Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle herzlich.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen mitteilen, dass der Kollege Horst Seehofer am 5. November
auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat.
({0})
- Das ist Ihnen vor dieser ultimativen Entscheidung offensichtlich nicht mit der gleichen Deutlichkeit vorgetragen worden, wie das jetzt nachträglich der Fall ist. - Jedenfalls ergibt sich nun die definitive Konsequenz, dass
als Nachfolger der Kollege Matthäus Strebl im Deutschen Bundestag zu begrüßen ist, der uns bereits aus früheren Wahlperioden bestens vertraut ist.
({1})
Lieber Kollege Strebl, ich begrüße Sie ganz herzlich.
Ihnen muss ich besonders wenig erläutern, in welcher
guten Gesellschaft Sie sich hier befinden. Wir freuen
uns, dass Sie wieder dabei sind und auf die weitere Zusammenarbeit.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2})
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansJoachim Otto ({3}), Jörg van Essen,
Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheit
bei der Telekommunikationsüberwachung
und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
- Drucksache 16/10838 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5})
Ausschuss für Kultur und Medien
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton
Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fortsetzen - Filteraustausch umsetzen, Prüf- und
Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter einführen
- Drucksache 16/9802 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz an den Finanzmärkten schaffen Anschleichtaktik bei verdeckten Unternehmensübernahmen verhindern
- Drucksache 16/10640 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von
Klaeden, Anke Eymer ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Weisskirchen ({9}), Gerd Andres, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen kontrollieren
- Drucksache 16/10846 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({10})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Pakistan und Afghanistan stabilisieren - Für
eine zentralasiatische regionale Sicherheitskonferenz
- Drucksache 16/10845 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({12})
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Ulrike Höfken, Marieluise Beck ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushalt
für Bekämpfung der Hungerkrise nutzen
- Drucksachen 16/10591, 16/10912 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Hellmut Königshaus
Alexander Ulrich
Thilo Hoppe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Ausübung
der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ({16})
KOM({17}) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08
- Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Jens Spahn
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje
Staffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Internetnutzerinnen und -nutzer nicht massenhaft kriminalisieren - Novellierung des
EU-Telekommunikationspaketes nicht für
Urheberrechtsregelungen missbrauchen
- Drucksache 16/10843 ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn endgültig absagen
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Missbilligung der Amtsführung und Entlassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
- Drucksache 16/10918 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so
weit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 21 a - dabei handelt es sich
um das Jahressteuergesetz 2009 - muss abgesetzt werden. In der Folge sollen die Tagesordnungspunkte 23,
25, 29 und 21 b jeweils nach den Tagesordnungspunkten
20, 22, 24 und 28 aufgerufen werden. - Das scheint niemanden wirklich zu beunruhigen, sodass wir das so vereinbaren können.
Schließlich ist vorgesehen, den Entwurf des Erbschaftsteuerreformgesetzes auf den Drucksachen 16/7918
und 16/8547 nachträglich gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung zusätzlich an den Haushaltsausschuss
zur Mitberatung zu überweisen:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts
({18})
- Drucksachen 16/7918, 16/8547 überwiesen:
Finanzausschuss ({19})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Storting des Königreichs
Norwegen, Herr Thorbjørn Jagland, mit seiner Delegation Platz genommen.
({20})
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, von denen Ihnen einige bereits in
Präsident Dr. Norbert Lammert
den letzten Tagen begegnet sind, begrüße ich Sie ganz
herzlich.
Sehr geehrter Herr Präsident, es ist uns eine große
Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutschland zu Gast zu haben. Der Deutsche
Bundestag misst der Zusammenarbeit unserer Parlamente - gerade wegen der immer größeren Bedeutung
der europäischen Kooperation - große Bedeutung bei.
Ihr Besuch in Deutschland ist Ausdruck der freundschaftlichen und engen Beziehungen. Wir hatten schon
gestern Gelegenheit, unsere gemeinsame Freude darüber
zum Ausdruck zu bringen, dass nicht nur die Beziehungen zwischen unseren Ländern exzellent sind, sondern
dass sich auch und gerade die Beziehungen zwischen unseren Parlamenten in den vergangenen Jahren in einer
erfreulichen Weise vertieft haben. Daran wollen wir weiterarbeiten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen
angenehmen und ergebnisreichen Aufenthalt in Deutschland. Herzlich willkommen!
({21})
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen ({22})
- Drucksache 16/10809 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({23})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion.
({24})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Heute bringen wir den Entwurf eines Familienleistungsgesetzes ein, und darüber freue ich
mich sehr. Vor kurzem habe ich in einer Zeitung gelesen,
das Klügste, was ein Politiker oder eine Politikerin beim
Thema Kindergeld machen könne, sei es, einfach zu
schweigen. Wir können hierbei im Grunde nichts richtig
machen. Erhöhen wir das Kindergeld, dann ist es nicht
genug; lehnen wir eine Erhöhung ab, dann sind wir natürlich familienfeindlich. Erhöhen wir den Kinderfreibetrag, dann nützt es nur den Besserverdienenden; machen
wir es nicht, verstoßen wir gegen die Verfassung.
Diese Zeitungsbeschreibung erinnert mich an einige
Anhörungen, Briefe und Presseerklärungen aus den letzten Jahren, die unsere Gesetze, die Kindergelderhöhungen beinhaltet haben, regelmäßig begleitet haben. Ich
habe mindestens vier dieser Gesetze bereits mutig mitgestalten können, und jedes von ihnen hat die Situation
der Familien verbessert. Deswegen arbeite ich auch dieses Mal voll Lust daran mit, trotz aller Widrigkeiten, die
uns bestimmt ins Haus stehen werden.
Als ich 1990 in den Bundestag kam, haben wir für
Kindergeld und Kinderfreibetrag umgerechnet gerade
einmal 5,7 Milliarden Euro ausgegeben. 2005/2006, also
15 Jahre später, waren es dann über 35 Milliarden Euro.
Das Volumen hat sich in dieser Zeit also verfünffacht,
und jeder Cent davon ist gut angelegt.
({0})
Mit diesem Gesetz kommen noch einmal
2 Milliarden Euro hinzu. Der Kinderfreibetrag wird auf
das neu ausgerechnete sächliche Existenzminimum für
Kinder von 6 024 Euro angehoben. Im Gesetz steht zwar
noch der Betrag von 6 000 Euro; hier war das Kabinett
mit seiner Entscheidung schneller als die Rechner.
Schon bei der Einbringung können wir also diesen Änderungsantrag ankündigen. Noch einmal: Der Kinderfreibetrag beläuft sich auf 6 024 Euro. Das Kindergeld
wird pro Kind um 10 Euro erhöht; ab dem dritten Kind
kommen weitere 6 Euro hinzu.
„Das ist gut“, hat meine Mitarbeiterin gesagt, „da
habe ich ja schon die Hälfte meiner Mieterhöhung wieder herein; jeden Monat 20 Euro mehr kann man gut
brauchen.“ Meine Nachbarin ist eine alleinerziehende
Mutter und Studentin. Sie hat mir erzählt, dass sie nun
endlich ein kleines Sparbuch anlegen wird.
So bescheiden die Erhöhung für die einzelnen Familien ausfällt, so summieren sich die Ausgaben ja doch
auf mehr als 2 Milliarden Euro. Dazu addieren Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, das Kindertagesstättenausbauprogramm mit 4 Milliarden Euro, die letzten Reste
vom Ganztagsschulprogramm, die Abzugsfähigkeit von
Kinderbetreuungskosten, also für Kindergartenbeiträge,
Tagesmütter usw., die Anhebung des BAföG, die Anhebung des Wohngeldes, das erfolgreiche Elterngeld und
die Erhöhung des Kinderzuschlages. Damit erreichen
wir innerhalb von nur zwei Jahren eine mehr als stattliche Summe, die die Große Koalition den Familien zur
Verfügung gestellt hat.
({1})
Bei all diesen Maßnahmen haben wir immer die individuellen Lebensplanungen der Familien berücksichtigt,
also keine Direktiven ausgegeben, sondern Angebote
unterbreitet, die die bunte Vielfalt der Lebensformen unterstützen und fördern. Dabei ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung ein ganz besonders wichtiger Schritt
für uns gewesen, versehen mit einem Rechtsanspruch,
über den sich die SPD-Fraktion selbstverständlich besonders freut. Ich habe nicht geglaubt, dass wir für die
Familien so weit vorankommen werden.
Die Unterstützung der verschiedenen Familien- und
Lebensphasen gilt auch für den zweiten Bereich des Fa19966
milienleistungsgesetzes, das mit vollem Namen „Gesetz
zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen“ heißt. Versuche, die Rolle von Haushalten
als Arbeitgeber zu forcieren und den hohen Anteil von
Schwarzarbeit in diesem Bereich zurückzudrängen, laufen schon seit vielen Jahren mit mehr oder minder viel
Erfolg.
Es gibt viele Studien, die einen hohen Arbeitskräftebedarf im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen feststellen, aber so richtig im Fluss ist dies noch nicht, vor
allem im Hinblick auf legale, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Bisher waren die Fördermöglichkeiten in Regelungen hierzu in verschiedensten Bereichen versteckt, sodass die Leute sie kaum
finden konnten. Mit diesem Gesetz ist es nun gelungen,
alle Regelungen zu Steuerermäßigungen in Bezug auf
haushaltsnahe Dienstleistungen und Beschäftigungsverhältnisse übersichtlich in einem Paragrafen des Einkommensteuerrechts zu verankern. Zudem haben wir den
Umfang der Förderung erheblich ausgeweitet.
20 Prozent auf alles, angelehnt an einen bekannten Werbeslogan, kann man hier sagen. Ob Kochen, Putzen, Bügeln oder Pflegeleistungen zusätzlich zur familiären
Pflege oder im betreuten Wohnen oder im Heim - die
Kosten für diese Dienstleistungen mindern die tarifliche
Einkommensteuer der Auftraggeber. Es sind nicht einfach nur Freibeträge, die sich erst bei den Beziehern höherer Einkommen richtig vorteilhaft auswirken, sondern
es ist ein Abzug von der Steuerschuld, der sich auch bei
Beziehern kleiner Einkommen voll bemerkbar machen
wird. Ich bin sehr froh darüber, dass die SPD-Bundestagsfraktion das durchsetzen konnte.
({2})
Meine andere Nachbarin ist eine alte Dame, die zur
Familie ihrer Tochter gezogen ist, um dort besser versorgt zu werden. Sie hat ihr altes Haus im Dorf vermietet
und zahlt deshalb etwas an Steuern. Sie hat richtig gestrahlt, als ich ihr erklärte, dass sie die Kosten für ihre
Bügelfrau aus der Sozialstation nun von der Steuer absetzen kann. Da könne sie sich nächstes Jahr noch ein
paar Stunden mehr Hilfe von der Sozialstation erlauben,
sagte sie. Das hat sie ganz glücklich gemacht.
Das bewirkt genau das, was wir mit dieser Förderung
erreichen wollen: Stabilisierung und Ausweitung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse bei
Sozialstationen, Dienstleistungsagenturen, Pflegediensten oder wie sie alle heißen und Erleichterung der Familienarbeit in all ihren Facetten, von der Kinderbetreuung
bis zur Hilfe bei der Pflege von Angehörigen. Das ist ein
wichtiger Baustein bei den Bemühungen, Familie und
Beruf unter einen Hut zu bekommen.
Für mich ist das eine ganz besondere Familienförderung. Der steuersubventionierte Einkauf von Leistungen
schenkt der Familie Zeit für sich und das Zusammenleben. Man muss nicht mehr sagen: „Schönes Wetter, aber
schade, ich muss Fenster putzen“, sondern kann mit den
Kindern unbeschwert den Gang ins Grüne antreten oder
den genussreichen Friseurbesuch machen, während die
Oma gut versorgt zu Hause ist.
({3})
Das sind immer nur ganz kleine Facetten, aber - das
müssen Sie zugeben, Kolleginnen und Kollegen - diese
machen die Lebensqualität von Familien erst aus, und
das unterstützen wir bei Familien nachhaltig. Ich bin davon überzeugt, dass die Ausweitung und Vereinfachung
der Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen ein
guter Beitrag dazu ist.
({4})
Der dritte wichtige Punkt des Gesetzentwurfs ist das
Schulbedarfspaket. Das lässt mich nun wirklich mit einem lachenden und einem weinenden Auge hier stehen.
Lange, lange hat die SPD-Fraktion für dieses Schulbedarfspaket gekämpft. Ich habe mich schon geschämt,
wenn die Caritas mir wieder Briefe geschickt hat, in denen sie auf die finanziellen Grenzen von Hartz-IV-Empfängern bei der Schulbedarfsbeschaffung hingewiesen
hat. Nun haben wir das Paket in diesem Gesetzentwurf
verankert. 100 Euro pro Kind pro Schuljahr, das ist eine
echte Hilfe für Familien, die ihren Kindern trotz Schulbuchgutscheinen und Ähnlichem nicht das erforderliche
Material - Schulranzen, Farbkästen, Hefte usw. - zur
Verfügung stellen können. Ich freue mich schon auf den
Brief, den ich jetzt an die Caritas schreiben kann.
Aber - das ist der große Wermutstropfen für mich und
die gesamte sozialdemokratische Bundestagsfraktion dieses Schulbedarfspaket ist bis zum 10. Schuljahr befristet, und das darf nicht sein. Gerade die Familien, die
es trotz niedrigstem Einkommen schaffen, ihren Kindern
eine gute Schulausbildung zu ermöglichen, dürfen nicht
im Regen stehen gelassen werden.
({5})
Hinzu kommt natürlich, dass die Ausgaben in den höheren Schulklassen steigen.
Da appelliere ich noch einmal ganz ausdrücklich an
Sie, Frau Ministerin von der Leyen. Wir reden viel davon, dass es darum gehen muss, Wege zu finden, die
Kinderarmut zu bekämpfen. Wir dürfen Familien, die
Unterstützung zum Lebensunterhalt benötigen, doch
nicht signalisieren: Eure Kinder unterstützen wir nur bis
zur 10. Klasse, also Hauptschul- oder Realschulabschluss. - Das ist undenkbar.
({6})
Alle bisherigen Studien, vor allem internationale, beanstanden in Deutschland die Undurchlässigkeit des
Schulsystems. In keinem Land ist die Herkunft für das
Bildungsfortkommen so maßgebend wie bei uns. Dass
wir diesen, wie ich finde, schrecklichen Makel unseres
Landes, in dem doch alle Kinder mit ihren Talenten und
Fähigkeiten so dringend gebraucht werden, auch noch
durch ein Familienleistungsgesetz sozusagen festschreiben, ist für uns Sozialdemokraten unvorstellbar.
({7})
Wir können doch nicht einen höheren Freibetrag für
Kinder einführen, die an Privatschulen unterrichtet werden - das tun wir, und das ist auch gut -, und fast gleichzeitig entscheiden, dass wir die jährlich 100 Euro für
Kinder aus Hartz-IV-Familien, die sich den Weg zum
Gymnasium sicher mehr als hart erkämpft haben, nicht
übrig haben.
Der dritte Teil dieses Gesetzes bringt den Familien,
die es brauchen, wirkliche Erleichterung. Aber die dortigen Regelungen müssen entfristet werden. Ich kann mir
das Signal, Bildung ernst zu nehmen, ganz anders vorstellen: Wir könnten zum Beispiel Kindern aus Familien,
die Zuschuss zum Lebensunterhalt benötigen und das
elfte Schuljahr besuchen, einen höheren Schulbedarfssatz zusprechen. Über die Höhe können wir ja noch gemeinsam diskutieren. Ich hoffe, dass wir uns auch in diesem Punkt einigen. Dann, Kolleginnen und Kollegen,
wird das Gesetz ein weiterer Meilenstein hin zu einer
nachhaltigen Familienförderung sein. Wir haben mit der
Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages,
mit der Ausweitung und Vereinfachung der steuerlichen
Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen und
mit dem Schulbedarfspaket zur Förderung der Bildung,
über das wir sicher noch konstruktiv beraten werden,
schon bisher viel für die Familien getan und werden diesen Weg auch weitergehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Carl-Ludwig Thiele ist der nächste Redner für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin
Westrich, ich glaube, in einem Punkt stimmen wir bei
den Beratungen über dieses Gesetz in diesem Haus überein: Unsere Gesellschaft muss familienfreundlicher werden.
({0})
Um dieses Ziel zu erreichen, darf es nicht allein um die
Frage gehen, welche finanziellen Leistungen gewährt
werden, sondern es muss auch die Grundeinstellung
unseres Landes hinterfragt werden, also wie unsere Gesellschaft mit Kindern umgeht. Es gibt leider Menschen,
die in Bereichen unserer Gesellschaft leben, in denen es
gar keine Kontakte mehr zu Kindern gibt. Diese haben
keine Kinder in ihrem Umfeld. Ich finde, wir alle sollten
hier gemeinsam dafür Sorge tragen, dass den Bürgern
vermittelt wird, welche Freude Kinder bereiten können.
Natürlich bereiten Kinder nicht nur Freude, sondern verursachen auch Stress und Anstrengungen, und von älteren Kindern wird man vielleicht auch als Vater oder
Mutter einmal kritisiert werden. Das gehört dazu.
Kinder bereichern unsere Gesellschaft. Dass alle Teile
der Gesellschaft von dieser Bereicherung profitieren, dafür sollten wir uns alle gemeinsam einsetzen.
({1})
Deshalb halten wir es auch nicht für angezeigt, die ganze
Diskussion über Familien nur auf den finanziellen Teil
zu reduzieren. Das habe ich ja gerade in meinem Vorwort dargestellt. Aber natürlich muss man sich, wenn
man sich mit der Situation der Familien beschäftigt,
auch damit auseinandersetzen, wie die gesellschaftliche
Wirklichkeit in unserem Land für die Familien aussieht.
Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft ist die eine Seite
der Medaille. Kinder kosten aber auch Geld.
Die letzte Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages erfolgten 2002, also vor sieben Jahren.
Wir alle wissen, dass seit diesem Zeitpunkt die Preise erheblich gestiegen sind, nicht zuletzt durch die Mehrwertsteuererhöhung. Seitens der Koalition ist über die Jahre
nichts erfolgt, um den Familien zu helfen. Das haben wir
schon oft kritisiert; das werden wir weiter kritisieren.
Das ist aber auch der Grund, warum wir uns konstruktiv
in das Gesetzgebungsverfahren einschalten werden. Wir
wollen nämlich erreichen, dass den Familien konkrete
Hilfe zuteil wird.
({2})
Wenn man sich anschaut, wann dieser Gesetzentwurf
vom Kabinett verabschiedet wurde, dann stellt man fest,
dass er am selben Tag verabschiedet wurde, an dem auch
der einheitliche Beitragssatz zur Krankenversicherung festgesetzt wurde. Damit einher geht eine deutliche
Mehrbelastung für Familien. Den Familien wurde nun
zwar suggeriert, man gebe ihnen mehr Geld, aber das,
was auf der einen Seite gegeben wurde, wurde auf der
anderen Seite schon wieder einkassiert. Das halten wir
für falsch. Wir wollen, dass ein klares und deutliches Signal zugunsten von Kindern und Familien in unserer Gesellschaft gesetzt wird.
({3})
In unserem Steuerprogramm für eine niedrige, einfache und soziale Steuer sehen wir schon seit Jahren ein
einheitliches Kindergeld von 200 Euro und einen einheitlichen Kinderfreibetrag von 8 000 Euro pro Kind
vor.
({4})
Wir sind auf dem Wege dorthin und werden uns weiter
dafür einsetzen. Das haben wir im vergangenen Wahlkampf gemacht. Das werden wir auch im nächsten machen. Wir bitten Sie allerdings auch, zu prüfen, ob die
Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro ausreichend ist
oder ob es nicht eventuell um 16 Euro erhöht werden
sollte. Denn eines muss man den Bürgern unseres Landes ja sagen: Das Kindergeld belief sich immer auf glatte
Zehnerbeträge: Bis 1996 waren es 70 DM, dann stieg es auf
200 DM, 220 DM, 250 DM, 270 DM und dann auf
300 DM. Die 300 DM wurden krumm auf Euro umgerechnet. Seitdem beläuft sich das Kindergeld auf
154 Euro. Ich bitte zu prüfen, ob das weiter sein muss;
denn sonst kommt jemand auf die Idee, zu sagen: Moment, müssen es 164 Euro sein, oder sollen es nicht
164,50 Euro sein? An dieser Stelle passt es dann nicht
mehr richtig, sodass ich an Sie appelliere: Geben Sie
sich einen Ruck und kehren Sie zurück zu den glatten
Beiträgen!
({5})
Wir wissen um die Haushaltsnot. Das ist völlig klar.
Wir wollen auch nicht mit der Gießkanne über das Land
gehen. Wir brauchen aber klare Regelungen und klare
Bestimmungen, gerade in diesem Bereich. Insofern wäre
ich dankbar, wenn Sie im Gesetzgebungsverfahren hierüber noch einmal nachdenken könnten.
Dieser Appell gilt insbesondere auch für den Kinderfreibetrag; denn die Gewährung des Kinderfreibetrags
ist kein Almosen des Staates. Sie beruht auf dem Recht
eines jeden Bürgers, seine Existenz aus unversteuertem
Einkommen bestreiten zu dürfen.
({6})
Insofern ist dies eine Bringschuld, die der Staat zu erfüllen hat. Es ist schon erstaunlich, dass auf unsere Forderungen auf Erhöhung hin in den vergangenen Jahren immer gesagt wurde, man könne noch nicht entscheiden, da
der Bericht zum Existenzminimum noch nicht vorliege.
Jetzt erleben wir, dass die Koalition entschieden hat,
ohne dass der Bericht zum Existenzminimum vorliegt.
An dieser Stelle zeigt sich, dass diese Argumentationskette über die vergangenen Monate und Jahre hinweg
überhaupt nicht gehalten hat und überhaupt nicht halten
kann.
({7})
Sie wollten die Erhöhung des Kindesgeldes und des
Kinderfreibetrages nicht. Haushaltszwänge konzedieren
wir. Dass diese aber zulasten der Familien gegangen
sind, das halten wir für falsch.
({8})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte zum Schulbedarfspaket, das Sie angesprochen
haben, Frau Kollegin Westrich, einige Ausführungen
machen. Ich halte es für einen Fehler des Gesetzgebers,
dass seinerzeit im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung
die notwendigen Ausgaben für Bildung nicht berücksichtigt wurden. Man orientierte sich an den Erwachsenen. Man unterstellte, dass sie bereits Bildung hätten.
Für die Kinder wurde analog zu den Erwachsenen ein
niedrigerer Förderbetrag vorgesehen.
In vielen Kommunen haben sich deshalb Bürgerinitiativen gebildet. Viele Bürger haben gesagt: Wir sehen an
unseren Mitbürgern, welche Not die Einzelnen haben,
die nicht in der Lage sind, den Kindern Schulhefte, Stifte
und Ähnliches zu kaufen. Wir wollen hier tätig werden.
Im ganzen Land verteilt gibt es inzwischen zig Vereine, wie zum Beispiel „Kinder in Not“ in Osnabrück,
die helfen und tätig werden wollen. Die FDP hat den
Vorstand dieses Vereins zur Anhörung eingeladen.
Wir bitten Sie zu überprüfen, ob der Gesetzentwurf,
so wie er angedacht ist, richtig ist; denn im Gesetzentwurf findet sich aus meiner Sicht ein Passus, der diskutiert werden sollte. Dort heißt es: Wenn diese 100 Euro
gewährt werden, dann kann im begründeten Einzelfall
ein Nachweis über die Verwendung des Geldes gefordert
werden.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
zitiere Finanzminister Steinbrück aus einem Interview
mit der Zeit vom 24. April dieses Jahres.
Herr Kollege Thiele.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Was ist besser für die Kinder, eine Kindergelderhöhung im Wert von zwei Schachteln Zigaretten beziehungsweise drei Pils - oder der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur …?
Insofern möchte ich an Sie alle appellieren. Wer will,
dass dieses Geld tatsächlich bei den Kindern ankommt,
die es benötigen, sollte überlegen, aus dieser Kannbestimmung eine Sollbestimmung zu machen. Konkret
werden wir im Finanzausschuss erörtern, wie wir sicherstellen können, dass dieses Geld tatsächlich dort ankommt, wo es unserer Meinung nach ankommen soll.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula
von der Leyen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat beherzte Schritte in der Familienpolitik unternommen. Wir haben das Elterngeld eingeführt. Wir
beschleunigen den Ausbau der Kinderbetreuung durch
gezielte Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro.
Gerade bei diesen beiden Themen - Vereinbarkeit von
Familie und Beruf sowie frühkindliche Bildung - besteht
in Deutschland großer Nachholbedarf. Deshalb ist diese
Investition richtig.
Mit dem heute zu beratenden Familienleistungsgesetz
wird eine dritte, ebenso unverzichtbare Säule gestärkt,
nämlich die Ausgleichszahlungen an die Familien, die
Kinder erziehen. Familien mit Kindern - da stimme ich
mit Ihnen vollkommen überein, Herr Thiele - erfahren
sicherlich ein ganz großes persönliches Glück durch
diese Kinder. Aber Familien mit Kindern investieren
auch Tag für Tag Zeit, Kraft, Geld und Zuwendung in
die nächste Generation. Davon profitieren alle in diesem
Land. Deshalb ist es richtig, dass Familien mit Kindern
weniger besteuert werden als andere. Deshalb ist es auch
richtig, dass Familien mit Kindern, die kleine Einkommen haben und die nicht von Steuererleichterungen profitieren, Ausgleichszahlungen über das Kindergeld bekommen.
({0})
Das sehen die Menschen in Deutschland auch so. Das
Kindergeld ist die familienpolitische Leistung mit dem
höchsten Ansehen in der Bevölkerung.
Seit 2002 ist das Kindergeld für das erste und zweite
Kind nicht mehr erhöht worden. Wir alle wissen, wie
viele Güter des täglichen Bedarfs seitdem teurer geworden sind. Der Existenzminimumbericht liegt den Ressorts zur Abstimmung vor und wird nächste Woche im
Kabinett behandelt. Dieser Bericht zeigt die Entwicklung sehr deutlich auf. Es wird also höchste Zeit, Familien genau an dieser Stelle zu entlasten. Das Kindergeld
ist Schutz vor Armut. Ohne das Kindergeld wären
1,7 Millionen mehr Kinder von Armut betroffen. Das
zeigt: Das Kindergeld ist keine nachrangige Leistung,
sondern es schafft Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich
in diesem Land.
({1})
Der Kern des Familienleistungsgesetzes sind das erhöhte Kindergeld und das gestaffelte Kindergeld. Das
gestaffelte Kindergeld ist eine ganz gezielte Leistung
- auch in anderen europäischen Ländern -, um kinderreiche Familien zu stärken. Wir haben in der familienpolitischen Debatte zu Recht gefragt, warum die Kinderlosigkeit in Deutschland so hoch ist. Das über Jahre
zu beobachtende Abnehmen der Kinderzahlen hat als
Ursache zwei Phänomene.
Das erste Phänomen ist, dass der Mut fehlte, Familien
zu gründen; denn es ist schwierig gewesen - und ist es
zum Teil noch -, Beruf und Kindererziehung in Einklang
zu bringen. Aber hier scheint sich eine positive Trendwende in den letzten anderthalb Jahren abzuzeichnen.
Das zweite, weniger bekannte Phänomen ist, dass in
Deutschland viel schneller als in anderen Ländern die
kinderreiche Familie aus der Mitte der Gesellschaft verschwunden ist. Diese Familien brauchen ganz gezielt das
gestaffelte Kindergeld. Hier gilt nach wie vor der richtige Satz, dass Kinderreichtum nicht zur Armut führen
darf.
({2})
Es ist unbestritten: Die kinderreichen Familien haben
höhere Fixkosten. Sie brauchen eine größere Wohnung;
sie geben mehr Geld für Heizung, Lebensmittel und
Kleidung aus; die Waschmaschine läuft häufiger. Das
kann man nicht nur durch mehr Arbeit ausgleichen.
Ich habe eingangs gesagt, dass zuletzt 2002 das Kindergeld für das erste und zweite Kind erhöht worden ist.
Für das dritte Kind und die folgenden Geschwister ist
das Kindergeld seit zwölf Jahren, nämlich seit 1996,
nicht mehr erhöht worden. Deshalb ist es gut - ich
danke, dass das heute gelingt -, dass wir endlich wieder
das Kapitel des gestaffelten Kindergeldes aufschlagen.
Damit wird die besondere Lage der kinderreichen Familie berücksichtigt.
({3})
An alle diejenigen, die immer sagen, dass 10 oder
16 Euro nichts bringen würden und dass man das Geld in
andere Projekte stecken sollte, sage ich: Familien mit
drei Kindern verfügen demnächst über 432 Euro mehr
im Jahr. Familien mit vier Kindern verfügen demnächst
über 624 Euro mehr im Jahr. Das ist gut angelegtes Geld.
Das höhere Kindergeld ist also keine Förderung nach
dem Gießkannenprinzip, sondern wirkt zielgenau für
kinderreiche Familien, für Familien mit kleinen und
mittleren Einkommen in der Mitte der Gesellschaft und
gegen Kinderarmut.
Das Kindergeld ist nicht der einzige Baustein des Familienleistungsgesetzes. Kinder und Jugendliche aus Familien, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe leben, bekommen bis zur 10. Klasse zu Beginn jedes
Schuljahres 100 Euro für den Kauf nötiger Schulmaterialien. Hefte, Bücher, Stifte und Füller - das sind Bildungschancen zum Anfassen. Daran darf es keinem
Kind fehlen.
({4})
Ein weiterer Baustein des Familienleistungsgesetzes
ist die Förderung von familienunterstützenden Dienstleistungen. Das reicht von der Hilfe rund ums Haus bis
hin zur Versorgung zu pflegender Angehöriger. Solche
Dienstleistungen entlasten. Sie bedeuten ganz konkret
Zeit für Familien. Aber in jedem Fall kosten sie auch
Geld. In Zukunft können bis zu 20 000 Euro im Jahr für
solche Ausgaben steuerlich geltend gemacht werden.
Das hat eine doppelte positive Wirkung: Erstens haben
Familien mehr Entlastung im Alltag. Zweitens tragen die
familienunterstützenden Dienstleistungen gleichzeitig zu
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland bei. Das
ist in Zeiten einer nachlassenden Konjunktur wichtig.
Mehr Kindergeld, mehr steuerliche Förderung für Familien mit Kindern, mehr familienunterstützende
Dienstleistungen, ein Schulbedarfspaket - das sind vier
Maßnahmen, ein Familienleistungspaket, das zielgenau
wirkt.
Vielen Dank.
({5})
Dr. Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Entwurf des FamLeistG, des Familienleistungsgesetzes, ein Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen. Dieser
Gesetzentwurf beinhaltet zwei wesentliche Punkte: die
Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages
sowie die bessere steuerliche Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen.
Ehrlich gesagt erschließt sich mir nicht ganz der innere Zusammenhang zwischen der steuerlichen Förderung, sprich der Subventionierung von Reichen und Superreichen am Starnberger See für ihre Hausangestellten
und Gärtner, und der Erhöhung des Kindergeldes um
10 Euro pro Kind für die Kinder dieser Hausangestellten.
In der nächsten Sitzungswoche sollen mit dem
Jahressteuergesetz 2009 und dem Gesetz zur Umsetzung
steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung zwei
weitere Steuergesetze verabschiedet werden. Man hätte
zumindest die zweite Hälfte des heute vorliegenden Gesetzentwurfes dahin packen können. Vielleicht wollten
Sie das auch ein bisschen; denn im letztgenannten Gesetz soll die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgeweitet und mit Wirkung zum 1. Januar
nächsten Jahres auf 1 200 Euro erhöht werden. Im heute
zu besprechenden Entwurf des Familienleistungsgesetzes wird vorgeschlagen, die Inanspruchnahme von
Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungsund Modernisierungsmaßnahmen ebenfalls ab dem
1. Januar 2009 mit maximal 600 Euro zu fördern. Das
bedeutet also alles in allem eine Senkung der zu zahlenden Steuern um 1 800 Euro, allerdings nur dann, wenn
man im nächsten Jahr Handwerkerleistungen für mindestens 10 000 Euro in Anspruch nehmen kann und
wird.
Das ist nicht mehr als eine kleine Geste an die Bürgerinnen und Bürger, aber nichts, was die Konjunktur
nachhaltig ankurbeln wird oder tatsächlich von der
Mehrheit der Menschen in Anspruch genommen werden
kann, da ihnen das Geld dafür fehlt, von einer solchen
Subventionierung überhaupt profitieren zu können.
Da ich nicht davon ausgehe, dass die Hausangestellte
am Starnberger See - nennen wir sie Frau Beyer - an
diesem Thema überaus interessiert ist, lassen Sie mich
zur Kindergelderhöhung zurückkehren. Frau Beyer hat
zwei Kinder, ihre Arbeitgeberin und Villenbesitzerin,
Frau Schmidt, ebenfalls. Frau Beyer wird ab dem
1. Januar 2009 pro Monat 20 Euro mehr an Kindergeld
für ihre Kinder bekommen, das heißt insgesamt
328 Euro pro Monat, pro Kind 164 Euro. Frau Schmidt
erhält jedoch 210 Euro pro Kind und Monat. Jedes Kind
ist dem Staat gleich viel wert? Mitnichten! Für Kinder
reicher Eltern tun Sie mehr - und das ist sozial ungerecht.
({0})
Alternativen? Keine, so die lapidare Feststellung auf
Seite 2 des Gesetzentwurfs. Ich zitiere Sie, Frau Ministerin:
Wenn man das alles auf ein Niveau bringen will,
dann kann man das Ganze doch wohl nicht auf das
niedrigste Niveau herunterstufen. Dann muss man
vielmehr lege artis auf das höchste gemeinsame Niveau heraufstufen. Das würde 15 Milliarden Euro
kosten - eine Illusion, die mit der Realität wenig zu
tun hat.
So die Frau Ministerin. Frau von der Leyen, reden Sie
doch noch einmal mit Herrn Steinbrück. Er hat inzwischen sehr viel Geld gefunden für einen sehr großen
Schirm für die Finanzwirtschaft. Er ist sogar bereit, sein
unumstößliches Ziel eines schuldenfreien Haushaltes dafür zu verschieben.
({1})
Sollte uns die Gleichbehandlung aller Kinder nicht
diese 15 Milliarden Euro Mehrausgaben wert sein? Ich
sage: Ja.
({2})
Ein kleiner Tipp von mir: Wenn Sie das Ehegattensplitting endlich in eine Individualbesteuerung bei gegenseitiger Übertragbarkeit des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums umwandeln würden, hätten Sie 9 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen pro Jahr.
({3})
Frau von der Leyen, dann bräuchten Sie mit Herrn
Steinbrück nur noch über ganze 6 Milliarden Euro zu
verhandeln. Das muss doch wohl möglich sein.
({4})
Die Anhebung des Kinderfreibetrages nutzt nur Frau
Schmidt, nicht jedoch Frau Beyer. Nur für 17 Prozent aller Kinder kann der Freibetrag vorteilhaft angesetzt werden. Nur deren Eltern haben ein entsprechend hohes Einkommen.
Ich gehe davon aus, dass Frau Schmidt Frau Beyer sozialversicherungspflichtig beschäftigt und anständig bezahlt. Frau Beyer arbeitet gut und zuverlässig für deutlich mehr als den von uns vorgeschlagenen Mindestlohn
von 8,50 Euro. Frau Beyer wird sich über die 20 Euro
mehr pro Monat sehr freuen. Frau Beyer und allen anderen sei aber ganz klar gesagt: Sie müssen dafür niemandem Danke sagen, weder der CSU noch der SPD, auch
der CDU nicht. Diese 10 Euro pro Kind stehen ihnen zu.
({5})
Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es
hat vorgegeben, dass der Staat das Einkommen der Steuerpflichtigen so weit steuerfrei belassen muss, als es zur
Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird.
Die Verschonung gilt für alle Familienmitglieder und
umfasst damit explizit auch den Bedarf der Kinder. Die
Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem anerkannten Mindestbedarf ab. Da
dieses im Sozialhilferecht bestimmt ist, darf das von der
Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum
diesen Betrag nicht unterschreiten. Demnach ist der im
Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf die Maßgröße für das einkommensteuerliche Existenzminimum.
Da ich darauf schaue, sage ich Frau Beyer und allen anderen: Ihnen steht viel mehr zu; denn die Berechnung
des Existenzminimums durch die Bundesregierung spiegelt die reale Entwicklung nicht wider.
Zum Vergleich: Das sächliche Existenzminimum,
welches im Existenzminimumbericht 2008 mit 235 Euro
pro Kind und Monat ausgewiesen wird, ist die eine
Größe. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat nachgerechnet: Für die Bedarfsdeckung hält er einen Regelsatz
in Höhe von 299 Euro pro Monat für notwendig, und
zwar mindestens, da dieser Betrag nur für die Altersgruppe der 0- bis 6-Jährigen gilt und der Bedarf mit höherem Alter bekanntlich steigt. Grundlage der Berechnung ist die Preisentwicklung bei Warengruppen und
Dienstleistungen, die für die Versorgung von Kindern relevant sind.
Deshalb ist es notwendig, das Kindergeld sofort stärker zu erhöhen, und zwar auf mindestens 200 Euro und
in der Folge auf 250 Euro.
({6})
Für die unteren Einkommensgruppen fordern wir, dass
das Kindergeld durch einen entsprechend ausgestalteten
Kinderzuschlag so gestaltet wird, dass das Existenzminimum insgesamt gesichert ist. Die Verwirklichung dieser
Vorschläge würde Frau Beyer helfen und Frau Schmidt
nicht schlechter stellen. In Deutschland sind Kinder nun
einmal das größte Armutsrisiko. Rund 2 Millionen Kinder leben in Familien, die mit Hartz IV oder Sozialgeld
auskommen müssen. Da ihre Eltern über kein eigenes
Einkommen verfügen, ist das Kindergeld für sie eine
reine Sozialleistung. Damit begründen Sie, dass die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro pro Kind mit dem
Familieneinkommen verrechnet wird. Das heißt im Klartext: Genau die Familien, die das geringste Einkommen
haben, haben nichts von der Kindergelderhöhung. Das
ist ein Skandal!
({7})
Sie könnten sofort die Anrechnung aufheben bzw.
nicht durchführen, und zwar so lange, bis Sie die Regelsätze so angepasst haben, dass sie den realen Bedarf decken. Wir fordern Sie auf, endlich ernsthaft Bedingungen zu schaffen, durch die alle Mütter und Väter in der
Lage sind, ihre Existenz und die ihrer Kinder tatsächlich
für sich selbst zu erarbeiten. Das umfasst neben einem
dichten und qualitativ hochwertigen Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen eine angemessene Bezahlung.
Das erfordert gesicherte Arbeitsplätze und gleichen
Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen. Davon
sind wir weit entfernt.
({8})
Abschließend noch ein Wort zu dem vorgeschlagenen
Schulgeld für Schülerinnen und Schüler im Rahmen des
SGB II und XII, also Hartz IV und Sozialgeld. Wir begrüßen dies grundsätzlich und ausdrücklich, vor allem
vor dem Hintergrund, dass Sie in der rot-grünen Koalition, als Sie die Sozialhilfe umgewandelt haben, alle
Sonderbedarfe gestrichen haben. Es wird endlich Zeit,
dass Sie dies korrigieren.
({9})
Für mich ist es aber völlig unverständlich, dass Sie dieses Schulgeld auf zehn Schuljahre begrenzen wollen.
Meinen Sie zynischerweise, dass die Kinder von Hartz-IVEmpfängerinnen und -Empfängern sowieso zu dumm für
das Abitur sind? Oder wollen Sie einfach dafür sorgen,
dass die Ergebnisse der PISA-Studie auch in Zukunft
Bestand haben, wonach in Deutschland der Schulabschluss vom Einkommensstatus der Eltern abhängt?
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Das lehnen wir ab. Machen Sie hier eine tatsächliche
Erweiterung, zahlen Sie es bis zum Abschluss des Abiturs, also zwölf oder 13 Jahre.
({0})
Gehen Sie das Thema endlich richtig an - so wie die Finanzmarktkrise -, und sorgen Sie dafür, dass Kinder
nicht mehr das Armutsrisiko in Deutschland sind!
Danke.
({1})
Das Wort erhält nun die Kollegin Deligöz für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau von der Leyen, Sie sind im Wahlkampf und
auch am Anfang der Wahlperiode mit dem Versprechen
angetreten, die Familienleistungen in Deutschland, die
vielfältig und unübersichtlich, kompliziert und bürokratisch sind, zu überprüfen und zu effektivieren. Sie haben
dazu ein Kompetenzzentrum einberufen, und Sie haben
uns viele Berichte geliefert. Herausgekommen ist nichts.
({0})
Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Gerechtigkeit zu thematisieren, auch im Sinne der Armutsbekämpfung. Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Erziehung und Erziehungsleistungen ernst zu nehmen und zu
unterstützen. Herausgekommen sind 10 Euro mehr Unterstützung. Das ist mager. Denn jetzt verpassen Sie gerade die letzte Chance in dieser Wahlperiode, eine wirkliche Reform durchzuführen und all Ihre Versprechen,
die Sie gegeben haben, in die Realität umzusetzen. Stattdessen verkaufen Sie uns diese 10 Euro Kindergelderhöhung als Errungenschaft. Sie wissen doch genau, dass
diese 10 Euro nicht eine freiwillige Entscheidung dieser
Regierungspolitik sind,
({1})
sondern eine Konsequenz, die Sie aus dem Existenzminimumbericht ziehen. Weil im Zuge dieses Berichts das
Existenzminimum angepasst werden muss. Sie können
keinen Wahlkampf durchstehen, wenn ausgerechnet die,
die am wenigsten verdienen, nichts bekommen. Deshalb
machen Sie das und verkaufen es auch noch als eine Errungenschaft. Aber eine Errungenschaft ist es nicht.
({2})
Was ist denn - damit will ich anfangen - mit den Familien im SGB-II- und SGB-XII-Bezug? Was ist mit
diesen Familien? Sie sagen, Sie unterstützen Familien.
Sie bekommen aber keine 10 Euro Kindergelderhöhung.
Sind das etwa keine Familien? Sind das keine Erziehenden, die Verantwortung übernehmen? Warum gehen sie
leer aus, obwohl wir alle wissen, dass der Bedarf dort am
allerhöchsten ist?
({3})
Antworten Sie doch einmal darauf. Sie sagen, 10 Euro
seien gut angelegtes Geld. Kennen Sie denn die Realität
nicht?
Die Mehrwertsteuererhöhung haben Sie durchgeführt.
Die allgemeinen Preissteigerungen und die Steigerung
der Energiepreise - und des Weiteren, dass der Kaufkraftverlust des Kindergeldes seit 2002 fast 12 Prozent
beträgt - müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da sind
10 Euro nicht nur mager, sondern auch einfach nur symbolisch. Wenn Sie die Kindergelderhöhung ernst meinen, dann sollten Sie das auch ernst debattieren und sich
nicht hinter einer Symbolpolitik verstecken.
({4})
Kommen wir dazu, was Sie machen. Sie sagen: Einige Kinder sind uns mehr wert als andere Kinder, die
aus einem gut verdienenden Haushalt kommen, sind uns
besonders viel wert. Diejenigen, die in einem Haushalt
mit ALG-II-Bezug aufwachsen, sind uns weniger wert. Der Staat erhöht das Kindergeld, das er aber sofort wieder einkassiert. Das heißt, das ist so, als ob sich der Staat
selbst Geld auszahlt und dann so tut, als seien in dieser
Sache die Familien die Gewinner. Das sind sie aber
nicht.
Kommen wir zu Ihrem 100-Euro-Schulbedarfspaket. Den einen Eltern vertrauen Sie und gehen davon
aus, dass sie das Geld für ihre Kinder ausgeben. Den anderen Eltern misstrauen Sie und glauben, dass Sie ihnen
gar kein Geld geben können. - Wissen Sie, was letztendlich bei den Menschen ankommt, wenn Sie fordern, dass
die Verwendung dieses Pakets von 100 Euro für den
Schulbedarf kontrolliert werden muss, damit es wirklich
nur für den Schulbedarf ausgegeben wird? Darüber hinaus gilt es nur bis zur 10. Klasse. - Ich frage Sie: Gehen
Sie grundsätzlich davon aus, dass Kinder aus ärmeren
Haushalten erst gar nicht aufs Gymnasium oder irgendeine andere weiterführende Schule gehen?
({5})
Gehen Sie davon aus, dass diesen Familien diese Kosten erst gar nicht entstehen? Oder finden Sie sich etwa
damit ab - das wäre noch viel schlimmer -, dass die Situation so ist, wie sie ist, dass nämlich der Schulerfolg
eines Kindes von der sozialen Herkunft abhängt und nur
die Kinder aus den Akademikerhaushalten die besseren
Chancen haben? Das wäre schlimm. Dann würden Sie
nämlich sagen: Die Situation ist nun einmal so, und wir
können sie nicht ändern. Genau das aber ist unsere Aufgabe. Wir dürfen uns nicht mit dieser Situation abfinden,
sondern müssen sie ändern.
({6})
Deshalb brauchen wir doch die Kinderbetreuung. Deshalb brauchen wir Ganztagsschulen. Deshalb brauchen
wir die Infrastruktur. Deshalb brauchen wir aber auch
eine reelle und materielle Unterstützung der Familien.
Ein ganz großer Anteil der Familien gibt das Geld für
die Kinder aus. Das ist eine Tatsache.
Noch etwas anderes: die Regelsätze. Auch darüber
müssen wir reden. Auch da müssen Sie etwas tun. Wenn
wir sagen, dass das Existenzminimum zu niedrig bemessen ist, dann gilt das auch für die Regelsätze.
({7})
Dann gilt das auch für die Sätze der Kinder. Sie können
sich doch nicht blind und taub stellen. In allen Bereichen
reden Sie über Gerechtigkeit. Aber Sie reden nicht über
die Regelsätze. Wir brauchen endlich eine neue Form,
wie wir die Regelsätze für Kinder berechnen. Es kann
nicht sein, dass wir sie an dem Erwachsenenbedarf
ausrichten oder das prozentual kalkulieren. Dahinter
stecken kein Sinn und keine Logik.
Diese Sätze sind de facto zu niedrig. Nehmen Sie das
zur Kenntnis. Tun Sie etwas!
({8})
Je länger Sie warten, desto größer wird die Spaltung in
dieser Gesellschaft. Irgendwann einmal wird uns diese
Spaltung einholen. Für diese Spaltung müssen wir die
politische Verantwortung übernehmen.
Kommen wir zurück zu Ihren Versprechungen hinsichtlich der Familienförderung. Ja, sie ist kompliziert,
sie ist undurchsichtig. Sie ist bürokratisch. Alles, was
Sie machen, ist Stückwerk. Einfach auf die bestehende
Ungerechtigkeit - dass diejenigen, die mehr haben, mehr
bekommen, und dass diejenigen, die weniger haben, weniger bekommen - etwas draufzulegen, wie uns das die
Linke vorschlägt - einfach etwas hinzufügen, dann ist
das Ganze schon gerecht -, macht die Sache eben nicht
gerechter. Vielmehr manifestiert das die Ungerechtigkeit.
Wir haben gute Ideen und gute Erkenntnisse. Wir haben auch gute Strukturvorschläge auf dem Tisch liegen,
wie man ein gerechtes Familienfördersystem aufbauen
kann. Dazu gehört es auch, darüber zu reden, wie wir
besser Kinder und nicht den Trauschein fördern können.
({9})
Das Ehegattensplitting, Herr Singhammer, ist unser
Lieblingsproblem. 60 Prozent der Familien bekommen
heute nichts, keinen einzigen Cent durch das Ehegattensplitting. Sie bekommen nichts, weil sie nicht verheiratet
sind.
({10})
Wir reden über Eltern, die beide arbeiten müssen, um
überhaupt über das Existenzminimum zu kommen, die
Geringverdiener. Wir reden nicht über die Großverdiener. Nur 5 Prozent der Haushalte im gesamten Osten
profitieren vom Ehegattensplitting, aber 95 Prozent im
Westen mit Schwerpunkt Süden. Das Ehegattensplitting
ist überholt.
({11})
Lassen Sie uns doch endlich die Kinder und nicht den
Trauschein fördern.
({12})
Sie machen hier nur Symbolpolitik. Sie halten hier
Ihre Ideologien hoch. Sie behalten damit Ihre Scheuklappen. Die Realität ist, dass Menschen, die Kinder erziehen, alleine gelassen werden, dass wir durch Transfers den Trauschein fördern und unsere Kinder dabei zu
kurz kommen. 60 Prozent der Familien bekommen
durch das Ehegattensplitting keinen Cent mehr. Weg damit! Seien Sie mutig! Stehen Sie zu den Kindern, allerdings nicht nur mit warmen Worten, indem Sie immer
wieder betonen, dass wir uns alle einig sind, wie wichtig
Kinder sind!
({13})
Ich bin Mutter von zwei Kindern. Ich bekomme sehr
wohl mit, wie das Leben ist. Dafür brauche ich nicht
meine Nachbarn und Nachbarinnen. Ich kann Ihnen sagen: Die Eltern in diesem Land setzen sich für ihre Kinder ein, auch dann, wenn sie erwerbstätig sind.
({14})
Sie möchten nicht auf große Almosen angewiesen sein.
Für diese Familien, Herr Singhammer, brauchen wir
Antworten. Für diese Familien haben Sie aber keine
Antworten.
({15})
Sie verschenken die Chance, echte Reformen auf den
Weg zu bringen. Sie verschenken die Chance, die Zukunft unserer Kinder zu verbessern. Dabei geht es um
die Zukunft jedes einzelnen Kindes. Es geht nicht nur
um die Kinder von Frau Meier und Frau Müller,
({16})
sondern auch um die Kinder von Frau Öztürk. Es geht
um alle Kinder. Hier haben wir eine Verpflichtung und
sind in der Bringschuld. Das, was Sie machen, ist aber
nur Symbolpolitik und hat mit der Realität der Familien
gar nichts zu tun.
Danke schön.
({17})
Die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Heute Morgen ging es ein bisschen kreuz und quer. Deswegen versuche ich, ein wenig Systematik in unsere Diskussion zu bringen.
({0})
Bevor wir diesen Gesetzentwurf formuliert haben,
wurde auch in unserer Partei - aber natürlich nicht nur
dort - über die grundsätzliche Frage diskutiert: Sollte
man jetzt eine Kindergelderhöhung vornehmen, oder
sollte man lieber Geld in die Infrastruktur stecken? Ich
persönlich denke, es muss ein Sowohl-als-auch geben.
Denn alle, die seit der letzten Kindergelderhöhung im
Jahre 2002 Kinder erzogen haben, wissen, dass das Leben mit Kindern seitdem teurer geworden ist. Deswegen
ist es wichtig, das Kindergeld zu erhöhen.
({1})
Natürlich brauchen wir auch mehr Investitionen in die
Infrastruktur. Allerdings haben wir auf diesem Gebiet
in dieser Legislaturperiode schon eine Menge angestoßen, und wir werden noch mehr tun.
Ich möchte auf eine Argumentation eingehen, die mir
häufig begegnet und die auch heute von den Kollegen
der Linken vorgetragen wurde. Sie argumentieren nach
dem Motto: Den Banken habt ihr 500 Milliarden Euro
gegeben. Gebt doch auch den Familien ein paar Milliarden Euro mehr!
Wir alle hoffen, diese 500 Milliarden Euro nie auf den
Tisch legen zu müssen. In diesem Betrag sind Bürgschaften und andere Absichtserklärungen enthalten,
diese Tatsache müsste mittlerweile in diesem Hohen
Hause bekannt sein. Jetzt können wir nicht einfach sagen: Wir nehmen davon mal eben 12 Milliarden Euro
weg. Dieses Geld geben wir dann den Familien, und die
Banken bekommen ein bisschen weniger. Wir dürfen
diese Themen nicht vermischen. Eine verantwortungsvolle Familienpolitik hat auch mit Haushaltskonsolidierung zu tun. Dieses Ziel müssen wir bei allem, was wir
tun, immer im Auge behalten.
({2})
Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die meisten
Eltern - ich hoffe, über 95 Prozent - das Geld, das sie
für ihre Kinder bekommen, auch für ihre Kinder ausgeben;
({3})
davon bin ich fest überzeugt, und das möchte ich betonen.
({4})
Die Diskussion darüber, dass eine Verrechnung mit
den Hartz-IV-Regelsätzen stattfindet, möchte ich nicht
vertiefen. Denn im Rahmen von Hartz IV gibt es Regelsätze, die unabhängig vom Kindergeld gelten. Wenn
man der Meinung ist, dass sie zu niedrig bzw. falsch bemessen sind und dass die Inhalte nicht stimmen, kann
man darüber an anderer Stelle reden. Das hat aber nichts
mit dem Kindergeld zu tun. Wir wissen, dass Hartz-IVFamilien ein Äquivalent zum Kindergeld bekommen.
Deswegen kann man ihnen diese Erhöhung nicht obendrauf geben.
({5})
- Das finde ich nicht unlogisch. Bei Gelegenheit kann
ich Ihnen das einmal genauer erklären.
Im SPD-Programm steht - das ist auch unser Wille -:
Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. Das ist
schön und hört sich gut an. Aber die Systematik ist eine
andere. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben, dass wir das Existenzminimum steuerfrei stellen
müssen.
({6})
Das Existenzminimum folgt der Sozialhilfe plus Wohnkosten, die vom Bauministerium festgelegt werden;
diese Definition ist wichtig. Das Ganze ist ein Freibetrag; meine Kollegin hat schon kurz auf die Systematik
eines Freibetrags hingewiesen.
Ein Freibetrag auf 6 000 Euro bzw. 6 024 Euro - an
dieser Stelle werden wir wahrscheinlich nachbessern
müssen - bedeutet bei einem Steuersatz von 45 Prozent,
der für die ganz Reichen in Deutschland gilt, einen Vorteil von 225 Euro. Bei einer Steuerbelastung in Höhe
von 42 Prozent bedeutet dieser Freibetrag einen Vorteil
von 210 Euro.
Jetzt existiert eine Schere, die uns als SPD, aber ich
denke, auch vielen anderen, natürlich überhaupt nicht
gefällt. Wir erhöhen das Kindergeld für das erste Kind
auf 164 Euro. Demgegenüber gibt es im Spitzensteuerbereich einen wesentlich höheren Freibetrag. Die
14 Milliarden Euro, die die Linken irgendwo gefunden
und für eine Verwendung vorgeschlagen haben, könnten
wir jetzt natürlich noch obendrauf setzen. Wir haben sie
bisher aber noch nicht gefunden.
Deswegen befinden wir uns in diesem schizophrenen
Zustand, dass wir die Schere auch schließen könnten,
wenn wir den Spitzensteuersatz auf 30 Prozent senken
würden. Ich warne also alle davor, zu sagen, wir bräuchten höhere Steuersätze, um die Schere schließen zu können. Bei unserer Systematik ist genau das Gegenteil der
Fall.
({7})
Dieses Problem können wir nicht so einfach lösen.
({8})
Ich denke, wir müssen das Kindergeld nach und nach
erhöhen. Das ist unser ausdrücklicher Wunsch. Das geht
aber nicht von einem Jahr aufs andere und auch nicht innerhalb einer Legislaturperiode. Das sollte aber natürlich
unser Interesse sein.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höll?
Ja, natürlich.
Liebe Kollegin, um das noch einmal ganz klar festzuhalten: An die bestehende Systematik, die ja viel Gutes
hat, weil es dadurch eine gesicherte Grundlage hinsichtlich der Errechnung der notwendigen Höhe des Existenzminimums für Kinder gibt, darf niemand herangehen. Das ist ein festes Fundament. Wir müssen nur
schauen, wie hoch wir das ansetzen.
Auf dieser Basis kann man eine Entlastung natürlich
so vornehmen - ich habe nicht umsonst die Familienministerin zitiert -, dass man das höchste Niveau - den
Spitzensteuersatz - für alle ansetzt. Das ist in der Systematik nur davon abhängig, was wir wollen. Es kostet
mehr Geld. Ich habe die Summe von 6 Milliarden Euro
genannt, die letztlich noch notwendig wäre.
Frau Kollegin, eigentlich wollten Sie eine Frage stellen.
Stimmen Sie mir zu, dass das innerhalb des bestehenden Systems sehr wohl möglich und nur eine Frage des
politischen Wollens und abhängig von den Finanzen ist?
Es ist nur abhängig von den Finanzen. Wenn man das
Geld irgendwo findet, dann kann man es natürlich verwenden. Wir haben es bisher aber noch nicht gefunden.
Ich fände es Familien und Kindern gegenüber verantwortungslos, das über eine Verschuldung zu regeln.
({0})
Zu Herrn Thiele und seinen glatten Zahlen möchte ich
sagen: Bei den Lohneinkünften bzw. Einkommen gibt es
auch keine glatten Zahlen. Deswegen denke ich, dass die
Familien auch mit 164 Euro rechnen und leben können.
({1})
- Ginge es auch. Man könnte auch bei Lohnabschlüssen
glatte Zahlen vereinbaren und sagen, dass jeder
6 000 Euro erhält. Das tun wir auch nicht.
({2})
Ich denke also, dass das nicht sein muss. Von daher kann
das so bleiben.
Als Mutter von vier Kindern finde ich persönlich die
Staffelung gut.
({3})
Ich weiß, dass das viele anders sehen, aber aus meiner
Lebenserfahrung heraus muss ich sagen: Das dritte Kind
ist das teuerste.
({4})
Ich weiß nicht, wie es mit dem fünften und dem siebten
Kind aussieht. Das müsste mir vielleicht die Ministerin
sagen.
({5})
Ich denke, irgendwann überwiegt in der Familie die Organisationsneigung gegenüber der Konsumneigung. Von
daher verschieben sich dann vielleicht auch gewisse
haushalterische Gesichtspunkte innerhalb der Familie.
Ich persönlich denke aber, dass man mit der Staffelung
gut leben kann.
({6})
Das Wichtige für uns ist - das dürfen wir nicht aus
den Augen verlieren -, dass es in dieser Gesellschaft einen gewissen Anteil von Menschen gibt, der sich gegen
Kinder entscheidet. Das mag gute Gründe haben. Manche hätten auch gerne Kinder, können aber keine bekommen. Deshalb brauchen diejenigen, die eine Familie wollen, Unterstützung dafür, mehr Kinder zu bekommen.
Man muss sie zum dritten Kind ermutigen, sodass sie
nicht sagen: Na ja, mit zwei Kindern geht es ganz gut, ab
dem dritten Kind brauchen wir aber eine neue Wohnung
und ein neues Auto; das ist zu viel. - Ich denke, man
muss sie ermutigen und sagen: Wer sich grundsätzlich
für Kinder entscheidet, der sollte eine Erleichterung erhalten, damit er die Finanzierung auch bei mehr Kindern
noch sicherstellen kann.
({7})
Meine Kollegin sagte schon, dass wir 37 Milliarden
Euro für Kindergeld und Kinderfreibeträge ausgeben.
Man kann sich immer mehr wünschen, was man sich
aber vor allen Dingen wünschen sollte, ist, dass auch die
Länder ihre Verantwortung wahrnehmen. Ich denke,
Lehrmittelfreiheit, kostenlose Nutzung der Schulbusse
und auch das Essen in der Schule sind keine originären
Bundesangelegenheiten. Das müssen wir immer wieder
einfordern.
({8})
So wünschenswert es ist, dass wir das alles hier zentral regeln: Andere Dinge dürfen wir auch nicht zentral
gestalten. Solange noch jeder selber seine Fremdsprachen festlegt, sollte er auch dafür sorgen, dass in den
Schulen einigermaßen gute Zustände herrschen.
({9})
Ich bin - ganz im Gegensatz zu Frau Höll - der Meinung, dass nicht nur die Bürgerinnen und Bürger am
Starnberger See, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern profitieren, wenn wir haushaltsnahe Dienstleistungen absetzbar machen. Es geht nicht immer nur um
das Dienstmädchen, das in irgendeiner Form von Ihnen
vorgeführt werden muss,
({10})
sondern auch um eine Entlastung der Familien, die vielleicht dazu führt, dass beide Elternteile arbeiten können.
Wenn man sich eine Dienstleistung kaufen kann, die
man steuerlich absetzen kann, dann geht es nicht darum,
angenehm in der Sonne zu liegen. Vielmehr bringt es
häufig Familien aus der Armut heraus, wenn beide Elternteile arbeiten können. Das möchte ich noch einmal
festhalten.
Meiner Meinung nach gibt es nämlich keine Kinderarmut, sondern nur Familienarmut. Kinder sind nicht selber arm und ihre Familie nicht. In einem solchen Fall ist
die gesamte Familie in einer schwierigen Situation, aus
der wir ihr heraushelfen müssen, indem beide Elternteile
in die Lage versetzt werden, dazuzuverdienen, wenn ein
Einkommen nicht reicht. Dann ist es nötig und sinnvoll,
sich entsprechende Dienstleistungen zu kaufen.
Alles in allem ist der Gesetzentwurf in einer ausgewogenen Form vorgelegt worden. Wir haben ein paar
Kritikpunkte, die ohne Frage geändert werden müssen.
Die Förderung bestimmter Zielgruppen kann nicht nach
zehn Jahren aufhören. Das ist völlig klar. Aber wir sind
im Gesetzgebungsverfahren und werden noch einige Änderungen vornehmen.
Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen. Ich
denke, als Vorlage kann man mit dem Gesetzentwurf gut
leben.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort erhält nun die Kollegin Ina Lenke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erstes
möchte ich das Wort an meine Vorrednerin richten. Dass
gerade eine SPD-Kollegin von einem Dienstmädchen
spricht, wundert mich sehr.
({0})
Ich habe eine Hilfe im Haushalt und bin sehr froh darüber, dass sie qualifizierte Arbeit macht.
({1})
Nun komme ich zum Gesetzentwurf. „Investitionen in
Familie sind Investitionen in die Zukunft“, heißt es einleitend im Gesetzentwurf. Das ist sicherlich eine treffende Formulierung. Befasst man sich aber mit den Inhalten, dann wird deutlich, dass nur sehr wenig für
Investitionen in Familie vorgesehen ist, etwa die 10 Euro
Kindergelderhöhung. Mein Kollege Carl-Ludwig Thiele
hat bereits darauf hingewiesen, dass die letzte Kindergelderhöhung 2002 erfolgt ist.
Fakt ist: Die Große Koalition - und damit auch die
SPD - zieht weiterhin den Familien das Geld aus der Tasche.
({2})
Die Mehrwertsteuererhöhung, von der Sie im Parlament nicht gerne hören, spüren wir Tag für Tag, und
auch die Familien spüren die Mehrwertsteuererhöhung
Tag für Tag. Denn am Ende des Monats ist bei Familien,
die rechnen müssen, nichts mehr in der Tasche.
({3})
Ich möchte mich nun der CDU zuwenden. Im
Sommer vor einem Jahr haben Herr Pofalla und auch Sie
von der CDU in einem Zehnpunkteprogramm versprochen, dass Sie die Mehrwertsteuer auf Pampers von
19 Prozent auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von
7 Prozent senken wollen.
({4})
Was ist eigentlich daraus geworden? Haben Sie das mit
der SPD besprochen?
Was Sie mit der SPD besprochen haben, ist, dass die
Skiliftbetreiber nur noch 7 Prozent statt bisher 19 Prozent auf ihre Umsätze zahlen müssen. Das ist eine tolle
Leistung.
({5})
Aber wenn wir von der FDP seit Jahren einen Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Windeln fordern, dann sind
Ihre Ohren verschlossen.
Bei der Diätenerhöhung waren Sie mit den Entscheidungen schneller als der Schall. Da ging alles ganz
schnell. Insofern bitte ich darum, dass Sie sich der Mehrwertsteuerermäßigung noch einmal widmen.
Weil die Ministerin dankenswerterweise anwesend ist
und wir das Thema sonst nur im Ausschuss problematisieren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu sagen,
dass alles, was Sie mit Ihren Gesetzen machen, Stückwerk
ist. Denn Sie haben die 153 ehe- und familienbezogenen
Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland mit einem
Volumen von 185 Milliarden Euro bisher noch nicht
evaluiert. Sie haben das die ganze Zeit angekündigt. Im
Ausschuss wurde aber gesagt, dass die Fraktionen das
selber machen können. Es gibt keine kritische Bewertung der ehe- und familienbezogenen Leistungen. Sie
geben hier und da ein bisschen mehr. Aber das reicht
nicht, um Familienpolitik aus einem Guss zu gestalten.
Das haben Sie in dieser Legislaturperiode nicht geschafft.
({6})
Da ich nur noch eine Minute Redezeit habe, will ich
ganz kurz auf die Kinderbetreuungskosten zu sprechen
kommen. Keiner von Ihnen hat gesagt, dass die Kinderbetreuungskosten, wenn der Mann und die Frau oder Alleinerziehende arbeiten gehen, nur zu zwei Drittel von
der Steuer abgesetzt werden können. Das kann ich, die
ich Steuerfachangestellte bin, mir überhaupt nicht erklären. Warum sollen wir Frauen, die wir arbeiten gehen,
ein Drittel der Kinderbetreuungskosten selbst tragen?
Das muss in diesem Gesetz unbedingt geändert werden.
Das wird eine Forderung der FDP sein.
({7})
Mein Fazit lautet: Das Steuerrecht bleibt weiter kompliziert. Die Kindergelderhöhung ist unzureichend. Weiterhin pflegen Sie von der Großen Koalition das Prinzip
„Rechte Tasche, linke Tasche“. Die Familien in der Bundesrepublik Deutschland werden erst durch eine neue
Regierung in der nächsten Legislaturperiode wirklich
entlastet werden.
({8})
Das Wort erhält nun die Kollegin Patricia Lips für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit wird in diesem Haus über zahlreiche Maßnahmen auf allen Politikfeldern diskutiert, Maßnahmen,
die vor allem in naher Zukunft oder mittelfristig unserem
Land helfen sollen. Die Finanzmarktkrise hat die Realwirtschaft erreicht. Nahezu alle davon betroffenen Länder rüsten sich richtigerweise für die kommende Zeit.
Der Fokus zahlreicher Maßnahmen richtet sich natürlich
auf den wirtschaftlich-finanziellen Bereich; das ist auch
richtig. Jede Maßnahme verdient es, dass man ihr die nötige Aufmerksamkeit schenkt.
Frau Höll, gestatten Sie mir, auf das Beispiel von Frau
Beyer zurückzukommen. Sie sagten, dass diese Frau gut
und zuverlässig arbeitet. Das freut uns, und wir unterstützen sie dabei. Wir bedauern aber, dass die Maßnahmen, die im Rahmen des Paketes zur Stabilisierung des
Finanzmarktes getroffen wurden, immer wieder angeführt werden, um bestimmte Positionen und Bereiche in
unserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Das
ist nicht richtig; das ist falsch. Die Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes dienen auch dazu, dass
das Unternehmen, bei dem Frau Beyer arbeitet, in Zukunft die benötigten Kredite und Aufträge bekommt.
Damit wird der Arbeitsplatz von Frau Beyer nachhaltig
gesichert. Leider vergessen Sie das immer in Ihren Ausführungen. Deshalb ist es doppelt wichtig, das an dieser
Stelle zu sagen.
({0})
Wir begrüßen die Ziele, die mit dem vorliegenden
Leistungsgesetz für Familien erreicht werden sollen. Es
sind ganz besonders die Familien, die das Fundament einer stabilen Gesellschaft bilden. Gerade in wirtschaftlich
schwierigen Zeiten dürfen und wollen wir sie nicht am
Rande stehen lassen. Auch deshalb ist dieses Gesetz so
wichtig. Leistungen für Familien sind immer auch Investitionen in die Zukunft. Mit dem Leistungsgesetz für Familien wollen wir - wir hörten das bereits - einen sehr
erfolgreichen Weg fortsetzen. Elterngeld, erweiterter
Kinderzuschlag, ausgeweitete Betreuungsangebote, Kindertagesstätteneinrichtungen, Ganztagsschulen und soziale Frühwarnsysteme, dies sind nur einige Marksteine
der jüngeren Vergangenheit. Kritik daran wird es immer
geben, hier und draußen. Man kann es nicht immer allen
recht machen. Aber es wird kaum jemand bestreiten,
dass innerhalb kurzer Zeit viele Maßnahmen auf den
Weg gebracht wurden. Diesen erfolgreichen Weg wollen
wir heute weitergehen.
({1})
Die Erhöhung des Kinderfreibetrages ist - wir hörten
schon mehrfach davon - ein richtiger und vor allem ein
verfassungsrechtlich notwendiger Schritt. Die Erhöhung
des Kindergeldes sieht eine Staffelung vor, bei der Mehrkindfamilien besonders berücksichtigt werden. 4,5 Millionen Kinder leben in solchen Familien. Es gibt zudem
Sonderzahlungen zum Schulbesuch, ein ganz neues Element. Die Förderung von haushaltsnaher Beschäftigung
und Dienstleistung soll ausgebaut bzw. vereinfacht werden.
Was wollen, was können wir mit diesen Maßnahmen
bewirken? Ich möchte das an dieser Stelle in drei Punkten zusammenfassen.
Erstens: die finanzielle Entlastung und Unterstützung von Familien mit Kindern. Wir wollen wirtschaftliche Stabilität schaffen bzw. ausbauen. Vor allem
kinderreiche Familien sowie Familien mit mittleren und
unteren Einkommen brauchen häufig verstärkt die Hilfe
der Gemeinschaft. An dieser Stelle möchte ich aus der
aktuellen Debatte heraus die Gelegenheit nutzen, um auf
etwas hinzuweisen. Der Regelsatz im SGB II ist von
2002 bis heute für Kinder bis sechs Jahre um 30 Prozent
gestiegen.
({2})
Wenn wir die Diskussion hier führen, dann sollten wir
sie auch komplett führen. Deshalb ist es wichtig, dass
das noch einmal an dieser Stelle gesagt wurde.
({3})
Zweitens: eine bessere Vereinbarkeit von Familie,
Pflege und Beruf. Die Anforderungen sind gestiegen.
Wir selbst fordern eine erhöhte Flexibilität am und für
einen Arbeitsplatz. Gleichzeitig brauchen wir auch
Frauen, die in Kontinuität und ohne ständigen Druck an
der Arbeitswelt teilhaben können. Nicht nur Kindererziehung, auch die Pflege von Angehörigen spielt eine
immer größere Rolle. Sie hat unmittelbaren Einfluss auf
die Gestaltung einer Gemeinschaft, einer Familie. Oft
geschieht dies nicht geplant, sondern in tragischen Fällen werden die Familien völlig unvorbereitet davon betroffen.
Drittens. Insbesondere die steuerliche Förderung von
haushaltsnaher Beschäftigung und Dienstleistung soll
neben der Erleichterung einer eigenen, individuellen Lebensplanung auch dazu beitragen, die Ausschöpfung eines
großen Potenzials zum Beschäftigungsaufbau voranzubringen. Der private Haushalt soll noch mehr als bisher
zu einem Auftraggeber werden können und zur Schaffung von legalen Beschäftigungsverhältnissen beitragen.
Wenn wir die Debatte heute verfolgt haben, dann stellen wir fest - gestatten Sie mir, dass ich das so sage -,
dass wir in der eher komfortablen Situation sind, dass
wohl nahezu jeder hier im Haus die grundsätzliche Stoßrichtung aller Maßnahmen begrüßt. Dabei gibt es natürlich nichts, auch nichts Gutes, was man nicht noch besser machen könnte - selbstverständlich. Viele Dinge
wurden hier genannt, und es gibt immer jene, die ein
Mehr an Leistung fordern. Wie immer wird es so sein,
dass nicht alles erfüllt werden kann. Doch wir stehen am
Anfang der Diskussion, und ich bin mir sicher, dass wir
für vieles Regelungen finden werden.
Kindererziehung ist und bleibt Sache der Eltern. Der
Staat, die Gemeinschaft aller, unterstützt dabei vielfältig
und schreitet dort ein, wo Eltern nicht allein zum Wohl
ihrer Kinder handeln können oder wollen. So soll es
sein. Kinderfreundliche Unterstützungsmaßnahmen zu
ergreifen, ist aber nicht nur eine Aufgabe des Deutschen
Bundestages, sondern wir sind auf allen Ebenen dazu
verpflichtet, Regelungen zu finden. Das ist nicht allein
eine politische Aufgabe, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Wir
wollen diese Leistungen zur Unterstützung hier und
heute an einer weiteren Stelle ergänzen. Das Ganze soll
bereits im Januar in Kraft treten. Ich freue mich auf Ihre
Mithilfe und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein Familienleistungsgesetz setzt sehr gute Signale. Es geht um stärkere Unterstützung für Familien,
und es geht um gesonderte Hilfe für bedürftige Schülerinnen und Schüler, weil wir auch nach denen schauen,
die von der Kindergelderhöhung nicht profitieren werden. Tatsächlich haben wir ein schwerwiegendes Problem im Bildungswesen. Die PISA-Studien zeigen deutlich, dass in keinem Industriestaat der Welt Kinder aus
armen und bildungsfernen Familien so schlechte Bildungschancen haben wie in Deutschland. Der nationale
Bildungsbericht 2008 hat zum Beispiel festgestellt, dass
die Kinder von Beamten mit Hochschulabschluss zu
95 Prozent studieren, dass es aber nur 17 Prozent der Arbeiterkinder bis an die Hochschule schaffen. Dabei wissen wir, dass die Kinder nicht dümmer oder klüger geboren werden. Nein, es sind die gesellschaftlichen
Bedingungen, die Bildungschancen ermöglichen oder
eben auch verbauen. Dagegen müssen wir etwas tun.
Wir wollen optimale Unterstützung und Chancengleichheit für alle in der Bildung.
({0})
Darum ist es so wichtig, dass wir in Bildungseinrichtungen investieren, wie wir es etwa unter Rot-Grün mit
dem Ganztagsschulprogramm und dem Tagesbetreuungsausbaugesetz oder wie wir es auch in der Großen
Koalition mit dem Kinderförderungsgesetz getan haben.
Darum wollen wir auch Familien, die nicht so viel Geld
haben, unterstützen: damit sie für die Kinder Schulbedarf kaufen können, also Ranzen, Hefte, Füller usw. Das
ist ein guter Beitrag dazu, dass Kinder aufgrund der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern im schulischen Leben nicht
benachteiligt werden. Ich will einmal sagen: Es ist die
SPD gewesen, die das initiiert hat, die das in der Koalition durchgeboxt hat.
({1})
Ohne den Impuls von Franz Müntefering schon vor einiger Zeit hätte es das nicht gegeben.
({2})
Aber wir wollen noch mehr erreichen, als in diesem
Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Mir ist vollkommen
unklar, warum die CDU/CSU in den Koalitionsverhandlungen darauf bestanden hat, dass dieses Schulbedarfspaket zeitlich begrenzt wird, es also nur bis zur zehnten
Klasse in Kraft gesetzt wird. Warum nicht auch bis zum
Abitur?
({3})
Will die Union nicht, dass Bedürftige Abitur machen?
Um das Geld kann es an dieser Stelle ja nicht gehen.
Auch der Bundesrat kann das übrigens nicht nachvollziehen. In seinem Beschluss bezeichnet er diese Begrenzung als - Zitat - „sachlich nicht gerechtfertigt“ und
„kontraproduktiv“. Das ist eine finanzielle Benachteiligung derjenigen, die einen höheren Bildungsabschluss
anstreben, und widerspricht der Zielsetzung, mehr und
bessere Bildung zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, ich bitte Sie herzlich: Das
kann so nicht bleiben. Geben Sie sich einen Ruck und
stimmen Sie einer Änderung zu!
({4})
Uns ist klar, dass durch dieses Gesetz nicht alle Probleme gelöst werden. Die SPD will weitere, größere
Schritte gehen. Wir wollen einen eigenständigen Regelsatz für Kinder, deren Eltern arbeitslos sind. Bislang
wird der Bedarf für Kinder so festgelegt, als ob sie
kleine Erwachsene wären. Das bedeutet, dass sie dann,
abhängig vom Alter, 60 oder 80 Prozent dessen bekommen, was Erwachsenen zugestanden wird, mit dem Effekt, dass Kinder etwa für Alkohol und Tabak Geld bekommen, nicht aber für Bildung und kindgerechte
Dinge. Ich glaube, da müssen wir noch einmal heran.
Das kann so nicht bleiben.
({5})
Darüber hinaus wollen wir die Gebührenfreiheit der
Kitas genauso wie der Hochschulen. Auch das Mittagessen in den Kitas und in den Schulen sollte für die Eltern
kostenfrei sein. Ein Schüler-BAföG ist sinnvoll. Wir
wollen gute Bildung für alle ermöglichen. Das ist wichtig für unsere Volkswirtschaft. Das ist aber vor allem ein
Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Dafür stehen wir ein.
({6})
Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Lassen Sie uns aber noch mutiger sein. Es gibt Gelegenheiten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens;
die Kollegin Lips hat darauf hingewiesen. Ich werte das
als Signal dafür, dass mit der CDU/CSU darüber noch
geredet werden kann. Ich glaube, dann wird es noch ein
richtig gutes Gesetz.
Herzlichen Dank.
({7})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich könnte fast wie immer nach solchen
Debatten hier im Deutschen Bundestag sagen: Viel Lärm
um nichts.
({0})
Ich würde mich freuen, wenn Sie von der Opposition
- jetzt schaue ich auch die rechts sitzende FDP an - uns
einmal attestieren würden: In den letzten Jahrzehnten ist
für die Familien nie so viel wie in den letzten drei Jahren
getan worden.
({1})
Frau Deligöz, Sie stellen sich hier hin und sagen:
10 Euro mehr, das ist mager. - Ich schaue einmal zurück
auf die Zeit, in der Sie in der Regierungsverantwortung
waren: Sie haben 2002 zum letzten Mal das Kindergeld
erhöht. Man könnte vermuten, das hätten Sie getan, weil
Sie die Probleme der Familie erkannt hätten.
({2})
Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es war
das Verfassungsgerichtsurteil von 1998, das sich eindeutig zur Kinderbetreuung geäußert hat.
({3})
Im November 1998 kam das Urteil, und daraufhin haben
Sie 2000 reagiert, aber nicht, weil es Ihnen ein Grundbedürfnis war.
({4})
Man muss noch einmal sagen, dass dies eine Reaktion
war.
Seit 2002 ist nichts mehr geschehen. Obwohl Ihnen
das Thema Armut immer so wichtig ist, haben Sie nicht
erkannt, dass gerade Familien mit drei und mehr Kindern ein erhöhtes Armutsrisiko tragen. Deshalb ist es
richtig und wichtig, dass wir jetzt ein gestaffeltes Kindergeld nach vorn bringen.
({5})
Darauf sind wir stolz, und wir können es mit Recht sein.
Frau Höll, ich bin jedes Mal sprachlos, wenn die
Linke hier steht und suggeriert, sie wolle das Beste für
das Volk.
({6})
Sie reden über Eckregelsätze, die man erhöhen müsse,
und davon, dass wir die Sätze viel zu niedrig ansetzten.
Sie wissen aber, wie wir sie auf Bundesebene berechnen:
Die sozialrechtlichen Eckregelsätze werden von den
Landesregierungen bestimmt; daraus berechnen wir das
Mittel.
Ich habe einmal nachgesehen, was Sie in Berlin machen, wo Sie regieren und entsprechende Möglichkeiten
haben. Es müsste Ihnen doch ein Grundanliegen sein,
gerade die Eckregelsätze derjenigen Menschen, für die
Sie sich hier so stark machen, so zu erhöhen, dass sie davon profitieren. Sie haben jedoch genau die gleichen Regelsätze wie die anderen Bundesländer auch, nicht einen
Euro mehr. Daran müssen Sie sich messen lassen. Sie
sollten sich nicht hier hinstellen und so tun, als ob Sie etwas änderten. Machen Sie es vielmehr da, wo Sie in der
Verantwortung sind! Da können Sie etwas verändern,
und da sollten Sie es auch tun.
({7})
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal verdeutlichen, dass wir nicht nur mit der jetzt vorgesehenen
Erhöhung des Kindergeldes und des -freibetrages ein
deutliches Zeichen setzen, sondern dass während der
letzten drei Jahre einige Dinge als Leistung der großen
Koalition auf den Weg gebracht wurden, die gerade den
Familien zugutekommen. - Der Präsident blinkt schon?
Nein, ich wollte nur fragen, ob Sie bereit sind, eine
Zwischenfrage der Kollegin Höll zu beantworten.
Nein, heute nicht. Ich mache es sonst immer gern,
aber ich möchte es nicht.
({0})
- Ich möchte es heute nicht. Nein, regeln Sie das in Berlin! Da haben Sie eine Menge zu tun, und wir reden jetzt
hier weiter.
({1})
Wir haben, wie gesagt, einiges auf den Weg gebracht,
was gut und richtig ist. Wir haben nicht nur das Elterngeld eingeführt, wir haben nicht nur den Ausbau der
Kinderbetreuung auf den Weg gebracht.
Wir haben beim Kinderzuschlag - jetzt beziehe ich
mich auf die zweite Gruppe, die stark von Armut betroffen ist - die Alleinerziehenden noch einmal ganz besonders in den Fokus genommen und die Absicht bekundet,
dass hier eine Verbesserung gerade für sie erfolgen soll.
Das haben wir auch getan, und deshalb, Frau Westrich,
habe ich die Aussage in Ihrer Rede nicht verstanden
- das muss ich jetzt doch einmal kritisch sagen -, dieses
Gesetz habe allein die SPD auf den Weg gebracht.
({2})
Ich glaube, wir waren durchaus wichtig und haben uns
an einigen Stellen sehr deutlich bemerkbar gemacht.
({3})
Ich komme noch einmal zum Stichwort „haushaltsnahe Dienstleistungen“. Ich bin zwar schon etwas älter,
aber mein Gedächtnis ist noch sehr gut. Ich kann mich
erinnern, dass unsere ersten Vorschläge gerade von Ih19980
nen immer mit der Bemerkung abgetan wurden, das sei
eine Unterstützung der gut- und besserverdienenden Familien.
({4})
Heute stellen Sie sich hier hin und sagen, das sei das,
was die SPD immer gewollt habe. Das hätten wir dann
schon viel eher haben können.
({5})
Uns hatten Sie da immer auf Ihrer Seite, und Sie werden
uns dabei immer auf Ihrer Seite haben.
Gerade damit wollen wir nicht nur erreichen, die Familien in finanzieller Hinsicht besserzustellen, bessere
Betreuungsangebote vorzuhalten - und jetzt kommt der
Dreiklang, den die Ministerin sehr gut auf den Weg gebracht hat -; vielmehr wollen wir auch dafür sorgen,
dass Eltern wieder mehr Zeit für ihre Kinder haben.
Wenn wir wollen - dies ist gerade auch in Ihrer Partei,
Frau Westrich, ein großer Wunsch -, dass die Frauen
nach der Geburt eines Kindes ganz schnell in den Beruf
zurückkehren, dann müssen wir Ausgleichsmöglichkeiten schaffen, damit die Eltern, wenn beide berufstätig
sind, Zeit für die Kinder haben. Sie haben sie nur dann,
wenn sie bestimmte Aufgaben auslagern können.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir ein deutliches Signal setzen, indem wir sagen: 20 Prozent der
Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen sind
von der Steuerschuld absetzbar, und dies mit der Obergrenze von 20 000 Euro. Das ist ein richtiges, wichtiges
und deutliches Signal, und ich bin auch dem Finanzminister sehr dankbar, dass er dem Ganzen zugestimmt
hat.
Meine Damen und Herren, ich kann nur noch einmal
deutlich machen, dass wir in den letzten drei Jahren eine
Menge auf den Weg gebracht haben. Ich habe das auch
anhand dessen feststellen können, wie oft ich in dieser
Legislaturperiode im Vergleich zu den letzten geredet
habe. Da ich immer für die Familienpolitik zuständig
war, kann man das gut vergleichen. Es ist eine deutliche
Steigerung; das können Sie im Internet nachlesen.
({6})
Das zeigt einfach, dass wir sehr viele Themen besetzt
haben, die Familien betreffen, und dass wir Dinge auf
den Weg gebracht haben.
Wir haben auch geschafft - das freut mich noch
mehr -, dass unsere Debatten im Plenum des Deutschen
Bundestags zur Kernzeit stattfinden. Das war früher
nicht üblich. Auch dafür ein Dankeschön. Das ist ein
deutliches Zeichen dafür, dass wir die Familien ernst
nehmen.
Frau Ministerin, wir sind auf einem guten Weg. Wir
begleiten Sie weiterhin; denn das tun wir für die Familien in Deutschland.
({7})
Um die zu Recht hervorgehobene Bedeutung dieses
Themas zu unterstreichen, gestattet das Präsidium jetzt
noch eine Kurzintervention, und zwar der Kollegin Höll.
Ich mache aber noch einmal darauf aufmerksam, dass
wir aus guten Gründen keinen Rechtsanspruch auf Kurzinterventionen haben. Schon gar nicht gibt es eine Regelung, nach der die Abgeordneten, die in der Debatte
ohnehin zu Wort gekommen sind, sich anschließend in
Form von Kurzinterventionen zusätzliche Redezeit verschaffen.
Frau Kollegin Höll.
({0})
Herr Präsident, ich danke Ihnen. - Ich möchte auch
nur ganz kurz auf den gegen mich erhobenen Vorwurf
bezüglich Berlins reagieren.
Erstens. Frau Kollegin, Sie sollten hier nicht so tun,
als ob der rot-rote Senat für die prekäre Haushaltssituation von Berlin verantwortlich wäre. Dafür trägt vor allem die Berliner CDU die Verantwortung. Stehen Sie gefälligst dazu!
({0})
Zweitens. Wenn Sie hier solche Vorwürfe erheben,
sollten Sie sich vielleicht doch etwas gründlicher informieren. Berlin regelt die Wohnkostenübernahme für
Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger und damit
auch für ihre Kinder in der großzügigsten Art und Weise.
Das Berliner Modell ist das beste Modell, das wir derzeit
in der Bundesrepublik haben - und das trotz der angespannten Haushaltssituation. Berlin tut in dem sehr
engen Rahmen, den es hat, das Bestmögliche.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/10809 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
- Drucksache 16/10810 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia
Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Arbeitslosenversicherung stärken - Ansprüche sichern - Öffentlich geförderte Beschäftigte einbeziehen
- Drucksache 16/10511 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
({2})
- Sobald die notwendige Aufmerksamkeit für die gemeldeten Redner hergestellt ist, können wir fortfahren. - Es
wäre auch schön, wenn in der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen die offenkundig dringlichen Besprechungen wenigstens im Sitzen stattfinden könnten.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und
Soziales, Olaf Scholz.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
schwierige Zeiten, aber in diesen schwierigen Zeiten
gibt es auch gute Meldungen - die müssen besprochen
und zur Kenntnis genommen werden -: Das erste Mal
seit 16 Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen wieder unter
3 Millionen gesunken. Das ist das Ergebnis vieler guter
Entwicklungen in der Konjunktur. Das ist das Ergebnis
von Entscheidungen, die Unternehmerinnen und Unternehmer getroffen haben. Das ist das Ergebnis der Anstrengungen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber das ist auch das Ergebnis guter Politik.
({0})
Mit den Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die wir
zustande gebracht haben, haben wir einen Beitrag dazu
geleistet, dass die Arbeitslosigkeit schneller zurückgeht,
als sie ohne diese Reformen zurückgegangen wäre. Wer
das bezweifelt, kann sich jetzt noch einmal neu beim
Sachverständigenrat erkundigen. Er hat die Reformen,
die wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben,
so bewertet: Zum ersten Mal seit langem ist es gelungen,
dass die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit
einem Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit einhergeht. Zum ersten Mal ist es gelungen, dass innerhalb eines Konjunkturzyklus auch insgesamt eine strukturelle
Verbesserung festgestellt werden kann. Schließlich ist es
nicht mehr so, dass die Arbeitslosigkeit erst dann zurückgeht, wenn das Wirtschaftswachstum über 2 Prozent
liegt. Das alles haben wir zustande gebracht. Das muss
in diesen Tagen auch einmal gesagt werden.
({1})
Warum ist uns das gelungen? Es ist uns gelungen,
weil wir uns die Sache nicht so einfach gemacht haben
und nicht auf die hereingefallen sind, die einfache Lösungen propagieren: Die einen sagen hier, man müsse
den Arbeitsmarkt so organisieren, dass er keine Haltelinien hat, also sozialstaatliche und soziale Regelungen
abschaffen, um ihn hochmobil zu halten. Die anderen sagen, man dürfe gar nichts ändern. Wir haben dagegen einen Arbeitsmarkt geschaffen, der unter sozialstaatlichen
Rahmenbedingungen hoch funktionsfähig und hoch mobil ist. Genau das hat zum derzeitigen Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen.
Natürlich müssen wir jetzt alles dafür tun, damit es
dabei bleibt. Es ist deshalb richtig, dass dem Schutzschirm für die Finanzmärkte auch ein Schutzschirm für
den Arbeitsmarkt folgt. Darüber diskutieren wir heute
ja auch, nachdem zuvor darüber schon in den Fraktionen
und anderen Gremien beraten worden ist. Ich halte das
für notwendig. Für ganz besonders notwendig halte ich
in diesem Zusammenhang aber die Maßnahmen, die wir
im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zusätzlich auf den
Weg gebracht haben.
So haben wir angesichts der derzeitigen Situation gesagt: Wir verlängern die Dauer des Bezugs von Kurzarbeitergeld. Es wird nicht nur, wie im Gesetz vorgesehen, sechs Monate gezahlt, sondern kann bis zu 18 Monate gewährt werden. Das starke Signal, das davon an
die Unternehmen ausgeht, lautet: Haltet an euren Beschäftigten fest!
({2})
Entlasst sie nicht, wenn es jetzt Schwierigkeiten gibt,
sondern behaltet sie bei euch! Ihr werdet sie schneller
wieder brauchen, als ihr denkt!
({3})
Wir unterstützen in dieser Situation die Unternehmen
mit der Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes. Dies verbinden wir mit einem weiteren Angebot,
das wir im Übrigen auch mit Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik auf den Weg gebracht haben. Wir sagen:
Qualifiziert, statt zu entlassen! Wir wollen also, dass jemand, der in Kurzarbeit ist, die Möglichkeit hat, sich
weiterzuqualifizieren. Dafür werden wir die Voraussetzungen schaffen. Wir wollen aber auch, dass generell in
den Betrieben häufiger diese Möglichkeit wahrgenom19982
men wird. Deshalb werden wir für eine umfassende Nutzung des Programms WeGebAU, das wir aufgelegt haben, werben. Wir werden den mittelständischen
Unternehmen nahelegen, dafür zu sorgen, dass gering
qualifizierte Arbeitnehmer ausgebildet werden, dass sie
mehr Qualifikation bekommen und nicht entlassen werden. Wir werden auch dafür sorgen, dass ältere Arbeitnehmer nachqualifiziert werden, sodass sie für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Auch das
gehört zu den Dingen, die wir jetzt tun.
Im Übrigen werden wir auch dafür Sorge tragen, dass
die Zahl der Vermittler bei der Bundesagentur für Arbeit
noch einmal ausgeweitet wird. 1 000 zusätzliche Vermittler sollen als Job-to-Job-Vermittler dafür sorgen,
dass diejenigen, die in der jetzt rauer und schwieriger
werdenden wirtschaftlichen Situation arbeitslos werden
und einen neuen Arbeitsplatz suchen, umgehend und intensiv betreut werden können. Das ist ein wichtiges Signal an diejenigen, die in der derzeitigen Situation Angst
um ihren Arbeitsplatz haben. Wir werden sie nicht alleinlassen, sondern sie unterstützen.
({4})
Nicht nur mit dem Job-to-Job-Zusatzprogramm, sondern ganz generell ist es schon gelungen, die Zahl derjenigen, die Vermittlungsarbeit leisten, zu erhöhen. So haben wir dafür gesorgt, dass die Zahl der Vermittler bei
den Arbeitsagenturen noch einmal erhöht wird, sodass
bei den jüngeren Arbeitslosen ein Vermittler 75 Arbeitsuchende betreut und bei den älteren Arbeitslosen ein
Verhältnis von 1 : 150 erreicht werden kann. Das sind
notwendige Standards, damit Arbeitsuchende in einer
schwierigen Situation ihres eigenen Lebens gut unterstützt werden können.
Ich finde, dass wir hier etwas Richtiges auf den Weg
gebracht haben, und zwar ganz unabhängig von dem geplanten Konjunkturpaket. Noch deutlicher wird dies,
wenn man sich überlegt, wie die Situation früher war. Zu
Zeiten der Bundesanstalt für Arbeit waren gerade einmal
10 Prozent der dort Beschäftigten für Vermittlung zuständig. Jetzt ist fast die Situation erreicht, leider noch
nicht ganz, dass die Hälfte der Beschäftigten mit Vermittlung befasst ist. Ich will das ausdrücklich sagen, weil
ich glaube, dass Vermittlung im Mittelpunkt stehen
muss. Wir wollen, dass die Menschen Arbeit finden,
dass den Bürgerinnen und Bürgern, die ohne Arbeit sind,
Möglichkeiten eröffnet werden, einen Arbeitsplatz zu
finden. Das geht nur, wenn wir uns mit vielen Personen,
die gut qualifiziert sind, um sie kümmern. Sie müssen,
wenn sie eine Agentur, eine Arbeitsgemeinschaft oder
ein Jobcenter aufsuchen und Unterstützung brauchen,
wissen, dass hier alles für sie getan wird. Das geht nur,
wenn sich viele Personen darum kümmern.
({5})
Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente reiht sich da ein. Es geht darum, dafür zu sorgen,
dass wir nicht im großen Maßstab alles nach Detailhubereien organisieren, sondern dass wir den Arbeitsvermittlerinnen und -vermittlern mehr Flexibilität ermöglichen.
Es geht darum, passgenau für jeden Arbeitsuchenden das
Richtige zu tun. Das kann nicht funktionieren, wenn wir
einen Katalog haben, der so lang ist, dass man allein mit
dem Wälzen der Unterlagen möglicher Maßnahmen
seine Zeit verbringt. Vielmehr muss es zusammengefasste Instrumente geben. Sie müssen passgenau sein sowohl für den Bereich SGB III als auch für den Bereich
SGB II, für die Versicherungskunden und für diejenigen,
die Arbeitslosengeld II erhalten.
Zudem muss die Möglichkeit gegeben sein, etwas
Neues zustande zu bringen, etwas, das bisher noch nicht
darin enthalten war, und zwar nicht erst, nachdem der
Deutsche Bundestag einen weiteren Einfall für einen
weiteren Paragrafen hatte; diese Handlungsmöglichkeit
muss generell gegeben sein. Das ist mit diesem Gesetzentwurf gegeben. Die wachsende Flexibilität und die
bessere Unterstützung der Arbeitsuchenden bedeuten einen guten und richtigen Zug, den wir gemeinsam als Koalition voranbringen.
({6})
Ich will ausdrücklich sagen, dass es eine gemeinsame
Sache ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Zahl der Instrumente reduziert wird. Wir betrachten dies nicht als etwas, was man irgendwie machen musste. Es geht vielmehr darum, dass man mit weniger, zusammengefassten,
mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglichenden Instrumenten besser vorankommt als mit den Instrumenten, die
letztlich nur ein bürokratisches Monster sind. Insofern
hoffe ich, dass es für dieses Vorhaben über die Koalitionsfraktionen hinaus Unterstützung gibt.
Lassen Sie mich im Hinblick auf die Instrumente, insbesondere auf einen Punkt, der mir wichtig ist, eingehen.
Wenn wir uns über die Frage Gedanken machen, wie
sich der Arbeitsmarkt der Zukunft entwickeln wird, dann
müssen wir uns ganz klar vor Augen halten: Der Arbeitsmarkt der Zukunft ist entweder einer mit genügend
Fachkräften und geringer Arbeitslosigkeit oder ein Arbeitsmarkt, in dem es eine nicht ausreichend große Anzahl von Fachkräften und eine hohe Arbeitslosigkeit von
nicht qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gibt. Genau hier muss man ansetzen. Es kann nicht
sein, dass 500 000 von 3 Millionen Arbeitslosen keinen
Schulabschluss haben, die fast alle langzeitarbeitslos
sind, und wir nichts dagegen unternehmen. Es kann auch
nicht angehen, dass wir wissen, dass die Hälfte der
Langzeitarbeitslosen über keinen Berufsabschluss verfügt und wir nichts dagegen unternehmen. Wir müssen
mit unseren Möglichkeiten etwas dagegen unternehmen.
Nicht alles können wir vom Deutschen Bundestag aus
bewegen. Nicht alles können die Arbeitsgemeinschaften
und die Agenturen machen. Dass wir es jetzt aber geschafft haben, dass jedem Mann und jeder Frau lebenslang das Recht zugesprochen wird, sich auf den Hauptschulabschluss gefördert vorzubereiten und ihn
nachzuholen, das ist ein großer Fortschritt für diese
500 000 Arbeitsuchenden. Es ist aber nicht nur ein großer Fortschritt, sondern auch ein Zeichen für unsere Gesellschaft, dass man sein Leben verbessern kann, wenn
man sich Mühe gibt. Darum geht es auch bei dem, was
wir hier machen. Ich bin froh darüber, dass dies jetzt
möglich geworden ist.
({7})
Ebenso werden wir Sorge dafür tragen, dass all diejenigen, die über Sprachprobleme verfügen und deshalb
Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, jetzt unterstützt werden und dies ändern können. Ich glaube,
auch das ist eine gute Sache, die wir zustande bringen.
Dabei geht es darum, Maßnahmen nicht mal hier und
mal dort zu ergreifen, sondern flächendeckend. Auch das
wird passieren.
Beide Dinge, die ich hier angesprochen habe, betreffen im Übrigen Maßnahmen, die in der Fläche, vor Ort
immer mal wieder ausprobiert worden sind. Das ist mit
verschiedenen Instrumenten - manchmal auch mit Instrumenten, die nicht vom Gesetz vorgesehen waren gemacht worden. Diese Erfahrungen vor Ort in den Arbeitsgemeinschaften, die Experimente, die durchgeführt
worden sind, haben wir nicht einfach weiter betrachtet,
sondern wir haben gesagt: Das soll nicht Experiment
bleiben. Das soll etwas Regelhaftes werden, das für alle
Arbeitsuchende überall in Deutschland flächendeckend
zur Verfügung steht, also nicht nur dort, wo sich besonders Engagierte darum bemüht haben. Auch das ist ein
gesetzgeberischer Fortschritt, den wir jetzt zustande
bringen.
({8})
Wir wollen Flexibilität erhöhen. Bisher gibt es sie eigentlich nicht. Es gibt derzeit sonstige weitere Leistungen, um ein beliebtes Thema anzusprechen. Diese stehen
neben den Instrumenten der Regelförderung zur Verfügung. Sie sind aber oft genutzt worden als eine Möglichkeit zur freien Förderung, als ein Spielraum, etwas zu
machen, das bisher keine gesetzliche Grundlage hatte.
Darin unterscheiden sie sich von anderen Instrumenten.
Mit dem neuen Gesetz wird es zum ersten Mal im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine freie
Förderung geben. Dieses Instrument wird neu geschaffen. Es ist richtig, dass der Deutsche Bundestag in
Kenntnis der Bedenken des Haushaltsausschusses, der
alle Regelungen auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage stellen will, sagt: Es soll ein Experimentierfeld geben, auf dem weitere Neuerungen, die wir heute noch
nicht kennen, getestet werden können. Nachdem sie vor
Ort ausprobiert worden sind, können bewährte Maßnahmen später vielleicht verallgemeinert werden.
({9})
Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik ist
gut, wenn sie für die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeit
suchen, gut ist, wenn die Menschen im Mittelpunkt stehen und eine Chance erhalten, ein besseres Leben zu
führen. Darum bemühen wir uns mit diesem Gesetz. Ich
freue mich auf den Beginn der Gesetzesberatungen.
Schönen Dank.
({10})
Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Niebel von
der FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am Elften Elften 2005 - ich kann nichts für das
Datum - hat die Große Koalition den Koalitionsvertrag
unterschrieben, in dem festgelegt ist, dass Sie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente überprüfen und die
Beantwortung der Frage, welche Instrumente sinnvoll
sind und welche nicht, bis zum Ende des Jahres 2006 abgeschlossen haben wird. Sie hat vereinbart, dass man
spätestens im Jahr 2007 die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu geregelt haben will. Jetzt haben wir den
November 2008. Das heißt, drei Jahre sind vergangen,
seit vereinbart wurde, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente daraufhin zu überprüfen, ob sie sinnvoll sind.
Jetzt legt uns der Bundesminister einen Gesetzentwurf vor, von dem er meint, dass er das Versprechen im
Koalitionsvertrag umsetzt.
({0})
Das ist mitnichten der Fall. Sie haben die Zeit der guten
Konjunktur zwar genossen, aber Sie haben sie nicht genutzt. Sie haben die Zeit verschwendet; denn seit Januar
2006 liegt der Evaluierungsbericht über die Hartz-Reformen I bis III vor. Dies ist nicht ein Bericht der bösen
Opposition, sondern ein Bericht der Bundesregierung. In
ihm ist die Feststellung enthalten, dass ein Großteil der
vorhandenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht
nur nicht hilft bei der Integration Arbeitsuchender, sondern oftmals den Menschen, die damit „beglückt“ werden, überproportional schadet; denn sie werden teilweise
zusätzlich stigmatisiert und daran gehindert, einen Arbeitsplatz zu finden.
({1})
Der Bundesarbeitsminister hat versprochen, die Anzahl der Instrumente zu halbieren. Dass er das nicht geschafft hat, verwundert nicht angesichts der Tatsache,
dass in der Antwort der Bundesregierung vom 25. Juli
- das ist die Drucksache 16/10048 - auf unsere Kleine
Anfrage bemerkt wird:
Für die Zählung der Instrumente bzw. Leistungen
der aktiven Arbeitsmarktpolitik gibt es in Deutschland kein, zwischen den unterschiedlichen Akteuren bei der Bundesagentur für Arbeit, der Bundesregierung und der Wissenschaft, gemeinsam
festgelegtes Konzept.
Das bedeutet übersetzt nichts anderes, als dass die Bundesregierung keine Ahnung hat, wie viele arbeitsmarktpolitische Instrumente es überhaupt gibt. Mit dem jetzt
vorgelegten Gesetzentwurf schafft sie zwar 27 vorhandene Instrumente ab, die sie offenkundig gefunden hat,
aber sie schafft gleichzeitig fünf neue, die teilweise das
beinhalten, was mit den anderen abgeschafft worden ist.
So kann man keine Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren. Aber das muss das Hauptziel sein.
({2})
Die Bundesagentur versinkt in Bürokratie bei dem
Versuch, Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. 1,5 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz werden in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geparkt, ohne in der
Arbeitslosenstatistik aufzutauchen.
({3})
Das ist versteckte Arbeitslosigkeit, die nur politisch begründet werden kann.
({4})
Wenn jemand, der sich mit einem sogenannten 1-EuroJob etwas hinzuverdienen will, nicht als arbeitslos eingestuft wird, dann ist das absolut unredlich. Wozu dienen
diese 1-Euro-Jobs überhaupt? Doch nur dazu - wie auch
alle anderen staatlich geförderten Arbeitsverhältnisse,
die einen separaten Arbeitsmarkt kreieren -, Menschen,
die den Bezug zur Arbeitswelt verloren haben, wieder an
den Arbeitsprozess heranzuführen oder auch, um die Arbeitsbereitschaft zu überprüfen. Aber nur für derartige
Fälle kann dieses Instrument genutzt werden. In allen
anderen Fällen führt es zu Verwerfungen, Verzerrungen
und Mitnahmeeffekten.
Vermittlungsgutscheine sind ein probates Mittel,
wenn sie marktgerecht ausgestaltet sind. Die Vermittlungsgutscheine, die die Bundesregierung vorschlägt,
sind in der Höhe der Bezahlung nach wie vor nur an der
Dauer der Arbeitslosigkeit ausgerichtet. Das Alter, die
Qualifikation und mögliche Vermittlungshemmnisse
werden überhaupt nicht berücksichtigt. Das ist keine
marktgerechte Ausgestaltung. Deswegen gibt es für private, aber nach meinem Dafürhalten auch für staatliche
Arbeitsvermittler, die sich durch die Einnahmen aus Vermittlungsgutscheinen refinanzieren könnten, keinen Anreiz, sich tatsächlich um diejenigen zu kümmern, die es
am nötigsten hätten. Wir haben ja festgestellt, dass die
gute konjunkturelle Situation gerade im Bereich der Sockelarbeitslosigkeit, der Langzeitarbeitslosigkeit keine
wirklich durchschlagenden Erfolge brachte.
Die freie Förderung, die Sie bei den Optionskommunen einschränken wollen, preisen Sie hier völlig zu
Recht als ein probates Mittel für ortsnahe Lösungsmöglichkeiten. Lassen Sie den Arbeitsvermittlerinnen und
Arbeitsvermittlern vor Ort viel Freiraum. Geben Sie ihnen Kompetenz. Engen Sie sie nicht ein. Lassen Sie sie
entscheiden, welches Instrument in Passau richtig ist,
und zwingen Sie sie nicht, das Instrument zu nehmen,
das vielleicht in Rostock wirkungsvoll sein kann.
({5})
Wir brauchen auch keinen flächendeckenden Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss, auch wenn
der Bundesminister dies hier wie eine Monstranz vor
sich herträgt. In den Ländern fordert die SPD die Abschaffung der Hauptschule. Hier will sie den Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss mit den Mitteln
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Arbeitslosenversicherung einführen,
({6})
während man sich auf der Kultusministerkonferenz zeitgleich darüber berät, ob die Qualitätsstandards bei der
Hauptschule abgeschafft werden sollen, weil 50 Prozent
der Hauptschulabgänger sie nicht erreichen. Glauben Sie
denn im Ernst, dass ein 47-jähriger arbeitsloser Angelernter mit einem Hauptschulabschluss die Chance auf
einen neuen und vielleicht auch besseren Arbeitsplatz
hat? Das ist weltfremd, das ist Symbolpolitik, die Sie unglaubwürdig macht im Vergleich zu dem Verhalten, das
Sie auf Landesebene in der Bildungspolitik zeigen.
({7})
Sie haben die Paragrafen zur Mobilitätsförderung
gestrichen. Das ist folgerichtig, wenn man sich den
Kompromiss zur Erbschaftsteuer anschaut. Wenn ein
Kind nur dann erbschaftsteuerfrei im Haus der Eltern
wohnen kann, wenn es mindestens zehn Jahre in diesem
Haus bleibt, dann braucht es keine Mobilitätsförderung
mehr.
({8})
Was Sie hier einführen wollen, ist im besten Fall eine
Aufforderung zu Melderechtsverletzungen, aber mit Sicherheit nichts, was in einer mobiler werdenden Arbeitswelt dazu führt, dass Menschen, die an einem bestimmten Arbeitsplatz benötigt werden, ihn auch annehmen,
dass man Arbeitsplätze mit qualifizierten Leuten besetzen kann, die man benötigt.
Sie sind auch hier auf einem falschen Dampfer. Sie
haben die guten Jahre der konjunkturellen positiven Entwicklung nicht genutzt. Sie versteifen sich jetzt auf einen kleinen Randbereich - zugegeben, auf einen notwendigen Randbereich in der Arbeitsmarktpolitik - und
suggerieren, dass damit alle Probleme gelöst werden.
Arbeitsmarktpolitische Instrumente sind immer nur ein
Werkzeugkasten zum Reparieren anderer Fehler. Wir
brauchen keine Konjunkturprogramme, bei denen jemand durch 100 Euro weniger Kfz-Steuer motiviert werden soll, ein 30 000-Euro-Auto zu kaufen, sondern wir
brauchen Strukturprogramme, die bewirken, dass tatsächlich Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen
werden. Das werden Sie mit einem derartigen Instrumentenkasten nicht leisten können.
({9})
Hierfür müssten Sie eine echte Steuerstrukturreform durchführen. Wenn der Instrumentenkasten ausgelichtet wird, hat er einen entscheidenden positiven Effekt: Dies führt dazu, dass die Beitragsmittel effizient
eingesetzt werden und Beitragssenkungsspielräume geschaffen werden. Das führt wiederum dazu, dass Arbeit
billiger und dadurch sicherer wird und dass für Arbeitnehmer Konsum leichter möglich wird. Aber in der
Gesamtschau dessen, was notwendig ist, um die Arbeitsmarktsituation auch im kommenden Jahr zu stabilisieren, brauchen Sie Veränderungen der strukturellen
Rahmenbedingungen. Das geht nur mit einer Steuerstrukturreform, die den Menschen und den Betrieben
mehr Netto vom Brutto lässt. Das geht nur mit Flexibilisierungen und mehr Spielräumen im Arbeitsrecht.
({10})
Gerade dann, wenn es schwierig ist, Belegschaften zu
halten, muss man sich Gedanken darüber machen, das
Arbeitsrecht zu flexibilisieren - ein Thema, das in der
gesamten Regierungszeit von Schwarz-Rot nicht angesprochen wurde.
({11})
Das geht nur, wenn ideologische Scheuklappen wegfallen.
Damit komme ich noch einmal zum Thema Erbschaftsteuer. Die Basis unserer Wirtschaft sind die familiengeführten Betriebe in Deutschland.
({12})
Wenn der Aktionär eines DAX-Unternehmens stirbt,
wird dem Betrieb kein Cent des Vermögens entzogen.
Wenn ein mittelständischer Inhaber stirbt, ist dies allerdings der Fall. Deswegen sind die Vorschläge, die Sie im
vierten Superkompromiss dieser Koalition gefunden haben, mit Sicherheit eines: mittelstandsfeindlich. Sie sind
familienfeindlich, aber sie sind auch mittelstandsfeindlich;
({13})
denn kein Unternehmen kann am Rande einer Rezession
seine Lohnsumme für zehn Jahre festschreiben. Wenn
ein Unternehmen erbschaftsteuerfrei übergeben werden
soll
({14})
und die Lohnsumme für zehn Jahre festgeschrieben ist,
das Unternehmen dann aber in eine Schieflage gerät, hat
man die dramatische Situation, dass man den Umfang
des Personals nicht anpassen kann und zusätzlich mit der
Erbschaftsteuer belastet wird. Das kostet weit mehr Arbeitsplätze, als Sie mit Ihrem kleinen Instrumentenkästle
jemals reparieren können.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Große Koalition hat in den letzten drei Jahren deutlich
mehr erreicht, als viele, vor allem Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Oppositionsfraktionen, uns zugetraut haben. Man kann sich immer mal wieder die Frage
stellen: Was hätten Sie für Feste in diesem Hause gefeiert, wenn Sie diese Erfolge vorzuweisen gehabt hätten?
Ich vermute, dass das, was wir hier machen, bescheiden
ist gegenüber dem, was Sie, liebe Frau Pothmer, hier gesagt und getan hätten, wenn Sie in der gleichen Funktion
gewesen wären, wenn Rot-Grün weiterregiert hätte.
Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind unübersehbar: Wir haben einen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit,
wir haben einen Aufwuchs bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, wir haben
mehr Ältere im Erwerbsleben und weniger junge Arbeitslose. Natürlich hat die Politik dieser Großen Koalition einen ganz maßgeblichen Anteil an diesen Erfolgen,
({0})
nämlich aufgrund der Reformen der vergangenen Jahre,
vor allem aufgrund der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages.
({1})
- Wir haben gestern zu später Stunde darüber geredet.
Weil da schon alle Kameras ausgeschaltet waren, sollte
dieses Thema heute früh noch einmal angesprochen werden.
Herr Niebel,
({2})
es ist ja nicht so, dass wir auf den Evaluationsbericht aus
dem Jahr 2006 nicht reagiert haben. Es hat entsprechende Schlussfolgerungen gegeben. Dazu werde ich
gleich etwas sagen.
Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, geht es uns darum, die Bundesagentur für
Arbeit schlagkräftiger aufzustellen, vor allem - der Herr
Minister hat darauf hingewiesen -, weil wir nicht wissen, wie sich die Finanzmarktkrise auf den Arbeitsmarkt
in Deutschland auswirken wird. Das heißt, wir wollen
darüber reden, wie die Bundesagentur für Arbeit zu einem leistungsfähigen Dienstleister am Arbeitsmarkt entwickelt werden kann.
Herr Niebel, Sie haben eine für Ihre Verhältnisse erstaunlich konstruktive Rede gehalten. Ich will das ausdrücklich anerkennen.
({3})
Allerdings haben Sie am Ende Ihrer Rede wieder Ihren
liberalen Ladenhüter hervorgeholt: Schafft den Kündigungsschutz ab; dann haben wir automatisch mehr Ar19986
Stefan Müller ({4})
beitsplätze. - Lassen Sie sich doch einmal etwas Neues
einfallen. Es wird doch dadurch nicht richtiger, dass Sie
es ständig wiederholen.
({5})
Zur Erbschaftsteuer. Das ist zwar nicht unser
Thema, lassen Sie mich aber trotzdem sagen: Ich glaube,
dass die bayerische FDP verantwortungsbewusst genug
ist, um mit dem Thema Erbschaftsteuer ordentlich umzugehen, und keine Nachhilfe von Ihnen, Herrn
Westerwelle, oder sonst jemandem von der Bundespartei
braucht. Ich bin da sehr zuversichtlich. Lassen Sie die
bayerischen Kollegen in Ruhe mit uns zusammenarbeiten. Dann kommt auch etwas Anständiges raus.
Wir wollen die Bundesagentur zu einem schlagkräftigen Dienstleister am Arbeitsmarkt entwickeln. Es mag
ja sein, dass Sie, liebe Kollegen von der FDP, daran kein
Interesse haben. Sie wollen die Bundesagentur lieber abschaffen.
({6})
- Auflösen. Den Unterschied müssen Sie mir einmal erklären. - Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundesagentur irgendwann einmal abgeschafft oder aufgelöst wird,
ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP irgendwann einmal in Deutschland mit absoluter Mehrheit
regiert.
({7})
Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich finde, das ist auch gut
so.
({8})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eine
SGB-III-Reform verfolgen wir im Wesentlichen drei
Ziele: Erstens. Wir wollen mehr Übersichtlichkeit und
eine bessere Handhabbarkeit der Instrumente, um dadurch eine bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt gewährleisten zu können. Wir wollen zweitens mehr Entscheidungsspielräume für die Agenturen und die
Mitarbeiter der Agenturen vor Ort. Drittens wollen wir
erreichen, dass die Mittel, die der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stehen, wirtschaftlicher eingesetzt
werden können, damit das Geld der Beitragszahler so effizient und effektiv wie möglich eingesetzt werden kann.
Lassen Sie mich zu den drei Punkten einige kurze Bemerkungen machen: Erstens. Bessere Übersichtlichkeit
heißt für mich auch mehr Transparenz. Wir haben im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Zahl der Instrumente reduziert werden soll. Vor allem aber sollen die
vorhandenen Instrumente auf ihre Wirksamkeit geprüft
werden. Das heißt, wir wollen wirksame Instrumente
fortentwickeln und unwirksame Instrumente abschaffen
oder streichen, und wir haben uns vorgenommen, dass
gleichartige Instrumente zusammengefasst werden.
Wenn Sie den Gesetzentwurf durchlesen, werden Sie
feststellen, dass wir in der Tat unwirksame Instrumente
abschaffen, zum Beispiel die Jobrotation, den Eingliederungszuschuss bei Neugründungen, den Arbeitgeberzuschuss zur Ausbildungsvergütung und vieles andere
mehr. Diese Maßnahmen werden gestrichen, weil sie
nichts genutzt haben, weil sie die arbeitsmarktpolitischen Ziele nicht erfüllt haben, also einfach, weil sie unwirksam waren. Eine ganze Reihe von Maßnahmen
- unterstützende Leistungen und vieles andere mehr wird, zum Beispiel im Vermittlungsbudget, zu einem
neuen Instrument zusammengefasst, sodass wir entgegen dem, was hier gesagt worden ist, zu einer Reduzierung der Zahl der Arbeitsmarktinstrumente kommen. Ich
sage aber ausdrücklich dazu: Diese Reduzierung ist kein
Selbstzweck. Wir reduzieren die Zahl der Instrumente
nur, um dem Ziel näher zu kommen, die Vermittlung zu
verbessern und den Arbeitsuchenden, also denen, die unsere Hilfe und Unterstützung brauchen, noch wirksamer
helfen zu können. Darum geht es.
