre Familien kaufen würden, wenn sie nur etwas mehr Geld hätten? Deswegen sagen wir: Lasst uns das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro anheben! Damit ist auch ein Anstieg des steuerlichen Grundfreibetrages auf 8 500 Euro verbunden, was im unteren Einkommensbereich zu positiven Effekten führt. Lasst uns endlich die Beseitigung der sozialen Schieflage, die es in Deutschland gibt, mit der Notwendigkeit eines Konjunkturprogramms verbinden! Davon haben Sie bislang nicht geredet. ({11}) Ich will von der Union wirklich einmal wissen - aus Ihren Reihen gibt es ja noch Redner zu diesem Punkt -, wie Sie die Aussichten für Ihre Steuerreform einschätzen. Wollen Sie sie noch in dieser Legislaturperiode machen, oder stimmen Sie Herrn Meister zu, der davon gesprochen hat, erst den Haushalt zu konsolidieren und dann die Steuern zu senken? Für den Fall, dass Sie das ernst meinen, Herr Meister, stelle ich Ihnen einmal folgende Frage: Wieso ist im Rahmen der Föderalismuskommission II noch nicht von Herrn Oettinger und Herrn Struck zu einem Anschlusstermin für eine Plenarsitzung eingeladen worden? Zur Erinnerung: Im Oktober sollte in der Föderalismuskommission eine Regelung zur Schuldenbremse verabschiedet werden - wegen der Bayern-Wahl erst so spät im Oktober. Das ist bekannt; es ist kein Geheimnis. Dann hat man die Sitzung mit der Begründung des SPDParteitags abgesagt. Klar war: Der eigentliche Grund war die Finanzkrise; denn in der Großen Koalition glaubt keiner mehr ernsthaft an eine Schuldenbremse. Jetzt ist der SPD-Parteitag vorbei, und es gibt noch immer keine Einladung zu einer Sitzung der Föderalismuskommission, auf der vereinbart werden könnte, dass eine Schuldenbremse beschlossen wird, die - mit Ausnahmen für Notzeiten, wie dies die Finanzkrise ja jetzt ist - funktioniert. Ich sage Ihnen, Herr Meister: Die Verwirklichung des Plans, zuerst zu konsolidieren und den Haushalt dann tatsächlich auszugleichen, schaffen Sie nie bis zur nächsten Bundestagswahl. Ihre Vorstellung: „Wir führen nach der Bundestagswahl eine Steuersenkung durch, damit wir einen schönen Wahlkampf führen können“ ist nicht richtig und nicht zu verwirklichen - zumindest dann nicht, wenn das stimmt, was Sie heute gesagt haben. ({12}) Zum Schluss stelle ich fest: Ein richtiges Investitionsprogramm, das Arbeitsplätze schafft, muss bei der Klimapolitik, der Bildung und bei sozialer Gerechtigkeit ansetzen. Es muss eine Richtung haben und darf kein wildes Sammelsurium sein, wie es das der Bundesregierung ist. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Hans Michelbach ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Zweifel: Die Finanzmarktkrise, die Angst vor der Rezession, die Sorge um Auftragseinbrüche, die Furcht vor Arbeitsplatzverlusten, Investitionskürzungen sind leider Realität. Ursachen sind das Versagen von Marktakteuren in der Kreditwirtschaft und ein breiter Stimmungsabschwung in der gesamten Wirtschaft, insbesondere in allen Exportländern dieser Welt. Da ist es gut, wenn die Politik schnelle und konkrete Handlungsfähigkeit beweist. Die Krisenfähigkeit, das Krisenmanagement dieser Bundesregierung, der Großen Koalition haben funktioniert und funktionieren. ({0}) Das sieht die Wirtschaft so; das sehen die Menschen so. Wir erzeugen Vertrauen in die Zukunftssicherung. Wir haben in den Maßnahmen eine klare Richtung. Wir haben klare ordnungspolitische Grundsätze. ({1}) Wir müssen deutlich sagen, was getan wurde und was noch getan werden muss. Das ist ein fortlaufender Prozess; denn auch Wirtschaft ist ein fortlaufender Mechanismus. Zunächst haben wir wirtschaftliche Erfolge erzielt. Darüber muss man reden. Wir hatten im letzten Jahr Steuermehreinnahmen von 38,2 Milliarden Euro. Das heißt, hier wurden überhaupt erst die Grundlagen geschaffen, die nötig sind, um Maßnahmenpakete, Investitionsanreize und Steuersenkungen in Angriff zu nehmen. Die Situation ist: Wir haben in den letzten drei Jahren etwas geschaffen; wir haben einen wirtschaftlichen Erfolg auf der Habenseite. Das ist ein wesentlicher Punkt. ({2}) Wir müssen deutlich machen, welche Grundlage vorhanden ist: zum Beispiel die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent. Das ist eine Entlastung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber um 30 Milliarden Euro. Auch das ist ein Punkt auf der Habenseite. Damit geben wir Konjunkturanreize. ({3}) Wir müssen natürlich deutlich machen, dass gezielte Maßnahmen ergriffen wurden. Ich denke dabei an den 500-Milliarden-Euro-Schirm für das Funktionieren des Geldmarktes. Das war ein wichtiger Schritt und hat bei den Sparern und Anlegern Vertrauen geschaffen. Es wurde verhindert, dass sich wie in Großbritannien vor den Banken Schlangen gebildet haben. Es wurde das richtige Paket aufgelegt. Natürlich wünschen wir uns, dass die Standards der Kreditvergabe wieder so sind, dass es keine Kreditklemme gibt. Aber zunächst einmal ist wesentlich gehandelt worden. Auch das ist ein Punkt auf der Habenseite. Das heutige Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ ist ein weiterer wichtiger Schritt, ein Impuls für mehr Konsum und Investitionen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Troost?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, gerne.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Michelbach, Sie haben gerade von der expansiven Wirkung der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags gesprochen. Stimmen Sie mir zu, dass dieser Senkung die erhöhten Beiträge für die Gesundheitsversorgung gegenüberstehen und die Bürgerinnen und Bürger insofern letztlich nicht mehr Geld in der Tasche haben werden, sondern eher weniger? ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da stimme ich Ihnen nicht zu; denn letzten Endes dient eine solche Maßnahme der Stärkung des Wettbewerbs. Mit Einführung des Gesundheitsfonds wird es zu mehr Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen kommen. Durch Bonuszahlungen und andere Wettbewerbsmaßnahmen wird ein Systemwechsel bewerkstelligt. ({0}) Der Konjunkturbeitrag ist in jedem Fall dadurch gegeben, dass beim Arbeitnehmer und beim Arbeitgeber durch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge Wirkung entfaltet wird. ({1}) Die Bundesregierung wird auch das EU-Paket auf den Weg bringen. Schon jetzt weitere Maßnahmen anzukündigen, halte ich für kontraproduktiv. Die Situation darf nicht schlechtgeredet werden. Wir müssen gegen den Pessimismus und die Aktionismusforderungen Einzelner vorgehen. ({2}) Wir müssen deutlich machen, dass eine ordnungspolitische Linie - Vernunft, Effizienz und Optimismus - der richtige Weg ist. Auf diesem Weg wird es das eine oder andere weitere Maßnahmenpaket geben. Natürlich wollen wir im steuerlichen Bereich weitere Maßnahmen ergreifen, aber alles zu seiner Zeit. Wir haben gehandelt: Mit der Wiedereinführung der degressiven AfA und der Verbesserung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen haben wir Mittelstandsfreundlichkeit bewiesen. Der Motor des Beschäftigungssektors, der Motor der Wirtschaft ist der Mittelstand, und dieses Maßnahmenpaket ist absolut zielsicher auf den Mittelstand angelegt. Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen. Diesen Weg sollten wir gemeinsam beschreiten; denn er führt zu Erfolg bei Wachstum und zu Beschäftigungssicherung in Deutschland. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befindet, kommt es auf zwei wesentliche Dinge an: Erstens. Die Erkenntnis der Schwierigkeiten darf nicht in Panik umschlagen. Als verantwortliche Politiker haben wir einen ganz wesentlichen Beitrag dazu zu leisten. ({0}) In der Bevölkerung wird Ruhe bewahrt. Wir haben sogar Daten vorliegen, nach denen der private Konsum steigt, obwohl man eigentlich vermuten müsste, dass er zurückgeht. Im Bereich der Wirtschaft handelt man trotz des Ernstes der Lage sehr rational und tritt mit der Politik in einen Dialog über die Frage ein, was erforderlich ist und was nicht. Auslöser der Probleme ist die Finanzkrise. Ich glaube, wir haben sehr schnell und gut gehandelt. Wir stellen sicher, dass der Geldverkehr, der Geldfluss, die Finanzierung von Unternehmen und privaten Haushalten, ohne Kreditklemme möglich ist. Wir werden darauf achten, dass das auch weiterhin möglich bleibt. Auch das Paket, das wir heute beschließen, enthält Elemente, die dafür sorgen sollen, dass Unternehmen, private Haushalte und verschuldete Gemeinden, die Schwierigkeiten am Kapitalmarkt haben, leichter an Geld herankommen, um investieren zu können. Zweitens. Wir müssen natürlich darauf achten, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, sofort funktionieren und nicht wie ein Forschungsförderungsprogramm - manch einer schlägt hier Programme vor, die er schon immer mal umsetzen wollte - erst in fünf, zehn oder 15 Jahren spürbare Erträge abwerfen. Man darf die Umstrukturierungen von Wirtschaft und Gesellschaft, die langfristig erforderlich sind, hin zur Forschungs- und Bildungsgesellschaft - das machen wir ja - und auch den ökologischen Umbau der Gesellschaft nicht mit Konjunkturpolitik verwechseln. Konjunkturpolitik ist nur das, was sofort treffgenau wirkt; es geht dabei um Treffgenauigkeit. ({1}) Reinhard Schultz ({2}) - Zur Kfz-Steuer will ich gern etwas sagen. Wenn der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie diese Reform ausdrücklich für eine geeignete Maßnahme hält, ({3}) kann man trotzdem seine Zweifel haben - auch ich glaube nicht immer allen Präsidenten -, aber dann ist sie zumindest nicht völlig weltfremd. Wenn eine Reform der Kfz-Steuer dazu beiträgt, dass wir vielleicht schneller als erwartet mit den Ländern zu einem Konsens über eine CO2-orientierte Umgestaltung der Kfz-Steuer kommen - vielleicht sogar noch im nächsten Jahr -, dann wäre das eine gute Sache. Allein das wäre es wert, diese Diskussion zu führen. ({4}) Die Kaufzurückhaltung bei Automobilen liegt zum Teil daran, dass die Käufer nicht genau wissen, welche steuerliche Kulisse mittelfristig auf sie zukommt. Da gibt es aufgrund der Konjunktur, aber auch aufgrund unsicherer Besteuerungsgrundlagen in der Zukunft einen Attentismus. ({5}) Insofern können wir nur appellieren und daran arbeiten, so schnell wie möglich mit der richtigen Kfz-Steuer-Reform über die Rampe zu kommen. Konjunkturprogramme müssen etwas Besonderes sein. Das, was wir in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten organisieren, darf nicht auf die Ewigkeit angelegt sein; denn dann gäbe es gar keinen Grund, jetzt zu handeln. ({6}) Deswegen haben wir unsere Maßnahmen im Wesentlichen auf zwei Jahre angelegt. ({7}) Wer in den nächsten zwei Jahren nicht handelt, guckt in die Röhre. Man muss in diesem Zeitraum, in dem es wirtschaftlich schwierig ist, investieren und ausgeben. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass diese Maßnahmen zu dem passen, was wir langfristig erreichen wollen. Dazu dienen die Maßnahmen, die im Haushalt angelegt sind, zum Beispiel die, die mit der KfW insbesondere im Bereich der Gebäudesanierung durchgeführt werden, übrigens unter Einbeziehung öffentlicher Gebäude, insbesondere Schulen und Kindergärten. ({8}) Das wird hier immer gefordert. Aber viele, die das fordern, lesen offensichtlich nicht, was in den Vorlagen steht; das muss man leider manchmal feststellen. Ich denke, wir sind richtig aufgestellt. Diese Maßnahmen sind nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Gesamtkulisse. Ich denke an das Finanzmarktpaket. Übrigens, Herr Gysi, ich weiß nicht, was Sie so im Allgemeinen lesen - hoffentlich nicht nur Neues Deutschland -, ({9}) aber das Kommuniqué nach den Gipfeln war völlig eindeutig: Alle Themen, von den Ratingagenturen bis zu der Frage, dass Risiken, die außerhalb der Bilanzen stehen, in die Bilanzen aufgenommen werden, usw. sind angelegt. ({10}) Wenn Sie der Diskussion über das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz in Deutschland folgen würden - als Berichterstatter haben Sie das Recht, daran teilzunehmen -, dann wüssten Sie, dass in der Koalition verabredet ist, die Aufnahme von außerbilanziellen Risiken in die Bilanzen noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. Ich denke, da sind wir völlig richtig aufgestellt. Ich kann nicht nachvollziehen, was Sie erzählen; aber ich weiß, aus welchen Gründen Sie das tun. ({11}) Sie sind eine personifizierte Zweckgesellschaft, die nur einen Zweck verfolgt, nämlich die Bürger hinter die Fichte zu führen. Das ist Ihre Aufgabe als Zweckgesellschaft namens Linkspartei. ({12}) Wir haben die Situation, dass die Energiepreise gesunken sind. Das ist natürlich auch ein Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Situation. Daher sinkt auch die Inflationsrate. Darüber freuen sich insbesondere die Rentner - sie werden dauernd erwähnt -, die mit einer Rentenerhöhung von über 2 Prozent fest rechnen können, die nicht von der Inflation im nächsten Jahr aufgefressen werden wird. Das ist eine gute Botschaft und trägt - das war von uns so nicht geplant - zum Erfolg des Konjunkturprogramms bei. ({13}) Dies gilt auch für die volle Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge im Jahr 2010. Auch dies war nicht als Konjunkturprogramm geplant; aber wenn man sich überlegt, wie viel Geld bei den privaten Haushalten zusätzlich ankommt, dann muss man auch das einbeziehen, was man sowieso schon beschlossen hat. Es trifft sich gut, dass Milliardenbeträge gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Situation bei den privaten Haushalten als Entlastung ankommen werden. Zur Frage der Größenordnung. Herr Gysi nennt das 1,3-Billionen-Programm der Chinesen. Bei den Chinesen gibt es 800 Millionen arme Leute, die nur davon leben, ihren Reis anzubauen. Dort gibt es soziale Unruhen. Der Einzige, der dort wirklich Geld hat, ist der Staat. ({14}) Reinhard Schultz ({15}) Beispiel USA: Dort ist der Staat verschuldet, und die Sparquote liegt im Schnitt im Minusbereich. Dort kann man kein Programm machen wie bei uns. Wir haben eine sehr hohe Sparquote. Wir müssen den Sparern sozusagen ein Bonbon anbieten, damit sie mit ihrem Ersparten herausrücken. Wir wollen das private Geld mobilisieren, nicht nur Staatsknete. ({16}) Das gelingt mit unserem Programm. Das ist in den USA überhaupt nicht möglich, weil es kein privates Geld gibt. Das ist in China erst recht nicht möglich, wie man sich lebhaft vorstellen kann. Dort ist nur der Einsatz von Staatsknete möglich. Da wir aber weder die USA noch China sind, sondern Deutschland sehr sparsame Bürger hat, die auf ihrem Ersparten sitzen, müssen wir ihnen das Vertrauen geben, dass es sich lohnt, ihr Geld jetzt für Investitionen in den privaten Haushalt auszugeben. Diese Investitionen erleichtern wir ihnen, indem sie die Handwerkerrechnungen absetzen können und auch durch andere Art und Weise. Wir haben damit auch schon Erfahrungen gemacht. Mit dem ersten Wachstumsprogramm, das wir zu Beginn der Großen Koalition aufgelegt haben, haben wir Grundlagen für Maßnahmen gelegt, die sehr gut gewirkt haben. Ein Beispiel ist das Programm zur Gebäudesanierung und noch viele andere Dinge. Daran knüpfen wir an. Dann wurden hier die degressive AfA und auch andere Abschreibungstatbestände kritisiert. Der Vorwurf war, dass diese nicht für immer gelten. Das aber ist der Sinn der Sache. Ich als Berichterstatter habe schon bei der Unternehmensteuerreform gesagt: Diese Dinge müssen wir für wirtschaftlich schwierige Zeiten in petto haben. Das ist kein Tatbestand für normale Zeiten. Gut, dass wir das getan haben. Denn jetzt können wir mit diesen Maßnahmen die Konjunktur anschieben. Hätten wir sie als Regeltatbestand, dann würden diese Instrumente nicht mehr zur Verfügung stehen. ({17}) Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht der Panik das Wort zu reden, aber auch nicht hasenfüßig zu sein. Ich glaube, wir sind auf einer ausgesprochen guten Spur, auch dieses wirtschaftliche Risiko gemeinsam zu bewältigen. Herzlichen Dank. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Olav Gutting ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns dieser Tage in einer Situation, die vor wenigen Monaten noch keiner für möglich gehalten hätte. Die Indikatoren sind klar: Wir befinden uns in einer Rezession. Dennoch ist das nicht die Katastrophe, die jetzt einige an die Wand malen. Die deutsche Wirtschaft und vor allem auch der deutsche Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Jahren eine Robustheit erarbeitet, die ihresgleichen sucht. Wir sollten deshalb jetzt nicht damit beginnen, den Abschwung in ein tiefes Tal geradezu herbeizureden. ({0}) Wie lange und wie tief die Wachstumsdelle wird, hängt von einem Gutteil von uns selbst ab. ({1}) Die Industrie in Deutschland ist jedenfalls sehr viel stärker als in anderen vergleichbaren Industrieländern. Gerade auch deshalb gilt es, trotz der Finanzkrise die Haushaltskonsolidierung nicht völlig aus den Augen zu verlieren. Die letzten Jahrzehnte haben immer wieder gezeigt: Ein klassisches Konjunkturprogramm entwickelt ungefähr die Wirksamkeit eines Regentanzes der Hopi-Indianer. Der einzige Unterschied ist: Ein solcher Tanz ist regelmäßig umsonst zu haben, ein klassisches Konjunkturprogramm hingegen belastet die öffentlichen Haushalte bis weit in die nächste Generation hinein. ({2}) Wir haben deswegen heute kein klassisches Konjunkturprogramm auf dem Tisch liegen. Nein, wir wollen Beschäftigung durch Wachstumsstärkung sichern. Hier kann das heutige Maßnahmenpaket ein wichtiger Impulsgeber sein. Ich möchte besonders die geplante Verdoppelung des Absetzbetrages für Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen im privaten Bereich hervorheben. ({3}) Hier werden wir den Steuerbonus von bisher maximal 600 Euro auf 1 200 Euro verdoppeln. Nachdem es bei der ursprünglichen Einführung der 600-Euro-Grenze ein bisschen gedauert hat, bis die Kunden und die Handwerker das ganze System verstanden haben, bis es durchgedrungen war und die Handwerker das Ganze in ihren Akquisebemühungen berücksichtigt haben, können wir heute sagen: Die Anlaufschwierigkeiten bei den Regelungen zur Verdoppelung, die wir heute beschließen werden, gibt es nun nicht mehr. Das Handwerk weiß, wie es geht. Das wird gut angenommen. Deswegen wird diese Maßnahme unmittelbar und sofort Wirksamkeit entfalten. ({4}) Wir werden des Weiteren, befristet für die nächsten zwei Jahre, die degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter einführen. Ich meine aber - diese Bemerkung erlauben Sie mir -, dass die Beschränkung auf bewegliche Wirtschaftsgüter doch zu wenig innovativ ist. Was machen wir mit den immateriellen, also den unkörperlichen Wirtschaftsgütern? Hierzu zählt zum Beispiel Software. Schon längst sind die immateriellen Wirtschaftsgüter in den modernen Unternehmen in Deutschland nämlich mindestens genauso wichtig wie die materiellen. ({5}) Ich will klarstellen: Es geht nicht darum, jetzt noch einer weiteren notleidenden Branche etwas zukommen zu lassen nach dem Motto „Wer hat noch nicht, wer will noch mal?“, sondern es geht darum, unsere erfolgreiche Stellung im internationalen Wettbewerb zu stärken. Dafür brauchen wir Effizienz- und Intelligenzverstärker. Hierfür ist zum Beispiel moderne Software hervorragend geeignet. ({6}) Wenn wir auch zukünftig Weltmarktanteile hinzugewinnen wollen - das wollen wir, und das werden wir -, dann müssen wir gerade in diesen Bereich zusätzlich investieren, das Investitionsverhalten stimulieren und entsprechende Anreize schaffen. Wir sollten geeignete Maßnahmen ergreifen, um gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Lassen Sie mich auf Folgendes hinweisen - das wurde schon mehrfach angesprochen -: Man darf das vorliegende Maßnahmenpaket nicht isoliert betrachten. Es ist ein Bestandteil vieler verschiedener Bausteine. Vorhin wurde bereits hervorgehoben, dass die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von 6,5 Prozent auf demnächst 2,8 Prozent eine Maßnahme ist, die bei den Arbeitnehmern hälftig ankommt. ({7}) Die Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dadurch erzielt wird, entspricht in etwa einer Senkung der Mehrwertsteuer um zwei bis drei Prozentpunkte. ({8}) Auch das gehört zur Wahrheit und muss einmal deutlich gemacht werden. Insgesamt kann man festhalten: Die Maßnahmen des jetzt vorliegenden Paketes sind langfristig sinnvoll, kurzfristig umsetzbar und rasch wirksam. Darauf kommt es jetzt an. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfes auf Drucksache 16/10930 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vor- lage auf Drucksache 16/10619 soll federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie zur Mitberatung an den Finanzausschuss und an den Haus- haltsausschuss überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 16/11023 soll federführend an den Aus- schuss für Wirtschaft und Technologie sowie zur Mitbe- ratung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Arbeit und Soziales, den Ausschuss für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss für Bil- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden, oder gibt es weitere Vorschläge zur Überweisung? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte II a und b auf: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 ({0}) - Drucksachen 16/9900, 16/9902 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 - Drucksachen 16/9901, 16/9902, 16/10426 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({2}) Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne, und zwar zunächst zu den drei Einzelplänen, zu denen keine Aus- sprache vorgesehen ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.1 auf: Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksache 16/10424 - Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Ewald Schurer Dr. Dietmar Bartsch Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschuss- fassung? - Stimmt jemand dagegen oder enthält sich der Stimme? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Einzel- plan 01 einstimmig angenommen. - Das fängt doch gut an. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.2 auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksachen 16/10402, 16/10423 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Königshofen Gunter Weißgerber Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Präsident Dr. Norbert Lammert Wer stimmt dem Einzelplan 02 in der Ausschussfas- sung zu? - Stimmt jemand dagegen oder enthält sich der Stimme? - Dann ist auch dieser Einzelplan einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.3 auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksachen 16/10423, 16/10424 - Berichterstattung: Abgeordnete Jens Spahn Johannes Kahrs Dr. Dietmar Bartsch Wer dem Einzelplan 03 in der Ausschussfassung zu- stimmt, den bitte ich ums Handzeichen. - Ist jemand da- gegen, oder enthält sich jemand der Stimme? - Dann darf ich auch hier die einstimmige Annahme des Einzel- planes feststellen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk- ten II.4 a und b: a) Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen - Drucksachen 16/10408, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Bernhard Brinkmann ({3}) Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde b) Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksachen 16/10423, 16/10424 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Petra Merkel ({4}) Dr. Claudia Winterstein Omid Nouripour Zum Einzelplan 08 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir später abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Das ist offensichtlich einvernehmlich und damit so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion das Wort. ({5})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 2009 ist ein guter Haushalt in schwierigen Zeiten. Wir haben diesen Etat im Haushaltsausschuss und in der Großen Koalition gemeinsam beraten. Wir haben uns Zeit genommen, um auch die eben diskutierten Maßnahmen zur konjunkturellen Stützung aufzunehmen. Das heißt: Auch die Opposition hatte lange Gelegenheit, sich damit auseinanderzusetzen. ({0}) Wir haben fast alle Minister, deren Aussagen gewünscht wurden, gehört und die Beratungen in einer konstruktiven Atmosphäre durchgeführt. ({1}) Seitdem der Bundeshaushalt vor fünf Monaten im Kabinett beschlossen wurde, haben sich dramatische Veränderungen ergeben. Wir haben das teilweise eben schon diskutiert und gehört. Wer hätte im Juli gedacht, dass es zu einer Insolvenz von Lehman Brothers, einem 150 Jahre alten Unternehmen, kommen könnte? Wer hätte gedacht, dass aus dem Mutterland des Turbokapitalismus innerhalb weniger Wochen die Vereinigten Verstaatlichungen von Amerika werden würden? Wer hätte damals gedacht, dass europäischen Staaten wie Island und Ungarn der Staatsbankrott drohen könnte? All dies geschah im Zeitraffer und mit einer unglaublichen Beschleunigung, wodurch auch wir Abgeordnete und die Bevölkerung vor große Herausforderungen gestellt wurden. Heute sind wir alle klüger. Wir wissen, dass sich die Welt da draußen dramatisch verändert hat. Wir wissen, dass die Finanzmärkte, ohne die eine moderne Volkswirtschaft nicht funktionieren kann, nicht mehr das sind, was sie waren. Wir wissen, dass die Auswirkungen auf die Realwirtschaft eingetreten sind und nicht nur einzelne Unternehmen, sondern auch ganze Branchen Schwierigkeiten haben, Kredite zu erhalten. Auf all diese Veränderungen haben wir als Parlament in den Beratungen reagiert und entsprechend gehandelt. Von daher können wir auch klar sagen, dass der Haushalt nach den Beratungen durch das Parlament wie immer besser geworden ist, als er vorher war. ({2}) Wir haben unter dramatisch schlechteren äußeren Bedingungen das Bestmögliche getan. Wenn wir diese Legislaturperiode als Vergleich nehmen - wir hatten uns das Ziel gesetzt, den Haushalt zu konsolidieren, wir wollten gemeinsam in der Großen Koalition dafür sorgen, dass die Einnahmen und Ausgaben in Einklang gebracht werden, wir haben trotz der Umstände zusätzliche Investitionen angestoßen und andere gesellschaftspolitische Maßnahmen umgesetzt, zum Beispiel das Elterngeld, aber auch den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen -, dann lässt sich konstatieren, dass wir 2005 mit einem strukturellen Defizit beim Bund von über 60 Milliarden Euro gestartet sind und heute mit dem Entwurf, den wir Ihnen vorlegen und in Carsten Schneider ({3}) dieser Woche debattieren, bei einem strukturellen Defizit von knapp 20 Milliarden Euro liegen, und dies trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeit. Ja, wir werden die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr um 8 Milliarden Euro gegenüber der Planung erhöhen. 10,5 Milliarden Euro waren es nach unseren Planungen. Wir kommen auf insgesamt 18,5 Milliarden Euro. Dies ist notwendig, weil wir als Staat in eine wirtschaftliche Krise nicht noch hineinsparen und damit die Krise verstärken wollen. Nein, wir lassen die automatischen Stabilisatoren - so nennt sich das, wenn man die Steuermindereinnahmen und die Mehrausgaben durch eine schlechtere Arbeitsmarktsituation zum Beispiel beim Arbeitslosengeld II in den öffentlichen Haushalten hinnimmt - gelten und wirken. Das ist der eine Grund für die Erhöhung der Kreditaufnahme. Der andere Grund ist Vorsorge. Schauen Sie sich die Entwicklung an den Börsen an, was die Unternehmenswerte betrifft. Eine Commerzbank bekommen Sie mittlerweile für 6 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank gibt es für 12 Milliarden Euro. In diesen Zeiten ist es nicht gerechtfertigt, Privatisierungen in dem Umfang durchzuführen, den wir geplant hatten. Deswegen haben wir den Verkauf von Vermögen, von Beteiligungen des Bundes, den wir grundsätzlich für gerechtfertigt erachtet haben, und damit das Erwirtschaften von Privatisierungserlösen geschoben. Dies führt zu einer Veränderung, aber auch einer strukturellen Verbesserung des Haushalts um 2,3 Milliarden Euro, denn in diesem Umfang erhöhen wir die Kreditaufnahme und senken die Privatisierungserlöse. Wenn Sie dies mit der Zahl des strukturellen Defizits im Jahre 2008 vergleichen - da hatten wir eine Kreditaufnahme von knapp 12 Milliarden Euro plus 10 Milliarden Euro Privatisierungserlöse; wir haben in diesem Jahr 18,5 Milliarden Euro plus 2 Milliarden Euro -, dann stellen Sie fest, dass das strukturelle Defizit nahezu gleich groß ist. ({4}) Das zeigt, trotz der wirtschaftlichen Krisensituation haben wir es geschafft, einen soliden Haushalt vorzulegen, der sich, was das Defizit betrifft, im europäischen Vergleich sehen lassen kann. ({5}) Das Defizit der öffentlichen Haushalte liegt in der Bundesrepublik nach der neuesten Meldung für 2009 an die EU-Kommission bei 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den Vereinigten Staaten werden es im nächsten Jahr 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein. Im Vereinigten Königreich werden es 5,6 Prozent und bei den Franzosen 3,5 Prozent sein. Bei uns sind es 0,8 Prozent und dies, obwohl wir die Maßnahmen, auf die ich noch eingehen werde, zur Investitionsstärkung eingerechnet haben. Dies ist nur möglich, weil wir in den vergangenen Jahren eine solide Haushaltspolitik mit einer deutlichen Rückführung der Kreditaufnahme, der Privatisierungserlöse und des strukturellen Defizits gemacht haben. ({6}) Dies ermöglicht uns unser Vorgehen in der heutigen Krise, von der niemand weiß, wie stark sie tatsächlich ist, wie tief sie greifen wird und wie lange sie dauern wird. Wenn man sich die Konsumzahlen in der GfK-Studie von heute anschaut, dann stellt man fest, dass die Bevölkerung diesem Land vertraut, dass sie seiner Leistungsfähigkeit vertraut. Das müssen wir verstärken, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({7}) Wir verstärken dies zum einen durch die Entlastungen, die wir sowohl durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages als auch bei den steuerlichen Maßnahmen durch die Absetzbarkeit von Vorsorgeaufwendungen in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro vornehmen. Wir verstärken es zum anderen durch die Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge - das ist alles in diesem Haushalt drin - und durch zusätzliche Maßnahmen zur Investitionsförderung. Dies alles ermöglicht uns, als Staat zu handeln. Das ist auch notwendig in einer Zeit, in der die Märkte verrückt spielen und der letzte Anker letztendlich der Staat ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Staat steuerlich so ausgestattet sind, dass wir dies auch alles tun können. Das sage ich auch klar in Richtung FDP. Wer ständig Steuersenkungen und eine Verarmung des Staates fordert, kann in Krisenzeiten nicht mehr handeln. ({8}) Ich glaube, wir schaffen mit diesem Etat eine solide Grundlage, um sowohl in der Europäischen Union als auch für unsere Volkswirtschaft die notwendigen Impulse zu setzen, wohl wissend, dass wir einen gesamtwirtschaftlichen Aufschwung weder stimulieren noch maßgeblich beeinflussen können - und schon gar nicht den Abschwung aufhalten können. Was wir machen können, ist ein Vorziehen - das ist auch sinnvoll - von gezielten Investitionen auch in den Kapitalstock unseres Landes. Dies tun wir mit Mehrausgaben im Bereich der Straßenbauinvestitionen. Das rechnet sich langfristig. Das ist auch sinnvoll für eine Volkswirtschaft wie die unsere im Zentrum Europas, die leistungsfähig sein will und sein muss. Das tun wir durch zusätzliche Investitionen auch in den Forschungsbereich. Wir investieren also nicht etwa in Projektförderung oder sonstiges, sondern finanzieren gezielte Investitionsmaßnahmen in Höhe von 200 Millionen Euro auf Initiative des Parlaments für den bereits bestehenden Bedarf an Großforschungseinrichtungen. Durch diesen Impuls werden diese Maßnahmen in Gang gesetzt werden können, und damit bleiben uns langfristig unser Know-how, das das Entscheidende für unsere Volkswirtschaft ist, unser Wissensvorsprung und damit auch unser Produktivitätsvorsprung gegenüber anderen Volkswirtschaften erhalten. ({9}) Carsten Schneider ({10}) Wir erhöhen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ um 100 Millionen Euro, um Investitionen voranzutreiben - auch dabei ist eine klare Aufteilung vorgesehen: 50 Prozent der Mittel fließen in die neuen Bundesländer, 50 Prozent in die alten Bundesländer -, um einen Vorzieheffekt bei Investitionen zu erreichen und Attentismus zu verhindern. Zusätzlich haben wir ein Programm aufgenommen, das mir als Haushaltspolitiker besonders wichtig war - ich bin dankbar, dass die Große Koalition dies so beschlossen hat -, nämlich die investive Verstärkung von Weltkulturerbestätten. Wir haben 33 Weltkulturerbestätten in Deutschland. Sie sind ein elementarer Bestandteil unserer Kulturgeschichte. Es sind meistens kleine Städte, die gar nicht in der Lage sind, mit diesem Kulturgut umzugehen und die notwendigen Finanzierungsvoraussetzungen zu schaffen, um den touristischen und kulturellen Effekt, aber auch den wirtschaftlichen Effekt durch zusätzliche Investitionen gezielt zu nutzen. Hierfür haben wir 150 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Ich gehe davon aus, dass Bundesminister Tiefensee uns im Laufe des Jahres eine Aufstellung vorlegen wird, wie wir dieses besondere kulturelle Erbe auch mit Mitteln des Bundes ausfüllen können. ({11}) Wir machen Tempo bei den Verkehrsinvestitionen. Das habe ich schon erwähnt. Wir haben einen Schutzschirm von knapp 500 Milliarden Euro gespannt. Das ist die wichtigste konjunkturelle Maßnahme zur Stabilisierung unserer Wirtschaft im Bankensektor, aber nicht für die Banken und Banker, sondern dafür, dass die Finanzwirtschaft, die für die Kapitalversorgung der Unternehmen unseres Landes entscheidend ist, wieder Kredite vergibt und Unternehmen investieren können. Das war eine einmalige Entscheidung in diesem Parlament und die wichtigste Maßnahme, um die Konjunktur und die wirtschaftliche Stabilität in unserem Land zu sichern, insbesondere was die Spareinlagen der Bürgerinnen und Bürger betrifft. Hier herrschen Sicherheit und Vertrauen. In dieser Zeit sind viele dabei, eine Krise herbeizureden und auch zu verstärken. Wir sollten dies nicht tun, ({12}) und es sollte auch nicht noch in jeder Branche nach zusätzlichen Förderungen und Subventionen geschrien werden. Das geht nicht an. Wir müssen als Staat sehr solide und bewusst mit dem Geld umgehen. Das meiste, das wir einnehmen, kommt von den Bürgerinnen und Bürgern, von den einfachen Leuten. Sie finanzieren diesen Staat. Von daher kann man in einer Zeit, in der es vielleicht wirtschaftlich schlechter läuft, nicht Subventionen für jede einzelne Branche wiederaufleben lassen und mit dem Füllhorn durchs Land gehen. Ich warne davor. Das ist das Gesetz der großen Zahl: je größer, desto besser, und dann kommt noch eine Ebene oder noch ein Minister, der etwas fordert, was er schon immer fordern wollte. Das werden wir als Deutscher Bundestag nicht mitmachen. ({13}) Wir nehmen nur ganz gezielte Investitionen vor, die auch den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen. Dabei gilt das alte Gelassenheitsgebet: Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden! Dazu rate ich uns auch. ({14}) Zu den Entlastungen, die vielfach angesprochen wurden - aus der Union ist ein vielstimmiger Chor dazu zu hören; ich bin froh, dass mein Kollege Kampeter Ordnung hält; ich hoffe, er dringt damit auch auf dem Bundesparteitag ab Ende dieser Woche durch -, sage ich klar: Die größte Einzelentlastung der Bürgerinnen und Bürger, die es gibt und auf die wir keinen Einfluss haben, ist der Rohölpreis. Was haben wir im Sommer für Diskussionen geführt: 150 Dollar pro Barrel! Jetzt liegt der Rohölpreis bei unter 50 Dollar. Das entspricht einer Entlastung von 20 Milliarden bis 25 Milliarden Euro für die Bevölkerung. Hätten wir damals die Pendlerpauschale angepasst, wie es die CSU und auch die Oppositionsfraktionen gefordert haben, dann wären wir jetzt erst mit der Gesetzgebung durch, aber die Situation sähe schon wieder ganz anders aus. Das heißt, wer glaubt, dass der Staat ständig auf Marktveränderungen kurzfristig reagieren kann oder eingreifen muss, geht vollkommen fehl. Ich rate zu Gelassenheit und dazu, nicht zur Verunsicherung beizutragen und mit dem Füllhorn durch das Land zu gehen. Wenn wir etwas anpacken müssen, dann ist es die Stabilisierung der Wirtschaft. Das tun wir mit den Maßnahmen, insbesondere den gezielten Investitionen. Aber die Voraussetzung für das, was wir heute tun, ist der Erfolg der Haushaltskonsolidierung. Diese dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Das gilt für uns weiterhin. Deshalb werden wir Haushaltspolitiker darauf achten, dass nicht alle beim Geldausgeben sozusagen besoffen werden, dass die Mittel gezielt eingesetzt werden und dass sich vor allen Dingen alle staatlichen Ebenen an der Finanzierung beteiligen. Das sage ich explizit in Richtung Bundesrat. Es ist Aufgabe nicht nur des Bundes, für eine starke Konjunktur zu sorgen, sondern es ist eine Aufgabe auch der Bundesländer. Ich fordere die Bundesländer auf, im Bundesrat dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Jürgen Koppelin hat nun das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage, es waren ganz schwierige Beratungen im Haushaltsausschuss. Wir hatten über einen Haushaltsentwurf zu beraten, der mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun hatte. Es ist sicherlich unbestritten, dass wir eine andere Situation hatten, als der Etatentwurf vom Kabinett beschlossen wurde. Bei den Haushaltsberatungen Mitte September lobten sich Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister für eine gute Konjunktur, sinkende Arbeitslosenzahlen und hohe Steuereinnahmen. Noch vor zwei Monaten erklärte der Bundesfinanzminister hier im Plenum, dass wir uns zwar in einem Abschwung befänden, von einer Rezession aber keine Rede sein könne; in Deutschland gebe es eine positive Entwicklung. Auf unsere Kritik erklärte der Bundesfinanzminister - das habe ich mir gemerkt -: Diese verbreiteten Sado-Maso-Tendenzen sind mir ein Rätsel. Originalzitat des Bundesfinanzministers! ({0}) Die Hinweise aus meiner Fraktion, dass nach einem Aufschwung auch ein Abschwung, vielleicht sogar eine Rezession kommen könne und deshalb für solche Zeiten Vorsorge getroffen werden müsse, wurden von ihm wie folgt kommentiert: Die positive Entwicklung sollte nicht durch Kassandrarufe gestört werden. - Der Bundesfinanzminister vergaß dabei natürlich - das will ich ihm zugute halten; vielleicht ist er in Geschichte nicht so gut gewesen -, dass Kassandra mit ihren Warnungen recht hatte. Nun, zwei Monate später, erklärt uns die Regierung, insbesondere die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister, wir seien in einer Rezession, und es liege ein schweres Jahr 2009 vor uns. Das stimmt. Wer wollte das bestreiten? Doch wenn das die Wahrheit ist, fragt man sich, warum nicht auch wahre Zahlen im Bundeshaushalt stehen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wer gute Zeiten für sich als politisches Verdienst reklamiert, der muss dann auch Verantwortung übernehmen, wenn es eine Rezession und schwere Zeiten gibt. Das ist dann auch seine Verantwortung. Sie tragen zumindest teilweise Verantwortung; denn Sie haben alle Warnungen in den Wind geschlagen. Für eventuell schlechte Zeiten haben Sie keine Vorsorge getroffen. Das ist einer unserer Hauptvorwürfe. ({2}) Nun wollen Sie plötzlich für die aktuelle Situation nicht mehr verantwortlich sein. Die Gründe für das Scheitern der Haushaltskonsolidierung liegen nach unserer Auffassung vor allem bei der Bundesregierung. Es geht doch gar nicht um die Finanzmarktsituation. Es geht vielmehr darum, dass die Bundesregierung falsche Entscheidungen getroffen hat. Ich nenne Ihnen zwei Bereiche. Die Große Koalition hat nicht auf Ausgabenbegrenzung gesetzt, sondern allein auf Einnahmeerhöhung durch massive Steuererhöhungen. Das war ihr erster großer Fehler. ({3}) Ihr zweiter großer Fehler war: Aktuelle, positive Steuereinnahmen haben Sie zur Grundlage für langfristig den Haushalt belastende Ausgaben gemacht. Das darf man ebenfalls nicht machen. Jedes Mal birgt der Bundeshaushalt Risiken, so auch jetzt wieder, 2009. Dazu hätten Sie, Kollege Schneider, vielleicht etwas mehr sagen müssen. In diesem wirtschaftlich noch guten Jahr 2008 werden die ALG-II-Ausgaben circa 22 Milliarden Euro betragen. Warum haben Sie dann für das nächste Jahr, in dem es wahrscheinlich schlechter aussehen wird, nur 20 Milliarden Euro im Etat vorgesehen? Damit kommen Sie auf keinen Fall aus. Das sagen wir Ihnen bereits heute. ({4}) Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die wirtschaftlichen Eckdaten überzeichnet sind. In seinem Haushalt geht der Bundesfinanzminister immer noch von einer positiven Konjunktur aus, während er draußen schon ganz anders redet. Der Bundeswirtschaftsminister hat bei unseren Beratungen die kommende Entwicklung sehr realistisch beschrieben. Nur, im Bundeshaushalt findet sich davon überhaupt nichts wieder. Ein anderes Beispiel: Die Koalition lobt sich - das werden wir in den Debatten noch hören -, weil sie in den Straßenbau und in die Infrastruktur investieren will. Woher nehmen Sie das Geld? Die Sache ist einfach zu erklären. Sie machen es wie immer. Sie kassieren zuerst einmal ordentlich ab - in diesem Fall bei den Spediteuren; Sie kassieren 1 Milliarde Euro durch die Erhöhung der Mautgebühren -, und dieses Geld wollen Sie dann investieren. So geht es nicht. Sie hätten im Haushalt sparen müssen, und dann hätten Sie investieren können. Das wäre das Richtige gewesen. ({5}) Alle Haushaltspläne der Koalition zeichnen sich durch Maßlosigkeit bei den Ausgaben aus. In vier Haushaltsjahren der Großen Koalition sind die Ausgaben auf über 30 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen. Von Sparwillen kann überhaupt keine Rede sein. Die FDP hat aufgezeigt, dass Einsparungen bei den Ausgaben möglich sind. Kollege Brinkmann wartet förmlich darauf; deswegen sage ich es schon jetzt: In über 400 Anträgen haben wir ein Einsparvolumen auf der Ausgabenseite von 10,5 Milliarden Euro aufgezeigt. Diese Anträge werden wir demnächst ins Internet stellen, damit sie jeder Bürger abrufen kann. ({6}) Sie haben alle Anträge von uns abgelehnt. Das zeigt, dass Sie sich die Ausgabenseite noch nicht einmal vernünftig angeschaut haben. Sie haben gar nicht den Willen zum Sparen. Das ist Ihr Problem. ({7}) Statt 10,5 Milliarden Euro - das war die geplante Neuverschuldung - wollen Sie jetzt sogar 18,5 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Damit liegt die Neuverschuldung für 2009 höher als die für 2007 und 2008. Kollege Schneider, wenn man die Situation der Banken auf den Haushalt übertragen würde, dann müsste auch Ihr Haushalt jetzt einen Schutzschirm haben. Das ist meine Meinung dazu. ({8}) Die Große Koalition hat in ihrer Amtszeit insgesamt 73 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen - und das bei Steuermehreinnahmen von 155 Milliarden Euro. Es wäre doch genug Geld zur Haushaltssanierung vorhanden gewesen, und ein ausgeglichener Haushalt wäre ebenfalls möglich gewesen. ({9}) Nun wollen Sie - das ist das Tollste - mit einem schuldenfinanzierten Konjunkturpaket - Programm darf man das ja nicht nennen - der Konjunkturschwäche begegnen. Was hat denn der Bundesfinanzminister hier noch im September erklärt? Der Bundesfinanzminister sagte wörtlich: Es ist nicht möglich, eine konjunkturelle Eintrübung … mit einem nationalen Konjunkturprogramm zu bekämpfen. Wer das tut, verbrennt lediglich Steuergeld. ({10}) Weiter sagte der Bundesfinanzminister - das kann man alles unterschreiben -: Jede Abkehr vom … Konsolidierungskurs, die mit einem Konjunkturprogramm verbunden wäre, würde zwangsläufig zu gegenläufigen Entwicklungen führen. Das ist ein Originalzitat des Bundesfinanzministers von vor zwei Monaten hier im Plenum des Deutschen Bundestages. Die FDP hat seit langem gesagt, dass das beste Konjunkturprogramm endlich eine deutliche Steuersenkung für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wäre, und zwar vor der Bundestagswahl, Herr Kollege Kampeter. Die Steuern vor der Bundestagswahl zu senken, wäre ein Signal gewesen, und das wäre ein Konjunkturprogramm. ({11}) Nun kommt die Union - das liest man in diesen Tagen und sagt, auf ihrem Parteitag wolle sie Steuersenkungen beschließen. Das verkünden die Kanzlerin und der Generalsekretär der Union. Wieso wollen Sie eigentlich erst auf dem CDU-Parteitag Steuersenkungen beschließen? Ich erinnere mich übrigens daran, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, vor der letzten Bundestagswahl das schon einmal beschlossen haben. Sie haben es nur nicht durchgeführt. Ich dachte, die alten Beschlüsse würden noch gelten. Aber nun beschließen Sie das noch einmal. Wenn die Kanzlerin mit ihrer Voraussage, dass wir ein schwieriges Jahr bekommen, recht hat, und wenn Sie nach der nächsten Bundestagswahl die Steuern senken wollen, dann muss man Sie doch fragen: Warum machen Sie es denn nicht jetzt? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. ({12}) Deswegen sage ich noch einmal: Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen müssen steuerlich entlastet werden. Das wäre die Botschaft des Haushalts 2009 gewesen. Das wäre auch ein Programm zur Belebung der Binnenkonjunktur gewesen. Ebenso könnten die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden. Damit würden wir den Beitragszahlern 3 Milliarden Euro zurückgeben. Auch das Geld würden wir dringend zur Belebung der Binnennachfrage brauchen. Der Bundesfinanzminister als großer Weltökonom hätte wissen müssen, dass es Konjunkturzyklen gibt und dass Wirtschaftsaufschwünge nicht ewig anhalten. Er hätte entsprechende Vorsorge treffen müssen. Diesen Rat hat er in den Wind geschlagen, und das rächt sich jetzt. Am 7. November schrieb die Süddeutsche Zeitung über die Berliner Märchentage, bei denen auch Peer Steinbrück jungen Schülerinnen und Schülern ein Märchen vorgelesen hat. Die Süddeutsche Zeitung schrieb - sehr interessant! -: Und im Grunde war der Termin ja auch Routine für ihn: Steinbrück redet, und viele staunende Gesichter blicken ihm gebannt zu und finden das, was er erzählt, so faszinierend wie unrealistisch. ({13}) … „Warst du in der Schule gut in Mathe?“, fragte ein Mädchen … „Nein“, sagte der Finanzminister, „im Rechnen war ich nie so gut.“ ({14}) „Ist Finanzminister Ihr Lieblingsberuf?“, fragte eine andere. „Eher Pirat“, antwortete Steinbrück. ({15}) Ich hatte mir das mit dem Piraten schon gedacht; denn anderer Leute Geld und Wertsachen wegnehmen, das versteht er. Davon sind wir überzeugt. ({16}) - Ein bisschen Humor darf sein. ({17}) - Herr Bundesfinanzminister, diesen Zuruf von der Regierungsbank lasse ich ausnahmsweise zu. ({18}) Herr Bundesfinanzminister, zum Ernst der Sache zurück. Ihnen sind die Finanzen des Bundes aus dem Ruder gelaufen. Der Bundeshaushalt ist ein Dokument verpasster Chancen. Sie haben kein haushaltspolitisches Konzept mehr. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Bundeshaushalt zeigt eindrucksvoll, dass diese Große Koalition nun auch an ihrer letzten selbsternannten Legitimation, an der Sanierung der Finanzen des Bundes, gescheitert ist. Sie werden verstehen, dass wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen können. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich feststellen, dass es nichts Ehrenrühriges ist, wenn man als Kind Pirat werden möchte. Meine Tochter Elisabeth erzählt mir jede Woche, dass sie Pirat werden möchte. Jetzt muss ich allerdings nachdenken, ob ich ihr zumuten möchte, dass sie daraus später einmal den Anspruch ableitet, politische Führungsaufgaben zu übernehmen. Ich glaube, das sollte ich ihr nicht raten. Ich möchte, dass sie eine ungestörte Kindheit hat. In dem Ansehen meiner Tochter, Herr Bundesfinanzminister, dürften Sie stark gestiegen sein. Das birgt für so eine christdemokratische Familie wie die unsere natürlich einiges an Konfliktpotenzial. ({0}) Der Haushalt wird oft das Schicksalsbuch der Nation genannt. Ich habe in meiner zehnjährigen Mitgliedschaft im Haushaltsausschuss selten einen Etatentwurf erlebt, bei dem sich zwischen Einbringung und Verabschiedung so viel Wesentliches verändert hat. Auch wir als Parlament mussten handeln und auf veränderte Rahmenbedingungen eingehen. Ein paar Hinweise: Wir haben eine Finanzkrise gehabt, die sich mit der Insolvenz der Lehman-Brothers-Bank erheblich verschärft hat. Wir haben Zahlungsbilanzprobleme in vielen Ländern, insbesondere in Osteuropa und weit darüber hinaus, zu lösen gehabt. Hinzugekommen ist eine hohe Unsicherheit im realwirtschaftlichen Bereich. Ja, wir haben eine Rezessionspanik, und wir haben ebenso Trittbrettfahrer, die ihr eigenes wirtschaftliches Versagen unter dem Deckmantel der Finanzkrise sozialisieren wollen. ({1}) Wir haben höchst unterschiedliche Signale aus der Wirtschaft. Wir hören doch selbst in unseren Wahlkreisen von Unternehmerinnen, Unternehmern und Belegschaften, die sagen: Bei uns brummt die ganze Veranstaltung; wir können gar nicht so viel arbeiten. In vielen Unternehmen wird das Gerede, das die Politik teilweise veranstaltet, überhaupt nicht verstanden. Wir kennen aber auch andere Informationen aus unseren Wahlkreisen, durch die klar wird, dass es Sorgen gibt, dass in bestimmten einzelnen Bereichen in panikartiger Reaktion - nicht aufgrund von realwirtschaftlichen Veränderungen - angepasst werden muss. Dass die Verbraucherinnen und Verbraucher darauf trotzdem noch so positiv reagieren - aus einer heute veröffentlichten Umfrage der GfK geht hervor, dass das Konsumentenvertrauen steigt -, zeigt, dass die Menschen in unser Land sehr viel mehr Vertrauen haben, als die Schlechtredner unserem Land zum gegenwärtigen Zeitpunkt zutrauen. ({2}) Trotzdem müssen wir auf diese Veränderung seit der Einbringung unseres Bundeshaushalts im Sommer dieses Jahres reagieren. Das wollen wir. Dies ist ein Haushalt des Vertrauens und der Handlungsfähigkeit der unionsgeführten Koalition. ({3}) Was wir hier vorlegen, ist maßvoll und verantwortungsvoll. Wir spüren allerdings allerorten Aktionismus, insbesondere im Ausland. Wir halten diesen Aktionismus im Hinblick auf die deutsche Situation für nicht angemessen. Ich glaube, dass die Kontinuität und das Vertrauen zu dem, was man einmal gesagt hat, richtig sind. Wir sollten das in diesem Sinne weiter vorantreiben. Wir müssen schauen, ob unsere Instrumente auf die erkannten Ursachen wirken. So warne ich alle: Die monetären Probleme sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gelöst. Wir müssen in den nächsten Monaten an der Front der Finanzmarkt- und Geldpolitik noch sehr viel stärker arbeiten und dürfen nicht versuchen, die Probleme dort mit realwirtschaftlichen Antworten zu bekämpfen; das wäre die falsche Therapie. Wenn jemand eine schwere Lungenentzündung hat, würde der Arzt ja auch nicht raten, ihm das Bein oder den Arm in Gips zu legen. Wir handeln überlegt und maßvoll. Erstens machen wir mit diesem Bundeshaushalt höhere Schulden, als wir ursprünglich vorgesehen haben - das ist eine schwierige Entscheidung -, und zwar 8 Milliarden Euro mehr. ({4}) Das ist für einen Haushälter keine leichte Entscheidung. Sie bereitet mir innerlich Schmerzen, aber sie ist der Situation geschuldet, richtig und notwendig. ({5}) Zweitens. Wir schieben das Ziel des ausgeglichenen Haushalts auf der Zeitachse nach hinten. Es hilft nicht, darum herumzureden. Auch das schmerzt mich. Es ärgert mich nicht deshalb, weil Haushälter eitel sind, sondern deshalb, weil wir alle wissen, dass dies unsere Kinder und deren Kinder abtragen müssen. Schulden zu machen, das ist nichts anderes als die Verlagerung von politischen Kosten auf die nachfolgenden Generationen. ({6}) Deshalb sollten wir damit vorsichtig sein. Ich höre und lese aus dem Ausland, Deutschland sei knickrig und knausrig. Ich will an dieser Stelle mit zwei, drei Argumenten deutlich machen, auch vor dem Hintergrund der Oppositionskritik hier, warum wir den Schuldenhahn nicht weiter aufdrehen. Wir haben in Deutschland nicht so auf die Finanzindustrie gesetzt wie andere Staaten. Wir haben deswegen geringere Anpassungslasten. Wir haben in Deutschland in den vergangenen drei Jahren eine gute Arbeit geleistet. Wir haben unser Land durch die Wirtschafts- und Sozialpolitik widerstandsfähiger gemacht. Wir setzen den Hebel nicht allein über den Bundeshaushalt, sondern auch über die Kreditanstalt für Wiederaufbau an. So kann man mit weniger Haushaltsmitteln eine höhere Hebelwirkung erzeugen, als das Ländern möglich ist, die ein solches Förderbankensystem nicht haben. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine Sparquote von über 10 Prozent; das ist in dieser Debatte schon vorgetragen worden. ({7}) Weil wir der Überzeugung sind, dass privates Kapital vor staatlichem Kapital geht, nutzen wir die Möglichkeit, durch vertrauensbildende Maßnahmen gerade privates Kapital für Investitionen in unsere Zukunft zu mobilisieren. ({8}) Das halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für richtiger als den Aktionismus, den ich beispielsweise aus dem Élysée höre. Das gilt auch für die riesigen Zahlen, die über den Atlantik zu uns rüberplatschen. Vor allen Dingen: Wir betreiben keinen Raubbau an den nachfolgenden Generationen. Wer heute übermäßig Schulden macht, der verlagert notwendige politische Entscheidungen aus der Gegenwart auf die nachfolgenden Generationen. Dies war nicht unser Anliegen, dies wird nicht unser Anliegen sein, und dies sollte auch nicht das Anliegen einer verantwortungsvollen Regierungspolitik sein. ({9}) Wir tragen mit diesem Haushalt - das zeigt sich auf den zweiten Blick - den besonderen Herausforderungen von Rezession und Finanzmarktkrise Rechnung. Wir erhöhen die Investitionen deutlich. Wir stoßen zentrale Infrastrukturprojekte an und realisieren sie. Ich nenne: Stuttgart 21, Rhein-Ruhr-Express. Ich sage ebenso selbstbewusst: Wir investieren auch in unsere kulturelle Infrastruktur, indem wir die UNESCO-Welterbestätten jetzt sanieren. Dies sind wichtige und notwendige Investitionen in Bereichen, wo die Kapazitätsauslastung noch nicht so groß ist. Wir setzen Steuerentlastung durch. Manchmal frage ich mich, ob diejenigen, die heute Steuerentlastung fordern, in den Bundeshaushalt geschaut haben. ({10}) Wir entlasten die deutsche Wirtschaft und die deutschen Verbraucher und Verbraucherinnen in Milliardenhöhe. Ich nenne den Handwerkerbonus und die verbesserten Abschreibungsbedingungen. Wir erweitern den Bürgschaftsrahmen des Bundes zusätzlich zu dem bereits gewährten Bürgschaftsrahmen für das Bankenpaket um knapp 100 Milliarden Euro. Es gibt jetzt fast 500 Milliarden Euro Bürgschaften für die gewerbliche Wirtschaft. Dies macht deutlich: Wir geben nicht nur Bürgschaften zugunsten von Banken; diejenigen, die außerhalb von Banken arbeiten, haben genauso Möglichkeiten, unter bestimmten Bedingungen vom Staat Garantieübernahmen gegen Entgelt, gegen Gegenleistung zu erhalten. Diejenigen, die behaupten, dass wir nur Banken retten und andere im Stich lassen, sollten einmal in den Bundeshaushalt schauen. Das ist nicht die Wahrheit. ({11}) Die Rolle von Teilen der Opposition in dieser Debatte ist in meinen Augen höchst fragwürdig. Ganz Europa kritisiert Deutschland dafür, dass wir zu wenig Schulden machen. Aber die Opposition in Deutschland, eine kleine Insel der Standhaften, so könnte man sagen, kritisiert uns dafür, dass wir zu viel Schulden machten. ({12}) Ich möchte in diesem Zusammenhang eines einmal deutlich machen: Kein Ökonom würde jetzt fordern, den staatlichen Konsum zu drosseln, egal, ob er Neo-Keynesianer ist oder die angebotsorientierte Richtung vertritt. Keine verantwortliche internationale Organisation rät jetzt den Volkswirtschaften dieser Welt, auf die Bremse zu treten. Wir haben ein differenziertes Vorgehen als Koalitionsfraktionen in unseren Beschlussfassungen für die Föderalismusreform festgelegt. Unser Vorschlag für die FöKo sah vor, dass in einer solchen Situation, in der wir uns jetzt befinden, die Nettokreditaufnahme steigen darf, weil das konjunkturpolitisch geboten ist. Entscheidend ist aber, dass die Bundesregierung deutlich macht - das erwarten wir von ihr bei der Vorlage der nächsten mittelfristigen Finanzplanung; da steht sie in der Pflicht -, wann diese zusätzlichen Schulden wieder zurückgeführt werden sollen. Erst so wird daraus ein Schuh. Hier geht es nicht um eine dauerhafte zusätzliche Verschuldung, sondern hier geht es darum, einer besonderen Situation mit besonderen Maßnahmen Rechnung zu tragen und das zu tun, was unserem Land und den Bürgerinnen und Bürgern nutzt. ({13}) Unser Kernanliegen bleibt aber, mittelfristig diese überbordende Verschuldung wieder zurückzuführen. Genauso ist es unser Kernanliegen, einen Fahrplan für einen ausgeglichenen Bundeshaushalt noch in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam zu erarbeiten. ({14}) Ich füge an dieser Stelle hinzu - den Haushältern wird ja zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer mal wieder vorgeworfen, sie seien reine Buchhalter -: Die Renitenz der Haushaltspolitiker, das unangenehme Beharren darauf, alles dafür zu tun, um einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen, ist überhaupt die Voraussetzung dafür gewesen, dass wir jetzt als Staat handeln konnten, ohne an den Abgrund des Staatsbankrotts zu geraten wie etwa die Staaten, die jetzt nahezu 10 Prozent ihrer jährlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an neuen Schulden aufnehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deutliches und richtiges Handeln, ohne in die Nähe des Staatsbankrotts zu kommen, wäre ohne die Konsolidierungspolitik der Großen Koalition überhaupt nicht möglich gewesen. ({15}) Das heißt: Ohne diese penetranten Buchhalter, ohne diese Erbsenzähler befänden wir uns jetzt in einer krisenhaften Situation. Ich will auch deutlich sagen: Lassen Sie uns jetzt bitte nicht kleinreden, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. Wir hatten in den abgelaufenen Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten, wir haben 1,3 Millionen Arbeitsplätze mehr. ({16}) Über 40 Millionen Beschäftigte stellen einen Nachkriegsrekord dar. Die letzten Arbeitslosenzahlen, die unter 3 Millionen Arbeitslose in Deutschland aufweisen, sind außerordentlich erfreulich. Wir haben im Dreiklang von Sanieren, Investieren und Reformieren ({17}) offensichtlich den richtigen Kurs gewählt, um jetzt auch in einer krisenhaften Situation die Aufgaben zu schultern, die vor uns liegen. Wir haben trotz anderslautender Wünsche an den Bundeshaushalt in der Vergangenheit die Schulden kontinuierlich verringert. Wir liegen jetzt mit dem strukturellen Defizit in der Finanzkrise noch deutlich unter dem strukturellen Defizit zum Amtsantritt der Großen Koalition ohne Finanzkrise. Diese Dinge sollte die Opposition vielleicht auch einmal berücksichtigen, statt kleinkariert, wie es die Opposition ja manchmal ruhig machen kann, auf die Regierung einzudreschen, ({18}) und anerkennen, dass wir angesichts einer nationalen, einer säkularen Krise trotzdem noch Finanzkennziffern aufweisen, die sich international eindeutig sehen lassen können. ({19}) Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen: Die Entscheidungen, die wir getroffen haben, haben sich für die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt. Die deutliche Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 6,5 Prozent zu Beginn dieser Legislaturperiode auf demnächst unter 3 Prozent bedeutet ein deutlich zweistelliges Entlastungsvolumen für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmer. Die von uns gesetzten Rahmenbedingungen haben deutliche Lohnsteigerungen ermöglicht, im Übrigen auch im öffentlichen Dienst. Eine höhere Rentenanpassung, eine Erhöhung des Kinderzuschlages, eine Erhöhung des Wohngeldes und des Elterngeldes, ein Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten ({20}) und die höhere steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten sind wesentliche Maßnahmen auf unserem Weg zu mehr Netto für alle gewesen. Wir sollten daran festhalten, dass wir einen Teil der Konsolidierungsrendite den Menschen zurückgeben. Diese müssen nämlich dafür arbeiten. Aber das zu vergessen, was wir in den vergangenen Jahren schon geleistet haben, wäre schade. Wir haben deutlich gemacht, dass es mehr Netto für alle gibt. ({21}) Da die Opposition nicht darüber redet und Teile der Koalition es leider auch nicht tun, sage ich: Wir machen weiter auf diesem Weg mit dem Ziel mehr Netto für alle. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird im nächsten Jahr trotz der Finanzkrise weiter gesenkt. Das bedeutet für die Unternehmen und die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten netto ein Mehr von 4 Milliarden Euro. ({22}) - Wenn wir das nicht gemacht hätten, dann würden Sie auf die Barrikaden gehen und sagen, wir würden die Entlastungen unterschlagen. Die notwendige Krankenkassenbeitragserhöhung wäre ohne die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und ohne eine konsequente Reduzierung der Arbeitsmarktausgaben gar nicht möglich gewesen. ({23}) Ich verstehe Ihre Kritik an dieser erfolgreichen Politik nicht. Das Wachstumspaket bedeutet 20 Milliarden Euro weniger Steuern und somit höhere Nettobeträge, und zwar insbesondere bei denjenigen, die Handwerkerdienstleistungen in Anspruch nehmen, und bei den Unternehmen. Die Erhöhung des Kinderfreibetrages bedeutet netto ein Mehr von 2 Milliarden Euro. Wenn ich die stärkere Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab dem Jahr 2010 hinzuziehe, dann haben wir allein durch diese Maßnahmen, die wir jetzt oder in den nächsten Wochen beschließen, im Rahmen dieses Finanzplans bis zum Jahr 2013 eine Nettoentlastung unserer Leistungsträger in der Gesellschaft, die Steuern zahlen, von 85 Milliarden Euro. Das ist eine respektable Leistung. Diese darf in der Finanzkrise nicht untergehen. Wir dürfen auch in der Politik nicht in Panik geraten. ({24}) Das heißt, wir setzen den Entlastungskurs für die Bürgerinnen und Bürger fort. ({25}) An dieser Stelle will ich hinzufügen: Es gibt auch Dinge, die nichts mit dem Bundeshaushalt zu tun haben, die unseren Bürgerinnen und Bürgern aber auch ein Mehr an Kaufkraft bringen. Das sind mir die liebsten Dinge. Ich nenne hier die Senkung der Benzin- und Dieselpreise von 1,50 Euro auf 1,15 Euro. 10 Cent weniger pro Liter bedeuten im Jahresdurchschnitt ein Mehr von 6 Milliarden Euro in den Taschen derjenigen, die tanken. Wir kommen so auf eine Senkung der Energierechnung der Bürgerinnen und Bürger in einer Höhe von deutlich über 20 Milliarden Euro. Das ist nicht unsere Leistung, aber trotzdem darf das nicht vergessen werden. Ich sage auch, dass angesichts des Rückgangs der Inflation eine situationsangepasste Lohnpolitik ein wichtiger Aspekt ist. Das ist ein Appell an die Tarifvertragsparteien, dies zu berücksichtigen. Wie haben unsere Exporteure gejammert, als der Dollarkurs um 1,50 Euro pendelte. Jetzt liegt er bei 1,25 Euro. Das ist ein Exportprogramm in einem schwierigen Umfeld. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns diese Signale der Zuversicht und auch der verbesserten Rahmenbedingungen in Teilen der Wirtschaft nicht vergessen. Wir haben eine schwierige Zeit vor uns. Wenn wir uns als Politiker aber an die Spitze der Schlechtredner und der Panikerzeuger setzen, dann wird es in diesem Land nicht aufwärts gehen. Wenn wir gemeinsam das tun, was nötig ist, und das ehrliche und differenzierte Bild unserer Wirklichkeit darstellen, dann wird es vorwärts gehen, dann wird es in diesem Land wieder aufwärts gehen. Mit diesem Bundeshaushalt haben wir ein ehrliches Bild gezeichnet und notwendige Maßnahmen in Kraft gesetzt. Wir brauchen das. Die Große Koalition unter der Führung der Union ist dazu herzlich bereit. Wir freuen uns auf diese Arbeit. Wir dienen unserem Land gern. ({26})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Bundesregierung hat immer noch nicht den Ernst der Lage erkannt. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister tanzen auf den Vulkangipfeln dieser Welt, doch in unserem Land tun sie nichts, um die Menschen wirksam vor der Weltwirtschaftskrise zu schützen. ({0}) Die Banken werden mit frischem Geld versorgt, doch die Spielregeln des Kasino-Kapitalismus wurden noch nicht geändert. Das ist eine absurde Klientelpolitik. ({1}) Ein Konjunkturprogramm, das diesen Namen verdient, gibt es nicht. Das hat auch die vorangegangene Debatte gezeigt. Wir als Linke haben von Anfang an gesagt, dass ein Rettungspaket für die Banken mit strengen Regeln für den Finanzmarkt verbunden werden muss. Gleichzeitig muss ein wirkliches Konjunkturprogramm aufgelegt werden; sonst wird das nichts. ({2}) Was die Regeln angeht, ist es doch immer noch so, dass jede Lidl-Filiale in diesem Land besser überwacht wird als die Hypo Real Estate, die Milliarden verzockt hat und jetzt mit üppigen Bürgschaften des Staates ausgestattet wird. ({3}) Wir beobachten jetzt die Entwicklung eines neuen Volkssports unter Regierungspolitikern: das Schattenboxen. Die Kanzlerin, der Finanzminister und sogar der Bundespräsident schimpfen auf die gierigen Bank20260 manager. Dabei kommt natürlich kein Manager zu Schaden. Es ändert sich auch nichts an der Politik der Bundesregierung gegenüber den Managern. Aber zumindest entsteht bei den Bürgern der Eindruck, dass es jetzt den Richtigen an den Kragen geht. Ziehen Sie lieber die Schattenboxhandschuhe aus und gehen Sie endlich an Ihre Arbeit! ({4}) Der Finanzminister interessiert sich weniger für die Wirtschaftskrise als vielmehr für das Ziel, keine neuen Schulden aufzunehmen. Konjunkturprogramme scheut Herr Steinbrück wie der Teufel das Weihwasser. Aber Minister Steinbrück betreibt ebenso wie sein Vorgänger Hans Eichel Politik gegen die ökonomischen Gesetze, ({5}) und das geht nie gut. ({6}) Herr Steinbrück will jetzt auch nicht mehr an seinen Zielen gemessen werden, die er noch vor ein paar Wochen hier immer wieder trotzig verkündet hat. Jetzt muss die Finanz- und Weltwirtschaftskrise, die nach Auffassung des Finanzministers keiner voraussehen konnte, für sein Scheitern herhalten. Das erinnert mich an den Kapitän der Titanic, der zu seiner Entschuldigung gesagt haben soll, dass ja schließlich keiner habe wissen können, dass es im Eismeer Eisberge gibt. Ich kann der Bundesregierung nur empfehlen, dem Beispiel von Tausenden Studenten zu folgen und einen Marx-Lesekurs zu besuchen. Im Kapital könnte der Finanzminister dann lernen, dass Wirtschaftskrisen und Kapitalismus zusammengehören wie Blitz und Donner. ({7}) Herr Steinbrück, Sie können sich das auch von Ihrer Bundeskanzlerin erklären lassen; denn Frau Merkel hat schließlich während ihres Studiums einen Grundkurs über Marxismus-Leninismus absolviert. Da kann sie Ihnen sicherlich auf die Sprünge helfen. ({8}) Meine Damen und Herren, es gibt ein paar ganz schlaue Mitarbeiter in der SPD-Fraktion, ({9}) die auf dem Oktoberfest bei ein paar Maß Bier alle Vorschläge der Linken zusammengerechnet haben wollen. Sie kamen auf eine astronomische Summe, weil sie ihre üppige Bierrechnung und das Geburtsdatum der Kellnerin dazugerechnet haben. Richtig ist, dass die Linke ein Konjunkturprogramm gegen die Wirtschaftskrise fordert. Wir wollen, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern und den Gemeinden ein Konjunkturprogramm startet, um einen Absturz in die Rezession zu verhindern. Die Europäische Union hat ein Konjunkturprogramm in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefordert. Das wären für Deutschland 25 Milliarden Euro. Die Kanzlerin hat ein solches Konjunkturprogramm zwar öffentlich unterstützt; doch in dem vorliegenden Haushalt gibt es dieses Programm nicht. Wenn Sie sagen, das sei alles schon eingerechnet, ist das ein Rosstäuschertrick, den Ihnen niemand abnehmen wird; für so dumm können Sie die Menschen nicht verkaufen. ({10}) Ich bin sehr gespannt, wie uns die Kanzlerin dieses Täuschungsmanöver gegenüber der EU und den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik morgen in ihrer Rede erklären wird. Ich hoffe sehr, dass sie das tun wird. Sie soll uns hier einmal den Widerspruch zwischen öffentlichem Reden und praktischem Nichthandeln darlegen. ({11}) Die Bundesregierung hat für 2009 ein Progrämmchen im Wert von ungefähr 3 Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt. Das erinnert mich wieder an die Titanic: Erst werden die Bankenrettungsboote für die erste Klasse ins Wasser gelassen, und dann wird den Passagieren der zweiten bis vierten Klasse mitgeteilt, dass es keinen Grund zur Sorge gebe; sie bekämen schließlich Gutscheine für Rettungsringe, wenn sie das rettende Ufer erreicht haben sollten. So funktioniert das nicht. Die Linke fordert Sofortmaßnahmen für die Bürgerinnen und Bürger, die wir bei gutem Willen aller Abgeordneten noch in dieser Woche beschließen könnten. Erstens fordern wir die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro. Herr Kuhn, auch Sie haben vorhin die Anhebung des Arbeitslosengeldes II gefordert. Sie haben aber vergessen, zu erwähnen, dass Ihre Fraktion Miterfinder dieses beschämenden Arbeitslosengeldes II war. ({12}) Zweitens fordern wir die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes und drittens die Erhöhung des Kinderzuschlages und des Kindergeldes. Die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro ist sozial und ökonomisch sinnvoll. Dieses Geld wäre gut angelegt; denn in der Regel reicht das Arbeitslosengeld II für die Menschen nicht bis zum Ende des Monats. Das Geld würde sofort in den Konjunkturkreislauf fließen, also wie eine Infusion wirken. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes entlastet den Haushalt sogar direkt. Immerhin zahlen wir 9 Milliarden Euro für Aufstocker, also für Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können und staatliche Zuschüsse benötigen. Viele Unternehmen machen sich auf Kosten des Staates hier einen schlanken Fuß. Auch das sollten wir endlich beenden. ({13}) Meine Damen und Herren, das Kindergeld wird von der Koalition gegen den Widerstand des Finanzministers um 10 Euro pro Kind erhöht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat errechnet, dass der Kaufkraftverlust seit der letzten Kindergelderhöhung 12 Prozent beträgt. Das heißt, das Kindergeld müsste also auf mindestens 172 Euro ansteigen, damit wenigstens dieser Verlust ausgeglichen wird. Aber selbst das funktioniert nicht. Die 164 Euro, die nun herausgekommen sind, gleichen den Verlust nicht aus. Was ich im Übrigen besonders beschämend finde: Die Kindergelderhöhung gilt für alle Kinder - außer für die Kinder von ALG-II-Empfängern. Es ist wirklich empörend, wie diese Regierung arme Kinder diskriminiert und ausgrenzt. ({14}) Die Linke fordert ein Kindergeld von 200 Euro pro Kind und eine Anhebung des Kinderzuschlages für Kinder, deren Eltern mit dem Arbeitslosengeld II auskommen müssen. ({15}) Diese drei Vorschläge muss die Regierung nicht auf G-20- oder G-8-Gipfeln debattieren. Wir könnten sie heute oder am Freitag im Bundestag beschließen. Bis Freitag haben Sie noch Zeit, nachzudenken. Vielleicht nutzt es etwas. Es gibt den legendären Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ ({16}) Der Finanzminister kam zu spät, um bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau und bei der IKB Ordnung zu schaffen. Der Finanzminister kam zu spät, als die schlimmsten Folgen der Finanzkrise verhindert werden mussten. Er kam wiederum zu spät, als es darum ging, mit einem Konjunkturprogramm Arbeitsplätze zu sichern. Herr Steinbrück, Sie haben uns einen SchönwetterHaushalt vorgelegt. Sie haben die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Sie laufen den Ereignissen hinterher und sind unfähig, einen krisenfesten Haushalt vorzulegen. Einen Haushalt wie den vorliegenden kann die Fraktion Die Linke nur ablehnen. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Eigentlich müsste jetzt unser haushaltspolitischer Sprecher Alexander Bonde hier stehen. Er ist aber auf dem Weg in den Kreißsaal. Wir wünschen der Mutter, dem Kind und dem Vater für die Zukunft alles Gute. ({0}) Seit der Einbringung des Bundeshaushaltes Mitte September haben sich die konjunkturellen Rahmenbedingungen extrem verändert. Was die Bürgerinnen und Bürger von einer guten Regierung in einer solch schwierigen Phase - wir sind in einer Rezession - zu Recht erwarten, ist eine offene und ehrliche Analyse der Situation. Steffen Kampeter hat es schon gesagt: Die Menschen haben Vertrauen in unser Land. Lieber Steffen Kampeter, auch ich glaube, dass die Menschen Vertrauen in unser Land haben. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch Vertrauen in diese Regierung haben ({1}) und auch Vertrauen in einen Haushalt haben, der nicht das Papier wert ist, auf dem er steht. Zu Beginn der Finanzkrise in den USA im Sommer 2007 - es ist schon eine ganze Weile her - hatten wir vor einem Übergreifen auf den globalisierten Markt gewarnt. Der Minister hat uns damals - Kollege Koppelin hat es schon angesprochen - Sadomaso-Tendenzen nachgesagt und hat außerdem vor den Kassandrarufern gewarnt. Jetzt muss man sagen: Wir waren einfach nur realistisch, als wir davon gesprochen haben, dass man die Entwicklung nicht ignorieren darf und dass man Positionen nicht erst dann aufgeben sollte, wenn ihre Grundlagen von der Realität bereits meilenweit überholt wurden. Ein solches Handeln schafft kein Vertrauen. ({2}) Das gilt für die Finanzkrise und gilt jetzt auch für den Bundeshaushalt. Denn Sie verdoppeln die Schulden und sagen nur die halbe Wahrheit. Im Hinblick auf die Banken haben wir - ich sage bewusst: leider - immer noch eine Vertrauenskrise. Das gegenseitige Gewähren von notwendigen Krediten läuft immer noch nicht so, wie wir es eigentlich brauchen. In dieser Situation müssen wir aufpassen, dass diese Vertrauenskrise nicht auf das Handeln der Regierung überschwappt. Die Wachstumsprognose ist im Vergleich zum Entwurf des Haushaltsplans vom Sommer von 1,2 auf 0,2 Prozent für 2009 geändert worden. Diese Eintrübung hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf der Einnahmeseite, sondern auch auf der Ausgabenseite, und zwar in Form von Ausgabensteigerungen, beispielsweise beim Sozialtransfer. Das haben Sie im jetzt vorgesehenen Haushaltsplan in dieser Form nicht berücksichtigt, ({3}) abgesehen davon, dass der Sachverständigenrat, die Bundesbank und viele andere schon jetzt davor warnen, dass wir im nächsten Jahr in eine Situation geraten, in der es kein Wachstum von 0,2 Prozent, sondern ein Minuswachstum von 0,5 bis 1 Prozent geben wird. Darauf muss man sich vorbereiten, und diese Vorbereitung hat vonseiten der Koalition bislang überhaupt nicht stattgefunden. ({4}) Sie verstecken den Finanzmarktstabilisierungsfonds in einem Sondervermögen, statt hier transparent zu agieren. ({5}) Die Bundesregierung rechnet mit Bürgschaftsausfällen von 20 Milliarden Euro. Man muss davon ausgehen, dass ein Teil davon 2009 anfällt. Auch die Kosten für Eigenkapitalmaßnahmen bei Unternehmen der Finanzbranche - es sind 80 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre vorgesehen - verstecken Sie in diesem Sondervermögen. Hier wurde etwas getan, wozu wir sagen: Dies muss transparent sein. Die Leute wollen verstehen, wie es funktioniert, wenn Banken gerettet werden, und wollen genaue Kenntnis über die Gegenleistungen haben. Das haben wir von unserer Seite im Zusammenhang mit dem Rettungspaket immer eingefordert. ({6}) Noch schwieriger ist es beim Arbeitslosengeld II. Da haben Sie im Entwurf 1,4 Milliarden Euro weniger veranschlagt, als Sie dieses Jahr, das konjunkturell bestimmt besser gewesen ist, als es das kommende sein wird, benötigen. Carsten Schneider hat vorhin gesagt, dass die Arbeitslosengeldzahlungen steigen werden. Wenn ich mir anschaue, dass im Etat für 2009 20,8 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II vorgesehen sind, dieses Geld aber schon jetzt, im November, nicht ausreicht und Sie im Haushaltsausschuss eine überplanmäßige Ausgabe von 800 Millionen Euro beantragen mussten, Herr Minister - und das vor dem Hintergrund einer noch guten Konjunktur -, dann frage ich mich: Wem wollen Sie weismachen, dass wir in einem konjunkturellen Abschwung mit einem um mindestens 1 Prozent geringeren Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr plötzlich 1,4 Milliarden Euro weniger Geld für das Arbeitslosengeld II aufwenden müssen? ({7}) Das ist doch Voodoo-Politik, was Sie hier betreiben, und keine realistische Haushaltspolitik. Vergangene Woche hat die Kanzlerin noch einmal für eine nachhaltige Schuldenpolitik geworben: Zwar dürfe man in schwierigen Zeiten Schulden machen; aber in Zeiten des Wachstums müsse man diese Schulden kompensieren. Wichtig sei, dass man in einem Wirtschaftszyklus mit Null herauskommt - so hat sie sinngemäß gesagt -; denn sonst seien die Politik und das, was man bei den Haushaltsberatungen tue, insgesamt nicht nachhaltig. Wir stellen fest: Die Kanzlerin scheint das Konzept der Schuldenbremse verstanden zu haben. Aber was zählt, ist nicht die Theorie, sondern die Praxis. Gerade im Zusammenhang mit der Föderalismuskommission ist nichts vorangegangen. Sie hätte längst eine Schuldenbremse beschließen sollen - eine Schuldenbremse, die atmet, wie Fritz Kuhn vorhin gesagt hat, indem man in wirtschaftlich guten Zeiten Geld zurücklegt und in schwierigen Zeiten genug Spielräume hat. Das hätten Sie längst tun können; aber auch das ist Ihnen nicht gelungen. ({8}) Wenn man sich die Regierungsjahre von 2005 bis 2009 und das entsprechende Wachstum anschaut, dann sieht man, dass Sie neue Schulden in einer Größenordnung von insgesamt 72 Milliarden Euro gemacht haben. Sie haben 72 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, obwohl Sie die Steuern erhöht haben und die Steuermehreinnahmen im gleichen Zeitraum 160 Milliarden Euro betragen haben. Sie sollten den Menschen einmal erklären, wie man es schafft, so hohe Steuereinnahmen zu haben und trotzdem in guten Zeiten so viele Schulden zu machen, wie Sie das getan haben. ({9}) Wir vonseiten der Grünen haben mit unserem Zukunftshaushalt dokumentiert, wie nachhaltiges Haushalten funktioniert. Dieser würde in der Krise mehr Spielräume ermöglichen, um den Herausforderungen zu begegnen. In einer solchen Krise ist es noch wichtiger, darauf zu achten, wofür man Geld ausgibt, und vor allem darauf zu achten, was für eine Wirkung dieses Geldausgeben hat. Die Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker unserer Fraktion haben alles getan, um dafür zu sorgen, dass in langfristiger Hinsicht die Weichen richtig gestellt werden können. Uns geht es - wir glauben, dass es das Richtige für dieses Land ist - um Investitionen in den Klimaschutz, um Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung und um Investitionen in den sozialen Zusammenhalt dieses Landes. ({10}) Solche Investitionen können eine konjunkturelle Wirkung entfalten und gleichzeitig nachhaltig wirken. Das ist der Punkt: konjunkturell wirken und gleichzeitig für die Zukunft Sinn machen. ({11}) Aus diesem Grund haben wir Haushaltspolitiker in den Beratungen viele Anträge vorgelegt. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger bei ihren Energiekosten durch einen Fonds entlastet werden. Wir möchten die energetische Sanierung von Gebäuden, den Ausbau von hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und den Ausbau der Stromnetze. Wir wollen, dass die Kfz-Steuer zu einer CO2-Steuer umgebaut wird. Das, was Sie hier vorgelegt haben, was verabschiedet werden soll, ist eine Perversion ökologischer Logik. Man muss sich das einmal vorstellen: Je mehr Hubraum ein Auto hat, das jetzt gekauft wird, desto höher ist die Steuerentlastung. Das ist doch verrückt! ({12}) Wenn man denjenigen, die die Autos bauen, Anreize für die Entwicklung zukunftsfähiger Technologien bieten möchte, dann muss man eine klare Kante zeigen. Im Koalitionsvertrag steht die CO2-Steuer. In drei Jahren ist es Ihnen aber nicht gelungen, dies umzusetzen. Und jetzt, in Krisenzeiten, wo die Möglichkeit dazu bestünde, machen Sie einen solchen Quatsch, der uns in keiner Weise voranbringt, der uns sogar zurückwirft und außerdem 500 Millionen Euro kostet. ({13}) Unsere Kinder brauchen hochwertige Kindergartenund Betreuungsplätze. Unsere Schüler und Schülerinnen brauchen vernünftige Schulen. Unsere Studenten und Studentinnen brauchen Studienplätze, die sachgerecht ausgestattet sind. Unser Land muss für den globalen Wettbewerb fit gemacht werden. Die Große Koalition hat ihre große Mehrheit in Bundestag und Bundesrat leider nicht genutzt, um diese Impulse zu setzen, sondern sie hat sich mit der verkorksten Föderalismusreform freiwillig die Hände gebunden. Ich verstehe bis heute nicht, dass man sich auf so etwas einlassen konnte. ({14}) Wir erwarten, dass man etwas für die Nachfrage tut. Wenn man etwas für die Nachfrage tun will, dann ist es notwendig, den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II anzuheben; denn diese Menschen, die das Geld dringend brauchen, verkonsumieren es, wodurch das Geld in den Wirtschaftskreislauf einfließt. Das, was Sie sich vorstellen, eine Senkung des Spitzensteuersatzes, würde bedeuten, dass die Leute mehr Geld sparen. Das würde für unsere Wirtschaftsentwicklung aktuell überhaupt nichts bringen. ({15}) Aus diesem Grund meinen wir, dass wir die kleinen Einkommen entlasten müssen. Das wäre der richtige Weg. ({16}) Die Anforderungen, die an den Haushalt gestellt werden, haben zwei Ebenen: einen zukunftsfähigen Haushalt aufstellen und gleichzeitig die Folgen der Finanzund Konjunkturkrise abmildern. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, wie man mit Strukturreformen, die sich an ökologischen und sozialen Zielen ausrichten, die Basis eines Haushaltes verbessern kann. Wir hätten heute ganz andere Handlungsmöglichkeiten, wenn Sie dem ein Stück weit gefolgt wären. Es ist sehr schade, dass Sie uns nicht gefolgt sind. Auch deswegen befinden wir uns jetzt in dieser schwierigen Situation; denn man kann nur mit langfristig sinnvollen Investitionen etwas erreichen. Maßnahmen zur Krisenbekämpfung dürfen kein Strohfeuer sein. Das müssen Investitionen sein, die tragfähig sind und insgesamt zünden. Sie feuern ein ziemlich widersprüchliches Ideenfeuerwerk ab. Wenn sich der Rauch gelegt hat, wird es wieder keiner gewesen sein wollen. Dann wird die CDU/CSU sagen: Das haben wir gemacht, weil die SPD das wollte. Und die SPD wird sagen: Das wollten die Schwarzen. Am Ende war es wieder keiner. Das ist genau das Problem, vor dem wir stehen. Das heißt, wir brauchen ein vernünftiges Programm, das nach vorne weist. Wir brauchen kein Sammelsurium von beliebigen Maßnahmen, die am Ende gar nicht greifen. ({17}) Ich sage, dass für diese Haushaltspolitik nicht allein der Finanzminister die Schuld trägt, sondern auch das quasi unbesetzte Wirtschaftsministerium, die Kanzlerin und die bei Detailfragen zerstrittene Große Koalition. Deswegen haben die Grünen völlig zu Recht im Haushaltsausschuss gefordert, dass ein neuer Haushalt vorgelegt wird, der für die Zukunft gut ist, der auf ehrlichen Zahlen basiert und uns für die nächsten Jahre gut rüstet. Wir brauchen im Grunde einen neuen Haushalt. Aber wir brauchen im nächsten Jahr auch eine andere Regierung. Danke schön. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur ich, sondern auch die Oppositionspolitiker treffen ihre Bewertungen und ihre Einschätzungen auf der Basis verfügbarer Informationen. Diese verfügbaren Informationen von Ende August/Anfang September unterscheiden sich von den heute verfügbaren Informationen. Frau Scheel, Sie hatten damals keine anderen Informationen als ich, aber Sie als Opposition können sich eine Art oppositionsbedingte Abweichungsrhetorik gegenüber der Regierung leisten. Das heißt, es macht gar keinen Sinn, mir Zitate entgegenzuhalten, die auf den Informationsstand von Ende August/Anfang September zurückgehen, der sich deutlich von dem heutigen unterscheidet. ({0}) Sie haben genauso wenig wie ich vorhergesehen, dass mit Lehman Brothers ein systemrelevantes Institut pleitegehen kann. Die daraus resultierende Erschütterungsdynamik hat viele europäische Länder erfasst; von den USA will ich gar nicht reden. Sie haben nicht vorhergesehen, dass seitdem ungefähr acht oder neun weitere USBanken pleitegegangen sind. Sie haben einen möglichen Staatsbankrott von Island genauso wenig vorhersehen können wie ich. ({1}) Sie haben die Nöte von Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht vorhersehen können. Sie haben auch nicht diese Übersprungeffekte der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft vorhergesehen. Wir hatten keine unterschiedlichen Informationen, aber Sie können es sich leisten, Reden zu halten, die erkennbar eine gewisse Entfernung und Distanz zu den Einschätzungen der Bundesregierung bzw. der Koalitionsfraktionen wiedergeben. ({2}) Ich bleibe dabei: Auch in dieser Situation warne ich vor dem Vergnügen des Erschauerns, vor dem Vergnügen an schlechten Nachrichten, vor dem Vergnügen, sich immer weiter da hineinzuversetzen, fast zu suhlen. ({3}) Es gab einen Debattenbeitrag von einem Vertreter der CDU/CSU-Fraktion - ich weiß nicht mehr genau, von wem -, der völlig richtig darauf hinwies, dass es auch an unserer öffentlichen Rede liegt, wie wir mit dieser Krise, mit dieser Rezession, auf die ich gleich ungeschminkt zu sprechen komme, fertig werden. Dafür tragen wir Verantwortung. ({4}) Politische Verantwortung zeichnet sich übrigens dadurch aus, dass man bei unsicheren Informationen entscheiden muss. Das unterscheidet uns von der Opposition. Das ist die Übernahme politischer Verantwortung. ({5}) Bei einer Haushaltsrede in dieser Zeit muss aufgrund der geänderten Situation natürlich an den Anfang gestellt werden: Ja, die Weltwirtschaft ist auf einer Talfahrt. Ja, die Bundesrepublik Deutschland ist in einer Rezession. Es wäre nicht mehr eine zutreffende Feststellung, zu sagen, dass wir in einer Stagnation sind. Dass die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgeschüttelt wird, ist kein Wunder. Denn ein Land, das 40 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Im- und Exportbeziehungen verdient, das weltweit so vernetzt ist, wird an der weltweiten Entwicklung kaum vorbeigehen können. Keiner kann mit Bestimmtheit sagen - ich sage keiner: weder aus der wissenschaftlichen Expertise noch aus dem Bereich der Politik -, wie scharf diese Rezession ist und wie lange sie dauern wird. Ich rate sehr dazu, nicht mit Scheingenauigkeiten aufzuwarten und nicht in ein Rattenrennen hineinzugehen, bei dem man sich selber negativ übertrifft nach dem Motto: Der eine sagt minus 0,2, der Nächste minus 0,4, der Nächste minus 0,8 und der Nächste minus 1,0. Das widerspricht dem, was ich für notwendig halte, um der Verunsicherung entgegenzuwirken. ({6}) Ich rate auch dazu, keine historischen Zeitreihen aufzumalen, die suggerieren sollen, die Bundesrepublik Deutschland sei plötzlich auf den Stand von 1949 zurückgeworfen worden. Ich rate davon ab. ({7}) In dieser Situation ist es nicht verwunderlich, sondern eher verständlich, dass es Unsicherheiten und viele Fragen gibt, dass es auch Irritationen und die Suche nach Lösungen gibt. Das beschäftigt uns, das beschäftigt die Bürgerinnen und Bürger, und das beschäftigt all diejenigen, die uns kommentierend begleiten. Dennoch: In diesem sehr engen Beziehungsgeflecht von Politik, wissenschaftlicher Expertise und Medien gibt es diverse Vorschläge und Ratschläge, gelegentlich auch andere Schläge, die der ökonomischen Vernunft nicht standhalten. Das Wochenende bietet offenbar immer eine sehr gute Gelegenheit, die halbe Republik auf dem medialen Resonanzboden - davon rate ich ab - aufzumischen. ({8}) Die jüngste Blüte, die allerdings, wie ich glaube, in der heutigen Tagespolitik verwelken wird, ist der Vorschlag zur Einführung sogenannter Konsumgutscheine oder Konsumcoupons. Ich bin dem nachgegangen, habe aber nichts Genaues herausfinden können. Aber daran kann man sehen, wie schnell ein solches Stichwort - in die Debatte hineingeworfen, und zwar unverantwortlich, wie ich finde - eine Eigendynamik bekommen kann. Ich kann dazu nur sagen: In meinem Haus gibt es solche Pläne nicht, ich vermute, an anderen Stellen auch nicht. ({9}) Ich wäre sehr dankbar, wenn wir durch solche Säugetiere, die wir durchs Dorf jagen, die Bevölkerung nicht noch mehr verunsichern, als sie ohnehin schon verunsichert ist. ({10}) Das ist übrigens nicht nur eine Aufgabe der Politik, wie ich mit Blick auf die Ränge sagen darf. Unbenommen dieser Verunsicherung und unbenommen der jetzt herrschenden unsicheren Zeiten halte ich ein Plädoyer dafür, dass Beständigkeit, Sorgfalt, Solidität und auch eine gewisse Standpunktfestigkeit durchaus ein Qualitätsmerkmal von Politik sein können, selbst wenn wir in einer so schwierigen Lage sind wie der jetzigen. Noch einmal: Nicht jeder Vorschlag besteht den Test der ökonomischen Vernunft. Der Überbietungswettbewerb hochdimensionierter Konjunkturprogramme lässt viele Grundsätze sehr schnell verblassen. ({11}) Das ist genau das, was der Kollege Poß vorhin ganz zutreffend als die „Bruttoregistertonnenideologie“ bezeichnete. - Wie viel darf es denn sein, Frau Lötzsch? 25 Milliarden Euro? 50 Milliarden Euro? 75 Milliarden Euro? Gleichzeitig werden wir von einer anderen Politikerin der Opposition, Frau Scheel, aufgefordert, einen genauen Plan vorzulegen, wie wir von den Schulden, ausgelöst durch die Nettokreditaufnahme, wieder herunterkommen. ({12}) - Das erwarten Sie. Aber auch Sie beteiligen sich an diesen maßlosen Aufforderungen, die in die Welt gesetzt werden. ({13}) Das sind doch Beruhigungstabletten, die Sie aufgrund Ihrer eigenen Verunsicherung verteilen. Das hat doch mit ökonomischer Vernunft und mit Maßhalten nichts mehr zu tun. Das ist der alte Fehler, dem wir in dieser Situation leicht nach dem Motto unterliegen: Viel hilft viel; das sei schon richtig! ({14}) Aber keiner denkt darüber nach, ob dabei nicht die Grundsätze der Effizienz und der Treffsicherheit verletzt werden. Das gilt ebenso für Steuersenkungsprogramme und für staatliche Ausgabenprogramme. Herr Gysi hat in seiner Rede verlangt: Klotzen statt kleckern! - Was heißt das denn? Nennen Sie einmal einen Betrag. Sagen Sie den Beteiligten, insbesondere den Jugendlichen, die dort oben sitzen, ob Sie den Kapitaldienst der damit verbundenen Schulden bedienen wollen. Das müssen Sie einmal klar sagen. Sie können nicht einfach etwas dahinmurmeln oder in einer großen Rhetorik mit bombastischer Darstellung erklären, kleckern sei nicht erlaubt, sondern es müsse geklotzt werden. - Was heißt „Klotzen“ konkret? ({15}) - Entschuldigen Sie, bei den Banken klotzen wir doch nicht mit Haushaltsgeld. Sie haben das bis heute nicht begriffen. Ich habe die starke Vermutung, Sie wollen es auch gar nicht begreifen. Das ist doch nicht der Punkt. Sie versuchen doch nur, daraus Kapital zu schlagen. ({16}) Die Veränderungen des Haushaltsplanes 2009 zwischen der Kabinettsentscheidung Anfang Juni und der Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss am Freitag spiegeln exakt die zwischenzeitlich eingetretene wirtschaftliche Situation wider. Wir kommen in sehr schweres Wetter. Ich mache etwas, was in der Politik wahrscheinlich gar nicht so ratsam ist: Ich glaube, wir sollten den Menschen ehrlicherweise sagen, dass die Politik zwar Turbulenzen lindern kann, dass sie Schutz organisieren kann, dass sie abschirmen kann, aber dass wir in Deutschland nicht jede Fährnis und nicht jede Unbill in der Entwicklung des nächsten Jahres von den Menschen werden abwenden können. Wir sollten nicht vollmundig etwas versprechen, das wir erkennbar nicht halten können. ({17}) - Das tun wir nicht. Keine meiner Reden und auch die der Mitglieder der Bundesregierung insgesamt laufen darauf hinaus, dass wir etwas versprechen, was wir nicht halten können, weil wir uns sehr bewusst sind, dass der Vertrauensverlust und der Ansehensverlust der Politik dadurch eher zunehmen als abnehmen. ({18}) Worüber ich gelegentlich bekümmert bin, um das ebenso deutlich zu sagen, ist, dass Pläne gemacht werden, die dann mit einer Handbewegung wieder weggewischt werden. Teilweise wird auch mit falschen Zahlen gearbeitet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der Kollege Fricke möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Geht das auf Kosten meiner Redezeit?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nein. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Herr Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass wir keine vollmundigen Versprechen machen sollten. Sie haben gesagt: Heute verfügen wir über andere Informationen als vor ein paar Monaten. Sie haben gesagt: Deutschland befindet sich in einer Rezession. ({0}) Würden Sie der Bevölkerung vor diesem Hintergrund Folgendes sagen: „Der geänderte Haushalt, den ich heute vorlege, basiert auf einem Wachstum von 0,2 Prozent. Nach den mir als Finanzminister vorliegenden und verfügbaren Informationen gehe ich davon aus - das ist kein vollmundiges Versprechen -, dass es dabei bleibt, dass das Wachstum im Jahre 2009 ungefähr 0,2 Prozent betragen wird. Ich mache auch kein vollmundiges Versprechen, wenn ich sage, dass die Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen, die gerade erst prognostiziert wurde, nicht eintreten wird“? ({1}) Bleiben Sie bei diesen Aussagen, oder können Sie in Anbetracht der Ihnen vorliegenden und verfügbaren Informationen nicht versprechen, dass das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr 0,2 Prozent betragen wird? ({2})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Die verfügbaren Informationen, die mir vorliegen, laufen, was das Wachstum angeht, auf einen Korridor von ungefähr 0,2 Prozent bis minus 1 Prozent hinaus. Insofern liegen die Planungen der Bundesregierung - das gebe ich zu - am oberen bzw. am „optimistischen“ Ende der momentan verfügbaren und vorliegenden Informationen. ({0}) Damit bewegen wir uns im Rahmen dessen, was wir auch in unseren Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft, der Verbände und der Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft hören. Daher halte ich es für legitim, dass der Haushalt vor dem Hintergrund dieses Korridors aufgestellt wurde. ({1}) Ich will zu dem Punkt zurückkommen, an dem ich vorhin versucht habe, aufzuhören: ({2}) zur Geschwindigkeit, mit der öffentlich, aber auch in unserer eigenen Kommunikation konsumiert wird, was in Gang gesetzt worden ist. Da mir nicht sehr viel Zeit zur Verfügung steht, will ich nur daran erinnern, was das Kabinett am 7. Oktober diesen Jahres beschlossen hat: Entlastungen in Höhe von 6,7 Milliarden Euro im Jahre 2009 und Entlastungen in Höhe von 13 Milliarden Euro im Jahre 2010, und zwar ohne Hebelwirkung. Diese Beträge umfassen nur das, was die öffentlichen Haushalte insgesamt zur Konsolidierung beitragen. Ich möchte insbesondere an die weitere Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung erinnern, die mit 4 bis 4,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen wird. Insgesamt hat diese Koalition den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung in den letzten drei Jahren von 6,5 auf 2,8 Prozent gesenkt, mit einem Entlastungsvolumen von 30 Milliarden Euro. ({3}) - Darauf komme ich gleich zu sprechen. Seien Sie doch nicht so nervös. Ich lege Ihnen diesen Zusammenhang noch dar. ({4}) Meine Mutter würde sagen: 30 Milliarden Euro sind 60 Milliarden DM. Über die Größenordnung dieses Betrages reden wir aber gar nicht. Auf der anderen Seite kam es zu einer Erhöhung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 0,5 Prozent; das entspricht einem Volumen von 5 Milliarden Euro. Zu dieser Erhöhung, Herr Kuhn, wäre es übrigens auch völlig unabhängig von der Gesundheitsreform gekommen, schlicht und einfach aufgrund der sich verändernden Rahmenbedingungen, der demografischen Entwicklung, der Verteuerung des medizinischen Fortschritts etc. Machen Sie diese Beitragssatzerhöhung also bitte nicht zum Gegenstand Ihrer Polemik gegen die Gesundheitsreform. Die Maßnahmen, die das Kabinett am 7. Oktober diesen Jahres beschlossen hat, wurden ergänzt. Die Schritte, die das Kabinett am 5. November diesen Jahres beschlossen hat, haben weitere Entlastungen zur Folge: Entlastungen in Höhe von 3,8 Milliarden Euro im nächsten Jahr und Entlastungen in Höhe von 7 Milliarden Euro im übernächsten Jahr. Alles zusammen kommt man auf ein Entlastungsvolumen von 31 bis 32 Milliarden Euro. Das ist weit mehr als 1 Prozent des Bruttosozialproduktes. Hinzu kommen die Hebelwirkungen, die insbesondere aus den jüngsten Maßnahmen resultieren werden; das hat Herr Kampeter bereits beschrieben. Am 7. November diesen Jahres haben wir insgesamt 15 vernünftige Maßnahmen beschlossen. Die gesamte öffentliche Debatte kapriziert sich aber auf einen einzigen Punkt: die Kfz-Steuer. Frau Scheel, warum erwähnen Sie nicht auch einmal eine der anderen 14 vernünftigen Maßnahmen? Warum reden Sie nicht von der Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms im Sinne von Klima- und Umweltschutz? ({5}) Warum reden Sie nicht von der Unterstützung des Mittelstandes? Warum reden Sie nicht davon, dass wir zusätzlich 15 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um zu verhindern, dass kleinere, aber auch größere mittelständische Unternehmen in eine Kreditklemme kommen? Über diese Punkte könnten Sie genauso offenherzig sprechen, wie Sie es bei der Kfz-Steuer tun; über dieses Thema kann man übrigens so oder so denken. ({6}) Ich möchte unterstreichen, dass die deutschen Unternehmen durch die Unternehmensteuerreform zusätzlich in einer Größenordnung von 7 Milliarden Euro entlastet wurden. Darüber hinaus will ich nicht unerwähnt lassen, dass wir weitere wachstumsstärkende Maßnahmen ergriffen haben, insbesondere zur Stärkung der Kaufkraft. So wurde im öffentlichen Dienst ein Tarifabschluss vereinbart, durch den die Kaufkraft gestärkt wird, und zwar in einem Volumen von 2 Milliarden Euro. Im Jahre 2009 wird die öffentliche Hand 20 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf pumpen, im Jahre 2010 werden es 30 Milliarden Euro sein. Angesichts dieser Beträge kann man der Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie passiv war; die diesbezügliche Debatte mit den Ländern steht übrigens noch aus. Kaum haben wir diese beiden Pakete verabschiedet, wird, bevor sie ihre Wirkungen entfalten können, schon eine heftige Debatte über irgendwelche Anschlussmaßnahmen geführt. Kann mir jemand diese Debatte und das Signal, das von ihr an die Marktteilnehmer ausgeht, erklären? ({7}) - Von den beiden Koalitionsfraktionen jedenfalls niemand, und auch sonst niemand. Wir sollten endlich einmal die Beständigkeit und übrigens auch, wie ich finde, die Standpunktfestigkeit haben, das zur Wirkung zu bringen, was vernünftigerweise beschlossen worden ist. Wir können uns ja gerne wieder unterhalten, aber doch nicht so, dass wir uns selber infrage stellen und das schon verheizen, was wir selber in Gang gebracht haben, wodurch wir die Menschen geradezu dazu einladen, zu denken: Die wissen ja selber nicht, ob das hinreichend oder zureichend ist, also halte ich mich weiter zurück. ({8}) Die dahinter stehende ökonomische Logik habe ich keineswegs verstanden. Ich werde so nüchtern wie möglich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der mit Steuern zu tun hat. Ich darf daran erinnern, dass es ab dem Jahre 2000 Steuersenkungen im Umfang von jährlich fast 32 Milliarden Euro gegeben hat. Die anschließende Rezession ist dadurch nicht verhindert worden. Wir stellen fest, dass es 47 Millionen private Haushalte gibt. Von denen sind nur 23,6 Millionen einkommensteuerpflichtig. Das heißt, an 50 Prozent der Haushalte geht jede Einkommensteuersenkung vorbei. Im Übrigen zahlen die unteren 50 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen nur 6,3 Prozent des Einkommensteueraufkommens. ({9}) Das heißt, im Hinblick auf die Massenkaufkraft erreicht man sie auch nicht. Wir stellen fest, dass die Steuerquote um 2 Prozent gesunken ist, während die Sparquote im selben Zeitraum zwischen 2000 und 2004 um 1,2 Prozent gestiegen ist. ({10}) Wissen Sie, wie die Sparquote bei denjenigen aussieht, bei denen durch Steuererleichterungen die größten Spielräume erschlossen werden? 