Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/13/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Ihnen mitteilen, dass der Kollege Horst Seehofer am 5. November auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. ({0}) - Das ist Ihnen vor dieser ultimativen Entscheidung offensichtlich nicht mit der gleichen Deutlichkeit vorgetragen worden, wie das jetzt nachträglich der Fall ist. - Jedenfalls ergibt sich nun die definitive Konsequenz, dass als Nachfolger der Kollege Matthäus Strebl im Deutschen Bundestag zu begrüßen ist, der uns bereits aus früheren Wahlperioden bestens vertraut ist. ({1}) Lieber Kollege Strebl, ich begrüße Sie ganz herzlich. Ihnen muss ich besonders wenig erläutern, in welcher guten Gesellschaft Sie sich hier befinden. Wir freuen uns, dass Sie wieder dabei sind und auf die weitere Zusammenarbeit. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansJoachim Otto ({3}), Jörg van Essen, Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheit bei der Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen - Drucksache 16/10838 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fortsetzen - Filteraustausch umsetzen, Prüf- und Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter einführen - Drucksache 16/9802 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz an den Finanzmärkten schaffen Anschleichtaktik bei verdeckten Unternehmensübernahmen verhindern - Drucksache 16/10640 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({7}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Weisskirchen ({9}), Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen kontrollieren - Drucksache 16/10846 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({10}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Pakistan und Afghanistan stabilisieren - Für eine zentralasiatische regionale Sicherheitskonferenz - Drucksache 16/10845 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({11}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({12}) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ulrike Höfken, Marieluise Beck ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushalt für Bekämpfung der Hungerkrise nutzen - Drucksachen 16/10591, 16/10912 - Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Hellmut Königshaus Alexander Ulrich Thilo Hoppe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ({16}) KOM({17}) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08 - Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 - Berichterstattung: Abgeordneter Jens Spahn c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Staffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Internetnutzerinnen und -nutzer nicht massenhaft kriminalisieren - Novellierung des EU-Telekommunikationspaketes nicht für Urheberrechtsregelungen missbrauchen - Drucksache 16/10843 ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn endgültig absagen ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Missbilligung der Amtsführung und Entlassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee - Drucksache 16/10918 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so weit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 21 a - dabei handelt es sich um das Jahressteuergesetz 2009 - muss abgesetzt werden. In der Folge sollen die Tagesordnungspunkte 23, 25, 29 und 21 b jeweils nach den Tagesordnungspunkten 20, 22, 24 und 28 aufgerufen werden. - Das scheint niemanden wirklich zu beunruhigen, sodass wir das so vereinbaren können. Schließlich ist vorgesehen, den Entwurf des Erbschaftsteuerreformgesetzes auf den Drucksachen 16/7918 und 16/8547 nachträglich gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung zusätzlich an den Haushaltsausschuss zur Mitberatung zu überweisen: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts ({18}) - Drucksachen 16/7918, 16/8547 überwiesen: Finanzausschuss ({19}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Storting des Königreichs Norwegen, Herr Thorbjørn Jagland, mit seiner Delegation Platz genommen. ({20}) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, von denen Ihnen einige bereits in Präsident Dr. Norbert Lammert den letzten Tagen begegnet sind, begrüße ich Sie ganz herzlich. Sehr geehrter Herr Präsident, es ist uns eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch in Deutschland zu Gast zu haben. Der Deutsche Bundestag misst der Zusammenarbeit unserer Parlamente - gerade wegen der immer größeren Bedeutung der europäischen Kooperation - große Bedeutung bei. Ihr Besuch in Deutschland ist Ausdruck der freundschaftlichen und engen Beziehungen. Wir hatten schon gestern Gelegenheit, unsere gemeinsame Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass nicht nur die Beziehungen zwischen unseren Ländern exzellent sind, sondern dass sich auch und gerade die Beziehungen zwischen unseren Parlamenten in den vergangenen Jahren in einer erfreulichen Weise vertieft haben. Daran wollen wir weiterarbeiten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen angenehmen und ergebnisreichen Aufenthalt in Deutschland. Herzlich willkommen! ({21}) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen ({22}) - Drucksache 16/10809 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({23}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion. ({24})

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Heute bringen wir den Entwurf eines Familienleistungsgesetzes ein, und darüber freue ich mich sehr. Vor kurzem habe ich in einer Zeitung gelesen, das Klügste, was ein Politiker oder eine Politikerin beim Thema Kindergeld machen könne, sei es, einfach zu schweigen. Wir können hierbei im Grunde nichts richtig machen. Erhöhen wir das Kindergeld, dann ist es nicht genug; lehnen wir eine Erhöhung ab, dann sind wir natürlich familienfeindlich. Erhöhen wir den Kinderfreibetrag, dann nützt es nur den Besserverdienenden; machen wir es nicht, verstoßen wir gegen die Verfassung. Diese Zeitungsbeschreibung erinnert mich an einige Anhörungen, Briefe und Presseerklärungen aus den letzten Jahren, die unsere Gesetze, die Kindergelderhöhungen beinhaltet haben, regelmäßig begleitet haben. Ich habe mindestens vier dieser Gesetze bereits mutig mitgestalten können, und jedes von ihnen hat die Situation der Familien verbessert. Deswegen arbeite ich auch dieses Mal voll Lust daran mit, trotz aller Widrigkeiten, die uns bestimmt ins Haus stehen werden. Als ich 1990 in den Bundestag kam, haben wir für Kindergeld und Kinderfreibetrag umgerechnet gerade einmal 5,7 Milliarden Euro ausgegeben. 2005/2006, also 15 Jahre später, waren es dann über 35 Milliarden Euro. Das Volumen hat sich in dieser Zeit also verfünffacht, und jeder Cent davon ist gut angelegt. ({0}) Mit diesem Gesetz kommen noch einmal 2 Milliarden Euro hinzu. Der Kinderfreibetrag wird auf das neu ausgerechnete sächliche Existenzminimum für Kinder von 6 024 Euro angehoben. Im Gesetz steht zwar noch der Betrag von 6 000 Euro; hier war das Kabinett mit seiner Entscheidung schneller als die Rechner. Schon bei der Einbringung können wir also diesen Änderungsantrag ankündigen. Noch einmal: Der Kinderfreibetrag beläuft sich auf 6 024 Euro. Das Kindergeld wird pro Kind um 10 Euro erhöht; ab dem dritten Kind kommen weitere 6 Euro hinzu. „Das ist gut“, hat meine Mitarbeiterin gesagt, „da habe ich ja schon die Hälfte meiner Mieterhöhung wieder herein; jeden Monat 20 Euro mehr kann man gut brauchen.“ Meine Nachbarin ist eine alleinerziehende Mutter und Studentin. Sie hat mir erzählt, dass sie nun endlich ein kleines Sparbuch anlegen wird. So bescheiden die Erhöhung für die einzelnen Familien ausfällt, so summieren sich die Ausgaben ja doch auf mehr als 2 Milliarden Euro. Dazu addieren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kindertagesstättenausbauprogramm mit 4 Milliarden Euro, die letzten Reste vom Ganztagsschulprogramm, die Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten, also für Kindergartenbeiträge, Tagesmütter usw., die Anhebung des BAföG, die Anhebung des Wohngeldes, das erfolgreiche Elterngeld und die Erhöhung des Kinderzuschlages. Damit erreichen wir innerhalb von nur zwei Jahren eine mehr als stattliche Summe, die die Große Koalition den Familien zur Verfügung gestellt hat. ({1}) Bei all diesen Maßnahmen haben wir immer die individuellen Lebensplanungen der Familien berücksichtigt, also keine Direktiven ausgegeben, sondern Angebote unterbreitet, die die bunte Vielfalt der Lebensformen unterstützen und fördern. Dabei ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung ein ganz besonders wichtiger Schritt für uns gewesen, versehen mit einem Rechtsanspruch, über den sich die SPD-Fraktion selbstverständlich besonders freut. Ich habe nicht geglaubt, dass wir für die Familien so weit vorankommen werden. Die Unterstützung der verschiedenen Familien- und Lebensphasen gilt auch für den zweiten Bereich des Fa19966 milienleistungsgesetzes, das mit vollem Namen „Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen“ heißt. Versuche, die Rolle von Haushalten als Arbeitgeber zu forcieren und den hohen Anteil von Schwarzarbeit in diesem Bereich zurückzudrängen, laufen schon seit vielen Jahren mit mehr oder minder viel Erfolg. Es gibt viele Studien, die einen hohen Arbeitskräftebedarf im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen feststellen, aber so richtig im Fluss ist dies noch nicht, vor allem im Hinblick auf legale, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Bisher waren die Fördermöglichkeiten in Regelungen hierzu in verschiedensten Bereichen versteckt, sodass die Leute sie kaum finden konnten. Mit diesem Gesetz ist es nun gelungen, alle Regelungen zu Steuerermäßigungen in Bezug auf haushaltsnahe Dienstleistungen und Beschäftigungsverhältnisse übersichtlich in einem Paragrafen des Einkommensteuerrechts zu verankern. Zudem haben wir den Umfang der Förderung erheblich ausgeweitet. 20 Prozent auf alles, angelehnt an einen bekannten Werbeslogan, kann man hier sagen. Ob Kochen, Putzen, Bügeln oder Pflegeleistungen zusätzlich zur familiären Pflege oder im betreuten Wohnen oder im Heim - die Kosten für diese Dienstleistungen mindern die tarifliche Einkommensteuer der Auftraggeber. Es sind nicht einfach nur Freibeträge, die sich erst bei den Beziehern höherer Einkommen richtig vorteilhaft auswirken, sondern es ist ein Abzug von der Steuerschuld, der sich auch bei Beziehern kleiner Einkommen voll bemerkbar machen wird. Ich bin sehr froh darüber, dass die SPD-Bundestagsfraktion das durchsetzen konnte. ({2}) Meine andere Nachbarin ist eine alte Dame, die zur Familie ihrer Tochter gezogen ist, um dort besser versorgt zu werden. Sie hat ihr altes Haus im Dorf vermietet und zahlt deshalb etwas an Steuern. Sie hat richtig gestrahlt, als ich ihr erklärte, dass sie die Kosten für ihre Bügelfrau aus der Sozialstation nun von der Steuer absetzen kann. Da könne sie sich nächstes Jahr noch ein paar Stunden mehr Hilfe von der Sozialstation erlauben, sagte sie. Das hat sie ganz glücklich gemacht. Das bewirkt genau das, was wir mit dieser Förderung erreichen wollen: Stabilisierung und Ausweitung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse bei Sozialstationen, Dienstleistungsagenturen, Pflegediensten oder wie sie alle heißen und Erleichterung der Familienarbeit in all ihren Facetten, von der Kinderbetreuung bis zur Hilfe bei der Pflege von Angehörigen. Das ist ein wichtiger Baustein bei den Bemühungen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Für mich ist das eine ganz besondere Familienförderung. Der steuersubventionierte Einkauf von Leistungen schenkt der Familie Zeit für sich und das Zusammenleben. Man muss nicht mehr sagen: „Schönes Wetter, aber schade, ich muss Fenster putzen“, sondern kann mit den Kindern unbeschwert den Gang ins Grüne antreten oder den genussreichen Friseurbesuch machen, während die Oma gut versorgt zu Hause ist. ({3}) Das sind immer nur ganz kleine Facetten, aber - das müssen Sie zugeben, Kolleginnen und Kollegen - diese machen die Lebensqualität von Familien erst aus, und das unterstützen wir bei Familien nachhaltig. Ich bin davon überzeugt, dass die Ausweitung und Vereinfachung der Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen ein guter Beitrag dazu ist. ({4}) Der dritte wichtige Punkt des Gesetzentwurfs ist das Schulbedarfspaket. Das lässt mich nun wirklich mit einem lachenden und einem weinenden Auge hier stehen. Lange, lange hat die SPD-Fraktion für dieses Schulbedarfspaket gekämpft. Ich habe mich schon geschämt, wenn die Caritas mir wieder Briefe geschickt hat, in denen sie auf die finanziellen Grenzen von Hartz-IV-Empfängern bei der Schulbedarfsbeschaffung hingewiesen hat. Nun haben wir das Paket in diesem Gesetzentwurf verankert. 100 Euro pro Kind pro Schuljahr, das ist eine echte Hilfe für Familien, die ihren Kindern trotz Schulbuchgutscheinen und Ähnlichem nicht das erforderliche Material - Schulranzen, Farbkästen, Hefte usw. - zur Verfügung stellen können. Ich freue mich schon auf den Brief, den ich jetzt an die Caritas schreiben kann. Aber - das ist der große Wermutstropfen für mich und die gesamte sozialdemokratische Bundestagsfraktion dieses Schulbedarfspaket ist bis zum 10. Schuljahr befristet, und das darf nicht sein. Gerade die Familien, die es trotz niedrigstem Einkommen schaffen, ihren Kindern eine gute Schulausbildung zu ermöglichen, dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden. ({5}) Hinzu kommt natürlich, dass die Ausgaben in den höheren Schulklassen steigen. Da appelliere ich noch einmal ganz ausdrücklich an Sie, Frau Ministerin von der Leyen. Wir reden viel davon, dass es darum gehen muss, Wege zu finden, die Kinderarmut zu bekämpfen. Wir dürfen Familien, die Unterstützung zum Lebensunterhalt benötigen, doch nicht signalisieren: Eure Kinder unterstützen wir nur bis zur 10. Klasse, also Hauptschul- oder Realschulabschluss. - Das ist undenkbar. ({6}) Alle bisherigen Studien, vor allem internationale, beanstanden in Deutschland die Undurchlässigkeit des Schulsystems. In keinem Land ist die Herkunft für das Bildungsfortkommen so maßgebend wie bei uns. Dass wir diesen, wie ich finde, schrecklichen Makel unseres Landes, in dem doch alle Kinder mit ihren Talenten und Fähigkeiten so dringend gebraucht werden, auch noch durch ein Familienleistungsgesetz sozusagen festschreiben, ist für uns Sozialdemokraten unvorstellbar. ({7}) Wir können doch nicht einen höheren Freibetrag für Kinder einführen, die an Privatschulen unterrichtet werden - das tun wir, und das ist auch gut -, und fast gleichzeitig entscheiden, dass wir die jährlich 100 Euro für Kinder aus Hartz-IV-Familien, die sich den Weg zum Gymnasium sicher mehr als hart erkämpft haben, nicht übrig haben. Der dritte Teil dieses Gesetzes bringt den Familien, die es brauchen, wirkliche Erleichterung. Aber die dortigen Regelungen müssen entfristet werden. Ich kann mir das Signal, Bildung ernst zu nehmen, ganz anders vorstellen: Wir könnten zum Beispiel Kindern aus Familien, die Zuschuss zum Lebensunterhalt benötigen und das elfte Schuljahr besuchen, einen höheren Schulbedarfssatz zusprechen. Über die Höhe können wir ja noch gemeinsam diskutieren. Ich hoffe, dass wir uns auch in diesem Punkt einigen. Dann, Kolleginnen und Kollegen, wird das Gesetz ein weiterer Meilenstein hin zu einer nachhaltigen Familienförderung sein. Wir haben mit der Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages, mit der Ausweitung und Vereinfachung der steuerlichen Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen und mit dem Schulbedarfspaket zur Förderung der Bildung, über das wir sicher noch konstruktiv beraten werden, schon bisher viel für die Familien getan und werden diesen Weg auch weitergehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carl-Ludwig Thiele ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Westrich, ich glaube, in einem Punkt stimmen wir bei den Beratungen über dieses Gesetz in diesem Haus überein: Unsere Gesellschaft muss familienfreundlicher werden. ({0}) Um dieses Ziel zu erreichen, darf es nicht allein um die Frage gehen, welche finanziellen Leistungen gewährt werden, sondern es muss auch die Grundeinstellung unseres Landes hinterfragt werden, also wie unsere Gesellschaft mit Kindern umgeht. Es gibt leider Menschen, die in Bereichen unserer Gesellschaft leben, in denen es gar keine Kontakte mehr zu Kindern gibt. Diese haben keine Kinder in ihrem Umfeld. Ich finde, wir alle sollten hier gemeinsam dafür Sorge tragen, dass den Bürgern vermittelt wird, welche Freude Kinder bereiten können. Natürlich bereiten Kinder nicht nur Freude, sondern verursachen auch Stress und Anstrengungen, und von älteren Kindern wird man vielleicht auch als Vater oder Mutter einmal kritisiert werden. Das gehört dazu. Kinder bereichern unsere Gesellschaft. Dass alle Teile der Gesellschaft von dieser Bereicherung profitieren, dafür sollten wir uns alle gemeinsam einsetzen. ({1}) Deshalb halten wir es auch nicht für angezeigt, die ganze Diskussion über Familien nur auf den finanziellen Teil zu reduzieren. Das habe ich ja gerade in meinem Vorwort dargestellt. Aber natürlich muss man sich, wenn man sich mit der Situation der Familien beschäftigt, auch damit auseinandersetzen, wie die gesellschaftliche Wirklichkeit in unserem Land für die Familien aussieht. Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft ist die eine Seite der Medaille. Kinder kosten aber auch Geld. Die letzte Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages erfolgten 2002, also vor sieben Jahren. Wir alle wissen, dass seit diesem Zeitpunkt die Preise erheblich gestiegen sind, nicht zuletzt durch die Mehrwertsteuererhöhung. Seitens der Koalition ist über die Jahre nichts erfolgt, um den Familien zu helfen. Das haben wir schon oft kritisiert; das werden wir weiter kritisieren. Das ist aber auch der Grund, warum wir uns konstruktiv in das Gesetzgebungsverfahren einschalten werden. Wir wollen nämlich erreichen, dass den Familien konkrete Hilfe zuteil wird. ({2}) Wenn man sich anschaut, wann dieser Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet wurde, dann stellt man fest, dass er am selben Tag verabschiedet wurde, an dem auch der einheitliche Beitragssatz zur Krankenversicherung festgesetzt wurde. Damit einher geht eine deutliche Mehrbelastung für Familien. Den Familien wurde nun zwar suggeriert, man gebe ihnen mehr Geld, aber das, was auf der einen Seite gegeben wurde, wurde auf der anderen Seite schon wieder einkassiert. Das halten wir für falsch. Wir wollen, dass ein klares und deutliches Signal zugunsten von Kindern und Familien in unserer Gesellschaft gesetzt wird. ({3}) In unserem Steuerprogramm für eine niedrige, einfache und soziale Steuer sehen wir schon seit Jahren ein einheitliches Kindergeld von 200 Euro und einen einheitlichen Kinderfreibetrag von 8 000 Euro pro Kind vor. ({4}) Wir sind auf dem Wege dorthin und werden uns weiter dafür einsetzen. Das haben wir im vergangenen Wahlkampf gemacht. Das werden wir auch im nächsten machen. Wir bitten Sie allerdings auch, zu prüfen, ob die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro ausreichend ist oder ob es nicht eventuell um 16 Euro erhöht werden sollte. Denn eines muss man den Bürgern unseres Landes ja sagen: Das Kindergeld belief sich immer auf glatte Zehnerbeträge: Bis 1996 waren es 70 DM, dann stieg es auf 200 DM, 220 DM, 250 DM, 270 DM und dann auf 300 DM. Die 300 DM wurden krumm auf Euro umgerechnet. Seitdem beläuft sich das Kindergeld auf 154 Euro. Ich bitte zu prüfen, ob das weiter sein muss; denn sonst kommt jemand auf die Idee, zu sagen: Moment, müssen es 164 Euro sein, oder sollen es nicht 164,50 Euro sein? An dieser Stelle passt es dann nicht mehr richtig, sodass ich an Sie appelliere: Geben Sie sich einen Ruck und kehren Sie zurück zu den glatten Beiträgen! ({5}) Wir wissen um die Haushaltsnot. Das ist völlig klar. Wir wollen auch nicht mit der Gießkanne über das Land gehen. Wir brauchen aber klare Regelungen und klare Bestimmungen, gerade in diesem Bereich. Insofern wäre ich dankbar, wenn Sie im Gesetzgebungsverfahren hierüber noch einmal nachdenken könnten. Dieser Appell gilt insbesondere auch für den Kinderfreibetrag; denn die Gewährung des Kinderfreibetrags ist kein Almosen des Staates. Sie beruht auf dem Recht eines jeden Bürgers, seine Existenz aus unversteuertem Einkommen bestreiten zu dürfen. ({6}) Insofern ist dies eine Bringschuld, die der Staat zu erfüllen hat. Es ist schon erstaunlich, dass auf unsere Forderungen auf Erhöhung hin in den vergangenen Jahren immer gesagt wurde, man könne noch nicht entscheiden, da der Bericht zum Existenzminimum noch nicht vorliege. Jetzt erleben wir, dass die Koalition entschieden hat, ohne dass der Bericht zum Existenzminimum vorliegt. An dieser Stelle zeigt sich, dass diese Argumentationskette über die vergangenen Monate und Jahre hinweg überhaupt nicht gehalten hat und überhaupt nicht halten kann. ({7}) Sie wollten die Erhöhung des Kindesgeldes und des Kinderfreibetrages nicht. Haushaltszwänge konzedieren wir. Dass diese aber zulasten der Familien gegangen sind, das halten wir für falsch. ({8}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schulbedarfspaket, das Sie angesprochen haben, Frau Kollegin Westrich, einige Ausführungen machen. Ich halte es für einen Fehler des Gesetzgebers, dass seinerzeit im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung die notwendigen Ausgaben für Bildung nicht berücksichtigt wurden. Man orientierte sich an den Erwachsenen. Man unterstellte, dass sie bereits Bildung hätten. Für die Kinder wurde analog zu den Erwachsenen ein niedrigerer Förderbetrag vorgesehen. In vielen Kommunen haben sich deshalb Bürgerinitiativen gebildet. Viele Bürger haben gesagt: Wir sehen an unseren Mitbürgern, welche Not die Einzelnen haben, die nicht in der Lage sind, den Kindern Schulhefte, Stifte und Ähnliches zu kaufen. Wir wollen hier tätig werden. Im ganzen Land verteilt gibt es inzwischen zig Vereine, wie zum Beispiel „Kinder in Not“ in Osnabrück, die helfen und tätig werden wollen. Die FDP hat den Vorstand dieses Vereins zur Anhörung eingeladen. Wir bitten Sie zu überprüfen, ob der Gesetzentwurf, so wie er angedacht ist, richtig ist; denn im Gesetzentwurf findet sich aus meiner Sicht ein Passus, der diskutiert werden sollte. Dort heißt es: Wenn diese 100 Euro gewährt werden, dann kann im begründeten Einzelfall ein Nachweis über die Verwendung des Geldes gefordert werden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere Finanzminister Steinbrück aus einem Interview mit der Zeit vom 24. April dieses Jahres.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Was ist besser für die Kinder, eine Kindergelderhöhung im Wert von zwei Schachteln Zigaretten beziehungsweise drei Pils - oder der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur …? Insofern möchte ich an Sie alle appellieren. Wer will, dass dieses Geld tatsächlich bei den Kindern ankommt, die es benötigen, sollte überlegen, aus dieser Kannbestimmung eine Sollbestimmung zu machen. Konkret werden wir im Finanzausschuss erörtern, wie wir sicherstellen können, dass dieses Geld tatsächlich dort ankommt, wo es unserer Meinung nach ankommen soll. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat beherzte Schritte in der Familienpolitik unternommen. Wir haben das Elterngeld eingeführt. Wir beschleunigen den Ausbau der Kinderbetreuung durch gezielte Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro. Gerade bei diesen beiden Themen - Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie frühkindliche Bildung - besteht in Deutschland großer Nachholbedarf. Deshalb ist diese Investition richtig. Mit dem heute zu beratenden Familienleistungsgesetz wird eine dritte, ebenso unverzichtbare Säule gestärkt, nämlich die Ausgleichszahlungen an die Familien, die Kinder erziehen. Familien mit Kindern - da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein, Herr Thiele - erfahren sicherlich ein ganz großes persönliches Glück durch diese Kinder. Aber Familien mit Kindern investieren auch Tag für Tag Zeit, Kraft, Geld und Zuwendung in die nächste Generation. Davon profitieren alle in diesem Land. Deshalb ist es richtig, dass Familien mit Kindern weniger besteuert werden als andere. Deshalb ist es auch richtig, dass Familien mit Kindern, die kleine Einkommen haben und die nicht von Steuererleichterungen profitieren, Ausgleichszahlungen über das Kindergeld bekommen. ({0}) Das sehen die Menschen in Deutschland auch so. Das Kindergeld ist die familienpolitische Leistung mit dem höchsten Ansehen in der Bevölkerung. Seit 2002 ist das Kindergeld für das erste und zweite Kind nicht mehr erhöht worden. Wir alle wissen, wie viele Güter des täglichen Bedarfs seitdem teurer geworden sind. Der Existenzminimumbericht liegt den Ressorts zur Abstimmung vor und wird nächste Woche im Kabinett behandelt. Dieser Bericht zeigt die Entwicklung sehr deutlich auf. Es wird also höchste Zeit, Familien genau an dieser Stelle zu entlasten. Das Kindergeld ist Schutz vor Armut. Ohne das Kindergeld wären 1,7 Millionen mehr Kinder von Armut betroffen. Das zeigt: Das Kindergeld ist keine nachrangige Leistung, sondern es schafft Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich in diesem Land. ({1}) Der Kern des Familienleistungsgesetzes sind das erhöhte Kindergeld und das gestaffelte Kindergeld. Das gestaffelte Kindergeld ist eine ganz gezielte Leistung - auch in anderen europäischen Ländern -, um kinderreiche Familien zu stärken. Wir haben in der familienpolitischen Debatte zu Recht gefragt, warum die Kinderlosigkeit in Deutschland so hoch ist. Das über Jahre zu beobachtende Abnehmen der Kinderzahlen hat als Ursache zwei Phänomene. Das erste Phänomen ist, dass der Mut fehlte, Familien zu gründen; denn es ist schwierig gewesen - und ist es zum Teil noch -, Beruf und Kindererziehung in Einklang zu bringen. Aber hier scheint sich eine positive Trendwende in den letzten anderthalb Jahren abzuzeichnen. Das zweite, weniger bekannte Phänomen ist, dass in Deutschland viel schneller als in anderen Ländern die kinderreiche Familie aus der Mitte der Gesellschaft verschwunden ist. Diese Familien brauchen ganz gezielt das gestaffelte Kindergeld. Hier gilt nach wie vor der richtige Satz, dass Kinderreichtum nicht zur Armut führen darf. ({2}) Es ist unbestritten: Die kinderreichen Familien haben höhere Fixkosten. Sie brauchen eine größere Wohnung; sie geben mehr Geld für Heizung, Lebensmittel und Kleidung aus; die Waschmaschine läuft häufiger. Das kann man nicht nur durch mehr Arbeit ausgleichen. Ich habe eingangs gesagt, dass zuletzt 2002 das Kindergeld für das erste und zweite Kind erhöht worden ist. Für das dritte Kind und die folgenden Geschwister ist das Kindergeld seit zwölf Jahren, nämlich seit 1996, nicht mehr erhöht worden. Deshalb ist es gut - ich danke, dass das heute gelingt -, dass wir endlich wieder das Kapitel des gestaffelten Kindergeldes aufschlagen. Damit wird die besondere Lage der kinderreichen Familie berücksichtigt. ({3}) An alle diejenigen, die immer sagen, dass 10 oder 16 Euro nichts bringen würden und dass man das Geld in andere Projekte stecken sollte, sage ich: Familien mit drei Kindern verfügen demnächst über 432 Euro mehr im Jahr. Familien mit vier Kindern verfügen demnächst über 624 Euro mehr im Jahr. Das ist gut angelegtes Geld. Das höhere Kindergeld ist also keine Förderung nach dem Gießkannenprinzip, sondern wirkt zielgenau für kinderreiche Familien, für Familien mit kleinen und mittleren Einkommen in der Mitte der Gesellschaft und gegen Kinderarmut. Das Kindergeld ist nicht der einzige Baustein des Familienleistungsgesetzes. Kinder und Jugendliche aus Familien, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe leben, bekommen bis zur 10. Klasse zu Beginn jedes Schuljahres 100 Euro für den Kauf nötiger Schulmaterialien. Hefte, Bücher, Stifte und Füller - das sind Bildungschancen zum Anfassen. Daran darf es keinem Kind fehlen. ({4}) Ein weiterer Baustein des Familienleistungsgesetzes ist die Förderung von familienunterstützenden Dienstleistungen. Das reicht von der Hilfe rund ums Haus bis hin zur Versorgung zu pflegender Angehöriger. Solche Dienstleistungen entlasten. Sie bedeuten ganz konkret Zeit für Familien. Aber in jedem Fall kosten sie auch Geld. In Zukunft können bis zu 20 000 Euro im Jahr für solche Ausgaben steuerlich geltend gemacht werden. Das hat eine doppelte positive Wirkung: Erstens haben Familien mehr Entlastung im Alltag. Zweitens tragen die familienunterstützenden Dienstleistungen gleichzeitig zu Wachstum und Beschäftigung in Deutschland bei. Das ist in Zeiten einer nachlassenden Konjunktur wichtig. Mehr Kindergeld, mehr steuerliche Förderung für Familien mit Kindern, mehr familienunterstützende Dienstleistungen, ein Schulbedarfspaket - das sind vier Maßnahmen, ein Familienleistungspaket, das zielgenau wirkt. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Entwurf des FamLeistG, des Familienleistungsgesetzes, ein Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen. Dieser Gesetzentwurf beinhaltet zwei wesentliche Punkte: die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages sowie die bessere steuerliche Absetzbarkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen. Ehrlich gesagt erschließt sich mir nicht ganz der innere Zusammenhang zwischen der steuerlichen Förderung, sprich der Subventionierung von Reichen und Superreichen am Starnberger See für ihre Hausangestellten und Gärtner, und der Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro pro Kind für die Kinder dieser Hausangestellten. In der nächsten Sitzungswoche sollen mit dem Jahressteuergesetz 2009 und dem Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung zwei weitere Steuergesetze verabschiedet werden. Man hätte zumindest die zweite Hälfte des heute vorliegenden Gesetzentwurfes dahin packen können. Vielleicht wollten Sie das auch ein bisschen; denn im letztgenannten Gesetz soll die steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ausgeweitet und mit Wirkung zum 1. Januar nächsten Jahres auf 1 200 Euro erhöht werden. Im heute zu besprechenden Entwurf des Familienleistungsgesetzes wird vorgeschlagen, die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungsund Modernisierungsmaßnahmen ebenfalls ab dem 1. Januar 2009 mit maximal 600 Euro zu fördern. Das bedeutet also alles in allem eine Senkung der zu zahlenden Steuern um 1 800 Euro, allerdings nur dann, wenn man im nächsten Jahr Handwerkerleistungen für mindestens 10 000 Euro in Anspruch nehmen kann und wird. Das ist nicht mehr als eine kleine Geste an die Bürgerinnen und Bürger, aber nichts, was die Konjunktur nachhaltig ankurbeln wird oder tatsächlich von der Mehrheit der Menschen in Anspruch genommen werden kann, da ihnen das Geld dafür fehlt, von einer solchen Subventionierung überhaupt profitieren zu können. Da ich nicht davon ausgehe, dass die Hausangestellte am Starnberger See - nennen wir sie Frau Beyer - an diesem Thema überaus interessiert ist, lassen Sie mich zur Kindergelderhöhung zurückkehren. Frau Beyer hat zwei Kinder, ihre Arbeitgeberin und Villenbesitzerin, Frau Schmidt, ebenfalls. Frau Beyer wird ab dem 1. Januar 2009 pro Monat 20 Euro mehr an Kindergeld für ihre Kinder bekommen, das heißt insgesamt 328 Euro pro Monat, pro Kind 164 Euro. Frau Schmidt erhält jedoch 210 Euro pro Kind und Monat. Jedes Kind ist dem Staat gleich viel wert? Mitnichten! Für Kinder reicher Eltern tun Sie mehr - und das ist sozial ungerecht. ({0}) Alternativen? Keine, so die lapidare Feststellung auf Seite 2 des Gesetzentwurfs. Ich zitiere Sie, Frau Ministerin: Wenn man das alles auf ein Niveau bringen will, dann kann man das Ganze doch wohl nicht auf das niedrigste Niveau herunterstufen. Dann muss man vielmehr lege artis auf das höchste gemeinsame Niveau heraufstufen. Das würde 15 Milliarden Euro kosten - eine Illusion, die mit der Realität wenig zu tun hat. So die Frau Ministerin. Frau von der Leyen, reden Sie doch noch einmal mit Herrn Steinbrück. Er hat inzwischen sehr viel Geld gefunden für einen sehr großen Schirm für die Finanzwirtschaft. Er ist sogar bereit, sein unumstößliches Ziel eines schuldenfreien Haushaltes dafür zu verschieben. ({1}) Sollte uns die Gleichbehandlung aller Kinder nicht diese 15 Milliarden Euro Mehrausgaben wert sein? Ich sage: Ja. ({2}) Ein kleiner Tipp von mir: Wenn Sie das Ehegattensplitting endlich in eine Individualbesteuerung bei gegenseitiger Übertragbarkeit des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums umwandeln würden, hätten Sie 9 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen pro Jahr. ({3}) Frau von der Leyen, dann bräuchten Sie mit Herrn Steinbrück nur noch über ganze 6 Milliarden Euro zu verhandeln. Das muss doch wohl möglich sein. ({4}) Die Anhebung des Kinderfreibetrages nutzt nur Frau Schmidt, nicht jedoch Frau Beyer. Nur für 17 Prozent aller Kinder kann der Freibetrag vorteilhaft angesetzt werden. Nur deren Eltern haben ein entsprechend hohes Einkommen. Ich gehe davon aus, dass Frau Schmidt Frau Beyer sozialversicherungspflichtig beschäftigt und anständig bezahlt. Frau Beyer arbeitet gut und zuverlässig für deutlich mehr als den von uns vorgeschlagenen Mindestlohn von 8,50 Euro. Frau Beyer wird sich über die 20 Euro mehr pro Monat sehr freuen. Frau Beyer und allen anderen sei aber ganz klar gesagt: Sie müssen dafür niemandem Danke sagen, weder der CSU noch der SPD, auch der CDU nicht. Diese 10 Euro pro Kind stehen ihnen zu. ({5}) Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Es hat vorgegeben, dass der Staat das Einkommen der Steuerpflichtigen so weit steuerfrei belassen muss, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Die Verschonung gilt für alle Familienmitglieder und umfasst damit explizit auch den Bedarf der Kinder. Die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem anerkannten Mindestbedarf ab. Da dieses im Sozialhilferecht bestimmt ist, darf das von der Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum diesen Betrag nicht unterschreiten. Demnach ist der im Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf die Maßgröße für das einkommensteuerliche Existenzminimum. Da ich darauf schaue, sage ich Frau Beyer und allen anderen: Ihnen steht viel mehr zu; denn die Berechnung des Existenzminimums durch die Bundesregierung spiegelt die reale Entwicklung nicht wider. Zum Vergleich: Das sächliche Existenzminimum, welches im Existenzminimumbericht 2008 mit 235 Euro pro Kind und Monat ausgewiesen wird, ist die eine Größe. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat nachgerechnet: Für die Bedarfsdeckung hält er einen Regelsatz in Höhe von 299 Euro pro Monat für notwendig, und zwar mindestens, da dieser Betrag nur für die Altersgruppe der 0- bis 6-Jährigen gilt und der Bedarf mit höherem Alter bekanntlich steigt. Grundlage der Berechnung ist die Preisentwicklung bei Warengruppen und Dienstleistungen, die für die Versorgung von Kindern relevant sind. Deshalb ist es notwendig, das Kindergeld sofort stärker zu erhöhen, und zwar auf mindestens 200 Euro und in der Folge auf 250 Euro. ({6}) Für die unteren Einkommensgruppen fordern wir, dass das Kindergeld durch einen entsprechend ausgestalteten Kinderzuschlag so gestaltet wird, dass das Existenzminimum insgesamt gesichert ist. Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde Frau Beyer helfen und Frau Schmidt nicht schlechter stellen. In Deutschland sind Kinder nun einmal das größte Armutsrisiko. Rund 2 Millionen Kinder leben in Familien, die mit Hartz IV oder Sozialgeld auskommen müssen. Da ihre Eltern über kein eigenes Einkommen verfügen, ist das Kindergeld für sie eine reine Sozialleistung. Damit begründen Sie, dass die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro pro Kind mit dem Familieneinkommen verrechnet wird. Das heißt im Klartext: Genau die Familien, die das geringste Einkommen haben, haben nichts von der Kindergelderhöhung. Das ist ein Skandal! ({7}) Sie könnten sofort die Anrechnung aufheben bzw. nicht durchführen, und zwar so lange, bis Sie die Regelsätze so angepasst haben, dass sie den realen Bedarf decken. Wir fordern Sie auf, endlich ernsthaft Bedingungen zu schaffen, durch die alle Mütter und Väter in der Lage sind, ihre Existenz und die ihrer Kinder tatsächlich für sich selbst zu erarbeiten. Das umfasst neben einem dichten und qualitativ hochwertigen Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen eine angemessene Bezahlung. Das erfordert gesicherte Arbeitsplätze und gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen. Davon sind wir weit entfernt. ({8}) Abschließend noch ein Wort zu dem vorgeschlagenen Schulgeld für Schülerinnen und Schüler im Rahmen des SGB II und XII, also Hartz IV und Sozialgeld. Wir begrüßen dies grundsätzlich und ausdrücklich, vor allem vor dem Hintergrund, dass Sie in der rot-grünen Koalition, als Sie die Sozialhilfe umgewandelt haben, alle Sonderbedarfe gestrichen haben. Es wird endlich Zeit, dass Sie dies korrigieren. ({9}) Für mich ist es aber völlig unverständlich, dass Sie dieses Schulgeld auf zehn Schuljahre begrenzen wollen. Meinen Sie zynischerweise, dass die Kinder von Hartz-IVEmpfängerinnen und -Empfängern sowieso zu dumm für das Abitur sind? Oder wollen Sie einfach dafür sorgen, dass die Ergebnisse der PISA-Studie auch in Zukunft Bestand haben, wonach in Deutschland der Schulabschluss vom Einkommensstatus der Eltern abhängt?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das lehnen wir ab. Machen Sie hier eine tatsächliche Erweiterung, zahlen Sie es bis zum Abschluss des Abiturs, also zwölf oder 13 Jahre. ({0}) Gehen Sie das Thema endlich richtig an - so wie die Finanzmarktkrise -, und sorgen Sie dafür, dass Kinder nicht mehr das Armutsrisiko in Deutschland sind! Danke. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau von der Leyen, Sie sind im Wahlkampf und auch am Anfang der Wahlperiode mit dem Versprechen angetreten, die Familienleistungen in Deutschland, die vielfältig und unübersichtlich, kompliziert und bürokratisch sind, zu überprüfen und zu effektivieren. Sie haben dazu ein Kompetenzzentrum einberufen, und Sie haben uns viele Berichte geliefert. Herausgekommen ist nichts. ({0}) Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Gerechtigkeit zu thematisieren, auch im Sinne der Armutsbekämpfung. Sie sind mit dem Versprechen angetreten, Erziehung und Erziehungsleistungen ernst zu nehmen und zu unterstützen. Herausgekommen sind 10 Euro mehr Unterstützung. Das ist mager. Denn jetzt verpassen Sie gerade die letzte Chance in dieser Wahlperiode, eine wirkliche Reform durchzuführen und all Ihre Versprechen, die Sie gegeben haben, in die Realität umzusetzen. Stattdessen verkaufen Sie uns diese 10 Euro Kindergelderhöhung als Errungenschaft. Sie wissen doch genau, dass diese 10 Euro nicht eine freiwillige Entscheidung dieser Regierungspolitik sind, ({1}) sondern eine Konsequenz, die Sie aus dem Existenzminimumbericht ziehen. Weil im Zuge dieses Berichts das Existenzminimum angepasst werden muss. Sie können keinen Wahlkampf durchstehen, wenn ausgerechnet die, die am wenigsten verdienen, nichts bekommen. Deshalb machen Sie das und verkaufen es auch noch als eine Errungenschaft. Aber eine Errungenschaft ist es nicht. ({2}) Was ist denn - damit will ich anfangen - mit den Familien im SGB-II- und SGB-XII-Bezug? Was ist mit diesen Familien? Sie sagen, Sie unterstützen Familien. Sie bekommen aber keine 10 Euro Kindergelderhöhung. Sind das etwa keine Familien? Sind das keine Erziehenden, die Verantwortung übernehmen? Warum gehen sie leer aus, obwohl wir alle wissen, dass der Bedarf dort am allerhöchsten ist? ({3}) Antworten Sie doch einmal darauf. Sie sagen, 10 Euro seien gut angelegtes Geld. Kennen Sie denn die Realität nicht? Die Mehrwertsteuererhöhung haben Sie durchgeführt. Die allgemeinen Preissteigerungen und die Steigerung der Energiepreise - und des Weiteren, dass der Kaufkraftverlust des Kindergeldes seit 2002 fast 12 Prozent beträgt - müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da sind 10 Euro nicht nur mager, sondern auch einfach nur symbolisch. Wenn Sie die Kindergelderhöhung ernst meinen, dann sollten Sie das auch ernst debattieren und sich nicht hinter einer Symbolpolitik verstecken. ({4}) Kommen wir dazu, was Sie machen. Sie sagen: Einige Kinder sind uns mehr wert als andere Kinder, die aus einem gut verdienenden Haushalt kommen, sind uns besonders viel wert. Diejenigen, die in einem Haushalt mit ALG-II-Bezug aufwachsen, sind uns weniger wert. Der Staat erhöht das Kindergeld, das er aber sofort wieder einkassiert. Das heißt, das ist so, als ob sich der Staat selbst Geld auszahlt und dann so tut, als seien in dieser Sache die Familien die Gewinner. Das sind sie aber nicht. Kommen wir zu Ihrem 100-Euro-Schulbedarfspaket. Den einen Eltern vertrauen Sie und gehen davon aus, dass sie das Geld für ihre Kinder ausgeben. Den anderen Eltern misstrauen Sie und glauben, dass Sie ihnen gar kein Geld geben können. - Wissen Sie, was letztendlich bei den Menschen ankommt, wenn Sie fordern, dass die Verwendung dieses Pakets von 100 Euro für den Schulbedarf kontrolliert werden muss, damit es wirklich nur für den Schulbedarf ausgegeben wird? Darüber hinaus gilt es nur bis zur 10. Klasse. - Ich frage Sie: Gehen Sie grundsätzlich davon aus, dass Kinder aus ärmeren Haushalten erst gar nicht aufs Gymnasium oder irgendeine andere weiterführende Schule gehen? ({5}) Gehen Sie davon aus, dass diesen Familien diese Kosten erst gar nicht entstehen? Oder finden Sie sich etwa damit ab - das wäre noch viel schlimmer -, dass die Situation so ist, wie sie ist, dass nämlich der Schulerfolg eines Kindes von der sozialen Herkunft abhängt und nur die Kinder aus den Akademikerhaushalten die besseren Chancen haben? Das wäre schlimm. Dann würden Sie nämlich sagen: Die Situation ist nun einmal so, und wir können sie nicht ändern. Genau das aber ist unsere Aufgabe. Wir dürfen uns nicht mit dieser Situation abfinden, sondern müssen sie ändern. ({6}) Deshalb brauchen wir doch die Kinderbetreuung. Deshalb brauchen wir Ganztagsschulen. Deshalb brauchen wir die Infrastruktur. Deshalb brauchen wir aber auch eine reelle und materielle Unterstützung der Familien. Ein ganz großer Anteil der Familien gibt das Geld für die Kinder aus. Das ist eine Tatsache. Noch etwas anderes: die Regelsätze. Auch darüber müssen wir reden. Auch da müssen Sie etwas tun. Wenn wir sagen, dass das Existenzminimum zu niedrig bemessen ist, dann gilt das auch für die Regelsätze. ({7}) Dann gilt das auch für die Sätze der Kinder. Sie können sich doch nicht blind und taub stellen. In allen Bereichen reden Sie über Gerechtigkeit. Aber Sie reden nicht über die Regelsätze. Wir brauchen endlich eine neue Form, wie wir die Regelsätze für Kinder berechnen. Es kann nicht sein, dass wir sie an dem Erwachsenenbedarf ausrichten oder das prozentual kalkulieren. Dahinter stecken kein Sinn und keine Logik. Diese Sätze sind de facto zu niedrig. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Tun Sie etwas! ({8}) Je länger Sie warten, desto größer wird die Spaltung in dieser Gesellschaft. Irgendwann einmal wird uns diese Spaltung einholen. Für diese Spaltung müssen wir die politische Verantwortung übernehmen. Kommen wir zurück zu Ihren Versprechungen hinsichtlich der Familienförderung. Ja, sie ist kompliziert, sie ist undurchsichtig. Sie ist bürokratisch. Alles, was Sie machen, ist Stückwerk. Einfach auf die bestehende Ungerechtigkeit - dass diejenigen, die mehr haben, mehr bekommen, und dass diejenigen, die weniger haben, weniger bekommen - etwas draufzulegen, wie uns das die Linke vorschlägt - einfach etwas hinzufügen, dann ist das Ganze schon gerecht -, macht die Sache eben nicht gerechter. Vielmehr manifestiert das die Ungerechtigkeit. Wir haben gute Ideen und gute Erkenntnisse. Wir haben auch gute Strukturvorschläge auf dem Tisch liegen, wie man ein gerechtes Familienfördersystem aufbauen kann. Dazu gehört es auch, darüber zu reden, wie wir besser Kinder und nicht den Trauschein fördern können. ({9}) Das Ehegattensplitting, Herr Singhammer, ist unser Lieblingsproblem. 60 Prozent der Familien bekommen heute nichts, keinen einzigen Cent durch das Ehegattensplitting. Sie bekommen nichts, weil sie nicht verheiratet sind. ({10}) Wir reden über Eltern, die beide arbeiten müssen, um überhaupt über das Existenzminimum zu kommen, die Geringverdiener. Wir reden nicht über die Großverdiener. Nur 5 Prozent der Haushalte im gesamten Osten profitieren vom Ehegattensplitting, aber 95 Prozent im Westen mit Schwerpunkt Süden. Das Ehegattensplitting ist überholt. ({11}) Lassen Sie uns doch endlich die Kinder und nicht den Trauschein fördern. ({12}) Sie machen hier nur Symbolpolitik. Sie halten hier Ihre Ideologien hoch. Sie behalten damit Ihre Scheuklappen. Die Realität ist, dass Menschen, die Kinder erziehen, alleine gelassen werden, dass wir durch Transfers den Trauschein fördern und unsere Kinder dabei zu kurz kommen. 60 Prozent der Familien bekommen durch das Ehegattensplitting keinen Cent mehr. Weg damit! Seien Sie mutig! Stehen Sie zu den Kindern, allerdings nicht nur mit warmen Worten, indem Sie immer wieder betonen, dass wir uns alle einig sind, wie wichtig Kinder sind! ({13}) Ich bin Mutter von zwei Kindern. Ich bekomme sehr wohl mit, wie das Leben ist. Dafür brauche ich nicht meine Nachbarn und Nachbarinnen. Ich kann Ihnen sagen: Die Eltern in diesem Land setzen sich für ihre Kinder ein, auch dann, wenn sie erwerbstätig sind. ({14}) Sie möchten nicht auf große Almosen angewiesen sein. Für diese Familien, Herr Singhammer, brauchen wir Antworten. Für diese Familien haben Sie aber keine Antworten. ({15}) Sie verschenken die Chance, echte Reformen auf den Weg zu bringen. Sie verschenken die Chance, die Zukunft unserer Kinder zu verbessern. Dabei geht es um die Zukunft jedes einzelnen Kindes. Es geht nicht nur um die Kinder von Frau Meier und Frau Müller, ({16}) sondern auch um die Kinder von Frau Öztürk. Es geht um alle Kinder. Hier haben wir eine Verpflichtung und sind in der Bringschuld. Das, was Sie machen, ist aber nur Symbolpolitik und hat mit der Realität der Familien gar nichts zu tun. Danke schön. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. ({0})