({9})
Wir setzen mit dem, was wir Ihnen heute vorlegen,
den bisherigen Kurs der Großen Koalition fort. Herr
Niebel, ich habe Ihnen angekündigt, dazu noch etwas zu
sagen. Natürlich haben wir auf die Evaluationsberichte
reagiert
({10})
und auf so manches, was durch die Hartz-Kommission
und die Hartz-Reformen auf den Weg gebracht worden
ist. Ich will Sie daran erinnern, dass wir zum Beispiel die
Personal-Service-Agenturen abgeschafft haben, weil sie
nichts gebracht haben. Ich will daran erinnern, dass wir
die Ich-AG abgeschafft und in Verbindung mit dem
Überbrückungsgeld ein neues Instrument, den Gründungszuschuss, geschaffen haben. Selbst Sie müssten
einräumen, dass dieser neue Gründungszuschuss die
Zielgruppe erreicht, die er erreichen soll, und das bei weniger Mitteleinsatz. Dadurch können wir denen helfen,
die unsere Hilfe ganz dringend brauchen.
({11})
Zweitens: mehr Entscheidungsspielräume für die
Vermittler vor Ort. Das Vermittlungsbudget wird hier
eine zentrale Rolle einnehmen. In diesem Vermittlungsbudget wird eine ganze Reihe von Leistungen zusammengefasst, die bisher in einer Reihe von Einzelvorschriften geregelt wurden. Wichtig ist, dass die
Entscheidung, ob Hilfe gewährt wird, tatsächlich dem
Vermittler vor Ort überlassen bleibt. Dadurch können
stärkeres Ermessen und stärkere Handlungsspielräume
der Vermittler vor Ort gewährleistet werden. Die Vermittler kennen ihre Kunden schließlich am besten und
können daher am besten entscheiden, ob eine Maßnahme
sinnvoll ist oder nicht.
({12})
Stefan Müller ({13})
Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben bei der Bundesagentur für Arbeit gute Mitarbeiter. Wir vertrauen auf
die Entscheidungsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter vor Ort. Auch das ist eine wesentliche Neuerung gegenüber dem, was wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Nur hilft mehr
gesetzliche Entscheidungsfreiheit vor Ort gar nichts,
wenn diese vom Gesetzgeber gewollte Entscheidungsfreiheit durch irgendwelche Anweisungen der Zentrale
aus Nürnberg zunichtegemacht wird. Deswegen sage ich
ganz deutlich: Es kann nicht sein, dass wir hier ein Gesetz auf den Weg bringen und die Zentrale in Nürnberg
dann den Mitarbeitern vor Ort so viele Dienstvorschriften macht, dass diese Entscheidungsspielräume nicht
mehr bestehen.
({14})
Ich finde, die Zentrale wäre gut beraten, diese Spielräume zuzulassen.
Im Mittelpunkt sollen nicht mehr die Fragen stehen,
welche Leistungen es gibt, welche Leistungen beantragt
werden können und aus welchen Töpfen man Geld holen
kann, sondern im Mittelpunkt sollen die Fragen stehen,
welche Hemmnisse bei dem jeweiligen Arbeitsuchenden
beseitigt werden müssen und was getan werden kann,
um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen.
Das heißt, es wird nur noch dann eine Förderung geben
- auch das liegt im Ermessen des Vermittlers -, wenn
Aussicht besteht, dass durch diese Maßnahme tatsächlich Erfolge am Arbeitsmarkt verzeichnet werden können.
Ich möchte insgesamt feststellen, dass dieses Vermittlungsbudget eine flexible, bedarfsgerechte und unbürokratische Förderung gewährleisten wird. Die Flexibilität, die wir durch das Vermittlungsbudget erreichen,
setzen wir mit dem Experimentiertopf fort, den wir
ebenfalls einführen werden und von dem wir uns versprechen, dass innovative Ansätze der aktiven Arbeitsförderung erprobt werden können. Wir haben da in den
vergangenen drei Jahren, Herr Minister, gute Erfahrungen gemacht, zum Beispiel mit der Initiative „50 plus“,
bei der es im Kern darum geht, dass der Bund Geld für
bestimmte Modellregionen, für bestimmte Modellkommunen zur Verfügung stellt, die dann selber entscheiden
dürfen, für welche Instrumente sie es einsetzen. Dabei
sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Es geht darum, in den Regionen passende Instrumente zu finden,
ohne dafür einen gesetzlichen Rahmen zu haben, aber
auch zu lernen, was in den einzelnen Regionen und in
den Agenturen vor Ort an Sinnvollem und Richtigem gemacht werden kann, um Rückschlüsse für die Zukunft
der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu ziehen.
Wir werden dafür sorgen, dass die Beratung und die
Betreuung durch eine Potenzialanalyse und durch Eingliederungsvereinbarungen verbessert werden. Diese
Dinge haben wir teilweise schon im SGB II eingeführt.
Dazu ist es notwendig, dass auch die Ausbildung der
Mitarbeiter noch weiter verbessert wird.
Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Das
Ziel, das wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen wollen, ist ein wirtschaftlicher Mitteleinsatz. Es ist die
Aufgabe der BA, dafür zu sorgen, dass die Mittel der
Beitragszahler wirklich verantwortungsvoll eingesetzt
werden, dass damit sorgsam umgegangen wird und sie
eben nicht in irgendwelchen unwirksamen Arbeitsmarktprogrammen verpuffen. Die bisherige Politik zeigt, dass
wir dieser Verantwortung gerecht geworden sind. Nur
die Einsparung steht aber nicht im Mittelpunkt dieses
Gesetzentwurfes.
({15})
Wer glaubt, dass wir 20 Instrumente einsparen, um ein
Viertel des Geldes ausgeben zu können, der täuscht sich
gewaltig.
({16})
Wir brauchen diese freien Finanzmittel, um denen helfen
zu können, bei denen der Aufschwung am Arbeitsmarkt
noch nicht angekommen ist.
Zusammenfassend will ich sagen, dass mit diesem
Gesetzentwurf die Arbeitsmarktinstrumente wirkungsvoll
weiterentwickelt, Entscheidungsspielräume erhöht werden und wir die BA in die Lage versetzen, ihren arbeitsmarktpolitischen Aufgaben noch besser nachzukommen.
Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die
Große Koalition versteht die Arbeitsmarktpolitik als eines ihrer zentralen Handlungsfelder. Ich würde mich
freuen, wenn die Opposition die jetzt beginnenden Beratungen in den Ausschüssen in gleichem Maße begleitet.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kornelia
Möller von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! In einem Jahr sind Bundestagswahlen. Die
Langzeiterwerbslosigkeit ist hierzulande nach wie vor
einer der Brennpunkte. Die Koalition von CDU/CSU
und SPD hätte die Chance gehabt, wirklich etwas Nachhaltiges zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit auf den
Weg zu bringen. Leider hat sie diese Chance vertan. Dieser Gesetzentwurf ist offensichtlich mit der heißen Nadel
genäht. Wieder einmal wird klar, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Arbeitsmarktpolitik längst aufgebraucht ist.
Nun hat man sich nach langen Verhandlungen auf den
kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das heißt, Einsparung von Beitrags- und Haushaltsmitteln zulasten der
Langzeiterwerbslosen,
({0})
statt der Eröffnung neuer zukunftsfähiger Wege aus der
Erwerbslosigkeit durch wirkungsvolle Instrumente. Notwendig wären andere Weichenstellungen. Eine Vielfalt
von Impulsen kommt dazu aus Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und auch von Arbeits- und Sozialministern aus verschiedenen Bundesländern. Ich möchte hier
einige dieser Vorschläge beispielhaft aufgreifen, die
auch unserer Intention entsprechen.
Erstens. Das Land Berlin schlägt vor, die Regelungen
zu ABM im SGB II unbedingt beizubehalten, weil sich
die entsprechenden Förderinhalte bei Wegfall von ABM
im Regelkreis des SGB II nicht, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt, durch Arbeitsgelegenheiten in der
Entgeltvariante ersetzen lassen.
({1})
ABM sind strukturwirksam und vergabefähig und haben
gerade für die neuen Bundesländer vor allem deshalb
nach wie vor große Bedeutung, weil sie die Möglichkeit
der Verzahnung von Aufträgen der öffentlichen Hand
mit der Beschäftigungsförderung sichern.
Zweitens. Viele kritische Hinweise aus Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften beziehen sich auf das
Vorhaben, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, also die sonstigen
weiteren Leistungen, zu streichen. Bereits während der
Sonderkonferenz der Amtschefs für Arbeit und Soziales
am 24. April dieses Jahres hatten alle Bundesländer geschlossen gefordert, die restriktive Auslegung des § 16
Abs. 2 SGB II aufzuheben. Der Handlungsspielraum der
lokalen Akteure, der bisher durch diese Generalklausel
ermöglicht wurde, muss erhalten bleiben,
({2})
da sonst die erforderlichen, am Einzelfall und an den arbeitsmarktbezogenen Gegebenheiten vor Ort ausgerichteten Eingliederungsbemühungen nicht mehr in der nötigen Flexibilität und Einzelfallgenauigkeit durchgeführt
werden können.
({3})
- Natürlich habe ich recht. Danke, Herr Niebel.
({4})
Aus der umfangreichen Liste kritischer Hinweise zu
den Auswirkungen, die der vorgelegte Gesetzentwurf
auf die Ausbildung junger Leute hätte, möchte ich ganz
kurz nur die Forderung nach einheitlicher Ausbildungsvermittlung durch die für die Arbeitsförderung zuständigen Stellen der BA sowie nach Weiterführung der Förderung des Jugendwohnheimbaus nennen.
Sie alle wissen, dass der Bundesrat über 50 Anregungen - ich wiederhole: über 50 Anregungen - vorgelegt
hat. Daran wird deutlich, dass hier ein Gesetz am grünen
Tisch zusammengeschustert wurde. So sehen gute Gesetze nicht aus. Gute Gesetze sehen anders aus. In jedem
Fall gehört zu einem guten Gesetz, dass im Vorfeld die
Erfahrungen derjenigen einbezogen werden, die von diesem Gesetz betroffen sind,
({5})
und die Erfahrungen derjenigen, die es umsetzen müssen. Die BAG Arbeit hat in ihrem Positionspapier gefordert - ich kann es Ihnen vorlesen -: Ziehen Sie dieses
Gesetz zurück! Damit hat sie recht.
({6})
Ihnen scheint die Expertenmeinung aber völlig
gleichgültig zu sein. So wundert es uns auch nicht, dass
die Große Koalition mit diesem Gesetz nichts an den erwiesenermaßen gescheiterten Arbeitsmarktinstrumenten und -experimenten ändert. Die Flops waren zahlreich: Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Minijobs, privatisierte
Arbeitsvermittlung und nicht zuletzt die weitere Ausdehnung des Niedriglohnsektors mit ihren verheerenden
Folgen für die Entwicklung der Binnennachfrage.
({7})
Armut und soziale Gegensätze sind durch Ihre Politik
gewachsen. Das ist der eigentliche Skandal.
({8})
- Das ist kein Quatsch. Das ist die Realität, Herr Müller.
Sie sollten sich ihr stellen.
Langzeitarbeitslose gehen bei Ihrem Gesetz leer aus.
Die dringend notwendige neue Qualität geförderter beruflicher Weiterbildung wird damit nicht eingeleitet.
Aus unserer Sicht wäre das aber ein Hauptkettenglied
zukunftsfähiger Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen setzen
Sie in Ihrem Gesetz enge zeitliche Grenzen für Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen, um noch mehr zu
sparen. Das nenne ich Ausgrenzung der Langzeiterwerbslosen.
({9})
Für wen haben Sie eigentlich Ihre Bildungsoffensive
gestartet? Auf jeden Fall nicht für die ALG-II-Beziehenden. Dabei verweist gerade der Nationale Bildungsbericht 2008 auf den engen Zusammenhang zwischen
Langzeitmaßnahmen der beruflichen Weiterbildung und
guten Eingliederungsquoten besonders für Ältere. Andere Instrumente sollen mit der Begründung geringer
Anwendung ersatzlos gestrichen werden, zum Beispiel
die beschäftigungsbegleitenden Eingliederungshilfen
oder die Weiterbildung durch Vertretung. Im Gegensatz
zu hier bereits vorgetragenen Meinungen halte ich die
Jobrotation für ein ganz wesentliches Instrument.
({10})
Selbstverständlich müssen Unternehmen wieder stärker in die Weiterbildungspflicht genommen werden.
({11})
Dass der Anteil der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern
und Mitarbeiterinnen Weiterbildung angeboten haben,
zwischen 1999 und 2005 erheblich gesunken ist, ist ein
Skandal.
({12})
Die fortgesetzte Benachteiligung der Erwerbslosen,
die ALG II beziehen, ist ein weiterer sehr gravierender
Mangel Ihres Gesetzentwurfes. Dass Sie die aufschiebende Wirkung bei Widersprüchen und Klagen weiter
eingrenzen, ist nicht hinnehmbar. Dass sogenannte Aufstocker tatsächlich ihren Job aufgeben müssen, um einen
Ein-Euro-Job annehmen zu können, ist ebenfalls nicht
hinnehmbar.
({13})
Dies bestärkt uns in unserer Forderung.
Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf ansehe, muss ich
sagen: Die durch die Hartz-Gesetze verursachte unsinnige Trennung der Arbeitsmarktpolitik in zwei Rechtskreise ist durch die Gestaltung einer einheitlichen Arbeitsmarktpolitik mit gleichen Rechten und gleichen
Pflichten für alle Erwerbslosen, wie auch von Verdi gefordert, zu ersetzen.
({14})
Dies würde auch dabei helfen, ein Problem zu lösen, das
Sie, die Sie auf der Regierungsbank sitzen, aufgrund
konträrer Positionen in dieser Wahlperiode wohl nicht
mehr bewältigen werden, nämlich die gute Organisation
der Betreuung und Förderung langzeiterwerbsloser Menschen vor Ort im Rahmen des geltenden Grundgesetzes.
Ich komme noch kurz auf unseren Antrag zu sprechen. Wir fordern die volle Versicherungspflicht für
sämtliche vergütungspflichtige Tätigkeiten innerhalb der
Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Dies würde allen Erwerbslosen mehr soziale Sicherheit bringen, alle öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse gleichstellen und die Arbeitslosenversicherung, die Sie durch
die gestern beschlossene Beitragssatzsenkung geschwächt haben, stärken.
({15})
Ich kann das Gesagte von gestern nur wiederholen:
Beerdigen Sie auch diesen Gesetzentwurf, stimmen Sie
auch hier unserem Antrag zu; denn Arbeitsmarktpolitik
muss immer Politik für und nicht gegen die Menschen
sein!
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Scholz, ich sage es nicht gerne, aber Ihr Gesetzentwurf taugt einfach nichts.
({0})
Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist auch
die Meinung aller Experten, die sich bis jetzt zu Wort
gemeldet haben.
({1})
Diese Statements liegen auch Ihnen vor. Ich will hier nur
einige wenige zitieren:
({2})
„Die Ziele der Reform wurden mit diesem Gesetzentwurf verfehlt“ - Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit. „Die Instrumentenreform weist in die falsche Richtung“ - Diakonie Bundesverband. „Der Gesetzentwurf
ist als Instrumentenreform grundsätzlich verfehlt“ BAG Arbeit.
Herr Minister, Sie treiben die Betroffenen und diejenigen, die mit dem Murks, den Sie hier angerichtet haben, umgehen müssen, wirklich zum Äußersten.
({3})
Das muss man sich einmal vorstellen: Die Stadt Wiesbaden hat in ihrer Verzweiflung eine Unterschriftenaktion
gegen diese Pläne gestartet, weil die Verantwortlichen
einfach Angst haben, dass mit diesem Instrumentenkasten die Integrationschancen der Arbeitssuchenden massiv verschlechtert werden.
Der CDU-Sozialminister Laumann aus NordrheinWestfalen klassifiziert diesen Instrumentenkasten als
„stalinistisches Korsett“.
({4})
Ich sage das hier ganz eindeutig: Mir gefällt diese Wortwahl nicht. Unabhängig von der Frage, ob man diese
Wortwahl nun gut und richtig findet, müssen Sie aber
zur Kenntnis nehmen, Herr Minister, dass Sie diese
Fachleute, diese Experten nicht einfach als Schafsnasen
und Deppen abtun können. Sie müssen auf diese Leute
hören und ihre Einwände berücksichtigen.
({5})
Vor knapp einem Jahr haben Sie uns allen hier bei Ihrem Amtsantritt versprochen, Sie wollten die weltbeste
Arbeitsvermittlung schaffen.
({6})
Außerdem haben Sie uns Vollbeschäftigung versprochen. Sie haben gesagt, „Mehr Chancen auf Arbeit“ solle
der Maßstab sein, den Sie anlegen, wenn Sie den Instrumentenkasten reformieren. Der Instrumentenkasten
sollte kleiner und die arbeitssuchenden Bürgerinnen und
Bürger sollten zielgerichteter unterstützt werden.
Der Instrumentenkasten ist kleiner geworden. Das ist
allerdings das Einzige, was Sie von Ihren Versprechen
wirklich eingelöst haben. Zielgerichteter und besser ist
hier gar nichts geworden. Ich betone ausdrücklich, dass
wir Grünen immer gesagt haben: Ja, man kann diesen Instrumentenkasten reformieren; einige Instrumente könnten durchaus wegfallen. - Wenn es aber weniger Instrumente gibt, dann müssen die dann vorhandenen
Instrumente flexibler und individueller einsetzbar sein;
({7})
weil die Problemlagen der Menschen ja nicht weniger
individuell und vielfältiger geworden sind.
Ich will hier im Übrigen auch noch einmal betonen:
Manche Instrumente waren gut und erfolgreich. Die
„weiteren Leistungen“ zum Beispiel waren wirklich
ein Garant für die individuelle Hilfe. Viele Jugendliche
konnten dadurch den Schulabschluss nachmachen und
haben den Einstieg in Ausbildung gefunden. Alleinerziehende haben mit kombinierten Maßnahmen davon profitiert und in Arbeit zurückgefunden. Auch vielen Migrantinnen und Migranten ist es über die „weiteren
Leistungen“ gelungen, wieder den Weg in die Arbeit zu
gehen.
Lieber Herr Müller, hören Sie mir doch einmal zu.
({8})
Das sind wirklich keine unwirksamen Instrumente. Ihr
Versprechen, nur unwirksame Instrumente fallen zu lassen, ist doch nicht eingelöst worden.
({9})
Dieses Instrument ist gestrichen worden, obgleich es eines der erfolgreichsten war.
({10})
Kommen Sie mir nicht damit, dass die freie Förderung ein Ersatz dafür sei. Die freie Förderung ist weder
quantitativ noch qualitativ ein Ersatz dafür. 2 Prozent
des Budgets: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ich weiß, dass Sie das in der Regierungskoalition genauso sehen. Sie wollen die 2 Prozent signifikant aufstocken.
({11})
Ich unterstütze Sie gerne dabei. Ich fürchte aber, dass es
den Betroffenen nicht hilft. Denn es gibt eine tiefe Misstrauenskultur dieser Regierung auch gegenüber den Regierungsfraktionen im Parlament. Staatssekretär Scheele
hat auf der Sitzung der BAG Arbeit am letzten Montag
Folgendes angekündigt: Sollte sich das Parlament mit
diesem Vorhaben durchsetzen, dann würde es einen - ich
zitiere - „Drahtverhau“ von Regelungen geben, der den
flexiblen Einsatz dieser Instrumente verhindert.
({12})
- Liebe Frau Nahles, begreifen Sie das als das, was es
wirklich ist: Es ist eine Kampfansage an das Parlament
als Gesetzgeber.
({13})
Es ist insbesondere eine Kampfansage an die Fraktionen,
die diese Regierung tragen.
Hören Sie auf, sich das gefallen zu lassen und sich
von dieser Regierung am Nasenring durch die Manege
ziehen zu lassen! Wehren Sie sich endlich dagegen!
({14})
Dieser Gesetzentwurf atmet den Geist einer tiefsitzenden Misstrauenskultur
({15})
gegenüber dem Parlament als Gesetzgeber, gegenüber
den eigenen Regierungsfraktionen, gegenüber den Akteuren vor Ort und gegenüber den Arbeitslosen.
({16})
Dieser Gesetzentwurf verschärft die Sanktionsregelungen und verschlechtert die Situation der ALG-I- und
ALG-II-Empfänger zusätzlich. Die bisherigen Erfahrungen haben eines deutlich gezeigt: Die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit ist nicht mit dirigistischen Maßnahmen
möglich. Sie erfordert Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein, gut qualifiziertes Personal, gute Rahmenbedingungen, Handlungsfreiheit vor Ort und ein Instrumentarium, das sich an den Bedarfen der Menschen
ausrichtet, statt dass sich die Menschen nach den Maßnahmen richten müssen.
({17})
Aber die Politik, die Sie hier machen, folgt einem anderen Geist. Deswegen kann sie nicht erfolgreich sein.
Die Arbeitslosen in diesem Land verdienen etwas
Besseres. Etwas Besseres als diesen Instrumentenkasten
finden sie allemal.
Ich danke Ihnen.
({18})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Katja Mast von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente will
die Regelungen für die aktive Arbeitsmarktpolitik übersichtlicher gestalten. Das leistet der vorliegende Gesetzentwurf. Schon das ist ein Erfolg.
Doch damit nicht genug. Die Reform stärkt die aktive
Arbeitsmarktpolitik, indem präventive Ansätze wie die
Vorbereitung auf das Nachholen eines Hauptschulabschlusses verbindlich eingeführt werden. Die Kultur der
zweiten Chance wird gestärkt. Denn Bildungspolitik ist
aktive Arbeitsmarktpolitik. Das gilt nicht nur auf dem
Papier, sondern wird mit diesem Gesetzentwurf erneut
umgesetzt.
({0})
Bei 500 000 Arbeitslosen ohne Schulabschluss - der
Bundesarbeitsminister hat es bereits angesprochen - und
bei jährlich 70 000 Schulabgängern ohne Abschluss
wäre diese gesetzliche Verankerung schon lange sinnvoll
gewesen. Jetzt kommt sie endlich. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es dabei: Wir müssten im Bundestag
nicht handeln, wenn die Bundesländer ihrer Verantwortung für die Bildungspolitik an dieser Stelle nachkommen würden.
({1})
Aber das ist ein anderes Thema.
({2})
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion sind auf jeden
Fall stolz darauf, dass es uns gelungen ist, das Recht auf
die Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Hinzu
kommt, dass der nachträgliche Erwerb der deutschen
Sprache - das ist vor dem Schulabschluss die erste
Hürde auf dem Weg zur erfolgreichen Integration ebenfalls zu einem Recht der Arbeitsuchenden wird.
Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
stärkt aber auch die Entscheidungs- und Handlungskompetenz vor Ort, und zwar rechtssicher, obwohl schon
mehrfach das Gegenteil behauptet wurde. Rechtssicher
bedeutet, dass es eben nicht sein kann, dass ein Gesetz,
das ausschließlich dafür gedacht war, individuelle Unterstützung in Einzelfällen zu finanzieren, dafür verwendet
wird, Projektförderung zu betreiben.
({3})
Deshalb schaffen wir mit diesem Gesetz ein Vermittlungs- und Aktivierungsbudget, also die Regelungen
des SGB III in §§ 45 und 46, die identisch für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger gelten. Hier schaffen wir
für die Vermittler und die Akteure vor Ort die Möglichkeit, Projekte zu fördern und auszustatten, wo dies die
bisherige Rechtsgrundlage nicht hergab. Natürlich wissen wir, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht
immer gleichbleibt und man deshalb vor Ort Luft
braucht, um neue Ideen auszuprobieren. Wir alle kennen
das aus unseren Wahlkreisen. Mit der neuen freien Förderung verschaffen wir Luft.
({4})
Die Bundesregierung ist allerdings der Meinung, dass
für die freie Förderung 2 Prozent der Eingliederungsleistungen ausreichen. Leider kann ich hier nicht die Einschätzung des Kanzleramts und des Arbeitsministeriums
teilen.
({5})
Ich finde, 2 Prozent sind nicht genug. Wir müssen im
zweistelligen Bereich landen.
({6})
Mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein. Zum Glück
entscheidet am Ende das Parlament. Auch für diese gute
Gesetzesvorlage gibt es noch einen parlamentarischen
Prozess. Da geht es um die Höhe der freien Förderung.
({7})
Da geht es um alle weiteren Aspekte, wie zum Beispiel
darum, ob es noch weiterer detaillierter Regelungen zum
Hauptschulabschluss bedarf.
Doch eines ist klar: Wer dieses Gesetz beurteilt, darf
nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern muss eins
und eins zusammenzählen. Die neue Qualität dieses Gesetzentwurfs ist nicht daran zu messen, ob in der freien
Förderung das gesamte Budget des bisherigen
§ 16 Abs. 2 eingegangen ist; denn mit Sprachkursen und
Hauptschulabschluss sind wesentliche Kostenblöcke aus
dem alten § 16 Abs. 2 herausgelöst. Über rechtswidrige
Verwendung will ich hier gar nicht reden. Hinzu kommt,
dass die Vermittler mit dem Vermittlungs- und Aktivierungsbudget enorme Handlungsspielräume bekommen.
Diese werden finanziell vonseiten des Gesetzgebers
nicht gedeckelt. Zusätzlich kommt die freie Förderung
hinzu.
({8})
Also lassen Sie mich eins und eins zusammenzählen:
Hauptschulabschluss und Spracherwerb in die Regelförderung, Vermittlungs- und Aktivierungsbudget zur dezentralen Entscheidung und dann noch die freie Förderung, das ist ein guter Ersatz für Rechtsunsicherheit und
schafft Handlungsspielräume,
({9})
Handlungsspielräume für die Vermittlung in Arbeit und
damit für die Beseitigung der größten Armutsfalle
Deutschlands. Uns geht es darum, Menschen besser in
Arbeit zu vermitteln.
Ich bin auf unsere Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales gespannt. Ich glaube, dass wir an der
einen oder anderen Stelle noch mehr für die Arbeitsmarktintegration Jugendlicher machen könnten. Ich bin
aber auch darauf gespannt, weil ich weiß, dass sich viele
Fachverbände mit diesem Gesetzentwurf intensiv auseinandergesetzt und gute Vorschläge unterbreitet haben.
Unsere Aufgabe als Gesetzgeber wird es sein, diese Vorschläge abzuwägen und für Mehrheiten im Parlament zu
sorgen. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft mit
unserem Koalitionspartner, der zwar beim Hauptschul19992
abschluss zuerst nicht mitmachen wollte, aber am Ende
unseren guten Argumenten nicht widerstehen konnte.
({10})
Den sozialen Trägern vor Ort, die unser Gesetzesvorhaben kritisch begleiten, will ich klar sagen: Wir wissen, es geht um die Menschen; wir wissen aber auch,
dass gerade ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darunter leiden, dass wir am Anfang bei den Reformen am Arbeitsmarkt durch die Ausschreibungspraxis Fehler gemacht haben. Diese haben wir korrigiert, aber das reicht
nicht. Uns von der SPD geht es darum, auch in der Trägerlandschaft die Verbindlichkeit von Mindestlöhnen sicherzustellen. Uns geht es darum, dass der Unterbietungswettbewerb bei Ausschreibungen ein Ende hat.
Deshalb fordere ich auch jede Abgeordnete und jeden
Abgeordneten, auch diejenigen von der FDP, auf, der
Festlegung von Mindestlöhnen
({11})
und von verbindlichen sozialen Mindeststandards beim
Vergaberecht in den kommenden Wochen zuzustimmen.
({12})
Dann wird dieses Gesetz auch zu einem guten Gesetz,
nicht nur für die betroffenen Arbeitsuchenden, sondern
auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den
Trägern vor Ort.
Dieses Gesetz leistet viel: Nicht Menschen in Schubladen stecken, sondern dem Einzelfall durch Budgets
Spielraum geben, nicht Menschen abschreiben, sondern
die Kultur der zweiten Chance verankern.
({13})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich nun dem Kollegen Karl Schiewerling von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Pothmer,
({0})
Arbeitsplätze werden nicht durch Instrumente geschaffen, sondern durch die Wirtschaft in einer gut laufenden
Konjunktur.
({1})
Wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, dann
sind nicht die Instrumente dafür zuständig, sondern die
Wirtschaft und die Tarifpartner durch verantwortungsvolle Abschlüsse etc.
Worum es hier geht, ist, dass wir den Menschen, die
ohne fremde Hilfe keine Perspektive haben, Unterstützung zuteil werden lassen. Wir nennen dies nüchtern Instrumente und reden gerade so, als ginge es um irgendwelche Apparatschiks; es geht aber darum, Menschen
Perspektiven zu geben, damit sie mit ihrer eigenen
Hände und ihres eigenen Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen können.
({2})
Diese Hilfen sind im Sozialgesetzbuch III beschrieben und geregelt. Davon sind 30 Prozent aller Arbeitslosen betroffen. Das sind diejenigen, die bis zu einem Jahr
erwerbslos sind. Die Hilfen derjenigen, die länger arbeitslos sind, sind im SGB II geregelt. Das sind immerhin 70 Prozent aller derjenigen, die letztendlich betroffen sind. Darunter sind auch viele junge Menschen, die
bisher keine Ausbildung angefangen haben bzw. eine
Ausbildung nicht abschließen konnten. Darunter sind
auch diejenigen, die viele Jahre erwerbslos sind, viele
Vermittlungshemmnisse haben und die den Tag nicht
strukturieren können. Darunter sind auch diejenigen
ohne Schulabschluss und diejenigen, die qualifiziert
sind, die aber aufgrund hoher Arbeitslosigkeit in ihrer
Region keinen Arbeitsplatz finden. Für alle diese Menschen braucht es zielgenauer Hilfen.
Man sollte nun vermuten, dass für jede beschriebene
Situation ein eigenes Instrument und ein detailliertes
Hilfeangebot notwendig sind. Das hat es in der Vergangenheit gegeben. Das hat zu viel Bürokratie, aber nicht
unbedingt zu mehr Effizienz geführt. Wir brauchen weniger Instrumente; deren Wirkungsgrad muss aber breiter sein. Genau das beabsichtigt dieses Gesetz.
({3})
Ich gestehe gerne zu, dass man über die Streichung
des einen oder anderen Instruments diskutieren kann.
Frau Kollegin Möller, ich glaube, dass die Frage des Jugendwohnens wichtig ist; daher begrüße ich ausdrücklich, dass die Bundesfamilienministerin diese Frage aufgreift und das Jugendwohnen in ihrem Haus evaluieren
lässt. Ich bin sicher, dass wir auf Dauer zu vernünftigen
und guten Lösungen kommen können.
({4})
Bei den Menschen, die im Arbeitslosengeld-II-Bezug
sind, bedarf es besonderer Hilfen. Das bedeutet, dass
diese Hilfen auch deren persönliches und soziales Umfeld berücksichtigen müssen. Daher ist es gut, wenn
viele Fallmanager in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis
bei der BA übernommen werden. Allein in diesem Jahr
werden es 3 000 sein, die neue Dauerstellen bekommen.
Dadurch kann besser und intensiver betreut und vermittelt werden. Jemand, der Ringe unter den Augen hat,
weil er nicht weiß, wie lange er selbst in der Beschäftigung ist, kann schlecht Menschen beraten, die auf Arbeitssuche sind.
({5})
Insofern ist das eine gute Entscheidung.
Wichtig ist allerdings auch, dass die Qualifizierung
der Fallmanager sichergestellt ist, weil sie ihre Aufgaben
sonst letztendlich nicht werden wahrnehmen können.
Daher ist es notwendig - auch das sage ich Ihnen in aller
Deutlichkeit -, für die Optionskommunen im Rahmen
der laufenden Organisationsklärung Rechtssicherheit
zu schaffen; denn auch dort brauchen die Fallmanager
und die Verantwortlichen Klarheit über ihre beruflichen
Perspektiven.
({6})
Wir brauchen vor Ort flexibel einsetzbare Hilfs- und
Förderangebote für die Menschen, damit sie wieder in
Beschäftigung kommen. Daher ist es hilfreich, dass mittlerweile in § 16 f des SGB II nur die freie Förderung
aufgenommen wurde. Allerdings - Frau Kollegin Mast
hat darauf hingewiesen - müssen wir noch über die
Höhe sprechen und die Bedingungen gestalten, damit
mehr Gestaltungsspielraum besteht; denn sonst werden
die Instrumente nicht wirken. Sie werden nur dann wirken, wenn ihre Handhabung so gestaltet ist, dass vor Ort
auch mit der entsprechenden Freiheit entschieden werden kann.
({7})
Hier müssen wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dafür zuständig sind, Mut machen, entsprechend frei zu handeln. Wir müssen dafür sorgen, dass sie
nicht sofort, wenn irgendein Fehler passiert, mit Sanktionen belegt werden. Wir müssen allerdings auch dafür
sorgen, dass sich diejenigen, die dafür Verantwortung
tragen, am Vermittlungserfolg messen lassen; sie müssen
am Schluss das verantworten, was sie getan haben.
({8})
Es ist gut, dass gerade junge Menschen die Möglichkeit erhalten, einen Schulabschluss nachzuholen; schließlich gibt es zwischen Wissen und Arbeitslosigkeit einen
Zusammenhang. Aber es wird auch nötig sein, Schulabschluss und praktische Erfahrung mehr als bisher miteinander zu verknüpfen. Hier entwickelt sich dann Bildung, und hier heißt es dann, dass Menschen etwas
prägen, verändern und auch sich selbst prägen lassen.
Bewährte Bildungsträger haben hier gute Erfahrungen. Gerade jungen Menschen fällt es - aus welchen
Gründen auch immer - im klassischen Schulsystem
schwer, den Schulabschluss nachzuholen. Eine Reihe
von ihnen ist gescheitert. Daher brauchen wir - auch
wenn wir den Schulabschluss nun in den Instrumentenbereich aufnehmen - Methoden und Wege, durch die
Schulabschluss und praktische Erfahrung so miteinander
verbunden werden, dass die jungen Menschen Erfolg sehen. Sie brauchen nicht mehr weiter „durchgekurst“ zu
werden, sondern können erkennen, dass sie mit ihrer
Hände Arbeit etwas schaffen können und so ihren Erfolg
bekommen. Dadurch spüren sie, dass sie gebraucht werden. Wenn sie diese Erfahrung einmal gemacht haben,
dann sind sie auch bereit, Abschlüsse zu machen.
({9})
Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth von Bündnis 90/
Die Grünen?
Ja.
Bitte schön.
Sie haben eben über die Freiheiten, die vor Ort möglich sein sollen, gesprochen. Halten Sie es denn dann angesichts der Äußerungen des Staatssekretärs Scheele für
sinnvoll, die Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in dem Gesetz zu
streichen? Sollte man die Verordnungsermächtigung
nicht mindestens, wie es offensichtlich Herr Laumann
aus NRW vorschlägt, von der Zustimmung der Länder
abhängig machen?
Ich halte es für notwendig, sich zwischen der ersten
Lesung dieses Gesetzes und der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes das eine oder andere noch einmal
genau anzusehen.
({0})
Wir brauchen für die Bezieher von Arbeitslosengeld II verlässliche, langfristig angelegte Hilfen und stabile Hilfestrukturen. Gerade deshalb müssen wir noch
einmal über die Dauer von bestimmten Maßnahmen
sprechen. Alles in allem brauchen wir mehr örtliche Entscheidungsfreiheit, weil die Lebenssituation der Menschen unterschiedlich ist. Das betrifft nicht nur die einzelnen Menschen, sondern auch die unterschiedlichen
Regionen. Arbeitslosigkeit in Stralsund sieht anders aus
als Arbeitslosigkeit am Starnberger See. Entsprechend
muss gehandelt werden. Der Kollege Müller hat hier in
seiner Rede auf das hingewiesen, was da zu tun ist.
Wir müssen die Hilfen, die für Menschen geschaffen
wurden, die nur kurzfristig arbeitslos sind, hinsichtlich
ihrer Wirkung für die Menschen überprüfen, die schon
länger arbeitslos sind. Zudem brauchen wir für den
SGB-II-Bereich ein eigenes Instrumentarium, in dem
dies passgenau entsprechend formuliert wird. Vor allen
Dingen sollten wir uns hüten, die Entscheidungen über
den Einsatz dieser Hilfsangebote oder Instrumente nur
unter dem Gesichtspunkt finanzieller Zuständigkeiten zu
sehen. Subsidiarität bedeutet, der jeweiligen Ebene, die
für die Lösung einer Aufgabe zuständig ist, diese auch
zu überlassen und sie, wenn sie dies aus eigener Kraft
nicht schaffen kann, dazu in die Lage zu versetzen.
Wenn wir bei der Reform der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente zu einer Lösung kommen, dann wird es sicherlich auch möglich sein, in dem eigentlichen, zentralen Bereich des SGB II, dem Bereich der Aktivierung,
hinsichtlich der Organisationsstruktur zu einer Lösung
zu kommen, die zurzeit zwischen Bund, Ländern, Kommunen und anderen noch strittig ist. Ich sehe hierin einen wesentlichen Punkt.
Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie auch eine
Zwischenfrage der Kollegin Möller?
Ja.
Bitte schön, Frau Möller.
Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr
Schiewerling. - Sie sagten gerade, dass die Vergabe von
Maßnahmen nicht von finanziellen Gegebenheiten abhängig sein solle. Nun gab es gestern Abend um
21.36 Uhr eine Nachricht in Spiegel Online, die besagt,
dass die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr mit
einem Minus von mindestens 5,8 Milliarden Euro zu
rechnen habe. Glauben Sie nicht auch, dass sich dieses
Minus in irgendeiner Form auf die Vergabe der Maßnahmen auswirken könnte?
({0})
Erstens. Meine Aussage zu den Finanzen bezog sich
auf die Gesamtmittel, die im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden, und nicht auf einzelne Maßnahmen.
Zweitens. Die Bundesagentur für Arbeit hat dank exzellenter Konjunktur und Aufwuchs von neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen
sowie durch kluges steuerpolitisches Handeln der Bundesregierung so viele Rücklagen gebildet, dass es an diesen Fragen nicht scheitern wird.
({0})
Dies haben sowohl die Bundesagentur als auch der Bundesminister in aller Klarheit deutlich gemacht. Deswegen glaube ich es nicht.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen. Reform der Instrumente heißt nichts
anderes, als die Hilfsangebote für die Menschen, die
ohne fremde Hilfe keine Perspektive auf eine Beschäftigung haben, so zu gestalten, dass diese eine solche Perspektive entwickeln können. Wir wollen, dass kein
Mensch verloren geht. Dazu müssen die Hilfen gebündelt und optimiert werden. Dieses Gesetz bietet dazu Voraussetzungen und Rahmen.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/10810 und 16/10511 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 47 a bis 47 i sowie
die Zusatzpunkte 5 a bis 5 e auf:
47 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERPSondervermögens für das Jahr 2009 ({0})
- Drucksache 16/10663 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Wohngeldgesetzes
- Drucksache 16/10812 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Suchdienstedatenschutzgesetzes ({3})
- Drucksache 16/10813 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Rechtsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 9. Juli 2008 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik
Albanien und der Republik Kroatien
- Drucksache 16/10814 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum SchenVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
gener Informationssystem der zweiten Generation ({6})
- Drucksache 16/10816 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 7. Dezember 2005 zur Änderung
des Abkommens vom 20. Juni 1996 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land, den Vereinten Nationen und dem Sekre-
tariat des Rahmenübereinkommens der Ver-
einten Nationen über Klimaänderungen über
den Sitz des Sekretariats des Übereinkommens
- Drucksache 16/10815 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth ({8}), Bärbel Höhn, Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich
beenden
- Drucksache 16/9102 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz
Heilmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Schnellstmögliche Unterzeichnung und Ratifizierung der Europäischen Landschaftskonvention
- Drucksache 16/10821 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Stromübertragungsleitungen bedarfsgerecht
ausbauen - Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung sowie Energiewende umfassend berücksichtigen
- Drucksache 16/10842 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
ZP 5a) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansJoachim Otto ({12}), Jörg van Essen,
Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheit
bei der Telekommunikationsüberwachung und
anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen
- Drucksache 16/10838 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Ausschuss für Kultur und Medien
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fortsetzen - Filteraustausch umsetzen, Prüf- und
Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter einführen
- Drucksache 16/9802 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Transparenz an den Finanzmärkten schaffen Anschleichtaktik bei verdeckten Unternehmensübernahmen verhindern
- Drucksache 16/10640 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({16})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von
Klaeden, Anke Eymer ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert
Weisskirchen ({18}), Gerd Andres, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen kontrollieren
- Drucksache 16/10846 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({19})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Pakistan und Afghanistan stabilisieren - Für
eine zentralasiatische regionale Sicherheitskonferenz
- Drucksache 16/10845 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({20})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Federführung zur Vorlage auf Drucksache 16/10838 - Zusatzpunkt 5 a - ist jedoch strittig.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen
Federführung beim Rechtsausschuss; die Fraktion der
FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion der FDP abstimmen, das heißt Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Soll ich die Abstimmung wiederholen?
({21})
- Der Fairness halber lasse ich die Abstimmung wiederholen, damit die beiden Regierungsfraktionen die
Chance haben, sich daran zu beteiligen.
({22})
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der FDP,
das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Für ihn haben FDP und
Bündnis 90/Die Grünen gestimmt, gegen ihn die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke.
({23})
- Nein, ich habe es richtig vorgetragen; ich kann es aber
auch noch einmal wiederholen. Der Überweisungsvorschlag war der Antrag der FDP; nur damit es keine
Zweifel gibt. Die FDP hat beantragt, dass die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
liegen soll.
({24})
- Doch, so ist es. Dem haben Sie widersprochen, und mit
diesem Widerspruch haben Sie Erfolg gehabt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen. Danach
soll die Federführung beim Rechtsausschuss liegen. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit umgekehrtem Stimmverhältnis
angenommen. Die Koalitionsfraktionen und die Fraktion
Die Linke haben ihm zugestimmt, die Fraktion der FDP
und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben ihn abgelehnt. Damit liegt die Federführung beim Rechtsausschuss.
Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a bis 48 v sowie
Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 48 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des
Europäischen Parlamentes und des Rates über
die Anerkennung von Berufsqualifikationen in
der Gewerbeordnung
- Drucksache 16/9996 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({25})
- Drucksache 16/10599 Berichterstattung:
Abgeordneter Garrelt Duin
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10599,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/9996 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
25. Juli 2007 über die Beteiligung der Republik Bulgarien und Rumäniens am Europäischen Wirtschaftsraum
- Drucksache 16/9997 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({26})
- Drucksache 16/10608 Berichterstattung:
Abgeordnete Lena Strothmann
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10608,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/9997 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDPFraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 16/10175 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({27})
- Drucksache 16/10899 Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10899, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10175 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen
der übrigen Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
15. Oktober 2007 zur Änderung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 29. Mai 1996 und des Protokolls hierzu vom 29. Mai 1996
- Drucksachen 16/10295, 16/10537 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({28})
- Drucksache 16/10817 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding ({29})
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10817, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10295
und 16/10537 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu den Abkommen vom 26. Mai 2006 zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sonderverwaltungsregion Hongkong der Volksrepublik
China über die gegenseitige Rechtshilfe in
Strafsachen und über die Überstellung flüchtiger Straftäter
- Drucksache 16/10390 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({30})
- Drucksache 16/10895 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({31})
Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10895, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10390 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften ({32})
- Drucksache 16/10493 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({33})
- Drucksache 16/10844 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Siegmund Ehrmann
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10844, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10493 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 g:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Februar 2008 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Polen über den
Bau und die Instandhaltung von Grenzbrücken in der Bundesrepublik Deutschland im
Zuge von Schienenwegen des Bundes, in der
Republik Polen im Zuge von Eisenbahnstrecken mit staatlicher Bedeutung
- Drucksache 16/10533 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({34})
- Drucksache 16/10840 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothée Menzner
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10840, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10533 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Alle Fraktionen haben dem Gesetzentwurf zugestimmt, und er ist damit angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 h:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
und zur Änderung des Gesetzes zur Änderung
der Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkommens
- Drucksachen 16/10534, 16/10583 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({35})
- Drucksache 16/10849 Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10849, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10534 und 16/10583 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 i:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes
- Drucksache 16/10552 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({36})
- Drucksache 16/10875 Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Gustav Herzog
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10875, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/10552 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 j:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege
- Drucksache 16/10570 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({37})
- Drucksache 16/10893 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({38})
Joachim Stünker
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10893, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/10570 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({39}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Patrick Döring, Horst
Friedrich ({40}), Joachim Günther ({41}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Abschaffung der Vorlagepflicht von Prüfbüchern - Modifikation der §§ 41, 42 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr
- Drucksachen 16/6797, 16/10238 Berichterstattung:
Abgeordneter Heinz Paula
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10238, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/6797 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 l:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({42}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Patrick Döring, Jörg Rohde,
Horst Friedrich ({43}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Änderung des § 34 a der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung - Mobilität von Rollstuhlfahrern verbessern, Sicherheit nicht vernachlässigen
- Drucksachen 16/8545, 16/10562 Berichterstattung:
Abgeordneter Gero Storjohann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10562, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8545 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 48 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44})
Sammelübersicht 464 zu Petitionen
- Drucksache 16/10788 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 464 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45})
Sammelübersicht 465 zu Petitionen
- Drucksache 16/10789 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 465 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge20000
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46})
Sammelübersicht 466 zu Petitionen
- Drucksache 16/10790 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 466 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47})
Sammelübersicht 467 zu Petitionen
- Drucksache 16/10791 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 467 ist mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48})
Sammelübersicht 468 zu Petitionen
- Drucksache 16/10792 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 468 ist mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49})
Sammelübersicht 469 zu Petitionen
- Drucksache 16/10793 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 469 ist mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion
angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50})
Sammelübersicht 470 zu Petitionen
- Drucksache 16/10794 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 470 ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51})
Sammelübersicht 471 zu Petitionen
- Drucksache 16/10795 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 471 ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({52})
Sammelübersicht 472 zu Petitionen
- Drucksache 16/10796 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 472 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 48 v:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({53})
Sammelübersicht 473 zu Petitionen
- Drucksache 16/10797 ({54}) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 473 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 6 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({55})
zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Ulrike Höfken, Marieluise Beck ({56}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushalt
für Bekämpfung der Hungerkrise nutzen
- Drucksachen 16/10591, 16/10912 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Sascha Raabe
Hellmut Königshaus
Alexander Ulrich
Thilo Hoppe
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10912, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10591 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Zusatzpunkt 6 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({57}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über die Ausübung
der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ({58})
KOM({59}) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08
- Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 Berichterstattung:
Abgeordneter Jens Spahn
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 6 c:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje
Staffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Internetnutzerinnen und -nutzer nicht massenhaft kriminalisieren - Novellierung des
EU-Telekommunikationspaketes nicht für Urheberrechtsregelungen missbrauchen
- Drucksache 16/10843 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Jetzt geht es in der Debatte weiter. Wir kommen zum
Zusatzpunkt 2:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn endgültig absagen
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als
Rednerin für die antragstellende Fraktion Die Linke der
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
({60})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Aufsichtsrat der Deutschen
Bahn hat für den Fall des Börsenganges 1,4 Millionen
Euro allein für Bahnchef Mehdorn beschlossen. Das ist
der letzte dicke Tropfen, der das Fass zum Überlaufen
bringt.
({0})
Herr Mehdorn übrigens nannte diese Boni nur „Möhrchen“; ich erinnere an die Peanuts von Herrn Kopper.
({1})
Minister Tiefensee hat diese Boni verschwiegen, weil er
den Börsengang nicht gefährden wollte.
Ich kann Ihnen sagen: Die Menschen haben die Nase
voll von raffgierigen Managern, denen der ursprüngliche
Zweck öffentlicher Güter gleichgültig ist und die Worte
wie Gemeinsinn, Solidarität und Daseinsfürsorge aus ihrem Wortschatz ausgemerzt haben.
({2})
Die Menschen haben die Nase voll von Politikern, die
jahrelang mitgemacht haben, wenn es darum ging, das
Volkseigentum Deutsche Bahn zu verschleudern. Ich
habe nicht die Zeit, alle Politiker von CDU, CSU und
SPD aufzuzählen, die die Privatisierung der Bahn vorangetrieben haben, um danach in den gut bezahlten Dienst
der Deutschen Bahn zu wechseln, und zwar nicht als
Schaffner.
Der wichtigste Grund für die Entlassungen, die wir
fordern, ist aber die gescheiterte Bahnpolitik, die Minister Tiefensee und Bahnchef Mehdorn über Jahre ohne
Rücksicht auf Verluste betrieben haben. Es ist doch absurd, dass Herr Tiefensee erklärt, dass der Börsengang
nur aufgeschoben und nicht aufgehoben sei. Er hat immer noch nicht verstanden, dass wir uns in der schwersten Finanzkrise aller Zeiten befinden.
({3})
Die Banken sind nicht mehr bereit, Geld zu verleihen. In
den USA, in Großbritannien und Frankreich werden
Banken verstaatlicht, damit ihr Zusammenbruch verhindert wird. Opel und Ford schreiben Briefe an die Kanzlerin und fordern Milliarden aus der Staatskasse für die
Autoindustrie.
In dieser Situation meinen der Verkehrsminister und
der Bahnchef, auf den leergefegten internationalen Finanzmärkten privates Geld für die Bahn zu bekommen.
Dieses absurde Ansinnen zeigt doch, dass die beiden Privatisierer überhaupt noch nicht verstanden haben, welch
ökonomischer Tsunami gerade über uns hereinbricht.
({4})
Auch wenn der Börsengang der Bahn nun verschoben
ist - Herr Steinbrück hat uns gestern im Ausschuss informiert, dass er den Börsengang schon im September verschoben haben will -: Die Bahn wurde von Mehdorn
und Tiefensee auf Rendite getrimmt.
({5})
Die Bürgerinnen und Bürger mussten das schmerzhaft
erfahren.
({6})
Der zurückgetretene Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
Voscherau kritisiert die Bundesregierung zu Recht. Der
Bund hat in den vergangenen Jahren akzeptiert, dass die
Bahn sich zu einem internationalen Logistikdienstleister
mit angehängtem Personenverkehr entwickelt hat. Genau das ist das Problem.
({7})
Die Bahnkunden werden von der Bundesregierung und
vom Bahnvorstand nur noch als lästiges Anhängsel betrachtet. Dafür nur drei Beispiele:
Erstens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, sind die
Fahrkartenpreise um 22 Prozent in die Höhe geschossen.
Er presst die Bahnkunden aus, um seine Renditeziele
und damit seine maximale Leistungszulage von
3 Millionen Euro zu sichern, die zu seinem Festgehalt
hinzukommt.
Zweitens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, wird an
der Sicherheit gespart. Es treten immer wieder schwerwiegende Sicherheitsmängel auf. Ich erinnere nur an den
ICE Wolfsburg, der mit 250 Reisenden an Bord am
9. Juli nur aufgrund eines glücklichen Zufalls nicht verunglückte.
({8})
Drittens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, werden
Minderjährige, die einen falschen Fahrschein gelöst haben, aus dem Zug geworfen. Wenn jetzt die Verantwortung auf die Schaffner abgewälzt wird, dann entspricht
das der Politik der Bahn und der Bundesregierung, nie
selbst Verantwortung zu übernehmen und immer jemanden im Visier zu haben, auf den man die Schuld abwälzen kann.
({9})
Wir Linke fordern eine endgültige Absage des Börsengangs der Bahn, mehr Investitionen in die Bahninfrastruktur, insbesondere in die Bahnsicherheit, und den
Verzicht auf die zum Ende dieses Jahres geplante Fahrpreiserhöhung.
({10})
Die Bürger wollen keine Börsenbahn, sondern sie
wollen eine Bürgerbahn.
({11})
Die Bürgerinnen und Bürger wollen die Bahn sicher und
zu vernünftigen Preisen nutzen können. Alle Privatisierung ist ein Wahn, der hier beendet gehört.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Ich
werde der Ablösung von Bahnchef Mehdorn aufgrund
dieses Antrages nicht zustimmen; ich nehme an, meine
Fraktion auch nicht. Zweitens. Ich werde der Entlassung
von Verkehrsminister Tiefensee nicht zustimmen; ich
nehme an, meine Fraktion auch nicht. Und wir werden
auch nicht den Börsengang der Bahn endgültig absagen.
({0})
Frau Lötzsch, Sie haben Herrn Mehdorn angesprochen. Man muss zu ihm eines sagen: Wir haben mit ihm
sicherlich einen unbequemen Partner, aber einen erfolgreichen.
({1})
Rechts hinter Ihnen sitzt ein ebenso unbequemer Politiker, aber ein gescheiterter. Sehen Sie, das ist der Unterschied: Der eine macht sich als Minister bei Nacht und
Nebel aus dem Finanzministerium, als wäre er ein Dieb,
der sich davonschleicht.
({2})
Ja, man muss doch einmal in Erinnerung rufen, welche
Gestalten in Ihren Reihen sind!
({3})
Das sind diejenigen, die hinterher andere kritisieren.
Drehen Sie sich um und kritisieren Sie den Mann hinter
sich. Fordern Sie ihn auf, den Populismus zu lassen und
zu vernünftigen Aussagen zurückzukehren.
Jetzt kommen wir zu dem, was eine Linke immer sagen muss: Wir brauchen keine Renditebahn. Natürlich
nicht. Womit investieren wir dann? Nur mit Staatsmitteln? Wir wollen Staatsmittel hineinstecken, aber wir
wollen auch eine Bahn, die Rendite erwirtschaftet, damit
mehr Geld in die Infrastruktur und den Service investiert
werden kann. Das alles wollen Sie zwar, die Schaffung
der Voraussetzungen für eine bessere Bahn und eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf
die Schiene verhindern Sie aber aufgrund Ihrer populistischen Einstellung. Das Schlimme ist, dass Sie das noch
nicht einmal begreifen, sondern in alter Manier wie zu
DDR-Zeiten auf Defizite setzen und glauben, damit
könne man in Zukunft Erfolg haben. Das geht nicht!
({4})
Ich gehe davon aus, dass meine Kollegen detaillierter
auf das eingehen werden, was Sie mit Sicherheitskrise
gemeint haben. Davon kann in dieser Form nicht die
Rede sein. Es gibt in einem Riesenunternehmen immer
wieder Vorgänge, die sauber geprüft werden müssen.
Das machen wir. Dagegen gibt es nichts zu sagen.
Auf einen Punkt will ich noch eingehen. Wir stellen
eindeutig klar, dass der Börsengang für diese Legislaturperiode nicht ad acta gelegt ist.
({5})
Es gab dazu missverständliche Äußerungen. Sie sind
dankenswerterweise vom Chef des Kanzleramtes de
Maizière ausgeräumt worden. Wir stehen dazu: Wir halten den Börsengang für richtig; denn wir brauchen Geld
für die Bahn. Die Bahn braucht mehr Eigenkapital, und
wir brauchen mehr Geld für die Bereiche Schiene und
Service. Auch das hat mit dem Börsengang zu tun.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Ergebnis der
sogenannten Roadshow abgewartet werden muss. Sie in
Ihrer Schlauheit wissen alles schon vorher. Wieso eigentlich, wenn es noch nicht zu Ende durchgeführt worden ist?
({6})
Sie haben keine Ergebnisse, wir haben auch keine. Aber
Sie fällen ein vorschnelles Urteil. Das kommt davon,
Frau Lötzsch, wenn man sich mit der Sache nicht inhaltlich auseinandersetzt, sondern hier nur billige Sprüche
ablässt. Das ist so nicht haltbar.
({7})
Da ich Freund der Großen Koalition bin, kann ich
gleichzeitig festhalten, dass es einige Punkte gibt, die ich
etwas kritisch betrachte. Der erste Punkt, Herr Minister,
ist die Informationspolitik. Da wird es erhebliche Verbesserungen geben müssen. Der zweite Punkt ist die
Entscheidungsstruktur. Es kann nicht angehen, dass sich
die Hausspitze vor wesentlichen Entscheidungen nicht
abstimmt. Sie haben zugesagt, das zu ändern. Ich gehe
davon aus, dass das mittlerweile geändert wurde. Denn
das ist entscheidend und notwendig. Der dritte Punkt ist,
dass im Hause Klarheit herrschen muss, dass der Börsengang nicht irgendetwas ist. Wenn unwidersprochen in
der Financial Times steht, dass Ihr Sprecher gesagt hat,
dass Sie den Flyer für den Börsengang gar nicht hätten
kennen müssen, dann zeigt das ein erschreckendes Ausmaß von Unkenntnis. Das muss abgestellt werden; das
sprechen wir offen an.
({8})
Aber ich sage auch: Das ist jetzt kein Grund, dem Antrag
der Linken zu folgen.
({9})
Wir werden für eine bessere Bahn sorgen. Wir werden
für mehr Geld für Investitionen in die Bahn und mehr
Geld für Service sorgen. Wir als Koalition werden damit
erfolgreich sein.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben sprach ein Freund der Großen Koalition, einer der
wenigen, die es noch gibt.
({0})
Geschätzter Kollege Lippold, in einem haben Sie natürlich recht. Herrn Mehdorn kann man sehr viel vorwerfen. Aber dass er sich in der aktuellen Debatte auf einen
von einem früheren Bundesminister, einem früheren beamteten Staatssekretär und zwei Arbeitnehmervertretern
unterschriebenen Vertrag beruft und sagt, das sei mit ihm
vereinbart und dazu stehe er, bis er eine andere Aussage
hat, kann man ihm nicht vorwerfen.
Damit kommen wir zu dem, was man dem Minister
vorwerfen muss. Da sind wir mit der Fraktion Die Linke
ganz einig, und darüber werden wir ja auch noch debattieren. Man muss Ihnen, Herr Minister Tiefensee, vorwerfen, dass Sie die Detailregelungen - alles, was in diesem Zusammenhang im Börsenprospekt aufgeschrieben
wurde - des wichtigsten Projekts dieser Legislaturperiode im Verkehrsbereich, der größten Privatisierung in dieser Legislaturperiode, also des Börsengangs der Bahn
mit dem jetzt gewählten Modell, der von Ihnen in jeder
Rede offensiv verteidigt wird, angeblich nicht haben zur
Kenntnis nehmen wollen oder können. Das ist das Führungsversagen, das man Ihnen vorwerfen muss.
({1})
Das Parlament hat das Recht, Ihnen das vorzuwerfen,
weil es die Hand dafür gehoben hat, diese Privatisierung
durchzuführen. Man muss sich darauf verlassen können,
dass sich das Ministerium, also auch der Minister, inhaltlich mit der Sache auseinandersetzt.
({2})
Ganz verblüffend ist auch die Antwort auf folgende
Frage: Was ist eigentlich ein erfolgreicher Börsengang?
Sie selbst haben mehrfach öffentlich gesagt: Wir erwarten zwischen 5 und 8 Milliarden Euro. Sie selbst haben
diese Latte in der öffentlichen Debatte eingeführt: mindestens 5 Milliarden Euro für 24,9 Prozent. Irgendwann
kam dann der Betrag 3,5 Milliarden Euro ins Spiel. Da
kann man schon darüber diskutieren, wie viel der Anteil,
den der Bund verkaufen will, wert ist. Dann sagen auch
noch Mitglieder des Aufsichtsrates - Herr Müller, der
frühere Bundeswirtschaftsminister, ist ja vom Eigentümer als Mitglied in den Aufsichtsrat geschickt worden,
um die Interessen der AG im Aufsichtsrat, aber natürlich
auch die Interessen der Eigentümer zu vertreten -: Unabhängig vom Erlös, ob 1, 2, 3 oder 4 Milliarden Euro, gibt
es - ich zitiere aus dem Börsenprospekt - eine „EventTantieme“ für die Mitglieder des Vorstandes. Der Börsengang der DB AG ist doch kein Event, sondern eine
wahrlich ernst zu nehmende politische Entscheidung.
({3})
Deshalb komme ich zurück zu dem Führungsversagen des Ministers, nicht des Staatssekretärs. Sie als Bund
haben alle Mitglieder des Aufsichtsrates, die nicht Arbeitnehmervertreter sind, berufen. Natürlich sind sie
nicht weisungsgebunden. Wenn aber Mitglieder des Aufsichtsrates seit Wochen dem, was der Bundesverkehrsminister möchte, öffentlich und mehrfach widersprechen
- übrigens ist bis heute nicht dem widersprochen worden, was sie angeblich dem Kollegen Hübner erzählt haben, dass Sie bereits im Juni im Ministerium ein Gespräch geführt hätten und dass dabei über diese Eventund Erfolgstantiemen gesprochen worden sei; der Kollege Hübner spricht gleich, dann kann er das klarstellen -,
wenn solche Aufsichtsräte weiterhin unwidersprochen in
dem Konzern ihre aktienrechtliche Aufgabe für den Eigentümer Bund wahrnehmen, dann müssen Sie sich fragen lassen, ob Handeln und Sagen noch zusammenpassen.
Sie können diese Aufsichtsräte durch eine außerordentliche Hauptversammlung abberufen. Die kann in
30 Tagen stattfinden. Warum machen Sie das nicht,
wenn Ihnen diese Leute fortwährend auf der Nase herumtanzen, Herr Minister?
({4})
Es ist nicht redlich, wie Sie öffentlich mit dem Thema
umgehen. Das Parlament legt Wert darauf, dass sich der
Minister der Sache seriös und vernünftig annimmt. Das
haben Sie in der Vergangenheit nicht getan. Wenn Sie
dann öffentlich sagen, Sie hätten sich durchgesetzt, weil
der Börsengang und die Tantiemen nicht kommen, dann
kann man nur sagen, dass Sie die Dimension der letzten
drei Jahre und der Debatte um diese Frage politisch nicht
einordnen können und auch nicht verstanden haben.
({5})
Darum hat meine Fraktion - die Debatte darüber wird
sich an diese anschließen - einen Antrag gestellt, in dem
die Bundeskanzlerin von diesem Haus aufgefordert
wird, Sie zu entlassen. Ich denke, dass der Umgang mit
der Frage, wer für die Diskussion um den Börsengang
der DB AG verantwortlich ist, das ganz offensichtliche
Auseinanderfallen des Redens und des Handelns des
Bundesverkehrsministers im Aufsichtsrat und die Tatsache, dass Sie keine Konsequenzen in der aufsichts- und
der börsenrechtlichen Struktur Ihrer Vertreter im Aufsichtsrat ziehen, sowie andere verkehrspolitische Fehlleistungen, etwa beim Thema Deutsche Flugsicherung - andere Themen brauche ich nicht auch noch zu nennen -,
zeigen, dass Sie wieder einmal mit warmen Worten davonkommen wollen. Das werden jedenfalls wir Ihnen
nicht durchgehen lassen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Klaas Hübner von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser und der nächste Tagesordnungspunkt sind
ein klares Zeugnis der inhaltlichen und strukturellen
Schwäche der hier vertretenen Oppositionsparteien.
({0})
Ich komme zur inhaltlichen Schwäche: Während sich
eine starke Regierung und eine handlungsfähige Koalition darum kümmern, wie man der Finanzmarktkrise
beikommen, wie man die Realwirtschaft stärken und wie
man einen Beschäftigungsschirm aufbauen kann, nehmen Sie zwei Stunden Debatte dafür in Anspruch, einen
Kleinst- und Nebenkriegsschauplatz aufzumachen, mit
dem Sie schon im Ausschuss am Mittwoch gescheitert
sind, um etwas zu erörtern, was die Menschen momentan wirklich nicht interessiert. Deutlicher kann man
seine Konzeptionslosigkeit in den entscheidenden Fragen unserer Gesellschaft nicht dokumentieren.
({1})
Ich komme zur strukturell schwachen Opposition: Da
sind Sie sich schon einmal in dem für mich nicht nachvollziehbaren Wunsch einig, den Minister zu entlassen,
und schaffen es noch nicht einmal, sich auf eine gemeinsame Formulierung in einem gemeinsamen Antrag zu einigen. Da muss die Linke zu einem Tagesordnungspunkt, der ordentlich aufgerufen ist, noch einmal eine
Aktuelle Stunde beantragen. Das ist Populismus pur. Das
ist Klamauk vor Inhalt.
({2})
Die zwei Vorsitzenden der Linkspartei - Herr Lippold
hat zu Recht darauf hingewiesen und das muss man immer wieder erwähnen - hätten zweimal Verantwortung
übernehmen können, der eine als Senator in Berlin, der
andere als Bundesfinanzminister, aber sie sind dann, als
es darauf ankam, diese Verantwortung wahrzunehmen,
weggelaufen. Dieser Minister läuft nicht weg. Er steht zu
seiner Verantwortung. Darum hat er auch unsere Unterstützung.
({3})
Die Fraktion der Grünen kommt hier ein bisschen
spät. Alles ist zwar schon gesagt, aber noch nicht von jedem. Darum mussten sie einen mit dem der FDP wortgleichen Antrag mit gestrigem Datum noch hinterherschieben. Damit es auch jeder merkt, wurde dieser zur
sofortigen Abstimmung gestellt.
({4})
Sie mahnen so oft, dass wir eine ordentliche Beratungsdauer bei vielen Regierungsentwürfen brauchen. Aber
wenn es um Ihren Entwurf geht, dann wollen Sie gar
keine Beratungsdauer in Anspruch nehmen. Was ist das
für eine parlamentarische Kultur?
Dann haben wir da noch die FDP, das kann ich Ihnen
leider nicht ersparen, lieber Herr Kollege Döring. Sie haben - das ist Ihr gutes Recht - am vergangenen Mittwoch eine Ausschusssondersitzung einberufen, um dort
mit dem Minister einige angeblich offene Fragen zu klären und um ihm Gelegenheit zu geben, Missverständnisse auszuräumen. Aber das wollten Sie gar nicht.
Schon vor der Sitzung haben Sie sich nämlich entschlossen, den Antrag auf Entlassung des Ministers einzubringen. Damit haben Sie dem Ausschuss keinen Gefallen
getan. Wenn es Ihnen wirklich um Aufklärung gegangen
wäre, dann hätten Sie zumindest diese Sitzung abgewartet. Das haben Sie aber nicht getan. Sie waren vorfestgelegt. Man kann einen Ausschuss auch als Zeitvernichtungsmaschine missbrauchen. Das, was Sie an dieser
Stelle getan haben, kommt dem sehr nahe.
({5})
Kurzum, die Situation ist wie folgt: Auf der einen
Seite haben wir eine handlungsfähige und handlungsstarke Koalition
({6})
sowie eine gute Bundesregierung und einen guten Bundesminister. Auf der anderen Seite sehen wir eine zerstrittene Opposition:
({7})
eine Linkspartei, die vor der Verantwortung wegrennt,
eine FDP, die sich auf Kleinstschauplätzen verrennt, und
eine Grünen-Fraktion, die in diesem Fall leider ziellos
hinterherrennt. Das sind die Gegensätze in diesem Parlament.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Oskar Lafontaine von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht heute um einen Ministerrücktritt. Daher
bitte ich Sie, mir vorweg eine persönliche Bemerkung zu
gestatten: Ich werde seit Jahren immer dann, wenn in
der Sache nichts zu sagen ist, auf meinen Rücktritt angesprochen. Ich will dazu nur so viel sagen: Es gibt Situationen, in denen ein Minister Verantwortung übernehmen und zurücktreten muss.
({0})
Das gehört zu einem funktionierenden Parlamentarismus. Als jemand, der jahrzehntelang öffentliche Verantwortung getragen hat, habe ich allerdings die Erfahrung
gemacht: Es ist immer schwer, zurückzutreten.
({1})
Es gibt eine weitere Erfahrung, die ich gemacht habe
und die ich Ihnen mitteilen möchte: Politische Würstchen treten nie zurück, weil sie dazu viel zu feige sind.
({2})
- Ich hoffe, dass die Kamera jetzt auf die erste Reihe der
SPD zeigt. Dann weiß nämlich jeder, was ich gemeint
habe.
({3})
Nun komme ich zur Sache. Die Bahnpreise sind in der
letzten Zeit erheblich gestiegen, und ein öffentliches Unternehmen steht in der Kritik. In einer solchen Situation
schaut die Bevölkerung natürlich genau hin. Hier geht es
nicht um einen Nebenkriegsschauplatz, wie es einer der
Redner der Regierungsfraktionen formuliert hat, sondern
darum, wie sich die Bundesregierung zu Kernfragen,
über die zurzeit diskutiert wird, verhält.
Eine dieser Kernfragen ist die Privatisierung. Es ist
eine Tatsache, dass die Privatisierung insbesondere angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise zu einem regelrechten Rohrkrepierer wird. Privatisierte Betriebe werden erhebliche Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen
haben, es kommt nach wie vor zu Lohndrückerei und
Leiharbeit, und Leiharbeiter sind immer die Ersten, denen gekündigt wird. Es ist so, als gingen Sie blind durch
die Gesellschaft und als würden Sie nicht zur Kenntnis
nehmen, welche schädlichen Folgen bereits eingetreten
sind.
({4})
Die Privatisierung der Bahn ist nicht irgendein Nebenkriegsschauplatz. Wie kann man nur ein solches Fehlurteil abgeben! Die Privatisierung der Bahn ist ein Thema,
das viele Menschen in der Bundesrepublik beschäftigt.
Um eines in aller Klarheit zu sagen: Der Hauptakteur
ist nicht die Bundesregierung. Der Hauptakteur und der
Verantwortliche für die Geschäfte der Bahn ist ihr Vorstandsvorsitzender. Im Grunde genommen leitet er die
Bahn, nicht die Bundesregierung. Sie ist mehr oder weniger ein Mitspieler, dem der Bahnchef hin und wieder
- in welcher Form auch immer - Möhrchen hinhält, damit sie so funktioniert, wie er es gern hätte. Die Bahn ist
ein klassisches Unternehmen, in dem der Vorstand alles
bestimmt und in dem der Gesellschafter nichts zu sagen
hat. Das haben wir zu kritisieren.
({5})
Das wäre ein Grund, denjenigen, der dort den Gesellschafter vertritt, zurückzuziehen. Es kann doch nicht
sein, dass der Vorstand eines öffentlichen Unternehmens
macht, was er will!
Es gibt auch in den Gemeinden und in den Ländern
öffentliche Unternehmen. Hier muss zumindest gewährleistet sein, dass die Verantwortlichen die Gesellschafterrechte richtig wahrnehmen. Das können sie offensichtlich aber nicht.
Ich habe immer wieder versucht, an einem Beispiel,
das auch Sie schon angesprochen haben, deutlich zu machen, dass Ihnen die Zusammenhänge gar nicht bewusst
sind. Wenn die Bundesregierung die Begrenzung von
Managerbezügen zum Thema macht, dann zeigt das,
dass Sie das, was Sie sagen, überhaupt nicht ernst meinen. Denn in dem Unternehmen, an dem sie 100 Prozent
hält, lässt sie zu, dass genau das Gegenteil von dem geschieht, was sie angeblich will. Man gewinnt den Eindruck, dass nicht der Aufsichtsrat die Höhe der Managerbezüge bestimmt, sondern dass der Vorstand selbst
sagt, wie viel er haben will, und dass dies dann von allen
anderen abgenickt wird. Das sind doch die Zustände, die
bei der Bahn zu beobachten sind.
({6})
Gerade in der gegenwärtigen sensiblen Zeit haben Sie
das Thema Bonuszahlungen in die Diskussion gebracht.
Der Minister allerdings weiß gar nicht, ob er sie mitzuverantworten hat oder nicht. Vieles wird aus Ihren öffentlichen Äußerungen gar nicht klar. Dass es überhaupt
möglich ist, dass bei einem öffentlichen Unternehmen
mit einer solchen Gehaltsstruktur auch noch Bonuszahlungen thematisiert werden, zeigt, dass dort alle Maßstäbe verlorengegangen sind. Deshalb müssen die Verantwortlichen aus unserer Sicht Konsequenzen ziehen.
({7})
Statt über Bonuszahlungen und weitere Gehaltserhöhungen für die oberen Etagen zu diskutieren, sollte man
lieber die Fahrpreiserhöhungen - meine Kollegin hat
dies gefordert - zumindest reduzieren, wenn nicht ganz
unterlassen; das wäre besser. Denn die Menschen haben
kein Verständnis dafür, dass auf der einen Seite Millionengehälter gezahlt werden und auf der anderen Seite
Hartz-IV-Empfänger zur Kasse gebeten werden, wenn
sie einmal mit der Bahn fahren. Dafür haben die Menschen überhaupt kein Verständnis.
({8})
Als jemand, der im Gegensatz zu den Personen auf
der ersten Bank hier lange Jahre Gesellschafterrechte
ausgeübt hat, sage ich Ihnen: Wenn man Gesellschafterrechte ausübt, dann muss man die Geschäftspolitik des
Unternehmens mitbestimmen und in der Lage sein, dem
Vorstand Grenzen aufzuzeigen.
({9})
Dies ist offensichtlich völlig aus der Mode gekommen,
insbesondere bei dem Bundesunternehmen Bahn.
({10})
Vielmehr ist es so, dass sich der Vorstand die Politik
mehr oder weniger, so sage ich einmal, geneigt macht.
Deswegen ist der Vorstandsvorsitzende vielleicht auch
geeignet, Vorsitzender eines Kaninchenzuchtvereins zu
werden, weil er sich hervorragend auf die Möhrchenfütterung versteht.
({11})
Auf der anderen Seite hat er aber überhaupt nicht erkennen lassen, dass er aus der letzten Zeit Konsequenzen
gezogen hat. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass
die ganze Diskussion über die Leidtragenden der Finanzkrise und diese Maßlosigkeit, die überall Platz gegriffen
hat, zu keinerlei Konsequenzen bei der Bahn führt.
({12})
Wir sagen auf jeden Fall: Die Bundesregierung ist unglaubwürdig, wenn sie etwas über das Managerverhalten, die Begrenzung von Managergehältern usw. sagt,
wenn sie im eigenen Laden nicht für Ordnung sorgt. Für
uns ist diese Bahn mehr oder weniger - ich möchte es
einmal so sagen - ein ungeordneter Betrieb
({13})
- ich vermeide einen anderen Begriff -, in dem ein Einziger das Sagen hat und alle anderen mehr oder weniger
an der Leine mitführt.
({14})
Das ist nicht der Auftrag, den die Bahn hat. Die Bahn
sollte von der Bundesregierung geleitet und geführt werden und nicht bestimmen, worüber in diesem Hause abgestimmt wird.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich
mir den Titel der Aktuellen Stunde anschaue, dann sehe
ich, dass dort „ablösen“, „entlassen“ und „absagen“
steht. Warum schreiben Sie dann nicht auch noch „Verhaftung von Personen“, wie Ihr Bundespräsidentenkandidat, der die Handschellen einmal zu viel hat klicken
lassen, vielleicht angeregt hat oder angeregt hätte?
({0})
Es fehlt auch noch das Wort „Enteignung“ in Ihrem Antrag.
({1})
Das alles sind Dinge, zu denen ich sagen muss: Der Antrag ist doch ein bisschen unglaubwürdig. Sie wollen
einfach keinen Börsengang.
({2})
Ich muss dazu sagen: Wir wollen den Börsengang,
und ich bin froh, dass wir ihn erreichen werden. Es waren vor allen Dingen die Minister Steinbrück und Glos,
die uns bei der Vorbereitung des Börsengangs in der jetzigen Form sehr geholfen haben. Wenn wir nach dem
Vorschlag des Bahnchefs Mehdorn und des Ministeriums vorgegangen wären - es handelte sich um das Eigentumssicherungsmodell -, dann hätten wir das Netz
der Deutschen Bahn überlassen. Das hätte nicht unsere
Zustimmung gefunden; denn das wäre wirklich eine Verschleuderung von Volksvermögen gewesen. So bleibt
das Netz in der Verantwortung des Bundes, und der Eigentümer Bund hat das Sagen. Ich verhehle aber auch
nicht, dass hier vielleicht noch etwas mehr Transparenz
erreicht werden muss und dass der Eigentümer etwas
mehr zum Bereich Netz zu sagen haben sollte.
Aus unserer Sicht ist die Trennung von Netz und Betrieb aber notwendig; denn die Deutsche Bahn ist ein internationaler Logistikkonzern und für den Betrieb
verantwortlich. Das liegt in der unternehmerischen Verantwortung und ist Angelegenheit des Unternehmens.
Wie gesagt: Es muss eine saubere Trennung geben,
({3})
damit wirklich Transparenz erreicht wird und der Bund
seiner Verantwortung stärker gerecht werden kann.
Kolleginnen und Kollegen, Bonuszahlungen bei Privatunternehmen, die an die Börse gehen, sind durchaus
üblich. Es ist Aufgabe des Aufsichtsrats, Boni festzulegen. Allerdings bin ich der Meinung, dass der Aufsichtsrat die Brisanz hier vielleicht nicht richtig eingeschätzt
hat. Im Grunde genommen sollten das Ministerium und
der Minister natürlich rechtzeitig über diese sensible
Materie informiert gewesen sein. Auch das Parlament
hätte Interesse daran gehabt, über den Fortgang und den
Börsengang laufend informiert zu werden.
({4})
Für Minister sollte es zwar nicht die Gnade der späten
Geburt geben, aber die Entscheidung über den Minister
liegt bei der SPD und bei ihm selbst. Vielleicht wäre es
auch gut, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Werner
Müller - er wurde heute schon genannt -, der früher
Bundesminister war und deshalb die Befindlichkeit der
Politik und auch der Menschen kennen müsste, im Ausschuss einige Fragen klären könnte.
Es ist schon seltsam, dass ein Transnet-Mitglied, früher im Aufsichtsrat und jetzt im Vorstand,
({5})
keinerlei Anmerkungen zu den Gehältern und Bonuszahlungen macht, obwohl die Bonuszahlungen um ein Hundertfaches den Betrag übersteigen, den die GdL für ihre
Mitglieder gefordert hat.
({6})
Die Bahnreform 1993/1994 war auf den Börsengang
ausgerichtet.
({7})
Der Börsengang wird jetzt aufgrund der allgemeinen
Wirtschafts- und Finanzkrise verschoben; er ist aber dadurch nicht aufgehoben.
({8})
Wir wollen den Börsengang, damit sich die Deutsche
Bahn in unternehmerischer Verantwortung weltweit aufstellen kann. Aber der Bund als Netzeigentümer muss
sich in Zukunft auch mehr um das Netz kümmern und
die entsprechenden Mittel dafür zur Verfügung stellen,
damit so etwas wie Streckenüberlastung nicht mehr
möglich ist.
Wir wollen auch den Wettbewerb auf der Schiene.
Dafür brauchen wir den Börsengang.
Vielen Dank.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dr. Anton Hofreiter das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Renate Blank, spannend an deiner Rede
war, dass du den meisten Zwischenapplaus nicht von der
CDU/CSU, sondern von den Grünen bekommen hast.
({0})
Wir stehen selbstverständlich auf deiner Seite, wenn es
um die Durchsetzung der Trennung von Netz und Trans20008
port geht. Leider hat deine kluge Erkenntnis innerhalb
der Großen Koalition noch keinen entsprechenden
Durchschlag gefunden.
({1})
Der Kollege der SPD-Fraktion ist kein Mitglied des
Verkehrsausschusses und erlebt deshalb Herrn Tiefensee
nicht so intensiv, wie wir ihn im Verkehrsausschuss leider erleben müssen.
({2})
Ich muss leider feststellen, dass ich selbst als Mitglied
der Opposition mir einen anderen Minister wünschen
würde. Wir brauchen keine lange Ausschussberatung
darüber, ob wir ihn für geeignet halten. Wir haben ihn
über Jahre erlebt, und er hat sich leider als ungeeignet erwiesen. Fragen Sie Ihre Kollegen im Verkehrsausschuss
- Sie müssen es ja nicht öffentlich machen -; sie werden
es Ihnen bestätigen. Sie können auch Herrn Großmann
fragen. Er wird es Ihnen auch bestätigen.
({3})
Aber kommen wir zur DB AG. Welche verqueren
Vorstellungen innerhalb der DB AG herrschen, zeigen
zum Beispiel die Aussagen von Herrn Voscherau als
Mitglied des Aufsichtsrates. Er hat geäußert, dass die
Politik endlich einsehen möge, dass es sich bei der
DB AG um einen internationalen Logistikkonzern mit
angehängtem Personenverkehr handelt. Das Problem ist:
Die Politik bzw. Ihr Minister hat zugelassen, dass diese
Beschreibung zutrifft. Das ist der eigentliche Skandal.
({4})
Der Aufsichtsrat, der von der Politik entsandt wird,
hat immer wieder Zukäufe von Logistikunternehmen genehmigt, zuletzt eine rumänische Straßenspedition, die
der Bahn mit Dumpinglöhnen Konkurrenz auf der Straße
macht. Das ist ein Skandal.
Damit kommen wir zu Herrn Lippold, der von den
Renditen gesprochen hat.
({5})
Herr Lippold, Sie wissen doch selber - im Ausschuss ist
es uns allen bekannt -, dass die Renditen der Bahn AG
nicht in die notwendige Sanierung des Schienennetzes
fließen, sondern in den Zukauf von internationalen
Logistikunternehmen. Sie fließen weder in die Bahnhöfe
noch in den Güterverkehr oder in die Sanierung des vorhandenen Schienennetzes. Sie wissen es selbst besser.
({6})
Was wollen wir? Wir wollen keine Bahn mit angehängtem Personenverkehr, sondern eine Bahn nach
Schweizer Vorbild, die eine perfekte Reisekette für die
Menschen bereitstellt. Wenn die Bahn die entsprechende
Qualität - regelmäßige, pünktliche, saubere und zuverlässige Züge - bieten würde, dann könnten wir uns sogar
vorstellen, dass Herr Mehdorn einen Bonus bekommt.
Aber was liefert uns denn die Bahn Tag für Tag? Ich
weiß nicht, ob Sie alle von der Großen Koalition nur
Auto fahren oder fliegen, aber ich persönlich besitze
kein Auto und bin deshalb auf die Bahn angewiesen.
Man erlebt jeden Tag bei der Bahn, dass die Züge unpünktlich sind. Es funktioniert nicht. Wichtige Verbindungen werden von heute auf morgen gestrichen. Das
jüngste Beispiel, das ich gerade in Bayern erlebt habe, ist
Augsburg. Diese Stadt mit einer Viertelmillion Einwohner wurde von heute auf morgen vom Fernverkehr Richtung Norden nahezu abgehängt. Der Herr Minister
schweigt dazu. Er hat keine Kompetenzen. Das Maximum dessen, was Sie von der Großen Koalition tun, ist,
dass Sie sich über Maßnahmen des Bundesrats lustig
machen.
({7})
So geht es weiter. Das Gleisnetz wird immer maroder.
Kleine Bahnhöfe verrotten. ICEs werden auf Verschleiß
gefahren, wie das jüngste Beispiel der defekten Achsen
zeigt. Die Fahrpreise werden immer weiter erhöht. Als
Begründung müssen die höheren Energiekosten herhalten. Nun ist der Ölpreis nur noch halb so hoch. Trotzdem
passiert nichts. Die Fahrpreise sinken nicht. Die Liste
der Probleme ließe sich beliebig fortsetzen.
Was hat der Minister getan? Der Minister hat sich
über drei Jahre mit einem gescheiterten Privatisierungsmodell nach dem anderen aufgehalten. Ich will gar nicht
aufzählen, wie viele verquere und seltsame Modelle vorgestellt wurden. Was hat er nicht getan? Er hat sich nicht
um die Bahn gekümmert. Er hat sich nicht um einen entsprechenden Ausbau der Bahn und die Einführung eines
vernünftigen Taktfahrplans gekümmert. Er setzt auf einzelne, überholte Großprojekte wie die Strecke Nürnberg-Erfurt
({8})
mit 5 Milliarden Euro - selbst die Bundesregierung gibt
zu, dass hier nur anderthalb Züge pro Stunde fahren und das „schöne“ Projekt Stuttgart 21 mit 8 Milliarden
Euro, das keinen Nutzen für den Hafenhinterlandverkehr
hat. Das heißt, er hat letztendlich keine eigenen Konzepte entwickelt. Währenddessen laufen die Güterverkehrsstrecken über.
Was wollen wir? Wir wollen eine Bahn mit Personenverkehr an erster Stelle und einem integrierten Taktfahrplan, mit sauberen und pünktlichen Zügen mit entsprechender Anschlusssicherung für die Fahrgäste und einen
kapazitätsgestützten Ausbau des Güterverkehrs, um die
Engpässe zu beseitigen. Mit dem vorhandenen Personal
ist das aber kaum denkbar. Deshalb müsste neben Herrn
Tiefensee, der sowieso keinen Einfluss auf die Bahnpolitik hat, vor allem und zuerst Herr Mehdorn ausgetauscht
werden, der über Jahre auf die falsche Strategie gesetzt
hat.
Kollege Hofreiter, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Dafür ist es nun Zeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Lötzsch, lieber Herr Lafontaine, ich glaube,
dass Ihre Reden außer Beleidigungen der Abgeordneten
in der ersten Reihe der SPD-Fraktion inhaltlich nichts zu
bieten hatten. Die Menschen draußen wollen keine Reden von Leuten hören, die vom Thema überhaupt keine
Ahnung haben, die Dinge von sich geben, die völlig abstrus sind. Die Menschen brauchen Antworten auf die
wirklich wichtigen Fragen nach der Mobilität der Zukunft, auf die Frage, wie es in Zukunft mit der Bahn weitergeht. Das wollen die Menschen hören und nicht das,
was Sie in dieser Debatte gesagt haben.
({0})
Wir alle von der Koalition können nachvollziehen,
dass die Opposition in dieser Debatte gern ihr Mütchen
kühlen möchte. Es ist Ihnen schon im Verkehrsausschuss
in keiner Weise gelungen, auch nur einen Pflock einzuschlagen. Sie waren absolut zahnlos. Auch der Kollege
Döring, der hier eine gute Rede gehalten hat, aber im
Ausschuss nicht so viel hinbekommen hat, muss zugestehen, dass das Ganze im Sande verlaufen ist.
({1})
- Kollege Hermann, dazu komme ich gleich noch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, versuchen wir wieder, uns den inhaltlichen Themen zu widmen. Es geht
doch darum, wie es mit der Verkehrspolitik und der
Bahn weitergeht. Die SPD-Fraktion ist der Meinung
- und Sie alle sollten daran ein Interesse haben -, dass
wir eine starke Bahn brauchen. Wir brauchen eine wettbewerbsfähige Bahn. Wir brauchen eine Bahn, die in
Deutschland einen anständigen Verkehr organisieren
kann. Wir brauchen aber auch eine Bahn, die sich dem
liberalisierten europäischen Wettbewerb stellen kann
und eine Chance hat, den Verkehr in Europa vernünftig
zu organisieren. Wir brauchen eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. An der Erreichung
dieses Zieles müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich hoffe,
dass wir nach dieser Debatte wieder zu einer sachlichen
Arbeit im Ausschuss zurückkommen und uns diesen
Fragen wirklich widmen.
({2})
Minister Wolfgang Tiefensee hat unsere Interessen
und die Interessen des Bundes als Eigentümer gegenüber
der DB AG vertreten. Der Minister hat das, was falsch
gelaufen ist, korrigiert. Der Minister hat zur Frage der
Boni eine klare Position bezogen. Der Minister hat sich
mit dem Bahnvorstand zu Recht angelegt, als es darum
ging, einen Bedienzuschlag einzuführen, den wir, glaube
ich, fraktionsübergreifend für absoluten Schwachsinn
gehalten haben. Da gilt es, ihm den Rücken zu stärken.
({3})
Wir sollten die Einflussmöglichkeiten, die wir zu Recht
haben wollen, nutzen und als Eigentümer dafür sorgen,
dass die Bahn so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.
Dazu gehört auch, dass wir jetzt im Ausschuss vernünftigerweise die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
weiterbearbeiten, um die Bahn an die Zügel zu nehmen
und in die Richtung zu bringen, die wir wollen.
({4})
Noch ein Wort zum Börsengang der Bahn. Verantwortliche Politik zeichnet sich dadurch aus, dass man
dann, wenn man erkennt, dass das Umfeld den Börsengang nicht zulässt, sagt: Im Moment geht es einfach
nicht. - Diesen Schritt ist die Bundesregierung gegangen, diesen Schritt sind wir gemeinsam gegangen; denn
es geht eben nicht darum, Volksvermögen zu verschleudern, wie immer wieder behauptet wird, sondern es geht
darum, die Kapitalbasis der Bahn zu verbreitern, damit
sie ihre Aufgaben in der Zukunft vernünftig wahrnehmen kann.
Zum Schluss noch ein kritisches Wort in Richtung
Bahnvorstand. Ich glaube, dass der Bahnvorstand aufhören muss, sich immer nur damit zu beschäftigen, welche
Abgeordneten, welche Minister und welche Bürgermeister als nächstes zu beschimpfen sind. Der Bahnvorstand
hat in nächster Zukunft genug zu tun, sich zu überlegen,
wie es mit der Bahn weitergeht, wie die Kundenfreundlichkeit weiter verbessert werden kann und wie das inakzeptable Verhalten einzelner Schaffner gegenüber Kindern unterbunden werden kann. Ich hoffe, dass die Bahn
schnellstmöglich daran arbeitet. Es gibt aber noch andere Dinge, Stichwort Boni. Ich kann nicht verstehen,
dass man als Manager in einer solchen Situation den Bonus in Anspruch nimmt. Da ist mehr Fingerspitzengefühl
gefragt.
({5})
Das gilt auch für den „Zug der Erinnerung“. Ich bin immer noch der Meinung, dass sich die Bahn an dieser
Stelle falsch verhalten hat.
({6})
Zum Schluss: Lassen Sie uns nach dieser Debatte
sachlich daran weiterarbeiten, wie wir die Mobilität der
Zukunft gestalten. Ich glaube, dass uns als Mitgliedern
des Verkehrsausschusses allen daran gelegen sein sollte,
dass die Bahn dabei eine bedeutende Rolle spielt.
Vielen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Enak
Ferlemann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Linke hat deutlich gesagt, was eigentlich
Ziel der heutigen Debatte neben dem ganzen Klamauk
ist: Man will die Bahnreform stoppen. Das Problem ist
nur bei den Linken: Wie immer sagen sie zwar, was sie
nicht wollen, aber sie sagen nicht, was sie wollen.
({0})
- Verehrter Herr Kollege Lafontaine, Sie mit Ihrer Ahnungslosigkeit über Verkehrspolitik haben heute wieder
den Beweis angetreten. Ihre Rede war ein Nichts. Es war
keine einzige Lösung dabei. Gar nichts war das.
({1})
Das haben wir jedes Mal bei dieser Debatte, weil Sie von
der Bahn einfach nichts verstehen. Wahrscheinlich fahren Sie auch nicht mit der Bahn. Dann kann man das natürlich auch nicht erwarten.
({2})
Ich möchte nur den vielen Menschen, die uns an den
Fernsehschirmen zuschauen, erklären, warum wir die
Bahnreform eigentlich so gemacht haben und warum wir
sie so fortsetzen.
({3})
Sie dient nicht dazu, die Menschen zu ärgern. Von Ihnen
kommen nur Fehlinformationen. Nein, die Bahnreform,
die 1994 von einer großen Mehrheit dieses Hauses beschlossen wurde, wird weiter konsequent umgesetzt,
weil sie richtig ist. Es wird immer vertuscht, leider auch
von den Kollegen der Grünen, dass wir im Grunde genommen längst zwei Bahngesellschaften haben, nämlich
eine, die ein internationaler Logistikkonzern geworden
ist - mit einem Riesenerfolg -, die DB ML AG, und zum
anderen Bahngesellschaften, die sich um die Infrastruktur kümmern. Nun wird so getan, als wenn in Deutschland alles dem privaten Kapital zum Fraß vorgeworfen
wird. Das ist mitnichten richtig. Diese Koalition hat es
nach schwierigen Diskussionen hinbekommen - da gebe
ich Ihnen recht -, eine Trennung vorzunehmen. Wir lassen die gesamte Infrastruktur zu 100 Prozent beim Staat.
Da wird überhaupt nichts privatisiert. Das bleibt in der
Hand des Staates.
Was aber teilprivatisiert werden soll, das sind die Betriebsgesellschaften. Da muss ich Sie einmal fragen: Mit
welcher Berechtigung soll der deutsche Steuerzahler einen internationalen Logistikkonzern finanzieren? Das ist
nicht seine Aufgabe.
({4})
Seine Aufgabe ist es vielmehr, für das Wachstum dieses
großen Bereichs Kapital zu besorgen. Das machen wir
über die Privatwirtschaft, und das ist richtig, und das ist
gut so.
({5})
Warum ist das erforderlich, Herr Kollege Hofreiter?
Auch Ihnen habe ich es von dieser Stelle aus schon
mehrfach erklärt: Es ist notwendig, in der Öffnung der
europäischen Märkte die Marktanteile für diese Gesellschaften zu erhalten. Wenn wir wollen, dass Europa auf
der Schiene zusammenwächst, dann muss auch die
DB AG in neue Züge, in neue Lokomotiven, übrigens
auch in neues Personal investieren können. Dafür
braucht man Geld - Geld, das der Staat dieser Gesellschaft nicht geben kann, weil wir davon für solche Zwecke nicht genug haben. Deswegen ist es richtig, eine
Teilprivatisierung vorzunehmen. Die Konsequenz der
Bahnreform von 1994 wird umgesetzt. Sie wird ihre
Früchte tragen.
({6})
Worauf wir als öffentliche Hand, als Staat uns konzentrieren müssen, das ist die Infrastruktur. Da gebe ich
Ihnen recht: Wir müssen mehr in Bahnhöfe, in Schienenwege, in die Weichen, in die Signalanlagen, in die moderne Technik investieren. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Dafür brauchen wir das öffentliche Geld.
Wenn wir eine gute Infrastruktur haben, bekommen wir
viel Betrieb. Wo viel Betrieb ist, ist viel Wettbewerb,
und wo Wettbewerb ist, ist den Menschen gedient, weil
mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert
wird. Das ist eine der Kernaussagen der Bahnreform.
Deshalb unser klares Fazit: Die Linken können weiterhin ihre Parolen bringen. Sie sind leider substanzlos,
und leider bieten sie keine Alternative zu unserem Konzept. Deswegen wird die Bahnreform kommen.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Iris Gleicke für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es gibt so Tage, da verstehe
ich die Welt nicht mehr. Ich gebe zu: Heute ist so ein
Tag. Heute debattieren wir allen Ernstes darüber, ob ein
Minister zurücktreten muss, weil er verhindert hat, dass
sich ein paar Manager in einem Staatsunternehmen einen
ordentlichen Schluck aus der Pulle genehmigen.
({0})
Ich verstehe das nicht.
Ich sehe nicht ein, warum jemand seinen Hut nehmen
soll, weil er das ganz normale und gesunde Gerechtigkeitsempfinden wie jeder andere Bürger und jede andere
Bürgerin auf der Straße hat.
({1})
Manchmal kann man sich wirklich nur noch die Augen reiben. Da erklärt ein Mitglied des Aufsichtsrats der
Bahn dieser Tage allen Ernstes, es sei ganz unmöglich,
wie die Regierung mit der Bahn umgehe.
({2})
Er schimpft darauf, dass immer noch der Eigentümer,
also wir Abgeordnete, die Bundesregierung und jeder
Bürgermeister von Flensburg bis Garmisch, mitreden
dürfe. Ich gebe ganz ehrlich zu: Das ist doch dreist. Jetzt
sind es also die bösen Politiker. Vielleicht müsste einmal
jemand dem Herrn Eggert Voscherau erklären, dass diese
Politikerinnen und Politiker aller Ebenen demokratisch
gewählt sind, so richtig vom Volk in freier, gleicher und
geheimer Wahl.
({3})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich gerade so aufregen.
({4})
Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit von
uns, von diesen Volksvertretern, darauf zu achten, dass
die Interessen der Bürgerinnen und Bürger eben nicht
unter die Räder der Deutschen Bahn AG geraten.
({5})
Ich will auch etwas zu Herrn Mehdorn sagen. Es ist in
unserem Land geradezu zu einem Volkssport geworden,
auf Herrn Mehdorn einzuprügeln. Daran will ich mich
nicht beteiligen. Für mich ist Herr Mehdorn ein wirklich
schwieriger - das kann ich aus langjähriger Erfahrung
sagen -, aber ein anständiger Mensch, der viel für die
Bahn geleistet hat. Ich glaube, das beurteilen zu können,
weil ich mich immerhin anderthalb Jahrzehnte mit Verkehrspolitik beschäftigt habe.
Was Sie, Frau Kollegin Lötzsch, da gerade gemacht
haben, das ist unanständig. Ihre abschätzigen Zwischenrufe während der Debattenbeiträge der Kolleginnen und
Kollegen hier, Herr Lafontaine, waren in meinen Augen
ebenfalls unanständig.
({6})
Ich glaube, dass Mehdorn nicht mit den billigen Raffkes zu vergleichen ist, erst recht nicht mit den inkompetenten Finanzjongleuren, die versucht haben, ganze
Volkswirtschaften in Schutt und Asche zu legen.
Mehdorn gehört zu denen, die etwas aufbauen wollen;
({7})
aber manchmal setzt dieser Mann, wie wir alle wissen,
zu echten politischen Geisterfahrten an.
Ich bin froh darüber, dass wir in der Bundesregierung
einen Minister haben, der sich dem regelmäßig entgegenstellt, zum Beispiel bei den Bonuszahlungen.
({8})
Es ist schon unerträglich, dass der Herr Bahnchef die
Bonuszahlungen als „Möhrchen“ bezeichnet. Dazu sage
ich: Nur Esel brauchen Bonuszahlungen, um in Gang zu
kommen.
({9})
Erinnern Sie sich bitte mit mir an ein paar andere
Dinge. Wolfgang Tiefensee war gerade einmal ein paar
Tage im Amt, als Herr Mehdorn erklärte, er wolle mit
der Bahnzentrale vom Potsdamer Platz nach Hamburg
umziehen. Wolfgang Tiefensee und Klaus Wowereit haben das verhindert. Ich bin beiden dankbar dafür.
({10})
Das mag an meiner ostdeutschen Befindlichkeit liegen.
Ich fand es nämlich überhaupt nicht lustig, dass eine der
wenigen Konzernzentralen, die wir überhaupt in Ostdeutschland haben, nun auch noch in den Westen umziehen sollte. Wolfgang Tiefensee hat das gestoppt.
Dann fand es Herr Mehdorn aus mir bis heute unerfindlichen Gründen nicht gut, auf den Bahnhöfen eine
Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder in die
Vernichtungslager und Konzentrationslager zu zeigen.
Tiefensee hat sich auch in dieser Frage durchgesetzt.
Heute gibt es eine solche Ausstellung. Sie wird auch im
kommenden Jahr gezeigt. Im Moment ist sie im Münchener Hauptbahnhof zu sehen.
({11})
Das dritte Beispiel, das ich anführen will, ist die
geniale Idee der Schaltergebühren. Sie alle können sich
daran erinnern. Ich habe mich da gefragt, ob sich das die
gleichen Oberstrategen der Bahn ausgedacht haben, die
damals das Preissystem der Bahn reformieren wollten.
Auch hier hat sich der Minister eindeutig dagegengestellt; Mehdorn hat wieder den Kürzeren gezogen.
Herr Döring, ich wiederhole: Das ist kein Zeichen
von Führungsschwäche, sondern ein Zeichen von
Durchsetzungsstärke; denn diesen ganzen Quatsch hat
Minister Tiefensee verhindert. Dafür gebühren ihm
Dank und Anerkennung und vor allem die Unterstützung
des ganzen Hauses.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat nun für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen im Sitzungsvorstand! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf
der Debatte in dieser Aktuellen Stunde, die wir heute
ausgerechnet auf Antrag der Linken erleben, ist wirklich
traumhaft; man kann sich als Redner an Ihrer Vergangenheit abarbeiten. Es tut Ihnen wirklich weh; denn als
Nachfolgeorganisation der SED sind Sie dafür zuständig, dass die Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern marode war, dass es eine Deutsche Reichsbahn
gab, die heute noch auf Schienen herumeiern würde, die
nicht sicher sind.
({0})
Sie stellen sich hier hin und wollen die moderne Deutsche Bahn AG kritisieren. Das ist doch wirklich skurril.
Erinnern tut bei Ihnen weh. Deswegen werden wir, die
CDU/CSU, immer gegen das Vergessen der Bürgerinnen
und Bürger ankämpfen, für welches System Sie als
Nachfolgeorganisation der SED stehen.
({1})
- Herr Lafontaine, Sie können gerne mit Zwischenrufen
glänzen. Sie haben sich als Vorsitzender zu diesen
Schrottkönigen des 20. Jahrhunderts dazugesellt. Das
spricht Bände.
({2})
Anträge der Opposition wären hilfreicher,
({3})
wenn sie uns als Verkehrspolitiker stärken würden, wenn
sie nicht dazu führen würden, hier über Personen zu diskutieren und sie zu diskreditieren, sondern dazu beitragen würden - das gilt für alle Kolleginnen und Kollegen
aus der Opposition -, dass im Verkehrsbereich die Infrastrukturmittel ansteigen. Wenn Sie solche Anträge
schreiben würden, bei denen es darum geht, dass wir alle
zusammen helfen, dass die notwendigen Investitionen in
die Infrastruktur - in die Schiene, in die Straße, in die
Wasserstraße - zustande kommen, dann wären Sie konzeptionell auf dem richtigen Weg. Sie sind es nicht,
wenn Sie mit solchen Aktuellen Stunden und in der
Folge mit Missbilligungsanträgen Personen diskreditieren.
({4})
Frau Kollegin Gleicke hat einige Sätze über Bahnchef
Mehdorn gesagt. Jeder weiß, dass Herr Mehdorn etwas
stur und seiner eigenen Person gegenüber vielleicht etwas zu unkritisch ist. Aber er führt einen erfolgreichen
Konzern. Dieser Konzern - mein Kollege Enak
Ferlemann hat darauf hingewiesen - agiert weltweit. Ein
solcher Erfolg ist eben nur zu erreichen, wenn man ein
harter Hund ist.
Natürlich könnte man kritisieren, dass der Bahn-Börsengang so spät über die Bühne gehen sollte, bedingt
auch dadurch, wie Mehdorn uns als Parlamentarier behandelt hat. Insofern ist er vielleicht sogar eine tragische
Figur. Wenn Mehdorn im parlamentarischen Verfahren
viel zügiger mitgearbeitet hätte, hätten wir den BahnBörsengang schon längst.
Wir haben uns auf ein Modell verständigt, das die
Trennung von Netz und Betrieb beinhaltet. Der Punkt
ist, dass die Deutsche Bahn AG für die Zukunft im Betrieb Erfolg hat. Vor dem Hintergrund sollten wir in diesem Hohen Hause nicht jede Maßnahme schlechtreden,
sondern den Erfolg herausstellen und vor allem auf die
Deutsche Bahn AG stolz sein.
({5})
Die Deutsche Bahn AG agiert als weltweiter Logistiker
über die Grenzen hinweg, und das ist auch ein Qualitätsausweis für den Standort Deutschland.
({6})
Das Ministerium, Herr Bundesminister Tiefensee,
hätte manches Interview des Bahnchefs Mehdorn, zum
Beispiel als er von „Möhrchen“ gesprochen hat - auch
wieder ein skurriler Begriff -, etwas stärker hinterfragen
können. Ich gebe also in die Diskussion hinein, dass die
Kommunikation mit den Vertretern des Bundes im Aufsichtsrat offenbar nicht funktioniert hat. Das soll uns
eine Lehre für die Zukunft sein. Diesen Fall möchte ich
nicht für die Vergangenheit bewerten, Herr BundesDr. Andreas Scheuer
minister, sondern vor allem für die Zukunft. Wir als Parlament, als Eigentümer Bundesrepublik Deutschland
müssen unsere Vertreter im Aufsichtsrat beim Bahn-Börsengang so koordinieren, dass die Kontrolle auch funktioniert.
({7})
Im parlamentarischen Prozess haben wir Verkehrspolitiker uns in zig Stunden von Anhörungen - vielleicht
hat das zu sehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden - fleißig Modelle um die Ohren gehauen und
tagelang Experten für Experten angehört. Solcher Fleiß
der Parlamentarier sollte damit belohnt werden, dass die
Deutsche Bahn AG ohne Umschweife Informationen an
das Parlament weitergibt. Ich verlange für die Zukunft,
dass dies bei einem Bahn-Börsengang passiert, sodass
die Kontrolle durch das Parlament funktionieren kann.
Was Informationen zur Zukunft und zur Ausrichtung der
Deutschen Bahn AG angeht, so ist das keine Holschuld
der Abgeordneten, sondern eine Bringschuld der Deutschen Bahn AG.
Für die Zukunft bitte ich darum, dafür zu sorgen, auch
im Bundesministerium, dass diese Koordinationsarbeit
von Verkehrspolitikern, Parlament und Eigentümer geleistet wird. Dann schaffen wir die Kommunikationsprobleme, die in der Vergangenheit bestanden haben, aus
der Welt, dann funktioniert die Kontrolle, und dann haben wir eine erfolgreiche Deutsche Bahn AG.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Christian Carstensen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Stunde lang eine wirklich überflüssige Debatte
erlebt.
({0})
Schlimm daran finde ich: Diese Aktuelle Stunde ist noch
nicht einmal aktuell; denn bereits vor einer Woche - das
ist hier schon angesprochen worden - hat die FDP das
gleiche Thema schon in Antragsform gegossen. Es war
also klar, dass wir heute darüber reden würden. Die
Linke hat sich wieder mal nur angehängt, um billige Effekthascherei zu betreiben. Deswegen hat auch niemand
von ihren Verkehrspolitikerinnen und -politikern gesprochen. Es ging nur um Klamauk.
Noch schlimmer aber ist, dass von den wirklichen
Problemen der Menschen kein einziges angesprochen
wurde. Nun frage ich mich die ganze Zeit, die Stunde,
die ich hier sitze, wie das eigentlich auf die Zuhörerinnen und Zuhörer an den Fernsehschirmen, vor dem Radio und hier auf der Besuchertribüne wirkt, also auf die
Menschen, für die wir eigentlich tätig sein sollen, für die
wir als Volksvertreter hier sitzen. Nun frage ich mich:
Haben diese sich Politik so vorgestellt? Ich hoffe, dass
zum Beispiel Sie hier auf den Besuchertribünen sagen:
Nein, nein, so eigentlich nicht. - Ich befürchte aber, dass
vielleicht gerade die Jüngeren sagen: Doch, na klar haben wir uns das so vorgestellt. Es ist doch klar, wir sind
im Deutschen Bundestag. Da gibt es das Ritual, dass die
Opposition den Rücktritt von irgendeinem Minister fordert und sich alle gegenseitig beschimpfen, aber am
Ende die Mehrheit das ablehnt. Das ist ja auch egal.
Hauptsache, die Opposition ist am nächsten Tag mit einer Schlagzeile in den Zeitungen vertreten. Darum geht
es doch.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube
nicht, dass es so sein sollte. Wir sollen hier vielmehr dafür sorgen, dass die Fragen, Interessen und Ideen der
Menschen zur Sprache kommen, dass deren Probleme
angesprochen werden. Das tut die Große Koalition, und
das tut unser Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee.
({1})
Die Verkehrspolitik wurde in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet.
({2})
- Sie sind nicht im Verkehrsausschuss, deswegen sage
ich es Ihnen gerne: zum Beispiel mit dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. 1 Milliarde Euro stehen hierfür zur Verfügung. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!
({3})
Mit dem Masterplan „Güterverkehr und Logistik“
wurden die Weichen für einen wirtschaftlich erfolgreichen und zugleich umweltfreundlichen Güterverkehr gestellt. Flughafen- und Hafenkonzept werden folgen. Wir
sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!
({4})
Die Verkehrssicherheit wurde deutlich verbessert:
vom Alkoholverbot für Fahranfänger bis zur Nachrüstpflicht von Lkw-Spiegeln, um den toten Winkel zu verkleinern.
({5})
Noch nie gab es so wenige Verkehrstote auf deutschen
Straßen nach Unfällen. Ein Erfolg für uns alle. Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!
({6})
Mit dem Nationalen Verkehrslärmschutzpaket wurden die Sorgen und Nöte der Menschen an großen Verkehrswegen, insbesondere an den Schienenwegen, die
täglich von Verkehrslärm betroffen sind, aufgegriffen.
50 Millionen Euro standen zu Anfang dieser Legislaturperiode dafür zur Verfügung. Wir haben diesen Betrag
auf 100 Millionen Euro verdoppelt. Wir werden jetzt den
nächsten Schritt tun. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!
({7})
Klimaschutz- und Energieeinsparmaßnahmen bei Gebäuden wurden auf den Weg gebracht.
({8})
Seit 2006 wurden durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm schon über 750 000 Wohneinheiten saniert.
Ganz nebenbei wurden dadurch bis zu 220 000 Arbeitsplätze erhalten bzw. neu geschaffen. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee!
({9})
Die soziale Absicherung von rund 800 000 Mieterhaushalten wurde durch die Erhöhung des Wohngeldes
verbessert. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister
Tiefensee!
({10})
Vielleicht als letztes Beispiel: Ab 2009 werden mit
der Förderung seniorengerechten Umbaus des Wohnungsbestandes die Interessen der Menschen, die auch
im Alter länger in den eigenen vier Wänden leben wollen, aufgegriffen. Auch da sagen wir: Gut gemacht, Herr
Minister Tiefensee!
({11})
Bei all diesen Punkten - man könnte diese Liste noch
fortführen - hat der Minister unsere Unterstützung verdient und nicht irgendeinen durch Anträge hervorgerufenen Klamauk, der uns zwei Stunden von den eigentlichen Themen ablenkt.
Vielen Dank.
({12})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 auf:
17 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP
Missbilligung der Amtsführung und Entlassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
- Drucksache 16/10782 ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Missbilligung der Amtsführung und Entlassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee
- Drucksache 16/10918 Über die beiden Anträge werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den
Antrag zu sprechen komme, noch ein Wort zu Herrn
Kollegen Klaas Hübner von der SPD. Das genau ist Ihr
Problem, Herr Kollege Hübner. Sie blenden für sich und
die SPD die Realität aus und malen sich die Welt so, wie
Sie glauben, dass sie tatsächlich ist. Genau deswegen haben Sie soeben so unheimlich kraftvolle Erfolge in Bayern und Hessen gefeiert. Ihr Problem ist, dass Sie gar
nicht mehr wahrnehmen, worin die eigentlichen Probleme bestehen, und versuchen, es der Opposition im
Deutschen Bundestag madigzumachen, diese anzusprechen. Vielleicht denken Sie über diese Worte einmal
nach.
({0})
Jetzt zum Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es
geht nicht darum, inhaltlich die Bahnreform zu bewerten. Es geht eindeutig nur um die eine Frage: Welche
Verantwortung hat ein Minister persönlich zu übernehmen, wenn etwas, was von ihm aus unserer Sicht lange
Zeit vorher gewusst, gedeckt und bestätigt wurde, aufkommt? Hat er dann auch politische Konsequenzen zu
ziehen? Verantwortung besteht nämlich auch in der
Größe, freiwillig zurückzutreten. An dieser Stelle besteht ein Dissens.
({1})
Ich will es kurz fassen. Der Minister hat gesagt: Ich
bin zwar Minister, aber beim größten verkehrspolitischen Ereignis dieser Periode spiele ich die Geschichte
vom Hasen. Ich weiß von nichts. Mir sagt nämlich niemand etwas. - Das Problem ist allerdings, dass dies relativ unglaubwürdig ist, Herr Minister.
({2})
Eine Ihrer ersten Anweisungen zu Beginn Ihrer Amtszeit als Minister lautete: Auf Weisung des Ministers soll
der Kopfbogen für Schreiben des Ministers geändert
werden. Die Schriftgröße der Funktionsbezeichnung
„Bundesminister“ wird von 9 Punkt auf 11 Punkt vergröHorst Friedrich ({3})
ßert. Die Ministerschreiben sind ab sofort mit dieser Änderung zu fertigen.
({4})
Dagegen kann man nichts einwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Minister aber, der sich so im
Detail um sein Ministerium kümmert, der kann uns nicht
drei Jahre später erklären, er habe eine der wesentlichen
Bedingungen des Börsenganges nicht gewusst.
({5})
Der Aufsichtsrat ist nicht vom Himmel gefallen. Alle
Mitglieder des Aufsichtsrates sind von der Bundesregierung benannt und bestimmt worden. Unter den Aufsichtsratsmitgliedern gibt es auch drei Staatssekretäre.
({6})
Im Aufsichtsrat vertreten sind das Verkehrsministerium,
das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium.
({7})
Überraschenderweise haben offensichtlich die Minister
für Finanzen und Wirtschaft von ihren Staatssekretären
gewusst, dass es Bonuszahlungen gibt; denn bis Dienstag vergangener Woche haben diese beiden Minister
mehrfach öffentlich erklären lassen, sie hätten kein Problem mit den Bonuszahlungen. Spätestens dann hätte der
dritte und federführende Minister wissen müssen, dass
Bonuszahlungen vereinbart worden sind.
Herr Tiefensee ist sowieso der Rekordminister. Wenn
ich mich richtig erinnere, ist Herr Tiefensee der erste Minister, der in seiner Amtszeit drei Staatssekretäre entlassen hat. Begonnen hat er mit Ralf Nagel, dann kam Jörg
Hennerkes und jetzt Matthias von Randow.
({8})
Wie viele Staatssekretäre muss er noch aus dem Amt
entlassen, bis er endlich selbst die Konsequenzen zieht?
Das ist das eigentliche Problem.
({9})
Er hat Matthias von Randow Ende Oktober mit der
öffentlichen Aussage entlassen, er habe erst vor wenigen
Tagen erfahren, dass es Bonuszahlungen gibt. Dieser
Termin wurde dann auf den 2. Oktober, auf den Termin
der Veröffentlichung des Börsenprospekts vorverlegt.
Daraufhin kam die Antwort aus dem Hause Tiefensee,
diesen habe er noch nicht gelesen. Mittlerweile gesteht
er wenigstens zu, dass er seit Mitte September weiß, dass
Bonuszahlungen vereinbart worden sind.
Herr Minister, ehrlich gesagt glauben meine Fraktion
und ich Ihnen das nicht; denn am 27. August hat im Verkehrsministerium eine Abteilungsleiterkonferenz stattgefunden - das Protokoll liegt vor -, an der der Minister
teilgenommen hat. Unter anderem hat der Hauptabteilungsleiter E. zur Teilprivatisierung mitgeteilt, der Börsenprospekt sei am 27. August 2008 der BaFin übersandt
worden, die Erstellung des Börsenprospekts sei intensiv
von BMVBS, BMF und BMWi begleitet worden, und
die Zusammenarbeit der Ressorts sei sehr kooperativ gewesen.
Selbst wenn in dem Protokoll nicht steht, dass der
Herr Minister etwas davon wusste, spätestens zu diesem
Zeitpunkt hätte man wenigstens nachfragen können, was
im Börsenprospekt steht.
({10})
Deswegen bleibe ich dabei: Die Beschlusslage für die
Bonuszahlungen ist nicht vom Vorstand vorgegeben
worden, sondern diese hat der Personalausschuss des
Aufsichtsrates bestätigt. Es wäre das erste Mal in der
Geschichte der Bahnprivatisierung, dass es von Aufsichtsratssitzungen kein Protokoll im Verkehrsministerium gegeben hätte. Es würde mich sehr überraschen,
wenn dem so wäre. Die Realität sieht doch völlig anders
aus.
Es gibt noch ein weiteres Problem. Offensichtlich hat
der Minister gemerkt, dass Bonuszahlungen für die Bevölkerung anrüchig sind. Diese Haltung kann man vertreten. Aber die Bedingungen für diese Zahlungen hat
der Minister mitbestimmt. Wenn man Bonuszahlungen
ausschließlich davon abhängig macht, dass ein gewählter Vorstand den Börsengang überhaupt schafft, dann
darf man sich nicht wundern, dass es Widerspruch gibt.