22 bis 23 Prozent. ({11}) Das ist meine Antwort auf die ewige Vorstellung, dass dadurch die Kaufkraft eins zu eins gesteigert wird. ({12}) Ich könnte die Argumentation fortsetzen, merke aber, dass mir meine Redezeit davonläuft. Mich beschäftigen viel mehr die Fragen: Hatten wir vor Kurzem nicht einen Bildungsgipfel, auf dem wir beschlossen haben, dass die Bildungsausgaben 7 Prozent, gemessen am Bruttosozialprodukt, betragen sollen? Haben wir nicht eine Lissabon-Verpflichtung, die besagt, dass 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden sollen? ({13}) Wissen Sie, wie hoch im Augenblick das Defizit ist, um diese 10 Prozent zu erreichen? Im Jahre 2008 fehlen uns 28,7 Milliarden Euro. ({14}) Wir müssten ungefähr 32,4 Milliarden Euro für das Jahr 2012 aufwenden. Sind wir in Heiligendamm nicht Verpflichtungen hinsichtlich der ODA-Quote eingegangen? Haben wir nicht gerade die Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschlossen, was 9 Milliarden Euro ausmacht? Haben wir nicht beschlossen, dass der Zuschuss an die Krankenversicherungen jährlich um 1,5 Milliarden Euro - im nächsten Jahr sind es 4 Milliarden Euro, dann 5,5 Milliarden Euro, dann 7 Milliarden Euro - steigen soll? Haben wir es nicht erkennbar mit Steuermindereinnahmen zu tun, wobei es im Lichte der Steuerschätzung im Mai noch größere Probleme als im Lichte der Steuerschätzung im November gibt? Und vor dem Hintergrund reden Sie dann noch von weiteren Steuersenkungen! ({15}) Wenn man das alles tut, was sich diese Große Koalition vorgenommen und beschlossen hat - damit schaue ich das gesamte Haus an -, dann kann es nicht klappen, dass der Staat mit immer weniger Geld auskommen muss. ({16}) Ich will darauf hinaus, dass man sich und andere mit dem, was mit Blick auf einen handlungsfähigen Staat und mit Blick auf die Erwartungen an diesen handlungsfähigen Staat wirklich finanziert werden muss, nicht hinter die Fichte führen sollte. Ich bin betrübt darüber, dass die Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr erkennbar höher, als im Plan der Bundesregierung vorgesehen, liegen muss. Dies ist einer aktuellen konjunkturpolitischen Entwicklung, Steuermindereinnahmen und der Tatsache geschuldet, dass wir die Privatisierungseinnahmen realistisch einschätzen, weil wir Bundesvermögen vor dem Hintergrund einer im Augenblick sehr ungünstigen Börsensituation nicht verschleudern wollen. Dies ist auch mit Blick auf das gerechtfertigt, was wir zur Abschirmung von Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich finanzieren. Ich sage freimütig: Dies bedeutet nicht die Aufgabe des Konsolidierungsziels; keineswegs. Wir werden dies auf der Zeitachse aber neu justieren müssen. Das bedeutet, dass wir bis zum Jahr 2011 keinen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung erreichen können, es sei denn, dass es in den nächsten zwei Jahren eine wundervolle Entwicklung gibt. Ich will aber sehr deutlich machen: Wir bleiben bei diesem wichtigen und richtigen Ziel, und sei es aus Gründen der Generationengerechtigkeit. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Liebhaber knallharter Worte sind eben wieder einmal zu ihrem Recht gekommen. Aber die Zuhörer der heutigen Debatte sollten sich darüber im Klaren sein, dass wir zurzeit einen Finanzminister haben, der vor allen Dingen die dramatische Rede besonders gut beherrscht. ({0}) Nur weil Sie, Herr Steinbrück, Bottiche ätzender Lauge über die Opposition ausschütten, sind Ihre Aussagen weder richtig noch helfen sie weiter. ({1}) Wir suhlen uns nicht, Herr Minister. Wir sind keine Ratten, und wir sind auch keine anderen ähnlichen Säugetiere; vielmehr beobachten die Liberalen in diesem Bundestag die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Lande einfach genauer als Sie, Herr Minister. ({2}) Fakt ist und bleibt: Sie haben in den letzten Monaten die Augen vor der heraufziehenden Wirtschaftsflaute geschlossen. Sie haben weder den Fall des Ifo-Geschäftsklimaindexes beachtet, noch haben Sie auf das Konsumklima und schon gar nicht auf die heraufziehende Immobilienkrise geachtet. Herr Kampeter hat uns eben mit dem Brustton der Überzeugung erzählt, das Konsumklima werde sich so toll entwickeln. Es ist heute das schlechteste seit dem Jahre 1991, Herr Kampeter. Sie müssen das bitte auch zu Ende lesen, was Sie den Leuten hier zu erklären versuchen. ({3}) Die Menschen in diesem Lande wissen, dass die Rezession auf sie zukommt, und das unter einer Großen Koalition. Das ist nicht die Schuld der Opposition, sondern das ist die Schuld dieser Großen Koalition. ({4}) Sie haben uns Liberale noch im September als Apokalyptiker und Sadomasochisten beschimpft, als wir vor dem Einbruch der Wirtschaft warnten, liebe Kollegen. Trotz gegenteiliger Aussagen der renommiertesten Ökonomen in diesem Lande und trotz Aussagen des IWF vor wenigen Tagen schaffen Sie es noch heute - Herr Fricke hat es durch seine Nachfrage eben erneut betont -, einen Haushalt aufzustellen, der auf einem Plus, auf einem Wachstum aufbaut. Das heißt, Sie arbeiten in Ihrem Ministerium mit Zahlen, die mit Risiken in Milliardenhöhe für diesen Haushalt verbunden sind. ({5}) Liebe Kollegen, die Steinbrück’sche Regierungszeit wird einmal als eine Zeit der Verdrängung und des Hinterheragierens in die Geschichte eingehen. ({6}) Weil Sie die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkennen wollen - ich unterstelle Ihnen ja gar nicht, Herr Minister, dass Sie sie nicht erkennen; Sie wollen sie nicht erkennen -, treffen Sie weder die nötige Vorsorge durch konsequentes Sparen im Haushalt noch sind Sie in der Lage, die Steuersenkungen vorzunehmen, die wir jetzt bräuchten, um Deutschland auf dem Wachstumspfad zu halten. ({7}) Stattdessen verstecken Sie sich hinter kleinteiligen Subventionsprogrammen. Übrigens - darauf haben schon mehrere Redner zu Recht hingewiesen - sagen Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie uns noch vor wenigen Tagen gesagt haben. ({8}) Noch am 29. August haben Sie großartig erklärt, ein Konjunkturprogramm sei in der aktuellen Situation weder angemessen noch notwendig, sondern sogar schädlich. ({9}) Nur weil Sie das heute rhetorisch zurücknehmen, wird die Sache doch nicht besser. Sie führen die Leute ganz systematisch hinter die Fichte. ({10}) Deswegen konnten wir uns darauf nicht einstellen. ({11}) - Lieber Kollege, ich nehme das nicht zurück. ({12}) Sie sparen weder, Herr Steinbrück, noch sind Sie dabei, ein Konjunkturprogramm auf den Weg zu bringen; vielmehr spannen Sie eilfertig einen Schutzschirm für Arbeitsplätze, von dem der Sachverständigenrat übrigens zu Recht von einem Sammelsurium an Einzelmaßnahmen spricht. ({13}) 15 Maßnahmen mit einem Finanzvolumen von rund 50 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren, anfinanziert auf Pump und über eine Erhöhung der Neuverschuldung auf 18,5 Milliarden Euro. Da Sie den Mut und, ich vermute, auch die Mehrheit in Ihrer Fraktion zum konsequenten Sparen ({14}) und dem eigentlich erforderlichen handfesten Antirezessionsprogramm nicht haben, kleckern Sie mit Subventionen nach dem altbekannten Gießkannenprinzip vor sich hin: Kfz-Steuerbefreiung, Absetzbarkeit der Handwerkerrechnungen, Verbesserung der Jobvermittlung durch 1 000 zusätzliche Vermittler bei der BA. ({15}) Putzig hat das der Sachverständigenrat genannt, Herr Steinbrück. Genau das ist es. Das wird diesem Land in dieser Situation natürlich nicht helfen. ({16}) Die FDP hat Ihnen heute zum vierten Mal in Folge ein milliardenschweres Sparbuch vorgelegt, lieber Herr Kampeter. Wir haben in den Jahren Ihrer Regierung Sparvorschläge in Höhe von 40 Milliarden Euro gemacht. Hätten Sie diese umgesetzt, Herr Steinbrück, dann ständen Sie heute nicht hier und würden uns sagen: Ich kann doch gar nicht anders. Sie hätten das Volumen gehabt, um die Menschen in diesem Lande zu entlasten. Sie hätten eine Steuerreform machen können: niedrig, einfach und gerecht. Sie hätten die Rentenversicherungsbeiträge absenken können. Da haben Sie mich im Haushaltsausschuss übelst beschimpft und gefragt, warum wir so etwas vorschlagen können. ({17}) Sie haben doch die Reserven. Natürlich können Sie das. ({18}) Sie hätten die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge vorziehen können. Das wäre - um in Ihren Worten zu sprechen, Herr Minister - konzise, zielgerichtet und punktgenau. Das würde diesem Lande helfen. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Jochen-Konrad Fromme für die CDU/CSU-Fraktion.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Hier wird der Eindruck von sozialer Kälte erzeugt. Deswegen muss man zunächst einmal einige Blöcke nennen, aus denen sich dieser Haushalt zusammensetzt. Er hat ein Volumen von 290 Milliarden Euro. Davon sind 124 Milliarden Euro für Arbeit und Soziales, allein 80 Milliarden Euro für die Rentenversicherung, 30 Milliarden Euro für den Arbeitsmarkt, 31 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt, 42 Milliarden Euro für die Bundesschuld und 6 Milliarden Euro für Familie und Jugend vorgesehen. Ich erwähne das deshalb, weil man den Gesamtzusammenhang sehen muss. Es schmerzt uns zwar, dass dieser Haushalt mit einer höheren Nettokreditaufnahme abschließen muss als geplant, aber das ist der Situation geschuldet. Ich rufe eines in Erinnerung - das macht deutlich, was sich unter dieser Koalition verändert hat; der Kollege Schneider hat es bereits angesprochen -: Wir haben trotz der erhöhten Nettoneuverschuldung in diesem Jahr das strukturelle Defizit von 60 Milliarden Euro auf gut 20 Milliarden Euro gesenkt. Das heißt, wir haben Fortschritte gemacht. Wir haben durch die Reformen unsere Gesellschaft und Wirtschaft robuster gemacht. Sonst sähe es bei all dem, was aus der ganzen Welt auf uns einwirkt, viel schlechter aus. Wir wissen, dass wir mit einem solchen Haushalt keinen Schönheitswettbewerb gewinnen können. Aber wenn man auf hoher See ist und im Sturm steht, dann ist das eben kein Laufsteg, und dann kann man nicht das machen, was in anderen Zeiten vielleicht machbar wäre. Deshalb muss man deutlich differenzieren, was wir ohne den Eintritt der Krise getan hätten und was wir der jetzigen Situation schulden. ({0}) Es ist durchaus umstritten, was in dieser Situation zu tun ist. Eines dürfen wir nicht tun - das haben wir aus der Vergangenheit gelernt -: Konjunkturprogramme alter Art auflegen ({1}) bzw. den Staatshaushalt sozusagen einfach aufblähen. Das hat nämlich am Ende immer Folgendes bewirkt: erstens höhere Staatsschulden und damit zweitens höhere Zinsen. Drittens sind die Folgekosten der Einrichtungen zu tragen, die wir uns geleistet haben. Das hat das strukturelle Defizit noch weiter erhöht. Letzten Endes hat das immer zu einer erhöhten Sockelarbeitslosigkeit geführt. Deswegen war das der falsche Weg. Da die Mehrwertsteuersenkung in England als Beispiel angeführt wurde, weise ich noch einmal darauf hin, dass wir das mit der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags in der Summe längst vorweggenommen haben. Diese Maßnahme ist viel wirksamer. ({2}) Ihrer Behauptung, die Krankenversicherungsbeiträge seien gegenzurechnen, ist entgegenzuhalten, dass der Krankenversicherungsbeitrag wegen der besseren medizinischen Versorgung und des Älterwerdens der Menschen steigt. Über beides sollten wir uns freuen. Aber das hat auch seinen Preis. Wenn wir noch die medizinische Versorgung der 70er-Jahre hätten, dann würden wir mit einem anderen Krankenversicherungsbeitrag auskommen. Heute sind neue Hüften und Knie möglich. Das heißt, wir können das Leben der Menschen deutlich erleichtern. Das hat seinen Preis. Deswegen müssen wir für diesen Bereich auch in Zukunft mehr aufwenden, ob uns das gefällt oder nicht. Es ist eben die zweite Seite der Medaille - ich sage bewusst nicht Kehrseite, weil das negativ klingt -, dass wir heute älter werden und mehr Möglichkeiten haben. Kollege Koppelin - er ist gerade nicht anwesend - hat vom finanzpolitischen Blindflug gesprochen. ({3}) Er hat offensichtlich in den haushaltspolitischen Beratungen nicht zugehört. Vielleicht sollte er aus den erhöhten Aufwendungen für die Gesundheitspflege ein Hörgerät und eine bessere Brille kaufen. ({4}) Denn wir haben sehr deutlich dargestellt, was wir machen. Sie haben vorsichtshalber Ihr Sparbuch, von dem Sie gar nicht mehr so viel reden, ({5}) nicht ins Internet gestellt, damit man es dort einsehen kann, sondern nur als Bild gezeigt, damit man sich nicht mit den Inhalten beschäftigen kann. ({6}) Bei dem, was Sie hier vorgetragen haben, hätten Sie realistischerweise feststellen müssen, dass wir mit Hartz IV nicht auskommen, und eine Ansatzerhöhung beantragen müssen, wenn Sie es mit einem besseren Haushalt als dem, den wir vorgeschlagen haben, ernst meinen. Aber das haben Sie nicht gemacht. Sie haben auch nicht aufgezeigt, wie Sie die von Ihnen vorgeschlagenen Steuersenkungen finanzieren wollen. ({7}) Wenn Sie das aufgezeigt hätten, dann hätten Sie nicht sagen können, wir seien bei der Nettoneuverschuldung schlechter; denn dann wäre Ihr Ergebnis noch viel schlechter gewesen. Der Kollege Wissing beklagt, dass wir die degressive AfA wieder einführen. Er hat offenbar das Prinzip nicht verstanden. Die befristete Einführung der degressiven AfA führt genau dazu, ({8}) dass bestimmte Sachen vorgezogen werden und dass damit ein Schub erzeugt wird. Das ist doch das Prinzip. Wir machen das im Übrigen ohne Steuersubstanzverlust. Nur der Zeitpunkt, zu dem die Steuern erhoben werden, ändert sich. Das ist eine der wirksamsten Maßnahmen, die man ergreifen kann. Als wir in der Vergangenheit im Vorgriff auf eine Steuerreform schon einmal die degressive AfA übergangsweise eingeführt hatten, hat das gewirkt. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir nun genau das Richtige machen. Sie sollten das entsprechend würdigen. ({9}) Die Grünen schlagen - so haben sie es im Haushaltsausschuss beantragt - vor, den Haushaltsentwurf nicht zu verabschieden. Das ist das Falscheste, was man in der jetzigen konjunkturellen Situation machen kann. ({10}) Den Haushaltsentwurf wegen bestimmter Risiken nicht zu verabschieden, bedeutet, dass der Haushalt später in Kraft tritt und damit später Wirkung entfaltet. Das heißt, dass die Firmen erst später beispielsweise Straßenbauaufträge erhalten. Damit führt man eine künstliche Verzögerung herbei, die die Konjunktur verschlechtert. Das ist falsch. Man darf diese Wirkungen nicht außer Acht lassen. Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Ausführungen sind nichts anderes als ein Konzert nach dem Motto „Wünsch dir was“. Sie wollen hier und da mehr. Aber Sie haben an keiner Stelle aufgezeigt, wie Sie das finanzieren wollen. Im Übrigen möchte ich noch eines sagen: Natürlich ist es kein Vergnügen, von Hartz IV leben zu müssen. Aber es ist auch klar: Jemand, der arbeitet und eine vierköpfige Familie zu ernähren hat, muss etwa 12,50 Euro pro Stunde verdienen, um auf die gleichen Leistungen wie im Rahmen von Hartz IV zu kommen; denn man darf nicht vergessen, dass der Betreffende Miete zahlen muss. Hier muss man bei der vollen Wahrheit bleiben. ({11}) - Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden oder lassen Sie es lieber. Sie haben als Finanzierungsmaßnahme eine Erhöhung der Millionärsteuer gefordert. Sie haben das Prinzip der Marktwirtschaft noch immer nicht verstanden. Wenn wir das Kapital aus dem Land jagen, können wir auch keine Arbeitsplätze finanzieren. Ihre Vorschläge sind schlicht und einfach eine Luftnummer. ({12}) Frau Kollegin Lötzsch, in einer Pressemitteilung werfen Sie der Kanzlerin ein Täuschungsmanöver vor. Ich kann dazu nur sagen: Sie begehen ein riesiges Täuschungsmanöver; denn Sie werfen immer nur ein, was Sie alles Gutes tun wollen, ohne die Auswirkungen auf das gesamte System aufzuzeigen. Sie haben bewusst kein Parteiprogramm veröffentlicht, damit man nicht nachvollziehen kann, was Sie eigentlich wollen. ({13}) Sie haben natürlich ein inneres Programm. Aber genau das ist der Punkt: Sie wollen dieses innere Programm den Menschen nicht zeigen, weil Sie ihnen dann sagen müssten: Eigentlich sind wir erst zufrieden, wenn die Menschen am Monatsanfang ihr Geld abliefern und die staatlichen Leistungen erhalten, die wir ihnen als Politiker zuteilen. Wohin das führt, haben wir erlebt. Für Zinsen sind im Haushalt rund 42 Milliarden Euro eingestellt. ({14}) Davon geht rund die Hälfte nicht auf die Wiedervereinigung - das war ein Federstrich im Gesetzblatt -, sondern auf den Wiederaufbau einer von Ihren politischen Vorgängern verhunzten Landschaft und Nation zurück. Sagen Sie den Menschen doch bitte alles, was Sie wollen, damit sie das erkennen. Aber genau das tun Sie nicht, weil Sie nicht wollen, dass man erkennt, was Sie vorhaben. Eines ist klar: Wir müssen jetzt eine höhere Nettoneuverschuldung in Kauf nehmen. Schulden an sich sind weder gut noch böse. Damit verhält es sich wie mit dem Feuer: Das Feuer kann wärmen; dann ist es gut. Das Feuer kann verbrennen; dann ist es zerstörerisch und schlecht. Es kommt also auf die richtige Verwendung der Mittel an, für die man sich verschuldet. Deswegen sehen wir in unserem Föderalismuskonzept vor, dass man in einer konjunkturellen Abschwungphase mehr Geld ausgeben kann, wenn man dafür sorgt, dass das nicht auf Dauer zur Finanzierung struktureller Haushaltsdefizite führt, sondern dass die Ausgaben in der anderen Hälfte des Zyklus zurückgeführt werden. Herr Kollege Poß - er ist jetzt leider nicht da -, ich verstehe überhaupt nicht, warum Ihre Fraktion einen entsprechenden Entschließungsantrag, um dies deutlich zu machen, abgelehnt hat. Wir wollten durch einen Entschließungsantrag deutlich machen, dass wir im System der Föderalismusreform bleiben und nicht einfach Schulden machen, um höhere strukturelle Defizite zu finanzieren, sondern deshalb, weil wir durch ein konjunkturelles Tal müssen und den Faden nicht abreißen lassen wollen. ({15}) Wir geben unser Ziel nicht auf. Ich fordere jeden, der es ernst meint, auf, sich in dieser Form zu binden, damit das am Ende nachvollziehbar ist. Wir wollen doch mit einer positiven Bilanz vor die Öffentlichkeit treten, und wir wollen deutlich machen, dass es genau das ist, was uns in der Vergangenheit in die Katastrophe geführt hat, nämlich dass wir laufende Staatsausgaben mit Krediten finanziert haben. Das war falsch. Man kann das vorübergehend machen, aber man kann durch Kredite seine Konsumkraft nicht verändern. Ich kann Konsum zeitlich befristet vorziehen oder, was heute aus der Mode gekommen ist, durch Ansparen aufschieben, aber am Ende wird das Volumen nicht größer. Wenn der Konsum über Kredite finanziert wird, dann endet das entweder in steigenden Zinsen - über die letzten 50 Jahre hat die Bundesrepublik Deutschland 42 Milliarden Euro aufgehäuft - oder in Steuererhöhungen. Beides ist auf Dauer gesehen falsch. Deswegen müssen wir die Konsequenzen ziehen. Das können wir auch. Unser System, das wir im Rahmen der Föderalismusreform auf den Tisch gelegt haben und das hoffentlich noch - der Finanzminister steht noch dazu; von anderen weiß ich es nicht ganz genau - verwirklicht wird, besteht darin, dass wir uns selbst Daumenschrauben anlegen; denn es ist doch völlig klar, dass Politik immer ausweicht und die Maßnahmen zur Lösung der Probleme vertagt. Ich sage aber eines: Kinder können auf Schuldenbergen nicht spielen. Deswegen dürfen wir keine Schulden anhäufen, sondern wir müssen sie beseitigen. ({16}) Ich will noch eines ganz deutlich machen: Die Krise ist kein Versagen der Marktwirtschaft. Vielmehr haben viele bei uns Bürokratieabbau mit Regellosigkeit verwechselt. Auch eine Marktwirtschaft - deswegen heißt sie bei uns soziale Marktwirtschaft - braucht Spielregeln. Wir müssen uns darum bemühen, dass wir an dieser Stelle besser werden. Andere Länder können für uns kein Maßstab sein. Wir müssen vielmehr unseren eigenen Weg finden. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Haushalt, wie er jetzt aufgestellt ist, den Anforderungen dieser Situation entspricht. Wir haben auf die Lage mit dem Konzept „Sanieren, Investieren, Reformieren“ reagiert. Bei diesem Dreiklang wollen wir bleiben. Wir dürfen aber den roten Faden nicht verlieren, und wir dürfen uns jetzt nicht irremachen lassen. Wenn sich die Fakten noch einmal ändern, dann müssen wir einen Nachtrag beschließen. Wir dürfen aber nicht vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, gar nichts machen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Fromme, Sie haben hier eine Behauptung wiederholt, die auch schon andere Mitglieder des Hauses bzw. der Bundesregierung in den Raum gestellt haben, die aber schlichtweg falsch ist und die darum korrigiert werden muss. Sie haben behauptet, die Partei Die Linke habe kein Programm. Nun muss man den Bürgerinnen und Bürgern der Republik sagen, dass eine Partei, die kein Programm hat, gar nicht zugelassen ist und wir als Abgeordnete einer Partei ohne Parteiprogramm hier gar nicht sitzen könnten. Wir haben ein Programm. Wir haben das Programm auf dem Gründungsparteitag der Partei Die Linke am 16. Juni 2007 in Berlin beschlossen. Im Mittelpunkt dieses Programms stehen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, der kleinen Leute, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentner und der Arbeitslosen. Sehr geehrter Kollege Fromme, ich werde Ihnen persönlich demnächst ein Exemplar zur Verfügung stellen, damit Sie alles im Detail nachlesen können. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Fromme, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Lötzsch, ich will wiederholen: Sie sagen den Menschen nicht voll die Wahrheit über all das, was Sie wollen. In Ihrem Programm steht zum Beispiel - ich habe es nicht gelesen - ({0}) - Ich habe es jedenfalls nicht so gelesen, dass ich es wie ein Gebetbuch, das ich auf dem Nachttisch habe, verinnerlicht hätte; denn daraus kann ich wenig lernen. Sie haben zum Beispiel gesagt, Sie wollten die Banken und solche Unternehmen wie Schaeffler verstaatlichen. Das ist in einer der Debatten hier herausgekommen. Das macht deutlich, dass Sie etwas wiederholen wollen, was einen Teil unseres Vaterlandes schon einmal in eine große Katastrophe geführt hat. ({1}) Ich würde mich freuen, wenn Sie das alles aufschreiben und den Menschen sagen würden. Umso schneller würden die Menschen erkennen, auf welchem Irrweg Sie sich befinden. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Wochen ist in diesem Haus viel von Vertrauen die Rede: ({0}) von Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger, von Vertrauen in Märkte und Politik. Es trifft zu, dass eine Geldwirtschaft ohne Vertrauen nicht funktionieren kann. ({1}) Es stimmt aber auch, dass in den letzten Wochen viel Vertrauen verloren gegangen ist. Dieses Vertrauen ist aus unserer Sicht zu Recht verloren gegangen. ({2}) Die Politik der Bundesregierung Merkel wie auch der Vorgängerregierung Schröder hatte dieses Vertrauen nicht verdient. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise bekommen wir die Quittung für politische Fehler, die Sie, Herr Steinbrück, aber auch Sie als Abgeordnete der Regierungsfraktionen mit verantwortet haben. ({3}) Ich könnte stundenlang aus Reden vorlesen, in denen Sie die Segnungen freier Finanzmärkte preisen. Ich möchte hier nur zwei Beispiele bringen. Im Februar dieses Jahres hat unsere Fraktion einen Aktionsplan zur Finanzkrise eingebracht. Herr Oswald von der CSU, ich zitiere Sie: Zur Deregulierung der Finanzmärkte gibt es keine Alternative. Sie hat der Wirtschaft und den Bürgern neue Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet, und sie hat zur Risikostreuung beigetragen. Jetzt befürworten Sie und Ihre Koalition Teilverstaatlichungen von Banken. Sie reden von internationaler Regulierung. Insgesamt habe ich das Gefühl, jetzt überall von frischgebackenen Reregulierern umgeben zu sein. ({4}) Unsere Fraktion, Die Linke, hat ebenso wie viele Engagierte in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen davor gewarnt, dass Ihre Politik der Deregulierung unbeherrschbare Risiken schafft. Diese Stimmen haben leider recht behalten. Ende April dieses Jahres haben wir einen zusätzlichen Sicherungsfonds für private Banken vorgeschlagen, damit nicht die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern die privaten Banken Risiken übernehmen und dafür bezahlen müssen. Angeblich haben wir übertrieben. Auch hier möchte ich ein Zitat bringen. Der Kollege Dautzenberg von der CDU hielt uns entgegen: Die Darstellung in Ihrem Antrag, in dem Sie die Gefahr von Serienbankrotten deutscher Banken skizzieren, bedeutet Panikmache und ist unverantwortlich. Leider kam es viel schlimmer. Inzwischen gibt es den Rettungsfonds von 480 Milliarden Euro. ({5}) - Aber das haben wir mit diesem Fonds ja verhindert, der jetzt aus Steuermitteln und eben nicht von den privaten Banken bezahlt wird. Genau das ist der Unterschied. ({6}) Von allen Parteien hatten wir sicherlich die wenigsten Informationen im Fall DEPFA und im Fall Hypo Real Estate. Aber es war eigentlich klar - zu diesem ZeitDr. Axel Troost punkt wusste man es schon -: Hier ist Sanierung, hier ist ein solcher Fonds notwendig. Ehrlich gesagt traue ich Ihrer Rhetorik von der Regulierung insgesamt nur wenig. Die Tatsache, dass Sie, Herr Steinbrück, als Schreiber der Rechtsverordnung zum 480-Milliarden-Euro-Paket den Sohn des Wirtschaftsministers beauftragt haben, macht mich da skeptisch. Der Sohn von Herrn Glos ist nicht gewählter Politiker und kein unabhängiger Berater oder Beamter, sondern Anwalt in der Kanzlei Freshfields und vertritt dort die Finanzbranche. ({7}) - Ja, aber eben ein Anwalt, der im Interesse der Kreditwirtschaft arbeitet und so Einfluss nimmt. ({8}) Wie auch immer Sie es schaffen wollen, die Wählerinnen und Wähler von Maßnahmen zu überzeugen, eines scheint mir ungeheuer wichtig zu sein: Machen Sie endlich Schluss mit der Umverteilung von unten nach oben! ({9}) Holen Sie die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise von denen zurück, die an der Deregulierung verdient haben! ({10}) Die reichsten 30 Prozent der Deutschen haben ihr Geldvermögen von 2002 bis 2007 um 780 Milliarden Euro gesteigert. Freie Finanzmärkte sind die Grundlage, um Staaten, Bevölkerung und Beschäftigte durch Steuerwettbewerb und Lohndumping gegeneinander auszuspielen. Nur so konnte sich eine kleine Minderheit diesen unvorstellbaren Reichtum aneignen. ({11}) Eine Chance zur Korrektur der Kluft zwischen Arm und Reich hat die Große Koalition leider völlig verpasst. Ich spreche von der Erbschaftsteuer, über die wir am Freitag reden werden. Statt hier korrigierend einzugreifen, werden wir einen Kompromiss sehen, mit dem nicht einmal erreicht wird, dass das alte Aufkommen beibehalten wird, geschweige denn dass Aufkommenssteigerungen entstehen. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal etwas zur konjunkturellen Situation und zum Konjunkturprogramm sagen. Es gibt inzwischen Prognosen, nach denen wir in einem Jahr einen Wachstumsrückgang um bis zu 1,8 Prozent haben werden. Das ist - um das deutlich zu sagen - doppelt so hoch wie der stärkste Rückgang, den wir bisher hatten, nämlich im Jahr 1975. Wenn hier erklärt wird: „Wir wollen nicht dagegenhalten, wir wollen keine Staatsverschuldungserhöhung, wir wollen keine großangelegten Konjunkturprogramme“, dann hört sich das erst einmal solide an. Nur, wir kennen das doch aus den Erfahrungen: Wir werden Steuermindereinnahmen haben. Wir werden steigende Arbeitslosigkeit haben. Wir werden deswegen anschließend steigende Staatsverschuldung haben, aber auf höherem Niveau der Arbeitslosigkeit und bei schlechterer wirtschaftlicher Situation. Deswegen sage ich Ihnen: Sie sollten mit dieser Politik der ruhigen Hand Schluss machen. Sie landen sonst am Ende mit eingeschlafenen Füßen in einer wirtschaftlichen Katastrophe. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bernd Brinkmann für die SPDFraktion. ({0})

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Troost, es ist schon ein starkes Stück. ({0}) Den Vorwurf, es sei mit Vetternwirtschaft zu vergleichen, wenn sich der Bundesfinanzminister oder das Ministerium in Sachen Finanzmarktstabilisierungsgesetz durch den Sohn eines Ministers aus der Regierung von Frau Dr. Merkel, der ein renommiertes Anwaltsbüro vertritt, hat beraten lassen, muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen. ({1}) Wir kennen das schon, was Sie in dieser Art und Weise in diesem Hohen Hause immer wieder zum Besten geben. ({2}) Sie haben eben Milliardensummen von Vermögensvermehrung in den Raum gestellt. Ich sage Ihnen zu Beginn meiner Ausführungen: Wir könnten in einer stillen Stunde einmal ausrechnen, welche zusätzlichen Lasten unser Land durch die Wiedervereinigung tragen musste. ({3}) Es sind Kosten, die letztendlich Ihre Vorgängerpartei bis 1989 durch Misswirtschaft zu verantworten hat, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Damit komme ich zu einem Punkt, der sich auch durch die Äußerungen anderer Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei zieht und sich durch nichts rechtfertigen lässt. Der Kollege Fromme hat schon völlig Bernhard Brinkmann ({5}) recht: Sie ziehen durchs Land und versprechen den Menschen den Himmel auf Erden. ({6}) Sie kritisieren den Haushalt 2009 und fordern gleichzeitig jährliche Mehrausgaben in der Größenordnung von 150 Milliarden Euro. Sie sind aber bis heute die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Mit dem, was Sie an Vorschlägen unterbreitet haben, ist das beim besten Willen nicht zu machen. Am Schluss dieser Debatte kann man über den Weg aus der Krise durchaus unterschiedlicher Meinung sein; das ist schon aus den Äußerungen der Kolleginnen und Kollegen der Koalition hervorgegangen. Ich will dazu zwei Beispiele geben. Die Bundesregierung hat mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz reagiert. Von der linken Seite dieses Hauses wird nichts unterlassen, um den Eindruck zu erwecken, als wäre mit diesem Gesetz eine entsprechende Belastung des Bundeshaushalts in Verbindung zu bringen. Dem ist nicht so. Wir haben das Geld auch nicht den Banken in den Rachen geworfen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die Linke, sondern wir haben dafür gesorgt, dass verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden kann. Das, was dort gemacht worden ist, dient dem Mittelstand in Deutschland; das dient den Sparerinnen und Sparern; das dient der gesamten Wirtschaft. Deshalb wird es auch mit entsprechenden Erfolgen in Verbindung gebracht werden. ({7}) Ein zweiter Punkt - der ist auch von entscheidender Bedeutung - betrifft die Veranschlagung der Ausgaben für das Arbeitslosengeld II. Zur Erinnerung sei hier noch einmal gesagt: Im Februar 2005 lag die Arbeitslosenzahl jenseits von 5 Millionen; im letzten Monat lag sie erstmals seit vielen Jahren unter 3 Millionen. Das ist ein großer Erfolg solider Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen. ({8}) Schauen wir uns jetzt einmal an, welche Botschaften man den Medien in den letzten Tagen bezüglich der Frage entnehmen kann, wie sich die Arbeitslosigkeit entwickelt. In der Bild-Zeitung vom 24. November war zu lesen: „BA-Chef Weise warnt vor Rezessions-Panik“. Andere Wirtschaftsfachleute schüren genau diese. Nun könnte man sich vielleicht darauf einigen, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir in einer Krise sind und durch Schlechtreden diese Krise letztendlich noch verschärfen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen im Land, wenn Handwerk und Mittelstand, also die tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft, weiter verunsichert werden. Dabei wäre es doch unsere gemeinsame Aufgabe, zur Bewältigung dieser Krise dem entgegenzusteuern. ({9}) Heute Morgen sind hier Prozentrechnungen aufgestellt worden. ({10}) Es wurde gesagt: Das, was durch die massive Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge - sie wurden mehr als halbiert von 6,5 auf 2,8 Prozent - eingespart wurde, würde aufgefressen durch die Steigerung des Krankenversicherungsbeitrages. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Parteivorsitzender Franz Müntefering würde dazu sagen: Das kann man mit Volksschule Sauerland schon ganz einfach rechnen. Ich ergänze: Auch mit Volksschule Dinklar - das ist die Schule, wo ich gelernt habe - kommt man eindeutig zu dem Schluss, dass eine Senkung um 3,7 Prozentpunkte in jedem Falle mehr ist als eine Steigerung um 0,5 Prozentpunkte. Auch das müsste man einmal deutlich machen gegenüber denjenigen, die in dieser Frage ständig etwas anderes behaupten. ({11}) Bezüglich der prozentualen Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liefern Sie, Herr Kollege Troost, mir geradezu Steilvorlagen: Sie haben doch in Ihrem Programm stehen, ({12}) dass der Rentenversicherungsbeitrag von derzeit roundabout 20 Prozent auf 28 Prozent erhöht werden soll. ({13}) - Der Kollege Gysi hat das hier - Sie können das im Protokoll nachlesen - bestätigt. ({14}) - Vielleicht falsch erklärt, weil er nicht weiß, worüber er spricht. - Wenn wir diese Erhöhung vornehmen würden, dann hätte das zur Folge, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland mit 2500 Euro brutto jeden Monat 100 Euro netto weniger im Portemonnaie hätten. Gleichzeitig würden auch die Lohnnebenkosten steigen. ({15}) Das würde zum Abbau von Arbeitsplätzen und zu entsprechenden Mindereinnahmen der sozialen Sicherungssysteme führen. Hören Sie auf, solche Milchmädchenrechnungen aufzustellen! Das führt uns nicht weiter. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht noch zwei Sätze zu dem Überbieten bei Steuersenkungsvorschlägen. Ich kann mich daran erinnern, dass der Kollege Brüderle von diesem Platz aus vor einigen Jahren einmal gefordert hat, Bernhard Brinkmann ({17}) den Menschen zu Weihnachten einen Steuerscheck zu schicken - jedem 200 Euro. ({18}) Die Antwort darauf, wie er das finanzieren will und welche Basis bzw. welcher Berechnungssockel zugrunde gelegt werden soll, ist er schuldig geblieben. ({19}) Die Freien Demokraten legen zum wiederholten Male ein Sparbuch vor. Ich bringe ein Sparbuch immer mit Guthaben in Verbindung und nicht mit den unrealistischen Vorschlägen, die Sie in Ihrem Sparbuch zum Besten geben. ({20}) Im Übrigen würde das, Herr Kollege Koppelin, nicht zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt führen, ({21}) sondern das, was Sie vorgeschlagen haben - in einigen Bereichen ist ja noch nicht einmal die Datenbasis sicher -, würde auch nur ein kleines Strohfeuer entfachen und die Probleme im Haushalt nicht beseitigen. ({22}) Zurück zu den Steuersenkungsvorschlägen: Es wurde vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zu senken; denn das führe dazu, dass Konsumanreize gegeben würden. Es ist heute Morgen schon deutlich geworden, dass andere Forderungen Steuersenkungen bei den mittleren und unteren Einkommen ansprechen. Ich habe eine herzliche Bitte: Definieren wir erst einmal, was ein mittleres und was ein unteres Einkommen ist, und gucken uns dann deren Steuerbelastung an. Wir werden feststellen, dass die Steuerbelastung gering oder gleich null ist. Das Problem liegt eher bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Hier haben wir mit der gewaltigen Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags den richtigen Schritt unternommen. Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich noch zwei Punkte ansprechen. Auch das ist eine Botschaft, die wir nach draußen geben sollten: Deutschland ist ein starkes Land. Mehr als 40 Millionen Frauen und Männer - auch junge Menschen - gehen jeden Tag zur Arbeit und leisten letztendlich ihren Beitrag dazu, dass die Steuereinnahmen und die Sozialversicherungsbeiträge fließen. Wenn wir darüber hinaus auch denjenigen danken, die sich Tag für Tag und Woche für Woche ehrenamtlich für unser Land engagieren - es sind mehr als 23 Millionen Menschen -, dann geben wir auch eine Botschaft nach draußen. Wir bedanken uns dann bei denjenigen, die über ihre tägliche Arbeitsleistung hinaus mit zum Wohlstand unseres Landes beitragen. Das könnte der Staat nie leisten und schon gar nicht finanzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Bundeshaushalt 2009 wird den Problemen, die wir haben, gerecht. Wenn wir die beschlossenen Maßnahmen mit einem hohen Maß an Gemeinsamkeit positiv nach draußen transportieren, dann werden wir diese Krise auch in den Griff bekommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Axel Troost.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lassen Sie mich kurz etwas zu zwei Punkten sagen: Erstens. Ich habe überhaupt nicht von Vetternwirtschaft gesprochen. Es ging mir darum, zu sagen, dass im Ministerium Vertreter und Anwälte von Kanzleien arbeiten, die eben sehr eng mit der Finanzindustrie zusammenarbeiten. Das ist der Punkt. ({0}) Ich finde, es ist ungeheuer wichtig, dass die Politik ihre Souveränität behält. In diesem Zusammenhang will ich sagen: Als wir im Finanzausschuss über das Bankenpaket diskutiert haben, wurde einstimmig gesagt: Wenn das etwas kostet, dann soll das die Kreditwirtschaft bezahlen. Das ist im Gesetz nicht durchgesetzt worden. Das ist der Unterschied. ({1}) Ein zweiter Punkt zur Rente: Es ist richtig, dass wir - wenn auch nicht in unserem Parteiprogramm - bei unseren Rentenvorstellungen einmal gesagt haben, im Jahr 2030 könnten beide Seiten paritätisch 28 Prozent - also je 14 Prozent - bezahlen. Jetzt haben wir ein Einfrieren der Arbeitgeberanteile und einen Einstieg in die private Altersvorsorge. Jetzt zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits 14 Prozent und die Unternehmen nur 10 Prozent. Das ist der Unterschied zwischen gesetzlicher und privater Altersvorsorge. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Brinkmann bitte.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Troost, in der Frage, wer das Finanzministerium beraten hat, kann man durchaus abwägen, wie man es gesagt hat und wie Sie es gemeint haben. Allein der Vorwurf, den ich hier zu Recht angesprochen habe, ist schon ein starkes Stück. Ich werde auch weiterhin auf dieser Aussage bestehen. Hier habe ich nichts zurückzunehmen. ({0}) Zweitens. In der Frage der Renten haben Sie auch nichts dazugelernt. Wenn Sie den Beitrag auf 28 Prozent Bernhard Brinkmann ({1}) erhöhen, dann bleibt es bei 4 Prozent mehr für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Arbeitgeber. ({2}) - Durch die lauten Zurufe wird es nicht besser. Wenn der Arbeitnehmer jetzt aber für die Riester-Rente und für andere kreative Versorgungsmodelle 4 Prozent aufbringen soll, dann bekommt er einen Zuschuss von bis zu 80 Prozent. Das ist - um bei meinem Beispiel von 2 500 Euro zu bleiben - in jedem Fall besser als netto 100 Euro weniger. Auch das haben Sie nicht begriffen, aber Sie werden es im Laufe der Zeit bestimmt noch begreifen, wenn Ihnen dazu die entsprechenden Zahlenbeispiele geliefert werden. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Kollege Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man über den Haushalt des Finanzministers debattiert, gehört richtigerweise dazu, zu den Themen der Finanzpolitik Bemerkungen zu machen und dabei die Arbeit des Finanzministers zu würdigen - positiv natürlich. Die Bundesregierung und die Koalition haben durch verantwortungsbewusstes politisches Handeln alles getan, um Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft in unserem Lande zu schaffen. ({0}) Ich glaube, das ist das Entscheidende. Die weltweite Finanzkrise hat uns gezeigt, dass die Selbstregulierungsmechanismen des Marktes nicht ausreichen, um eine schwere Krise des internationalen Finanzsystems zu verhindern. Deshalb muss alles getan werden, um die Krise zu überwinden und eine Wiederholung auszuschließen. Durch konkrete staatliche Regulierungsvorschriften müssen wir dem Finanzsystem dauerhaft die Stabilität zurückgeben, die es als Rückgrat der Realwirtschaft benötigt. Für mich ist klar: Letzten Endes kann nur ein international abgestimmtes Vorgehen auf einem international vernetzten Finanzmarkt künftige Krisen verhindern. Klar ist auch: Der Staat kann den Markt nicht ersetzen. Die soziale Marktwirtschaft ist das erfolgreichste Wirtschaftssystem in der Geschichte. Aufgabe der Politik ist es und muss es sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dies auch so bleibt. Deshalb muss es unser Ziel sein, die Finanzmärkte nachhaltig zu stabilisieren, um die soziale Marktwirtschaft auch international zukunftsfähig zu machen. Das entschlossene und rasche Vorgehen der wichtigsten Industrienationen und der wichtigen Schwellenländer ist ein deutliches Signal: Die internationale Staatengemeinschaft handelt. Unser Dank gilt unserer Bundeskanzlerin und dem Finanzminister für ihren Einsatz und ihren Beitrag beim Weltfinanzgipfel in Washington. Die G-20-Staaten haben ohne Zweifel den Grundstein für die Reform des internationalen Finanzsystems gelegt. Bis zum nächsten Treffen im März nächsten Jahres sollen für einige Punkte bereits konkrete Maßnahmen erarbeitet werden: erstens eine schärfere Kontrolle und lückenlose Aufsicht der Finanzmärkte unter Einbeziehung der Ratingagenturen; zweitens einheitliche Bilanzierungsregeln, die für mehr Transparenz und internationale Vergleichbarkeit sorgen sollen; drittens weniger Risiken durch einen neuen Verhaltenskodex, eine verbesserte Risikobewertung sowie die Schaffung eines Frühwarnsystems; viertens eine Stärkung des Internationalen Währungsfonds, IWF, der die zentrale Frühwarneinrichtung des internationalen Finanzsystems werden soll. Die Beschlüsse machen deutlich: Die Kapitalmärkte sind für die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen da und nicht umgekehrt. ({1}) Das Neue an der gegenwärtigen Situation ist: So wie die Globalisierung in der ganzen Welt jahrelang zu mehr Wohlstand geführt hat, erfasst auch der Abschwung alle Länder gleichzeitig. Eine Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, in der Geldströme in Millisekunden um den Globus geschickt werden, in der Waren über das Internet in Sekunden von einem Ort an den anderen verkauft werden, überfordert viele Menschen in unserem Lande. Was wir also brauchen - das gilt insgesamt -, ist nicht eine weitere Beschleunigung, sondern als erste Folgerung daraus eine Entschleunigung, das heißt, das Tempo muss aus dieser Entwicklung herausgenommen werden. Wir brauchen eine Entschleunigung zum Beispiel bei den Bankern, die immer neue Produkte kreieren und ihr Gewinnstreben überproportional gesteigert haben. Wir brauchen eine Entschleunigung bei den Unternehmen, die allein auf kurzfristige Aktienkurssteigerungen geschaut haben. Das heißt, wir müssen die Langfristigkeit im Denken wieder stärken. Kurzfristige Erfolge mögen das Selbstbewusstsein Einzelner sicher kräftigen. Sie sind aber nicht nachhaltig, weder für unsere Wirtschaft noch für unsere Umwelt. Entschleunigung heißt aber auch, dass die vielen Produkte mit den fantasievollen Namen, die die Banker rund um die Uhr in alle Welt verkauft haben, besser kontrolliert werden. Wer etwas verkauft, muss sagen, was drin ist, und wer etwas kauft, muss wissen, was und wer dahinter steckt. ({2}) - Nicht jeder deiner Zwischenrufe ist gut; dieser war es jedenfalls nicht. ({3}) Wir müssen nicht nur auf internationaler Ebene die Herausforderungen angehen, sondern wir müssen auch schauen, was wir im nationalen Bereich tun können. Wir haben für die Bankenaufsicht zwei Institutionen: die Bundesbank und die BaFin. Zwei Institutionen haben immer Reibungsverluste. Eine Integration der Bankenaufsicht in die Bundesbank sollte überlegt werden. Doppelarbeiten könnten vermieden werden, eine einheitliche Aufsicht würde gewährleistet und die Potenziale der Bundesbank in der Fläche würden besser genutzt. ({4}) - Da hätten meine Fraktionskollegen ruhig mitklatschen können. Aber gut, es ist schon in Ordnung. Um die Unabhängigkeit der Bundesbank aber nicht zu gefährden, muss eine Lösung gefunden werden, wo die Bankenaufsicht in einer der Zentralbank nachgeordneten Einheit konzentriert ist. Auch im europäischen Bereich muss sichergestellt werden, dass die Aufsichtsbehörden besser zusammenarbeiten, um schneller agieren und reagieren zu können. ({5}) Die Gründung von europäischen Aufsichtskollegs ist ein erster und richtiger Schritt. Die Europäische Zentralbank könnte hier in Zukunft koordinierend tätig werden. Aus all dem ersehen wir, dass es nicht reicht, nur national vorzugehen. Wir müssen auch auf europäischer und internationaler Ebene handeln. ({6}) Heute wissen wir, dass die Krise in Europa womöglich weitaus geringer hätte ausfallen können; doch die US-Regierung wollte die traditionsreiche Investmentbank Lehman Brothers nicht retten. Dies löste eine weltweite Vertrauenskrise aus. Die Botschaft aus den USA war: Es gibt keine Regel, wonach ein Institut gerettet wird oder nicht. Darauf muss man sich aber international einigen; denn die Auswirkungen einer solchen Pleite treffen fast immer eine ganze Reihe von Ländern und eine Vielzahl von Menschen. Die Staaten müssen Gewissheit haben, dass sie sich hier im Notfall auf Partner im Ausland verlassen können. Daher ist international zu regeln, wie sich der Staat verhalten soll, wenn Banken vorübergehend Liquiditätshilfen benötigen oder gar auf Dauer am Leben gehalten werden müssen, weil sonst nicht wiedergutzumachende Schäden für die Volkswirtschaften zu erwarten wären. Als weiterer Regulierungsschritt ist den Banken vorzuschreiben, dass künftig alle Geschäfte in den Bilanzen auftauchen müssen - auch die von Ablegern möglicherweise in Niedrigsteuerländern. ({7}) Es geht also um mehr Transparenz und Offenlegung; es geht um Transparenz über Risiken und die effizientere Aufsicht etwa über Ratingagenturen. Das ist ein ganz entscheidendes Thema der nächsten Wochen und Monate. Nur so kann wieder Vertrauen entstehen. Der zentrale Punkt ist: Wo Vertrauen ist, da ist wirtschaftliches Handeln möglich. Vertrauen bewirkt, dass Menschen konsumieren. ({8}) Auf eine funktionierende Kreditversorgung sind unsere soliden Unternehmen und auch die Mittelständler angewiesen. Auch in diesen turbulenten Zeiten gilt festzuhalten: Ein starker Finanzplatz ist ein zentraler Eckpfeiler des Wirtschaftsstandortes Deutschland, und der Finanzmarkt darf nicht pauschal für jede Fehlentwicklung verantwortlich gemacht werden. Wir müssen aber auch deutlich machen, dass nicht der Finanzmarkt der eigentliche Markt ist, sondern dass der Finanzmarkt der klassischen Wirtschaft zu dienen hat. Dies scheint mir in der zurückliegenden Zeit von manchen vergessen worden zu sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf Drucksache 16/11025? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Linken auf Drucksache 16/11026? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von FDP und der Linken bei Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt. Wir kommen jetzt zu Einzelplan 08. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 20 ist einstimmig angenommen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt II.5 auf: Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung - Drucksachen 16/10420, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Willsch Ulrike Flach Anna Lührmann Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag im Anschluss an die Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt, über den wir heute hier beraten, ist der letzte in dieser Regierungsperiode und bietet damit natürlich eine gewisse Chance, eine Bilanz der bisherigen Arbeit der Bildungs- und Forschungsministerin zu ziehen. Frau Schavan, aus unserer Sicht fällt diese Bilanz sehr gemischt aus. Sie haben auf der Habenseite erfreuliche Steigerungen im Haushalt ({0}) sowie bundesweite Initiativen wie den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative, die Ihrer Vorgängerin, liebe Kollegen von der SPD und den Grünen, noch nicht einmal im Ansatz gelungen sind. ({1}) Aber Sie haben genauso wie Edelgard Bulmahn weder das 3-Prozent-Ziel erreicht noch für Deutschland den großen Schritt - das ist eigentlich das Wichtigste bei einer Bildungs- und Forschungsministerin - in die Crème de la Crème der Hightechländer geschafft. Deutschland ist nach wie vor Spitze in Bereichen wie Automobilbau; aber es fehlt der Schritt in die internationale Elite der Hochtechnologie - und das übrigens in Zeiten, in denen die Treiber der bisherigen Technologiepolitik, insbesondere die Autoindustrie, in schwere Turbulenzen geraten sind. Sie springen von Gipfel zu Gipfel, Frau Schavan. Ich beobachte das eigentlich fast jeden Abend in den Nachrichten. Ich habe das Gefühl, diese Regierung macht gerne Gruppenreisen zu Gipfeln. Da sind auch Sie immer dabei. Aber selbst Ihnen wohlgesonnene Medienberichterstatter haben jedes Mal mehr Schwierigkeiten, etwas Positives bei diesen Gipfeln herauszuloben. ({2}) Dass nach nunmehr zehnjähriger Diskussion auf dem letzten IT-Gipfel endlich die Bedeutung Deutschlands als Breitbandstandort erkannt wird, ist schon mehr als erstaunlich. Statt über gewünschte Jobzahlen zu spekulieren, hätte sich die Große Koalition in den letzten Jahren mit den mehr bodenständigeren Sektoren des IT-Bereichs befassen sollen. Warum zum Beispiel - so muss man sich fragen - gelingt es Ihnen als Chefkoordinatorin der Hightech-Strategie so gar nicht, den Innovationsstau in den Behörden in den Griff zu bekommen? Warum sieht die Telekom immer noch in der Überregulierung des Telekommunikationsmarktes das bedeutendste Problem für den flächendeckenden Ausbau von Breitbandanschlüssen? Das heißt, es ist Ihnen unter der Großen Koalition genauso wenig wie unter Rot-Grün gelungen, in diesem sicherlich innovationskräftigsten und zukunftsträchtigsten Bereich der Wirtschaftspolitik auch nur in etwa Fuß zu fassen. Bildungs- und Forschungspolitik ist mehr - das haben gerade die Haushaltsberatungen der letzten Wochen gezeigt - als das Verteilen von Milliarden. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen - das zeigt das Beispiel Breitbandtechnologie nur zu deutlich -, werden Sie unser Land nie an die Weltspitze der wichtigsten Zukunftsmärkte, ({3}) wie Sie sich das vorgestellt haben, führen. ({4}) Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch die Steigerung der FuE-Tätigkeit unserer Wirtschaft. Drei Jahre hatten Sie jetzt Zeit. Wir mussten vor wenigen Tagen im Haushaltsausschuss mit großem Erstaunen feststellen, dass die von Ihnen mit lautem Getöse eingeführten Innovationsallianzen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft nach wie vor in den Kinderschuhen stecken. Die Forschungsprämie, Frau Schavan, ist leider - so muss man an dieser Stelle sagen - ein Flop. ({5}) Die FuE-Förderung ist nach wie vor hochselektiv und mit hohem Bewerbungsaufwand und Bürokratiekosten verbunden. Ich finde es besonders bedauerlich - ich bedauere auch, dass unser Freund Riesenhuber heute nicht da ist; denn er hätte an dieser Stelle eigentlich dazugehört -, ({6}) dass es Ihnen nicht gelungen ist, gegen den Finanzminister endlich eine steuerliche F-und-E-Förderung durchzusetzen. ({7}) Das ist etwas, was Sie mit der FDP mit links geschafft hätten ({8}) und was diesem Land vor allen Dingen wirklich gutgetan hätte. Wie der Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative weiterfinanziert werden sollen, haben wir in den Haushaltsberatungen nicht erkunden können. Aus unserer Sicht sind Sie diesbezüglich genauso in die Länderfalle hineingeraten wie Ihre Vorgängerin, Frau Bulmahn. Beim Thema Wissenschaftsfreiheit wirft Ihnen sogar der hochgeschätzte Kollege Hagemann - ich muss das ablesen - ein „zielloses Verfahrens({9})management“ vor. Herr Hagemann, ich bin da ganz bei Ihnen. An dieser Stelle hätten wir ein ordentliches Gesetz haben müssen und nicht eine Initiative, die sogar in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses noch nachbearbeitet werden musste, damit sie in einigermaßen treffsicherer Form bei den Wissenschaftsorganisationen ankommt. ({10}) Wenn Sie sich in diesen Tagen zum Beispiel mit dem Präsidenten der DFG darüber unterhalten, stellen Sie fest, dass Ihre Initiative vor allen Dinge große Irritationen hinterlassen hat. Liebe Frau Schavan, lassen Sie mich zum Abschluss sagen - das sage ich ganz neidlos -: Sie sitzen auf einem Sack mit wirklich viel Geld. Ihre Regierungszeit ist genauso schillernd wie Ihr Geld. Sie haben viel Geld und viele schöne Worte, aber Sie haben nur einige wenige Erfolge auf dem Weg zu verzeichnen, den wir alle seit vielen Jahren gemeinsam verfolgen, nämlich Deutschland zu dem Wissens- und Innovationsstandort zu machen, den wir uns alle erwünschen. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Flach, bereits bei der ersten Lesung habe ich Ihnen empfohlen, sich einzureihen und sich an den gemeinsamen Erfolgen zu erfreuen; denn die sind unbestreitbar. ({0}) Ich glaube, heute besteht noch mehr Anlass dazu. Ihr Angebot, sich mit uns in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam an eine steuerliche Förderung von FuE-Vorhaben zu machen, nehme ich gerne auf. Lassen Sie uns im September des nächsten Jahres darüber reden, wenn wir eine Mehrheit für eine bürgerliche Regierung in Deutschland gewonnen haben. ({1}) Aber auch das, was wir in der Großen Koalition erreicht haben, lässt sich sehen. In vielen Sitzungen des Haushaltsausschusses sowie in Gesprächen zwischen Berichterstattern und Vertretern des Ministerieums wurde der Entwurf verbessert. Heute können wir sagen, dass wir in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in Zeiten, in denen sich die Menschen Sorgen machen, zu Ergebnissen gekommen sind, die ein Zeichen der Hoffnung sind. Weil Frau Flach das schon angesprochen hat, will ich kurz auf unseren Koalitionspartner eingehen, der unsere Ministerin Annette Schavan in einer Pressemitteilung wegen der hohen Zahl von Änderungsanträgen, die im Laufe des Verfahrens zu beraten waren, ich will mal sagen, kritisiert hat. ({2}) Ich rate hier zu mehr Gelassenheit. Wir sollten den Aufbruch und die Erfolge im Feld der Forschungspolitik gemeinsam feiern. Wir sollten uns darüber freuen. Ich glaube, dass wir mit einem Betrag von nunmehr 10,2 Milliarden Euro für den Bereich Bildung und Forschung die Messlatte auf ein Niveau gelegt haben, das sich sehen lassen kann. Wir tun das Richtige in einer schwierigen Zeit. Natürlich ist es so, dass, wenn man neue Verfahren implementiert, wenn man neue Wege geht, nicht immer alles wie geplant zum Erfolg führen kann. Wenn man zu neuen Ufern aufbricht, dann weil einem das Ziel erstrebenswert erscheint und man eine Vorstellung vom Weg dorthin hat. Dass man auf dem Weg oder am Ziel Überraschungen erleben kann, das sollte gerade im Bereich der Forschung nicht fremd sein, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Thema Wissenschaftsfreiheit; Frau Flach hat es kurz angesprochen. Ich meine, wir sollten uns auch hier zunächst einmal anschauen, was wir erreicht haben, und das wirken lassen. Mit der Wissenschaftsfreiheitsinitiative haben wir langgehegte Wünsche der Wissenschaftsszene umgesetzt. Wir haben mehr Freiheit und mehr Flexibilität gegeben. Wir müssen aber immer bedenken, dass wir mit öffentlichen Mitteln, mit hart erarbeiteten Steuergeldern der Bürger umgehen. ({3}) Wir müssen darauf achten - gerade wir im Haushaltsausschuss -, dass diese Mittel sinnvoll eingesetzt werden. Deshalb muss beim Umgang mit den Mitteln eine Balance zwischen mehr Freiheit und einer haushaltspolitisch notwendigen Verantwortlichkeit gefunden werden. ({4}) Unsere Wissenschaftsorganisationen, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die FraunhoferGesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, erhalten zusätzliche Freiräume bei der Bewirtschaftung ihrer Finanzmittel und beim Personal. ({5}) Den Wissenschaftsorganisationen stehen zur Selbstbewirtschaftung erheblich mehr Mittel zur Verfügung, und die gegenseitigen Deckungsfähigkeiten wurden, um die Flexibilität zu erhöhen, erheblich erweitert. Ganz wichtig war - das wurde uns von den Wissenschaftsorganisationen immer wieder vorgetragen -: Es gibt Flexibilitäten bei der Möglichkeit der Bezahlung des wissenschaftlichen Personals, um Nachverhandlungen, um jemanden zu halten, zu ermöglichen, um jemanden aus dem Ausland zurückzuholen, um dafür zu sorgen, dass die besten Köpfe in Deutschland forschen und daran arbeiten, dass dieser Standort eine Zukunft hat. Dass er sie hat, davon bin ich überzeugt. ({6}) Ich möchte zu den Rahmendaten des Einzelplans 30 kommen. Wir sollten uns wirklich nicht mit kleinlichem Geplänkel abgeben, sondern uns schlicht auf die Zahlen konzentrieren. ({7}) Wir legen 850 Millionen Euro obendrauf, dabei haben wir nochmals 200 Millionen Euro aus der Investitionsoffensive mitgenommen und stellen insgesamt einen Betrag in Höhe von 10,2 Milliarden Euro für Forschung und Bildung in Deutschland zur Verfügung. Es gibt keinen Einzelplan im Bundeshaushalt, der mehr für Zukunftsinvestitionen steht als der Einzelplan 30. ({8}) Flaggschiff ist und bleibt dabei die Hightech-Strategie. Mithilfe dieses Maßnahmenpakets - beginnend mit Übernahme der Regierungsverantwortung, beginnend mit der Übernahme der Verantwortung durch Frau Bundesministerin Schavan - haben wir eine Aufbruchstimmung in der deutschen Wissenschaftsszene erzeugt. ({9}) Sie ist mit Händen greifbar, sie ist spürbar. Darauf müssen wir aufbauen. Wir müssen heute angesichts der Lage, in der wir uns befinden, dafür sorgen, dass wir in den Labors, an den Hochschulen und an den Forschungsinstituten die Produkte und Verfahren entwickeln, die es uns erlauben, am Ende des Konjunkturtales, das wir jetzt durchschreiten, gleich vorne wieder dabei zu sein. Wir haben als Exportnation eine besondere Problemlage, wenn in allen Weltregionen gleichzeitig wirtschaftliche Schwierigkeiten wie gegenwärtig auftauchen. Sobald auch nur eine dieser Regionen - sei es Asien, sei es Amerika oder sei es Europa - wieder Tritt fasst, dann müssen wir wieder vorne dabei sein. Dafür legen wir mit den Forschungsmitteln, die wir jetzt einsetzen, die Grundlage. Denn dann werden wir mit innovativen Produkten und innovativen Verfahren einen wesentlichen Beitrag zum Aufschwung in Deutschland leisten. ({10}) Mit den 200 Millionen Euro aus dem Innovationsund Investitionsprogramm für Bildung und Forschung setzen wir Schwerpunkte. Das haben wir uns im Haushaltsausschuss vorgenommen. Wir geben 10 Millionen Euro mehr für den weiteren Ausbau des Programms KMU-innovativ. Es ist uns ein besonderes Anliegen, dass im Bereich des Mittelstandes Forschung ausgeweitet wird und mehr für Forschung aufgewendet wird. Wir helfen auf diese Weise. Wir geben 10 Millionen Euro mehr für die Förderung innovativer Produktionssysteme sowie für ein Cluster zum Ausbau der Bioenergien. Daneben stellen wir für die Wissenschaftsorganisationen 155 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung, die im Wesentlichen in Energieeffizienzmaßnahmen investiert werden sollen. Wir geben die restlichen 15 Millionen Euro in den Bildungsbereich, um Modernisierungs- und Fortentwicklungsmaßnahmen an den circa 700 überbetrieblichen Berufsbildungsstätten durchzuführen. Das ist gerade mit Blick auf die notwendigen Ausbildungsplätze für unsere Jugend eine sinnvolle Investition. ({11}) Ich komme zur Leistungsfähigkeit des Bildungswesens und zur Nachwuchsförderung. Wir haben in diesem Hause schon häufig über das wichtigste Kapital in Deutschland gesprochen, das zwischen den Ohren der Menschen in Deutschland steckt und nicht im Boden. Hier stehen mit rund 140 Millionen Euro für „Stärkung des Lernens im Lebenslauf“ ebenfalls Rekordbeträge zur Verfügung. Wir investieren weiter in die Förderung der besonders Begabten, weil wir natürlich die Spitze haben wollen. Wir brauchen eine gute Bildung in der Breite. Aber wir brauchen auch die Spitze. Das ist wie beim Sport: Die Spitze kann auf einer guten Breite wachsen. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen - deshalb stellen wir uns dem -, dass die Menschen länger arbeiten müssen und sich gleichzeitig das verfügbare Wissen der Menschheit ständig schneller reproduziert und überholt. Deshalb müssen wir lebenslanges Lernen ernst nehmen. Wir tun das durch einen Aufwuchs in diesem Bereich. Das kann man sich auch vor Ort anschauen. Ich kann anhand meiner Volkshochschule im Rheingau-Taunus sehen, wie das „Netzwerk lernende Region“ lebt, wie es alle Altersgruppen fördert und nach vorne bringt. ({12}) - Herr Tauss, Sie fragen nach meinem Kurs bei der Volkshochschule. Ich würde Ihnen einen Kurs in der Tanzschule empfehlen, und zwar insbesondere den Teil, in dem man Umgangsformen lernt. Ein bisschen bescheidener, ein bisschen zurückhaltender und nicht so viel dazwischenquasseln, das wäre das Richtige für Sie. ({13}) Ich sehe, dass meine Redezeit abläuft. ({14}) Ich hätte Ihnen gerne noch 20 oder 30 Minuten von dem erzählt, was wir tun, wie verdienstvoll, wie wichtig das ist und wie sehr das nach vorne gerichtet ist. Zum Schluss möchte ich betonen: Wir befinden uns in wirtKlaus-Peter Willsch schaftlich schwierigen Zeiten. Gerade dann braucht man eine Förderung der Innovation und der Schaffenskraft unserer Bürger. Wir müssen sie stärken, und das tun wir mit diesem Einzelplan. Wir haben die richtigen Grundlagen gelegt, um die wertvollste Ressource in Deutschland, nämlich das Wissen, die Lernbereitschaft und die Lernfähigkeit der Menschen, zu stärken. Dafür lohnt es sich einzutreten. Wir haben im Ausschuss lange Stunden damit verbracht und haben, wie ich glaube, ein gutes Werk zustande gebracht. ({15}) Ich danke allen, die daran beteiligt waren. Mein Dank gilt vor allen Dingen dem Ministerium und den Mitarbeitern, die uns gut unterstützt haben. Bleiben Sie so in der Zusammenarbeit. Ich denke, dann werden wir auch in den nächsten Jahren für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland ein gutes Werk tun. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan! Sie haben diesen Haushalt mit zwei zentralen Versprechen verknüpft. Das erste war: Die Bundesregierung investiert verstärkt in die Zukunft. Das zweite war: Die Bundesregierung sorgt für Bildung für alle. Wenn wir uns aber diesen Haushaltsentwurf angucken, dann müssen wir feststellen, dass beide Versprechen nicht umgesetzt werden. ({0}) Ich möchte mit dem ersten Versprechen beginnen. In den letzten Wochen hatte man hier im Parlament doch sehr eindrückliche Erlebnisse. Wir erinnern uns: Mitte Oktober hat die Bundesregierung in nur einer Woche schwuppdiwupp ein Rettungspaket für die Banken in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro beschließen lassen. Eine Woche später kommen die Spitzen von Bund und Ländern in Dresden zum Bildungsgipfel zusammen. Das Ergebnis dieses Gipfels ist - man muss es sich vorstellen: nachdem eine Woche vorher innerhalb nur einer Woche Hunderte Milliarden einfach so zur Verfügung gestellt wurden -: ({1}) Das Ergebnis des Gipfels ist: Wir sind uns zwar einig, dass es mehr Geld für die Bildung geben sollte. Aber wie und woher genau, wissen wir auch nicht. Wir richten erst einmal eine Arbeitsgruppe ein. Das ist noch nicht alles. Wieder eine Woche später kommt das Bundeskabinett zusammen und stellt fest: Irgendwie müssen wir nicht nur die Banken retten, sondern uns auch einmal darum kümmern, dass die gesamte Gesellschaft nicht den Bach heruntergeht. Also müsste vielleicht doch so etwas wie ein Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht werden. ({2}) Nun aber muss man sich dieses sogenannte Konjunkturprogramm der Bundesregierung einmal genauer anschauen. Nicht nur sind die darin vorgeschlagenen Beträge lächerlich, sondern wir müssen auch feststellen: Es enthält nicht einen einzigen Cent für Bildung. Da müssen wir sagen: So eine Politik, Milliarden für die Banken, aber nicht 1 Cent für die Bildung, kann die Linke nicht mitmachen. ({3}) Ich frage Sie, Frau Schavan: Wie wollen Sie diese Politik einer Alleinerziehenden erklären, die nicht weiß, wie sie die Kitagebühren für ihre Tochter aufbringen soll? ({4}) Wie wollen Sie das einem Schüler erklären, der sich in der Schule nicht mehr auf die Schultoilette traut, weil sie in einem erbärmlichen Zustand ist? Wie wollen Sie das einem Auszubildenden erklären, der seine Ausbildung hinschmeißt, weil ihm ausbildungsbegleitende Hilfen fehlen und er ohne sie nicht durchkommt? Das alles sind nur Beispiele. Ich muss sagen: Ich kann das diesen Leuten nicht erklären. Das ist einfach ein politischer Skandal. Deshalb sagt die Linke: Wir brauchen jetzt einen nationalen Bildungspakt, in dem festgeschrieben wird, jedes Jahr mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung bereitzustellen. Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass wir jetzt ein Konjunkturprogramm auflegen, in dem der Ausbau der bildungspolitischen Infrastruktur ganz eindeutig festgehalten wird. ({5}) Damit komme ich zu Ihrem zweiten Versprechen: Bildung für alle. Wenn wir uns den Haushaltsentwurf ansehen, stellen wir fest: Das Problem ist nicht nur, dass für Bildung insgesamt deutlich zu wenig Geld zur Verfügung gestellt wird, sondern auch, dass das wenige Geld, das dafür vorhanden ist, komplett falsch verteilt wird. Das beste Beispiel ist Ihre Exzellenzinitiative im Hochschulbereich, mit der Sie den Weg in die Zweiklassenhochschullandschaft fortsetzen. Mit dieser Exzellenzinitiative wird für einige wenige Hochschulen jedes Jahr doppelt so viel Geld zur Verfügung gestellt wie im Rahmen des Hochschulpaktes für alle anderen Hochschulen zusammen. Wir stellen fest: Hier besteht ein krasses Missverhältnis. Es fehlt an Qualität in der Breite. Deshalb fordert die Linke: Diese Exzellenzinitiative darf nicht fortgesetzt werden. Wir brauchen einen gut ausgestatteten zweiten Hochschulpakt. ({6}) Frau Ministerin, wenn Sie Ihre Forderung nach Bildung für alle ernst meinten, dann müssten Sie ganz andere Maßnahmen auf den Weg bringen. Dazu würde gehören, dass man sich auch auf Bundesebene für die Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Weiterbildung einsetzt. Dazu würde gehören, ein Schüler/innen-BAföG einzuführen und das bisherige BAföG so auszubauen, dass wirklich jeder und jede an Bildung teilhaben kann. Dazu würde auch gehören, in den Schulen bessere Förderangebote zu schaffen, anstatt zu akzeptieren, dass der Nachhilfesektor boomt; wenn ich von „besseren Förderangeboten“ spreche, meine ich übrigens nicht die geringen Kleckerbeiträge, die die SPD im Haushaltsplan unterzubringen versucht hat. Das wären geeignete Schritte, um die Forderung nach Bildung für alle zu erfüllen. ({7}) Ich fasse zusammen: In Ihrem jetzigen Bildungshaushalt entlarvt sich ganz eindeutig, was Ihr ganzes Bildungsgetöse - Bildungsreise, Bildungsgipfel, Bildungsrepublik Deutschland - eigentlich ist: lauter leere Wahlkampfversprechen. Glauben Sie mir: So dumm sind die Leute trotz Ihrer Bildungspolitik noch nicht, dass sie so etwas nicht merken. ({8}) Wir finden, es ist ein ermutigendes Zeichen, dass vor zwei Wochen hunderttausend Schülerinnen und Schüler auf die Straße gegangen sind und gesagt haben: So nicht! Wir streiken für eine bessere Bildung! - Dafür haben sie unsere Unterstützung. Besten Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann an das anknüpfen, womit ich in meiner Rede bei der ersten Lesung im September dieses Jahres aufgehört habe. Frau Flach, als Sie an der Regierung beteiligt waren, waren die Ausgaben für Bildung und Forschung wesentlich geringer als heute. ({0}) Unter Herrn Rüttgers, der nun Ihr Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen ist, wurden die Mittel erheblich gekürzt. Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Steinen werfen. ({1}) An die Kollegin Hirsch gewandt möchte ich sagen: Sie haben wie immer ein Schwarz-Weiß-Bild gemalt, haben sich nur negativ geäußert und keine Differenzierungen vorgenommen. Sie erkennen nicht an, was alles getan wurde. Deswegen gebe ich die Formulierung, die Sie gewählt haben, an Sie zurück: Die Leute sind nicht so dumm, das zu glauben, was Sie vorgetragen haben, sehr geehrte Frau Hirsch. ({2}) Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege Willsch gesagt hat: dass unsere Beratungen gut waren. Vielen Dank dafür, Herr Kollege! Ich möchte hervorheben: Einschließlich der Mittel für das Ganztagsschulprogramm werden für Forschung und Entwicklung etwa 11 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Gott sei Dank haben wir das Ganztagsschulprogramm. ({3}) Es wurde nämlich lange bekämpft, hauptsächlich von den CDU-Ministerpräsidenten, aber auch von Ihnen, Frau Schavan, als Sie noch Ministerin in BadenWürttemberg waren. Im vorliegenden Einzelplan haben wir die Mittel um weitere 200 Millionen Euro erhöhen können. In der Rede, die ich bei der ersten Lesung gehalten habe, sagte ich: Der Entwurf der Regierung ist gut. Im Rahmen der Haushaltsberatungen wollen wir ihn allerdings noch weiter verbessern. - Das haben wir getan. Den Erfolg können wir heute sehen. ({4}) Wir haben außerdem eine Reihe Anträge gestellt, um den Einfluss des Parlamentes hier noch einmal deutlich zu machen. Man darf nicht nur reden, sondern muss auch handeln. Das möchte ich für die Koalition hier sagen; denn die Aufgabe des vorsorgenden Sozialstaates ist es, durch mehr Bildung für alle Schichten der Bevölkerung soziale Ungleichheiten abzumildern und Chancengleichheit herzustellen. Das haben wir auch dringend nötig. Wenn man die OECD-Studien - PISA-Studien genannt und die Untersuchungen des DSW, des Deutschen Studentenwerks, betrachtet, dann stellt man fest, dass es leider immer noch so ist - und das ist ein Skandal -: Wer aus einem Arbeiterhaushalt kommt oder einen Migrationshintergrund hat, der hat bei uns weniger Bildungsund damit auch weniger Berufs- und Aufstiegschancen. Das ist nicht gut. Unsere Leitlinie muss es sein, das zu bekämpfen, damit Chancengleichheit hergestellt wird. Deswegen kann ich den Steuersenkungswettlauf, der zurzeit stattfindet, und die Diskussionen über Steuersenkungen auf Pump nicht nachvollziehen; denn der Staat - damit meine ich Bund, Länder und Gemeinden braucht die Einnahmen, um gerade das zu finanzieren, was wir uns vorgenommen haben. Deshalb können wir das nicht nachvollziehen. ({5}) Im Oktober fand der Bildungsgipfel statt. Ich freue mich, dass man dort zumindest das Ziel festgelegt hat, 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und 3 Prozent für Forschung auszugeben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten schon heute - der Finanzminister hat vorhin darauf hingewiesen - 28,7 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Ich hoffe, dass dies nicht nur Deklamationen bleiben, die man sich vorgenommen hat - es sind schöne Bilder entstanden -, sondern dass wir die Bildungsrepublik hier wirklich gemeinsam - Bund, Länder und Gemeinden - realisieren können. Wir brauchen gemeinsame Strategien und nicht einen Streit um Zuständigkeiten. McKinsey, das bekannte Beratungsunternehmen, und die Robert-Bosch-Stiftung haben gesagt: Wir brauchen bis zum Jahre 2020 ein 500-Milliarden-Euro-Paket für Forschung und Bildung zusätzlich - das wären jährlich 40 Milliarden Euro zusätzlich für diesen Bereich -, ansonsten werden durch den Fachkräftemangel Kosten in Höhe von 1 000 Milliarden Euro entstehen. - Das ist sicherlich eine richtige Analyse. Es wird verlangt, dass die Hälfte eines Jahrgangs zu Abitur und Studium geführt wird. Es ist aber interessant - damit zurück zur Steuerdiskussion -, wie das nach dem Vorschlag von McKinsey finanziert werden soll. Das müsse der Staat machen, sagen sie. Die Wirtschaft könne sich höchstens mit 100 Millionen Euro an diesem Betrag beteiligen. Das kann natürlich nicht sein und ist auch zurückzuweisen. Unsere Grundidee ist es, im Bildungsbereich Aufstieg durch Bildung zu erreichen. Das drücken wir auch mit diesem Bundeshaushalt aus, Frau Hirsch. Dies gilt gerade für den Bereich BAföG. Wir haben im vorigen Jahr eine deutliche Erhöhung beschlossen, die in diesen Tagen in Kraft tritt. ({6}) Mehr Studierende bekommen Geld, und höhere Leistungen werden ausgegeben. Die volle Wirksamkeit wird im Haushalt 2009 festzustellen sein. Wir wollen mehr für das sogenannte Meister-BAföG tun. Die Beschlüsse sind gefasst. ({7}) Am 1. Juli 2009 tritt das Gesetz in Kraft. Mehr Geld soll zur Verfügung stehen, und mehr Gruppen sollen einbezogen werden. ({8}) Wir hoffen, dass auch die Erzieherinnen jetzt bald in ein entsprechendes Programm einbezogen werden, damit dies vorangebracht werden kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten hinsichtlich des Stichworts Aufstieg durch Bildung - das heißt, ohne Abitur, aber mit entsprechender beruflicher Qualifikation einen universitären oder Hochschulabschluss zu erreichen - auch noch einmal klarstellen: Nur 0,5 Prozent der Studierenden können dies zurzeit tun. Die Pläne dafür - Frau Ministerin, Sie hatten sich dazu im Sommer geäußert - sollten bald mit den Ländern abgestimmt werden, sodass sie auch entsprechend umgesetzt werden können; denn hierin ist eine große Chance dafür enthalten, Aufstieg durch Bildung zu erreichen. ({9}) Wir stellen mehr Geld für die Studienförderwerke zur Verfügung. Wir stellen ein Bundesprogramm für mehr Betriebspraktika von Schülern zur Vorbereitung auf die Berufsreife bereit. Wir bauen die überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten aus und stellen auch hier mehr Mittel zur Verfügung. Wir haben das Lehrstellenprogramm Ost auf einem hohen Niveau angesiedelt. Meine Damen und Herren, diese Aufzählung ist eine Ergänzung dessen, was der Kollege Willsch schon vorgetragen hat. Es sind wichtige Schritte getan worden, um das Ziel, Aufstieg durch Bildung, zu erreichen. Lassen Sie mich noch einen kleinen Betrag erwähnen, der für kleine Kinder zur Verfügung steht, aber Zukunftswirkung hat: Auch die Mittel für das Programm „Haus der kleinen Forscher“ wurden erhöht. Auch das sei an dieser Stelle noch einmal genannt. ({10}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf den Hochschulpakt zu sprechen kommen. Wir wissen, dass wir mehr Studierende haben und in den nächsten Jahren auch mehr brauchen. Es werden in nächster Zeit noch einmal zusätzlich 275 000 Studienplätze gebraucht. Hier ist schnelles Handeln notwendig. Der Wissenschaftsrat hat kürzlich auch vor dem Fachausschuss noch einmal darauf hingewiesen. Aber bei der Finanzierung müssen wir schon darauf achten, dass wirklich nur die Länder Mittel vom Bund erhalten, die nachweisbar zusätzliche Studienplätze geschaffen haben. ({11}) Insoweit kann nur dem Grundsatz gefolgt werden: Geld folgt den Studierenden. Die Zahlen aus den verschiedenen Ländern, die im Zusammenhang mit dem Hochschulpakt I vorgelegt worden sind, sind noch nicht so überzeugend. ({12}) Ein weiteres Thema ist folgendes: Die Studienbewerber des ersten Semesters haben dieses Jahr ein Chaos erlebt, weil die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen nicht funktioniert. Da schaue ich gerne zu Ihnen, Frau Flach, erstens weil sie in Nordrhein-Westfalen, in Dortmund, ist und zweitens weil Herr Pinkwart es in erster Linie war, der diese Stelle kaputt- und schlechtgeredet hat. ({13}) Sie hat nicht funktioniert. Jetzt ist es notwendig, dass der Bund mit 5 Millionen Euro eine neue Einrichtung, eine Serviceagentur unterstützt. Wir stellen das Geld gerne zur Verfügung, damit es endlich klappt, dass sich möglichst alle Hochschulen anschließen, ohne dass ihnen Kosten dafür entstehen. Man sollte, wenn man etwas kaputtschlägt, Alternativen haben. ({14}) - Man sollte vorher schon Alternativen haben. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hagemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut, dass Kollege Tauss meinen Fragewunsch gemerkt hat. ({0}) Herr Hagemann, Sie kennen ja unseren langen Streit zu dem Thema ZVS. Das ist ja nichts Neues in diesem Raum. Aber ist Ihnen eigentlich bekannt, dass die Neugestaltung der ZVS unter der Federführung des nordrhein-westfälischen Ministers durch seinen Staatssekretär Stückradt erfolgt ist, den Sie eben so negativ bewertet haben?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Den kenne ich gar nicht.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das heißt, Nordrhein-Westfalen hat alles getan - übrigens gegen viele Widerstände auch in den eigenen Reihen -, um sie zu einem Instrument zu machen, mit dem wir den Menschen helfen können, schnell und zügig ihren Universitätsplatz zu finden. Ist Ihnen das nicht bewusst?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mir ist bewusst, dass, obwohl es Sache der Länder ist, sehr geehrte Frau Flach, der Bund erst einmal eine Anschubfinanzierung in Höhe von 5 Millionen Euro leisten muss, damit es überhaupt funktioniert und die Universitäten und Hochschulen Vertrauen gewinnen und sich anschließen, sodass dieses Chaos endlich aufgelöst wird. Das scheint nur zu klappen, wenn der Bund Geld zur Verfügung stellt. Das ist mir klargeworden, und deswegen habe ich dem so zugestimmt. ({0}) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Forschungsbereich stellen wir für das nächste Jahr insgesamt etwa 12 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir haben eine tolle Forschungslandschaft. Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft hat gerade in der vergangenen Woche - Kollege Willsch, wir haben es zusammen gehört - von einem Allzeithoch dieser Einrichtung, sowohl was die zur Verfügung stehenden Mittel als auch was die Initiativen angeht, gesprochen. Insofern sind wir hier sicherlich auf einem guten Weg. Frau Flach, auch was das 3-Prozent-Ziel betrifft, sind wir auf einem guten Weg. Wenn wir die 200 Millionen Euro dazurechnen, die wir im Haushaltsverfahren oben draufgepackt haben, dann kommen wir fast an 2,9 Prozent des BIP heran. Ich meine, wir sind hier auf einem guten Weg. Er ist jedenfalls besser als der vor 15 Jahren, als Sie hier noch mit in der Verantwortung gestanden haben. ({1}) Ich hoffe nur, dass die 0,5 Prozent des BIP, die die Länder zu leisten haben, auch von den Ländern erbracht werden und dass die Wirtschaft, liebe Frau Flach, zu der Sie ja ein sehr gutes, enges Verhältnis haben, die von ihr zu erbringenden 2 Prozent trotz der wirtschaftlich schweren Zeit aufbringt. ({2}) Wir brauchen auch für den Pakt für Forschung und Innovation, der demnächst ausläuft und verlängert werden muss, neue Ideen. Denn die Forschungsgemeinschaften weisen darauf hin, dass die Kosten für Energie und Personal die Steigerung um 3 Prozent schon fast auffressen. Hier werden wir sicherlich neue Wege gehen müssen. Die großen Forschungseinrichtungen brauchen auch mehr Flexibilität - ich kann mich kurzfassen; Kollege Willsch hat schon darauf hingewiesen -; deswegen haben wir die Initiative „Wissenschaftsfreiheit“ gestartet. Wir mussten erst einige chaotische Situationen bewältigen. ({3}) Wir haben das aber in der Diskussion auf einen sehr guten Weg gebracht. Den großen Forschungsorganisationen muss bei der Selbstbewirtschaftung und der Verwaltung der Personalstellen mehr Vertrauen und mehr Flexibilität entgegengebracht werden. Ich glaube, dass wir einen guten Kompromiss gefunden haben, der auch den Interessen des Parlaments gerecht wird, Einblick zu haben und Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen. Ich weise auch darauf hin, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Programmpauschale erhält. Wir bringen ihr seitens des Parlaments das notwendige Vertrauen entgegen. Unsere Forschungsorganisationen spielen in der Forschungsweltliga. Das wird immer wieder festgestellt. Aber sie haben das Problem, dass sie zwar hervorragende Ergebnisse im Bereich der Grundlagenforschung erzielen, aber Schwierigkeiten haben, diese in Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln. Ich erinnere nur an den MP3-Player. Es hat lange gedauert, bis diese Erfindung umgesetzt werden konnte. Leider sind die damit verbundenen Arbeitsplätze nicht in Deutschland, sondern in Amerika entstanden. Die Forschungseinrichtungen haben den Wunsch, in der Validierungsforschung mehr zu erreichen. Wir hatten schon für das laufende Jahr Mittel zur Verfügung gestellt und wären dem Ministerium sehr dankbar, wenn abgestimmte Pläne und Ziele vorgelegt werden könnten, wie an dieser Stelle mehr erreicht werden kann. Deswegen haben wir nur einen geringen Baransatz vorgesehen, aber 100 Millionen Euro zusätzlich für Verpflichtungsermächtigungen in diesem Bereich vorgesehen. ({4}) Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, das mit entsprechendem Nachdruck voranzubringen. ({5}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir haben in den Haushaltsberatungen in der Koalition zusätzliche 200 Millionen Euro vorgesehen und wollen, dass jetzt auch entsprechend gehandelt wird. Die Forschungsorganisationen sollen über ausreichende Mittel verfügen, um Maßnahmen durchführen zu können, die bisher aus Geldmangel nicht möglich waren. Das gilt beispielsweise für die energetische Sanierung von Institutsgebäuden. Wir haben ein umfangreiches Programm mit auf den Weg gebracht. Es wäre schön, wenn die Länder die Mittel, die wir aus dem Hochschulbauprogramm zur Verfügung stellen - wenn ich mich richtig erinnere, erhalten die Länder 800 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt -, auch für die Sanierung der Universitäten und Hochschulen nutzten. Denn das ist dringend notwendig. Wir wissen, dass dadurch schnell Arbeitsplätze entstehen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen. ({6}) Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es wichtig, die Mittel für Zukunftsaufgaben wie Bildung und Forschung zur Verfügung zu stellen. Wir haben deshalb bei den Haushaltsberatungen den Einzelplan 30 gestärkt und mehr Mittel bereitgestellt. Die Opposition hat den meisten unserer Anträge zugestimmt - herzlichen Dank dafür -; deswegen kann ich die Kritik zum Teil nicht nachvollziehen. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben. Die Diskussionen im Ausschuss waren immer fair und sachlich. Selbstverständlich stimmen wir unserem Einzelplan zu. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort der Kollegin Priska Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Koalition lobt die Steigerungen im Einzelplan 30. ({0}) - Sie sagen: Zu Recht. - Ich möchte Ihnen entgegenhalten: Hätten Sie die vorsorgende Haushaltspolitik der Grünen in den letzten Jahren mitgetragen, dann könnten wir jetzt noch viel mehr Geld für Bildung und Forschung ausgeben. Das wäre eigentlich dringend notwendig. ({1}) Die Mittel für das Konjunkturprogramm der Bundesregierung wurden mühselig um 200 Millionen Euro für den Bildungs- und Forschungsbereich aufgestockt. Es spricht Bände, dass die Bundesregierung diesen Bereich nicht selber aufgenommen hat. Diese Aufstockung ist aber zu wenig. Dagegen setzen wir unser Konjunkturprogramm. Sie haben noch Zeit, ihm zuzustimmen. Wir zeigen in unserem Programm deutlich, was Zukunftsausgaben in Bildung sind. Es macht keinen Sinn, Spritschleudern steuervergünstigt durch die Gegend fahren zu lassen. ({2}) Wir brauchen eine echte Klimaforschung. Wir brauchen eine Energieforschung. Wir brauchen Investitionen in Köpfe, das heißt eine bessere Bildungsinfrastruktur. Hier haben Sie noch die Möglichkeit, Ihren Kurs zu korrigieren. ({3}) Mehr Investitionen und eine andere Schwerpunktsetzung sind notwendig, genauso wie eine Kombination von Haushaltspolitik und Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die Reformen einleitet, Strukturen in diesem Land verändert und positive Anreize für Forschungs- und Entwicklungsausgaben setzt - und zwar auch in der Wirtschaft -, damit wir das 3-Prozent-Ziel erreichen, Frau Dr. Schavan. Sie haben in diesem Haus die Forschungsprämie als die Wunderstrategie gelobt, die dazu führe, dass Hochschulen und Forschungsorganisationen mit mittelständischen Unternehmen besser zusammenarbeiteten. Ihre Forschungsprämie ist in der Realität ein Flop. Aber Sie ziehen keine Konsequenzen daraus, abgesehen davon, dass Sie den Haushaltsansatz nach unten korrigieren. Sie sagen nicht, was Sie stattdessen machen wollen. Darauf warten wir bis heute. ({4}) Selten wurde über Bildung so viel geredet wie im Jahr 2008. Die Kanzlerin hat eine Bildungsreise gemacht. Sie hat aber auch den größten Flop des Jahres gelandet, und zwar mit einem Bildungsgipfel, bei dem nichts herausgekommen ist, weder inhaltlich noch finanziell. ({5}) Eigentlich müsste sich etwas von diesem Bildungsgipfel im Bundeshaushalt 2009 niederschlagen, genauso wie in den Landeshaushalten. Aber, Frau Schavan, Sie haben schon vor dem Bildungsgipfel gesagt, eigentlich solle er kein Finanzierungsgipfel werden. ({6}) Priska Hinz ({7}) Wir brauchen aber Geld für bessere Rahmenbedingungen. Wir Grünen haben vorgeschlagen, die Hälfte der Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag, der nicht mehr für die neuen Länder genutzt wird, in Bildungsinvestitionen umzuwandeln. Dann könnten wir tatsächlich vorangehen. ({8}) - 23 Milliarden, von 2009 bis 2019. - Bitte gehen Sie diesen Weg mit uns! ({9}) Dann haben wir die Möglichkeit, die Bundesländer auf unsere Seite zu ziehen. Auch diese müssen in Bildung investieren. Sie müssen Butter bei die Fische tun. Wenn Sie sich im Gestrüpp der Föderalismusreform so verheddert haben, dass Sie die Ministerpräsidenten nicht mehr auf Linie bringen können, dann müssen Sie darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, erstens das Kooperationsverbot aufzuheben und zweitens einen soliden Finanzierungsvorschlag zu machen, der dazu führt, dass sich auch die Bundesländer beteiligen. Dann könnten wir tatsächlich mehr in Bildung investieren. ({10}) Sie haben aber auf Bundesebene auch originäre Zuständigkeiten: die berufliche Bildung. Wir geraten nun in eine Rezession. Von der wirtschaftlichen Entwicklung ist aber auch die Zahl der Ausbildungsplätze abhängig. Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Jahren in diesem Bereich keine Steigerungen mehr verzeichnen können wie zuletzt. Wir Grüne haben mit dem Konzept „DualPlus“ einen eigenen Vorschlag gemacht. Sie von der Großen Koalition lösen nun einen Modernisierungsschub bei den überbetrieblichen Einrichtungen aus. Aber das reicht nicht, wenn kein Konzept dahintersteht. Wir wollen nach dem dualen Prinzip mehr Ausbildungsplätze durch einen Dreiklang aus überbetrieblichen Einrichtungen, Betrieben und Berufsschulen. Daran können sich mehr Betriebe beteiligen. Modularisierungen können eingeführt, das heißt bestimmte Ausbildungsschritte anerkannt werden. Damit wird zusätzlich das Übergangssystem, das uns so große Probleme bereitet, verkleinert. Damit hätten wir 3 bis 4 Milliarden Euro frei, die wir entsprechend dem nationalen Bildungsbericht umschichten können. Sie sollten den grünen Vorschlägen in diesem Punkt ebenfalls folgen. Wir machen solide Finanzierungsvorschläge und solide inhaltliche Vorschläge. Es liegt an Ihnen mitzumachen. ({11}) Ein letzter Satz. Was die Weiterbildung betrifft, so sind Sie mit dem Bildungssparen nicht sehr viel weiter gekommen. Das wird den Geringqualifizierten nicht helfen. Die Ausweitung des Meister-BAföG ist viel zu zaghaft; denn wir brauchen eigentlich ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz, das die Weiterbildung in allen Phasen des Erwerbslebens möglich macht. Andere Staaten haben das erkannt. Mehr Weiterbildung, gerade in der Rezession, fördert die Kompetenzen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und führt dazu, dass dann, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, kein Fachkräftemangel aufgrund von mangelnden Fähigkeiten zu verzeichnen ist. Wir sollten uns ein Beispiel an anderen Ländern nehmen. Wir haben einen entsprechenden Finanzierungsvorschlag gemacht. In diesem Punkt können Sie uns einfach folgen. Wenn Sie das täten, stünden wir in Sachen Bildung in den nächsten Jahren viel besser da. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In turbulenten Zeiten gilt einmal mehr der Satz: Bildung und Forschung sind das Gebot der Stunde. ({0}) Jetzt beschäftigen wir uns nicht allein mit der Bewältigung der derzeitigen Situation, sondern wir müssen zugleich die Weichen so stellen, dass künftige Generationen ein gutes Fundament und Perspektiven für Entwicklung haben. Ich finde: Der Haushalt 2009 meines Hauses gibt eine Menge positiver Impulse für die Schaffung eines solchen Fundaments. Ein ganz wichtiger Punkt - ich sage das gleich, weil Frau Hinz es angesprochen hat - in diesen turbulenten Zeiten wird es sein, nicht über allen Sorgen des Alltags die nächste Generation zu vergessen, also auch im Jahr 2009 ausreichend Ausbildungsplätze in Deutschland zur Verfügung zu stellen. ({1}) Daran sollten unsere Unternehmen denken. Wir aber sollten auch daran denken, dass sich in diesen drei Jahren vieles positiv für die junge Generation entwickelt hat. Wir haben in diesem Jahr erstmals - das ist völlig anders als noch vor vier, fünf Jahren - eine völlig neue Situation. Wir haben offene Lehrstellen, nie zuvor gab es so viele Jugendliche, die eine Chance bekommen haben, und wir sind auch bei dem wichtigen Thema des Übergangs von der Schule zur Ausbildung weitergekommen. Es ist richtig, dass der Übergang von der Schule zur Ausbildung viele Schwachstellen aufweist, Schwachstellen, die auf junge Leute entmutigend wirken und die viel Geld kosten. Deshalb war es richtig, gemeinsam mit den Ländern und übrigens auch beim Bildungsgipfel für frühere Förderung und individuellere Förderung Sorge zu tragen; denn das führt zu weniger Entmutigung bei jungen Leuten. ({2}) Frau Flach, ich kann verstehen, dass man sprachspielerisch von „Gipfelei“ spricht. ({3}) Ich entgegne Ihnen: Besser von Gipfel zu Gipfel als von einem Tal zum anderen. ({4}) - Es gab schon andere Zeiten in der Bildungspolitik. Ich verstehe, dass man sich bei manch einer Veranstaltung fragt, was denn wirklich das Ergebnis ist. Das Ergebnis des Bildungsgipfels ist ein Konsens quer durch alle Parteien über zentrale Themen der Bildungspolitik, über die Entwicklungen der nächsten zehn Jahre und über das 10-Prozent-Ziel, ein Ziel im Bereich Bildung und Forschung, das es in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland nie gegeben hat. ({5}) Kollege Steinbrück hat heute Morgen gesagt, welche Perspektiven damit verbunden sind. ({6}) Zum 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung sage ich Ihnen auch: Berücksichtigt man die Jahre 2000 bis heute, dann muss man feststellen, dass durch dieses Ziel enorme Investitionsmittel für die Forschung mobilisiert worden sind. Betrachtet man den Anteil des Bundes an der Erreichung des 3-Prozent-Ziels im Haushalt 2009, erkennt man: Unser Anteil liegt unter Zugrundelegung der uns heute vorliegenden Zahlen bei 2,88 Prozent. Das heißt, wir sind, was den Bundesanteil angeht, kurz vor Erreichung des 3-Prozent-Ziels. Jetzt muss klar sein: Wir erwarten entsprechende Leistungen der Länder und der Unternehmen in Deutschland. ({7}) Mir wird in diesem Zusammenhang immer wieder gesagt: Die Unternehmen werden diesen Anteil erst leisten können, wenn es in Deutschland neben der Institutionenförderung und der Projektförderung in der Forschungsförderung steuerliche Anreize für F und E gibt. Das wird ganz gewiss ein Thema der nächsten Legislaturperiode sein. Bereits im nächsten Koalitionsvertrag wird dazu Stellung genommen werden müssen. Ich halte die damit verbundenen Vorschläge für interessant. Ich bin da sehr offen. Das wird kommen. ({8}) - Sie kennen die Vorschläge, Anreize anders zu setzen und nicht einfach nach dem Gießkannenprinzip vorzugehen. Aber ich sage Ihnen auch: Glaube doch niemand - man schaue sich die Länder in Europa an -, das sei jetzt der Königsweg! Genauso hat man es von der Forschungsprämie gesagt. Ich betone: Diesen Weg werden wir dann gehen, wenn klar ist, welche Effekte damit verbunden sind und welche zusätzlichen Investitionen der Unternehmen wir uns davon versprechen können. ({9}) Entscheidender Impuls der aktuellen Forschungspolitik in dieser Legislaturperiode ist, Wissenschaft und Wirtschaft zu natürlicher Partnerschaft zu bringen. Die Innovationsallianzen haben uns ein großes Stück vorangebracht. ({10}) - Neun sind es mittlerweile. Das Ganze hat erst einmal angefangen und geht über mehrere Jahre; das ist wohl wahr. Man muss irgendwann anfangen. Wir haben im Unterschied zu mancher Forschungspolitik früherer Zeiten angefangen. Wir haben ein völlig anderes Klima. Wir haben in der Wissenschaft Aufbruchstimmung. Das ist doch wahr; das kann jeder nachvollziehen. Schauen Sie sich nur die Wissenschaftsseiten in den großen Zeitungen in Deutschland an: Eine solche Berichterstattung über wissenschaftliche Entwicklungen, über die Rolle der Wissenschaft in unserer Gesellschaft hat es nie zuvor gegeben. Nun ist die Frage: Wie erreichen wir eine entsprechende Aufbruchstimmung in der Bildungspolitik? Da sage ich Ihnen: Alle die, die da agieren - es sind ziemlich viele in Deutschland -, müssen wissen, dass das, was auf dem Bildungsgipfel vereinbart worden ist, jetzt Stück für Stück umgesetzt werden muss. Wir werden jedes Jahr nachfragen, und wir werden uns jedes Jahr die Bilanz ansehen. Das, was für den Wissenschaftsstandort Deutschland gilt, muss genauso für den Bildungsstandort gelten. Wir brauchen in Deutschland eines der besten Bildungssysteme der Welt, weil dies die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass wir in Zukunft einen der besten Wissenschaftsstandorte der Welt haben. ({11}) Es gibt wichtige neue Akzente. Dazu gehört die Weiterentwicklung des Meister-BAföG. Dazu gehören die Aufstiegsstipendien. Dazu gehört eine deutliche Verstärkung der Bildungsforschung. Zur ZVS will ich betonen: Die Schritte, die Kollege Pinkwart gemacht hat, waren ein Anfang. Ich kann Ihnen nur sagen: So kommen wir natürlich überhaupt nicht zum Ziel. ({12}) Deshalb ist es unbedingt notwendig, den nächsten Schritt zu vollziehen. Ich bin wirklich jemand, der hinter Exzellenzinitiativen und allem, was damit verbunden ist, voll und ganz steht. Aber ich sage auch all denen, die für Hochschulen Verantwortung tragen: Eine weitere Exzel20288 lenzinitiative wird in der deutschen Öffentlichkeit nur akzeptiert werden, wenn wir auch für die Studierenden sorgen, ({13}) das heißt, wenn wir dafür sorgen, dass es vernünftige Zugänge zur Hochschule gibt, dass nicht einer am ersten Studientag vier Studienplätze hat, während drei andere keinen haben. Damit sind die Länder bislang anscheinend überfordert. Deshalb muss hier mehr geschehen, und es muss bald geschehen, weil wir auch zu diesem Wintersemester wieder feststellen, dass die Zahl derer, die studieren wollen, deutlich gestiegen ist. Ich nenne als wichtige Schwerpunkte die Spitzenforschung und Innovation in den neuen Ländern - ich danke ausdrücklich für die weitere Erhöhung der Möglichkeiten in diesem Zusammenhang -, die Neuordnung in der Gesundheitsforschung mit den Stichworten „nationales Demenzzentrum“ und „nationales Netzwerk Diabetesforschung“, ({14}) aber auch die Verstärkung der Forschungsförderung an den Fachhochschulen, denen ich im Innovationsprozess eine wichtige Rolle beimesse, etwa durch das Programm zur älteren Gesellschaft. Ich verweise auch auf verstärkte Fördermöglichkeiten und Instrumente im Bereich von Klima- und Energieforschung. Wir werden in den nächsten Wochen ein Climate Institute for Advanced Studies in Potsdam mit Wirkung zum nächsten Jahr gründen. Das wird auch international ein Anziehungspunkt werden und die besten Forscher nach Deutschland holen. Schließlich nenne ich die Wissenschaftsfreiheit und danke für die Unterstützung in diesem Bereich. Natürlich hätte ich mir mehr gewünscht. Die Forschungsorganisationen in Deutschland verdienen Vertrauen. Wir brauchen neue Spielregeln. Der jetzige Einstieg ist ein guter Weg, Erfahrung zu sammeln, um dann über weitere Schritte nachzudenken. Es sind turbulente Zeiten, jetzt muss auch öffentlich deutlich werden: Bildung und Forschung sind das Gebot der Stunde. Die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung setzen mit dem Bundeshaushalt 2009 das richtige Signal: Es gibt einen deutlichen Zuwachs und - das ist mindestens so bedeutsam - konzeptionelle Ansätze, die deutlich machen, wie stark wir Bildung und Forschung als Quelle künftigen Wohlstands verstehen. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Uwe Barth, FDP-Fraktion. ({0})