Wer ist eigentlich in der Lage, Berechnungsgrößen festzulegen? Warum kommt aus dem Hause Tiefensee nicht
die Vorgabe, dass es Bonuszahlungen erst ab einem Börsenwert von beispielsweise 8 Milliarden Euro gibt und
dass man bei einem Börsenwert von unter 5 Milliarden Euro erst gar nicht über das Thema zu reden
braucht? - Was macht der Minister? Von ihm ist dazu
nichts zu hören.
Am Mittwoch letzter Woche wurde uns gesagt, dass
es keine Bonuszahlung gibt, weil der Börsengang nicht
stattfindet, und dass deswegen der Minister auch keine
Verantwortung übernehmen muss. Vom Kollegen
Lippold haben wir heute gehört, dass das Kanzleramt
diese Position korrigiert hat; denn der Börsengang ist
nicht abgesagt. Damit sind auch die Bonuszahlungen
nicht vom Tisch. Der Aufsichtsratsbeschluss gilt also
noch.
Ich habe schon letzte Woche gefragt, wann der Minister gedenkt, den Aufsichtsratsbeschluss zu ändern. Als
Antwort konnte man immer nur die gleiche Platte hören:
„Das Vertrauensverhältnis ist gestört, das Vertrauensverhältnis ist gestört, das Vertrauensverhältnis ist gestört.“
Es gibt aber keine konkrete Antwort auf die Frage, wann
es eine Initiative des Ministers gibt.
({11})
Offensichtlich ist das Problem noch nicht gelöst.
Nun kann man sagen: Er hat mal wieder Glück gehabt. Durch die famosen Vorgänge bei der kraftvollen
Horst Friedrich ({12})
SPD in Hessen ist sein Stuhl ein bisschen sicherer geworden. Aber Realität ist weiterhin: Der Minister bleibt
angeschlagen; er ist einer der schwächsten Verkehrsminister, die diese Republik je erlebt hat.
({13})
Wenn der Minister noch einen Funken Anstand hat
und demokratische Spielregeln für ihn wichtig sind,
dann sollte er den Hut nehmen und zurücktreten. Sich allein aufgrund der Mehrheit der Großen Koalition am
Stuhl festzuhalten, trägt nicht. Der Minister ist angeschlagen. Die Verkehrspolitik in Deutschland hat einen
besseren Minister verdient.
Danke.
({14})
Nun hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich weise den Antrag der FDPFraktion auf Entlassung des Bundesverkehrsministers
zurück und nehme Bezug auf all das, was meine Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion vorhin in der Aktuellen
Stunde gesagt haben. Der Minister hat klar und deutlich
auf alle Fragen sowohl im Verkehrsausschuss als auch
im Haushaltsausschuss geantwortet.
({0})
Meine Damen und Herren von der Opposition, was
ich nicht zurückweisen kann und will, ist die generelle
Kritik der Bürger an der Schienenverkehrspolitik in
Deutschland. Menschen fragen uns, wer denn eigentlich
über die Schienenverkehrspolitik in Deutschland bestimmt: Aufsichtsräte, Manager und Vorstände oder die
von uns gewählten Politiker? Weil wir auf dieses Unbehagen reagieren müssen, meine sehr verehrten Damen
und Herren von der Opposition, insbesondere von der
FDP, bitte ich Sie, das Vertrauensverhältnis bei der Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, den Koalitionsfraktionen und dem Minister nicht weiter zu belasten.
Die Kritik der Bevölkerung sollte vielmehr aufgenommen und beantwortet werden.
Ja, die Schiene hat in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren. Wir müssen uns überlegen, wie wir als
Verkehrspolitiker und wie die Politik im Allgemeinen
wieder mehr Einfluss auf die Gestaltung der Schienenverkehrspolitik in Deutschland nehmen kann. Da muss
man zunächst die Frage stellen, was eigentlich Schienenverkehrspolitik in Deutschland ist. Ich beginne damit,
festzuhalten, was sie nicht ist. Das Unternehmen Schenker,
das in Deutschland, Europa und in der Welt mit Lkw
Güter auf der Straße transportiert, gehört nicht zu dem
Bereich, mit dem sich die Schienenverkehrspolitik beschäftigt.
Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, auf den Schienen Güter von A nach B zu transportieren. Wir haben
heute Hunderte von leistungsfähigen, guten Unternehmern, die beweisen, dass man mit unternehmerischem
Mut und Kraft sehr gute Angebote im Güterschienenverkehr machen und sehr große Erfolge erzielen kann. Ich
habe in meinem Wahlkreis einen Unternehmer, der vor
wenigen Jahren am Bahnhof von Hof Flächen gepachtet
und einen Containerterminal errichtet hat. Dieses Unternehmen transportiert heute täglich Container von Hof in
Bayern in den Hamburger Hafen. Dazu braucht er den
Staat nicht. Das kann ein Unternehmer leisten; das ist
nicht Aufgabe des Staates.
Ist es Aufgabe des Staates, Personenverkehr auf der
Schiene zu verantworten? Ja, das ist Aufgabe des Staates. Deswegen tut das der Staat auch, indem der Bund
Jahr für Jahr Milliarden an die Länder auszahlt und die
Länder über Ausschreibungen Schienenverkehr für Personen organisieren und einkaufen.
Ich halte es für überflüssig, dass der Staat selber Fahrzeuge kauft und Beamte diese Fahrzeuge fahren lässt.
({1})
Es reicht vielmehr aus, wenn der Staat die Ausschreibung vornimmt und im Wettbewerb leistungsfähige Unternehmen gewinnt. An den Bahnhöfen dieser Republik
können Sie viele verschiedene leistungsfähige Verkehrsunternehmen in allen Farben sehen, die dieses Angebot
des Staates in die Realität umsetzen. Der Betrieb auf der
Schiene ist keine Staatsaufgabe. Das kann im Wettbewerb erfolgen, und es erfolgt im Wettbewerb.
Schienenverkehrspolitik bedeutet - hier fordere ich
einen höheren Einfluss der Verkehrspolitiker als in der
Vergangenheit, als in den letzten 10, 15 Jahren, die übrigens auch die FDP und die Grünen während ihrer Regierungszeit mitzuverantworten haben - eine Verstärkung
der Daseinsvorsorge, der Zurverfügungstellung von Infrastruktur:
({2})
Leistungsfähige Schienen, elektrifizierte Schienen, saubere Bahnhöfe - das sind die entscheidenden Dinge, die
der Staat, der Bund,
({3})
gewährleisten muss. Hier sind die entscheidenden Aufgaben der Politik.
Wir haben in dieser Woche - der Herr Minister hat
dazu eine Pressekonferenz abgehalten - eine unterschriftsreife Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
vorgelegt bekommen, mit der der Einfluss der Politik auf
Dr. Hans-Peter Friedrich ({4})
den Schienenverkehr gestärkt wird. Wir haben in dieser
Woche ein Sonderprogramm dieser Bundesregierung in
Milliardenhöhe vorgelegt bekommen, in dem mehr Ausgaben für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der
Schieneninfrastruktur in Deutschland vorgesehen sind.
So wird die Schienenverkehrspolitik in Deutschland gestärkt.
Ich halte es für dramatisch, dass es uns in der Vergangenheit nicht gelungen ist, wichtige Schienenverbindungen in Deutschland instand zu setzen oder auf Vordermann zu bringen, Schienenverbindungen, die notwendig
sind, um den Investitionsstandort Deutschland zu erschließen. Ich nenne nur als Beispiel die Verbindung
München-Mühldorf-Freilassing. Die chemische Industrie will in dieser Region Investitionen in Milliardenhöhe
tätigen. Sie kann diese Investitionen nicht vornehmen,
weil wir keine leistungsfähige Schienenverbindung haben. Dort muss der Staat handeln.
({5})
Der Minister selber hat den Bau einer dritten Startbahn auf dem Flughafen München als ein Projekt von
nationaler Bedeutung bezeichnet. Wir können dies den
Menschen nur zumuten, wenn wir auch die Frage beantworten, wie dieser Flughafen an ein leistungsfähiges
Schienennetz angebunden wird, weil wir den Menschen,
die in der Umgebung dieses Flughafens wohnen, alles
andere nicht zumuten können. Hier besteht Handlungsbedarf in der Schienenverkehrspolitik.
Das Gleiche gilt für den Güterbereich. Hier haben wir
die Problematik, dass wir die Güter aus unseren Häfen in
Hamburg, Bremen und von wo auch immer nicht schnell
genug herausbringen, weil leistungsfähige Verbindungen
nach Süden fehlen. Der Güterverkehrsknoten Fürth ist
überlastet. Wir schaffen es nicht, es über den Bau eines
Bypasses zwischen Reichenbach im Vogtland, lieber
Kollege Günther, Hof und Regensburg zu ermöglichen,
Güter möglichst schnell und leistungsfähig auf der
Schiene zu transportieren.
({6})
Hier muss die Schienenverkehrspolitik handeln.
Wir müssen begreifen, was Kollege Ferlemann gesagt
hat: Die Deutsche Bahn AG besteht heute aus zwei Unternehmen: Das erste Unternehmen ist ein internationaler Logistikkonzern. Dieser kann sehr gut und beeindruckend im Wettbewerb agieren. Deswegen kann er auch
privatisiert werden, und zwar zu einem Zeitpunkt und in
einer Form, dass er das Geld einbringt, das er wert ist.
Dieses Geld muss in die Schieneninfrastruktur in
Deutschland reinvestiert werden.
Das zweite Unternehmen ist die Staatsaufgabe Infrastruktur. Hier muss der Einfluss der Politik stärker werden.
({7})
Wir müssen die Trennung von Netz und Betrieb über den
erreichten Stand hinaus vorantreiben, ohne - ich sage
das ausdrücklich - den konzerninternen Arbeitsmarkt zu
gefährden. Das haben wir mit den Gewerkschaften vereinbart. Das haben wir ihnen versprochen. Dazu müssen
wir stehen.
Ob es richtig ist, dass der Vorstandsvorsitzende der
Betriebsgesellschaft DB ML, Herr Mehdorn, gleichzeitig der Vorstandsvorsitzende der Infrastrukturgesellschaft ist, daran mache ich ein großes Fragezeichen.
({8})
Wir sollten uns überlegen, wie wir eine klare Trennung
von Netz und Betrieb auf den Weg bringen können. Das
doppelte Lottchen Mehdorn halte ich für keine günstige
Lösung.
Lassen Sie mich zu Herrn Mehdorn aber etwas Allgemeines sagen: Ich schätze diesen Mann in besonderer
Weise. Er hat als kluger und hervorragender Manager
dieses internationale Unternehmen auf Vordermann gebracht. Die Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens ist
beeindruckend. Er hat zum Wohle seines Unternehmens
und zum Wohle der Arbeitnehmer die Spielräume genutzt, die ihm die Politik eingeräumt hat, die wir alle
ihm eingeräumt haben. Nun müssen wir die Frage stellen: Wo müssen wir die Grenze für ihn ziehen? Die
Grenze ist an der Stelle zu ziehen, an der wir jetzt die
Trennung auf den Weg bringen sollten. Ich hoffe, dass
wir das mit Unterstützung der Grünen - Ihr Beifall hat
bei mir Optimismus aufkommen lassen -, aber auch mit
Unterstützung der FDP machen werden. Herr Minister,
ich bin überzeugt, dass Sie, wenn wir dieses Thema vorantreiben, die wohlwollende Unterstützung dieser beiden Oppositionsfraktionen gewinnen werden. Dann wird
der Antrag, der heute von der FDP gestellt wird, obsolet
sein.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Oppositionsfraktionen missbilligen die Amtsführung von Minister Tiefensee und fordern seine Entlassung. Ich sage ganz deutlich: Das Problem ist nicht nur
Minister Tiefensee, sondern mindestens gleichermaßen
Bahnchef Mehdorn.
({0})
Was Rücktritte überfällig macht, sind die unerträglichen Ereignisse der vergangenen Wochen. Wir haben
schon einiges gehört, was ich nicht wiederholen möchte.
Ich nenne nur das Stichwort Bahn-Bonuszahlungen.
Gibt es Konsequenzen, etwa Initiativen aus dem Ministerium zur Rückgängigmachung dieses Beschlusses?
Fehlanzeige. Wenn der Minister es zulässt, dass ein ihm
unterstelltes Staatsunternehmen - das ist die DB AG noch
- ihm auf der Nase herumtanzt, dann hat das nichts mehr
mit Autorität zu tun, dann ist keine Autorität mehr vorhanden.
({1})
Das gilt insbesondere dann, wenn die Bahn-Führung
nicht einmal davor zurückschreckt, Minister, Regierung
und Parlamentarier medial zu kritisieren, sogar mit Klagen droht. Allein dafür hätten Minister Tiefensee und
Kanzlerin Merkel Herrn Mehdorn und andere Mitglieder
des Vorstandes und des Aufsichtsrates längst entlassen
müssen.
({2})
Das ist aber nur möglich, wenn man gegenüber Herrn
Mehdorn handlungsfähig ist. Im Fall der Bahn ist die
Bundesregierung aber offensichtlich - das wird immer
deutlicher - nicht mehr Herr im eigenen Haus. Hier wedelt ganz eindeutig der Schwanz mit dem Hund und
nicht umgekehrt. Der DB-Vorstand und nicht das Haus
Tiefensee - das ist von Kollegen der Koalition angesprochen worden - macht in diesem Land Bahnpolitik. Das
Parlament hat bei der Teilprivatisierung nichts mehr zu
sagen,
({3})
obwohl das 1994 eigentlich ganz anders verabredet
wurde. Konsens war, dass alle Schritte im parlamentarischen Verfahren vollzogen werden. Nicht umsonst setzt
das Grundgesetz für Privatisierungsaktionen bei der
Bahn enge Grenzen: Die Bahn ist und bleibt Daseinsvorsorge.
({4})
Politik am Parlament vorbei wurde auch bei den
Bahn-Immobilien gemacht. Ich will dieses Thema nur
ganz kurz anreißen. Ich nenne das Beispiel Aurelis. Es
ist eine Bankrotterklärung des Hauses Tiefensee, dass
Grundstücke der Bahn, zusammengefasst in der Firma
Aurelis, mit einem Wert von insgesamt einigen Milliarden Euro, ohne das Parlament zu informieren, nebenbei
verkauft und verhökert wurden. Wir sind nach wie vor
zusammen mit anderen mit der Aufklärung dieses Vorgangs beschäftigt. Alles deutet darauf hin, dass wir uns
damit noch einmal sehr ernsthaft und konsequent auseinandersetzen müssen.
All dessen ungeachtet machen Mehdorn und
Tiefensee weiter mit dem Ausverkauf, mit den Versuchen, fremdes Kapital an der Bahn zu beteiligen. Bis
heute wird uns das Märchen erzählt, es werde um Geldgeber gerungen, die ein Interesse an der Bahn haben. Die
Wahrheit ist aber: Hier werden Kapitalgeber in Kauf genommen, die innerhalb weniger Jahre das Doppelte und
Dreifache dessen herausholen wollen, was sie reinstecken. Hart am Rande des Zulässigen durfte Herr
Mehdorn versuchen, die Bahn umzustrukturieren und
die Mobility Logistics AG zu gründen, die nun an die
Börse gehen soll. Weil das aufgrund der Weltfinanzmarktkrise nicht genug bringen würde, ist jetzt sogar im
Gespräch, doch an der Börse vorbei zu privatisieren und
anders zu veräußern. Das ist in unseren Augen Politik
nach Feudalherrenart und einer Demokratie unwürdig.
({5})
Schon im April dieses Jahres haben die Verkehrsminister der Länder bei einem Treffen in Wernigerode
Herrn Tiefensee zu Recht die gelbe Karte gezeigt. Sie
fühlten sich genauso wenig einbezogen wie wir Parlamentarier. Das ist ein Beweis dafür, dass die Koalition
parlamentarische Kontrolle und Beteiligung offensichtlich gering schätzt. Das ist deutlich zu kritisieren.
({6})
Über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung,
die uns diese Woche vorgelegt wurde, wurde schon gesprochen. Sie beinhaltet, dass wir über 15 Jahre jährlich
2,5 Milliarden Euro an die Bahn geben sollen.
({7})
Mehdorn hat es nicht fertiggebracht, dass wir bis heute
einen Netzzustandsbericht bekommen, der seinen Namen verdient. Ich möchte erst einmal wissen, was mit
dem Geld in der Vergangenheit passiert ist, bevor wir beschließen, weitere Milliarden Steuergelder bereitzustellen.
({8})
Man könnte wirklich den Verdacht bekommen, dass
diese Finanzzusagen nur Investoren locken sollen, dass
das die Motivation ist.
Das Versagen des Ministers Tiefensee geht weiter. Es
betrifft auch andere Großprojekte, wie zum Beispiel das
Berliner Stadtschloss. Ich kann das nicht im Detail ausführen. Es betrifft auch Stuttgart 21. Immer wieder erleben wir, dass Großprojekte verfolgt werden, statt Verkehrsinfrastruktur in diesem Land zu erhalten und für die
Bürger zur Verfügung zu stellen.
({9})
Großprojekte berauben uns der Möglichkeiten, Infrastruktur für Menschen auszubauen. Ich nenne nur das
Berliner Stadtschloss, die A 39, Stuttgart 21 oder die für
die Lösung der Probleme ungeeignete Y-Trasse.
({10})
Notwendig ist die Sanierung der bestehenden Infrastruktur, zum Beispiel der Schiene und der Straße. Der
Ausbau von Lkw-Stellplätzen an der Autobahn ist nötig,
um die Arbeitsbedingungen und die Verkehrssicherheit
an den Autobahnen für die dort arbeitenden Menschen
und alle, die dort unterwegs sind, zu gewährleisten. All
das sind Versäumnisse des Ministers.
({11})
Aus unserer Sicht ist das Elementarste, was man von
einem Verkehrsminister erwarten kann, dass er die Probleme der Menschen, die tagtäglich unterwegs sind, löst.
Sie sind nicht angegangen worden. Von daher unterstützen wir den Antrag der Oppositionsfraktionen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Döring das
Wort.
Herr Kollege Friedrich - ich meine Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU -, ich muss noch einmal
auf Ihre Bemerkung zum doppelten Lottchen zurückkommen, auf Ihre kritische Bemerkung, dass es vielleicht
nicht zu einer stärkeren Interessentrennung zwischen Netz
und Betrieb kommt, wenn der Vorstandsvorsitzende personenidentisch ist. Im Gegensatz zum Bundesminister
habe ich den Börsenprospekt gelesen.
({0})
Darin steht - ich lese das jetzt einmal vor -:
Zur Sicherung einer integrierten Konzernführung
ist beabsichtigt, dass der Vorstand der DB ML AG
und der Vorstand der DB AG ihre Vorstandssitzungen regelmäßig gemeinsam durchführen.
Sind Sie mit mir der Meinung, dass auch dieser Satz aus
dem Börsenprospekt sehr dafür spricht, dass die von der
CDU/CSU und auch von der FDP beabsichtigte Interessentrennung zwischen Netz und Betrieb gar nicht gewollt ist?
({1})
Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwiderung, Kollege Friedrich.
Lieber Herr Kollege Döring, Sie haben auf einen
wichtigen Punkt hingewiesen. Sie wissen, dass der Börsengang verschoben worden ist. Man sollte jetzt die Gelegenheit vor dem nächsten Anlauf, den wir nehmen
werden, sobald der DAX auf 8 000 Punkte - ich glaube,
diesen Wert sollte er erreichen - gestiegen ist, nutzen,
({0})
weitere Änderungen, notfalls auch am Börsenprospekt,
vorzunehmen, die wir als Politiker für richtig halten. Wir
müssen uns allerdings gut überlegen, welche Schritte wir
im Einzelnen vorschlagen. Ich bin dezidiert dafür, eine
Interessenverquickung zwischen der DB ML und der
DB AG zu untersagen und nach Möglichkeit eine Personalunion in den Vorständen zu vermeiden.
Zu einer weiteren Kurzintervention hat nun der Kollege Ferlemann das Wort.
Frau Kollegin Menzner, ich möchte Sie noch einmal
direkt ansprechen. Ich hatte das schon mit einem Zwischenruf gemacht, aber Sie haben die von mir angemahnte Korrektur nicht vorgenommen. Deswegen will
ich Sie in dieser Form ansprechen.
Sie haben behauptet, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung würde einen Zeitraum von 15 Jahren
umfassen. Sie haben am Dienstag dieser Woche den aktuellen Entwurf der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung erhalten. Sie haben schon am gestrigen Mittwoch
mit uns gemeinsam eine Anhörung zu dieser Leistungsund Finanzierungsvereinbarung beschlossen, kennen
also die Inhalte.
Ich darf § 23 Abs. 1 der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung - Vertragsdauer und Kündigung - zitieren:
Diese Vereinbarung tritt am 1. Januar 2009 in Kraft.
Sie hat eine feste Laufzeit bis zum 31. Dezember
2013.
Nach meiner Rechnung sind das 5 Jahre, nicht 15 Jahre.
Angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit bitte ich
Sie, sich dafür zu entschuldigen und die Korrektur hier
vorzunehmen.
({0})
Die Kollegin Menzner hat das Wort.
Kollege Ferlemann, Sie haben eben gesagt, wir hätten
die Unterlagen - sie umfassen einen Leitz-Ordner - am
Dienstag bekommen. Ich kann es konkretisieren: Dienstag, 19.40 Uhr. Mittwoch früh war die Ausschusssitzung. Wahrscheinlich waren auch Sie nicht in der Lage,
das in Gänze zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Es kann gut sein, dass mir ein Fehler unterlaufen ist.
Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir mit dieser Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung langjäh20020
rig hohe Zahlungen an die DB festlegen und beschließen
wollen.
({1})
Auf der anderen Seite wurde uns bis heute - das hat
auch der Minister nicht geschafft - kein Netzzustandsbericht aus dem Hause Mehdorn vorgelegt, anhand dessen
wir kontrollieren könnten, ob die in der Vergangenheit
geflossenen Steuergelder wirklich zweckbestimmt verwendet wurden.
({2})
Nun hat der Kollege Klaas Hübner für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben eben eine Aktuelle Stunde zum gleichen Thema gehabt. Da habe ich gesagt, es mache wenig
Sinn, hier eine Showveranstaltung zu machen. Dass das
eine ist, das hat Herr Ferlemann eben klargemacht.
Frau Menzner, jedem können Fehler passieren. Aber
wenn Sie sich explizit darauf berufen, was irgendwo
steht, obwohl Sie es vorher nicht gelesen haben, dann ist
das, gelinde gesagt, eine schlechte Vorbereitung. Damit
zeigen Sie auch deutlich, dass Sie dieser Debatte inhaltlich nichts beimessen, sondern dass Sie einfach nur eine
Showveranstaltung machen wollen. Deswegen wäre es
am einfachsten, wenn wir alle unsere Redebeiträge aus
der Aktuellen Stunde zu Protokoll geben würden; denn
es wird bei dieser Debatte das Gleiche herauskommen.
Damit wäre der Sache dann am besten gedient.
Aber Sie haben doch etwas gesagt, worauf ich noch
eingehen möchte. Frau Menzner, Sie haben wieder einmal erklärt, dass die DB AG eine Institution der Daseinsvorsorge ist. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass
seit 1994 die DB AG de facto privatisiert ist und dass die
Länder über die Regionalisierungsmittel selber entscheiden, bei wem sie Fahrleistungen bestellen. Das muss
nicht bei der DB AG sein. Das können sie auch bei jedem anderen Unternehmen tun. Diese Aussage ist sachlich richtig. Aber Sie tun immer wieder so, als ob die
DB AG für die Daseinsvorsorge zuständig ist. Nein, wir
sind es, die das über das Netz darstellen müssen. Die
Länder können entscheiden, bei wem sie Fahrleistungen
bestellen wollen. Hören Sie auf, die Menschen mit solchen unsachlichen und unrichtigen Aussagen zu verunsichern.
({0})
Da ich in der Tat auf das verweisen kann, was ich
schon in der anderen Debatte gesagt habe, möchte ich
nur kurz auf die Anträge der Urheber dieser Debatte, der
FDP und der Kopisten, der Grünen, eingehen, in denen
die Entlassung des Ministers gefordert wird. Die Grundlage in dieser Debatte ist für uns die Frage: Was haben
wir im Koalitionsvertrag beschlossen, und was ist davon
abgearbeitet? Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm
sollte aufgestockt werden; das ist erfolgt. Den Masterplan Güterverkehr und Logistik, ein wichtiges Projekt,
hat der Minister gerade erst umgesetzt bzw. auf einen
guten Weg gebracht. Die Verkehrsinvestitionen wurden
erhöht. Im Jahre 2005 betrugen sie 9 Milliarden Euro,
im Jahre 2009 werden sie bei 11 Milliarden Euro liegen.
Die Erhöhung der Mittel für die Eisenbahninfrastruktur
ist über die LuFV erfolgt. Der Vertrag über die Fehmarnbelt-Querung wurde abgeschlossen. Ich könnte diese
Aufzählung ewig fortführen.
Kurzum: Herr Minister, Sie haben die meisten
Punkte, die im Koalitionsvertrag enthalten sind, abgearbeitet; dafür danken wir Ihnen. Darum haben wir keinerlei Grund, den vorliegenden Anträgen zuzustimmen. Im
Gegenteil, wir müssen sagen: Wir haben einen guten Minister, und wir stehen hinter Ihnen; wir sind an der Stelle
bei Ihnen.
({1})
- Ja.
Das gilt übrigens auch für den Ausschuss. Dort hat er
seinerzeit die Bonifikationen thematisiert. Auch in diesem Fall hat der Minister richtig gelegen. Der Kollege
Carstensen hat im Ausschuss gefragt: Wer in diesem
Parlament ist eigentlich nicht der Meinung des Ministers, dass die Bonifikationen nicht in Ordnung sind? Alle haben gesagt - auch Sie -, dass sie der Meinung des
Ministers sind. Darum sage ich Ihnen: Geben Sie sich einen Ruck, und loben Sie den Minister dafür, dass er ein
wichtiges Thema auf die richtige Art und Weise angesprochen hat!
Ich danke Ihnen.
({2})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Fritz Kuhn.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Formulierung, dass die SPD hinter Ihnen
steht, können Sie, Herr Minister, natürlich auch als Drohung verstehen. Sie mussten ja selbst lachen, als Sie sahen, dass diese Deutung gerade in Ihren eigenen Reihen
aufkam.
Ich will Ihnen erklären, warum wir diese Debatte führen und warum wir unseren Antrag gestellt haben. Das
Parlament kontrolliert die Regierung. Die Regierungsfraktionen haben bezüglich der Personalauswahl einen
besonderen Auftrag. Sie müssen prüfen, ob sie das richtige Personal ausgewählt haben. Wenn eine Regierungsfraktion, in diesem Fall die SPD, nicht in der Lage ist,
diese Verantwortung wahrzunehmen, dann ist es, wenn
es um den Vorwurf schwerer Verfehlungen im Amt geht,
Aufgabe des Parlaments, die Frage zu stellen, ob ein Minister eigentlich geeignet ist oder nicht.
({0})
Wir diskutieren jetzt nicht über die Frage: Bahn-Privatisierung - ja oder nein? Ich jedenfalls tue das nicht.
Das haben wir an anderer Stelle getan. Wir wollen jetzt
nur darüber diskutieren, ob Minister Tiefensee in der
Lage ist, sein Amt ordnungsgemäß zu führen oder nicht.
({1})
Minister Tiefensee hat uns in diesem Hause mehrfach
erklärt - auch Frau Merkel hat das in ihren Regierungserklärungen immer wieder betont -, dass der Börsengang der Bahn eines der wichtigsten Verkehrsprojekte
dieser Legislaturperiode ist. Das wurde uns erklärt. Nach
vielem Hin und Her hat man sich auf eine bestimmte
Form der Privatisierung geeinigt. Diese Einigung wurde
allerdings nicht in Form eines Gesetzes festgehalten,
sondern lediglich per Beschluss.
Jetzt fragen wir uns natürlich: Wird dieser Beschluss
ordentlich umgesetzt, wie von der Mehrheit des Parlaments gewünscht: ja oder nein? Ich sage Ihnen: Die Auseinandersetzungen um den Börsengang der Bahn - genauer: um den Börsenprospekt und die darin erwähnten
Bonuszahlungen - sind ein Beispiel dafür, dass Minister
Tiefensee dieses Thema von Anfang an nicht beherrscht
hat.
({2})
Ich beginne mit der Frage: Seit wann hat er davon gewusst? Zuerst hörten wir: seit Anfang Oktober. Dann hat
man sich korrigiert, und es hieß: seit Mitte September.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass am 27. August
dieses Jahres eine Abteilungsleiterkonferenz stattgefunden hat; Kollege Friedrich hat dies bereits erwähnt. An
dieser Konferenz, in der der Entwurf des Börsenprospektes Verhandlungsgegenstand war, hat auch Minister
Tiefensee teilgenommen. Wie in der Ausschussdiskussion deutlich wurde, gab es dazu keine Leitungsvorlage.
Das muss man den Leuten erklären: Unter „Leitungsvorlage“ ist zu verstehen, dass der Minister von seinen Mitarbeitern, zum Beispiel von seinem Staatssekretär, vor
der Sitzung aufgeschrieben bekommt, auf welche wichtigen Punkte er in der Abteilungsleiterbesprechung zu
achten hat.
Ich frage Sie, Herr Minister: Was sind Sie eigentlich
für ein Minister, wenn Sie an einer Abteilungsleiterbesprechung, in der der Börsenprospekt Thema ist, teilnehmen und vorher nicht wissen, um was es dabei geht
- noch letzte Woche waren Sie im Ausschuss regelrecht
stolz darauf, dass Sie den Börsenprospekt nicht kennen -,
und wenn Sie dazu keine Leitungsvorlage haben? Was
machen Sie eigentlich in Abteilungsleiterbesprechungen, Herr Tiefensee?
({3})
Schauen Sie in Ihren SMS nach, ob Sie jemand gelobt
hat und, wenn ja, wer? Was veranstalten Sie dort eigentlich?
Aus diesem Grund ziehen wir die Schlussfolgerung
- es tut mir leid, dass ich sie Ihnen nicht ersparen kann -,
dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder haben
Sie gelogen, als es um die Frage ging, seit wann Sie den
Börsenprospekt kennen und über die Bonuszahlungen
Bescheid wissen, oder Sie sind so unverschämt ahnungslos und unfähig, dass Sie nicht wissen, worauf es bei der
Amtsführung konkret ankommt.
({4})
Es soll übrigens auch welche geben, die eine Kombination von beiden Möglichkeiten, also lügen und ahnungslos sein, nicht ausschließen. Darüber will ich aber nicht
richten.
Wir haben den Eindruck, dass Sie Ihr Amt nicht einfach nur fahrlässig führen, sondern dass Sie mit grobem
Vorsatz lange gar nicht wissen wollten, was im Börsenprospekt steht und was es mit den Bonuszahlungen auf
sich hat.
({5})
Herr Tiefensee, wir haben die These, dass Sie es
längst gewusst haben, dass es Sie aber nicht gestört hat.
Dafür spricht übrigens auch, dass Sie Ihren Staatssekretär, Herrn von Randow, noch am 2. Oktober 2008 damit
beauftragt haben, Sie auf einer Reise in die Vereinigten
Arabischen Emirate zu vertreten, zu einem Zeitpunkt
also, über den Sie uns später erzählt haben, dass das Vertrauensverhältnis da schon komplett gestört war. Das ist
auch eine gute Story: Er schickt ihn als Vertretung von
sich selber auf eine Dienstreise, erklärt aber hinterher,
dass das Vertrauensverhältnis da schon zerstört gewesen
sei.
Weil Sie so mit Staatssekretären umgehen, wie dies
durch dieses Beispiel gelehrt wird, wundert sich in diesem Hause niemand mehr darüber, welch schlechten Ruf
Sie auch im Verkehrsministerium haben.
({6})
Um zu wissen, dass das so ist, muss man ja nur einmal
die Spitznamen recherchieren, die in Ihrem Hause für
Sie kreiert worden sind.
Später haben Sie im Zuge der Finanzkrise gemerkt
- das erklärt die ganze Show -, dass das Thema Bonuszahlungen und Gehälter eine große Rolle spielt, und Sie
haben sich gedacht, dass Sie einen populistischen Nutzen für Ihr ansonsten angeschlagenes Image daraus ziehen können.
Vor lauter Aufregung haben Sie den Börsengang im
Ausschuss dann ganz versenkt: Er findet nicht statt,
hurra; ich fühle mich bestätigt, ich habe die Boni abgeschafft.
({7})
Das kommt mir so vor, als ob jemand ein ganzes Haus
zusammenhaut, um irgendwie mit einer Maus zurechtzukommen, die ihn stört. Herr Minister, das ist aber keine
Amtsführung, sondern einfach kläglicher Populismus
und nichts sonst.
({8})
Herr Tiefensee, deswegen haben wir den Antrag der
FDP richtig gefunden und unterstützt. Dass es zwei gibt,
sei dahingestellt. Sie meinen das Gleiche. Was Sie nicht
nur in diesem Finale der letzten Wochen, sondern generell in den drei Jahren geliefert haben, ist nach unserer
Überzeugung peinlicher Murks und Mist. Um mit Max
Weber zu sprechen: Sie werden nicht aus Leidenschaft in
der Sache getrieben - in der Verkehrspolitik -, sondern
was Sie kennzeichnet, ist das, was Max Weber „sterile
Aufgeregtheit“ genannt hat. Ansonsten könnten Sie Ihr
wichtigstes Projekt dieser Legislaturperiode, den Börsengang, nicht mir nichts, dir nichts in den Sand setzen
und abräumen und müssten Sie wissen, wie die Lage in
der Koalition bei diesem Thema tatsächlich ist.
({9})
Deswegen fordern wir Frau Merkel auf - der Antrag
geht ja an die Regierung -, dass sie Sie entlassen soll.
Ich verstehe die CDU/CSU, warum sie sich dabei so passiv verhält, liebe Genossinnen und Genossen, nämlich
weil sie sich natürlich sagt: Ein dermaßen lausig schwacher Minister ist im Wahljahr gut für uns.
({10})
Ich kann aber nicht verstehen, mit welchem Grad der
Selbstverachtung Sie als SPD nach den eklatanten Verfehlungen von Minister Tiefensee immer noch sagen,
wie toll er ist. Die Reden, die ich vorhin dazu gehört
habe, waren doch geradezu peinlich. Solange Sie nicht
bereit sind, einem Minister, der sein Amt nicht führen
kann, zu sagen, dass Sie einen anderen und besseren haben, werden Sie aus dem Problem, in dem die SPD gerade steckt, nicht herauskommen. Das wollte ich Ihnen
zum Abschluss ins sozialdemokratische Stammbuch geschrieben haben.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Solche Anträge auf Rücktritt eines Ministers stellt
man eigentlich erst dann, wenn es einem gelungen ist,
ihm ein Fehlverhalten nachzuweisen.
({0})
Der vorliegende FDP-Antrag wurde aber bereits im
Vorfeld über die Presse angekündigt und ging schon am
4. November 2008, also einen Tag vor der Sondersitzung
des Ausschusses, durch die FDP-Fraktion.
({1})
Die Grünen haben das hinterher abgeschrieben und sich
drangehängt.
({2})
Damit wird deutlich, dass die FDP mit der Sondersitzung gar kein wirkliches Informationsinteresse verbunden hat. Denn wenn Ihr Antrag der Aufklärung vorauseilte, dann kam es auf die Sitzung gar nicht mehr an.
({3})
Ich bin in Sorge um das Rechtsstaatsverständnis der
FDP.
({4})
Denn eigentlich gilt in unserem Lande: Erst kommt die
Verhandlung und dann das Urteil. Die FDP ist aber auf
dem Wege, zuerst zu verurteilen und dann die Verhandlung zu führen.
({5})
Ich muss allerdings feststellen:
({6})
Die Ausschusssitzung ist zur Enttäuschung der Opposition jedenfalls nicht so verlaufen, dass damit Anträge
dieser Art legitimiert worden wären. Denn es ist der Opposition nicht gelungen - ich verstehe Ihren Frust darüber -, Minister Tiefensee Widersprüche oder Fehlverhalten nachzuweisen. Das haben Sie nicht geschafft.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Koppelin?
Gleich. - Daher sind die vorliegenden Anträge unbegründet und nachher in namentlicher Abstimmung abzulehnen.
({0})
Herr Kollege Fischer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass nicht nur Ihr Ausschuss, sondern auch der
Haushaltsausschuss Minister Tiefensee fünf Stunden - mit
einer Unterbrechung - angehört hat, dass wir uns sehr
intensiv damit befasst haben und dass wir dann zusammen mit unseren Verkehrspolitikern festgestellt haben,
dass es mit diesem Verkehrsminister nicht mehr geht? Es
hat also eine weitere Ausschusssitzung stattgefunden,
für Sie vielleicht bedauerlicherweise vor Ihrer Sitzung.
Aber im Haushaltsausschuss hat der Minister, wie gesagt, fünf Stunden - mit einer Unterbrechung - Rede
und Antwort gestanden. Jeder dort hatte den Eindruck:
Mit diesem Minister geht es wirklich nicht.
Das ändert aber nichts an der zeitlichen Abfolge
({0})
- nämlich der Ankündigung in der Presse - und an der
Tatsache, dass unsere Verkehrspolitiker den Minister erst
am Mittwoch befragt haben. Es kann nur eine Sitzung
beurteilt werden, an der man teilgenommen hat. Deshalb
hätten die Kollegen der FDP nach dem Verlauf der Verkehrsausschusssitzung eigentlich fordern müssen, dass
der Antrag zurückgezogen wird. Er ist völlig unbegründet.
({1})
Nach dem gesamten Geschehen wird Herr Minister
Tiefensee wissen, dass die Koordination und Kommunikation besonders wichtiger Fragen im Ministerium zu
verbessern sind. Selbstverständlich stellen sich für uns
noch Fragen. Wenn der Bundesfinanzminister erklärt, er
habe aus den Medien von dem Sonderbonus erfahren, sie
seien bei der Festlegung der Privatisierungsregelungen
nicht vorgesehen gewesen und es werde eine solche Regelung nicht geben, wenn es zu einem Börsengang kommen werde, dann stellt sich schon die Frage, ob Herr
Mehdorn, der Aufsichtsratsvorsitzende Müller oder Herr
von Randow sich vorsätzlich über diese Privatisierungsregelungen, die ihnen bekannt gewesen sein müssen,
hinweggesetzt haben.
Minister Tiefensee hat dem Staatssekretär von Randow nicht nur vorgeworfen, ihn Mitte September viel zu
spät informiert zu haben, sondern er hat ihm in einem Interview in der Bild-Zeitung auch vorgeworfen, ihn nicht
vor der entscheidenden Sitzung des Personalausschusses
am 24. Juni - also spätestens am 23. Juni - in dieser Sache befragt und sie nicht mit ihm abgestimmt zu haben.
Auch nach meiner Einschätzung war die Entlassung des
Staatssekretärs deshalb unausweichlich.
Aber selbstverständlich ist auch das Verhalten von
Herrn Müller als Hauptvertrauensmann des Alleinaktionärs Bund im Aufsichtsrat ein Stück weit aufklärungsbedürftig.
({2})
Denn auf ihn muss sich der Alleinkapitaleigner in solchen Fragen verlassen können.
Ich teile die Auffassung von Minister Tiefensee ausdrücklich, dass die regulären Bonuszahlungen, die sich
am Unternehmenserfolg orientieren, ausreichend sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
wesentlicher als eine Debatte über überflüssige, weil inhaltlich nicht legitimierte Anträge sind doch die positiven Entwicklungen für das deutsche und europäische Eisenbahnwesen: die wechselseitige Netzöffnung für den
Güterverkehr ab 2007 und für den Personenfernverkehr
ab 2010 in Europa - wir kommen also aus einer rein nationalen zu einer europäischen Landkarte des Eisenbahnverkehrs - und die positive Umstrukturierung einer
Behördenbahn zu einer kunden- und wettbewerbsorientierten DB AG mit allen positiven Leistungen und Verdiensten, die sich Herr Mehdorn dort unzweifelhaft erworben hat.
Nur daraus ergab sich die Chance, den Börsengang
vorzubereiten, der bei einer besseren Lage der Finanzmärkte jederzeit in die Wege geleitet werden kann. In
diesem Zusammenhang ist eine Unternehmenskonfiguration ordnungspolitisch richtig, in der Infrastruktur und
Betriebsgesellschaften sauber getrennt werden: Infrastruktur, Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung verbleiben dauerhaft zu 100 Prozent beim Staat.
Die Betriebe wurden schrittweise privatisiert, soweit
es die Unternehmensentwicklung einschließlich der Sicherheit der Arbeitsplätze im Unternehmen und die Entwicklung des Wettbewerbsmarktes zulassen. In dieser
Woche wurde eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorgelegt, mit der die Steuerung und die Qualitätskontrolle bei der Verwendung öffentlicher Mittel verbessert werden. Das ist seit Jahrzehnten ein wirklicher
Durchbruch, ein großer Fortschritt. Bei dem, was vorgelegt wurde, handelt es sich um erstklassige Arbeit. Ich
erinnere zudem an die Erfolge der Bundesnetzagentur
bei der Begleitung des Wandels von einer Monopollandschaft hin zu einer Wettbewerbslandschaft.
Das alles sind große Erfolge. Die Große Koalition hat
in ihrer Verantwortung ab 2005 großartige Leistungen
erbracht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, darüber zu diskutieren, ist meines Erachtens allemal fruchtbarer, als über eigentlich überflüssige Showanträge zu debattieren.
({3})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Uwe
Beckmeyer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es geht um die Amtsführung des Bundesverkehrsministers. Wenn man hört, was die gesamte Oppo20024
sition dazu zu sagen hat, dann stellt man fest, dass sie
ihre Missbilligung daraus ableitet, dass der Minister gegen Bonuszahlungen bei der DB AG ist. Ich habe Sie im
Ausschuss gefragt, ob Sie für Bonuszahlungen bei der
DB AG sind. Ich habe festgestellt, dass auch Sie dagegen sind. Missbilligen Sie sich nun selbst?
Die Sozialdemokraten messen die Amtsführung eines
Ministers daran, welchen Auftrag er hat, wie seine Arbeit aussieht und welchen Erfolg er mit seiner Arbeit hat.
Das sind die Kriterien, an denen man die Amtsführung
eines Bundesministers messen sollte, und nicht an den
Dingen, die Sie vordergründig aufgezählt haben. Wie
sieht das Ergebnis, die Bilanz der Amtsführung des Bundesministers Wolfgang Tiefensee aus? Wir haben in den
vergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland
festgestellt, dass die ökonomische Ausrichtung der Verkehrspolitik viel stärker in den Vordergrund gerückt ist
als in der Zeit zuvor. Wir haben mit dem Masterplan Güterverkehr und Logistik Verantwortung für ein Feld
übernommen - darum müssen wir uns besonders kümmern -, in dem 2,6 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sind und das der
Transmissionsriemen für die Ökonomie dieser Republik
ist. Hier geht es um die Verantwortung für Hunderttausende, wenn nicht gar für Millionen von Arbeitsplätzen
insgesamt.
Minister Tiefensee hat es geschafft, für 2009 einen
Haushalt mit einem absoluten Rekordvolumen durchzusetzen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland werden 11 Milliarden Euro für die
Verkehrsinfrastruktur ausgegeben. Wenn man sich die
Maßnahmen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, anschaut, stellt man fest, dass in den vergangenen
Jahren Punkt für Punkt und kontinuierlich an der Umsetzung dieser Maßnahmen gearbeitet worden ist. Ich will
einige exemplarisch aufzählen. Nehmen wir als Beispiel
die Maut. Hier gab es heftige Kritik, aber es funktioniert.
Wir haben eine intensive Diskussion über das Mautharmonisierungsprogramm geführt. Inzwischen hat es ein
Ergebnis gezeitigt, sodass selbst die Verbände, die es
bisher kritisiert haben, einvernehmlich akzeptieren, dass
eine Mautharmonisierung mit einem Volumen von
600 Millionen Euro pro Jahr vereinbart wurde. Dies alles sind Punkte, die der Minister als Erfolge vorweisen
kann. Ich denke, die kann man nicht einfach unbeachtet
lassen.
({0})
Ich möchte darüber hinaus sagen, dass wir das CO2Gebäudesanierungsprogramm in diesem Ministerium
entwickelt haben. Die parlamentarische Unterstützung
der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass dies ein Programm ist, auf das wir vertrauen können, das enorme
Impulse in der Bundesrepublik Deutschland gesetzt hat,
das sich bewährt hat - ein Programm, von dem wir wissen, dass es fortgesetzt werden muss, und das in einer
ganz entscheidenden Art und Weise Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Mittelstands gesetzt hat. Dieses Programm hat sich bewährt, und ihm
wird inzwischen in anderen Staaten Europas nachgeeifert. Ich denke, das ist ein weiterer Meilenstein, den die
erfolgreiche Politik in Deutschland in diesem Bereich
vorzuweisen hat.
({1})
Wir haben mit den Investitionen in die Verkehrswege
und mit dem Beschluss über den Bundesverkehrswegeplan in der vergangenen Legislaturperiode einen Markstein gesetzt. An den Maßnahmen arbeiten wir intensiv
weiter. Das gilt für die Wasserstraßen, das gilt für die
Straßen, und das gilt für die Schiene. Ich glaube, dieses
Ministerium ist auf gutem Wege, alle die von uns erwarteten Maßnahmen umzusetzen. Das bedeutet, dass mit
mehr Geld und mit einem klaren Konzept auch die Infrastruktur in Deutschland noch weiter verbessert wird. Das
Ministerium ist dafür bestens aufgestellt, auch unter der
Führung von Wolfgang Tiefensee.
({2})
Weitere Beispiele. Wir haben uns gerade im Zusammenhang mit der Kontrolle der Deutschen Bahn AG in
den vergangenen Wochen und Monaten damit beschäftigt, welche Form die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die vom Bund jährlich zur Verfügung gestellten 2,5 Milliarden Euro für die Schiene haben soll.
Es ist gelungen, dem Hause nach intensiven Beratungen
eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorzulegen. Wir werden sie im Ausschuss beraten. Wir haben
die Hoffnung und die Zuversicht, dass wir sie mit Wirkung vom 1. Januar 2009 in Kraft setzen. Zum ersten
Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
nach der Bahnreform von 1994 ist es gelungen, dass das
Parlament, also unser Haus mit seinen Ausschüssen, direkte Kontrollmöglichkeiten über das Geld bekommt,
das wir der Bahn geben. Darüber hinaus ist es gelungen,
die Bahn zu verpflichten, eine zusätzliche Milliarde
Euro und weitere 500 Millionen Euro jährlich für den
Unterhalt der Schiene und für Investitionen bereitzustellen.
({3})
In der Summe gehören - das will ich deutlich sagen Auftrag, Arbeit und Erfolg zusammen. Herr Bundesminister Wolfgang Tiefensee, ich kann Ihnen für die sozialdemokratische Fraktion sagen: Wir haben volles
Vertrauen in Ihre Amtsführung, und wir haben auch volles Vertrauen in Ihre Arbeits- und Innovationskraft.
({4})
Es ist vorhin davon gesprochen worden, dass wir bei
der Bahn aufpassen müssen. Natürlich müssen wir bei
der Bahn aufpassen. Mich ärgert natürlich auch die eine
oder andere öffentliche Aussage, die man hin und wieder
lesen kann, so die vom 10. November in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, wonach der Bahnchef um Ölstaaten buhlt. So hieß es in der Überschrift. Wenn man den
Text liest, dann steigt einem manchmal die Zornesröte
ins Gesicht.
({5})
Dort wird geschrieben: Durch den Einstieg von privaten
Geldgebern will der Bahnchef vor allem seinen ehrgeizigen weltweiten Expansionskurs finanzieren und den EinUwe Beckmeyer
fluss des Staates zurückdrängen. - Im zweiten Satz heißt
es: Vor allem Ölstaaten, Russlands Staatsbahn und Chinas Staatsfonds gelten in Konzernkreisen als erste Wahl
für eine Beteiligung an der Bahn.
So kann es nicht gehen. Man kann nicht den deutschen Staat als den bösen Staat bezeichnen, aber die autokratischen Systeme als die guten. Das passt irgendwie
nicht zusammen. Darum Obacht auch an dieser Stelle.
({6})
Wir werden hier genau aufpassen müssen. Wir haben
im Deutschen Bundestag den Börsengang der Bahn beschlossen. Dieser Beschluss gilt auch für die Linksfraktion. Sie können ihn nicht ignorieren. Aber wir werden
aufzupassen haben, unter welchen Kautelen, unter welchen Umständen, vor allem mit welchem Ergebnis dieser durchgesetzt wird. Das ist der entscheidende Punkt,
an dem wir uns zu orientieren haben.
Das Thema Börsengang und natürlich auch das
Thema Börsenprospekt sind spezielle Themen. Ich darf
für die SPD-Fraktion die Erwartung ausdrücken - wir
alle kennen den Börsenprospekt nicht; es ist auch aufgrund der entsprechenden Vorbereitung eine lange geheim gehaltene und uns nicht zugängliche Schrift, die
angeblich 600 Seiten umfasst -,
({7})
dass mit diesem Börsengang nicht die Bahnpolitik, die
wir, der Deutsche Bundestag, durch Beschlüsse artikuliert und postuliert haben, untergraben wird.
({8})
Dies ist nicht hinnehmbar. Die Ministerien, die darauf zu
achten haben, werden dies, bitte schön, genau beachten;
denn das entspricht der Grundlage der Verkehrspolitik,
der Bahnpolitik dieses Hauses. Darauf wird der Deutsche Bundestag mit Argusaugen schauen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kollegen Enak Ferlemann das Wort gebe, möchte ich Sie
darüber informieren, dass auf der Tribüne Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Afghanistan,
Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan,
Usbekistan und der Mongolei Platz genommen
haben. - Wir begrüßen Sie recht herzlich.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat als letzter Redner in
dieser Debatte der Kollege Enak Ferlemann das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr verehrter Herr Minister Tiefensee, wer von
uns beiden hätte gedacht, dass ich eines Tages der letzte
Redner in einer Debatte sein werde, in der es um Ihre
Entlassung gehen soll. Auch ich hätte mir das vor einigen Jahren nicht träumen lassen; aber so kommt es
manchmal in der Politik. Man kann am Schluss dieser
Debatte nur sagen: Die Anträge der Opposition sind eine
Zumutung für die Große Koalition, für dieses Parlament.
({0})
Die verehrte Opposition konnte sich noch nicht einmal
einigen. Die Grünen konnten sich mit der FDP nicht auf
einen gemeinsamen Antrag einigen. Deswegen hat die
FDP einen eigenen Antrag eingebracht. Die Grünen haben ebenfalls einen eigenen Antrag vorgelegt, der genau
das Gleiche beinhaltet. Deswegen werden wir in wenigen Minuten wahrscheinlich zweimal über das Gleiche
abstimmen.
({1})
Da man die Linken nicht mit ins Boot genommen hat,
haben sie noch eine Aktuelle Stunde beantragt. Bei allem geht es um dasselbe.
Man muss sich vor Augen führen, dass wir am Vorabend einer schweren Wirtschaftskrise stehen. Eine der
Lösungen, da wieder herauszukommen und nicht noch
tiefer hineinzurutschen, als wir es eh erwarten, sind Investitionen - ich sage sogar: massive Investitionen - in
die Infrastruktur, insbesondere in die Verkehrsinfrastruktur. Was hat die Große Koalition auf den Weg gebracht?
1 Milliarde Euro mehr aus dem Bundeshaushalt für
2009, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Bundeshaushalt 2010, eine Erhöhung der Lkw-Maut, die noch einmal jedes Jahr 1 Milliarde Euro einspielt. Wir haben also
innerhalb von zwei Jahren sage und schreibe 4 Milliarden Euro, die wir im Rahmen eines Sonderinfrastrukturprogramms ausgeben können. In dieser Situation ist es
die Stunde der Verkehrspolitiker. Wir können in die
Straße, in Schienenwege, Wasserwege, Flughäfen und
Häfen investieren. Mancher sagt: Endlich! Andere sagen: Das kommt zu spät. - Aber es kommt, und ich
denke, es kommt zur rechten Zeit.
Sie muten uns hier eine Debatte über Personen zu,
eine Personaldebatte in einer Situation, in der wir zusammenstehen müssen, um dieses Programm voranzubringen, um hier in Deutschland Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Meine Fraktion erwartet von Ihnen,
sehr verehrter Herr Minister, dass wir jetzt zügig über
die Investitionsprojekte entscheiden. Wir erwarten auch
- das muten wir Ihnen wiederum zu -, dass Sie diese
Projekte in enger Abstimmung auch mit meiner Fraktion, der CDU/CSU, jetzt vorlegen und verankern.
({2})
Es darf nicht sein, dass hier jeder eine Wunschliste
vorlegt, sei es von den Bundesländern, sei es von Ministern, sei es von Fraktionsvorsitzenden. Nein, das muss
eng mit den Verkehrspolitikern abgesprochen werden,
damit die Projekte zügig und schnell umsetzbar sind.
Hier braucht es eine enge Kommunikation. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Liste auch PPP-Projekte finden, weil diese besonders schnell und zügig umzusetzen
sind.
Angesichts des Anlasses sind die Maßnahmen, die die
FDP und die Grünen beantragt haben, geradezu lächerlich. Die Opposition ist heute leider wieder einmal
substanzielle Kritik schuldig geblieben. Ob der Minister
gut oder weniger gut ist, hat die SPD-Fraktion entschieden; er bleibt im Amt. Das gilt damit auch für die Große
Koalition. Letztlich hat der Wähler im September 2009
das Wort, weil dann auch über diese Dinge entschieden
wird. Wir lehnen die Anträge der Opposition heute ab.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Frak-
tion hat eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung abgegeben. Diese nehmen wir zu
Protokoll.1)
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
über die beiden gleichlautenden und inhaltsgleichen An-
träge der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10782
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/10918 in einer gemeinsamen namentlichen Ab-
stimmung abzustimmen. - Ich höre dazu keinen Wider-
spruch. Dann verfahren wir so.
Wir stimmen jetzt über die Anträge auf den Druck-
sachen 16/10782 und 16/10918 mit dem Titel „Missbilli-
gung der Amtsführung und Entlassung von Bundes-
minister Wolfgang Tiefensee“ ab. Die Fraktionen der
FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen na-
mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer
an ihrem Platz? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord-
nungspunkte 18 a bis 18 c auf:
1) Anlage 3
2) Ergebnis Seite 20028 C
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({1})
und 1373 ({2}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/10720, 16/10824 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Gert Weisskirchen ({3})
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller ({4})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10915 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Roland Claus
Omid Nouripour
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul
Schäfer ({7}), Dr. Gregor Gysi, Oskar
Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE
Keine deutsche Beteiligung an der Operation
Enduring Freedom in Afghanistan
- Drucksachen 16/6098, 16/7908 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Detlef Dzembritzki
Monika Knoche
Kerstin Müller ({8})
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Keine deutschen Soldaten für eine schnelle
Eingreiftruppe zur Verfügung stellen Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden
- Drucksachen 16/7890, 16/9710 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({10})
Markus Meckel
Vizepräsidentin Petra Pau
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir fortfahren können, muss ich Sie bitten, hier die notwendige
Aufmerksamkeit an den Tag zu legen oder, wenn Sie
sich an der folgenden Debatte nicht beteiligen können,
den Saal zu verlassen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der - von mir aus gesehen - rechten Seite, bitte
schenken Sie den gleich folgenden Rednerinnen und
Rednern die notwendige Aufmerksamkeit.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung später namentlich abstimmen werden.
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen je ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der
Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Walter Kolbow für die SPD-Fraktion.
({12})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden
Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung der Operationen Enduring Freedom und Active Endeavour mit
großer Mehrheit zustimmen. Wir haben auch diesen
Auslandseinsatz gründlich und verantwortungsbewusst
beraten, auch außerhalb von Routine, und verbinden mit
dieser Zustimmung selbstverständlich unseren Dank an
die Soldatinnen und Soldaten, hier insbesondere der Marine, die in den Operationsgebieten einen verantwortungsvollen, schweren, aber für uns wichtigen und erfolgreichen Dienst absolvieren.
({0})
Das deutsche OEF-Mandat wird nur noch den maritimen Einsatz im Seeraum am Horn von Afrika umfassen,
wobei „nur noch“ eine rhetorische, keine qualitative Einschränkung ist; denn die Aufgabe bleibt schwierig. Das
bedeutet, dass der mandatierte Einsatzraum den tatsächlichen Erfordernissen angepasst und im Ergebnis erheblich eingegrenzt wird. Das bedeutet weiter, dass das
deutsche militärische Engagement in Afghanistan nunmehr ausschließlich unter dem ISAF-Mandat stattfindet.
Für meine Fraktion begrüße ich ausdrücklich, dass dies
die Bundesregierung so entschieden und so auch in den
Antrag geschrieben hat.
({1})
Herr Außenminister, wir danken Ihnen für diese Initiative und auch Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister,
dafür, dass Sie in die Konzeption das aufgenommen haben, was politisch wichtig und richtig für die Zukunft ist.
({2})
Ich denke, dass die Herausnahme der KSK-Komponente auch im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
ist. Das Parlament will und kann ja in keiner Weise Vorratsbeschlüsse treffen. Wir Abgeordnete haben nicht nur
das Recht, sondern auch die Pflicht, die Umstände zu
kennen, unter denen bewaffnete Einsätze unserer Streitkräfte stattfinden sollen.
Die Operationen Enduring Freedom und Active Endeavour haben weiterhin zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten,
Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor
Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.
Das inhaltlich veränderte Mandat, das wir bis Dezember
2009 erteilen und dessen weitere Beratung dann ausschließlich in den Händen des neuen Deutschen Bundestages liegen wird, hat auch, wie wir wissen, Konsequenzen
für den Personalumfang. Die Reduzierung des Kontingents von 1 400 auf 800 Soldatinnen und Soldaten ist angesichts des Verzichts auf die Landkomponente mehr als
vertretbar. Es kann so auch von einer Unterteilung der
mandatierten Personalobergrenze abgesehen werden.
Ich füge hinzu, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
mit einer Personalobergrenze von 800 Soldatinnen und
Soldaten Deutschland weiterhin in der Lage ist, das erforderliche Fähigkeitsprofil für den Antiterroreinsatz am
Horn von Afrika und im Mittelmeerraum abzubilden.
Diese Obergrenze zeigt einerseits auf, wie viele Kräfte
notwendig sind, um hinreichend flexibel sowie angepasst an die Lage und den Auftrag operieren zu können.
Sie demonstriert aber auch andererseits unseren Partnern
das bündnisgerechte militärische Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus.
Ich denke, es ist wichtig, weil in diesem Zusammenhang auch Rechtsfragen aufgeworfen werden, deutlich
zu machen, dass durch den Einsatz von See-/Seeluftstreitkräften den Terroristen am Horn von Afrika der Zugang zu Rückzugs- und Aktionsräumen und die Nutzung
potenzieller Verbindungswege zu terroristischen Strukturen auf der arabischen Halbinsel erschwert werden und
dass gleichzeitig ein Beitrag zum Schutz dieser für den
Welthandel strategisch so wichtigen Seepassage vor terroristischen Angriffen geleistet wird. Die gleiche Wirkung erzielen die NATO-See-/Seeluftstreitkräfte im Mittelmeer im Rahmen der Operation Active Endeavour.
Meine Damen und Herren, es wird teilweise kritisch
betrachtet, ob Art. 51 der UN-Charta, der das Recht auf
individuelle und kollektive Selbstverteidigung einräumt, eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Operation Enduring Freedom darstellt. Es wird die Frage gestellt, ob dieses Recht noch sieben Jahre nach dem
auslösenden bewaffneten Angriff, der mit den Anschlägen in New York und Washington am 11. September
2001 begonnen hat, anwendbar ist.
({3})
Bereits im letzten Jahr haben wir hier intensive Diskussionen geführt. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich
in ihrem Entschließungsantrag auch kurz damit auseinander.
Es gilt festzuhalten, dass den Anschlägen vom
11. September 2001 weitere Terroranschläge in aller
Welt bis in die jüngste Zeit folgten. Durch eine intensive
Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden konnte
glücklicherweise eine Reihe von weiteren Anschlägen
im Vorfeld verhindert werden. Die Gefahr des internationalen Terrorismus und von terroristischen Anschlägen
ist von daher immer noch nicht gebannt. Der internationale Terrorismus stellt leider nach wie vor eine andauernde Gefahr dar.
({4})
Wir teilen die herrschende Rechtsauffassung, dass der
Angriff so lange als andauernd betrachtet werden muss,
bis eine nachhaltige Zerschlagung der al-Qaida-Strukturen erreicht wurde, sodass eine Wiederholung der Anschläge vom 11. September 2001 nach Möglichkeit ausgeschlossen werden kann.
({5})
Wichtige Voraussetzung hierfür ist weiterhin, dass der
al-Qaida-Stützpunkte entzogen und Rückzugsgebiete
verwehrt werden.
Schauen wir in den Jemen. Ich komme gerade aus Syrien zurück und habe den Platz gesehen, wo
17 Menschen auf tragische Weise durch einen Sprengstoffanschlag ihr Leben verloren haben, wo also auch ein
terroristisches Netzwerk tätig gewesen ist. Ich bin der
Auffassung, dass diese andauernde Gefahr präventiv und
durch Präsenz eingehegt werden muss, damit sie beherrscht werden kann.
Das Selbstverteidigungsrecht war und ist bis heute die
völkerrechtliche Grundlage für diese Operation. Diese
Beurteilung der Sach- und Rechtslage wird von der internationalen Gemeinschaft geteilt; in den letzten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zur ISAF-Mission wird
die Operation Enduring Freedom ausdrücklich erwähnt.
Ich denke, dies rechtfertigt, den Deutschen Bundestag
zu einer Zustimmung zu veranlassen, zur Zustimmung
zur Fortsetzung des Mandates Operation Enduring Freedom.
Ich danke Ihnen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück
zu Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 und gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-
telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Anträge der Fraktion der FDP und Bündnis 90/Die Grü-
nen auf den Drucksachen 16/10782 und 16/10918 mit
dem Titel „Missbilligung der Amtsführung und Entlas-
sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee“ bekannt:
An der Abstimmung haben 572 Kolleginnen und Kolle-
gen teilgenommen. Mit Ja haben 156 gestimmt, mit Nein
haben 414 gestimmt, 2 Kolleginnen oder Kollegen haben
sich enthalten. Die Anträge sind damit abgelehnt.1)
1) Anlagen 3 und 4
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon
ja: 156
nein: 414
enthalten: 2
Ja
SPD
Renate Gradistanac
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({0})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({1})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({2})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Birgit Homburger
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({3})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({4})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({5})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Vizepräsidentin Petra Pau
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({6})
Volker Schneider
({7})
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({8})
Volker Beck ({9})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({10})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({11})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({12})
Omid Nouripour
Claudia Roth ({13})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({14})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({15})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({16})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({17})
Dirk Fischer ({18})
Axel E. Fischer ({19})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({20})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({21})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({22})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({23})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({24})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({25})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({26})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Stefan Müller ({27})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({28})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({29})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({30})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({31})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({32})
Andreas Schmidt ({33})
Ingo Schmitt ({34})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({35})
Vizepräsidentin Petra Pau
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({36})
Gerald Weiß ({37})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({38})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({39})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({40})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({41})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Günter Gloser
Angelika Graf ({42})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({43})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({44})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({45})
Frank Hofmann ({46})
Eike Hovermann
Christel Humme
Johannes Jung ({47})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({48})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({49})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({50})
Michael Müller ({51})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({52})
Michael Roth ({53})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({54})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({55})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({56})
Silvia Schmidt ({57})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({58})
Carsten Schneider ({59})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({60})
Swen Schulz ({61})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({62})
Dr. Rainer Wend
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({63})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Enthalten
CDU/CSU
Carsten Müller
({64})
FDP
Vizepräsidentin Petra Pau
({65})
Wir kehren nun zurück zu Tagesordnungspunkt 18.
Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die
FDP-Fraktion.
({66})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Meine Kollegin Birgit
Homburger und mein Kollege Rainer Stinner haben dies
in der vergangenen Woche ausführlich begründet. Ich
will das jetzt nicht wiederholen, sondern mich auf einige
wenige Punkte konzentrieren.
Sie haben auch unsere Bedenken vorgetragen; Herr
Kollege Kolbow ist darauf eingegangen. Auch wir sind
der Auffassung, dass die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen ausreichend sind; aber
man wird sie nicht unendlich dehnen können. Man kann
sich nicht ewig auf einen Ausnahmetatbestand berufen.
Deshalb wird man an dieser Baustelle weiterarbeiten
müssen. Ein Ausnahmetatbestand ist es nämlich, wenn
wir uns auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen
berufen. Es würde auch keinen Sinn machen, eine Überdehnung vorzunehmen, weil man damit das kollektive
Selbstverteidigungsrecht im Sinne der Charta der Vereinten Nationen auf Dauer entwerten würde.
Wir sehen zudem die Schwierigkeit, dass es bislang
nicht gelungen ist, international eine verbindliche Definition des Begriffs Terrorismus herbeizuführen. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Es ist ein ziemlich unerträglicher Zustand, dass sich jedes Regime dieser Welt
auf das Argument der Terrorismusbekämpfung stützen
kann, nur um damit schlicht und ergreifend Rechtsverstöße kaschieren zu wollen.
({0})
Mein Kollege Stinner hat in der vergangenen Woche
ausführlich dargestellt, dass wir Abgrenzungsprobleme
haben. Das betrifft insbesondere die bizarre Debatte über
die Rechtsgrundlagen der Pirateriebekämpfung. Wir
müssen aufpassen, dass wir uns als Deutsche nicht vor
der Welt bis auf die Knochen blamieren, zum Beispiel
dann, wenn wir nicht handlungsfähig sind, wenn es darum geht, Lebensmitteltransporte der Vereinten Nationen in Länder der größten Not von uns aus nicht gegen
Piraten schützen zu können.
Wir stimmen übrigens auch deshalb zu, weil wir in
dieser Zeit nicht ein falsches Signal aussenden wollen und
weil dieses OEF-Mandat auch ein Übergangsmandat ist.
Wir sind davon überzeugt, dass der Amtswechsel im
Weißen Haus die Chance einer Bestandsaufnahme und
einer kritischen Revision unserer gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
und beim Aufbau Afghanistans bringen wird. Diese
Chance sollten wir entschlossen ergreifen.
Wir sollten nicht kleinmütig die Debatte darauf reduzieren, welche Erwartungen die amerikanischen Freunde
im Hinblick auf die Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten haben. Der Bundesverteidigungsminister beantwortet nach meiner Auffassung ständig Fragen, die keiner stellt - zumindest jetzt nicht und nicht so simpel.
Ich fürchte, die Bundesregierung ist nicht wirklich
vorbereitet auf die großen Veränderungen, die sich in
Amerika und von Amerika ausgehend jetzt vollziehen
werden. Die Zeitenwende, die wir in Amerika beobachten, und die Paradigmenwechsel, die sich daraus für die
amerikanische Außenpolitik und damit für die Weltpolitik abzeichnen, sind in vielen Köpfen in Berlin noch
nicht angekommen. Diese werden in ministerialer Routine sträflich unterschätzt.
Für die Regierung Obama wird der Kampf gegen den
internationalen Terrorismus und der Aufbau Afghanistans natürlich eine ganz große Bedeutung haben - übrigens auch für uns. Aber klug, wie Senator Obama, Senator Biden und ihre exzellenten Berater nun einmal sind,
werden sie sehr sorgfältig analysieren, bevor sie neu justieren. Sie werden verhindern wollen, dass nach dem - für
die USA übrigens auch ökonomischen - Desaster durch
den Irakkrieg in Afghanistan eine ähnliche Mission Impossible definiert wird, die sie von ihrer Hauptaufgabe,
die sie mit ihrer neuen Administration werden bewältigen
müssen, ablenkt und die sie politisch wie ökonomisch
überlastet. Amerika muss nämlich in den nächsten Jahren
und Jahrzehnten gigantische Herausforderungen im Innern meistern.
Sie werden Afghanistan einordnen in den Gesamtkontext ihrer Neudefinition amerikanischer Außenpolitik. Deshalb besteht für Deutschland und Europa jetzt
die einmalige Chance, gemeinsam mit unserem amerikanischen Partner die Ziele präzise zu definieren, die wir
bei der Terrorismusbekämpfung und konkret beim Aufbau Afghanistans haben. Daraus sind gegebenenfalls
veränderte Zielerreichungsstrategien abzuleiten. Es ist
nach meiner Einschätzung ein gutes Zeichen, dass Amerika wegkommt von der Definition unrealistischer Ziele.
({1})
Es ist zu begrüßen, dass sich die amerikanische Regierung keine Kontaktsperre auferlegen will, wenn aus
dem Kreise der Taliban versöhnungsbereite Persönlichkeiten zum Dialog bereit sein sollten. Wir sollten sehr
begrüßen, dass die USA offenbar in den Dialog mit den
Nachbarn Afghanistans eintreten wollen; denn wir werden dieses Problem nur mithilfe regionaler Zusammenarbeit in den Griff bekommen. Die Chance, China und
Russland, Indien und Pakistan und nicht zuletzt den Iran
in eine Problemlösung einzubeziehen, dürfte für die Regierung Obama größer sein als für die Regierungen davor. Das ist sehr ermutigend.
In der NATO haben wir das präzise Setzen von Zielen
und das Erarbeiten von Zielerreichungsstrategien sträflich vernachlässigt. Es wird zwar wie zuletzt auf der
ATA-Tagung diese Woche in Berlin gebetsmühlenhaft
wiederholt, dass wir diese Ziele nicht allein militärisch
erreichen können. Aber wenn es dann um die Verzahnung der militärischen und der nichtmilitärischen Anstrengungen in der NATO geht, kommt nichts. Der
NATO-Generalsekretär wiederum wird nicht müde, zu
betonen, dass die NATO keine Entwicklungsagentur ist.
Das behauptet auch keiner. Aber die Koordination unserer militärischen und nichtmilitärischen Bemühungen ist
überfällig.
Amerika besinnt sich auf seine besten Tugenden. Es
knüpft bewusst an die Traditionen und Werte an, die uns
mit Amerika verbunden haben und die für uns in
Deutschland nach der Nazibarbarei den Leuchtturm der
Freiheit, nämlich Amerika, so attraktiv gemacht haben:
Rechtsstaat, Toleranz, Demokratie und Würde des Menschen, Rückbesinnung auf die Aufklärung, Versöhnung
von Glauben und Vernunft, Respekt vor den Ergebnissen
der naturwissenschaftlichen Forschung. Das sind doch
genau die Kernelemente, die das zusammenhalten, was
wir gemeinhin den Westen nennen - nicht eine geografische Definition, sondern ein geistiges Fundament.
Die Terrorangriffe vom 11. September, die zu OEF
geführt haben, waren doch Angriffe auf dieses Fundament, auf diese freiheitliche westliche Lebensform. Beklagenswerterweise haben die Glaubwürdigkeit und die
Attraktivität dieses Wertefundamentes in der Folge des
11. September schwer gelitten. Man denke an die Bilder
von Abu Ghureib und Guantánamo Bay, die heute das
Image Amerikas in der Welt vielleicht mehr prägen als
die Freiheitsstatue.
Die neue amerikanische Regierung will offensichtlich
die Glaubwürdigkeit und Attraktivität der Fundamente
des Westens wiederherstellen. Daran müssen sich die
kritische Bestandsaufnahme und die kritische Revision
unserer Anstrengungen im Zusammenhang mit Afghanistan und der Bekämpfung des Terrorismus messen lassen. Präsident Obama wird - da bin ich ganz sicher seine Hand ausstrecken. Wir sollten sie beherzt ergreifen.
Vielen Dank.
({2})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Eckart von Klaeden das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Kollege Werner Hoyer hat die Debatte um die Verlängerung des OEF-Mandates genutzt, grundlegend zu
den Fragen der transatlantischen Beziehungen Stellung
zu nehmen. Ich möchte an das anknüpfen, was Kollege
Kolbow ausgeführt hat, an Fragen des Mandates, will
aber schon jetzt auf meine Rede in der Haushaltsdebatte
verweisen,
({0})
in der ich die Aspekte aufgreifen werde, die Sie, Herr
Kollege Hoyer, hier angesprochen haben.
({1})
- Ob Sie das als Drohung empfinden oder nicht, bleibt
Ihnen überlassen. Ich hoffe jedenfalls, dass es Sie unterhalten wird.
Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, noch etwas zur Rechtsfrage zu sagen, weil ja die Rechtsgrundlage der Operation Enduring Freedom immer wieder direkt oder indirekt infrage gestellt wird und weil nach
meinem Eindruck bei manchem die Vorstellung vorherrscht, dass die Legitimation aus der Charta der Vereinten Nationen dann am höchsten ist, wenn es eine Resolution des Sicherheitsrates gibt. Diese Rechtsansicht
ist falsch; denn die höchste Legitimation ergibt sich unmittelbar aus der UN-Charta, nämlich aus Art. 51, in
dem es um das Recht auf Selbstverteidigung geht. Dass
dieses Recht zur kollektiven Selbstverteidigung im Hinblick auf OEF auch vom Sicherheitsrat anerkannt wird,
ist in verschiedenen Resolutionen deutlich geworden.
Dies sind zum einen aus dem Jahr 2001 die Resolution
1368 vom 12. September und die Resolution 1373. Zum
anderen hat der UN-Sicherheitsrat selbst in diesem Jahr
noch einmal ausdrücklich auf das kollektive Recht zur
Selbstverteidigung im Rahmen der Operation Enduring
Freedom hingewiesen, nämlich in der Resolution 1833.
Es ist eine paradoxe Situation: Die Arbeit unserer Sicherheitsorgane hat dazu geführt - man muss hinzufügen, dass uns auch das Glück hold gewesen ist -, dass
wir in Deutschland erfreulicherweise keine großen Terroranschläge haben erleiden müssen. Das führt bei dem
einen oder anderen dazu, dass er glaubt, die Gefahr
durch den internationalen Terrorismus sei für uns nicht
mehr gegenwärtig. Das wiederum führt zu dem Trugschluss der Infragestellung der völkerrechtlichen Grundlagen.
Aber wenn man sich einmal die Zahlen allein dieses
und des letzten Jahres vergegenwärtigt, dann muss man
bedauerlicherweise feststellen, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus nichts von ihrer Intensität verloren hat. Die Zahl der weltweiten Terroranschläge blieb
2007 mit 15 000 auf dem Niveau des Vorjahres 2006.
Die Zahl der Todesopfer stieg noch einmal um 10 Prozent an. Wenn man Entführte und Verwundete hinzuzählt, dann hat es allein im Jahr 2007 70 000 Opfer
durch den internationalen Terrorismus gegeben.
Es ist uns nach den Anschlägen in Schottland im Juni
2007 erfreulicherweise gelungen, die Zahl der Anschläge in Europa zu vermindern. Es ist auch gelungen,
dass Afghanistan heute keine Brutstätte und kein Rückzugsraum mehr für den internationalen Terrorismus ist.
Aber wir wissen, dass sich die Gefahr verlagert hat und
dass heute insbesondere die FATAs, die Grenzregion
zwischen Pakistan und Afghanistan, dieser Rückzugsraum und diese Brutstätte sind.
Wenn wir heute über die Region des Mittelmeers und
des Horns von Afrika sprechen, so wenden wir uns einer
anderen Weltregion zu, die nicht in der gleichen Intensität - aber fast genauso - ein solcher Rückzugsraum für
den internationalen Terrorismus ist, nämlich dem Operationsgebiet der Operation Enduring Freedom. Aufgabe
der Bundeswehr, der Marine, ist es, dort mit unseren
Partnern den Terrorismus und seine Verbindungslinien,
seine Kommunikations- und Nachschubwege an der
Quelle zu bekämpfen. An dieser Operation beteiligen
sich nicht nur westliche Länder; dazu gehören vielmehr
auch Schiffe aus Australien und sogar aus Pakistan. Wer
unterstellt, das sei eine Operation des Westens gegen den
Mittleren Osten oder gar eine Operation der westlichen
gegen die islamische Welt, der ist schief gewickelt.
Nahezu alle Staaten dieser Region haben ein großes
Terrorproblem. Laut der Datenbank des amerikanischen
National Counterterrorism Center gab es 2007 in diesen
Ländern nicht weniger als 512 terroristische Angriffe,
bei denen 1 369 Menschen getötet, 1 897 verwundet und
151 entführt wurden. Zentrum des Terrorismus in dieser
Region ist Somalia, ein Land, das de facto aufgehört hat,
als Staat zu existieren, und seit langem das ist, was man
einen Failed State nennt.
Es ist richtig, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern in der Region alles tun müssen, um die Lebenssituation der Somalierinnen und Somalier zu verbessern, insbesondere durch den Aufbau staatlicher Strukturen. Das
wird aber nicht gelingen, wenn man den Terror in der
Region nicht bekämpft und nicht versucht, ihn einzudämmen.
({2})
Von den genannten 512 Terroranschlägen in der Region wurden 413 in Somalia und 45 im Nachbarland Kenia verübt, das seit dem Anschlag von al-Qaida auf die
amerikanische Botschaft in Nairobi im August 1998 nur
selten mit Terrorismus in Verbindung gebracht worden
ist. Vor zwei Wochen drohte der Führer der somalischen
Al-Shabaab-Bewegung Kenia mit einem Dschihad, falls
das Land nicht damit aufhöre, die Streitkräfte der somalischen Übergangsregierung auszubilden. Das ist also
eine ähnliche Konfliktlage wie die, die wir in Afghanistan beobachten können, wo radikale Taliban versuchen,
den Aufbau staatlicher Strukturen in Afghanistan zu verhindern. Ähnliche Drohungen wurden gegen Uganda
und gegen westliche Einrichtungen in der Region ausgesprochen. Kenia und Uganda leisten einen konstruktiven
Beitrag in dem mühseligen Prozess, die Lage in Somalia
zu stabilisieren.
Wenn wir in den Sudan schauen - wir haben unter anderen Vorzeichen häufig über die Lage in diesem Land
gesprochen -, müssen wir feststellen, dass dort allein
2007 68 Terroranschläge verübt worden sind.
Die Anrainerstaaten des Einsatzes der Marine, Äthiopien, Eritrea, Jemen und Saudi-Arabien, sind ebenfalls
Opfer terroristischer Anschläge. Insbesondere das Seegebiet zwischen dem Jemen und Somalia ist von größter
Bedeutung für die Unterbindung der Kommunikation
zwischen den auf der arabischen Halbinsel und den auf
dem afrikanischen Kontinent operierenden Terroristen.
Allein ein Blick auf die Karte - das ist mein letzter
Satz, Frau Präsidentin - und die Gefahren, die unter anderem in Algerien entstehen und auch uns drohen können, zeigen, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus nach wie vor gegenwärtig ist und es nicht nur
unsere Aufgabe, sondern auch unsere Pflicht ist, ihn zur
Sicherheit unserer eigenen Bürger an der Wurzel zu bekämpfen. Dazu leistet die Operation Enduring Freedom
einen unverzichtbaren Beitrag.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Die USA haben einen neuen Präsidenten.
Barack Obama steht für eine große Hoffnung. Endlich
haben die Vereinigten Staaten die Chance, einen Weg
aus dem Bush-Desaster zu finden. Vor allem den Afroamerikanern und den Hispanos ist dafür zu danken, dass
sie das demokratische System genutzt haben, um
Dummheit, Dreistigkeit und Demokratievergessenheit in
die Vergangenheit zu schicken. Wir gratulieren dem
amerikanischen Volk.
Obama verspricht, das dunkelste Kapitel republikanischer Rechtsbeugung zu beenden; denn er verspricht,
das Gefangenenlager Guantánamo aufzulösen. Hatte die
Bundesregierung bislang gegenüber Bush nicht den Mut,
dieses Krebsgeschwür des weltweiten Antiterrorkampfes
zu skandalisieren, muss Obama wenigstens jetzt bei seinem Weg zurück zu rechtsstaatlichen Standards unterstützt werden. Deshalb sagen wir Linke: Deutschland
muss bereit sein, Häftlinge aufzunehmen. Aus China, Libyen, Russland, Tunesien und Usbekistan kommen die
Gefangenen. In 15 bis 20 Ländern wird nach Rumsfelds
Befehl Jagd auf und die Tötung von vermeintlichen Terroristen betrieben. Damit muss jetzt Schluss sein.
({0})
Es liegt im deutschen Interesse, den Antiterrorkampf in
all seinen rechtswidrigen Ausmaßen zu beenden. Deshalb fordern wir die Aufnahme von US-Gefangenen.
Doch, meine Herren und Damen, ohne die völkerrechtswidrige OEF-Mission - Herr von Klaeden, Sie
wissen, dass wir Ihre völkerrechtliche Interpretation da
nicht teilen; wir gehen von einer völkerrechtswidrigen
OEF-Mission aus - wären diese Übergriffe, von denen
ich sprach, so gar nicht geschehen. Wer zu OEF Ja gesagt hat, nahm Menschenrechtsverletzungen billigend in
Kauf. Wer weiter Ja zu OEF sagt, nimmt weiterhin in
Kauf, dass das Völkerrecht gebrochen wird.
({1})
Die OEF hat nämlich nie ein Mandat der Vereinten Nationen bekommen.
Im Namen von OEF werden in Afghanistan und in
Pakistan Dörfer bombardiert. Mit Drohnen aus dem
ISAF-Gebiet werden Frauen und Kinder getötet. Dieser
Krieg ist schmutzig, und dieser Krieg ist gescheitert. Pakistans Premier nennt ihn kontraproduktiv. Präsident
Karzai sagt - ich zitiere -, er stärke Antiamerikanismus
und führe dazu, dass einheimische Stammesmilizen mit
Taliban und al-Qaida kollaborieren. Darüber hinaus gibt
es keine staatliche Souveränität in Afghanistan. Wer also
Staats- und Zivilaufbau stärken will, muss diesen Antiterrorkampf beenden.
Die Ausweitung von OEF auf Pakistan unterminiert
die Grundlagen für einen Dialog mit der dortigen Regierung. Herr Außenminister Steinmeier will einen Dialog
führen. Wenn er Erfolg haben will, muss er sich gegen
OEF aussprechen. Ein Verbleib Deutschlands in der
OEF macht seine diplomatische Mission politisch unglaubwürdig.
({2})
Natürlich weiß ich, dass die USA nicht wollen, dass
das deutsche KSK an diesem Teil des Krieges teilhat. Sie
wollen das lieber selber erledigen. Der deutschen Bevölkerung aber zu sagen - die Bundesregierung tut dies -,
dass man das KSK aus der OEF abziehe, macht diese
Regierung weder zu Friedensstiftern noch entlässt es sie
aus der politischen Verantwortung für OEF. Darüber hinaus weiß mittlerweile alle Welt, dass erstens das KSK
und die Quick Reaction Force längst in Afghanistan mit
Kampfauftrag im Einsatz sind und dass zweitens die gesamte maritime Seite der OEF weitergeführt wird.
Wir Linke sagen auch zum maritimen Antiterrorkampf entschieden Nein, nicht nur weil derzeit versucht
wird, die Pirateriebekämpfung mit dem Antiterrorkampf
zu verbinden, sondern auch weil im Rahmen der entgrenzten Selbstmandatierung, also im Zuge einer militärischen Selbstermächtigung, schon heute de facto die Sicherung von Handelswegen für Öl und Gas betrieben
wird. Das Horn von Afrika und die Straße von Hormus
sind die Lebensadern dieser begehrten fossilen Ressourcen. Hier wird bereits Militär für die Energiesicherung
eingesetzt. Dies hat keine zeitliche Begrenzung. Mit
Selbstverteidigung hat das nichts mehr zu tun. Auch das
lehnen wir ab.
({3})
Wir Linke kennen die politischen Koordinaten. Es ist
zweifellos richtig, dass sich Deutschland mit einem generellen Ausstieg aus OEF in eine Konfliktstellung zum
transatlantischen Bündnis und den USA begeben würde.
Zurück zum Völkerrecht ist denn auch eine außenpolitische Orientierung, die wir positiv mit Barack Obama
verbinden. Das würde auch ihm neue Wege für eine Politik des Dialogs und der Kooperation statt der Konfrontation öffnen. Es würde deutlich dokumentieren, dass er
eine Zäsur zur miserabelsten Politik will, die die Falken
in den USA jemals gemacht haben.
Die Bilanz von sieben Jahren Krieg gegen Terror ist
vernichtend. Der Anschlag auf das World Trade Center
am 11. September 2001 war ausschlaggebend für die militärische Operation. Heute kann er nicht mehr für eine
Begründung der Selbstverteidigung nach Art. 51 der
UN-Charta herangezogen werden. Man kann auch sagen: Spätestens seit der Regierungsübernahme durch
Karzai ist er hinfällig geworden. Überzeugen Sie, meine
Damen und Herren von der Regierung, den zukünftigen
Präsidenten Obama davon, dass die transatlantischen
Beziehungen gedeihen, wenn der Krieg gegen Terror beendet wird.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn die Debatte scheinbar routinemäßig abläuft:
Wenn man sich die heutige Debatte und auch die Debatten der letzten Male genau anschaut, dann muss man
feststellen, dass es im Gegensatz zu ISAF, dem Unterstützungsmandat in Afghanistan, für OEF eigentlich
kaum noch eine Akzeptanz im Deutschen Bundestag
gibt. Zumindest kann festgestellt werden, dass diese Akzeptanz ziemlich bröckelt.
Herr Kolbow, Ihre Argumentation hier und heute war,
dass OEF im Grunde genommen eine Ermächtigungsgrundlage ist - auf ewig und überall in der Welt.
({0})
- Sie haben sogar von Uganda, Eritrea und Somalia gesprochen. Sie meinen doch nicht wirklich, dass OEF eine
Ermächtigungsgrundlage ist, auf ewig in all diesen Staaten einzugreifen. Genau das ist das Problem von OEF. ({1})
Das, Herr Kolbow, wird die Akzeptanz hier im Deutschen Bundestag nicht stärken.
Herr Hoyer hat hier für seine Fraktion und auch im
Ausschuss sehr deutlich die Kritikpunkte vorgetragen.
Ich habe Sie so verstanden, dass auch Sie eine sehr kontroverse Debatte darüber hatten. Sie haben angekündigt,
dass es auch wegen dieser schwierigen Grundlage möglicherweise das letzte Mal ist, dass die FDP zustimmt.
Die Linke und wir werden nicht zustimmen.
Bei der SPD muss man ehrlich sagen: Wenn es dem
Außenminister nicht gelungen wäre, den Abzug der sozusagen fiktiven KSK-Soldaten und die Reduzierung der
Marineeinheiten am Horn von Afrika durchzusetzen,
dann hätten Sie hier kaum noch eine Zustimmung. Sogar
in der CDU gibt es Enthaltungen und Neinstimmen.
({2})
Das muss man hier einmal ganz klar feststellen.
Kerstin Müller ({3})
Deshalb meine ich: Dieser Einsatz ist im Grunde genommen heute nur noch reine Symbolpolitik. Er ist ein
verbliebener Solidaritätsbeweis gegenüber den USA.
Aber - das will ich hier sehr deutlich erklären, Herr
Nachtwei hat dies das letzte Mal gesagt - Soldaten aus
reiner Symbolpolitik in einen höchst fragwürdigen Einsatz zu schicken, ist unverantwortlich.
({4})
Vor dem Hintergrund der US-Wahlen wird das Ganze
vollends absurd. Wenn irgendetwas für den gescheiterten
Antiterrorkrieg - die Bush-Regierung hat ja von Krieg
gesprochen - steht, dann ist das neben dem Irakkrieg der
OEF-Einsatz. Wir können nicht einfach business as
usual machen und das OEF-Mandat verlängern. Wenn es
stimmt, dass die Wahl von Obama auch außenpolitisch
eine Zäsur ist, dann muss es jetzt darum gehen, diesen
Wechsel in den USA hin zu Obama für einen Neuanfang
in der internationalen Politik und - so möchte ich es sogar sagen - für eine Neubegründung des transatlantischen Verhältnisses zu nutzen.
Jetzt ist auch der Zeitpunkt, ganz ehrlich und ganz offen gerade vor dem Hintergrund der Ankündigungen, die
Obama und seine Administration gemacht haben, gemeinsam darüber zu sprechen, wie denn eine Erfolgsstrategie in Afghanistan und eine Erfolgsstrategie im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus künftig
aussehen muss. Dafür ist heute der Zeitpunkt gekommen.
({5})
Zur Bemerkung von Herrn Hoyer, dass in den Medien
schon jetzt Fragen beantwortet werden, die noch gar
nicht gestellt wurden, will ich sagen: Erst einmal sollten
wir genau hinschauen, was von der künftigen Administration bzw. von den außenpolitischen Beratern Obamas
bisher geschrieben und gesagt wurde. Er selbst hat gesagt: Es ist die Zeit für eine neue Ära der internationalen
Kooperation. Es ist die Zeit für Amerika und Europa, unsere gemeinsamen Vereinbarungen zu erneuern, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu
begegnen.
Das heißt, er will internationale Kooperation. Er will
gemeinsam beraten und entscheiden. An erster Stelle
steht für ihn - das betont er immer wieder -: gemeinsam
mit Europa, mit der Europäischen Union. Das ist ein großer Unterschied zur Politik der Alleingänge der Ära
Bush. Ich meine, genau dies ist der Ansatzpunkt, um das
transatlantische Verhältnis neu zu begründen. Hier müssen wir uns aktiv einbringen und diese Chance nutzen.
Wir dürfen nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange
stehen und erst einmal abwarten, welche Forderungen
die Amerikaner an uns richten. Vielmehr müssen wir
jetzt mit der neuen amerikanischen Administration eine
strategische Debatte darüber führen, wie es in der internationalen Politik weitergeht und wie eine Erfolgsstrategie nicht nur für Afghanistan, sondern insgesamt aussehen kann.
({6})
Der Antiterrorkrieg der Bush-Regierung ist nicht nur
im Irak, sondern auch in Afghanistan gescheitert. Unsere
Argumente haben wir an verschiedenen Stellen dargelegt. Das haben übrigens nicht nur wir getan, sondern
auch Kollegen aus der SPD und andere Mitglieder dieses
Hauses. Wir müssen genau hinschauen, was im Rahmen
von OEF eigentlich getan wird. Man muss konstatieren,
dass die Art und Weise der Kriegsführung im Süden und
im Südosten die paschtunische Bevölkerung gegen die
internationale Gemeinschaft aufgebracht hat.
Ein Grund dafür ist, dass OEF überproportional viele
zivile Opfer fordert. Ich verweise auf die Zahlen von
UNAMA, der UN-Organisation vor Ort, die davon
spricht, dass die Zahl ziviler Opfer gegenüber 2007 um
40 Prozent zugenommen hat. 90 Prozent der zivilen Opfer sind im Süden des Landes zu beklagen, und die
Hälfte geht auf das Konto von OEF, also auf das Konto
einer Kriegsführung, die oft - zu diesem Ergebnis kam
Human Rights Watch in einer sehr guten Analyse - auf
ungeplante Luftangriffe zurückzuführen ist. Das schürt
den Hass, und das hat den Terrorismus dort gestärkt, statt
ihn zu schwächen.
Noch etwas: Im Rahmen von OEF werden immer
wieder Tötungen auf Verdacht vorgenommen. Das ist
eindeutig völkerrechtswidrig. Das ist etwas, was man ansprechen und kritisieren muss.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen - im
ISAF-Headquarter ist davon immer wieder die Rede -:
OEF kommt ISAF in die Quere, weil man unabgestimmt
nach eigenen Einsatzregeln vorgeht. Summa summarum
muss man sagen: Dieser Einsatz ist kontraproduktiv. Er
gefährdet und untergräbt die Entwicklung einer Erfolgsstrategie für ISAF in Afghanistan insgesamt.
({8})
Deshalb sind wir für die Beendigung des OEF-Mandats.
Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Debatte darüber mit unseren amerikanischen Partnern jetzt führen
müssen.
Diese Diskussion sollten wir führen, bevor diese Art
der Kriegsführung auch noch systematisch auf Pakistan
ausgeweitet wird; ich hoffe, diesen Schritt haben Sie mit
Ihrer Rede heute Morgen nicht rechtfertigen wollen,
Herr Kolbow. An dieser Stelle verstehe ich die Bundesregierung überhaupt nicht. Sie, Herr Außenminister, haben Pakistan zu einem Schwerpunkt gemacht; so habe
ich Sie jedenfalls verstanden. Sie sind mehrfach dort gewesen und haben hier berichtet: Dieses Land braucht
Unterstützung, damit es nicht weiter destabilisiert wird,
nicht nur mit Blick auf Afghanistan, sondern auch, weil
es gefährlich ist, wenn eine Atommacht bzw. ein Atomland destabilisiert wird.
Ich verstehe aber nicht, warum man sich nicht öffentlich - wenn nicht öffentlich, dann zumindest gegenüber
den Amerikanern - glasklar äußert und sich gegen die
Einsätze, die dort stattfinden, ausspricht. Die pakistani20036
Kerstin Müller ({9})
sche Regierung hat sich darüber beklagt. Wir wissen
zwar nicht, ob das wirklich ernst gemeint ist; aber sie hat
sich öffentlich beklagt. Man kann objektiv festhalten:
Auch diese Einsätze sind kontraproduktiv. Auch diese
Einsätze stärken die Taliban in den Tribal Areas. Das ist
eine verfehlte Strategie, die auch in Pakistan zum Scheitern und möglicherweise zu einer Destabilisierung des
Landes führen wird. Das können wir nicht wollen.
({10})
Ich glaube, die US-Wahlen und die neu gewählte
amerikanische Regierung markieren eine Zäsur. Diese
Chance müssen wir nutzen: für eine neue Zeit in der internationalen Politik, für mehr Multilateralismus, für
eine Stärkung des Völkerrechts und für die Beachtung
der Menschenrechte, auch und gerade im Kampf gegen
den Terrorismus.
({11})
Frau Kollegin Müller, Sie haben vielleicht gemerkt,
dass ich hinsichtlich der Redezeit etwas großzügiger war
als sonst. Das ist Ihrem heutigen Geburtstag geschuldet.
Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich.
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden zu
einer Kurzintervention das Wort.
Frau Kollegin Müller, trotz Ihres Geburtstags kann
ich Ihnen meinen Widerspruch zu dem, was Sie mir unterstellt haben, leider nicht vorenthalten.
Zum Ersten. Sie haben behauptet - Ihr Kollege Trittin
hat das durch einen Zwischenruf noch unterstrichen -,
dass ich durch die Tatsache, dass ich geschildert habe,
welche Länder in Afrika von terroristischen Anschlägen
betroffen sind, geradezu ein Interventionsrecht für uns
konstruieren würde, um in diesen Staaten militärisch
eingreifen zu können. Das ist wirklich eine geradezu absurde Unterstellung, die ich hier mit aller Entschiedenheit zurückweise.
({0})
Zum Zweiten haben Sie erneut behauptet, dass die
Rechtsgrundlage nicht gegeben ist, und Sie sind mit keinem Wort auf die UN-Resolution eingegangen, die ich in
meiner Rede zitiert habe und durch die - das gilt auch für
dieses Jahr - das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 der
UN-Charta hinsichtlich der Operation Enduring Freedom unterstützt wird.
Sie haben aber nicht nur die Rechtsgrundlage hinsichtlich des Zeitablaufs, sondern Sie haben das Mandat
grundsätzlich infrage gestellt. Ich finde, es gehört zur
Redlichkeit dazu, dann auch zu erwähnen, dass dieses
Mandat zum ersten Mal von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden ist und dass der grüne Außenminister Fischer für dieses Mandat die Federführung gehabt hat.
Wenn Sie jetzt in dieser Art und Weise sagen, dass der
Wechsel in der amerikanischen Regierung dazu führen
muss, dass man das Mandat und auch seine völkerrechtliche Grundlage grundsätzlich infrage stellt, dann bestätigen Sie damit den Vorwurf der Linkspartei, dass Sie
dieses Mandat damals nicht aus eigenem Willen und in
eigener Souveränität, sondern auf fremde Veranlassung
hin beschlossen haben.
({1})
Ich erwarte, dass Sie zu dem, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben, weiter stehen und hier vernünftige Gründe vortragen, wenn Sie glauben, davon abweichen zu können. Wenn Sie die Dinge aber grundsätzlich
infrage stellen, dann stellen Sie damit auch das infrage,
was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben.
({2})
Frau Kollegin Müller, bitte.
Es ist völlig klar, dass es trotz meines Geburtstags
auch eine Kontroverse geben kann.
Jetzt haben Sie Behauptungen aufgestellt, die so nicht
richtig sind. Ich habe das Mandat nicht grundsätzlich infrage gestellt. Ich habe vor allen Dingen politische Argumente dagegen genannt.
Sie sagen, wir hätten dem Mandat zugestimmt. Natürlich, aber ich bitte Sie: 2001 gab es eine völlig andere Situation.
({0})
- Ja, sie war völlig anders. - Damals gab es die ISAF
noch nicht. Nicht nur unsere Fraktion, sondern auch die
Fraktion der FDP und jede andere Fraktion muss sich die
Rechtsgrundlage dieses Mandates noch einmal genau
anschauen.
Zu Art. 51 der UN-Charta, dem Selbstverteidigungsrecht. Schauen wir einmal, was sich verändert hat. Inzwischen hat es den Petersberger Prozess gegeben. Nach
Abschluss des Petersberger Prozesses hat die afghanische Regierung die volle Souveränität über ihr Land
übernommen. Das ist ein großer Unterschied. Die ISAF
hat mit ihrer Arbeit angefangen, und ihre Tätigkeit
wurde auf das ganze Land ausgedehnt. Dieser Prozess
sollte spätestens im Jahre 2006 abgeschlossen sein.
Spätestens seitdem gibt es zumindest im Hinblick auf
Afghanistan nur eine sehr fragwürdige Grundlage für
das OEF-Mandat.
Kerstin Müller ({1})
({2})
ISAF ist dazu befugt, in enger Abstimmung mit und zur
Unterstützung der afghanischen Regierung für die Sicherheit der Afghanen zu sorgen. Zumindest das muss
man sich sehr genau anschauen.
Ich frage Sie: Wollen Sie wirklich und ernsthaft behaupten, dass das richtige Selbstverteidigungsrecht der
USA nach dem 11. September 2001 überall dort auf der
Welt, wo es Terrorismus gibt, auf ewig gelten soll? Ich
sage: Das kann nicht sein. Herr Kolbow, Sie haben sogar
gesagt: Dieses Selbstverteidigungsrecht steht über einem
Beschluss des Sicherheitsrates. - Das kann ja nun gar
nicht sein.
({3})
Der Sicherheitsrat muss als Souverän entscheiden können, wann dieses Recht beendet ist und wann man den
Kampf gegen den Terrorismus mit anderen Maßnahmen
führt. Darum geht es uns, Herr von Klaeden. Wir sehen
das - anders als die Linke - ganz klar so. Selbstverständlich müssen wir den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus führen, aber so, dass er wirksam ist, statt
den Terrorismus weiter zu stärken. Genau das passiert
aber durch OEF.
({4})
Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Uta Zapf
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, manchmal sollte man versuchen, eine Nummer kleiner anzusetzen. Worum geht es? Ich denke, wir
sind uns alle einig, dass es darum geht, den Terrorismus
zu bekämpfen. Wir sind uns uneinig darüber - manchmal gibt es nur kleine Unterschiede, manchmal etwas
größere -, mit welchen Mitteln man das macht. Deshalb
halte ich die Forderung für unsinnig, OEF zu beenden,
ohne zu sagen, wie es dann weitergehen soll, und zwar in
ganz Afghanistan, aber auch in Bezug auf Pakistan, auf
das sich das OEF-Mandat nicht erstreckt.
Wir haben als SPD schon darüber nachgedacht, dass
die beiden Mandate im Prinzip zusammengeführt werden müssten. Aber das ist nur vor dem Hintergrund eines
Strategiewechsels möglich, den Sie, Frau Müller, mit
Recht einklagen und der auch in Bezug auf Pakistan gelten müsste. Denn wie wir alle immer wieder beklagt haben, ist es durch die Kriegsführung insbesondere der
Amerikaner zu zivilen Opfern gekommen. Diese Kriegsführung ist kontraproduktiv, weil sie - darauf haben Sie
hingewiesen - Hass erzeugt und dadurch den Terrorismus fördert.
Aber wie können wir Terrorismus und Aufständische
bekämpfen, ohne in dem gesamten Bereich eine solche
Strategieänderung und unangenehme Nebenwirkungen
- wenn ich das etwas zynisch so formulieren darf - herbeizuführen? Dafür haben wir noch keine endgültige Lösung. Wir sind alle aufgefordert, an einer Lösung mitzuarbeiten.
Wir haben viel diskutiert und uns insbesondere - ich
denke, das hat das ganze Haus ausgezeichnet - auf die
zivile Hilfe konzentriert und diese immer weiter verstärkt. Wir wissen aber, dass dies auch heute noch nicht
ausreichend wirksam ist, um eine so schwierige Situation wie in Afghanistan zu heilen. Es ist eine Illusion,
sozusagen aus dem Mittelalter und nach einem 30-jährigen Krieg plötzlich in die Moderne übergehen zu können.
Hinzu kommt - das haben wir vielleicht ein bisschen
arg spät erkannt -, dass dasselbe Problem in Pakistan im
Grenzgebiet zu Afghanistan virulent ist, weil sich dort
Ruheräume für den Terrorismus aufgetan haben. Denn
dort ist in den FATAs vonseiten der pakistanischen Regierung überhaupt keine staatliche Souveränität mehr
wirksam. Deshalb ist davon auszugehen - wie am vergangenen Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss festgestellt wurde -, dass Pakistan auf der Kippe steht, ein
Failed State zu werden.
Insofern glaube ich nicht, dass es um die Neubegründung der transatlantischen Zusammenarbeit oder
Freundschaft - das ist eine große Nummer - durch einen
Neuanfang in Afghanistan geht; vielmehr ist es eine internationale Aufgabe, endlich einmal über die virulenten
Kriegsgebiete hinauszudenken. Wir müssen die gesamte
Region in den Blick nehmen und regionale Möglichkeiten entwickeln, um Pakistan zu stabilisieren. In diesem
Zusammenhang möchte ich Frank-Walter Steinmeier
herzlich danken, weil er durch seine Initiativen schon
eine ganze Menge in die Wege geleitet hat.
({0})
Wir müssen versuchen, die Situation in Pakistan möglichst schnell zu beeinflussen. Dabei haben wir immer
noch eine etwas bessere Ausgangsposition als in Afghanistan. Das heißt aber auch, dass wir in diesen Gebieten
nicht mit militärischen Mitteln vorgehen dürfen. Ich
glaube, jeder wird unterstreichen, dass die Angriffe der
US-Amerikaner auf pakistanisches Gebiet zur Terrorbekämpfung kontraproduktiv sind. Wir müssen uns in diesen Regionen um Stabilisierung bemühen. Wir müssen
eine Regionalstrategie unter Einschluss der Nachbarstaaten entwickeln. Das bedeutet, dass natürlich Pakistan im
Mittelpunkt steht, dass wir aber auch Indien einbeziehen
müssen, weil der pakistanisch-indische Konflikt seine
Schatten auf diesen Bereich wirft. Ich möchte hinzufügen: Wir müssen auch den Iran einbeziehen.
({1})
Das ist aufgrund unserer Beziehungen zum Iran relativ
schwierig. Sicherlich hoffen wir, dass Obama einiges anders machen wird. Aber wir müssen auch unseren eigenen Beitrag, zum Beispiel verstärkte Hilfe für Pakistan,
leisten. Das ist von den Friends of Pakistan auch zugesagt worden. Es gibt eine weitere Initiative, die vor allem
von der Türkei ausgeht, um einen Versöhnungsprozess
zwischen Afghanistan und Pakistan, die sonst feindliche
Gefühle füreinander hegen, zu bewirken. Wir müssen
darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, noch einmal Geld in die Hand zu nehmen und Aufbauhilfe in der
Region, in Pakistan und vor allem in den Gebieten zu
leisten, in denen staatliche Strukturen nicht mehr wirken,
damit die jungen Menschen dort eine Perspektive haben.
Sonst laufen sie zum Terrorismus über.
Lassen Sie mich einen weiteren regionalen Punkt anführen. Es gibt ein wenig beachtetes Flüchtlingsproblem
in der Region. Über 4 Millionen sind nach 2002 aus Pakistan und dem Iran zurückgekehrt. Zudem gibt es sehr
viele Binnenflüchtlinge, die zum Teil in Camps leben
und immer wieder vertrieben werden und daher humanitäre Hilfe benötigen. Diese Menschen haben keine Jobs
und vegetieren unter elenden Umständen. Ich denke, hier
ist eine neue Quelle der Rekrutierung von Terroristen
auszumachen. Wir müssen daher die internationalen Bemühungen zur Befriedung einer ganzen Region, aber
auch die Unterstützung zum Wiederaufbau und die
Hilfsmaßnahmen für Pakistan, Afghanistan und möglicherweise andere Länder genauer aufeinander abstimmen.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns
immer wieder bewusst machen, dass sich der Deutsche
Bundestag als Parlament in der wohl einmaligen Situation befindet, über Ziel, Art, Umfang und Zeit des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland entscheiden zu können. Das ist eine Entscheidung, wie sie normalerweise in
anderen Staaten nur die Exekutive, die Regierung, zu
treffen hat. Deshalb müssen wir uns bei dieser Entscheidung in besonderem Maße vergegenwärtigen, dass wir
damit eine unmittelbare persönliche Verantwortung für
die betroffenen Menschen übernehmen. Zugleich müssen wir aber bedenken, dass wir internationalen Verpflichtungen unterliegen und gemeinsam mit anderen
Staaten betroffen sind. Leider ist diese Last der Verantwortung offenbar nicht allen im Hause gegenwärtig, sodass immer wieder dazu aufgerufen wird - möglicherweise schielen die Betreffenden auf eine bestimmte
Stimmungslage beim Wähler -, das Engagement zu beenden. An dieser Stelle möchte ich mich beim Verteidigungsministerium bedanken, das durch eine heute veröffentlichte Umfrage klargestellt hat, dass in der Tat drei
von vier Wählern hinter dem Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan stehen. Ich finde, das ist bisher viel zu wenig bekannt gewesen und uns bewusst geworden.
({0})
Würden wir dem Begehren, alles stehen und liegen zu
lassen und uns sofort zurückzuziehen, nachgeben, wären
die Folgen äußerst ernst. Wir würden uns der internationalen Solidarität im Kampf gegen den nach wie vor gefährlichen Terrorismus verweigern, obwohl Deutschland
- das müssen wir uns vergegenwärtigen - genauso wie
Frankreich, Spanien, Großbritannien oder die USA unverändert ein relevantes Ziel der Terroristen ist. Die
Folge wäre eine tiefgreifende Isolierung in der Gemeinschaft demokratischer Staaten und Völker. Die Terroristen würden in einer beispiellosen Art und Weise ermutigt, ihren Weg weiterzugehen, könnten sie unser
Ausscheiden doch als Erfolg ihres Tuns ansehen. Die
Verantwortung, die uns vom Verfassungsgeber auferlegt
worden ist, zwingt uns, im Rahmen einer pflichtgemäßen Güterabwägung den Versuch aller - hier der Fraktion Die Linke -, sich aus dieser Verantwortung davonzustehlen, entschieden zurückzuweisen.
Dennoch dürfen unsere Debatten und Entscheidungen
über die Teilnahme von Angehörigen unserer Bundeswehr an internationalen Einsätzen nie Routine werden.
Jeder einzelne Schritt muss stets neu geprüft und wohlüberlegt werden. Deshalb sind in den zurückliegenden
Jahren Umfang und Natur des Einsatzes immer wieder
angepasst und auch geändert worden. Nur so können wir
in der Tat der uns auferlegten Verantwortung gerecht
werden.
({1})
Dieses Bemühen kommt auch im vorliegenden Antrag zum Ausdruck. Der Einsatz der Bundeswehr im
Rahmen von OEF in Afghanistan wird deshalb beendet.
Die 2001 unter den damaligen Gegebenheiten gerechtfertigte Obergrenze von 3 900 Soldatinnen und Soldaten
wird auf nur noch 800 reduziert, und ihr Einsatzgebiet
wird entsprechend verkleinert und neu definiert, ebenso
der Umfang und die Art ihres Einsatzes. Er beschränkt
sich künftig auf die Überwachung und Sicherung von
Seewegen. Das bedeutet natürlich nicht, dass unsere Arbeit in Afghanistan etwa erledigt ist; vielmehr eröffnet
diese Neujustierung die Möglichkeit, dass wir uns noch
stärker als bisher auf unsere Aufgaben im Rahmen von
ISAF konzentrieren können. Dazu müssen wir unseren
Verbündeten und unserer Bevölkerung deutlich machen,
dass Terrorbekämpfung für uns nicht bloß eine rein militärische Aufgabe ist, sondern vor allem ein Instrument,
um den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan voranzutreiben. Nur so werden wir letztlich Zustände schaffen
können, die es uns eines Tages erlauben, uns guten Gewissens aus Afghanistan zurückzuziehen.
Die verbleibenden Kräfte werden im Sinne des Antrags insbesondere zur Überwachung und Sicherung der
Seewege am Horn von Afrika eingesetzt. Gerade die immer aggressiver werdenden Attacken von Piraten vor der
somalischen Küste führen uns die Verletzlichkeit der
Seewege immer wieder deutlich vor Augen. Ich bin froh,
dass sich jetzt ein Weg zu mehr konkretem Schutz der
Schiffe vor solchen Verbrechen abzeichnet und Deutschland sich daran beteiligen wird. Wir müssen uns bewusst
sein, dass wir ein Land sind, das in ganz hohem Maße
von einem sicheren Zugang zu den Weltmärkten auf dem
Seeweg abhängig ist. Wir sind durch solche Angriffe
deshalb höchst verletzlich. Der Einsatz der Bundeswehr
zur Sicherung von Seewegen schützt daher auch unsere
ureigenen nationalen Interessen. Damit bestätigt Deutschland wiederum seinen Ruf als ein zuverlässiger Partner
seiner Freunde und Mitstreiter in einer insgesamt recht
unruhigen Welt. Das so erworbene Vertrauen ist ein Kapital - so müssen wir es sehen -, auf das wir hoffentlich
nie zurückgreifen müssen; aber wir könnten doch im
Falle des Falles darauf angewiesen sein.
Ich halte daher den vorliegenden Antrag der Bundesregierung für richtig und unterstützenswert. Unsere Soldatinnen und Soldaten können sich bei diesem Einsatz
auf unsere nachhaltige Unterstützung stets verlassen.
({2})
Nächster Redner ist nun der Kollege Rolf Kramer für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Müller, auch von dieser Stelle herzlichen
Glückwunsch zum Geburtstag! Allerdings hätte ich mir
gewünscht, dass Sie sich bei Ihren Ausführungen auf das
Thema besonnen hätten, das heute ansteht, nämlich die
Verlängerung des im Antrag der Bundesregierung formulierten Mandats. Ich lese noch einmal vor, wo wir tätig werden sollen:
Der deutsche Beitrag wird im Gebiet gemäß Artikel 6 des Nordatlantikvertrages sowie am Horn von
Afrika einschließlich angrenzender Seegebiete ({0}) geleistet.
Sie haben hier fast ausschließlich über Afghanistan
berichtet. Das ist nicht Gegenstand des heute zu beratenden Mandats. Wir entscheiden heute ausschließlich darüber, wo die deutsche Bundesmarine - es ist ausschließlich ein seegebundenes Mandat - in Zukunft tätig sein
wird. Wenn Sie einfordern, dass zusammen mit den Vereinigten Staaten - auch wir setzen große Hoffnung in
den neuen amerikanischen Präsidenten - eine neue Taktik, eine neue Strategie entwickelt wird, dann wäre es
aus unserer Sicht der falsche Weg, jetzt aus diesem Mandat auszusteigen, um Fakten zu schaffen. Das kann,
wenn es in Zukunft mehr multilaterale Vereinbarungen
gibt, nur gemeinsam mit der neuen amerikanischen Administration gemacht werden. Auf diesen Weg sollten
wir uns tatsächlich begeben.
({1})
Frau Knoche von der Linkspartei hat hier die üblichen
Dinge vorgetragen, die sich darin erschöpfen, dass wir
einen völkerrechtswidrigen Krieg führen, dass der
Antiterrorkampf beendet werden muss und dass wir
menschenrechtswidrige Maßnahmen unterstützen. Frau
Knoche, wenn wir nicht der Meinung wären, dass dieses
Mandat durch die Resolutionen 1368 und 1373 der Vereinten Nationen gedeckt ist, dann würden wir dem nie
und nimmer zustimmen; denn wir legen sehr viel Wert
darauf, dass wir hier Mandate ausführen, die aufgrund
eines Aufrufs der Vereinten Nationen entstanden sind.
Wir sind nicht der Meinung, dass das völkerrechtswidrig
ist.
Sie tragen immer das gleiche Argument - Völkerrechtswidrigkeit - vor. Ich finde, Sie sollten sich überlegen, ob Sie nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen,
um diese Angelegenheit endgültig zu klären. Es ist vollkommen unangemessen, was Sie hier tun. Wir sprechen
in jedem Jahr über die Verlängerung dieser Mandate,
und wir hören von Ihrer Seite immer das gleiche Argument: völkerrechtswidrig. Ich meine, Sie sind jetzt in der
Bringschuld, das klären zu lassen. Dazu ist in Deutschland das Bundesverfassungsgericht anzurufen.
Lassen Sie mich noch kurz aus verteidigungspolitischer Sicht folgende Dinge ausführen:
Das Mandat, über das wir reden, existiert seit 2001.
Wir haben ursprünglich mit etwa 3 900 Soldatinnen und
Soldaten angefangen. Dieses Mandat war teilweise auch
für Afghanistan vorgesehen. Wir haben dank der Initiative der SPD-Fraktion seit etwa zwei Jahren eine Arbeitsgruppe - sie nennt sich Taskforce -, die sich mit unserem Einsatz in Afghanistan ganz intensiv beschäftigt.
Wir haben im letzten Jahr vorgeschlagen, dass die
100 KSK-Soldaten nicht mehr Gegenstand dieses Mandats sind. Ich danke unserem Außenminister für seine
Zustimmung dazu, dass wir in diesen Antrag hineingeschrieben haben, dass wir nur noch am Horn von Afrika
tätig sind.
Die Reduzierung umfasste aber nicht nur die Anzahl
der Soldatinnen und Soldaten; wir haben darüber hinaus
mehrfach die Qualität des Mandats reduziert. Ich nenne
nur den Wegfall der ABC-Abwehrkräfte im Jahr 2003.
Aktuell sind am Horn von Afrika 96 Bundeswehrangehörige im Einsatz. Im Mittelmeer beteiligen sich an der
Operation Active Endeavour 23 bis 24 Soldaten, die auf
einem U-Boot tätig sind. Wir werden dort in Zukunft
wieder mit einem etwas verstärkten Ansatz tätig sein.
Das Orion-Aufklärungsflugzeug wird durch eine Fregatte abgelöst, und dann werden wir dort sicherlich wieder etwas über 200 Soldaten im Einsatz haben.
Man hört von Zeit zu Zeit folgende Argumente: Wenn
Schiffe im Einsatz sind, haben die deutschen Soldaten
eigentlich sehr wenig zu tun. Sie haben sehr wenige
Boarding-Maßnahmen etc. durchzuführen. Eigentlich
sollten wir sehr glücklich sein, dass es allein aufgrund
der Anwesenheit der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in diesem Bereich nicht nötig ist, stärkere aktive Maßnahmen zu ergreifen.
({2})
Ich möchte mich ganz herzlich bei den Soldatinnen und
Soldaten der Bundesmarine bedanken, die dort im Einsatz sind. Wir werden der Verlängerung dieses Mandates
zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Robert Hochbaum für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Danke schön, sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Name des Mandats, dessen Verlängerung heute beschlossen werden soll, geht
uns, auch wenn er nicht in deutscher Sprache ist, nach
siebenmaliger Verlängerung und breiter Diskussion recht
einfach über die Lippen. Es scheint mir jedoch, als sei
bei uns im Hause die innere Bedeutung der sogenannten
Operation Enduring Freedom nicht immer präsent. Erlauben Sie mir deshalb, speziell auch für Sie, Frau
Knoche, auf die Übersetzung einzugehen, die uns das
übergeordnete Ziel dieses Einsatzes in Erinnerung ruft.
Frau Knoche, Operation Enduring Freedom heißt so viel
wie Einsatz für nachhaltige Freiheit bzw. für dauerhaft
zu erhaltende Freiheit. Es ist schon schlimm, wenn man
den Antiterroreinsatz als „Krebsgeschwür“ bezeichnet.
({0})
Dauerhaft zu erhaltende Freiheit: Das ist es, worum es
im Kern geht, warum es wichtig ist, dass wir das Mandat
verlängern, und warum sich Deutschland an der Bekämpfung des Terrorismus aktiv beteiligen muss. Wir
können bei der gegenwärtigen asymmetrischen Bedrohungslage eben noch nicht von nachhaltiger Freiheit
oder nachhaltiger Friedenssicherung sprechen; denn immer wieder müssen wir leider schmerzlich erfahren, mit
welcher Menschenverachtung und Hinterhältigkeit Terroristen vorgehen, wobei sie weder Frauen noch Kinder
und andere verschonen.
Der Einsatz bleibt also notwendig, um der Bedrohungslage entgegenzuwirken. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir müssen den Gefahren dort begegnen, wo
sie auftreten, zum Beispiel auch am Horn von Afrika.
({1})
Wir müssen handeln, bevor die verheerenden Auswirkungen und Folgen perfiden terroristischen Handelns
auch das Leben der Bürgerinnen und Bürger unseres
Landes bedrohen können.
An dieser Stelle - es wurde schon mehrfach getan,
aber man kann es gar nicht oft genug tun - möchte ich
nicht versäumen, allen eingesetzten Soldatinnen und
Soldaten, aber auch den zivilen Kräften im Einsatz meinen Dank auszusprechen. Sie leisten hoch motiviert eine
ausgezeichnete Arbeit und dienen dadurch direkt dem
Sicherheitsinteresse unseres Landes und unserer Bürger.
({2})
Darauf können sie und wir stolz sein, und deswegen sollten wir sie heute hier mit einer breiten Zustimmung unterstützen.
Weil im Zusammenhang mit dem OEF-Mandat immer
wieder von angeblicher Rechtsunsicherheit gesprochen
wird - da bin ich wie viele andere, auch der Sicherheitsrat,
anderer Meinung -, freut es mich ganz besonders, dass
auch die FDP die rechtlichen Grundlagen, nämlich
Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und Art. 5 des
Nordatlantikvertrages, in ihrem vorliegenden Entschließungsantrag jedenfalls zurzeit klar als gegeben ansieht.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, einmal positiv festzustellen, wie verantwortungsvoll sich die FDP
als Oppositionspartei in diesem Fall verhält. Auch hier
wurde meiner Meinung nach erkannt, dass es bei der
heutigen Entscheidung letztendlich um die Sicherheit
der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande geht.
Ich weiß, meine Damen und Herren von der FDP,
dass es für eine Oppositionspartei nicht selbstverständlich ist, mit den Regierungsparteien zu stimmen. Ich
danke Ihnen, weil Sie das gerade bei einem für die Menschen in unserem Land so wichtigen Thema tun, weil Sie
Verantwortung und nicht Populismus in den Vordergrund stellen.
({3})
Natürlich muss sich mittelfristig erst etwas ändern.
Natürlich gelten die Bedingungen und Voraussetzungen
für das Mandat zwar noch heute, aber sicher nicht für
immer. Erfreulicherweise hat auch unsere Bundeskanzlerin vor einigen Tagen in ihrer Rede anlässlich einer
Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e. V.
von einer Überarbeitung des strategischen Konzeptes der
NATO gesprochen. Ich kann ihr in dieser Hinsicht als
Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der
NATO aus vollster Überzeugung zustimmen. In der Tat
ist das derzeitige strategische Konzept der NATO vor der
neuen internationalen Bedrohung des Terrorismus entstanden. Man hat sich damals kaum vorstellen können,
dass Terroristen generalstabsmäßig geplante, militärisch
durchgeführte Terroraktionen begehen, die Tausenden
von unschuldigen Menschen das Leben kosten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nachtwei?
Gern.
Lieber Kollege Hochbaum, ich habe allen Rednern
der Großen Koalition sehr sorgfältig zugehört, um eine
Antwort auf die entscheidende Frage nach der Wirksamkeit der Operation Enduring Freedom zu bekommen.
Am letzten Montag gab es eine sehr interessante Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo ein ehemaliger
pakistanischer Botschafter in Kabul und jetziger Berater
der Friedens-Jirga auf pakistanischer Seite zu Enduring
Freedom sagte, dass sie mehr Militanz geschaffen und
mehr Terrorismus hervorgebracht habe. Das sehe man
jeden Tag. Es sei ein Paradigmenwechsel notwendig.
Meine erste Frage: Wie bewerten Sie diese Aussage
zur kontraproduktiven Wirkung von Enduring Freedom?
Zweitens. Sind Ihnen von der Bundesregierung irgendwelche Informationen zugänglich gemacht worden, die
dieses harte Urteil widerlegen würden? Ich als Obmann
habe dazu keinerlei widerlegenden Argumente und Informationen von der Bundesregierung bekommen.
({0})
Danke für Ihre Frage. - Ich will zu dieser einzelnen
Stellungnahme nicht Stellung beziehen. Es gibt viele
Stellungnahmen. Wir alle können Papiere von vielen
klugen Menschen, die zu allem viel Kluges sagen, aus
der Tasche ziehen.
Aber auf einen Aspekt möchte ich eingehen. Es wird
oft kritisiert, dass wenige Terroristen festgenommen
worden oder wenige große Waffen gefunden worden
sind. Aber das heißt für mich nicht, dass wir dadurch,
dass wir dort präsent und aktiv sind, so etwas nicht verhindern. Sie können doch nicht beispielsweise die Polizei abschaffen, nur weil keine Straftäter gestellt werden.
Das geht doch nicht. Wir sind dort auch präventiv tätig.
Wir sorgen dafür, dass keine terroristischen Aktivitäten
erfolgen, das heißt, wir verhindern terroristische Aktivitäten. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass wir
erfolgreich sind.
({0})
Doch unabhängig davon entscheiden wir heute über
die Verlängerung des OEF-Mandates. Das ist übrigens
ein Einsatz, bei dem - es wurde eben genannt - nicht nur
die USA, Großbritannien und Deutschland, sondern
auch Länder wie Kanada, Tschechien, Italien, Frankreich, die Niederlande und Norwegen - auch Pakistan,
wie wir vorhin erfahren haben -, also viele Nationen der
freien Welt, beteiligt sind. Sie alle wollen nur eines,
nämlich Schaden von ihren Bürgerinnen und Bürgern
abhalten und Sicherheit für ihre Länder gewährleisten.
Deshalb sind sie mit uns gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus angetreten und aus keinem anderen Grund, Frau Knoche. Weil es nicht um billigen
Populismus, sondern um die Sicherheit der Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land geht, bitte ich um Ihre Zustimmung zur Mandatsverlängerung.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/10824 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA. Dazu liegen
von fünf Kolleginnen und Kollegen persönliche Erklä-
rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir
zu Protokoll nehmen.1)
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 16/10720 anzunehmen.
Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen.
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. An allen Urnen sind die Stimmen abgege-
ben.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich Ihnen an-
schließend bekannt.2)
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich dieje-
nigen, die den weiteren Abstimmungen und Beratungen
nicht folgen wollen, bitten, den Saal zu verlassen oder
ihre Gespräche einzustellen.
Wir können jetzt die Abstimmungen fortsetzen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/10890? - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/10829? - Wer ist da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Linken ebenfalls abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Keine deutsche Beteiligung an der
Operation Enduring Freedom in Afghanistan“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/7908, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/6098 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke.
Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Keine deutschen Soldaten für
eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stellen -
1) Anlage 5
2) Ergebnis Seite 20044 C
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/9710, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/7890 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf:
a) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der deutschen Einheit 2008
- Drucksache 16/10454 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({1})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Klaas
Hübner, Andrea Wicklein, Ernst Bahr ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2007
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Joachim Günther ({3}), Jan Mücke,
Horst Friedrich ({4}), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2007
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der deutschen Einheit 2007
- Drucksachen 16/7015, 16/7014, 16/6500,
16/8865 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Weis
Jan Mücke
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({5}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann,
Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Erhöhung von Transparenz und Zielgenauigkeit des Mitteleinsatzes für die ostdeutschen
Bundesländer
- Drucksachen 16/7567, 16/9120 Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Günther ({6})
Zum Jahresbericht 2008 liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie
ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und zwei Entschließungsanträge der
Fraktion DIE LINKE vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für
die Bundesregierung Herrn Bundesminister Wolfgang
Tiefensee.
({7})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren über den Bericht zum Stand der
deutschen Einheit am 13. November, vier Tage nach
dem 9. November 2008. Ich bin jetzt mittlerweile fast
19 Jahre im politischen Geschäft - in ganz unterschiedlichen verantwortungsvollen Funktionen, ausgehend vom
runden Tisch der Stadt Leipzig, an dem ich im
März 1990 Platz genommen habe.
Es erfüllt mich mit Blick auf den 9. Oktober, auf den
9. November oder auf den 3. Oktober immer wieder mit
Stolz, dass wir konstatieren können, dass unser Land
zusammengewachsen ist. Der Aufbau Ost hat an Fahrt
gewonnen. Wir können mit großem Respekt vor der Lebensleistung insbesondere derjenigen, die in Ostdeutschland leben, feststellen, dass wir sehr gut vorankommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paar
einfache Wahrheiten am Anfang. Wenn wir in den
Jahren 2009 und 2010 die großen Jubiläen vor uns haben, dann bleibt daran zu erinnern, dass es die Menschen
in der ehemaligen DDR, die Menschen in Ostdeutschland gewesen sind, die die deutsche Einheit möglich geBundesminister Wolfgang Tiefensee
macht haben. Wir können mit Stolz und Respekt vor dieser Leistung diese Jubiläen begehen.
({0})
Niemand in diesem Hause rüttelt am Solidarpakt II.
Das ist das große Versprechen der Solidarität.
156 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, um den Angleichungsprozess zu beschleunigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie
den Bericht aufschlagen, dann werden Sie eine Fülle von
Datenmaterial vorfinden. So wäre es für mich relativ
einfach, jetzt wieder den Ost-West-Vergleich zu zitieren,
das Bruttoinlandsprodukt zu vergleichen, aber auch
- negativ - die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit. Ich
möchte aber in diesem Jahr einen neuen Akzent setzen
und Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt lenken. Wir dürfen die deutsche Einheit nicht immer nur an
diesen Vergleichszahlen messen. Damit würden wir nur
immer wieder auf die Frage zielen, ob Ostdeutschland
schon in jedem einzelnen Bereich so weit ist wie die alten Bundesländer oder Westeuropa. Wir brauchen eine
andere Betrachtungsweise. Diese haben wir erstmals in
diesem Bericht zum Stand der deutschen Einheit niedergelegt.
Wir stehen in Ostdeutschland vor Herausforderungen,
vor denen gleichermaßen ganz Deutschland steht. Diesen Herausforderungen wollen wir mit ostdeutschen
Antworten begegnen. Dabei geht es um folgende
Punkte:
Erstens. Wir müssen deutlich machen, dass ausgehend von Ostdeutschland eine Innovationskraft in der
Wirtschaft wächst, die für ganz Deutschland gut ist.
Zweitens. Ostdeutschland muss in der Lage sein, die
großen sozialen Spannungen, die es überall in unserem
Land gibt - insbesondere was die Arbeitslosigkeit betrifft -, zu meistern.
Drittens. Wir stehen vor immensen demografischen
Problemen. Es gilt, in Ostdeutschland für Gesamtdeutschland die Antworten auf diese Probleme zu finden.
Viertens. Ostdeutschland steht für eine intensive
Kooperation zwischen Deutschland und den neuen EUMitgliedstaaten. Ostdeutschland rennt also nicht Westeuropa hechelnd hinterher, Ostdeutschland versucht
nicht, etwas zu kopieren, was andere Bundesländer irgendwann vorgemacht haben, sondern Ostdeutschland
hat die Antworten, um ganz Deutschland innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft voranzubringen.
Ich gehe zunächst auf den Bereich der Wirtschaft ein.
Wir haben eine hervorragende Entwicklung im industriellen Sektor bei den erneuerbaren Energien.
({1})
Wir stärken diese Entwicklung, indem wir die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Investitionszulage fortsetzen, indem wir die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe jetzt noch einmal aufstocken und indem wir im
Rahmen des Maßnahmenpakets der Bundesregierung,
das wir dem Bundestag und dem Bundesrat vorschlagen,
noch einmal Investitionsmittel aufstocken, was insbesondere Ostdeutschland zugute kommt. Das ist heute die
positive Nachricht.
({2})
Darüber hinaus investieren wir in Forschung und Entwicklung. Wir brauchen in der Industrie und im Mittelstand mehr Forschungs- und Entwicklungskapazitäten.
Programme wie Inno-Watt und Inno-Regio, Innovationswettbewerbe wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ sowie
das Bemühen um externe Forschungs-GmbHs führen
dazu, dass wir bestehende Defizite beheben. Wenn wir in
die Arbeitsplätze und in die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands investieren, dann betreiben wir nachhaltigen Aufbau Ost. Die Bundesregierung steht dafür.
In Richtung der Linken sei es noch einmal gesagt:
Wer diese wirtschaftliche Entwicklung konterkariert, indem er immer wieder nur schwarzmalt, wird die Kräfte,
die wir in Ostdeutschland brauchen, nicht wecken, sondern erdrücken. Deshalb müssen wir eine Politik machen, die die Kräfte in Ostdeutschland stärkt.
Ich komme zu einem weiteren Thema. Es geht darum,
die Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen
und die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, die immer
noch doppelt so hoch ist wie in Westdeutschland, abzubauen. Es gab noch nie so wenige Arbeitslose wie im
Oktober 2008. Das ist die gute Nachricht. Aber immer
noch gibt es eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit,
der wir zum Beispiel mit unserem Programm „Kommunal-Kombi“ begegnen. Wir kombinieren Gelder der
Bundesregierung, der Länder und des Europäischen Sozialfonds. Mein Appell an die Länder ist: Tun Sie mehr
in dieser Richtung!
Wir müssen uns aber auch den demografischen Herausforderungen stellen. Mit unseren Programmen
„Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ sorgen wir dafür,
dass Wohnungen vom Markt genommen werden und dadurch Wohnungsunternehmen stabilisiert werden.
Gleichzeitig werten wir dadurch die Innenstädte und die
innenstadtnahen Räume auf. Das sind Stadtentwicklungspolitik und Sozialpolitik par excellence. Wir kombinieren das mit unserem CO2-Gebäudesanierungsprogramm.
({3})
Licht und Schatten liegen nach wie vor dicht beieinander. Lassen Sie uns auf der Basis dieses Berichtes
den Herausforderungen, vor denen ganz Deutschland
steht, mit den ostdeutschen Antworten, mit unserer speziellen Erfahrung und mit unserer Motivation begegnen.
Meine Damen und Herren, der Osten ist auf gutem
Wege. Wir werden auch die nächste Distanz gut zurücklegen - mit vereinten Kräften, vor allen Dingen aber
auch mit der Kraft der Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland und mit einer großen Solidarität, die keine
Himmelsrichtungen kennt.
Vielen Dank.
({4})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, würde
ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekanntgeben: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt
428, mit Nein haben gestimmt 130. 8 Kolleginnen und
Kollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung und damit der Antrag der Bundesregierung sind
also angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 428
nein: 130
enthalten: 8
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({5})
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({9})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({11})
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({14})
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({21})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
SPD
Gerd Andres
Niels Annen
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({25})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Günter Gloser
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann ({28})
Eike Hovermann
Christel Humme
Johannes Jung ({29})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Waltraud Lehn
Lothar Mark
Caren Marks
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({32})
Michael Müller ({33})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({36})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({37})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({38})
Silvia Schmidt ({39})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({40})
Carsten Schneider ({41})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({42})
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Jörg Vogelsänger
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({43})
Dr. Rainer Wend
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({44})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({45})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({46})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({47})
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Birgit Homburger
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Michael Link ({48})
Markus Löning
Dr. Erwin Lotter
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({49})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({50})
Nein
CDU/CSU
({51})
Dr. Peter Gauweiler
Willy Wimmer ({52})
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Klaus Barthel
Dr. Axel Berg
Lothar Binding ({53})
Clemens Bollen
Marco Bülow
Dr. Peter Danckert
Renate Gradistanac
Dr. Reinhold Hemker
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({54})
Christian Kleiminger
Helga Lopez
Hilde Mattheis
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Sönke Rix
Swen Schulz ({55})
Wolfgang Spanier
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
FDP
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Jan Korte
Oskar Lafontaine
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({56})
Volker Schneider
({57})
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck ({58})
Volker Beck ({59})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz ({60})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({61})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({62})
Omid Nouripour
Claudia Roth ({63})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
SPD
Iris Hoffmann ({64})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
FDP
Michael Kauch
Nun hat als nächster Redner das Wort der Kollege
Joachim Günther für die FDP-Fraktion.
({65})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute zum wiederholten Male über
den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit.
Auch nach 19 Jahren halte ich es für etwas tragisch, dass
darüber immer am späten Nachmittag debattiert wird.
({0})
Ich glaube, die deutsche Einheit hätte einen besseren
Zeitpunkt verdient, als das jetzt der Fall ist.
({1})
Wir haben wieder einen Bericht vorliegen, der eine
Fleißaufgabe der Bundesregierung darstellt; das ist unumstritten, Herr Minister. Wir haben einen Bericht vorliegen, in dem einige Fakten klar aufgelistet werden.
Die Menschen wollen aber nicht nur die Vorlage eines
Berichts. Sie wollen im Endeffekt aus den Ergebnissen
dieses Berichts ein Handeln abgeleitet haben. Dieses
Handeln merken sie im tagtäglichen Leben. Wir werden
noch so lange über einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit sprechen, solange es unterschiedliche
Lohn- und Rentenberechnungen gibt, solange es unterschiedliche Beitragssätze und unterschiedliche Beitragsbemessungsgrenzen gibt. Das sind Dinge, die die Menschen täglich spüren. Die müssen wir auflösen. Deshalb
hatte ich, ehrlich gesagt, das Gefühl: Sie haben hier zwar
ein hervorragendes Grußwort gehalten, aber auf die Fakten keine Antwort gegeben.
({2})
Das müssen wir meines Erachtens ändern.
Lassen Sie mich zum Jahresbericht zum Stand der
deutschen Einheit kommen. Es wurden wirklich alle Felder aufgenommen: von der Wirtschafts- bis zur Jugendpolitik; ich will nicht jeden Punkt aufführen. Absolut betrachtet - auch Sie haben das gesagt - geht es auf dem
Arbeitsmarkt im Osten aufwärts; das bestreitet niemand.
Aber der Beseitigung des Phänomens, das wir seit Jahren haben, nämlich dass die Arbeitslosigkeit, betrachtet
man Gesamtdeutschland, im Osten doppelt so hoch ist,
sind wir leider keinen Schritt nähergekommen.
Joachim Günther ({3})
Das gilt auch für das Wirtschaftswachstum. Sie haben
zwar gesagt, man solle dies nicht immer in Zahlen ausdrücken. Man muss so etwas aber in Zahlen ausdrücken.
({4})
Nehmen wir das Bruttoinlandsprodukt: Es ist seit 1995
in Westdeutschland um 16,9 Prozent und im Osten nur
um 16,3 Prozent gestiegen. Das bedeutet, die Schere ist
selbst statistisch betrachtet nicht enger geworden. Das
muss uns in dieser Zeit wachrütteln.
Das bedeutet, dass es ein gemeinsames Engagement
von Bund, Ländern und Kommunen geben muss. Das
bedeutet, dass es nicht immer nur darum geht, mehr Mittel zu fordern. Das wollen wir nicht. Es ist das Anliegen
der Linken, ständig mehr Geld zu fordern, ohne zu sagen, woher es kommen soll. Meines Erachtens ist es aber
sehr wichtig, das zur Verfügung stehende Geld zu koordinieren und in die richtigen Bahnen zu lenken, dorthin, wo es die größten Effekte hat.
({5})
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in funktionierende Wohnungsmärkte, lebenswerte Städte - all das
sind Dinge, die die Standortbedingungen in Ostdeutschland erhalten und ausbauen können. Die Menschen wollen das. Sie wissen, dass viel getan wurde; das streitet
niemand ab. Aber es muss weitergehen; sonst setzt sich
die Abwanderung aus dem Osten Deutschlands fort. Dabei müssen in der heutigen Situation Infrastrukturinvestitionen als Konjunkturprogramm gesehen werden und
einen besonderen Vorrang erhalten.
Ich finde es auch gut, dass Sie den Investitionsanteil
im Bau- und Verkehrshaushalt erhöht haben. Das ist
zweifelsohne richtig. Bloß, wer die Zahlen genauer betrachtet - dies jetzt zu tun, würde zu weit führen -, wird
sehen, dass mit dieser Erhöhung noch nicht einmal die
Inflationsrate und der Preisanstieg ausgeglichen wurden.
Wir bauen also in der Relation weniger als 1998.
({6})
Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen: Als ehemaliger OB von Leipzig kennen Sie sicherlich die A 72. Sie
sollte zur Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig sein.
Heute reden wir über den letzten Planungsabschnitt. Sie
kennen sicher die - scherzhaft gesagt - schnellste Eisenbahnverbindung Deutschlands von Dresden nach Berlin.
Auf dieser Strecke sind wir vor 80 Jahren schneller gefahren, als das heute der Fall ist. Da müsste man sich
einmal etwas einfallen lassen.
({7})
Als ich gestern sächsische Zeitungen gelesen habe,
habe ich gedacht, Sie haben die Koalition gekündigt. Zumindest kommt es einem so vor. Die Große Koalition
gibt es ja in Dresden und hier. Der Kollege Kretschmer
- ich sehe ihn jetzt nicht - hat gesagt: Wir wollen die
Bauanträge sofort schreiben. Wir wollen noch in diesem
Jahr damit beginnen. Die ersten Bagger müssen rollen. Der Herr Minister hat darauf geantwortet - in gewisser
Hinsicht kann ich das sogar verstehen -: Was der da
treibt, ist unsachlich und billige Polemik. - Ich habe einen Vorschlag: Sie bilden eine Koalition. Setzen Sie sich
zusammen und reden Sie darüber. Sagen Sie den Menschen, wo es hingehen soll.
({8})
Herr Tiefensee, es gibt aber auch Projekte, die mit
überschaubaren Mitteln sofort eine ganze Region weiterentwickeln können. Ich möchte hier die durchgehende
Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale nennen. Das ist ein Projekt, das die Freistaaten Sachsen und
Bayern vorangetrieben haben. Alle Voruntersuchungen
sind abgeschlossen. Es geht nur noch um das Unterwerk
für Energieeinspeisung in Hof. Das ist das Einzige, was
bei diesem immensen Bauabschnitt noch offen ist. Sie
sagen, es gibt neue Investitionen in die Infrastruktur.
Hier geht es um 30 Millionen. Durchschlagen Sie diesen
Knoten. Fangen Sie an dieser Stelle an. Es kann sofort
losgehen mit Investitionen, die den Menschen in der Region nützen und Arbeitsplätze schaffen.
({9})
Ein Wort zur Städtebauförderung. Der Stadtumbau
Ost ist eine wichtige Voraussetzung, um wirtschaftliche
Kerne in einer Region aufzubauen. Die Städte haben in
letzter Zeit zum Teil eine gute Entwicklung genommen.
Nach wie vor gibt es aber 1 Million Wohnungen im Osten, die leer stehen. Das ist etwas, was der Attraktivität
schadet. Das Programm Stadtumbau Ost ist eindeutig ein
hervorragendes Programm und schafft gute Ansätze. Zu
dem, was gut ist, muss man stehen. Unsere Aufgabe
wird es sein, die Attraktivität der Städte im Osten weiter
zu steigern. Es muss nach einer geschickten Verbindung
zwischen Rückbau und Stadtentwicklung gesucht werden. Wenn man diese Synthese findet, werden hoffentlich nicht mehr so viele alte Häuser, die ein Stadtbild
prägen, abgerissen, dann werden diese alten Häuser hoffentlich stärker integriert. Dann muss man eben am
Stadtrand zurückbauen. Weitere Wohnungen auf grünen
Flächen brauchen wir nicht. Davon haben wir im Moment genügend.
Als Beispiel ist in diesem Zusammenhang das
Schloss Osterstein in Zwickau zu nennen. Hier hat man
etwas geschaffen, was Stadtentwicklungs- und Stadtfördermittel verdient. Ein Renaissanceschloss, das dem
Verfall preisgegeben war, aber für Sachsen in architektonischer Hinsicht wertvoll ist, wurde umgebaut. In den
oberen Etagen befindet sich ein Pflegeheim, und in den
unteren Etagen gibt es Gemeinschaftsräume, Restaurants, Arztpraxen und Ähnliches. Das heißt, mitten in
der Stadt ist aus einer Ruine ein Begegnungszentrum
entstanden. Das ist ein gutes Beispiel für richtige Stadtentwicklung.
({10})
Gestatten Sie mir zum Schluss zwei Bemerkungen:
Über die Anträge der CDU/CSU werden wir im Ausschuss beraten. Der Antrag der Grünen enthält Geldforderungen. Es muss in der gegenwärtigen Situation vielleicht nicht sein, lieber Peter Hettlich, dass noch mehr
Geld gefordert wird. Deswegen werden wir uns enthalten oder den Antrag ablehnen.
Joachim Günther ({11})
Eines erscheint mir ziemlich kurios. In der Leipziger
Volkszeitung habe ich gestern gelesen, dass die Herren
Weißgerber, Fornahl und Vaatz - das sind ja nicht irgendwelche in der Fraktion - mit ihrem Anliegen gescheitert
seien, die Gestaltung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals auf die Tagesordnung des Kulturausschusses zu setzen. Damit bleibt Leipzig praktisch vor der Tür. Ich halte
das 19 Jahre nach der Wende für ein fatales Zeichen. Wir
reden stets über riesige Kosten der deutschen Einheit
und darüber, wie die Anpassung vorangehen soll. Ich
bitte Sie, dabei nicht die Menschen zu vergessen, die die
deutsche Einheit möglich gemacht haben. Dazu zählen
die Menschen in Leipzig. Geben Sie sich einen Ruck.
Ich glaube, gemeinsam können wir einiges erreichen.
Danke schön.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Vogel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche
Einheit ist volljährig. Volljährigkeit bedeutet Eigenverantwortung, selbstständiges Handeln, Chancen erkennen
und Chancen nutzen. Genau das tun die Ostdeutschen
seit 1990 immer besser. Ich denke, das ist die gemeinsame Quintessenz, die wir aus dem diesjährigen Bericht
zum Stand der deutschen Einheit entnehmen können.
18 Jahre Einheit heißt auch 18 Jahre Abstand von einem durch die SED ruinierten Staat. Das Schild und
Schwert dieser Partei, das Ministerium für Staatssicherheit, kontrollierte alle Teile des täglichen Lebens im Osten und vielleicht auch ein bisschen im Westen. Die katastrophale Lage wurde bis zuletzt verheimlicht und wird
leider auch heute noch von manchen Schönfärbern verharmlost. Millionen Menschen sind über die Jahre geflohen, die Wirtschaft war am Boden, der Staat war hoffnungslos verschuldet, die Rentenkassen waren leer und
eine Absenkung des ohnehin bescheidenen Lebensstandards um mindestens 25 Prozent unabwendbar. Das ist
nicht in der Bild-Zeitung nachzulesen, sondern in einer
Politbürovorlage, die „Analyse der ökonomischen Lage
der DDR mit Schlussfolgerungen“ heißt. Sie war von der
Staatlichen Plankommission in Auftrag gegeben worden.
Das allein ist sicherlich schon schlimm. Aber für
mein Empfinden ist es noch schlimmer, wie das SEDRegime mit den Kritikern, mit den Andersdenkenden im
Land umgegangen ist. Es ist aus heutiger Sicht unbeschreiblich, was den eigenen Landsleuten von der Stasi,
vom Schild und Schwert der SED, auf Befehl dieser Parteiführung angetan wurde. Zum großen Glück gibt es die
Stasi heute nicht mehr. Alle Demokraten in diesem Haus
- ich denke, da sind wir uns einig - begrüßen die Rente
für SED-Opfer, ein Vorhaben, das von der Großen Koalition zum Abschluss gebracht worden ist, wenngleich wir
alle wissen, dass es am Ende nur eine symbolische Geste
für diejenigen ist, die großes Leid erfahren haben, und
dass wir das große Leid damit nicht tatsächlich entschädigen können.
({0})
Es ist und bleibt eine Verpflichtung für uns, die Aufarbeitung unserer jüngeren Geschichte voranzutreiben und
dabei ganz besonders bei allen Gelegenheiten das Gedenken der Opfer in besonderer Art und Weise hervorzuheben.
Der Osten in unserem Land hat in den letzten Jahren
in allen gesellschaftlichen Bereichen enorme Umstrukturierungen durchgemacht. Dazu gehört natürlich auch der
große Bereich der Infrastruktur. Mobilität ist Freiheit, Infrastruktur verbindet Menschen und sorgt für wirtschaftlichen Aufschwung. Die Verkehrsprojekte „Deutsche
Einheit“ waren Anfang der 90er-Jahre eine richtige Entscheidung. Alle Projekte sind entweder abgeschlossen
oder befinden sich im Bau. Es kommt darauf an, diejenigen, die noch im Bau sind, zielstrebig und planmäßig
zum Abschluss zu bringen.
({1})
Dazu gehören die ICE-Strecke der VDE 8.1 und 8.2
ebenso wie die Lückenschlüsse auf der A 9 zwischen
Bayern und Thüringen oder auf der A 4 von Sachsen in
Richtung Hessen. Ich weise ganz bewusst darauf hin,
dass diese Projekte nicht nur den ostdeutschen Bundesländern dienen, sondern auch entscheidend für die infrastrukturelle Entwicklung in der gesamten Bundesrepublik sind.
({2})
Ein anderer Aspekt spielt dabei noch eine wesentliche
Rolle. All diese wichtigen Fernverbindungen sind auch
Teil der transeuropäischen Netze. Deswegen nenne ich
diese Projekte auch bewusst Teile der „Verkehrsprojekte
Europäische Einheit“. Neue Korridore - auch durch Ostdeutschland - von großer europäischer Bedeutung kommen auf uns zu. Ich nenne den Viermeereskorridor, aber
auch Hinterlandanbindungen der Häfen in Deutschland
in Richtung Süden und Südosten, die in den nächsten
Jahren und Jahrzehnten eine entscheidende Rolle spielen.
Infrastrukturmaßnahmen sind natürlich nur ein Mosaikstein zur Beherrschung der demografischen Entwicklung, die uns im Osten ganz besonders zu schaffen
macht. Nach meiner Einschätzung wird es in den nächsten 30 Jahren besonders schwierig. Deswegen ist es unsere Aufgabe, diesen Trend langfristig umzukehren und
die Durststrecke bis dahin mit geeigneten Maßnahmen
abzufedern.
Dafür haben wir heute schon geeignete Mittel, zum
Beispiel und vor allen Dingen im Bereich der Stadtentwicklung. Das Programm Stadtumbau Ost ist ein Erfolg.
Deswegen wird es unser Ziel sein, dieses Programm
über 2009 hinaus fortzuschreiben. Wir werden es besser
mit anderen Programmen in diesem Bereich verzahnen.
Wir müssen für Flexibilität bei der Anwendung der Mittel sorgen: auf der einen Seite Abriss, auf der anderen
Seite Aufwertung. Wir müssen eine stärkere Fokussierung auf die Innenstädte entwickeln und dies mit einem
geeigneten Denkmalschutz kombinieren, aber vor allen
Dingen mit der Stadtkernerhaltung und der Verbesserung
der Attraktivität der Innenstädte. Flankierende Maßnahmen sind dabei ausgesprochen wichtig. So kann ich mir
für die Bewältigung dieser auch in finanzieller Hinsicht
schwierigen Aufgabe durchaus vorstellen, dass wir mit
einer Investitionszulage und neu überdachten Sonderabschreibungen einiges mehr erreichen können.
Eines liegt mir noch ganz besonders am Herzen; das
ist der ländliche Raum. Eine starke Stadt-Umland-Beziehung sorgt für Stabilität auch in Krisenzeiten. Starke
landwirtschaftliche Betriebe sorgen für attraktive Arbeitsplätze; sie sind besonders in den strukturell schwachen Gebieten in allen Teilen der Bundesrepublik notwendig, natürlich auch im Osten. Für uns steht fest: Wir
halten an dem Ziel der Umsetzung des Solidarpakts bis
2019 fest. Dafür setzen wir uns ein und werden Vereinbarungen zu einer Verstetigung der GA-Mittel treffen.
Dabei kommt es darauf an, dass man für Transparenz
beim Mitteleinsatz sorgt und dass eine Zielorientierung
vorgegeben wird, ohne Gefahr zu laufen, dass die Fläche
dabei verödet.
Die so oft gescholtene Gießkanne muss man differenziert betrachten. Die Gießkanne statt des Gartenschlauches sorgt richtig eingesetzt aus meiner Sicht für Wachstum und blühende Flächen. Die Alternative heißt Wüste
mit Oasen. Wüsten sind aus meiner Sicht etwas für Kamele, aber nicht für verantwortungsvolle Politiker. Deshalb - auch das ist ein Ergebnis des Aufbaus Ost in den
vergangenen Jahren - sprechen wir zum Beispiel heute
in Mikrofone, die aus Gefell im Vogtland kommen, deswegen baut Opel in Eisenach im Wartburgkreis Fahrzeuge, deswegen gibt es einen Airbuszulieferer im Altenburger Land, und deswegen können wir heute über
Arbeitslosenquoten von 10 Prozent reden. Das ist ein Erfolg des Aufbaus Ost und vor allen Dingen ein Erfolg
der Union, die sich immer dafür eingesetzt hat.
({3})
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit?
Am Ende bleibt mir nur noch zu sagen: Ich freue
mich auf eine interessante Diskussion in den Ausschüssen. Ich bin mir sicher, die Menschen in Ostdeutschland,
die ostdeutschen Bundesländer, gehen selbstbewusst ihren Weg in unserem vereinten Vaterland, auch wenn das
einigen Ewiggestrigen nicht passt. Das kann uns egal
sein. Es geht um unser Vaterland, um die Weiterentwicklung aller Regionen.
Danke schön.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit soll Antwort auf die Frage geben, wie viel Einheit
zwischen Ost und West hergestellt ist. Es ist die einzige
Debatte im Deutschen Bundestag, die fast ausschließlich
von ostdeutschen Abgeordneten geführt wird.
({0})
Das sagt auch einiges über die Kultur der Einheit und
den Zustand, den wir erreicht haben.
Warum müssen wir eigentlich immer noch über den
Osten reden? Zunächst sei Folgendes klargestellt: Selbstverständlich, Herr Bundesminister Tiefensee, freut sich
auch die Fraktion Die Linke über jeden wirklichen
Schritt nach vorn. Es war bekanntlich unsere Fraktion,
die Ihnen vorgeschlagen hat, der aufgrund der Finanzkrise drohenden Krise der Realwirtschaft mit einem
Konjunkturprogramm zu begegnen. Jetzt haben Sie ein
solches Programm aufgelegt, dürfen es aber nicht „Konjunkturprogramm“ nennen.
({1})
Wenn Sie uns aber absprechen, dass wir uns über Fortschritte freuen, muss ich Ihnen ausdrücklich widersprechen.
({2})
Die Fakten kann man nicht leugnen. Wenn man einen
Vergleich aller Landkreise der Bundesrepublik vornimmt und sich das Ende der Liste anschaut, stellt man
fest, dass sich unter den 50 letztplatzierten Landkreisen
49 ostdeutsche Landkreise befinden.
Ein anderer Fakt: Addiert man die Leistungskraft der
100 größten ostdeutschen Unternehmen, kommt man
noch nicht einmal auf die Hälfte der Leistungskraft des
Daimler-Konzerns. Deshalb sind wir der Meinung: Wir
haben in Deutschland viele Probleme. Dazu gehört nach
wie vor das Problem der Ost-West-Teilung.
Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorlegt, ist
bemerkenswert problembewusst. Wenn man allerdings
nach Schlussfolgerungen und nach Konsequenzen für
die Politik der Bundesregierung sucht, stellt man fest:
Fehlanzeige. Deshalb muss man mit aller Deutlichkeit
sagen: Sie sind mit Ihrer Unlogik, den Aufbau Ost ausschließlich als Nachbau West zu gestalten, und zwar
nach dem Motto „Wie im Westen, so auf Erden!“, gescheitert. Das ist keine Basis für eine zukunftsfähige
Entwicklung.
({3})
Man kann diese Frage auch einmal andersherum stellen: Was kann der Westen vom Osten lernen? Ich möchte
einige wenige Punkte aufzählen. Er kann lernen, der
Krise in schwierigen Situationen in die Augen zu sehen
und besonnen zu handeln. Er kann lernen, keine Angst
vor Systemfragen zu haben. Ich bin mir ganz sicher, dass
der Osten bei der Bewältigung der aktuellen Krise ganz
eindeutig einen Kompetenzvorsprung hat.
Die Abgeordneten der Koalition haben sich fürchterlich beklagt, als Umfrageergebnisse bekannt wurden,
nach denen nur noch 31 Prozent der Ostdeutschen Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft haben. Aber die
Schlussfolgerung, die Sie daraus gezogen haben und die
Sie uns politisch anbieten - darauf zu warten, dass die
internationalen Finanzmärkte eines Tages wieder so
funktionieren, wie sie einmal funktioniert haben -, ist
völlig falsch. An dieser Stelle können Sie vom Osten in
der Tat neues Denken lernen. Das halten wir auch für
dringend geboten.
({4})
Außerdem kann man vom Osten lernen, Transformationserfahrungen einzubringen, will heißen: erfolgreiches Handeln unter völlig neuen gesellschaftlichen Situationen.
Nur zwei Beispiele:
Die erfolgreiche Einführung erneuerbarer Energien,
beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, bedeutet natürlich auch eine gesellschaftspolitische Umwälzung; denn es muss gegen Bewährtes und Altes vorgegangen werden. Das ist im Osten beispielhaft
gelungen.
Ein anderes Beispiel ist die Etablierung und Ausbreitung erfolgreich wirkender Sparkassen. Dies ist ein gutes
Beispiel für eine gelungene Ost-West-Einigung. Deshalb
sagen wir: Sparkassen sind in Europa kein Auslauf-,
sondern ein Zukunftsmodell,
({5})
das wir uns durchaus auch als Ratgeber bei der Neuorganisation der Stromnetze vorstellen können.
Vom Osten kann man lernen, neue Wege zu gehen.
Nur ein Beispiel: Viele, auch ostdeutsche Unternehmen
klagen inzwischen über den drohenden oder schon anzutreffenden Fachkräftemangel. Sie haben die Hoffnung
aufgegeben, Löhne oder Gehälter wie im Westen zahlen
zu können. Sie haben sich allerdings selbst geholfen, und
zwar mit einer typischen Erfahrung aus dem Osten. Sie
haben Betriebskindergärten installiert, sodass die Arbeitnehmer ideale Bedingungen vorfinden. Das ist ein Aspekt, der unserer Meinung nach viel stärker als bisher
berücksichtigt werden sollte.
({6})
Über Ostdeutschland zu reden, heißt nach wie vor
aber auch, Diskriminierungen zu überwinden. Als wir
dieser Tage eine breite Diskussion über die Angleichung
von Ost- und Westrenten geführt haben, warnte der sächsische Ministerpräsident Tillich tatsächlich 18 Jahre
nach der deutschen Einheit vor überhasteten Schritten.
Ich frage Sie: Wo leben wir denn? Die Hoffnung der
Ostdeutschen auf eine Angleichung von Ost- und
Westrenten hat die Bundesregierung am Tag der Deutschen Einheit enttäuscht.
({7})
Die Bundeskanzlerin antwortete den Ostdeutschen lediglich mit der Formel: Die Höhe der Renten wird nicht sinken. Ich muss Ihnen sagen: Damit haben Sie die Erwartungen der Ostdeutschen nicht erfüllt.
({8})
Wir haben heute schon viel über die Bahn debattiert.
Dass der Osten durch die am 14. Dezember 2008 erfolgenden Preiserhöhungen stärker als das gesamte restliche Bundesgebiet getroffen wird, halten wir ebenfalls
für eine nicht hinzunehmende Diskriminierung.
({9})
Wir stellen die Frage: Warum ist die Bundesregierung
eigentlich so reformunfähig, und warum gibt es im Westen so viel Beharrung? Ich glaube, das liegt auch daran,
dass viele in den alten Bundesländern die deutsche Einheit nicht als einen Zugewinn in ihrem Lebensalltag erfahren konnten. Nehmen wir dieses einfache Beispiel:
Es gibt im Westen Arbeit und keine Kinderbetreuungseinrichtungen, im Osten gibt es Kitas und keine Arbeit.
({10})
Man muss an dieser Stelle doch einmal die Erwartung an
die Politik ausdrücken dürfen, das jetzt einmal zusammenzubringen.
({11})
Wir geben uns auch nicht damit zufrieden, dass noch
immer 54 Prozent der Beschäftigten der Bundesregierung in Bonn tätig sind. Ich sage es Ihnen gleich: Alle im
Bonn-Berlin-Gesetz fixierten Ziele für die Bundesstadt
Bonn sind mit der Jahrtausendwende erreicht worden.
({12})
Da Sie unsere entsprechenden Anträge seit Monaten im
Haushaltsausschuss blockieren, legen wir Ihnen heute
den Antrag „Wiedervereinigung der Bundesregierung in
Berlin“ vor. Das ist eine angemessene Aufgabe.
({13})
Die Linke wird deshalb im Westen und im Osten und
immer wieder auch in diesem Parlament für die Angleichung der Lebensverhältnisse aller Bürger dieser Republik eintreten. Deshalb gilt: Ohne eine starke Linke
keine wirkliche deutsche Einheit.
Vielen Dank.
({14})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der Kollege Peter Hettlich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde, dass das
bis jetzt eine ausgesprochen müde Debatte ist. Das hat
vielleicht etwas damit zu tun, dass wir heute Nachmittag
schon eine etwas längere und erhitzte Debatte über den
gleichen Minister geführt haben, der auch für den Aufbau Ost zuständig ist. Es kann sein, dass die Energien etwas verbraucht sind.
Ich weise darauf hin, dass dies heute die letzte Debatte ist, die wir in dieser Legislaturperiode zum Stand
der deutschen Einheit führen.
({0})
Insofern kann ich meinem Kollegen Joachim Günther
nur ausdrücklich recht geben: Es ist außerordentlich
schwach, dass wir diese Debatte hier nachmittags um
16 Uhr und nicht morgens zur Primetime führen. Das
wäre diesem Thema absolut angemessen.
({1})
Ich kann dazu nur sagen, dass wir uns hier einmal einen
Ruck geben müssen.
({2})
Ich spreche zu diesem Thema hier vorne jetzt schon
zum sechsten oder siebten Mal und habe natürlich alle
Berichte zum Stand der deutschen Einheit sehr aufmerksam gelesen. Wenn man sich einmal die Berichte dieser
Legislaturperiode anschaut, dann muss man sagen: Der
Bericht über das Jahr 2005 aus dem Jahre 2006 war
wirklich positiv, weil er eine sehr ehrliche und relativ
schonungslose Analyse der Situation in Ostdeutschland
enthielt. Der Bericht aus dem Jahre 2007 fiel schon wieder in alte Stereotype zurück: viel erreicht, der Aufholprozess gewinnt an Fahrt, die Schere schließt sich.
Wir haben uns damals gefragt, wie sich bei einem Unterschied von 0,3 Prozent beim Wirtschaftswachstum
zwischen Ost und West eine Schere schließen kann.
Joachim Günther hat eben auch noch einmal darauf hingewiesen, dass sich bei Betrachtung eines längeren Zeitraums ganz deutlich zeigt, dass es beim Aufholprozess
seit etwa 12, 13 Jahren eine Stagnation gibt. Dabei kann
man doch nicht von einer sich schließenden Schere sprechen.
Dieses Jahr gibt es eigentlich wieder einen Rückfall
in das Jahr 2006. Es werden die industriellen Stärken
und die strukturellen Defizite beschrieben. Wir sind eigentlich wieder dort, wo wir schon vor drei Jahren waren, aber es werden keine Rückschlüsse aus der guten
Analyse gezogen. Das genau ist das Dilemma nicht nur
dieser Großen Koalition, sondern auch des Ministers und
seines Ministeriums. Hier erwarte ich einfach mehr. An
dieser Stelle erwarten auch die Leute von uns ehrliche
Analysen mit ehrlichen und vor allen Dingen auch nachvollziehbaren Lösungsvorschlägen mit der entsprechenden Diskussion.
({3})
Ich will das nicht immer wiederholen, weil die Zusammenlegung der Debattentage mit den Jahrestagen
9. November und 9. Oktober natürlich immer wieder beschworen wird: Die Lebensleistung der Ostdeutschen ist,
das ist keine Frage, überragend - jeden Tag und auch in
schwierigen Situationen. Das muss man auch immer
wieder sagen.
Ich erinnere daran, dass wir letztes Jahr hier eine gewaltige Debatte über das Einheitsdenkmal geführt haben. Ich stelle jetzt fest, dass ich vom Minister und auch
aus den Reihen der Koalition nichts dazu höre. Was ist
denn jetzt eigentlich mit dem Einheitsdenkmal? Wenn
ich der Presse jetzt einmal wirklich glauben kann, dann
schaffen Sie es in dieser Legislaturperiode offensichtlich
nicht einmal, dass das Einheitsdenkmal zum 20. Jahrestag im nächsten Jahr steht. Das ist wirklich ein Armutszeugnis.
An meine Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig gerichtet, die heute nicht anwesend sind, kann ich nur sagen: Vermutlich werden es die Leipziger wieder selbst in
die Hand nehmen müssen und sich selbst ein Denkmal
bauen müssen. Ich glaube nicht, dass die Große Koalition in der Lage sein wird, uns an dieser Stelle etwas
Positives zu liefern.
({4})
Es gibt viele Themen. Wir werden heute Abend noch
eine Debatte zum Investitionszulagengesetz führen. Darauf werde ich noch eingehen.
Es ist interessant, wenn man Revue passieren lässt,
was die CDU/CSU und die SPD im letzten Jahr zum
Aufbau Ost beigetragen haben. Da hat man sich über die
CDU/CSU schon arg gewundert. Ich erinnere beispielsweise an den Ost-Kongress in Dresden. Interessanterweise hat noch niemand in irgendeiner Weise darauf
Bezug genommen, was ihr damals dort verzapft habt
- vielleicht gehen die nächsten Redner noch darauf ein und was ihr auch groß diskutiert und verkündet habt.
Selbst der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt
hat dazu gesagt, dass man so keine Diskussion Ost führen kann.
Insofern erwarte ich von Ihnen auch an der Stelle etwas mehr Konstruktivität.
Lieber Volkmar Vogel, ich schätze dich sehr, aber du
hast eher eine verkehrspolitische als eine aufbaupolitische Rede gehalten. Ich frage die beiden Kollegen, die
gleich zu dem Thema sprechen werden: Was enthält der
Entwurf der CDU/CSU für den Osten jenseits der Frage,
wo wir 1989 waren, ob auf der Straße oder in irgendwelchen Ämtern?
Zur SPD. Es war sehr interessant, als die CDU/CSU
ihr Papier in der Bundesgeschäftsstelle vorgestellt hat.
Die Kollegen von der SPD standen mit ihrem Gegenentwurf vor dem Haus, um ihn dort zu verteilen. Wenn man
beide Papiere gelesen hat, hat man gemerkt, dass sich die
Große Koalition nicht grün ist. Wenn sie sich nicht grün
ist, dann ist das nicht gut für die Menschen in Ostdeutschland. Das hilft uns insgesamt nicht weiter.
Das ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition.
An dieser Stelle haben wir von Ihnen nicht viel zu erwarten.
Ich lade Sie alle ein, an unserem Ost-Kongress am
12. und 13. Dezember teilzunehmen. Wir werden nicht
von großen Masterplänen schwadronieren, die sonst immer gefordert werden. Wir werden grüne Impulse für
Ostdeutschland vorstellen. Es sind 15 an der Zahl. Ich
werde noch erläutern, welche Impulse das konkret sind.
Es geht darum, den Menschen ehrliche Botschaften zu
vermitteln, statt ihnen große Masterpläne und Worthülsen zu verkaufen, die sie nicht voranbringen, wie es in
den letzten Jahren oft genug der Fall war.
Wir müssen die Wirtschaftsförderung viel stärker von
der Investitionsförderung auf die Innovationsförderung
verlagern. Neulich hat in Dresden der Bildungsgipfel
stattgefunden. Zumindest ist erkannt worden, dass das
Thema Bildung für uns sehr wichtig ist. Aber wir werden nicht an unseren Worten, sondern an unseren Taten
gemessen. Unsere Taten lassen etwas ganz anderes zu.
Ich denke in diesem Zusammenhang an die Verwendung
der Mittel in Korb II. Das sind die überproportional hohen Mittel, die der Bund im Rahmen des Solidarpakts an
die ostdeutschen Bundesländer gibt. Wir geben fünfmal
so viel Mittel für harte Infrastrukturmaßnahmen aus wie
für Maßnahmen, die für den Standort Ostdeutschland
wichtig sind, nämlich in den Bereichen Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation. An dieser Stelle
müssen wir unbedingt umsteuern.
({5})
Daher fordern wir in unserem Entschließungsantrag für die
letzten Jahre des Solidarpakts, 50 Prozent der Korb-IIMittel in diese Bereiche zu investieren.
Was das Handlungsfeld Bildung angeht, konnte ich
kaum glauben, was ich heute im Tagesspiegel gelesen
habe: „Ost-Länder wollen neuen Soli“, und zwar den
Bildungssoli. Das ist unsere Erfindung, die wir im Rahmen der Föderalismusreform II vorgestellt haben. Seinerzeit sind wir von allen anderen abgebügelt worden.
Ich müsste eigentlich Urheberrechtsgebühren von den
ostdeutschen Ministerpräsidenten verlangen, weil sie unseren Bildungssoli eins zu eins als ihr Produkt verkaufen. Sie glänzen wieder einmal durch Abwesenheit. Das
zeigt, wie wenig offensichtlich auch von dieser Seite im
Bildungsbereich zu erwarten ist.
Der Ansatz von Herrn Tillich, immer mehr Geld zu
fordern, ist der falsche Weg. Das Problem besteht nicht
darin, dass wir zu wenig Geld im System haben; wir
richten aber mit dem zur Verfügung stehenden Geld zu
wenig aus, vor allem deswegen, weil wir in den letzten
Jahren den Fehler gemacht haben, die Politikfelder Bildung, Forschung und Innovation sträflich zu vernachlässigen.
Zum Schluss komme ich zum Rentenwert Ost-West.
Lieber Kollege Claus, wir haben bereits im September
hierzu einen Antrag vorgelegt. Die Kollegin Irmingard
Schewe-Gerigk war dabei für uns federführend. Ich gebe
Ihnen eine gute Empfehlung: Lesen Sie den Antrag!
Dann können wir demnächst darüber diskutieren.
({6})
- Ja, genau das ist der Punkt. Sie versprechen den Leuten alles nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich
nicht nass!“. - Ich habe schon vor fünf Jahren in diesem
Hause darauf hingewiesen, dass uns die dauerhafte
Niedriglohnpolitik in Ostdeutschland noch einmal
mordsmäßig auf die Füße fallen wird. Mit der jetzigen
Regelung der Rentenwerte werden wir nicht zurande
kommen. Insofern brauchen wir andere Lösungen. Die
Lösungen, die wir dazu vorgelegt haben, sind innovativ
und intelligent. An dieser Stelle brauchen wir Ihre Unterstützung von allen Seiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Hettlich, ich empfehle Ihnen
ein sehr spannendes Papier, nämlich den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Aus ihm geht hervor, was wir in den nächsten Jahren vorhaben, um den
Aufbau Ost weiter voranzubringen. Ich kann Sie beruhigen: Dort steht auch, dass es im nächsten Jahr und darüber hinaus einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit geben wird; das haben wir vereinbart. Wir schauen
also auch im nächsten Jahr, was wir erreicht haben und
was in Ostdeutschland noch zu tun ist.
({0})
Am 9. November wurde ich auf einer Veranstaltung
zum Mauerfall gefragt, wie ich mir Ostdeutschland in
zehn Jahren vorstelle. Ich habe geantwortet: Ich wünsche mir, dass dort alle eine hervorragende Schulbildung
bekommen, dass mehr Jugendliche als heute dort studieren, dass eine ausreichende Zahl an Studienplätzen vorhanden ist, dass genug Arbeit für alle da ist, dass jeder
dort eine Perspektive hat und dass es für diejenigen, die
sich die Welt angeschaut haben, genügend Gründe gibt,
nach Hause zurückzukehren, weil sie dort für ihre Familien eine gute Zukunft sehen.
Warum habe ich gerade diese Wünsche geäußert? Gehen wir zurück in die Gegenwart. Schauen wir uns die
Situation in Ostdeutschland heute an, 19 Jahre nach dem
Fall der Mauer. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland
ist auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Die Verkehrsinfrastruktur und die Kommunikationsnetze haben einen
hervorragenden Ausbaustand erreicht. Seit dem Jahr
2000 ist die industrielle Wertschöpfung um 54 Prozent
gestiegen. Im Osten entstehen Kompetenzzentren und
Exzellenzcluster für innovative Zukunftsfelder, wie in
Dresden, Jena und Potsdam, um nur einige Beispiele zu
nennen. Bei den erneuerbaren Energien ist der Osten
vorn. Das sind Erfolge, auf die wir gemeinsam stolz sein
können.
({1})
Wir haben in Ostdeutschland sehr viel erreicht. Aber
in der Tat gibt es noch viel zu tun. Die Arbeitslosigkeit
in Ostdeutschland ist zwar auf dem niedrigsten Stand
seit 1991, aber leider immer noch doppelt so hoch wie in
Westdeutschland. Seit 2000 ist die industrielle Wertschöpfung zwar um 54 Prozent gestiegen. Aber leider
beträgt der Produktivitätsrückstand zum Westen 22 Prozent. Der Abstand der Löhne in der Industrie liegt bei
knapp 32 Prozent; das wurde bereits angesprochen. Warum weise ich ausdrücklich darauf hin? Gerade durch
den demografischen Wandel wirken sich diese Faktoren
auf Ostdeutschland besonders dramatisch aus. Zurzeit
verlieren die ostdeutschen Bundesländer im Saldo jährlich circa 50 000 Menschen im Alter zwischen 18 und 30.
Die anhaltende Abwanderung zeigt, dass wir die strukturellen Probleme im Osten noch nicht überwunden haben.
Ein Grund dafür ist das Fehlen von kapitalstarken Unternehmen. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen wie
die Verbundnetz Gas AG in Leipzig als eigenständiges,
wettbewerbsfähiges Unternehmen am ostdeutschen
Standort gehalten werden.
({2})
Die Wirtschaft Ostdeutschlands ist wesentlich stärker
durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. Das ist
ein weiterer Grund für die strukturellen Defizite; denn
diese Unternehmen sind oft nicht in der Lage, die erforderliche Finanz- und Wirtschaftskraft aufzubringen, um
sich eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen
zu leisten. Deshalb liegt der ostdeutsche Anteil an den
industriellen Forschungsaufwendungen unter 5 Prozent.
Wir sind uns einig: Es liegt im Interesse des ganzen
Landes, die teilungsbedingten strukturellen Unterschiede
zwischen Ost und West zu überwinden. Wir wollen, dass
Ostdeutschland 2019 auf eigenen Füßen steht. Dieser
Prozess ist kein Selbstläufer. Hier ist trotz aller Erfolge
nach wie vor politisches Handeln erforderlich - und wir
handeln.
Den entscheidenden Einfluss auf den weiteren Angleichungsprozess werden die Bildungspolitik, die Ausbildung sowie die Wirtschafts- und Forschungsförderung haben. Der eingeschlagene Weg mit dem
Hochschulpakt, der Fortsetzung der Exzellenzinitiative
oder dem Programm „Spitzenforschung und Innovation
in den Neuen Ländern“ ist der richtige Weg. Auch die
von der Bundesregierung geförderte Clusterbildung ist
der richtige Ansatz. Beispielsweise bestehen in Ostdeutschland vielfältige Forschungskompetenzen, um
Erdöl in Kunststoffen durch Pflanzen zu ersetzen. Mit
der Schaffung eines Bioraffinerieclusters Mitteldeutschland könnten diese Kompetenzen gebündelt werden.
Deshalb ist es wichtig, dass solche Initiativen weiterverfolgt und mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden.
Wir brauchen in den kommenden Jahren eine neue Innovations- und Gründungswelle in Ostdeutschland, um
die immer noch vorhandenen Defizite zu überwinden.
Dafür brauchen wir ein noch größeres Engagement des
Bundes, der Länder, aber auch der Wirtschaft. Ostdeutschland hat das Zeug, sich in den kommenden zehn
Jahren zu dem Innovationslabor Deutschlands zu entwickeln, zu einem Zentrum für Zukunftstechnologien. Es
kann zu einem Zentrum für neue Ideen und Innovationen
sowie zum Ideengeber für die Bewältigung des demografischen Wandels werden. Der Aufbau Ost kann zu
einem Gewinn für alle werden und den Standort
Deutschland insgesamt stärken, so wie es im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen formuliert ist.
Wenn ich in zehn Jahren zu Ostdeutschland befragt
werde, dann möchte ich sagen können: Ostdeutschland
hat seine Chancen genutzt. Hier wollen die Menschen
studieren, arbeiten und leben. Es gibt keine nach Ost und
West getrennten Statistiken mehr. Beschäftigung, Löhne
und Renten sind auf gleichem Niveau. Und vor allem: In
Ostdeutschland ist ein neues Selbstwertgefühl entstanden. Die Menschen in Ost und West sind stolz auf das
Erreichte und geben ihre Erfahrungen weiter.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unser
Land weiter zusammenwächst.
Vielen Dank.
({3})
Nun hat das Wort die Kollegin Veronika Bellmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! 18 Jahre deutsche Einheit, 18 Jahre
vereintes Deutschland, Gott sei Dank ohne Mauer und
Stacheldraht. Obgleich ich nicht verkenne, dass auch
ohne Finanzkrise noch jede Menge Aufgaben vor uns
stehen, können die Menschen im Osten und Westen
Deutschlands stolz sein, was sie bisher unter dem Motto
„getrennt, vereint, gemeinsam“ geleistet haben. Wer mit
offenen Augen durch die Welt geht, der wird beim Vergleich der Abschlussbilanz DDR/Eröffnungsbilanz Bundesrepublik und der jetzigen Situation zugeben müssen,
dass sich unheimlich viel zum Besseren verändert hat.
Ich möchte nur den zentralen Punkt der Verkehrsinfrastruktur herausgreifen. Ein altes chinesisches Sprichwort
sagt: Wenn du reich werden willst, dann musst du Stra20054
ßen bauen. - Auf unsere Zeit übertragen ergänze ich:
Dann musst du moderne Infrastruktur bauen, und zwar
für alle Verkehrsträger: Schiene, Straße, Wasser, Luft.
Dann kannst du nicht mehr nur in der Kategorie „Bundesland“ planen, sondern dann musst du deutschlandweit und - mehr noch - europäisch planen.
Dem Aufbau einer modernen, dynamischen Wirtschaft und leistungsfähiger Wachstumskerne in einigen
ostdeutschen Regionen ging der Aufbau einer modernen
Verkehrsinfrastruktur voraus, oder er ging parallel mit
ihm einher. Das Tempo und die Intensität haben sich leider in den letzten Jahren etwas verringert. Ein Beispiel
dafür ist die Bahnstrecke Hamburg-Stralsund. 2002
sollte sie ursprünglich fertig sein. Jetzt spricht Minister
Tiefensee von einer Verschiebung bis 2011. Ähnliches
spielt sich - darauf wies Kollege Günther schon hin bei der Bahnstrecke Berlin-Dresden ab. Fahrzeiten, die
nicht einmal die von 1938 erreichen, entsprechen nun
wirklich nicht modernen Standards.
({0})
Vielleicht liegt das daran, dass man eben nicht mehr das
Prinzip anerkennt, dass der weitere Ausbau der Infrastruktur eine zentrale Voraussetzung für mehr Wachstum
in Deutschland ist. Oder es liegt daran, dass sich die
Meinung breitmacht - so ist von der DB AG immer wieder zu vernehmen -, dass Infrastruktur schließlich keine
Entwicklungspolitik sei und deshalb im Osten nicht
mehr investiert werde, da dort zu wenig Wertschöpfungs- und zu geringe Bevölkerungspotenziale seien.
Das halte ich für eine Unverschämtheit.
({1})
Wenn wir ab 1990 auch so gedacht hätten, hätten wir
das Buch gleich zugeklappt und der Osten wäre ein heruntergekommener Landstrich geblieben. Stattdessen haben wir durch den Aufbau leistungsfähiger Verkehrsverbindungen Standortvorteile geschaffen - wenn auch
noch zu wenige -, Industrieinvestitionen gefördert und
ein bescheidenes Wachstum erzeugt. Ganz Deutschland
profitiert davon, weil sich dort, wo sich Verkehrswege
kreuzen, immer auch wirtschaftliche Chancen ergeben.
Durch die EU-Erweiterung sind - teilweise auf alten
Handelswegen - neue Warenströme entstanden. Bei den
aufstrebenden Wirtschaftszentren in Mittel- und Osteuropa haben wir es mit einer Perlenkette dynamisch
wachsender Metropolen zu tun. Mit besseren und
schnelleren Anbindungen an diese Schrittmacherregion
kann und muss Ostdeutschland an dieser Dynamik teilhaben. Das transeuropäische Verkehrsnetz ist deshalb
ein Schlüsselelement für die Gewährleistung des schnellen und reibungslosen Personen- und Warenverkehrs
zwischen den Mitgliedstaaten.
Gleiches gilt für den Aufbau von Wirtschaftsräumen
und von Korridoren über Ländergrenzen hinweg. Der
wichtigste Korridor für uns ist dabei die Nord-Süd-Verbindung von Skandinavien über die Nord- und Ostseehäfen bis an die Häfen der Adria und des Schwarzen
Meeres. Der sogenannte Vier-Meeres-Schienen-Korridor hat das Potenzial eines wirtschaftlichen Kernraumes
in der EU, der Ostdeutschland mit seinen Wachstumskernen einschließt. Das ist für den weiteren Aufbau Ost
unheimlich wichtig.
Inzwischen haben sich alle ostdeutschen Ministerpräsidenten in nunmehr drei Regierungskonferenzen hinter
diese Korridorinitiative gestellt, auch die Regional- und
Raumentwicklungsminister sowie einige Nachbarstaaten
- Tschechien, Österreich, Kroatien, Schweden - und sogar der EU-Koordinator Karel van Miert. Bundesminister Tiefensee hat in vielen Reden, auch hier im Plenum,
von seiner Unterstützung für diesen Korridor gesprochen. Geschrieben hat er dann ein wenig anders; gehandelt hat er diesbezüglich leider noch gar nicht. Aus seinem Hause hört man gar, dass es stattdessen größere
Sympathien für die Konkurrenzstrecke einer Nord-SüdVerbindung auf polnischem Gebiet, von Stettin aus, geben soll. Das halten wir ebenfalls für sehr fragwürdig.
Ich hoffe nur, dass Bundesminister Tiefensee seit dem
heutigen Tage in seinem Hause nicht nur Cello, sondern
die erste Geige spielt.
Fakt ist, dass wir keine Zeit zu verlieren haben; denn
entscheidende Weichen werden in den kommenden Monaten auf EU-Ebene gestellt. Der Vier-Meeres-Schienen-Korridor soll in der Revision der TEN-Leitlinien
verankert werden, und das, meine Damen und Herren, ist
ein wesentlicher Bestandteil unseres heutigen Entschließungsantrags, für den ich ganz herzlich um Ihre Zustimmung bitte.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Claus, Sie haben in Ihrer Rede eben
angesprochen, dass diese Regierung und diese Koalition
abwarten, bis sich die Finanzmärkte wieder beruhigt haben. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem,
was Sie sonst immer sagen. Es ist diese Regierung, die
einen Rettungsschirm für die Banken aufgespannt hat,
was notwendig war. Sie haben es kritisiert. Ich wiederhole: Sie widersprechen sich an dieser Stelle. Sie haben
das seinerzeit abgelehnt. Diese Regierung handelt hier.
Sie wartet im Hinblick auf die Finanzmärkte gar nicht
ab, sondern handelt, weil sie weiß, dass ein funktionierendes Bankensystem ein öffentliches Gut ist. Ohne dieses öffentliche Gut können wir keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik betreiben, auch nicht in Ostdeutschland.
Darum sind wir hier die Handelnden; für Sie gilt das weniger.
Wir debattieren zum Herbst immer wieder den Stand
der deutschen Einheit. Das ist in meinen Augen auch gut
so. Es ist recht und billig, dass die Bundesregierung Rechenschaft über die Verwendung der von uns zur Verfügung gestellten Mittel ablegen muss. Wichtig ist auch,
dass wir uns bei diesem Anlass Gedanken darüber maKlaas Hübner
chen, inwieweit die gesteckten Ziele erreicht sind und
was dort noch zu tun ist.
Die aktuelle Lage der Weltwirtschaft macht diese Debatte nicht einfacher. Daher sollte jeder vernünftige Vorschlag ernsthaft diskutiert werden. Selbstverständlich ist
mit dem Abschluss der heutigen Debatte kein Schlusspunkt gesetzt. Mir sind, offen gestanden, lieber Kollege
Hettlich, einige in Ihrem Entschließungsantrag enthaltenen Vorschläge nicht unsympathisch. Trotzdem werden
wir ihm heute wahrscheinlich nicht zustimmen können,
weil die Finanzierung diejenige Seite ist, die wir als Koalition an dieser Stelle mit bedenken müssen.
Gleiches kann ich vom Entschließungsantrag der Linken nicht unbedingt behaupten. Sie beklagen zwar immer wieder gerne das Gefühl der Zweitklassigkeit im
Osten, aber Sie machen in Ihrem Antrag zu wenig Mut.
In meinen Augen kann man ermutigen, gerade auch im
Osten, und zwar bei jeder passenden und jeder unpassenden Gelegenheit.
Der Aufbau, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland geleistet worden ist, ist eine genauso große
Leistung wie der Aufbau in Westdeutschland, nur unter
ungleich schlechteren Bedingungen. Liebe Kollegen von
der Linksfraktion, Ihre Vorgängerpartei hat einen nicht
unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Bedingungen für die Ostdeutschen so schlecht waren. Man
muss aber die Leistung anerkennen, die dort erbracht
wurde.
({0})
Natürlich ist es ein Verdienst der Menschen in Ostdeutschland, dass man seit 1989 in der neuen Selbstbestimmung, in der neuen Freiheit viel erreicht hat. Man
kann vor dem, was erreicht worden ist, nur Respekt haben. Man soll auch sagen: Das, was ihr erreicht habt,
muss euch Mut machen.
Wir sind in vielen Feldern sehr weit nach vorne gekommen. Wir sind in vielen Feldern sehr innovativ gewesen. Wir sind vielleicht noch nicht dort angelangt, wo
wir sein wollen; aber einige Beispiele - gerade im Bereich der erneuerbaren Energien und der Wirtschaftsfelder, die wir daraus entwickelt haben - geben doch Mut
und Anlass, zu sagen: Jawohl, wir können aus eigener
Kraft eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in
Ost und West erreichen.
Wirtschaft ist bei der Angleichung der Lebensverhältnisse der entscheidende Punkt. Wenn wir die Zahlen betrachten, kann man zwar sagen - wie es der Kollege von
der FDP getan hat, -, dass das Wachstum im Osten momentan nicht ganz so groß wie im Westen ist; das ist
nicht ganz falsch. Man muss dabei allerdings berücksichtigen, dass das schwächere Wachstum im Osten vor
allen Dingen darauf beruht, dass im Sektor der öffentlichen Dienstleistungen ein Rückgang verbucht worden
ist, der gewollt war; es ist Teil der Konsolidierungsanstrengungen der ostdeutschen Landesregierungen, dafür
zu sorgen, dass sich Länder und Kommunen zurückziehen und Personal abbauen, um mehr Mittel für Innovationen freizubekommen. Das hat den statistischen Effekt, dass das Wachstum formal etwas geringer ist.
Insgesamt kann man jedoch sagen, dass das Wachstum im industriellen Bereich in den neuen Bundesländern deutlich stärker ist als im Westen. Die Bauwirtschaft ist momentan einigermaßen stabilisiert. Ich finde
den Weg, den wir gegangen sind, gut. Wir wollen unsere
Bemühungen weiter verstärken.
Das Kabinett hat beschlossen, die GA-Mittel noch
einmal aufzustocken. Damit wird eine Forderung erfüllt,
die in diesem Hause oft erhoben wurde. Die GA-Mittel
sind das zielgenaueste Instrument für eine effektive
Wirtschaftsförderung. Darum bin ich sehr dankbar dafür,
dass die Große Koalition, das Kabinett, beschlossen hat,
genau diese zielgenauen Mittel noch einmal um rund
200 Millionen Euro für zwei Jahre aufzustocken. Ich
glaube, damit kann man den neuen Bundesländern einen
gewaltigen Schub geben.
({1})
Meine Kollegin Wicklein hat gerade angesprochen,
dass wir im Bereich der Innovationen im Osten zum Teil
noch zurückliegen. Das ist leider richtig. Ja, wir haben
heute im Osten zum Teil noch Firmen, die in der Wertschöpfungskette ziemlich weit hinten liegen, die noch
nicht weit genug vorne sind. Wir müssen insgesamt
mehr tun, um das zu ändern. Das ist aber in meinen Augen nicht nur eine Aufgabe des Bundes, der öffentlichen
Hand. Vielmehr müssen wir bei der Wirtschaft, bei den
Unternehmen, einfordern, dass sie mehr tun. Wir haben
im Osten sehr viele motivierte, junge Mitarbeiter. Wir
haben dort gute Hochschulen. In meinen Augen lohnt es
sich für die Wirtschaft allemal - auch ohne staatliche
Subventionen -, im Osten die Innovationen voranzutreiben.
Herr Kollege Hübner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hettlich?
Selbstverständlich, gern.
Vielen Dank, Kollege Hübner. Sie sprachen eben die
Gemeinschaftsaufgabe Ost an. Sie wissen, dass sie Bestandteil des Korbs II ist. Insofern wird der Betrag für
die Aufstockung aus diesem gedeckelten Korb genommen. Wenn Sie dies als großen Erfolg der Bundesregierung verkaufen, stellt sich die Frage: Bedeutet das nicht,
dass an anderer Stelle Mittel aus dem Korb II gestrichen
werden müssen?
Sie haben nichts zur I-Zulage gesagt. Gehe ich recht
in der Annahme, dass Sie später in Ihrer Rede darauf
eingehen werden? Ich weise auf die heute Abend stattfindende Debatte dazu hin, bei der ich übrigens als Einziger reden werde, obwohl das Instrument laut Minister
Tiefensee so wichtig ist. Ist das für Sie kein Thema
mehr? Das wundert mich eigentlich. Warum wird die
zweite und dritte Lesung quasi zu nachtschlafender und
nicht zu prominenter Zeit gehalten, wenn Sie doch sa20056
gen, dass die I-Zulage ein hervorragendes Instrument
ist?
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Hettlich. Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit ihrem Konjunkturprogramm gesagt, sie wolle die GA-Mittel um 200 Millionen Euro aufstocken. Es handelt sich dabei in der Tat
um zusätzliche Mittel.
Was den späten Zeitpunkt der Debatte angeht: Ich
gebe Ihnen Recht, dass die Debatte spät stattfinden wird.
Ich muss Ihnen allerdings sagen: Wir hätten sie gerne
früher geführt; aber Sie von den Oppositionsparteien haben uns heute zwei Stunden lang mit einer Debatte über
Herrn Tiefensee aufgehalten, die in dieser Form nicht
notwendig war. Herr Kollege Hettlich, wir hätten das
durchaus weglassen können, um diese Debatte im Plenum sehr viel prominenter, besser und früher führen zu
können.
({0})
Abschließend möchte ich aus aktuellem Anlass ein
paar Worte zum Thema Rente sagen. Ich möchte vor allem mit einem Dank beginnen. Die faktische Entwicklung der Renten in Ostdeutschland beruht in meinen
Augen auf einer grandiosen Solidarisierung der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen sowie des gesamtdeutschen Steuerbürgers.
({1})
Der nach 1990 eingeschlagene Weg war bisher erfolgreich. Wir sollten das an dieser Stelle nicht vergessen.
Gestern hat sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder und den Ministern Scholz und Tiefensee getroffen. Dabei wurde auch
zu dieser Frage Position bezogen. Wir unterstützen die
Absichtserklärung der Bundesregierung, zu einer Regelung zu kommen, ausdrücklich, auch unter den von ihr
gesetzten Prämissen.
Sie werden dazu von mir heute keine Zahlen hören.
Immerhin hat der gestrige Tag zu einer erfreulichen Versachlichung der Diskussion in der Presse beigetragen. Es
gab allerdings eine Ausnahme des Pressebildes von
heute: das Zentralorgan Ihrer Partei, nämlich das Neue
Deutschland. Darin hat Frau Kollegin Enkelmann, die
eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte, vorgerechnet, was eine Angleichung der Rentenwerte kosten würde. 6 Milliarden Euro war die Antwort. Sie sagt:
6 Milliarden Euro in vier Jahren. Was Sie dort vorstellen, sind doch bloß 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.
So kann man es sich natürlich auch schönrechnen,
Frau Enkelmann. Natürlich wären es 6 Milliarden Euro
pro Jahr. Das heißt: Es sind nicht nur 1,5 Milliarden
Euro pro Jahr, sondern 6 Milliarden Euro jedes Jahr. Sie
können das beliebig mit einer Zahl von Jahren multiplizieren und wissen dann, wie hoch die Haushaltsbelastung ist.
Wenn Sie sich die Dinge auf diese Weise schönrechnen, dann ist Politik natürlich ganz einfach. Sie müssen
sich aber auch um die Finanzierung kümmern. Da bleiben Sie uns eine Antwort immer schuldig. Insofern ist
das in meinen Augen ein deutliches Zeichen dafür, dass
gerade die Rentenpolitik bei denjenigen in besseren
Händen ist, die verantwortungsvoll mit Finanzen umgehen können.
Wie wollen Sie den Beitragszahlern und Beitragszahlerinnen erklären, dass wir die Beiträge erhöhen oder die
Neuverschuldung um 6 Milliarden Euro erhöhen müssen, was dann andere Generationen bezahlen müssen?
Das wäre keine sozialgerechte Politik.
Insgesamt glaube ich, dass wir im Hinblick auf den
Stand der deutschen Einheit auf einem guten und richtigen Weg sind. Wir sind aber bei Weitem nicht am Ende.
Herr Kollege Hettlich, darum werden wir die Berichte
auch weiterhin hier im Parlament beraten; das ist wichtig. Wir brauchen die Einheit für das Gesamtgefüge in
Deutschland. Insofern freue ich mich auf die Debatte im
Herbst nächsten Jahres und darauf, hier an gleicher
Stelle reden zu können.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Eckardt Rehberg, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es ist gelegentlich wichtig, nicht
ständig von Ost nach West zu schauen, sondern gerade
in diesen Tagen einmal zu überlegen, wo wir eigentlich
herkommen.
Ich kann mich an die Zeit vor 19 Jahren, im Oktober
bzw. November 1989, erinnern, als man feststellte - das
war damals noch nicht so öffentlich -: Die DDR ist eigentlich pleite. Das ging aus dem sogenannten SchürerBericht hervor. Wenn ich weiter an 1990 und an die Untersuchungen im Zuge der Solidarpaktverhandlungen der
fünf Wirtschaftsforschungsinstitute denke, erinnere ich
mich, dass man sagte: 1990 waren im Gegensatz zu den
alten Bundesländern nur 40 Prozent der Infrastruktur
und Produktivität in den neuen Bundesländern vorhanden. Wir haben heute einen Stand von 75 Prozent erreicht.
Herr Claus, wenn Sie in diesem Zusammenhang davon reden, dass die Westdeutschen die deutsche Einheit
nicht als Zugewinn betrachten, dann muss ich Ihnen
ganz deutlich widersprechen. Ihre Rede, so wie Sie sie
hier vorgetragen haben, gräbt die Gräben tiefer und baut
neue Mauern auf. Wir müssen gerade im Jahr der Volljährigkeit der deutschen Einheit dafür sorgen, dass die
Mauer weg bleibt. Dies muss deutlich gemacht werden,
damit die Gräben nicht tiefer, sondern flacher werden.
({0})
Herr Kollege Hübner ist bereits auf meinen nächsten
Punkt eingegangen. Sie reden von Diskriminierungen
der Ostdeutschen und haben beim Thema „Rente Ost/
West“ einen Scherbenhaufen sondergleichen hinterlassen - einen Scherbenhaufen ohne Ende.
({1})
Ich denke, wir müssen wirklich einmal ein paar Fakten und Daten nennen:
Erstens. Das Niveau der Ostrenten lag 1990 bei
40 Prozent der Westrenten, heute liegt es bei 88 Prozent.
Das, was wir in knapp zwei Jahrzehnten geschafft haben,
ist eine Riesenerfolgsgeschichte.
Zweitens. 14 Milliarden Euro der Renten im Osten
werden von den Beitragszahlern in Westdeutschland bezahlt. Das sind fast zwei Rentenbeitragspunkte. Demjenigen, der hier von Diskriminierung redet, muss ich sagen: Das ist wirklich pure Solidarität Westdeutschlands
gegenüber Ostdeutschland. Das sind die Fakten, nichts
anderes.
({2})
Ein Weiteres: Wir müssen auch über den sogenannten
Bewertungsfaktor reden. Sie, meine Damen und Herren
von der Linkspartei, haben in Ihrer Angleichungsdebatte
ja völlig verschwiegen, dass dieser Faktor mittlerweile
viele Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern und
auch viele derjenigen, die heute Rente beziehen, bevorteilt.
({3})
Nehmen Sie allein einmal den Mindestlohn im Baugewerbe: In den alten Ländern sind es in der Lohngruppe 1
10,70 Euro und in den neuen Ländern 9 Euro. Durch die
Aufwertung um 18 Prozent dank des Bewertungsfaktors
sind diese beiden Lohngruppen bei der Rentenberechnung gleichgestellt. Es ergibt sich der gleiche Entgeltpunkt.
Sie haben auch verschwiegen - das macht es besonders
schlimm, dass Sie hier von Diskriminierung reden -, dass
der Bauarbeiter in Deutschland West auf der Basis von
10,70 Euro Stundenlohn Rentenbeiträge bezahlt, dagegen der Bauarbeiter in Deutschland Ost auf der Basis
von 9 Euro Stundenlohn. Er ist hier deutlich im Vorteil,
denn er zahlt weniger Rentenbeiträge, aber er erhält die
gleichen Rentenentgeltpunkte.
Wenn wir heute eine Angleichung vornehmen würden, gäbe es nicht nur das Problem, dass es 6 Milliarden
Euro pro Jahr kosten würde - das entspräche ja knapp einem Rentenbeitragspunkt -, sondern es käme auch dazu,
dass der Bauarbeiter Ost, der deutlich weniger Beiträge
für einen Entgeltpunkt eingezahlt hat, in fünf oder zehn
Jahren gegenüber dem westdeutschen Bauarbeiter deutlich im Vorteil wäre, weil er bei einem gleichen Rentenwert in Ost und West die gleiche Rente beziehen würde.
Liebe Freunde, das Thema Rente ist äußerst sensibel.
Wer den Eindruck erweckt, man könne hier von heute
auf morgen eine Lösung präsentieren, dem muss man sagen: Das ist nicht möglich. Ich rate jedem dringend, verantwortungsvoll in der Öffentlichkeit zu handeln und zu
debattieren, damit nicht eine echte Neid- und Missgunstdebatte zwischen West und Ost entsteht.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister Tiefensee, auf uns wird in den nächsten Jahren ein
eminentes Problem zukommen. Wir müssen uns fragen,
wie wir eine bestimmte Gruppe von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung bekommen. Unter Punkt II. Nr. 3
unseres Entschließungsantrags haben wir zwei Modelle
gegenübergestellt: den Kommunal-Kombi und das Modellprojekt Bürgerarbeit. Wir sollten hier sehr sachlich
und ohne Polemik abwarten, wie sich beides entwickelt.
({5})
Der Kommunal-Kombi ist jetzt ein Dreivierteljahr am
Netz. 5 400 Personen nehmen am Kommunal-Kombi
teil, es gab knapp 8 000 Anträge. Die Modellprojekte
Bürgerarbeit sind aber deutlich erfolgreicher. Diese Modellprojekte gibt es mittlerweile nicht nur in SachsenAnhalt, sondern auch in Bayern, so zum Beispiel in Weiden, Hof und Coburg. Man kann sagen, dass hier die Arbeitslosigkeit in einem vierstufigen Prozess um durchschnittlich 50 Prozent gesunken ist. Dazu trug die
Beschäftigung in Bürgerarbeit nicht einmal zur Hälfte,
sondern nur etwa zu einem Drittel bei. Der Abbau geht
vielmehr insbesondere darauf zurück, dass erstens jeder
Einzelne gecheckt wird, zweitens jedem ein Weiterbildungsangebot gemacht wird und drittens die Vermittlung
in den ersten Arbeitsmarkt Vorrang vor der Bürgerarbeit
hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten wirklich
sehr sorgfältig in den nächsten Wochen und Monate beides beobachten. Ich sage Ihnen, Herr Minister Tiefensee:
Das Prä haben für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
ganz eindeutig die erfolgreichen Modellprojekte Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern.
Danke.
({6})
Das Wort für eine Erklärung zur Aussprache erhält
nun Kollege Arnold Vaatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte kurz auf jeweils eine Bemerkung der Kollegen
Günther und Hettlich eingehen. Ich kann zwar nicht für
meine beiden Leipziger Kollegen Fornahl und
Weißgerber sprechen. Ich glaube aber für mich und in ihrem Namen sagen zu können, dass es selbstverständlich
unser fester Vorsatz und unser fester Wille ist, den Ge20058
danken zur Errichtung eines Denkmals, das an den Einsatz der Leipziger für Freiheit und Einheit Deutschlands
erinnert, weiterzuverfolgen. Das muss klar sein.
Im Übrigen möchte ich hinzufügen: Ganz egal, wie
einige das heute sehen, dieses Denkmal wird eines Tages
stehen, und zwar ohne jeden Zweifel. Es wird auch dann
stehen, wenn wir uns heute nicht dafür engagieren, und
zwar aus einem ganz einfachen Grund. Die historische
Wahrheit wird sich durchsetzen. Die historische Wahrheit lautet, dass der Einsatz der Leipziger, stellvertretend
für den Einsatz von vielen, insbesondere im südlichen
Teil der damaligen DDR, die Voraussetzung für eine
grundlegende Veränderung in Richtung Demokratisierung in Deutschland und Europa geschaffen hat. Der Fall
der Berliner Mauer ist nicht der Beginn, sondern das Resultat dieser Initiative gewesen.
Aus diesem Grunde möchte ich all diejenigen, die
diesem Gedanken heute skeptisch gegenüberstehen, eindringlich darum bitten, sich zu vergegenwärtigen, dass
das letztendliche Resultat selbstverständlich eine Erinnerung an diese Tat der Leipziger sein wird, weil sie in der
Geschichte Deutschlands einer der positivsten, nachhaltigsten und wirkungsvollsten politischen Einsätze überhaupt gewesen ist. Daran werden wir selbstverständlich
erinnern.
Noch eine kurze Bemerkung an Herrn Kollegen
Hettlich. Herr Kollege Hettlich, Sie haben gesagt, wir
hätten oftmals das Geld nicht so effizient ausgegeben,
wie wir es hätten ausgeben können. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass eine Reihe von Infrastrukturvorhaben im Wesentlichen durch die grünen Bataillone so verzögert und in die Länge gezogen worden
ist, dass diese am Ende doppelt so teuer geworden sind.
Vielen Dank.
({0})
Das war hart am Rande des unter uns Erlaubten. Das
war eigentlich eine Kurzintervention, die sofort erfolgen
und sich auf die Rede des Vorredners beziehen muss. Es
war nicht unbedingt eine Erklärung zur Aussprache. Wir
wollen die Diskussion aber nicht verlängern.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/10852 und der Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10854 sollen an
dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Wir stimmen nun über die weiteren Entschließungsanträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10853? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD und der FDP gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10855? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/8865. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1
seiner Empfehlung, in Kenntnis des Jahresberichts der
Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007
auf Drucksache 16/6500, die Annahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/7015 zum genannten Jahresbericht.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Stimmenthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7014
zum Jahresbericht 2007. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei
Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Erhöhung
von Transparenz und Zielgenauigkeit des Mitteleinsatzes für die ostdeutschen Bundesländer“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9120, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/7567 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Kindergelderhöhung sofort auch bei Hartz IV
wirksam machen
- Drucksache 16/10616 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beschäftigen uns mit einer Angelegenheit,
bei der ich die Regierungskoalition, also sowohl Union
als auch SPD, dringend bitte, hier Hilfe zu leisten. Wenn
es so bleibt, wie es gegenwärtig geregelt ist, halte ich es
für einen nicht zu rechtfertigenden und nicht zu verteidigenden Skandal.
({0})
In Deutschland gibt es 2,5 Millionen arme Kinder.
Wegen der Kostensteigerung haben Sie eine Kindergelderhöhung von 10 Euro für das erste und zweite Kind und
von 16 Euro für die weiteren Kinder beschlossen. Das ist
ein sehr geringer Betrag. Es ist die erste Kindergelderhöhung nach 2002. Man muss hinzufügen, dass Bischof
Mixa - er ist sicherlich vieles, aber kein Linker - erklärt
hat, das Ganze sei ein Skandal, weil dadurch die Kostensteigerung bei den Ausgaben für Kinder überhaupt nicht
ausgeglichen würden. Aber immerhin erhöhen Sie das
Kindergeld um 10 bzw. 16 Euro.
Nun passiert etwas, was ich den Leuten nicht erklären
kann,
({1})
nämlich dass Oskar Lafontaine für seinen elfjährigen
Sohn und ich für meine zwölfjährige Tochter diese
10 Euro mehr bekommen, dass wir aber der Hartz-IVEmpfängerin und der Sozialhilfeempfängerin sagen: Du
bekommst zwar diese 10 Euro mehr, aber sie werden mit
dem Eckregelsatz für deine Kinder gleich wieder verrechnet. - Real bekommt sie also keinen Cent mehr. Das
ist nicht vermittelbar. Es geht hier um Kinder.
({2})
Man muss noch Folgendes hinzufügen. Wie hoch sind
im Augenblick die Eckregelsätze für Kinder? Eine
Hartz-IV-Empfängerin oder eine Sozialhilfeempfängerin
bekommt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr 211 Euro
und für die 14- bis 17-jährigen Kinder 281 Euro. Das ist
deshalb interessant, weil die Bundesregierung das Existenzminimum für Kinder gutachterlich hat ausrechnen
lassen. Das Ergebnis liegt seit September vor: Das Existenzminimum für ein Kind beträgt 3 864 Euro.
({3})
- Im Jahr! Aufgeschlüsselt auf den Monat - das können
Sie mir zutrauen - bedeutet das 322 Euro.
Jetzt bekommt aber die Hartz-IV-Empfängerin oder
die Sozialhilfeempfängerin nur 211 bzw. 281 Euro pro
Kind. Damit liegt sie deutlich unter dem Existenzminimum in Höhe von 322 Euro. Ab Januar könnte sie
10 Euro Kindergeld mehr bekommen. Aber Sie wollen
diese 10 Euro gleich mit den 211 Euro wieder verrechnen. Das ist wirklich nicht nachvollziehbar und grob ungerecht.
({4})
Wenn Sie argumentieren, dass das zu teuer ist, dann
kann ich nur sagen: Das ist, nachdem 480 Milliarden
Euro für die Sicherung der Banken und für die Stabilität
der Finanzmärkte beschlossen worden sind, kein zulässiges Argument. Dieses Argument ist erst recht nicht zulässig, wenn Besserverdienende - ich hatte Ihnen zwei
Beispiele genannt - diese 10 Euro real bekommen, aber
die Sozialhilfeempfängerin oder die Hartz-IV-Empfängerin keinen Cent mehr bekommt. Es ist nicht vertretbar;
es ist nicht hinnehmbar.
({5})
- Entschuldigen Sie, die Kosten für Kinder sind um mindestens 10 Prozent gestiegen.
({6})
Das wird durch die Erhöhung um 10 Euro nicht ausgeglichen. Das habe ich doch schon kritisiert. Aber darum
geht es hier nicht. Der Hartz-IV-Empfängerin zu sagen:
„Du bekommst zwar die 10 Euro, aber sie werden dir
gleich wieder weggenommen“, ist doch der Gipfel angesichts von 2,5 Millionen armen Kindern. Das ist den
Ärmsten in der Gesellschaft nicht zumutbar.
({7})
Ich möchte einmal wissen, ob Frau Merkel, Herr
Steinmeier, Herr Steinbrück, Herr Scholz, Herr Kauder,
Herr Ramsauer und Herr Struck es wirklich als gerecht
empfinden - Sie können das ja an die Betreffenden weiterleiten -, dass Oskar Lafontaine, ich und andere für
ihre Kinder ab 1. Januar real mehr Geld bekommen und
die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sowie
die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger für ihre
Kinder real keinen Cent mehr bekommen. Wenn sie das
wirklich als gerecht empfinden sollten, sehen sie die
Welt so extrem anders als ich, dass es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist.
({8})
- Ja, es kann sein. Wenn Sie das als gerecht empfinden
- das ist wirklich interessant -, dann sollte man aber
auch überall verbreiten, dass die Union es für richtig
hält, das Besserverdienende für ihre Kinder 10 Euro
mehr bekommen und Hartz-IV-Empfänger und Sozialhilfeempfänger nicht. Ich hatte gedacht, Sie zeigen an
dieser Stelle Vernunft und sagen: Das ist nicht in Ordnung; wir werden das reparieren. - Es wäre nämlich
höchste Zeit.
({9})
Kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit dem Schulgeld.
Das Schulgeld - 100 Euro - wird erst im August nächsten Jahres gezahlt. Das ist ja zunächst einmal okay.
({10})
Aber Sie gewähren es nur bis zur 10. Klasse und sagen:
Diejenigen, die in der 11., 12. oder 13. Klasse sind und
Abitur machen, bekommen nichts. - Damit bringen Sie
zum Ausdruck, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern sowie von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern kein Abitur machen sollen. Der
Bundesrat - nicht die SPD-Fraktion im Bundestag - hat
dazu gesagt: Das geht zu weit. Das machen wir nicht
mit. - Da hat der Bundesrat übrigens recht.
({11})
- Wieso sind Sie so grob? Er hat es doch entschieden,
oder nicht? Er hat es doch kritisiert, oder nicht? Wenn
Sie noch nicht einmal das zur Kenntnis nehmen, dann tut
mir das leid.
Erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen
Tauss?
Mal sehen, ob es eine Frage wird.
Lieber Kollege Gysi, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die SPD dafür eintritt, das Schulgeld bis zum
13. Schuljahr zu zahlen - wir hatten nie eine andere Position -, dass im Rahmen von Koalitionsverhandlungen
in der Tat der jetzige Zustand erzielt worden ist, wir weiterhin für die Verbesserung eintreten, es allerdings ein
Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation ist, in der
überhaupt kein Schulgeld gezahlt wurde? Ich stimme Ihnen in der Tat ausdrücklich zu. Würden Sie bitte zur
Kenntnis nehmen, dass es zwischen der CDU und der
CSU im Bundesrat und der CDU/CSU im Bundestag
Unterschiede gibt und die SPD nicht die Position vertreten hat, die von Ihnen kritisiert wird?
({0})
Ich nehme das schon zur Kenntnis. Ich habe doch
auch heute früh zur Kenntnis genommen, dass Sie das
korrigieren wollen. Das halte ich auch für richtig.
({0})
Aber Sie haben der Zahlung eines Schulgeldes nur bis
zur 10. Klasse erst einmal im Bundestag zugestimmt!
({1})
Eine SPD-Fraktion hätte immer sagen können: Wir
schließen diese Leute nicht vom Abitur aus. - Wenn die
Union das nicht mitgemacht hätte, dann hätten Sie die
Auseinandersetzung öffentlich führen müssen.
Darum geht es aber nicht. Jetzt geht es um das Kindergeld.
({2})
- Hier, bei diesem Antrag. - Ich möchte, dass Sie erklären: Wir werden eine Regelung finden, damit den betroffenen Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern sowie den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern
zumindest diese 10 bzw. 16 Euro, also zumindest die
Kindergeldsteigerung, zugutekommen und nicht wieder
abgezogen werden. Das ist das Mindeste, was wir erreichen müssen.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Franz Romer, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es war ja zu erwarten: Erhöht die
Bundesregierung das Kindergeld, tritt sofort die Linkspartei auf den Plan, verurteilt diesen Schritt als Ungerechtigkeit und sieht sofort, wo noch mehr Geld verteilt
werden kann.
({0})
Wir lehnen den Antrag der Linkspartei ab.
({1})
Die Kindergelderhöhung wird bei Hartz-IV-Empfängern sinnvollerweise auf den Regelsatz der Grundsicherung, den Eltern für ihre Kinder erhalten, angerechnet. In
Wahrheit streiten wir darum, ob eine generelle Anrechnung des Kindergeldes bei Hartz-IV-Empfängern sinnvoll ist oder nicht. Hier ist unsere Position klar: Kinder
in ALG-II-Bedarfsgemeinschaften bekommen je nach
Alter zwischen 60 und 80 Prozent des Regelsatzes. Einen Anspruch auf sogenannte Mehrbedarfe für Alleinerziehende gibt es ebenfalls. In vielen Kommunen gibt es
zusätzliche Vergünstigungen bei Eintrittsgeldern oder
sonstigen Gebühren. Neben der Absicherung des gesamten Lebensunterhalts der Kinder werden auch Wohnund Heizkosten für die Kinder durch den Steuerzahler finanziert. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das so
sein muss. Das Kindergeld aber soll den Familien mit
Kindern helfen, die sonst keine Unterstützung bei der Finanzierung des Lebensunterhalts ihrer Kinder bekommen.
({2})
Wir alle wissen, dass die Erziehung von Kindern in
unserem Land immer noch mit starken Belastungen für
die Eltern verbunden ist. Mehr Teilzeitarbeitsplätze und
eine bessere, flexiblere Kinderbetreuung sind Themen,
mit denen wir uns beschäftigen. Es ist richtig, das Kindergeld anzuheben und es gerade denen zu geben, die für
den Lebensunterhalt ihrer Familie selbst aufkommen.
Nun gibt es Kritiker, die meinen, dass mit dem Kindergeld und den Kinderfreibeträgen vor allem besserverdienende Familien unterstützt werden. Herr Gysi, Sie haben
das betont, indem Sie auf Herrn Lafontaine und sich
selbst verwiesen haben. Ich könnte Ihnen da andere Kürzungen vorschlagen. Tatsächlich ist es so, dass 120 Euro
je Kind und Jahr gerade für Normalverdiener eine nennenswerte Unterstützung sind.
Meine Damen und Herren von der Linkspartei, die
Bundesregierung wird die Grundsicherung auch in Zukunft regelmäßig anpassen. Wer hier weitere Erhöhungen fordert, auch wenn sie noch so gut gemeint sind,
muss immer berücksichtigen, dass sie auch von Familien
mit begrenztem Arbeitseinkommen über Steuern und
Abgaben finanziert werden müssen. Dies wäre die wahre
Ungerechtigkeit. Sie stellen sich hierhin und wollen Geschenke verteilen, die Sie von Geringverdienern mitfinanzieren lassen wollen.
Der Regelsatz für Kinder unter 14 Jahre beträgt im
Moment 211 Euro plus anteilige Übernahme der Kosten
für Unterkunft und Heizung. Für Kinder über 14 Jahre
sind es 281 Euro, Mehrbedarfe bei Alleinerziehenden
nicht eingerechnet. Es sollte immer sichergestellt sein,
dass dieses Geld bei den Kindern ankommt und nicht
durch die Eltern zweckentfremdet wird.
({3})
Ich kenne Beispiele, wo Kinder vernachlässigt werden
und zusätzliche Mittel in Alkohol, Zigaretten oder einen
neuen Flachbildfernseher fließen.
({4})
Ich weiß, dass man solche Nachrichten nicht verallgemeinern kann.
({5})
Wir dürfen uns aber auch nicht abwenden und darüber
hinwegsehen. Wenn wir das Kindergeld zusätzlich zur
Grundsicherung an Eltern, die ALG II beziehen, auszahlen würden, wären die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, entsprechend geringer. Solche möglichen Auswirkungen müssen wir immer im Blick haben.
({6})
Ebenso müssen wir dafür sorgen, dass die Nettoeinkommen der arbeitenden Bevölkerung über dem Hartz-IVNiveau liegen. Leistung muss sich lohnen.
({7})
Ich glaube, wir alle würden gerne mehr für Kinder
tun. Natürlich sollen auch Kinder, die eine Grundsicherung erhalten, ständig bessere Lebensverhältnisse haben.
Aber Sie wissen, dass alle Leistungen von der Gemeinschaft erbracht werden müssen. Oft sind es Familien mit
Kindern und kleinen oder mittleren Familieneinkommen, die einen bedeutenden Teil ihres Geldes für Steuern
und Abgaben aufwenden müssen. Deshalb müssen wir
gerade sie in Zukunft mehr fördern.
Letztlich brauchen wir in unserem Land mehr Kinderfreundlichkeit. Die Große Koalition hat hierbei in kurzer
Zeit mehr erreicht, als in vielen Jahren vorher von anderen Parteien durchgesetzt werden konnte. Wir können
aber nicht alles mit immer mehr Geld regeln. Wir brauchen abseits der finanziellen Unterstützung der Familien
mit Kindern, von Elterngeld, besserer Kinderbetreuung
und Kindergelderhöhung eine kinderfreundliche Gesellschaft.
Arbeitgeber und Arbeitskollegen müssen genauso
tolerant werden wie Nachbarn im Haus und Verkehrsteilnehmer in Wohngebieten. Wir brauchen mehr familiengerechte Wohnungen und Spielplätze in jedem Wohngebiet. Es ist traurig, dass zahlreiche Kinder in unserem
Land auf Grundsicherung angewiesen sind. Unser Ziel
ist und bleibt, hier anzusetzen und diese Zahl zu verringern. Kinder gehören in unser Leben. Kinder sichern unsere Zukunft.
Ich bedanke mich.
({8})
Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Schon bei dieser Überschrift wird
mir ein bisschen mulmig im Bauch. Hier steht: Kinder
und Hartz IV. Hier finden wir „Kinder“ und „Sozialhilfe“ in einem Satz. Das ist nicht gut.
({0})
Kinder sind das Wichtigste, was wir haben. Sie sind etwas Wunderbares und Herrliches. Für Kinder müssen
wir alles tun. Dafür kämpfen wir als FDP.
({1})
Die Linke bezieht sich in ihrem Antrag darauf, dass
das ALG II mit dem Kindergeld verrechnet wird. Auf
den ersten Blick sieht es so aus, als sei das eine große
Ungerechtigkeit. Nun ist dieser Begriff der relativen Armut nicht ganz so einfach. Er wird wie folgt definiert:
Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens unterschritten werden, ist man arm. Nun sage ich der Linken: Setzen
wir uns einmal gedanklich - wirklich nur gedanklich ganz kurz 25 Jahre zurück und betrachten dieses Thema
bezogen auf die Altbundesrepublik und die DDR. Dann
wären nach dieser Definition 99 Prozent der DDR-Bevölkerung arm gewesen. Auch das ist Fakt.
({2})
Das ist die Definition. Das muss man bitte einmal zur
Kenntnis nehmen.
({3})
In der Begründung Ihres Antrags, verehrte Linke, gehen Sie auf die gestiegenen Preise und Lebenshaltungskosten ein.
({4})
Ich erinnere nur an die unselige Mehrwertsteuererhöhung, die vor allem Familien mit Kindern trifft.
({5})
Nun kann man - das machen auch wir - mit Blick auf
die CDU/CSU zugestehen, sie hat es vorher ja gesagt.
Aber ihr von der SPD habt gesagt: Mit uns gibt es keine
Mehrwertsteuererhöhung, keine Merkel-Steuer.
({6})
Dann habt Ihr um 3 statt um 2 Prozentpunkte erhöht. Das
war nicht in Ordnung, Kollegen. Jetzt merken wir, dass
die Leute weniger in den Taschen haben, dass sie weniger Netto vom Brutto haben.
({7})
Die FDP hat weitergehende Anträge. Wir wollen - das
ist in der Diskussion vor wenigen Wochen schon angesprochen worden - ein Kindergeld in Höhe von
200 Euro pro Monat für jedes Kind.
({8})
Wir möchten den Freibetrag auf 8 000 Euro anheben.
Wir möchten mehr für unsere Kinder. Das ist eine Frage
des Ansatzes. Es wäre besser, wenn wir die Kinder, unsere Zukunft, in den Mittelpunkt stellen und an ihnen
den Haushalt ausrichten würden. Jetzt sagen wir immer,
für die Kinder sei kein Geld mehr da. Das kann so nicht
weitergehen.
({9})
Wichtiger als Geld zu verteilen, ist, etwas dafür zu
tun, dass Arbeitsplätze und mit den Arbeitsplätzen die
Lebensgrundlage für Familien und deren Kinder entstehen. Dort muss man ansetzen.
({10})
Deshalb fordern wir eine Entlastung des Mittelstands.
Man muss den Leuten mehr lassen, damit die Betriebe
investieren können. Wir fordern mehr Investitionen in
Forschung und Bildung. Wir brauchen Bildung; denn sie
ist unser Rohstoff. Dort müssen wir investieren.
({11})
Wir möchten eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Auch das ist ganz wichtig.
({12})
Für unsere Kinder müssen wir alles tun.
Es hat in verschiedenen Ländern großflächig Schulschließungen gegeben. Dort verlangt man, dass die Kinder mit dem Bus weite Strecken zur Schule fahren und
dafür auch noch zahlen. Auch das kann nicht richtig
sein. Kurze Wege für kurze Beine, so muss es sein. Alles
für unsere Kinder!
({13})
Ebenso habe ich schon vor drei Jahren, damals im Wahlkampf, kostenlose Kitas für alle gefordert. Warum machen wir es denn nicht? Wenn es darauf ankommt, dann
ist ja auch Geld für andere Sachen da. Ein Thema, das
mich ebenfalls wurmt, ist das Schulessen; es sollte für
alle Kinder kostenlos sein.
({14})
Sie sehen also, wir als FDP sind eine sehr soziale Partei. Wir kämpfen für unsere Kinder, denn die Kinder sind
unsere Zukunft.
({15})
Ich halte es mit unserem Fußballkaiser, Franz Beckenbauer,
der gesagt hat: Gott liebt alle Kinder. - Machen wir es
auch so, tun wir alles für unsere Kinder! In diesem Sinne
ein herzliches Glückauf für unsere Kinder!
({16})
Das Wort hat nun Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Damen und Herren! Zunächst muss ich mich beim
Kollegen Gysi dafür entschuldigen, dass ich seine Rede
nur vor dem Fernseher verfolgen konnte. Es tut mir leid,
dass ich nicht im Plenarsaal war. Das ist aber auch das
Einzige, was ich dazu formell anmerken möchte.
Ansonsten kann ich nur sagen: Herr Gysi, ich würde
Ihnen weder mein Auto noch das soziale System in
Deutschland zur Reparatur anvertrauen.
({0})
Sie haben mit Ihrer Rede bewiesen, dass Sie dazu nicht
in der Lage sind; denn ein solcher Antrag zeigt, dass Ihnen gar nicht klar ist, wie dieses System aufgebaut ist
und mit welcher Logik es funktioniert. Zu jemandem,
der meint, er könne es mal eben so reparieren, kann ich
nur sagen: Hände weg! Mit Verlaub, ich sage das auch
aus eigener Erfahrung, Herr Kollege Gysi.
Mehr will ich zu Ihrem Vortrag hier gar nicht sagen.
Sie täten etwas Gutes für die Kinder in Deutschland,
wenn Sie dazu beitrügen, dass es ein solides System
gibt, auf das sich Familien verlassen können, wenn es
darum geht, eine gute Zukunft zu organisieren.
Wir haben heute Morgen hier in diesem Haus eine
ausführliche Debatte darüber geführt, wie wir den Familienleistungsausgleich voranbringen wollen. Das war
eine ausgesprochen gute Debatte, weil sie zeigte, wie
viel wir in den letzten zehn Jahren für Familien und damit auch für Kinder getan haben. Das kann sich im Vergleich zu jenen Zeiten unbedingt sehen lassen, in denen
Familie ein ausschließlich privater Bereich war.
Wir sind uns wohl alle einig, dass wir für unsere Kinder eine gute Zukunft wollen. Eine gute Zukunft für Kinder umfasst etwas mehr als eine Kindergelderhöhung,
für die ich mich ausdrücklich ausspreche.
({1})
Wir als SPD setzen deshalb auf eine gute Betreuung, auf
bessere Förderung, auf gute Schule und auf gute Ausbildung. Dennoch müssen wir, weil dazu auch Ehrlichkeit
gehört, festhalten: Kinder sind in Deutschland eher ein
Armutsrisiko als eine Reichtumschance. Auch das ist ein
Teil der Wahrheit.
Insofern ist es geradezu eine Verlockung, der die
Linke leider erlegen ist, die Erhöhung des Kindergeldes
so zu gestalten, dass sie bei Empfängern von Grundsicherung nicht auf das Grundsicherungseinkommen angerechnet wird, sondern zusätzlich gewährt wird. Das
wollen Sie ja mit Ihrem Antrag erreichen. Ich und mit
mir meine Fraktion halten das für falsch, und ich will das
gern begründen, weil mir daran liegt, dass ein wenig
Fachkenntnis in die Debatte kommt. Das ließen Sie, Herr
Gysi, leider in jeder Hinsicht vermissen.
Ich nehme an, dass Ihnen das Prinzip der Nachrangigkeit sehr wohl bekannt ist. Ich halte dieses Prinzip für einen zentralen Aspekt des sozialen Sicherungssystems,
und dies ist aus gutem Grund so. Im SGB II ist ausdrücklich festgelegt, dass Kindergeld als anzurechnendes Einkommen gilt. Das ist vom System her richtig und
notwendig; deshalb trete ich nach wie vor dafür ein. Sie
haben in Ihrer Begründung darauf hingewiesen, dass wir
1999 einmal versucht haben, es anders zu regeln. Wir
haben damit keine guten Erfahrungen gemacht.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gysi?
Wenn es seinem Erkenntnisgewinn dient, den er nötig
hat, gern.
({0})
Das könnte ja sein.
({0})
Vorab: Sie leisten immer einen Beitrag zu meinem Erkenntnisgewinn, egal in welcher Richtung.
Meine Frage ist folgende: Das Land Rheinland-Pfalz
unter Ministerpräsident Beck, Mitglied der SPD, hat im
Bundesrat - natürlich nach uns, aber immerhin am
5. November - genau dasselbe beantragt wie wir. Halten
Sie ihn in jener Hinsicht für genauso daneben wie mich,
oder wie darf ich Sie interpretieren?
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich antworte Ihnen sehr
gerne, und Sie werden einen Erkenntnisgewinn erzielen;
daran habe ich gar keinen Zweifel, Herr Gysi.
Ich glaube, dass Herr Beck ein sehr guter Ministerpräsident ist. Ich kann seinem Vorschlag etwas abgewinnen.
Er hat ihn allerdings für sein Bundesland gemacht. Dort
kann er auf eine gute Politik für Kinder zurückblicken.
Sie haben hier im Bundestag eine völlig andere Verantwortung. - Da ich noch bei der Beantwortung Ihrer
Frage bin, möchte ich Sie bitten, mir freundlicherweise
auch zuzuhören.
Wir Bundespolitiker haben guten Grund, zu sagen,
dass das nicht der richtige Weg ist. Ich zeige Ihnen andere Vorschläge auf. Wenn Sie ein wenig Geduld haben
- ich glaube, Sie werden sie haben -, können Sie erkennen, welche besseren Vorschläge wir machen.
({0})
Deshalb fahre ich jetzt fort.
Im Rahmen des Schulbedarfspakets, das wir heute
auch andiskutiert haben, stellen wir zum Beginn jedes
neuen Schuljahres 100 Euro zur Verfügung. Damit wollen wir genau jene Schüler und Schülerinnen unterstützen, die unsere Unterstützung verdammt nötig haben;
das ist heute deutlich geworden.
({1})
Die SPD tritt dafür ein, dass diese Unterstützung nicht
bei Schülern der 10. Klasse aufhört. Vielmehr sagen wir:
Solange ein Kind zur Schule geht - in möglichst vielen
Fällen hoffentlich bis zum Abitur -, gibt es am Beginn
eines jeden Schuljahres 100 Euro.
({2})
Ich denke, an dieser Stelle sollte einmal daran erinnert
werden, wer diese Idee ins Gespräch gebracht hat. Mit
Verlaub, Herr Gysi, das waren nicht Sie, sondern das war
Franz Müntefering.
({3})
Er machte im letzten Jahr den Vorschlag, ein Schulstarterpaket auf den Weg zu bringen.
({4})
Weil wir auch Gutes noch verbessern wollen, haben wir
aus dem Schulstarterpaket ein Schulbedarfspaket gemacht. Das ist zielführend und richtig. Darüber freue ich
mich sehr.
({5})
Besser würde die Lage von Kindern im Übrigen auch,
wenn Länder und Kommunen durch Lernmittelfreiheit,
Ganztagsschulen, gebührenfreie Kitas und mehr ihren
Teil dazu beitragen würden. Das Land Rheinland-Pfalz
ist hierfür wirklich modellhaft.
({6})
In diesem Zusammenhang ist auch der von uns eingeführte Kinderzuschlag unbedingt zu erwähnen. Wer das
Ziel des Kinderzuschlags kennt, weiß, dass er ausgesprochen positiv wirkt. Zum Jahreswechsel werden wir ihn
noch weiter verbessern. Denn unser Ziel ist, dafür zu
sorgen, dass Kinder gar nicht erst in die Bedürftigkeit hineinkommen, sondern dass schon vorher ein Weg gesucht wird, um dies zu verhindern. Das halte ich für eindeutig besser.
In der Begründung Ihres Antrags gehen Sie klugerweise auf die wirklich wichtigen Aspekte ein. Um die
wünschenswerte Verbesserung der Leistungen für Kinder zu erreichen, muss man Grundlagenarbeit machen.
Dem stellen wir uns. Wir fragen uns: Was ist der Bedarf
eines Kindes im Sinne einer Grundsicherung? Ist ein aus
dem Erwachsenenbedarf unmittelbar abgeleiteter Regelsatz sinnvoll? Wie könnte man einen eigenen Kinderregelsatz ausgestalten? Wir fragen uns auch, welche Altersstufen sinnvollerweise gebildet werden sollten.
Daran zu arbeiten, ist ein bisschen anstrengender, als
ganz flott einen Antrag aufs Papier zu bringen und sich
dann zu beschweren, dass er nicht angenommen wird.
Wir arbeiten an diesen Fragen sehr lösungsorientiert.
Damit haben wir uns viel vorgenommen. Wir sind uns
aber sicher: Die Kinder, die wir damit erreichen wollen,
verdienen das.
Zum Schluss möchte ich noch eine Anmerkung machen, die ich für ziemlich wichtig halte. Es ist richtig,
dass wir über unsere sozialen Sicherungssysteme diskutieren. Es ist richtig, dass wir sie verbessern wollen. Lassen Sie uns aber auch berücksichtigen, wie die Situation
wäre, wenn wir sie nicht hätten. In dieser Debatte vergessen wir immer wieder, dass wir im europäischen Vergleich
({7})
- das ist so, auch wenn Sie das nicht hören wollen; das
weiß ich - gar nicht so schlecht dastehen. Ich denke,
dass wir ein Sozialstaatsmodell haben, über das sich andere freuen würden.
({8})
Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch wir noch
das eine oder andere verbessern könnten. Daran arbeiten
wir zurzeit.
Abschließend: Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen,
dass möglichst viele Menschen eine Arbeit haben, von
der sie auskömmlich leben können. Noch besser wäre es,
wenn ganze Familien in einem Verbund davon leben
könnten. Deshalb behaupte ich: Sozialstaatspolitik und
Sozialpolitik sind wichtig. Dafür braucht man aber auch
eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik.
({9})
- Wir sind mittendrin. Aber ich merke, dass Sie das nicht
so recht mitbekommen.
({10})
Das ist allerdings schon seit längerer Zeit der Fall. Eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist der
Schlüssel für eine gute Zukunft der Kinder.
({11})
Insofern glaube ich, dass unsere Schwerpunkte richtig
sind und dass sich unsere Anstrengungen lohnen. Für
Schnellschüsse sind mir die deutschen Kinder nämlich
ein kleines bisschen zu schade.
({12})
Das Wort hat nun Kollege Markus Kurth, Fraktion
Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
10 Euro Kindergelderhöhung nicht auf den Regelsatz für
Kinder anzurechnen, klingt auf den ersten Blick gut und
richtig, und dadurch werden auch die Herzen der Menschen gewärmt. Die 10 Euro, die hier zur Debatte stehen,
liegen allerdings deutlich unter dem, was Kinder, die
sich im Hartz-IV-Bezug befinden, wirklich brauchen.
({0})
Das eigentliche Problem sind die viel zu niedrigen Regelleistungen.
({1})
Deshalb ist Ihr Antrag strategisch-politisch falsch,
und er ist auch systematisch falsch, weil Sie damit den
Nachrangigkeitsgrundsatz bei den Sozialleistungen aushebeln. Frau Lösekrug-Möller, das ist einer der wenigen
Punkte, bei denen ich Ihnen zustimme. Entscheidend ist:
Die politisch-gesellschaftlich wirklich wichtige Debatte
ist die um die höheren Regelsätze und nicht die um irgendwelche Trostpflästerchen.
({2})
Mit der Trostpflasterdebatte haben wir unsere eigenen
Erfahrungen. Im Jahre 1999 - das ist ja ausdrücklich Ihr
Vorbild; damals regierte Rot-Grün - haben wir Grüne
gefordert, die Kindergelderhöhung von damals noch
20 DM nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen. Wegen der
verfassungsrechtlichen Probleme konnte das dann auch
nur befristet für drei Jahre geschehen.
Was ist politisch passiert? Aus der Debatte um Regelsätze ist der Druck herausgenommen worden. Man
konnte sich erst einmal zurücklehnen und sich auf die
Schultern klopfen - ich reflektiere das durchaus selbstkritisch -, und man hat die gesamte Bedarfsdebatte nicht
angemessen geführt.
({3})
Diesen politischen Fehler wollen Sie jetzt um des kurzfristigen populistischen Erfolges willen wiederholen,
({4})
obwohl die Voraussetzungen in der gesellschaftlichen
Debatte um die Höhe der Kinderregelleistungen gar
nicht schlecht sind.
({5})
Im September dieses Jahres hat der Paritätische Wohlfahrtsverband in einer Studie festgestellt, dass die Regelleistungen für Kinder auf der Basis der Einkommensund Verbrauchsstichprobe deutlich über dem jetzigen
Stand liegen müssten, nämlich zwischen 276 und 358 Euro.
Im Juni dieses Jahres haben wir im Ausschuss für Arbeit
und Soziales eine Anhörung dazu geführt. Wir haben einen Antrag zu Kinderregelsätzen gestellt, und auch die
Fraktion Die Linke hat einen Antrag gestellt, mit dem sie
in eine ähnliche Richtung geht. Sie verfolgen ihn aber
gar nicht ernsthaft.
({6})
Ich sage das jetzt einmal der Großen Koalition: Die
Bundesländer haben am 23. Mai dieses Jahres einstimmig eine Anhebung der Kinderregelleistungen gefordert.