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Kurs in Prozentrechnung folgt im Anschluss unter vier Augen, lieber Herr Tauss. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, „Bildung und Forschung sind das Gebot der Stunde“, haben Sie gesagt. „Ich möchte, dass Deutschland eine Bildungsrepublik wird“, so klingt das bei der Kanzlerin. Mit diesen Sätzen, mit diesen Ankündigungen zeigen Sie, dass Sie die Prioritäten richtig erkennen, aber Sie wecken natürlich auch Hoffnungen damit, ({0}) die Hoffnung zum Beispiel, dass kraft der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin die Bildungspolitik tatsächlich ein Schwerpunkt in der politischen Arbeit der Bundesregierung sein wird, die Hoffnung, dass die vielen Probleme und Unzulänglichkeiten in unserem Bildungssystem nun auch wirklich gezielt angegangen und behoben werden, und die Hoffnung, dass das dafür notwendige Geld nun auch wirklich bereitgestellt und zielgerichtet eingesetzt wird. Auf dem Bildungsgipfel, über den Sie auch gesprochen haben, Frau Ministerin, der den Aufbruch in diese Wunschrepublik der Bundeskanzlerin kennzeichnen sollte, hat man sich in der Tat nicht lumpen lassen: 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen es bis 2015 sein, die für Bildung und Forschung ausgegeben werden. Da will man natürlich nicht als Kleingeist oder Erbsenzähler am Wegrand stehen ({1}) und fragen, ob 2015 nun richtig ist; dass 2012 noch viel besser wäre, darüber können wir sicherlich schnell Einigkeit herbeiführen. Aber hier und heute sprechen wir über den Bundeshaushalt 2009. Darin müsste sich diese Prioritätensetzung, wenn man das denn bis 2015 erreichen will, widerspiegeln. ({2}) Das suche ich aber vergebens. ({3}) Will man 10 Prozent erreichen, muss man mit gutem Beispiel vorangehen. Frau Ministerin, Sie sagen, in 60 Jahren habe es ein Ziel wie das 3-Prozent-Ziel noch nicht gegeben. Entschuldigung! Ich will nicht Ziele feiern; mir wären Feierstunden beim Erreichen von Ergebnissen wichtiger. ({4}) Was das 3-Prozent-Ziel angeht, haben Sie die Einladungen immer noch nicht drucken können; denn Sie werden dieses Ziel nicht erreichen. 9 Prozent mehr im Haushalt - das ist richtig, das ist erfreulich; überhaupt keine Frage. Aber das relativiert sich natürlich, wenn man auf die anderen Einzelpläne schaut. Das Umwelt- oder das Gesundheitsministerium zum Beispiel bekommen weit über 50 Prozent mehr gegenüber dem Vorjahr. Wenn wir eine Hitliste der prozentualen Zuwächse des Etats der einzelnen Ressorts erstellen, landet Ihr Ressort, Frau Ministerin, gerade einmal auf Platz sieben. ({5}) Um es ganz klar zu sagen: Eine Prioritätensetzung zugunsten der Bildung stelle ich mir anders vor. Eine solche sieht anders aus. ({6}) 1,2 Prozent des Gesamthaushaltes fließen in die Bildung. 1,2 Prozent! Das, Frau Ministerin, verkaufen Sie uns hier auch noch als den großen bildungspolitischen Aufbruch in neue Sphären. ({7}) Wenn wir bildungspolitisch in neue Galaxien aufbrechen wollen, um Ziele zu erreichen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, dann brauchen wir dazu ein Raumschiff namens „Bildungsland Deutschland“ mit einer gut ausgebildeten Mannschaft und mit einem Warp-Antrieb. Sie, Frau Ministerin, tuckern hier stattdessen mit dem Ausflugsdampfer „Angela“ mit Holzvergaser durch die Gegend. In der aktuellen Situation sind Sie noch nicht einmal in der Lage, selbst für diesen eine gut ausgebildete Mannschaft zu stellen. ({8}) Das ist die Realität: 10 Prozent der ausbildungswilligen Unternehmen können ihre Lehrplätze nicht besetzen; Sie haben es angesprochen. Der Grund ist das Fehlen von ausbildungsfähigen Bewerbern. Mehr als die Hälfte der ausbildenden Unternehmen beklagt eklatante Schwächen der Schulabgänger in elementaren Rechenfertigkeiten wie Addieren und Subtrahieren. Und wenn die Stiftung Lesen meldet, dass es in Deutschland 4 Millionen erwachsene Analphabeten gibt, wird klar, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie weit wir von dem Ziel einer Bildungsrepublik Deutschland noch entfernt sind. Gerade in Zeiten, wo das Geld knapper wird, muss die Erkenntnis gelten, dass wir uns gute Bildung leisten müssen, weil wir uns schlechte Bildung nicht leisten können. ({9}) Gerade weil in den letzten zehn Jahren insgesamt viel zu wenig in die Bildung investiert wurde, müssen wir jetzt verstärkt eine Erhöhung der Bildungsinvestitionen einfordern. Zugleich benötigen wir ein Umdenken bei der staatlichen Förderung des Bildungswesens. Denn bei aller Notwendigkeit der Bereitstellung staatlicher Mittel ist es nicht mit einem Griff in das Staatssäckel getan, Bildung ist auch eine ganz persönliche Sache, an der jedem Einzelnen gelegen sein muss und für die jeder Einzelne auch etwas tun muss. ({10}) - Ja, Herr Tauss, auch jeder Einzelne muss etwas dafür tun. ({11}) - Nein, kein Schulgeld. ({12}) - Wenn Sie sich einen Moment gedulden, dann sage ich es Ihnen, lieber Herr Tauss. ({13}) Gerade im Bereich der Hochschul- und Weiterbildung müssen wir die Bereitschaft zu privaten Investitionen erhöhen. Die FDP-Fraktion hat hier deshalb den Vorschlag unterbreitet, ein System des privaten Bildungssparens aufzubauen. Damit soll ein Kapitalstock befördert werden, ({14}) aus dem jeder später seine privaten Bildungsinvestitionen bezahlen kann. Die entsprechende Systematik kennen Sie: Die Vermögensbildung gerade von einkommensschwächeren Schichten wird ja in analoger Weise durch Bausparprämien und vermögenswirksame Leistungen gefördert. Genau diese Logik und dieses System wollen wir in den Bereich der Bildungsinvestitionen übertragen. ({15}) Meine Damen und Herren, die Bildungsrepublik Deutschland ist auch unser Ziel. Das ist ganz klar. Mit diesem Haushalt verpasst die schwarz-rote Koalition leider eine weitere und, wie ich hoffe, die letzte Chance, dafür nicht nur ein Zeichen zu setzen, sondern endlich auch Fakten zu schaffen. ({16}) Das machen wir dann nächstes Jahr im Herbst. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Jörg Tauss. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich fand Ihre Rede, Frau Ministerin, bemerkenswert. Sie war sehr gut. ({0}) - Nein, das spricht für die Koalition, dass wir auch solche Dinge einmal aussprechen können. - Vor allen Dingen haben mir Ihre Hinweise auf die Studierenden gefallen. Wichtig war auch die Bemerkung, Exzellenz dürfe nicht zulasten der Breite gehen. Das ist schon fast sozialdemokratisch. ({1}) Auch die Forderung nach Aufstieg durch Bildung - die stammt ja auch von uns ({2}) fand ich prima. Ihre Gute-Laune-Rede, Frau Schavan, hat mich etwas mit der Schlechte-Laune-Rede des Kollegen Willsch versöhnt. Deswegen habe ich, Kollege Willsch, in mein Konzept ein paar Gemeinheiten zur CDU und zur Unionsfraktion insgesamt hereingeschrieben. Daran sind Sie selber schuld. Ich werde das dann vortragen. Außerdem möchte ich Ihnen sagen: Ihre Attacke auf den Kollegen Hagemann fand ich nicht in Ordnung. ({3}) Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir haben die Frau Ministerin in der Frage der Wissenschaftsinitiative unterstützt, auch unsere Haushälter, unser Kollege Hagemann. Herr Kollege Willsch, ich hätte mir gewünscht, dass Herr Kampeter die Frau Ministerin nicht so im Regen hätte stehen lassen, wie er es getan hat. Hier hätten wir uns auch vonseiten des Koalitionspartners in der Tat mehr Unterstützung gewünscht. ({4}) Ich habe wenig Verständnis für den Kollegen Kampeter. Kollege Willsch, ich finde es nicht fair und nicht in Ordnung, wie Sie die Erfolge von Edelgard Bulmahn herunterreden. Es gehörte zu Ihrer Souveränität, wenn Sie anerkennen würden, was damals nach Ihrer Regierungszeit erreicht wurde. Dann würden wir uns noch besser vertragen. Der Haushaltszuwachs lag bei 37,6 Prozent. Bei Schwarz-Rot ging es in dieser Tradition weiter. Kollege Willsch, das könnte man doch mit etwas mehr Souveränität einfach einmal sagen. Ihre Aufforderung an mich, gemeinsam mit Ihnen einen Tanzkurs zu belegen, entschädigt mich nicht für diese Verärgerung. Das will ich an dieser Stelle sagen. In die Richtung der FDP und der Grünen sage ich: Natürlich haben Sie Einsparvorschläge gemacht. Jetzt liegt dieses dicke Ding, das telefonbuchähnliche Werk, das der Kollege Koppelin immer in die Kameras hält, nicht mehr da. ({5}) - Sie haben es schon umgedreht, damit man es nicht mehr so sieht. Also gut, das ist das Ding, über das wir hier reden. - Gucken wir einmal, was drinsteht. Allein im Bereich der Arbeitsmarktinstrumente enthält es Kürzungen von 2 Milliarden Euro. ({6}) Das geht zulasten von arbeitslosen Jugendlichen, die wir von der Straße holen wollen und denen wir in diesem Land helfen müssen. ({7}) An die Adresse der Grünen sage ich: Ihr habt dies gegenüber der FDP sogar noch deutlich übertroffen. Das finde ich auch nicht in Ordnung. Wenn man Einsparvorschläge macht, dann sollte man auch sagen, wo diese Einsparungen gemacht werden sollen. Zur FDP sage ich: Ganz nebenbei wollen Sie auch noch das Erziehungsgeld um 500 Millionen Euro kürzen. Sagen Sie das einmal den Betroffenen. Das Erziehungsgeld ist in dem Ausmaß, wie es angenommen wird, ein großartiges Ergebnis der letzten Jahre. Es wird auch von Männern immer mehr angenommen. Das wollen Sie einfach um 500 Millionen Euro kürzen. Es gilt also nicht nur, Sparbücher hochzuhalten; es ist gut, dass Sie das umgedreht haben, damit man es nicht mehr so sieht. Es geht darum, ein Stück weit auch auf die Inhalte der Verpackung hinzuweisen. ({8}) Zum Bildungsgipfel. Meine Begeisterung hält sich auch in Grenzen. Ich hätte mir in der Tat gewünscht, dass Konkreteres dabei herauskommt. Das 10-ProzentZiel mit 7 Prozent für Bildung, wie wir es immer gefordert haben, und - entsprechend dem Lissabon-Prozess 3 Prozent für Forschung ist wichtig. Die Bildungsrepublik, wie sie Jürgen Zöllner schon vor Jahren forderte, wurde durch den Bildungsgipfel noch nicht erreicht; das ist keine Frage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, die Kollegin Flach würde gern eine Zwischenfrage stellen. Wie stehen Sie dazu?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stehe positiv dazu, da mir die Zeit ohnehin davonrennt. Frau Kollegin Flach, vielleicht geben Sie mir die Gelegenheit, möglichst viele Teile meiner Rede mit unterzubringen. ({0}) - Mit Frau Flach würde ich den Tanzkurs lieber machen als mit Ihnen, Herr Kollege Willsch. Das müssen Sie mir zugestehen.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Tauss, Sie vermengen hier immer Tatsachen mit dem, von dem Sie sich vorstellen, dass Sie es uns gern unterstellen möchten. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir, wenn wir etwas im Sozialbereich einsparen wollen, dies tun, weil diese Mittel nicht abgerufen werden oder weil es sich um Doppelförderungen handelt. Ich vermute, dass Sie das Thema Eingliederungshilfen gemeint haben; es ist ja immer etwas obskur, was Sie so von sich geben. Gerade bei diesem Thema haben wir jedes Jahr bei den Haushaltsberatungen dasselbe Spielchen. Sie beschimpfen uns in jedem Jahr übelst, dass wir den Menschen, die in diesem Land schlechter wegkommen als zum Beispiel ein Bundestagsabgeordneter Tauss, angeblich Böses tun wollen. ({0}) Aber jedes Jahr tun Sie das Gleiche wie wir. Sie müssen zugeben, dass die Mittel falsch eingesetzt sind und dass die Vorschläge der FDP den Realitäten entsprachen und nicht die Ihren. ({1})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin, ich beschimpfe Sie doch nicht. Ich weise nur darauf hin, was die Folgen dessen wären, was Sie uns seit Jahren hier vortragen. ({0}) Ich kann nur sagen: Die Kürzungsvorschläge Ihrer Partei gehen insbesondere im Bereich der Arbeitsmarktindikation an den Bedürfnissen vorbei, die wir in diesen Bereichen haben. Das ist der Punkt, über den wir hier diskutieren. ({1}) Ich habe oft das Vergnügen, mit Herrn Niebel über diesen Punkt zu diskutieren. Dessen schon fast paranoides Verhalten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit ({2}) ist kaum nachvollziehbar. Wir müssen doch etwas tun, um Menschen, die am Arbeitsmarkt Probleme haben, zu helfen. Wenn wir hier mit der FDP einmal eine gemeinsame Position haben sollten, Frau Kollegin Flach, dann wäre ich noch nicht einmal traurig. Wir wollen ja auch mit Ihnen Koalitionsverhandlungen führen. ({3}) Aber Sie werden ja heute von der anderen Seite sehr umworben. Schauen wir mal! Ich komme zurück zum Bildungsgipfel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zu Recht ist das mit der Föderalismusreform I beschlossene Kooperationsverbot kritisiert worden. Aber, liebe Kollegin Hinz, ich kann Ihnen meinen Hinweis da nicht ersparen. Man muss den Föderalismus in diesem Land richtig begreifen: Nicht der Bund leistet sich 16 Bundesländer; vielmehr leisten sich von der Anlage unseres Grundgesetzes her - leider oder wie auch immer - 16 Länder mit den entsprechenden Zuständigkeiten für Bildung einen Bund. Ich erinnere mich gut - deswegen immer wieder mein Zuruf bezüglich Kretschmann -: Das war keine parteipolitische Veranstaltung. Schauen Sie einmal hinter sich, Herr Kollege Barth; der Kollege Meinhardt ist in Sachen Bildungsföderalismus völlig anderer Auffassung als Sie. ({4}) - Erst recht ist er völlig anderer Auffassung als ich. Deswegen haben wir im Wahlkreis immer wieder heftige Kräche ausgetragen. - Es war eine Veranstaltung der Länder gegen den Bund. Erinnern Sie sich doch an die Anhörung! Auf der Bundesratsbank saßen sie alle; heute sind weniger Ländervertreter da, obwohl die Länder für Bildung zuständig sind. ({5}) - Ich würde die Zwischenfrage gerne beantworten, wenn Sie erlauben, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, ich wollte Sie fragen, aber ich wollte Ihren Redefluss nicht unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hinz?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gestatte diese Zwischenfrage natürlich und hoffe auf Einsicht bei der Kollegin Hinz, was den Föderalismusprozess anbelangt. ({0})

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Tauss, würden Sie mir zustimmen, dass der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit, mit den Abgeordneten von CDU/CSU und SPD, gegen die Stimmen der Grünen, aber auch der Linken und der FDP diese Föderalismusreform beschlossen hat, in der das Kooperationsverbot festgezurrt wurde, ({0}) wodurch der Bund nicht mehr gemeinsam mit den Ländern Programme zur Verbesserung der Bildung auflegen darf, dass die Länderkammer anschließend mit Zweidrittelmehrheit diesem Gesetz zugestimmt hat und dass Herr Kretschmann, den Sie immer zitieren, weder im Bundestag sitzt, noch im Bundesrat je eine Stimme hatte? Das heißt, lediglich die CDU/CSU und die SPD in diesem Land sind dafür verantwortlich, dass der Bund nicht mehr die Möglichkeit hat, irgendein Programm Priska Hinz ({1}) aufzulegen, und sei es ein so sinnvolles wie das Ganztagsschulprogramm. ({2})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Hinz, Sie haben selbst gesagt, was auch ich gerade gesagt habe: Es war eine Veranstaltung der Länder gegen den Bund, und da gab es ein Geben und Nehmen in diesen Fragen. ({0}) Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben beispielsweise das Kooperationsverbot in Bezug auf die Hochschulen in letzter Minute verhindert, das übrigens der Kollege Kretschmann befürwortet hat; er hat mit Blick auf die Grünen in Berlin immer gesagt, sie seien sehr zentralistisch und begriffen nicht so recht die Herausforderungen. Wir sollten uns das nicht gegenseitig vorhalten. Wir hier im Bund hätten uns alle miteinander mehr gewünscht. Ich halte es wirklich für einen Treppenwitz der Geschichte und für einen Skandal - ich billige Ihnen das ja auch zu -, dass Herr Koch aus Hessen gesagt hat, es dürfe nie wieder ein Ganztagsschulprogramm des Bundes geben. Das ist aus dieser Ecke gekommen. Herr Althaus war übrigens derjenige, der gefragt hat, warum dann überhaupt noch ein Bildungsgipfel stattfinde. Es ist skandalös, wie die Ministerpräsidenten der Union mit der Kanzlerin umgegangen sind und erklärten, der Bund sei nicht zuständig; denn sie wollten das erreichen. Ich sage Ihnen nochmals: Ich habe die Zustimmung nur gegeben, um das Kooperationsverbot wenigstens in Bezug auf die Hochschulen in letzter Minute zu verhindern. Das ist ein Erfolg, den wir erzielt haben. Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich mir eine andere Föderalismusreform gewünscht hätte. Das ist so, und das bleibt so. Ich werde beispielsweise weiterhin fordern, dass wir den entsprechenden Grundgesetz-Artikel in eine vernünftige Gestalt bringen in dem Sinne, dass, wenn Bund und Länder miteinander kooperieren wollen, eine solche Kooperation möglich ist und nicht verboten wird, wie es der Koch’sche Unfug vorgesehen hat; denn ich bin von der Richtigkeit einer solchen Kooperation überzeugt. ({1}) - Die können doch alle klatschen, wie Sie übrigens auch. ({2}) - Die fanden das schon richtig; denn das ist doch der Sachverhalt. ({3}) Ich komme jetzt zu einem weiteren Punkt, der ebenfalls eines Beifalls wert ist. Die Große Koalition hat vier Rekordhaushalte in direkter Folge vorgelegt. Darauf können wir stolz sein. Heute Morgen hat Ihr Kollege gesagt - mir fällt sein Name nicht ein; ich glaube, er kommt bezeichnenderweise aus Heuchelheim -, ({4}) wir hätten die Eigenheimzulage ersatzlos gestrichen. Das ist falsch. Wir haben die Eigenheimzulage nicht ersatzlos gestrichen, sondern wir haben die Mittel, die an dieser Stelle eingespart wurden - dies tut auch mir leid -, für Investitionen in den Bereich Forschung und Wissenschaft eingesetzt, wie auch Sie es gefordert haben, Frau Kollegin Flach. Ich denke, es gehört zur Korrektheit dazu, zu erwähnen, dass wir die Hightech-Strategie nur deswegen auf den Weg bringen konnten, weil an anderen Stellen gespart wurde. Ich gönne jedem - das ist überhaupt keine Frage - sein Eigenheim. Aber wir setzen die Priorität nicht im Vorgartenbereich, sondern bei Wissenschaft und Forschung. Ich hätte gerne beides gehabt. Aber beides zusammen geht nicht; es sei denn, man ist bei der PDS, die der Meinung ist, dass Manna vom Himmel fällt. An dieser Stelle will ich auf das hinweisen, was der Kollege Hagemann zum Ausdruck gebracht hat. Bei dem vorliegenden Haushalt handelt es sich um den im Rahmen dieser Haushaltsberatungen am stärksten veränderten Einzelplan. Das dokumentiert zweierlei. Erstens. Wir sind dem Anspruch gerecht geworden, als Parlament zu gestalten und zu Verbesserungen beizutragen. Ich finde es sehr erfreulich, dass wir unserem Gestaltungsauftrag nachgekommen sind. Zweitens. Es wurden wichtige Neuausrichtungen beschlossen. Die 200 Millionen Euro im Rahmen des Investitionsprogramms für Bildung und Forschung sind schon angesprochen worden. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, Frau Kollegin Hinz, wenn wir mit den Ländern zu einer unbürokratischen Regelung kommen könnten. Der Kollege Brase hat dieser Tage in unserer Fraktion diesen Punkt mit Blick auf die Schulen angesprochen. Auch hier stellt sich die Frage: Was könnten wir alles an Programmen auf den Weg bringen, wenn Koch uns nicht den Unfug eingebrockt hätte, dass wir es nicht tun dürfen? ({5}) Wir haben das getan, was möglich ist. Wir investieren im Rahmen des Investitionsprogramms 200 Millionen Euro in die Bereiche, in denen es uns möglich ist. Dieses Geld kommt den Wissenschaftsorganisationen zugute, die sich natürlich darüber freuen. Darunter sind die MaxPlanck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft und die Helmholtz-Gemeinschaft. Damit werden nachhaltige Entwicklungen im Bereich der Energieeinsparung und Energieeffizienz unterstützt, was sicherlich auch die Kollegin Hinz erfreut. Sie wirft uns nämlich immer vor, wir täten zu wenig in diesem Bereich. In den Forschungseinrichtungen, die natürlich viel Energie verbrauchen, wird zukünftig weniger verbraucht. Das sind nachhaltige Investitionen. Frau Präsidentin, könnten Sie nicht meine Redezeit verlängern? Ich habe hier nämlich noch rund zehn Seiten vor mir liegen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wenn Sie noch länger warten, ist die Zeit noch schneller abgelaufen, Herr Kollege Tauss. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe es befürchtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss noch der Hinweis: Ihr wahlkämpferischer Redebeitrag, Herr Kollege Willsch, war unnötig. Wir haben nämlich insgesamt gesehen erneut einen ordentlichen Erfolg bei der Aufstellung dieses Haushalts erzielen können. Ich freue mich, dass die Opposition nur ein bisschen daran mäkeln konnte. Da wir so viel über den Föderalismus geschimpft haben, möchte ich ganz zum Schluss sagen: Es gibt natürlich Länder, die das Ganze ein bisschen anders machen. Herr Kollege Hagemann, in diesem Zusammenhang fällt mir Rheinland-Pfalz ein. Dort wurde die Gebührenfreiheit vom Kindergarten bis zur Universität erreicht, liebe Frau Kollegin Hirsch. Im nächsten Jahr wird die letzte Stufe verwirklicht. So sieht seriöse linke Politik aus, wie die SPD sie macht. ({0}) Sie aber machen, wie Ihre Rede bewiesen hat, das blanke Gegenteil. Ich bedanke mich - auch bei Ihnen, Frau Präsidentin für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Volker Schneider, Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vor lauter Szenen einer Große-Koalitions-Ehe die Inhalte beim Kollegen Tauss am Schluss etwas zu kurz gekommen sind, ({0}) wieder zurück zu den Fragen der Politik. Ich möchte mich den Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich der Weiterbildung zuwenden und stelle erst einmal fest: Ich hätte problemlos jede meiner Haushaltsreden in dieser Legislaturperiode heute noch einmal halten können; ({1}) denn sie sind leider erschreckend aktuell. ({2}) Ich werde Ihnen das ersparen; aber an eines muss ich Sie schon erinnern. In Ihrem Koalitionsvertrag steht geschrieben - ich zitiere -: Wir wollen mittelfristig die Weiterbildung zur 4. Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren. ({3}) An dieser von Ihnen selbst formulierten hochtrabenden Zielsetzung müssen Sie sich in der Weiterbildung schon messen lassen. Wenn ich mir das kritisch anschaue, dann erkenne ich in der realen Politik allenfalls starke Worte und ansonsten fast immer nur kleinstmögliche Trostpflästerchen, die Sie dann auch noch an den falschen Stellen platzieren. ({4}) Wer heute lebenslang lernen will, sollte sich schon einmal auf lebenslanges Löhnen einstellen; denn die Förderung des lebenslangen Lernens, die Sie hier beschließen werden, überlässt die Finanzierung im Wesentlichen den um Weiterbildung bemühten Menschen. Gerade einmal 500 000 Euro mehr wollen Sie für die Weiterbildung ausgeben. Wenn ich mir allein Ihr Leuchtturmprojekt Weiterbildungsprämie anschaue, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass Sie es vermutlich mit der Förderung der Weiterbildung nicht ganz so ernst nehmen. Maximal 154 Euro versprechen Sie jedem Bürger und jeder Bürgerin als Zuschuss zu einer Weiterbildungsmaßnahme. ({5}) - Meinen Sie denn, dass die Mittel, die Sie heute dafür beschließen werden, tatsächlich dafür ausreichen? - Immerhin reicht es für eine Plakatkampagne für das Weiterbildungssparen. Der Slogan „Weiter durch Bildung“ richtet sich doch wohl am ehesten an Selbstzahler und an solche, die bereit sind, sich zu verschulden. An den Geringqualifizierten, an denjenigen, die in ihrer Bildungskarriere schon immer benachteiligt waren, geht diese Politik völlig vorbei. ({6}) Es ist also ein nettes Plakat, aber nichts dahinter. Es gilt nicht „Weiter durch Bildung“, sondern eher: Was Hänschen nicht lernen durfte, braucht Hans nimmermehr. Das ist das wahre Motto Ihrer Weiterbildungspolitik. Leider ist das kein bedauerlicher negativer Ausreißer in einer ansonsten recht ordentlichen Weiterbildungsförderung. Das ganze erschreckende Ausmaß Ihrer Unfähigkeit, richtige Antworten auf aktuelle Herausforderungen zu geben, offenbart die aktuelle Finanzkrise. Man weiß nicht mehr, ob man weinen oder lachen soll, wenn die Bundesregierung treuherzig vermutet, dass es mit der Arbeitslosigkeit schon deshalb nicht so schlimm werden wird, weil angesichts des heraufziehenden Mangels an Fachkräften die Personen, die nicht mehr ausreichend ausgelastet sind, gehalten und qualifiziert werden. Das will die Bundesregierung dann auch noch im Rahmen des Konjunkturprogramms flankieren und gräbt ein zwei Jahre altes Sonderprogramm aus, das bislang dadurch Volker Schneider ({7}) geglänzt hat, dass es einen Mangel an Inanspruchnahme gab. Sie sollten einmal im Bildungsbericht nachlesen, in welch erschreckendem Umfang sich die Unternehmen aus der betrieblichen Weiterbildung zurückgezogen haben. Herr Hagemann, Sie haben vollkommen recht: Wie kann die Wirtschaft, wenn sie 1 Billion Euro Verluste wegen des Fachkräftemangels erwartet, damit kommen, ein Trostpflästerchen zu geben? Sie müsste die Qualifizierung in eigener Verantwortung voll übernehmen. Dafür ist nicht der Staat verantwortlich. ({8}) Nicht nur angesichts der Finanzkrise müssen wir Weiterbildung endlich wieder als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen und dürfen sie nicht in die Eigenverantwortung des Einzelnen abschieben. Wir von der Fraktion Die Linke fordern ein umfassendes Erwachsenenbildungsgesetz wie die Grünen, das Sicherheit für Anbieter und Nachfrager von Weiterbildung schafft. Wir fordern, die Lücken bei BAföG und Meister-BAföG zu schließen, die, Herr Hagemann, immer noch bestehen. Wir wollen, dass die Menschen in diesem Land durch finanzielle Unterstützung ermutigt werden, lebenslang zu lernen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Monaten haben wir eine großkoalitionäre Hochschulpolitik erlebt, die für Studierende und Hochschulen reihenweise schlechte Nachrichten und halbherzige Entscheidungen gebracht hat. Daran ändert dieser Haushalt leider nichts. Fakt ist: Als Anwältin für Studierende, Frau Schavan, fallen Sie leider aus. Da hilft auch Ihre heute gehaltene Wahlkampfvorbereitungsrede überhaupt nicht weiter. ({0}) Die unsoziale Zinsexplosion bei den hochriskanten KfW-Studienkrediten war noch nicht ganz verhallt, als uns die neuesten Hiobsbotschaften zum Hochschulpakt erreicht haben. Statt der für 2007 verabredeten zusätzlichen 13 000 Studienplätze bundesweit sind nur rund 5 500 geschaffen worden. Gerade unionsgeführte Bundesländer wie NRW, Baden-Württemberg, Niedersachsen und das Saarland haben sogar Studienplätze abgebaut, statt zusätzliche zu schaffen. ({1}) Wenn das so weitergeht, Frau Schavan, dann droht Ihr Hochschulpakt als Hochstapelpakt zu scheitern, und das wäre schlecht für die Studienberechtigten in unserem Land. ({2}) Wir brauchen einen Kurswechsel und erheblich mehr Studienplätze. Wir Grüne wollen einen echten Pakt für Studierende. Der Ausbau unserer Hochschulen ist eine zentrale Frage von Zugangsgerechtigkeit. Das haben die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition offensichtlich noch nicht begriffen; sonst hätten sie gehandelt und der von uns beantragten erheblichen Aufstockung der Mittel im Rahmen des Hochschulpakts I um über 470 Millionen Euro zugestimmt. ({3}) Das wäre notwendig und entspräche im Übrigen auch den Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Offensichtlich sind Ihnen aber die Empfehlungen Ihres eigenen Beratungsgremiums schnuppe. Auch die Empfehlungen für gute Lehre, die vom Wissenschaftsrat entwickelt wurden, werden überhaupt nicht aufgegriffen. Das ist traurig, aber wahr. Ich frage mich ernsthaft: Was hat diese Große Koalition auf den Weg gebracht, um die Studienbedingungen und die Lehre in diesem Land nachhaltig zu verbessern? Nichts haben Sie dazu beigetragen. Das kann so nicht weitergehen. ({4}) Wir haben eine Drei-Säulen-Strategie für gute Lehre vorgeschlagen. Dazu gehört unter anderem, dass man der Exzellenzinitiative eine neue Richtung gibt. Wir wollen die Exzellenzinitiative um einen Baustein für herausragende Lehre ergänzen. Wir sagen: Nur wer exzellente Leistungen in Forschung und Lehre erbringt, kann sich Spitzenuni nennen. Das ist etwas, was Sie seit Jahren ignorieren und ablehnen, obwohl das einen Schub geben würde. ({5}) Um Spitze in der Breite zu werden, braucht es mehr als Wettbewerb. Das ist uns allen klar. Deshalb muss ich noch einmal an alle appellieren: Bund und Länder müssen sich zusammentun und mehr Geld für den Ausbau der Studienplatzkapazitäten zur Verfügung stellen. ({6}) Auf dem Bildungsgipfel hätten Sie einen großen Schritt machen können. Bund und Länder hätten das dort verabreden können. ({7}) Aber das war ein Gipfel der Kleingeisterei. Das war ein einziges Jammertal. Da hilft es auch nichts, wenn Herr Tauss, die SPD und die Union sich da durchlavieren. Dieser Gipfel war ein Vollflop, und das ist schade. ({8}) Wir erleben einerseits einen erfreulichen Boom bei den Studienberechtigten, andererseits aber einen fatalen Fachkräfte- und Akademikermangel und mittendrin eine Große Koalition, die nicht in der Lage ist, die Zugangshürden vor den Hörsaaltüren einzureißen. Entgegen aller Empirie verteidigt die Union - vor allem die Bundesbildungsministerin - die Erhebung von Studiengebühren, und das, obwohl Sie regierungsamtlich, durch eine Studiengebührenstudie, selber festgestellt haben, dass Studiengebühren abschrecken. ({9}) Die Ergebnisse sind so verheerend, dass Sie diese Studie wochenlang in Ihrem Ministerium in einer Schublade verbergen mussten. Diese Studie belegt, dass allein im Jahr 2006 bis zu 18 000 junge Menschen allein durch unsoziale Studiengebühren abgeschreckt worden sind. ({10}) Das ist etwas, was man nicht ignorieren darf. ({11}) Laut Studie werden durch Studiengebühren Bildungschancen vernichtet. ({12}) Das ist ein hochschulpolitischer Irrweg. Je deutlicher die Fakten zum Vorschein kommen, desto mehr verschanzen sich Union und FDP in ihren ideologischen Schützengräben. ({13}) Nehmen Sie diese Fakten endlich zur Kenntnis, und handeln Sie danach. Sonst werden Sie das Ziel, dass 40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium beginnen, verfehlen. Sie verfehlen dieses Ziel leider seit Jahren. Unter Rot-Grün waren wir da schon viel weiter. Damals hatten wir die 40 Prozent fast erreicht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Gehring, Sie müssen zum Ende kommen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Davon sind Sie weit entfernt. Es ist also höchste Zeit - nicht nur für mich - für die Große Koalition, diese unsoziale und ideologische Bildungspolitik zu beenden. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzmarktkrise schüttelt die Weltwirtschaft. Die Unsicherheit ist groß. Die Prognosen für 2009 bleiben schwierig. Aber jede Krise bietet am Ende auch die Möglichkeit für einen Neuanfang. Ich glaube, dass eines sicher ist: Die Länder, die systematisch in Bildung und Forschung investieren, werden aus dieser Krise gut herauskommen. Es gilt jetzt mehr denn je, in das Kapital des 21. Jahrhunderts, nämlich in Wissen, zu investieren. Nicht von ungefähr hat die Obama-Administration angekündigt, einen Chief Technology Officer im Weißen Haus zu installieren und die Ausgaben für die Grundlagenforschung zu verdoppeln. Aus eigener Erfahrung weiß ich, welche Dynamik eine solche Ankündigung in dem begeisterungsfähigen US-Wissenschaftsbetrieb entwickeln kann; das wird sicherlich wieder einen Sog auslösen. Das Ziel ist klar: Die Vereinigten Staaten bleiben dran, um die besten Köpfe in der Welt zu werben. So erweist sich unsere Strategie, die Strategie der Großen Koalition und der Bundesbildungsministerin, als richtig, seit 2005 eine sehr solide Basis zu schaffen und die Weichen richtig zu stellen. Wir investieren in dieser Legislaturperiode mehr als 6 Milliarden Euro in Bildung und Forschung. Dieser Haushalt wird erstmals über 10 Milliarden Euro umfassen, so viel wie nie zuvor. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir verstanden haben, was es bedeutet, in Forschung und Entwicklung zu investieren, nämlich den Wohlstand von morgen zu schaffen. ({0}) Vor allem haben wir in Bildungs- und Forschungsfragen aus einem Gemischtwarenladen, um es einmal so zu formulieren, ein strategisches und zukunftsorientiert ausgerichtetes Politikschwergewicht gemacht. Es zeigt sich, dass wir auch in diesen schwierigen Zeiten Kurs halten. Ja, die Länder und die Wirtschaft müssen mitziehen. Deshalb war der Bildungsgipfel kein einfaches Unterfangen. Dennoch haben Annette Schavan und die Bundeskanzlerin es geschafft, dem Ziel einer Bildungsnation näher zu kommen, indem sich die Teilnehmer dieses Gipfels darauf geeinigt haben, 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auszugeben. ({1}) Das Strategiepapier, das Annette Schavan dort vorgestellt und eingefordert hat, nimmt die Teilnehmer in die Pflicht. Das ist das Gegenteil von dem, was die Opposition hier behauptet. Natürlich können wir die Länder nicht aus ihrer Pflicht entlassen, die Wirtschaft ebenso wenig; der Bund allein kann es nicht richten. Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass dies jemand tut. Katherina Reiche ({2}) Leitmotiv der Großen Koalition war: Aufstieg durch Bildung. Die Botschaft, dass uns jedes Talent, jede Fähigkeit und jede Begabung wichtig ist, dringt durch. Wir haben das BAföG deutlich erhöht und die Familienkomponente umgesetzt. Wir haben Studienkredite ermöglicht. Wir haben uns um Weiterbildung und um Begabtenförderung gekümmert. Ja, die Schwächeren verdienen unsere Solidarität - das ist richtig -, aber auch besonders begabte Studenten und Schüler dürfen wir nicht vergessen. Ich finde es gut, dass wir wieder unbeschwert über Bildungseliten sprechen können und Begabung und Begabtenförderung als etwas Positives begreifen. Wir brauchen die Eliten von morgen. ({3}) - Das habe ich gesagt, Herr Tauss. Sie sollten zuhören. ({4}) Das wichtigste Instrument der Forschungsförderung bleibt die Hightech-Strategie. Sie bündelt die Initiativen der Bundesressorts und nimmt die gesamte Innovationskette in den Blick: von der Forschung über die Anwendung, zum Produkt bis hin zum Markt. Die Exzellenzinitiative, die die Linke nach wie vor nicht versteht, weil ihr der Ansatz so fremd ist wie nur irgendwas, ist frei von Ideologie und voll Leistung. Durch den Pakt für Forschung und Innovation, die Gründung der Nationalen Akademie sowie die Strategie zur Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung haben wir eine hohe Dynamik in Deutschlands Forschungslandschaft und bei den Hochschulen erreicht. Das spürt man, wenn man in die Hochschulen geht; vor allem spürt man es, wenn man im Ausland ist und mit Bewunderung sieht, was sich in Deutschlands Wissenschaftslandschaft tut. ({5}) Aber Wissenschaft braucht nicht nur finanzielle Planungssicherheit, Wissenschaft braucht vor allem Freiheit. Geld ohne mehr Freiheit in der akademischen Welt entfaltet nicht die ganze Wirkung, die es haben könnte. Forschung braucht dringend mehr Flexibilität. Deshalb werden wir als Union an der Stelle nicht nachlassen. Die ersten guten Instrumente, mehr Wissenschaftsfreiheit zuzulassen, gibt es. Wir werden da weiter nachsetzen. Am Ende kommen wir vielleicht doch noch zu einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz. ({6}) Ein letzter Satz zu den neuen Ländern. Wir haben für die neuen Länder viel erreicht. 245 Millionen Euro stehen erstmals zur Verfügung. Das sind knapp 80 Millionen mehr, als geplant waren. Das ist ein wichtiges Signal, weil Forschung und Innovation, hervorragende Schulen, wie sich an PISA und dem PISA-Sieger Sachsen beweisen lässt, hervorragende Hochschulen angesichts der demografischen Entwicklung wichtiger denn je sind, ja die Lebensader für die Länder zwischen Ostsee und Fichtelberg sind. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang für die konstruktiven Beratungen, die unsere Bildungsnation, den Forschungsstandort Deutschland, weiter nach vorne bringen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung, in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.6 auf: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern - Drucksachen 16/10406, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Norbert Barthle Jürgen Koppelin Roland Claus Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke und zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kleine Ausmaße, große Wirkung. Der Einzelplan des Bundesinnenministers hat mit nur circa 2 Prozent, was das Finanzielle angeht, einen geringen Anteil am Haushalt des Bundes. Große Wirkung erzielt man für die nötigen sicherheitspolitischen und innenpolitischen Schwerpunkte jedoch nur dann, wenn die richtigen Akzente gesetzt werden. Außerdem dürfen nach unserer Auffassung keine finanziellen Risiken im Haushalt schlummern. In Zeiten der Finanzkrise ist es diesmal - sonst natürlich auch - besonders notwendig, die erforderlichen Mittel richtig und effektiv einzusetzen. Wir Liberale haben den Haushalt des Bundesinnenministers auf Herz und Nieren geprüft. Mit im Operationssaal waren, wenn ich im Bild bleiben darf, nicht nur Ihre Mitarbeiter, bei denen ich mich herzlich bedanken möchte, sondern auch die Berichterstatter der anderen Fraktionen, bei denen ich mich auch herzlich bedanken möchte, unsere Mitarbeiter und die Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes. Ich denke, für die entstandene Arbeit ist an dieser Stelle ein herzlicher Dank angebracht. ({0}) Leider muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass der Patient - in diesem Falle der Haushalt - aus unserer Sicht schon ernsthaft krank ist. Es ist schon verwunderlich, wie schnell das Sparen vergessen wird, wenn die nächste Wahl vor der Tür steht. So fragen wir uns, warum wir drei Polizeiorchester brauchen. Die Frage hat uns bisher niemand ernsthaft beantwortet. ({1}) - Es ist immer schön, wenn Sie sich aufregen, weil Sie etwas nicht auf die Reihe bekommen haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie im Innenausschuss auch so lebhaft diskutieren und nicht nur alles durchwinken würden. ({2}) Wer im Bundesinnenministerium glaubt, dass wir Parlamentarier für jede Studie mal eben so das erforderliche Geld herüberwachsen lassen, der irrt gewaltig. Quantencomputer zum Beispiel werden sicherlich irgendwann einmal Wirklichkeit sein. Da werden Rechenschritte nicht wie beim normalen Computer sequenziell ausgeführt, sondern können in einer einzigen Operation ausgeführt werden, sodass die Rechnerleistung insgesamt erheblich gesteigert wird. Das sind im Moment aber theoretische Überlegungen. Von einer tatsächlichen Anwendung sind wir noch meilenweit entfernt. Die geplanten Ausgaben der Bundesregierung sind eher damit vergleichbar, als ob jemand ein Beamgerät erfinden würde, das man nachher im Straßenverkehr einsetzt. Aber der Befehl, wenn ich mir das erlauben darf „Kirk an Enterprise, beam me up, Wolfgang“ - Sie werden mir das hoffentlich verzeihen -, wird noch ein Weilchen dauern. ({3}) Mit Raumschiff Enterprise auf unseren Straßen wird es genauso lange dauern wie mit den Quantencomputern. ({4}) An anderer Stelle im Haushalt wird uns ein Mehr für ein Weniger vorgemacht. Zieht man nämlich bei den Ausgaben für das BKA die Tarif- und Besoldungserhöhungen sowie die Ausgaben für das umstrittene BKAGesetz ab, kommt man zu dem Ergebnis, dass das BKA tatsächlich weniger Geld als in den Vorjahren erhält. Das ist nicht das, was wir unter Aufstockung im Sicherheitsbereich verstehen. Außerdem ist noch gar nicht klar, ob es das BKA-Gesetz überhaupt geben wird. Geld haben Sie dafür allerdings schon in den Haushalt eingestellt. Herr Minister, die Ausgaben dafür können Sie noch nicht als Gewinn für diesen Haushalt verkaufen. Mich persönlich wundert auch, wie Sie als Verfassungsminister mit diesem Gesetz umgehen. Es kann nicht sein, dass Sie, weil Sie sich nicht durchsetzen können, das Verfahren infrage stellen. ({5}) Dass Sie, nachdem Sie gemerkt haben, dass das Verfahren nicht funktioniert, weil Sie dafür eine Grundgesetzänderung brauchen, dann die FDP in die Pfanne hauen und behaupten, wir hätten im Bundestag für die Föderalismusreform I gestimmt, wie Sie es heute in der Presse getan haben, ist nicht redlich. Das ist kein ordentlicher Umgang mit der Opposition. Mich würde interessieren, woher Sie die Information, wir hätten diesem Gesetz zugestimmt, haben. ({6}) Außerdem kritisieren wir, dass die nicht verbrauchten Mittel des sogenannten Programms zur Stärkung der Inneren Sicherheit in weiten Teilen noch gar nicht ausgegeben worden sind. Ende Oktober dieses Jahres waren 25 Stellen noch nicht besetzt. Das mag seine Gründe haben. Allerdings kann ich mich noch daran erinnern, dass wir vor gut zwei Jahren sozusagen die Welt retten mussten, damit dieses Programm noch an den Haushalt angedockt werden konnte. Vieles hat der Bundesrechnungshof kritisiert, und viel Geld haben Sie gar nicht ausgegeben. Im Nachhinein frage ich mich wirklich, wo hier eine Stärkung der inneren Sicherheit stattgefunden haben soll. Andere dringend notwendige Ausgaben stellen Sie zurück, zum Beispiel die Sanierung des Laborgebäudes des BKA. Die Mitarbeiter müssen dort unter unwürdigen und technisch nicht einwandfreien Bedingungen arbeiten. In diesem Fall denkt aber niemand von Ihnen daran, dafür Geld zur Verfügung zu stellen. Das alles passt nicht zusammen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was nicht passt, wird passend gemacht. Das ist die Art und Weise, in der Sie Politik machen. So gibt es bis heute keine Kriterien zur Evaluierung der Bundespolizeireform. Was wir beobachten können, ist Folgendes: Sie haben eine Polizeireform durchgeführt und werfen jetzt uns vor, dass sie aufgrund einer nicht so schnell getroffenen Entscheidung für den Standort und den Neubau ins Wanken gerät. So kann man keine Reform machen. Eine Reform bedingt eine ordentliche Planung. Wenn wir nicht erfahren, dass ein Neubau notwendig ist, müssen Sie damit umgehen können, dass wir eine gewisse Zeit brauchen, um dies zu prüfen. Nur so kann man als Haushälter verantwortungsvoll mit Geld umgehen. Zum Datenschutz. Dieses Thema hat uns in den vergangenen Wochen immer wieder beschäftigt. Es ist schön, dass jeder von uns Verbesserungen beim Datenschutz will. Was wir aber nicht verstehen können, ist, dass die Große Koalition für die angekündigten Gesetzentwürfe, deren Umsetzung beim Bundesdatenschutzbeauftragten natürlich auch Geld kosten wird, nicht mehr Mittel bereitgestellt hat. Das haben wir immer gefordert, und das haben alle Fraktionen beantragt. Sie haben es aber nicht umgesetzt. ({7}) Weiterhin möchte ich an das sehr umstrittene Großprojekt beim Digitalfunk erinnern. Ist Ihnen eigentlich klar, dass seit dem 2. April 2007 eine Bundesanstalt mit 142 Planstellen existiert, wir aber bis heute keinen flächendeckenden Digitalfunk haben und noch gar nicht klar ist, ob der, den wir im Moment haben, im Ernstfall wirklich funktioniert? Meine Damen und Herren, so stellt man keinen Haushalt auf, und so macht man erst recht keine effektive Sicherheitspolitik. Die Kosten dieses Projekts, für das bisher 2,5 Milliarden Euro angesetzt waren, sind bereits jetzt auf 3 Milliarden Euro gestiegen, und wahrscheinlich werden sie noch höher. So kann das nicht funktionieren. ({8}) Bei der angestrebten Errichtung einer gemeinsamen Bundesabhörzentrale der deutschen Sicherheitsbehörden haben Sie sich wohl an folgendes Motto gehalten: Ich rechne hin, ich rechne her, am Ende kostet es gar nicht mehr, ({9}) die Überwachung, einfach sie gelingt, weil das Trennungsgebot in Vergessenheit versinkt. ({10}) Anders kann ich mir nicht erklären, warum der Bundesrechnungshof festgestellt hat, dass Sie sich die Parameter so lange schönrechnen, bis Sie mit dem Ergebnis zufrieden sind. Mit solchen Schönrechnereien und Experimenten kann man aus unserer Sicht keinen Blumentopf gewinnen. Das verdient auch kein Bundeshaushalt. Deshalb können wir diesem Einzelplan und dem Haushalt insgesamt nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat Dr. Michael Luther, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundesministeriums des Innern hat in diesem Jahr einen Umfang von 5,6 Milliarden Euro. Das klingt sehr viel, sind aber bei 290 Milliarden Euro für den gesamten Bundeshaushalt lediglich 2 Prozent. Trotzdem muss man sagen, dass das eine ganze Menge Geld ist. Man kann sich immer wieder die Frage stellen: Warum geben wir eigentlich jedes Jahr so viel Geld insbesondere für die innere Sicherheit aus? Für mich ist die Frage ganz einfach zu beantworten: Wir wollen, dass unsere Bürger in unserem Land sicher leben können, und zwar Tag für Tag. ({0}) Deshalb ist Sicherheit für uns nicht verhandelbar. Ich hoffe, dass wir uns in diesem Haus darin einig sind. Die Erfahrung zeigt, dass sich zum Beispiel die organisierte Kriminalität und der Terrorismus heute mit den modernen Medien, den modernen Möglichkeiten, die es gibt, und den modernen Technologien anfreunden, sie verwenden und sich zunutze machen. Das heißt für uns als Staat natürlich - ob wir wollen oder nicht -: Wir müssen auf Augenhöhe bleiben, um der Aufgabe gerecht zu werden, Sicherheit für unsere Bürger zu garantieren. ({1}) Deswegen wurden die Haushaltsberatungen auch ganz besonders durch zwei Themen geprägt, nämlich zum einen durch das Thema BKA-Gesetz und zum anderen durch das Thema Telekommunikationsüberwachung. Dazu will ich kurz Stellung nehmen. Das BKA-Gesetz ist hier im Haus mit großer Mehrheit beschlossen worden. Die Zustimmung des Bundesrates steht noch aus. Ich will sagen: Letztendlich werden dem Bundeskriminalamt durch dieses Gesetz die Befugnisse verliehen, die Abwehr von Gefahren im Bereich des internationalen Terrorismus zu leisten und im begründeten Einzelfall eine Onlineuntersuchung durchzuführen. Sinn und Zweck der Onlineuntersuchung ist es - das will ich auch ganz klar sagen -, Terrorismus zu bekämpfen, Anschlags- bzw. Attentatspläne aufzudecken, und zwar dann, wenn die bisherigen Ermittlungsmethoden dafür nicht ausreichen, und die Hintermänner zu identifizieren. Ich erwarte, dass der Bundesrat dem Gesetz zustimmt; ({2}) denn ansonsten - das sage ich auch ganz klar - übernimmt der Bundesrat eine große Verantwortung. ({3}) Ich stelle mir nämlich vor, was wäre, wenn in Deutschland etwas passieren würde, was mithilfe des Instrumentariums, das durch das BKA-Gesetz geboten wird, hätte verhindert werden können. Ich glaube, diese Verantwortung sollte der Bundesrat nicht auf sich nehmen. ({4}) Die Menschen in unserem Land verdienen es auf jeden Fall, dass wir alles tun, damit sie hier in Sicherheit leben können. Wir haben zumindest im Haushalt die entsprechende Vorsorge dafür getroffen. Zur Telekommunikationsüberwachung, abgekürzt: TKÜ. Die TKÜ ist aus meiner Sicht die Fähigkeit der Sicherheitsbehörde, die Kommunikation von organisierter Schwerstkriminalität oder von Terroristen mittels Internet oder Mobilfunk bei einem begründeten Verdacht wirkungsvoll überwachen und dann auch schnell im Sinne von Gefahrenabwehr handeln zu können. Die technische Entwicklung in den Bereichen Mobilfunk, Internet und E-Mail schreitet rasant voran. Deshalb ist die TKÜ heute viel aufwendiger als früher und heute noch zum Beispiel die Telefonüberwachung. Das anfallende Datenvolumen ist riesig. Über eine moderne DSL-Standardleitung können pro Tag rund 500 Gigabyte transportiert werden. Wenn man das in DIN-A-4-Schreibmaschinenseiten ausdrücken will: Dies entspricht 2 Milliarden Seiten. Die Erfassungsanlagen, mit denen das realisiert werden kann, sind viel aufwendiger und damit natürlich auch viel teurer. Das Prinzip der Sparsamkeit gebietet es, zu versuchen, die Mittel zu reduzieren. Letztendlich wollen wir in Deutschland nur noch zwei Anlagen haben, nämlich eine für den laufenden Betrieb und eine Redundanzanlage, damit die Ausfallsicherheit gegeben ist. Ich finde, dass die rein technische Erfassung beim Bundesverwaltungsamt, das mit großen IT-Projekten große Erfahrungen hat, richtig angesiedelt ist und dass die Auswertung dann in den jeweiligen Sicherheitsbehörden, die für die bestimmte Aufgabe, die gestellt ist, zuständig sind, erfolgen kann. Ich glaube, das ebenfalls diskutierte Zweisäulenmodell führt dazu, dass Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Sicherheitsbehörden vorprogrammiert sind. Abschließend dazu will ich gegenüber dem, was der Bundesrechnungshof dargestellt hat, noch sagen - wir haben es im Haushaltsausschuss diskutiert -: Wenn man die Ausfallsicherheit, die notwendig ist, gewährleisten will, dann wird es auch noch viel teurer. Deswegen haben wir im Haushaltsausschuss letztendlich den Weg für das sogenannte Bündelungsmodell freigemacht. ({5}) Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Technischen Hilfswerk sagen. Ich denke, das ist das Beste, was wir im Bereich des Innenministeriums haben: Wir können auf eine Organisation blicken, die mit 80 000 Freiwilligen im Rahmen des Katastrophenschutzes für uns tätig ist. Das THW ist ein fester Bestandteil unserer Sicherheitsagentur. Das THW verdient deshalb unsere uneingeschränkte Unterstützung, damit es für seine Aufgaben letztendlich entsprechend ausgestattet ist. ({6}) Auf Anregung der Union konnten die Mittel für Investitionen und die Modernisierung von Einsatzfahrzeugen und Geräten gegenüber dem Regierungsentwurf um 1,6 Millionen Euro aufgestockt werden. Ich denke, dass damit die entsprechende Ausstattung des THW gewährleistet werden kann. Ein Wort zur Integration. Die Integration der in Deutschland lebenden Ausländer ist uns wichtig. Ich glaube auch, dass die Integrationspolitik der Bundesregierung auf einem guten Weg ist. Dass wir erfolgreich sind, wird daran deutlich, dass wir mehr Geld für Integrationskurse brauchen, als wir ursprünglich dafür eingeplant hatten, nämlich in diesem Jahr 15 Millionen und im nächsten Jahr 20 Millionen. Wir haben das Geld selbstverständlich etatisiert. Ich freue mich auch über die steigenden Kursteilnehmerzahlen. Ich ärgere mich allerdings über das schlechte Monitoring beim zuständigen Bundesamt, in dem man erst im August gemerkt hat, wie die Entwicklung ist. Ich denke, hier gibt es Möglichkeiten, etwas zu verbessern. Ich bitte das Bundesinnenministerium, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf hinzuwirken, dass man schneller beobachtet, was in der Realität tatsächlich passiert. Zusammenfassend will ich noch einmal festhalten: Die Zahlen zeigen, dass wir bei dem Thema Integration auf einem guten Weg sind. BOS-Digitalfunk. Frau Piltz, im Unterschied zu dem, was Sie dargestellt haben, finde ich, dass wir auch hier auf einem guten Weg sind. ({7}) Es ist ein unbekanntes Terrain, das wir beschreiten. Wir haben gerade das im Haushaltsausschuss sehr intensiv begleitet. Der Durchbruch ist mit Beginn dieser Legislaturperiode gelungen. Es gibt so manche Unebenheit, die wir dabei zu überwinden haben. Ich kritisiere auch, dass wir nach wie vor noch nicht genau wissen, wie das Ganze finanziell ausgeht. Aber nach den Erfahrungen, die wir in den letzten drei Jahren gemacht haben, verstehe ich zum Teil auch die Schwierigkeiten. Wir müssen versuchen, mit den Schwierigkeiten umzugehen. Wir als Haushaltsausschuss werden das Projekt BOSDigitalfunk auch im nächsten Jahr sehr intensiv begleiten; denn uns ist es wichtig, dass das ganze Projekt zum Erfolg geführt wird. Wir werden mit dem Bundesministerium und mit dem Bundesrechnungshof, denke ich, gemeinsam versuchen, die Standards zu setzen und die Lösungen zu finden, die zu einem guten Ergebnis führen. ({8}) Nicht unerwähnt lassen will ich das Kapitel Sport. Sport ist sehr wichtig. ({9}) Sport ist etwas, was viele Menschen aktiv verfolgen. Es zeigt sich, dass die Olympischen Spiele, aber auch die Paralympics in Peking auch in Deutschland eine ungeheuer große Faszination ausgelöst haben. Wir müssen - das sollte für alle klar sein - im internationalen Spitzensport spitze bleiben oder zur Spitze zurückfinden. Deswegen haben wir den Haushalt in diesem Bereich in diesem Jahr um 9 Prozent aufgestockt. Das betrifft insbesondere die Deutsche Sporthilfe und den DOSB. ({10}) Zum Schluss sage ich Minister Schäuble und seinem gesamten Haus Danke. Ich weiß, dass Sie es mit uns als Haushältern nicht immer leicht haben. Aber wir bemühen uns, gemeinsam etwas Gutes zum Ergebnis zu bringen. Ganz besonders danke ich auch dem Haushaltsreferat und den Mitarbeitern im Haushaltsausschuss, die gemeinsam mit uns an dem ganzen Projekt gearbeitet haben. Ich glaube, wir haben einen ordentlichen Haushalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern vorgelegt. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Haushalt hat im Wesentlichen nur eine Botschaft: Weiter so mit dem Ausbau des Überwachungsstaates, weiter mit der Missachtung von Flüchtlingen und weiter im Versagen beim Kampf gegen Neonazis. Dazu sagen wir ganz klar Nein. ({0}) Es wäre die Aufgabe des Innenministers, im Umgang mit den Flüchtlingen wenigstens die Menschlichkeit zu wahren. Stattdessen hat die Regierung das Aufenthaltsgesetz verschärft, den Familiennachzug erschwert und die Luftnummer einer Altfallregelung beschlossen. Beim Flüchtlingsschutz versagt sie permanent. Ich erinnere nur an die beharrlichen Diskussionen, die wir über die Aufnahme irakischer Flüchtlinge geführt haben. Die EU fordert jetzt, 75 000 Iraker schnellstmöglich aufzunehmen. Die Bundesregierung erwägt, gerade einmal 2 500 aufzunehmen, und das, wo insgesamt 2 Millionen irakische Flüchtlinge das Land verlassen haben. Das ist meines Erachtens beschämend. ({1}) Es wäre die Aufgabe des Innenministers, den Rechtsextremismus entschlossen zu bekämpfen. Ich erinnere daran, dass seit 1990 140 Menschen durch Übergriffe von Neonazis ermordet worden sind. Aber nach wie vor muss jede Initiative gegen Rechtsextremismus um jeden Euro kämpfen und feilschen, und ein Verbotsverfahren gegen die NPD ist von dieser Bundesregierung blockiert worden. Genau darin, Herr Schäuble und übrigens auch Herr Luther, sehe ich die Sicherheitsgefährdung in diesem Land. Gleichzeitig erhält der Bund der Vertriebenen weiterhin Millionen Euro Fördergelder und betreibt damit puren Geschichtsrevisionismus. Das hat seine Vorsitzende Erika Steinbach erst unlängst vorgeführt, indem sie die Deutschen als Opfer eines zweiten Holocaust darstellte und Ländern wie Polen und der ČSSR Nazimethoden unterstellte. ({2}) - Lesen Sie die Rede Ihrer Kollegin! Darin steht es so. Für so einen gefährlichen, rechtsgestrickten Blödsinn darf es unserer Meinung nach keine Steuergelder geben. ({3}) Es wäre auch die Aufgabe eines Innenministers, den Rechtsstaat zu verteidigen. Stattdessen stellt ihn diese Bundesregierung mit sogenannten Sicherheitsgesetzen auf den Kopf. Sie stockt beispielsweise den Haushalt des Innenressorts um eine halbe Milliarde Euro auf und redet von einer modernen Sicherheitsarchitektur, aber in Wirklichkeit bauen Sie einen neuen, monströsen Überwachungsstaat auf. Jeder gilt heute als verdächtig, bis geheime Ermittlungen von Polizei und Geheimdiensten seine Unschuld beweisen. Deswegen gibt es zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung, die biometrischen Pässe und weitere Überwachungsmaßnahmen. Wo es wirklich sinnvoll wäre, zu investieren - etwa beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik -, wird geknausert, genauso wie beim Datenschutz. Da stagniert der Etat. Denn da geht es ja auch „nur“ um die Sicherheit der normalen Bürgerinnen und Bürger. Dagegen soll das BKA 25 Millionen Euro extra erhalten, nur um die Onlinedurchsuchung zu realisieren und den Bürgern hinterherzuspionieren. Hier wäre weniger mehr, nämlich ein Plus für die Demokratie. Weil der Innenminister für sein BKA-Gesetz keine Mehrheiten findet, will er nun kurzerhand die Abstimmungsregeln im Bundesrat in seinem Interesse ändern. Das ist wirklich ein verqueres Demokratieverständnis, Herr Schäuble. ({4}) Eine Verfassung à la Schäuble wäre die Garantie für einen autoritären Überwachungsstaat. Das muss man ganz deutlich sagen. Dazu können wir nur sagen: Nein danke. Das einzige Erfreuliche ist, dass die SPD zunehmend von Panik erfasst wird und etwa von dem Einsatz der Bundeswehr im Innern, aber auch, wie wir hören, vom BKA-Gesetz vorsichtig abrückt. ({5}) Offenbar merkt die SPD, dass der Kampf gegen die eigene Bevölkerung doch keine Wählerstimmen bringt. Das zeigt, dass die Linke mit ihrer eindeutigen Haltung für Bürgerrechte und gegen die Preisgabe des Grundgesetzes auf dem richtigen Weg ist. Deshalb fordern wir in den vorliegenden Anträgen: Weg mit den 25 Millionen Euro für das BKA! Senken Sie die Mittel für die Förderung des Bundes der Vertriebenen! Erhöhen Sie die Mittel für Initiativen gegen Rechtsextremismus! Wir fordern, dass 5 Millionen Euro für eine unabhängige Beobachtungsstelle im Bereich des Rechtsextremismus bereitgestellt werden, damit endlich Klarheit geschaffen wird, welches Ausmaß vorhanden ist. Im Unterschied zu Herrn Luther wollen wir nicht nur einige Millionen mehr für die Integrationskurse. Vielmehr unterstützen wir in unseren Anträgen die Initiativen, die 50 Millionen Euro mehr fordern. Ich fordere Sie auf: Wenn dieser Haushalt im Hinblick auf eine menschenwürdige und demokratische Politik eine Rolle spielen soll, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu! Danke. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-Fraktion.