Die Bundesländer - auch Baden-Württemberg, Herr
Romer - haben die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, den Kinderbedarf auf der Basis der entwicklungsspezifischen Bedarfe von Kindern neu zu berechnen.
({7})
Das hat Baden-Württemberg mitunterzeichnet, und die
FDP war im Übrigen auch dabei.
Mehr noch: Am vergangenen Donnerstag hat der Bundesrat anlässlich der Abstimmung zum Familienfördergesetz noch eine allgemeine Bemerkung zu diesem Gesetz beschlossen - „8. Zum Gesetzentwurf allgemein“ -,
aus der ich hier jetzt noch einmal zitiere:
Der Bundesrat begrüßt den Beschluss der Bundesregierung, für hilfebedürftige Kinder einen gesonderten Schulbedarf … zu finanzieren.
Und dann:
Für die dringend erforderliche Berücksichtigung
des kinderspezifischen Bedarfs bei der Neubemessung der Regelleistungen und Regelsätze ist dies allerdings lediglich ein erster Schritt.
Das ist Mahnung und Auftrag für uns alle.
({8})
- Herr Romer, die Regelleistungen sollen angehoben
werden. Das ist hier festgehalten und Auftrag für uns
alle. Die politische Dynamik, die darin steckt, dass sogar
CDU-geführte Bundesländer dies tun, sollten wir aufgreifen.
Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Gysi?
Sehr gerne.
Ich habe nur eine Frage. Ich habe vorhin gesagt, dass
das Existenzminimum eines Kindes - gutachterlich festgestellt - jetzt bei 322 Euro monatlich liegt. Davon sind
wir meilenweit entfernt - sowohl bei den Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern als auch bei
Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern.
Ich bin völlig damit einverstanden, dass wir das mit
dem Trostpflaster sein lassen, wenn Sie mir sagen, dass
sie ab Januar eine solche Erhöhung erhalten. Sie sagen,
dass Sie über etwas anderes reden. Sie bekommen im Januar nichts, und dann wollen Sie ihnen auch noch nicht
einmal diese 10 Euro pro Monat geben. Das ist für mich
nicht nachvollziehbar.
({0})
Aus meiner Sicht müsste die Regelleistung ab sofort
entsprechend angepasst werden.
({0})
Lassen Sie mich das noch sagen - Sie sind ja an
Erkenntnisgewinn interessiert, wie ich eben erfahren
habe -: Ihr Vergleich der 322 Euro mit den heutigen Regelsätzen hinkt insofern, als Sie den Mietanteil an der
Stelle unterschlagen haben. Letzten Endes hilft Ihnen
der Verweis auf das steuerliche Existenzminimum dann
auch nicht weiter. Da bewegen Sie sich auch fachlich auf
dünnem Eis.
In politischer Hinsicht bin ich dafür, den Schwerpunkt insgesamt auf eine angemessene Regelleistung zu
legen, statt ab dem 1. Januar 10 Euro mehr zu zahlen. Ich
finde, man sollte in dieser Frage so redlich sein, die Sys20066
tematik der nachrangigen Sozialleistungen an der Stelle
nicht auszuhebeln. Wenn sich dafür in diesem Hause
eine Mehrheit findet, dann kommen wir, glaube ich,
auch politisch weiter.
Auch das Schulstarterpaket ist ein Trostpflaster, Frau
Lösekrug-Möller, das nicht annähernd an die Erhöhung
des Kindergeldes um 10 Euro herankommt.
({1})
Es beläuft sich auf 8,33 Euro im Monat. Angesichts dessen, was sich an Expertise dazu geäußert hat, ist das, mit
Verlaub, mehr als kläglich. Diskutieren Sie nicht nur,
sondern fangen Sie möglichst bald an zu handeln!
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10616 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes
- Drucksachen 16/10294, 16/10495 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({0})
- Drucksache 16/10833 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Claudia Winterstein
Claudia Roth ({1})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({2}) zu dem Antrag der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Das deutsche Filmerbe sichern
- Drucksachen 16/8504, 16/10831 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Claudia Winterstein
Claudia Roth ({3})
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia
Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Finanzierung zur Bewahrung des deutschen
Filmerbes sicherstellen
- Drucksachen 16/10509, 16/10891 Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Claudia Winterstein
Claudia Roth ({5})
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Staatsminister Bernd Neumann das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der deutsche Film hat seit der letzten Novellierung des Filmförderungsgesetzes deutlich an Bedeutung gewonnen. Er befindet sich auf Erfolgskurs.
({0})
Gerade die aktuellen Kinobesucherzahlen für die deutschen Filme können sich sehen lassen. Der Marktanteil
deutscher Filme betrug in den ersten neun Monaten
26,3 Prozent; die Erwartungen reichen sogar bis über
30 Prozent bis zum Jahresende. Noch vor wenigen Jahren schwankte dieser Anteil zwischen 10 und 18 Prozent. Unter den 28 Kinofilmen, die in diesem Jahr in
Deutschland die 1-Million-Grenze durchbrochen haben,
waren immerhin zehn deutsche Filme. Das hat es lange
nicht gegeben.
({1})
Auch international wird der deutsche Film derzeit gewürdigt und gefeiert wie schon lange nicht mehr. Auf allen bedeutenden Festivals und Wettbewerben laufen
deutsche Filme mit großem Erfolg.
({2})
In den letzten beiden Jahren ging der Oscar für den besten fremdsprachigen Film an von der Filmförderungsanstalt geförderte Projekte.
Der Deutsche Filmförderfonds hat in den letzten beiden Jahren - er besteht seit 2007 - unser Land auch als
Filmstandort attraktiv gemacht. Bisher wurden 116 Millionen Euro Fördermittel für 190 Projekte vergeben und
dadurch in Deutschland fast 740 Millionen Euro investiert.
({3})
Das ist ein Erfolg, und deshalb wollen wir diesen Fonds
um weitere drei Jahre verlängern.
Der heute zur Beratung vorliegende Entwurf des
Filmförderungsgesetzes ist der Schlüssel zum Erfolg des
deutschen Films. Er unterstützt den gesamten Prozess
der Entstehung und Verwertung von Filmen: vom Drehbuch über die Filmherstellung bis zur Vorführung im
Kino und der Auswertung in weiteren Verwertungsstufen.
Der schwierigen Situation unserer Filmtheater haben
wir nach intensiven Gesprächen mit den Kinoverbänden
in vielerlei Hinsicht Rechnung getragen. Wir haben auf
der einen Seite die Abgabenlast der Kinos um fast 8 Prozent verringert. Damit sinken deren Beiträge von
19,5 Millionen auf 18 Millionen Euro. Auf der anderen
Seite haben die Fernsehsender nach vertrauensvollen
Gesprächen ihre Leistungen noch einmal erhöht. Sie
werden ihre sogenannten Medialeistungen in Form von
Werbezeiten für Kinofilme um 5,5 Millionen Euro anheben.
({4})
Insgesamt steigen damit die Beiträge der Sender von
23 Millionen auf 28,5 Millionen Euro. Das ist ein gutes
Ergebnis, insbesondere wenn man die prekäre finanzielle
Lage mancher Privatsender sieht.
({5})
Manche sind damit unzufrieden, dass wir mit den
Fernsehsendern das alles in Verträgen vereinbart haben.
Sie hätten gern einen gesetzlichen Abgabetatbestand.
Das ist ein altes Thema. Meine Position dazu hat sich
nicht verändert. Mir kommt es auf das Ergebnis an. Warum sollen wir denn ein verfassungsrechtliches Risiko
eingehen? Warum sollen wir einen Streit mit den Bundesländern vom Zaun brechen, weil sie ihre eigene Filmförderung bedroht sehen? Warum sollen wir das machen,
wenn wir anders ein gutes Ergebnis erzielen können?
({6})
Wir haben alle Fernsehsender als verlässliche Vertragspartner kennengelernt. So soll es auch bleiben.
({7})
Mit dem Gesetzentwurf nehmen wir auch die Herausforderungen der Digitalisierung unserer Kinos an. Aber
in unserer Wirtschaftsordnung sind erst einmal die Unternehmen selbst für Erneuerungsinvestitionen verantwortlich. Deshalb erwarten wir hier endlich ein gemeinsames Konzept von Verleihern und Kinobesitzern, um
dann mit allen, auch mit den Bundesländern, über Finanzierungsmodalitäten zu reden.
({8})
Das Filmförderungsgesetz zielt auf die Förderung des
Kinofilms als besonderes ästhetisches Gut. Große Filme
brauchen eine große Leinwand. Der Erhalt der Kinos als
kulturelle Begegnungsstätte ist das zentrale Anliegen
dieses Gesetzes. Deswegen hat das Gesetz es verdient,
insbesondere von den Kinobesitzern Beifall zu bekommen.
({9})
Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langer Verhandlungen mit allen Beteiligten. Auf Grundlage der Ergebnisse des runden Tisches, zu dem ich im Dezember
letzten Jahres in Hamburg 100 Vertreter der Branche eingeladen hatte, und nach sich anschließenden, zahlreichen
Einzelgesprächen wurde ein breiter Konsens erzielt. An
dieser Stelle möchte ich den Mitgliedern des Bundestages, insbesondere dem Kulturausschuss, für die konstruktive Zusammenarbeit danken. Ich bin überzeugt,
dass das neue FFG ein gelungener Wurf ist, und würde
mich freuen, wenn der Gesetzentwurf im Parlament eine
breite Zustimmung erhielte.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat nun Kollegin Claudia Winterstein für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der deutsche Film feiert ein erfolgreiches Kinojahr 2008. Der Staatsminister hat schon darauf hingewiesen: Der Marktanteil deutscher Produktionen liegt nach
drei Quartalen bei über 25 Prozent. 20 Millionen Zuschauer haben in diesem Jahr einen Film aus deutscher
Produktion gesehen. Das ist ein toller Erfolg.
({0})
Gerne werden diese Zahlen als Erfolg der deutschen
Filmförderung gefeiert. Eines ist auf jeden Fall klar:
Ohne die Filmförderung hätte der deutsche Film sicherlich einen sehr schweren Stand. Ich glaube, darüber sind
wir uns alle einig. Schließlich haben 90 Prozent der
Filme aus deutscher Produktion eine Förderung erhalten.
Aufgrund der Ausweitung der Förderung ist die Zahl
deutscher Filme in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Vor zehn Jahren startete pro Woche ein Film aus
deutscher Produktion in den Kinos. Heute sind es mehr
als zwei pro Woche. Die Filmförderungsanstalt fördert
jährlich etwa 170 Filme. Allerdings sagt die große Zahl
der deutschen Filme noch nichts über ihren Erfolg aus.
Leider erreichen 40 Prozent der geförderten Werke nur
weniger als 10 000 Zuschauer. Den hohen Marktanteil in
diesem Jahr verdanken wir lediglich acht Produktionen,
die Besucherzahlen im Millionenbereich erreicht haben.
Staatsminister Bernd Neumann: Staatsminister Bernd Neumann
Nun ist für die FDP der Marktanteil nur ein Erfolgsmaßstab für den deutschen Film.
({1})
Natürlich zählt auch die künstlerische Bedeutung. Wir
halten aber den wirtschaftlichen Erfolg für ein sehr
wichtiges Kriterium der Filmförderung. Bei allem Jubel
über die aktuellen Zahlen muss man zugeben: Andere
Länder sind weitaus erfolgreicher als wir in Deutschland. Frankreich zum Beispiel erreicht dauerhaft einen
Marktanteil von über einem Drittel heimischer Produktionen. Das muss auch unser Ziel in Deutschland sein.
Deswegen brauchen wir eine effektive Filmförderung
nach dem Motto „mehr Klasse statt Masse“.
Wird das neue Filmförderungsgesetz nun diesem Anspruch gerecht? Zunächst möchte ich die Arbeit des Kulturstaatsministers loben, der hier insgesamt ein gutes
Gesetz vorgelegt hat.
({2})
Jeder, der die Filmwirtschaft kennt, weiß, wie schwierig
es ist, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Akteure auf einen einigermaßen gleichen Nenner zu bringen. Dies ist Ihnen, Herr Neumann, mit diesem Gesetz
gelungen, und wir werden diesem Gesetz natürlich zustimmen.
({3})
Zwei positive Punkte möchte ich herausgreifen. Zum
einen halte ich die Ausweitung der Drehbuchförderung
im neuen Filmförderungsgesetz für ein sinnvolles Mittel,
um die Stoffentwicklung zu stärken. Dies ist die grundlegende Voraussetzung, um gute Filme zu schaffen, die
auch an der Kinokasse erfolgreich sind. Zum anderen
dürfte die stärkere Absatzförderung dazu beitragen,
mehr Zuschauer für deutsche Filme zu begeistern.
Leider haben Sie das - zugegebenermaßen - schwierigste, aber auch wichtigste Problem ausgespart, nämlich
die Finanzierung der Filmförderungsanstalt. Zahlungen
unter Vorbehalt, Klagen bei der EU, Zahlungsverweigerung einzelner Anbieter - das Finanzierungssystem ist
und bleibt die Achillesferse der FFA. Dabei braucht die
FFA eine verlässliche finanzielle Grundlage für die Förderung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer sich rasch verändernden Landschaft der Verwerter
von Filmen. Die Angebote sind vielfältiger und unübersichtlicher geworden. IP-TV, Video-on-Demand, Payper-Channel und wie sie alle heißen - die Abgrenzung
zwischen diesen Anbietern fällt oft schwer.
Leider ist in der FFG-Novelle die Einbeziehung der
neuen Dienste in die Finanzierungsstruktur nicht befriedigend.
({4})
Wir brauchen ein übersichtliches, faires Abgabensystem
auf einer einheitlichen Grundlage, das alle Nutzer von
Kinofilmen nach ihrer Leistungsfähigkeit in die Finanzierung einbezieht, ohne einzelne Anbieter zu überfordern.
({5})
Der dauernde Kuhhandel über die Beiträge muss endlich
beendet werden. Die FDP hatte im Ausschuss einen Antrag gestellt, um eine Verbesserung bei der Finanzierung
zu erreichen, aber leider hat die Koalition diesem Vorschlag nicht zugestimmt.
({6})
Ich wünsche mir, dass wir die Evaluation des Deutschen Filmförderfonds, die im Moment läuft, auf die Arbeit der FFA ausdehnen, auch unter dem Aspekt, wie die
einzelnen Förderinstrumente miteinander wirken. Dies
ist neben der Frage nach der Archivierung des Filmerbes
die zentrale filmpolitische Aufgabe für das nächste Jahr.
Hier haben wir in einem gemeinsamen Antrag die wichtigsten Forderungen an die Bundesregierung formuliert.
Der Kulturstaatsminister hat angekündigt, im nächsten
Jahr ein Konzept vorzulegen, wie die Bewahrung dieses
kulturellen Filmerbes organisiert werden kann.
({7})
Für mich ist besonders wichtig, dass die Archivierung
nach klaren Kriterien erfolgt, welche filmischen Werke
verbindlich aufbewahrt werden sollen. Es ist übertrieben, jeden Werbespot, Videospiele oder Internetfilmchen
aufzubewahren, wie die Linke es hier vorgeschlagen hat.
Dies würde nur Bürokratie und hohe Kosten für den
Steuerzahler und die Filmwirtschaft bedeuten.
({8})
Wir brauchen effektive Instrumente der Filmförderung, die gut aufeinander abgestimmt sind, um sowohl
der künstlerisch-kreativen als auch der wirtschaftlichen
Bedeutung des Filmes gerecht zu werden.
({9})
Das Wort hat nun Kollegin Angelika Krüger-Leißner,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In diesem Jahr konnten wir ein erfreuliches Jubiläum feiern: 40 Jahre Filmförderungsanstalt. 40 Jahre
FFA heißt auch vier Jahrzehnte erfolgreiche Filmförderung auf der Grundlage des FFG. Heute wollen wir das
zum fünften Mal fortschreiben.
Was uns nun zur Abstimmung vorliegt, ist wirklich
eine gute Novelle.
({0})
Aber alle wissen, dass dieses Ergebnis nur möglich geworden ist, weil in diese Vorbereitungen immense Arbeit
gesteckt wurde. Mit größtem Aufwand wurde in zahlreiAngelika Krüger-Leißner
chen Abstimmungen, Gesprächsrunden und Anhörungen
mit allen Beteiligten der Filmbranche nach Lösungen gesucht. Mit bewundernswerter Geduld und harter Arbeit
wurde um den Interessenausgleich gerungen.
An dieser Stelle möchte ich - das wird niemanden
wundern - ganz herzlich Herrn Kulturstaatsminister
Neumann danken und ihn bitten, diesen Dank auch an
seine Mitarbeiter weiterzugeben.
({1})
Ich möchte an der Spitze Herrn Hanten und Frau Schauz
nennen.
({2})
Ich sage das nicht nur so dahin. Ich habe nämlich wirklich großen Respekt vor diesem außergewöhnlichen Einsatz. Mein Dank gilt auch den Koalitionsfraktionen für
die konstruktive Zusammenarbeit. Ich glaube auch, dass
die Oppositionsfraktionen und wir ziemlich nahe beieinander sind.
Ich finde, die Mühen haben sich insgesamt gelohnt,
weil wir jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen. Es
ist uns gelungen, die Förderung und ihre Finanzierung
an die veränderten Rahmenbedingungen für die Herstellung und die Auswertung des deutschen Kinofilms anzupassen. Wir haben die rasanten technischen und medienwirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre
berücksichtigt. Ich freue mich ganz besonders, dass wir
auch die kreative Seite des Filmemachens gestärkt haben.
Ich will einige Kernpunkte ansprechen: Wir haben die
neuen Anbieter, die Videoabrufdienste und Programmanbieter, in die Finanzierung der FFA einbezogen; jetzt
haben wir eine breite Grundlage. Wir haben die Produzenten in der Rechtefrage gegenüber den Sendern gestärkt. Wir haben die Drehbuchförderung verbessert und
ausgebaut. Außerdem konnten wir die wichtige Absatzförderung erhöhen. Darüber hinaus haben wir die Sperrfristen zeitgemäß ausgestaltet. Ich glaube, wesentlich
war, dass wir die Kino- und die Abspielförderung gestärkt haben. Darauf möchte ich nachher besonders eingehen.
Ich finde, dass das FFG insgesamt solidarischer geworden ist und aus meiner Sicht auch gerechter. Ich bin
auch ein wenig stolz darauf; denn ich bin mir sicher, dass
wir auf dieser Grundlage künftig auch in der Breite mehr
Qualität in den deutschen Film bringen können.
({3})
- Einige hören gar nicht zu. Das stört ganz schön, Herr
Börnsen.
({4})
Lassen Sie mich aber zunächst auf die Verbesserungen für die Kinos eingehen. Ich finde, dass wir in diesem
Bereich eine Menge getan haben. Dies war aus meiner
Sicht auch nötig, weil es mit der wirtschaftlichen Lage
der Kinos wirklich nicht zum Besten steht. Wir haben
seit Jahren rückläufige Besucherzahlen. Während man in
der Geburtsstunde des FFG, 1967, noch klagte, dass man
nur 290 Millionen Eintrittskarten im Jahr verkaufen
konnte, sind wir heute schon froh, wenn wir das Resultat
des letzten Jahres, nämlich 125 Millionen Besucher, erreichen. Es gab 2005 einen regelrechten Einbruch. Davon haben sich die Kinos noch nicht erholen können.
Aber es kommt noch mehr zusammen. Viele Kinobetriebe schleppen noch die Belastungen der Altdarlehen
mit sich, weil sich die damaligen Prognosen, dass die
Besucherzahlen steigen, nicht erfüllt hatten. Vor diesem
Hintergrund hat sich bei vielen Häusern ein Investitionsstau gebildet. Das heißt, viele Kinos können nicht mehr
die Ausstattung und den Komfort bieten, den der Zuschauer erwartet. Für viele Kinos wird die anstehende
Umrüstung auf die digitale Projektion zu einer Frage des
Überlebens werden. Auf all diese Herausforderungen
haben wir mit der neuen Kinoförderung reagiert.
({5})
Ich will die Punkte einzeln benennen:
Erstens stehen für besondere Werbemaßnahmen und
zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit künftig Zuschüsse bis zu einer halben Million Euro zur Verfügung.
Zweitens können Förderungshilfen für die Modernisierung, die Verbesserung und die Neuerrichtung von
Filmtheatern, die bisher nur als Darlehen vergeben worden sind, künftig bis zu 30 Prozent als Zuschuss gewährt
werden.
Drittens haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass
alte Darlehensschulden gegenüber der FFA bis zu
50 Prozent erlassen werden.
Viertens haben wir mit dem sogenannten Sondertopf
Digitalisierung die Voraussetzung dafür geschaffen, dass
die FFA einen beachtlichen Beitrag zur Finanzierung der
Digitalisierung leisten kann.
Fünftens haben wir insgesamt den Anteil der Kinos
am Förderkuchen deutlich erhöht: Bisher waren es
20 Prozent; jetzt sind es 25,5 Prozent. Ich will ganz deutlich sagen: Kein anderer Bereich kann von dieser Novellierung so stark profitieren wie die Kinobranche.
({6})
Sechstens konnten wir, die Koalitionsfraktionen, nach
der Anhörung eine weitere Entlastung der Kinos durchsetzen - sie ist in das Gesetz aufgenommen worden -,
von der vor allen Dingen die größeren Kinos, bei denen
die Lage besonders angespannt ist, profitieren werden;
denn die Kinos werden bei der Filmabgabe um rund
1,3 Millionen Euro entlastet.
Ich habe Ihnen diese sechs Maßnahmen nicht ohne
Grund aufgezeigt. Ich finde, wir haben so ein Stück
mehr Abgaben- und Fördergerechtigkeit geschaffen. Ich
bin sehr froh, dass wir das für die Kinos erreichen konnten. Ich hoffe, dass das Ergebnis der Kinobranche Mut
macht und Zuversicht schafft, dass es ein gutes Zeichen
für die Solidarität in der Branche ist. Wenn jetzt alle Kinos zusammenstehen, werden wir auch die nächste Herausforderung - die Phase der Digitalisierung - gemeinsam bewältigen. Ich stehe jedenfalls fest an der Seite der
Kinos.
({7})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mir
wichtig ist. Zu den guten Rahmenbedingungen für die
Filmwirtschaft gehören auch - das ist ganz wichtig - gut
qualifizierte und motivierte Beschäftigte. Was mir Sorgen macht, sind die Arbeitsbedingungen bei der Filmproduktion, die sich in den letzten Jahren unter dem zunehmenden Kostendruck für die Unternehmen
verschlechtert haben. Viele Filme, insbesondere LowBudget-Produktionen, könnten unter den Vorgaben starrer Arbeitszeitregelungen gar nicht entstehen. Deshalb
haben wir die Möglichkeit, im Rahmen des Tarifvertrages besonders hohe Arbeitszeiten zuzulassen. Im Gegenzug erwarten wir, dass Ruhezeiten, Arbeitszeitkonten
und Vergütungen berücksichtigt werden.
({8})
Aber dazu müssen die Tarifverträge angewendet werden.
Wir machen leider die Erfahrung, dass diese in der Branche mit Pauschalverträgen unterlaufen werden.
Ich habe lange geprüft, welche Auswirkungen es
hätte, wenn man - entsprechend dem Antrag der Linken die Einhaltung sozialer Standards als Förderbedingung
ins FFG aufnähme. Ich bin zu dem Schluss gekommen,
dass das mehr Schaden anrichten würde, als es weiterhelfen würde. Aus diesem Grunde lehnen wir den Antrag der Linken ab. Die Umsetzung würde große EUrechtliche Probleme bringen. Wahrscheinlich würde das
Gesetz gestoppt. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen.
({9})
Wir haben mit unserem Koalitionspartner einen Weg
gefunden. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn
Börnsen und bei Herrn Mißfelder bedanken, dass uns
das gelungen ist. Die FFA hat sich künftig um die Belange der Filmwirtschaft einschließlich ihrer Beschäftigten zu kümmern.
({10})
Das haben wir in der Begründung deutlich ausgewiesen.
In Zukunft können wir darauf Bezug nehmen. Die Filmschaffenden selber können sich darauf berufen. Das wird
ihre Position nachhaltig stärken. Ich halte das für einen
großen Fortschritt.
({11})
Zugleich bitte ich Herrn Börnsen, Frau Connemann
und Herrn Mißfelder, die Kollegen Sozialpolitiker zu gewinnen, eine weitere Veränderung einzubringen: die
Veränderung der Rahmenfrist. Mir ist egal, wie das erreicht wird. Wenn wir wirklich etwas für die Branche der
Filmschaffenden tun wollen, müssen wir auch an die
Rahmenfrist herangehen.
Ein letzter Punkt, den ich herausgreifen will: die Förderung der Kreativen und die Beteiligung der Regisseure
an der Referenzfilmförderung. Tomy Wigand hat es klar
zum Ausdruck gebracht: Die Regisseure sind darauf angewiesen, dass wir ihnen bei der Projektentwicklung etwas mehr den Rücken freihalten. Ich würde hier gern etwas mehr tun. Auch hier habe ich geprüft, ob das im
Rahmen des FFG möglich ist. Ich sage Ihnen: Das wäre
falsch. Wir brauchen einen Konsens in der Branche. Wir
können nicht einfach Geld hin- und herverteilen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Vielen Dank, Herr Präsident, für den Hinweis.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Wir sollten etwas mehr tun, aber an einer anderen Stelle:
im Rahmen des Deutschen Filmpreises. Ich bitte meine
Kollegen, mich dabei zu unterstützen.
({1})
Ich denke, dass wir mit dieser Novellierung eine
Menge für das Kulturgut und Wirtschaftsgut Film getan
haben. Ich bin mir ganz sicher, dass wir für die Kinos
und für die Verbesserung der Qualität und der Vielfalt
des deutschen Filmschaffens die Weichen gut gestellt
haben. Das ist, finde ich, ein gutes Fazit.
Danke.
({2})
Das Wort hat nun Kollege Lothar Bisky, Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der
Zukunft der Filmförderung und der Sicherung des Filmerbes stehen heute zwei wichtige Themen für die Kultur
unseres Landes zur Debatte. Bei der Sicherung des Filmerbes sind wir uns einig, dass die Archivbestände vor der
Zerstörung bewahrt werden müssen. So weit, so gut. Es
ist mir aber ein Rätsel, wie das ohne zusätzliche Haushaltsmittel funktionieren soll. Wer das Filmerbe sichern
will, muss auch darlegen, wie das finanziert werden
kann.
({0})
Wir haben mit vielen beteiligten Institutionen, dem
Bundesfilmarchiv, der Deutschen Kinemathek, der
DEFA-Stiftung und vielen anderen Akteuren gesprochen. Nach ersten Schätzungen wird die Sicherung des
deutschen Filmerbes um die 90 Millionen Euro kosten.
Deshalb schlagen wir erstens vor, dass die Filmwirtschaft und die Bundesregierung über einen Zeitraum von
fünf Jahren jeweils 6 Millionen Euro jährlich für die
Sicherung des Filmerbes zur Verfügung stellen. Zweitens sollen weitere 6 Millionen Euro im Jahr durch eine
zweckgebundene Abgabe auf jede Kinokarte in Höhe
von 5 Cent erhoben werden. Drittens fordern wir eine
gesetzlich verankerte Abgabepflicht für alle öffentlich
aufgeführten, neu produzierten Filme.
({1})
Wer das deutsche Filmerbe ernsthaft schützen will, der
muss dafür auch die nötigen Mittel aufbringen. Ich
meine, dass das Geld hier wirklich gut angelegt ist.
({2})
Die Sicherung des Filmerbes ist unser gemeinsames Interesse. Nehmen Sie sich daher unsere Vorschläge ruhig
zu Herzen, und prüfen Sie sie ganz genau!
Auch bei der Novelle zum Filmförderungsgesetz geht
es um grundlegende Rahmenbedingungen der Filmproduktion in den kommenden fünf Jahren. Das Filmförderungsgesetz ermöglicht es, dass weitere Kinofilme in
Deutschland produziert werden. Deshalb ist die Filmförderung in unserem Lande und in ganz Europa zu Recht
eine breit akzeptierte Praxis. Auch wir akzeptieren sie.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes enthält gute Pläne zur
Neujustierung der hiesigen Filmwirtschaft. Die Förderbedingungen des deutschen Films werden optimiert. Das
ist zwar alles in Ordnung; aber uns fehlt ein wichtiger
Aspekt: Die soziale Situation der beim Film Beschäftigten muss Berücksichtigung finden.
({3})
Die Linke fordert deshalb, dass die Vergabe von Filmfördermitteln verbindlich an die Einhaltung sozialer
Mindeststandards für die in der Filmbranche Tätigen gebunden ist.
Gegenwärtig sonnen sich die Promis aus Politik und
Gesellschaft im Glanz des roten Teppichs,
({4})
und die große Zahl der nicht wenigen Filmschaffenden
arbeitet in sehr schlecht bezahlten Jobs. Wenn Ihnen das
egal ist, dann bleiben Sie bei Ihrer Haltung. Wir werden
das immer wieder thematisieren.
({5})
Dumpinglöhne und mangelnde soziale Absicherung
müssen nicht sein. Damit muss Schluss sein. So wie der
deutsche Film gegenüber der Marktmacht der Hollywood-Produktionen konkurrenzfähig gehalten werden
muss, so müssen auch die Filmschaffenden vor der
Macht des Marktes geschützt und gestärkt werden.
({6})
Das Filmförderungsgesetz ist dafür genau das richtige
Instrument. Wir sagen Ja zur Förderung, aber nur bei guter sozialer Absicherung und angemessener Bezahlung
der festen und freien Beschäftigten. Wir wissen, dass allein dadurch keine guten Filme entstehen. Ich hoffe, dass
wir nicht auf die Tradition zurückkommen, dass der Erfolg des deutschen Films vor allem der Politik zu danken
ist. Nein, das ist den Menschen, die diese Filme produzieren, zu verdanken und den vielen anderen, die daran
beteiligt sind: von der Beleuchtung, über die Garderobe,
die Maske usw. Auch sie sollten am Erfolg des deutschen Films beteiligt sein.
({7})
Meine Damen und Herren, auch wir Linken wissen,
dass Filmförderung und gute soziale Absicherung keine
hinreichenden, aber nach unserer Meinung doch erforderlichen Bedingungen für gute Produktionen sind.
({8})
- Herr Tauss, ich freue mich immer, wenn auch Sie das
wissen. Das ist ja gut so. Ich erwähne es trotzdem. Im
Übrigen scheint die Große Koalition ja vor Wissen fast
zu platzen. ({9})
Vieles andere wie Vertriebsförderung, stimulierende
Filmpreise und Belohnungen für publikumswirksame
Filme, die dank des Enthusiasmus und der Risikobereitschaft der Produzenten gedreht wurden, gehören ebenso
dazu. Es gehört also viel mehr zur Filmförderung.
Lassen Sie uns gemeinsam die Kreativschaffenden als
die eigentlichen Leistungsträger der Filmwirtschaft in
den Mittelpunkt der Filmförderung stellen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun Wolfgang Wieland für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und
Herren! Ich bin der Sprecher für innere Sicherheit meiner Fraktion,
({0})
aber keine falschen Schlüsse: Der deutsche Film ist für
uns kein Sicherheitsproblem geworden.
({1})
Nein, die Kollegin Roth, die hier gerne geredet hätte, ist
schon auf dem Weg, nicht nach Hollywood, aber immerhin nach Erfurt zu unserem Bundesparteitag.
({2})
Von daher habe ich die Ehre, hier zu Ihnen zur Filmförderung reden zu dürfen. Das ist schwierig für einen Innenpolitiker; denn so viel Lob für einen Minister wie in
dieser Debatte gibt es in innenpolitischen Debatten eigentlich nie, noch nicht einmal vom Koalitionspartner.
Deswegen muss ich mir - das gestehe ich zu - Mühe geben, um mich hier nicht wie in einem falschen Film, sondern nur wie in einem ungewohnten Film zu fühlen.
Für uns hat die Novelle Licht und Schatten. Tucholsky
fragt: Wo bleibt das Positive? Damit fangen wir also an.
Gut ist auf jeden Fall, dass die Drehbuchautorinnen
und Drehbuchautoren mehr Fördermittel erhalten und
diese nun auch selbstständig beantragen können.
Gut finden wir auch - Herr Neumann hat es angesprochen -, dass die Frage der Digitalisierung der Kinos zum
Thema geworden ist. Uns ist es wichtig, dass auch Programmkinos und mittelständische Kinos diesen Weg
mitgehen können.
({3})
Angesichts dessen, was da auf uns zukommt, haben wir
Grüne die Einrichtung eines runden Tisches Kino angeregt, damit alle diesen Weg mitgehen können und es
nicht zu einer weiteren Marktbereinigung und einem
weiteren Sterben der kleinen Kinos kommt.
({4})
Kritik üben wir daran, dass es nicht gelungen ist, die
Zusammensetzung des Präsidiums der Filmförderungsanstalt zu verbessern. Wir hatten vorgeschlagen, auch
dort den Kreativen einen Sitz einzuräumen und nicht nur
wie bisher im Verwaltungsrat. Dort wird dies ja praktiziert; aber auch im Präsidium sollten sich die Bereiche
Drehbuch, Regie, Kurz- und Dokumentarfilm einen Sitz
teilen. Das wurde von Ihnen mit Ihrer Mehrheit im Ausschuss abgelehnt. Das halten wir für misslich.
({5})
Es geht ja bei der Filmförderung nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um kulturelle Fragen.
Ein anderes Anliegen von uns Grünen war die Einbeziehung von Regisseurinnen und Regisseuren in die Referenzmittelförderung. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, auch für einen geplanten Film Fördermittel zu
beantragen. Das Geld wäre sozusagen in der Produktion
geblieben und nicht abgezogen worden. Meines Erachtens ist das - das ist ja für mich Neuland; ich habe mir
das erklären lassen - ein durchaus originärer und guter
Vorschlag. Auch in dieser Frage haben Sie es nicht für
nötig gehalten, unser Anliegen aufzugreifen.
Die Frage ist jetzt natürlich, was Sie sozusagen an
diese Stelle setzen wollen
({6})
- ja, ich hätte es gerne von Herrn Neumann gehört - und
wie dieses Loch, in das Regisseure ja oft fallen, gefüllt
werden soll. Nachdem Regisseure einen guten Film gedreht haben, bleibt ja häufig der Anschlussfilm aus, sodass sie zum Teil gezwungen sind, sich anderweitig Beschäftigung zu suchen. Um das zu verhindern, gibt es
auch andere Möglichkeiten, zum Beispiel über den Bundesfilmpreis. Ich denke, an dieser Stelle muss noch
nachgearbeitet werden.
({7})
- Ja, ich hoffe, dass das kommt.
Ich komme deswegen jetzt zu einem ganz versöhnlichen Schluss.
({8})
- Ich sagte ja, dass ich die Anpassung übe.
Es sind positive und negative Elemente darin enthalten. Hätte der Herr Kulturstaatsminister etwas zu der
Frage gesagt, die ich als letztes angeschnitten habe,
({9})
nämlich zur Stellung der Regisseurinnen und Regisseure, dann hätten wir zustimmen können. So wird sich
unsere Fraktion der Stimme enthalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun Kollege Philipp Mißfelder für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe mir natürlich eine breitere Zustimmung für diesen Gesetzentwurf gewünscht, nachdem wir schon die ganze Zeit konstruktiv diskutiert haben. Offensichtlich haben sich die Grünen aber im
falschen Film befunden - Sie haben es ja gerade gesagt,
Herr Kollege Wieland -,
({0})
während sich die Linkspartei in einem ganz anderen
Film befindet. Sie versucht zwar, davon abzulenken, indem sie Tatort-Kommissare ins Rennen schickt. Wenn
ich Sie aber reden höre, Herr Dr. Bisky, dann denke ich
eher an Das Leben der Anderen statt an alles andere.
({1})
Ich möchte ausdrücklich das Zustandekommen des
Gesetzentwurfs hervorheben. Wir haben tatsächlich
lange und konstruktiv über die routinemäßig anstehende
Novellierung diskutiert. Frau Krüger-Leißner, Sie haben
bereits gesagt, dass das nicht ohne Diskussionen vonstatten gegangen ist. Ich möchte mich aber ganz herzlich bei
Ihnen als SPD-Berichterstatterin bedanken und hervorheben, dass die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Herrn Neumann so erfreulich
war, dass ich mich schon jetzt auf die nächste Novellierung freue, die ab dem Zeitpunkt der Verabschiedung ansteht; denn Sie haben bereits ein breites Feld an Aufgaben für die kommenden Jahre aufgezählt.
Ich glaube, es ist notwendig, über das hinaus, was wir
zu regeln versucht haben, noch weitere Themen aufzugreifen. Wir reißen einen bestimmten Bereich an, beispielsweise die Frage der Digitalisierung, die Frage des
Erhalts des Filmerbes und die Frage der zukünftigen
Einbeziehung anderer Medien. Dies betrifft ganz konkret
die Frage von Video-on-Demand, wo wir zum ersten
Mal einsteigen. Dabei müssen wir aber auch die Frage
stellen, ob wir bei der nächsten Novellierung nicht noch
weitergehen können.
Im Laufe der Entwicklung des Medienbereichs in den
kommenden Jahren wird der Weg des Films zum Zuschauer eine größere Rolle spielen. Deshalb muss dieser
Weg einbezogen werden, auch wenn sich starke Interessenvertretungen dagegen aussprechen. Bei der nächsten
Novelle wollen wir das Thema noch deutlicher angehen,
als wir es bislang angegangen sind.
({2})
Der Film ist ein großes Kulturgut geworden und ist
nicht nur wichtig für die deutsche Sprache, sondern auch
für das Vermitteln von historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Deshalb ist es gerade in unserem Interesse, dass möglichst viele deutsche Produktionen in Deutschland erfolgreich sind und darüber hinaus
natürlich auch international eine Chance bekommen.
({3})
Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark bewährt. Deshalb gilt ein ausdrücklicher Dank unserem
Kulturstaatsminister, der vielfach - dies nicht ganz zu
Unrecht - als Filmminister bezeichnet wird. Denn beim
Thema Film haben wir es mit einer Bündelung von Maßnahmen, wie zum Beispiel mit dem DFFF und der heute
zu beratenden FFG-Novelle, geschafft - auch gemeinsam mit Herrn Steinbrück; das möchte ich gar nicht unterschlagen -, den Film finanziell so gut auszustatten,
dass ich mir um den deutschen Film in den kommenden
Jahren wenig Sorgen machen muss.
({4})
Was die Sicherung des Filmerbes angeht - dies war
auch ein wichtiger Punkt in der Diskussion -, so möchte
ich zumindest darauf verweisen, dass wir im Rahmen
der Neuregelung des Bundesarchivgesetzes auch noch in
dieser Legislaturperiode die Möglichkeit haben, in diesem Bereich Erfolge zu erzielen, sodass der Eindruck,
der aufgrund des Antrags der Linken entsteht, wir würden hier zu wenig tun, einfach nur trügt. Wir werden dieses Thema in dieser Legislaturperiode hoffentlich noch
weiter verfolgen können. Die Diskussion im Rahmen
des Kulturausschusses macht mich sehr optimistisch.
({5})
Mit diesem Gesetzentwurf würdigen wir nicht nur die
Leistungen der Produzenten, die ich besonders hervorheben möchte, also die Leistung derjenigen, die Film vor
allem als Wirtschaftsgut darstellen. Deshalb haben wir
sie stärker in den Verwaltungsrat der FFA eingebunden,
was ich für eine sinnvolle Maßnahme erachte. Und so
schaffen wir zumindest auch appellativ den Einstieg in
die Diskussion darüber, wie man eine Verbesserung der
sozialen Situation der Menschen, die beim Film arbeiten,
erreichen kann. Das ist auch ein Wert dieses Gesetzes an
sich.
({6})
Ich wünsche uns allen viele vergnügliche Kinoerlebnisse mit möglichst vielen deutschen Filmen. Ich wünsche mir auch, dass im Abspann oft der Hinweis zu sehen ist, dass der Film mit von uns bewilligten Mitteln
produziert worden ist. Dann können wir zu Recht stolz
darauf sein, dass wir für das Kulturgut Film sehr viel getan haben.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile nun das Wort Kollegin Monika Griefahn,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie sehr Filme Menschen bewegen und unser tägliches Leben künstlerisch widerspiegeln, hat sich für mich
gestern erneut gezeigt. Bei einer Sondervorführung des
Films „Let’s make money“, die für die Mitglieder des
Deutschen Bundestages veranstaltet wurde, konnten wir
mit dem Filmemacher Erwin Wagenhofer diskutieren.
Sein neuer Dokumentarfilm gibt einen sehr realen Einblick in die komplizierte Welt der Finanzströme. Vor
dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise fand ich diesen Film auch deshalb so beeindruckend, weil er auf sehr
plastische Weise die mit diesem globalen Geldkreislauf
verbundenen Folgen verdeutlicht. Ich kann diesen Film
nur empfehlen. Bilder machen manchmal mehr deutlich
als viele Worte und Tabellen. Deswegen ist es mir ein
besonderes Anliegen, den Dokumentarfilm zu unterstützen,
({0})
der leider - auch von den Fernsehanstalten - viel zu
schlecht bezahlt wird; das muss man deutlich sagen. Die
Bezahlung pro Minute ist seit 20 Jahren gleich geblieben. Das, finde ich, ist kein Zustand. Deshalb richte ich
den Appell an die Fernsehanstalten, das zu ändern.
Bevor ein Film ins Kino kommt, müssen viele Menschen - beispielsweise Schauspielerinnen und Schauspieler, Kostümbildnerinnen und Kostümbildner sowie
Regisseurinnen und Regisseure - künstlerisch daran mitgewirkt haben. Diese Arbeit wollen wir hier wertschätzen
und fördern. Aber wir müssen - das hat meine Kollegin
sehr deutlich gemacht - auch die Arbeitsbedingungen
der Filmschaffenden in besonderer Weise berücksichtigen. Das möchte ich hier noch einmal unterstreichen.
({1})
Doch die Kunst des Filmemachens lässt sich nicht
ohne den Zusammenhang mit den technischen Mitteln
denken. Da spielt das Problem des Urheberrechts eine
Rolle, das wir bis jetzt noch nicht vollständig gelöst haben. Die Novellierung des Filmförderungsgesetzes war
auch deshalb notwendig geworden, weil die Förder- und
Vergabebedingungen an die technischen und medienwirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre
angepasst werden mussten. Denn heute gibt es DVD, Internet, Fernsehen und andere Plattformen, von denen
sich viele noch in der Erprobung befinden. Diese Verwertungsformen und die vielfältige Vermarktung von
Filmen spielen eine immer größere Rolle. Wir müssen zu
immer besseren Regeln kommen, nach denen die Künstler entlohnt werden. Dieses Problem ist, wie gesagt,
noch nicht vollständig gelöst.
Wir haben allerdings - das freut mich sehr; Herr
Staatsminister hat darauf aufmerksam gemacht - die
Fernsehanstalten noch stärker in das Finanzierungssystem der FFA einbinden können. Sowohl private als auch
öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten haben aktiv daran
mitgearbeitet, sodass eine gesetzliche Regelung, die wir
vorgesehen hatten, entfallen konnte. Eine Vereinbarung
über zusätzliche Medialeistungen konnte getroffen werden. Darüber bin ich sehr froh. Wenn die Kinofilme im
Fernsehen beworben werden, dann werden sie auch von
mehr Menschen gesehen. Auf diese Weise haben diejenigen, die die Filme gemacht haben, hinterher mehr davon.
Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis.
({2})
Ein Problem bleibt ungelöst. Dabei geht es um Fragen
im Zusammenhang mit den Widerspruchsrechten, die
wir im Urheberrecht noch lösen müssen. Das schaffen
wir wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode nicht
mehr. Wenn zum Beispiel eine unangemessene Verwendung der Werke über neue Nutzungsarten erfolgt, beispielsweise als Filmschnipsel über Handy, dann haben
die Hersteller der Filme im Moment kaum Widerspruchsmöglichkeiten; denn der Verwerter muss den Urheber erst
nachträglich informieren. Diesen Aspekt haben wir in unserer Entschließung zum Filmförderungsgesetz aufgenommen, und wir wollen, dass die Auswirkungen dieser
Regelung mit Blick auf die unbekannten Nutzungsarten
noch einmal sorgfältig geprüft werden. Ich bitte den
Staatsminister, dieses Problem in Zusammenarbeit mit
der Justizministerin aufzugreifen, damit wir es in der
nächsten Legislaturperiode im Zuge einer Reform des
Urheberrechtes lösen können. Das haben wir beim letzten Mal nicht geschafft, aber es muss gemacht werden.
({3})
Ebenfalls kein Bestandteil der Novelle zum Filmförderungsgesetz - das wurde hier mehrfach angesprochen ist das Thema Filmerbe. Wir haben dazu einen fraktionsübergreifenden Antrag eingebracht, weil wir die Notwendigkeit sehen, dazu Regelungen zu treffen. Wir wollen, dass das Filmerbe als Teil unseres kulturellen
Gedächtnisses erhalten bleibt. Filme müssen erhalten
und gesehen werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Wir
müssen sie aufbewahren. Wir haben mit der Durchführung eines öffentlichen Expertengespräches, das wir im
Ausschuss geführt haben, und dem vorliegenden Antrag
deutlich gemacht, dass uns dieses Thema wichtig ist. Ich
bin froh, dass wir uns Anfang des nächsten Jahres mit
dem Bundesarchivgesetz beschäftigen werden und ganz
konkrete und praktische Regelungen treffen und verankern können. Das braucht noch ein bisschen Zeit und
kann nicht schon in dieser Novelle geregelt werden.
({4})
Die FFG-Novelle, die wir heute beschließen, ist - meine
Kollegin hat das deutlich gemacht - intensiv geplant und
vorbereitet worden. Ich denke, wir sind gemeinsam zu
einem Ergebnis gekommen, das sich sehen lassen kann.
Dies ist für die Filmbranche ein wichtiger Schritt in die
Zukunft. Ich stimme Herrn Mißfelder zu: Wir werden,
wenn wir uns die Medienlandschaft anschauen, beim
nächsten Mal sicherlich nicht über ein Filmförderungsgesetz diskutieren, sondern über ein Medienförderungsgesetz. Dazu brauchen wir ein bisschen mehr Vorbereitung. Ich danke für die Kooperation und hoffe, dass wir
in dieser guten Koordination weitermachen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Kollegin Dorothee Bär, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Staatsminister! Ein erfolgreicher Film in letzter Zeit hieß
Vier Minuten und trägt den Titel meiner Rede.
({0})
- Jetzt sind schon wieder 10 Sekunden mehr weg,
Wolfgang.
Wir haben nur deswegen einen so erfolgreichen deutschen Film, weil jeder Kinosaal in Deutschland meistens
bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Wenn die Kinosäle so
voll wären wie unser Plenarsaal, würde es um den deutschen Film nicht so gut stehen.
({1})
- Ein Sonderapplaus für Frau Gleicke: Sie sitzt schon
seit 12 Uhr im Plenum. ({2})
Aufgrund der vielen Millionen, die zugeschaut haben,
hatten wir ein erfolgreiches Jahr. - Natürlich lohnt sich
vielleicht nicht jede einzelne Debatte, aber die Debatte
zum deutschen Film ist doch sehr lohnenswert.
Noch besser, als heute Abend über den deutschen
Film zu reden, wäre es natürlich, wenn wir alle gemeinsam im Anschluss ins Kino gehen würden, um die deutsche Filmwirtschaft weiterhin zu fördern.
({3})
Wir haben sowohl seitens des gesamten Bundestages als
auch seitens unserer Fraktion Initiativen ergriffen. Wir
bieten sehr viele Dinge an, um den Kollegen die Möglichkeit zu geben, sich mehr mit dem deutschen Film zu
beschäftigen.
Ich möchte zwei Genres - auch Frau Griefahn hat eines angesprochen - ganz besonders hervorheben. Es gibt
in Deutschland nicht nur herausragende Spielfilme, sondern auch ganz herausragende Dokumentarfilme. Diese
haben in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung gewonnen.
({4})
Ich möchte mich bei allen Dokumentarfilmern bedanken, die sich oft mit Themen beschäftigen, die auf den
ersten Blick vielleicht nicht spannend klingen und
schwierig sind. Man muss sich mit diesen Filmen wesentlich länger und teilweise auch kritischer auseinandersetzen. Sie erzielen vielleicht nicht besonders hohe
Einspielergebnisse. Aber sie lohnen sich wirklich, und
deren Bedeutung ist in den letzten Jahren Gott sei Dank
größer geworden. Bei diesen Filmen geben die Filmemacher oft sehr viel mehr von sich preis, als es bei manchen
Spielfilmen der Fall ist. Ich konnte mich bei den Hofer
Filmtagen von einigen sehr guten Dokumentarfilmen
überzeugen. Ich würde mir wünschen, dass wir darauf in
den nächsten Jahren ein noch größeres Augenmerk richten.
Ein anderes Genre, das wirklich sehr lohnenswert ist
und das in den letzten Jahren in Deutschland zunehmend
Bedeutung bekommen hat, ist der Kinder- und Jugendfilm. Auch da haben wir sehr gute Filmemacher. Es gibt
ganz tolle Themen. Es sind in Deutschland vom Stoff her
sehr hochwertige Filme entstanden. Auch all denjenigen,
die am Kinder- und Jugendfilm beteiligt sind, ein ganz
herzliches Dankeschön.
({5})
Wenn ich mir jetzt die Produktionen 2008/2009 anschaue, sehe ich, dass wir in Deutschland auf einem
noch besseren Weg sind.
Ich brauche nicht alle Preise aufzuzählen, die der
deutsche Film in den letzten Jahren gewonnen hat. Wir
haben es nicht nur geschafft, Filme zu machen, die in
Deutschland erfolgreich sind. Auch bei den Filmfestspielen in Cannes oder der Verleihung des Europäischen
Filmpreises müssen wir uns nicht verstecken, und bei
der Oscar-Verleihung ist regelmäßig ein deutscher Film
dabei. Liest man die Nominierungsliste für den diesjährigen Europäischen Filmpreis, dann begegnen einem
sehr viele deutsche Namen. Deswegen ist es lohnenswert, sich mit dem deutschen Film auseinanderzusetzen.
Heute Abend ist vielen gedankt worden, ganz oft dem
Herrn Staatsminister und seinem Team. Ich möchte dieses Lob wiederholen. Frau Schauz hat vorhin gequält geschaut, als Herr Mißfelder gesagt hat, dass er sich schon
auf die sechste Novelle freut. Man sieht Ihnen gar nicht
an, dass die fünfte so anstrengend war. Deswegen glaube
ich, dass wir die nächste, sobald sie ansteht, frischen
Mutes angehen können. Einige Probleme sind noch zu
lösen. Alles in allem haben wir das gut hinbekommen,
sowohl fraktionsübergreifend als auch mit dem BKM.
Frau Gleicke, ich hoffe sehr, dass wir, nachdem das
Plenum geschlossen ist, alle zusammen in die Spätvorstellung gehen können.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10833, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 16/10294 und 16/10495 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei
Stimmenthaltung der Linken und der Grünen angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Beratung angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10833 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP
und der Grünen bei Stimmenthaltung der Linken ange-
nommen.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10889 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge-
gen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen
abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Das deutsche Filmerbe sichern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/10831, den Antrag auf Druck-
sache 16/8504 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Finanzierung zur Bewahrung
des deutschen Filmerbes sicherstellen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/10891, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/10509 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen ange-
nommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Müller ({0}), Irmingard Schewe-Gerigk,
Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokratischen Republik Kongo unverzüglich
wirksam bekämpfen
- Drucksache 16/9779 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin
Müller ({4}), Winfried Nachtwei, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung
- Drucksachen 16/4555, 16/8608 Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Detlef Dzembritzki
Monika Knoche
Kerstin Müller ({5})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kerstin Müller
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
heutige Debatte hat leider eine traurige Aktualität bekommen; denn die Lage im Osten des Kongos eskaliert
dramatisch. Ich glaube, landesweit gibt es seit August
dieses Jahres 1,6 Millionen Flüchtlinge, 250 000 allein
in und um Goma. Es gibt Massaker an Zivilisten, Plünderungen und Zerstörung und vor allem Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt in einem unvorstellbaren
Ausmaß. Vor allen Dingen sind viele Frauen und Mädchen im Ostkongo betroffen. Ihre Lage ist katastrophal.
Wir haben vor einigen Wochen eine Anhörung durchgeführt. Daran nahmen auch Vertreterinnen anderer Fraktionen gemeinsam mit medica mondiale teil. Dort sprach
man von 40 Frauen pro Tag. Das sind Schätzungen; die
Dunkelziffern sind unbekannt. Die UNO jedenfalls
spricht von den schlimmsten Verbrechen weltweit.
Die Schilderungen sind schrecklich. Sie haben sich
das im Vorfeld sicherlich noch einmal angesehen. Hierzu
hat medica mondiale Zitate und Erzählungen veröffentlicht, zum Beispiel von einer 15-Jährigen, einem Opfer,
die erzählt: Sie kidnappten und vergewaltigten mich drei
Monate lang. Ich weiß nicht, wie viele es waren. Als ich
immer mehr einnässte, ließen sie mich gehen. - Es gibt
viele solche Schilderungen. Jetzt jüngst in Goma kam es
wieder zu solchen Verbrechen. Man muss darauf hinweisen, dass diese dort von marodierenden Regierungssoldaten ausgeübt wurden, und zwar in Anwesenheit der
UNO, die in der Stadt ist und tatenlos zugeschaut hat.
Ich glaube, wenn nicht schnellstens etwas passiert
- das ist ein Punkt in dieser Debatte -, bekommt die
UNO ein schweres Glaubwürdigkeitsproblem. Man
muss sich ernsthaft fragen, ob wir aus Ruanda nichts gelernt haben, ohne zu sagen, dass es sich hier jetzt schon
um einen Völkermord handelt. Die Tatsache, dass sich
nichts tut, erinnert daran.
({0})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Schewe-Gerigk?
Ja.
Liebe Frau Kollegin Kerstin Müller, Sie haben hier
ganz eindrucksvoll über die Situation im Kongo gesprochen. Wie empfinden Sie es, dass niemand auf der Regierungsbank sitzt? Jetzt kommt gerade der Herr Staatssekretär aus dem Familienministerium. Glauben Sie
nicht, dass es diesem Thema angemessen wäre, wenn die
Regierungsbank besetzt wäre?
({0})
Das finde ich in der Tat schlecht. Ich weiß nicht, ob
man vonseiten der Fraktionen etwas in der Hinsicht machen kann. Es ist ein Thema, das mindestens das Entwicklungsministerium, das Auswärtige Amt, aber auch
das Verteidigungsministerium hochrangigst angeht. Insofern wäre es gut, wenn Sie vielleicht dafür sorgen
könnten, dass noch ein paar Vertreter kommen.
Werte Kolleginnen, mir wird gerade mitgeteilt, dass
Herr Staatsminister Gloser gleich erscheint. Er ist irgendwo aufgehalten worden. Ich wollte das auf die Anfrage hin mitteilen.
Gut.
Frauen und Mädchen werden von den Milizen der
FDLR, Mai-Mai-Milizen sowie Nkundas Milizen, aber
eben auch von Regierungssoldaten systematisch als
Kriegswaffe missbraucht. Durch die Vergewaltigungen
sollen sie seelisch und körperlich vernichtet werden. Es
geht darum, den jeweiligen Gegner zu demoralisieren.
Inzwischen spricht medica mondiale von einem Femizid, weil es sich um schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen an Frauen und Mädchen handelt. Es
wird auch nur vereinzelt von diesen Massakern, die an
der Zivilbevölkerung stattfinden, berichtet, etwa von
dem in Kiwanja, bei dem mindestens 20 Zivilisten brutal
ermordet wurden, indem nacheinander Nkundas Milizen
und Mai-Mai-Milizen über das Dorf herfielen.
Ich glaube, es ist nicht nur ein Gebot der internationalen Schutzverantwortung, der im Jahre 2005 alle zugestimmt haben, dass jetzt alle Hebel in der EU und UNO
in Bewegung gesetzt werden, um die Zivilbevölkerung
im Ostkongo zu schützen.
({0})
Ich meine, das folgt nicht nur aus der Schutzverantwortung, sondern eben auch aus den Resolutionen 1325 und
1820, die insbesondere die Rolle der Frauen als Opfer in
solchen Krisen zum Thema haben.
Die Bundesregierung hat jetzt gesagt, eine EU-BattleGroup wolle sie nicht. Wenn man aber auf Diplomatie
setzt, dann frage ich Sie: Wo sind die diplomatischen Initiativen? Wieso wird nicht mehr Druck auf Kabila gemacht? Immerhin haben wir Kabila mit einer EU-Mission unterstützt; er hat zugesagt, die Armee aufzubauen
und die FDLR zu entwaffnen. All das ist nicht passiert;
stattdessen hat sich die Regierungsarmee inzwischen mit
den Hutu-Milizen, also den Völkermördern aus Ruanda,
verbündet.
Herr Fischer, Frau Irber, ich schätze Ihr persönliches
Engagement für Afrika. Aber ich verstehe nicht, warum
angesichts einer solch dramatischen humanitären Lage
nicht der Außenminister selber eine aktivere Vermittlungsrolle in dieser Krisenregion einnimmt, zumindest
eine diplomatische Vermittlungsrolle. Selbst zu dem
Zeitpunkt, als die Franzosen und Briten dort waren, war
der Außenminister nicht präsent. Meines Erachtens geht
das nicht; dafür ist die Lage zu dramatisch.
({1})
Nun zur UNO: 17 000 Soldaten sind vor Ort, 900 allein in der Region Goma, aber die Menschen sind der
Gewalt schutzlos ausgeliefert. Herr Fischer, ich kann mir
vorstellen, dass Sie das ähnlich sehen: Meiner Auffassung nach muss zumindest ein robusteres MONUCMandat her, eines, das die Zivilbevölkerung schützt, und
zwar auch gegen marodierende Regierungssoldaten. Es
kann doch nicht sein, dass wir wieder erleben, dass die
Menschen traktiert werden und die UNO-Soldaten danebenstehen. Die UNO bekommt ein schwerwiegendes
Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn sich jetzt, weil die
UNO nicht handelt, auch noch Ruanda und Angola einmischen, wir also möglicherweise vor einem zweiten
afrikanischen Weltkrieg stehen - das wird zum Teil
schon geschrieben -, dann müssen wir zumindest
MONUC so robust ausstatten, dass sie in der Lage ist,
die Zivilbevölkerung zu schützen.
({2})
Kollegin Müller, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme gleich zum Schluss. - Die Opfer sexualisierter Gewalt verlangen ebenfalls nach Gerechtigkeit.
Sie verlangen, dass den Vergewaltigern aus den Reihen
der eigenen Armee und der Miliz der Prozess gemacht
wird. Wenn die kongolesische Justiz dies nicht macht,
gehören sie vor einen internationalen Strafgerichtshof.
Kerstin Müller ({0})
Ich will noch eine letzte Forderung nennen, die sich
ebenfalls in der Anhörung ergeben hat. Es gibt einen
Friedensfonds, den die Entwicklungshilfeministerin
nach ihrer letzten Reise aufgelegt hat. Er wird leider nur
für den Wiederaufbau und eben nicht für die Opfer
sexualisierter Gewalt zur Verfügung gestellt. Es wäre
aber sehr wichtig, Mittel für die Opfer sexualisierter Gewalt und für die Hilfsorganisationen bereitzustellen. Davon gibt es nur sehr wenige; sie kämpfen zum Teil um
ihr Leben und werden auch bedroht. Zumindest auf dieser Ebene müssen wir von Deutschland aus wirklich etwas tun.
Vielen Dank.
({1})
Nun hat die Kollegin Anke Eymer für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der erste hier heute vorliegende Antrag bezieht sich auf sexuelle Gewalt gegen Frauen. Die
eskalierenden Ereignisse im Ostkongo - davon sprach
meine Vorrednerin bereits - scheinen in ihrer Geschwindigkeit unsere parlamentarische Debatte zu überholen.
Die Situation ist vielschichtig und verworren. Ende
Januar dieses Jahres gab es bekanntlich in der Demokratischen Republik Kongo das Friedensabkommen von
Goma. Es wurde dort unterzeichnet; es ist aber nicht das
Papier wert, auf dem es steht.
({0})
Die Kämpfe im Ostkongo sind verantwortlich für
Massaker an Frauen, Kindern und Männern sowie für
die Flucht von mittlerweile einer Viertelmillion Menschen in dieser Region. Die Regierungen in Kongo und
in Ruanda bezichtigen sich wechselseitig, die gegnerischen Milizen auf der jeweils anderen Seite der Grenze
zu unterstützen.
Ende der 90er-Jahre forderte der sogenannte erste
afrikanische Weltkrieg Millionen Opfer. Wie weit sind
wir jetzt noch von solchen Verhältnissen entfernt, wenn
ein Nachbarstaat wie Angola sich wieder mit eigenen
Truppen aktiv am Konflikt beteiligt? Was nützen eigentlich Diplomatie und Krisengipfel in Nairobi und in Johannesburg, wenn verantwortliche Kombattanten wie
General Nkunda nicht erscheinen? Wie viel wirkliche
Bereitschaft ist vorhanden, wenn verfeindete Präsidenten sich für ein gemeinsames Gespräch nur knapp fünf
Minuten Zeit nehmen, wie von Präsident Kabila und
Staatschef Kagame beim Treffen in Nairobi berichtet
wird?
Die Lage ist katastrophal; darin sind wir uns einig.
Eine humanitäre Katastrophe droht nicht, sie ist bereits
eingetreten. Aber sie kann noch schlimmer werden,
wenn die Verantwortlichen nicht zu wirklichen Gesprächen, zu Stabilität und einer friedlichen Lösung bereit
sind.
Es ist richtig, dass Frauen und Kinder in diesem Konflikt und in den allermeisten anderen gewaltsamen Konflikten und Kriegen in besonderem Maße die Leittragenden sind. Ich möchte allerdings bezweifeln, dass es
sinnvoll ist, sich angesichts dieser bedrückenden Situation in einem Antrag auf die Lage der Frauen im Ostkongo zu beschränken. Eine Lösung für die gesamte Region und ein entschiedenes internationales Handeln sind
unverzichtbar.
({1})
Dazu müssen sich die Verantwortlichen an einen
Tisch setzen, und Partikularinteressen müssen beiseitegeschoben werden. Das ist in dieser Region natürlich
besonders schwierig. Hier bietet sich für unzählige
Gruppen ein ungeheuer großes Feld der partikularen Bereicherung. Dazu zählen insbesondere die Milizen, aber
auch die hinter ihnen stehenden Regierungen. Illegaler
Rohstoffabbau und -handel sind das Feuer, das unter den
Kesseln der Kriegsherren brennt. Dadurch sichern sie
die Finanzierung. So werden ständig neue Begehrlichkeiten geweckt. Eine Komponente ist der ungelöste
Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, der immer wieder
ideologischen Nährboden bietet und jede Gewalt gegen
den anderen zu rechtfertigen scheint.
In Ihrem ersten Antrag beschreiben Sie die Tatsache,
dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Ostkongo zu
einem der abscheulichsten Mittel der Kriegsführenden
geworden ist, im Kern richtig. Die Lage ist aber viel umfassender, auch wenn bei der noch ausstehenden Lösung
des Problems diese besondere Gefährdung der Frauen zu
berücksichtigen ist. Daher ist Ihr Antrag in dieser Form
nicht zu unterstützen.
Die Ausschreitungen im Ostkongo stehen auch im
Zusammenhang mit dem zweiten vorliegenden Antrag,
in dem es um die Umsetzung der UN-Resolution 1325
geht. Ich möchte darauf hinweisen, dass er nicht der
erste Antrag zu diesem Thema ist. Ein entsprechender
Antrag, der von CDU/CSU und SPD eingebracht worden war, ist in diesem Hause längst beschlossen worden.
Natürlich geht es auch hier um Frauenrechte, den Schutz
von Frauen und die gleichberechtigte Teilhabe von
Frauen auf den unterschiedlichsten Ebenen, also um ein
Thema, das nicht neu ist und nicht erst mit der
Resolution 1325 begonnen hat.
Es ist unbestritten, dass mit der Resolution 1325 ein
weiterer wichtiger Schritt getan wurde. Es ist eine Tatsache, dass die Gefährdung und Belastung von Frauen in
Krisensituationen und in kriegerischen Auseinandersetzungen besonders groß ist. Von Verschleppung, Misshandlung und Vergewaltigung sind insbesondere Frauen
betroffen. Der Konflikt im Ostkongo ist ein besonders
scheußliches Beispiel dafür, wie sexualisierte Gewalt als
Mittel der Kriegsführung eingesetzt wird. Hinzu kommen die Gefahr einer HIV-Infektion der betroffenen
Frauen und die anschließende Stigmatisierung der
Frauen in ihren Familien und in ihrem sozialen Umfeld.
Anke Eymer ({2})
Wenig beachtet wird, dass Gewalt gegen Frauen oft
von männlichen Familienangehörigen ausgeübt wird und
eine Strafverfolgung dann meist ausbleibt. Diese Übergriffe werden gesellschaftlich tabuisiert. Auch hierfür
bietet die Demokratische Republik Kongo zahlreiche erschütternde Beispiele.
Solche Übergriffe stellen eine klare Verletzung der
Menschenrechte dar. Sie fordern uns alle zu konsequentem Handeln auf. Frauen brauchen aber nicht nur einen
besonderen Schutz, sondern sie müssen darüber hinaus
auch an der Schaffung friedlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen für sich und ihre Familien mitwirken.
Frauen müssen als Mitgestalterinnen in friedenschaffenden und friedensichernden Prozessen eine wichtige
Rolle spielen. In der Resolution 1325 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darauf hingewiesen und
zum Handeln aufgefordert.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen konzentrieren sich
auf drei Kernbereiche: auf die Stärkung der politischen
Teilhabe von Frauen, die Konfliktprävention und den
Schutz von Frauen vor Gewaltübergriffen. Die großen
Erwartungen, die mit dieser Resolution verbunden waren, haben sich nicht erfüllt. Allerdings hat der Prozess
der Umsetzung der Resolution in den vergangenen Jahren mehr Dynamik erfahren.
Deutschland gehört zur Freundesgruppe der Resolution 1325. Wir unterstützen auch die Europäische Union
in besonderer Weise bei ihrer Umsetzung und beim Bemühen um die Gleichstellung von Männern und Frauen.
Das der Verwirklichung der Gleichstellung zugrunde liegende Prinzip, bekannt als Gender-Mainstreaming, ist in
der deutschen Politik mittlerweile gut verankert. Es bietet eine gute Grundlage für die nationale Umsetzung der
Resolution. Dennoch ist der Handlungsbedarf weiterhin
groß.
Wie anfangs bereits erwähnt, haben wir auch über
dieses Thema im Deutschen Bundestag schon diskutiert
und dazu einen Beschluss gefasst. Ein entsprechender
Antrag von uns, der CDU/CSU, und unserem Koalitionspartner ist in diesem Hause längst angenommen
worden.
Der vorliegende Antrag beruht in weiten Teilen auf
einer sehr vergleichbaren Einschätzung der Faktenlage.
Die Arbeit der Bundesregierung wird allerdings nicht
richtig bewertet und eingeschätzt. Insofern bietet der
Antrag auch keine sinnvolle Ergänzung.
Daher halte ich die aus den Ausschüssen stammenden
Beschlussempfehlungen, nämlich den Antrag abzulehnen, für sinnvoll.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Die Kollegin Marina Schuster spricht nun für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die dramatischen Schreckensbilder, die uns
aus dem Ostkongo erreichen, wurden von meinen Vorrednerinnen bereits geschildert. Es sind wirklich erschreckende Bilder: Flüchtlingslager, die geplündert und niedergebrannt werden, Kinder, die zu Soldaten gemacht
werden, Frauen, die systematisch durch sexuelle Gewalt
terrorisiert werden. Das Internationale Rote Kreuz attestiert unzählige Vergewaltigungen, und niemand kennt
die Dunkelziffer. Doch damit ist es nicht genug: Es gibt
Anzeichen für ethnisch motivierte Massaker an Zivilisten.
Wer heute in die FAZ schaut, der kann den Schreckensbericht lesen, den Thomas Scheen von seiner Entführung geschrieben hat. Ich glaube, wir alle hier sind
sehr froh und erleichtert, dass er wieder frei ist. Ich
denke, dieser Bericht gibt noch einmal Aufschluss darüber, wie dramatisch die Situation ist.
Dies zeigt auch, wie gefährlich die Situation im Hinblick auf einen Flächenbrand ist. Es besteht die Gefahr,
dass wir dort ein Déjà-vu-Erlebnis haben, dass sich nämlich, wie beim letzten Kongo-Krieg, sieben afrikanische
Nachbarstaaten in einen mörderischen Krieg verwickeln.
Bei diesem Problem dürfen wir eben nie die regionale
Dimension vergessen - und auch nicht, welche Eigeninteressen die jeweiligen Staaten haben.
Ruanda spielt noch heute eine äußerst zweifelhafte
Rolle in dieser Region, und auch Angola hat gestern angekündigt, eigene Truppen in das Gebiet zu entsenden natürlich ohne Blauhelmmandat. Auch die SADC hat ein
militärisches Vorauskommando losgeschickt.
Dabei fragt man sich natürlich, wohin das führen
wird. Ich sehe die Gefahr, dass man hier militärisch versucht, etwas zu lösen, was sehr komplexe Wurzeln hat.
Meine Vorrednerinnen sind darauf schon eingegangen.
Die kongolesische Regierung und Nkundas Rebellen
werden aus eigener Kraft kaum eine friedliche Lösung
finden. Sie scheinen sie auch nicht anzustreben. Und was
machen die Vereinten Nationen? Das MONUC-Mandat
ist mit über 17 000 Soldaten das größte derzeit existierende Mandat. Wir hören schreckliche Nachrichten von
überforderten UN-Soldaten, die sich auf die Seite der
Rebellen schlagen oder Menschenrechtsverletzungen begehen. Das muss unverzüglich gestoppt werden.
({0})
Welche weiteren Schlüsse ziehen wir aus dieser Situation? Heute rächt sich die mangelnde Aufmerksamkeit
der EU und der Bundesregierung gegenüber der Lage im
Ostkongo.
({1})
Als wir vor zwei Jahren deutsche Soldaten zur Sicherung
der freien Wahlen nach Kinshasa geschickt haben, haben
wir immer darauf hingewiesen, dass demokratische
Wahlen eben nur ein Schritt - ein wichtiger und erster
Schritt - auf dem Weg zur Demokratie sind und dass da20080
mit noch nicht die Stabilisierung des Landes erreicht
wird.
({2})
Wir haben auch damals schon deutlich gemacht, dass wir
dringend eine bessere Unterstützung der EU-Missionen
EUPOL und EUSEC brauchen, damit dort ein funktionierendes Justizsystem errichtet wird und Polizei und
Militär entsprechend ihrer Strukturen arbeiten können,
({3})
und dass es dort eben keine rechtsfreien Räume und
keine Kultur der Straflosigkeit geben darf.
Die Sicherheitslage ist schon lange fragil. Es gab
viele Warnzeichen dafür, die die Bundesregierung nicht
aufgeweckt haben. Hier ist die Bundesregierung meines
Erachtens viel zu spät tätig geworden, und sie hat die
Krise aus den Augen verloren.
({4})
Wir müssen aber auch an die Konfliktparteien appellieren, die diesen Kreislauf der Gewalt endlich stoppen
müssen. Die Friedensabkommen sind das Papier nicht
wert, auf dem sie stehen. Das hat die Kollegin schon angesprochen. Auch die AU ist gefragt, den politischen
Druck zu erhöhen. Aber auch die Bundesregierung muss
die ihr zur Verfügung stehenden Kanäle aktiver nutzen.
Die Bemühungen des UN-Generalsekretärs sind richtig. Er hat gesagt: Politische Lösungsansätze müssen
Vorrang haben. - Kabila und Kagame sind die Schlüsselfiguren für eine Lösung. Es müssen aber eben auch Gespräche mit dem Rebellenführer Nkunda und anderen
Parteien stattfinden. Denn es zeigt sich, dass die Bemühungen um einen tiefgreifenden Versöhnungsprozess
viel zu lange vernachlässigt worden sind.
Was die heillos überforderten UN-Truppen angeht,
muss die personelle und finanzielle Ausstattung verbessert werden. Denn selbst der Leiter von MONUC hat
verkündet, dass er die Zivilbevölkerung nicht mehr
schützen kann. Die Maßnahmen müssen aber von einer
politischen Komponente begleitet werden. Sonst wird
sich an der Krise nichts ändern, weil man nicht an die
Ursachen herangeht.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Umsetzung der UN-Resolution eingehen. Der Blick in den
Kongo zeigt, dass die körperliche und seelische Zerstörung von Frauen zum teuflischen Instrumentenkasten der
Konfliktparteien gehört. Gerade weil Frauen oft die
Leidtragenden solcher Krisen sind, sind sie dann auch
der Schlüssel, wenn es darum geht, dauerhaften Frieden
und Versöhnung zu erreichen.
Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorgelegt
hat, führt zwar Projekte und Maßnahmen auf, aber er
lässt keine Strategie erkennen. Stattdessen hat man versucht, alles, was mit dem Thema Frauen zusammenhängt, in ein Schema zu pressen. Das führt zu einem verworrenen Flickwerk ohne roten Faden.
({5})
Was haben die Einrichtung eines Containerkrankenhauses in Afghanistan, eine Schreibwerkstatt und die Konferenz einer finnischen Ministerin für Gleichstellungsangelegenheiten gemeinsam? Worin besteht die Strategie?
({6})
Ich finde, die Bundesregierung bleibt weit hinter den
Erwartungen zurück. Sie hätte Vorreiter sein können. Es
braucht einen genauen Fahrplan bzw. eine Strategie, wie
die UN-Resolution weiter umgesetzt werden soll. Denn
Frieden und Rechtsstaatlichkeit müssen hart erarbeitet
werden, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich. Dazu fordere ich Sie auf.
({7})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Brunhilde
Irber das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren heute über den Antrag der
Grünen vom Juni dieses Jahres. Schon damals war die
Situation der Frauen im Kongo schlimm genug. Seit August hat sich mit dem Wiederaufflammen der Kämpfe
die Situation noch einmal dramatisch verschlimmert.
Frauen und Mädchen sind und waren Opfer beispielloser
brutaler sexualisierter Gewalt.
Angehörige der Armee sowie aller bewaffneten Gruppen nehmen die körperliche und seelische Zerstörung
der Frauen in Kauf. Es macht ihnen überhaupt nichts
aus. Sie benutzen es als Kriegwaffe.
Es ist daher unsere Pflicht, zu helfen und dafür einzutreten, die Gewalt im Kongo dauerhaft zu beenden. Deshalb hege ich große Sympathie für den Antrag der Grünen. Zugleich habe ich aber ernsthafte Zweifel an der
Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Warum?
Der Antrag erweckt den Eindruck, dass es möglich sei,
die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ohne in den
Konflikt selbst einzugreifen. Ich glaube aber nicht, dass
dies möglich ist.
Die Gewalt gegen Frauen im Osten des Kongos ist
eine Folge des fortwährenden Krieges. Solange es im
Ostkongo so gut wie keine staatlichen Strukturen gibt,
sind unsere Einflussmöglichkeiten denkbar gering.
Natürlich ist es dringend geboten, auf die Einhaltung
der UN-Resolution 1325 zu pochen und sich für entsprechende Schulungen der kongolesischen Soldaten und
Polizisten einzusetzen. Denn Vergewaltigung ist im
Kongo seit 2006 strafbar. Doch müssen wir der Tatsache
ins Auge sehen, dass die Reform von EUSEC und EUPOL
und der Aufbau der Justiz langfristige Aufgaben sind.
Beides kommt bedauerlicherweise nicht so schnell
voran, wie wir uns das wünschen.
Um die Lage der Frauen im Kongo zu verbessern,
gibt es nur einen Weg: eine politische Lösung des Konflikts. Dass Deutschland diesen Weg ernst nimmt, hat es
in den letzten Tagen bewiesen. Die Bundesregierung hat
mit ihrem Engagement aktiv dazu beigetragen, dass es
am vergangenen Wochenende in Nairobi endlich zu einem Gipfeltreffen zur Lage im Ostkongo gekommen ist.
Am Unwillen des kongolesischen Präsidenten Kabila
und des ruandischen Präsidenten Kagame, von Angesicht zu Angesicht zu verhandeln, können wir allerdings
ermessen, wie steinig der Weg zum Frieden noch sein
wird. Dennoch wird die Bundesregierung weiterhin für
Gespräche zur Umsetzung des 2002 in Pretoria und im
Januar 2008 in Goma geschlossenen Abkommens werben.
Diese Bemühungen um eine politische Lösung werden von einem breiten Katalog von Hilfsmaßnahmen
flankiert. Er umfasst neben Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Zivilbevölkerung Hilfen zum Staatsaufbau sowie die Finanzierung der VN-Mission MONUC.
Schließlich sind wir uns bewusst, dass die jetzige Situation für eine Vielzahl der Beteiligten sehr profitabel ist.
Das Fehlen staatlicher Ordnungsstrukturen ermöglicht es
den Konfliktparteien, die Schätze des Kongos außer
Landes zu schmuggeln und mit dem Erlös die eigenen
Taschen zu füllen. Es ist daher dringend notwendig, dass
die Bundesregierung den kongolesischen Provinzregierungen beim Aufbau eines wirksamen Zoll- und Grenzregimes unter die Arme greift.
Kollegin Irber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Müller?
Ja, bitte.
Frau Irber, Sie haben die nicht unmaßgebliche finanzielle Beteiligung der Bundesregierung an MONUC angesprochen. Nun hat der Leiter von MONUC, Alan
Doss, eine sogenannte Shoppingliste vorgelegt. Ban
Ki-moon hat gestern einen dringlichen Appell an die
Staatengemeinschaft gerichtet, MONUC so auszurüsten
und die Mittel so aufzustocken, dass die Mission wirken
kann. Doss hat 18 Transporthubschrauber, zwei Transportflugzeuge, eine Pioniereinheit, zwei Militärtrainer
und zwei zusätzliche Polizeieinheiten gefordert. Der
Staatssekretär hatte sich im Ausschuss ebenfalls auf die
sogenannte Doss-Liste bezogen. Ich frage Sie: Was wird
Ihrer Meinung nach die Bundesregierung leisten, damit
MONUC robust wird und die Zivilbevölkerung schützen
kann, also den Auftrag erfüllen kann, den sie von den
Vereinten Nationen erhalten hat?
Frau Müller, ich komme im Laufe meiner Rede darauf zurück, was die Bundesregierung meiner Meinung
nach hier zu tun hat.
({0})
Ich fahre mit meiner Rede fort. Nach meiner Meinung
ist es wichtig, ein Zoll- und Grenzregime einzuführen.
Zusammen mit der Initiative zur Zertifizierung von Rohstoffen, EITI, besteht dann die Möglichkeit, die Erlöse
aus dem Rohstoffhandel endlich der breiten Bevölkerung zukommen zu lassen. Wir müssen den Konfliktparteien den Geldhahn zudrehen. Ich glaube, das ist das
Wichtigste.
({1})
- Ja.
Die Demokratische Republik Kongo ist bereits heute
das Land, welches nach Afghanistan die umfassendste
Unterstützung von Deutschland erhält. Ich selbst habe
mich im Juni mit meiner Kollegin Bärbel Kofler dafür
eingesetzt, dass der 50 Millionen Euro umfassende Friedensfonds ausgezahlt wird. Wir waren im Mai im Kongo
und haben uns selbst ein Bild von der Lage gemacht.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung für die nächsten
zwei Jahre mehr als 50 Millionen Euro für die technische und finanzielle Zusammenarbeit eingeplant. Noch
umfangreicher sind die Beteiligungen an den zahlreichen
internationalen Hilfsprogrammen. Allein von den Kosten des VN-Militäreinsatzes trägt Deutschland in diesem
Jahr 67,5 Millionen Euro. Vielleicht kann man damit
auch die Einkaufsliste ein bisschen aufpeppen.
Darüber hinaus fließen 2008 12 Millionen Euro an
Nothilfe. Unterstützt werden damit rückkehrende Flüchtlinge und die Opfer von sexuellen Gewalttaten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat zusätzlich Soforthilfen für den Wiederaufbau des Flughafens von Goma
zugesagt. Damit wird ein dringend benötigter Versorgungszugang für internationale Hilfsleistungen geschaffen. Eine weitere Aufstockung der Hilfen ist nach Einschätzung von Fachleuten kaum möglich, da die
Aufnahmefähigkeit der staatlichen Strukturen weitgehend erschöpft ist. Aufgrund dieser Tatsache bemühen
sich vor allem die Hilfsorganisationen nach Kräften um
die Opfer sexualisierter Gewalt. Dafür bedanke ich mich
besonders beim Evangelischen Entwicklungsdienst und
bei seiner Durchführungsorganisation „Heal Africa“ in
Goma.
({2})
Es ist unbefriedigend, von all diesen Initiativen zu hören und zugleich zu wissen, dass sie die humanitäre Katastrophe im Ostkongo nicht verhindern können. Es ist
mir daher umso wichtiger, Sie alle zu bitten, die Bundesregierung bei der Suche nach einer politischen Lösung
zu unterstützen.
({3})
Wir müssen die militärischen Einsatzkräfte der Vereinten Nationen vor Ort stärken. Das heißt, wir müssen die
rechtlichen und technischen Möglichkeiten von MONUC
verbessern. MONUC verfügt zwar schon jetzt über ein
robustes Mandat nach Art. 7 der VN-Charta, doch sind
die konkreten Aufgaben und Kompetenzen der Mission
eher zurückhaltend beschrieben. Ich bitte die Bundesregierung daher, sich bei der bevorstehenden Mandatsverlängerung Ende des Jahres dafür einzusetzen, dass
die Aufgaben und Kompetenzen von MONUC ausgeweitet werden. MONUC muss rechtlich und ausrüstungstechnisch in die Lage versetzt werden, die Frauen
im Kongo zu schützen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren
und Damen! Meine Vorrednerinnen haben in großer Eindringlichkeit geschildert, vor welcher Situation wir
heute im Kongo stehen. Während wir hier reden, werden
dort Frauen vergewaltigt. Auf jeder Seite der kriegführenden Parteien werden Frauen zum Objekt der Rache
und der Erniedrigungsrituale gemacht; denn sexuelle
Gewalt ist eine Waffe im Krieg, egal wer diesen Krieg
führt. Frauen sind Mittel zum Zweck, um den Feind zu
treffen. Wer das versteht und durchdenkt, kann meiner
Meinung nach nicht zu der Forderung kommen, dieser
Entkultivierung mit den Mitteln der militärischen Gewalt Herr zu werden. Ich halte das für einen Irrtum. Es
ist wahr: Auch Soldaten der MONUC sind Täter und
üben sexuelle Gewalt aus, und die UN-Null-ToleranzRichtlinie wird nicht eingehalten.
Dennoch sind wir aufgefordert, etwas zu tun. Ich sehe
die Notwendigkeit, den Schutz der Frauen im Kongo
zum zentralen Thema zu machen. Ich sehe die Notwendigkeit, zivile Konfliktintervention im Krieg zu leisten.
Wir müssen uns mit massiven zivilen Maßnahmen auf
die Seite der Opfer stellen. Das ist meines Erachtens das
Gebot der Stunde. Der Antrag der Grünen benennt die
zivilen, die politischen und die sozialen Instrumente. Ich
kann mich sämtlichen Forderungen anschließen. Sie sind
nahezu vollständig. Es gibt aber eine Ausnahme: Ich bin
nicht der Meinung, dass diese Gewalt mit militärischen
Mitteln bekämpft werden kann;
({0})
denn sie wohnt dem Krieg inne, und sie wird in der militärischen Auseinandersetzung immer wieder neu geboren.
Das muss man verstehen. Daraus erklärt sich, warum
auch UN-Soldaten in diese erniedrigenden Handlungen
involviert sind. Es gehört zu der Entzivilisierung, zur
Entkultivierung im Krieg, dass sich dieser Machismus
ausbreitet. Das wissen wir, und daraus muss man Lehren
ziehen. Man muss sich auf die Seite der Opfer stellen.
Eines erwarte ich: Ich erwarte, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel sich als Frau mit Macht einmal explizit auf
die Seite der ohnmächtigen Frauen stellt. Ich erwarte
von der Bundeskanzlerin, dass sie sich in dieser Weise
zu dem Konflikt im Kongo verhält.
Die UN-Resolution, um die es heute auch geht, würde
man als Völkerrechtsnorm nur unzulänglich verstehen,
wenn man sie lediglich als Hilfe für Frauen, die Opfer
von Krieg und Kriegsverbrechen geworden sind, interpretierte. Ich will deshalb als ein Handlungsfeld Afghanistan nennen; denn in keiner Stellungnahme der Regierung zu Afghanistan hat die Bundesregierung bisher die
Implementierung der UN-Resolution 1325 in ihr Konzept aufgenommen. Wo bleibt zum Beispiel die offizielle
Unterstützung für die mutigen und tapferen Frauen von
RAWA? Sie repräsentieren antifundamentalistische Kräfte.
Es gilt, sie zu stärken, wenn man den demokratischen
Aufbau voranbringen will. Wer einen zivilen Wiederaufbau will, muss auf solche Frauen bauen. Wer es mit
Menschenrechten der Frauen in Afghanistan wirklich
ernst meint, der darf überhaupt keine Kooperation mit
Warlords und mit korrupten Politikern erlauben.
Wer frauenverachtenden Fundamentalisten entgegenwirken will, der muss nicht nur den Krieg beenden, der
muss auch emanzipiatorischen Frauen Anerkennung und
vor allen Dingen endlich einmal internationale Präsenz
geben. Mit der UN-Resolution 1325 ist eines beabsichtigt: Frauen am Aufbau des Staatswesens zu beteiligen,
sie an prominente Stellen zu setzen, sie zu Entscheiderinnen zu machen. Wenn ich mir die Debatten im Auswärtigen Ausschuss ansehe, stelle ich fest: Es ist bei den
Herren Kollegen Außenpolitikern noch überhaupt nicht
angekommen, dass die UN-Resolution 1325 eine Völkerrechtsnorm ist, die es in allen Bereichen der Politik
und der Außenpolitik umzusetzen gilt. Es ist nicht eine
Frage von Entwicklungspolitikerinnen und Menschenrechtlerinnen allein. Die UN-Resolution 1325 ist das
weltweite Recht der Frauen, und das muss in alle Bereiche der Politik aufgenommen werden.
Ich meine, Deutschland muss in Europa eine Initiative
starten, dass im Nahostkonflikt endlich die Frauen, die
tagtäglich für Frieden arbeiten - israelische Frauen, die
die Besatzung ablehnen, palästinensische Frauen, die
sich von der Hamas absolut distanzieren -, als die kompetenten Politikerinnen im Nahen Osten beim anstehenden Friedensprozess und bei den anstehenden Friedensverhandlungen einbezogen werden, damit sie endlich
Einfluss darauf nehmen können. Das sind Initiativen im
Sinne der UN-Resolution 1325, die ich mir von dieser
Regierung wünsche.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Hartwig Fischer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, die
Situation im Kongo - egal in welcher Form - immer
wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Als ich 2002 gewählt wurde, wurde ich von der Gesellschaft für bedrohte Völker auf das Thema Coltan angesprochen. Ich
habe dann versucht, mich in die Situation im Kongo zu
versetzen. In deutschen Medien gab es kaum Informationen; die Neue Zürcher Zeitung und die taz haben damals
berichtet.
Als ich im Mai 2003 das erste Mal hier im Bundestag
reden durfte, ging es um den Haushalt, und ich habe
mich nicht an das Thema gehalten, sondern über den
Kongo geredet, weil ich den Eindruck hatte, dass viel zu
wenige Kolleginnen und Kollegen die Situation dort
kennen. Inzwischen müsste sie jeder hier im Bundestag
kennen: ein Krieg, der bereits doppelt so lange dauert
wie der Zweite Weltkrieg, ein Bürgerkrieg mit über
4 Millionen Toten, ein Bürgerkrieg, der auch aus einem
Genozid entstanden ist.
Frau Müller, ich glaube, in einem einzigen Punkt haben Sie nicht recht: dass die UN in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise kommen. Diese Krise existiert bereits.
Die UN haben nicht mehr das Vertrauen der Menschen,
und das ist auch das Problem mit MONUC. MONUC hat
ein Mandat, das immer wieder verlängert wird.
Das ist toll. Man kann Sprüche lesen wie:
… feststellend, dass die Situation in der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region darstellt …
Wenn es eine Bedrohung für den Weltfrieden gibt, dann
frage ich, warum man ein Mandat immer nur verlängert
und am Schluss des Antrags auf Mandatsverlängerung
festhält - zuletzt war das am 15. Februar 2008 -, dass
man das Mandat zum Jahresende noch einmal überprüfen will. Ein Satz wie dieser ist übrigens in den letzten
sieben Resolutionen enthalten gewesen; aber die Art des
Mandats hat sich nicht verändert.
Da bin ich absolut anderer Meinung als Sie, Frau
Knoche. Wir haben mit dem Mandat Artemis - zeitlich
begrenzt - gezeigt: Ein Mandat ist robust auszustatten,
und man muss genau wissen, in welcher Region man wie
handeln muss. Bei dem Konflikt zwischen Hema und
Lendu haben wir MONUC in eine bestimmte Ausgangslage versetzt. Wir waren natürlich nur am Stab und mit
Medivac beteiligt. Darauf konnte MONUC aufbauen.
Danach wurden zwei Gerichte gebildet. Da wurde Polizei eingesetzt. In Ituri wurden Vergewaltiger verurteilt.
Das heißt, da ging es vorwärts.
Dann haben wir aus Deutschland auch bei den Wahlen Unterstützung geleistet. Aber nach den Wahlen ist
die öffentliche Diskussion wieder verstummt, und das
Morden und das Vergewaltigen als Mittel der Kriegsführung gehen auf allen Seiten weiter.
Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Müller?
Ja, bitte.
Herr Kollege Fischer, Sie haben soeben Artemis angesprochen. Auch ich meine, dass das eine zeitlich begrenzte, aber sehr erfolgreiche Mission war, jedenfalls
um die Zivilbevölkerung dort vor Gewalt zu schützen.
Ich meine das wirklich ernst. Wir haben auch in unserer
Fraktion darüber diskutiert. Sind Sie nicht der Meinung,
dass es, um schnell zu handeln, um die schlimmste Gewalt einzudämmen, erforderlich wäre, dass die EU doch
noch eine EU-Battle-Group zur Unterstützung von
MONUC - und nur Hand in Hand mit MONUC schickt? Wenn das nicht möglich ist: Wie steht es um
eine Aufstockung? Was wird Deutschland bzw. was werden die Europäer dazu beitragen?
Frau Müller, ich hatte das Glück, den Bundespräsidenten für eine Woche nach Nigeria zu begleiten. Dort
hat er am Afrika-Forum teilgenommen. Man hatte dort
die Gelegenheit, mit vielen prominenten Afrikanern zu
sprechen. Ich habe den Eindruck, die Afrikaner würden
das Problem am liebsten selbst im Rahmen der Afrikanischen Union lösen, mit einer eigenen Stand-by-Force,
über die sie aber zurzeit noch nicht verfügen. Ich habe in
den Gesprächen auch den Eindruck gewonnen, dass man
erwartet, dass wir uns mit dafür verwenden, dass
MONUC - auch technisch - dazu in die Lage versetzt
wird.
Damit komme ich auf die von Ihnen erwähnte DossListe zu sprechen. Bevor man sich mit der Frage beschäftigt, ob man dieser Doss-Liste zustimmen möchte
und ob man dafür zusätzliche Mittel aus Deutschland geben möchte, sollte das Mandat verändert werden. Wenn
es bei dem MONUC-Mandat bei der bisherigen Grundlage bleibt - MONUC ist eigentlich nur eine kongolesische Rumpfarmee, die nicht vernünftig ausgebildet ist,
die keine Moral hat, aber die Entwaffnung der Milizen
unterstützt -, dann werden wir den Kampf gegen die Milizen und die Rebellen weiter auf kleiner Flamme köcheln lassen. Die Menschen in dieser Region werden
darunter leiden.
({0})
Deshalb bin ich der festen Überzeugung: Es darf nur
ein MONUC-Mandat geben, das von der Ausstattung
bzw. von der rechtlichen Situation her aber Artemis ähnelt. Erst dann werden wir die Möglichkeit haben, in den
anderen Bereichen, die hier angesprochen wurden, etwa
bei der Frage der Rohstoffzertifizierung, voranzukommen. Ich finde es gut, dass wir dort Initiativen ergriffen
haben, auch aus dem Ministerium heraus. Ich finde es
Hartwig Fischer ({1})
wichtig, dass wir diese Maßnahmen ergriffen haben, um
den vergewaltigten Frauen dort zu helfen.
All das findet in einem Umfeld statt, in dem null Sicherheit gewährleistet ist, wo die Entwicklungshelfer
Furchtbares erleben und traumatisiert werden. Ich kann
nur noch einmal an den Bericht von Frau SchulerDeschryver vor dem Menschenrechtsausschuss erinnern.
Sie hat eine Situation beschrieben, von der die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland kaum wissen.
Ich sage es hier noch einmal: Da werden seit über einem
Jahr Dörfer überfallen. Da werden die Männer geschlachtet, die Mädchen und die Jungen vor den Augen
der Mütter vergewaltigt. Dann verschwinden die Kinder
für wenige Tage. Danach wird den Müttern gesagt: Hier
habt ihr euer Kind. - Der Kopf ist im Jutebeutel, die
Knochen sind abgekocht. - Dann wird ihnen gesagt: Ihr
glaubt doch nicht, dass ihr unser wertvolles Ziegenfleisch gegessen habt.
Das ist die Realität in diesem Land. Da kann man verzweifeln. Die Menschen dort erwarten von uns, dass wir
handeln. Wir sind gewählt worden, um zu handeln.
({2})
Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich mich frage:
Verzweifelst du? Es muss doch eine Möglichkeit geben,
in der Gemeinschaft der Staaten, die ein Koordinatensystem gemeinsamer Grundwerte haben, sich endlich
auf UN-Ebene zu einigen.
Dazu gehören die Rahmenbedingungen für die Hutus,
die nach dem Völkermord dorthin geflohen sind. Inzwischen ist aber auch eine Generation von Kindern nachgewachsen, die eine gewisse Verantwortung für die Geschichte tragen, so wie wir Verantwortung für unsere
Geschichte tragen. Es muss versucht werden, eine diplomatische Lösung zu finden. Man muss prüfen, ob man
ihnen irgendwo ein Refugium schaffen kann. In Ruanda
ist das wahrscheinlich nicht möglich. Ich weiß, dass sich
diese Frage wie bei den Palästinensern entwickeln kann;
aber wenn das Problem der Hutus nicht gelöst wird, wird
Nkunda immer versuchen - er wird das als Rechtfertigung für sich in Anspruch nehmen -, die kongolesischen
Tutsis vor ihnen zu schützen.
Ich möchte auch Murwanashyaka ansprechen, der
sich hier in Deutschland aufhält. Das ist für uns eine
Elendsgeschichte.
({3})
Ich muss sagen: Deutschland hat die Stabschefin
- oder wie man sie nennen will - von Herrn Kagame
ausgeliefert. Wir haben ein europäisches Recht, nach
dem dieses Land nach meiner Überzeugung verpflichtet
gewesen ist, sie auszuliefern; aber ich frage mich vor
dem Hintergrund des deutschen Rechts wirklich, wie
dieser Mann, der Präsident der FDLR, über die Homepage und über alle Kanäle den Kampf in diesem Land,
im Kongo, ungestraft anheizen kann.
({4})
Ich bin kein Jurist; das müssen andere beurteilen.
Wer wie ich und andere hier in Goma gewesen ist
- wir waren dort vor wenigen Wochen - und das Flüchtlingslager gesehen hat, hat mitbekommen, dass die Maismehlrationen für eine Familie von 12 Kilo auf 6 Kilo pro
Monat reduziert wurden, weil kein Geld mehr zur Verfügung steht, und dass die Menschen nur noch dahinsiechen. Wer solche Bilder von geschlachteten Kindern
sieht - Sie können sie sich anschauen -, der muss sich
einfach fragen: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Warum sind wir nicht in der Lage, gemeinsam als
Weltgemeinschaft menschlich zu handeln?
({5})
Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin
Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Diskussion ist folgende Frage mehrfach angesprochen worden: Was können wir vor allen Dingen tun?
Das ist ein Thema, das ich, seitdem ich politisch tätig
bin, auch als Ministerin, immer wieder verfolgt habe.
Was können wir tun, um dazu beizutragen, dass den systematischen Vergewaltigungen und der Gewalt gegen
Frauen in der Region, insbesondere der des Ostkongos,
entgegengearbeitet wird?
Wir, die Entwicklungsminister, haben dazu schon vor
vielen Monaten eine klare Position entwickelt. Ich will
an dieser Stelle ausdrücklich sagen - neben all dem, was
hier genannt worden ist und was ich in vielen Punkten
teile -: Es gibt ein Instrument, das von der internationalen Gemeinschaft bisher noch nicht genutzt worden ist.
Ich bin dafür, dass es genutzt wird.
Jede Regierung ist verpflichtet, nach den Regeln des
internationalen Rechts dafür zu sorgen, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsprechend geahndet
werden. Ich fordere alle Beteiligten auf, sicherzustellen, dass die Regierungen - das gilt auch für die kongolesische Regierung - dafür sorgen, dass Verbrechen
gegen die Menschlichkeit - systematische Vergewaltigungen sind ein solches Verbrechen - im eigenen Land
geahndet werden. Wenn dies nicht geschieht, hat die internationale Gemeinschaft die Verpflichtung, dafür zu
sorgen, dass die Namen der Täter genannt werden und
diese dann vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden.
Somit wird ein Signal gesetzt, das klarmacht, dass es
nicht bloß um Gewalt oder dergleichen geht, sondern
dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit
handelt. Das soll dann auch ein Signal an die entsprechende Region sein.
({0})
Deshalb fordere ich, dass es zu einer solchen Initiative kommt. Ich habe das an mehreren Stellen bereits geHeidemarie Wieczorek-Zeul
sagt, auch in meiner Funktion als Mitglied der Regierung.
Das wirkt nicht unmittelbar. Moreno-Ocampo, der
entsprechende Chefankläger, hat aber gesagt, dass er bereit ist, die Täter vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, wenn ihm deren Namen genannt werden.
Das ist eine Möglichkeit, zu agieren.
Wir können nicht einfach zusehen. Ich habe Frauen
getroffen, die Opfer schrecklichster Gewalttaten wurden.
Unterschiedliche Gruppen vergewaltigen und massakrieren Frauen. Das können wir nicht zulassen. Deshalb sollten wir, mit vielen anderen zusammen, eine gemeinsame
Initiative auf den Weg bringen.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christel
Riemann-Hanewinckel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieser
Debatte wende ich mich noch einmal den grundsätzlichen Fragen zu, da heute ein Antrag zur Resolution 1325
behandelt wird. Unter anderem spielt heute auch eine andere Resolution eine große Rolle.
Zu Beginn möchte ich auf die Resolution 1325 zu
sprechen kommen. Seit acht Jahren gibt es diese Resolution des Sicherheitsrates. Sie macht sehr deutlich, dass
Frauen von den Auswirkungen von Konflikten und Krisen und vor allen Dingen von kriegerischen Auseinandersetzungen überproportional betroffen sind, vor allen
Dingen - das haben wir hier schon mehrfach gehört durch sexuelle Gewalt.
Die Resolution 1325 macht aber auch noch etwas anderes deutlich. Sie macht sehr deutlich, dass Frauen eine
wichtige Rolle spielen müssen, wenn es darum geht,
Konflikte zu verhindern oder aber nach Konflikten in einem Land für den Wiederaufbau bzw. für Lösungen zu
sorgen.
Die Verabschiedung dieser Resolution vor acht Jahren
war ein sehr wichtiges Ereignis, das inzwischen viele internationale Debatten ausgelöst hat. Wir haben hier im
Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen in diesem
Jahr schon mehrfach darüber debattiert.
Ich möchte noch einmal die wichtigen Punkte in dieser Resolution in Erinnerung rufen. Auf Deutsch könnte
man sagen: Es handelt sich um drei „P“, die hier wichtig
sind: Protektion, Partizipation und Prävention.
Protektion - bei diesem Punkt waren wir eben - wird
Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen eigentlich kaum gewährt. An Schutz von Frauen und Mädchen
vor Not, Elend und Gewalt und davor, dass sie in kriegerischen Auseinandersetzungen ermordet, vertrieben oder
ausgeplündert werden, mangelt es. Sie alle wissen, was
es bedeutet, wenn Menschen gezwungen sind, zu flüchten, und in der Hoffnung auf bloßes Überleben alles hinter sich lassen müssen.
Vor allem Frauen sind immer wieder Zielscheibe der
Gewalt. Wir haben es heute schon mehrfach gehört und
kennen es auch aus anderen kriegerischen Auseinandersetzungen, dass sexuelle Gewalt eine Kriegswaffe ist,
die ganz gezielt eingesetzt wird. Das ist in vielen Regionen dieser Welt der Fall; und es ist noch gar nicht allzu
lange her, dass wir über solche Vorfälle selbst in Europa
debattieren mussten. Im Nachgang mussten wir dann
vieles unternehmen, um den Frauen und Mädchen zu
helfen, diese Traumata wenigstens halbwegs zu überwinden. Keine Frau kann so etwas vollständig verarbeiten oder irgendwann in ihrem Leben vergessen.
Es gilt, darauf hinzuwirken, dass das militärische und
zivile Personal darin trainiert und geschult wird, während kriegerischer Auseinandersetzungen und danach
die Resolution 1325 zu beachten. Dazu muss es vor allen
Dingen wissen, dass diese Resolution eigentlich völkerrechtlich bindend ist; denn sie ist damals einstimmig beschlossen worden. Aber wenn wir bei Soldaten einmal
nachfragen, wer eigentlich diese Resolution kennt, dann
würden wir selbst dann, wenn wir nur deutsche Soldaten
befragten, feststellen, dass die Soldaten vor Ort die Resolution 1325 kaum kennen. Sie scheint vor allen Dingen für die obersten Heerführer gedacht zu sein. Aber es
muss genau darum gehen, dass Soldaten lernen und trainieren müssen, was es bedeutet, im Notfall dazwischenzugehen, und vor allen Dingen, was es bedeutet, selbst
nicht zu Tätern zu werden.
Das zweite „P“ in der Resolution 1325 steht für Partizipation. Frauen muss auf allen Ebenen die gleichberechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und am
Wiederaufbau ermöglicht werden. Aber wenn wir uns
die Bilder dieser Welt anschauen, stellen wir fest, dass
insbesondere die Außen- und Sicherheitspolitik eine
Männerdomäne ist. Die Fotos machen es deutlich. Mit
Ausnahme einiger weniger Frauen sehen wir dort nur
Männer. Das heißt, alle Entscheidungen werden vorrangig von Männern getroffen. Die Frauen dagegen tragen
die soziale Verantwortung für die Gemeinschaft.
Kollegin Hanewinckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, Sie sprachen die Resolution 1325 an.
Meine Frage lautet: Warum zögert die Bundesregierung,
einen Aktionsplan umzusetzen, nachdem Kofi Annan
das schon 2005, also vor drei Jahren, gefordert hat?
Das ist für mich jetzt nicht einfach zu beantworten,
weil ich nicht Mitglied der jetzigen Bundesregierung
bin. Ich kann nur für die Vergangenheit, als ich noch
Mitglied der Bundesregierung war, feststellen, dass es
schon damals nicht einfach war bzw., im Klartext, nicht
gelungen ist, einen Aktionsplan für Deutschland aufzustellen. Die Begründung war - diese wird, soweit ich
weiß, auch heute noch angeführt -, dass Deutschland eigentlich ganz gut dasteht und wir vieles von dem tun und
erfüllen, was die Resolution 1325 fordert. Sie wissen
das, Frau Kollegin Koczy. Wir haben im Ausschuss
schon darüber debattiert, als es um einen entsprechenden
Antrag der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion ging.
Ein Aktionsplan hätte den Charme, dass eine jede Regierung sich daran messen lassen müsste, was sie davon
tatsächlich abgearbeitet hat. An dieser Stelle stimme ich
Ihnen zu. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass ich eigentlich keine Lust mehr habe, mir Gedanken darüber zu
machen, wie ich eine Bundesregierung dazu bewegen
kann, einen Aktionsplan aufzustellen.
Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist,
die Bundesregierung dazu zu bewegen, dass sie im Ausschuss für Menschenrechte versprochen hat, in zwei Jahren, wenn wir über zehn Jahre Resolution 1325 debattieren werden, einen Bericht darüber vorzulegen, wie sich
das in der Bundesrepublik weiterentwickelt hat.
Wir haben in unseren Debatten im Ausschuss sehr
deutlich gemacht, in welchen Bereichen wir Defizite sehen. Ein Defizit habe ich schon angesprochen, dass nämlich auch in der Bundeswehr die Kenntnis der
Resolution 1325 so gut wie nicht vorhanden ist. Ich bin
der Meinung, dass noch sehr viel getan werden muss;
denn dies wird auch von anderen Armeen dieser Welt
gefordert. Dabei müsste Deutschland mit sehr gutem
Beispiel vorangehen.
Das dritte „P“ steht für Prävention. Das heißt, wir
brauchen nachhaltigen Frieden und Entwicklung. Das
erreichen wir aber nicht - wie es bisher immer versucht
wird - ohne die Beteiligung von Frauen. Ihr Beitrag zur
Konfliktlösung, zur Versöhnung und zum Wiederaufbau,
ihr Fachwissen und ihre andere Sicht der Dinge sind ein
Potenzial, das nicht länger ignoriert werden darf.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Juni
dieses Jahres die Resolution 1820 verabschiedet und darin ein sofortiges Ende von sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten gefordert. Auch diese Resolution
macht noch einmal deutlich, dass sich die Mitglieder des
Sicherheitsrates einig sind. Dies ist also ein klares Signal.
Außerdem wird nochmals deutlich - wie schon an anderen Stellen festgestellt -, dass sexualisierte Gewalt ein
Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist und - Zitat „die Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit behindern kann“. Den betroffenen
Frauen wird also höchste Priorität eingeräumt.
Wie wird diese Resolution aber umgesetzt? Wir haben
zwei wichtige und notwendige Resolutionen des Sicherheitsrates, zwei gute Instrumente, um Frauen zu schützen, aber auch zu fordern und zu fördern sowie zu stärken. Wir wissen aber alle, dass Instrumente nur dann
helfen, wenn man sie auch benutzt. Genau das passiert
aber nicht oder zu wenig.
Wenn Soldaten der UN-Mission MONUC - wie berichtet wurde - an Vergewaltigungen beteiligt gewesen
sind und nicht klar ist, ob sie dafür bestraft werden, dann
heißt das, dass die Umsetzung dieser beiden Resolutionen nicht zur Genüge betrieben wird. Das heißt, dass bei
allen internationalen Einsätzen der Vereinten Nationen
diese beiden Resolutionen zur Grundausstattung eines
jeden Soldaten und einer jeden Soldatin gehören müssen. Das heißt auch, dass wir im Hinblick auf die unterschiedliche Herkunft der Soldaten daran arbeiten müssen, dass ein Frauenbild entsteht, das Frauen nicht zu
Menschen zweiter Klasse macht. Es muss weltweit deutlich werden, dass Frauenrechte Menschenrechte sind,
dass sich niemand auf die Kultur oder aber auf die Tradition seines Herkunftslandes zurückziehen kann. Wir
müssen insgesamt darum kämpfen, dass diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit - dies wurde hier bereits
angemahnt - vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden, und wir müssen ernst nehmen, was der
Sicherheitsrat als letzten Punkt in der Resolution 1820
beschlossen hat, nämlich sich weiterhin aktiv mit diesem
- das ist jetzt meine Formulierung - vorrangig männlichen Problem zu beschäftigen.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9779 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22 b: Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und
Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen
Umsetzung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/8608, den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/4555 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({0}) zu der Unterrichtung durch den
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und
Medien
Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption
des Bundes Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen
- Drucksachen 16/9875, 16/10285 Nr. 6, 16/10565
Abgeordnete Wolfgang Börnsen ({0})
Christoph Waitz
Katrin Göring-Eckardt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia
Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Sevim Dağdelen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Konzepte der Vermittlung des Wissens zur
NS-Zeit überprüfen und den veränderten
Bedingungen anpassen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz
({2}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Nationalsozialismus
- Drucksachen 16/8880, 16/8184, 16/10071 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Christoph Waitz
Katrin Göring-Eckardt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Bernd Neumann.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am 18. Juni dieses Jahres hat das Bundeskabinett die
Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 beschlossen. Diese neue Konzeption stellt
in meinen Augen einen Meilenstein für die Erinnerungskultur in Deutschland dar. Unser Ziel ist es, Verantwortung wahrzunehmen, die Aufarbeitung zu verstärken und
das Gedenken zu vertiefen.
Die Bundesregierung trägt mit dieser Fortschreibung
der historischen und moralischen Verpflichtung
Deutschlands Rechnung. Die Geschichte Deutschlands
und Europas im 20. Jahrhundert wurde durch die Schrecken und Gräuel geprägt, die unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in deutschem Namen geschehen
sind. Die historisch einzigartige Dimension des nationalsozialistischen Terrorregimes wird durch das Wissen um
die Singularität des Holocaust bestimmt.
Dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden als Menschheitsverbrechen bisher nicht gekannten Ausmaßes kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu jetzt und für alle Zeiten. Deshalb müssen wir die authentischen Erinnerungsorte an die NS-Schreckensherrschaft
pflegen und erhalten. Das neue Gedenkstättenkonzept
sieht daher vor, die Gedenkstätten in Bergen-Belsen,
Dachau, Flossenbürg und Neuengamme neu in die institutionelle Förderung aufzunehmen und darüber hinaus in
einem Stufenplan für die Sanierung einiger Gedenkstätten, wo nötig, Sorge zu tragen.
({0})
Für die Bundesregierung bekräftige ich noch einmal
die besondere Verantwortung für das Gedenken an die
im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma.
Sinti und Roma wurden Opfer eines Völkermordes, der
vom NS-Staat systematisch ins Werk gesetzt wurde und
der die vollständige Vernichtung dieser Minderheit zum
Ziel hatte. Das geplante „Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und
Roma“ bringt den besonderen Stellenwert dieses Verbrechens im Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland
zum Ausdruck. Mit diesem zentralen Gedenkort zwischen Reichstag und Brandenburger Tor bekennt sich
unser Land zu seiner historischen Verpflichtung gegenüber den Sinti und Roma.
Wir gedenken im Rahmen unseres Konzeptes aber
auch der nationalsozialistischen Morde an behinderten
Menschen sowie der Verfolgung Homosexueller und anderer Opfergruppen. Wir vergessen nicht, was die
Frauen und Männer erleiden mussten, die sich zum Widerstand gegen das Regime entschlossen.
Zum Erbe des wiedervereinigten Deutschlands zählt
auch die kommunistische Diktatur in der ehemaligen
SBZ bzw. DDR. Ich sage ganz klar: Auch bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts müssen wir unsere Anstrengungen verstärken. Wir müssen der Bagatellisierung und
dem Verklären entgegenwirken.
({1})
Hier leistet die Bundesstiftung Aufarbeitung ganz
hervorragende Arbeit,
({2})
gerade auch im Bereich der historisch-politischen Bildung von Kindern und Jugendlichen.
Im Bereich der Gedenkstätten zur SED-Herrschaft
werden wir drei weitere Einrichtungen in die institutionelle Förderung aufnehmen und die Unterstützung bei
anderen, wie dem Jugendwerkhof Torgau und der Runden Ecke Leipzig, fortsetzen, gegebenenfalls auch stärker.
Meine Damen und Herren, die Birthler-Behörde, also
die Behörde, die die Stasiunterlagen verwaltet, bearbeitet und durchforstet, hat für die Aufarbeitung der SEDDiktatur in ganz Europa Vorbildcharakter. Ich möchte an
dieser Stelle sagen: Sie hat bei der Aufklärung wichtige
und gute Arbeit geleistet.
({3})
Diese Arbeit wird sie fortsetzen, obwohl diese Einrichtung nie als Dauereinrichtung vorgesehen war. In der
nächsten Legislaturperiode wird der Deutsche Bundestag - so ist es von den Fraktionen vereinbart worden eine unabhängige Expertenkommission einsetzen, die
dann als Entscheidungshilfe Vorschläge zum langfristigen Umgang und zur Aufbewahrung der Stasiakten machen wird.
Für die Realisierung des Gedenkstättenkonzeptes haben wir die Mittel für die Jahre 2008 und 2009 um
50 Prozent auf insgesamt 35 Millionen Euro angehoben.
Dies soll deutlich machen, welchen Stellenwert die Aufarbeitung dieser beiden Diktaturen hat.
({4})
Hinzugekommen zu diesem bisherigen Gedenken ist
- das will ich an dieser Stelle sagen; denn dies spielte
auch in der Debatte über den Bericht zum Stand der
deutschen Einheit eine Rolle - die Erinnerung an in
diesem Falle eher positive Momente der deutschen Geschichte - dies geschieht auch auf der Basis eines Beschlusses des Deutschen Bundestages -: an die Ereignisse in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Berlin
in den Jahren 1989 und 1990, in diesem Falle also mit
eher positiver Assoziation.
({5})
So schnell wie möglich soll das Einheits- und Freiheitsdenkmal auf dem Schlossplatz in Berlin verwirklicht
werden. Das ist die Grundlage eines Beschlusses des
Deutschen Bundestages. Ich werde dazu beitragen, dies
zügig umzusetzen.
({6})
Ich möchte abschließend sagen: Ich bin sehr dankbar,
dass die von mir vorgelegte Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption nicht nur von der CDU/CSU-Fraktion
und dem Koalitionspartner SPD, sondern in diesem Falle
auch von der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen voll
unterstützt wird.
({7})
Für mich ist es ein wichtiges Signal für die politische
Kultur dieses Hauses und für das Demokratieverständnis
in unserem Land, dass wir bei einem so schwierigen,
sensiblen und emotionalen Thema so große Einigkeit erzielen konnten. Dafür bedanke ich mich. Die Erinnerung
und das Gedenken in der Bundesrepublik erhalten mit
dieser Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes ein
tragfähiges Fundament für die Zukunft. Es ist umso tragfähiger, je stärker die Unterstützung ist. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
({8})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Christoph
Waitz das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei
Jahre haben wir über das Gedenkstättenkonzept beraten.
Dem Kulturstaatsminister, dem BKM, ist es zu verdanken, dass es gelungen ist, ein konsensfähiges Konzept zu
entwickeln. Nachdem Sie vorhin so ausdrücklich gelobt
worden sind, habe ich mir überlegt, ob ich mein Lob ein
bisschen reduziere. Aber die Arbeit, die in Ihrem Amt
geleistet worden ist, rechtfertigt ein ausdrückliches Lob.
({0})
Der Bundestag steht hinter dem Gedenkstättenkonzept.
Der vorliegende Entschließungsantrag fast aller Fraktionen belegt das.
Es gibt wenige Möglichkeiten, sich im Deutschen
Bundestag mit der komplexen und wechselvollen deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu beschäftigen. Es
ist traurig, dass diese Debatte auch in dieser Plenarwoche wieder etwas an den Rand gedrängt wurde, obwohl
man uns dieses Mal eigentlich einen zentraleren Platz
versprochen hatte. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation gibt es aber sicherlich Gründe, warum
diese Debatte zurückgedrängt worden ist.
Das Gedenkstättenkonzept klärt Fördervoraussetzungen und formuliert Ziele und Schwerpunkte der Aufarbeitung der beiden Diktaturen, die wir im letzten Jahrhundert auf deutschem Boden gesehen haben. Ich habe
vor einigen Monaten mit einigem Entsetzen die Studie
des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin über die Kenntnisse von 15- und 16-jährigen Schülern gelesen, die mehr als nur schlaglichtartig
beleuchtet, welchen erstaunlichen Fehleinschätzungen
diese Schülerinnen und Schüler unterliegen und welche
Unkenntnis bei ihnen hinsichtlich der Realitäten in der
damaligen DDR vorherrscht. Ich befürchte, dass eine
Studie über das Wissen von Schülern über die NS-Jahre
ähnliche Befunde hätte und keine besseren Ergebnisse
zutage treten würden. Das Gedenkstättenkonzept kann
daher nicht nur als statischer Rahmen für Institutionen
verstanden werden. Vielmehr müssen gerade durch die
Förderung der Aufarbeitung und eine intensivierte Bildungsarbeit Impulse gesetzt werden.
({1})
Dem Bund sind im Feld der schulischen Bildung
Schranken gesetzt. Wir appellieren daher insbesondere
an die Kultusministerkonferenz der Länder, sich dieses
Themas anzunehmen und sich mit den Defiziten bei der
geschichtlichen Bildung von Schülern auseinanderzusetzen.
({2})
Was der Bund leisten kann und leisten muss, ist insbesondere der Erhalt der bedeutenden Erinnerungs- und
Gedenkorte und die Gestaltung dieser Orte als Lernorte.
({3})
Durch die Aufnahme der KZ-Gedenkstätten in Dachau,
Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die institutionelle Förderung leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Vermittlung von geschichtlichem Wissen
über Aspekte der deutschen Geschichte, die mit Schuld,
Schmerz und Scham verbunden sind.
Besuchsfahrten, wie sie Schülerinnen und Schüler auf
den Ettersberg, in das Konzentrationslager Buchenwald
machen, sind durch keinen noch so gut gemachten Geschichtsunterricht zu ersetzen. Die Erfahrung, auf diesem gewaltigen, leeren Lagerplatz zu stehen, der Gang
durch das Krematorium und die Ausstellung schnüren
einem den Hals zu und machen die Geschichte dieses
Ortes geradezu körperlich spürbar. Bei diesen Besuchsfahrten wird die Basis für weitergehende Fragen gelegt:
Wie konnte es an dieser Stelle nahe Weimar, einer Stadt,
die wir mit dem Humanismus, der deutschen Klassik,
mit Namen wie Wieland, Goethe und Schiller verbinden,
zu diesen Verbrechen im Namen Deutschlands kommen?
Was machte die Weimarer Republik und ihre Verfassung
so verletzlich für die Attacken von Kommunisten, Nationalsozialisten und weiteren antidemokratischen Parteien,
und was bereitete den Weg für den Aufstieg des Nationalsozialismus? Weshalb haben große Teile der deutschen Bevölkerung der Entrechtung der jüdischen Mitbürger und der späteren Deportation und Vernichtung
tatenlos zugesehen?
Das Konzentrationslager in Buchenwald ist aus einem
weiteren Grund bemerkenswert. Dort wurde im August 1945 das NKWD-Speziallager 2 der sowjetischen
Besatzungstruppen eingerichtet. Während anfangs Funktionäre der Nationalsozialisten und mutmaßliche Kriegsverbrecher in das Lager eingewiesen wurden, waren es
später auch Sozialdemokraten, Bauern, willkürlich
Denunzierte und Personen, die im Verdacht standen,
Sympathie für den Westen zu haben. Auch wenn dieses
Lager kein Vernichtungslager war, kamen von den
28 000 Insassen bis 1950 über 7 000 Menschen durch
Hunger und unbehandelte Krankheiten ums Leben. Dieser Teil der Lagergeschichte war zu DDR-Zeiten tabuisiert. Heute existiert auf diesem Gelände eine Dauerausstellung, die an das Speziallager und an die Insassen
erinnert.
({4})
Die Differenzierung zwischen den beiden Diktaturen,
die auch im Gedenkstättenkonzept vorgenommen wird,
ist dringend geboten. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass sich beide Diktaturen in ihren Zielen und Konsequenzen unterscheiden. Eine Auseinandersetzung um
die Frage, in welchem Umfang die beiden totalitären
Systeme Parallelen aufweisen, muss aber weiterhin
möglich bleiben.
({5})
Zwei Punkte zum Schluss.
Erstens. Das vorliegende Gedenkstättenkonzept darf
nicht als abgeschlossen gelten. Die FDP-Fraktion geht
davon aus, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere
Einrichtungen im Rahmen der institutionellen Förderung
aufgenommen werden können. Es geht uns vor allem darum, dass nicht nur Gedenkstätten in Berlin, sondern
auch in den anderen Bundesländern erhalten und gefördert werden. Ich freue mich, Herr Staatsminister, dass
Sie neben der Runden Ecke in Leipzig insbesondere den
Jugendwerkhof in Torgau in Ihrer Rede erwähnt haben,
weil Sie damit deutlich gemacht haben, dass es eine
Vielzahl von weiteren Einrichtungen gibt, die ganz
wichtig sind, um ein komplettes Bild dieser Art von Bedrohung und Repression zu zeichnen.
Zweitens. Wir fordern, die pädagogische Arbeit auszubauen. Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird
richtig beschrieben, dass der Staffelstab der Erinnerung
nach dem Verschwinden der Erfahrungsgeneration an
kommende Generationen weitergegeben werden muss.
Eine Bildungsoffensive zum Thema Nationalsozialismus
ist notwendig. Darum stimmen wir Ihrem Antrag ausdrücklich zu.
Heinrich Heine schrieb in einem Gedicht:
Die alten, bösen Lieder,
Die Träume schlimm und arg,
Die laßt uns jetzt begraben,
Holt einen großen Sarg.
Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Boden lassen nicht zu, dass wir diese Themen beerdigen.
({6})
Das Gedenkstättenkonzept ist eine wichtige Basis für die
weitere gemeinsame Auseinandersetzung mit unserer
Geschichte.
({7})
Nur durch diese Auseinandersetzung können wir unsere
Kinder für die Gefahren für unsere offene Gesellschaft,
für Demokratie und Menschenrechte sensibilisieren.
({8})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Jahr ist es her, dass wir im Kulturausschuss im Rah20090
men einer Anhörung über die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption intensiv mit Experten diskutiert
haben. Seitdem hat es viele weitere Diskussionen gegeben. Die kritischen Anmerkungen der Experten wurden
zu einem großen Teil eingearbeitet. Die jetzt vorliegende
Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts hat deutliche
Verbesserungen erfahren. Es ist ein gutes Konzept, das
wir voll unterstützen.
({0})
Natürlich konnte nicht alles Wünschenswerte aufgenommen und nicht jede Einrichtung genannt werden.
Denn es handelt sich um eine Konzeption des Bundes,
die die Länder nicht ihrer Pflichten enthebt und Raum
für zivilgesellschaftliche Initiativen lässt, ohne die es im
Übrigen die vielfältige Erinnerungs- und Gedenkstättenlandschaft in Deutschland nicht geben würde.
Grundlage für die Fortschreibung war das 1999 von
der rot-grünen Bundesregierung vorgelegte Gedenkstättenkonzept. Es wird nicht ersetzt, sondern sinnvoll ergänzt und dort fortentwickelt, wo nach fast zehn Jahren
Praxis Verbesserungen möglich und notwendig sind.
In der Anhörung vor einem Jahr wurde von mehreren
Experten, insbesondere von Salomon Korn und
Volkhard Knigge, deutliche Kritik an der historischen
Einordnung der NS-Diktatur und der SED-Diktatur geäußert. Beide Diktaturen würden gleichgesetzt und eine
Neugewichtung der Erinnerung vorgenommen. Die SPD
hat mit dafür Sorge getragen, dass es keine Verschiebung
und Neugewichtung in der Gedenk- und Erinnerungspolitik gibt.
Die Debatte zum sichtbaren Zeichen gegen Vertreibung nährte die Befürchtung einer solchen Verschiebung
in der Erinnerungspolitik. Bei der Umsetzung dieses
Projekts und in den politischen Debatten dazu muss alles
vermieden werden, was den Verdacht nährt, wir Deutschen wollten uns zu einem Opfervolk stilisieren und
von Schuld reinwaschen. Wir dürfen niemals vergessen,
dass die Expansions- und Vernichtungspolitik der Nazis,
die damals von breiten Teilen der deutschen Bevölkerung unterstützt wurde, die wesentliche Ursache der Vertreibungen war.
Erinnerung und Gedenken bleiben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Gedenken an die Opfer der
NS-Terrorherrschaft wird mit der Fortschreibung der
Gedenkstättenkonzeption deutlich gestärkt. Vier weitere
Gedenkstätten werden aufgrund ihrer nationalen und internationalen Bedeutung in die institutionelle Förderung
des Bundes aufgenommen.
In der Gedenkstättenkonzeption haben alle Opfergruppen angemessene Berücksichtigung gefunden. Das
Gedenken - wir wissen das - kann sich nicht an der Anzahl der ermittelten Opfer bemessen. Erlittenes Unrecht
wird nicht hierarchisiert, der Terror der Naziherrschaft
nicht relativiert.
({1})
Es ist gut, dass in diesem Jahr das Denkmal für die im
Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht wurde. Auf das Denkmal für die ermordeten Sinti
und Roma bin ich sehr gespannt.
Auch bei der Erinnerung an die kommunistische Diktatur hat der ursprünglich vorgelegte Entwurf deutliche
Verbesserungen erfahren. Vier Punkte sind für mich von
besonderer Bedeutung.
Erstens wird die mittlerweile gegründete Stiftung
„Berliner Mauer“ institutionell gefördert. Mit Axel
Klausmeier, der in der letzten Woche vom Stiftungsrat
benannt wurde, hat die Stiftung einen kompetenten Direktor erhalten und kann jetzt ihre Arbeit aufnehmen.
Zweitens. Die Stasiunterlagenbehörde erhält eine verlässliche Zeitperspektive. Sie bleibt als wichtiger Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung der
kommunistischen Diktatur in vollem Umfang arbeitsund funktionsfähig. Eine unabhängige Expertenkommission wird in der nächsten Legislaturperiode ein Konzept
erarbeiten, welche Aufgaben der Stasiunterlagenbehörde
künftig in welcher Form erfüllt werden, denn auch nach
einem Ende der Behörde wird die Aufarbeitung der
kommunistischen Diktatur nicht zu Ende sein.
({2})
Drittens. Der Bundestag muss sich zur dringend notwendigen Sanierung von Haus 1 der ehemaligen Stasizentrale in der Normannenstraße bekennen und die
notwendigen finanziellen Mittel dafür zur Verfügung
stellen. Das wäre gerade im Hinblick auf den anstehenden 20. Jahrestag des Mauerfalls ein wichtiges Signal.
Das Haus 1 muss als authentischer Ort der Täter erhalten
bleiben. Die Stasiunterlagenbehörde soll gemeinsam mit
dem ASTAK ein neues Ausstellungskonzept entwickeln
und die ehemalige Stasizentrale zu einem Lernort der
Demokratie weiterentwickeln. Dabei handelt es sich übrigens nicht, wie von verschiedenen Seiten häufig kritisiert, um eine zusätzliche Aufgabe der Behörde. Ausstellung und politische Bildung entsprechen dem im StasiUnterlagengesetz festgeschriebenen Auftrag der Behörde.
Viertens. Auch das Thema Alltag in der DDR, vor allem Widerstand im Alltag, findet sich in der Konzeption
angemessen wieder. Der Schwerpunkt der Darstellung
liegt hierbei vernünftigerweise in Leipzig und diesmal
nicht in Berlin.
Besonderes Augenmerk haben wir im Entschließungsantrag auf die politische Bildung und die Vermittlung der Geschichte der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und der kommunistischen Diktatur gelegt.
Damit haben wir auch Anliegen der Linken und der Grünen, die in den beiden anderen Anträgen deutlich werden, aufgegriffen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in
einem Zeitenwechsel in der Erinnerungskultur. Mit dem
Tod der Zeitzeugen, sowohl der Opfer als auch der Täter
wie der Mitläufer, ist ein historischer Einschnitt verbunden, der besondere Herausforderungen an die pädagogische Arbeit der Gedenkstätten und an die politische BilDr. h. c. Wolfgang Thierse
dung insgesamt, aber auch und besonders in den Schulen
stellt.
Jetzt - das ist die eigentliche Herausforderung - muss
der Übergang vom individuellen Gedächtnis in das kollektive und kulturelle Gedächtnis gelingen. Das ist unsere Aufgabe.
({4})
Deshalb ist die politische Verantwortung für die authentischen Orte und für die Bildungs- und Vermittlungsprozesse so groß. Diese, die authentischen Orte, und das
Angebot von Bildung und Vermittlung sind Einladungen
an die nachfolgenden Generationen; Einladungen, keine
Vorschriften.
Folgendes sage ich immer wieder: Wir haben nicht
das Recht, zu unterstellen, dass nachfolgende Generationen moralisch weniger sensibel wären als wir. Sie müssen ihre eigenen Formen der Erinnerung, der Aneignung
des Geschehenen gewinnen. Wir müssen ihnen dabei
helfen, und in diesem Sinne ist die Gedenkstättenkonzeption auch ein Angebot an die kommenden Generationen, diese deutsche Geschichte in ihren bitteren Seiten
sich anzueignen, so mühselig und so schmerzlich dies
auch gelegentlich sein mag.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt handelt
es sich um eine sehr gelungene Konzeption, die jetzt mit
Leben erfüllt werden muss. Ich freue mich, dass es gelungen ist, mit vier Fraktionen einen gemeinsamen Entschließungstext zu erarbeiten. Das beweist bei allen Differenzen im Detail, dass es einen Grundkonsens über
den Umgang mit der Geschichte und über die fortdauernde Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und der kommunistischen Diktatur gibt. Das ist sehr gut so; denn das ist der Konsens,
der diese Republik trägt.
Ich möchte mich bei allen Beteiligten, vor allem bei
den angehörten Experten, für die Zusammenarbeit bedanken. Jetzt geht die Arbeit zwar nicht los, aber sie geht
weiter - die schwierige, wichtige Erinnerungsarbeit.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Jochimsen das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Drei Postulate, die gar nicht
ernst genug genommen werden können, überschreiben
die Gedenkstättenkonzeption, über die wir heute abstimmen wollen: „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung stärken, Gedenken vertiefen“. Das sind angesichts
unserer Geschichte schwierige Aufgaben. Wer sie angehen will, muss hohen Erwartungen gerecht werden. Wird
die Konzeption in ihren inhaltlichen Positionen und in
ihrer konkreten Umsetzung diesen hohen Erwartungen
gerecht? Wir sagen: leider nein. Deshalb können wir den
Vorlagen auch nicht zustimmen. Wir sind zwar die Einzigen, die nicht zustimmen, aber da sind wir selbstbewusst.
Warum? Die inhaltliche Ausrichtung, die Sie in der
Unterrichtung durch den Staatsminister und in der Beschlussempfehlung des Ausschusses festgeschrieben haben, ist widersprüchlich. Im Vorwort heißt es:
Die Politik des Nationalsozialismus führte in der
Konsequenz zur Teilung Deutschlands.
Wohl wahr! Aber dieser Satz bleibt ohne Konsequenzen
innerhalb der Umsetzung der Konzeption. Dort ist von
der gesamtstaatlichen Verantwortung für das Gedenken
an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für die Folgen des Zweiten Weltkrieges die
Rede. In einem Satzsprung heißt es dann aber: Außerdem gelte es seit der Wiedervereinigung, das Unrecht
der kommunistischen Diktatur aufzuarbeiten.
({0})
Ich habe schon in der Ausschussberatung darauf hingewiesen, dass dies auf eine Verzerrung der Geschichte
hinausläuft. Es sind nämlich nicht zwei nebeneinanderstehende Geschichtskapitel, sondern es ist eine ursächlich ineinander übergreifende und dadurch im Übrigen
gemeinsame Vergangenheit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
({1})
Wir haben nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Opfern des NS-Regimes,
sondern auch die Pflicht und Schuldigkeit, die Terrorherrschaft insgesamt aufzuarbeiten, in diesem Zusammenhang vor allem auch unsere Nachkriegszeit.
Wer wie ich das Verschweigen und Leugnen der
Nachkriegsbundesrepublik, Nazis in hohen Positionen,
die schmachvoll späten und angefeindeten KZ-Prozesse,
die Gedenkstättenarbeit, die fast nur von den Betroffenen betrieben wurde, und die jahrzehntelang verschleppten Fragen der Restitution erlebt hat, für den sind die
NS-Geschichte und die Nachkriegsgeschichte in beiden
Gesellschaften ein Komplex, dessen Aufarbeitung, in ihren Zusammenhängen wohlgemerkt, insgesamt aussteht.
Diese Chance hätte man mit einer in vielfältiger, langjähriger Arbeit entstandenen Gedenkstättenkonzeption
jetzt gehabt. Man hat sie aber nicht genutzt.
Es reicht nicht, dass nun endlich vier KZ-Gedenkstätten im Westen institutionell gefördert werden. Wie ein
Mantra wird ständig wiederholt und stets beschworen,
dass es ein neues Gedenkstättenkonzept gibt und dass
wir jetzt auch vier Gedenkstätten im Westen institutionell fördern. Das ist natürlich zu begrüßen. Aber was hat
die Lagergemeinschaft Ravensbrück in einem Schreiben
an uns Abgeordnete festgehalten?
Groß ist der Bedarf bei der Erforschung der Geschichte der über ganz Deutschland verteilten KZAußenlager.
An anderer Stelle wurde in aller Bescheidenheit darauf
hingewiesen:
Wenn man die Ausführung zu den Gedenkstätten
und Erinnerungsorten zur NS-Herrschaft vergleicht
mit den Erläuterungen zum Geschichtsverbund zur
Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in
Deutschland, so fällt vor allem auf, wie viel detaillierter die letzteren Festlegungen ausgeführt werden.
„Detaillierter“ ist das eine. Das andere sind die
schiere Zahl, der Umfang und die Gewichtung. Während
sich im Konzept genau zwei Kapitel mit der NS-Geschichte befassen, werden neun Kapitel zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte aufgezählt und entsprechende
Förderungsprojekte beschrieben.
({2})
Innerhalb dieser geht es bis auf das Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt nicht um den Alltag in der
DDR, den Lauf der Geschichte und die Fragen: Wie kam
es zur DDR, wer hat sie geformt und getragen, und wie
hat sie sich schließlich selbst befreit? Darum geht es
nicht.
Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen: Das sind große Worte und
schwierige Aufgaben, gerade hinsichtlich der Zeit des
nationalsozialistischen Terrorregimes. Hier stehen wir an
einer Wende - Kollege Thierse hat es beschrieben -: Die
Zeitzeugen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch
ihren persönlichen Einsatz so vieles für die Auseinandersetzung und Vermittlung geleistet haben, werden uns
fehlen. Wir brauchen dringend ein neues Gesamtkonzept
für die zukünftige Vermittlungsarbeit, das in der vorliegenden Gedenkstättenkonzeption leider fehlt.
Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag zu dieser
Problematik eingebracht. Wie Sie alle heute darauf reagieren, könnte eine Art Lackmustest dafür sein, wie
wichtig Ihnen der Satz in der Einleitung der Unterrichtung ist, der da lautet:
Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen
NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen.
Es wäre gut, wenn Sie dieser Erklärung mit dem Gedenkstättenkonzept tatsächlich nachkämen.
Vielen Dank.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, dem heutigen
Tag ist eine lange Debatte im Kulturausschuss und vor
allem auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Ich
finde, das war eine gute Debatte, die zu einem breiten
Konsens geführt hat. Ich schließe mich ausdrücklich und
sehr gern dem Dank auch an diejenigen an, die uns dabei
mit klaren und oft auch unbequemen Urteilen unterstützt
haben. Herr Knigge und Herr Korn sind hier zu Recht erwähnt worden.
Auf die Problemstellen des ersten Entwurfs haben wir
als Grüne ganz am Anfang - im Sommer letzten Jahres schon hingewiesen. In dem ursprünglichen Entwurf des
neuen Gedenkstättenkonzeptes wurde aus unserer Sicht
in unverantwortlicher Weise eine Gleichsetzung zwischen dem Nationalsozialismus und der DDR-Diktatur
vorgenommen, wodurch die Unterschiede verwischt
wurden.
Frau Jochimsen, ich bin aber der Meinung, dass es
mit dem neuen Entwurf gelungen ist, deutlich zu machen, dass es eben eine sehr klare Unterscheidung gibt.
({0})
Am Anfang heißt es wörtlich:
Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen
NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen.
Daran werden wir die Erinnerungspolitik der Großen
Koalition messen. Dass das hier steht, ist auch ein Erfolg
unserer gemeinsamen Diskussionen, den wir nicht kleinreden sollten.
({1})
Ganz besonders freut es mich natürlich, dass durch
dieses Konzept jetzt sehr deutlich wird, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Initiativen sind. Erinnerung von oben funktioniert
eben nicht, sondern wir brauchen die Zivilgesellschaft,
und wir müssen verhindern, dass wir uns allein in öffentlichen Ritualen und sogenannter Anlasserinnerung erschöpfen. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen und
Projekte aus der Mitte der Gesellschaft sind lebendige
Erinnerung und Aufarbeitung von unten.
Der „Zug der Erinnerung“ und das Projekt „Stolpersteine“ stehen symbolisch dafür, und sie sind Zeichen
dafür, dass sich gerade auch junge Menschen in unserem
Land dafür interessieren und sich auf ganz wunderbare
Art und Weise und, wie ich finde - dies erfährt man,
wenn man mit diesen Jugendlichen darüber redet -, sehr
nachhaltig mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigen
und auseinandersetzen.
Aus genau diesem Grund, weil zivilgesellschaftliches
Erinnern eben auch mit Bildung und Wissen zu tun hat,
haben wir heute einen Antrag eingebracht. Herr Waitz
hat darauf hingewiesen. Vielen Dank, dass Sie ihm zustimmen wollen. Ich glaube, damit wird auch der ÜberKatrin Göring-Eckardt
gang zum nächsten Schritt der Erinnerungskultur beschrieben, der so wichtig ist; denn wir befinden uns am
Übergang von der kommunikativen Erinnerung zum kulturellen Erinnern. Das bedeutet mehr als einen Epochenwechsel.
Paul Spiegel hat ja den Begriff „Staffelstab der Erinnerung“ geprägt, der übergeben werden muss. Er hat ihn
zu Recht geprägt. Wir brauchen jetzt eine systematische
Verankerung in schulischen Lehrplänen und gleichzeitig
in außerschulischen Bildungsangeboten. Ich glaube, dass
wir daran nicht vorbeikommen, nicht vorbeikommen
sollten und auch nicht vorbeikommen wollen.
({2})
Das gilt übrigens auch - es ist hier schon einmal zu
Recht darauf hingewiesen worden - hinsichtlich des
Wissens über die Geschichte der DDR-Zeit. Auf der einen Seite gibt es eine Art von Verklärung, die immer
neue Blüten treibt und bei der häufig der Satz „Es war
nicht alles schlecht“ geäußert wird. Auf der anderen
Seite gibt es diejenigen, die sich zu Recht für die Anerkennung ihrer eigenen Biografie einsetzen. Beides widerspricht sich aber sehr stark. Die Anerkennung der eigenen Biografie ist zentral und wichtig. Es geht aber
auch darum, deutlich zu machen, was das Leben auch in
dieser Diktatur bedeutet hat, und sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet hat, Mitläufer zu sein und zu
versuchen, in dieser Diktatur zurechtzukommen.
Die Eltern- und Lehrergeneration hat dabei eine große
Verantwortung. Wir als Politiker haben sie erst recht.
Gerade bei der Bildung zum Thema Nationalsozialismus muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass
er nicht wie eine Naturkatastrophe von oben über
Deutschland kam, sondern tief in der Gesellschaft verankert war. Diesen Auftrag haben wir auch heute, wenn wir
uns mit rechtsextremistischen und rechtsradikalen Gedanken, Taten, Gruppierungen und Parteien auseinandersetzen. Dazu gehört übrigens auch, sich mit dem Antisemitismus in der DDR zu befassen. Dazu gehören
authentische Orte. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir
die KZ-Gedenkstätten auch als Lernorte stärken wollen.
Die authentischen Orte des Grauens der Naziverbrechen
helfen, wenn wir heute über unsere Erinnerung reden,
sehr viel weiter, als museale Erinnerung das jemals
kann.
({3})
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung; denn die
Frage der authentischen Orte betrifft auch die Erinnerung an die SED-Diktatur. Dass beim einzigen verbliebenen ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella jetzt die
Bagger für den Abriss bereitstehen, weil das Geld nicht
reicht, um ihn winterfest zu machen, ist sehr bedauerlich. Noch ist er zu retten. Ich hoffe, dass das gelingt,
weil er einer der authentischen Orte ist, an denen man
die Teilung Deutschlands auf ganz besondere Art und
Weise sehen, erleben und nachempfinden kann. Deswegen hoffe ich sehr, dass der Abriss noch verhindert werden kann.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für jeden dritten Jugendlichen in der Bundesrepublik gilt: Erich Mielke war ein Schriftsteller, Helmut
Kohl war Kanzler der DDR, Adenauer ein Ossi. Für jeden vierten Schüler unseres Landes war Willy Brandt
Repräsentant des SED-Regimes. Auf einen Abgrund von
Fehl- und Falschwissen der jungen Generation weist
eine aktuelle Studie der FU Berlin hin.
Es ist erschreckend. Auf die Feststellung „Wer die
DDR verlassen wollte, war selber schuld, wenn an der
Grenze auf ihn geschossen wurde!“ antwortete jeder
fünfte Jugendliche mit Ja.
Fehlende Kenntnisse führen zu falschen Beurteilungen. Nichtwissen schadet der Demokratie. Ahnungslosigkeit macht verführbar. Das Feld für Extremisten ist
dann bestellt.
In seiner Ballade des Vergessens formulierte der
Dichter Klabund bereits vor 100 Jahren eine eindringliche Mahnung:
Vergaßt ihr die gute alte Zeit,
die schlechteste je im Lande?
Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid,
die Hofherren Feigheit und Schande.
Es führte euch in den Untergang
mit heitern Mienen, mit kessen.
Längst habt ihr’s bei Wein, Weib und Gesang
vergessen, vergessen, vergessen.
Zwei Drittel aller Schüler - in einigen Bundesländern
sogar mehr - gaben an, das geteilte Deutschland sei im
Unterricht kein Thema gewesen. Selbstverständlich
muss die Schule solche Defizite aufarbeiten. Auch und
gerade das Wissen und das Gedenken an die eigene Geschichte führt zu der Einstellung: Nie wieder!
({0})
Nie wieder Rechts- oder Linksdiktaturen! Nie wieder
Ausgrenzung von Menschen- und Bürgerrechten! Nie
wieder ein Verlust an Freiheit!
Das neue Gedenkstättenkonzept wird diesen Ansprüchen gerecht. Es verstärkt die Aufarbeitung unserer
Diktaturgeschichte. Es ermöglicht, Opfer- wie Tätergeschichte unmittelbar wahrzunehmen. Die menschenverachtende Zeit des NS-Staates wird ebenso konsequent, schonungslos, aber auch differenziert
aufgearbeitet und dargestellt wie die DDR-Vergangenheit. Dem Unterschied zwischen dem Naziterror und der
SED-Diktatur wird Rechnung getragen. Eine verantwortungsbewusste Erinnerungspolitik darf weder die Ver20094
Wolfgang Börnsen ({1})
brechen der Nationalsozialisten relativieren noch das
SED-Unrecht bagatellisieren.
Klabund appelliert in seiner Ballade des Vergessens
an die Wegseher und Vereinfacher mit folgenden für unsere Ohren heute ungewohnten Worten:
Wir haben Gott und Vaterland
mit geifernden Mäulern geschändet,
wir haben mit unsrer dreckigen Hand
Hemd und Meinung gewendet.
Es galt kein Wort mehr ehrlich und klar,
nur Lügen unermessen ...
Wir hatten die Wahrheit so ganz und gar
vergessen, vergessen, vergessen.
Das neue Gedenkstättenkonzept stärkt die Erinnerungskultur, weil es eine zentrale Struktur vermeidet, die
Eigenständigkeit der zeithistorischen Einrichtungen garantiert, weil es Rücksicht auf die eindrucksvollen Leistungen der bürgerschaftlichen Aufarbeitungsinitiatoren
nimmt, weil es auf der Authentizität der Gedenkstätten
beruht, Geschichte am Ort des Geschehens erlebbar
macht, weil es erstmals kooperative Vernetzungen zwischen den Trägern institutionalisiert - das gilt für die
NS-Gedenkstätten ebenso wie für die DDR-Rudimente und weil es die Geschichte der SED-Diktatur wie die
Zeit des Dritten Reiches zu einer Herausforderung für
Ost- wie für Westdeutschland erklärt, es endlich eine gesamtdeutsche Aufgabe wird.
({2})
Wir können aus unserer Geschichte nicht flüchten.
Wir müssen uns ihr stellen. Das gilt für die dunklen Kapitel unserer Vergangenheit wie für die glücklichen Momente. Leipzig gehört dazu, beispielgebend als Stadt des
unerschrockenen Bürgermutes. Es ist sachgerecht - darin bin ich mir mit Wolfgang Thierse einig -, hier, in dieser Stadt, den Schwerpunkt für die Erinnerung an den
Widerstand gegen die SED-Diktatur zu setzen. Es verdient auch die Unterstützung des Bundes, wenn an dieser
Stelle der Freiheit und Einheit gedacht wird. Es ist richtig und respektvoll, wenn vor Ort ein passendes Konzept
dafür entwickelt wird. Was für Leipzig gilt, gilt auch für
Bonn. Es gilt auch den westdeutschen Beitrag zur Wiedervereinigung dort zu dokumentieren. Dass ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal in die Mitte unserer
Hauptstadt gehört, haben wir vor einem Jahr beschlossen. 200 Jahre couragierte Freiheits- und Parlamentsgeschichte dokumentieren den Teil unserer Vergangenheit,
auf den wir stolz sein können. Eine historisch gerechte
Erinnerungslandschaft kommt ohne ein solches Symbol
der Freiheitsbekundung nicht aus.
Der Bund wird mit dieser neuen Gedenkstätte seiner
Verantwortung gerecht. Hier wird den Orten von nationaler Bedeutung Zukunft gegeben. Die vier schon geschilderten NS-Gedenkstätten, die durch die institutionelle Förderung eine viel stärkere Möglichkeit als
Lernorte erhalten, sind ein Teil dieser Zukunftsorientierung. Die BStU, um deren Perspektiven wir lange gerungen haben, wird dann ihre Akten und Unterlagen in das
Bundesarchiv überführen, wenn eine Kommission dafür
dem Bundestag eine Entscheidungsgrundlage erarbeitet
hat. Unabhängig davon bleibt festzuhalten - darin bin
ich mir mit vielen in diesem Saal einig -: Deren Mitarbeiter leisten eine notwendige und ambitionierte Aufarbeitungsarbeit. Die BStU hat Anerkennung verdient. Ihr
Konzept hat europaweit Bedeutung. Das gilt auch für die
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und
viele andere Häuser.
Das Konzept zur geschilderten Erinnerungslandschaft, über das wir heute befinden, wird von vier Fraktionen getragen. Das ist eine ganz großartige Grundlage.
Es ist gut für unser Land und gut für die Demokratie,
dass eine so starke parlamentarische Mehrheit sagt: Wir
stehen zu diesem Konzept. - Trotzdem bleiben wir aufgefordert, weiter wachsam zu sein, im Sinne der Ballade
des Vergessens:
Habt ihr vergessen, was man euch tat,
des Mordes Dengeln und Mähen?
Es lässt sich bei Gott der Geschichte Rad,
beim Teufel nicht rückwärts drehen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank der Vorrednerinnen und Vorredner anschließen. Nachdem der Staatsminister im Juni 2007 einen doch umstrittenen Entwurf
für die Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes vorgelegt hat, haben wir nun einen sehr konstruktiven Prozess durchlebt und die vorliegende Konzeption gemeinsam erarbeitet. Daran haben sowohl der Ausschuss mit
einer Anhörung als auch eine Reihe externer Experten
mitgewirkt. Ich denke, diese Konzeption ist ein überzeugendes Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit.
Frau Jochimsen, es gibt schon ein Gedenkstättenkonzept von 1999, in dem die NS-Diktatur ausführlich behandelt wurde. Es ist nicht durch dieses Gedenkstättenkonzept aufgehoben, sondern fortgeführt, und ergänzt
wurden jetzt die Punkte, die vorher noch nicht darin
standen. Es gab vorher - das ist mehrfach gesagt worden eben keine institutionelle Förderung von Gedenkstätten
in den alten Bundesländern. Es gab sie in den neuen,
aber nicht in den alten. Deswegen haben wir jetzt Bergen-Belsen in Niedersachsen, Neuengamme in Hamburg
sowie Dachau und Flossenbürg in Bayern institutionell
gefördert. Das war notwendig. Wir alle haben immer
wieder erlebt, dass Schulgruppen und andere Gruppen,
die sich informieren wollten, keine anständige Führung
bekommen konnten, weil das Geld nicht da war, um
Leute zu beschäftigen etc. Das ist jetzt möglich. Das ist
auch notwendig; denn dann können die Gruppen, die
dorthin kommen, qualifiziert informiert werden, und das
ist eine wichtige Grundlage für die Demokratie.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesfinanzminister danken; denn üblicherweise gibt es keine neuen
institutionellen Förderungen. Ich glaube, es ist ein ganz
wichtiger Aspekt, dass wir das hier machen. Zugleich
führen wir die Projektförderung des Bundes für authentische und national bedeutsame Erinnerungsorte und Gedenkstätten fort. Ich erinnere daran, dass wir in Sachsen
den Jugendwerkhof in Torgau jetzt mit Projektmitteln
fördern. Der Herr Staatsminister hat ihn erwähnt. Die
Besucher können dort ein fragwürdiges Erziehungskonzept, den menschenunwürdigen Alltag und das drakonische Strafsystem im geschlossen Jugendwerkhof sehen,
der dem Ministerium für Volksbildung der DDR direkt
unterstand. Viele hätten diese Möglichkeit nicht, wenn
es eine solche Projektförderung nicht gäbe. Deswegen
glaube ich, dass einer der wesentlichen Aspekte, die wir
sehr ausführlich diskutiert haben, das zivilgesellschaftliche Engagement von vielen Gruppen ist - dies wurde
mehrfach erwähnt; auch Frau Göring-Eckardt hat darauf
hingewiesen -, aber auch die politische Bildung. In der
Diskussion über das Konzept ist deutlich geworden, wie
wichtig Vermittlung und politische Bildung beim Umgang mit unserer Geschichte sind und wo es noch hapert.
Wir haben die Lücken alle aufgedeckt. Deswegen bin ich
froh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche, wenn wir
den Haushalt diskutieren, die Mittel dafür entsprechend
erhöhen werden und damit etwas tun.
Im Umgang und bei der Vermittlung unserer Geschichte, ob es nun die Geschichte des Nationalsozialismus ist oder die DDR-Geschichte, sind wir alle gefordert, nicht nur der Bund, sondern auch Elternhäuser,
Schulen, Medien und Politik; denn viele Schüler - Herr
Börnsen hat darauf hingewiesen -, aber leider auch viele
Erwachsene wissen nur wenig über unsere Vergangenheit und wenig über die beiden Teile unserer Gesellschaft, wie sie vor dem Fall der Mauer tatsächlich waren.
Hier wird besonders deutlich, dass sich unser Bemühen
nicht nur auf die gute Ausgestaltung der Gedenkstätten
beschränken darf, sondern dass es auch einer umfassenden Aufarbeitung bedarf. Dabei müssen wir weiterhin
auf Zeitzeugen zurückgreifen, nicht nur auf die Zeitzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die uns leider
nach und nach nicht mehr zur Verfügung stehen, sondern
auch auf Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR. Da haben
wir Menschen unter uns, die in beiden Teilen gelebt haben und die erzählen können, wie das eigentlich damals
war. Es sind Menschen, deren Familien getrennt waren
und die erlebt haben, wie es war, sich zu besuchen, und
die den jeweiligen Alltag erlebt haben. Diese persönlichen Erfahrungen sollten wir noch stärker einbringen,
gerade auch in der Schule. Das muss in allen Bundesländern überhaupt erst einmal in den Schulplänen verankert
werden; denn das findet in vielen Schulen leider noch
nicht statt.
({1})
Wenn ich meine Kinder danach frage, ob sie in der
Schule schon einmal etwas davon gehört haben, also
vom täglichen Leben in einem Konstrukt von Überwachung und Zersetzung, vom menschlichen Miteinander
in einem unmenschlichen System, dann stelle ich fest:
Das haben sie so noch nicht wahrgenommen. Ich glaube,
man kann das zusammen mit Zeitzeugen, mit Menschen,
die so etwas direkt erlebt haben, viel besser nachvollziehen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.
Wir haben heute Nachmittag den Bericht zur deutschen Einheit diskutiert. Dabei sind viele Schritte, die
zeigen, dass wir zusammenwachsen, aufgeführt worden.
Das, was ich angesprochen habe, ist sehr notwendig, damit wir zu einem bestimmten Punkt kommen: Nie wieder darf es uns passieren, dass wir durch Diktaturen bestimmt werden. Wir haben im nächsten Jahr eine Menge
Gedenktage. Wir feiern 20 Jahre Fall der Mauer, wir feiern 60 Jahre Grundgesetz. Aber wir haben auch Erinnerungstage, die uns nachdenklich stimmen müssen, zum
Beispiel den 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlands
auf Polen. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Jahr mit seinen
Gedenktagen zum Nachdenken und für die Erinnerung
nutzen und dass wir mit dem Gedenkstättenkonzept als
guter Grundlage für das gemeinsame Bewusstsein aktiv
arbeiten, damit sich das Bewusstsein vor Ort so ändert,
dass die Demokratie erhalten bleibt und gestärkt wird
und dass Geschehnisse wie Diktaturen, Gewalt und Brutalität nicht mehr stattfinden können. Das wünsche ich
mir. Ich bin froh, dass wir gemeinsam daran gearbeitet
haben.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur
und Medien auf Drucksache 16/10565 zu der Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für
Kultur und Medien auf Drucksache 16/9875 zur Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes mit
der Überschrift „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“. Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur
und Medien auf Drucksache 16/10071. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/8880 mit dem Titel „Konzepte der
Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen und
den veränderten Bedingungen anpassen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion
Vizepräsidentin Petra Pau
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 25 b. Unter
Buchstabe b der Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10071 empfiehlt der Ausschuss für Kultur und
Medien die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8184 mit dem Titel „Systematische Weiterentwicklung der politischen
Bildung beim Thema Nationalsozialismus“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Miriam
Gruß, Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Schaffung einer Individualbeschwerde im
Rahmen des Übereinkommens über die
Rechte des Kindes
- Drucksache 16/9096 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Thomas
Mahlberg für die CDU/CSU-Fraktion, Marlene Rupprecht
für die SPD, Miriam Gruß für die FDP, Diana Golze für
die Fraktion Die Linke und Ekin Deligöz für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9096 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Überfüh-
rung der Anteilsrechte an der Volkswagen-
werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung
in private Hand
- Drucksache 16/10389 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dorothée Menzner, Dr. Diether Dehm,
Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des VW-Gesetzes
- Drucksache 16/8449 -
1) Anlage 10
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 16/10896 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Joachim Stünker
Wolfgang Nešković
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundesministerin Zypries hat bereits bei der ersten
Lesung dieses Gesetzentwurfs vor wenigen Wochen auf
die Bedeutung und Entstehung des VW-Gesetzes und
auf die besondere Geschichte des größten deutschen Autobauers hingewiesen. Es ist eben aufgrund der Geschichte des Volkswagenwerkes gerechtfertigt, dass das
VW-Gesetz gewisse Abweichungen vom allgemeinen
Aktienrecht vorsieht. Selbstverständlich ist, dass die Regelungen des VW-Gesetzes dabei nicht gegen das EURecht verstoßen dürfen und dass wir, soweit das der Fall
ist, Abhilfe schaffen müssen.
Damit bin ich schon beim Urteil des Europäischen
Gerichtshofs vom Oktober 2007. Der EuGH hat darin
entschieden, dass Deutschland mit einigen Vorschriften
des VW-Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Dieses Urteil setzen wir mit dem Gesetzentwurf,
um den es heute geht, in nationales Recht um, und zwar
- das sage ich auch in Richtung Brüssel - zu
100 Prozent.
({0})
Angesichts seiner besonderen Historie werden wir
aber am VW-Gesetz nicht mehr ändern, als es das Urteil
verlangt. Wie Sie wissen, gibt es unterschiedliche Meinungen zu der Frage, was das Urteil genau verlangt. Sehen wir uns daher noch einmal den Tenor der Entscheidung an - ich darf zitieren, Frau Präsidentin -:
Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass
sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung
- ich wiederhole: in Verbindung
- mit § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes beibehalten hat,
gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG
verstoßen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die genannten Bestimmungen betreffen das gesetzliche Entsenderecht für den Bund und das Land NiederParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
sachsen, die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent
und das besondere Mehrheitserfordernis für Hauptversammlungsbeschlüsse von 80 Prozent plus einer Aktie,
also die Sperrminorität von 20 Prozent.
Der Europäische Gerichtshof hat das gesetzliche Entsenderecht für rechtswidrig erklärt, die beiden anderen
Bestimmungen aber nur „in Verbindung“ miteinander,
also nicht jede für sich. Im Übrigen - so sagt es das Gericht; ich habe es schon zitiert - ist die Klage abgewiesen worden.
Wenn zwei Paragrafen aber nur „in Verbindung“ miteinander rechtswidrig sind, dann liegt es auf der Hand,
dass man sie nicht beide aufheben muss. Es reicht aus,
einen davon aufzuheben, wodurch der andere weiterbestehen kann, ohne gegen das Europarecht zu verstoßen.
Ich gehe davon aus, dass der Europäische Gerichtshof
diese Formulierung sehr wohl mit Bedacht gewählt hat
und genau das gemeint hat, was er gesagt hat. Es ist aus
meiner Sicht unverständlich und dem EuGH gegenüber
nicht gerade von Respekt getragen, wenn man darüber
hinweggeht und sagt, das habe der Gerichtshof nicht so
gemeint, vielmehr seien alle drei Bestimmungen isoliert
rechtswidrig.
Deshalb sieht der Regierungsentwurf genau das vor,
was der Urteilstenor verlangt: Wir schaffen das gesetzliche Entsenderecht für den Bund und das Land Niedersachsen ab, denn dies verlangt der EuGH. Der Gesetzentwurf der Linken, der hier noch Abstufungen und
Winkelzüge macht, wird von uns nicht mitgetragen. In
Brüssel würden wir sofort auffliegen. Wir schaffen die
Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent ab. Die Sperrminorität bei Hauptversammlungen, die im Übrigen vom
allgemeinen Aktienrecht gar nicht so weit abweicht,
kann allerdings isoliert weiter bestehen.
Außerhalb des offiziellen Verfahrens kamen Presseäußerungen aus Brüssel, dass wir alle drei Bestimmungen ersatzlos streichen müssten. Eine begründete Stellungnahme der Kommission, durch die unserer
Rechtsansicht widersprochen würde, gibt es bisher aber
nicht. Sollte eine solche Stellungnahme kommen, hätte
Deutschland zwei Monate Zeit, um darauf zu reagieren
und gegenüber der Kommission seine Ansicht darzulegen. Wir sind uns unserer Sache sehr sicher. Sie sehen,
dass es keinen Anlass dafür gibt, dass die Bundesregierung von ihrem einstimmig gefassten Beschluss abrücken sollte, die Sperrminorität des VW-Gesetzes fortbestehen zu lassen und das Änderungsgesetz in der Form
zu verabschieden, wie sie Ihnen vorliegt. Lassen Sie sich
davon weder durch nicht korrektes Hochdeutsch noch
durch Briefe mit Goldprägung abhalten.
Danke schön.
({1})
Die Rede des Kollegen Paul Friedhoff für die FDP-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat der
Kollege Michael Grosse-Brömer für die Unionsfraktion.
1) Anlage 11
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute wollen wir das in einigen Punkten geänderte VW-Gesetz in zweiter und dritter Beratung beschließen. Ich halte das für eine gute Idee. Wir haben in
den letzten Wochen mehrfach über dieses Gesetz diskutiert. Ich habe dabei stets die Gelegenheit genutzt, um
darauf hinzuweisen, dass VW für viele Deutsche, und
nicht nur für Niedersachsen, eine Herzensangelegenheit
und ein Stück deutscher Identität darstellt.
({0})
Das VW-Gesetz besteht seit dem 21. Juli 1960 und ist
damit - wenn auch nur knapp - älter als ich selbst. Seither ist das Gesetz eng mit der Erfolgsgeschichte von VW
verknüpft. Der niedersächsische Ministerpräsident hat
sich bei der letzten Debatte sogar persönlich die Ehre gegeben, um die Bedeutung des Gesetzes noch einmal hervorzuheben. Im September hat er im Bundesrat dazu
ausgeführt, dass das VW-Gesetz kein Hindernis für eine
gute Entwicklung von VW ist. Im Gegenteil: Es war bisher und wird auch in Zukunft eine Voraussetzung dafür
sein.
Es ist deshalb gut, dass wir heute im Bundestag den
Erhalt des VW-Gesetzes bei zwei notwendigen Änderungen beschließen wollen. Der Parlamentarische Staatssekretär hat darauf hingewiesen, dass wir so vorgehen,
weil der Europäische Gerichtshof es verlangt hat, obwohl es eigentlich sinnvoll wäre, in ein Unternehmen,
das, wie Volkswagen, sehr erfolgreich arbeitet, am besten gar nicht einzugreifen. Wir kommen den uns auferlegten europarechtlichen Verpflichtungen nach. Der
Rechtsprechung des EuGHs werden wir durch den heute
vorliegenden Gesetzentwurf gerecht.
Das Bundesjustizministerium hat das Urteil sorgfältig
analysiert. Das Ergebnis ist eben von Herrn Hartenbach
vorgetragen worden. Es geht um die Verbindung zwischen Höchststimmrecht und den besonderen Mehrheitserfordernissen. Nur das wurde beanstandet, und nur das
haben wir geändert.
({1})
Letztlich ist das im Urteilstenor genau erkennbar. Der
EuGH spricht explizit von § 2 Abs. 1 in Verbindung mit
§ 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes.
Der zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy
hält die genannten Normen alternativ und nicht kumulativ für europarechtswidrig. Damit ignoriert er erstens
den Urteilstenor, und zweitens überinterpretiert er die
Reichweite der Grundfreiheiten.
({2})
Mit unserer Bundesjustizministerin bin ich hoffnungsfroh, dass das Gesetz nach dem Passieren des Bundesrates, einschließlich Unterzeichnung und Verkündung, zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Das wäre
für die Beschäftigten - nach meiner Kenntnis sind es
weltweit 364 000 - und auch für ihre Familien zu Be20098
ginn des neuen Jahres eine schöne Nachricht. In Krisenzeiten sind solche Zeichen gut für die Menschen. Zwar
hat das Wort Krise gegenwärtig Hochkonjunktur. Es ist
aber nicht mehr zu leugnen, dass die Krise auf dem Finanzmarkt auf die sogenannte Realwirtschaft übergegriffen hat. Anzeichen dafür sind vorhanden. Sie betreffen
mittlerweile unstreitig auch die Automobilindustrie. Vor
diesem Hintergrund ist die Volkswagen-Gruppe offensichtlich noch gut aufgestellt. Unter den aktuell schwierigen Bedingungen wird VW von Fachleuten und auch
in der Fachpresse häufig noch als „Fels in der Brandung“
bezeichnet.
({3})
- Ich bin froh, dass doch einige Niedersachsen da sind.
Das zeigt sich ja jetzt am entsprechenden Applaus.
({4})
- Das finde ich auch anständig, dass die Sozialdemokraten dazugelernt haben. Im Vergleich zum letzten Mal
sind deutlich mehr Niedersachsen da, auch auf Ihrer
Seite.
({5})
Die Politik sollte diese positive Entwicklung von VW
honorieren und erfreut zur Kenntnis nehmen. Jedenfalls
sollten wir sie nicht durch unnötige Veränderungen belasten.
Ich habe gestern erfreulicherweise und fast auch ein
wenig überraschend ein Schreiben vom Vorstandsvorsitzenden der Porsche Holding, Herrn Wendelin Wiedeking,
erhalten.
({6})
Auch er ging auf die künftigen Herausforderungen ein,
insbesondere die der Automobilbranche. Ich zitiere eine
Passage aus seinem Brief.
Die Automobilbranche steht vor gewaltigen Herausforderungen. Um vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktkrise zu bestehen und weiter zu
wachsen, wollen wir gemeinsam ein starkes Unternehmen schaffen, das mit Ideenreichtum und Innovationskraft auf der Basis weltweiter Erfolge Arbeitsplätze erhält und neue Arbeitsplätze schafft.
Am Standort Deutschland.
({7})
Mit diesen Worten von Herrn Wiedeking kann ich mich
voll und ganz einverstanden erklären. Ich schließe mich
ihnen an. Unternehmen müssen leistungsstark und innovativ sein, um bestehen zu können. VW hat exakt dies in
der Vergangenheit immer wieder eindrucksvoll bewiesen - mit dem VW-Gesetz.
({8})
Das VW-Gesetz war auch deswegen eine wichtige
Voraussetzung für den Erfolg dieses Unternehmens, weil
es wohl in einmaliger Weise Zukunftsfähigkeit mit besonderer Treue und Verantwortung zur Belegschaft und
zu den Standorten gerade in Deutschland beweist. Auch
bei internationalen Beziehungen gab es nie rechtliche
Bedenken. Infolgedessen kann ich in einem Punkt Herrn
Wiedeking nicht zustimmen, nämlich seiner Behauptung, dass dieses Gesetz europarechtswidrig sei. Aufgrund der genannten Erfolgsgeschichte wünsche ich mir
vielmehr, dass das VW-Gesetz weiterhin, wie die letzten
48 Jahre, als stabile Grundlage eines Traditionsunternehmens, als Mittel der Standortsicherung und als Instrument der Beschäftigungssicherung erhalten bleibt.
Ich würde mich freuen - darauf ist vorhin schon Bezug genommen worden -, wenn die Europäische Kommission das auch so sehen könnte. Sie sollte ihre Ankündigung überdenken, eventuell wiederum zu klagen. Es
gab leider schlechte Nachrichten. Ich habe heute in der
Zeitung gelesen, dass Kommissar McCreevy gegenüber
dem Handelsblatt erklärte, noch vor Weihnachten die
zweite Stufe des Verfahrens einleiten zu wollen.
({9})
Ich halte das für ein überflüssiges Geschenk in der Vorweihnachtszeit. Es ist im Übrigen auch ein schlechtes Signal für Hunderttausende von Menschen. Dazu kommt,
dass dieses Signal auch noch in denkbar ungünstigen
Zeiten ausgesendet wird.
Ich halte dieses Vorgehen auch für bedenklich; denn
im Rahmen der Ratifikation des Lissabon-Vertrages
wurde immer wieder gefordert, Europa müsse endlich
bei den Menschen ankommen. Die EU-Bürger sollten
sich mit ihrer Union identifizieren können. Dazu gehört
dann auch, ein Stück weit Rücksicht auf die Interessen
der Menschen zu nehmen.
({10})
Damit einher muss dann auch Zurückhaltung in Bereichen gehen, die nicht von Brüssel, sondern von den Mitgliedstaaten geregelt werden sollen.
Man kann zwar unterschiedlicher Auffassung sein,
aber die Kommission hat noch nicht so richtig nachvollziehbar begründet, warum sie immer wieder Klage einreichen will. Sie behauptet immer pauschal, es liege ein
Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs vor.
Wenn sie das auf die gesetzlich verankerte Sperrminorität bezieht, muss man sich einmal die Frage stellen, ob
man nicht irgendwann auch gegen die Ausgabe von
stimmrechtslosen Aktien gerichtlich vorgehen sollte. Inhaber dieser Aktien haben ja auch keinen Einfluss auf
Entscheidungen eines Unternehmens. Es stellt sich also
die Frage: Wo beginnt der freie Kapitalverkehr, und wo
hört er auf?
Der EuGH wird sich im Streitfall mit den sorgfältigen
Überlegungen der Bundesregierung auseinandersetzen
müssen, die in den heute vorliegenden Entwurf eingeflossen sind. Ich denke, wir haben das gerügte Zusammenspiel aus Höchststimmrecht und Mehrheitserfordernissen beendet. Wir haben auch bei den Regelungen zur
Entsendung in den Aufsichtsrat den Forderungen des
EuGH Folge geleistet. Die Sperrminorität von 20 Prozent bleibt aber bestehen. Ich denke, dass sie auch unter
europarechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein dürfte.
Schließlich - auf diese Aussage lege ich gesteigerten
Wert - ist die Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts
keine europarechtliche Materie. Schauen Sie sich den
dritten Teil des EG-Vertrages, also „Die Politiken der
Gemeinschaft“, an. Dort sucht man vergebens nach einem Kompetenztitel „Gesellschaftsrecht“. Das Urteil
des EuGH wird also schon denklogisch - da haben Sie
wiederum völlig recht, Herr Staatssekretär - vollständig
beachtet und eins zu eins umgesetzt.
Schauen wir jetzt einmal in unser nationales Aktienrecht; darüber könnte man ja auch noch nachdenken.
Dieses sieht keine feste Grenze für Sperrminoritäten vor.
({11})
Zwar sind 25 Prozent der gesetzliche Regelfall. Ausnahmen sind aber möglich, nach oben wie nach unten.
Porsche zum Beispiel hat in seiner Satzung eine Sperrminorität von 33,3 Prozent festgeschrieben, VW hat die
20-Prozent-Regelung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigen
Verabschiedung des Entwurfs, den die Bundesregierung
vorgelegt hat, können wir ein klares Zeichen setzen, ein
Zeichen erstens für die europäische Integration und gegen unzulässige Einmischung aus Brüssel unter Berücksichtigung originärer Interessen der Mitgliedstaaten
({12})
und zweitens für ein weiterhin erfolgreiches Unternehmen Volkswagen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothée Menzner für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Der Novellierungsvorschlag der Bundesregierung zur Anpassung des VW-Gesetzes erscheint uns etwas halbherzig. Er nimmt Änderungen auch in den Bereichen vor, in denen sie nach unserer Auffassung durch
das Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht geboten
sind. Das Entgegenkommen nützt aber nichts.
Die EU-Kommission in ihrer neoliberalen Verblendung wird das nicht überzeugen. Kommissar McCreevy
hat schon jetzt angekündigt, noch vor Weihnachten wieder gegen das Gesetz vorzugehen. Auch das nach den
Vorschlägen der Bundesregierung geänderte VW-Gesetz entspreche den EU-Verträgen nicht, meint er. Nach
seiner Auffassung würde auch unsere neue Fassung des
Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.
Worum geht es wirklich? Die Presseagentur Reuters
schrieb gestern:
Der größte VW-Eigner Porsche dagegen will das
Gesetz abgeschafft sehen. Nur wenn die Sperrminorität auf 25 Prozent angehoben würde, hätte der
Sportwagenbauer die Chance, einen Beherrschungsvertrag durchzusetzen.
Weiter heißt es:
Der volle Durchgriff des Porsche-Managements auf
VW wäre dann gesichert.
In diesem Sinne wurden wir Abgeordneten von Wendelin
Wiedeking angeschrieben.
Der „volle Durchgriff“ bedeutet, dass der gesamte
VW-Konzern dem Interesse der Eigentümer von Porsche
untergeordnet würde. Interessen der VW-Belegschaft,
des Bundes oder des Landes Niedersachsen würden
nicht mehr zählen.
Dabei geht es nicht nur abstrakt um Beherrschung,
sondern es geht auch und vor allem um eine vertraglich
auferlegte Gewinnabführung an das beherrschende Unternehmen. Es geht um die Umwandlung von VW-Gewinnen in Profite der Porsche-Eigner. Mit der Ermöglichung
eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages
würde VW seine eigenständige Bedeutung verlieren.
Die langfristige Zukunft dieses für die gesamte
Volkswirtschaft bedeutenden Unternehmens würde den
kurzfristigen Gewinninteressen einiger Kapitaleigner
untergeordnet. Spekulative Interessen würden dem Gemeinwohlinteresse und den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgehen.
Die Interessen der Eigentümer von Porsche an der
Freiheit ihres Kapitals gelten Kommissar McCreevy
mehr; sie gelten ihm als Kapitalverkehrsfreiheit, als eine
der Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes.
All das können wir und kann die Bundesregierung so
nicht hinnehmen. Wir brauchen eine eindeutige Klarstellung im EU-Vertragsrecht, im Primärrecht. Dazu haben
wir Vorschläge gemacht, die ich aus Zeitgründen hier
nicht genau ausführen kann.
Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon muss ausgesetzt werden. Es muss eine soziale Fortschrittsklausel in das Primärrecht aufgenommen werden.
In diesem Sinne stellen wir fest, dass der Vorschlag
der Bundesregierung auch unter den Bedingungen des
EuGH-Urteils nicht optimal ist. Unser Vorschlag, den
wir vorgelegt haben, wäre besser. Dennoch werden wir
dem Vorschlag der Bundesregierung zustimmen, weil er
immer noch besser ist, als wenn nichts passieren würde.
Mit der Novellierung des VW-Gesetzes aber sind die
Probleme keineswegs bewältigt. Wir brauchen Regelungen für die Wirtschaft insgesamt, nicht nur für ein Großunternehmen.
({0})
Wir müssen das Europarecht so verändern, dass es
nicht weiter als Brechstange gegen den Sozialstaat ein20100
gesetzt werden kann. Meiner Ansicht nach sollte sich
niemand folgender Einsicht - damit möchte ich meine
Rede beenden - verschließen: Europa wird sozial sein,
oder es wird nicht sein.
({1})
Die Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben1).
Jetzt gebe ich Herrn Kollegen Garrelt Duin, SPDFraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man kann Frau Dückert nicht den Vorwurf machen, dass
sie sich in der Vergangenheit nicht sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hätte. Sie hat auch hier
im Plenum immer wieder zu diesem Thema gesprochen.
Anders liegt der Fall bei den Kolleginnen und Kollegen von der FDP - das finde ich sehr bedauerlich -, die
nicht zum ersten Mal hier die direkte Auseinandersetzung scheuen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie nachher
bei der Abstimmung der Weisheit der Linkspartei folgen,
die ja den Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützt. Darüber freue ich mich ausdrücklich. Es ist nämlich notwendig, dass wir dieses VW-Gesetz mit großer
Mehrheit beschließen,
({0})
damit auch in Brüssel registriert wird, dass wir uns hier
trotz unterschiedlicher Auffassungen in manchen Fragen
nicht auseinanderdividieren lassen. Im Interesse dieses
Unternehmens und seiner Beschäftigten wollen wir dieses Gesetz gemeinsam auf den Weg bringen.
({1})
Um diese Zeit - jetzt ist es ungefähr 21.10 Uhr - läuft
bei VW noch die Spätschicht. Was denkt ein Beschäftig-
ter bei VW in diesem Moment? Denkt dieser Beschäf-
tigte: „Die Politik kümmert sich sowieso nicht um mich;
denen ist doch sowieso egal, was mit uns passiert; die
können auch nichts tun“? Denkt er, dass wir der Auffas-
sung sind, der Markt werde es schon richten? Was er
zurzeit erlebt, könnte derartige Gedanken durchaus be-
fördern: die gigantische Finanzmarktkrise, die Meldun-
gen über eine drohende Konjunkturkrise mit besonderen
Auswirkungen auf die Autobranche, Aktienkurse des ei-
genen Unternehmens, die in den vergangenen Wochen
völlig verrückt gespielt haben - wie wir jetzt wissen, aus
nachvollziehbaren Gründen -, eine Auseinandersetzung
im Aufsichtsrat, angesichts derer der Beschäftigte nur
mit dem Kopf schütteln kann, weil dort offensichtlich
ganz persönliche Dinge eine größere Rolle spielen als
das Interesse des gesamten Unternehmens.
Mit der Verabschiedung des VW-Gesetzes haben wir
die Chance, ein Stück - allein wird es nicht ausreichen -
Vertrauen in die Politik und in staatliches Handeln zu-
1) Anlage 11
rückzugewinnen. Dieses Vertrauen ist erschüttert. Europäische Entscheidungen haben dazu ihren Teil beigetragen. Aber wir haben die Chance, dieses Vertrauen neu zu
schaffen. Wir können unter Beweis stellen: Politik kümmert sich, nimmt die Sorgen ernst und lässt sich auch
durch wirtschaftliche Einzelinteressen - auch wenn sie
24 Stunden vor der Abstimmung noch einmal schriftlich
artikuliert werden - nicht beeindrucken. Politik lässt sich
aber auch nicht durch die Drohung der EU-Kommission
beeinflussen, dass ein neues Verfahren angestrengt werden soll. Wir halten den Kurs - gemeinsam mit der Bundesregierung und mit Zustimmung anderer.
({2})
Wir machen das VW-Gesetz EU-rechtskonform. Wir
machen dies im Bewusstsein der Geschichte dieses Unternehmens und im Bewusstsein, dass das Unternehmen
VW das geworden ist, was es heute ist - nicht trotz dieses Gesetzes, sondern gerade wegen dieses Gesetzes.
Der freie Kapitalverkehr wird auch in Zukunft nicht
gefährdet. Aber mit diesem Gesetz - das ist uns Sozialdemokraten natürlich besonders wichtig - wird auch die
Mitbestimmung in dem Unternehmen Volkswagen zukünftig nicht gefährdet. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die versuchen, an dieser Stelle herumzuoperieren.
Wir haben nicht nur den Brief von Porsche bekommen,
wir haben heute auch einen Brief von Bernd Osterloh bekommen. Darin schreibt er: Sehr geehrte Damen und
Herren Abgeordnete! Die Beschäftigten von Volkswagen sind in großer Sorge um ihre Mitbestimmungsrechte
und in der Folge um die langfristige Sicherheit ihrer Arbeitsplätze. Denn wer nichts Böses im Schilde führt, der
muss sich vor Mitbestimmung und einem VW-Gesetz
nicht fürchten.
({3})
Ich finde, man kann diese Worte von Herrn Osterloh nur
unterstreichen: Wer nichts Böses im Schilde führt,
braucht dieses Gesetz nicht zu fürchten.
Wir sagen dies mit großem Nachdruck an die Adresse
aller Anteilseigner, und wir sagen dies auch in Richtung
der EU-Kommission: Dieses VW-Gesetz ist EU-rechtskonform. Das ist unsere feste Überzeugung. Wir sind sicher, dass wir gegebenenfalls einen Rechtsstreit darüber
gewinnen werden.
Ich bin stolz darauf, dass es uns heute nach vielen
Jahren der Auseinandersetzung gelingt, ein solches Gesetz zu beschließen. Ich hoffe auf eine große Zustimmung des Hauses, damit dem Beschäftigten, von dem
ich vorhin gesprochen habe und der jetzt noch in der
Spätschicht ist, klar wird: Der Deutsche Bundestag ist an
seiner Seite und weiß seine Interessen zu schützen.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der
Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit
beschränkter Haftung in private Hand. Zu dieser Ab-
stimmung liegen mir einige Erklärungen nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vor.1)
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10896, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/10389 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung bei einigen Gegenstimmen
in der CDU/CSU und Gegenstimmen der FDP mit den
restlichen Stimmen des Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der
FDP und zwei Gegenstimmen aus der CDU/CSU mit
den restlichen Stimmen des Hauses angenommen.
({0})
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke zur Änderung des VW-Gesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10896, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8449
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Verdeckte Armut bekämpfen - Rechte wahr-
nehmen, unabhängige Sozialberatung auswei-
ten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen
- Drucksachen 16/3908, 16/4826 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Markus Kurth
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin:
1) Anlage 6
Peter Weiß, CDU/CSU, Rolf Stöckel, SPD, Heinz-Peter
Haustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, Markus
Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/4826, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/3908 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur arbeitsmarktadäquaten Steuerung der Zuwanderung Hochqualifizierter
und zur Änderung weiterer aufenthaltsrechtlicher Regelungen ({2})
- Drucksachen 16/10288, 16/10722 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff ({3}), Gisela
Piltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der
Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({4})
- Drucksache 16/9091 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
- Drucksache 16/10914 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Dr. Michael Bürsch
Hartfrid Wolff ({6})
Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({7}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff
({8}), Dr. Heinrich L. Kolb, Patrick
Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Zuwanderung durch ein Punktesystem steu-
ern - Fachkräftemangel wirksam bekämpfen
- Drucksachen 16/8492, 16/10914 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
2) Anlage 12
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Michael Bürsch
Hartfrid Wolff ({9})
Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin:
Stephan Mayer, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid
Wolff, FDP, Sevim Dağdelen, Die Linke, Josef Philip
Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsmigra-
tionssteuerungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/10914, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 16/10288 und 16/10722 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der Fraktion der FDP und Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-
genommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim-
menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/10914, den Gesetzent-
wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9091 ab-
zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Tagesordnungspunkt 27 b. Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/10914 die
Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/8492 mit dem Titel „Zuwanderung durch
Punktesystem steuern - Fachkräftemangel wirksam be-
kämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke,
der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP
und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen ange-
nommen.
1) Anlage 13
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Cornelia Behm, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sicherung der interkommunalen Zusammenarbeit
- Drucksache 16/9443 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({10})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Georg Nüßlein,
CDU/CSU, Reinhard Schultz, SPD, Paul K. Friedhoff,
FDP, Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke, und Britta
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9443 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 b auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung und Entbürokratisierung
des Steuerverfahrens ({11})
- Drucksachen 16/10188, 16/10579 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12})
- Drucksachen 16/10910, 16/10940 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Tillmann
Gabriele Frechen
- Bericht des Haushaltsausschusses ({13})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10916 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({14})
Otto Fricke
Alexander Bonde
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
folgende Kolleginnen und Kollegen: Manfred Kolbe,
CDU/CSU, Gabriele Frechen, SPD, Dr. Volker Wissing,
2) Anlage 14
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
FDP, Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke, und
Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in
der Ausschussfassung anzunehmen, Drucksachen 16/10188,
16/10579, 16/10910 und 16/10940. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Rainer Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW Bankengruppe herauslösen
- Drucksache 16/8928 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({15})
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Hans Michelbach,
CDU/CSU, Garrelt Duin, SPD, Frank Schäffler, FDP,
Dr. Herbert Schui, Die Linke, Hans-Josef Fell,
Bündnis 90/Die Grünen.
Niemand kann bestreiten, dass die KfW einige nicht
akzeptable Managerfehler zu verkraften hat und ein star-
ker Gewinneinbruch zu erwarten ist. Ich kann Ihnen ver-
sichern, dass ich über die Geschäftsvorgänge der KfW
aus Sorge um das ERP-Sondervermögen nicht glücklich
bin. Ich kann Ihnen aus meiner Unternehmerpraxis je-
doch auch sagen, dass man für das Krisenmanagement
Ruhe und Besonnenheit haben sollte. Dies sollten wir be-
herzigen, wollen wir insgesamt den Instituten nicht weiter
Schaden zufügen. Wir sollten eine klare Analyse treffen
und zukunftsgerechte Lösungen schaffen.
Welcher Sachstand ist uns bekannt? Erstens. Am
15. September 2008 hat die KfW rund 300 Millionen
Euro an die bereits insolvente US-Investmentbank
Lehman Brothers überwiesen. Die Summe war Bestand-
teil mehrerer vereinbarter Termingeschäfte.
Zweitens. Die bislang letzte Hiobsbotschaft ereilte uns
am 6. November: Die KfW-Bankengruppe hat rund
288 Millionen Euro bei mehreren Banken in Island ange-
1) Anlage 15
legt. Dabei ist ein Engagement bei der Kaupthing Bank.
Hier dürfte eine Rückerstattung wohl mehr als kompliziert werden und fraglich sein.
Mein Ziel als Vorsitzender des Unterausschusses
„ERP-Wirtschaftspläne“ ist es, die Substanz und Förderkraft des ERP-Sondervermögens in voller Höhe zu erhalten. Trotz allem Vorgenannten halte ich jetzt eine Rolle
rückwärts für den falschen Weg, das ERP-Sondervermögen wieder aus der KfW herauszulösen. Das würde in der
Finanzmarktkrise die Probleme verschärfen. Unser Ziel,
die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand konkret und gerade jetzt zu verbessern, muss Priorität haben.
Denn nach wie vor haben vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlichkeiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, ein
zu geringes Eigenkapitalpolster oder Probleme bei der
Fremdfinanzierung. Unser Mittelstand darf jetzt nicht
durch unbesonnenes Handeln in die Kreditklemme kommen.
Der Innovations- und Mittelstandsförderung kommt
nach wie vor große Bedeutung zu. Dazu werden Finanzierungen dringlich benötigt. Wenn ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern gerade auch über Gründungen
von Unternehmen spreche, dann sagen sie mir: Das zentrale Problem ist die Finanzierung.
Der Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“ hat sich
in der letzten Zeit natürlich gerade aufgrund der Geschäftsvorgänge in der KfW und der allgemeinen Finanzkrise ausführlich mit der Frage befasst, welche Auswirkungen die Vorgänge auf den Substanzerhalt des ERPSondervermögens und die Förderfähigkeit haben werden.
In der letzten Sitzung des Unterausschusses „ERP-Wirtschaftspläne“ am 14. Oktober 2008 haben alle Vertreter,
sowohl die der KfW, die des BMF als auch die des BMWi,
betont, dass das ERP-Vermögen in seiner Substanz und in
seiner Förderfähigkeit voll erhalten bleibt und die vereinbarte faire Lastenverteilung eingehalten wird. Das BMWi
hat in der Sitzung ausgeführt, dass der Bund aus seinen
Sondergewinnrücklagen zeitnah in 2008 einen temporären Ausgleich in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten
des Sonderrücklagenkontos des ERP-Sondervermögens
zur Verfügung stellt. Der Betrag dient als Abschlagszahlung und soll ein erstes Signal sein, dass man zu den Vereinbarungen steht.
Sobald das ERP-Sondervermögen in einem Bilanzjahr
wieder Erträge erzielt, die den vereinbarten Benchmark
zuzüglich Inflationsausgleich gewährleistet, wird man
den den Benchmark übersteigenden Ertrag aus dem für
das ERP-Sondervermögen geführten Sondergewinnrücklagenkonto auf das für den Bund geführte Sonderrücklagenkonto zurückbuchen. Die Rückbuchungen erfolgen so
lange, bis eine vollständige Kompensation des vom Bund
geleisteten Umbuchungsbetrages erreicht ist. Dabei handelt es sich um eine Vorsorgemaßnahme, damit man die
ERP-Förderung ungeschmälert fortführen kann.
Die Höhe des wahrscheinlichen Verlusts für die KfW
ist eine Frage, die sich in Zukunft stellen wird. Entscheidend ist, dass man für die Gegenwart ein klares Signal geschaffen hat, nämlich belastbare Verhältnisse. Das BMF
hat seine Zusage, die Förderfähigkeit des ERP-Sonder20104
vermögens sicherzustellen, eingehalten. Das findet auch
Ausdruck im Wirtschaftsplan, der dem Ausschuss zur Beratung vorliegt.
Man kann sicher erwarten, dass die Geschäftsbilanz
der KfW in diesem Jahr und unter Umständen auch im
nächsten Jahr negativ ausfallen wird. Aber die
300 Millionen Euro des BMF sind geeignet, die Förderfähigkeit sicherzustellen. In der Frage der Verzinsung haben sich BMWi und BMF allerdings noch nicht verständigt. Diese Vereinbarung muss jetzt dringlich erfolgen.
Für weitere Verzögerungen gibt es kein Verständnis. Es
braucht Vertrauen. Die KfW stellt 460 Millionen Euro unabhängig vom Jahresergebnis bereit. Das stärkt das Vertrauen, dass man die Festlegungen für die Erhaltung des
ERP-Sondervermögens einhalten wird.
Der Bundesrechnungshof überprüft die jeweilige Entwicklung und wird den Sachverhalt im Auge behalten.
Der Bundesrechnungshof ist vom Unterausschuss „ERPWirtschaftspläne“ mit der Erstellung eines Gutachtens
beauftragt worden. Gegenstand des Berichts des Bundesrechnungshofs sollen mögliche Risiken für die ERP-Wirtschaftsförderung und den Substanzerhalt des ERP-Sondervermögens sein.
Ich kann Ihnen heute versichern, dass ich mich weiter
dafür einsetzen werde, dass dem Mittelstand weiterhin so
viel Förderung wie möglich zugute kommt. Denn eines
weiß ich als Unternehmer nur zu gut: Die Gründung und
der Erhalt eines Unternehmens und damit die Schaffung
von Arbeitsplätzen stehen und fallen mit der Finanzierung.
Angefangen vom Wiederaufbau über die Unterstützung exportintensiver Industrien und Investitionen sowie
den Umweltschutz bis hin zu Beteiligungskapital für technische Innovationen - die Geschichte der ERP-Förderung liest sich wie die Erfolgsgeschichte des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Anhand dieser Entwicklung
wird ganz klar, welche Bedeutung das ERP-Vermögen für
zahlreiche Wirtschaftsunternehmen, aber auch für die
wirtschaftliche Position Deutschlands weltweit hat.
Wir haben das ERP-Sondervermögen im vergangenen
Jahr in die Obhut der KfW-Bankengruppe übertragen.
Mit der KfW wurde ein im Bereich Mittelstandsförderung
kompetenter Partner mit ins Boot genommen. Durch
diese Zusammenarbeit haben wir Effizienzsteigerung und
Bürokratieabbau erreicht. Es war trotz der jetzigen Probleme eine richtige Entscheidung. Man darf Managementfehler - die ich an dieser Stelle sicherlich nicht
schönreden will - nicht mit grundsätzlicher Inkompetenz
seitens der KfW gleichsetzen. Die Herausnahme des
ERP-Vermögens aus der KfW, wie sie im FDP-Antrag gefordert wird, wäre die endgültige Bankrotterklärung für
die KfW. Das kann und darf nicht unser Ziel sein.
Die Auswirkungen des Verkaufs der IKB-Bank an den
US-Finanzinvestor Lone Star und der Vorgänge um die
insolvente Investmentbank Lehman Brothers führen dazu,
dass die KfW im Geschäftsjahr 2008 einen Verlust ausweisen wird. Dies hat auch Auswirkungen auf das ERPVermögen. Um das ERP-Vermögen effektiv für die Wirtschaft zu nutzen, werden für das Fördergeschäft 300 Millionen Euro, für den Substanzerhalt 290 Millionen plus
Inflationsausgleich benötigt. 459 Millionen Euro der
590 Millionen Euro sind dabei völlig unabhängig von der
Bilanzierung und der Gewinnentwicklung der KfW. Die
restlichen 130 Millionen können mangels Gewinn der
KfW nicht bereitgestellt werden.
Das Bundesfinanzministerium hat vor, eine Umbuchung in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten des
ERP-Vermögens vorzunehmen, um dessen Fördervolumen „ungeschmälert“ sicherzustellen. Dabei handelt es
sich um ein Darlehen, das zurückgebucht werden soll, sobald das ERP-Vermögen wieder Erträge erzielt.
Aus Sicht der KfW wäre diese Situation auch eingetreten, wenn es im vergangenen Jahr die Neuordnung des
ERP-Vermögens nicht gegeben hätte. Der KfW-Sprecher
sagte, er gehe davon aus, dass die Gesamtförderfähigkeit
auf dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre beibehalten werden könne.
Der Bundesrechnungshof teilte mit, dass die Förderfähigkeit des ERP-Vermögens mit fester Verzinsung sichergestellt sei, in der Frage des Substanzerhalts jedoch
130 Millionen Euro fehlten. Dass nun 300 Millionen Euro
bereitgestellt würden, stelle noch keine „Substanzstärkung“ dar, sondern sei lediglich ein Liquiditätszufluss.
Die Alternative zu dem Darlehen sei eine „tatsächliche
Kapitalübertragung“ zum Ausgleich von Substanzverlusten. Wir müssen an dieser Stelle überlegen, ob es nicht ein
sinnvollerer Weg wäre, das Kapital an das ERP-Sondervermögen zu übertragen und es dort auch zu belassen.
Der Vorstandsvorsitzende der KfW Bankengruppe Dr.
Ulrich Schröder erklärte:
Die KfW hat trotz der weiter verschlechterten Lage
an den Kapitalmärkten und der verstärkten konjunkturellen Abschwächung ihre Förderaktivitäten
auf hohem Niveau weitergeführt. Wir werden auch
weiterhin als wichtiger Finanzierungspartner bereitstehen und gerade im Rahmen der Finanzkrise
unseren Aufgaben als größte deutsche Förderbank
nachkommen. So wollen wir mithelfen, möglichen
negativen Auswirkungen zum Beispiel bei der Kreditvergabe entgegenzuwirken.
Und genau das ist es, was wir in der Zeit unsicherer Finanzmärkte brauchen: eine verlässliche Zusammenarbeit
und eine breite Förderung. Denn unser vorrangiges Ziel
ist und bleibt es, die Investitionsfähigkeit mittelständischer Unternehmen langfristig zu sichern und die Gründung neuer Unternehmen zu unterstützen. Das Fördervolumen und die Förderintensität des ERP bleiben dabei
bestehen. Das in der KfW angelegte Sondervermögen
bleibt ausdrücklich weiterhin der Wirtschaftsförderung
erhalten. Wir wollen mit der Wirtschaftsförderung weiterhin zukunftsorientierte Akzente setzen. Unsere Politik
setzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Belebung und
Stützung der wirtschaftlichen Dynamik im Mittelstand.
Die ERP-Förderung von Existenzgründern sowie kleinen und mittleren Unternehmen stärkt den Standort
Deutschland und damit die Position im Rahmen des euZu Protokoll gegebene Reden
ropäischen und des globalen Standortwettbewerbs. Nicht
zuletzt stellt sie einen wichtigen Beitrag zur Lösung der
Beschäftigungsprobleme dar. Denn neue Betriebe und die
Ausweitung mittelständischer Unternehmen wirken sich
positiv und nachhaltig auf den Arbeitsmarkt aus. Die Finanzierung von betrieblichen Umweltprojekten und
neuen Energiequellen leistet einen wichtigen Beitrag für
unsere ökologischen Zielsetzungen. Gerade in strukturschwachen Regionen ist das ERP ein wichtiges Fördermittel, besonders für die kleinen und mittelständischen
Unternehmen.
Diese Ziele haben wir mit dem vereinbarten Konjunkturpaket nachdrücklich unterstrichen. Hier haben wir die
Mittel für die KfW ausgeweitet. Um die Kreditversorgung
der Wirtschaft und insbesondere des Mittelstands auch
bei Engpässen im Bankenbereich zu sichern, wird bei der
KfW zeitlich befristet bis Ende 2009 ein zusätzliches Finanzierungsinstrument mit einem Volumen von bis zu
15 Milliarden Euro geschaffen, mit dem das Kreditangebot der privaten Bankwirtschaft verstärkt wird. In diesem
Zusammenhang sind auch Haftungsübernahmen durch
die KfW von bis zu 80 Prozent und eine Abdeckung des
Bankenrisikos der KfW vorgesehen, die durch eine entsprechende Bundesgarantie unterlegt werden. Die EUKommission wird in das Vorhaben eingebunden.
Das ist doch genau das, was wir mit unserer Politik erreichen wollen: Wir wollen den Mittelstand stärken und
die Menschen in Deutschland am Aufschwung teilhaben
lassen.
Wenn es unseren Antrag noch nicht geben würde, dann
müsste man ihn jetzt einbringen, denn er war niemals aktueller und dringlicher als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Warum? Weil Substanz und Förderkraft des ERP-Sondervermögens aufgrund der negativen Geschäftsbilanz der
Kreditanstalt für Wiederaufbau ({0}) in diesem und aller
Voraussicht nach auch in den nächsten Jahren akut gefährdet sind.
Rekapitulieren wir noch einmal: Seit der Neuordnung
des ERP-Sondervermögens im Juli 2007 wird die Wirtschaftsförderung nicht mehr durch Darlehen, sondern
aus den Erträgen des Sondervermögens finanziert. Für
die Mittelstandsförderung wurde eine jährliche Zielgröße
von 300 Millionen Euro angesetzt, für den Substanzerhalt
jährliche ({1})Erträge von 290 Millionen Euro als notwendig berechnet. Um das vorgesehene Fördervolumen
zu sichern, ist der Bund jetzt allerdings gezwungen, dem
ERP-Sondervermögen ein Darlehen in Höhe von 300 Millionen Euro zu gewähren; denn es gibt 2008 eine Unterdeckung von 130 Millionen Euro. Im nächsten Jahr ist
Ähnliches zu erwarten. Für diesen Kredit wird das ERPSondervermögen Zinsen in noch unbekannter Höhe zahlen müssen, die zusätzlich an seiner Substanz zehren werden.
Dass die Situation brenzlig ist, spiegelt sich auch im
ERP-Wirtschaftsplan 2009 wider, in dem die Bundesregierung sich bewusst nebulös bzw. gar nicht zu den in
künftigen Jahren entstehenden Risiken und Belastungen
des ERP-Sondervermögens äußert, was auch der Bundesrechnungshof in einer Stellungnahme ausdrücklich anmerkt und kritisiert. Der Bund war davon ausgegangen,
dass die KfW die entsprechenden Beträge für das ERPSondervermögen erwirtschaften könne, ein Traum, der
aufgrund der Finanzkrise und vor allem wegen des Engagements der KfW bei der Krisenbank IKB wie eine Seifenblase geplatzt ist.
Eine Bedingung für die im Juli 2007 in Kraft getretene
Neuordnung des ERP-Sondervermögens war, dass sich
seine Substanz und Förderkraft nicht verschlechtern dürfen. Genau dies ist aber eingetreten. Das widerspricht
eindeutig dem ERP-Gesetz und ist nicht hinnehmbar. Die
FDP-Bundestagsfraktion hat eine solche Entwicklung
von Anfang an befürchtet. Deshalb haben wir die Neuordnung des ERP-Sondervermögens immer entschieden abgelehnt. Wir haben kritisiert, dass ohne ersichtlichen
Mehrwert mit einer 53 Jahre alten bewährten Praxis gebrochen und die Mittelstandsgelder aus der Verfügungsgewalt des Bundeswirtschaftsministeriums gelöst und
dem KfW-Vorstand unterstellt wurden. Aus unserer Sicht
bestand der wichtigste Grund dafür darin, dass das Bundesfinanzministerium seinen Einflussbereich ausweiten
und über seine „Hausbank“ KfW die Mittelstandsförderung stärker an sich binden wollte.
Auch erlaubte es dieser Coup dem Finanzministerium,
die Herauslösung von 2 Milliarden Euro aus dem ERPSondervermögen und deren Einstellung in den Haushalt
relativ geräuschlos über die Bühne zu bringen. Ein beispielloser Vorgang, der deutlich machte, dass die Bundesregierung keine Hemmungen hat, den bislang immer rigide gehüteten Bestand des ERP-Sondervermögens als
Steinbruch zu benutzen, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen.
Nun muss der Mittelstand die Suppe auslöffeln, die die
Bundesregierung ihm ohne Not versalzen hat. Zwar war
das Bundesfinanzministerium sehr eifrig, als es darum
ging, dem Bundeswirtschaftsministerium die Oberhoheit
über das ERP-Sondervermögen zu entwinden, aber jetzt,
wo es gilt, die entstandenen Finanzlöcher zu stopfen, hält
sich das Ministerium äußerst bedeckt. Da ist bestenfalls
ein Kredit drin, für den wahrscheinlich auch noch saftige
Zinsen anfallen. Wie das ERP-Sondervermögen diese
Schulden angesichts der eklatanten Ertragsschwäche der
KfW wieder loswerden soll, das interessiert Herrn
Steinbrück offenbar weit weniger. Wir erwarten vom Finanzminister, dass er nicht wortbrüchig wird und eine
Zerschlagung des ERP-Vermögens verhindert. Dazu wird
er notfalls auch Kapital an das Sondervermögen übertragen müssen.
Wir unterstreichen noch einmal, was wir in unserem
Antrag gefordert haben: dass die Neuordnung der ERPWirtschaftsförderung, die sich bereits nach kurzer Zeit erkennbar nicht bewährt hat, wieder rückgängig gemacht
wird.
Das ERP-Sondervermögen erfüllt eine wichtige Funktion. Es ermöglicht die Ausgabe von zinsgünstigen Krediten an kleine Unternehmen. Die Bundesregierung hat im
letzten Jahr dieses Sondervermögen des Bundes auf die
Zu Protokoll gegebene Reden
KfW übertragen mit dem Argument, dass es dort besonders gut angelegt sei.
Die Operation war mit großen Vorteilen für den Bundeshaushalt verbunden. Da lag die Vermutung nahe, dass
den Vorteilen für den Bundeshaushalt entsprechende
Nachteile für das Sondervermögen gegenüberstehen
würden. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass sich durch
das Umsortieren von Vermögenswerten das Gesamtvermögen steigern lässt.
Und so kam es dann auch. Die Bewertung des Forderungsvermögens wurde, wie der Bundesrechnungshof
feststellte, „politischen Zielsetzungen unterworfen“. Das
Bundesfinanzministerium hob stille Reserven in der Bilanz des Sondervermögens und eignete sie sich an, laut
Rechnungshof in Höhe von 373 Millionen Euro. Im Zuge
der Auflösung von Rückstellungen übernahm der Bund
tatsächliche Risiken in Höhe von 437 Millionen Euro und
bekam zum Ausgleich 1 Milliarde Euro in bar aus dem
ERP-Vermögen. Die Lasten aus der gebündelten Übertragung von Forderungen und Verbindlichkeiten auf den
Bund sollten, so war vereinbart, fair geteilt werden. Tatsächlich trägt das Sondervermögen mit 976 Millionen
Euro deutlich mehr als der Bund.
Die Bundesregierung sagte dennoch verbindlich zu,
dass die Substanz des Sondervermögens und seine Förderleistungen erhalten bleiben sollen. Ausgerechnet die
Anlage in der KfW sollte die notwendigen Erträge sichern. Daraus wird nun nichts, nachdem die Bundesregierung der KfW erst die Verluste der IKB zugeschoben
hat und sie dann dazu bewegt hat, ihre Anteile an der sanierten IKB an einen Finanzinvestor praktisch zu verschenken.
Die KfW macht bis auf Weiteres Verlust. Also fehlen
dem ERP-Sondervermögen jährlich 130 Millionen Euro.
Das Bundesfinanzministerium möchte nun mit einem Kredit über 300 Millionen Euro aushelfen, den das Sondervermögen zurückzahlen soll, wenn die KfW-Anteile einmal mehr Ertrag abwerfen als erwartet. Worauf das
hinausläuft, ist völlig klar: Die Verbindlichkeiten des
Sondervermögens gegenüber dem Bund werden wachsen,
bis die Förderleistung zurückgefahren wird. Da trifft es
sich gut, dass dies für die nächsten Jahre ohnehin geplant
ist: Nach 300 Millionen Euro Förderleistung im Jahr
2009 soll sie auf 228 Millionen im Jahr 2010 sinken.
Es ist genau das eingetreten, was wir befürchtet haben.
Wer das ERP-Sondervermögen als Mittel der Wirtschaftspolitik erhalten wollte, konnte der Übertragung auf die
KfW nicht zustimmen. Er muss nach den vorliegenden
Zahlen dafür sein, die Übertragung rückgängig zu machen. Die Kosten für die komplizierten Finanztransaktionen, die dafür notwendig waren, lassen sich dadurch allerdings nicht wieder hereinholen.
Das Bundesfinanzministerium hat ganze Arbeit geleistet. Zuerst hat es große Teile des ERP-Sondervermögens
gegen den Widerstand des Parlaments in die KfW gedrückt. Nur wenige Wochen nachdem das Geld bei der
KfW auf den Konten einging, hat es dann die KfW dazu
bemüßigt, den Hauptteil der IKB-Lasten zu übernehmen.
Damit hat das BMF gleich zwei Fliegen mit einer Klappe
geschlagen. Vordergründig hat das BMF selbst Geld gespart, da ja die KfW statt des Bundes einsprang.
Vor allem aber hat das BMF mit dieser Aktion so gut es
ging das eigene Versagen in der IKB-Aufsicht übertüncht.
Zuständig für die mangelnde Aufsicht war der damalige
BMF-Abteilungsleiter Asmussen. Zum Dank für sein Versagen wurde er mittlerweile zum Staatssekretär befördert.
Doch zurück zum ERP-Sondervermögen. Dieses hatte
das Pech, dass es mittlerweile den größten Teil seines
Vermögens in die KfW investiert hatte. Folglich muss es
auch einen großen Teil der Verluste tragen. Der Schaden
für das ERP-Sondervermögen dürfte zwischen 4 und
4,5 Milliarden Euro betragen. Die Bundesregierung und
die KfW tun alles, um diesen Substanzverlust zu übertünchen. Dass dies immer schwerer fällt, zeigen die jüngsten
Berichte des Bundesrechnungshofes. Die Berichte zeigen
auf, dass die Substanz des ERP-Sondervermögens infrage
gestellt ist und dass in den nächsten Jahren ein Rückgang
der Förderung zu befürchten ist.
Die Tragik für den Mittelstand liegt darin, dass genau
dann, wenn die KfW und das ERP-Sondervermögen besonders gebraucht werden, diese staatlichen Geldgeber
ausgedörrt sind. Jetzt, zu Beginn der Wirtschaftskrise,
sind die wichtigsten Finanzierungsinstrumente weitgehend lahmgelegt. Die Politik des Bundesfinanzministeriums verursacht große Schäden im deutschen Mittelstand, der gerade jetzt auf eine finanzkräftige KfW und
ein finanzkräftiges ERP-Sondervermögen angewiesen
wäre.
Hätten die verantwortlichen Akteure im Bundesfinanzministerium Charakter, würden sie die Verantwortung für
den Schaden übernehmen, den sie zu verantworten haben. Aber gerade das wollen sie nicht. Es kommt sogar
noch schlimmer: Um von den Fehlern und den Schäden
abzulenken, hat das BMF zwar vor einem Dreivierteljahr
zugesagt, dass die Schäden, die das ERP-Sondervermögen aus den IKB-Verlusten erleidet, ausgeglichen werden
sollen. Selbstverständlich hat man im BMF aber keine Sekunde daran gedacht, dieses Versprechen zu halten.
Bis heute liegt dazu noch keine Einigung in der Bundesregierung vor. Es gibt keinen Grund für das Bundeswirtschaftsministerium, dem BMF bei dessen Wortbruch
auch noch Hilfestellung zu geben. Das BMF will doch tatsächlich für den Verlustausgleich nur einen Kredit zur
Verfügung stellen, den das ERP-Sondervermögen danach
brav verzinst zurückzahlen darf. Alle reden im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise von einer Vertrauenskrise, und der Bundesfinanzminister weigert sich, sein
Wort zu halten, das er auch gegenüber dem Parlament gegeben hat.
Als Folge des Wortbruchs sind wir in der absurden Situation, dass die Unternehmen des Mittelstandes mit verschlechterten Kreditkonditionen und Kreditzugängen einen Großteil der Last der IKB-Verluste tragen müssen.
Dies wurde bis heute von keinem politischen Gremium so
beschlossen. Aber das sind die Fakten, auch wenn das
Zu Protokoll gegebene Reden
Bundesfinanzministerium sehr darum bemüht ist, die Tatsachen unter den Tisch zu kehren.
Was muss getan werden? Hier muss das Verursacherprinzip gelten. Die verursachten Schäden sind durch das
Bundesfinanzministerium zu tragen. Das heißt: Zum einen muss die verloren gegangene Vermögenssubstanz in
Höhe von mindestens 4 Milliarden Euro vom Bundesfinanzministerium an das ERP-Sondervermögen übertragen werden. Ein Teil dieser Mittel kann von BMF-Beteiligungen an der KfW auf das ERP-Sondervermögen
übertragen werden.
Darüber hinaus muss das BMF im Rahmen des ERPGesetzes gesetzlich dazu verpflichtet werden, einen Ausgleich für die Mittel zu leisten, die jährlich weniger zur
Verfügung stehen, als dies in der Benchmark, inklusive
Inflationsausgleich, vorgesehen war. Nur so kann die
Substanz und die Förderung erhalten bleiben. Die Bundesregierung will Hunderte Milliarden für die Finanzmärkte zur Verfügung stellen. Die Stärkung des ERP-Sondervermögens und der KfW hat sie in all der Eile
übersehen. Dies muss jetzt korrigiert werden.
Das ERP-Sondervermögen wieder aus der KfW herauszulösen, ist zwar im Grundsatz richtig, würde aber
angesichts der veränderten Verhältnisse die KfW quasi
pleite machen, was auch nicht im Sinne der Mittelstandsförderung sein kann. Die Herauslösung des ERP-Sondervermögens aus der KfW hätte eine drastische Verringerung des Eigenkapitals der KfW zur Folge. Wie die KfW
im Falle der ERP-Herauslösung handlungsfähig gehalten werden kann, sagt uns der FDP-Antrag leider nicht.
Für die Mittelstandsförderung brauchen wir aber sowohl
ein starkes ERP-Sondervermögen als auch eine handlungsfähige KfW. Darauf hat die FDP in ihrem Antrag
keine Antwort gegeben.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8928 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Rahmenbedingungen
für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen
- Drucksachen 16/10289, 16/10693 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/10901 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die
Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu
geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es han-
delt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen:
Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU, Wolfgang Grotthaus,
SPD, Dr. Heinrich Kolb, FDP, Dr. Barbara Höll, Die
Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, und
den Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10901, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10289
und 16/10693 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen
und Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10907. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Wohnungslosigkeit vermeiden - Wohnungslose unterstützen - SGB II überarbeiten
- Drucksachen 16/9487, 16/10906 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Maria Michalk, CDU/
CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Heinz-Peter
Haustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, Markus
Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Heute steht der Antrag der Fraktion Die Linke zur ab-
schließenden Beratung an. Seit der ersten Lesung am
16. Oktober 2008 können wir keinen Erkenntnisgewinn
verzeichnen, der etwa die Berechtigung dieses Antrages
im Nachhinein verdeutlicht. Die Zahl der wohnungslosen
1) Anlage 16
Personen hat einen rückläufigen Trend. Unter anderem
hat das in einer verbesserten Beratungsleistung vor Ort
seine Begründung. Damit ist eine der Forderungen aus
dem Antrag gegenstandslos. Selbstverständlich ist, dass
von den handelnden Verantwortlichen in den Städten und
Gemeinden immer und immer wieder hinterfragt wird, ob
die Beratungsleistungen quantitativ und qualitativ optimal organisiert sind. Dieser Prozess liegt allein im Handlungsspielraum dort und nicht beim Bundesgesetzgeber.
Dass diese Beraterarbeit immer besser organisiert
wird, belegt die prognostizierte Zahl von wohnungslosen
Kindern und Jugendlichen. Die 2003 prognostizierte
Zahl ist nicht eingetreten. Sie hat sich dankenswerterweise halbiert. Dazu hat ein Bündel von Maßnahmen vor
allem im SGB-II-Bereich beigetragen, das ich noch einmal zusammenfassen möchte.
Erstens. Durch die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltgeräte ist sichergestellt,
dass es einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht an
den erforderlichen Mitteln fehlen muss, damit er mit den
zu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen in
einer angemessenen und mit den notwendigen Einrichtungsgegenständen ausgestatteten Wohnung leben kann.
Zweitens. Wohnbeschaffungs- und Umzugskosten sowie eine Mietkaution können bei entsprechender Zusicherung des Grundsicherungsträgers übernommen werden.
Dabei wird die Mietkaution in der Regel in Form eines
Darlehens erbracht. Dies so umzuwandeln, dass statt eines Darlehens in der Regel Beihilfe gezahlt wird, wie im
Antrag gefordert, ist allein aus dem Gleichheitsgrundsatz
unmöglich. Denn Arbeitnehmer mit geringem Einkommen, denen auch keine Aufstockung zusteht, wären unproportional belastet.
Drittens. Die Unterstützung für die Unterkunft wird
grundsätzlich in Form von Geldleistungen ausgezahlt.
Um trotz dieser Regelung das Mietverhältnis durch ausbleibende Mietzahlungen nicht zu gefährden, soll jedoch
der zuständige Träger die Kosten für Unterkunft und Heizung ausnahmsweise direkt an den Vermieter oder andere
Empfangsberechtigte zahlen. Damit ist die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen für Unterkunft und
Heizung durch den Hilfebedürftigen gesichert, wenn er es
selbst nicht gewährleisten kann. Auch das ist eine soziale
Leistung und mit Verwaltungsaufwand auf Kosten des
Steuerzahlers verbunden. Ich erinnere auch an die Möglichkeit der Schuldenübernahme.
Soweit zum Bereich der Grundsicherung.
Verweisen will ich des Weiteren auf die Regelungen
zum Wohngeld. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen Absicherung des angemessenen und familiengerechten Wohnens. Zum 1. Januar 2009 tritt die Wohngeldnovelle in Kraft. Die Wohngeldtabellenwerte werden um
8 Prozent und die Miethöchstpreise um 10 Prozent erhöht. Dafür werden insgesamt 520 Millionen Euro aufgewandt. Zukünftig werden erstmals die Heizkosten in pauschalierter Form einbezogen. Damit erreichen wir in
Verbindung mit dem reformierten Kinderzuschlag eine
spürbare Entlastung für etwa 70 000 einkommensschwache Haushalte außerhalb des Sozialgesetzbuches. Und
wie immer ignorieren die Linken den Beschluss der Koalition, die Wohngeldnovelle rückwirkend auf den 1. Oktober 2008 in Kraft zu setzen, damit die Vorteile schon in
dieser Heizperiode genutzt werden können.
Wohnungslosigkeit ist nicht eine Frage des Angebotes
von Wohnungen, sondern oft auch Ergebnis von persönlichen Entscheidungen von Wohnungslosen. Sie haben
sich aus unterschiedlichen Gründen zu diesem Leben entschieden. Hier gibt es viele Lebensschicksale. Auch diesen Menschen zu helfen, damit sie Anlaufpunkte haben
und Versorgung bekommen, ist eine öffentliche Aufgabe,
die in Deutschland sehr ernst genommen wird. Ich
möchte diese Debatte dafür nutzen, den vielen sozialen
Einrichtungen vor Ort und den ehrenamtlichen Helfern
für ihr Engagement zu danken.
Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, werden wir auch
weiterhin die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe unterstützen, die dieses Jahr rund
240 000 Euro erhält.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass wir in
unserem Land eine Fülle von sozialen Leistungen eingeführt haben, die genutzt werden, Menschen in schwierigen Situationen zu helfen. Die beste Hilfsmöglichkeit ist
aber in jedem Fall das Angebot bzw. die Aufnahme einer
Arbeit. Auch die Vielfalt der Beschäftigungsmöglichkeiten in den Kommunen ist zu würdigen und muss weiter genutzt werden.
Sein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, dem sich unser Staat in der
Verantwortungszuständigkeit unserer föderalen Struktur
ausgesprochen intensiv widmet. Deshalb betrachten wir
den vorliegenden Antrag als gegenstandslos. Wir werden
ihn ablehnen.
Leider ist der Antrag der Linken von der ersten Lesung
bis heute nicht besser geworden. Wie auch? Er erweckt
nach wie vor den Eindruck, dass das ALG II die Vorstufe
zur Wohnungslosigkeit ist. Derartige Ängste zu schüren,
ist vollkommen fehl am Platz. Insofern wäre es durchaus
angemessen, die Rede vom 16. Oktober 2008 zu wiederholen. Ich will davon absehen und die Zeit nutzen, einiges
noch einmal klar zu stellen, was in Ihrem Antrag tendenziös bis unzutreffend formuliert ist.
Wir sorgen dafür, dass Menschen nicht wohnungslos
werden. Deswegen heißt es im Sozialgesetzbuch, SGB II,
§ 22 ({0}): „Leistungen für Unterkunft und Heizung werden
in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht,
soweit diese angemessen sind. Das heißt, der Staat wird
in dieser Vorschrift seiner Fürsorgepflicht gerecht. Die
Kosten der Unterkunft werden vom Staat getragen, und
zwar vollumfänglich in der Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, sofern diese angemessen sind.
Sie verlangen Mietschuldenübernahme als Regelfall
im SGB II. Für die Sicherung der Unterkunft ist eine
Übernahme von Mietschulden im Rahmen des Ermessens
möglich, ein Darlehen ebenso. Damit kann sehr wohl
Wohnungslosigkeit abgewendet werden.
Zu Protokoll gegebene Reden
Sie verlangen die komplette Streichung des § 7 Abs. 4,
SGB II, und - das sagte ich bereits im Oktober - damit
schießen sie weit über ein möglicherweise sinnvolles Ziel
hinaus.
Das Versagen von Leistungen zur Grundsicherung von
Arbeitssuchenden nach einem Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung von länger als sechs Monaten ist
sinnvoll geregelt. Gesetzesbegründung und Kommentierung belegen dies. Die besondere Situation wohnungsloser Erwerbsfähiger in stationären Einrichtungen ist nicht
der Regelfall. Deshalb ist diese jeweils zu prüfen. Sie können davon ausgehen, dass eine entsprechende Rechtsprechung ganz sicher weder von Parlament noch Bundesregierung missachtet wird. Daraus jedoch eine komplette
Streichung des § 7 Abs. 4 SGB II abzuleiten, ist unangemessen.
Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Kostenübernahme für alle unter 25-Jährigen, die umziehen - wir haben ihn aus guten Gründen eingeschränkt. Die Zustimmung des Leistungsträgers ist erforderlich, und sie
erfolgt bei Bedarf. Diese Einzelfallentscheidungen im
Rahmen des Ermessens sind nötig und durch Sozialgerichte überprüfbar. Zu den Sanktionen im Rahmen der
Leistungen Kosten zur Unterkunft habe ich in meiner
Rede am 16. Oktober 2008 ausführlich den SGB-II-Kommentar zu § 31 Abs. 5 SBG II zitiert. Dem ist nichts mehr
hinzuzufügen. Dies gilt auch für Ihre Forderung, von Gewalt betroffene Frauen präventiv vor Wohnungsverlust zu
schützen. Vielleicht haben Sie die Zwischenzeit genutzt
und dazu den Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gelesen und sich
über das breite Spektrum an Maßnahmen informieren
können.
Nun zum Wohngeld: Das Wohngeld leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen Absicherung des angemessenen und familiengerechten Wohnens. Die WohngeldTabellenwerte werden um 8 Prozent und die Miethöchstbeträge um 10 Prozent erhöht. Nicht nur das: Erstmals
werden die Heizkosten in pauschalierter Form einbezogen. Mit dem Wohngeld wird in Verbindung mit dem reformierten Kinderzuschlag eine spürbare Entlastung für
etwa 70 000 einkommensschwache Haushalte außerhalb
des Sozialgesetzbuches erreicht.
Zurück zum Anfang Ihres Antrages. Die rückläufigen
Zahlen der Wohnungslosigkeit belegen, dass die verstärkte Präventionsarbeit der Kommunen zur Verhinderung von Wohnungsverlust sowie die Integrationsarbeit
der Wohnungslosenhilfe ihre Wirkung zeigen. Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden - auch drauf habe ich bereits hingewiesen - werden wir auch weiterhin die Arbeit
der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe unterstützen.
Fassen wir zusammen: Die Linke schreibt also ganz
richtig, dass die Zahl der Wohnungslosen in den letzten
Jahren erfreulicherweise zurückgegangen ist. Diese
wirklich erfreulichen Nachrichten versuchen Sie umzumünzen, um bei Arbeitsuchenden Ängste vor Wohnungsverlust zu schüren. Was Sie den Menschen suggerieren ist
doch: Erst verlierst du die Arbeit, dann nimmt der Staat
dir die Wohnung, und dann kämpft nur noch die Linke für
deine Rechte. - Armes Deutschland - wenn das so wäre.
Ich halte davon ebenso wenig wie von rosa Brillen.
Man muss auf das, was ist, schauen, das Gute erkennen
bzw. anerkennen, Schwächen oder Fehler erkennen und
besser werden. Das ist mühsamer, das ist schwieriger,
aber ehrlicher und am Ende die bessere Politik.
Niemand möchte, dass Menschen wohnungslos werden. Wir müssen alles dafür tun, dass den Betroffenen die
notwendige Unterstützung zuteil wird. Deswegen heißt es
auch in § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III:
Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in
der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
Das gilt es zu allererst festzustellen, wenn wir hier
über das Problem der Wohnungslosigkeit reden. Das
heißt, dass es Wohnungslosigkeit, wie die Fraktion Die
Linke sie mit dem vorliegenden Antrag thematisiert, eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn der Staat trägt ja
über diese Vorschrift bereits heute die Kosten der Unterkunft, und zwar nicht in begrenzter Höhe in Form bestimmter Sätze, sondern vollumfänglich in der Höhe der
tatsächlich entstandenen Kosten, sofern diese angemessen sind. Der Staat wird in dieser Vorschrift des SGB II
seiner Fürsorgepflicht gerecht. Dass damit auch Pflichten des Leistungsempfängers verbunden sind, muss
selbstverständlich sein.
Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Reihe von Maßnahmen, auf die ich gerne im Einzelnen eingehen möchte:
Erstens. Zunächst soll im SGB II die Möglichkeit geschaffen werden, dass der Staat bestehende Mietschulden
eines Leistungsbeziehers übernimmt. Dies soll künftig als
Beihilfe geschehen. Der Antrag argumentiert, Mietschulden seien der dominierende Grund für den Wohnungsverlust. Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit sei nicht nur
sozialer und effektiver, sondern auch günstiger als die Reintegration von Wohnungslosen. Es ist richtig, dass Mietschulden die Hauptursache für den Verlust der Wohnung
und für Wohnungslosigkeit sind. Ebenso richtig ist, dass
es ökonomisch sinnvoll ist, Wohnungslosigkeit von Anbeginn zu vermeiden, anstatt die Folgen zu bekämpfen. Natürlich ist Prävention günstiger als Heilung.
Richtig ist aber auch, dass Mietschulden bereits nach
heutiger Rechtslage keine Auslöser für Wohnungslosigkeit sein müssen. Laut § 23 Abs. 5 Satz 3 sollen Mietschulden sogar explizit vom Leistungsträger übernommen werden, um drohende Wohnungslosigkeit zu
vermeiden. Dass dies als Darlehen geschieht, schmälert
nicht die Wirksamkeit dieses Instruments zur Vermeidung
des Wohnungsverlustes.
Zweitens. Der Antrag greift die Regelung des § 7
Abs. 4 SGB II auf, nach der Personen von der Leistung
ausgeschlossen sind, die sich länger als sechs Monate in
einem stationären Aufenthalt befinden. Die Regelung soll
gestrichen werden. Tatsächlich sind für den Leistungsausschluss des § 7 die Art der Einrichtung und der UmZu Protokoll gegebene Reden
fang der Unterbringung entscheidend. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 6. September
2007, auf die sich die Antragsteller hier beziehen, neue
Kriterien für die Prüfung aufgestellt, ob es sich im Einzelfall um eine stationäre Einrichtung handelt. Eine stationäre Einrichtung im Sinne des SGB II liegt nach Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit vor, wenn diese so
strukturiert und gestaltet ist, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus
mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der
Untergebrachte, so die Argumentation, ist dann derart
zeitlich und räumlich fremdbestimmt, dass er der Integration in den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, wie es
das SGB II verlangt.
Drittens. Ferner thematisiert der Antrag die Wohnungslosigkeit junger Menschen, die droht, wenn unter
25-jährige Leistungsbezieher von zu Hause ausziehen. In
diesem Fall ist laut § 22 Abs. 2 a SGB II zuvor eine Genehmigung des Trägers einzuholen, sofern weiterhin
Leistungen bezogen werden wollen. Dass die Linke hier
abermals erklärt, die Einholung der Genehmigung sei
den betroffenen jungen Menschen nicht zuzumuten und es
sei abzulehnen, dass erwachsene Menschen nicht aus
freien Stücken einen eigenen Hausstand gründen dürfen,
ist nichts Neues. Diese Haltung ist jedoch gleichermaßen
bekannt und falsch. Denn worüber reden wir hier?
Diejenigen unter 25-Jährigen, die eine eigene Wohnung brauchen und die Entsprechendes rechtzeitig beantragen, werden selbstverständlich Unterstützung erfahren. Dass sie dies zuvor beantragen müssen, ist eine
Selbstverständlichkeit. Vom dem Minimum an Eigenverantwortung dürfen wir die Menschen nicht entbinden.
Sich als unter 25-Jähriger ohne Einkommen vor dem Abschluss eines Mietvertrages zu fragen, wer die Kosten für
die neue Wohnung trägt, ist eine Selbstverständlichkeit.
Falls schwerwiegende soziale Gründe oder aber die Eingliederung in den Arbeitsmarkt eine eigene Wohnung erforderlich machen, wird der Träger auf Antrag selbstverständlich die Kostenübernahme erklären. Dies zuvor zu
beantragen, ist allerdings nicht nur zumutbar. Es entspricht dem Maß an Eigenverantwortung, das unerlässlich ist, nämlich sich rechtzeitig um seine finanziellen Angelegenheiten selbst zu kümmern, wenn Bedürftigkeit
droht oder naht.
Viertens. Auch wendet sich die Linke gegen die bestehende Regelung des § 31 Abs. 5 SGB II, der die Möglichkeit vorsieht, auch die Kosten der Unterkunft vollständig
zu streichen, weil dies zu Wohnungslosigkeit führe. Es ist
klar, dass Wohnungslosigkeit droht, wenn die Kosten
nicht länger getragen werden. Doch über die Ursache für
die Kürzung der Leistungen geht man leichtfüßig hinweg.
Denn erstens gilt die Möglichkeit, die Leistungen einzuschränken, als Ultima Ratio. Und sie gilt nur für den Fall,
dass der Betroffene mehrfach seine Pflichten gegenüber
dem Leistungsträger verletzt hat. Des Weiteren erlauben
auch dann noch die Durchführungsbestimmungen der
Bundesagentur für Arbeit, nach Ermessen zu entscheiden
und die Leistungen wieder zu gewähren, wenn der Betroffene sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten
nachzukommen. Bis hierhin hat es der Leistungsbezieher
also selbst in der Hand, die Wohnungslosigkeit abzuwenden.
Allerdings muss darüber hinaus auch gesehen werden,
dass die Ultima Ratio der Leistungsstreichung ihre Berechtigung hat. Der Staat kann nicht jemanden, der wiederholt gezeigt hat, dass er nicht mit dem Leistungsträger
kooperiert, dauerhaft weiterhin unterstützen. Das kann
nicht die Lösung sein. Es muss doch jedem verständlich
und klar sein, dass auch der größtmögliche Unterstützungswille irgendwann seine Grenzen findet, wenn nicht
ein Minimum an Kooperation erfolgt. Dass mit fehlender
Kooperation die Wohnungslosigkeit quasi in Kauf genommen wird, ist eine traurige Erkenntnis. Aber den
Staat hier der Sanktionsmöglichkeit zu berauben, ihn
gleichsam wehrlos zu machen, ist der falsche Weg.
Fünftens. Schließlich erklärt die Linke, dass für Wohnungslose spezielle Beschäftigungs-, Aus- und Fortbildungsangebote vorzuhalten seien. Das ist richtig, insofern man hierbei oftmals mit komplexen Problem- und
Härtefällen zu tun hat, die einer maßgeschneiderten und
persönlichen Hilfe bedürfen. Allerdings zieht der Antragsteller hieraus die Folgerung, es müsse auf Sanktionsmaßnahmen und repressive Angebote verzichtet werden.
Die FDP hält dies für falsch, wie ich oben bereits ausgeführt habe. Wo der Staat Leistungen erbringt, muss er in
letzter Konsequenz auch das Recht haben, diese zu kürzen, wenn der Betroffene nicht kooperiert.
Es bleibt die zentrale Aufgabe des Sozialstaates, sich
um die Bedürftigen zu kümmern. Dieser Aufgabe werden
die bestehenden Regelungen gerecht. Mit der Übernahme
der Mietkosten durch den Leistungsträger ist eine Absicherung ausreichend gegeben. Auch darf nicht vergessen
werden, dass das Hauptaugenmerk auf dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt liegen muss.
Kurz vor Weihnachten werden die Medien wieder über
sie berichten und dabei viel Mitleid erregen. Kurz vor
Weihnachten wird so mancher in den eigenen Geldbeutel
greifen, um mit einer Spende ihre Not etwas zu lindern. In
der kalten Jahreszeit wird es für sie besonders hart. Die
Rede ist von den rund 250 000 Menschen in diesem Land,
die wohnungslos sind. Doch Wohnungslosigkeit ist nicht
nur um die Weihnachtszeit für diejenigen, die davon betroffen sind, ein Problem. Ursprünglich hatte ich gehofft
bei einem Thema, welches existenzielle Not betrifft, sei
eine fraktionsübergeifende Zusammenarbeit möglich,
und hatte versucht, Vertreter und Vertreterinnen der Koalition für einen gemeinsamen Antrag zu gewinnen. Leider bisher erfolglos. Die Linksfraktion im Bundestag hat
deswegen nun einen eigenständigen Antrag zum Thema
Wohnungslosigkeit in den Bundestag eingebracht. Darin
geht es um zweierlei: erstens um die Vermeidung von
Wohnungslosigkeit und zweitens um bessere Teilhabe für
Menschen, die bereits wohnungslos sind.
Meist bedürfte es gar nicht viel, um Wohnungslosigkeit
zu verhindern. So sieht das Gesetz bereits heute die Möglichkeit vor, dass Mietschulden von Menschen übernommen werden, denen aufgrund dieser Schulden die Wohnungslosigkeit droht.
Zu Protokoll gegebene Reden
Trotzdem sind 13 Prozent der Wohnungslosen durch
Mietschulden wohnungslos geworden. Auch kann bisher
nach Gesetz die Übernahme der Mietschulden nur als
Darlehen erfolgen, nicht als Beihilfe. Das Problem besteht jedoch darin, dass die betroffenen Personen meist
schon verschuldet sind; im Jahre 2006 waren es circa
65,2 Prozent der Wohnungslosen. Eine zusätzliche Verschuldung konterkariert das Ziel der sozialen Stabilisierung. Insofern ist auch eine spätere Rückzahlung des
Darlehens nur selten möglich. Deswegen sollte im Notfall
die Übernahme der Mietschulden auch als Beihilfe erfolgen können.
Das herrschende Sozialgesetzbuch II scheint eher auf
die Schaffung als auf die Vermeidung von Wohnungslosigkeit geeicht. So sieht das Sozialgesetzbuch II vor, dass
bei Sanktionen gegen Erwerbslose auch die Kosten der
Unterkunft gekürzt werden können. Hier sind Mietschulden vorprogrammiert. Diese Sanktionsmöglichkeit gehört also sofort abgeschafft, da sie dem Ziel der Vermeidung von Wohnungslosigkeit zuwiderläuft.
Zentrale Auslöser des Wohnungsverlustes bei Frauen
lauten „Trennung vom Partner“ - 25 Prozent - sowie
akute Gewalt des Partners - 14 Prozent -; diese spezifischen Gründe müssen beachtet werden. Deswegen ist
eine ausreichende Infrastruktur an Hilfeangeboten und
hilfeleistenden Einrichtungen wie Frauenhäuser zur Verfügung zu stellen.
Auch Menschen, die wohnungslos sind, können Arbeitsangebote unterbreitet werden. Entscheidend ist jedoch, dass diese Tätigkeitsangebote freiwillig sind und
den konkreten Lebensumständen der Betroffenen angepasst werden. Wo Sanktionen drohen, ist eine soziale Stabilisierung nur schwer möglich. Sanktionen für die
Gruppe der Wohnungslosen sind in besonderer Weise
kontraproduktiv und daher abzuschaffen.
Weiterhin hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe beobachtet, dass das Personal bei den
Trägern des SGB II bislang nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Wohnungslosen bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohten Personen vorbereitet ist. Die Erfahrungen,
die in den Kommunen seit den späten 80er-Jahren mit
dem Konzept der „Zentralen Fachstelle“ gemacht wurden, müssen in eine analoge Praxis in die Strukturen des
SGB II integriert werden. In diesem Zusammenhang ist
auch sicherzustellen, dass Meldungen der Amtsgerichte
über Räumungsklagen unverzüglich bei den zuständigen
Stellen ankommen und Wohnungslosigkeit vermeidende
Aktivitäten auslösen.
Dies ist nur eine kleine Auswahl von sinnvollen Schritten zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit bzw. zur Verbesserung der Situation von Wohnungslosen. Diese und
weitere Schritte umzusetzen, ist sowohl ein Gebot der
Menschlichkeit als auch der Wirtschaftlichkeit. Ist ein
Mensch erst einmal wohnungslos geworden, bedarf es so
viel mehr an Energie und Mittel, um diesen Zustand zu
verbessern. Christdemokraten und Sozialdemokraten wären also gut beraten, sich dieses Problems anzunehmen,
nicht nur in der Weihnachtszeit.