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Hauptberichterstatterin für den Einzelplan 06 bin ich uneingeschränkt froh und erleichtert, dass wir am Ende der Beratungen sind; denn nicht nur wegen der Finanzmarktkrise und des Konjunkturpaketes waren die Beratungen anstrengend. Ich denke, wir alle haben unsere Sache gut und gründlich gemacht. Wir haben im Laufe der Beratungen drei Berichterstattergespräche zusätzlich anberaumt. Alle fünf Fraktionen haben insgesamt über 100 Berichte angefordert. Das alles hat dazu beigetragen, dass wir die Ansätze gut abwägen konnten. Sicherlich sind wir in dem, was wir wollen, verschiedener Meinung. Aber unter dem Strich kann man sagen: Ende gut, alles gut. Herr Minister, mit diesem Etat können Sie etwas anfangen. Der Etat, in den 5,6 Milliarden Euro eingestellt sind, wies schon im Regierungsentwurf mit 10,5 Prozent die fünfthöchste Zuwachsrate insgesamt auf. In den parlamentarischen Beratungen sind 22 Millionen Euro hinzugekommen. Davon profitieren in allererster Linie - das freut mich besonders - die Bereiche Integration und Sport; das wurde schon kurz angesprochen. Lieber Michael Luther, ich möchte noch etwas zu deiner Analyse und deinen Schuldzuweisungen im Hinblick auf die Unterfinanzierung im Bereich der Integration sagen. Aus meiner Sicht verhält es sich folgendermaßen: Wenn das BMI eine Evaluation anberaumt und diese eigenmächtig von März auf Juli verlegt, dann ist es klar, dass man das Ergebnis der Evaluation erst im Sommer, also lange nachdem der Regierungsentwurf vorliegt, erhalten kann. Im Sommer erschienen dann die erhöhten Zahlen, aus denen hervorgeht, dass wir in diesem Jahr ungefähr 16 Millionen Euro und im nächsten Jahr knapp 20 Millionen Euro mehr für Integration benötigen. Das war aber nicht unerwartet und ist nicht vom Himmel gefallen. Für diesen Bereich waren vor ein paar Jahren unter Otto Schily schon 200 Millionen Euro etatisiert. Nun waren es 154 Millionen Euro. Die Mittel werden jetzt auf 174 Millionen Euro aufgestockt. Mein Kollege Michael Bürsch, der als zuständiger Fachpolitiker noch zu diesem Thema reden wird, wird sicherlich darauf hinweisen, dass wir insbesondere für Frauen, Frauen mit Kindern, Jugendliche und Analphabeten dringend mehr tun müssen als bisher, um die berufliche Integration dieses Personenkreises zu verbessern. Das ist für ein Land wie Deutschland, das unter einem Fachkräftemangel leidet, existenziell notwendig. Ich bin froh, dass die entsprechenden Ansätze gelungen sind. Zum Bereich des Sports nur so viel - meine Kollegin Dagmar Freitag wird das sicherlich noch detailliert beschreiben -: Ich bin froh, dass hier ein Aufwuchs möglich ist. Ich möchte im Hinblick auf die Zuständigkeiten von Bundesländern und Wirtschaft noch etwas zur NADA, zum Thema Doping sagen. Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2000 die NADA etabliert. Damals haben Bund, Länder und die Wirtschaft verabredet, das Stiftungskapital im Verhältnis 1 : 1 : 1 aufzustocken. Es ist beschämend, dass bis heute nur der Bund mit 9,1 Millionen Euro seiner Verantwortung gerecht geworden ist, sich die Länder und die Wirtschaft aber vornehm zurückhalten - und das, wo doch das Doping diese gesellschaftspolitische Bedeutung erlangt hat. Ich appelliere von dieser Stelle aus dringend an die Länder und die Wirtschaft, endlich ihrer Verantwortung gerecht zu werden; denn die NADA braucht mehr Stiftungskapital. ({0}) Ich komme zum Digitalfunk, der schon angesprochen wurde. Eigentlich stehen dafür 400 Millionen Euro zur Verfügung; 200 Millionen Euro aus diesem Jahr kommen hinzu, weil wegen der Verzögerung des Projekts um ein Jahr die Mittel in diesem Jahr nicht mehr verausgabt werden können. Nun sollte man meinen, dass sich 600 Millionen Euro, die 2009 zur Verfügung stehen, nach einer richtig guten Nachricht für all jene anhören, die sich bis heute bei der Feuerwehr, bei Sanitäts- und Rettungsdiensten, beim Technischen Hilfswerk und bei der Polizei noch mit den Tücken der veralteten Analogtechnik abmühen müssen. Aber das ehrgeizige und dringend notwendige Projekt des Digitalfunks ist leider ins Stocken geraten, wie wir hier schon gehört haben. Die Verzögerung des Projekts beträgt fast ein Jahr. Da die Notwendigkeit dieses Projekts parteipolitisch völlig unumstritten ist, sorgt uns das schon sehr. Als Haushälter hat es uns auch ein Stück weit befremdet, dass wir erst nach viel Nachhaken im Oktober überhaupt von dieser Projektverzögerung und von den explodierenden Kosten erfahren haben. ({1}) Lassen Sie mich etwas dazu sagen, weil wir hier in den Haushaltsberatungen sind. Es ist schon beängstigend, dass innerhalb von nur einem einzigen Jahr aus dem sogenannten Best-Case-Szenario - mit 2,5 Milliarden Euro Bundesmitteln bis 2021 kalkuliert - das WorstCase-Szenario mit über 3 Milliarden Euro geworden ist. Das sind Mehrkosten von über 500 Millionen Euro. Ob das das Ende der Fahnenstange ist, weiß man nicht; man kann es nur hoffen. Wir haben uns mit guter Unterstützung des Bundesrechnungshofs ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Ich will für die, die das interessiert, nur drei Gründe nennen, warum die Kosten so explodieren. Allein die Kosten für die Systemtechnik sind um 20 Prozent gewachsen, die Basisstationen haben sich von 3 000 auf 4 000 erhöht - ein Plus von 34 Prozent -, und die Kosten für die Umbaumaßnahmen pro Standort sind durchschnittlich von 1,5 Millionen Euro auf 3,3 Millionen Euro angewachsen; das ist ein Plus von 120 Prozent. Bei einem so komplexen Projekt kann einen das schon besorgt machen. Herr Minister, dabei erwartet niemand von Ihnen oder Ihrem Haus die prophetische Gabe, für die nächsten zehn Jahre vorausplanen zu können. Das Problem ist aber, dass man kein Prophet sein muss, um zu wissen, dass eine undifferenzierte Planung, die nicht Jahr für Jahr geplante Ausgaben konkret beschriebenen Leistungen zuordnet, und ein Projekt, das weder kontinuierliches Controlling noch ein effektives Berichtswesen und vor allem kein ganzheitliches Projektmanagement kennt - also ein Mangel an Fachaufsicht -, Kostensteigerungen geradezu provozieren. ({2}) Vor dem Hintergrund, dass wir es schon im nächsten Jahr trotz der 600 Millionen Euro wieder mit einer Lücke von 40 Millionen Euro zu tun haben werden und wir wissen, dass das dicke Ende erst 2010 bis 2012 auf den Bundesetat zukommen wird, war es natürlich das Mindeste, was wir als Haushälter tun konnten, die Verpflichtungsermächtigung von 560 Millionen Euro, die im nächsten Jahr neu ausgebracht werden muss, zu sperren. Ich kann der Öffentlichkeit versichern, dass wir Haushälter alles in unserer Macht Stehende tun werden, um dieses umfangreiche Projekt einerseits zu einem guten Ende zu führen - denn wir alle wollen es -, andererseits aber auch aufzupassen, dass das Parlament für eine enge Begleitung sorgt. Der Rechnungshof wird uns dabei unterstützen. Ein Wort zur Bundespolizei und zur inneren Sicherheit. Michael Luther hat darauf hingewiesen - darin sind wir uns alle einig -, dass die innere Sicherheit ein Schwerpunktthema ist und natürlich auch sehr viel Geld kostet. Mit 2,4 Milliarden Euro umfasst die Bundespolizei die Hälfte des Etats des Innenministeriums. 1,5 Milliarden Euro davon sind Personalausgaben. Es ist klar, dass dieses Geld für 40 000 Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, erforderlich ist. Lassen Sie mich ein Wort zur Bundespolizeireform und zur Suche nach dem Bundespolizeipräsidium sagen. Es ist unumstritten, dass wir einen geeigneten Standort finden wollen und dass es ein ordentliches Polizeipräsidium werden soll. Allerdings hat der Haushaltsausschuss das Standortsuchverfahren im Sommer auf unsere Initiative hin neu aufgemacht. Die Räumlichkeiten in Potsdam, in denen die Bundespolizei im Moment untergebracht ist, sind eine Zwischenlösung. Das Innenministerium hat sich ursprünglich auf Potsdam fokussiert. Wäre man dem gefolgt, hätte man möglicherweise zur Verfügung stehende Bundesliegenschaften ausgeschlossen. Ich wiederhole: Wir haben das Suchverfahren noch einmal eröffnet. Wir werden uns im Dezember andere Liegenschaften im Berliner Umland, vor allen Dingen in Oranienburg, anschauen. Wir werden dann - das kann ich der Bundespolizei versichern - schnell eine Entscheidung treffen; denn sie ist erforderlich, damit die dort Beschäftigten Sicherheit haben. Perspektivisch werden an dem neuen Standort 750 Menschen arbeiten. Dieses Verfahren muss dringend transparent gestaltet werden. Es muss ein Standort gefunden werden, der gegenüber dem Steuerzahler auch langfristig zu verantworten ist. Was die Bundespolizei angeht, haben wir einen neuen, einen eigenen Schwerpunkt gesetzt, indem wir das maritime Schulungs- und Trainingszentrum in Neustadt an der Ostsee gestärkt haben. Dieses Zentrum gibt es auf dem Papier schon seit dem Jahr 2005. Es soll nicht nur die Aus- und Fortbildung bei der Bundespolizei, sondern auch bei anderen Ressorts, die eine maritime Komponente haben, zum Beispiel der Zoll, aber auch Länderbehörden, zukunftssicher gestalten. Der Fachkräftemangel im nautischen Bereich ist nämlich enorm. Die öffentliche Hand kann sich hinsichtlich des Personals auf dem freien Markt einfach nicht mehr bedienen, sodass es notwendig ist, eigene Schulungen vorzunehmen. Herr Schäuble, das Konzept aus Ihrem Hause wird fortgeschrieben. Diese Fortschreibung ist zwar noch ganz frisch, nämlich vom Oktober, aber hervorragend. Wir haben dieses Konzept mit einem Plus von 20 Stellen ausgestattet. Damit gehen Mehrkosten sowohl bei der Gebäudesanierung - Ziel sind mehr Unterkünfte - als auch bei der Ausgestaltung des Lehrbetriebs einher. Bemerkenswert ist sicherlich, dass dieser Ansatz dennoch haushaltsneutral ist. Es lagen uns sehr viele Bundesrechnungshofberichte, die Bundespolizei betreffend, vor. Bei deren Abarbeitung haben wir ein so großes Einsparvolumen vorgefunden, dass das Ganze haushaltsneutral bleiben konnte. Zum Thema Telekommunikationsüberwachung hat auch Michael Luther schon einiges gesagt. Da gibt es in der Großen Koalition durchaus eine unterschiedliche Bewertung. Herr Luther hat hier darauf hingewiesen, dass der Haushaltsausschuss den Weg für das Bündelungsmodell freigemacht hat. Das ist eine aus meiner Perspektive etwas eigenwillige Sichtweise. Richtig ist, dass schon der Regierungsentwurf die Personal- und Sachmittel für das Bundesverwaltungsamt vorsah. Wie es üblich ist, muss sich eine Koalition immer einig sein, um den Regierungsentwurf zu ändern. Ich mache hier aus meinem Herzen keine Mördergrube. Ich will auch für die SPD-Haushälter deutlich sagen, dass die Debatte darüber, welches Modell das Bündelungs- oder Zweisäulenmodell des Bundesrechnungshofes - richtig gewesen wäre, aus unserer Sicht noch nicht beendet war und dass dieses Projekt deshalb noch nicht etatreif war. Das heißt nicht, dass man dagegen ist, sondern: Es ist noch nicht etatreif. Das Problem ist, dass unser Wunsch, die Stellen und die Mittel zu sperren, nicht einigungsfähig war und dass damit jetzt in der Tat der Weg frei ist. Das bedeutet aber auch, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen und Herr Minister, dass der Weg, den Sie jetzt eigenverantwortlich einschlagen werden, tatsächlich Ihr Weg ist. Noch einmal: Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Die Bedenken des Bundesrechnungshofes waren für mich sehr nachvollziehbar. ({3}) Ich stehe mit meinen Kollegen im Haushaltsausschuss uneingeschränkt dafür, dass wir die Telekommunikationsüberwachung im Vergleich zum Status quo zentralisieren müssen. ({4}) Das kann man aber auch an zwei Stellen und nicht nur an einer Stelle tun. Dafür muss man auch viel Geld in die Hand nehmen. Das alles ist richtig. Wir brauchen da auch Know-how; auch das ist richtig. Es hat mich bis heute nicht überzeugt, dass es vernünftig ist, das Ganze beim Verwaltungsamt anzusiedeln und die Bereiche Verfassungsschutz und Polizei zu verschränken. Wenn man das auseinandergehalten hätte, dann hätte dieses Modell durchaus sehr viel Charme gehabt. ({5}) Lassen Sie mich abschließend sagen - meine Redezeit geht zu Ende -: Ich freue mich natürlich darüber, dass wir das THW gestärkt haben. Das haben wir wie immer gemeinsam gemacht; diesmal war es das vierte Jahr in Folge. Ich freue mich aber auch, dass wir der Bundeszentrale für politische Bildung für ein besonderes Projekt noch einmal 500 000 Euro genehmigen konnten. Dabei geht es darum, dass wir auf ein Superwahljahr zusteuern. In Schaufensterreden kommt immer wieder zur Sprache, dass die Wahlbeteiligung zurückgeht. Man ist besonders traurig darüber, dass die Wahlbeteiligung der jungen Leute sinkt. Da stimme ich allen zu. Wir wollen aber nicht jammern, sondern wir wollen etwas dagegen tun. Die Bundeszentrale wird in einem Projekt versuchen, insbesondere was die sogenannten bildungsfernen Schichten anbelangt, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Bundestagswahl 2009 und die Europawahl 2009 von vielen jungen Menschen aktiv begleitet werden. ({6}) In diesem Sinne möchte ich mich für, wie ich finde, faire und konstruktive Haushaltsberatungen bedanken. Das Ergebnis ist ein durchdachter, runder Entwurf, mit dem Sie, Herr Schäuble, glaube ich, gut ins neue Jahr gehen können. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute. Machen Sie das Beste draus! ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Grindel, ich finde, es gibt Zwischenrufe, die muss man Menschen überlassen, die ein kleineres Sendungsbewusstsein haben als Sie. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir am Anfang, nach all den Wochen der intensiven Beratung zum Haushalt einen Dank auszusprechen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im BMI, im BMF, in den Ausschusssekretariaten, in den Fraktionen und in den Büros der Abgeordneten; denn ohne sie wäre diese Beratung in der Form ganz bestimmt nicht möglich gewesen. ({0}) Nun liegt uns ein Entwurf des Einzelplans 06 vor, dem meine Fraktion so keineswegs zustimmen kann. Wir werden ihn selbstverständlich ablehnen. Herr Minister, ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern: Ich habe vor über zwei Jahren an dieser Stelle meine erste Rede im Bundestag gehalten. ({1}) Ich habe damals ein Geschenk überreicht und Sie gelobt, und zwar für die Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz. Nach über zwei Jahren und nach diesen Haushaltsberatungen sind mir die Flausen der lobenden Worte eher vergangen. Wenn man sich das Fachgeschäft Innenpolitik des Dr. Schäuble anschaut, dann sieht man ein schönes Schaufenster und einiges an schöner Dekoration. Aber wenn man hineingeht, stellt man fest: Es gibt etliche Regale, in denen man nur Staub vorfindet. Beispiele sind genannt worden: Digitalfunk, Bundespolizeireform, Bekämpfung des Rechtsextremismus. Erlauben Sie mir, drei Punkte zu vertiefen. Zunächst noch einmal zur Deutschen Islamkonferenz. Wir haben das damals gut gefunden. Ich freue mich immer noch darüber, dass es eine Deutsche Islamkonferenz gibt, in der die Selbstverständlichkeit von Menschen muslimischen Glaubens in dieser Gesellschaft dargestellt wird. Aber so langsam fragen wir uns: Wo sind denn eigentlich die Ergebnisse? So langsam fragen wir uns: Welche Substanz soll eigentlich dabei herauskommen? ({2}) Wir fragen uns vor allem: Welches Ziel hat eigentlich diese Islamkonferenz? Das ist bis heute nicht klar. ({3}) Bei uns gibt es mittlerweile den Verdacht, dass das Ziel von vornherein nicht so ganz klar war. Dasselbe kann man zum Thema Integrationspolitik sagen. Natürlich gibt es große Überschriften - „Nationaler Integrationsplan“ -, aber mit ganz viel Unverbindlichkeit dahinter. Ich erwähne aber auch die Integrationskurse. Die Kollegin Hagedorn und der Kollege Luther haben gerade gesagt, dass die Mittel aufgestockt werden. Sie haben sich ein bisschen darüber ausgetauscht, wer eigentlich schuld ist. Ich habe keine Lust mehr, immer wieder die Konflikte in der Koalition zu moderieren, nur weil wir in der Mitte sitzen. Fakt ist, dass im ersten Entwurf des Einzelplans hierfür derselbe Ansatz vorgesehen war wie 2008, aber relativ schnell war klar, dass dieses Geld nicht ausreichen würde. Schnell war nämlich klar, dass immer mehr Menschen gewillt sind, an den Integrationskursen teilzunehmen. ({4}) Der Bedarf ist riesig. ({5}) Wir wollen, dass mehr Menschen an den Kursen teilnehmen können. Wir wollen, dass die Bürokratie nicht mehr so groß ist und die Kinderbetreuung funktioniert. ({6}) - Dazu können Sie noch mehr beitragen, indem Sie unserem Änderungsantrag zustimmen, in dem wir zusätzlich 50 Millionen Euro fordern, was auch von fachkundiger Seite gefordert wird. Es darf nicht bei der Lückenschließerei bleiben, die Sie jetzt betrieben haben. Da ist die Priorität nicht richtig gesetzt. ({7}) Dasselbe gilt beim Thema Datenschutz, und das ist gerade nach dem letzten Sommer eigentlich unverständlich. Wir haben im Sommer erlebt - wir erleben es bis heute immer wieder -, dass Unternehmen leider - erst recht leider auch staatliche Unternehmen - nicht so verantwortungsvoll mit den Daten der Menschen in diesem Land umgehen, wie sie das sollten. Herr Minister, Sie haben damals gesagt: Wir haben ausreichende Gesetze; sie müssen nur konsequent umgesetzt werden. - Auf eine Frage sind Sie uns bis heute die Antwort schuldig geblieben, nämlich: Wer soll die Gesetze umsetzen? Es gibt eigentlich eine Person dafür, und das ist der Bundesdatenschutzbeauftragte. Sein Stab ist aber völlig unterbesetzt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort ersticken in Arbeit. Sie bekommen immer mehr Zuständigkeiten. Sie sind zuständig für den Bund, für Telekommunikationsunternehmen und demnächst in immer stärkerem Maße für das Gesundheitswesen. Sie werden sich, wenn sie Pech haben - das wäre unser Glück -, auch mit den Argen beschäftigen müssen. Die Frage ist: Warum werden nicht mehr Mittel für die Wahrnehmung dieser Aufgaben bereitgestellt? Wir versuchen, dem abzuhelfen. Ein diesbezüglicher Antrag steht hier zur Abstimmung. Demnach sollen die Mittel für das Personal in diesem Bereich verdoppelt werden. Wir hoffen in diesem Punkt ebenfalls auf die Vernunft der Mehrheit in diesem Hause, zumal es nicht wirklich um große Sprünge geht. Allein bei Ihrem Einzelplan, Herr Minister, gibt es einen Aufwuchs um 500 Millionen Euro; uns geht es um 0,7 Prozent davon, die wir dafür ausgeben wollen. Deshalb noch einmal mein Appell: Datenschutz ist nicht irgendein Thema fürs gute Wetter; Datenschutz ist ein Thema, durch das die Menschen in diesem Land Vertrauen in die Politik gewinnen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem diesbezüglichen Antrag. ({8}) Das Problem ist, dass es Ihnen, Herr Minister, nicht darum geht, Daten zu schützen, sondern darum, Daten zu jagen und zu sammeln. Das sieht man ja beim BKAGesetz. Ich würde im Übrigen jedem jede Wette anbieten, dass das BKA-Gesetz in der Form, wie es vorliegt, nicht durch den Bundesrat kommen wird. Das ist auch gut so; denn in diesem Gesetz wird die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit aus unserer Sicht massiv aufgehoben. Die Hauptkritik richtet sich dabei nicht unbedingt in Richtung der Verbesserung der Sicherheit. Vielmehr erleben wir, dass teilweise Datenberge gesammelt werden sollen, mit denen die Bundesbehörden überschwemmt werden. Das wird nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit führen, Herr Minister. Auch deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab. ({9}) Doch jetzt kommt Hoffnung auf. Hoffnung deswegen, weil sich die Sozialdemokraten überlegt haben, dass sie diesem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmen und es deshalb dort keine Mehrheit erhalten wird. Das ist erst einmal sehr erfreulich. Ich frage mich aber: Warum erst jetzt? Wo waren Sie denn die letzten Monate, als es darum ging, aktiv gegen dieses Gesetz vorzugehen? ({10}) Es ist sehr bedauerlich, dass erst der Bundesrat einschreiten musste. Es ist sehr bedauerlich, dass erst ein Wahlkampf am Horizont auftauchen musste. Es ist jetzt aber nicht zu spät. Deshalb rufe ich Ihnen zu: Guten Morgen! Und: Schön, dass Sie bei uns angekommen sind! Einen bleibenden Schaden haben Sie allerdings wohl doch hinterlassen. Sie haben nämlich beim Bundesinnenminister den Eindruck hinterlassen, dass nicht nur Sie, sondern das ganze Parlament schläft, und zwar - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - beim Thema „Abstimmungsverfahren im Bundesrat“. Hier soll ja Mehrheit so definiert werden, dass bei Abstimmungen das Ergebnis herauskommt, das Ihnen, Herr Minister, passt. ({11}) Das ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick. Ich finde, Herr Minister, so etwas wird Ihnen, Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Biografie keineswegs gerecht. Ich kann nur an Sie appellieren, davon Abstand zu nehmen, über eine Veränderung des Abstimmungsverfahrens im Bundesrat zu diskutieren. ({12}) Sie haben an dieser Stelle viel Kreativität gezeigt. Es wäre erfreulich, wenn Sie diese Kreativität nicht nur für das Herumbiegen von Verfahren, sondern vor allen Dingen für den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern und von deren Rechten aufwenden würden. Sie haben nicht mehr so viel Zeit dazu, nur noch bis zum 27. September. Danach wird jemand anders zuständig sein. In dieser Zeit können Sie aber noch einiges aufholen und das aufgreifen, was Sie bisher noch nicht gemacht haben. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst auch einmal sehr bedanken: Die Haushaltsberatungen waren - das müssen sie ja auch sein - intensiv, was von guter Partnerschaft zeugt. Ich glaube, mit dem Ergebnis, das wir dabei erzielt haben, kann das Innenministerium die Aufgaben, die sich dem Bund im Bereich der Innenpolitik stellen, gut erfüllen. Ich habe schon bei der ersten Lesung darauf hingewiesen: Die Steigerungsrate täuscht, weil darin viele Sonderposten enthalten sind. Ich glaube aber, wir haben gemäß dem Prinzip, dass wir mit begrenzten Mitteln auskommen müssen - es handelt sich ja um Steuergelder, und die Lage ist ernst -, vernünftige Ergebnisse erzielt. Die Innenpolitik dient in allen Bereichen dem Ziel, unsere Freiheitsordnung nachhaltig zu machen. Deshalb, weil Sie, Herr Kollege Nouripour, es gerade angesprochen haben, würde ich zunächst einmal gern eine Bemerkung zur Deutschen Islamkonferenz machen. Sie warten auf Ergebnisse. Wenn Sie sich die Wirklichkeit in diesem Land ein bisschen unvoreingenommen anschauen, dann werden Sie überhaupt nicht bestreiten können, dass im Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und zwischen den Muslimen in ihrer Vielfalt eine ganze Menge geschehen ist. Ich habe gestern mit dem türkischen Staatsminister für Religion und für Türken im Ausland Sait Yazicioglu ein langes Gespräch geführt. Wir haben am Samstag in München den Eugen-Biser-Preis an drei Muslime verliehen. Ich habe die Festrede dazu gehalten. Es wird niemand ernsthaft bestreiten, dass sich etwas an dem Verhältnis verändert. Das gilt übrigens auch aufseiten der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft. Das ist der Sinn dieser Islamkonferenz. Wir haben zum Beispiel im März dieses Jahres in der Vollversammlung zwischen den 15 unterschiedlichen muslimischen Teilnehmern und den 15 Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen einvernehmlich Regeln festgelegt, wie der Religionsunterricht im Sinne von Art. 7 als Bekenntnisunterricht an staatlichen Schulen in Deutschland durchgeführt werden kann. Wir haben diese der Kultusministerkonferenz übermittelt, deren Präsidentin an der Islamkonferenz teilnimmt. Die Länder haben nun die Voraussetzungen, um dies Schritt für Schritt zu verwirklichen, die Lehrerausbildung und die Curricula anzupassen. Entsprechendes wird sich natürlich auch an den Hochschulen in dem Sinne entwickeln, wie es nach unseren bewährten Prinzipien im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften nur geht und auch richtig ist. Da hat sich etwas bewegt. Das geht nicht auf Knopfdruck. Solche Dinge gehen nie auf Knopfdruck, aber es bewegt sich. Das dient der Nachhaltigkeit unserer Ordnung von Freiheit und Toleranz. Deshalb ist das richtig. Gleiches gilt für die Integration. Es ist gut, dass wir jetzt dort die Mittel erhöhen. Frau Kollegin Hagedorn, Sie haben gesagt, die Mittel waren schon einmal höher etatisiert. Das ist wahr. Damals sind sie aber nicht abgeflossen; selbst im letzten Jahr noch nicht. ({0}) Deshalb haben wir von Jahr zu Jahr gesagt: Sobald die Nachfrage höher ist, was wir hoffen, müssen wir die Mittel entsprechend erhöhen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dies im Haushaltsausschuss gelungen ist. Ich will mich ausdrücklich dafür bedanken. Man kann darüber streiten, ob man das früher hätte wissen können oder nicht. Die Nachfrage hat sich im Laufe dieses Jahres verstärkt. Wir sind uns darüber einig und es ist erfreulich, dass sie nicht in erster Linie Neuzugewanderte betrifft. Es sind vor allem Frauen und Mütter, die schon länger da sind. Das wollen wir auch, und zwar gerade im Interesse der Kinder. Man muss übrigens auch gar nicht mehr darüber streiten, dass die Regelung im Aufenthaltsgesetz, über die wir lange gestritten und die wir dann eingeführt haben, besagt, dass wir für den Familiennachzug ein Minimum an Deutschkenntnissen zur Voraussetzung machen. Das wirkt sich vor allem auch insofern segensreich aus, als alle begreifen, dass nicht nur die Kinder Deutsch lernen müssen, damit sie im Bildungs- und Ausbildungssystem unseres Landes Chancen haben. Auch die Eltern sollten Deutsch sprechen. So kommen wir auf diesem Weg voran. ({1}) In diesem Sinne ist es auch wichtig, dass wir weiterhin dem freien Sport in unserem Lande helfen, um im härter werdenden Wettbewerb der Besten der Welt Schritt zu halten, eine Position zu verteidigen oder dort, wo wir besser werden können, auch besser zu werden. Deshalb bin ich auch sehr dankbar dafür, dass es im Rahmen der Haushaltsberatungen gelungen ist, die immer knappen Mittel aufzustocken. Das ist ein wichtiger Punkt. Das, was in der Debatte zum Technischen Hilfswerk gesagt wurde, will ich auch von meiner Seite aus ausdrücklich unterstreichen. Das ist wirklich vorbildlich. Ich weiß nicht, ob das im Bereich des Innenministeriums wirklich das Beste ist. Wir haben hier viel Gutes. Es ist aber vorbildlich, dass wir für eine Katastrophenschutzorganisation nicht nur hervorragende hauptberufliche Mitarbeiter haben, sondern vor allem auch 80 000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Das ist ein Gütezeichen für die Lebensfähigkeit und für die Vitalität unserer freiheitlichen Lebensordnung. ({2}) Diese freiheitliche Lebensordnung wird nachhaltig sein, wenn die Menschen auch darauf vertrauen können, dass der Staat diese Freiheitsrechte schützt. Der Staat bedroht die Freiheitsrechte nicht. Das ist ein verbreiteter Irrtum, der von manchen bewusst geschürt wird. ({3}) Es gibt keine Freiheit, ohne dass auch eine Instanz im Sinne des staatlichen Gewaltmonopols vorhanden ist, die diese Freiheitsrechte schützt. Es gibt keine Freiheit ohne Regeln, und es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. ({4}) Freiheit braucht einen Rahmen, nur so ermöglicht dieser Verfassungsstaat überhaupt Freiheit. Deshalb brauchen wir eine leistungsfähige Polizei. Das ist und bleibt in unserem Land zuallererst Sache der Bundesländer. Diese föderale Grundstruktur hat sich bewährt. Ergänzend haben wir die Bundespolizei. Die Standorte der Bundespolizei - ich möchte darauf aufmerksam machen -, so steht es im Gesetz - werden vom Bundesinnenminister im Einvernehmen mit den Regierungschefs der Bundesländer festgelegt. So ist die Regelung im Gesetz. Ich habe sehr bewusst entschieden, dass das neu zu bildende Bundespolizeipräsidium in einem neuen Bundesland liegen soll. Das hat mit vielen Beschlussfassungen in diesem Hause im Zusammenhang mit dem Umzug und der Überwindung der Folgen der deutschen Teilung zu tun. Ich würde aber doch bitten, dass, wenn wir über die Bundespolizei reden, Frau Kollegin Piltz und die anderen, die das getan haben, nicht einen der großen Erfolge in diesem Jahr völlig unterschlagen, nämlich die Tatsache, dass es gelungen ist, die Kontrollen an unseren Grenzen abzuschaffen, ohne dass die vor einem Jahr reichlich vorhandenen Besorgnisse, dass das zu weniger Sicherheit führen würde, wahr geworden wären. ({5}) - Entschuldigung, ich komme in zwei Wochen wieder mit meinen Kollegen aus der Region, aus den Bundesländern, aus Polen und Tschechien zusammen, wo wir Bilanz ziehen werden. Sie können mit den Betroffenen in der Region sprechen. Die Besorgnisse sind alle nicht wahr geworden. Es ist uns gelungen, ein Europa ohne Grenzkontrollen mit nicht weniger Sicherheit zu schaffen. Das ist ein großer Erfolg, und das zeigt: Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. ({6}) - Frau Kollegin Jelpke, das ist ein offensichtlich bewusst verbreitetes Missverständnis. Indem Europa noch an seinen Außengrenzen kontrolliert, schottet es sich nicht ab. An den Binnengrenzen wird weniger kontrolliert. Das ist ein Fortschritt, den wir nicht kleinreden sollten. ({7}) Das Bundeskriminalamtgesetz haben wir lange diskutiert und in diesem Haus verabschiedet. Am Freitag steht es auf der Tagesordnung des Bundesrates. Wie der Bundesrat entscheiden wird, werden wir sehen. Je nachdem, wie die Entscheidung ausfällt, ist im Grundgesetz geregelt, wie es weitergehen kann. Kommt das Bundeskriminalamtgesetz nicht zustande, bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. ({8}) - Ja, das ist schon wahr. Herr Kollege Wieland, es ist völlig legitim, diese Meinung zu vertreten. Der Verfassungsgesetzgeber hat es allerdings vor zwei Jahren anders entschieden, und zwar angesichts der Intensität der Gefahr durch den internationalen Terrorismus. ({9}) - So legitim es ist, dass Sie Ihre Auffassung vertreten, so legitim ist es auch, darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgesetzgeber anders entschieden hat. Ich füge hinzu: In der vergangenen Woche hat in Potsdam eine Konferenz der Innenminister und -senatoren der Bundesländer stattgefunden. Von 16 Innenministern haben 15 gesagt, wir bräuchten dieses Gesetz dringend. Der Kollege Wolf hat gesagt, er sei immer dagegen gewesen, dem Bundeskriminalamt diese Aufgabe zu übertragen. Alle anderen haben gesagt, wir brauchen dieses Gesetz. Sollte es nicht zustande kommen, bleibt es bei der ausschließlichen Zuständigkeit der Länderpolizeien zur Abwehr der Gefahren auch durch den internationalen Terrorismus. Anderenfalls werden wir einen Weg finden. Wir haben gesagt, wir führen den Auftrag des Verfassungsgesetzgebers aus. Ich will noch eine Bemerkung machen. Glauben Sie doch nicht, dass ich so blöd wäre, zu glauben, man könne die Abstimmungsregeln im Bundesrat verändern. Das Thema, das in den Koalitionsverträgen auf Länderebene zu leicht geschrieben wird, nämlich sich bei Uneinigkeit in Bundesratsabstimmungen zu enthalBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble ten, weitet sich zunehmend im Lauf des Jahres zu einem Problem aus. ({10}) - Entschuldigung, wir reden von der Föderalismuskommission. Der Kollege Körper und ich sind für die Große Koalition in dieser Arbeitsgruppe die beiden Federführenden. In dieser Eigenschaft haben wir den Brief an die beiden Vorsitzenden geschrieben. Das ist absolut legitim. Diese Debatte werden Sie nicht los; das hat mit dem Bundeskriminalamtgesetz nichts zu tun. Aber die Debatte um das Bundeskriminalamtgesetz zeigt, dass es absurd ist, dass die Länder erst sagen, sie bräuchten das Gesetz dringend, und sich anschließend im Bundesrat enthalten. Das geht so nicht weiter. ({11}) Frau Kollegin Piltz, ich will Ihnen ganz freundschaftlich noch etwas sagen: Wenn wir in unserem Land Probleme haben, von denen wir wissen, dass sie gelöst werden müssen, dann ist es doch notwendig, dass wir darüber reden. Dann ist es falsch, dass man jedes Mal, wenn ein Vorschlag gemacht wird, mit einem Geschrei anfängt, als fürchte man die Debatte. Ich finde, die freiheitliche Demokratie bewährt sich in der offenen Debatte. ({12}) Deswegen ist der Versuch, Debatten immer zu verhindern und zu verbieten, im Grunde mit einem liberalen Verständnis von freiheitlicher Demokratie nicht zu vereinbaren. ({13}) Jetzt höre ich aus Ihrer Fraktion spöttische Bemerkungen über die schwierigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika unter deutscher Beteiligung; es wird gesagt, da passten die Rechtsvorschriften nicht mehr. Als ich schon vor zwei Jahren gesagt habe, dass wir angesichts neuer Bedrohungen nationales wie internationales Recht auf seine Wirksamkeit überprüfen müssen, ist gesagt worden, das sei ein Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit. Ich finde, wir sollten die Kirche im Dorf lassen, wir sollten ein bisschen abrüsten, und wir sollten wieder mehr über die Sache diskutieren, anstatt das Nachdenken über Probleme durch eine falsche Tabuisierung zu verbieten. ({14}) In diesem Sinne bedanke ich mich noch einmal für die gute Zusammenarbeit. Wir werden aus dem Haushalt das Beste machen. Ihre guten Wünsche zum neuen Jahr erwidere ich zu einem späteren Zeitpunkt, Frau Kollegin Hagedorn. Ich bitte Sie, diesem Haushalt zuzustimmen, und bedanke mich für Ihre Unterstützung. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, niemand und schon gar nicht die Freie Demokratische Partei will hier offene Debatten abwürgen. Aber Sie müssen sich schon sagen lassen: Wenn Sie einen Vorschlag für die Änderung der Abstimmungsregeln im Bundesrat ausgerechnet zu dem Zeitpunkt erneut - Sie haben es auch schon früher getan - in die öffentliche Debatte bringen, wo Sie Gefahr laufen, mit Ihrem BKA-Gesetz im Bundesrat zu scheitern, dann ist natürlich der Verdacht naheliegend, dass man die Regeln so gestalten möchte, dass eine Mehrheit für das eigene Gesetzesvorhaben zustande kommt, die nach den jetzt gültigen Vorschriften nicht in Sicht ist. Es ist nicht die FDP allein, die Sie in diesem Punkt kritisiert hat, sondern es gibt auch Kritiker aus Ihren eigenen Reihen: Ole von Beust, Hamburgs Erster Bürgermeister, hat gesagt, aktuelle Schwierigkeiten sollten nicht ein Grund dafür sein, das zu ändern, was sich über Jahrzehnte bewährt hat. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat Kritik geübt. Sogar der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat dies getan. Ich will jetzt nicht auf das näher eingehen, was Bremens Bürgermeister, der der SPD angehört, gesagt hat, der von einem Anschlag auf bewährte parlamentarische Prinzipien gesprochen hat. Debatten müssen zur richtigen Zeit geführt werden. Dann ist allerdings in der Tat - da stimme ich Ihnen zu eine Tabuisierung nicht der richtige Weg. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir vorhin - vielleicht hat es nicht jeder bemerkt - Zeugen einer Art Tabuisierung waren, gegen die wir uns wehren. Herr Kollege Luther, vielleicht haben Sie es nicht so gemeint, als Sie vorhin zu der rhetorischen Figur der präemptiven Schuldzuweisung gegriffen haben. ({0}) Sie haben nämlich gesagt: Wer dieses BKA-Gesetz verhindert, der trägt die Verantwortung dafür - ich will es einmal so auf den Punkt bringen -, wenn später etwas passiert. Dagegen wehren wir uns allerdings. ({1}) Denn die deutschen Sicherheitsbehörden haben jede Menge Eingriffsbefugnisse, und sie haben in der Vergangenheit mit den geltenden Gesetzen erfreulicherweise schlimme Anschläge verhindern können. Sie können uns hier nicht einreden, dass nur mit dem neuen BKA-Gesetz die Sicherheit in Deutschland gewährleistet sei. Herr Minister Schäuble hat neulich in einem Interview im Stern zu einem kühnen Vergleich gegriffen, als er auf Wallensteins Kriegsführung rekurriert hat, um das BKA-Gesetz zu rechtfertigen. Uns erscheint etwas anderes aus dem 17. Jahrhundert passender, nämlich das Zitat von Thomas Hobbes, der von „bellum omnium contra omnes“ gesprochen hat, also von der Auseinandersetzung jeder gegen jeden. Das ist das, was wir derzeit in der Großen Koalition erleben: beim BKA-Gesetz, bei der Auseinandersetzung um die Abstimmungsregeln im Bundesrat und - das liegt schon etwas länger zurück bei der Maßnahme, die Sie vorhin so gepriesen haben, nämlich bei der Forderung, Sprachkenntnisse beim Ehegattennachzug nachzuweisen. Dazu hat der Kollege Edathy, immerhin Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages, gesagt - ich werde dies nie vergessen -, er stimme dem Gesetz zu, hoffe aber, dass das Bundesverfassungsgericht es aufheben wird. ({2}) Das ist symptomatisch für den Zustand der Großen Koalition. Herr Minister Schäuble, Sie haben in der letzten Ausgabe des Stern eines sehr richtig gesagt und damit das eigentliche Stichwort für die heutige Haushaltsdebatte geliefert. Sie haben nämlich gesagt: Ich bin kein Anhänger der Großen Koalition … Sie ist vom System her falsch. Völlig richtig, füge ich hinzu. Ich zitiere Sie - am Ende des Interviews - noch einmal: Wir hatten gute Vorsätze, haben auch manches vorangebracht, aber es ist gut, wenn es vorbei ist. Dem stimmen wir wirklich zu. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Bürsch von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Max Stadler, ich darf darauf hinweisen: Die Legislaturperiode dauert noch bis zum 28. September 2009. ({0}) Bis dahin wird - so sage ich einmal voraus - diese Koalition mit diesem Innenminister und auch den Innenpolitikern der SPD ihre Pflicht tun ({1}) und versuchen, das umzusetzen, was wir uns in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen haben. Ich nehme die Debatte heute zum Anlass, drei Stichworte zu nennen, die uns beschäftigt haben und die uns in den nächsten neun bis zehn Monaten noch beschäftigen werden. Das sind die Stichworte „innere Sicherheit“, „Integration“ und „Datenschutz“. In aller Kürze zum ersten Stichwort, zur inneren Sicherheit. Es geht - das spielt auch in der Koalition eine Rolle - um den Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit. Das beschäftigt uns. Insofern, lieber Max Stadler, würde ich den Zustand der Koalition auch nicht beschreiben, als kämpfe jeder gegen jeden, sondern als das Ringen um den besten Weg. Da sehe ich allerdings uns und sogar die Opposition in der Verpflichtung. Der Innenminister hat in einer früheren Debatte etwas gesagt, was für mich Richtlinie ist und bleiben wird: Die Freiheitsrechte, die unser Grundgesetz verbürgt, bedürfen des Schutzes durch den Rechtsstaat, durch den freiheitlich verfassten Staat. Sie sind … ohne Gesetze nicht garantiert. Deswegen ist es notwendig, dass der freiheitlich verfasste Rechtsstaat die Grundrechte schützt. Wenn wir diese beiden Interessen, um die es geht - Freiheit und Sicherheit -, gegeneinander abwägen, dann kann es nicht sein, dass man sich im Zweifel entweder für die Sicherheit oder für die Freiheit ausspricht. Ich glaube, die richtige Beschreibung ist: Dies sind zwei Seiten derselben Medaille. Das gilt dann auch für die endgültige Verabschiedung eines Gesetzes über das Bundeskriminalamt. Die SPD ist jedenfalls der Meinung, dass wir ein solches Gesetz brauchen. ({2}) Das ist vor drei Jahren so beschlossen worden. Insofern geht es aus meiner Sicht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Dazu sage ich dem Innenminister allerdings: Es ist keine Majestätsbeleidigung, wenn von Länderseite gesagt wird: An der einen oder anderen Stelle haben wir durchaus noch Verbesserungsbedarf. - Das wird hoffentlich im Vermittlungsausschuss eine Rolle spielen. Das ist eine Institution, die wir im Grundgesetz vorgesehen haben. Diese soll jetzt bitte schön ihre Arbeit tun, und dann werden wir zum Beispiel darüber reden, ob wir den Richtervorbehalt generell einführen oder ob wir wirklich eine Eilfallregelung brauchen und an dieser Stelle nicht auch generell den Richter einsetzen. ({3}) Die Integration - das zweite Stichwort - ist eine Erfolgsgeschichte; daran möchte ich erinnern. Seit 2005 haben wir einen Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen. Das ist ein Quantensprung in der Integration gewesen. Es gibt seitdem 600 000 Teilnahmeberechtigungen und 200 000 Absolventen dieser Kurse. Das ist eine enorme Erfolgsgeschichte. Das hat nicht nur mit dem Erlernen der Sprache zu tun, sondern auch damit, dass wir damit gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Wir ermöglichen damit, dass Menschen, die aus einem anderen Land zu uns kommen oder länger bei uns sind, an unserem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben teilhaben können. Das bedeutet Sprache. Insofern freue ich mich über den Zuwachs an Mitteln. Meine Vorstellung wäre, Herr Innenminister, dass wir dahin zurückkehren, was wir 2005 an den Anfang gesetzt haben, nämlich über 200 Millionen Euro. Das ist eine Zahl, die wir, so glaube ich, verkraften können und die dem Anspruch gerecht wird, den dieses Thema verdient. Integration wird uns nicht nur in diesem und im nächsten Jahr nach Integrationsgipfeln beschäftigen, sondern nach meinem Verständnis mindestens das nächste Jahrzehnt. Dies muss uns beschäftigen, damit kein sozialer Sprengstoff entsteht, der uns und unsere Gesellschaft auseinanderreißt. ({4}) Drittes Stichwort in aller Kürze: der Datenschutz, der uns in den nächsten Wochen intensiv beschäftigen wird. Ich sage für alle, die sich mit dem Datenschutz nicht beschäftigen können: Was jetzt auf dem Wege ist, ist für mich ein enormer Sprung nach vorne. Ich kann nur hoffen, dass der Innenminister das umsetzt, was er am 4. September angekündigt hat. Ich nenne drei entscheidende Stichworte: Wir brauchen eine Einwilligung. Jedes Mal, wenn Daten genutzt werden, wenn mit ihnen gehandelt wird, brauchen wir eine Einwilligung der Betroffenen. Wir wollen Transparenz schaffen. Wir brauchen einen Überblick, was mit den Daten geschieht. Wir wollen die Wirtschaft dazu bringen, dass sie sich einer Überprüfung unterzieht. Das nennen wir Audit. Diese drei Stichworte sind enorm wichtig. Ich hoffe, dass sie in den kommenden Verhandlungen tatsächlich erhalten bleiben, Herr Minister; denn das ist das, was ein fortschrittliches Gesetz im Bereich des Datenschutzes mit sich bringen muss. Es bleibt eine Menge zu tun, lieber Max Stadler. Ich glaube aber, dass die Vorhaben, die gerade im Zusammenhang mit dem letzten Thema, Datenschutz, auf unserer Tagesordnung stehen, eine gemeinsame Anstrengung verdienen. Vielleicht ist sogar eine gemeinsame Anstrengung mit der Opposition möglich; denn der Datenschutz steht jetzt im Mittelpunkt. Nach dem Motto „Pack an“ wollen wir das Thema gemeinsam voranbringen. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mit meinem ersten Stichwort an die Rede des Kollegen Bürsch anschließen, allerdings nicht ganz so optimistisch enden wie er. ({0}) In den zurückliegenden Monaten hatten wir eine Serie von Datenschutzskandalen. Ich erinnere nur an Lidl, die Telekom und andere. Ihr Ausmaß ist noch nicht absehbar. Dann gab es im September einen sogenannten Datenschutzgipfel. Innenminister trafen sich mit Datenschützern. Bundesinnenminister Schäuble versprach danach: Noch im November wird der Bundestag über ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung beraten und entscheiden können. ({1}) Ich stelle fest: Der November ist so gut wie zu Ende, aber noch nicht ein einziger Datenschutzvorschlag der Regierung hat das Plenum erreicht. Ich finde das blamabel. ({2}) Die Linke bleibt bei ihrer Forderung: Wir brauchen ein neues Datenschutzrecht, ein Datenschutzrecht, das nicht nur private Verfehlungen ahndet, sondern auch den Staat in seiner Datengier zügelt. Wir brauchen ein Datenschutzrecht, das dem 21. Jahrhundert gerecht wird. ({3}) Dazu hat die Linke drei aktuelle Forderungen: Wir fordern ein Moratorium für alle elektronischen Großprojekte, die den Datenschutz gefährden können. Dazu gehört auch die elektronische Gesundheitskarte. ({4}) Wir fordern, dass die ausufernde Erfassung persönlicher Daten gestoppt wird. Dazu gehört vor allem die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten. Wir fordern, die Datenschutzbeauftragten endlich so auszustatten, dass sie handeln können. Dazu gehören mehr Autonomie, mehr Geld und mehr Personal. ({5}) Stimmen Sie unserem Antrag heute zu, dann können wir einen ersten Schritt gehen. Zweites Stichwort: BKA-Gesetz. Die Linke hat bekanntlich gegen das BKA-Gesetz gestimmt. Dafür gab und gibt es viele Gründe im Detail. Vor allem aber halten wir das BKA-Gesetz für einen weiteren Schritt auf dem Weg vom demokratischen Rechtsstaat zum präventiven Sicherheitsstaat. Diesen Weg lehnt die Fraktion Die Linke ab. Wenn Bundesländer ihre Entscheidung heute korrigieren - es ist ja richtig, Herr Bundesinnenminister, dass diese damals der Föderalismusreform zugestimmt haben -, dann begrüßt die Linke das. Ich denke, wir sollten als Politikerinnen und Politiker überhaupt gelegentlich zeigen, dass wir Fehler im Nachhinein korrigieren können, wenn wir sie erkannt haben. ({6}) Damit bin ich bei meinem dritten Stichwort: Bundespolizei. Die Bundespolizei wurde und wird in großem Stil umgebaut. Dazu hatten wir hier im Bundestag mehrere Debatten. Ich will sie nicht wiederholen. Ein Grund für die Reform der Bundespolizei war ganz offensichtlich: Sie soll immer häufiger und zahlenstärker zu Auslandseinsätzen geschickt werden. Aktuell sind Einsätze gegen die Piraterie vor Somalia im Gespräch. Über den Sinn dieser Einsätze will ich jetzt nicht sprechen. Mir geht es um etwas Grundsätzliches: Jeder Bundeswehreinsatz im Ausland braucht ein Mandat des Bundestages. Die Bundespolizei braucht dies nicht. Ich halte das für widersinnig. Deshalb fordert die Linke einen Parlamentsvorbehalt des Bundestages auch bei Einsätzen der Polizei im Ausland. Das ist überfällig. ({7}) Damit bin ich bei meinem vierten Stichwort: Rechtsextremismus. Wir haben hier jüngst über das Gift des Antisemitismus gesprochen. Wir wissen, auch beim Rechtsextremismus gibt es keinerlei Entwarnung. Allein die Zahl der offiziell registrierten Straf- und Gewalttaten mit einem rechtsextremen Hintergrund ist nicht hinnehmbar. Entsprechend größer ist übrigens noch die Zahl der Opfer. Der organisierte Rechtsextremismus versucht planmäßig und mit langem Atem, Terrain zu gewinnen, inmitten der Gesellschaft. Das ist eine akute Gefahr für die Demokratie, häufig auch für Leib und Leben. Gemessen daran sind die Bundesprogramme für Vielfalt, Demokratie und Toleranz geradezu leichtsinnig kurzatmig und unzureichend. Deshalb fordert die Linke, die bestehenden Programme zu überprüfen. Wir müssen mehr denn je auf Prävention statt auf Reaktion zielen. Vor allem müssen die Programme auf Dauer angelegt sein. Das können Sie heute unterstützen, indem Sie unserem Antrag, ein Sonderprogramm einzurichten, zustimmen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei der Betrachtung des Zahlenwerks des Haushaltes fällt zunächst die augenscheinlich erhebliche Steigerung der Etatmittel für das Bundesinnenministerium um mehr als 10 Prozent auf. Betrachtet man die Zahlen allerdings genauer, so relativiert sich diese Steigerung schnell, und es wird deutlich, dass die tatsächliche Steigerung äußerst moderat ist. Die Kollegin Piltz von der FDP-Fraktion hat jüngst bei der BKA-Debatte und heute wieder moniert, die Etatmittel seien zu gering angesetzt. Insbesondere im Bereich des Bundeskriminalamtes seien nach ihrer Auffassung erheblich mehr Mittel nötig. Ich ermuntere Sie und Ihre Fraktion, im nächsten Jahr bei den Beratungen zum Haushalt 2010 mit dafür zu sorgen, dass hier tatsächlich noch mehr Mittel eingestellt werden. ({0}) Von den insgesamt 554 Millionen Euro, um die der Einzelplan wächst, muss man bei realistischer Betrachtung zunächst die haushaltsneutralen Positionen abziehen. - Wenn Sie sich weiter unterhalten wollen, kann ich meine Rede gern unterbrechen. ({1}) - Sie stören mich sehr. Ebenso muss man die Mehrkosten für die Umsetzung der Tarif- und Besoldungserhöhungen abziehen. Wenn man dies alles abzieht, bleiben von den 554 Millionen Euro lediglich etwas mehr als ein Drittel, also nur noch rund 200 Millionen Euro, an Steigerung übrig. Diese verhältnismäßig geringe Steigerung ist aber unabdingbar, um die unbestritten notwendigen Mehrausgaben tätigen zu können. Denn unsere Aufgabe ist es, jedem einzelnen Bürger dieses Landes ein Leben in Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen. Freiheit ist jedoch ohne Sicherheit nicht denkbar. ({2}) Um dieses Ziel zu erreichen, stehen im Haushalt 2009 für die Bundespolizei 206 Millionen Euro mehr zur Verfügung als im Jahr 2008. Hierdurch werden insbesondere die Kosten für die Neuorganisation der Bundespolizei und die Aufwendungen für die Auslandseinsätze gedeckt. Der Stärkung im Bereich der Terrorbekämpfung dient insbesondere die Umsetzung des jüngst vom Parlament verabschiedeten BKA-Gesetzes, wofür im vorliegenden Haushalt die dafür notwendigen Mittel bereits zur Verfügung gestellt werden. Erlauben Sie mir, bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung zu dem Verhalten einiger Landesverbände der SPD zu machen. ({3}) - Ich habe es nicht nur aufgeschrieben, ich weiß es auch so. Nach den Diskussionen, die sich hier im Parlament über anderthalb Jahre hingezogen haben, nach umfangreichen Sachverständigenanhörungen und intensiver Beratung mit dem Koalitionspartner wurde ein Ergebnis in Form eines Gesetzentwurfes erzielt, der von Herrn Wiefelspütz als Jahrhundertgesetz bezeichnet wurde und dem die große Mehrheit des Bundestages zustimmt. Ich finde es unsäglich, dass dieser Gesetzentwurf nun von einzelnen Landesverbänden, genauer gesagt von einigen Jungsozialisten, infrage gestellt wird. ({4}) Ich kann nur die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass wir in den offensichtlich notwendig werdenden Vermittlungsausschusssitzungen rasch zu einem befriedigenden Ergebnis gelangen. Jeder Tag, der weiter ins Land geht, ohne dass wir dem Bundeskriminalamt die notwendigen Kompetenzen in seinem Kampf gegen den Terror geben, erhöht die Anschlagsgefahr in unserem Land. ({5}) - Ja, zu Recht. Im Haushalt sind nunmehr auch hinreichend Mittel vorgesehen, um die zugegebenermaßen schwierige Einführung des BOS-Digitalfunks weiter voranzutreiben. Es darf keine Zeit verloren gehen, wenn wir verhindern wollen, dass unsere Polizeikräfte nur unzureichend ausgestattet sind und nicht mit der technischen Entwicklung Schritt halten können. Besonders hervorheben möchte ich aber auch die zusätzlichen Mittel von 1,6 Millionen Euro für Fahrzeuge, Geräte und Ausrüstungsgegenstände des Technischen Hilfswerks. Dies unterstreicht unser Anliegen, in diesem wertvollen ehrenamtlichen Bereich des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes alles zu tun, um das Technische Hilfswerk auch in Zukunft auf dem gleichen hohen technischen Niveau zu halten. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern aller Bereiche - nicht nur des Technischen Hilfswerks - für ihre uneigennützige Arbeit bedanken. Ebenfalls der Sicherheit dienen die zusätzlich bereitgestellten 3,9 Millionen Euro, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für seine Arbeit im Bereich Kryptografie erhält. Ohne die schnelle Entschlüsselung kodierter Nachrichten von Terroristen ist ein effektiver Kampf gegen den Terror nicht denkbar. Gleiches gilt für den Bereich der organisierten Kriminalität. Ein Thema liegt mir noch besonders am Herzen. Ich spreche von der Notwendigkeit, die Erfolge der Integrationsbemühungen dieser Bundesregierung weiterzuführen. Die eingeführten Integrationskurse sind ein Erfolgsmodell. Das wurde bereits erwähnt. Durch die erfreuliche Erhöhung der Teilnehmerzahlen werden zusätzliche Mittel benötigt. Dies zeigt, dass das Thema Integration bei der CDU auf Bundes- wie auf Länderebene gut aufgehoben ist. Entscheidend zu dieser positiven Entwicklung hat mein Kollege in Nordrhein-Westfalen, Herr Minister Armin Laschet, als bundesweit erster Landesminister für Integration beigetragen. ({6}) Der zusätzliche Finanzbedarf für Integrationskurse beträgt rund 19,3 Millionen Euro. Wir meinen, dass das sowohl für die Besucher der Integrationskurse wie auch für unsere Gesellschaft insgesamt gut angelegtes Geld ist. Im Jahr 2009 werden wir uns neben den hier angesprochenen Themen sicherlich auch noch schwerpunktmäßig der Verbesserung des Datenschutzes widmen müssen. Der notwendige Datenschutz darf allerdings nicht dazu führen, dass diejenigen, die in der Vergangenheit redlich mit Daten umgegangen sind und dies in Zukunft sicherlich auch tun werden, durch kriminelle Handlungen Einzelner bestraft werden und hierdurch ganze Geschäftsbereiche mit Hunderttausenden von Beschäftigten in Existenznot gebracht werden. Schließen möchte ich mit der Feststellung: Der Haushalt bietet die Grundlage dafür, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande auch künftig sicher fühlen können. Wir können mit Fug und Recht sagen, dass wir auch mit diesem Haushalt die Freiheit in unserem Lande weiterhin gewährleisten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das Wort die Kollegin Dagmar Freitag von der SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Bettina Hagedorn hat schon darauf hingewiesen, dass im Einzelplan 06 auch die Zahlen der Spitzensportförderung des Bundes zu finden sind. Ich bin froh sagen zu können, dass es sich einmal mehr um einen Sporthaushalt handelt, der sich aus unserer Sicht sehen lassen kann. Wir können erneut einen erheblichen Aufwuchs verzeichnen - und das in Zeiten, wie sie schwieriger kaum sein könnten. Mein ausdrücklicher Dank hierfür gilt den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, insbesondere meiner Kollegin Bettina Hagedorn und dem Kollegen Carsten Schneider, die einmal mehr verlässliche Partner des Sports waren. ({0}) Mein Dank gilt auch Ihnen, Herr Minister Schäuble, sowie Ihrem Kollegen Steinbrück. Ohne Ihre Unterstützung wären wir vielleicht nicht dort, wo wir sind. Aber auch das Parlament hat seine Hausaufgaben gemacht. Gestatten Sie mir daher bitte einige Anmerkungen zu den finanziellen Mitteln, die wir sozusagen on top ausgehandelt haben. Es ist uns gemeinsam gelungen - allerdings auf Initiative meiner Fraktion -, dafür zu sorgen, dass für die Stiftung Deutsche Sporthilfe einmal mehr 1 Million Euro bereitgestellt werden. ({1}) An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass es hierfür im außerpolitischen Bereich durchaus Widerstände zu überwinden galt. Gestatten Sie mir die persönliche Bemerkung: Das finde ich ziemlich merkwürdig. ({2}) Mit der Förderung unserer Spitzenathletinnen und Spitzenathleten übernimmt die Stiftung Deutsche Sporthilfe eine wesentliche Aufgabe im deutschen Sport. ({3}) Dafür verdient und bekommt sie auch im Jahre 2009 unsere Unterstützung. ({4}) Ein deutlicher Hinweis: Diese Maßnahme soll und darf kein Signal an bisherige und vor allen Dingen an künftige Sponsoren der Sporthilfe sein, sich jetzt entspannt zurückzulehnen. Nein, die Sporthilfe ist und bleibt unsere gemeinsame Aufgabe. Mit der Bereitstellung von 400 000 Euro für die Entsendung unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den World Games in Taiwan hat das Parlament ein gewolltes oder ungewolltes Versäumnis von BMI und/oder DOSB geheilt. Wie Sie sehen, betreibe ich keine Ursachenforschung in der Tiefe. Wichtig ist heute die Botschaft an die nichtolympischen Verbände, dass wir ihre Teilnahme an den World Games finanziell sichergestellt haben. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Olympischen Spiele in Peking sind Geschichte. London 2012 liegt vor uns. Wir hätten uns bei den Olympischen Spielen in Peking in einigen Sportarten, auch in der Leichtathletik, ein besseres Ergebnis gewünscht. ({6}) Mehr Geld sei vonnöten, war anschließend eine der Hauptforderungen. Es stellt sich allerdings die Frage nach der Verwendung zusätzlicher Mittel. So ist zum Beispiel die Bedeutung der Sportwissenschaft unter Fachleuten völlig unbestritten. Unsere Institute, IAT und FES, leisten in den Bereichen der Trainingswissenschaft und der Entwicklung von Sportgeräten anerkannt gute Arbeit. Daher ist es richtig, auch hierfür zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. ({7}) Natürlich geht die sportwissenschaftliche Forschung über den von mir gerade genannten Bereich deutlich hinaus. Die Mitglieder des Sportausschusses, die an der Delegationsreise nach Japan teilgenommen haben, konnten sich dort über den Stellenwert und die enorme finanzielle Förderung der Sportwissenschaft informieren. Ich denke, die Forderung nach mehr Geld ist auch im Hinblick auf den deutschen Sport unverzichtbar. Nur so ist der erforderliche Wissenstransfer zu gewährleisten. Ich bedaure, dass wir uns mit unserem Koalitionspartner nicht über die Förderung einer wegweisenden und auf London 2012 ausgerichteten sportwissenschaftlichen Forschung verständigen konnten, auf ein Projekt, das zuvor die ausdrückliche Unterstützung der Sportsprecher aller Fraktionen bekommen hatte. An dieser Stelle wäre es vernünftig gewesen, dem Sachverstand der Sportpolitiker zu folgen. In der kommenden Sitzungswoche werden wir uns im Sportausschuss erneut mit dem Thema Sportwissenschaft beschäftigen. Ich sage nicht ohne Grund: Für Eifersüchteleien zwischen den Protagonisten ist kein Platz mehr. Auch im Hinblick auf die Sportwissenschaft muss unser Ziel sein, den vor uns liegenden Weg gemeinsam zu gehen. Noch eine kurze Anmerkung zum Änderungsantrag der Linken, die Mittel für das Sonderförderprogramm „Goldener Plan Ost“ um 18 Millionen Euro zu erhöhen. Hier ist eine interessante Entwicklung zu beobachten: Im vergangenen Jahr haben Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen ebenfalls einen Änderungsantrag zum Programm „Goldener Plan Ost“ eingebracht. Damals forderten Sie eine Erhöhung der Mittel auf „nur“ 10 Millionen Euro, allerdings auch eine Ausweitung des Plans auf alle Bundesländer. Heute greifen Sie noch ein wenig tiefer in die Schatulle und fordern einen Aufwuchs der Mittel auf 20 Millionen Euro, jetzt allerdings ausschließlich für die neuen Bundesländer. Ganz offensichtlich wissen Sie selbst nicht, was Sie wollen. Für solche Anträge - mal so, mal so - können Sie nicht ernsthaft unsere Zustimmung erwarten. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen insgesamt fünf Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11030? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11031? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11032? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11027? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/11028? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt II.7: Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 16/10415, 16/10423 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte Ulrike Flach Anna Lührmann Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ulrike Flach von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesumweltminister hat im nächsten Jahr so viel Geld zur Verfügung wie noch nie irgendein Umweltminister vor ihm, ({0}) nämlich 1,4 Milliarden Euro. Und die Koalitionsfraktionen waren auch noch so gütig und haben noch 94 Millionen Euro obendrauf gelegt. Dieses Geld stammt aber zu mehr als einem Drittel aus den Einnahmen aus dem Verkauf der Emissionszertifikate. 460 Millionen Euro der insgesamt 900 Millionen Euro Einnahmen landen beim Umweltminister. Das sind die haushalterischen Fakten, und hier teilen sich dann auch die politischen Welten. Sie, Herr Gabriel, verteilen die Einnahmen aus der Veräußerung von Verschmutzungsrechten nach Gutsherrenart und ihrem politischen Gusto, die FDP gibt den Bürgern das Geld zurück. ({1}) Wir wollen die Bürger mit den 900 Millionen Euro entlasten, indem wir die Stromsteuer absenken. ({2}) Herr Minister, man kann eben nicht mit dem Finger auf die Stromkonzerne zeigen, wenn der Staat selbst den Bürgern im letzten Jahr gleichzeitig 6,4 Milliarden Euro Stromsteuer aus der Tasche gezogen hat. ({3}) 900 Millionen Euro weniger Stromsteuer, das wäre eine spürbare Entlastung für die Bürger und Unternehmen und natürlich auch ein Beitrag zur Konjunkturbelebung, über die wir heute Morgen ja so heftig gestritten haben. Sie, Herr Gabriel, sagen uns dagegen, dass Sie die Einnahmen für den Klimaschutz verwenden. Der Haushaltsausschuss war bereits so misstrauisch - und zwar über alle Fraktionsgrenzen hinweg -, dass er Ihnen auferlegt hat, jedes Projekt mit einem Umfang von über 5 Millionen Euro vorher dem Ausschuss vorzulegen. Ich habe mir dann den Spaß gemacht, die Projekte mit einem Umfang von unter 5 Millionen Euro auch noch einmal extra abzufragen. Offensichtlich mit Recht: Der Klimaschutz ist bei Ihnen zu einem Nebenprodukt der Industriepolitik verkommen. Viele der Projekte, die Sie im Ausland anschieben, haben wenig Klimaschutzwirkungen, zumal ihre Überprüfung nicht sichergestellt ist. ({4}) In der Vorlage haben Sie so verschämt dazugeschrieben: „enthält auch Elemente der Exportförderung“. Lieber Herr Gabriel, das ist Außenwirtschaftsförderung und hätte an erster Stelle im Haushalt von Herrn Glos und weniger bei Ihnen etwas zu suchen. Was übrigens den inländischen Bereich betrifft: Das sind Subventionen pur. Ist es wirklich Aufgabe des Staates - fragen die Liberalen -, Pilotanlagen für die Industrie zu finanzieren, wie beispielweise eine Verzinkungsanlage für Stahlseile oder eine Anlage zur Wiederverwertung von Gummireifen? Ist es Aufgabe des Bundes, für den Flugplatz in Köthen eine Biogasanlage zu finanzieren oder für die Gemeinden dieses Landes Laternen zu sanieren? Warum - das frage ich ganz gezielt die Haushälter der CDU/CSU-Fraktion, die ja so wie wir immer gerne die Auffassung vertreten, Subventionen an dieser Stelle nicht vorzusehen ({5}) erhält Köthen mit einer Einsparung von 3 000 Tonnen im Jahr 777 000 Euro, während für die Verzinkungsanlage bei einer Einsparung von 486 Tonnen aber 1 Million Euro gewährt werden? Das hat doch mit Einsparung von CO2 rein gar nichts zu tun. Das scheint nicht im Zentrum Ihres Handelns zu liegen. Das ist Subvention pur, für wen auch immer, Herr Gabriel. ({6}) Fazit: Das Integrierte Klima- und Energieprogramm klingt gut, ist nach Meinung der FDP in seiner Wirkung aber mehr als zweifelhaft. Dies ist umso schmerzhafter, als das von Ihnen selbst in Auftrag gegebene Element des IKEP, die Umstellung der Kfz-Steuer auf CO2, auf die lange Bank geschoben wurde. Hiermit könnte man nach Ihren eigenen Studien immerhin einen volkswirtschaftlichen Gewinn von 360 Euro pro Tonne CO2 erzielen. Aber gerade hier hat die Koalition mit dem Konjunkturprogramm und der unsinnigen und ökologisch wie ökonomisch wirkungslosen Steuerbefreiung für Neuwagen klimapolitisch gesündigt. Die CSU - wenn ich das richtig verstehe - mit Horst Seehofer an der Spitze will diese Klimaziele, so weich sie auch sind, auch noch aufweichen. ({7}) Der Bundesumweltminister hat seine neue Rolle als Füllhorn der Subventionen gefunden. Ich finde, das ist ein schönes Bild für Herrn Gabriel. Auch sein eigener Wahlkreis wird mit einer 30-Millionen-Spende für entgangene Gewerbesteuereinnahmen aus dem atomaren Endlager bedacht. Da frage ich mich, wie viele Regionen es wohl in diesem Lande gibt, die unter ähnlich guten Bedingungen in Zukunft leben könnten. Der Wahlkreis von Herrn Gabriel kriegt es bezahlt, die anderen nicht. Das ist nun wirklich Subvention im eigenen Sinne pur. ({8}) Wer so offen Subventionspolitik als Umweltpolitik verkauft, lieber Herr Kelber, kann mit der Unterstützung der FDP nicht rechnen. Wir werden Ihrem Haushalt nicht zustimmen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Andreas Weigel von der SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Weigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003656, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen sind genannt worden. Das Volumen des Haushalts des Umweltministeriums steigt um 477 Millionen Euro. Allein 460 Millionen Euro gehen in die Klimaschutzinitiative. Gemessen an dem, was wir zurzeit im Rahmen der Finanzmarktkrise an Mitteln aufwenden, ist das natürlich ein bescheidener Betrag. Aber mit diesem Programm und diesem Geld bringen wir eine durchdachte und, wie ich meine, zukunftsweisende Klimapolitik auf den Weg. Wir zeigen damit, dass wir über die Tagespolitik hinaus Ziele und Themen formulieren, die nachhaltig wirken und Bestand haben. Wenn ich mir die Presse des heutigen Tages vor Augen halte, dann stelle ich fest, dass es um Themen geht, über die man über den Tag hinaus diskutieren muss und die man nicht dem Populismus preisgeben darf, indem man kurzerhand fordert, bei den Klimazielen, die man sich gesetzt hat, den einen oder anderen Weg nicht mehr einzuschlagen, um zum Beispiel der Automobilindustrie gegenüber Zugeständnisse zu machen. Ich halte das für außerordentlich problematisch. ({0}) Das Klimaschutzprogramm des Umweltministeriums gibt keine einfachen Antworten. Es gibt aber Lösungen, die, wie ich meine, langfristig durchaus hilfreich und wichtig für unser Land sind. Im Bereich der industriellen Fragen diskutieren wir über Programme zum Beispiel zur Fernwärmeversorgung, bei der wir im Bereich der CO2-Einsparung erhebliches Potenzial haben. Es gibt Projekte, die für unser Land wichtig sind, die Modellcharakter haben und die wir ausweiten müssen. Damit setzen wir durchaus ein Zeichen für unsere Klimaschutzinitiative. In der ersten Beratung des Haushaltes wurde stark bemängelt, dass wir im Bereich der Klimaschutzinitiative im Jahr 2008 zu wenig getan haben. Frau Flach hat auf diese Kritik hingewiesen, die von ihrer Fraktion mehrfach vorgebracht worden ist. Ich habe mich noch einmal gründlich mit den Zahlen befasst und bin der Überzeugung, dass wir im Jahr 2008 durchaus richtig gehandelt haben. Wir haben aus haushälterischer Sicht seriös und richtig entschieden, zuerst die Programme und damit auch die Förderrichtlinien für die Klimaschutzinitiative zu besprechen und festzulegen, bevor wir dafür Geld zur Verfügung stellen. Wir haben die Mittel im Sommer dieses Jahres zur Verfügung gestellt, und die Zahlen sprechen für sich. Im Bereich des Marktanreizprogramms sind immerhin 245 Millionen Euro der zur Verfügung stehenden 350 Millionen Euro ausgebracht worden. Für Projekte und Programmdurchführungen wurden 40 Millionen Euro von 70 Millionen Euro ausgebracht. Das ist zwar nicht alles, aber gemessen an dem Zeitraum, den wir zur Verfügung hatten, nämlich insgesamt nur ein halbes Jahr, eine beachtliche Zahl. Das Ministerium mit Sigmar Gabriel an der Spitze hat, wie ich meine, gut und richtig gearbeitet. Wir Haushälter haben eine seriöse und solide Entscheidung getroffen. ({1}) Es geht bei der Klimaschutzinitiative darum, einzelne Modellprojekte im Inland wie im Ausland anzustoßen und mit diesen Projekten einen deutlichen Multiplikationscharakter zu entwickeln, mit dem wir - ob in China oder Russland, bei der internationalen Klimaschutzinitiative oder auf nationaler Ebene - dazu beitragen, dass sich viele dazu bereit erklären, ebenfalls ähnliche Projekte auf den Weg zu bringen. Das hat nichts mit Subventionen zu tun; es sind vielmehr Vorreiterprojekte, die für uns, unser Land und die Klimaschutzinitiative wichtig sind, weil sie die eingesetzten Mittel deutlich verstärken. Ich glaube, dass wir im Jahr 2009 mit insgesamt 600 Millionen Euro viel Geld für die Klimaschutzinitiative zur Verfügung haben. Insgesamt werden 460 Millionen Euro der 600 Millionen Euro im Haushalt des BunAndreas Weigel desumweltministeriums eingeplant. 140 Millionen Euro gehen an andere Ministerien. Das ist im Kabinett so beschlossen worden. Ich glaube, diese Entscheidung ist für das Jahr 2009 grundsätzlich richtig. Aber wir müssen darauf achten, dass andere Ministerien, die Geld aus der Klimaschutzinitiative erhalten, diese Mittel auch tatsächlich für eine konzertierte Klimaschutzinitiative des Bundes einsetzen, statt sie für eigene Projekte zu verwenden, die nicht abgestimmt sind. Ich plädiere für eine intensive Abstimmung in diesem Bereich. ({2}) Wir werden im nächsten Jahr genau darauf achten, ob die Abstimmung erfolgt. Andernfalls müssen wir uns sicherlich noch einmal damit befassen. Ich bin der Auffassung, dass die Verantwortung für den Haushalt und damit auch für die Klimaschutzinitiative beim Bundesumweltministerium liegt. Ein weiteres großes Thema für den Haushalt 2009 ist die Übernahme des Schachtes Asse als Endlager. Wir haben die Mittel aus dem Bundesministerium für Forschung und Entwicklung an den Haushalt des Bundesumweltministeriums übertragen. Damit ist die Grundlage dafür geschaffen, dass das Ministerium die Lösung der Endlagerproblematik Asse ordentlich und seriös angehen kann. Wir wissen aber schon heute genau, dass diese finanzielle Grundlage von fast 90 Millionen Euro, die wir eingesetzt haben, nicht ausreichen wird. Wir werden im kommenden Jahr sehr intensiv darüber diskutieren, wie hoch die finanziellen Aufwendungen sein werden, die wir für den Schacht Asse erbringen müssen. Ich plädiere sehr dafür, dass diese Aufwendungen nicht zu zusätzlichen Lasten für das Bundesumweltministerium werden, sondern aus dem Gesamthaushalt finanziert werden. Ich glaube, dass wir mit dem Haushaltsentwurf 2009 eine solide Grundlage geschaffen haben, insbesondere im Hinblick auf die internationale Klimaschutzinitiative, die an die Ergebnisse von 2008 anknüpft und hoffentlich in den nächsten Jahren ihre Wirkung entfalten wird. Ich möchte mich bei allen Berichterstattern zu diesem Thema, beim Bundesumweltministerium und bei allen anderen bedanken, die an der Vorbereitung mitgewirkt haben. Ich wünsche dem Ministerium viel Kraft, Glück und Erfolg bei der Ausbringung der Mittel im Jahr 2009. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich habe eine sehr wichtige Frage an Sie. Man kann das Bundesumweltministerium nicht losgelöst von den anderen Ministerien betrachten, sondern nur im Zusammenhang. Frau Flach hat schon daran erinnert: Als es im Haushaltsausschuss um das Klimaschutzprogramm ging, haben die Koalitionsfraktionen peinlich genau darauf geachtet, dass der Verkehrs- und der Wirtschaftsminister eingebunden sind. Es ging so weit, dass sogar 100 000-Euro-Projekte im Haushaltsausschuss behandelt und abgesegnet werden mussten. Meine Frage lautet nun: In dem Klimaschutzprogramm geht es um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Waren Sie ebenfalls in die Beratungen über das milliardenschwere Konjunkturprogramm eingebunden, durch das der CO2-Ausstoß mit Millionen gefördert wird? ({0}) - Ich möchte genau das wissen. Es gab Verstimmungen zwischen Herrn Glos und der Kanzlerin, ob er bei der Bewältigung der Bankenkrise eingebunden werden sollte. Meine Frage richtet sich an Herrn Gabriel. Wenn man den Haushaltsentwurf 2009 einschließlich des Konjunkturprogramms betrachtet, dann kann man nur feststellen, dass von Klima- und Umweltschutz beim besten Willen keine Rede mehr sein kann. ({1}) Die Ausgangslage war: Die Kanzlerin hat sich hier im Haus als Klimaschützerin präsentiert und hat von Notwendigkeiten und moralischer Verantwortung gesprochen. Sie hat auf der Klimaschutzkonferenz im September letzten Jahres in New York gesagt, der Klimaschutz sei ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft und für sie eine moralische Notwendigkeit. Man muss sich die Zahlen genau anschauen und bedenken, dass Ihr Ministerium, Herr Gabriel, eines der zukunftsträchtigsten Ministerien sein könnte. Sie haben den höchsten Zuwachs bei den Einnahmen aufgrund der Erlöse aus dem Zertifikatehandel und die höchste Ausgabensteigerung aufgrund des Klimaschutzprogrammes zu verzeichnen. Vor einem Jahr hat sich die Summe 400 Millionen Euro vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe gewaltig ausgenommen. Immerhin sind es dieses Jahr 460 Millionen Euro. Aber diese Summe nimmt sich vor den milliardenschweren Konjunkturprogrammen geradezu lächerlich aus. In diesen Programmen spielt der Klimaschutz keine Rolle. Ich darf daran erinnern, dass im Rahmen des Konjunkturprogramms 550 Millionen Euro allein für den Bau von Autobahnen und Bundesfernstraßen an Direktinvestitionen ausgegeben werden. Das sind 90 Millionen Euro mehr als für das Klimaschutzprogramm. ({2}) Die Kfz-Steuer wird unter bestimmten Umständen ganz einkassiert. Lediglich 5 Millionen Euro werden für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt. Deswegen frage ich Sie: Wie waren Sie in die Verhandlungen eingebunden? Man fragt sich, wo die kreativen Gedanken zur Umweltpolitik geblieben sind, von denen man so viel gehört hat. Wo sind die ergriffenen Chancen? Wo ist die nachhaltige Investitionspolitik in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz? Optionen gäbe es zuhauf. Ich erinnere an die CO2-Gebäudesanierung, den Ausbau der KraftWärme-Kopplung, den Ausbau der Stromnetze, die Forschung im Bereich der regenerativen Energien oder den Ausbau des Schienennetzes. Damit komme ich zum nächsten Punkt. Wir haben uns in letzter Zeit oft mit dem Schienennetz befasst. Dafür sind lediglich 170 Millionen Euro an Direktinvestitionen vorgesehen. Es ist wirklich unglaublich: Die Bahn kümmert sich derzeit nur um den Börsengang und die Bonizahlungen, aber um die Verkehrsanbindung kümmert sich die Bahn nicht. ({3}) Ich möchte dafür ein Beispiel nennen. Chemnitz ist nach allen Prognosen ein aufstrebender Wirtschaftsstandort, Chemnitz hat eine viertel Million Einwohner, aber Chemnitz ist die einzige Stadt in Deutschland in dieser Größenordnung, die nicht an das ICE-Netz angeschlossen ist. Wenn Sie das nachprüfen wollen, können Sie sich gerne mit dem Wirtschaftsminister von Sachsen, Ihrem Parteikollegen Herrn Jurk, unterhalten. Der hat genau dies heute in der Freien Presse moniert. Im Übrigen ist nicht nur Chemnitz vom Fernverkehr abgekoppelt, sondern ganz Sachsen. Man kommt mit dem ICE nicht von der Bundeshauptstadt in die Landeshauptstadt Dresden. Nach Chemnitz führt nicht einmal eine Direktverbindung der Deutschen Bahn. ({4}) Wenn diese schwarz-rote Regierung jetzt Milliarden in die CO2-Schleuder Auto investiert, dann ist das Klimaschutzprogramm das Papier nicht wert, auf dem es steht. Herr Minister Gabriel, wenn die anderen Ministerien, ohne sich mit Ihnen abzusprechen, so viele Millionen in den Straßenverkehr investieren können, Sie aber auf der anderen Seite für jede Million, die Sie für den Klimaschutz ausgeben wollen, das Okay von Wirtschafts- und Verkehrsminister einholen müssen, dann würde ich mir an Ihrer Stelle den Kopf darüber zerbrechen, wie hoch der Stellenwert des Klimaschutzes bei der Kanzlerin tatsächlich ist. Meine Fraktion kann jedenfalls unter diesen Bedingungen diesem Haushalt auf gar keinen Fall zustimmen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Natürlich haben die Ereignisse auf den Finanzmärkten den Bundeshaushalt verändert. Das ist selbstverständlich. Aber ich möchte eines ganz deutlich sagen: Trotz der Finanzkrise wird beim Klimaschutz nicht gespart. Das noch einmal klar zu Ihnen von der Opposition! ({0}) Die Zahlen wurden genannt. Es handelt sich um einen Haushalt von 1,4 Milliarden Euro für 2009. Das sind über 570 Millionen Euro mehr als 2008. Daran sieht man die Bedeutung dieses Haushalts. Es ist auch zu einer Verstetigung gekommen. Darüber haben wir in der letzten Zeit sehr oft diskutiert. Es kam zu einer Verstetigung bei klimaschützenden Programmen. Als Beispiel nenne ich das Marktanreizprogramm. Schon im letzten Jahr wurden die Mittel dafür erhöht, aber jetzt haben wir auch die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit der Durchführung dieser Aufgabe betraut sind, verbessert. Befristungen wurden abgeschafft, was deutlich zeigt, dass das Marktanreizprogramm keine befristete Aufgabe ist. Vielmehr ist und bleibt die Förderung der erneuerbaren Energien eine Daueraufgabe. ({1}) Ich möchte etwas zum Naturschutz sagen. Es ist der Bundesregierung gelungen, im Rahmen der G-8-Präsidentschaft das Thema Biodiversität ganz oben zu platzieren. Bei der Vertragsstaatenkonferenz in Bonn ist ein weltweiter Aufbruch zum Schutz der Natur gelungen, ({2}) und die Regierung hat eine nationale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossen. ({3}) Deshalb ist es auch richtig, dass wir dahinterstehen, und deshalb ist es richtig, dass das Bundesamt für Naturschutz in diesem Bereich personell verstärkt wird. ({4}) Ich möchte einen Punkt ansprechen, bei dem wir besonders verantwortungsbewusst sein müssen, nämlich die Endlagerung radioaktiver Stoffe. Die Linke stellt während der Haushaltsberatungen immer wieder Anträge mit dem Standardsatz: Die Linke lehnt die Einrichtung des Endlagers Konrad ab. Dann gibt es eine Presseerklärung mit dem Inhalt, die Asse müsse ausgeräumt werden. Ich glaube, das war die von Herrn Hill. Man muss den Menschen deutlich sagen, dass die Abfälle da sind, ({5}) natürlich aus Atomkraftwerken, aber auch aus der Industrie, der Forschung und der Medizin. Im Augenblick wird über verschiedene Optionen des Zurückholens diskutiert. Wenn man vorschnell das Ausräumen fordert, dann stellt sich die Frage: Wohin soll denn ausgeräumt werden? Da bleibt doch nur das Endlager Konrad. Sie sind doch völlig auf dem falschen Dampfer, wenn Sie beides nicht wollen. ({6}) Eine konstruktive und verantwortungsvolle Politik - ich hoffe, Sie kennen diese Begriffe überhaupt - sieht ganz anders aus. Ich möchte darauf zu sprechen kommen, dass die Forschungsministerin und der Umweltminister eine Lösung für die Probleme der Asse erarbeitet haben. ({7}) Das Ergebnis fließt in diesen Bundeshaushalt ein, Frau Flach. Das Umweltministerium übernimmt die finanzielle und personelle Verantwortung. Mittel aus dem Forschungshaushalt werden in den Umwelthaushalt umgeschichtet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bergwerks werden von dem neuen Betreiber übernommen. Auch das ist, finde ich, richtig und wichtig. Zusätzlich werden über 4 Millionen Euro investiert und 80 neue Stellen beim Umweltministerium und beim Bundesamt für Strahlenschutz geschaffen. Das ist ein starkes Signal, dass die Sorgen der Menschen ernst genommen werden und dass jetzt zügig an einer Lösung gearbeitet wird. ({8}) Ich möchte sagen, was für mich bei den Endlagern an erster Stelle steht: die Sicherheit. ({9}) Ich möchte die Frage stellen, ob sich der Bund an Unternehmen, die Endlager bauen oder betreiben, stärker beteiligen sollte. Dadurch würden viele Probleme, die jetzt noch da sind, gelöst. ({10}) - Sie sind zwar Hauptberichterstatter, aber das haben Sie gerade nicht verstanden. ({11}) - Ja. In den vergangenen Wochen haben wir uns sehr intensiv mit dem Rettungspaket für den Finanzmarkt beschäftigt; deshalb möchte ich auch das noch ansprechen. Wir haben in den Debatten klargestellt: Da geht es nicht um einen Rettungsschirm für Banken oder Banker; dieser Schirm soll vielmehr dazu dienen, die Sparerinnen und Sparer nicht im Regen stehen zu lassen. Außerdem soll er dazu dienen, dass die Wirtschaft so stabil wie möglich bleibt. Das ist der Sinn dieser Angelegenheit. ({12}) Ich meine, auch beim Klimaschutz stehen die Menschen im Mittelpunkt. Die Arbeitsplätze haben die höchste Priorität. Auch wenn man das kurzfristig sieht - andere sehen das vielleicht langfristig -, steht das an erster Stelle. In diesen Tagen wird auf europäischer Ebene über die Zukunft des Emissionshandels verhandelt. Ich freue mich, dass zwischen den betroffenen Ministerien, Umwelt und Wirtschaft, eine Einigung hergestellt worden ist. Ich hoffe, das ist früh genug geschehen; denn besonders die Bereiche Stahl, Papier und Chemie sind gefährdet, je nachdem, was bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene herauskommt. Auch andere Branchen könnten davon sehr betroffen sein, zum Beispiel in meiner Heimat die Zementindustrie. Wir müssen dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit auch der energieintensiven Industrien, also derjenigen Industrien, die zwangsläufig einen hohen CO2-Ausstoß haben, keinen Schaden nimmt. ({13}) Uns ist überhaupt nicht geholfen, wenn unsere effizienten, effektiven Industrien mit möglichst geringem CO2-Ausstoß durch bestimmte Maßnahmen dazu gezwungen werden, ihren Standort zu verlagern. ({14}) Davon hat das Klima in der Welt überhaupt nichts, und wir haben hier nur Nachteile. Deshalb wünsche ich der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel sehr viel Erfolg. Danke. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wir müssen alles tun, um das Klimaproblem zu lösen“ - ein richtiger und wichtiger Satz, den ich häufig von Kanzlerin Merkel und Umweltminister Gabriel hörte. Ich frage mich aber, warum Sie dann nicht alles tun, um das Klimaproblem zu lösen, Herr Umweltminister. Der Neubau von Kohlekraftwerken zementiert den Ausstoß klimaschädlicher CO2-Emissionen über Jahrzehnte. Gemeinsam mit der Kanzlerin kämpfen Sie in Brüssel dafür, dass deutsche Autos auch in Zukunft möglichst viel Sprit saufen dürfen. Die deutsche Automobilindustrie wird aber doch nicht am Spritschlucker genesen. Die Spitze der Uneinsichtigkeit kommt gerade vom neuen bayerischen Ministerpräsidenten, Herrn Seehofer. Er hat allen Ernstes behauptet, dass Jobs wichtiger seien als Klimaschutz. Er übersieht, dass Klimaschutz Arbeitsplätze schafft. Haben Sie, Herr Seehofer, Frau Merkel, Herr Gabriel, immer noch nicht begriffen, warum General Motors, der ehemals größte Automobilkonzern der Erde, aktuell vor dem Konkurs steht und seit Monaten Zehntausende von Arbeitslosen produziert? Jahrzehntelang haben die Konzernmanager ökologische Grundsätze missachtet. Sie haben übersehen, dass wegen der Endlichkeit der Erdöl20318 ressourcen die Preise so stark steigen werden, dass viele Menschen den Sprit für die klimazerstörenden Autos gar nicht mehr bezahlen können. Was wir endlich brauchen, sind erdölfreie Null-Emissions-Autos und eine klare politische Unterstützung dafür statt halbherziger Maßnahmen der Großen Koalition. ({0}) Der neu gewählte Präsident der USA, Barack Obama, hat dies klar erkannt. Er stellt in den Mittelpunkt seines Konjunkturprogramms: Schulen und erneuerbare Energien. Das ist richtig so; dies sind genau auch die grünen Vorschläge. Auch im heute zu verabschiedenden Umweltetat können wir erkennen, dass die Große Koalition nicht alles tut, um Klimaschutz zu leisten. Es ist ein Etat, der hohe Altlasten aus den Atomenergiesünden der Vergangenheit zu bewältigen hat, der nur halbherzig die Chancen der erneuerbaren Energien aufgreift und der immer noch am alten, fossilen Energiesystem festhält. Im Bundeshaushalt 2009 soll allein für die Endlagerung in der Asse mit 90 Millionen Euro fast das Dreifache der Mittel für die Windenergieforschung - sie soll vom BMU gerade mal 35 Millionen Euro erhalten - ausgegeben werden. Angesichts der Kostenentwicklung ist anzunehmen, dass allein für die Asse bald mehr Mittel ausgegeben werden als für die Erforschung aller erneuerbaren Energieträger zusammen. Wenn wir die gesamten Energiekosten der alten Atomanlagen und der Endlager zusammenrechnen, wird klar: Für die Bewältigung der atomaren Vergangenheit zahlen wir bereits heute ein Vielfaches der Mittel, die wir für Forschung und Entwicklung sämtlicher erneuerbaren Energien und Einspartechnologien zusammen ausgeben. Und dann reden Sie von der Union immer noch von billiger Atomenergie! ({1}) Die Atomkonzerne hingegen drücken sich weitgehend um ihre Verantwortung. Die gleichen Konzerne wollen ihre Kohlekraftwerke in den nächsten Jahren mit Milliarden subventionieren lassen. Bundeswirtschaftsminister Glos hat bereits 1,7 Milliarden Euro zugesagt. SPD und Union setzen dabei blind auf eine Kohletechnologie, die heute noch nicht einmal zur Verfügung steht. ({2}) Sie kehren die Probleme in Machbarkeitsutopien für sogenannte saubere Kohle unter den Boden. ({3}) Real stoßen auch die neuen Kohlekraftwerke Millionen von Tonnen CO2 in die Atmosphäre, und daran ändern auch die PR-Konferenzen von Vattenfall nichts. Der Umweltminister und der Finanzminister setzen stattdessen auf Steuererhöhungen für reine Biokraftstoffe, die wesentlich ökologischer hergestellt wurden als die Biokraftstoffe, die von den Mineralölkonzernen im Hinblick auf den Beimischungszwang benötigt wurden; dafür wurden Urwälder abgeholzt, und das kann nicht das Ziel sein. ({4}) Mit der Besteuerung der reinen Biokraftstoffe haben Sie eine wichtige ökologische Alternative zum Erdöl im Keim zerstört - und gleichzeitig Tausende heimische Arbeitsplätze im Mittelstand. Das ist Ihre Antwort auf die Rezession. Wer heute noch auf Erdöl setzt, sei es in der Automobilindustrie oder im Heizungsbau, dem ist nicht zu helfen. Über die vielen Millionen Euro, die Umweltminister Gabriel dazu missbraucht, dass aus dem Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien stinknormale Ölbrennwertkessel subventioniert werden, freuen sich nur die Mineralölkonzerne; das schadet den Verbrauchern - über hohe Energiekosten - und dem Klima. Anstatt auf knappe Energieträger und veraltete Technologien zu setzen, müssen wir bis 2030 unsere Stromversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen. Das ist realistisch und möglich, allen Argumenten der Energiekonzerne zum Trotz. Wenn wir dies anstreben, tun wir im Energiesektor wirklich alles, um das Klima zu schützen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst das Wichtigste machen, nämlich mich bei den Koalitionsfraktionen dafür bedanken, dass sie etwas mitgemacht haben, was nicht selbstverständlich ist. ({0}) Dass in einer solchen Situation die Große Koalition - Sie wissen, Geld macht bekanntlich sinnlich - die Einnahmen aus dem Emissionshandel jedenfalls zum ganz überwiegenden Teil dem Bundesumweltministerium für Klimaschutzpolitik zur Verfügung gestellt hat, zeigt, dass die Große Koalition bereit ist, sich im Umweltsektor und in der Klimaschutzpolitik große Ziele zu setzen. Diese hat sie ja auch zum Teil schon erreicht. Vielen Dank, meine Damen und Herren, dass Sie hierzu bereit waren. ({1}) Ich bedanke mich auch in aller Offenheit dafür, dass Sie akzeptiert haben, dass die Wahrnehmung immer weiterer Aufgaben zum Beispiel bei der Chemikaliensicherheit und der Reaktorsicherheit bedingt, dass der Personalabbau in einer Reihe unserer Behörden nicht fortgesetzt werden kann, sondern es im Gegenteil nötig ist, zusätzliches Personal bereitzustellen. Auch das ist in solchen Zeiten nicht selbstverständlich. Ich glaube, dass man auch als Minister und Teil der Regierung an dieser Stelle dem Parlament zu danken hat. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber im Wesentlichen ein paar der Scheinargumente aufgreifen, die eben Herr Fell und Herr Leutert vorgetragen haben. Ich fange einmal mit Herrn Leutert an. Ich akzeptiere, dass nicht jeder den Unterschied zwischen Verpflichtungsermächtigungen und Barmitteln kennt, aber ein Mitglied des Haushaltsausschusses sollte diesen kennen. ({2}) Im Haushalt, Herr Leutert, steht - das stimmt -, jeweils plus 1 Milliarde in 2009 und 2010 für die beschleunigte Umsetzung von Verkehrsinvestitionen. Das sind, wie wir beide wissen, seit wir die Grundschule besucht haben, wie viel zusammen? 2 Milliarden Euro. Was steht weiterhin dort? Plus 3 Milliarden Euro in 2009 und 2010 für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Sie haben eben der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag schlicht Unfug erzählt, es sei denn, Sie sind der Meinung, dass 3 Milliarden weniger sind als 2 Milliarden. Dann allerdings müsste ich die Vermutung, Sie hätten die Grundschule besucht, doch noch revidieren. ({3}) - Nein, der Unterschied, den Sie nicht erkannt haben, ist der Unterschied zwischen Barmitteln und Verpflichtungsermächtigungen. Aber vielleicht kann man das im Haushaltsausschuss noch einmal in Seminarform nachholen. ({4}) - Ja, gut, okay. Versuchen Sie, es noch einmal zu überprüfen. Weiterhin sagten Sie, im Konjunkturprogramm stehe nichts drin. Ich antworte Ihnen: Unter anderem steht da drin: Zusätzliches KfW-Finanzierungsinstrument mit einem Volumen von 15 Mrd. Euro. Dazu zählt zum Beispiel die Absicherung der hohen Investitionen in Offshore-Windparks, deren Betreiber natürlich auch in Schwierigkeiten geraten sind. Ich kann das noch ein bisschen fortsetzen. Ich wollte nur einen Hinweis darauf geben, dass das Halten einer schlanken Rede nicht unbedingt zwingend etwas mit der Realität zu tun hat. Nun komme ich zu den Ausführungen des Kollegen Fell. Neben allen notwendigen Unterschieden möchte ich Ihnen insbesondere sagen, dass ich glaube, dass Sie zu den Rednern des Deutschen Bundestages gehören, die das EU-Klima- und Energiepaket auf internationalen Veranstaltungen - hier treten Sie ja auch als Redner auf massiv hintertreiben und damit dazu beitragen, dass unsere Verhandlungen über den Emissionshandel kaum öffentliche Unterstützung erfahren. Im internationalen Bereich fordern Sie sogar das Gegenteil dessen, wozu wir aufgefordert wurden, uns weltweit in Verhandlungen einzusetzen, nämlich die Durchsetzung eines starken Emissionshandels. In Ihren Redebeiträgen erwähnen Sie den Emissionshandel mit keinem einzigen Wort. Ich weiß auch, warum. Würden Sie den Emissionshandel erwähnen, würde sich Ihre Kohlediskussion in Luft auflösen, und zwar in schlechte. ({5}) Ein starker Emissionshandel begrenzt die Emissionen. ({6}) Ich weiß, dass Sie gerne vergessen machen wollen, dass während der Zeit, in der Ihre Partei an der Regierung beteiligt war, die CO2-Emissionen um ganze 2 Millionen Tonnen gesenkt wurden. Dagegen haben wir sie bis zum 1. Januar 2008 um fast 60 Millionen Tonnen gesenkt. Der Emissionshandel führt dazu, dass die Zahl der Kohlekraftwerke keine Auswirkungen auf die Menge der CO2-Emissionen hat, sondern nur auf den Preis von CO2. Darüber wollen Sie nicht mehr reden. Sie möchten das verschweigen. ({7}) Ich sage Ihnen: Würden wir das tun, was Sie wollen - leider setzen Sie sich dafür ja öffentlich international ein -, würden wir das europäische Klima- und Energiepaket wirklich gefährden. Sie gehören nicht mehr zu den Verteidigern des europäischen Klima- und Energiepakets. ({8}) - Doch, sonst würden Sie das Wort „Emissionshandel“ ja einmal in Ihren Reden aussprechen. Das tun Sie nicht, stattdessen führen Sie eine Schein-Kohledebatte, die mit der Realität nichts zu tun hat. ({9}) Zweitens. Derzeit verhandeln 27 Mitgliedstaaten über CO2 und Pkw. Ich sage Ihnen, wir kommen zu einer Regelung. 120 Gramm CO2 sind ab 2012 die Obergrenze. Wir streiten nun noch über die Frage, ob es im Jahr 2012 65 Prozent oder 100 Prozent der Pkw sind. Spätestens 2015 sind es 100 Prozent. Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass eine möglichst kostensparende Einführung in der Automobilindustrie das Klimaproblem schafft? Ich verstehe den Ärger darüber, dass man das nicht früher gemacht hat. Unterschätzen Sie aber nicht, welche Bedeutung es hat, dass wir gerade beschließen, im Jahr 2020 95 Gramm vorzugeben, also der Industrie zu sagen, wo sie hin soll. Es gibt 27 Mitgliedstaaten, wodurch es einige Schwierigkeiten gibt. Wenn Sie für eine Erdölfreiheit eintreten, dann müssen Sie entscheiden, wofür Sie sind. Sind Sie für Biokraftstoffe oder - wie in anderen Reden im Bundestag dagegen? ({10}) Wir setzen auf die Steuerfreiheit der zweiten Generation von Biokraftstoffen bis zum Jahr 2015. Das müssten Sie doch wissen. Wir reden aber nicht über die Rapsmühle des Bäuerleins, ({11}) sondern wir reden über Hochtechnologie. Das ist eben nicht unser Fehler. Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Konkurrenz zwischen Tank und Teller nicht immer weiter ausbreitet. Sie verschweigen völlig, dass die Bundesregierung eine Nachhaltigkeitsverordnung beschlossen hat und dass die Europäische Union gerade dafür sorgt, dass diese europaweit eingeführt werden soll, damit der billige Import von Palmöl und Sojaöl aufgrund der Abholzung von Regenwäldern nicht stattfindet. All das verschweigen Sie. ({12}) Sie sind immer präzise bei 50 minus 1 Prozent der Wahrheit unterwegs. Sie liegen stets 1 Prozent unter der Hälfte der Wahrheit. Ich finde, das muss man im Deutschen Bundestag einmal sagen. Das gilt auch für die Debatte, die Sie über die Frage führen, wofür wir eigentlich Geld ausgeben. Sie haben gerade behauptet, das Bundesumweltministerium würde im Marktanreizprogramm für Öl-Brennwertkessel Geld ausgeben. Sie verschweigen hier, dass dies nur in Kombination mit erneuerbarer Wärme funktioniert und dass dies das einzige nachgefragte Programm in der Altbausanierung ist, das im Handwerk Jobs erhält und dazu führt, dass wir unabhängiger von Erdöl und Erdgas werden. Das ist wieder weniger als die Hälfte der Wahrheit. ({13}) Das ist Ihre Politik, weil das für Sie die einzige Chance ist, öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen. Sonst müssten Sie zugeben, dass Sie froh wären, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit auch nur die Hälfte dessen erreicht hätten, was die Große Koalition hier erreicht hat. Das ist eigentlich das, was Sie aufregt. ({14}) Ich verstehe das, ich habe dafür ein gewisses Maß an kollegialem Verständnis. Sie müssen aber damit rechnen, dass Ihnen widersprochen wird. Zu der Bemerkung der Kollegin Flach möchte ich sagen: Der Bundeshaushalt beinhaltet im Bereich der Klimapolitik eine Steigerung von rund 800 Millionen Euro im Jahr 2005 auf jetzt über 3 Milliarden Euro. Vor allem aber steigert er im Umweltschutzbereich die Ausgaben von 4 Milliarden Euro auf 5,5 Milliarden Euro. Im Bundesumweltministerium liegt hierbei der größte Anteil im Marktanreizprogramm. Ich wundere mich darüber, wie eine Vertreterin einer angeblich wirtschaftsfreundlichen Partei darüber spricht. Dieses Marktanreizprogramm hat zur Folge, dass im nächsten Jahr im Bereich von Klimaschutz und Energieeffizienz eine Investition von 4 Milliarden Euro erfolgt. Das sind 4 Milliarden Euro in den Haushalten in Deutschland. Das ist ein massives Programm. Die Deutsche Bank sagt, dass dies das größte Programm zur Stabilisierung der Beschäftigung im Handwerk ist. ({15}) Von daher verstehe ich Ihre Kritik an diesem Punkt nicht. Zu einer Steigerung der Mittel des Bundesumweltministeriums auf mehr als das Doppelte und zu einer Steigerung der Mittel für Klima- und Umweltschutz im Bundeshaushalt um rund 40 Prozent kann man schon sagen, dass dies ein großer Erfolg der Großen Koalition ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist. ({16}) Ich glaube, dass wir als Große Koalition mit den rund 30 Gesetzen und Verordnungen zum Klimaschutz, mit dem Erreichen und zum Teil Übertreffen der deutschen Klimaschutzziele im Kioto-Protokoll bereits im Jahr 2010, mit einem Minus von 36 Prozent CO2-Emissionen im Rahmen des Integrierten Klima- und Energieprogramms, mit dem EEG, mit dem Wärme-EEG, mit der Kraft-Wärme-Kopplung, mit der Energieeinspeiseverordnung und mit vielem anderen mehr zu Recht sagen können: Deutschland ist europaweit und international das einzige Land, das es geschafft hat, damit zu beginnen, seine ehrgeizigen Ziele in tatsächliche Politik umzusetzen. Ich sage nicht, dass das das Ende dessen ist, was wir erreichen müssen. Ich sage nicht, dass wir nicht noch mehr tun könnten. Ich sage nicht, dass wir damit in Zukunft zufrieden sein können. Gelegentlich muss man aber denen, die in Bürgerinitiativen und in Umweltverbänden dafür eintreten, dass man solche Politik macht, auch einmal signalisieren, dass ihr Eintreten erfolgversprechend gewesen ist und dass sie Mut haben sollen, weiterzumachen, die Politik und die Wirtschaft dazu zu drängen. Man muss ihnen sagen, dass man damit Erfolg haben kann. Wenn man alles immer nur in Grund und Boden redet, macht man den Menschen keinen Mut. Ich finde, es gibt guten Grund, gerade jetzt weiter in Klimaschutz und Effizienztechnologien zu investieren; denn das schafft Arbeitsplätze, sichert nachhaltiges Wachstum und schützt das Leben zukünftiger Generationen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Leutert.