Zum Schluss eine alarmierende Zahl aus dem Statistikbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe vom Oktober 2008: Über 42 Prozent der Wohnungslosen klagen über einen schlechten Gesundheitszustand.
Die Praxisgebühr und Zuzahlung für Medikamente und
medizinische Leistungen gehören abgeschafft; denn sie
verursachen in nicht geringem Maße eine mangelnde Gesundheitsversorgung der Wohnungslosen, weil die Befreiung von der Praxisgebühr und der Zuzahlungspflicht erst
nach großen bürokratischen Hürden, die für Wohnungslose schwer überwindbar sind, gewährt wird. Die Linke
hat diese Praxisgebühr als auch die Zuzahlungspflicht
schon immer wegen ihrer ungerechten und selektierenden
Wirkung heftig kritisiert. Die Einschätzung des Gesundheitszustandes der Wohnungslosen bestätigt uns in dieser
fundamentalen Kritik. Es besteht also ein massiver politischer Handlungsbedarf, wohnungslosen Menschen
Teilhabe und eine Gesundheitsversorgung zu ermöglichen sowie prinzipiell Wohnungslosigkeit zu überwinden
und präventiv zu vermeiden; denn Wohnungslose haben
einen großen Wunsch nach den eigenen vier Wänden.
Über 70 Prozent wünschen sich eine eigene Wohnung, für
sich und für ihre Partner.
Von Obdachlosigkeit Betroffene sind in vielfacher Hinsicht vom gesellschaftlichen Leben und den Leistungen
des Sozialstaats ausgeschlossen. Nicht wenige müssen ihr
Leben dafür lassen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gilt deshalb: Jeder Obdachlose ist einer zu viel.
Verglichen mit dem Wohnungslosen-Hoch von
530 000 Personen im Jahr 1998, fällt der Rückgang von
254 000 Personen im Jahr 2006 zwar deutlich aus. Der
Trend abnehmender Obdachlosigkeit geht aber nicht
- wie es der Kollege Schiewerling von der CDU/CSUFraktion meint - auf politisches Engagement und die besonders für diese Zielgruppe geeigneten Regelungen im
SGB II zurück.
Im Gegenteil: Der Rückgang von Obdachlosigkeit ist
vielmehr auf eine deutlich spürbare Entspannung am
Wohnungsmarkt zurückzuführen, für die wiederum der
demografische Wandel und eine verringerte Zuwanderung ursächlich sind. Der Rückgang ist außerdem der gezielten präventiven Arbeit durch soziale Träger und besonders engagierter Großstädte - wie zum Beispiel der
Stadt Köln - zu verdanken, die trotz der Widrigkeiten in
der Sozialgesetzgebung des Bundes, Obdachlosigkeit
verhindern oder beenden konnten.
Nach wie vor besorgniserregend ist die Zahl der von
Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht davon aus,
dass weitere 235 000 Menschen im Arbeitslosengeld-IIBezug akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Diese
latente Bedrohung für viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende ist zu einem großen Teil auf neue, verschärfende
Regelungen der schwarz-roten Koalition zurückzuführen.
Bereits in der ersten Lesung des hier zur Debatte stehenden Antrages haben Bündnis 90/Die Grünen deutlich
gemacht, dass sie besonderen Handlungsbedarf bei den
jungen Erwachsenen im Arbeitslosengeld-II-Bezug seZu Protokoll gegebene Reden
hen. Der Anteil junger von Wohnungslosigkeit bedrohter
Erwachsener nimmt überproportional zu.
Dieser Trend wurde durch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz der Bundesregierung mit verursacht, denn
mit diesem Gesetz wurden nicht nur die Sanktionsregelungen im Arbeitslosengeld II, sondern auch die Möglichkeiten für unter 25-Jährige zur Gründung eines eigenen
Haushalts deutlich eingeschränkt. Es gibt also keinen
Grund, sich beim Thema Obdachlosigkeit zurückzulehnen, wie es offenbar die Koalitionsfraktionen und Bundesarbeitsminister Scholz tun.
Leider leben viele der obdachlosen jungen Menschen
in so zerrütteten Familien, dass sie das Leben auf der
Straße oder in ungesicherten Wohnverhältnissen dem Leben in der Familie vorziehen. Die Beiträge der Kollegen
von der CDU/CSU und der FDP zu diesem Antrag lassen
jedes Gespür für die Lebenswirklichkeit der von Obdachlosigkeit betroffenen Jugendlichen vermissen. Statt junge
Erwerbslose zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu
integrieren, treiben Sie mit Ihrer Sanktionspolitik die jungen Menschen in Kriminalität und Obdachlosigkeit.
Die Fraktion Die Linke schlägt sinnvolle Maßnahmen
vor, die Bündnis 90/Die Grünen zu großen Teilen bereits
in ihrem Antrag vom 4. April 2006 „Hartz IV weiterentwickeln - existenzsichernd, individuell, passgenau“
- Drucksache 16/1124 - gefordert haben. Die Vorschläge
der Linken sind allerdings in einigen Punkten änderungsbzw. ergänzungsbedürftig:
Dies gilt insbesondere für die Sanktionsbestimmungen
nach dem SGB II für Jugendliche und junge Erwachsene
bis 25 Jahre, die unbedingt flexibilisiert und entschärft
werden müssen. Die entsprechende Regelung im SGB II
ist in eine Ermessensvorschrift umzuwandeln, die die
Rücknahme der Sanktion bei einer Verhaltensänderung
ermöglicht, denn um eine Verhaltensänderung bei einem
jungen Erwachsenen bewirken zu können, muss dieser
die Gewissheit haben, dass ein Wohlverhalten zu einer sofortigen Rücknahme der Sanktion führt.
Die jetzige von der Großen Koalition eingeführte
Sanktionsregelung wird zu Recht von den Betroffenen als
reine Schikane empfunden. Außerdem müssen von Sanktionen nicht nur - wie Die Linke es fordert - die Kosten
der Unterkunft unberührt bleiben. Keinesfalls darf der
Grundbedarf, der zum Leben notwendig ist, angetastet
werden.
Das Zustimmungserfordernis des kommunalen Trägers für alle Umzüge von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre, das von der Großen Koalition
mit dem sogenannten SGB-II-Fortentwicklungsgesetz
eingeführt wurde, bedeutet ebenfalls einen Rückschritt
gegenüber der von Rot-Grün auf den Weg gebrachten
Hartz-IV-Reform.
Auch hier gehen wir Grüne über die Forderung der
Fraktion Die Linke hinaus, die diese Regelung lediglich
modifizieren möchte: Wir fordern, dass junge Erwachsene, auf eigenen Beinen stehen können müssen und bei
Hilfebedürftigkeit grundsätzlich nicht wieder auf ihr
Elternhaus zurückverwiesen werden dürfen. Sie müssen
- wie im ursprünglich von Rot-Grün eingeführten Arbeitslosengeld II vorgesehen - einen Anspruch darauf haben, einen eigenen Haushalt zu gründen. Deshalb ist
diese Regelung zu streichen.
Um den besonderen Bedürfnissen von Obdachlosen
gerecht zu werden, muss die organisatorische Schnittstelle zwischen Jobcenter und Kommune verbessert werden: Die Jobcenter müssen sich fachlich und organisatorisch auf die besonderen Bedürfnisse von Obdachlosen
einstellen.
Richtig ist der Vorschlag der Linken, „zentrale Fachstellen“ für die Belange von Wohnungslosen einzurichten. Anders als Die Linke es fordert, sollten diese jedoch
nicht nur für Arbeitslosengeld-II-, sondern auch für Sozialhilfe-Beziehende rechtskreisübergreifend eingerichtet
werden.
Insbesondere in Großstädten ist eine besondere Organisationsform erforderlich, die auch präventiv gegen
Obdachlosigkeit agiert. Es wird in der Regel nicht ausreichen, Obdachlose von einem speziell geschulten Sachbearbeiter zu betreuen. Wir Grüne schlagen vor, nach
dem Vorbild des Kölner Modells der Obdachlosenhilfe
eine besonders spezialisierte Organisationseinheit für
das Fallmanagement von Obdachlosen und von Obdachlosigkeit bedrohter Menschen in Großstädten zur Pflicht
zu machen. Diese speziellen trägerübergreifenden Einheiten für Wohnungslose sollten sowohl für präventive
Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit als auch für die
akute Hilfe zuständig sein.
Um nachhaltig Obdachlosigkeit zu vermeiden, sollte
die Begleichung von Mietschulden als Beihilfeleistung
des Jobcenters - wie die Linken es vorschlagen - an die
Einschaltung einer Schuldnerberatung gekoppelt sein.
Unabhängig von diesen Verbesserungen im Detail
weist der Vorschlag der Linken in die richtige Richtung.
In jedem Falle besteht dringender Handlungsbedarf mit
Blick auf eine Anpassung der Bestimmungen für das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe auf die besonderen
Bedürfnisse von Obdachlosen und von Obdachlosigkeit
bedrohter Menschen. Auch um diesen Handlungsbedarf
zu unterstreichen, stimmt meine Fraktion diesem Antrag
zu.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10906, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9487 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist damit mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und
FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung Unterstützter Beschäftigung
- Drucksache 16/10487 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/10905 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubert Hüppe
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
folgende Kolleginnen und Kollegen: Hubert Hüppe,
CDU/CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Dr. Erwin
Lotter, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die Linke, Markus Kurth,
Bündnis 90/Die Grünen, und den Parlamentarischen
Staatssekretär Klaus Brandner.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10905, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 16/10487 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von der Fraktion Die Linke, der
SPD, der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wirtschaftliche Dynamik fördern - Gewerbeanmeldungen entbürokratisieren
- Drucksache 16/9338 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Andreas Lämmel,
CDU/CSU, Dr. Rainer Tabillion, SPD, Rainer Brüderle,
FDP, Sabine Zimmermann, Die Linke, Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Wir beraten heute in erster Lesung den FDP-Antrag
„Wirtschaftliche Dynamik fördern - Gewerbeanmeldun-
gen entbürokratisieren“. Für meine Fraktion und als Vor-
sitzender der Mittelstandsvereinigung der sächsischen
Union möchte ich betonen, dass ich das grundsätzliche
Ziel einer möglichst bürokratiearmen und schnellen Ge-
1) Anlage 17
werbeanmeldung unterstütze. Allerdings teile ich die Zustandsbeschreibung durch die FDP, wonach gewerberechtliche Anmelde- und Zulassungsverfahren „in der
Regel durch einen hohen Verwaltungsaufwand, unüberschaubare Verfahrensstrukturen, unterschiedliche Kompetenzen und zum Teil Doppelzuständigkeiten sowie einen unverhältnismäßigen Zeitaufwand gekennzeichnet“
seien, in dieser Allgemeinheit nicht.
Für den weit überwiegenden Teil aller Gewerbe ist lediglich die Gewerbeanzeige nach § 14 Gewerbeordnung
erforderlich; eine spezielle gewerberechtliche Prüfung
erfolgt nicht. Für diese Gewerbeanzeige ist nur ein Vordruck auszufüllen, der vom kommunalen Gewerbeamt bestätigt wird und danach behördenintern anderen Behörden ganz oder teilweise zugänglich gemacht wird. Bei
persönlichem Erscheinen ist die Anzeige in fünf Minuten
erledigt; elektronische oder schriftliche Anzeigen dauern
etwas länger. Die Behörde ist darüber hinaus verpflichtet,
innerhalb von höchstens drei Tagen den Empfang der Anzeige zu bestätigen. Nach meiner Kenntnis ist dies die
kürzeste Frist, die in Verfahren für den Beginn eines Berufes gesetzlich vorgegeben wird.
Natürlich gibt es auch Gewerbe, die wegen einer besonderen Überwachungsbedürftigkeit und aufgrund sozialpolitischer Notwendigkeiten weiteren Zulassungsschranken, insbesondere Erlaubnissen, unterworfen sind.
Dies betrifft bestimmte Betriebe, die sich auf den Handel
mit Gebrauchtwaren spezialisiert haben, sowie zum Beispiel Detekteien, Partnervermittlungen, Betrieb von Reisebüros und Schlüsseldienste. Das Bundeswirtschaftsministerium achtet aber darauf, dass diese zusätzlichen
Zulassungsschranken nur für möglichst wenige Gewerbe
gelten.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie erwähnen
in dem Antrag das Beispiel eines reisenden Gewerbetreibenden, der in einer Fußgängerzone Waren von einem vorübergehend ortsfesten Verkaufsstand anbieten will.
Diese reisegewerbliche Tätigkeit setzt nach § 55 Gewerbeordnung die Erteilung einer bundesrechtlichen Erlaubnis in Form der Reisegewerbekarte voraus. Eine solche
Reisegewerbekarte, einmal ausgestellt, gilt dann aber
bundesweit und nicht nur für den speziellen Ort X, wo
sich die Fußgängerzone befindet. Dass für diese Fußgängerzone noch eine straßenrechtliche Genehmigung nach
dem jeweiligen Landesstraßen- und Wegegesetz erforderlich ist, liegt schlicht an der verfassungsrechtlichen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern für unterschiedliche Sachverhalte.
Bei der straßenrechtlichen Genehmigung geht es nämlich nicht um die grundsätzliche Eignung des Gewerbetreibenden für eine reisegewerbliche Tätigkeit sondern
um die Frage, ob er seinen Stand zum Beispiel in einer
Fußgängerzone, wo auch Busverkehr herrscht, tatsächlich aufstellen darf oder nicht. Auf eine Erlaubnis dafür
kann leider nicht verzichtet werden, denn diese besonderen Umstände kann die Reisegewerbekarte nicht vorhersehen. Der Bundesgesetzgeber könnte hier außerdem,
selbst wenn er wollte, wegen der erwähnten Aufteilung
der Gesetzgebungskompetenzen auch keine Aufgabenkonzentration bei der Genehmigung festlegen. Insofern
taugt das von Ihnen angeführte Beispiel nicht besonders
gut, um generell einen hohen Verwaltungsaufwand bei
Gewerbeanmeldungen zu belegen.
Lassen Sie mich nun die fünf Forderungen, die die
FDP in ihrem Antrag stellt, der Reihe nach durchgehen.
Zuerst zur Nummer eins, die Bundesregierung solle die
Bürokratiebelastung der Wirtschaft durch die Gewerbeordnung evaluieren, und zur Forderung Nummer zwei, sie
solle in diesem Bereich weitere Maßnahmen zum Bürokratieabbau umsetzen. Dies ist längst geschehen. Die
Informationspflichten der Wirtschaft, die in der Gewerbeordnung enthalten sind, wurden im Rahmen der Standardkostenmessung vollständig ermittelt.
Als Ergebnis dieser Prüfung sind mit dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz unter anderem Erleichterungen bei der Reisegewerbekartenpflicht und beim automatisierten Datenabruf von Daten aus der Gewerbeanzeige
umgesetzt worden. Im Dritten Mittelstandsentlastungsgesetz, welches sich momentan im parlamentarischen Verfahren befindet, sind weitere Erleichterungen enthalten.
So soll zum Beispiel die Anzeigepflicht bei der Aufstellung von Automaten zurückgeführt werden und Bestimmungen zur Anbringung des Namens von Gewerbetreibenden an offenen Betriebsstätten entfallen. Dies hört
sich vielleicht etwas kleinteilig an. Aber Bürokratieabbau
fängt genau bei diesen Kleinigkeiten an, denn in der
Summe sind viele Kleinigkeiten eben keine Kleinigkeit
mehr.
Unter Nummer drei fordert die FDP die Bundesregierung auf, die gewerberechtlichen Anmeldeverfahren
durch Konzentration von Zuständigkeiten zu vereinfachen und zu beschleunigen. Hierzu ist zu sagen: Eine
Konzentration von Zuständigkeiten, das heißt Entscheidungskompetenz bei einer einzigen Behörde, ist nur möglich, wenn ein gewisser Sachzusammenhang zwischen
den zu entscheidenden Fragen besteht. In vielen Fällen,
zum Beispiel bei Normen des speziellen Ordnungsrechts
oder des Gesundheitsrechts, werden die Gewerbebehörden in der Regel nicht in der Lage sein, diese Fragen zu
prüfen. Ob eine Kommune die Verfahren so gestaltet, dass
faktisch eine Konzentration erreicht wird, hängt entscheidend davon ab, wie wirtschaftsorientiert sich die Kommune aufstellt.
Im Rahmen der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie werden auch Kontaktstellen eingerichtet, über
die Dienstleistungserbringer künftig alle zur Aufnahme
ihrer Tätigkeit notwendigen Verfahren und Formalitäten
abwickeln können. Die Zuständigkeit für die Einrichtung
und Ausgestaltung dieser „Einheitlichen Ansprechpartner“ liegt bei den Ländern.
Zum Punkt Nummer vier: Eine elektronische Gewerbeanmeldung, wie sie die FDP fordert, ist bereits jetzt
rechtlich zulässig. Hierfür ist - wie auch zum Beispiel
beim Einwohnermeldeverfahren - eine elektronische Signatur erforderlich. Die hierfür notwendigen gesetzlichen Änderungen wurden bereits vor einigen Jahren vorgenommen.
Bleibt noch die Forderung Nummer fünf, alle gewerblichen Anzeigepflichten zu bündeln. Solche Bündelungen
erfolgen bereits. Ich gebe aber zu, in dieser Angelegenheit müssen wir noch weiter kommen. Bislang scheiterte
dies jedoch an dem Bestehen anderer Ressorts auf ihrer
jeweiligen Vollzugskompetenz. Gleichwohl wird in Zusammenhang mit der Einführung des „Einheitlichen Ansprechpartners“ geprüft, inwieweit die im Vergleich zu
anderen Anzeigeverfahren sehr einfache und schnelle
Gewerbeanzeige vermehrt auch für andere Verwaltungsaufgaben genutzt werden kann. Notwendig hierfür ist eine
verbesserte Vernetzung der Kommunen untereinander
und mit anderen Verwaltungsträgern. Ein solches Vorhaben eines übergreifenden Gewerberegisters könnte auch
zu einer Verschlankung von Verwaltungsabläufen genutzt
werden.
Insofern nehmen wir die FDP-Vorschläge als Anregung und Motivation, weiter an dem Thema Bürokratieabbau - auch im Bereich der Gewerbeordnung - dranzubleiben. Wir stellen aber gleichzeitig fest, dass sich die
meisten der hier genannten FDP-Forderungen zeitlich
überholt haben, weil sie entweder schon umgesetzt worden sind oder sich in Umsetzung befinden. Ich freue mich
auf die bevorstehende Diskussion des Antrags in den Ausschüssen.
Mit ihrem hier zu Debatte stehenden Antrag fordert die
FDP, Gewerbeanmeldungen zu entbürokratisieren um die
wirtschaftliche Dynamik zu fördern. Sicherlich, wir sind
in unserem täglichen Leben von einer Vielzahl von Regelungen und Vorschriften umgeben, sodass der Eindruck
von Einschränkungen, Beschränkungen oder gar Behinderungen entsteht. Ebenso ist es auch erwiesen, dass eine
Vielzahl bestehender Regelungen hohe Kosten für die
Volkswirtschaft verursacht und so die wirtschaftliche
Entwicklung behindert. Insoweit möchte ich nicht von der
Hand weisen, dass Bürokratieabbau oder Entbürokratisierung wichtige Aufgaben für unsere politische Arbeit
sind. Nicht zuletzt hat sich die Große Koalition ja auch
zum Ziel gesetzt, die Entbürokratisierung weiter voranzutreiben. Doch nicht jede Vorschrift ist auch wirklich überflüssig. Nicht jede Meldung oder jeder Gang zu einer Behörde ist erlässlich. Vielmehr müssen mit Sorgfalt und
Bedacht alle Auswirkungen und Folgen, die eine rechtliche oder administrative Erleichterung bringen kann, berücksichtigt werden.
Das Gewerberecht steht normalerweise nicht unbedingt im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, ist
aber in der Praxis von hoher Bedeutung, da es erheblichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben hat. Aus dem
Polizeirecht heraus hat es sich zu einem selbstständigen
Gebiet innerhalb des Wirtschaftsverwaltungsrechts entwickelt und unterliegt der konkurrierenden Gesetzgebung
des Bundes. Grundlage ist die hier zur Debatte stehende
Gewerbeordnung ({0}), die vom Grundsatz der Gewerbefreiheit ausgeht und deren Beschränkungen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit unter Berücksichtigung des Arbeitschutzes dienen. Letzte Änderungen
hat es durch das Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer
Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft ({1}) vom 7. September 2007 erfahren, was ein
Beispiel für die fortlaufende Überarbeitung und BearbeiZu Protokoll gegebene Reden
tung der bestehenden Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaues ist.
Um zu zeigen, dass die Forderungen der FDP nicht berechtigt sind, möchte ich im Folgenden kurz verschiedene
Fallkonstellationen im Rahmen der Gewerbeanmeldung
erläutern. § 14 der GewO verpflichtet jeden, der ein Gewerbe betreiben will, zu einer Anzeige desselben bei der
zuständigen Behörde. Zur Bearbeitung der Gewerbeanmeldung wird in den meisten Fällen nur der Personalausweis benötigt, bei Ausländern außerdem die Aufenthaltsgenehmigung. In den Fällen, in denen es sich um
juristische Personen handelt, sind noch Gesellschaftsverträge vorzulegen, deren Erfordernis aber mit den Besonderheiten des Gesellschaftsrechts zusammenhängt. Bei
erlaubnis- oder handwerkskartenpflichtigen Gewerben
muss natürlich noch die entsprechende Erlaubnis oder
Handwerkskarte vorgelegt werden.
Zweck der Vorschrift des § 14 GewO ist, der zuständigen Behörde Aufschluss über die Zahl und Art der in
ihrem Bezirk vorhandenen Betriebe zu geben und eine
wirksame Überwachung der Gewerbeausübung zu ermöglichen. Durch die Gewerbeanzeigen werden die zuständigen Behörden insbesondere in die Lage versetzt,
bei Bedenken gegen die Zuverlässigkeit oder auch bei
Nichterfüllung von sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen gegen den Gewerbetreibenden einzuschreiten. Sie
dient einerseits zur Überwachung der Gewerbeausübung
und andererseits dem Schutz des Kunden, also den Menschen, mit denen der Gewerbetreibende später zu tun haben wird.
Die Gewerbeanmeldung ist in vielen Städten und Gemeinden heute online möglich, das heißt, der Bürger kann
seine Unterlagen elektronisch zur Behörde schicken,
muss allerdings meistens noch einmal persönlich erscheinen, um eine Unterschrift zu leisten. Da die Frist zur Anzeige, Veränderung oder Beendigung eines Gewerbes
sechs Wochen beträgt, denke ich, dass jeder Gewerbetreibende die Möglichkeit haben müsste, ohne allzu großen
Aufwand zu seiner zuständigen Behörde zu gehen. Vielfach kann man in den Ämtern auch Termine vereinbaren,
sodass die Wartezeit eingeschränkt sein wird. Die Onlineanmeldung soll richtigerweise weiter vorangetrieben
werden. Sie hat aber auch Schwächen, nämlich dann,
wenn es zum Beispiel um Rückfragen der Behörde geht.
Hier erhöht sich der Aufwand einer vollständigen elektronischen Bearbeitung gegenüber der Konstellation, dass
der Gewerbetreibende persönlich erscheint und mögliche
Probleme besprochen und zeitnah gelöst werden können.
Auch muss im Fall der elektronischen Anmeldung sichergestellt sein, dass die Dokumente wirklich vom Unterzeichner stammen. Das kann zwar die elektronische Signatur gewährleisten, deren Verbreitung ist aber noch
nicht ausreichend, weil die Kosten zur Anschaffung der
Verschlüsselungstechnik noch sehr hoch sind.
Auch dauert der Vorgang einer Gewerbeanmeldung
nicht so lange, wie gerne behauptet. Innerhalb von drei
Tagen nach Eingang der Gewerbeanzeige wird deren
Empfang von der Behörde durch einen Durchschlag bestätigt, und der Gewerbetreibende erhält eine Empfangsbestätigung. Diese ist der Gewerbeschein.
Die vielfach kritisierten Barrieren in Form von Sachkundeprüfung und Unterrichtung betreffen nur das Bewachungsgewerbe und sind, da es sich hier um einen sensiblen Bereich handelt, auch angesichts der grundrechtlich
garantierten Gewerbefreiheit, vertretbar. Auch die anderen in der GewO formulierten Berufsausübungsregelungen dienen dem Schutz der anderen bereits am Markt bestehenden Anbieter, der Sicherung der Qualität sowie
dem Schutz des Kunden und sind nicht einem freien Spiel
der Kräfte am Markt zu opfern.
Eine Bündelung verschiedener mit einer Gewerbeausübung verbundener Verfahren, wie zum Beispiel die eventuelle Notwendigkeit einer baurechtlichen Genehmigung,
erscheint mir nicht sinnvoll, da sichergestellt sein müsste,
dass die zuständigen Bearbeiter die Sachkunde besitzen,
über all die unterschiedlichen Fälle zu entscheiden.
Mit der Gewerbeanmeldung sind die Anzeigepflichten
gegenüber dem Finanzamt und der zuständigen IHK erfüllt. Zusätzlich muss nur noch eine Meldung bei der
Berufsgenossenschaft erfolgen und, wenn ein zulassungspflichtiges Handwerk betrieben wird, eine Meldung bei
der Handwerkskammer. Nicht zuletzt die Zahl von
850 000 Gewerbeanmeldungen im Jahr 2007 ist Beweis
genug, dass kein potentieller Gewerbetreibender wegen
einer zusätzlichen Meldung oder eines Behördenganges
von der Gründung einer ihm lohnenden Existenz absieht.
Vielmehr verhindern oder bremsen wirtschaftliche Verunsicherung oder restriktive Kreditvergabe an Selbstständige oder bestimmte Berufsgruppen die wirtschaftliche
Betätigung.
Aus den eben genannten Gründen ist der Antrag der
FDP abzulehnen.
In Deutschland herrscht Gewerbefreiheit - jedenfalls
im Prinzip. Jeder hat das Recht, ein Gewerbe zu betreiben
und Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu
wählen. Ein Gewerbe zu betreiben, ist wirtschaftspolitisch erwünscht. Das sollte der Staat nach Kräften unterstützen. Selbstverständlich muss beim Betrieb eines
Gewerbes bestimmten technischen Anforderungen Rechnung getragen werden. Auch soziale Schutzanliegen darf
ein Staat verfolgen. Gewerberechtliche Anmelde- und Zulassungsverfahren sind jedoch in der Regel durch einen
hohen Verwaltungsaufwand, unüberschaubare Verfahrensstrukturen, unterschiedliche Kompetenzen und zum
Teil Doppelzuständigkeiten und einen unverhältnismäßigen
Zeitaufwand gekennzeichnet. Das trägt weder berechtigten sozialpolitischen Schutzanliegen wie dem Gesundheitsschutz von Mitarbeitern Rechnung, noch dient es der
Vermeidung von Gefahren und dem Schutz des Gemeinwesens.
Über Bürokratieabbau, Entschlackung von Vorschriften und Mittelstandsentlastung wird viel geredet, allerdings mehr geredet als gehandelt. Die Bürokratie ist nicht
nur außerordentlich lästig, sie ist zu einem richtigen Problem geworden. Mit geschätzten 50 Milliarden Euro an
Bürokratiekosten werden die Unternehmen in Deutschland jährlich belastet. Das macht deutlich, dass BürokraZu Protokoll gegebene Reden
tieabbau auch ein Standortfaktor ist, vor allem für kleine
und mittlere Unternehmen.
Die erste Begegnung mit der Bürokratie hat ein Gewerbetreibender, wenn er seinen Betrieb eröffnen will,
wenn er das Gewerbe anmeldet oder die Erlaubnis beantragt. Das Gewerberecht, die Gewerbeordnung muss deshalb entrümpelt werden. Die Bundesregierung rühmt
sich, einiges dafür zu tun. Die Reisegewerbekartenpflicht
ist mittlerweile etwas eingeschränkt und für bestimmte
Gewerbe vereinfacht worden. Trotzdem bleibt der Aufwand bei der Beantragung einer Gewerbeerlaubnis für
viele Gewerbetreibende unverhältnismäßig hoch. Wirtschaftliche Dynamik kann sich nur entfalten, wenn die
staatlichen Betätigungsbarrieren, wenn gewerbliche Anmelde- und Zulassungsverfahren auf das wirtschaftlich
sinnvolle und sozialpolitisch notwendige Maß zurückgeführt werden. Hier schafft auch der von der Bundesregierung inzwischen beschlossene Entwurf eines dritten
Mittelstandsentlastungsgesetzes noch keine Abhilfe. Wir
wollen die Barrieren weiter abbauen. Die Gewerbeordnung muss weiter entrümpelt werden. Deshalb fordern
wir die Bundesregierung auf, die bürokratischen Belastungen der Wirtschaft, die sich aus der Gewerbeordnung
ergeben, zu überprüfen und auf das wirklich notwendige
Maß zu reduzieren.
Zum Beispiel sollten die Zuständigkeiten für die gewerberechtlichen Erlaubnisverfahren vereinfacht werden. Es
muss ausreichen, wenn sich ein Gewerbetreibender mit
der Anmeldung an eine einzige Behörde wendet, bei der
die Zuständigkeiten und die Entscheidungskompetenz gebündelt sind. Diese Behörde muss dann zügig entscheiden
und die benötigten Dokumente ausstellen.
Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie fordert schon
einheitliche Ansprechpartner für in- und ausländische
Dienstleistungsunternehmen. Sie sollen sicherstellen, dass
jeder Erbringer von Dienstleistungen alle Verfahren und
Formalitäten über eine einzige Kontaktstelle abwickeln
kann. Solche kurzen Verwaltungswege sollte es für alle
Gewerbetreibenden geben.
Elektronische Gewerbeanmeldungen sollten Standard
werden. Dann müssten Gewerbetreibende nicht mehr
persönlich bei der Anmeldung erscheinen oder einen
Stellvertreter schicken. Stattdessen könnten sie sich online
anmelden. Die Entwicklung von Signatur- oder Authentifizierungsverfahren ist weit genug fortgeschritten, sodass
eine eindeutige Identifizierung gewährleistet werden
kann. Mit der Anmeldung sollten gleichzeitig auch alle
Informationspflichten erfüllt werden.
Solche Änderungen würden es vor allem Existenzgründern schon deutlich erleichtern, ihr Gewerbe starten zu
können. Bürokratieabbau ist und bleibt aber darüber hinaus weiter eine ordnungspolitische Daueraufgabe.
Um uns herum wird die Finanzkrise immer mehr zur
Weltwirtschaftskrise. Das Statistische Bundesamt meldet
heute für das dritte Quartal 2008 zum zweiten Mal in
Folge einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Wir stecken mitten in der Rezession. Und was fällt der FDP dazu
ein? Sie will die wirtschaftliche Dynamik fördern, indem
- ich zitiere - die Gewerbeanmeldungen „entbürokratisiert“ werden. Das ist wirklich ein ganz besonderes Konjunkturpaket, was Sie da vorlegen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP. Zur wirtschaftlichen Dynamik
würde das mit Sicherheit noch weit weniger beitragen als
das wirre Paket von Kleinigkeiten, mit dem die Bundesregierung angeblich die Konjunktur stützen will.
Aber Ironie beiseite! Natürlich ist es zu begrüßen,
wenn neue Unternehmen gegründet werden, insbesondere wenn das nicht aus der Not heraus geschieht, etwa in
Form von prekärer Selbstständigkeit. Denn - machen wir
uns nichts vor - ein gehöriger Anteil des Wachstums der
Selbstständigkeit in den vergangenen Jahren ist genau
darauf zurückzuführen, dass Menschen gezwungen wurden, sich als Ich-AG oder Scheinselbstständiger selbst
auszubeuten, weil keine vernünftigen Arbeitsplätze angeboten wurden. Solch eine prekäre Selbstständigkeit will
die Linke ausdrücklich nicht fördern, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Was die Linke will, ist, dass mehr sinnvolle, gute Arbeitsplätze entstehen. Und wenn eine Unternehmerin
oder ein Unternehmer eine gute Geschäftsidee hat und
das Wagnis einer Unternehmensgründung auf sich
nimmt, dann begrüßen wir das sehr. Wir sind auch der
Auffassung, dass die Probleme, die eine Entstehung neuer
Unternehmen und neuer Arbeitsplätze erschweren oder
verhindern, analysiert und gegebenenfalls beseitigt werden müssen.
Aber um welche Probleme handelt es sich dabei? Was
hält potenzielle Unternehmer von der Gründung ab? Die
FDP behauptet, Gewerbeanmeldungen seien zu kompliziert. Auch andere „bürokratische Lasten“ hat sie in ihren regelmäßigen Schaufensteranträgen immer wieder
kritisiert. Es ist sogar durchaus möglich, dass sich der
eine oder andere Gründer über die Formalitäten ärgert,
die er zu berücksichtigen hat. Das Hauptproblem ist die
Bürokratie allerdings in keinem Fall. In der Regel gibt es
für Auflagen und Melderegeln gute Gründe. Sie dienen
dem Umweltschutz, der Sicherheit oder anderen gesamtgesellschaftlichen Zielen.
Die KfW hat sich im Rahmen ihrer Gründungsmonitorstudie vor einiger Zeit intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Faktoren Unternehmensgründungen in Deutschland behindern. Danach werden - ich
zitiere - „als Hauptprobleme bei der Existenzgründung
die schlechte konjunkturelle Lage, das hohe finanzielle
Risiko sowie die individuell schlechten Erfolgsaussichten
auf Grund mangelnder Nachfrage gewertet“. Auch die
Angst vor einem sozialen Abstieg bei Scheitern des Unternehmens spielt eine wichtige Rolle. Bürokratische
Hürden sind hingegen für zwei Drittel der befragten
Gründer wenig bis überhaupt nicht relevant.
Die mangelnde Nachfrage ist hierzulande das Problem, liebe Kollegen von der FDP. Schreiben Sie doch
einmal einen Antrag mit dem Titel „Wirtschaftliche Dynamik fördern - Binnennachfrage stärken“. Oder noch
besser: Schließen Sie sich der Linken an, die genau das
schon immer gefordert hat. Kämpfen Sie für höhere
Löhne, für eine sozial gerechte Grundsicherung, für anZu Protokoll gegebene Reden
ständige Renten! Dann haben die Menschen mehr Geld in
der Tasche, die Binnennachfrage wächst und damit auch
die Wirtschaft. Gerade in der aktuellen konjunkturellen
Situation ist ein solches Umsteuern dringend nötig.
Der Bundesregierung fehlt ein umfassendes Konzept
zum Bürokratieabbau. Zwar hat die Große Koalition mit
den zwei beschlossenen und dem in dieser Woche eingebrachten dritten Mittelstandsentlastungsgesetz viele
kleinteilige Regelungen auf den Prüfstand gestellt, die jeweils an sich entlastend wirken, ohne einen positiven Effekt oder Nutzen zu haben. Es ist richtig, wenn die Handwerkszählung durch den Rückgriff auf vorhandene
Verwaltungsdaten vereinfacht wird, Schausteller in Zukunft kein Umsatzsteuerheft mehr führen müssen oder die
Anzeigepflicht bei der Aufstellung von Automaten abgeschafft wird.
Das Maßnahmenpaket der Regierung krankt aber insgesamt an der viel zu niedrigen Zielmarke, die sich die
Bundesregierung gesetzt hat. Der Normenkontrollrat erfasst allein bundesseitig um die 45 Milliarden Euro Bürokratielasten in Deutschland. Die Belastungen durch Regelungen der Länder oder der Sozialversicherungsträger
kommen noch dazu. Mit dem dritten Mittelstandsentlastungspaket will die Große Koalition jetzt eine weitere
Entlastung um 76 Millionen Euro schaffen. Das ist deutlich zu wenig. Zum Vergleich: Die Niederlande haben in
einer Legislaturperiode die Bürokratielasten um 25 Prozent abgebaut und diesen Prozess bereits 2006 abgeschlossen. Die deutsche Bundesregierung will dasselbe
Ziel bis 2011 erreichen. Die Niederlande sind dagegen
bereits im Anschlussprozess, die Bürokratielasten nochmals um 25 Prozent zu senken. Das heißt im Klartext:
Deutschland hinkt im Vergleich um eine Legislaturperiode hinterher.
Selbst die Zielerreichung bis 2011 ist mit den kleinen
Schritten, die die Bundesregierung vorschlägt, unsicher.
Nach den Erfahrungen in der EU hochgerechnet ist eine
Gesamtentlastung, die unter 20 Milliarden Euro liegt, für
Deutschland zu klein. Und die wird auch mit dem dritten
Mittelstandsentlastungsgesetz sowie den beiden schon
beschlossenen Maßnahmenpaketen bei weitem nicht erreicht.
Vor diesem Hintergrund weist der FDP-Antrag zwar in
die richtige Richtung. Zentrale Bürokratieprobleme wie
die Gewerbeanmeldungen drängen und müssten zuvörderst angegangen werden. Eine Bündelung der Zuständigkeiten bei der Gewerbeanmeldung, die Schaffung eines
einheitlichen Ansprechpartners oder die elektronische
Gewerbeanmeldung machen Sinn. Aber die Problematik
des Bürokratieabbaus geht noch weit über das hinaus,
was die FDP hier thematisiert.
Wir brauchen ein umfassendes Konzept für den Bürokratieabbau, das Ressort für Ressort umgesetzt wird. In
den Niederlanden und in Österreich berichten die Fachminister jährlich zu den Haushaltsberatungen über die
Erreichung der Bürokratieabbauziele und über neue
Ziele, die sie sich setzen. In Deutschland führt der Bürokratieabbau dagegen ein Schattendasein. Dieser Standortnachteil wird, wie bereits an den Bemühungen in den
Niederlanden beschrieben, immer mehr wachsen.
Darum muss der Normenkontrollrat endlich umfassende Kompetenzen bekommen. Wir brauchen eine ehrliche Durchsicht aller geltenden gesetzlichen Regelungen
auf ihre Bürokratielasten hin. Bei der Prüfung durch den
Normenkontrollrat muss in Zukunft das Ergebnis eines jeden Gesetzgebungsverfahrens Prüfungsgegenstand sein.
Heute ist es nur der Regierungsentwurf, der ins Parlament geht. Entwürfe, die über die Fraktionen eingebracht
werden, bleiben bei der Bürokratieprüfung sogar ganz
außen vor.
Der Normenkontrollrat hat bei der Vorstellung seines
diesjährigen Jahresberichtes selbst in deutlichen Worten
darauf hingewiesen, dass die Bemühungen der Bundesregierung beim Bürokratieabbau nicht reichen, und ein Gesamtkonzept eingefordert, das die Abbaumaßnahmen der
einzelnen Bundesministerien inhaltlich und zeitlich festlegt. Solange es ein solches Gesamtkonzept nicht gibt,
werden Einzelmaßnahmen zum Bürokratieabbau immer
nur Stückwerk bleiben.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9338 an den Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge
- Drucksache 16/10388 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({0})
- Drucksache 16/10897 Berichterstattung:
Abgeordneter Jan Mücke
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10898 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Carsten Schneider ({2})
Roland Claus
Anna Lührmann
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
folgende Kolleginnen und Kollegen: Wilhelm Josef
Sebastian, CDU/CSU, Uwe Beckmeyer, SPD, Jan
Mücke, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Winfried
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamenta-
rischen Staatssekretärs Achim Großmann.1)
Ich weise darauf hin, dass uns zu diesem Tagesord-
nungspunkt einige Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vorliegen.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/10897, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10388
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit
den restlichen Stimmen des Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der FDP
mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 16/10488 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3})
- Drucksache 16/10903 Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Steppuhn
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10904 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Waltraud Lehn
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Verstöße gegen den Mindestlohn im Bauge-
werbe wirksam bekämpfen
- Drucksachen 16/9594, 16/10902 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gitta Connemann
1) Anlage 18
2) Anlage 7
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Peter
Rauen, CDU/CSU, Andreas Steppuhn, SPD, Dr. Heinrich
Kolb, FDP, Werner Dreibus, Die Linke, Brigitte
Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des Parlamentarischen Staatssekretärs Klaus Brandner.
Ein wirksames und durchgreifendes Gesetz mit klaren
Regelungen zur Eindämmung der Schwarzarbeit in
Deutschland wollen wir heute beschließen. Wir haben
dies im Koalitionsvertrag angekündigt, und es ist nun
auch höchste Zeit, dies umzusetzen. Denn die wieder ansteigenden Zahlen der Schattenwirtschaft sprechen eine
bedenklich deutliche Sprache.
Das Volumen der gesamten Schattenwirtschaft in
Deutschland - so Friedrich Schneider von der Universität Linz - umfasste 2007 etwa 349 Milliarden Euro. 2006
waren es noch etwa 345,5 Milliarden Euro. Das sind
knapp 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts
und entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung von Baden-Württemberg. Rein rechnerisch stellt das circa
3 Millionen Vollzeitstellen dar. Ein Drittel davon wäre
laut Institut der deutschen Wirtschaft ({0}) in die legale
Wirtschaft als reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführbar.
Schwarzarbeit verhindert aber nicht nur sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, Schwarzarbeit untergräbt den Wettbewerb und ist Steuerhinziehung und Versicherungsbetrug zulasten aller ehrlichen Angestellten
und Unternehmer. Doch leider ist Schwarzarbeit ein
Massenphänomen, moralisch teilweise sogar schon akzeptiert und bis in den letzten Winkel der Republik verbreitet. Viele betrachten Schwarzarbeit als die Notwehr
des kleinen Mannes gegen zu hohe Steuern und Sozialabgaben. Grund hierfür: Das steile Brutto-Netto-Gefälle.
Zwei Drittel der Schwarzarbeiter führen überdies im
Hauptjob regulär ihre Steuern ab und werkeln erst nach
Feierabend im arbeitsrechtlichen Schattenreich. Dazu
kommt noch ein psychologischer Effekt: Je mehr
Schwarzarbeiter ein Mensch persönlich kennt, desto weniger verurteilt er Schwarzarbeit als unrechtmäßig. Die
vermeintliche Entschuldigung ist so einfach wie falsch:
Es mache ja schließlich jeder.
Um dieses Phänomen gezielt einzudämmen, wurde
2004 die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ({1}) gegründet. Sie sollte durch die Erfolge ihrer Ermittlungen neben
den Präventionseffekten auch 1 Milliarde Euro jährlich
der Staatskasse direkt einbringen. Doch der Behörde gelang es nicht einmal, ihre eigenen Kosten wieder reinzuholen. Der Grund ist offensichtlich: Bei den derzeitig bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten ist es abwegig, mit
dieser 7 000 Mann starken Einheit den rund 13 Millionen
Schwarzarbeitern das Handwerk legen zu wollen. Das
Urteil des Bundesrechnungshofes Anfang des Jahres fiel
hierzu dann auch eindeutig aus: „Der Gesetzgeber kann
nicht davon ausgehen, dass Schwarzarbeit an Attraktivität verloren hat.“
Schwarzarbeit - da sind sich alle einig - wird niemals
ganz verschwinden. Denn, wo der Anreiz da ist, unter der
Hand zu arbeiten und arbeiten zu lassen, wird es auch immer schwarze Schafe geben. Doch gerade das Volumen
der Schattenwirtschaft ist ein deutliches Anzeichen dafür,
inwieweit staatliches Handeln gerade in Bezug auf Abgaben und Regulierungen noch angemessen ist. Denn reduzierte man die Bürokratiedichte und damit die Kosten für
hiesige Unternehmen auf angelsächsisches Niveau, könnten 500 000 neue Jobs mit einer Wertschöpfung von bis zu
40 Milliarden Euro entstehen. So zumindest folgert das
Institut der deutschen Wirtschaft. Auch ermutigt die Tatsache, dass ein Handwerker heutzutage fünf Stunden arbeiten gehen muss, um sich eine reguläre Stunde seines
Kollegen leisten zu können, zu vorgeschichtlich anmutendem Tauschhandel nach dem Motto: Du reparierst mein
Auto, und ich pflastere Dir Deine Auffahrt.
Aus all den genannten Gründen haben wir infolgedessen diesen Gesetzentwurf formuliert, vor allem aber um
die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit leichter
und effizienter zu gestalten. Gerade für die von Schwarzarbeit besonders betroffenen Branchen sollen klare Regelungen eingeführt werden, die spätere Ausreden bezüglich des Arbeitsbeginns und Unklarheiten bei der
Identifikation unmöglich machen.
Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf
werden wir erreichen, dass künftig jeder neu eingestellte
Arbeitnehmer sofort zum Beginn des ersten Arbeitstages
bei der Sozialversicherung angemeldet sein wird. Die Sofortmeldung benötigt lediglich vier Angaben: erstens Familien- und die Vornamen, zweitens Versicherungsnummer, soweit bekannt, ansonsten Tag und Ort der Geburt,
Anschrift, drittens Betriebsnummer des Arbeitgebers und
viertens Tag der Beschäftigungsaufnahme.
Dass dies für einige Branchen nicht einfach werden
wird, möchte ich nicht verhehlen. Gerade in denjenigen
Arbeitsfeldern, in denen viel an Wochenenden und auf die
Schnelle Personal akquiriert werden muss - im Gaststättengewerbe, bei Messeaufbauten und natürlich auch bei
den Gebäudereinigern - entstehen Probleme, die nicht
einfach zu lösen sein werden. Hier baue ich darauf, dass
bei der Formulierung der „Gemeinsamen Grundsätze“
zu diesem Gesetz zwischen den beteiligten Ministerien
und den Spitzenverbänden der betroffenen Branchen
gangbare Lösungen gefunden werden. Jedenfalls macht
ein Gesetz nur dann Sinn, wenn es auch praktisch umsetzbar ist. Dies betrifft vor allem die Ausgestaltung der Sofortmeldung auf elektronischem Wege und womöglich die
Einrichtung einer Anlaufstelle zur telefonischen Annahme und Umsetzung der Sofortmeldungen. Die bisher
häufigste Ausrede bei Kontrollen jedenfalls, man habe
eben erst mit der Tätigkeit begonnen und die Meldung erfolge noch, zieht dann nicht mehr.
Weiterhin soll das ständige Mitführen von ausreichenden Ausweispapieren in den von Schwarzarbeit besonders betroffenen Wirtschaftsbranchen Pflicht werden. Es
hat sich nämlich gezeigt, dass der Sozialversicherungsausweis keine sichere Identifizierung der entsprechenden
Person gewährleisten kann. Dieser Umstand verzögerte
die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit enorm und
verhinderte eine schnelle und sachgerechte Feststellung
legaler bzw. illegaler Beschäftigung. Da auch hier trotz
der einzusehenden Notwendigkeit zu Beginn praktische
Probleme zu erwarten sind, appelliere ich an den Verordnungsgeber, die Bußgeldbewehrung in diesem Zusammenhang moderat und der Situation angemessen auszugestalten. In Berufsfeldern mit ständig wechselnden
Arbeitsorten, bei Tätigkeiten im Freien bei Wind und Wetter wird es insbesondere Beschäftigten aus Nicht-EUStaaten schwer fallen, ihre Ausweispapiere, deren Wiederbeschaffung äußerst umständlich ist, fortwährend parat zu halten. Gleichwohl ist die schnelle und genaue
Feststellung der Personalien für einen effizienten Einsatz
der Kontrolleure unabdingbar.
Um zudem das Abgleichen der erforderlichen Daten
zur Kontrolle fortwährend aktuell zu halten, werden in
Zukunft die Einwohnermeldedaten durch die entsprechenden Meldebehörden direkt und zentral an die Deutsche Rentenversicherung übertragen.
Dennoch sind alles in allem die Beratungen zu diesem
Gesetzentwurf leider nicht optimal gelaufen. Die Kürze
der parlamentarischen Beratung erscheint mir in Bezug
auf die Tragweite der Entscheidung nicht angemessen.
Meiner Auffassung nach wäre auch ein noch besseres
Einbinden der Spitzenverbände der betroffenen Wirtschaftszweige mit ihren Erfahrungen sinnvoll gewesen.
Die Bereitschaft der Verbände jedenfalls war und ist - im
eigenen Interesse, gegen Schwarzarbeit vorzugehen vorhanden.
Schließlich wird sich in den kommenden Jahren zeigen, inwieweit sich das Gesetz in seiner praktischen
Umsetzung als zielführend erweist. Hierauf müssen wir
besonderes Augenmerk legen. Immerhin sind die im Gesetzentwurf genannten Maßnahmen Ergebnis einer vorangegangenen Diskussion, die auch zu verschiedenen
Kompromissen geführt hat. So wurde auf die geplante
elektronische Überwachung von Registrierkassen generell verzichtet. Die Anzahl der Wirtschaftszweige, die als
von Schwarzarbeit besonders betroffen gelten, wurde von
16 auf 9 reduziert. Auch wurde die zuerst vorgesehene
tägliche Überprüfungspflicht der Mitführung von Personaldokumenten durch den Arbeitgeber durch eine einmalige Aufforderung ersetzt.
Um jegliche Möglichkeit einer späteren Ausrede bei
eventuellen Kontrollen zu vermeiden, wurde die Formulierung bei der Sofortmeldepflicht auf die Formel „spätestens bei Beschäftigungsaufnahme“ konkretisiert.
Fazit: Mit diesem Gesetzentwurf wollen wird den circa
7 000 Mitarbeitern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
konkrete Mittel in die Hand geben, um schnell und sichtbar Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen.
Dennoch wird uns eine generelle Eindämmung der
Schwarzarbeit erst dann gelingen, wenn wir zuvor die
grundlegenden Ursachen dieses Missbrauches bekämpfen. Dies kann als positiver Anreiz für Arbeitgeber und
Arbeitnehmer nur bedeuten: Runter mit den Kosten der
Arbeit und mehr Netto vom Brutto!
Zu Protokoll gegebene Reden
Mit der heutigen Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch
und anderer Gesetze sagen wir Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung in Deutschland den Kampf an. Wir beschließen heute sehr wichtige Maßnahmen, um gegen
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch stärker
und effektiver als bisher vorzugehen.
Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt, das man so
eben unter den Tisch kehren kann. Im Gegenteil:
Schwarzarbeit ist - um es sehr deutlich zu sagen - handfeste Wirtschaftskriminalität. Sie schadet dem Allgemeinwohl.
Was mich daran am meisten ärgert, ist, dass Schwarzarbeit selbst in einem so wirtschaftlich gut aufgestellten
Land wie Deutschland bei vielen Unternehmen, egal welcher Größenordnung, auf der Tagesordnung steht. Gerade die größeren Unternehmen ärgern mich dabei
besonders. Denn durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung werden legale Arbeitsplätze zerstört, werden
ehrliche Unternehmen geschädigt, und es wird unserer
Gesellschaft erheblicher Schaden zugefügt. Wir reden
hierbei über volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe, die durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung entstehen - Geld, das nicht nur den Sozialversicherungen fehlt, sondern auch Geld, das für die Schaffung
von neuen Arbeitsplätzen, für neue Investitionen in Bildung und Forschung oder für Familien nicht zur Verfügung steht. Darum bin ich stolz darauf, dass wir uns als
SPD durchsetzen konnten und mit dem vorliegenden Gesetz dazu beitragen, dass Schwarzarbeit sowie illegale
Beschäftigung in Deutschland weiter eingedämmt und
die Bekämpfung von Schwarzarbeit deutlich erleichtert
werden.
Für uns als SPD-Fraktion war es seit Beginn dieser
Wahlperiode ein entscheidendes Ziel, den Kampf gegen
die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung weiter voranzutreiben, die Instrumente zu verbessern und vor allem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in ihrer Arbeit zu
stärken. Mit dem vorliegenden Gesetz lösen wir unser
Versprechen ein. Sicherlich ist das Gesetz noch nicht der
letzte Schritt im Kampf gegen Schwarzarbeit, aber es ist
ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Die Praxis hat uns die derzeitigen Defizite aufgezeigt,
und wir haben sie aufgegriffen. Beispielsweise bei dem
Punkt der „Feststellung von Personalien bei Kontrolle“
vor Ort. Hier gab es bislang erhebliche Probleme. Die
eindeutige Identifizierung der angetroffenen Personen
durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit konnte nicht
immer vorgenommen werden, sei es aufgrund der Aktualität der Daten oder der Nichtmitführung von Dokumenten. Dass eine wirkungsvolle Aufdeckung von Schwarzarbeit aber nur erfolgen kann, wenn sich die
Kontrollierten auch ausweisen können, darüber besteht
sicherlich kein Zweifel. Daher wird mit dem Gesetz eine
Mitführungs- und Vorlagepflicht von Ausweisdokumenten eingeführt. Beschäftigten in Branchen, in denen ein
erhöhtes Risiko zu illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit besteht, müssen künftig Ausweisdokumente verbindlich mit sich führen und sich auf Verlangen auch ausweisen können.
Wir nehmen aber nicht nur die Arbeitnehmer in die
Pflicht, sondern auch die Arbeitgeber. Sie müssen künftig
ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben über die
Ausweispflicht nachweislich belehren und diese Unterweisung auch schriftlich belegen können.
Neben dieser Problematik hat sich in der Vergangenheit ein zweiter wesentlicher Punkt als schwierig dargestellt: die Meldung zur Sozialversicherung. Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, muss diese bisher nicht vor oder mit
Beginn der Beschäftigungsaufnahme erfolgen, sondern
erst mit der ersten Lohn- oder Gehaltszahlung. Dies kann
bis zu sechs Wochen dauern. Das Problem, das hierbei
bestand, war, dass Beamte der FKS oftmals bei Kontrollen zu hören bekamen: Ich habe erst heute mit der Arbeit
begonnen oder eine Meldung musste noch nicht erfolgen.
Damit konnte die Kontrollbehörde sehr oft nicht feststellen, ob eine Meldung bei der Deutschen Rentenversicherung vorlag bzw. noch erfolgt ist oder ob es sich um einen
illegal Beschäftigten handelte.
Die im Gesetz enthalte Neuregelung zur Sofortmeldepflicht bei Beschäftigungsaufnahme setzt eine klare Regelung. Die Kontrollbehörde kann mittels eines elektronischen Datenabgleichs zukünftig sofort überprüfen, ob es
sich um einen ehrlichen Arbeitgeber handelt, der ordnungsgemäß seine Arbeitnehmer sozialversichert, oder
nicht.
Zu dem Argument, so etwas kann gar nicht von den
Firmen geleistet werden bzw. was geschieht in dem Moment, in dem die Beschäftigungsaufnahme an einem
Sonntag oder Feiertag erfolgt: Dieses Argument kann ich
beim besten Willen und in Zeiten eines modernen Kommunikationszeitalters nicht nachvollziehen. Denn angesichts dessen, dass es heute in fast allen Unternehmen
möglich ist, Sofortmeldungen auch elektronisch vorzunehmen, und zum anderen den Unternehmen eine
automatische Ausfüllhilfe vonseiten der Einzugsstelle
kostenlos zur Verfügung gestellt wird, dürfte es für die Beauftragten vor Ort, die Arbeitsverträge abschließen, kein
Problem darstellen, dies ebenso einfach zu tun. Zudem
belasten sie den Arbeitgeber nicht über Gebühr. Im Gegenteil: Durch die Möglichkeit einer zügigen Kontrolle
werden auch sie entlastet. Zumal die umfangreiche Anmeldung, das heißt die Meldung aller Daten, wie bisher in
einem zweiten Schritt erfolgt: mit der ersten Lohn- und
Gehaltsrechnung nach Beschäftigungsbeginn.
Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang - das
dürfte auch im Interesse der Beschäftigten sein - ist die
Tatsache, dass mit dieser Sofortmeldung zugleich ein Zugriff der Leistungsträger, zum Beispiel der Unfallversicherungsträger, auf diese Daten ermöglicht wird, um so
eventuelle Ansprüche etwa bei Arbeitsunfällen geltend
machen zu können.
Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung der Übermittlung von Meldedaten durch die Meldebehörden an die
Deutsche Rentenversicherung. Dieser Punkt ist ebenso
wichtig für die Kontrolle vor Ort. Denn nur wer mit
aktuellen Angaben arbeiten kann, kann eine effektive und
Zu Protokoll gegebene Reden
schnelle Kontrolle sicherstellen. Dies wird aber nicht nur
die Arbeit der Beamten vor Ort erleichtern, sondern dies
wird auch den Unternehmen zugutekommen.
Diese von mir genannten Punkte waren für uns als
SPD-Fraktion von hoher Priorität: die sofortige Identitätsfeststellung durch die Mitführungspflicht von
Ausweisdokumenten, die Sofortmeldung sowie die Verbesserung der Übermittlung von Meldedaten. Zudem ermöglichen diese Maßnahmen auch eine effektivere Kontrolle von Mindestlöhnen in den Branchen nach dem
Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Dazu gehört, meine Damen und Herren von den Linken, natürlich auch der Baubereich. Denn was nützt es, Mindestlöhne in den Branchen einzuführen, wenn diese nicht wirksam überprüft
werden können?
Nicht zuletzt deshalb sehen wir als SPD-Fraktion in
diesen Maßnahmen einen ersten wichtigen Schritt, gerade auch in einer von Schwarzarbeit stark betroffenen
Branche wie der Baubranche die Einhaltung von Mindestlöhnen durchzusetzen und zugleich auch Schwarzarbeit zu bekämpfen. Denn die Kontrollinstanzen werden
in die Lage versetzt werden, die Kontrolle über die Einhaltung der Mindestarbeitsbedingungen, wie sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz der Branche vorsieht, auch
effektiv und wirksam durchzuführen.
Abschließend möchte ich aber noch auf eine weitere
Regelung in diesem Gesetzentwurf eingehen. Damit
komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von der
FDP-Fraktion. Sie haben einen Entschließungsantrag
formuliert, in dem Sie fordern, die im Gesetz vorgesehene
Neufassung der Befreiungsmöglichkeiten von der gesetzlichen Rentenversicherung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV
durch das vorliegende zweite SGB-IV-Änderungsgesetz
abzulehnen. Hier möchte ich mir doch eine Bemerkung
gestatten: Ich freue mich, dass Ihnen das so kurzfristig
eingefallen ist und Sie sich in Ihrer Fraktion so gut abstimmen. Nicht nur, dass wir diesen Punkt im Ausschuss
für Arbeit und Soziales ausführlich beraten und diskutiert
haben, nein, Sie haben selbst dem Änderungsantrag und
dem geänderten und jetzt vorliegenden Gesetzentwurf im
Ausschuss für Arbeit und Soziales am 3. November 2008
zugestimmt. Sie können dies gern nachlesen im 100. Protokoll des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Tagesordnungspunkt 3.
Nichtsdestotrotz möchte ich auf Ihre Forderung im
Entschließungsantrag nochmals eingehen. Meine Damen
und Herren von der FDP, Sie fordern eine Beibehaltung
der jetzigen Regelungen der Befreiungsmöglichkeiten
von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für Lehrer an nichtöffentlichen Schulen. Wir als SPD-Fraktion
teilen diese Auffassung nicht. Wie bereits gesagt, nicht
nur, dass wir uns im Vorfeld intensiv mit diesem wichtigen
Punkt und dem Anliegen der privaten Schulen auseinandergesetzt haben. Wir haben uns auch dafür eingesetzt,
dass über die ursprünglich im Gesetz geplante personenbezogene Vertrauensschutzbestimmung eine darüber hinausgehende Vertrauens- bzw. Bestandsschutzregelung
aufgenommen wird.
Uns war es wichtig, Rücksicht zu nehmen auf die bereits seit längerem von bestimmten Schulen für ihre beschäftigten Lehrer in Anspruch genommenen Alterseinrichtungen. Gerade auch, weil diese für das Fortbestehen
auf einen Neuzugang an Mitgliedern angewiesen sind.
Das bedeutet konkret, dass auch zukünftig Personen von
der Versicherungspflicht befreit werden können, die
durch solche Einrichtungen abgesichert werden: Personen, die zwar nicht die verschärften Voraussetzungen für
eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in der neuen
Fassung ab 1. Januar 2009 erfüllen, wohl aber die bisherigen Voraussetzungen für die Antragsbefreiung erfüllen.
Ich denke, hier haben wir einen sehr guten Kompromiss
im Sinne der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der
Schulen gefunden.
Ihre Anmerkung, man würde diese Lehrerinnen und
Lehrer nichtöffentlicher Schulen schlechter stellen, kann
ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Denn wir
sorgen jetzt dafür, dass sie auch im Krankheitsfall abgesichert sein müssen und ebenso einen Anspruch auf Beihilfe haben. Wo, meine Damen und Herren von der FDP,
stellen wir an dieser Stelle diese Lehrerinnen und Lehrer
schlechter? Das kann nur im Interesse der betroffenen
Lehrerinnen und Lehrer sein, um die es im Endeffekt hier
ja wohl geht: die soziale Absicherung von Beschäftigten.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes und den darin
enthaltenen Maßnahmen sind wir aber im Kampf gegen
die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch nicht
am Ende der Fahnenstange angekommen. Uns als SPDFraktion ist bewusst: Dies ist ein erster Schritt. Dies ist
aber auch ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Wir stärken die Kontrolle vor Ort. Für eine noch
bessere Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung müssen wir aber alle mit ins Boot holen.
Dazu gehören auch die Länder. Darum richte ich meinen
Appell an dieser Stelle insbesondere nochmals an die
Länder. Steigen Sie mit ein ins Boot und ermöglichen Sie
mehr Transparenz bei vereinnahmten Geldern und eine
bessere Verfolgung und Ahndung von aufgedeckten Straftaten. Unsere Vorschläge haben wir den Ländern bereits
mehrfach an anderer Stelle unterbreitet. Nun liegt es an
ihnen, dass wir gemeinsam noch besser und noch effektiver gegen Schwarzarbeit vorgehen können.
Erstens. Die FDP verurteilt Schwarzarbeit ohne Wenn
und Aber. Denn Schwarzarbeit schadet nicht nur der
Volkswirtschaft insgesamt, sondern benachteiligt ehrliche Arbeitnehmer und ehrliche Unternehmer gleichermaßen. Allein im letzten Jahr, 2007, sind in Deutschland
348 Milliarden Euro schwarz erwirtschaftet worden. Das
war ein Plus von 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der
Linzer Wissenschaftler Friedrich Schneider führt diesen
Anstieg übrigens auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer
zurück.
Zweitens. Zur effektiven Bekämpfung der Schwarzarbeit muss man deren Ursachen kennen und bekämpfen.
Ebenso entscheidend ist es, die Anreize zur Aufnahme
legaler Beschäftigung zu stärken. Und hier hat die Bundesregierung schlicht kontraproduktiv agiert: Steuererhöhung, Beitragssatzerhöhung in allen Bereichen der
Sozialversicherung außer bei der ArbeitslosenversicheZu Protokoll gegebene Reden
rung und die geplante Einführung von Mindestlöhnen
verstärken nicht die Anreize zur Aufnahme einer legalen
Tätigkeit, sondern befördern die Schwarzarbeit. Die ausufernde Bürokratie tut ein Übriges dazu.
Drittens. Die FDP-Fraktion wird effektive Maßnahmen zur Verhinderung von Schwarzarbeit unterstützen. In
der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf habe ich für
die FDP-Fraktion deutlich gemacht, dass wir die Maßnahmen Sofortmeldung und Mitführungspflicht von Ausweisdokumenten in schwarzarbeitgefährdeten Branchen
ausdrücklich begrüßen. Dies hat die FDP im Übrigen
schon länger gefordert. Im FDP-Antrag „Mehr Wettbewerb und Kapitaldeckung in der Unfallversicherung“ vom Oktober letzten Jahres - Bundestagsdrucksache 16/6645 - haben wir uns allerdings darauf
festgelegt, dass die Sofortmeldung an die jeweils zuständige Meldestelle, die Krankenversicherung, und nicht die
Rentenversicherung zu erfolgen hat. Dies hat den Vorteil,
dass den Arbeitgebern nicht noch eine zweite Meldeadresse für die Mitarbeiter vorgegeben wird und somit
zusätzliche bürokratische Strukturen geschaffen werden.
Sinnvoll ist auch die vorgesehene Aufbewahrungspflicht
des Arbeitgebers betreffend die einmalige schriftliche Belehrung der Arbeitnehmer über die Mitführungspflicht
der Personaldokumente.
Erwägenswert erscheinen mir auch die Hinweise des
Deutschen Anwaltvereins. Dies gilt insbesondere für Präzisierungen zur Vermeidung von Unsicherheiten. Zu
Recht hat der Deutsche Anwaltverein darauf hingewiesen, dass, wenn es bezüglich der Einführung der Sofortmeldepflicht Unklarheiten gibt, dies zu erheblichen Belastungen aller Beteiligten - Justiz, Unternehmen und
Verwaltung - führen kann.
Viertens. Zur Benachteiligung von freien Schulen gegenüber konfessionellen und staatlichen Schulen bei der
Gründung von Versorgungswerken: Die FDP hat zu den
im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zu den Versorgungswerken von Schulen in privater Trägerschaft einen
Entschließungsantrag eingebracht. Wir sehen keinen Anlass, weshalb es Lehrern an nichtöffentlichen Schulen
und Anstalten künftig nur noch dann möglich sein soll,
sich von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen, wenn sie entweder an
nichtöffentlichen Schulen beschäftigt sind, die vor der abschließenden Lesung des Gesetzentwurfs Mitglied einer
Versorgungseinrichtung geworden sind, oder die den verschärften Bedingungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI neuer
Fassung genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf schränkt
die Befreiungsmöglichkeit einer Vielzahl von Lehrern an
nichtöffentlichen Schulen unzulässig ein. Es sollen künftig nur solche Lehrer sich von der Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen können - Antragsbefreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 SGB VI für Lehrer und Erzieher an Privatschulen -,
die über eine beamtenähnliche Absicherung verfügen.
Dies ist aber bei Versorgungseinrichtungen privater
Schulen gerade nicht gegeben.
Hier sei auch darauf hingewiesen, dass Schulen in privater Trägerschaft, wie beispielsweise die Waldorfschulen, andere gewachsene Vergütungsstrukturen aufweisen.
Hinzu kommt, dass es die Finanzsituation den Schulen oft
nicht erlaubt, neue Vergütungsstrukturen einzuführen.
Die FDP fordert, auch künftig Lehrern den Eintritt in
solche Versorgungswerke ohne unüberwindbare Hindernisse zu ermöglichen. Diese Hürden sind nicht geeignet,
die Altersversorgung der betroffenen Lehrer und Erzieher
zu verbessern. Denn Versorgungswerke an nichtöffentlichen Schulen bieten bereits heute eine ausreichende bzw.
sehr gute Absicherung ihrer Lehrer. Durch das Entfallen
eigener Versorgungswerke und den Verweis auf die gesetzliche Rentenversicherung ist zu befürchten, dass
Schulen in privater Trägerschaft gegenüber staatlichen
Schulen benachteiligt werden, die eine Absicherung nach
Beamtenrecht vorsehen.
Bei den Beratungen im zuständigen Ausschuss am vergangenen Mittwoch wurde in diesem Zusammenhang seitens des Ministeriums darauf verwiesen, dass es seit 1995
die sogenannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher
Rentenversicherung einerseits und den Versorgungswerken andererseits gebe und hier nur eine Fortschreibung
erfolge. Dem ist entgegenzuhalten: Die im Gesetzentwurf
enthaltene Regelung ist nicht mit der sogenannten Friedensgrenze aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vergleichbar, mit
der festgelegt wurde, wer sich in berufsständischen Versorgungswerken statt in der gesetzlichen Rentenversicherung versichern lassen kann. Denn der Kammerzwang
der jeweiligen Berufsgruppe zum 1. Januar 1995, der in
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 a SGB VI als Voraussetzung für eine Befreiung von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung verankert ist, umfasste tatsächlich bereits vor 1994 alle Berufsgruppen der freien Berufe.
Durch diese Regelung sollte nur ausgeschlossen werden,
dass sich noch weitere Berufsgruppen zusätzlich zu den
bereits befreiten Berufsgruppen von der Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien
lassen. Es gilt aber, dass auch nach 1995 beispielsweise
von Ärzten, Anwälten und Architekten noch Versorgungswerke gegründet werden können. Entsprechend muss
auch weiterhin an nichtöffentlichen Schulen die Gründung von Versorgungswerken möglich sein.
Zum Antrag der Linken: Die in ihrem Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen taugen nicht zur Bekämpfung
der Schwarzarbeit. Die Maßnahmen sind ineffektiv, zu
bürokratisch, zu teuer. Und für mich der entscheidende
Punkt: Sie sind zum Teil schädlich und dazu angetan,
auch reguläre Arbeitsplätze zu vernichten. Es ist nicht
zielführend, ehrlichen Unternehmen zusätzliche bürokratische Belastungen aufzuerlegen, um die schwarzen
Schafe zu bekämpfen. Dadurch werden die seriösen Firmen mit zusätzlichen Kosten belastet. Wir brauchen effektive, unbürokratische und realistische Maßnahmen, um
illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit und Lohndumping
zu bekämpfen. Die Bauwirtschaft braucht keine neuen
Belastungen durch bürokratische Hürden.
Zur wirksamen Bekämpfung der Schwarzarbeit gehört, nach den Ursachen und Gründen dafür zu suchen.
Ein nicht unwesentlicher Grund ist die zu hohe Steuerund Abgabenlast, die mit dafür verantwortlich ist, dass
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nicht zurückgehen, sondern eher noch zunehmen. Die Kosten für leZu Protokoll gegebene Reden
gale Arbeit sind um ein Vielfaches höher als die für illegale Arbeit. Die Senkung der Lohnzusatzkosten ist
sicherlich das wirksamste Mittel zur Bekämpfung von
Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Dumpinglöhnen. Darüber hinaus ist ein flexibles Tarifrecht, damit
sich die Löhne an der Produktivität orientieren können,
dringend geboten.
Ideologisch motivierter Populismus ist der falsche
Weg und überaus schädlich. Deshalb lehnt die FDPFraktion den Antrag der Linken ab.
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind kein
Kavaliersdelikt, sondern ein absolut ernst zu nehmendes
Problem. Es kann nicht angehen, dass Unternehmen sogenannte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung als
Lohndumpingstrategie einsetzen, um die Zahlung von Tarif- und Mindestlöhnen zu umgehen. Diese Unternehmen
gefährden zigtausende reguläre Arbeitsplätze und schwächen die Sozialversicherungskassen. So zahlen wir am
Ende alle für den Extraprofit, den diese skrupellosen Unternehmen durch den Einsatz von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung herausholen. Das ist nicht hinnehmbar! Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung
endlich zwei wichtige Maßnahmen ergreift, die meine
Fraktion bereits vor der Sommerpause in dem Antrag
„Für eine wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen
den Mindestlohn im Baugewerbe“ gefordert hat. Die Verpflichtung zur Sofortmeldung zur Sozialversicherung und
die Mitführungspflicht von Personaldokumenten am Arbeitsplatz sind zwei wichtige Schritte, um die Kontrollen
zu vereinfachen und den Kampf gegen den Einsatz von
Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung zu effektivieren. Diese Maßnahmen reichen jedoch noch nicht aus.
Meine Fraktion stellt deshalb heute den Antrag „Für eine
wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen den Mindestlohn im Baugewerbe“ ebenfalls zur Abstimmung.
In der Baubranche gelten bereits seit Jahren Mindestlöhne. Und der Mindestlohn ist ein Erfolg! Er sorgt nicht
nur dafür, dass die Beschäftigten im Baugewerbe im Gegensatz zu Millionen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in anderen Branchen ein auskömmliches Einkommen haben. Er hat auch zehntausende Arbeitsplätze
erhalten. Da sind sich die Spitzenverbände der Bauwirtschaft und die IG Bauen-Agrar-Umwelt ({0}) einig.
Trotzdem gibt es immer wieder Verstöße gegen den Mindestlohn, oftmals durch den Einsatz von Schwarzarbeit
oder illegaler Beschäftigung.
Aber es gibt auch konkrete Vorstellungen zu wirksamen Gegenmaßnahmen. Meine Fraktion hat in Gesprächen mit Vertretern der Arbeitgeber und der IG BAU eine
Reihe praktikabler und wirksamer Maßnahmen für den
Schutz des Mindestlohns in der Baubranche identifiziert,
die Sie alle begründet in unserem Antrag wiederfinden.
Dazu gehört, dass die zuständige Kontrollbehörde „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ eine deutlich bessere
Sachmittelausstattung erhält und ihr Personal umgehend
auf 8 000 Stellen aufgestockt wird. Nur so wird sie in die
Lage versetzt, ihren umfassenden Kontroll- und Ahndungsaufgaben tatsächlich auch gerecht werden zu können. Und dazu gehört auch, dass die Sanktionen bei Verstößen so gestaltet und angewendet werden, dass sie auf
die Unternehmen eine deutlich abschreckendere Wirkung
entfalten. In diesem Sinn erwarten wir von der Verschärfung der Generalunternehmerhaftung und dem sofortigen
Ausschluss der Unternehmen, bei denen Verstöße gegen
Mindestlohnvorschriften oder der Einsatz von Schwarzarbeit oder illegaler Beschäftigung festgestellt werden,
deutliche präventive Effekte. Gehen Sie die weiteren
Schritte, die im Kampf gegen Schwarzarbeit und illegale
Beschäftigung notwendig sind! Sichern Sie den Mindestlohn im Baugewerbe! Stimmen Sie für unseren Antrag!
Schwarzarbeit bedeutet Steuerhinterziehung, Sozialversicherungsbetrug und Arbeitsplatzklau. Da, wo
Schwarzarbeit blüht, wird reguläre Beschäftigung verdrängt. Deshalb muss Schwarzarbeit ein Riegel vorgeschoben werden. Das hat auch etwas mit fairem Wettbewerb zu tun. Um Schwarzarbeit deutlich einzudämmen,
muss es vorbeugende Maßnahmen, effektive Kontrollen
und wirksame Strafen geben.
Im Ziel sind sich alle Fraktionen im Bundestag einig.
In der Frage, wie diese Ziele erreicht werden können,
liegen die Differenzen. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung halten wir auch nach den vorgenommenen Modifizierungen in wesentlichen Punkten nicht für praxistauglich. Darüber hinaus bleiben wichtige Bereiche, die zum
Abbau von Schwarzarbeit beitragen können, weiterhin
außen vor und werden von der Bundesregierung bisher
nicht in Angriff genommen oder sogar abgelehnt. Ich
möchte das an wenigen Beispielen erläutern:
Ja, eine Meldefrist von sechs Wochen bei der Sozialversicherung lädt geradezu zum Missbrauch ein. Die jetzt
vorgesehene Sofortmeldung bei der Sozialversicherung
ignoriert aber die Gegebenheiten in vielen Arbeitsbereichen, in denen kurzfristig an den Wochenenden und am
Abend eingestellt wird. Die betroffenen Unternehmen haben deshalb den Vorschlag gemacht, die Meldepflicht auf
den Beginn des ersten Werktages nach Beschäftigungsaufnahme zu legen. Das ist vernünftig. Die Union hat dies
bei der ersten Beratung auch so gesehen, aber es wurde
keine praxistaugliche Modifizierung des Gesetzentwurfes
vorgenommen.
Ja, die kontrollierten Personen auf den Baustellen, im
Gastgewerbe oder in Reinigungsfirmen müssen für die
Prüfer identifizierbar sein. Aber die Mitführung von Personaldokumenten bedeutet für viele Menschen, die in den
betroffenen Branchen beschäftigt sind, ein unzumutbares
Risiko. Ausländerinnen und Ausländer haben leider zu
Recht große Angst vor dem Verlust ihrer Papiere. Manchmal ist die Wiederbeschaffung schlicht unmöglich, und
aufenthaltsrechtliche Probleme sind die Folge. Auch hier
hatte die Union in der ersten Beratung angekündigt,
brauchbare Alternativen zu erarbeiten. Das ist aber nicht
geschehen.
Damit Schwarzarbeit wirksam unterbunden werden
kann, muss nicht nur die Kontrolle einfacher und besser
werden. Auch die Folgen für die Unternehmen, denen
Schwarzarbeit nachgewiesen wird, müssen spürbar und
Zu Protokoll gegebene Reden
abschreckend sein. Geldstrafen, die verhängt werden,
müssen auch gezahlt werden, und Unternehmen, die bei
Schwarzarbeit erwischt werden, müssen zukünftig von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden können. Wir
haben gestern über den Gesetzentwurf der Grünen zur
Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters debattiert. Ein solches Korruptionsregister brauchen wir
auch, um zu verhindern, dass Unternehmen, die auf
Schwarzarbeit setzen und so fairen Wettbewerb untergraben, bei der nächsten öffentlichen Auftragsvergabe wieder berücksichtigt werden. Die Einrichtung eines bundesweiten Korruptionsregisters ist auch dafür ein wirksames
Instrument, wurde aber von der Union bisher immer blockiert.
Insgesamt müssen die Rahmenbedingungen auf dem
Arbeitsmarkt so gesetzt werden, dass faire Löhne gezahlt
werden und dass legales Arbeiten attraktiv ist. Auch darum schlagen wir Mindestlohnregelungen vor, die die Besonderheiten in den einzelnen Branchen und Regionen
berücksichtigen, und auch darum fordern wir eine gezielte und deutliche Entlastung der unteren Einkommen
bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Letzteres bedeutet
für die Unternehmen eine deutliche Entlastung bei den
Lohnnebenkosten und für die Beschäftigten mehr Netto
vom Brutto. Damit wird Schwarzarbeit vorgebeugt.
Insgesamt ist das, was die Bundesregierung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vorgelegt hat, weder praxistauglich noch ausreichend. Darum lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind in
Deutschland nach wie vor verbreitet und fügen dem Gemeinwesen schweren Schaden zu. Die Bekämpfung der
Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung hat daher
- da weiß ich mich mit Ihnen allen einig - weiterhin hohe
Priorität.
Mit dem Aktionsprogramm „Recht und Ordnung auf
dem Arbeitsmarkt“ hat die Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen. Mit dem heute
zu beschließenden Gesetzentwurf werden wesentliche
Punkte des Pakets umgesetzt. In der Prüfungspraxis hatte
sich gezeigt, dass sich bei der Meldung zur Sozialversicherung Unklarheiten ergeben können, da die Meldungen
bisher nicht vor oder mit Beginn der Beschäftigung abzugeben sind, sondern mit der ersten Lohn- und Gehaltsabrechnung. So ist bisher eine abschließende Klärung des
Sachverhalts durch die Kontrollbehörden vor Ort vor allem dann nicht möglich, wenn eine Meldung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht oder noch nicht
vorliegt.
Ein weiteres Problem stellt bislang die Schwierigkeit
dar, Personalien festzustellen, um Personen, die überprüft werden sollen, eindeutig zu identifizieren. Mit den
Maßnahmen des vorliegenden Gesetzentwurfes werden
diese Probleme angepackt:
Maßnahme Nummer eins ist die Einführung der Sofortmeldepflicht spätestens bei Beschäftigungsaufnahme.
Sie ermöglicht es den Behörden, vor Ort schnell und zweifelsfrei festzustellen, ob das Beschäftigungsverhältnis der
Sozialversicherung gemeldet wurde. Liegt in den neun
Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Schwarzarbeit
und illegale Beschäftigung besteht, für einen Beschäftigten keine Meldung in der Stammsatzdatei der Rentenversicherung vor, ist das als ein klarer Hinweis auf Schwarzarbeit zu werten. Auch die Berufsgenossenschaften der
Unfallversicherung erhalten im Leistungsfall Zugriff auf
die Stammsatzdatei, um bei Schwarzarbeit den Arbeitgeber in Regress nehmen zu können.
Maßnahme Nummer zwei ist die Einführung einer Mitführungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumenten
bei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen in
den neun betroffenen Branchen. Schon heute müssen bei
der Überprüfung insbesondere ausländischer Arbeitnehmer Personaldokumente vorgelegt werden, um die betreffende Person eindeutig identifizieren zu können. In
Zukunft werden auch die Arbeitgeber mit in die Verantwortung genommen. Sie müssen ihre Beschäftigten
schriftlich über die Mitführungs- und Vorlagepflicht von
Personaldokumenten belehren. Diese Belehrung wiederum muss aufbewahrt und gegebenenfalls vorgelegt
werden können - andernfalls drohen Bußgelder.
Maßnahme Nummer drei zielt auf eine bessere Qualität der Anschriftendaten, die im Verdachtsfall einen eindeutigen Abgleich der Personendaten mit den Daten der
Versichertenkonten bei der Rentenversicherung ermöglichen. Aus diesem Grund erhalten die Träger der Deutschen Rentenversicherung über ihre Datenstelle zukünftig aktualisierte Anschriftendaten, die von den
Meldebehörden bei Geburt, Anschriftenänderung oder
im Sterbefall übermittelt werden. Mit dieser zentralen
Übermittlung der Anschriftendaten können die besonderen Meldungen der Arbeitgeber in den Fällen einer Anschriftenänderung entfallen.
Das vorgesehene Verfahren senkt die Bürokratiekosten
erheblich: Die Meldebehörden der Kommunen wie auch
die Rentenversicherungsträger werden um geschätzt
rund 180 Millionen Euro im Jahr entlastet - vor allem,
weil nach der Umstellung die bisher notwendigen, aber
kostspieligen Einzelaufklärungen entfallen.
Neben den skizzierten Maßnahmen zur Bekämpfung
der Schwarzarbeit sieht der vorliegende Gesetzentwurf
zwei Neuregelungen vor, die den Bereich der Altersvorsorge betreffen. Punkt eins betrifft die staatliche Förderung privater Altersvorsorge. Durch eine Ergänzung im
SGB XII unterstützen wir hilfebedürftige und dauerhaft
voll erwerbsgeminderte Personen beim Aufbau einer
Riester-Rente. Die Beiträge für eine solche Altersvorsorge werden durch die Sozialhilfe übernommen.
Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Regelung zur Begrenzung der Versorgungswerke für Lehrerinnen und Lehrer an Privatschulen. Eine Bestandsschutzregelung nimmt hier Rücksicht auf Einrichtungen, die
bereits seit längerem in Anspruch genommen werden und
für ihr Fortbestehen auf Neuzugänge angewiesen sind.
Durch diese Regelung sind auch die Ansprüche der Versicherten in diesen Versorgungswerken geschützt.
Zu Protokoll gegebene Reden
Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 36 a. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10903, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/10488 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10908.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltungen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die
Linke bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 36 b. Der Ausschuss für Arbeit
und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/10902, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/9594 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der
CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Investitionszulagengesetzes 2010 ({0})
- Drucksachen 16/10291, 16/10496 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 16/10886 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10917 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Alexander Bonde
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Simone Violka, SPD-Fraktion.
({4})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir sprechen heute über ein Förderinstrument, das eigentlich Erfolgsinstrument heißen müsste. In
19 Jahren gab es so manchen Versuch der Förderung.
Vieles war erfolgreich, anderes nicht. Aber das Investitionszulagengesetz gehört auf jeden Fall zu den gelungenen Versuchen.
Auch wenn es spät ist - ich hoffe, dass viele vor den
Fernsehern sitzen -, möchte ich die Gelegenheit nutzen,
mich bei den Unternehmerinnen und Unternehmern,
aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der
Gewerkschaft und ebenso bei den vielen zumeist ehrenamtlich arbeitenden Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern zu bedanken, die in den vergangenen
19 Jahren neben den finanziellen Mitteln das meiste zum
Aufbau Ost beigetragen haben.
Wir sprechen in dieser Zeit, so auch heute, über den
Aufbau Ost und den Stand der deutschen Einheit, und es
wird viel darüber geredet, was noch nicht so funktioniert. Aber ich halte es auch für wichtig, zu sagen, dass
vieles geschaffen wurde.
({0})
Ich will als Sächsin in diesem Zusammenhang auf Folgendes hinweisen: In den neuen Ländern haben wir insbesondere im Hinblick auf alternative Energien aus den
Chancen, die uns gegeben wurden, unglaublich viel gemacht. Ich erinnere nur an Solarworld in Freiberg und an
Roth & Rau in Hohenstein. Inzwischen sind in Ostdeutschland viele gute und neue Unternehmen ansässig,
bei denen viele Menschen in Lohn und Brot stehen und
die den Menschen in der Region eine Perspektive geben.
Wer sich Gedanken darüber macht, ob es überhaupt
einen idealen Zustand gibt bzw. wann er erreicht ist,
muss ehrlich sein und sagen: Einen idealen Zustand gibt
es in Deutschland nirgendwo, weder im Osten noch im
Westen noch im Norden noch im Süden. Das hat etwas
mit Entwicklung zu tun. Natürlich hatten wir im Osten
des Landes erst einmal viel nachzuholen; das ist nach
wie vor so. Allerdings ist bei uns auch viel passiert. Ich
möchte nicht darüber nachdenken, in welchem Zustand
sich zum Beispiel unsere Kanalisation heute befinden
würde, hätte es die Wende und die folgenden Investitionen nicht gegeben.
({1})
Als ich ein Kind war, gehörten massive Rohrbrüche vor
allen Dingen im Winter zum täglichen Bild. Wenn
manch einer einwendet, dass das vielleicht etwas mit
dem Klimawandel zu tun hat, und darauf hinweist, dass
die Winter heute nicht mehr so hart wie früher sind,
muss ich sagen: Ich glaube nicht, dass dies die Gründe
sind; denn damals lag vieles im Argen. Es fand ein unglaublicher Raubbau an der Substanz statt, dessen Folgen erst einmal bewältigt werden mussten. Wer glaubt,
19 Jahre hätten ausreichen müssen oder können, um diesen Rückstand wettzumachen, der sollte einmal intensiv
darüber nachdenken, dass dieser Rückstand sozusagen
40 Jahre Zeit hatte, sich aufzubauen.
Zu den Ursachen dieses Rückstands gehören nicht nur
der Raubbau an Material und zum Teil am Menschen,
sondern auch, dass bewusst kein Mittelstand zugelassen
wurde, dass innovativen Betrieben, die sich hätten erweitern können, die Verstaatlichung drohte, sobald sie
eine gewisse Mitarbeiterzahl überschritten, sodass in
diesem Bereich praktisch keine Entwicklung stattfand.
Man kann nicht davon ausgehen, dass Menschen, die
40 Jahre lang unter solchen Rahmenbedingungen einen
Betrieb führen mussten, von heute auf morgen zu hervorragenden Unternehmern werden, die sich darüber
hinaus - das kommt noch hinzu - in einem neuen System zurechtfinden mussten, was sie schlicht und ergreifend nicht konnten, weil ihre Lebensbedingungen dies
nicht hergaben. In Anbetracht dessen muss man wirklich
sagen: Es ist super, was die Leute aus dieser Situation
gemacht haben.
({2})
Ich möchte noch einmal auf den Faktor Zeit zu sprechen kommen. Ich sage immer: Das ist wie beim Abnehmen. Zu viele Kilos hat man schnell drauf. Will man
aber nachhaltig und vor allen Dingen auf gesunde Art
und Weise wieder schlank werden, dauert das seine Zeit. Wie beim Abnehmen muss man auch beim Aufbau Ost
von Zeit zu Zeit überprüfen, welche Maßnahmen gut
sind und deshalb fortgesetzt werden sollten und welche
inzwischen nicht mehr zeitgemäß und somit „ungesund“
sind.
Die Investitionszulage, die wir heute in zweiter und
dritter Lesung beraten, hat sich als gutes Instrument erwiesen und sich bewährt. Deshalb ist es gut und richtig,
dass sie auch nach 2009 weiterhin zur Verfügung steht.
Natürlich hat auch dieses Gesetz Schwächen. Wenn
man ehrlich ist, muss man sich allerdings fragen: Welches Gesetz hat denn keine Schwächen? Ich bin politisch
nicht bereit, ein Gesetz, von dem Menschen profitieren,
wegen ein paar Schwächen, die in keinem Verhältnis zu
seinen Stärken stehen, preiszugeben.
({3})
Zu den Schwächen dieses Gesetzes gehören nach wie
vor die Mitnahmeeffekte. Mitnahmeeffekte gibt es allerdings überall, wo gefördert wird. Man kann sie nicht verhindern, ohne die Menschen, die auf das Gesetz angewiesen sind, ihrer Existenz zu berauben. Dem gegenüber
stehen Rechtssicherheit, Schnelligkeit und vor allen Dingen eine unbürokratische Abwicklung. Diese Aspekte
haben dieses Förderinstrument so beliebt gemacht. Das
sind Stärken, die wahrlich nicht jedes Förderinstrument
vorweisen kann. Daher ist sehr zu begrüßen, dass es mit
dem jetzt zu verabschiedenden Investitionszulagengesetz 2010 ein Nachfolgegesetz für das Investitionszulagengesetz 2007, welches Ende des Jahres 2009 ausläuft, gibt, welches die Förderung auch nach 2009 möglich macht und die geförderten Maßnahmen bis 2013 sicherstellt.
Trotz aller Freude will ich nicht verschweigen, dass
das nicht selbstverständlich war, nicht wegen der Einstellung der Bundesrepublik zu diesem Gesetz, sondern
wegen Brüssel. Schon als es um das Investitionszulagengesetz 2007 ging, waren intensive Verhandlungen in den
zuständigen Brüsseler Stellen, die diesem Förderinstrument eher skeptisch gegenüberstanden und ihm nach wie
vor skeptisch gegenüberstehen, notwendig. Mein Dank
gilt an dieser Stelle all jenen, die das jetzt zur Abstimmung stehende Gesetz durch intensive Gespräche und
durch Überzeugungsarbeit in den Verhandlungen in
Brüssel ermöglicht haben.
({4})
Das war natürlich nicht ohne Kompromisse machbar.
Eine Forderung aus Brüssel war die Festschreibung eines Endpunktes der Förderung und eines degressiven
Verlaufs der Fördersätze. Dieser Forderung wird durch
die Ausgestaltung des vorliegenden Investitionszulagengesetzes 2010 Rechnung getragen. Allerdings haben wir
im Ausschuss deutlich gemacht, dass für uns in dieser
Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Sollte 2011 festgestellt werden, dass die Wirtschaftskraft
im Fördergebiet noch immer weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt, muss die Degression noch einmal auf
den parlamentarischen Tisch und auf ihre Notwendigkeit
hin überprüft werden.
({5})
Dadurch haben wir für den Osten viel gewonnen. Anstatt
den Zugeständnissen nachzuweinen, sollten wir bis 2013
das Beste daraus machen.
Dank dem Entgegenkommen Brüssels wird mit dem
Investitionszulagengesetz 2010 auch die Förderlücke abgeschafft werden können. Das wird möglich, weil die
Europäische Kommission am 6. August 2008 eine Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung verabschiedet
hat, wonach eine Förderung von kleinen und mittleren
Unternehmen im D-Fördergebiet, also in Berlin, weiterhin möglich ist. Vorher war eine Förderung in diesem
Gebiet auf bis Ende 2008 begonnene Investitionsvorhaben beschränkt. Dadurch wurde ein nahtloser Übergang
der Förderung für alle Gebiete ermöglicht.
Neu ist auch, dass kleine Unternehmen jetzt stärker
gefördert werden. Für Erstinvestitionen bei kleinen Unternehmen beträgt die Investitionszulage 20 Prozent der
Bemessungsgrundlage, und für mittlere Unternehmen
beträgt sie zukünftig 10 Prozent. Auch damit wird einer
Forderung aus Brüssel Rechnung getragen.
Aufgrund der Fördersummen haben wir alle Chancen
auf weitere gute Ergebnisse. Neben anderen Förderinstrumenten wollen wir auch mit diesem Gesetz weiter
Unterstützung leisten. Durch die Beträge wird deutlich,
dass es sich bei dieser Unterstützung um ganz schöne
Brocken handelt und nicht um kleine Möhrchen, von denen heute früh schon gesprochen wurde.
Durch die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes wird es zu folgenden Förderungen kommen: Im
Jahre 2011 sind es über 550 Millionen Euro, im
Jahr 2012 über 770 Millionen Euro, im Jahr 2013 über
540 Millionen Euro, im Jahr 2014 über 315 Millionen
Euro, und im Jahr 2015 sind es wegen der degressiven
Ausgestaltung, die 2011 aber noch einmal überprüft werden soll, noch einmal 90 Millionen Euro.
Das Investitionszulagengesetz 2010 ist ein gutes Gesetz. Es ist eine gute Nachricht für die Unternehmer
- vor allem aus Mittelstand und Handwerk -, die diese
Förderung bereits in der Vergangenheit gern und oft in
Anspruch genommen haben. Es werden natürlich noch
weitere Mittel freigesetzt, weil mit jedem Euro Fördergeld natürlich auch Eigeninvestitionen verbunden sind,
was gerade in dem Bereich der mittelständischen und
kleinen Betriebe zu unglaublich großen Kräften für die
heimische Wirtschaft führt.
Wir haben uns im Verfahren aber nicht nur mit der
Degression, der Förderlücke und den Fördersummen beschäftigt, sondern auch die Forderungen und Wünsche
der verschiedenen Verbände und Unternehmerinnen und
Unternehmer angehört und sie, wenn es ging, auch berücksichtigt. Soweit es möglich und politisch gewollt
war, ist es gelungen, dementsprechende praxisnahe Veränderungen herbeizuführen. Beispielhaft möchte ich die
konstruktiven Vorschläge des Zentralverbands des Deutschen Handwerks nennen. Einigen der zentralen Punkte
ihres Wunsches auf Veränderung konnten wir folgen,
und ich bin mir sicher, dass diese Veränderungen in unser aller Interesse sind.
Wir stimmen heute über ein gutes Gesetz ab, das hilft,
Deutschland in Gänze und damit die ostdeutschen Länder im Besonderen weiter nach vorne zu bringen. Deshalb fordere ich Sie auf: Machen Sie mit, stimmen Sie
zu, und schaffen Sie in den neuen Bundesländern bis
2013 weitere Chancen, damit wir die deutsche Einheit
endlich auch auf wirtschaftlichem Sektor vollenden können!
({6})
Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Sie zu so später Stunde noch hiergeblieben sind! Die
FDP wird dem Investitionszulagengesetz 2010 zustimmen. Wir halten dies nach wie vor für wichtig. Der Aufholprozess in den neuen Bundesländern ist nicht abgeschlossen. Es gibt nach wie vor die Situation, dass vor
allem die kleinen und Kleinstunternehmen in den neuen
Bundesländern Schwierigkeiten haben, über ihre Eigenkapitalausstattung Investitionen zu finanzieren. Hier war
die Investitionszulage in den letzten Jahren ein sicherer
und kalkulierbarer Faktor, der gerade jetzt, da man angesichts der Finanzmarktkrise, in der wir uns befinden,
über den wirtschaftlichen Abschwung nachdenken muss,
im Osten stabilisierend wirken und dadurch weiterhin
dazu beitragen kann, dass Investitionen im Mittelstand
getätigt werden.
Gleichwohl - das muss man an dieser Stelle auch sagen - könnte man die Rede auch mit den Worten „Alle
Jahre wieder“ beginnen; denn das Investitionszulagengesetz ist ein Gesetz, dessen Gültigkeit alle zwei Jahre verlängert wird. Damit wird ein Stück weit auch gezeigt,
wie schwierig es ist, eine einmal gewährte Subvention
wieder abzubauen.
Der Kollege Hettlich hat es in seiner letzten Rede gesagt: Es gibt keine wirklich sinnvolle Untersuchung darüber, ob die Investitionszulage zu den Effekten und Erfolgen geführt hat, die wir alle konstatieren.
({0})
Zu einem Erfolg hat sie geführt: Sie hat zumindest dazu
geführt - das habe ich schon in der letzten Rede zu
diesem Thema angeführt -, dass das Finanzministerium
in Mecklenburg-Vorpommern staatsanwaltschaftlich durchsucht wurde, weil dort jahrelang Missbrauch mit Kerngebietsbescheinigungen betrieben wurde, was zu einem
entsprechenden Abfluss von Investitionszulagen auf
durchaus unberechtigter Weise geführt hat. Insofern
muss man sich - wenn man das Gesetz alle zwei Jahre
verlängert - die Frage stellen, ob es langfristig so weitergehen kann. Auch wenn man nicht an den Solidarpakt II,
zu dem das Gesetz gehört, herangehen möchte, ist es
fraglich, ob die Investitionszulage letzten Endes das erreicht, was wir uns davon versprechen.
Gleichwohl käme die Diskussion jetzt zum falschen
Zeitpunkt. Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt geführt
werden müssen, wenn wir die wirtschaftlichen Krisenzeiten, die jetzt auf uns zukommen, hoffentlich erfolgreich überstanden haben. Die mittelständischen Unternehmer in den neuen Bundesländern brauchen die
Investitionszulage. Vor diesem Hintergrund stimmt die
FDP dem Gesetzentwurf zu.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Große Koalition arbeitet auf vielen Gebieten reibungslos zusammen, so auch auf dem Gebiet der Investitionszulage. Das zeigt sich auch daran, dass die Kollegin
Violka mehr oder weniger meine Rede vorgetragen hat.
Wir haben unabhängig voneinander mehr oder weniger
denselben Text verfasst. Ich kann mich deshalb auf ei20128
nige zusätzliche Anmerkungen beschränken und darf im
Interesse der anwesenden Kollegen verkünden, dass ich
keineswegs gedenke, die Redezeit voll auszuschöpfen.
Ich möchte mit dem Dank an die Bundesregierung beginnen. Wir beschließen die Nachfolgeregelung für das
Investitionszulagengesetz 2007. Die Bundesregierung
hat frühzeitig auf der Kabinettsklausur im letzten August
in Meseberg das Investitionszulagengesetz bis 2013 auf
den Weg gebracht. Herr Schauerte, Herr Diller, vielen
Dank namens meiner Fraktion.
({0})
Die Kollegin Violka hat ausgeführt, dass wir im Osten
viele Erfolge erzielt haben. Wer vor 20 Jahren in der
ehemaligen DDR war und heute dieselben Städte und
Landschaften besucht, wird diese in jeder Hinsicht nicht
wiedererkennen. Wir haben teilweise den Westen in einigen Bereichen nicht nur eingeholt, sondern auch überholt. Wenn man auf der A 4 von Dresden nach Frankfurt
fährt, dann wird man feststellen, dass in Thüringen die
Autobahn sechsspurig ist. In Hessen verengt sie sich auf
einmal auf vier Spuren, obwohl es dort nicht weniger
Verkehr gibt. Wir haben auch die Pflegeheime, Krankenhäuser und den gesamten Bereich der öffentlichen Infrastruktur ganz wesentlich auf Vordermann gebracht.
Nichtsdestotrotz gibt es noch Schwachpunkte beim
Aufbau Ost. Ein Schwachpunkt ist sicherlich die gewerbliche Wirtschaft. Uns fehlen noch nach wie vor
selbstständige Unternehmen. Wir haben nur einen größeren Unternehmenssitz im Osten Deutschlands. Das ist
ein Defizit. Deshalb sind - das ist auch durch Zahlen belegt - die Wachstumsraten im Osten Deutschlands leider
seit einigen Jahren wieder niedriger als im Westen. Auch
die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor doppelt so hoch.
Der Abwanderungstrend setzt sich leider weiter fort.
Deshalb halten wir von der CDU/CSU-Fraktion das Investitionszulagengesetz 2010 für notwendig.
Das Fördergebiet umfasst die östlichen Länder. Begünstigte Wirtschaftszweige sind das verarbeitende Gewerbe, produktionsnahe Dienstleistungen und das Beherbergungsgewerbe. Der Investitionszeitraum umfasst
die Zeit bis zum 31. Dezember 2013. Der Fördersatz ist
degressiv, von 12,5 Prozent im Jahr 2010 bis 2,5 Prozent
im Jahr 2013. Das Investitionsvolumen beträgt 550 Millionen Euro im Jahr 2011, 770 Millionen Euro in 2012,
540 Millionen Euro in 2013, 315 Millionen Euro in 2014
und weitere 90 Millionen Euro in 2015.
Damit komme ich zu der scharfen Degression, die das
Investitionszulagengesetz 2010 enthält. Auch darin sind
wir uns einig, liebe Simone Violka: Wir sind froh über
die Fortführung des Investitionszulagengesetzes, aber
wir bedauern etwas die scharfe Degression, die im Widerspruch zu der Tatsache steht, dass der Osten noch
nicht so richtig aufholt und wir dieses Instrument deshalb weiter brauchen.
Aus aktuellem Anlass möchte ich noch auf Folgendes
hinweisen: Wir machen uns dieser Tage Gedanken über
ein Konjunkturprogramm, das einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten soll. Es macht angesichts dessen
wenig Sinn, die Mittel für ein bewährtes Konjunkturprogramm wie die Investitionszulage zurückzufahren und
damit möglicherweise 200 Millionen Euro im Jahr einzusparen. Das sollte man vielleicht bedenken. Wir sind
deshalb froh, dass die Koalitionsfraktionen - Simone
Violka hat das schon vorgetragen - in ihrem Bericht Folgendes formuliert haben - ich darf das zitieren -:
Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregierung auf, dem Finanzausschuss im Jahre 2011 über
die wirtschaftliche Situation im Fördergebiet zu berichten, damit bewertet werden kann, ob die Investitionszulage tatsächlich 2013 auslaufen oder doch
darüber hinaus verlängert werden soll.
So lautet die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses.
Ich möchte bereits auf den letzten Redner in dieser
Debatte eingehen, obwohl ich deine Rede noch gar nicht
kenne, lieber Kollege Peter Hettlich.
({1})
Du hast vorhin in der Debatte zur deutschen Einheit geäußert, dass den Koalitionsfraktionen dieser Punkt offenbar nicht so wichtig sei, weil sie nicht redeten. Das war
falsch. Wir haben geredet. Du siehst mich doch hier am
Rednerpult stehen. Du wirst gleich möglicherweise beklagen, dass wir diese Debatte zu so später Stunde führen. Das liegt aber an eurem morgigen Parteitag, auf den
wir Rücksicht nehmen. Sicherlich hätte man morgen zu
einer besseren Zeit über diesen Punkt diskutieren können. Du wirst möglicherweise auch beklagen, dass die
Investitionszulage durch andere Instrumente ersetzt werden soll. Ich meine aber - darin stimmen wir mit der
SPD überein -, dass das ein unbürokratisches Förderinstrument ist. Es wird angenommen. Wenn du mit den
Vertretern der Wirtschaft vor Ort sprichst - wir beide haben denselben Wahlkreis -, dann wirst du feststellen,
dass das nach wie vor das beliebteste Förderinstrument
ist.
Abschließend darf ich mich bei allen Beteiligten, der
Bundesregierung, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
im Finanzausschuss sowie den Kollegen, bedanken, die
dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Wir haben
damit einen kleinen weiteren Baustein zur inneren Einheit gelegt und wünschen diesem Gesetz viel Erfolg.
Vielen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist angesichts der
aktuellen Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten und deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft
leider anachronistisch. So empfinde ich im Übrigen viele
von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe,
gerade mit ihren Konsequenzen für die ostdeutschen
Bundesländer. In diesem Fall aber und angesichts eines
parallel durch die Bundesregierung geplanten Konjunkturprogramms zur Abfederung der Wirtschaftskrise stellt
sich die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des
Gesetzesvorhabens noch dringlicher.
Warum? Das Gesetz selbst regelt eine Fortführung der
Investitionsförderung in den neuen Bundesländern über
das Jahr 2009 hinaus. Das begrüßen wir, ebenso wie der
Bundesrat. Der vorliegende Entwurf verstetigt einerseits
die Trennung zwischen Ost und West, ignoriert jedoch
andererseits die aktuelle Entwicklung in Richtung einer
schweren und wahrscheinlich lang anhaltenden Phase
ökonomischer Rezession. Angesichts dessen - und solange im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse postuliert wird - ist es politisch geradezu
fahrlässig, die Investitionszulage für die neuen Bundesländer ab 2009 kontinuierlich abzusenken, um sie dann
nach 2013 auslaufen zu lassen.
({0})
Um es ganz deutlich zu sagen: Natürlich unterstützt
die Linke die weitere Förderung. Gleichzeitig setzt sie
sich jedoch gegen die Einstellung der Investitionszulage
nach 2013 ein, weil man sich damit eines Instruments
zur Förderung des Mittelstandes in den neuen Bundesländern beraubt; denn aktuell ist dieses Mittel umso
dringlicher und kann von den im Rahmen des Konjunkturprogramms der Bundesregierung geplanten Förderungsmaßnahmen für den Mittelstand nur flankiert werden. Niemand wird bezweifeln, dass die besondere
Förderung des ostdeutschen Mittelstandes notwendig ist,
um den neuen Bundesländern zu dem selbsttragenden
Aufschwung zu verhelfen, von dem die Große Koalition
immer redet. Eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit,
kaum Forschung und Entwicklung, die Verfestigung prekärer Arbeitsverhältnisse sowie ein geringeres Lohnund Rentenniveau sprechen eine deutliche Sprache.
Nun trifft es ja zu, dass aufgrund des ökonomischen
Wandels auch in den alten Bundesländern strukturschwache Regionen mit ähnlichen Problemen entstanden
sind, die auch staatlicher Hilfe bedürfen. Diese aber zulasten der ostdeutschen strukturschwachen Regionen zu
gewähren, spricht einer nachhaltigen Politik Hohn. Hier
wird offensichtlich Ost gegen West bei der Wirtschaftsförderung ausgespielt.
Apropos sozial: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass
durch die Kürzung der Investitionszulage und die Neuaufteilung der Gelder zwischen Ost und West irgendeiner strukturschwachen Region wirklich geholfen werden
kann. Die bestehenden und anwachsenden Probleme lassen sich durch die allgemeine Ausdünnung des Förderniveaus ganz bestimmt nicht sinnvoll und nachhaltig lösen. Dass die Bundesregierung statt eines langfristigen
und finanzpolitisch nachhaltigen Engagements jeden finanzökonomischen Unsinn mitmacht, ist die Steuerzahler leider schon mehr als teuer zu stehen gekommen.
Dass diese Regierung die schwächeren Regionen, gleich
ob in Ost oder West, perspektivisch ihrem Schicksal
überlässt, wird die Menschen auch noch teuer zu stehen
kommen. Dass Sie dann noch versuchen, diesen von Ihrer Politik mehrfach benachteiligten Menschen ein X für
ein U vorzumachen, zeugt schlichtweg von schlechtem
politischem Stil.
Da wir als Fraktion Die Linke eine Förderung von Investitionen in den neuen Bundesländern nicht ablehnen,
das vorliegende Gesetz aber für unzureichend halten,
werden wir uns enthalten.
Ich danke.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter
Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Erst einmal muss ich sagen: Lieber Manfred
Kolbe, ich freue mich ausdrücklich, dass wir diese Debatte führen; ich werde mich nicht beklagen. Wir waren
uns darin einig, dass wir in der letzten Legislaturperiode
öfter auch um ein oder zwei Uhr hier geredet haben. Das
hat sich ein bisschen verändert. Neue Jahre, neue Sitten.
Wie gesagt, ich freue mich ausdrücklich und bedanke
mich bei den Kollegen, dass sie noch zu so später Stunde
hier im Saal sind.
({0})
Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Deswegen
habe ich auch gesagt, wir sollten darüber diskutieren;
denn die Investitionszulage, die Frage der Verlängerung
und die Frage, wie es nach 2013 weitergeht, sind Dinge,
die meine Fraktion schon sehr lange bewegen. Ich bin
seit sechs Jahren Sprecher der AG Ost. Das Thema Wirtschaftsförderung stand natürlich von Anfang an bei uns
im Zentrum. Wir haben uns im Rahmen dieses Themas
auch länger mit der Frage auseinandergesetzt, wie es eigentlich weitergehen soll. Ich glaube, wir sind uns in der
Analyse des Aufholprozesses in Ostdeutschland einig.
Wir wissen, dass wir eine ganze Menge erreicht haben,
und das wird, so glaube ich, von keinem hier im Haus
negiert. Aber wir wissen natürlich auch, dass wir von einem Erfolg dieses Aufholprozesses, den wir eigentlich
mit dem Solidarpakt gestalten wollten, und von der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West noch
ein Stück entfernt sind. Wenn wir uns die Zahlen ansehen - die haben wir heute Nachmittag bei der Debatte
zum Stand der deutschen Einheit genannt -, dann sehen
wir, dass wir noch einen Riesenweg vor uns haben. Wir
müssen einfach konstatieren, dass uns die letzten zehn
Jahre da nicht unbedingt weitergebracht haben.
Insofern muss man sich über die Sinnhaftigkeit der
Förderinstrumente Gedanken machen. Ich finde, dass
man das Recht haben muss, auch ein Instrument wie die
I-Zulage von einer anderen Seite zu beleuchten und teilweise auch infrage zu stellen. Lieber Kollege Ahrendt, in
der ersten Rede - die zu Protokoll ging - haben wir auf
die Probleme der Fehlverwendung und auf die Rückforderungen in einigen Bundesländern hingewiesen. Ich
habe eben von Ihnen sehr interessante Aspekte über
Mecklenburg-Vorpommern erfahren.
Für mich ist es wichtig, die Botschaft zu senden. Wir
haben den Solidarpakt II, der aus zwei Körben besteht,
nämlich dem Korb I und dem Korb II. Der Korb I umfasst quasi die Barmittel für die Bundesländer, die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, und der Korb II,
aus dem die Investitionszulage und auch die Gemeinschaftsaufgabe Ost letztendlich gespeist werden, ist gedeckelt. Er hat ein Volumen von 51 Milliarden Euro, von
denen wir laut den Statistiken des Finanzministeriums
bis heute etwa 16 Milliarden Euro ausgegeben haben.
Somit bleiben 35 Milliarden Euro für die letzten zehn
Jahre des Solidarpakts II übrig. Wir müssen uns also vergegenwärtigen, dass wir das Geld, das wir dem Korb II
entnehmen - dazu gehört auch die I-Zulage -, möglichst
effizient einsetzen müssen. Deswegen kann man nicht
einfach so mit Jubelfanfaren auftreten, sondern man
muss überlegen, ob das an der Stelle wirklich sinnvoll
ist.
Wenn wir die Probleme in Ostdeutschland betrachten, dann müssen wir feststellen, dass wir einen Teil
unserer Klientel eigentlich nicht erreichen, auch nicht
mit der I-Zulage; denn die I-Zulage bekommt nur derjenige, der Kapital hat, um Investitionen zu tätigen. Der
bekommt dann über die I-Zulage einen Zuschuss. Es gibt
aber viele kleine, mittelständische und Kleinstunternehmen in Ostdeutschland, die ganz andere Probleme haben. Ich nenne als Beispiel das klassische Problem der
Mittelstandsfinanzierung, also die Frage der Liquidität.
Das ist eine eminent wichtige Frage, die sich gerade in
Zeiten der Finanzmarktkrise stellt.
Wir sind der Meinung, dass uns die I-Zulage an dieser
Stelle nicht weiterhilft. Unabhängig von den Fragen der
Fehlverwendungen haben wir immer gesagt, dass die
Gemeinschaftsaufgabe Ost aus unserer Sicht sinnvoller
ist. Das bedeutet natürlich mehr Bürokratie und mehr
Arbeit. Deswegen ist sie auch nicht so beliebt. Aber wir
wissen uns auf der Seite der wirtschaftswissenschaftlichen Institute und der Sachverständigen.
Ich kann mich noch an die letzte Debatte in diesem
Hause vor etwa drei Jahren erinnern. Damals hat mir die
Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU zugestanden, dass dieses Instrument nicht so toll ist, wie es auf
den ersten Blick immer erscheint. Der Diskussionsprozess ist in allen Fraktionen offensichtlich vorangeschritten; insofern hat sich die Position der CDU/CSU hin zur
Zustimmung entwickelt.
Ich erinnere mich auch an das, was Jan Mücke im
Ausschuss zur Frage des Beherbergungsgewerbes gesagt
hat. Aufgrund seiner Erfahrungen in Dresden hat er berichtet: Liebe Leute, die Förderung des Beherbergungsgewerbes in Dresden über die I-Zulage führt zu einer
Fehlallokation. Dann haben wir eine Kleine Anfrage an
die Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung hat
uns geantwortet: Wir können Ihnen dazu nichts sagen,
weil wir das nicht evaluieren.
({1})
- Ja.
Ich wollte nur sagen: Das ist aber das Problem. Insofern begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag des Finanzausschusses, sich 2011 über das Thema Instrumente zu
unterhalten.
Ich muss jetzt nicht mehr sagen. Meine Redezeit ist
auch abgelaufen.
({2})
Sie kennen unsere Position - wir haben sie auch in der
ersten Beratung dargelegt; da hat sich bei uns nichts geändert -: Wir werden dieses Gesetz ablehnen. Ich bitte
um Verständnis dafür, dass wir es für sinnvoller halten,
die Mittel an anderen Stellen einzusetzen, beispielsweise
bei Innovationen, Bildung und Forschung. Wir sähen es
lieber, wenn die Gelder aus Korb II dort verwendet würden. Damit könnten wir gut leben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Investitionszulagengesetzes 2010. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10886, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10291 und 16/10496 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis
wie in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes
- Drucksache 16/9415 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeldund Elternzeitgesetzes
- Drucksache 16/10118 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
- Drucksache 16/10689 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Caren Marks
Jörn Wunderlich
Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke vor.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Ingrid Fischbach, CDU/CSU, Dieter Steinecke, SPD, Ina
Lenke, FDP, Jörn Wunderlich, Die Linke, Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10689,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 16/9415 anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und FDP und bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis
wie in zweiter Beratung angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/10118 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10830. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
1) Anlage 19
über den Zugang zu digitalen Geodaten ({1})
- Drucksachen 16/10530, 16/10580 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- Drucksache 16/10892 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Horst Meierhofer
Sylvia Kotting-Uhl
Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ulrich
Petzold, CDU/CSU, Gerd Bollmann, SPD, Horst
Meierhofer, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Sylvia
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Wissen ist Macht. Wenn alle Macht vom Volke ausgehen
soll, ist es zwingend notwendig, den Zugang zu Wissen so
demokratisch wie nur irgend möglich auszugestalten. Es
wird allerhöchste Zeit, dass wir im Informationsbereich
mehr Demokratie einführen.
Lassen Sie mich von einem Gespräch berichten, das
ich vor wenigen Tagen in Vorbereitung auf die heutige Lesung in einem Landesamt für Geoinformationen geführt
habe. Ein leitender Mitarbeiter erzählte mir, dass ihn sein
Nachbar vor kurzem gebeten hatte, Informationen zur
Größe und Bebauung eines Grundstückes zu besorgen,
das er zu kaufen beabsichtigte. Dieser leitende Mitarbeiter des früher als Katasteramt benannten Amtes setzte
auch alle Hebel in Bewegung, um die Informationen zu
erhalten. Er holte Genehmigungen ein, sah Akten ein. Als
er schließlich nach einigen Tagen freudestrahlend ob seines Ergebnisses bei seinem Nachbarn erschien, zuckte
der nur mit den Schultern und entgegnete: Das, was ich
brauchte, habe ich mir schon längst über Google besorgt.
Werkzeuge und Daten sind dort alle vorhanden, und es
hat mich nichts gekostet.
Nun will ich nicht behaupten, dass wirklich alle Daten
so leicht erreichbar wären, doch vieles von dem, was einige Ämter nur mit großem Aufwand herausrücken, Informationen, um die man ewig kämpfen muss, sind längst
aus dem Internet beziehbar. So wäre es dann gar nicht
notwendig, diese Daten von Amts wegen in das Netz zu
stellen? Doch. Amtliche Daten sind nun einmal amtliche
Daten mit einer großen Zuverlässigkeit, und amtliche Daten gehören nun einmal auch auf die Datenplattform, auf
die sie hingehören. Es kann nicht sein, dass nur der an
Daten herankommt, der entweder ein Ratefuchs ist oder
aber hoch versiert am Computer arbeiten kann. Zur Demokratie gehört auch ein einfacher Zugang zu Daten. Gerade wir als Abgeordnete müssten das nachvollziehen
können, werden wir doch auch manchmal regelrecht mit
Daten zugeschüttet. Ich habe den Eindruck, dass das hin
und wieder mit Absicht geschieht.