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, meine Schulausbildung war recht gut. Ich habe zehn Jahre die Polytechnische Oberschule und dann das Gymnasium besucht. Ich kann sehr wohl rechnen und auch lesen. Ich möchte daran erinnern: Nicht wir von der Linken sind diejenigen gewesen, die gesagt haben, 0 Prozent Mehrwertsteuererhöhung plus 2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung sind 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung, sondern das waren Ihre Regierung, Ihre Koalition, Ihre Fraktionen. ({0}) So weit zum Rechnen; das können wir ganz gut. ({1}) Zweitens zum Lesen. Ich habe nicht von den Ausgaben in diesen Bereichen gesprochen, sondern von den zusätzlichen Ausgaben im Konjunkturprogramm. Dazu gibt es eine Drucksache - die Drucksachennummer reiche ich Ihnen gern nach -, in der ausdrücklich steht: Förderung von Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung „CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ der KfWFörderbank: 0 in 2009, Verpflichtungsermächtigung 580 Millionen Euro; Zuschüsse im Rahmen des Programms zur energetischen Gebäudesanierung „CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ der KfW-Förderbank: Ausgaben in Höhe von 5 Millionen Euro in 2009, Verpflichtungsermächtigung ebenfalls 5 Millionen Euro. Das habe ich hier erwähnt und nichts anderes.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Herr Minister.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Kollege Leutert, Sie haben gesagt, dass wir Verkehrsinvestitionen von mehreren Milliarden Euro tätigen würden und dass lediglich 5 Millionen Euro auf zusätzliche Klimaschutzmittel beim Gebäudesanierungsprogramm entfielen. Ich stelle noch einmal fest: Es gibt einen Unterschied zwischen Barmitteln - die für die Verkehrsinfrastruktur aufgewendet werden - und Verpflichtungsermächtigungen; sie betreffen Programme in der Gebäudesanierung, die, wie bisher auch, über acht Jahre laufen. Diese Haushaltssystematik müsste Ihnen klar sein. In den Jahren 2009 bis 2011 sind insgesamt 3 Milliarden Euro mehr für die CO2-Gebäudesanierung vorgesehen. Wenn ich mich richtig an meine Grundschulzeit erinnere, dann sind 3 Milliarden 1 Milliarde mehr als 2 Milliarden. Das wollte ich klarstellen. Sie haben einen Eindruck vermittelt, von dem ich meinte, dass man ihn richtigstellen muss, und ich glaube, das ist auch gelungen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert: Man konnte den Umweltminister zu den meisten Dingen, die er in Richtung der Grünen gesagt hat, nur beglückwünschen. ({0}) Ich bin gespannt, wie Sie als SPD nach der nächsten Bundestagswahl mit einer Fraktion koalieren wollen, die das Klimaprogramm der Europäischen Union hintertreibt. Das war eine sehr starke Aussage, die der SPD zu denken geben sollte. ({1}) Auch inhaltlich hat der Minister natürlich völlig recht, wenn er den Emissionshandel als zentralen Punkt des Klimaschutzprogramms der Europäischen Union darstellt. Wir sollten uns noch einmal klarmachen, was der Emissionshandel bringt. Er bringt eine effiziente Umsetzung der Klimaschutzziele. Vor allem aber - das sollte in dieser Umweltdebatte besonders interessieren - ist der Emissionshandel das einzige Instrument, das qua Definition das Ziel erreicht, weil schlichtweg nicht mehr Emissionsrechte ausgegeben werden, als man für ökologisch verträglich hält. Deshalb ist der Emissionshandel so wichtig für die Umwelt und nicht nur für die Wirtschaft. ({2}) Deshalb wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, wenn wir uns auch beim Thema Pkw etwas stärker konzeptionell Gedanken über den Emissionshandel machten. Denn würden wir den Verkehr in den Emissionshandel einbeziehen, würden die ökologischen Ziele auch hier automatisch erreicht, und wir könnten uns die enervierenden Diskussionen über 120, 125 oder 130 Gramm, die potenziell aus dem Auspuff kommen, sparen; denn dann würde tatsächlich das gedeckelt, was aus dem Auspuff kommt, und zwar je nach Fahrleistung und nicht nur potenziell. ({3}) Die Debatten, die momentan um den Emissionshandel in der Europäischen Union, auch in den Bundesländern, geführt werden, sind zum Teil nicht zielführend. Ich kann verstehen, wenn Bundesländer regionale Interessen haben. Auch mein Bundesland hat regionale Interessen angemeldet. Aber wenn beispielsweise Herr Wulff und Herr Schmoldt davon sprechen, man solle doch bitte die Entscheidung über das Klimapaket der EU verschieben, dann kann ich nur sagen, dass das nicht nur die Klimaschutzziele, sondern auch die Investitionssicherheit deutscher Unternehmen gefährdet. ({4}) Denn dieses Paket wird seine Wirkung erst 2013 entfalten. Dann befinden wir uns hoffentlich wieder in einer Aufschwungsphase. Die Unternehmen, die ihre Investitionen für die Zukunft planen, müssen aber schon heute Investitionssicherheit haben. Wenn sie diese Sicherheit jetzt nicht bekommen, dann werden sie die Investitionen verschieben müssen. Das wäre tatsächlich Gift für die Konjunktur. ({5}) Was den Emissionshandel angeht, so gibt es momentan in den Verhandlungen Entwicklungen, die ich aufgrund eines Vergleichs mit den Vorgaben, die der Deutsche Bundestag der Bundesregierung mit auf den Weg gegeben hat, ziemlich negativ finde. Beispielsweise schlägt Frankreich vor, dass 50 Prozent der Mittel aus den Versteigerungserlösen zweckgebunden sein sollen. Das hat nichts mit der Position zu tun, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, nämlich dass über das Versteigerungsaufkommen national entschieden wird. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie diese deutsche Position im Ministerrat durchsetzen. ({6}) Umweltpolitik ist mehr als nur Geld ausgeben. Deshalb ist die Tatsache, dass der Haushalt so groß ist wie noch nie zuvor, allein noch kein Beweis für eine gute Umweltpolitik. Man muss sich einmal anschauen, was bei den Dingen passiert, die kein Geld kosten und bei denen das Umweltministerium einfach seine Hausaufgaben machen muss. Sie haben die Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung angesprochen. Wir sind uns hier im Hause einig, dass in Blockheizkraftwerken kein Palmöl eingesetzt werden soll, das auf Flächen angebaut wird, auf denen vorher Regenwald zu finden war. Wir wollen Palmöl, das auf nachhaltige Weise gewonnen wurde. Das ist richtig. Sie sagen, dass die Biomasse-Nachhaltigkeitsverordnung im Kabinett verabschiedet wurde. Diese Verordnung ist aber nicht in Kraft getreten. Am 1. Januar tritt die EEG-Novelle in Kraft, und dann werden die Blockheizkraftwerke kein Palmöl mehr einsetzen können, weil sie nicht nachweisen können, dass dieses Öl aus nachhaltigem Anbau stammt. Sie treiben die Unternehmen in die Insolvenz, weil Sie es versäumen, hier entsprechende Übergangsregelungen zu treffen. ({7}) - Aber dann müssen Sie Übergangsregelungen treffen, wenn die Europäische Union Probleme macht. Das versäumt die Bundesregierung. ({8}) Hinsichtlich des CCS-Gesetzes müssen wir noch in dieser Wahlperiode Klarheit schaffen, wie die Pipelines, die das von Kohlekraftwerken abgeschiedene CO2 aufnehmen sollen, genehmigt werden können. Das ist nicht nur eine Frage der europäischen Verordnung, sondern auch eine Frage nationaler Gesetze. Hier muss die Bundesregierung zumindest skizzieren, wie ein nationales Gesetz aussehen soll, damit wir direkt nach Verabschiedung der entsprechenden europäischen Verordnung das Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode abschließen können. Hier vernachlässigt die Koalition momentan ihre Aufgaben, was die langfristige Sicherung einer CO2-armen Kohleverstromung angeht. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Jahr 2008 im Umweltbereich eine Vielzahl wichtiger Gesetze beschlossen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz waren für uns Umweltpolitiker sicher die beiden wichtigsten, aber auch die arbeitsintensivsten Gesetzesvorhaben. Ich denke, wir können mit den Ergebnissen unserer Arbeiten durchaus zufrieden sein. Deutschland hat seine Zusagen beim Klimaschutz mit konkreten Maßnahmen umgesetzt. Das, was wir auf Bali angekündigt haben, haben wir auch eingehalten. Klimapolitik findet nicht nur national statt. Auch Europa hat sich Ziele gesetzt und ein Maßnahmenpaket beschlossen, das in diesen Wochen zur Entscheidung ansteht. Europa muss international der Schrittmacher für den Klimaschutz bleiben. Das unterstützen wir nachdrücklich, und in diesem Sinne verhandelt die Bundesregierung in Brüssel. Allerdings kommt es bei der konkreten Ausgestaltung insbesondere des künftigen europäischen Emissionshandelssystems darauf an, dafür zu sorgen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht Schaden nimmt. Wettbewerbsnachteile für unsere Unternehmen - egal ob für die Automobilindustrie, die Stromerzeuger oder das produzierende Gewerbe - müssen verhindert werden. Es ist nicht die Zeit, in der Unternehmen zusätzlich Belastungen in Milliardenhöhe aus der Portokasse bezahlen können. ({0}) Es ist nicht akzeptabel, dass die Bürger zu den ohnehin hohen Strom-, Wärme- und Kraftstoffkosten weitere Belastungen aus einem unausgewogenen europäischen Klimapaket aufgebürdet bekommen. ({1}) Herr Minister Gabriel, passen Sie in Brüssel auf, dass Sie in Präsident Sarkozy nicht Ihren Meister in ökologischer Industriepolitik finden! Meine Damen und Herren, die Aufforderung, eine die Wirtschaft sowie die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen unterstützende Klima- und Umweltpolitik zu gestalten, geht nicht nur in Richtung Brüssel. Wir müssen auch in Deutschland dafür sorgen, dass umweltMarie-Luise Dött und klimapolitische Maßnahmen Innovationen fördern, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland stärken und so Arbeitsplätze sichern und neu schaffen. Herr Minister Gabriel, Sie erwecken in der Öffentlichkeit immer wieder den Eindruck, als gäbe es hier einen Automatismus: je mehr Umwelt- und Klimaschutz, desto besser für die Entwicklung der Wirtschaft. ({2}) Das mag für einzelne Maßnahmen und die bevorteilten Branchen wie zum Beispiel die erneuerbaren Energien gelten. ({3}) Diese haben dank der Novelle zum EEG und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes einschließlich des Marktanreizprogramms hervorragende Entwicklungsbedingungen, auch wenn die für uns alle allerdings nicht ganz billig sind. Aber das Geld ist gut angelegt; wir sind da einer Meinung. Nur, der Standort Deutschland lebt nicht allein von den erneuerbaren Energien. ({4}) Er lebt vom Maschinen-, vom Fahrzeug- und Anlagenbau, ({5}) von der Chemie, vom verarbeitenden Gewerbe und von Tausenden mittelständischen Unternehmen. ({6}) Wenn Sie in die Unternehmen gehen und sich ansehen, mit welcher Effizienz dort gearbeitet wird, welche Innovationen entstehen und wie ernst Umwelt- und Klimaschutz genommen werden, dann sehen Sie: Es ist eben nicht eine Old Economy, wie Sie sie zu Unrecht gern leichtfertig abtun. Auch wenn sie vielleicht keine Windmühlen oder Solarkollektoren herstellen, müssen wir klima- und umweltpolitische Maßnahmen so ausgestalten, dass diese Unternehmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden und das Gros der Arbeitsplätze sichern, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Unterstützung erhalten. Zusätzliche Kosten und mehr Bürokratieaufwand durch Umwelt- und Klimaschutz sind Gift für diese Unternehmen, die in einem knallharten internationalen Wettbewerb stehen. Effizienzgewinne, Beschäftigungseffekte, Kostenminderung und Bürokratieabbau müssen wieder stärker Prüfkriterien für Maßnahmen gerade auch im Umweltbereich sein. Das Umweltgesetzbuch ist beispielsweise ein Vorhaben in diesem Sinne. Kürzere, einfachere Genehmigungsverfahren für Investitionen mit weniger Bürokratie und weniger Zeitaufwand für Unternehmen, ohne die Umweltstandards abzusenken - das ist die Umweltpolitik, die dem Standort hilft. ({7}) Genau deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das UGB in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Das UGB hat das Potenzial, Innovationen und Investitionen zu stärken, und schafft mehr Rechtssicherheit auch in Bezug auf europäisches Umweltrecht. Damit unsere Unternehmen weiter investieren, brauchen sie diese Rechtssicherheit. ({8}) Ich möchte Ihnen gerne ein Beispiel nennen, das zeigt, wie es nicht geht, wie man statt Investitionssicherheit Investitionsattentismus erzeugt. Das ist uns im EEG bei den Pflanzenöl-Blockheizkraftwerken passiert. Ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld ist, Herr Minister, dass die Kommission noch keine Nachhaltigkeitsverordnung vorgelegt hat. Gleichwohl hatten wir Sie bereits frühzeitig im parlamentarischen Verfahren auf die Gefahren des Verlustes der Bonusvergütung für die bestehenden Pflanzenöl-Blockheizkraftwerksanlagen hingewiesen. Jetzt stehen viele Anlagen vor dem Aus und die Anlagenbetreiber vor dem wirtschaftlichen Ruin. Solche handwerklichen Fehler müssen in wirtschaftlich normalen Zeiten vermieden werden - und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erst recht. Ich bitte Sie nochmals, auch von diesem Platz aus: Legen Sie umgehend eine Übergangsregelung vor, um das Überleben der Anlagen zu sichern. Ich würde jetzt gerne noch etwas sagen, was ich aber leider wegen der abgelaufenen Redezeit nicht mehr sagen kann. Daher nur: Wir werden Sie in allem unterstützen, Herr Minister. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Hans-Kurt Hill hat jetzt das Wort für die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie in den Klimaschutz investieren? Die Linke fordert eine Aufstockung der Mittel für den Klimaschutz auf 4 Milliarden Euro. Das entspricht dem Gesamtpaket der Bundesregierung gegen die Finanzkrise. Das als Beispiel. Es hat den Anschein - Herr Kelber grinst so schön -, dass Christ- und Sozialdemokraten das Gegenteil von Klimaschutz wollen. Sie wollen eine Aussetzung der CO2-Senkung, sie wollen mehr Autobahnen, und sie wollen eine Kfz-Steuerbefreiung für Spritschlucker. „Grassierender Populismus“ titelt Die Zeit in der gestrigen Onlineausgabe einen Artikel zu den Vorschlägen der Wirtschaftsradikalen der CDU. ({0}) Dabei zeigt das Versagen der Finanzmärkte eines ganz deutlich, Herr Nüßlein: Wer auf kluge Energienutzung und anspruchsvollen Klimaschutz setzt, kommt durch die Krise und schafft Arbeitsplätze. ({1}) Leider hinkt die Bundesregierung beim Klimaschutz hinterher. Das belegt auch die „Leitstudie 2008“, von Bundesumweltminister Gabriel selbst in Auftrag gegeben. Darin wird der Koalition bescheinigt, dass, erstens, die Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung nicht ausreichen, zweitens, dass nach 2012 keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden dürfen und drittens, Herr Kelber, dass das ErneuerbareEnergien-Wärmegesetz nicht das Papier wert ist, auf dem es gedruckt steht. Warum setzen Sie nicht stärker auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien? Sie wollen mit dem Bau von Autobahnen das Klima retten. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Wer Klimaschutz ernst nimmt, der muss andere Prioritäten setzen. ({2}) Hier zwei Punkte, an denen sich meine Fraktion im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2009 für wirksamen Klimaschutz einsetzt: Erstens: Energieeffizienz. Kluge und sparsame Erzeugung und Nutzung von Energie führt am schnellsten zum Klimaschutz. Gleichzeitig zahlt sich Energieeffizienz bei den Bürgerinnen und Bürgern direkt aus und kann Energiearmut verhindern helfen. Die Linke fordert deshalb eine Energieeffizienzoffensive für dieses Land. Wir fordern neben gesetzlichen Vorgaben gegen Energieverschwendung einen Energiesparfonds mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Euro. Mit ihm können Maßnahmen zur Energieeinsparung gefördert werden. Davon haben alle etwas. Das führt zu Investitionen in allen Bereichen: bei den privaten Haushalten, den Unternehmen und bei der öffentlichen Hand. Der Energiesparfonds unterstützt zum Beispiel Handwerksbetriebe mit zielgerichteten Schulungsprogrammen. Er hilft aber auch armen Haushalten mit Klimaschecks, die beim Kauf besonders energiesparender Haushaltsgeräte einlösbar sind. Zweitens: erneuerbare Energien. Jetzt ist eine durchgreifende Förderung erneuerbarer Energien erforderlich. Je später Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden, desto höher sind die Kosten für die Volkswirtschaft. Lassen Sie uns die Geothermie stärker fördern. Wir brauchen mehr Mittel zur Erforschung und zum Ausbau von Speicher- und Netztechnologien. Die Linke fordert deutlich mehr Mittel bei Forschung und Entwicklung, die Förderung von Einzelmaßnahmen und Investitionsvorhaben für erneuerbare Energien. Wie lange wollen Sie noch auf den Klimakollaps warten? Mit diesem Haushalt haben wir die Chance, ein Zurückfallen beim Klimaschutz zu verhindern und zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Erklären Sie mir nicht, das sei nicht finanzierbar. Mit einem unserer Vorschläge für die Besteuerung von fossil- und uranbefeuerten Kraftwerken lenken wir die überzogenen Profite der Energieversorger direkt in die Hände der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Handwerksbetriebe. Frau Dött, wir sagen: Mehr Klimaschutz heißt mehr Beschäftigung. ({3}) Machen Sie einfach mit! Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Bärbel Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir die Rede von Herrn Gabriel eben aufmerksam angehört und muss sagen, dass ich überrascht war. ({0}) Normalerweise - auch wenn ich anderer Meinung bin als Herr Gabriel - finde ich, dass er gut redet. Heute hat er eine Rede gehalten, die gar nicht zu ihm gepasst hat: sehr unsouverän. Ich habe mich gefragt: Was hat der Mann? Wir haben erlebt, wie er zum Beispiel den Kollegen von der Linken attackiert hat. Das war eine Art, wie es ein Dorfschullehrer in den 60er-Jahren gemacht hat, und zwar mit dem Holzhammer drauf - bum, bum! -, und nicht wie ein moderner Lehrer, der er sonst ist. Seine Rede war also wirklich schlecht und diesem Parlament nicht angemessen. Das muss ich ehrlich sagen. So geht man miteinander nicht um. ({1}) Er hat zum Beispiel übertrieben aggressiv auf HansJosef Fell reagiert. Normalerweise macht er das nicht. Normalerweise ist er bei seinen Reden sehr souverän und auch sehr clever; Herr Gabriel ist eine Herausforderung. Aber heute war er schlecht. Da fragt man sich: Warum? Man muss nicht lange nach der Antwort suchen. Nächste Woche findet in Polen eine große Klimakonferenz statt. Normalerweise geht er für Deutschland mit breiter Brust - die hat er sowieso - dorthin und zeigt, was wir vorzuweisen haben. Wir in Deutschland machen viel für den Klimaschutz. Dieses Jahr hat er ein Problem. Denn was ist in Europa passiert? Genau das, was Europa leisten müsste, wenn es in Polen Gastgeber ist, nämlich ein gutes Klima- und Energiepaket auf den Weg zu bringen, zerbröselt. Es gleitet Gabriel weg. Die EU wollte dieses Klima- und Energiepaket im Oktober verabschieden. Es ist verschoben worden. Jetzt hat Europa gesagt: Okay, jetzt kann man vielleicht parallel zur Konferenz in Poznan noch etwas verabschieden. Auch das ist weggeglitten, weil das Europaparlament noch zustimmen muss. Ihnen gleitet die Grundlage weg, die zu einer guten Basis gehört, wenn man in Poznan etwas erreichen will. Deshalb sind Sie so aggressiv und unsouverän. ({2}) Warum? Dieses Energie- und Klimapaket der EU wird auch von der Bundesregierung, von Ihren Kollegen im Kabinett, zerstört, nicht von Hans-Josef Fell. Er ist gut und international unterwegs. Herr Glos und die Ministerpräsidenten der Länder zerstören dieses Paket und schwächen momentan die Position von Deutschland und damit auch die der EU. ({3}) Wenn Sie hören, wie die Umweltverbände mit Ihnen, mit der Bundesregierung heute ins Gericht gehen, dann können Sie das nicht einfach so platt abservieren, wie Sie es heute hier getan haben. Ich komme noch einmal auf den Emissionshandel zurück. Die entscheidende Frage lautet: Wie wird der Emissionshandel ausgestaltet? Wenn die Bundesregierung am Ende sagt, ein immer größer werdender Teil der Unternehmen bekommt Ausnahmen, bekommt die Zertifikate umsonst, werden Sie genau das nicht erreichen, was Sie hier immer fordern, nämlich einen guten Emissionshandel. Wenn ein immer größerer Teil dieser CO2Senkungen im Ausland mithilfe von CDM-Projekten erbracht werden soll, dann ist das eine Verlagerung der Probleme ins Ausland. Sie wollen hier weiter Ihre Kohlekraftwerke bauen und die Probleme ins Ausland verlagern. Das geht so nicht. ({4}) Wenn wir uns noch einmal den Bereich der Automobilindustrie anschauen, dann muss ich ehrlich sagen, Herr Gabriel, dass Sie hier eine Lachnummer abgeliefert haben. Die Automobilindustrie wollte schon heute bei dem Standard sein, den Sie jetzt für 2015 als Erfolg verkaufen. Das ist doch eine Lachnummer. 10 Gramm CO2Ausstoß kann man durch CO2-reduzierende Maßnahmen erbringen, zum Beispiel durch eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Was soll das denn? Stellen Sie sich einmal vor, dass Betreiber von Kohlekraftwerken demnächst eine Fotovoltaikanlage an den Schornstein hängen und als Ausgleich dafür weniger CO2-Zertifikate kaufen wollen. Diese Lösung wird momentan in der EU, angeschoben von der Automobilindustrie, diskutiert. Sie wirft uns um Jahre zurück. Was derzeit auf EU-Ebene beschlossen wird, ist das Gegenteil von Klimaschutz. ({5}) Außerdem ist die sechsmonatige Befreiung von der Kfz-Steuer, die Sie in der Großen Koalition vereinbart haben, der größte Unsinn, den man im Klimabereich machen kann. Der Besitzer eines kleinen klimaschonenden Autos spart 130 Euro, der Besitzer eines großen Porsche Cayenne, eines richtigen Klimavernichters, spart 1 800 Euro. ({6}) Diese Politik fördert diejenigen, die mit Klimaschluckern unterwegs sind. Diese Politik schadet dem Klimaschutz. Sie stehen für eine solche Politik. Das geht nicht. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. - Klimaschutz gefährdet keine Arbeitsplätze, sondern er schafft Arbeitsplätze, Frau Dött. Wir müssen aufpassen, dass Obama nicht an uns vorbeirennt und dass wir die Vorteile, die wir im Klimaschutz erreicht haben, nicht an andere verlieren, die straighter sind als die Bundesregierung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gehen Sie zu Ihren Ministerpräsidenten! Kämpfen Sie für Arbeitsplätze und Klimaschutz! Tun Sie nicht so, als ob Klimaschutz Arbeitsplätze zerstören würde. Das ist nicht der Fall. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Marco Bülow spricht jetzt für die SPDFraktion. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, als Erstes muss man festhalten - ich will die Zahl noch einmal nennen -, dass 460 Millionen Euro für den Klimaschutz vorgesehen sind. Davon sind 340 Millionen Euro für den nationalen Klimaschutz vorgesehen, in den wir gut investieren, was richtig ist, weil er Arbeitsplätze schafft, CO2 einspart und nachhaltiges Wachstum fördert. Ich glaube, dass man das zu Beginn festhalten sollte, bevor man zu den Einzelpunkten kommt. ({0}) Ich denke, dass man am Rande auch erwähnen kann, dass wir im Parlament mit der Unterstützung des Ministers dafür gesorgt haben, dass wir das Geld, das durch den Emissionshandel eingenommen wird, für den Klimaschutz ausgeben können. Ich möchte auf den Bereich des kommunalen Klimaschutzes eingehen, weil er heute noch nicht erwähnt worden ist und weil ich ihn für einen sehr wichtigen Beitrag innerhalb des Klimaschutzpaketes halte. Wir haben dafür 25 Millionen Euro vorgesehen. Vielleicht weiten wir das noch aus. In diesem Bereich gibt es eine Menge Potenzial, das Geld sinnvoll zu verwenden. Ich rate Ihnen, sich die Internetseite des BMU zum Thema kommunaler Klimaschutz anzusehen. Dort werden mehrere Projekte wie Schulen vorgestellt, an deren Beispiel deutlich gemacht wird, wie man das eingenommene Geld in der Kommune investieren kann, um Geld bzw. CO2 einzusparen, und wie man das Handwerk vor Ort stärkt. Ich würde auch jedem Abgeordneten empfehlen, sich zu Hause mit dem Oberbürgermeister oder den Politikern vor Ort zusammenzusetzen und zu beraten, wie man das Geld, das für den kommunalen Klimaschutz bereitgestellt wird, am besten und am sinnvollsten verwendet. Denn gerade in den Kommunen haben wir ein riesiges Potenzial, um in den Klimaschutz zu investieren, um das kommunale Handwerk zu stärken und um Arbeitsplätze direkt vor Ort zu schaffen. Das ist gerade in Zeiten, in denen wir in der Konjunktur Schwächen zu erwarten haben und dringend Arbeitsplätze brauchen, das beste Programm, das wir nutzen können. ({1}) Ich möchte an einen anderen Topf erinnern, auch wenn er nicht unseren Einzelplan betrifft. Die Mittel aus dem Topf, die für die Gebäudesanierung vorgesehen sind, lassen sich in diesem Zusammenhang gut kombinieren, denn auch mit diesen Mitteln wird in den Klimaschutz investiert. Dort sind, so glaube ich, die Potenziale gar nicht hoch genug einzuschätzen. Es gibt 186 000 öffentliche Gebäude, von denen jedes Jahr 24 Millionen Tonnen CO2 in die Luft gepustet werden. Allein die Energiekosten schlagen mit 3,5 Milliarden Euro jährlich zu Buche. Hier gibt es riesige Einsparpotenziale. In diesem Bereich brauchen wir das Geld, das wir für das Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt haben. An dieser Stelle sollten wir investieren. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Es gibt Kommunen, die einem Haushaltssicherungskonzept unterliegen und nicht so investieren können, wie sie wollen. In solchen Kommunen sagt der Regierungspräsident: Das geht nicht, weil ihr sparen müsst. - In Zukunft müssen wir es hinbekommen - das ist ein Aufruf an alle Kolleginnen und Kollegen, auch an mich selbst -, Möglichkeiten zu schaffen, damit auch diese Kommunen in den Klimaschutz investieren können. ({2}) Eine Anmerkung zu Herrn Kauch. Ich muss zugeben: Es passiert nicht häufig. Heute haben wir allerdings in vielen Punkten übereinstimmende Positionen. Daher möchte ich jetzt noch einen Aspekt aufgreifen, in dem wir nicht einer Meinung sind. Sie haben sich zur Nachhaltigkeitsverordnung geäußert. Was ihren Sinn betrifft, stimmen wir natürlich überein. Sie sollten in diesem Zusammenhang aber auch erwähnen, dass die Bundesregierung gerade dabei ist, eine nationale Verordnung zu erarbeiten. Ich denke, dass wir dabei zu einem guten Ergebnis kommen werden. Allerdings wird derzeit auch eine europäische Verordnung erarbeitet. ({3}) Auf europäischer Ebene ist man leider nicht so schnell wie wir in Deutschland. Ich hoffe, dass die deutsche Verordnung auf die europäische Ebene transferiert wird. Dann müssten wir nicht länger Palmöl und andere Öle verwenden, die nicht nachhaltig, sondern auf Kosten der Urwälder produziert wurden. Dann müssten wir auch die Zerstörungen der Wälder, von deren Ausmaß sich der Ausschuss ein Bild gemacht hat, nicht mehr hinnehmen. Ich glaube, was die Nachhaltigkeitsverordnung angeht, handelt es sich nicht um einen Fehler der Bundesregierung. Das Problem ist vielmehr, dass Europa an dieser Stelle noch nicht so weit ist wie wir in Deutschland. Nach dem Haushalt ist immer vor dem Haushalt. Deswegen sollten wir heute auch einen Blick darauf werfen, wie es in Sachen Emissionshandel in Zukunft aussehen wird. Von allen möglichen Seiten werden abenteuerliche Diskussionen darüber geführt, wofür das Geld, das wir durch den Emissionshandel eventuell einnehmen, verwendet werden sollte. Interessant ist auch, wer sich, obwohl er mit dem Emissionshandel eigentlich nichts zu tun hat, in diese Diskussionen einschaltet. Die SPD jedenfalls steht zu dem Beschluss, den dieses Haus im Mai dieses Jahres gefasst hat: Wir wollen die 100-prozentige Versteigerung der Zertifikate, ({4}) und wir wollen, dass das Geld, das dadurch eingenommen wird, zum überwiegenden Teil in den Klimaschutz in Deutschland und in den internationalen Klimaschutz investiert wird. Das ist eine Aussage, die nach wie vor Gültigkeit hat, welche Diskussionen auch immer hier geführt werden. ({5}) Frau Flach, das war die Antwort auf Ihre Forderung, die Energiesteuer zu senken. Indem Sie diese Forderung erheben, tun Sie nichts anderes, als den Leuten vorzumachen, dass sie davon profitieren. Davon profitieren aber nur diejenigen, die Aktien der großen Unternehmen haben. ({6}) Denn eines ist klar: Wenn die Energiesteuer gesenkt wird, dann werden die Unternehmen die Energiepreise erhöhen. Die Einsparkosten landen allerdings nicht beim Verbraucher. Dem Verbraucher käme allerdings zugute, wenn man in den Klimaschutz investierte. ({7}) Denn dann würden die Kosten sinken, und das Problem des Klimawandels würde sich verringern. Das sind die Gewinne, die wir erwirtschaften wollen, nicht das, was Sie hier vorgetragen haben. ({8}) Nicht nur abenteuerlich, sondern auch ärgerlich sind manche Aussagen, die in den letzten Wochen von Politikern fast aller Couleur - der Name eines Politikers ist schon erwähnt worden - zu hören waren. Herr Seehofer sagte, der Klimaschutz müsse jetzt hintangestellt werden, da im Augenblick wichtigere Dinge zu erledigen seien. Natürlich darf man die Finanzkrise und ihre Folgen nicht unterschätzen. Wenn man ein bisschen genauer hinsieht, stellt man aber fest: Der Klimawandel ist eine größere Gefahr. All denjenigen, die es immer noch nicht verstanden haben, sage ich: Investitionen in Klimaschutz und Umwelttechnologien führen zu Wachstum und schaffen Arbeitsplätze. Durch solche Investitionen werden weder Arbeitsplätze vernichtet noch wird dadurch das Wachstum negativ beeinflusst. Wir dürfen nicht kurzfristig, sondern wir müssen mittel- und langfristig denken; darauf sollten wir immer wieder hinweisen. ({9}) Und zudem - einige haben es gesagt; es wurde auch heute wieder Obama zitiert, aber viele andere in Deutschland sagen es Gott sei Dank auch -: Man muss die Krisen gemeinsam betrachten, das ist die Chance dieser Stunde. Wir müssen jetzt und auch in Zukunft investieren; die Grundlagen dafür schaffen wir mit dem vorliegenden Haushalt. Wir müssen Zukunftsinvestitionen tätigen: beim Klimaschutz, bei Umwelttechnologien, bei Bildung und Forschung und in den Bereichen, in denen wir gute Renditen erzielen und etwas zurückbekommen, in denen wir Arbeitsplätze schaffen, in denen wir CO2 einsparen und in denen in Deutschland Technologien entwickelt werden, bei denen wir Marktführer werden können, also in den Bereichen, die für die Welt immer wichtiger werden. Wenn wir ein solches Zusammendenken parteiübergreifend hinbekommen - ich weiß, dass es in jeder Partei Leute gibt, die das verstehen, und ich hoffe, dass es mehr und nicht weniger werden; das ist gerade in Zeiten einer Krise wichtig -, dann haben wir eine gute Chance, nicht nur bei den Klimakonferenzen in Poznan und im nächsten Jahr in Kopenhagen gut dazustehen, sondern auch Krisen wie die Finanzkrise zu bewältigen. Darauf hoffe ich. Den Anfang haben wir mit dem vorliegenden Haushalt gemacht. Klar ist: Die Diskussion über Zukunftsinvestitionen und Klimaschutz muss fortgesetzt werden. Ich lade alle herzlich ein, sich daran zu beteiligen. Danke schön. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ein bisschen hat mir der Kollege Fell vorhin ja schon leidgetan. Trotzdem, lieber Kollege, sage ich jetzt, dass ich Sie auch an einer anderen Stelle korrigieren muss: Barack Obama hat schon jetzt die Bereitstellung von 25 Milliarden Dollar für Notkredite für die Automobilindustrie in den USA angekündigt. Wir werden uns wundern und uns noch umschauen, mit wie vielen Subventionen und mit wie viel Protektionismus dort reagiert wird, um mit der Finanzkrise und den Auswirkungen auf die Realwirtschaft umzugehen. ({0}) Es bleibt abzuwarten, wie hoch der Stellenwert des Klimaschutzes dann am Schluss dort noch ist. ({1}) Ich hoffe, dass sich das nicht umgekehrt darstellt, wie der Herr Hill das formuliert hat, was ich für ein Unding halte. Herr Hill, wenn Sie ernsthaft mehr Klimaschutz statt mehr Beschäftigung fordern, dann sage ich Ihnen: Erklären Sie das einmal Ihren Hartz-IV-Empfängern und den Arbeitslosen, deren Zahl in Zukunft steigen wird. Genau so haben Sie das gesagt. Das wird im Protokoll letztendlich auch so stehen. ({2}) - Nein, ich habe zugehört. So hat er es formuliert. Ich sage Ihnen aber auch eines: Wir sollten die Themen Finanzkrise und Klimaschutz bei der Diskussion ein bisschen auseinanderhalten; denn aus meiner Sicht haben diese Dinge nicht so viel miteinander zu tun. ({3}) Unabhängig von Aufschwung oder Abschwung sind wir als Politiker doch dafür verantwortlich, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass am Ende Klimaschutz neben der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Erhöhung des Wirtschaftswachstums möglich ist. Das ist doch ein ganz entscheidendes Thema. ({4}) Warum ist das so entscheidend? - Ich trage das hier ja fast schon gebetsmühlenartig immer wieder vor: Der kleine Emittent Deutschland, der pro Jahr weniger emittiert, als in China als Zuwachs an Emissionen zu verzeichnen ist, kann für den Klimaschutz doch nur eines tun, nämlich der Welt zeigen, dass wir beides können: wachsen und das Klima sinnvoll schützen, indem wir zum Beispiel den Einsatz der Ressourcen reduzieren. Das ist doch das Entscheidende. Also hören Sie doch auf, diesen Gegensatz zu konstruieren, sondern schauen Sie sich an, was diese Bundesregierung alles unternommen hat. ({5}) - Sie schreien natürlich wieder. - Ich weiß natürlich, dass dem einen oder anderen - insbesondere den Grünen das nicht gefällt. Es ist eine ganze Menge mehr gemacht worden als unter Rot-Grün. Der Herr Bundesumweltminister hat das richtig angesprochen. Durch eine Reihe von Maßnahmen werden tatsächlich auch Arbeitsplätze geschaffen: EEG, Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien, CO2-Gebäudesanierungsprogramm. All dies sind Dinge, die positiv wirken. Ich halte den Emissionshandel für deutlich problematischer, wenn es uns nicht gelingt, ihn richtig auszugestalten. Auch diesbezüglich möchte ich hier ein paar Akzente setzen. Aus meiner Sicht müssen wir das produzierende Gewerbe in Deutschland davon ausnehmen, und wir müssen einen stufenweisen Einstieg in die Vollauktionierung schaffen. Das ist wichtig für unsere Wirtschaft. ({6}) Bei den Versteigerungserlösen muss es natürlich darum gehen, dass das Geld im ersten Schritt bei den Mitgliedstaaten ankommt und nicht irgendwo bei der Europäischen Union hängen bleibt. Das kann nicht sein. ({7}) Wir entscheiden dann in eigener Souveränität darüber, was wir mit dem Geld tun. Ich bin auch der Meinung, dass man den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen größeren Teil zurückgeben muss, weil es nicht sein kann, dass wir die Energiepreise von verschiedenen Seiten aus belasten, zum Beispiel steuerlich und über den Emissionshandel und was uns sonst noch alles einfällt. Das halte ich für vollständig richtig und wichtig. ({8}) Lassen Sie mich im Übrigen auch etwas zu dem sagen, was heute hier schon über die Verlässlichkeit der Politik gesagt worden ist. Natürlich ist es richtig, dass wir beim Thema Biokraftstoffe eine Kehrtwende gemacht haben, durch die diejenigen, die darin investiert haben, böse auf die Nase gefallen sind. ({9}) Ich bedauere das nach wie vor. Das war falsch, und wir hätten das nicht tun dürfen. Viele von uns haben dagegen protestiert, insbesondere gegen das, was hier angeblich aus finanziellen Gründen hätte gemacht werden sollen - dafür wurde die Steuerpolitik vorgeschoben -, was aber in der Tat wohl auf das Lobbying insbesondere der Mineralölkonzerne zurückging. Das muss man einmal in dieser Klarheit sagen. Herr Minister Gabriel, ich bin auch der Meinung, dass wir einen solchen Fehler nicht wiederholen dürfen. Ich spreche das an, was hier hinsichtlich des Palmöls heute schon verschiedentlich angesprochen worden ist. Es geht darum, eine Übergangslösung zu schaffen. Diese müssen wir schnell schaffen. Wir können doch nicht sagen: Na ja, die Europäische Union hat leider nicht so zügig gehandelt, wie wir uns das vorgestellt haben. Unter diesem Gesichtspunkt haben alle, die in mit Palmöl betriebene Blockheizkraftwerke investiert haben, leider Pech gehabt. - Das können wir nicht machen. Ich meine, wir sollten insbesondere diejenigen, die unserem Kurs folgen, die für den Klimaschutz etwas tun wollen und die das wirtschaftlich sinnvoll tun wollen, nicht im Regen stehen lassen. Deswegen brauchen wir an der Stelle eine sinnvolle Übergangslösung. Ich darf Sie herzlich bitten, diese zügig in Angriff zu nehmen. Vielen herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Kurt Hill das Wort.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich dachte eigentlich, ich käme heute ohne eine Kurzintervention aus; aber es muss sein. Herr Nüßlein, Sie haben nicht richtig zugehört. Sie sind doch mit mir der Meinung, dass es im Bereich der erneuerbaren Energien insgesamt, einschließlich dessen, was ansonsten im Bereich der Gebäudesanierung geschehen ist, einen Zuwachs von Arbeitskräften gibt. Wir rechnen im Handwerk bis 2013 mindestens mit einer Verdoppelung der Zahl der Arbeitskräfte. Ich habe nie etwas anderes gesagt. Da müssen Sie die Ohren irgendwo anders gehabt haben. Zweiter Punkt. Was die Versteigerung angeht, so geht es nach den Berechnungen des Öko-Instituts um 35 Milliarden Euro bis 2010. Wenn Sie der Meinung sind, dass die Bevölkerung, die Menschen in diesem Land dazuzahlen sollen, damit die Energiekonzerne sich weiter die Taschen vollstopfen und sich an Atomkraftwerken im Ausland beteiligen können, dann finde ich diese Politik verachtenswert. Danke.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Möchten Sie antworten? - Bitte schön.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal habe ich überhaupt nicht in Abrede gestellt, dass durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn Sie mir zugehört haben - das sage ich häufig in gleicher Weise -, dann wissen Sie, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich habe vorhin auch gesagt, dass es im Klimaschutz eine Menge von Maßnahmen gibt, durch die tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen werden. Darum ist es wichtig, dass wir als Regierung den Akzent genau darauf setzen. Zweiter Punkt. Das, was Sie im Hinblick auf die Energiekonzerne behaupten, stelle ich in Abrede. Wir sind momentan auf dem besten Wege, den Wettbewerb in dem Bereich zu stärken. Sie können doch nicht sagen, dass all die Dinge, die preislich gemacht werden, nicht wirken, dass sie verpuffen und die Konzerne letztendlich die Preise so gestalten, wie sie wollen. Das würde das infrage stellen, was wir politisch tun. Ich meine, der Wettbewerb entwickelt sich nach und nach; er wird immer intensiver. Im Übrigen habe ich auch noch nicht gesagt, wie wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern letztendlich das Geld zurückgeben. Ein größerer Teil muss dahin zurück. Das, was bleibt, wollen wir für den nationalen und internationalen Klimaschutz einsetzen. Lassen Sie das doch in der Souveränität des Bundestages. Lassen Sie uns das gemeinsam entscheiden. Warten Sie doch einmal ab und lassen Sie uns überhaupt erst einmal sicherstellen, dass das Geld von Europa nicht kassiert wird. Das wäre das Schlimmste, was uns an der Stelle passieren kann. Vielen Dank.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Ulrich Petzold für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eine Steigerung des Haushaltsvolumens von rund 70 Prozent in einem Jahr für ein Ressort - wann gab es das schon einmal? Mehr als 570 Millionen Euro werden im Umweltschutz für das Jahr 2009 mehr veranschlagt als in diesem Jahr. Ich glaube, wir Umweltpolitiker haben allen Grund, stolz darauf zu sein. Ich finde es traurig, dass wir in dem Zusammenhang immer so viel schlechtreden. Selbstverständlich hat der Geldsegen eine Ursache. Der von uns allen beschlossene Verkauf und ab 2010 die Versteigerung der Emissionszertifikate bringt eine für den Umweltbereich beträchtliche Verbesserung der Einnahmen mit sich. Es ist unser Verdienst als Umweltpolitiker, dass diese Mehreinnahmen nicht irgendwo im Haushalt versickern, sondern ganz überwiegend dem Umwelt- und Klimaschutz zugutekommen. Begehrlichkeiten aus anderen Ressorts gab es ja genug. Das wissen wir; darüber haben wir auch lange diskutiert. Überlegungen sollten wir allerdings hinsichtlich der Abwicklung des Emissionshandels durch die KfW anstellen. Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen berechnet die KfW die Kosten pro Zertifikat mit 6 Eurocent. Zur Finanzierung der Deutschen Emissionshandelsstelle wurden in den vier Jahren der ersten Handelsperiode weniger als 3 Eurocent pro Zertifikat berechnet. Bei 40 Millionen Zertifikaten macht das immerhin eine Differenz von 2,4 Millionen Euro aus. Vor dem Hintergrund, dass eine Mitwirkung der Emissionshandelsstelle in jedem Fall notwendig ist und dort auch eine leistungsfähige EDV-Infrastruktur vorhanden ist, müssen wir zwingend überlegen, ob die Abwicklung des Zertifikatehandels nicht auch ohne die KfW durch die Deutsche Emissionshandelsstelle möglich ist. Nach dem Verursacherprinzip ist es auch zu begrüßen, dass der Löwenanteil der Mehreinnahmen durch den Zertifikatehandel wieder in die Forschung und die Förderung von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien fließt. Wir als Union versprechen uns dadurch einen nicht unbeträchtlichen Anschub auch in der mittelständischen Wirtschaft. Es geht um einen effizienten Klimaschutz. Wir können nicht Klimaschutz um jeden Preis machen, sondern wir setzen gerade mit diesem Haushalt einen hocheffizienten und sinnvollen Klimaschutz durch. Das sollten alle anerkennen. ({0}) Dass auch der Personalhaushalt sowohl im Ministerium selbst als auch in den nachgeordneten Behörden entsprechend dem Bedarf besser ausgestattet wurde, kann ich nach meinen Mahnungen in den letzten Jahren nur begrüßen. Das Problem der ungerechtfertigten kwStellen und der befristeten Übernahme der Auszubildenden wurde endlich gelöst, und das Problem der Finanzierung von Stellen für Vollzugsdienstleistungen für andere Ministerien wurde wenigstens angegangen. Dabei sollten wir wohl überlegen, woher wir auch in Zukunft das Geld nehmen. Bis jetzt folgt der Bundeshaushalt den Vorgaben der Kameralistik. Bereits im Oktober 2006 hat eine Projektgruppe des BMF empfohlen, das Modell der erweiterten Kameralistik zu verfolgen. Im Rahmen der Evaluation dieser erweiterten Kameralistik wurde allerdings dem BMF im September 2007 vorgeschlagen, die Vor- und Nachteile einer Doppik zu prüfen. Das Statistische Bundesamt sowie das UBA sind interessiert, aber auch in der Lage, an einer solchen Erprobung der Doppik teilzunehmen. Durch das Durchbrechen des Jährlichkeitsprinzips, die Lockerung der Zweckbestimmung und die Möglichkeit der Verschiebung von Titel zu Titel in einem Globalhaushalt können wir eine höhere Wirtschaftlichkeit erwarten. Deswegen ist das durchaus sinnvoll. ({1}) Lassen Sie mich noch mit einigen Sätzen auf die Windkraft und das Jahressteuergesetz eingehen. Die Debatte um den Haushalt und das Jahressteuergesetz ist eine gute Gelegenheit, um Dank zu sagen. Im April 2007 hat der Bundesfinanzhof letztinstanzlich geurteilt, dass eine Regelabweichung bei der Zerlegung der Gewerbesteuer durch Vereinbarung, wie sie bis dahin bei Windparks üblich war, nicht zulässig ist. Danach musste die für Windparks anfallende Gewerbesteuer nach den allgemeinen Grundsätzen am Ort der Arbeitsplätze - also am jeweiligen Firmensitz - gezahlt werden. Da das auch rückwirkend gilt, kann sich wohl jeder vorstellen, was das für die Standortgemeinden, die bisher sehr stark von den Einnahmen profitiert haben, bedeutete. In dankenswerter Weise haben sich bei der Lösung des Problems Länder, Ministerien und eine ganze Zahl von Kollegen, aber auch Kommunen und Unternehmen eingebracht. Der gefundene Kompromiss einer Aufteilung von 30 zu 70 zwischen Unternehmensstandort und Anlagenstandort ist gut, auch wenn bisher schon in Einzelfällen eine von 10 zu 90 üblich war. Da hiervon insbesondere der Norden und dort ganz wesentlich die neuen Bundesländer profitieren, ist es gut und richtig, wenn wir Dank dafür sagen, dass wir an der Stelle ein vernünftiges Ergebnis erreicht haben. Danke schön. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

So schnell geht es nicht. - Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung. Zwei Änderungsanträge liegen vor, über die wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11033? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11034? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 16 bei Zustimmung durch die Koalition und Ablehnung durch die Opposition angenommen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 26. November 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.