Also könnte man sagen voll und ganz rundum zufrieden? Ein paar Sorgen bleiben schon noch. In § 12 des
heute zu beratenden Gesetzes sind auch Zugangsbeschränkungen zu Daten geregelt. Dazu wird auf die §§ 8 und 9 des
Umweltinformationsgesetzes verwiesen. Jedoch bleibt die
Frage, ob das geistige Eigentum an Geodaten richtig geschützt ist. Selbstverständlich wird auch immer ein Interesse der Öffentlichkeit an Geodaten vorhanden sein, an
denen geistiges Eigentum besteht. Die datenverwaltenden
Behörden werden dann in der Zwickmühle des öffentlichen
Interesses stehen. Geht dann im Einzelfall das öffentliche
Interesse über das Interesse des Schutze am geistigen Eigentum? Hier stehen Urheberrecht und Umweltinformationsgesetz meiner Auffassung nach unberührt nebeneinander, sodass ich die Mitarbeiter der Behörden nur
bedauern kann.
Diese Zwickmühle wäre dann einfacher zu lösen, wenn
eine Einvernehmensregelung des jeweiligen Amtes mit
dem Dateneigentümer, in welcher Form auch immer, gegeben wäre. Die Bundesregierung hat sich eine breite
Verordnungsermächtigung im Gesetz gegeben. Da in § 14
des GeoZG auch eine Verordnungsermächtigung zu
Durchführungsbestimmungen nach Art. 5 Abs. 4 der
Richtlinie enthalten ist, die die Durchführung der Zugangsbeschränkung regeln kann, kann meine Sorge noch
behoben werden. Es muss jedoch dann in einer Verordnung
klar zum Ausdruck kommen, dass Geodaten, an denen
Dritte Rechte des geistigen Eigentums haben, der Öffentlichkeit nur mit Zustimmung dieses Dritten zugänglich
gemacht werden dürfen. Die Aufhebung der Zugangsbeschränkung zu geistigem Eigentum Dritter sollte nicht
im freien Ermessen von Behörden liegen.
§ 13 spricht Geldleistungen und Lizenzen für Geodaten an. So grundsätzlich richtig solche Gebühren sind,
dürfen sie doch auch nicht dazu führen, dass Personengruppen aus finanziellen Gründen von Informationen ausgeschlossen werden, die für sie wichtig sind. Ich erwarte
hier eine klare Abgrenzung zur kommerziellen Nutzung.
Auch wenn wir der juristischen Argumentation der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme
des Bundesrates folgen, sehe ich vom Rechtsgefühl her
den Streit des Bundesrates mit der Bundesregierung in
der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der zu erlassenden Verordnungen nach § 14 durch den Bundesrat als unbefriedigend.
Nicht von der Hand zu weisen ist, dass von dem vorliegenden Gesetz in großem Umfang auch Geodaten betroffen sein werden, die bei Länderbehörden gespeichert
sind. Wie Geodaten haltende Stellen des Bundes ohne
beständige Mitarbeit von Länderverwaltungen ihrer Informationspflicht nachkommen wollen, erschließt sich
mir noch nicht vollständig. Auch wenn die Geobasisdaten
als Kernkompetenz der Länder ausdrücklich auf Wunsch
der Länder in § 5 Abs. 1 aufgenommen wurden, sehe ich
doch auch eine nationale Geodateninfrastruktur immer
vor unserem föderalen Hintergrund und damit eine Involvierung der Länder.
Wie soll gemäß § 10 ein nationales Lenkungsgremium
des Bundes und der Länder Verantwortung für die Organisation der nationalen Geodateninfrastruktur tragen,
wenn nach § 14 die Bundesländer bei der Verordnungsermächtigung zum Beispiel zu Zugangsbeschränkungen
nach Art. 13 der Richtlinie und damit bei einem wesentlichen Teil der Organisation außen vor sind? Wenn es um
die Organisation der nationalen Geodateninfrastruktur
geht, macht eine alleinige Verordnungskompetenz des
Bundes bei Verantwortung eines gemeinsamen Lenkungsgremiums des Bundes und der Länder keinen Sinn. Wer
haftet für fehlerhafte, unvollständige oder falsche Geodaten, wer haftet für unberechtigt herausgegebenes
geistiges Eigentum? Alles das lässt mich zu dem Schluss
kommen, dass hier endlich Kooperation statt Konfrontation zwischen Bund und Ländern angesagt ist.
Die von anderen Fraktionen gestellte Frage nach dem
ausreichenden Schutz von personenbezogenen Daten erledigt sich dadurch, dass auch der in vielen Fragen sehr
kritische Bundesbeauftragte für den Datenschutz das Geodatenzugangsgesetz geprüft und für zulässig in dieser
Frage befunden hat. Deshalb können wir den Antrag der
FDP ohne weitere Bedenken ablehnen.
Zusammenfassend darf ich für meine Fraktion ausführen, dass es höchste Zeit für die Umsetzung der Richtlinie
war und dass wir trotz einiger Bedenken dem Gesetz
zustimmen werden. Wir erwarten jedoch, dass sich die
Bundesregierung gegenüber den Bundesländern kooperativ verhält, und gleichzeitig erwarten wir natürlich das
gleiche kooperative Verhalten der Länder, wenn es um die
Zulieferung von Geodaten und die Organisation dieser
Zulieferung geht.
Geschätzte 80 Prozent der Entscheidungen, die wir im
öffentlichen wie auch im privaten Leben treffen, haben einen räumlichen Bezug. Sei es der Ausflug am Wochenende, die Wahl eines Firmenstandortes oder Wohnsitzes,
die Überlegung, ob eine Geothermieanlage rentabel ist
oder welche Energieeffizienzmaßnahmen sinnvoll sind,
allen diesen Fragen liegen räumliche Überlegungen zugrunde. Doch bisher war es nicht immer möglich oder zumindest mit Aufwand und Kosten verbunden, Zugang zu
diesen entscheidenden Daten zu erlangen. Mit der sogenannten INSPIRE-Richtlinie, die das Europäische Parlament und der Rat im März des vergangenen Jahres erlassen habe wurde dem Problem auf europäischer Ebene
begegnet. Die Richtlinie sieht die Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft
vor.
Mit der heutigen Beratung über den Entwurf eines
Gesetzes über den Zugang zu digitalen Geodaten setzen
wir die europäische Richtlinie in nationales Recht um.
Das Geodatenzugangsgesetz regelt den Zugang zu und
die Nutzung von Geodaten der öffentlichen Verwaltung.
Zukünftig müssen harmonisierte Geodaten und Metadaten der öffentlichen Verwaltung aus dem Themenbereich
der europäischen Umweltpolitik über entsprechende
Geodatendienste für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft
und Verwaltung öffentlich verfügbar bereitgestellt werZu Protokoll gegebene Reden
den. Dritten wird die Möglichkeit eingeräumt, ihre Daten freiwillig in das System einzupflegen. Durch die Vereinfachung des Zugangs zu und der Nutzung dieser
Daten werden wir endlich in der Lage sein, das Wertschöpfungspotenzial dieser Daten zu erschließen.
Die Daten müssen dabei interoperabel sein. Um diese
Interoperabilität - sowohl auf lokaler, regionaler wie
auch auf nationaler Ebene - zu gewährleisten, wurde eine
enge Verbindung zu der im Aufbau befindlichen Geodateninfrastruktur hergestellt. Die europäische
INSPIRE-Richtlinie berücksichtigt und unterstützt sogar
die seit 2004 in Deutschland unternommenen Aktivitäten
zum Aufbau einer Geodateninfrastruktur.
Ob die Suche nach Rohstoffen oder die Planung von
Rettungseinsätzen, ob Daten für Navigationssysteme
oder den Verkehr im Allgemeinen, das vorliegende Gesetz
wird all dies wirtschaftlicher und einfacher machen.
Geodaten kommt eine immense Bedeutung zu: Dies
gilt auch und gerade für den Umweltbereich. Ohne eine
seriöse Datengrundlage kann man weder sagen, ob sich
die Gewässerqualität verbessert oder verschlechtert hat,
noch, ob der Biotopschutz wirkt oder wie es um die biologische Vielfalt steht.
Als jemand, der aus seinem Wohnzimmerfenster direkt
auf die Donau schauen kann, weiß ich zudem, wie wichtig
es ist, bei Hochwasser schnell europaweit abgestimmte
Reaktionen treffen zu können. Je einfacher die hierfür relevanten Geodaten über die nationalen Grenzen hinweg
verfügbar sind, umso besser. Die Brüssler INSPIRERichtlinie setzt genau hier an. Geoinformationen, die für
die Umwelt bedeutsam sind, sollen Behörden und Öffentlichkeit europaweit zugänglich gemacht werden. Das ist
konsequent, und auch wir Liberale finden das prinzipiell
gut.
Was macht die Bundesregierung aus den Brüssler Vorgaben? Anders als Brüssel beschränkt sich das deutsche
Gesetz nicht auf die umweltrelevanten Geodaten. Das
kann man machen. Die deutsche „Geodatenlandschaft“
ist schließlich verwirrend und zersplittert genug. Aber:
Gerade dann, wenn man sich für diese „große“ - weil
über umweltrelevante Daten hinausgehende - Lösung
entscheidet, darf der Datenschutz nicht so stiefmütterlich
behandelt werden, wie es beim Entwurf des BMU den Anschein hat. Auch Geodaten können schließlich personenbezogene Daten sein, auch in diesem Gesetz.
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal klarstellen: Anders als die Bundesregierung gestern im Ausschuss sind wir Liberale sehr wohl der Meinung, dass
auch die von dem Gesetz erfassten Geodaten Personenbezug haben können. Oder was bitteschön - wenn nicht
personenbezogen - ist die „Lokalisierung von Grundstücken anhand von Adressdaten“? Auch bei der sogenannten Orthofotografie sehe ich ab einem gewissen Maßstab
und Auflösungsgrad Personenbezug. Wir wissen sehr
wohl, dass private Unternehmen zum Teil noch sehr viel
detaillierter solche Daten erheben. Aber das entbindet
den Gesetzgeber nicht davon, dem Datenschutz einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Ohne einen sinnvollen Datenschutz ist der öffentliche, europaweite Zugang
zu Geodaten für uns deshalb indiskutabel.
Wir sind der Meinung, das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung muss auch in diesem Gesetz angemessen berücksichtigt werden. Aber genau da haben wir noch
unsere Zweifel. Den Behörden die Entscheidung aufzuhalsen, wann und in welchem Umfang die angefragten
Daten herausgegeben werden dürfen, halten wir weder
für sachgerecht noch für tatsächlich praktikabel. Immerhin geht es jetzt nicht mehr nur um gelegentliche Einzelanfragen, wie das beim Umweltinformationsgesetz der
Fall war und auf das das Geodatenzugangsgesetz verweist, sondern um den Massenabruf, und das europaweit.
Wir Liberale sind deshalb der Meinung: Hier ist der
Gesetzgeber gefragt. Eine gewisse Vorfestlegung durch
den Gesetzgeber, ob und in welchem Ausmaß personenbezogene Daten betroffen sein können, erleichtert den
Vollzug und macht das Gesetz für die Betroffenen nicht
ganz so willkürlich. In diesem Zusammenhang halten wir
vor allem ein Ampelsystem, das die Geodaten je nach
Personenbezug in die Kategorien Rot, Gelb und Grün
einteilt, und je nach Kategorie unterschiedliche Zugangsbedingungen bereithält, für sinnvoll. In unserem Entschließungsantrag haben wir deshalb die Bundesregierung aufgefordert, das jetzige Gesetz zurückzuziehen und
ein neues, das vor allem dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung angemessen Rechnung trägt, zu
erarbeiten.
Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Zu
dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesentwurf enthalten wir uns.
Vermutlich wissen nur wenige, was genau Geodaten
eigentlich sind. Man könnte sie als digitale Karten bezeichnen. Dadurch wird der große Unterschied zu echten
Karten aber eher verschleiert als erhellt. So können Geodaten in mehr als zwei Dimensionen dargestellt werden.
Und Sie können zeitliche Entwicklungen abbilden. Konkreten Gebieten lassen sich durch die digitale Verfügbarkeit auch viel mehr Informationen zuordnen, als man auf
einer einzelnen Karte darstellen könnte. Und Geodaten
kann man in Geoinformationssystemen bearbeiten.
Die EU hat in der INSPIRE-Richtlinie nun festgelegt,
dass Geodaten europaweit zentral verfügbar gemacht
werden sollen und dass die Daten dafür bestimmten Standards unterliegen müssen, damit sie europaweit einheitlich nutzbar sind. Das ist zu begrüßen.
Geodaten an sich sind genauso neutral wie alle anderen Daten auch. Die Frage ist hier wie dort, wer was mit
den Daten machen kann, bzw.: Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?
Warum ist der Datenschutz bei Geodaten überhaupt
wichtig? Dazu muss man sich vor Augen halten, dass
Geodaten eben nicht immer „irgendwas mit Umwelt“ zu
tun haben, wie viele vielleicht denken. Geodaten liefern
Informationen über die räumliche Verteilung aller möglichen Aspekte. Das sind natürlich auch umweltbezogene
Zu Protokoll gegebene Reden
Informationen wie die Verteilung landwirtschaftlicher
Flächen, der Bodenbeschaffenheit, der Verteilung und
Anzahl des Vorkommens geschützter Arten und Biotoptypen. All das kann gespeichert werden. Wie gesagt, mit
Geodaten kann man viele sinnvolle Sachen machen.
Da es in Deutschland leider keine bundesweite und
einheitliche Erfassung aller Flächen mit rechtlichen Bindungen zugunsten des Naturschutzes und der Landschaftspflege gibt, ist es aus dieser Sichtweise mehr als
wünschenswert, Geodaten zentral verfügbar zu machen
und einheitliche Standards einzuführen. Eine solche „Datenbank der Natur“ könnte für Deutschland und Europa
sehr große Dienste dabei leisten, den Anforderungen im
Naturschutz durch den Klimawandel und den dadurch bedingten Lebensraumveränderungen für Pflanzen und
Tiere besser gerecht werden zu können.
Geodaten sind aber weit mehr als das. Geodaten sind
auch Informationen über die Verteilung von Krankheiten,
Armut, Arbeitslosigkeit, den Anteil von Migrantinnen und
Migranten. Wenn man solche Daten wissenschaftlich
nutzt, können auch die sehr nützlich sein.
Im Umweltausschuss haben wir direkt im Anschluss an
die Beratung dieses Gesetzes über die auffällige Häufung
von Kinderkrebsfällen in der Umgebung von Atomkraftwerken gesprochen. Wenn alle Kinderkrebsfälle als Geodaten vorliegen würden, könnte man die mit den Informationen über die Standorte von Atomanlagen kombinieren,
die Wahrscheinlichkeit der zufälligen räumlichen Übereinstimmung berechnen - und so sehr leicht wichtige Informationen gewinnen.
Die räumliche Verteilung von Krebs, Lungenentzündungen und anderen Krankheiten kann aber auch für
ganz andere Zwecke genutzt werden. Ich sage dabei bewusst „kann“ und nicht „wird“. Es „kann“ aber sein,
dass Krankenkassen ein großes Interesse an solchen Daten entwickeln. Das „könnte“ dann dazu führen, dass
Menschen, die da wohnen, wo viele Menschen bestimmte
Krankheiten haben, nicht mehr in eine Krankenkasse aufgenommen werden oder zumindest einen Risikoaufschlag
zahlen müssten. Und es „kann“ auch sein - in den USA ist
das durchaus üblich -, dass sich Banken dafür interessieren, wo man wohnt. Wohnt man in einer Gegend, in der
viele Menschen arm oder arbeitslos sind oder einen Migrantionshintergrund haben, dann bekommt man vielleicht keinen Kredit mehr oder nur mit einem Zinsaufschlag. Wollen wir das? Die Linke will das nicht. Wir
wollen nicht, dass man aufgrund seines Wohnortes diskriminiert werden kann. Das ist ein Grund, warum wir dieses Gesetz ablehnen.
Der andere ist, dass sich viele Daten direkt personenbezogen zuordnen lassen. Die Schranken für den Zugang
zu diesen Daten sind unzureichend. Für die Bereitstellung
amtlicher Geodaten sowohl nach der europäischen Richtlinie als auch nach deutschem Verfassungsrecht ist der
Schutz personenbezogener Daten angemessen zu gewährleisten.
Der Gesetzentwurf leistet das aber nicht. Er sieht eine
Anwendung der Schutzvorschriften des Umweltinformationsgesetzes vor. Darin heißt es, dass die Abgabe personenbezogener Daten nur dann eingeschränkt wird, wenn
die schützwürdigen Interessen Betroffener „erheblich beeinträchtigt“ werden. Der Leiter des schleswig-holsteinischen Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz
schlägt für das Landesgesetz ganz andere Formulierungen vor. Danach sollte bereits dann der Antrag auf Zugang zu Geodaten abgelehnt werden, wenn die Interessen
Betroffener „beeinträchtigt“ würden. Vor allem aber sollen die Betroffenen vor der Freigabe der Daten informiert
oder angehört werden. All das sieht der Gesetzentwurf
der Bundesregierung eben nicht vor.
Die Anwendung des Umweltinformationsgesetzes ist
zudem auch unpassend. Es regelt den Zugang Einzelner
zu Informationen von allgemeinem Interesse. Der Zugang
zu Geodaten meint auch das. Er kann aber auch das genaue Gegenteil bedeuten, dass nämlich staatliche Stellen
und sogar die Wirtschaft Informationen über Einzelne erhalten.
Auch nach der INSPIRE-Richtlinie soll die Zugangsmöglichkeit eingeschränkt werden, wenn dies nachteilige
Auswirkungen auf die Vertraulichkeit personenbezogener
Daten haben kann. Das leistet der Gesetzentwurf der
Bundesregierung aber nicht. Deswegen lehnen wir dieses
Gesetz ab. Die Risiken überwiegen bei diesem Gesetz leider die vielfältigen Chancen. Es eröffnet dem Missbrauch
durch die Wirtschaft Tür und Tor. Und es bietet keinen
ausreichenden Schutz davor, dass Daten über einzelne
Personen in Hände gelangen, in die sie nicht gehören.
Die FDP zeigt eine praktikable Lösung auf, wie der Datenschutz gewährleistet werden kann. Wenn die Bundesregierung einen vernünftigen Gesetzentwurf vorlegt
hätte, dann hätten wir dem mit Freude zugestimmt.
Dieses Gesetz ist ein beredtes Beispiel dafür, wie man
ein wichtiges und berechtigtes Anliegen so blamieren
kann, dass auch Befürwortern der öffentlichen Zugänglichkeit von Geodaten eine Unterstützung nicht möglich
ist. Blamiert haben Sie das Anliegen durch Ihr völliges
Unverständnis für das Bedürfnis nach informeller Selbstbestimmung. Die Große Koalition hat schon viele Beispiele geliefert, dass sie kein Gespür für das Bedürfnis
der Bevölkerung nach dem Schutz der eigenen Daten hat,
zuletzt beim BKA-Gesetz, aber auch bei den Terrorismusgesetzen.
Beim vorliegenden Entwurf des Geodatenzugangsgesetzes geht es darum, digitale räumliche Daten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit der an dieser
Stelle ausdrücklich von uns begrüßten stärkeren Einmischung des Staates in die Informationswelt des Internet
werden Standards für die Qualität und Nutzbarkeit von
verschiedensten geografisch abbildbaren Daten gesetzt.
Damit werden die ohnehin in den Verwaltungen vorhandenen und mit Steuergeldern erhobenen und archivierten
Informationen nun auch miteinander verknüpft der breiten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. In Form von datenunterlegten Karten können sie allen für eine bessere
Planung von Maßnahmen und Vorhaben dienen. Der Zugriff auf flurstücksgenaue und zuverlässige Daten durch
den Aufbau der Geodateninfrastruktur in Deutschland
- und nicht nur durch die bisher marktführenden privaten
Zu Protokoll gegebene Reden
Anbieter - wird aus grüner Umweltsicht ausdrücklich begrüßt.
Ein grünes Kernanliegen ist es aber auch, die Persönlichkeitssphäre zu schützen und den „gläsernen Bürger“
zu verhindern. Würde der Gesetzentwurf nur halb so viel
zur Datensicherheit wie zur Frage der Kostenregelung
und angemessenen Geldleistungsforderungen beinhalten
oder wenigstens Aussagen im Umfang des europaweit unterschiedlich gehandhabten geistigen Eigentumsrechts
umfassen, wären unsere Bedenken kleiner. Stattdessen
wird der Datenschutz nicht geregelt und unter Verweis
auf das Umweltinformationsgesetz ({0}) abgetan. Während die Entscheidung nach dem UIG auf eine Einzelfallabwägung zugeschnitten ist, richtet sich dieser Entwurf
zur Umsetzung der europäischen INSPIRE-Richtlinie nun
auf einen Massenabruf von Daten.
Auch beim UIG ist der Schutz personenbezogener Daten nur dann vorgesehen, wenn die Interessen der Betroffenen „erheblich“ beeinträchtigt werden. Beim UIG wird
aber wenigstens im Einzelfall durch die Behörden abgewogen. Im Ergebnis senkt das Geodatenzugangsgesetz
das Schutzniveau der Daten stark ab. Damit haben es die
Teile der Wirtschaft, die schon in der Vergangenheit großes Interesse an Geodaten hatten, wesentlich leichter, das
von den Grünen kritisierte Geoscoring noch schneller
durchzuführen und auch zielgenauer zu nutzen. Wer also
beispielsweise im „falschen“ Viertel wohnt, bekommt
künftig zum Beispiel vielleicht keinen Kredit mehr, weil
sich die Einzelfallprüfung für die Kreditinstitute nicht
lohnt.
Folglich unterstützen wir den Entschließungsantrag
der FDP mit der Forderung nach Überarbeitung und
Neuvorlage des Gesetzes bis April nächsten Jahres. Der
Entschließungsantrag stützt sich auf die Argumentationslinie der Grünen, die Datenfreigabe zu differenzieren.
Dazu sollen die Ergebnisse der sogenannten Ampelstudie
berücksichtigt werden. Die vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein im Auftrag
der Kommission für Geoinformationswirtschaft am
22. September 2008 vorgelegte Studie wurde bisher von
der Koalition ignoriert. Wir lehnen folglich den vorgelegten Entwurf des Gesetzes aus Datenschutzgründen ab,
hoffen aber, dass eine längst überfällige Regelung noch
vor der Umsetzungsfrist der EU die staatlichen Umweltdatendienste befördert.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10892,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10530 und 16/10580 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10909. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Personal der Bundesagentur für Außenwirtschaft ({0})
- Drucksachen 16/10293, 16/10664 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1})
- Drucksache 16/10883 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Erich Fritz,
CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD, Ulrike Flach, FDP,
Ulla Lötzer, Die Linke, Dr. Wolfgang StrengmannKuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Die Bundesrepublik Deutschland besitzt ein anerkannt
gutes Außenwirtschaftsinstrumentarium. Der verschärfte
globale Wettbewerb aber fordert eine bessere Vernetzung
der Aktivitäten. Deshalb setzt die Bundesregierung auf
ein neues Konzept zur effizienteren Gestaltung der Instrumente der Außenwirtschaftsförderung. Aus dem uns heute
hier vorliegenden Gesetz über das Personal der Bundesagentur für Außenwirtschaft ({0}) geht hervor, dass die
für die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen Informationen für das In- und Ausland zuständige BfAI und die
für das Standortmarketing zuständige Invest in Germany
GmbH ab 1. Januar 2009 zu einer neuen, privatrechtlich
organisierten Gesellschaft zusammengelegt werden sollen.
Aufgabe der neuen Gesellschaft mit dem Namen „Germany - Trade and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ ({1}) ist der
Aufbau eines schlagkräftigen Netzwerkes aus Außenwirtschaftsförderung und Standortmarketing auf Bundesebene. Die neue Gesellschaft wird künftig nicht nur
Dienstleistungen für deutsche Exporteure erbringen, indem sie Informationen über ausländische Märkte zur Verfügung stellt, sondern auch ausländische Unternehmen
als Investoren in Deutschland anwerben und beraten.
Warum ist das nötig? Wir erhoffen uns von dem neuen
Konzept mehr Schlagkraft in der Außenwirtschaftsförderungs- und Standortpolitik. Mit beispielsweise mehr als
140 unterschiedlichen Förderprogrammen auf Bundes20136
und Länderebene zur Unterstützung allein des Mittelstandes im Ausland sind Zweifel erlaubt, ob das derzeitige
Konzept seine Ziele auch wirklich erreicht.
Mit der bevorstehenden Zusammenführung wird keine
Änderung in der Außenwirtschaftsförderpolitik des
Bundes bezweckt. Auch die Unabhängigkeit des BfAIKorrespondentennetzes wird nicht angetastet. Die Korrespondenten sollen weiterhin neutrale und objektive Informationen über Marktchancen für die mittelständische
Wirtschaft liefern. Zugleich können sie von den Branchenkenntnissen und Kontakten der bisherigen Invest in
Germany als zusätzlichem Input profitieren.
Noch sind nicht alle Konflikte ausgeräumt. Der Prozess der Integration der verschiedenen Instrumente unter
ein Dach wird kompliziert. Dies gilt auch hinsichtlich der
Beschäftigten der BfAI, deren Beamtinnen, Beamten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer laut vorliegendem
Gesetzentwurf dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ({2}) zugeordnet werden und gleichzeitig
Tätigkeiten bei der neuen Germany - Trade and Invest
zugewiesen bekommen sollen.
Vieles konnte aber schon im Interesse des Personals
geregelt werden. Statusfragen des Auslandskorrespondentennetzes - Kassenstaatsprinzip, Status- und Akkreditierungsfragen, Sozialversicherung - sind ebenso geklärt
wie die Standortfrage.
Große Anerkennung verdient die Arbeit der Mitarbeitervertretungen, die mit voller Kraft dafür gesorgt haben,
dass die Gespräche zwischen der Belegschaft und dem
BMWi zu befriedigenden bis guten Ergebnissen geführt
haben. Ich bin zuversichtlich, dass noch verbleibende
Unsicherheiten bis Januar 2009 geklärt werden können.
Dies gilt etwa für den Kooperations- bzw. Gestellungsvertrag zwischen dem BAFA und der künftigen Geschäftsführung der GTaI, der zwar vorliegt, aber einer Überarbeitung und Erweiterung bedarf. Dies gilt aber auch
insbesondere hinsichtlich der Frage der beruflichen
Chancen und Perspektiven der Beamten und Tarifbeschäftigten der BfAI und der in diesem Zusammenhang
durch das BMWi zugesagten Beförderungen und Höhergruppierungen. Die verantwortungsvolle Lösung dieser
personellen Fragen ist unerlässlich für das Gelingen der
Verschmelzung und eine erfolgreiche Arbeit der neuen
Bundesgesellschaft.
Das neue Konzept bietet die Chance, durch die Fusion
von BfAI und Invest in Germany über einen höheren Wirkungsgrad und eine deutlichere Sichtbarkeit des Standorts Deutschland im Ausland zu verfügen als dies bislang
der Fall ist. Solche Synergieeffekte sind angesichts der im
Bundeshaushalt 2009 für Maßnahmen der Außenwirtschaftsförderung zur Verfügung stehenden 203 Millionen
Euro und der internationalen Konkurrenz - UK Trade &
Investment verfügt über einen Jahresetat von 350 Millionen Euro - sinnvoll und notwendig.
Die Außenwirtschaftsförderung und das Standortmarketing des Bundes werden derzeit über drei verschiedene
Organisationen abgewickelt: die Bundesgesellschaft Invest in Germany GmbH ({0}), die dem BMWi nachgeordnete Bundesagentur für Außenwirtschaft ({1}) und
die mit der Bundesagentur verbundene Gesellschaft für
Außenhandelsinformationen ({2}). Aufgrund einer
Empfehlung des Haushaltsausschusses des Deutschen
Bundestages vom 10. Mai 2006 sieht die Bundesregierung nun eine organisatorische Zusammenführung vor.
Ab dem Jahr 2009 soll eine neu zu gründende Gesellschaft, die „Germany - rade and Invest - Gesellschaft für
Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ - kurz:
GTI - die Aufgaben der Investorenanwerbung und der
Exportförderung wahrnehmen. Die GTI wird nach Auflösung der BfAI formal dem Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle - kurz: Bafa - zugeordnet.
Über die Verknüpfung der verschiedenen Kompetenzen sollen nicht nur Kosten gespart werden, sondern vor
allem Synergieeffekte erzielt werden. So erlaubt eine Bündelung des Standortmarketings und der Exportförderung
trotz der sehr unterschiedlichen Aufgaben, die die Invest,
BfAI und GfAI bislang wahrgenommen haben, eine gegenseitige Stärkung von Länder-, Fach- und Branchenwissen. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, dass die
Bundesrepublik künftig einheitlicher nach außen auftritt.
Die Auslandsaktivitäten der GTI sollen inhaltlich und organisatorisch unter dem Dach der Außenhandelskammern gebündelt werden. Damit schaffen wir einen Anlaufpunkt für die unterschiedlichen Zielgruppen der inund ausländischen Unternehmen sowie Verbände und beseitigen die Zersplitterung der aus dem BMWi geförderten Instrumente.
Kritiker haben an dieser Stelle Bedenken geäußert,
dass es zu einer ungleichen Schwerpunktsetzung zugunsten des Standortmarketings in der neuen GTI kommen
könnte. Ich denke, dass hierfür kein Anlass besteht.
Gleichwohl werden die erhofften Vorteile der Zusammenlegung erst im Laufe der Zeit greifen können. Deshalb gilt
es auch weiterhin, den Prozess der organisatorischen Zusammenführung zu begleiten.
Bei der Zusammenlegung wird im Übrigen Wert darauf gelegt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut und die bestehenden Standorte Berlin und Rheinland erhalten bleiben. Dienstsitz der GTI wird Berlin sein. Daneben wird es
jedoch eine dauerhafte zweite Betriebsstätte im Rheinland geben. Derzeit sitzen etwa 100 Mitarbeiter in Berlin
und an die 250 Mitarbeiter in Köln. An diesen Größenordnungen sollte sich durch die Zusammenlegung der
beiden Einrichtungen nichts ändern. Auch müssen unnötige Härten für die Mitarbeiter, wie ein Hin- und Herziehen, nach Möglichkeit vermieden werden.
Von den organisatorischen Details einmal abgesehen,
denke ich, dass Deutschlands ausgeprägte Exportorientierung von einem integrierten und gut funktionierenden
Auslandsnetz sowie einer gemeinsamen Außendarstellung nur profitieren kann. Ausländische Investitionen tragen in Deutschland in erheblichem Maße zur Wertschöpfung bei. Gut zwei Millionen Arbeitsplätze können
Unternehmen in ausländischer Hand direkt zugeordnet
werden, und die indirekten Arbeitsmarkteffekte liegen
noch weit höher. Angesichts dessen bitte ich Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, die Stärkung des WirtschaftsZu Protokoll gegebene Reden
standortes Deutschland durch eine enge Vernetzung von
Standortmarketing, Investorenanwerbung, Exportförderung und Außenwirtschaftsinformation mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen.
Die organisatorische Bündelung des Standortmarketings des Bundes ist lange überfällig. Die FDP mahnt dies
schon seit vielen Jahren an und begrüßt, dass nun nach
äußerst zähen Verhandlungen ein Durchbruch erzielt
werden konnte. Das gilt sowohl für die Zusammenführung im Haushalt als auch für das heute zu beratende
BfAI-Personalgesetz.
Die Bundesagentur für Außenwirtschaft, die Bundesgesellschaft Invest in Germany und die Gesellschaft für
Außenhandelsinformationen, das sogenannte Korrespondentennetz, werden zum 1. Januar 2009 zu einer neuen
Bundesgesellschaft Germany Trade and Invest verbunden werden. Das ist richtig so. Ich habe es nie für richtig
gehalten, dass der Bund eine Organisation für die Werbung für deutsche Investoren im Ausland hat und eine für
ausländische Investoren bei uns, die miteinander nichts
zu tun haben. Es hat leider auch viel zu lange gedauert,
ehe Vertreter der beiden Organisationen mal miteinander
gesprochen haben. Diese lange Jahre falsche Aufstellung
hat uns im harten internationalen Wettbewerb geschadet.
Es hat auch erhebliche Fehler aufseiten der Regierung
und bei der BfAI gegeben: Ich will hier gar nicht ausbreiten, welche Eifersüchteleien, welche Probleme mit Geschäftsführern es hier gegeben hat. Gut gemanagt worden
ist der Integrationsprozess wirklich nicht.
Mit dem Gesetz werden die Mitarbeiter in die neue
Gesellschaft überführt, und zwar zu sehr günstigen Konditionen. Sie werden ihrer Qualifikation entsprechend
eingesetzt. Wo das nicht geht, werden sie in der Entgeltgruppe vergütet, die ihrer vorigen Tätigkeit entspricht,
auch wenn die Tätigkeit geringerwertig ist. Es müsste
also möglich sein, sich hier auch gegen die Beharrungskräfte durchzusetzen.
Ich sage allerdings für die FDP: Wir würden gern weiter gehen. Wir würden auch die Außenhandelskammern
einbeziehen. In einigen Ländern klappt diese Integration
schon ganz hervorragend, hin zu einem „Deutschen
Haus“, in dem sich verschiedene Institutionen nicht nur
unter einem Dach befinden, sondern auch wirklich gemeinsam den Standort Deutschland bewerben. In anderen
Ländern aber sehen wir, dass verschiedene deutsche Institutionen miteinander noch nicht mal reden! Vieles ist zu
stark von den handelnden Personen vor Ort abhängig.
Wir brauchen stattdessen eine wirklich schlagkräftige
Organisation, die den Standort Deutschland im Ausland
vertritt. Ein ausländischer Investor muss an einem Ort
und auf einer Internetseite alle Kontakte finden, die er
braucht, wenn er sich für Investitionen in oder aus
Deutschland interessiert, wenn er Arbeitskräfte sucht,
wenn er Innovationsallianzen eingehen oder Forschung
mit deutschen Partnern betreiben will.
Aus meinem Vorleben als Forschungspolitikerin liegt
mir deshalb am Herzen, dass die Forschungsorganisationen, wie die DFG oder die Max-Planck-Gesellschaft, die
ja auch Büros im Ausland - zum Beispiel in USA - haben,
noch viel stärker eingebunden werden. Wirtschaftlicher
Erfolg hängt immer mehr von Innovationen ab. Die deutschen Forschungsorganisationen haben international einen ausgezeichneten Ruf, aber unser Land leidet darunter,
dass der Weg von der Idee zum Produkt zu lang und zu
hindernisreich ist. Auch hier könnte eine engere Verzahnung von Forschung und Außenhandelsmarketing gute
Dienste leisten.
Ebenso würden wir uns wünschen, dass eine Organisation wie die Dena als Multiplikator deutscher Energiepolitik im Ausland stärker auftritt, beispielsweise auf
Auslandsmessen.
Wir meinen, das heutige Gesetzesvorhaben ist ein richtiger und guter Schritt auf einem Weg, der noch lange
nicht abgeschlossen ist.
Die operativen Aufgaben des Standortmarketings des
Bundes und die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen
Informationen für das In- und Ausland werden derzeit im
Verantwortungsbereich des BMWi getrennt voneinander
wahrgenommen. Diese Aufgaben sind aufgeteilt auf die
Bundesgesellschaft Invest in Germany GmbH, die nachgeordnete Bundesoberbehörde Bundesagentur für Außenwirtschaft und die mit der Bundesagentur verbundene
Gesellschaft für Außenhandelsinformationen mbH. Die
Fusion dieser verschiedenen Stellen ist differenziert zu
bewerten. Einerseits ist es sicherlich sinnvoll, die Aufgaben von Standortmarketing und außenwirtschaftlichem
Informationsdienst in einer einzigen Stelle zusammenzuführen. Dies birgt die Chance zu größerer Effzienz und
Kohärenz bei der Erledigung der Aufgaben und zu einem
einheitlicheren Erscheinungsbild.
Andererseits ist es fragwürdig, dass diese Fusion mit
einer Ausgliederung der Aufgaben der Bundesagentur für
Außenwirtschaft in eine privatrechtliche GmbH und einer
Auflösung der Bundesagentur einhergehen muss. Dies ist
ein Rechtsformwechsel zugunsten einer privaten Rechtsform, der nicht notwendig ist. Eine Verbesserungen des
Standortmarketings kann eine Chance insbesondere auch
für die ostdeutschen Bundesländer sein. Aber nur, wenn
in Zukunft darauf geachtet wird, mit welchen Argumenten
Investoren für Deutschland angelockt werden sollen.
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass die Invest
in Germany in verschiedenen Werbebroschüren ausdrücklich damit geworben hat, dass in Deutschland ein
„niedriger gewerkschaftlicher Organisationsgrad“ herrsche, was zusammen mit „flexiblen Arbeitskräften“ und
anderen Merkmalen einen Vorteil für ausländische Investoren darstelle. In Bezug auf Ostdeutschland wird als weiterer Vorteil genannt, dass die Löhne dort bis zu
30 Prozent unter dem westdeutschen Niveau lägen. Das
ist schon ein dreistes Stück, die prekäre finanzielle Situation der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch noch als Vorteil darzustellen, und das ist nicht
frei von Zynismus.
Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage von uns
darauf hingewiesen, dass diese Aussagen von ihr nicht
Zu Protokoll gegebene Reden
autorisiert gewesen wären und nicht mehr verwendet
werden würden. Bleibt zu hoffen, dass das Wirtschaftsministerium auch künftig in diesem Sinne Aufsicht über die
privatrechtliche Invest in Germany GmbH führt.
Bisher werden verschiedene Aufgaben der Beratung
von Unternehmen in der Außenwirtschaft getrennt voneinander vorgenommen. Die Invest in Germany GmbH ist
vor allem für Marketing zuständig und berät ausländische Unternehmen, die in Deutschland investieren wollen. Umgekehrt stellen die Bundesagentur für Außenwirtschaft und Gesellschaft für Außenhandelsinformation,
die ein weltweites Korrespondentennetz organisiert, Informationen zu ausländischen Märkten für deutsche Unternehmen zur Verfügung.
Bündnis 90/Die Grünen begrüßen die Bündelung
dieser verschiedenen außenwirtschaftspolitischen Aufgaben, die bisher von drei unterschiedlichen Organisationen wahrgenommen wurden. Es macht Sinn, diese Aufgaben in einer Gesellschaft zusammenzufassen. Dazu soll
eine neue Gesellschaft mit dem Titel „Germany - Trade
and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ ins Leben gerufen werden.
Das unterstützen wir, weil wir uns davon erstens Synergieeffekte erhoffen, zweitens können die unterschiedlichen Aufgabenbereiche - Bereitstellung von Informationen für potenzielle ausländische Investoren im Inland
auf der einen Seite und Bereitstellung von Informationen
zu ausländischen Märkten für deutsche Investoren auf der
anderen Seite - voneinander lernen. Schließlich können
die bisher getrennt aufgebauten Netzwerke im Ausland in
Zukunft gemeinsam genutzt werden.
Zu dem Vorschlag gehört auch, dass die Beamtinnen
und Beamten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
in den zusammenzufassenden Organisationen tätig sind,
dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zugeordnet und der neu entstehenden Gesellschaft zugewiesen werden, die aus der Verschmelzung von Invest in
Germany GmbH und der Gesellschaft für Außenhandelsinformation entstehen wird. Auch diese Konstruktion halten wir für sinnvoll.
Natürlich entstehen durch den Vollzugsaufwand kurzfristig Kosten, die nicht zu vermeiden sind und im Bundeshaushalt berücksichtigt werden. Insgesamt besteht
aber die Chance, dass die außenwirtschaftlichen Dienstleistungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, transparenter, effektiver und effizienter gestaltet
werden können. Deswegen unterstützen wir den Gesetzesentwurf.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10883, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10293
und 16/10664 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen des
Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter
Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksache 16/10569 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({0}), Kai
Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung
des Urheberrechtsgesetzes
- Drucksache 16/10566 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 16/10894 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Günter
Krings, CDU/CSU, Dirk Manzewski, SPD, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Dr. Petra Sitte, Die
Linke, Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des
Parlamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach.
„Rückfall in die Steinzeit“ betitelten laut Evaluierungsbericht des Bundesjustizministeriums zum § 52 a
UrhG einige Länder die mögliche Aufhebung des Paragrafen im Urheberrechtsgesetz. Und andere Länder wiederum sahen, zumindest schon einige tausend Jahre fortgeschritten, mit dem Wegfall der Regelung das
„Mittelalter“ heraufschreiten. Ob derartige - eher unwissenschaftlich anmutende - Kraftausdrücke der Realität entsprechen, muss allerdings bezweifelt werden. Die
von den Ländern gegebenen Antworten können qualitativ
nicht befriedigen, wobei man den Ländern noch zugestehen kann, dass die Fragen teilweise auch nicht viel besser
sind.
Ich will dies an ein paar Beispielen illustrieren. Das
Zahlenmaterial der Länder ist ungenau.Ich finde es skandalös, dass die Länder es ihren Universitäten durchgehen
lassen, derart ungenaues Zahlenmaterial zu liefern. So
kann ich mir kaum vorstellen, dass es keinen Unterschied
machen soll, ob Werke für die Veranschaulichung im Unterricht oder für die wissenschaftliche Forschung genutzt
werden. Denn die prozentuale Verteilung ist in beiden
Fällen identisch. 75 Prozent fallen jeweils in den Verwertungsbereich der VG Wort, und 25 Prozent nehmen die
übrigen Verwertungsgesellschaften ein. Da wurde wohl
eher der Daumen als der Taschenrechner zurate gezogen.
Beim nächsten Bericht werden wir eine derartige Verweigerung von genauer Datenerhebung nicht mehr durchgehen lassen.
Die FH des Bundes macht unvollständige Angaben,
wobei die Kritik fairerweise nicht nur an die Länder zu
richten ist, sondern auch den Bund betrifft. Mit seiner
Fachhochschule verfügt er über eine eigene, recht übersichtliche Einrichtung und lässt es dort zu, dass bei
29 Prozent der Nutzungen keine Angaben darüber gemacht werden, in welche Gruppe, also Büchern oder
Bildmaterialien etc., sie einzuordnen sind.
Bei der wissenschaftlichen Forschung sieht es noch
verheerender aus. Über die Nutzung von zwei Dritteln der
Werke liegen bei der FH des Bundes gar keine Erkenntnisse vor. Wenn eine Hochschule schon selbst nicht weiß,
wie und welche urheberrechtlich geschützten Inhalte sie
nutzt, dann kann ich die Verlage und Autoren gut verstehen, die Sorge haben, dass sie am Ende leer ausgehen.
Wie wir gerade gesehen haben, entfällt der größte Teil
der Nutzungen an Hochschulen in den Vergütungsbereich
der VG Wort. Bis zum heutigen Tage ist für diesen größten
und wichtigsten Bereich der Nutzung des § 52 a nicht ein
einziger Cent geflossen. Die VG Wort hat ihren Teil getan,
als sie im Mai 2005 einen Tarif aufgestellt und ihn sogar
mit einer Musterkalkulation versehen hat, die erklärt, wie
sie auf die angesetzte Vergütung kommt. Mir scheint diese
Musterkalkulation durchaus leistungsgerecht zu sein,
sodass ich die mehrjährige Totalverweigerung der Länder in diesem Bereich nicht nachvollziehen kann. Über
drei Jahre haben sich die Länder Zeit gelassen, um vor
der Schiedsstelle diesen Tarif anzugreifen. Und erst durch
den Druck der Bundesjustizministerin und unserer Fraktion haben sich die Länder endlich dazu bewegen lassen,
das Schiedsverfahren einzuleiten.
Wenn ich eben namentlich die FH des Bundes kritisiert
habe, so verdient sie aber auch ein Lob, nämlich für ihre
Offenheit und Ehrlichkeit; denn zwei Drittel der dortigen
Professoren erklärten, dass der Wegfall des § 52 a UrhG
im Bereich „Veranschaulichung des Unterrichts“ keinerlei Auswirkungen auf ihre Arbeit habe. Die Forschungseinrichtungen, vertreten durch die Allianz der deutschen
Wissenschaftsorganisationen, sehen dies genauso, wobei
der Wert wohl noch deutlich höher anzusetzen ist als bei
der FH des Bundes. Und sie liefern allerdings auch die
entscheidende Begründung dafür: Der überwiegende Teil
der Nutzungen laufe inzwischen eh über Lizenzvereinbarungen. Das Vertragsrecht hat sich also hier erwartungsgemäß als praktischer und effektiver erwiesen als das Gesetzesrecht.
Und eben hier liegt der richtige Ansatzpunkt. An sich
ist der § 52 a UrhG ein Relikt aus alten Zeiten, als die
Verlage noch nicht die Vorzüge der Digitalisierung von
Inhalten erkannt hatten. Zur damaligen Zeit mag es vielleicht noch einen Sinn gegeben haben, eine Vorschrift
einzuführen, die es den Schulen und Hochschulen ermöglichte, das Intranet der jeweiligen Einrichtung zur Veranschaulichung von Bildungsinhalten zu nutzen. Inzwischen
halten die Verlage jedoch entsprechende Angebote vor
und investieren viel Geld, um den Bildungsinstitutionen
attraktiv aufbereitete Inhalte anzubieten. Anstatt auf derartige Angebote zuzugreifen, kämpft man auf der anderen
Seite einen Kampf, der antiquiert anmutet.
Die Verlage haben ja ein großes Interesse, derartige
Angebote mittels Lizenzen den wissenschaftlichen Einrichtungen bereitzustellen, und es wäre aus meiner Sicht
angebracht, dass sich beide Seiten einmal an einen Tisch
setzen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Der
Wille, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten befriedigend ist, liegt auf der Seite der Verlage ganz offensichtlich vor. Und auf der Länderseite müsste diese Bereitschaft eigentlich auch gegeben sein, wenn es ihnen um ein
wirklich attraktives Angebot für ihre Schüler, Studenten
und Forscher geht. Diese Einigungsbereitschaft fehlt allerdings, wenn es den Ländern nur darum geht, den Verlagen und Autoren ihre gerechte Entlohnung zu verweigern und es nur billig haben zu wollen.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem immer
wieder herbeigeredeten Antagonismus zwischen den Verlagen und dem Wissenschaftsbetrieb machen. Mir ist es
wichtig zu betonen, dass die Verlage einen integralen Bestandteil dieses Wissenschaftsbetriebes ausmachen. Die
Tausenden von Wissenschaftlern, die ihre Arbeit eben
nicht einfach so ins Internet stellen, sondern eine Verlagsveröffentlichung vorziehen, bestätigen das Tag für Tag.
Nur Verlage können durch kritische Prüfung von eingereichten Beiträgen eine Qualitätskontrolle erreichen, die
ein hohes wissenschaftliches Niveau gewährleistet. Wissenschaftsverlage sind auf das Renommee ihrer Veröffentlichung angewiesen, da sie ansonsten ihren Ruf verlieren und damit in der Wissenschaftsfamilie nicht mehr
ernst genommen werden.
Zumal mit einem weiteren Mythos aufgeräumt werden
sollte: dass es sich bei den Wissenschaftsverlagen nur um
große Verlagshäuser handelt, die mit ihren Publikationen
riesige Gewinne einfahren. Der weitaus größte Teil der
deutschen Wissenschaftsverlage sind mittelständische
Unternehmen, die zum Teil nur deshalb in dem Geschäft
bleiben, weil ihre Eigentümer und ihre Mitarbeiter ihre
Arbeit aus innerer Überzeugung und mit viel Herzblut betreiben.
Aus den Gesprächen mit vielen Verlagen weiß ich: Die
Absatzzahlen von Lehrbüchern sind teilweise eingebrochen. Das bezieht sich insbesondere auf Nischenprodukte, die in der Anschaffung entsprechend teuer sind.
Studenten nutzen für ihre Arbeit zunehmend lieber das,
was im Intranet eingestellt ist, als sich das entsprechende
Lehrbuch anzuschaffen. Bei manchen dieser Verlage geht
der § 52 a UrhG an die Substanz.
Daher ist es auch traurig zu sehen, dass der Antrag der
Grünen in seiner Begründung auf die Interessen der Urheber und ihrer Verlage gar nicht weiter eingeht, sondern
Zu Protokoll gegebene Reden
einfach nur von den positiven Auswirkungen der Wissenschafts- und Ausbildungsschranke in der Praxis spricht,
die eine Aufhebung der Befristung rechtfertigen würden.
Sie weisen zwar zu Recht darauf hin, dass das BMJ in seinem Evaluierungsbericht in der Zusammenfassung zu
dem Ergebnis kommt, die Befristung sei aufzuheben.
Wenn Sie allerdings den ganzen Bericht genau gelesen
hätten, müssten Sie eigentlich zu einem anderen Ergebnis
kommen. Derartige Regierungsgläubigkeit von einer Oppositionspartei hätte ich nicht erwartet. Ich werde an anderer Stelle gerne noch einmal darauf zurückkommen.
Die nun gefundene Kompromisslösung halte ich insgesamt für vertretbar. Die beiden vorgelegten Evaluierungsberichte haben uns leider nur ein sehr rudimentäres
Bild von der Anwendung des § 52 a UrhG in der Praxis
geliefert. Für den nächsten Bericht sollte man den Fragenkatalog unbedingt überarbeiten und hinterfragen, ob
er wirklich zielgerichtet die Informationen abfragt, die
für eine vernünftige Beurteilung der wirtschaftlichen
Lage der Verlage notwendig ist. Denn das war das eigentliche Ziel der Befristung: zu sehen, wie stark § 52 a in das
Eigentumsrecht der Verlage eingreift. Dies ist bislang nur
unzureichend möglich.
Übrigens verpflichtet uns niemand, die Vierjahresfrist
voll auszuschöpfen. Wir sollten uns schon zu Beginn der
nächsten Wahlperiode mit der Evaluierung dieses Themas beschäftigen. Geeignete Vorschläge zur Verbesserung dieser Bestimmung, unter denen wir auch den
berechtigten Bedenken der Verlage Rechnung tragen,
können wir als Unionsfraktion jederzeit vorlegen.
Wir geben mit dieser Verlängerung vor allen den Ländern noch eine - aus meiner Sicht letzte - Chance, mit
dieser problematischen Urheberrechtsschutzschranke so
verantwortlich umzugehen, dass auch die Autoren und
Verlage zu ihrem Recht kommen. Da es ohne Original bekanntlich auch keine Kopien mehr gibt, müssen endlich
angemessene Honorare für die Nutzung fremden Eigentums gezahlt werden.
Als wir seinerzeit den § 52 a des Urhebergesetzes neu
geschaffen haben, haben wir es im Interesse der Bildung
unter anderem erlaubt, das kleine Teile eines Werkes,
Werke geringen Umfangs oder auch einzelne Beiträge
aus Zeitungen oder Zeitschriften zum Beispiel zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen oder Hochschulen zugänglich gemacht werden können. Dem ist damals
eine kontroverse Diskussion vorangegangen. Mit Urhebern und Rechteinhabern, die diese Regelung strikt ablehnten und mit Vertretern aus dem Bereich Bildung, denen diese Öffnungsklausel noch nicht weit genug ging.
Auch innerhalb der Fraktionen gab es unterschiedliche Meinungsbilder. Die Rechts- und Kulturpolitiker, die
eher auf der Seite der Urheber und Rechteinhaber standen und die Bildungs- und Verbraucherpolitiker, die diese
neue Vorschrift noch viel zu einengend empfanden.
Wir haben uns damals deshalb sehr intensiv mit dieser
einzelnen Vorschrift befasst, weil eben zwei immanent
wichtige Bereiche betroffen waren: Bildung und geistiges
Eigentum. Und beiden Seiten haben damals gewichtige
Argumente für ihre jeweilige Position vorgetragen.
Nach langen Beratungen haben wir gleichwohl die immer noch Streit befangene Vorschrift erlassen. Wir haben
aber diese Vorschrift allerdings unter eine Befristung gestellt um eben festzustellen, ob insbesondere die Befürchtungen der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen wirklich berechtigt sind.
Diese Befristung lief zunächst bis zum 31. Dezember
2006 und wurde von uns dann bis zum 31. Dezember
2008 verlängert. Dementsprechend stellt sich uns nun die
Frage, wie wir mit dieser auslaufenden Befristung weiter
umgehen.
Die unterschiedlichen Gruppierungen haben sich wieder zu Wort gemeldet und interpretieren - oh, Wunder die Resultate dieser Vorschrift höchst unterschiedlich.
Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Evaluierungsphase dieser Vorschrift noch einmal zu verlängern
und zwar bis zum 31. Dezember 2012. Die Gewichtung
der Gründe sind hierfür innerhalb der Koalition durchaus unterschiedlich - das will ich nicht verhehlen.
Für mich reicht der entsprechende Bericht des BMJ für
eine abschließende Entscheidung jedenfalls noch nicht
aus. Wir hätten wohl den Hinweis, die vorgegebene Zeitspanne sei für eine vernünftige Evaluierung viel zu kurz,
ernster nehmen sollen. Ich sage das ganz selbstkritisch.
Bildung ist ein hohes Gut - keine Frage - aber eine
vernünftige Abwägung hat auch die Interessen der Rechteinhaber mit zu berücksichtigen.
Deshalb fand ich es schon ganz interessant, in dem Bericht zu lesen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Hochschulen, gar nicht an einer intensiveren Nutzung von
§ 52 a UrhG interessiert ist, da der Bedarf unter anderem
über Campus-Lizenzen etc. völlig ausreichend abgedeckt
sei.
Es gibt auch noch kein System für die Registrierung,
Meldung und Abrechnung der einzelnen Nutzungen durch
die Hochschulen. Das wäre aber Voraussetzung um von
den bisher gültigen pauschalen Nutzungsentgelten auf
eine gerechtere werksbezogene Einzelabrechnung zu
kommen.
Hinzu kommt, dass in dem Gesamtvertrag „Hochschulen“, der zwischen den Ländern und den Verwertungsgesellschaften geschlossen wurde, die Verwertungsgesellschaft mit dem höchsten Anteil der Nutzungen - die VG
Wort - noch nicht eingebunden ist. Der VG Wort ist einfach das Entgelt, das für die Nutzungen an Hochschulen
gezahlt werden soll, zu niedrig.
Bislang sind die Länder nur bereit, für die Nutzung
durch ihre sämtlichen Hochschulen einen relativ geringen Betrag zu zahlen. Dass die VG Wort das nicht akzeptiert und nun wohl vor die Schiedsstelle gehen wird, ist für
mich mehr als verständlich.
Die Befristung ist seinerzeit aber eben auch eingeführt
worden, um zu sehen, ob die Interessen der Rechteinhaber hinreichend gewahrt werden. Da dieses zumindest
derzeit offenbar nicht der Fall ist, sollte die Befristung
Zu Protokoll gegebene Reden
nicht einfach aufgehoben, sondern noch einmal verlängert werden.
Ich würde mich freuen, wenn Sie uns hierbei unterstützen würden.
Zu Recht betont die Bundesregierung immer wieder
die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung,
die der wirksame Schutz des geistigen Eigentums gerade
im digitalen Umfeld hat. In der praktischen Umsetzung
wird die Bundesregierung ihren eigenen Maßstäben aber
oft nicht gerecht. Das konnten wir in letzter Zeit vor allem
am Beispiel des Urheberrechts beobachten.
Mit § 52 a UrhG wurde im Jahr 2003 ein neue Ausnahmevorschrift in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Sie
erlaubt die öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke in Intranets zur Veranschaulichung im Unterricht und in der Forschung. Die FDP hat
§ 52 a abgelehnt, weil diese Vorschrift über das Ziel hinausschießt und weil nicht absehbar war, in welchem
Maß die Vorschrift die Entwicklung digitaler Verlagsangebote beeinträchtigt. Auch der Rechtsausschuss hat die
Befürchtungen der Verlage vor unzumutbaren Beeinträchtigungen damals immerhin insoweit anerkannt, als
er durchgesetzt hat, dass § 52 a UrhG zunächst auf zwei
Jahre bis zum 31. Dezember 2006 befristet wird.
Die Bundesregierung war nicht in der Lage, dem Bundestag rechtzeitig eine aussagekräftige Evaluation der
Auswirkungen von § 52 a UrhG vorzulegen. Die Übergangsfrist ist deshalb 2006 um weitere zwei Jahre bis zum
31. Dezember 2008 verlängert worden. Um die Chance
auf eine dauerhafte und tragfähige Regelung zu wahren,
hat meine Partei diese Verlängerung gebilligt.
Obwohl lange bekannt war, dass der Bundestag in diesem Jahr über § 52 a entscheiden muss, weil die Norm andernfalls am 31. Dezember 2008 außer Kraft tritt, hat die
Koalition das Thema vor sich hergeschoben. Jetzt will sie
im Eilverfahren eine erneute Übergangsregelung durch
den Bundestag peitschen und sich wieder einer inhaltlichen Entscheidung entziehen.
Der Evaluationsbericht des Bundsjustizministeriums
liegt seit Frühjahr vor. Auch dieser Bericht ist unzureichend und lässt eine positive Bewertung, die eine Entfristung von § 52 a UrhG rechtfertigen würde, weiterhin
nicht zu. Das sieht ausdrücklich auch die Koalition so.
Das ist der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb der
Koalition; denn darüber, wie es mit § 52 a UrhG weitergehen soll, konnte in der Koalition keine Einigkeit erzielt
werden.
§ 52 a soll deshalb erneut verlängert werden - dieses
Mal gleich um weitere vier Jahre. Sollte der Entwurf der
Koalition Gesetz werden, würden bis zur endgültigen Entscheidung des Gesetzgebers seit dem Inkrafttreten von
§ 52 a also neun Jahre vergehen. Damit wird die Befristung, die nach einem überschaubaren Zeitraum eine seriöse
Überprüfung ermöglichen sollte, zur Farce.
Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber sich auf diese
Weise seiner Verantwortung entzieht. Faktisch haben wir
es dann doch mit einer Entfristung zu tun. Wenn die Koalition das will, dann soll sie es auch so nennen.
Es ist noch immer nicht geklärt, welche Auswirkungen
§ 52 a tatsächlich hat. Vor allem ist nicht akzeptabel, dass
die begünstigten Einrichtungen offenbar noch immer
keine Vorkehrungen für eine werkbezogene Abrechnung
der Nutzungen getroffen haben. Es ist keineswegs auszuschließen, dass § 52 a UrhG die Verlage beim Ausbau ihres
digitalen Geschäfts nicht nur unerheblich beeinträchtigt.
Und dabei geht es keineswegs nur um einige wenige dominierende Großverlage, wie gelegentlich behauptet wird.
Auch und gerade mittlere und kleinere deutsche Fachverlage sehen § 52 a UrhG unverändert mit Sorge. Diese
Sorgen muss der Bundestag ernst nehmen, wenn er seine
urheberrechtspolitische Glaubwürdigkeit nicht verlieren
möchte.
Dass es auch anders geht, zeigt ja der „Zweite Korb“.
Da haben wir Regelungen geschaffen, die sehr wohl die
Interessen der Nutzer und der Rechteinhaber zum Ausgleich bringen. Die Nutzerbedürfnisse sind hier berücksichtigt worden, ohne zugleich die berechtigten Interessen
der Rechteinhaber über Bord zu werfen.
Das Ziel, das hinter § 52 a steht, ist grundsätzlich richtig.
Das stelle ich hier ausdrücklich fest, damit keine Missverständnisse entstehen. Natürlich ist es richtig, Lehre und
Forschung durch sinnvolle Rahmenbedingungen den Zugang zu digitalen Inhalten zu erleichtern. Aber das darf
nicht zu Lasten der Rechteinhaber gehen. Es ist Aufgabe
der Träger der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen,
diese mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Es kann
nicht sein, dass wir das Urheberrecht zurückdrängen, um
auf diese Weise die Bildungs- und Wissenschaftshaushalte auf Kosten der Rechteinhaber zu entlasten. Genau
diese Gefahr besteht aber bei § 52 a in seiner geltenden
Form unverändert.
Der Bundestag hat § 52 a UrhG im Jahr 2003 bewusst
mit einer knapp bemessenen Frist versehen, damit zeitnah
eine Bewertung erfolgt. Der Gesetzentwurf der Koalition
führt das Konzept der befristeten Geltung ad absurdum.
Die FDP wird dem Gesetz deshalb nicht zustimmen.
Allenthalben werden in der Debatte über qualitative
Veränderungen unserer Gesellschaft und ihrer ökonomischen Grundlagen Schlagworte wie „Wissensgesellschaft“, „Informationsgesellschaft“ oder neuerdings
auch „Bildungsrepublik“ gebraucht. Abgesehen davon,
dass diese Begriffe eher interessengeleitet als objektiv beschreibend verwendet werden, enthalten sie doch auch
Wahres: Die Bedeutung von Wissen und Kreativität, aber
auch von Kommunikation und Information steigt weiter
stark an. Diese Kompetenzen werden immer mehr zu
wichtigen Produktionsfaktoren im gesellschaftlichen wie
wirtschaftlichen Bereich. Wenn unsere Gesellschaft sich
also in umfassendem Sinne weiterentwickeln will, muss
sie die Verbreitung des Wissens fördern und die kreativen
Kompetenzen der Menschen herausfordern.
Mit dem Bedeutungszuwachs des Wissens stiegen auch
dessen Verwertungsmöglichkeiten als lukrative HandelsZu Protokoll gegebene Reden
ware. Dieser schlichte Bezug zur „Wissensgesellschaft“
meint, dass sich heute mit wissensintensiven Gütern mehr
Geld verdienen lässt als früher, und das auch im Bildungs- und Forschungsbereich. Sowohl Schulbuch- wie
auch Wissenschaftsverlage konnten ihre Umsätze und
Gewinne in den vergangenen Jahren stark steigern. Der
Zugang zu Wissen wird dadurch jedoch verknappt. Hochschulen müssen Zeitschriften abbestellen, Schulen sparen
am Lehrmaterial und Familien an Kinderbüchern, um die
steigenden Beschaffungskosten abzufangen. Dabei profitieren weniger die Kreativen und Wissenschaftler von dieser Entwicklung, denn sie schließen zumeist Abtretungsverträge mit den Verwertern ab. Die Digitalisierung von
Inhalten erweist sich in diesem Prozess als zweischneidiges Schwert: Zum einen ist prinzipiell die Verbreitung auf
Basis des Internets fast ohne Kosten möglich, zum anderen sind jedoch Möglichkeiten des Rechtemanagements
durch die Verlage und Firmen im Vergleich zur Papierform stark angestiegen. Mit einem Wort: Die technischen
Möglichkeiten sind den gesellschaftlichen Regularien bei
der Schaffung von Gemeinnutzen weit voraus. Es leuchtet
ein, dass hier zwischen kommerziellen Verwertern des
Wissens und den Nutzern ein Interessenwiderspruch besteht. Die Gesellschaft muss infolgedessen eine Güterabwägung vornehmen, wobei die beiden genannten Bereiche Bildung und Wissenschaft als Schlüsselsektoren einer
wissensbasierten Gesellschaft besonderer staatlicher
Förderung bedürfen.
Der Gesetzgeber hat im Jahr 2003 daher als vorsichtigen, aber richtigen Schritt eine Regelung im Urheberrechtsgesetz verankert, die es Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen ermöglicht, urheberrechtlich geschützte,
sogenannte kleine Werke und Teile von Werken in internen Netzwerken in digitaler Form einem begrenzten Personenkreis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise
dienen sie fördernswerten Zwecken, ohne die Verwertungskreisläufe zu boykottieren. Denn für diese Nutzung
zahlen die Einrichtungen bzw. ihre Träger pauschale Nutzungsgebühren. Die Vorbehalte gegen eine solch leichte
Öffnung des Urheber- und Verwerterschutzes, mithin die
Angst vor Kontrollverlust durch Verlage und Produktionsfirmen war und ist groß. Zudem ist die Verteilung der
gezahlten Pauschalen durch die Verwertungsgesellschaften noch ein Problem. Daher ist diese Regelung zuerst bis
2006 und dann - aufgrund unzureichender Evaluierungsergebnisse - bis zum Jahr 2008 befristet worden. Die erneute Evaluierung durch das Bundesministerium der Justiz in den letzten zwei Jahren bezieht Befragungen aller
Beteiligten ein und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Die genannte Regelung hat sich bewährt. Sie trägt
dazu bei, das Lehrangebot in Schulen und Hochschulen
aktuell zu halten und qualitativ zu verbessern. In Forschungseinrichtungen werden vor allem Kooperationen
und Kollektivarbeiten befördert. Zudem habe selbst der
Börsenverein des deutschen Buchhandels bisher keine
nennenswerten Umsatzeinbußen infolge der Ausnahmeregelungen feststellen können. Eine Erweiterung des
§ 52 a Urheberrechtsgesetz, wie Schulen und Forschung
forderten, könne das BMJ zwar nicht empfehlen, eine
nochmalige Befristung sei jedoch in keinem Fall begründbar.
Ich bin erstaunt, dass Sie, liebe Koalitionäre, nach diesem eindeutigen und gut belegten Plädoyer aus dem Bericht nun trotzdem eine Befristung beantragen. Trauen
Sie Ihrem Ministerium nicht? Oder hat hier die Lobbyarbeit von Verlagen und Verbänden Wirkung gezeigt?
Eine nochmalige Befristung um vier Jahre hilft doch niemandem! Sie behindert den Auf- und Ausbau von Intranets in Schulen und Hochschulen durch mangelnde
Nutzungsperspektiven, führt dennoch nicht zu mehr Erkenntnissen in der Folgenabschätzung.
Und zur FDP: Sie haben sich in der Sitzung des Bildungsausschusses als Partei des Eigentums dargestellt
und wollten den § 52 a am liebsten ganz abschaffen. Das
ist konsequent. Wie verträgt sich diese restriktive Haltung
jedoch mit Ihrer Rhetorik von Wissenschaftsfreiheit und
Bildungsaufschwung? Der FDP steht die genannte Güterabwägung offensichtlich noch bevor.
Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Grünen
zustimmen, der eine Entfristung des § 52 a vorschlägt.
Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen, die
sich nachweislich in der Praxis bewährt haben, sollte
man um der Planungssicherheit der Beteiligten willen
beibehalten. Trotzdem, das darf ich hier anfügen, kann
diese Regelung nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu einem bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht gewesen sein. Die Linke fordert, wie der Bildungsausschuss, eine dritte Novelle des Urheberrechtsgesetzes,
in dem der „Open Access“-Gedanke umfassend eingearbeitet ist und dem Recht auf Bildung und Informationsfreiheit Vorrang vor der kommerziellen Verwertung eingeräumt wird.
Mit der Einführung des § 52 a in das Urheberrechtsgesetz hat der Gesetzgeber im September 2003 einen
wichtigen Beitrag zur Förderung von Bildung und
Forschung in einer digitalen Informationsgesellschaft
geleistet. Durch die dort festgelegte Ausbildungs- und
Wissenschaftsschranke ist es zulässig unter bestimmten
einschränkenden Voraussetzungen, Werke für Unterrichtszwecke oder für Forschungszwecke in kleine Intranets von Schulen oder Universitäten einzustellen. Um die
Auswirkungen dieser Norm in der Praxis evaluieren zu
können, wurde § 52 a UrhG zunächst bis zum 31. Dezember 2006 befristet. Dann folgte mangels abschließender
Evaluation wiederum eine Befristung bis zum 31. Dezember 2008. Nun wird im zweiten Evaluierungsbericht des
Bundesjustizministeriums vom 2. Mai diesen Jahres eine
Aufhebung der Befristung empfohlen. Dies halte ich für
richtig.
Die neue Regelung des § 52 a UrhG hat sich in der
Praxis bewährt und muss - unbefristet - bleiben. Forschung und Lehre müssen auch weiterhin einen einfachen
Zugriff auf urheberrechtlich geschützte Informationen erhalten. Laut der begünstigten Institutionen hat sie besonders im Bereich der Lehre zu einer gesteigerten Aktualität
und einer besseren Vermittlung von Lehrinhalten sowie zu
einer Verbesserung der Medienkompetenz der Studierenden geführt. Besonders im Bereich der Hochschulen hat
die Regelung sehr große Akzeptanz gefunden - nahezu
Zu Protokoll gegebene Reden
900 000 Nutzungen - davon circa 600 000 im Bereich
Lehre und zirka 300 000 im Bereich Forschung - haben
dort allein im Sommersemester auf der Grundlage der
neuen Schranke des § 52 a UrhG stattgefunden.
Die Länder gaben übereinstimmend an, dass ein Wegfall der Vorschrift erhebliche negative Konsequenzen
hätte. Hamburg bezeichnete den Wegfall als „absolute
Katastrophe“, Bayern und Baden-Württemberg als
„Rückfall in die Steinzeit“ und Nordrhein-Westfalen als
„Rückfall ins Mittelalter“. Dies zeigt, wie wichtig es für
den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland
ist, innovative gesetzliche Neuerungen zu schaffen, die
Forschung und Lehre den Zugriff auf Informationen auch
im digitalen Bereich schnell und einfach ermöglichen.
Dass dabei die Rechte der Urheber und Verwertungsgesellschaften nicht außer Acht gelassen werden dürfen,
steht für mich völlig außer Frage. Wir brauchen ein funktionierendes Vergütungssystem. Der grundsätzliche Rahmen dafür ist durch den § 52 Abs. 4 UrhG und die Verhandlungen zu den Gesamtverträgen „Hochschulen“
und „Schulen“ zwischen den Verwertungsgesellschaften
und den Ländern geschaffen. Die Länder haben die Zahlungen aufgrund der Pauschalvergütungen nach den Gesamtverträgen „Schule“ und „Hochschulen“ aufgenommen. Dass dabei mit der VG Wort, die die Rechte der bei
ihr zusammengeschlossenen Rechteinhaber vertritt, auch
nach mehreren Jahren noch keine Einigung auf einen Gesamtvertrag „Hochschulen“, an dem auch sie beteiligt
ist, erzielt worden ist, ist sicherlich ärgerlich. Doch gerade dieser Tage findet zwischen den beteiligten Kreisen
vor der Schiedsstelle des Patent- und Markenamts in
München ein erneutes Treffen zur Einigung statt. Diese
Einigung kann nur ein Kompromiss zwischen den Parteien sein. Eine weitere Befristung würde das durch die
Einführung von § 52 a UrhG bezweckte Ziel „Förderung
des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland
in einer digitalen Informationsgesellschaft bei Achtung
der Urheberrechte“ gefährden. Zum einen würde der
Ausbau der Infrastruktur für die Nutzungen, die § 52 a
UrhG ermöglicht, empfindlich gehemmt werden - besonders im schulischen Bereich ist dies evident. Nur circa
zehn Prozent der befragten Schulen haben die Möglichkeiten des § 52 a UrhG genutzt. 50 Prozent der Schulen
der Sekundarstufe I und II, die noch kein Intranet nutzen,
gaben an, in Zukunft schulische Intranets nur dann nutzen zu wollen, wenn die Norm unbefristet fortgelte.
Zum anderen wird eine weitere Befristung auch die
Probleme bei der Einigung auf eine angemessene Vergütung im Bereich „Hochschulen“ nicht herbeiführen können. Im Gegenteil - die Befristung der Norm war doch
gerade ein Grund dafür, dass im Gesamtvertrag der
Hochschulen nur pauschale Nutzungsentgelte vereinbart
wurden. Die Verwertungsgesellschaften gaben an, dass
die bestehende Befristung der Norm die Gesamtvertragsverhandlungen erschwert hätten. Um eine für alle Seiten
zufriedenstellende Einigung über die Vergütung und anstatt einer Pauschal-, auch eine Einzelabrechnung ermöglichen zu können, muss hier eine langfristige Perspektive und Rechtssicherheit für die Nutzer sowie die
Rechteinhaber geschaffen werden. Deshalb dürfen noch
ausstehende Einigungen im Vergütungsbereich nicht die
grundsätzliche Richtigkeit und den Erfolg des § 52 a
UrhG in Frage stellen - ich meine, eine weitere Befristung würde genau das Gegenteil bewirken.
„Zum 10. Mal wiederholt, wird es gefallen“. Dies hat
einmal der berühmte Dichter Horaz gesagt. Ich hoffe
nicht, dass es einer zehnten Befristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz bedarf, bis uns die Norm gefällt.
§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes wurde durch das
Erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 erstmalig in das deutsche Urheberrechtsgesetz eingeführt. Diese
Regelung erklärt es unter bestimmten, einschränkenden
Voraussetzungen für zulässig, Werke für Unterrichtsoder Forschungszwecke in Intranets von Schulen und
Hochschulen einzustellen. Die Regelung wurde damals
bis zum 31. Dezember 2006 befristet. Hiermit wollte man
den Befürchtungen wissenschaftlicher Verleger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen ihres Kerngeschäfts Rechnung tragen.
Nach einer ersten Evaluierung über die Auswirkung
der Norm in der Praxis im Jahr 2006 war eine abschließende Bewertung nicht möglich. Mit dem Fünften Gesetz
zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 10. November 2006 wurde die Befristung daher um zwei Jahre
verlängert. In diesem Jahr hat das Bundesministerium
der Justiz eine erneute Evaluierung durchgeführt. Wir
sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Befristung der
Norm aufgehoben werden sollte. In den nachfolgenden
Beratungen mit den Berichterstattern der Regierungskoalition sind jedoch erneut Bedenken im Hinblick auf die
Belange der wissenschaftlichen Verlage geäußert worden. Das Ergebnis der Beratungen war eine erneute Befristung um weitere vier Jahre.
Ich hoffe nunmehr sehr, dass aller guten Dinge nicht
zehn, sondern drei sind und die im Jahr 2012 anstehende
dritte Evaluierung ausreichende Erkenntnisse für eine
endgültige Entscheidung über den Fortbestand der Regelung und eventuelle Modifizierungen bringen wird.
Die in diesem Jahr durchgeführte Evaluierung hat in
jedem Fall gezeigt, dass die Norm für den Bildungs- und
Wissenschaftsstandort Deutschland eine positive Rolle
spielt. Von § 52 a Urheberrechtsgesetz wurde an den
Hochschulen im großen Umfang Gebrauch gemacht. Die
Hochschulen haben angegeben, dass die Norm es ihnen
ermögliche, die Lehre besser und aktueller zu gestalten;
außerdem steige durch den erleichterten Austausch von
Inhalten unter den Wissenschaftlern die Qualität der Forschung.
Aber auch im Bereich der Schulen gewinnt die Norm
zunehmend an Bedeutung. Sicherlich verfügen bislang
nicht alle Schulen über die technischen und personellen
Ressourcen, um den Schülern Werke in Intranets öffentlich zugänglich zu machen. Ich denke aber, dass hier weitere Investitionen folgen werden. Denn die Erfahrungen
der Schulen mit der Nutzung des Intranets waren durchgehend positiv. Ich freue mich daher sehr, dass wir - die
Zu Protokoll gegebene Reden
Regierungskoalition - zu dem Ergebnis gekommen sind,
die Norm fortgelten zu lassen. Ich bin auch davon überzeugt, dass uns bei der erneuten Evaluierung im Jahr
2012 - nach immerhin neun Jahren - genügend Daten für
eine abschließende Bewertung vorliegen werden. Bis dahin wird sich der Zahlungsmechanismus so eingespielt
haben, dass wir noch genauer absehen können, inwieweit
Urheber und Verleger von den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften profitieren.
In jedem Fall kann ich Ihnen bereits jetzt versichern,
dass das Bundesministerium der Justiz bei der im Jahr
2012 - hoffentlich letzten - Evaluierung von § 52 a Urheberrechtsgesetz sowohl die Belange von Wissenschaft und
Forschung als auch die Interessen der Rechtsinhaber
ausreichend berücksichtigen wird.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/10894, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/10569
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10894 empfiehlt der Rechtsausschuss,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/10566 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Stimmen der
SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 16/10811 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Karl
Schiewerling, CDU/CSU, Angelika Krüger-Leißner,
SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Katrin Kunert, Die
Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und des
Parlamentarischen Staatssekretärs Klaus Brandner.
Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf setzen wir
die Beteiligung des Bundes an den kommunalen Leistungen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2009 neu
fest. Das geschieht auf der Grundlage des SGB II. Der
Bund beteiligt sich nach § 46 Abs. 5 des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch - SGB II - zweckgebunden an den Leistungen der kommunalen Träger für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Damit wird sichergestellt, dass die Kommunen
durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt - unter Berücksichtigung der sich aus diesem Gesetz ergebenden Einsparungen der Länder - um
jährlich 2,5 Milliarden entlastet werden - und das aus guten Grund, denn die Kommunen sollen dieses Geld für
den Ausbau der Kinderbetreuung aufwenden.
Um die Entlastung der Kommunen um jährlich
2,5 Milliarden Euro sicherzustellen, wurde im Rahmen
des Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch für die Jahre 2005 und 2006 ein Bundesbeteiligungssatz von 29,1 Prozent festgeschrieben.
Da sich das Verfahren regelmäßiger Anpassungen der
Höhe der Bundesbeteiligung auf der Grundlage einer
jährlichen Be- und Entlastungsrechnung für die Kommunen als nicht zweckmäßig erwiesen hatte, gleichwohl
aber nicht auf eine jährliche Anpassung der erforderlichen Höhe der Bundesbeteiligung verzichtet werden
sollte, wurde im Einvernehmen mit den Ländern durch
das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes bestimmt,
dass die Höhe der Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß der gesetzlich
verankerten Anpassungsformel zu bestimmen ist. Innerhalb der Anpassungsformel spielt die Entwicklung der
Zahl der Bedarfsgemeinschaften eine wesentliche Rolle.
Um es kurz zu fassen: Mehr Bedarfsgemeinschaften bedeuten mehr Bundeszuschuss. Weniger Bedarfsgemeinschaften bedeuten weniger Bundeszuschuss.
Für das Jahr 2008 hatte das folgende Konsequenz: Da
sich die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften im maßgeblichen Zeitraum von Juli 2005 bis
Juni 2006 im Vergleich zu dem Zeitraum von Juli 2006 bis
Juni 2007 um mehr als 0,5 Prozent verändert hatte - sie
war nämlich um 3,7 Prozent gesunken -, musste laut Anpassungsgesetz die Bundesbeteiligung für das Jahr 2008
um 2,6 Prozentpunkte auf bundesdurchschnittliche
29,2 Prozent gesenkt werden. An den Leistungen für Unterkunft und Heizung in Baden-Württemberg beteiligt
sich der Bund für das Jahr 2008 mit 32,6 Prozent, in
Rheinland-Pfalz mit 38,6 Prozent und in den übrigen
14 Ländern mit 28,6 Prozent.
Auch für das Jahr 2009 muss die Höhe der Bundesbeteiligung erneut angepasst werden. Die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften hat sich im
Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 im Vergleich zu dem
Zeitraum von Juli 2007 bis Juni 2008 von 3 827 934 auf
3 653 757 verringert. Das entspricht 4,6 Prozent.
In der Anpassungsformel heißt es, dass bei einer Veränderung der Bedarfsgemeinschaften um plus oder minus
1 Prozent eine Anpassung des Beteiligungssatzes um plus
oder minus 0,7 Prozentpunkte zu erfolgen hat. Dementsprechend verringert sich die Bundesbeteiligung um
3,2 Prozentpunkte; 4,6 mal 0,7 gleich 3,22. Hieraus ergibt sich eine Bundesbeteiligung in Höhe von bundesweiten 26,0 Prozent. Die Sonderquoten für Baden-Württemberg werden folglich auf 29,4 Prozent, die für RheinlandPfalz auf 35,4 Prozent und für die übrigen Länder auf jeweils 25,4 Prozent festgelegt.
Die teilweise von kommunaler Seite beanstandete angebliche Benachteiligung beim Anpassungsgesetz ist
nicht nachvollziehbar. Schließlich wurde die Anpassungsformel nach langen Verhandlungen mit den Ländern vereinbart und im Bundesrat einmütig beschlossen.
Mit dem hier vorliegenden Regierungsentwurf wenden
wir schlicht die gesetzlich festgelegte Anpassungsformel
an. Aus diesem Grund sehe ich keine Bedenken, dieses
Gesetz im Bundestag in naher Zukunft zu verabschieden.
Diejenigen unter uns, die sich seit Jahren intensiv mit der
Arbeitsmarktpolitik und insbesondere mit der Hartz-IV-Gesetzgebung beschäftigen, wissen, von welcher Brisanz das
Thema Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung ({0}) ist. Jedes Jahr aufs Neue hatten
wir bei der Festsetzung der Höhe der Bundesbeteiligung die
Auseinandersetzungen mit den Ländern, den Kommunen
und ihren Spitzenverbänden.
Schon mit Einführung von Hartz IV musste der Vermittlungsausschuss eine Lösung zwischen Bundestag und
Bundesrat herbeiführen. Beide Seiten haben sich darauf
verständigt, die Kommunen im Zuge der Umsetzung von
Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten.
Die Entlastung - das wurde ebenfalls im Vermittlungsausschuss verabredet - erfolgt über die Beteiligung des
Bundes an den KdU für Hartz-IV-Empfänger.
Mit dem ersten SGB-II-Änderungsgesetz haben wir
für die Jahre 2005 und 2006 die Bundesbeteiligung auf
29,1 Prozent festgelegt. Für die Jahre ab 2007 musste jedoch eine gesetzliche Neuregelung gefunden werden.
Denn die Idee, die Höhe der Bundesbeteiligung anhand
einer aufwendigen Berechnung regelmäßig neu zu berechnen, hat sich als nicht praxistauglich erwiesen.
Nach auch hier langen Verhandlungen mit den Ländern konnte eine Vereinbarung getroffen werden, die im
Wesentlichen drei Punkte umfasst:
Erstens. Die durchschnittliche Beteiligung des Bundes
wurde auf 31,8 Prozent festgesetzt. Damit ist der Bund
dem Votum des Bundesrates gefolgt und stellte 450 Millionen Euro mehr zur Verfügung als aus seiner Sicht notwendig gewesen wäre. Für 14 Länder wurde die Bundesbeteiligung auf 31,2 festgelegt, für Baden-Württemberg auf
35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 41,2 Prozent.
Diese Regelung wurde einmütig mitgetragen.
Zweitens. Es war mir besonders wichtig, dass der „Ausgleich Ost“ über die Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen bis 2010 verlängert wurde. Damit wurde der
- bis heute immer noch - schwierigen Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen.
Drittens. Die Anpassung der Bundesbeteiligung ab den
Jahren 2008 bis 2010 soll anhand der Entwicklung der
Anzahl der Bedarfsgemeinschaften erfolgen. Vereinfacht
ausgedrückt: Steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften,
steigt auch die Beteiligung des Bundes, und umgekehrt. In
beiden Fällen erfolgt die Beteiligung unterproportional.
Auf eine detaillierte Darstellung der Anpassungsformel
verzichte ich an dieser Stelle. Die Interessierten unter Ihnen
können das im Gesetz genau nachlesen.
In diesem Punkt konnte aber der Bund dem Vorschlag
der Länder, nämlich die Höhe der Ausgaben für die Kosten
der Unterkunft als Maßstab für die Bundesbeteiligung zu
Grunde zu legen, nicht folgen. Ich halte die Entwicklung
der Bedarfsgemeinschaften als Berechnungsgrundlage
nach wie vor für richtig. Denn das primäre Ziel im SGB II
ist es, die Zahl der Hilfebedürftigen und damit die Anzahl
der Bedarfsgemeinschaften zu reduzieren. Somit geht das
Ziel Senkung der Bedarfsgemeinschaften einher mit der
Verringerung der Kosten der Unterkunft. Für die Kommunen besteht somit ein Anreiz, die Wohnkosten regelmäßig
auf Ihre Angemessenheit zu prüfen.
Darüber hinaus haben wir mit dieser Berechnungsmethode Transparenz geschaffen. Denn jeder kann die
Anzahl der Bedarfsgemeinschaften den entsprechenden
Statistiken entnehmen. Somit ist der Anpassungsmechanismus eindeutig und nachvollziehbar.
Nicht sonderlich überrascht war ich, dass Ende 2007
das Feilschen der Länder, als wir mit dem dritten Änderungsgesetz des SGB II den Bundeszuschuss für 2008
nach eben diesem Verfahren festlegen wollten, erneut
begann. Dabei hatten wir doch in dieser Frage einen
Konsens erreicht. Die Position der Länder und kommunalen Spitzenverbände und der Kommunen war eindeutig:
Bei der Berechnung sollten auch die enorm gestiegenen
Energiekosten berücksichtigt werden. In der Anhörung
dazu konnten die Sachverständigen die aktuellen Kostensteigerungen jedoch nicht seriös nachweisen. Es konnte
vor allem nicht dargelegt werden, ob und wie die Länder
ihre Einsparungen beim Wohngeld an die Kommunen
weitergegeben haben. Insofern blieb es bei der verabredeten Berechnung.
Im Juni dieses Jahres haben wir mit dem vierten Änderungsgesetz des SGB II beschlossen, die zeitliche Befristung
der Anpassungsformel aufzuheben. Dem Gesetzentwurf
ging ein intensives Beratungsverfahren mit den Ländern
voraus, dem die Länder letztendlich in Zusammenhang
mit der Wohngeldnovelle im SGB XII zustimmten.
Wenn man die Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften
verfolgt, so ist festzustellen, dass es einen kontinuierlichen
Rückgang - auch bedingt durch gesetzliche Änderungen gibt. Der Bundesanteil in 2008 an den KdU hat sich gegenüber 2007 erheblich verringert. Das ist auch dadurch
bedingt, dass der Bund in 2007 einen höheren Anteil ausgegeben hat, als seiner Auffassung nach nötig gewesen
wäre. Ich habe bereits darauf hingewiesen.
Zu Protokoll gegebene Reden
Für 2008 sind Gesamtkosten von 13,4 Milliarden Euro
vorgesehen. Davon entfallen gemäß der Beteiligung des
Bundes von durchschnittlich 29,2 Prozent 3,9 Milliarden
Euro auf den Bund und 9,5 Milliarden Euro auf die Kommunen. Für 2008 sind bereits 83,5 Prozent der bereitgestellten Mittel abgerufen. Es ist also anzunehmen, dass die
geplanten Kosten auch den tatsächlichen entsprechen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anzahl
der Bedarfsgemeinschaften in 2009 weiter rückläufig ist.
Sie veranschlagt Gesamtkosten für die Kosten der Unterkunft von 12,3 Milliarden Euro. Daraus ergibt sich eine
Beteiligung des Bundes von 26,0 Prozent. Das führt zu
Ausgaben in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro. Gegenüber 2007 ergibt sich eine Entlastung des Bundes um
rund 0,7 Milliarden Euro. Die Kommunen tragen gemäß
ihrem Anteil rund 9,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer
Entlastung von 0,4 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bestimmen wir
nur das Ergebnis für 2009 gemäß der verabredeten
Anpassungsformel. Trotz rückläufiger Bundesbeteiligung
steht der Bund weiterhin dazu, die Kommunen in ihrer
Gesamtheit um jährlich 2,5 Milliarden Euro zu entlasten.
Damit bleibt der Bund wie in den letzten Jahren ein verlässlicher Partner der Kommunen. Jedoch kann der Bund nicht
die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Das
lässt unsere Finanzverfassung nicht zu. An dieser Stelle
sind die Länder gefordert, über den Finanzausgleich für
einen Ausgleich zu sorgen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll - entsprechend den Regelungen der Vorjahre - die Höhe der Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung
für das kommende Jahr angepasst werden. Damit soll die
Zusage erfüllt werden, die den Kommunen im Rahmen
der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gemacht worden ist. Es geht um eine Entlastung der
Kommunen in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden
Euro. Das war von Anfang an das entscheidende Ziel: die
Entlastung der Kommunen.
Die FDP hat bereits in vergangenen Jahren auf den
Fehler hingewiesen, den Bundeszuschuss ausschließlich
nach der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu bemessen.
Wir haben das Ziel unterstützt, im Interesse der Kommunen eine gewisse Planungssicherheit zu schaffen. Doch
die Ausrichtung an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften
hielten wir für falsch. Wir halten es nach wie vor für
falsch. Daran hat sich nach den Jahren nichts geändert.
Denn die Bedarfsgemeinschaften sind als Bezugsgröße
ungeeignet, die tatsächlichen Verhältnisse abzubilden.
Ein Singlehaushalt verursacht geringere Miet- und
Heizkosten als eine Großfamilie. Arbeitet man hier mit
einem Mittelwert über alle Größen von Bedarfsgemeinschaften hinweg, dann sind automatisch diejenigen Kommunen benachteiligt, in denen strukturell bedingt mehr
kinderreiche Familien leben. Die Ballungsräume mit der
Vielzahl an Singlehaushalten werden dann begünstigt.
Die Kommunen im ländlichen Raum mit einer strukturell
bedingt höheren Zahl an Bedarfsgemeinschaften mit
mehreren Personen haben das Nachsehen. Das ist nicht
im Sinne einer gerechten Entlastung aller Kommunen.
Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass hier nur
ein Weg richtig sein kann: Wir müssen wegkommen vom
der Bezugsgröße der Bedarfsgemeinschaften. Wir müssen
dahin kommen, dass die tatsächlich entstandenen Kosten
der Maßstab für die Bundesbeteiligung sind. Anders werden wir die Angelegenheit nicht lösen können. Planungssicherheit und finanzielle Entlastung für die Kommunen
sind ja schön und gut - aber dann auch bitte entsprechend
den tatsächlich entstandenen Kosten.
Während der Bund das Risiko für die Banken übernimmt, bürdet er den Kommunen weitere Risiken auf. Für
das Funktionieren des Finanzmarktes werden förmlich
über Nacht 480 Milliarden Euro durch die Bundesregierung bereitgestellt. Zeitgleich erhalten Länder und
Kommunen 700 Millionen Euro weniger Mittel zur Finanzierung der Kosten der Unterkunft. Ich finde es ungeheuerlich, dass diese Entscheidung im selben Atemzug mit
der Entscheidung zum Finanzmarktpaket getroffen
wurde.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf zur Änderung
des SGB II - Zweites Buch Sozialgesetzbuch - will die
Bundesregierung eine erneute Absenkung des Bundesanteils an der Finanzierung der Leistungen für Unterkunft
und Heizung für Hartz-IV-Beziehende vornehmen. Der
Bundesanteil soll von 29,2 Prozent auf 26 Prozent abgesenkt werden Das entspricht 700 Millionen Euro. Nach
Schätzung der Bundesregierung werden sich die Gesamtausgaben für die Kosten der Unterkunft im Jahr 2009 auf
rund 13 Milliarden Euro belaufen. Davon müssen die
Kommunen 9,1 Milliarden Euro an Kosten tragen.
Berücksichtigt man die bereits für das Jahr 2008 vorgenommene Reduzierung des Bundesanteils, kommt es
für die Folgejahre zu einer dauerhaften Zusatzbelastung
der Kommunen von insgesamt über 1,5 Milliarden Euro.
Hinzu kommen zusätzliche Ausgaberisiken infolge der
Steigerungen des Ölpreises oder Anhebungen des Mietspiegels, und es ist zu befürchten, dass die Kommunen
diesen finanziellen Druck an die Betroffenen weiterreichen. An dieser Stelle will ich abermals bundesweit einheitliche Mindeststandards für die Berechnung der KdU
einfordern.
Der Bundesrat hat sich am 7. November 2008 mit dem
Gesetzesentwurf befasst. Wie nicht anders zu erwarten
war, haben die Länder mehrheitlich zugestimmt. Warum?
Die Antwort darauf finden Sie - stellvertretend für alle
anderen Länder - in einer Anmerkung des Landes Sachsen-Anhalt zu diesem Gesetzesentwurf. Ich zitiere:
Der Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt selbst
wird durch die Verringerung des Bundesanteils
nicht belastet. Wohl aber sind die Haushalte der
Landkreise und kreisfreien Städte betroffen. Deren
Ausgaben für Unterkunft und Heizung dürften in
diesem Jahr ({0}) um rund
3,75 Prozent sinken, so dass landesweit die Senkung in 2008 kompensiert werden könnte.
Zu Protokoll gegebene Reden
Auf Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag müssen sich nun auch in erster Lesung zum Entwurf eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB II alle Fraktionen erneut zum Vorgehen des Bundes in dieser Frage positionieren. Eine einfache Überweisung, das heißt ohne
Aussprache, an die entsprechenden Ausschüsse - wie es
von den Koalitionsfraktionen geplant war - konnte somit
verhindert werden.
Die Fraktion Die Linke will damit signalisieren, dass
wir an diesem Thema dranbleiben, auch weil wir meinen,
dass schlechte Gesetze wieder geändert werden müssen
und können. Wenn es zu Korrekturen in der Politik kommt,
um die Finanzmarktkrise zu bewältigen, warum sollte
eine Korrektur hinsichtlich der Beteiligung des Bundes
an der Finanzierung der Kosten der Unterkunft nicht
möglich sein? Ich meine, der Bundesanteil muss erhöht
werden. Grundlage für die Berechnung müssen die realen
Kosten für Unterkunft und Heizung sein. Das wäre ein
Schritt in die richtige Richtung.
Der Gesetzentwurf ist als besonders eilbedürftig gekennzeichnet, da die Gesetzesänderung zum 1. Januar
2009 in Kraft treten soll. Die Eilbedürftigkeit hat zur
Konsequenz, dass ein anderes Verfahren angewandt wird;
Art. 76 Abs. 3 Grundgesetz. Der Gesetzentwurf kann bereits nach drei Wochen - auch schon ohne Stellungnahme
des Bundesrates - an den Bundestag weitergeleitet werden. Das heißt hätte der Bundesrat am 7. November 2008
keine Entscheidung dazu getroffen, hätte sich der Bundestag trotzdem damit befassen können.
Den kommunalen Spitzenverbänden wurde nicht die
Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. Die Bundesregierung hat die kommunalen Spitzenverbände erst mit
Schreiben vom 20. Oktober 2008 über den Gesetzesentwurf
in Kenntnis gesetzt. Der Gesetzesentwurf selbst datiert
vom 16. Oktober 2008. Laut GGO der Bundesministerien,
§ 47 GGO, sind aber die kommunalen Spitzenverbände bei
allen Gesetzesvorhaben, die ihre Belange berühren,
grundsätzlich zu beteiligen. Auch Änderungsgesetze fallen darunter.
Die jeweils federführenden Bundesministerien müssen
laut GGO bei den kommunalen Spitzenverbänden rechtzeitig Angaben zu den Ausgaben einholen. In der Antwort
der Bundesregierung auf meine schriftliche Anfrage heißt
es hierzu:
Mit dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuches, das
am 15. Oktober 2008 im Bundeskabinett beschlossen wurde, wird die Höhe der Bundesbeteiligung an
den Leistungen für Unterkunft und Heizung im
SGB II im Jahr 2009 festgelegt. Die gesetzlichen
Vorgaben zur Bestimmung und Festlegung der
Höhe der Bundesbeteiligung sind in § 46 Abs. 7 und
Abs. 8 SGB II eindeutig festgeschrieben und für die
Öffentlichkeit transparent nachvollziehbar. Bei dem
Gesetzentwurf handelt es sich daher um ein reines
Feststellungsgesetz, mit dem die gesetzlichen Vorgaben zur Bestimmung der Höhe der Bundesbeteiligung umgesetzt werden. Den kommunalen Spitzenverbänden wurde der Gesetzentwurf nach
Kabinettsbeschluss zur Kenntnis übersandt.
Der Bund zieht sich mit dem Gesetzesentwurf aus der
Finanzierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung
weiter zurück und meint, dass er aufgrund der Gesetzeslage dabei im Recht ist. Vollkommen in Vergessenheit gerät dabei, dass die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände, die Oppositionsparteien im Bundestag und
anfangs auch die Länder ihre Zustimmung zu dieser
Rechtsgrundlage versagt hatten.
2007 betrug die Bundesbeteiligung 31,8 Prozent. 2008
wurde die Bundesbeteiligung auf 29,2 Prozent abgesenkt.
Hintergrund hierfür ist die Einführung einer neuen Berechnungsformel, mit der sich der Bund quasi aus der
Verantwortung rechnen kann. Für die Berechnung dessen, was der Bund zahlen will, werden nicht die Istzahlen
- also die realen Kosten, die den Kommunen entstehen zugrunde gelegt, sondern die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften. Da die Zahl der Bedarfsgemeinschaften aufgrund der Politik der großen Koalition rückläufig ist, die
realen Kosten aber weiter steigen, geht dies erneut zulasten der Kommunen.
Die Berechnungsformel ist ein Deal zwischen Bund
und Ländern, der im Ergebnis eines Vermittlungsverfahrens erzielt wurde. Man wollte auf diesem Weg künftigen
Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. Die Kommunen waren daran nicht beteiligt.
Die neue Berechnungsformel ist 2008 erstmalig angewandt worden. Dabei ergab sich eine eklatante Differenz
zwischen den realen Kosten für Unterkunft und Heizung,
die um 8 Prozent gestiegen waren, und der als Maßstab
für die Anpassung herangezogenen Zahl der Bedarfsgemeinschaftszahlen, die um 4 Prozent gesunken war. Dass
es hier eine Differenz gibt, hatte selbst die Bundesregierung im Rahmen der Debatte zum Bundeshaushalt 2008
zugeben müssen.
Auf die Frage der Fraktion Die Linke, in welchem Verhältnis die Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu der Entwicklung der Gesamtkosten für KdU
im SGB II steht, antwortete die Bundesregierung im
Haushaltsausschuss:
Die Leistungen für Unterkunft sind von 12,1 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 13,9 Milliarden Euro im
Jahr 2006 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die
durchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften
von 3,7 Millionen Euro in 2005 auf 3,9 Millionen
Euro in 2006 gestiegen. Die Zahlen machen deutlich, dass sich die durchschnittlichen LfU pro Bedarfsgemeinschaft und die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in den letzten Jahren unterschiedlich
entwickelt haben.
Das führte allerdings nicht dazu, die Berechnungsformel infrage zu stellen, da der Bund dann eine Erhöhung
der Bundesbeteiligung hätte vornehmen müssen. Die Absenkung der Bundesbeteiligung führte im Jahr 2008 bei
den Kommunen im Saldo zu einer Belastung der Kommunen von 1,15 Milliarden Euro.
In dem vorliegenden Gesetzesentwurf heißt es:
Für das Jahr 2009 werden Gesamtausgaben für
Leistungen für Unterkunft und Heizung von rd.
Zu Protokoll gegebene Reden
12,3 Mrd. Euro erwartet. Bei einer Bundesbeteiligung in Höhe von 26,0 Prozent führt dies zu Ausgaben des Bundes in Höhe von rd. 3,2 Mrd. Euro. Für
das Jahr 2009 ist daher mit einer Entlastung für
den Bund in Höhe von rund 0,7 Mrd. Euro … zu rechen …
Die Kommunen tragen … einen Betrag in Höhe von
rd. 9,1 Mrd. Euro.
Was heißt das konkret für die Kommunen? Welche
Mehrbelastungen kommen auf sie zu? Wir haben in den
Städten und Landkreisen nachgefragt; hier nur einige
Beispiele. In folgenden Kommunen kommt es zu Mehrbelastungen: Erfurt: circa 2 Millionen Euro, Berlin: 45 Millionen Euro, Landkreis Märkisch-Oderland: 1,5 Millionen Euro, Landkreis Nordwestmecklenburg: 740 800
Euro, Freiburg: 1,3 Millionen Euro, Würzburg: 570 000
Euro, Landkreis Ostvorpommern: 1 Millionen Euro,
Landkreis Ilm: 660 000 Euro, Landkreis Rügen :567 000
Euro, Kassel: 1 689 216 Euro, Landkreis Offenbach:
1,6 Millionen Euro, München: rund 6,7 Millionen Euro,
Landkreis Oberhavel: rund 1,44 Millionen Euro, Wuppertal: 3,2 Millionen Euro, Landkreis Stendal 1,08 Millionen Euro, Oberhausen: rund 1,64 Millionen Euro,
Landkreis Nordsachsen: rund 1,47 Millionen Euro, Dresden rund 3,7 Millionen Euro.
Die erneute Absenkung der Bundesbeteiligung um
3,2 Prozentpunkte entlastet den Bund um 700 Millionen
Euro und belastet die Kommunen erneut - diesmal um
circa 400 Millionen Euro. Das führt insgesamt zu einer
Dauerbelastung der Kommunen von über 1,5 Milliarden
Euro nur im Bereich der Kosten der Unterkunft, also
Leistungen für Unterkunft und Heizung.
Im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung hatte man den
Kommunen versprochen, sie um 2,5 Milliarden Euro zu
entlasten. Tatsächlich hatten die Länder und Kommunen
2006 eine detaillierte Berechnung vorgelegt, die hierfür
eine Bundesbeteiligung im Jahr 2007 von über
34 Prozent erfordert hätte.
Lassen Sie mich an dieser Stelle stellvertretend für
viele andere Städte und Landkreise den Oberbürgermeister der Stadt Erlangen zitieren, der seine Empörung über
die erneute Absenkung des Bundesanteils zur Finanzierung der KdU wie folgt zum Ausdruck bringt:
Im Ergebnis ist festzustellen, dass
- der große Gewinner der Gesetzesänderungen
der letzten Jahre im Sozialbereich die Länder
sind,
- der Bund seine Haushaltsbelastung zur Finanzierung der Unterkunftskosten bedürftiger Bevölkerungskreise in erheblichem Umfang senken
konnte und
- die großen Verlierer die Kommunen sind, die für
die Finanzierung der Unterkunftskosten bedürftiger Bevölkerungskreise Haushaltsmittel in
ganz erheblichem Umfang zur Verfügung stellen
müssen.
Offensichtlich ist die gesetzliche Verpflichtung des
Bundes aus § 46 Abs. 5 SGB II, wonach der Bund
verpflichtet ist, eine finanzielle Entlastung der
Kommunalebene durch Inkrafttreten des SGB-IIGesetzes um 2,5 Milliarden Euro sicherzustellen,
von allen Verantwortlichen völlig aus dem Auge
verloren worden. Diese bedenkliche, kommunalunfreundliche Entwicklung wird besonders dadurch
deutlich, dass neuerdings die Höhe der Bundesbeteiligung an den KdU-Kosten des SGB II nicht
mehr von der tatsächlichen KdU-Belastung der
Kommunen abhängig gemacht wird, sondern vielmehr nur noch von der - davon völlig abweichenden - Entwicklung der Anzahl der SGB II Bedarfsgemeinschaften.
Sicher verfügen die Kommunen in den letzten beiden
Jahren insgesamt über höhere Gewerbesteuereinnahmen.
Aber es sind nicht alle Kommunen, die davon profitieren.
Auch hier wird die Schere zwischen Arm und Reich immer
größer. Die Kommunen haben ein strukturelles Defizit,
das insbesondere infolge der Aufgabenübertragung
durch Bund und Länder ohne die dafür erforderlichen Finanzen im sozialen Bereich entstanden ist. Es beträgt
mehr als 10 Milliarden Euro. Sie schieben es seit fast zwei
Jahrzehnten vor sich her. Die Gesamtverschuldung der
Kommunen beträgt aktuell 110 Milliarden Euro, darunter
30 Milliarden Euro Kassenkredite, die zur Finanzierung
der laufenden Aufgaben benötigt werden.
Fazit: Es ist mehr als makaber, dass die Entscheidung
zur weiteren Absenkung des Bundesanteils zur Finanzierung der Kosten der Unterkunft zum gleichen Zeitpunkt
erfolgte wie die Bewilligung von 480 Milliarden Euro für
die Banken. Diese Entscheidung hätte ausgesetzt werden
müssen.
Während man etliche „Schutzschirme“ aufspannt,
lässt die Bundesregierung zum wiederholten Mal die
Kommunen im Regen stehen. Der Bund hat in den letzten
Jahren die Kommunen finanziell immer mehr belastet.
Deshalb muss endlich eine Gemeindefinanzreform auf die
Tagesordnung.
Letztendlich zeigt dieser Vorgang auch, dass ein verbindliches, im Grundgesetz verankertes Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände im Gesetzgebungsverfahren des Bundes längst überfällig ist.
Österreich hat dieses Recht seinen kommunalen Spitzenverbänden vor mehr als 15 Jahren in der Verfassung zugestanden. Seitdem gibt es eine andere politische Kultur
des Austragens von Interessenkonflikten. Die österreichische Bundesregierung würde es niemals wagen, Gesetze,
die die Belange ihrer Kommunen berühren, ohne frühzeitige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und
Kommunen zu verabschieden.
Scheinbar ist die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
eingeleitete Kürzung des Bundesanteils an den Kosten
der Unterkunft nach dem SGB II von ursprünglich
29,1 Prozent in 2005 auf 26 Prozent in 2009 nur noch
eine Formalie. Auch die Bundesländer erheben in ihrem
Bundesratsbeschluss vom 7. November 2008 keine Einwände, ist doch die Festlegung des Bundesanteils eine
logische Konsequenz des im Vermittlungsausschuss noch
vor der Sommerpause getroffenen Formelkompromisses,
Zu Protokoll gegebene Reden
wonach der Bund sich künftig an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit einer
gestaffelten Quote beteiligt, die von 13 Prozent im Jahr
2009 auf einen Anteil von 16 Prozent im Jahr 2012 steigt.
Im Gegenzug wurde die umstrittene und von den kommunalen Spitzenverbänden bis heute kritisierte Anpassungsformel für die Ermittlung des Bundesanteils an den
Kosten der Unterkunft für SGB-II-Beziehende festgeschrieben. Bedingt durch den konjunkturellen Aufschwung ist die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften gesunken. Entsprechend sinkt der
Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft. Auf den ersten Blick scheint also alles in bester Ordnung zu sein.
Jedoch nur auf den ersten Blick: Die mit dem genannten Formelkompromiss festgeschriebene Anpassungsformel für den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft
benachteiligt strukturell die Kommunen. Dies wirkt sich
wiederum zulasten der Menschen aus, die am Ende dieses
Verteilungsprozesses stehen, die Langzeitarbeitslosen;
denn faktisch sind die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung je Bedarfsgemeinschaft nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen. Trotz rückläufiger Entwicklung der Zahl der Hilfeempfänger blieben daher die
Ausgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung mit
13,65 Milliarden Euro in 2007 unverändert hoch. In diesem Jahr drohen den Kommunen nach meinen Schätzungen allein wegen der Heizkosten, die im Vergleich zum
Vorjahr um fast 60 Prozent gestiegen sind, Mehrausgaben von 1 Milliarde Euro. In der Folge ist zu erwarten,
dass in 2008 trotz der weiter rückläufigen Entwicklung
der Bedarfsgemeinschaften die Gesamtausgaben der
Kommunen für Unterkunft und Heizung nicht sinken.
Diese Kostensteigerung wird in der Anpassungsformel,
die sich ausschließlich an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften, nicht jedoch an den tatsächlichen Kosten der
Unterkunft orientiert, nicht abgebildet.
Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die beängstigende
Zunahme des Niedriglohnsektors auf mehr als 20 Prozent. Dies schlägt sich in der Zahl der Aufstocker nieder,
das heißt der Personen, die ergänzend zum Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II beziehen. Auch die Zahl der
Aufstocker ist trotz des konjunkturellen Aufschwunges
seit 2006 kontinuierlich gestiegen. Diese Bedarfsgemeinschaften beziehen oftmals ausschließlich Kosten der Unterkunft, da das Einkommen zunächst auf die vom Bund
finanzierte Regelleistung angerechnet wird. Die Unfähigkeit der Bundesregierung, Niedriglöhne durch die
flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen zu
bekämpfen, trifft nicht nur die betroffenen Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Kommunen, die diese Fehlentwicklung finanziell primär abfedern.
Die strukturelle Veränderung des Arbeitsmarktes trifft
die Kommunen doppelt hart; denn der Anstieg des Niedriglohnsektors trägt auch in besonderem Maße zur Entwicklung von Altersarmut bei. So wird die Untätigkeit der
Bundesregierung im Kampf gegen Armut trotz Arbeit mittel- bis langfristig zu einer drastischen Zunahme der
Empfänger von Grundsicherung im Alter führen. Der
oben genannte Formelkompromiss, der eine Bundesbeteiligung an den Kosten für die Grundsicherung im Alter vorsieht, wird als Kompensationsleistung an die Kommunen nicht lange Bestand haben; denn schon in den
vergangenen Jahren stiegen die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter kontinuierlich, zuletzt im Jahr 2007
um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In wenigen Jahren wird sich herausstellen, dass die kompensatorisch
eingeführte Bundesbeteiligung an diesen Kosten von der
Entwicklung der Altersarmut überflügelt wird.
Ein Blick in die Zukunft lässt ebenfalls nichts Gutes erwarten. Angesichts des bevorstehenden konjunkturellen
Abschwunges geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in seiner zuletzt veröffentlichten Prognose vom 24. Oktober 2008 von
einer Zunahme der Arbeitslosigkeit in 2009 aus, die vorwiegend aufseiten der Langzeitarbeitslosen, also im Arbeitslosengeld II zu verbuchen sein wird.
So werden wir im nächsten Jahr mit deutlich steigenden Kosten der Unterkunft bei einem gleichzeitig sinkenden Bundesanteil konfrontiert sein. Es braucht nicht viel
Fantasie, um sich auszumalen, auf wessen Schultern dieser Verteilungskampf letztlich ausgetragen wird: Auf den
Schultern der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden. Diese
werden von den Job Centern verstärkt unter Druck gesetzt werden, sich eine kostengünstigere Wohnung zu suchen. Schon jetzt versuchen einige Kommunen mit rechtlich fragwürdigen Tricks die Heizkosten zu deckeln. Statt
Langzeitarbeitlose in Arbeit zu vermitteln, werden sie,
etwa durch Zahlung von begrenzten Pauschalbeträgen, in
Unsicherheit bezüglich ihrer Wohnsituation gehalten.
Dies ist kein Beitrag zur Förderung der Integration von
Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Der Impuls für
diese Fehlsteuerung geht auf das Konto der Bundesregierung.
Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf ist vorgesehen, die Bundesbeteiligung an den Leistungen der
Kommunen für Unterkunft und Heizung anzupassen.
Diese Anpassung steht am Ende einer mehrjährigen,
nicht immer einfachen und von allen Beteiligten mit großem Engagement geführten Diskussion.
Kurz zum Hintergrund: Bundestag und Bundesrat haben sich im Vermittlungsausschuss 2004 grundsätzlich
über die Verteilung der finanziellen Belastungen aus der
Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
verständigt. Danach werden die Kommunen im Zuge der
Umsetzung des Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt um insgesamt 2,5 Milliarden
Euro entlastet - unter anderem, um Spielraum für den
Ausbau von Kinderbetreuungsmaßnahmen zu schaffen.
In § 46 Abs. 5 SGB II wurde dies gesetzlich verankert. Um
diese Entlastung zu erreichen, soll sich der Bund entsprechend der Vereinbarung aus dem Vermittlungsausschuss
2004 an den Leistungen für Unterkunft und Heizung von
SGB-II-Beziehern beteiligen. So weit die ursprüngliche
Vereinbarung.
In den ersten beiden Jahren wurde diese Bundesbeteiligung anhand einer in 2004 vereinbarten, sehr aufwendigen Berechnung durchgeführt. Dabei mussten wir unter
Zu Protokoll gegebene Reden
anderem auf eine fiktive Fortschreibung der Entlastung
der Kommunen zurückgreifen. Diese Methode war naturgemäß streitanfällig und hat zu vielen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern geführt. Ende 2006
haben sich Bund und Länder daher nach schwierigen
Verhandlungsrunden darauf verständigt, die Berechnung
der erforderlichen Höhe der Bundesbeteiligung auf eine
andere Basis zu stellen.
Anstelle der bis dahin gesetzlich verankerten Berechnung zur Be- und Entlastung der Gesamtheit der Kommunen trat auf Vorschlag der Länder ein neuer Mechanismus, der Streit vermeiden soll und dies augenscheinlich
nun auch tut. Wir haben vereinbart, dass die weitere Anpassung der Bundesbeteiligung von der Entwicklung der
Zahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II abhängen
sollte - ausgehend von der Situation in 2006. Auf diese
Weise war keine fiktive Berechnung der Entlastungen der
Kommunen mehr notwendig.
Schon die Höhe der Bundesbeteiligung für das Jahr
2008 wurde anhand dieser damals noch neuen Formel
berechnet und gesetzlich festgelegt. Das geschieht nun
auch für das Jahr 2009. Die gesetzlich verankerte Anpassungsformel gibt uns dabei genau vor, wie wir zu rechnen
haben. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird damit lediglich die gemeinsam vereinbarte Regelung umgesetzt.
Die Berechnungen haben einen durchschnittlichen
Rückgang der Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Höhe
von 4,6 Prozent und damit eine erforderliche Senkung der
Bundesbeteiligung in Höhe von 3,2 Prozentpunkten ergeben. Dementsprechend muss - das ist der Auftrag des Gesetzes - die Bundesbeteiligung für Rheinland-Pfalz auf
eine Höhe von 35,4 Prozent, jene für Baden-Württemberg
auf eine Höhe von 29,4 Prozent und jene für die anderen
14 Länder auf eine Höhe von 25,4 Prozent festgelegt werden. Dies entspricht einer bundesdurchschnittlichen Bundesbeteiligung in Höhe von 26 Prozent.
Die neue Anpassungsformel hat sich bewährt. Ich
denke, ich spreche hier für den Bund und die Länder. Im
Sommer dieses Jahres haben sich Bund und Länder deshalb im Vermittlungsausschuss darauf verständigt, diese
Anpassungsformel über das ursprünglich vereinbarte
Jahr 2010 hinaus unbefristet anzuwenden.
Das ist eine gute Entscheidung für alle Beteiligten,
weil sie langfristig für Transparenz und Planungssicherheit sorgt. Deshalb freue ich mich auch, dass der Bundesrat keine Einwendungen gegen das vorliegende Gesetz
erhoben hat.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10811 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts
- Drucksache 16/10798 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute
Granold, CDU/CSU, Christine Lambrecht, SPD, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Jörn Wunderlich,
Die Linke, Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die
Grünen, und des Parlamentarischen Staatssekretärs
Alfred Hartenbach.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10798 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes
und zur Änderung anderer Vorschriften
({1})
- Drucksachen 16/10292, 16/10332 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
({2})
- Drucksache 16/10900 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Enak
Ferlemann, CDU/CSU, Petra Weiß, SPD, Patrick
Döring, FDP, Heidrun Bluhm, Die Linke, Peter Hettlich,
Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamentarischen
Staatssekretärs Ulrich Kasparick.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10900, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10292
und 16/10332 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU, FDP bei Enthaltung von Bünd-
nis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
1) Anlage 20
2) Anlage 21
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb-
nis wie in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 45 a und 45 b auf.
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
- Drucksachen 16/10528, 16/10695 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
({3})
- Drucksache 16/5107 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Hans-Christian
Ströbele, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes
- Drucksache 16/2650 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 16/10913 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Dr. Michael Bürsch
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff ({5})
Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Einbürgerungen erleichtern - Ausgrenzungen
ausschließen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Wolfgang Nešković, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für die Abschaffung der Optionspflicht im
Staatsangehörigkeitsgesetz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin, Petra Pau und der
Fraktion DIE LINKE
Klare Grenzen für die Rücknahme und den
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ziehen
- Drucksachen 16/1770, 16/9165, 16/9654, 16/
10913 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Dr. Michael Bürsch
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff ({7})
Sevim Dağdelen
Josef Philip Winkler
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Günter
Baumann, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid
Wolff, FDP, Sevim Da_delen, Die Linke, Josef Philip
Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innen-
ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 16/10528 und 16/10695
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom-
men.
Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzent-
wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5107 abzuleh-
nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion der FDP
mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehö-
rigkeitsrechtes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10913,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/2650 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
1) Anlage 22
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Innenausschusses auf Drucksache 16/10913
zu den Anträgen der Fraktion Die Linke fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 16/1770 mit dem Titel „Einbürgerungen erleichtern - Ausgrenzungen ausschließen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 5 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags auf Drucksache 16/9165 mit dem Titel „Für
die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/
CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
auf Drucksache 16/9654 mit dem Titel „Klare Grenzen
für die Rücknahme und den Verlust der deutschen
Staatsangehörigkeit ziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Düngegesetzes
- Drucksache 16/10032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8})
- Drucksache 16/10874 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Röring
Gustav Herzog
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um
die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Johannes Röring, CDU/CSU, Gustav Herzog, SPD,
Dr. Edmund Peter Geisen, FDP, Dr. Kirsten Tackmann,
Die Linke, Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10874, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/10032 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU
bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10888.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 25. November 2008, 10 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einen schönen
Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.