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Heute Morgen ging es ein bisschen kreuz und quer. Deswegen versuche ich, ein wenig Systematik in unsere Diskussion zu bringen. ({0}) Bevor wir diesen Gesetzentwurf formuliert haben, wurde auch in unserer Partei - aber natürlich nicht nur dort - über die grundsätzliche Frage diskutiert: Sollte man jetzt eine Kindergelderhöhung vornehmen, oder sollte man lieber Geld in die Infrastruktur stecken? Ich persönlich denke, es muss ein Sowohl-als-auch geben. Denn alle, die seit der letzten Kindergelderhöhung im Jahre 2002 Kinder erzogen haben, wissen, dass das Leben mit Kindern seitdem teurer geworden ist. Deswegen ist es wichtig, das Kindergeld zu erhöhen. ({1}) Natürlich brauchen wir auch mehr Investitionen in die Infrastruktur. Allerdings haben wir auf diesem Gebiet in dieser Legislaturperiode schon eine Menge angestoßen, und wir werden noch mehr tun. Ich möchte auf eine Argumentation eingehen, die mir häufig begegnet und die auch heute von den Kollegen der Linken vorgetragen wurde. Sie argumentieren nach dem Motto: Den Banken habt ihr 500 Milliarden Euro gegeben. Gebt doch auch den Familien ein paar Milliarden Euro mehr! Wir alle hoffen, diese 500 Milliarden Euro nie auf den Tisch legen zu müssen. In diesem Betrag sind Bürgschaften und andere Absichtserklärungen enthalten, diese Tatsache müsste mittlerweile in diesem Hohen Hause bekannt sein. Jetzt können wir nicht einfach sagen: Wir nehmen davon mal eben 12 Milliarden Euro weg. Dieses Geld geben wir dann den Familien, und die Banken bekommen ein bisschen weniger. Wir dürfen diese Themen nicht vermischen. Eine verantwortungsvolle Familienpolitik hat auch mit Haushaltskonsolidierung zu tun. Dieses Ziel müssen wir bei allem, was wir tun, immer im Auge behalten. ({2}) Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die meisten Eltern - ich hoffe, über 95 Prozent - das Geld, das sie für ihre Kinder bekommen, auch für ihre Kinder ausgeben; ({3}) davon bin ich fest überzeugt, und das möchte ich betonen. ({4}) Die Diskussion darüber, dass eine Verrechnung mit den Hartz-IV-Regelsätzen stattfindet, möchte ich nicht vertiefen. Denn im Rahmen von Hartz IV gibt es Regelsätze, die unabhängig vom Kindergeld gelten. Wenn man der Meinung ist, dass sie zu niedrig bzw. falsch bemessen sind und dass die Inhalte nicht stimmen, kann man darüber an anderer Stelle reden. Das hat aber nichts mit dem Kindergeld zu tun. Wir wissen, dass Hartz-IVFamilien ein Äquivalent zum Kindergeld bekommen. Deswegen kann man ihnen diese Erhöhung nicht obendrauf geben. ({5}) - Das finde ich nicht unlogisch. Bei Gelegenheit kann ich Ihnen das einmal genauer erklären. Im SPD-Programm steht - das ist auch unser Wille -: Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. Das ist schön und hört sich gut an. Aber die Systematik ist eine andere. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben, dass wir das Existenzminimum steuerfrei stellen müssen. ({6}) Das Existenzminimum folgt der Sozialhilfe plus Wohnkosten, die vom Bauministerium festgelegt werden; diese Definition ist wichtig. Das Ganze ist ein Freibetrag; meine Kollegin hat schon kurz auf die Systematik eines Freibetrags hingewiesen. Ein Freibetrag auf 6 000 Euro bzw. 6 024 Euro - an dieser Stelle werden wir wahrscheinlich nachbessern müssen - bedeutet bei einem Steuersatz von 45 Prozent, der für die ganz Reichen in Deutschland gilt, einen Vorteil von 225 Euro. Bei einer Steuerbelastung in Höhe von 42 Prozent bedeutet dieser Freibetrag einen Vorteil von 210 Euro. Jetzt existiert eine Schere, die uns als SPD, aber ich denke, auch vielen anderen, natürlich überhaupt nicht gefällt. Wir erhöhen das Kindergeld für das erste Kind auf 164 Euro. Demgegenüber gibt es im Spitzensteuerbereich einen wesentlich höheren Freibetrag. Die 14 Milliarden Euro, die die Linken irgendwo gefunden und für eine Verwendung vorgeschlagen haben, könnten wir jetzt natürlich noch obendrauf setzen. Wir haben sie bisher aber noch nicht gefunden. Deswegen befinden wir uns in diesem schizophrenen Zustand, dass wir die Schere auch schließen könnten, wenn wir den Spitzensteuersatz auf 30 Prozent senken würden. Ich warne also alle davor, zu sagen, wir bräuchten höhere Steuersätze, um die Schere schließen zu können. Bei unserer Systematik ist genau das Gegenteil der Fall. ({7}) Dieses Problem können wir nicht so einfach lösen. ({8}) Ich denke, wir müssen das Kindergeld nach und nach erhöhen. Das ist unser ausdrücklicher Wunsch. Das geht aber nicht von einem Jahr aufs andere und auch nicht innerhalb einer Legislaturperiode. Das sollte aber natürlich unser Interesse sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Kollegin, um das noch einmal ganz klar festzuhalten: An die bestehende Systematik, die ja viel Gutes hat, weil es dadurch eine gesicherte Grundlage hinsichtlich der Errechnung der notwendigen Höhe des Existenzminimums für Kinder gibt, darf niemand herangehen. Das ist ein festes Fundament. Wir müssen nur schauen, wie hoch wir das ansetzen. Auf dieser Basis kann man eine Entlastung natürlich so vornehmen - ich habe nicht umsonst die Familienministerin zitiert -, dass man das höchste Niveau - den Spitzensteuersatz - für alle ansetzt. Das ist in der Systematik nur davon abhängig, was wir wollen. Es kostet mehr Geld. Ich habe die Summe von 6 Milliarden Euro genannt, die letztlich noch notwendig wäre.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, eigentlich wollten Sie eine Frage stellen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stimmen Sie mir zu, dass das innerhalb des bestehenden Systems sehr wohl möglich und nur eine Frage des politischen Wollens und abhängig von den Finanzen ist?

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist nur abhängig von den Finanzen. Wenn man das Geld irgendwo findet, dann kann man es natürlich verwenden. Wir haben es bisher aber noch nicht gefunden. Ich fände es Familien und Kindern gegenüber verantwortungslos, das über eine Verschuldung zu regeln. ({0}) Zu Herrn Thiele und seinen glatten Zahlen möchte ich sagen: Bei den Lohneinkünften bzw. Einkommen gibt es auch keine glatten Zahlen. Deswegen denke ich, dass die Familien auch mit 164 Euro rechnen und leben können. ({1}) - Ginge es auch. Man könnte auch bei Lohnabschlüssen glatte Zahlen vereinbaren und sagen, dass jeder 6 000 Euro erhält. Das tun wir auch nicht. ({2}) Ich denke also, dass das nicht sein muss. Von daher kann das so bleiben. Als Mutter von vier Kindern finde ich persönlich die Staffelung gut. ({3}) Ich weiß, dass das viele anders sehen, aber aus meiner Lebenserfahrung heraus muss ich sagen: Das dritte Kind ist das teuerste. ({4}) Ich weiß nicht, wie es mit dem fünften und dem siebten Kind aussieht. Das müsste mir vielleicht die Ministerin sagen. ({5}) Ich denke, irgendwann überwiegt in der Familie die Organisationsneigung gegenüber der Konsumneigung. Von daher verschieben sich dann vielleicht auch gewisse haushalterische Gesichtspunkte innerhalb der Familie. Ich persönlich denke aber, dass man mit der Staffelung gut leben kann. ({6}) Das Wichtige für uns ist - das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren -, dass es in dieser Gesellschaft einen gewissen Anteil von Menschen gibt, der sich gegen Kinder entscheidet. Das mag gute Gründe haben. Manche hätten auch gerne Kinder, können aber keine bekommen. Deshalb brauchen diejenigen, die eine Familie wollen, Unterstützung dafür, mehr Kinder zu bekommen. Man muss sie zum dritten Kind ermutigen, sodass sie nicht sagen: Na ja, mit zwei Kindern geht es ganz gut, ab dem dritten Kind brauchen wir aber eine neue Wohnung und ein neues Auto; das ist zu viel. - Ich denke, man muss sie ermutigen und sagen: Wer sich grundsätzlich für Kinder entscheidet, der sollte eine Erleichterung erhalten, damit er die Finanzierung auch bei mehr Kindern noch sicherstellen kann. ({7}) Meine Kollegin sagte schon, dass wir 37 Milliarden Euro für Kindergeld und Kinderfreibeträge ausgeben. Man kann sich immer mehr wünschen, was man sich aber vor allen Dingen wünschen sollte, ist, dass auch die Länder ihre Verantwortung wahrnehmen. Ich denke, Lehrmittelfreiheit, kostenlose Nutzung der Schulbusse und auch das Essen in der Schule sind keine originären Bundesangelegenheiten. Das müssen wir immer wieder einfordern. ({8}) So wünschenswert es ist, dass wir das alles hier zentral regeln: Andere Dinge dürfen wir auch nicht zentral gestalten. Solange noch jeder selber seine Fremdsprachen festlegt, sollte er auch dafür sorgen, dass in den Schulen einigermaßen gute Zustände herrschen. ({9}) Ich bin - ganz im Gegensatz zu Frau Höll - der Meinung, dass nicht nur die Bürgerinnen und Bürger am Starnberger See, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern profitieren, wenn wir haushaltsnahe Dienstleistungen absetzbar machen. Es geht nicht immer nur um das Dienstmädchen, das in irgendeiner Form von Ihnen vorgeführt werden muss, ({10}) sondern auch um eine Entlastung der Familien, die vielleicht dazu führt, dass beide Elternteile arbeiten können. Wenn man sich eine Dienstleistung kaufen kann, die man steuerlich absetzen kann, dann geht es nicht darum, angenehm in der Sonne zu liegen. Vielmehr bringt es häufig Familien aus der Armut heraus, wenn beide Elternteile arbeiten können. Das möchte ich noch einmal festhalten. Meiner Meinung nach gibt es nämlich keine Kinderarmut, sondern nur Familienarmut. Kinder sind nicht selber arm und ihre Familie nicht. In einem solchen Fall ist die gesamte Familie in einer schwierigen Situation, aus der wir ihr heraushelfen müssen, indem beide Elternteile in die Lage versetzt werden, dazuzuverdienen, wenn ein Einkommen nicht reicht. Dann ist es nötig und sinnvoll, sich entsprechende Dienstleistungen zu kaufen. Alles in allem ist der Gesetzentwurf in einer ausgewogenen Form vorgelegt worden. Wir haben ein paar Kritikpunkte, die ohne Frage geändert werden müssen. Die Förderung bestimmter Zielgruppen kann nicht nach zehn Jahren aufhören. Das ist völlig klar. Aber wir sind im Gesetzgebungsverfahren und werden noch einige Änderungen vornehmen. Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen. Ich denke, als Vorlage kann man mit dem Gesetzentwurf gut leben. Ich danke Ihnen. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erstes möchte ich das Wort an meine Vorrednerin richten. Dass gerade eine SPD-Kollegin von einem Dienstmädchen spricht, wundert mich sehr. ({0}) Ich habe eine Hilfe im Haushalt und bin sehr froh darüber, dass sie qualifizierte Arbeit macht. ({1}) Nun komme ich zum Gesetzentwurf. „Investitionen in Familie sind Investitionen in die Zukunft“, heißt es einleitend im Gesetzentwurf. Das ist sicherlich eine treffende Formulierung. Befasst man sich aber mit den Inhalten, dann wird deutlich, dass nur sehr wenig für Investitionen in Familie vorgesehen ist, etwa die 10 Euro Kindergelderhöhung. Mein Kollege Carl-Ludwig Thiele hat bereits darauf hingewiesen, dass die letzte Kindergelderhöhung 2002 erfolgt ist. Fakt ist: Die Große Koalition - und damit auch die SPD - zieht weiterhin den Familien das Geld aus der Tasche. ({2}) Die Mehrwertsteuererhöhung, von der Sie im Parlament nicht gerne hören, spüren wir Tag für Tag, und auch die Familien spüren die Mehrwertsteuererhöhung Tag für Tag. Denn am Ende des Monats ist bei Familien, die rechnen müssen, nichts mehr in der Tasche. ({3}) Ich möchte mich nun der CDU zuwenden. Im Sommer vor einem Jahr haben Herr Pofalla und auch Sie von der CDU in einem Zehnpunkteprogramm versprochen, dass Sie die Mehrwertsteuer auf Pampers von 19 Prozent auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent senken wollen. ({4}) Was ist eigentlich daraus geworden? Haben Sie das mit der SPD besprochen? Was Sie mit der SPD besprochen haben, ist, dass die Skiliftbetreiber nur noch 7 Prozent statt bisher 19 Prozent auf ihre Umsätze zahlen müssen. Das ist eine tolle Leistung. ({5}) Aber wenn wir von der FDP seit Jahren einen Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Windeln fordern, dann sind Ihre Ohren verschlossen. Bei der Diätenerhöhung waren Sie mit den Entscheidungen schneller als der Schall. Da ging alles ganz schnell. Insofern bitte ich darum, dass Sie sich der Mehrwertsteuerermäßigung noch einmal widmen. Weil die Ministerin dankenswerterweise anwesend ist und wir das Thema sonst nur im Ausschuss problematisieren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu sagen, dass alles, was Sie mit Ihren Gesetzen machen, Stückwerk ist. Denn Sie haben die 153 ehe- und familienbezogenen Leistungen in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Volumen von 185 Milliarden Euro bisher noch nicht evaluiert. Sie haben das die ganze Zeit angekündigt. Im Ausschuss wurde aber gesagt, dass die Fraktionen das selber machen können. Es gibt keine kritische Bewertung der ehe- und familienbezogenen Leistungen. Sie geben hier und da ein bisschen mehr. Aber das reicht nicht, um Familienpolitik aus einem Guss zu gestalten. Das haben Sie in dieser Legislaturperiode nicht geschafft. ({6}) Da ich nur noch eine Minute Redezeit habe, will ich ganz kurz auf die Kinderbetreuungskosten zu sprechen kommen. Keiner von Ihnen hat gesagt, dass die Kinderbetreuungskosten, wenn der Mann und die Frau oder Alleinerziehende arbeiten gehen, nur zu zwei Drittel von der Steuer abgesetzt werden können. Das kann ich, die ich Steuerfachangestellte bin, mir überhaupt nicht erklären. Warum sollen wir Frauen, die wir arbeiten gehen, ein Drittel der Kinderbetreuungskosten selbst tragen? Das muss in diesem Gesetz unbedingt geändert werden. Das wird eine Forderung der FDP sein. ({7}) Mein Fazit lautet: Das Steuerrecht bleibt weiter kompliziert. Die Kindergelderhöhung ist unzureichend. Weiterhin pflegen Sie von der Großen Koalition das Prinzip „Rechte Tasche, linke Tasche“. Die Familien in der Bundesrepublik Deutschland werden erst durch eine neue Regierung in der nächsten Legislaturperiode wirklich entlastet werden. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Patricia Lips für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zurzeit wird in diesem Haus über zahlreiche Maßnahmen auf allen Politikfeldern diskutiert, Maßnahmen, die vor allem in naher Zukunft oder mittelfristig unserem Land helfen sollen. Die Finanzmarktkrise hat die Realwirtschaft erreicht. Nahezu alle davon betroffenen Länder rüsten sich richtigerweise für die kommende Zeit. Der Fokus zahlreicher Maßnahmen richtet sich natürlich auf den wirtschaftlich-finanziellen Bereich; das ist auch richtig. Jede Maßnahme verdient es, dass man ihr die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Frau Höll, gestatten Sie mir, auf das Beispiel von Frau Beyer zurückzukommen. Sie sagten, dass diese Frau gut und zuverlässig arbeitet. Das freut uns, und wir unterstützen sie dabei. Wir bedauern aber, dass die Maßnahmen, die im Rahmen des Paketes zur Stabilisierung des Finanzmarktes getroffen wurden, immer wieder angeführt werden, um bestimmte Positionen und Bereiche in unserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Das ist nicht richtig; das ist falsch. Die Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes dienen auch dazu, dass das Unternehmen, bei dem Frau Beyer arbeitet, in Zukunft die benötigten Kredite und Aufträge bekommt. Damit wird der Arbeitsplatz von Frau Beyer nachhaltig gesichert. Leider vergessen Sie das immer in Ihren Ausführungen. Deshalb ist es doppelt wichtig, das an dieser Stelle zu sagen. ({0}) Wir begrüßen die Ziele, die mit dem vorliegenden Leistungsgesetz für Familien erreicht werden sollen. Es sind ganz besonders die Familien, die das Fundament einer stabilen Gesellschaft bilden. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten dürfen und wollen wir sie nicht am Rande stehen lassen. Auch deshalb ist dieses Gesetz so wichtig. Leistungen für Familien sind immer auch Investitionen in die Zukunft. Mit dem Leistungsgesetz für Familien wollen wir - wir hörten das bereits - einen sehr erfolgreichen Weg fortsetzen. Elterngeld, erweiterter Kinderzuschlag, ausgeweitete Betreuungsangebote, Kindertagesstätteneinrichtungen, Ganztagsschulen und soziale Frühwarnsysteme, dies sind nur einige Marksteine der jüngeren Vergangenheit. Kritik daran wird es immer geben, hier und draußen. Man kann es nicht immer allen recht machen. Aber es wird kaum jemand bestreiten, dass innerhalb kurzer Zeit viele Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir heute weitergehen. ({1}) Die Erhöhung des Kinderfreibetrages ist - wir hörten schon mehrfach davon - ein richtiger und vor allem ein verfassungsrechtlich notwendiger Schritt. Die Erhöhung des Kindergeldes sieht eine Staffelung vor, bei der Mehrkindfamilien besonders berücksichtigt werden. 4,5 Millionen Kinder leben in solchen Familien. Es gibt zudem Sonderzahlungen zum Schulbesuch, ein ganz neues Element. Die Förderung von haushaltsnaher Beschäftigung und Dienstleistung soll ausgebaut bzw. vereinfacht werden. Was wollen, was können wir mit diesen Maßnahmen bewirken? Ich möchte das an dieser Stelle in drei Punkten zusammenfassen. Erstens: die finanzielle Entlastung und Unterstützung von Familien mit Kindern. Wir wollen wirtschaftliche Stabilität schaffen bzw. ausbauen. Vor allem kinderreiche Familien sowie Familien mit mittleren und unteren Einkommen brauchen häufig verstärkt die Hilfe der Gemeinschaft. An dieser Stelle möchte ich aus der aktuellen Debatte heraus die Gelegenheit nutzen, um auf etwas hinzuweisen. Der Regelsatz im SGB II ist von 2002 bis heute für Kinder bis sechs Jahre um 30 Prozent gestiegen. ({2}) Wenn wir die Diskussion hier führen, dann sollten wir sie auch komplett führen. Deshalb ist es wichtig, dass das noch einmal an dieser Stelle gesagt wurde. ({3}) Zweitens: eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Die Anforderungen sind gestiegen. Wir selbst fordern eine erhöhte Flexibilität am und für einen Arbeitsplatz. Gleichzeitig brauchen wir auch Frauen, die in Kontinuität und ohne ständigen Druck an der Arbeitswelt teilhaben können. Nicht nur Kindererziehung, auch die Pflege von Angehörigen spielt eine immer größere Rolle. Sie hat unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung einer Gemeinschaft, einer Familie. Oft geschieht dies nicht geplant, sondern in tragischen Fällen werden die Familien völlig unvorbereitet davon betroffen. Drittens. Insbesondere die steuerliche Förderung von haushaltsnaher Beschäftigung und Dienstleistung soll neben der Erleichterung einer eigenen, individuellen Lebensplanung auch dazu beitragen, die Ausschöpfung eines großen Potenzials zum Beschäftigungsaufbau voranzubringen. Der private Haushalt soll noch mehr als bisher zu einem Auftraggeber werden können und zur Schaffung von legalen Beschäftigungsverhältnissen beitragen. Wenn wir die Debatte heute verfolgt haben, dann stellen wir fest - gestatten Sie mir, dass ich das so sage -, dass wir in der eher komfortablen Situation sind, dass wohl nahezu jeder hier im Haus die grundsätzliche Stoßrichtung aller Maßnahmen begrüßt. Dabei gibt es natürlich nichts, auch nichts Gutes, was man nicht noch besser machen könnte - selbstverständlich. Viele Dinge wurden hier genannt, und es gibt immer jene, die ein Mehr an Leistung fordern. Wie immer wird es so sein, dass nicht alles erfüllt werden kann. Doch wir stehen am Anfang der Diskussion, und ich bin mir sicher, dass wir für vieles Regelungen finden werden. Kindererziehung ist und bleibt Sache der Eltern. Der Staat, die Gemeinschaft aller, unterstützt dabei vielfältig und schreitet dort ein, wo Eltern nicht allein zum Wohl ihrer Kinder handeln können oder wollen. So soll es sein. Kinderfreundliche Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen, ist aber nicht nur eine Aufgabe des Deutschen Bundestages, sondern wir sind auf allen Ebenen dazu verpflichtet, Regelungen zu finden. Das ist nicht allein eine politische Aufgabe, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Wir wollen diese Leistungen zur Unterstützung hier und heute an einer weiteren Stelle ergänzen. Das Ganze soll bereits im Januar in Kraft treten. Ich freue mich auf Ihre Mithilfe und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein Familienleistungsgesetz setzt sehr gute Signale. Es geht um stärkere Unterstützung für Familien, und es geht um gesonderte Hilfe für bedürftige Schülerinnen und Schüler, weil wir auch nach denen schauen, die von der Kindergelderhöhung nicht profitieren werden. Tatsächlich haben wir ein schwerwiegendes Problem im Bildungswesen. Die PISA-Studien zeigen deutlich, dass in keinem Industriestaat der Welt Kinder aus armen und bildungsfernen Familien so schlechte Bildungschancen haben wie in Deutschland. Der nationale Bildungsbericht 2008 hat zum Beispiel festgestellt, dass die Kinder von Beamten mit Hochschulabschluss zu 95 Prozent studieren, dass es aber nur 17 Prozent der Arbeiterkinder bis an die Hochschule schaffen. Dabei wissen wir, dass die Kinder nicht dümmer oder klüger geboren werden. Nein, es sind die gesellschaftlichen Bedingungen, die Bildungschancen ermöglichen oder eben auch verbauen. Dagegen müssen wir etwas tun. Wir wollen optimale Unterstützung und Chancengleichheit für alle in der Bildung. ({0}) Darum ist es so wichtig, dass wir in Bildungseinrichtungen investieren, wie wir es etwa unter Rot-Grün mit dem Ganztagsschulprogramm und dem Tagesbetreuungsausbaugesetz oder wie wir es auch in der Großen Koalition mit dem Kinderförderungsgesetz getan haben. Darum wollen wir auch Familien, die nicht so viel Geld haben, unterstützen: damit sie für die Kinder Schulbedarf kaufen können, also Ranzen, Hefte, Füller usw. Das ist ein guter Beitrag dazu, dass Kinder aufgrund der Arbeitslosigkeit ihrer Eltern im schulischen Leben nicht benachteiligt werden. Ich will einmal sagen: Es ist die SPD gewesen, die das initiiert hat, die das in der Koalition durchgeboxt hat. ({1}) Ohne den Impuls von Franz Müntefering schon vor einiger Zeit hätte es das nicht gegeben. ({2}) Aber wir wollen noch mehr erreichen, als in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Mir ist vollkommen unklar, warum die CDU/CSU in den Koalitionsverhandlungen darauf bestanden hat, dass dieses Schulbedarfspaket zeitlich begrenzt wird, es also nur bis zur zehnten Klasse in Kraft gesetzt wird. Warum nicht auch bis zum Abitur? ({3}) Will die Union nicht, dass Bedürftige Abitur machen? Um das Geld kann es an dieser Stelle ja nicht gehen. Auch der Bundesrat kann das übrigens nicht nachvollziehen. In seinem Beschluss bezeichnet er diese Begrenzung als - Zitat - „sachlich nicht gerechtfertigt“ und „kontraproduktiv“. Das ist eine finanzielle Benachteiligung derjenigen, die einen höheren Bildungsabschluss anstreben, und widerspricht der Zielsetzung, mehr und bessere Bildung zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich bitte Sie herzlich: Das kann so nicht bleiben. Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie einer Änderung zu! ({4}) Uns ist klar, dass durch dieses Gesetz nicht alle Probleme gelöst werden. Die SPD will weitere, größere Schritte gehen. Wir wollen einen eigenständigen Regelsatz für Kinder, deren Eltern arbeitslos sind. Bislang wird der Bedarf für Kinder so festgelegt, als ob sie kleine Erwachsene wären. Das bedeutet, dass sie dann, abhängig vom Alter, 60 oder 80 Prozent dessen bekommen, was Erwachsenen zugestanden wird, mit dem Effekt, dass Kinder etwa für Alkohol und Tabak Geld bekommen, nicht aber für Bildung und kindgerechte Dinge. Ich glaube, da müssen wir noch einmal heran. Das kann so nicht bleiben. ({5}) Darüber hinaus wollen wir die Gebührenfreiheit der Kitas genauso wie der Hochschulen. Auch das Mittagessen in den Kitas und in den Schulen sollte für die Eltern kostenfrei sein. Ein Schüler-BAföG ist sinnvoll. Wir wollen gute Bildung für alle ermöglichen. Das ist wichtig für unsere Volkswirtschaft. Das ist aber vor allem ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Dafür stehen wir ein. ({6}) Der Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Lassen Sie uns aber noch mutiger sein. Es gibt Gelegenheiten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens; die Kollegin Lips hat darauf hingewiesen. Ich werte das als Signal dafür, dass mit der CDU/CSU darüber noch geredet werden kann. Ich glaube, dann wird es noch ein richtig gutes Gesetz. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte fast wie immer nach solchen Debatten hier im Deutschen Bundestag sagen: Viel Lärm um nichts. ({0}) Ich würde mich freuen, wenn Sie von der Opposition - jetzt schaue ich auch die rechts sitzende FDP an - uns einmal attestieren würden: In den letzten Jahrzehnten ist für die Familien nie so viel wie in den letzten drei Jahren getan worden. ({1}) Frau Deligöz, Sie stellen sich hier hin und sagen: 10 Euro mehr, das ist mager. - Ich schaue einmal zurück auf die Zeit, in der Sie in der Regierungsverantwortung waren: Sie haben 2002 zum letzten Mal das Kindergeld erhöht. Man könnte vermuten, das hätten Sie getan, weil Sie die Probleme der Familie erkannt hätten. ({2}) Aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es war das Verfassungsgerichtsurteil von 1998, das sich eindeutig zur Kinderbetreuung geäußert hat. ({3}) Im November 1998 kam das Urteil, und daraufhin haben Sie 2000 reagiert, aber nicht, weil es Ihnen ein Grundbedürfnis war. ({4}) Man muss noch einmal sagen, dass dies eine Reaktion war. Seit 2002 ist nichts mehr geschehen. Obwohl Ihnen das Thema Armut immer so wichtig ist, haben Sie nicht erkannt, dass gerade Familien mit drei und mehr Kindern ein erhöhtes Armutsrisiko tragen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir jetzt ein gestaffeltes Kindergeld nach vorn bringen. ({5}) Darauf sind wir stolz, und wir können es mit Recht sein. Frau Höll, ich bin jedes Mal sprachlos, wenn die Linke hier steht und suggeriert, sie wolle das Beste für das Volk. ({6}) Sie reden über Eckregelsätze, die man erhöhen müsse, und davon, dass wir die Sätze viel zu niedrig ansetzten. Sie wissen aber, wie wir sie auf Bundesebene berechnen: Die sozialrechtlichen Eckregelsätze werden von den Landesregierungen bestimmt; daraus berechnen wir das Mittel. Ich habe einmal nachgesehen, was Sie in Berlin machen, wo Sie regieren und entsprechende Möglichkeiten haben. Es müsste Ihnen doch ein Grundanliegen sein, gerade die Eckregelsätze derjenigen Menschen, für die Sie sich hier so stark machen, so zu erhöhen, dass sie davon profitieren. Sie haben jedoch genau die gleichen Regelsätze wie die anderen Bundesländer auch, nicht einen Euro mehr. Daran müssen Sie sich messen lassen. Sie sollten sich nicht hier hinstellen und so tun, als ob Sie etwas änderten. Machen Sie es vielmehr da, wo Sie in der Verantwortung sind! Da können Sie etwas verändern, und da sollten Sie es auch tun. ({7}) Meine Damen und Herren, ich will noch einmal verdeutlichen, dass wir nicht nur mit der jetzt vorgesehenen Erhöhung des Kindergeldes und des -freibetrages ein deutliches Zeichen setzen, sondern dass während der letzten drei Jahre einige Dinge als Leistung der großen Koalition auf den Weg gebracht wurden, die gerade den Familien zugutekommen. - Der Präsident blinkt schon?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, ich wollte nur fragen, ob Sie bereit sind, eine Zwischenfrage der Kollegin Höll zu beantworten.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, heute nicht. Ich mache es sonst immer gern, aber ich möchte es nicht. ({0}) - Ich möchte es heute nicht. Nein, regeln Sie das in Berlin! Da haben Sie eine Menge zu tun, und wir reden jetzt hier weiter. ({1}) Wir haben, wie gesagt, einiges auf den Weg gebracht, was gut und richtig ist. Wir haben nicht nur das Elterngeld eingeführt, wir haben nicht nur den Ausbau der Kinderbetreuung auf den Weg gebracht. Wir haben beim Kinderzuschlag - jetzt beziehe ich mich auf die zweite Gruppe, die stark von Armut betroffen ist - die Alleinerziehenden noch einmal ganz besonders in den Fokus genommen und die Absicht bekundet, dass hier eine Verbesserung gerade für sie erfolgen soll. Das haben wir auch getan, und deshalb, Frau Westrich, habe ich die Aussage in Ihrer Rede nicht verstanden - das muss ich jetzt doch einmal kritisch sagen -, dieses Gesetz habe allein die SPD auf den Weg gebracht. ({2}) Ich glaube, wir waren durchaus wichtig und haben uns an einigen Stellen sehr deutlich bemerkbar gemacht. ({3}) Ich komme noch einmal zum Stichwort „haushaltsnahe Dienstleistungen“. Ich bin zwar schon etwas älter, aber mein Gedächtnis ist noch sehr gut. Ich kann mich erinnern, dass unsere ersten Vorschläge gerade von Ih19980 nen immer mit der Bemerkung abgetan wurden, das sei eine Unterstützung der gut- und besserverdienenden Familien. ({4}) Heute stellen Sie sich hier hin und sagen, das sei das, was die SPD immer gewollt habe. Das hätten wir dann schon viel eher haben können. ({5}) Uns hatten Sie da immer auf Ihrer Seite, und Sie werden uns dabei immer auf Ihrer Seite haben. Gerade damit wollen wir nicht nur erreichen, die Familien in finanzieller Hinsicht besserzustellen, bessere Betreuungsangebote vorzuhalten - und jetzt kommt der Dreiklang, den die Ministerin sehr gut auf den Weg gebracht hat -; vielmehr wollen wir auch dafür sorgen, dass Eltern wieder mehr Zeit für ihre Kinder haben. Wenn wir wollen - dies ist gerade auch in Ihrer Partei, Frau Westrich, ein großer Wunsch -, dass die Frauen nach der Geburt eines Kindes ganz schnell in den Beruf zurückkehren, dann müssen wir Ausgleichsmöglichkeiten schaffen, damit die Eltern, wenn beide berufstätig sind, Zeit für die Kinder haben. Sie haben sie nur dann, wenn sie bestimmte Aufgaben auslagern können. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir ein deutliches Signal setzen, indem wir sagen: 20 Prozent der Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen sind von der Steuerschuld absetzbar, und dies mit der Obergrenze von 20 000 Euro. Das ist ein richtiges, wichtiges und deutliches Signal, und ich bin auch dem Finanzminister sehr dankbar, dass er dem Ganzen zugestimmt hat. Meine Damen und Herren, ich kann nur noch einmal deutlich machen, dass wir in den letzten drei Jahren eine Menge auf den Weg gebracht haben. Ich habe das auch anhand dessen feststellen können, wie oft ich in dieser Legislaturperiode im Vergleich zu den letzten geredet habe. Da ich immer für die Familienpolitik zuständig war, kann man das gut vergleichen. Es ist eine deutliche Steigerung; das können Sie im Internet nachlesen. ({6}) Das zeigt einfach, dass wir sehr viele Themen besetzt haben, die Familien betreffen, und dass wir Dinge auf den Weg gebracht haben. Wir haben auch geschafft - das freut mich noch mehr -, dass unsere Debatten im Plenum des Deutschen Bundestags zur Kernzeit stattfinden. Das war früher nicht üblich. Auch dafür ein Dankeschön. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir die Familien ernst nehmen. Frau Ministerin, wir sind auf einem guten Weg. Wir begleiten Sie weiterhin; denn das tun wir für die Familien in Deutschland. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Um die zu Recht hervorgehobene Bedeutung dieses Themas zu unterstreichen, gestattet das Präsidium jetzt noch eine Kurzintervention, und zwar der Kollegin Höll. Ich mache aber noch einmal darauf aufmerksam, dass wir aus guten Gründen keinen Rechtsanspruch auf Kurzinterventionen haben. Schon gar nicht gibt es eine Regelung, nach der die Abgeordneten, die in der Debatte ohnehin zu Wort gekommen sind, sich anschließend in Form von Kurzinterventionen zusätzliche Redezeit verschaffen. Frau Kollegin Höll. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich danke Ihnen. - Ich möchte auch nur ganz kurz auf den gegen mich erhobenen Vorwurf bezüglich Berlins reagieren. Erstens. Frau Kollegin, Sie sollten hier nicht so tun, als ob der rot-rote Senat für die prekäre Haushaltssituation von Berlin verantwortlich wäre. Dafür trägt vor allem die Berliner CDU die Verantwortung. Stehen Sie gefälligst dazu! ({0}) Zweitens. Wenn Sie hier solche Vorwürfe erheben, sollten Sie sich vielleicht doch etwas gründlicher informieren. Berlin regelt die Wohnkostenübernahme für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger und damit auch für ihre Kinder in der großzügigsten Art und Weise. Das Berliner Modell ist das beste Modell, das wir derzeit in der Bundesrepublik haben - und das trotz der angespannten Haushaltssituation. Berlin tut in dem sehr engen Rahmen, den es hat, das Bestmögliche. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/10809 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor- schläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente - Drucksache 16/10810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeitslosenversicherung stärken - Ansprüche sichern - Öffentlich geförderte Beschäftigte einbeziehen - Drucksache 16/10511 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) - Sobald die notwendige Aufmerksamkeit für die gemeldeten Redner hergestellt ist, können wir fortfahren. - Es wäre auch schön, wenn in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die offenkundig dringlichen Besprechungen wenigstens im Sitzen stattfinden könnten. ({3}) Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz. ({4})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schwierige Zeiten, aber in diesen schwierigen Zeiten gibt es auch gute Meldungen - die müssen besprochen und zur Kenntnis genommen werden -: Das erste Mal seit 16 Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen wieder unter 3 Millionen gesunken. Das ist das Ergebnis vieler guter Entwicklungen in der Konjunktur. Das ist das Ergebnis von Entscheidungen, die Unternehmerinnen und Unternehmer getroffen haben. Das ist das Ergebnis der Anstrengungen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aber das ist auch das Ergebnis guter Politik. ({0}) Mit den Reformen auf dem Arbeitsmarkt, die wir zustande gebracht haben, haben wir einen Beitrag dazu geleistet, dass die Arbeitslosigkeit schneller zurückgeht, als sie ohne diese Reformen zurückgegangen wäre. Wer das bezweifelt, kann sich jetzt noch einmal neu beim Sachverständigenrat erkundigen. Er hat die Reformen, die wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, so bewertet: Zum ersten Mal seit langem ist es gelungen, dass die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit einem Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit einhergeht. Zum ersten Mal ist es gelungen, dass innerhalb eines Konjunkturzyklus auch insgesamt eine strukturelle Verbesserung festgestellt werden kann. Schließlich ist es nicht mehr so, dass die Arbeitslosigkeit erst dann zurückgeht, wenn das Wirtschaftswachstum über 2 Prozent liegt. Das alles haben wir zustande gebracht. Das muss in diesen Tagen auch einmal gesagt werden. ({1}) Warum ist uns das gelungen? Es ist uns gelungen, weil wir uns die Sache nicht so einfach gemacht haben und nicht auf die hereingefallen sind, die einfache Lösungen propagieren: Die einen sagen hier, man müsse den Arbeitsmarkt so organisieren, dass er keine Haltelinien hat, also sozialstaatliche und soziale Regelungen abschaffen, um ihn hochmobil zu halten. Die anderen sagen, man dürfe gar nichts ändern. Wir haben dagegen einen Arbeitsmarkt geschaffen, der unter sozialstaatlichen Rahmenbedingungen hoch funktionsfähig und hoch mobil ist. Genau das hat zum derzeitigen Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen. Natürlich müssen wir jetzt alles dafür tun, damit es dabei bleibt. Es ist deshalb richtig, dass dem Schutzschirm für die Finanzmärkte auch ein Schutzschirm für den Arbeitsmarkt folgt. Darüber diskutieren wir heute ja auch, nachdem zuvor darüber schon in den Fraktionen und anderen Gremien beraten worden ist. Ich halte das für notwendig. Für ganz besonders notwendig halte ich in diesem Zusammenhang aber die Maßnahmen, die wir im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zusätzlich auf den Weg gebracht haben. So haben wir angesichts der derzeitigen Situation gesagt: Wir verlängern die Dauer des Bezugs von Kurzarbeitergeld. Es wird nicht nur, wie im Gesetz vorgesehen, sechs Monate gezahlt, sondern kann bis zu 18 Monate gewährt werden. Das starke Signal, das davon an die Unternehmen ausgeht, lautet: Haltet an euren Beschäftigten fest! ({2}) Entlasst sie nicht, wenn es jetzt Schwierigkeiten gibt, sondern behaltet sie bei euch! Ihr werdet sie schneller wieder brauchen, als ihr denkt! ({3}) Wir unterstützen in dieser Situation die Unternehmen mit der Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes. Dies verbinden wir mit einem weiteren Angebot, das wir im Übrigen auch mit Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik auf den Weg gebracht haben. Wir sagen: Qualifiziert, statt zu entlassen! Wir wollen also, dass jemand, der in Kurzarbeit ist, die Möglichkeit hat, sich weiterzuqualifizieren. Dafür werden wir die Voraussetzungen schaffen. Wir wollen aber auch, dass generell in den Betrieben häufiger diese Möglichkeit wahrgenom19982 men wird. Deshalb werden wir für eine umfassende Nutzung des Programms WeGebAU, das wir aufgelegt haben, werben. Wir werden den mittelständischen Unternehmen nahelegen, dafür zu sorgen, dass gering qualifizierte Arbeitnehmer ausgebildet werden, dass sie mehr Qualifikation bekommen und nicht entlassen werden. Wir werden auch dafür sorgen, dass ältere Arbeitnehmer nachqualifiziert werden, sodass sie für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Auch das gehört zu den Dingen, die wir jetzt tun. Im Übrigen werden wir auch dafür Sorge tragen, dass die Zahl der Vermittler bei der Bundesagentur für Arbeit noch einmal ausgeweitet wird. 1 000 zusätzliche Vermittler sollen als Job-to-Job-Vermittler dafür sorgen, dass diejenigen, die in der jetzt rauer und schwieriger werdenden wirtschaftlichen Situation arbeitslos werden und einen neuen Arbeitsplatz suchen, umgehend und intensiv betreut werden können. Das ist ein wichtiges Signal an diejenigen, die in der derzeitigen Situation Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Wir werden sie nicht alleinlassen, sondern sie unterstützen. ({4}) Nicht nur mit dem Job-to-Job-Zusatzprogramm, sondern ganz generell ist es schon gelungen, die Zahl derjenigen, die Vermittlungsarbeit leisten, zu erhöhen. So haben wir dafür gesorgt, dass die Zahl der Vermittler bei den Arbeitsagenturen noch einmal erhöht wird, sodass bei den jüngeren Arbeitslosen ein Vermittler 75 Arbeitsuchende betreut und bei den älteren Arbeitslosen ein Verhältnis von 1 : 150 erreicht werden kann. Das sind notwendige Standards, damit Arbeitsuchende in einer schwierigen Situation ihres eigenen Lebens gut unterstützt werden können. Ich finde, dass wir hier etwas Richtiges auf den Weg gebracht haben, und zwar ganz unabhängig von dem geplanten Konjunkturpaket. Noch deutlicher wird dies, wenn man sich überlegt, wie die Situation früher war. Zu Zeiten der Bundesanstalt für Arbeit waren gerade einmal 10 Prozent der dort Beschäftigten für Vermittlung zuständig. Jetzt ist fast die Situation erreicht, leider noch nicht ganz, dass die Hälfte der Beschäftigten mit Vermittlung befasst ist. Ich will das ausdrücklich sagen, weil ich glaube, dass Vermittlung im Mittelpunkt stehen muss. Wir wollen, dass die Menschen Arbeit finden, dass den Bürgerinnen und Bürgern, die ohne Arbeit sind, Möglichkeiten eröffnet werden, einen Arbeitsplatz zu finden. Das geht nur, wenn wir uns mit vielen Personen, die gut qualifiziert sind, um sie kümmern. Sie müssen, wenn sie eine Agentur, eine Arbeitsgemeinschaft oder ein Jobcenter aufsuchen und Unterstützung brauchen, wissen, dass hier alles für sie getan wird. Das geht nur, wenn sich viele Personen darum kümmern. ({5}) Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente reiht sich da ein. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass wir nicht im großen Maßstab alles nach Detailhubereien organisieren, sondern dass wir den Arbeitsvermittlerinnen und -vermittlern mehr Flexibilität ermöglichen. Es geht darum, passgenau für jeden Arbeitsuchenden das Richtige zu tun. Das kann nicht funktionieren, wenn wir einen Katalog haben, der so lang ist, dass man allein mit dem Wälzen der Unterlagen möglicher Maßnahmen seine Zeit verbringt. Vielmehr muss es zusammengefasste Instrumente geben. Sie müssen passgenau sein sowohl für den Bereich SGB III als auch für den Bereich SGB II, für die Versicherungskunden und für diejenigen, die Arbeitslosengeld II erhalten. Zudem muss die Möglichkeit gegeben sein, etwas Neues zustande zu bringen, etwas, das bisher noch nicht darin enthalten war, und zwar nicht erst, nachdem der Deutsche Bundestag einen weiteren Einfall für einen weiteren Paragrafen hatte; diese Handlungsmöglichkeit muss generell gegeben sein. Das ist mit diesem Gesetzentwurf gegeben. Die wachsende Flexibilität und die bessere Unterstützung der Arbeitsuchenden bedeuten einen guten und richtigen Zug, den wir gemeinsam als Koalition voranbringen. ({6}) Ich will ausdrücklich sagen, dass es eine gemeinsame Sache ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Zahl der Instrumente reduziert wird. Wir betrachten dies nicht als etwas, was man irgendwie machen musste. Es geht vielmehr darum, dass man mit weniger, zusammengefassten, mehr Einzelfallgerechtigkeit ermöglichenden Instrumenten besser vorankommt als mit den Instrumenten, die letztlich nur ein bürokratisches Monster sind. Insofern hoffe ich, dass es für dieses Vorhaben über die Koalitionsfraktionen hinaus Unterstützung gibt. Lassen Sie mich im Hinblick auf die Instrumente, insbesondere auf einen Punkt, der mir wichtig ist, eingehen. Wenn wir uns über die Frage Gedanken machen, wie sich der Arbeitsmarkt der Zukunft entwickeln wird, dann müssen wir uns ganz klar vor Augen halten: Der Arbeitsmarkt der Zukunft ist entweder einer mit genügend Fachkräften und geringer Arbeitslosigkeit oder ein Arbeitsmarkt, in dem es eine nicht ausreichend große Anzahl von Fachkräften und eine hohe Arbeitslosigkeit von nicht qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gibt. Genau hier muss man ansetzen. Es kann nicht sein, dass 500 000 von 3 Millionen Arbeitslosen keinen Schulabschluss haben, die fast alle langzeitarbeitslos sind, und wir nichts dagegen unternehmen. Es kann auch nicht angehen, dass wir wissen, dass die Hälfte der Langzeitarbeitslosen über keinen Berufsabschluss verfügt und wir nichts dagegen unternehmen. Wir müssen mit unseren Möglichkeiten etwas dagegen unternehmen. Nicht alles können wir vom Deutschen Bundestag aus bewegen. Nicht alles können die Arbeitsgemeinschaften und die Agenturen machen. Dass wir es jetzt aber geschafft haben, dass jedem Mann und jeder Frau lebenslang das Recht zugesprochen wird, sich auf den Hauptschulabschluss gefördert vorzubereiten und ihn nachzuholen, das ist ein großer Fortschritt für diese 500 000 Arbeitsuchenden. Es ist aber nicht nur ein großer Fortschritt, sondern auch ein Zeichen für unsere Gesellschaft, dass man sein Leben verbessern kann, wenn man sich Mühe gibt. Darum geht es auch bei dem, was wir hier machen. Ich bin froh darüber, dass dies jetzt möglich geworden ist. ({7}) Ebenso werden wir Sorge dafür tragen, dass all diejenigen, die über Sprachprobleme verfügen und deshalb Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, jetzt unterstützt werden und dies ändern können. Ich glaube, auch das ist eine gute Sache, die wir zustande bringen. Dabei geht es darum, Maßnahmen nicht mal hier und mal dort zu ergreifen, sondern flächendeckend. Auch das wird passieren. Beide Dinge, die ich hier angesprochen habe, betreffen im Übrigen Maßnahmen, die in der Fläche, vor Ort immer mal wieder ausprobiert worden sind. Das ist mit verschiedenen Instrumenten - manchmal auch mit Instrumenten, die nicht vom Gesetz vorgesehen waren gemacht worden. Diese Erfahrungen vor Ort in den Arbeitsgemeinschaften, die Experimente, die durchgeführt worden sind, haben wir nicht einfach weiter betrachtet, sondern wir haben gesagt: Das soll nicht Experiment bleiben. Das soll etwas Regelhaftes werden, das für alle Arbeitsuchende überall in Deutschland flächendeckend zur Verfügung steht, also nicht nur dort, wo sich besonders Engagierte darum bemüht haben. Auch das ist ein gesetzgeberischer Fortschritt, den wir jetzt zustande bringen. ({8}) Wir wollen Flexibilität erhöhen. Bisher gibt es sie eigentlich nicht. Es gibt derzeit sonstige weitere Leistungen, um ein beliebtes Thema anzusprechen. Diese stehen neben den Instrumenten der Regelförderung zur Verfügung. Sie sind aber oft genutzt worden als eine Möglichkeit zur freien Förderung, als ein Spielraum, etwas zu machen, das bisher keine gesetzliche Grundlage hatte. Darin unterscheiden sie sich von anderen Instrumenten. Mit dem neuen Gesetz wird es zum ersten Mal im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine freie Förderung geben. Dieses Instrument wird neu geschaffen. Es ist richtig, dass der Deutsche Bundestag in Kenntnis der Bedenken des Haushaltsausschusses, der alle Regelungen auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage stellen will, sagt: Es soll ein Experimentierfeld geben, auf dem weitere Neuerungen, die wir heute noch nicht kennen, getestet werden können. Nachdem sie vor Ort ausprobiert worden sind, können bewährte Maßnahmen später vielleicht verallgemeinert werden. ({9}) Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktpolitik ist gut, wenn sie für die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeit suchen, gut ist, wenn die Menschen im Mittelpunkt stehen und eine Chance erhalten, ein besseres Leben zu führen. Darum bemühen wir uns mit diesem Gesetz. Ich freue mich auf den Beginn der Gesetzesberatungen. Schönen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Niebel von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Elften Elften 2005 - ich kann nichts für das Datum - hat die Große Koalition den Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem festgelegt ist, dass Sie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente überprüfen und die Beantwortung der Frage, welche Instrumente sinnvoll sind und welche nicht, bis zum Ende des Jahres 2006 abgeschlossen haben wird. Sie hat vereinbart, dass man spätestens im Jahr 2007 die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu geregelt haben will. Jetzt haben wir den November 2008. Das heißt, drei Jahre sind vergangen, seit vereinbart wurde, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente daraufhin zu überprüfen, ob sie sinnvoll sind. Jetzt legt uns der Bundesminister einen Gesetzentwurf vor, von dem er meint, dass er das Versprechen im Koalitionsvertrag umsetzt. ({0}) Das ist mitnichten der Fall. Sie haben die Zeit der guten Konjunktur zwar genossen, aber Sie haben sie nicht genutzt. Sie haben die Zeit verschwendet; denn seit Januar 2006 liegt der Evaluierungsbericht über die Hartz-Reformen I bis III vor. Dies ist nicht ein Bericht der bösen Opposition, sondern ein Bericht der Bundesregierung. In ihm ist die Feststellung enthalten, dass ein Großteil der vorhandenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht nur nicht hilft bei der Integration Arbeitsuchender, sondern oftmals den Menschen, die damit „beglückt“ werden, überproportional schadet; denn sie werden teilweise zusätzlich stigmatisiert und daran gehindert, einen Arbeitsplatz zu finden. ({1}) Der Bundesarbeitsminister hat versprochen, die Anzahl der Instrumente zu halbieren. Dass er das nicht geschafft hat, verwundert nicht angesichts der Tatsache, dass in der Antwort der Bundesregierung vom 25. Juli - das ist die Drucksache 16/10048 - auf unsere Kleine Anfrage bemerkt wird: Für die Zählung der Instrumente bzw. Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gibt es in Deutschland kein, zwischen den unterschiedlichen Akteuren bei der Bundesagentur für Arbeit, der Bundesregierung und der Wissenschaft, gemeinsam festgelegtes Konzept. Das bedeutet übersetzt nichts anderes, als dass die Bundesregierung keine Ahnung hat, wie viele arbeitsmarktpolitische Instrumente es überhaupt gibt. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf schafft sie zwar 27 vorhandene Instrumente ab, die sie offenkundig gefunden hat, aber sie schafft gleichzeitig fünf neue, die teilweise das beinhalten, was mit den anderen abgeschafft worden ist. So kann man keine Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren. Aber das muss das Hauptziel sein. ({2}) Die Bundesagentur versinkt in Bürokratie bei dem Versuch, Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten. 1,5 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz werden in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geparkt, ohne in der Arbeitslosenstatistik aufzutauchen. ({3}) Das ist versteckte Arbeitslosigkeit, die nur politisch begründet werden kann. ({4}) Wenn jemand, der sich mit einem sogenannten 1-EuroJob etwas hinzuverdienen will, nicht als arbeitslos eingestuft wird, dann ist das absolut unredlich. Wozu dienen diese 1-Euro-Jobs überhaupt? Doch nur dazu - wie auch alle anderen staatlich geförderten Arbeitsverhältnisse, die einen separaten Arbeitsmarkt kreieren -, Menschen, die den Bezug zur Arbeitswelt verloren haben, wieder an den Arbeitsprozess heranzuführen oder auch, um die Arbeitsbereitschaft zu überprüfen. Aber nur für derartige Fälle kann dieses Instrument genutzt werden. In allen anderen Fällen führt es zu Verwerfungen, Verzerrungen und Mitnahmeeffekten. Vermittlungsgutscheine sind ein probates Mittel, wenn sie marktgerecht ausgestaltet sind. Die Vermittlungsgutscheine, die die Bundesregierung vorschlägt, sind in der Höhe der Bezahlung nach wie vor nur an der Dauer der Arbeitslosigkeit ausgerichtet. Das Alter, die Qualifikation und mögliche Vermittlungshemmnisse werden überhaupt nicht berücksichtigt. Das ist keine marktgerechte Ausgestaltung. Deswegen gibt es für private, aber nach meinem Dafürhalten auch für staatliche Arbeitsvermittler, die sich durch die Einnahmen aus Vermittlungsgutscheinen refinanzieren könnten, keinen Anreiz, sich tatsächlich um diejenigen zu kümmern, die es am nötigsten hätten. Wir haben ja festgestellt, dass die gute konjunkturelle Situation gerade im Bereich der Sockelarbeitslosigkeit, der Langzeitarbeitslosigkeit keine wirklich durchschlagenden Erfolge brachte. Die freie Förderung, die Sie bei den Optionskommunen einschränken wollen, preisen Sie hier völlig zu Recht als ein probates Mittel für ortsnahe Lösungsmöglichkeiten. Lassen Sie den Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittlern vor Ort viel Freiraum. Geben Sie ihnen Kompetenz. Engen Sie sie nicht ein. Lassen Sie sie entscheiden, welches Instrument in Passau richtig ist, und zwingen Sie sie nicht, das Instrument zu nehmen, das vielleicht in Rostock wirkungsvoll sein kann. ({5}) Wir brauchen auch keinen flächendeckenden Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss, auch wenn der Bundesminister dies hier wie eine Monstranz vor sich herträgt. In den Ländern fordert die SPD die Abschaffung der Hauptschule. Hier will sie den Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss mit den Mitteln der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Arbeitslosenversicherung einführen, ({6}) während man sich auf der Kultusministerkonferenz zeitgleich darüber berät, ob die Qualitätsstandards bei der Hauptschule abgeschafft werden sollen, weil 50 Prozent der Hauptschulabgänger sie nicht erreichen. Glauben Sie denn im Ernst, dass ein 47-jähriger arbeitsloser Angelernter mit einem Hauptschulabschluss die Chance auf einen neuen und vielleicht auch besseren Arbeitsplatz hat? Das ist weltfremd, das ist Symbolpolitik, die Sie unglaubwürdig macht im Vergleich zu dem Verhalten, das Sie auf Landesebene in der Bildungspolitik zeigen. ({7}) Sie haben die Paragrafen zur Mobilitätsförderung gestrichen. Das ist folgerichtig, wenn man sich den Kompromiss zur Erbschaftsteuer anschaut. Wenn ein Kind nur dann erbschaftsteuerfrei im Haus der Eltern wohnen kann, wenn es mindestens zehn Jahre in diesem Haus bleibt, dann braucht es keine Mobilitätsförderung mehr. ({8}) Was Sie hier einführen wollen, ist im besten Fall eine Aufforderung zu Melderechtsverletzungen, aber mit Sicherheit nichts, was in einer mobiler werdenden Arbeitswelt dazu führt, dass Menschen, die an einem bestimmten Arbeitsplatz benötigt werden, ihn auch annehmen, dass man Arbeitsplätze mit qualifizierten Leuten besetzen kann, die man benötigt. Sie sind auch hier auf einem falschen Dampfer. Sie haben die guten Jahre der konjunkturellen positiven Entwicklung nicht genutzt. Sie versteifen sich jetzt auf einen kleinen Randbereich - zugegeben, auf einen notwendigen Randbereich in der Arbeitsmarktpolitik - und suggerieren, dass damit alle Probleme gelöst werden. Arbeitsmarktpolitische Instrumente sind immer nur ein Werkzeugkasten zum Reparieren anderer Fehler. Wir brauchen keine Konjunkturprogramme, bei denen jemand durch 100 Euro weniger Kfz-Steuer motiviert werden soll, ein 30 000-Euro-Auto zu kaufen, sondern wir brauchen Strukturprogramme, die bewirken, dass tatsächlich Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Das werden Sie mit einem derartigen Instrumentenkasten nicht leisten können. ({9}) Hierfür müssten Sie eine echte Steuerstrukturreform durchführen. Wenn der Instrumentenkasten ausgelichtet wird, hat er einen entscheidenden positiven Effekt: Dies führt dazu, dass die Beitragsmittel effizient eingesetzt werden und Beitragssenkungsspielräume geschaffen werden. Das führt wiederum dazu, dass Arbeit billiger und dadurch sicherer wird und dass für Arbeitnehmer Konsum leichter möglich wird. Aber in der Gesamtschau dessen, was notwendig ist, um die Arbeitsmarktsituation auch im kommenden Jahr zu stabilisieren, brauchen Sie Veränderungen der strukturellen Rahmenbedingungen. Das geht nur mit einer Steuerstrukturreform, die den Menschen und den Betrieben mehr Netto vom Brutto lässt. Das geht nur mit Flexibilisierungen und mehr Spielräumen im Arbeitsrecht. ({10}) Gerade dann, wenn es schwierig ist, Belegschaften zu halten, muss man sich Gedanken darüber machen, das Arbeitsrecht zu flexibilisieren - ein Thema, das in der gesamten Regierungszeit von Schwarz-Rot nicht angesprochen wurde. ({11}) Das geht nur, wenn ideologische Scheuklappen wegfallen. Damit komme ich noch einmal zum Thema Erbschaftsteuer. Die Basis unserer Wirtschaft sind die familiengeführten Betriebe in Deutschland. ({12}) Wenn der Aktionär eines DAX-Unternehmens stirbt, wird dem Betrieb kein Cent des Vermögens entzogen. Wenn ein mittelständischer Inhaber stirbt, ist dies allerdings der Fall. Deswegen sind die Vorschläge, die Sie im vierten Superkompromiss dieser Koalition gefunden haben, mit Sicherheit eines: mittelstandsfeindlich. Sie sind familienfeindlich, aber sie sind auch mittelstandsfeindlich; ({13}) denn kein Unternehmen kann am Rande einer Rezession seine Lohnsumme für zehn Jahre festschreiben. Wenn ein Unternehmen erbschaftsteuerfrei übergeben werden soll ({14}) und die Lohnsumme für zehn Jahre festgeschrieben ist, das Unternehmen dann aber in eine Schieflage gerät, hat man die dramatische Situation, dass man den Umfang des Personals nicht anpassen kann und zusätzlich mit der Erbschaftsteuer belastet wird. Das kostet weit mehr Arbeitsplätze, als Sie mit Ihrem kleinen Instrumentenkästle jemals reparieren können. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition hat in den letzten drei Jahren deutlich mehr erreicht, als viele, vor allem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen, uns zugetraut haben. Man kann sich immer mal wieder die Frage stellen: Was hätten Sie für Feste in diesem Hause gefeiert, wenn Sie diese Erfolge vorzuweisen gehabt hätten? Ich vermute, dass das, was wir hier machen, bescheiden ist gegenüber dem, was Sie, liebe Frau Pothmer, hier gesagt und getan hätten, wenn Sie in der gleichen Funktion gewesen wären, wenn Rot-Grün weiterregiert hätte. Die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind unübersehbar: Wir haben einen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit, wir haben einen Aufwuchs bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, wir haben mehr Ältere im Erwerbsleben und weniger junge Arbeitslose. Natürlich hat die Politik dieser Großen Koalition einen ganz maßgeblichen Anteil an diesen Erfolgen, ({0}) nämlich aufgrund der Reformen der vergangenen Jahre, vor allem aufgrund der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages. ({1}) - Wir haben gestern zu später Stunde darüber geredet. Weil da schon alle Kameras ausgeschaltet waren, sollte dieses Thema heute früh noch einmal angesprochen werden. Herr Niebel, ({2}) es ist ja nicht so, dass wir auf den Evaluationsbericht aus dem Jahr 2006 nicht reagiert haben. Es hat entsprechende Schlussfolgerungen gegeben. Dazu werde ich gleich etwas sagen. Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, geht es uns darum, die Bundesagentur für Arbeit schlagkräftiger aufzustellen, vor allem - der Herr Minister hat darauf hingewiesen -, weil wir nicht wissen, wie sich die Finanzmarktkrise auf den Arbeitsmarkt in Deutschland auswirken wird. Das heißt, wir wollen darüber reden, wie die Bundesagentur für Arbeit zu einem leistungsfähigen Dienstleister am Arbeitsmarkt entwickelt werden kann. Herr Niebel, Sie haben eine für Ihre Verhältnisse erstaunlich konstruktive Rede gehalten. Ich will das ausdrücklich anerkennen. ({3}) Allerdings haben Sie am Ende Ihrer Rede wieder Ihren liberalen Ladenhüter hervorgeholt: Schafft den Kündigungsschutz ab; dann haben wir automatisch mehr Ar19986 Stefan Müller ({4}) beitsplätze. - Lassen Sie sich doch einmal etwas Neues einfallen. Es wird doch dadurch nicht richtiger, dass Sie es ständig wiederholen. ({5}) Zur Erbschaftsteuer. Das ist zwar nicht unser Thema, lassen Sie mich aber trotzdem sagen: Ich glaube, dass die bayerische FDP verantwortungsbewusst genug ist, um mit dem Thema Erbschaftsteuer ordentlich umzugehen, und keine Nachhilfe von Ihnen, Herrn Westerwelle, oder sonst jemandem von der Bundespartei braucht. Ich bin da sehr zuversichtlich. Lassen Sie die bayerischen Kollegen in Ruhe mit uns zusammenarbeiten. Dann kommt auch etwas Anständiges raus. Wir wollen die Bundesagentur zu einem schlagkräftigen Dienstleister am Arbeitsmarkt entwickeln. Es mag ja sein, dass Sie, liebe Kollegen von der FDP, daran kein Interesse haben. Sie wollen die Bundesagentur lieber abschaffen. ({6}) - Auflösen. Den Unterschied müssen Sie mir einmal erklären. - Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bundesagentur irgendwann einmal abgeschafft oder aufgelöst wird, ist so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP irgendwann einmal in Deutschland mit absoluter Mehrheit regiert. ({7}) Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich finde, das ist auch gut so. ({8}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eine SGB-III-Reform verfolgen wir im Wesentlichen drei Ziele: Erstens. Wir wollen mehr Übersichtlichkeit und eine bessere Handhabbarkeit der Instrumente, um dadurch eine bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt gewährleisten zu können. Wir wollen zweitens mehr Entscheidungsspielräume für die Agenturen und die Mitarbeiter der Agenturen vor Ort. Drittens wollen wir erreichen, dass die Mittel, die der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stehen, wirtschaftlicher eingesetzt werden können, damit das Geld der Beitragszahler so effizient und effektiv wie möglich eingesetzt werden kann. Lassen Sie mich zu den drei Punkten einige kurze Bemerkungen machen: Erstens. Bessere Übersichtlichkeit heißt für mich auch mehr Transparenz. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Zahl der Instrumente reduziert werden soll. Vor allem aber sollen die vorhandenen Instrumente auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Das heißt, wir wollen wirksame Instrumente fortentwickeln und unwirksame Instrumente abschaffen oder streichen, und wir haben uns vorgenommen, dass gleichartige Instrumente zusammengefasst werden. Wenn Sie den Gesetzentwurf durchlesen, werden Sie feststellen, dass wir in der Tat unwirksame Instrumente abschaffen, zum Beispiel die Jobrotation, den Eingliederungszuschuss bei Neugründungen, den Arbeitgeberzuschuss zur Ausbildungsvergütung und vieles andere mehr. Diese Maßnahmen werden gestrichen, weil sie nichts genutzt haben, weil sie die arbeitsmarktpolitischen Ziele nicht erfüllt haben, also einfach, weil sie unwirksam waren. Eine ganze Reihe von Maßnahmen - unterstützende Leistungen und vieles andere mehr wird, zum Beispiel im Vermittlungsbudget, zu einem neuen Instrument zusammengefasst, sodass wir entgegen dem, was hier gesagt worden ist, zu einer Reduzierung der Zahl der Arbeitsmarktinstrumente kommen. Ich sage aber ausdrücklich dazu: Diese Reduzierung ist kein Selbstzweck. Wir reduzieren die Zahl der Instrumente nur, um dem Ziel näher zu kommen, die Vermittlung zu verbessern und den Arbeitsuchenden, also denen, die unsere Hilfe und Unterstützung brauchen, noch wirksamer helfen zu können. Darum geht es. ({9}) Wir setzen mit dem, was wir Ihnen heute vorlegen, den bisherigen Kurs der Großen Koalition fort. Herr Niebel, ich habe Ihnen angekündigt, dazu noch etwas zu sagen. Natürlich haben wir auf die Evaluationsberichte reagiert ({10}) und auf so manches, was durch die Hartz-Kommission und die Hartz-Reformen auf den Weg gebracht worden ist. Ich will Sie daran erinnern, dass wir zum Beispiel die Personal-Service-Agenturen abgeschafft haben, weil sie nichts gebracht haben. Ich will daran erinnern, dass wir die Ich-AG abgeschafft und in Verbindung mit dem Überbrückungsgeld ein neues Instrument, den Gründungszuschuss, geschaffen haben. Selbst Sie müssten einräumen, dass dieser neue Gründungszuschuss die Zielgruppe erreicht, die er erreichen soll, und das bei weniger Mitteleinsatz. Dadurch können wir denen helfen, die unsere Hilfe ganz dringend brauchen. ({11}) Zweitens: mehr Entscheidungsspielräume für die Vermittler vor Ort. Das Vermittlungsbudget wird hier eine zentrale Rolle einnehmen. In diesem Vermittlungsbudget wird eine ganze Reihe von Leistungen zusammengefasst, die bisher in einer Reihe von Einzelvorschriften geregelt wurden. Wichtig ist, dass die Entscheidung, ob Hilfe gewährt wird, tatsächlich dem Vermittler vor Ort überlassen bleibt. Dadurch können stärkeres Ermessen und stärkere Handlungsspielräume der Vermittler vor Ort gewährleistet werden. Die Vermittler kennen ihre Kunden schließlich am besten und können daher am besten entscheiden, ob eine Maßnahme sinnvoll ist oder nicht. ({12}) Stefan Müller ({13}) Ich will ausdrücklich sagen: Wir haben bei der Bundesagentur für Arbeit gute Mitarbeiter. Wir vertrauen auf die Entscheidungsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter vor Ort. Auch das ist eine wesentliche Neuerung gegenüber dem, was wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Nur hilft mehr gesetzliche Entscheidungsfreiheit vor Ort gar nichts, wenn diese vom Gesetzgeber gewollte Entscheidungsfreiheit durch irgendwelche Anweisungen der Zentrale aus Nürnberg zunichtegemacht wird. Deswegen sage ich ganz deutlich: Es kann nicht sein, dass wir hier ein Gesetz auf den Weg bringen und die Zentrale in Nürnberg dann den Mitarbeitern vor Ort so viele Dienstvorschriften macht, dass diese Entscheidungsspielräume nicht mehr bestehen. ({14}) Ich finde, die Zentrale wäre gut beraten, diese Spielräume zuzulassen. Im Mittelpunkt sollen nicht mehr die Fragen stehen, welche Leistungen es gibt, welche Leistungen beantragt werden können und aus welchen Töpfen man Geld holen kann, sondern im Mittelpunkt sollen die Fragen stehen, welche Hemmnisse bei dem jeweiligen Arbeitsuchenden beseitigt werden müssen und was getan werden kann, um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Das heißt, es wird nur noch dann eine Förderung geben - auch das liegt im Ermessen des Vermittlers -, wenn Aussicht besteht, dass durch diese Maßnahme tatsächlich Erfolge am Arbeitsmarkt verzeichnet werden können. Ich möchte insgesamt feststellen, dass dieses Vermittlungsbudget eine flexible, bedarfsgerechte und unbürokratische Förderung gewährleisten wird. Die Flexibilität, die wir durch das Vermittlungsbudget erreichen, setzen wir mit dem Experimentiertopf fort, den wir ebenfalls einführen werden und von dem wir uns versprechen, dass innovative Ansätze der aktiven Arbeitsförderung erprobt werden können. Wir haben da in den vergangenen drei Jahren, Herr Minister, gute Erfahrungen gemacht, zum Beispiel mit der Initiative „50 plus“, bei der es im Kern darum geht, dass der Bund Geld für bestimmte Modellregionen, für bestimmte Modellkommunen zur Verfügung stellt, die dann selber entscheiden dürfen, für welche Instrumente sie es einsetzen. Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Es geht darum, in den Regionen passende Instrumente zu finden, ohne dafür einen gesetzlichen Rahmen zu haben, aber auch zu lernen, was in den einzelnen Regionen und in den Agenturen vor Ort an Sinnvollem und Richtigem gemacht werden kann, um Rückschlüsse für die Zukunft der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu ziehen. Wir werden dafür sorgen, dass die Beratung und die Betreuung durch eine Potenzialanalyse und durch Eingliederungsvereinbarungen verbessert werden. Diese Dinge haben wir teilweise schon im SGB II eingeführt. Dazu ist es notwendig, dass auch die Ausbildung der Mitarbeiter noch weiter verbessert wird. Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Das Ziel, das wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen wollen, ist ein wirtschaftlicher Mitteleinsatz. Es ist die Aufgabe der BA, dafür zu sorgen, dass die Mittel der Beitragszahler wirklich verantwortungsvoll eingesetzt werden, dass damit sorgsam umgegangen wird und sie eben nicht in irgendwelchen unwirksamen Arbeitsmarktprogrammen verpuffen. Die bisherige Politik zeigt, dass wir dieser Verantwortung gerecht geworden sind. Nur die Einsparung steht aber nicht im Mittelpunkt dieses Gesetzentwurfes. ({15}) Wer glaubt, dass wir 20 Instrumente einsparen, um ein Viertel des Geldes ausgeben zu können, der täuscht sich gewaltig. ({16}) Wir brauchen diese freien Finanzmittel, um denen helfen zu können, bei denen der Aufschwung am Arbeitsmarkt noch nicht angekommen ist. Zusammenfassend will ich sagen, dass mit diesem Gesetzentwurf die Arbeitsmarktinstrumente wirkungsvoll weiterentwickelt, Entscheidungsspielräume erhöht werden und wir die BA in die Lage versetzen, ihren arbeitsmarktpolitischen Aufgaben noch besser nachzukommen. Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Große Koalition versteht die Arbeitsmarktpolitik als eines ihrer zentralen Handlungsfelder. Ich würde mich freuen, wenn die Opposition die jetzt beginnenden Beratungen in den Ausschüssen in gleichem Maße begleitet. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kornelia Möller von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Jahr sind Bundestagswahlen. Die Langzeiterwerbslosigkeit ist hierzulande nach wie vor einer der Brennpunkte. Die Koalition von CDU/CSU und SPD hätte die Chance gehabt, wirklich etwas Nachhaltiges zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit auf den Weg zu bringen. Leider hat sie diese Chance vertan. Dieser Gesetzentwurf ist offensichtlich mit der heißen Nadel genäht. Wieder einmal wird klar, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Arbeitsmarktpolitik längst aufgebraucht ist. Nun hat man sich nach langen Verhandlungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Das heißt, Einsparung von Beitrags- und Haushaltsmitteln zulasten der Langzeiterwerbslosen, ({0}) statt der Eröffnung neuer zukunftsfähiger Wege aus der Erwerbslosigkeit durch wirkungsvolle Instrumente. Notwendig wären andere Weichenstellungen. Eine Vielfalt von Impulsen kommt dazu aus Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und auch von Arbeits- und Sozialministern aus verschiedenen Bundesländern. Ich möchte hier einige dieser Vorschläge beispielhaft aufgreifen, die auch unserer Intention entsprechen. Erstens. Das Land Berlin schlägt vor, die Regelungen zu ABM im SGB II unbedingt beizubehalten, weil sich die entsprechenden Förderinhalte bei Wegfall von ABM im Regelkreis des SGB II nicht, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt, durch Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante ersetzen lassen. ({1}) ABM sind strukturwirksam und vergabefähig und haben gerade für die neuen Bundesländer vor allem deshalb nach wie vor große Bedeutung, weil sie die Möglichkeit der Verzahnung von Aufträgen der öffentlichen Hand mit der Beschäftigungsförderung sichern. Zweitens. Viele kritische Hinweise aus Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften beziehen sich auf das Vorhaben, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, also die sonstigen weiteren Leistungen, zu streichen. Bereits während der Sonderkonferenz der Amtschefs für Arbeit und Soziales am 24. April dieses Jahres hatten alle Bundesländer geschlossen gefordert, die restriktive Auslegung des § 16 Abs. 2 SGB II aufzuheben. Der Handlungsspielraum der lokalen Akteure, der bisher durch diese Generalklausel ermöglicht wurde, muss erhalten bleiben, ({2}) da sonst die erforderlichen, am Einzelfall und an den arbeitsmarktbezogenen Gegebenheiten vor Ort ausgerichteten Eingliederungsbemühungen nicht mehr in der nötigen Flexibilität und Einzelfallgenauigkeit durchgeführt werden können. ({3}) - Natürlich habe ich recht. Danke, Herr Niebel. ({4}) Aus der umfangreichen Liste kritischer Hinweise zu den Auswirkungen, die der vorgelegte Gesetzentwurf auf die Ausbildung junger Leute hätte, möchte ich ganz kurz nur die Forderung nach einheitlicher Ausbildungsvermittlung durch die für die Arbeitsförderung zuständigen Stellen der BA sowie nach Weiterführung der Förderung des Jugendwohnheimbaus nennen. Sie alle wissen, dass der Bundesrat über 50 Anregungen - ich wiederhole: über 50 Anregungen - vorgelegt hat. Daran wird deutlich, dass hier ein Gesetz am grünen Tisch zusammengeschustert wurde. So sehen gute Gesetze nicht aus. Gute Gesetze sehen anders aus. In jedem Fall gehört zu einem guten Gesetz, dass im Vorfeld die Erfahrungen derjenigen einbezogen werden, die von diesem Gesetz betroffen sind, ({5}) und die Erfahrungen derjenigen, die es umsetzen müssen. Die BAG Arbeit hat in ihrem Positionspapier gefordert - ich kann es Ihnen vorlesen -: Ziehen Sie dieses Gesetz zurück! Damit hat sie recht. ({6}) Ihnen scheint die Expertenmeinung aber völlig gleichgültig zu sein. So wundert es uns auch nicht, dass die Große Koalition mit diesem Gesetz nichts an den erwiesenermaßen gescheiterten Arbeitsmarktinstrumenten und -experimenten ändert. Die Flops waren zahlreich: Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Minijobs, privatisierte Arbeitsvermittlung und nicht zuletzt die weitere Ausdehnung des Niedriglohnsektors mit ihren verheerenden Folgen für die Entwicklung der Binnennachfrage. ({7}) Armut und soziale Gegensätze sind durch Ihre Politik gewachsen. Das ist der eigentliche Skandal. ({8}) - Das ist kein Quatsch. Das ist die Realität, Herr Müller. Sie sollten sich ihr stellen. Langzeitarbeitslose gehen bei Ihrem Gesetz leer aus. Die dringend notwendige neue Qualität geförderter beruflicher Weiterbildung wird damit nicht eingeleitet. Aus unserer Sicht wäre das aber ein Hauptkettenglied zukunftsfähiger Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen setzen Sie in Ihrem Gesetz enge zeitliche Grenzen für Weiterbildungs- und Trainingsmaßnahmen, um noch mehr zu sparen. Das nenne ich Ausgrenzung der Langzeiterwerbslosen. ({9}) Für wen haben Sie eigentlich Ihre Bildungsoffensive gestartet? Auf jeden Fall nicht für die ALG-II-Beziehenden. Dabei verweist gerade der Nationale Bildungsbericht 2008 auf den engen Zusammenhang zwischen Langzeitmaßnahmen der beruflichen Weiterbildung und guten Eingliederungsquoten besonders für Ältere. Andere Instrumente sollen mit der Begründung geringer Anwendung ersatzlos gestrichen werden, zum Beispiel die beschäftigungsbegleitenden Eingliederungshilfen oder die Weiterbildung durch Vertretung. Im Gegensatz zu hier bereits vorgetragenen Meinungen halte ich die Jobrotation für ein ganz wesentliches Instrument. ({10}) Selbstverständlich müssen Unternehmen wieder stärker in die Weiterbildungspflicht genommen werden. ({11}) Dass der Anteil der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Weiterbildung angeboten haben, zwischen 1999 und 2005 erheblich gesunken ist, ist ein Skandal. ({12}) Die fortgesetzte Benachteiligung der Erwerbslosen, die ALG II beziehen, ist ein weiterer sehr gravierender Mangel Ihres Gesetzentwurfes. Dass Sie die aufschiebende Wirkung bei Widersprüchen und Klagen weiter eingrenzen, ist nicht hinnehmbar. Dass sogenannte Aufstocker tatsächlich ihren Job aufgeben müssen, um einen Ein-Euro-Job annehmen zu können, ist ebenfalls nicht hinnehmbar. ({13}) Dies bestärkt uns in unserer Forderung. Wenn ich mir Ihren Gesetzentwurf ansehe, muss ich sagen: Die durch die Hartz-Gesetze verursachte unsinnige Trennung der Arbeitsmarktpolitik in zwei Rechtskreise ist durch die Gestaltung einer einheitlichen Arbeitsmarktpolitik mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten für alle Erwerbslosen, wie auch von Verdi gefordert, zu ersetzen. ({14}) Dies würde auch dabei helfen, ein Problem zu lösen, das Sie, die Sie auf der Regierungsbank sitzen, aufgrund konträrer Positionen in dieser Wahlperiode wohl nicht mehr bewältigen werden, nämlich die gute Organisation der Betreuung und Förderung langzeiterwerbsloser Menschen vor Ort im Rahmen des geltenden Grundgesetzes. Ich komme noch kurz auf unseren Antrag zu sprechen. Wir fordern die volle Versicherungspflicht für sämtliche vergütungspflichtige Tätigkeiten innerhalb der Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Dies würde allen Erwerbslosen mehr soziale Sicherheit bringen, alle öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse gleichstellen und die Arbeitslosenversicherung, die Sie durch die gestern beschlossene Beitragssatzsenkung geschwächt haben, stärken. ({15}) Ich kann das Gesagte von gestern nur wiederholen: Beerdigen Sie auch diesen Gesetzentwurf, stimmen Sie auch hier unserem Antrag zu; denn Arbeitsmarktpolitik muss immer Politik für und nicht gegen die Menschen sein! Ich danke Ihnen. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Scholz, ich sage es nicht gerne, aber Ihr Gesetzentwurf taugt einfach nichts. ({0}) Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist auch die Meinung aller Experten, die sich bis jetzt zu Wort gemeldet haben. ({1}) Diese Statements liegen auch Ihnen vor. Ich will hier nur einige wenige zitieren: ({2}) „Die Ziele der Reform wurden mit diesem Gesetzentwurf verfehlt“ - Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit. „Die Instrumentenreform weist in die falsche Richtung“ - Diakonie Bundesverband. „Der Gesetzentwurf ist als Instrumentenreform grundsätzlich verfehlt“ BAG Arbeit. Herr Minister, Sie treiben die Betroffenen und diejenigen, die mit dem Murks, den Sie hier angerichtet haben, umgehen müssen, wirklich zum Äußersten. ({3}) Das muss man sich einmal vorstellen: Die Stadt Wiesbaden hat in ihrer Verzweiflung eine Unterschriftenaktion gegen diese Pläne gestartet, weil die Verantwortlichen einfach Angst haben, dass mit diesem Instrumentenkasten die Integrationschancen der Arbeitssuchenden massiv verschlechtert werden. Der CDU-Sozialminister Laumann aus NordrheinWestfalen klassifiziert diesen Instrumentenkasten als „stalinistisches Korsett“. ({4}) Ich sage das hier ganz eindeutig: Mir gefällt diese Wortwahl nicht. Unabhängig von der Frage, ob man diese Wortwahl nun gut und richtig findet, müssen Sie aber zur Kenntnis nehmen, Herr Minister, dass Sie diese Fachleute, diese Experten nicht einfach als Schafsnasen und Deppen abtun können. Sie müssen auf diese Leute hören und ihre Einwände berücksichtigen. ({5}) Vor knapp einem Jahr haben Sie uns allen hier bei Ihrem Amtsantritt versprochen, Sie wollten die weltbeste Arbeitsvermittlung schaffen. ({6}) Außerdem haben Sie uns Vollbeschäftigung versprochen. Sie haben gesagt, „Mehr Chancen auf Arbeit“ solle der Maßstab sein, den Sie anlegen, wenn Sie den Instrumentenkasten reformieren. Der Instrumentenkasten sollte kleiner und die arbeitssuchenden Bürgerinnen und Bürger sollten zielgerichteter unterstützt werden. Der Instrumentenkasten ist kleiner geworden. Das ist allerdings das Einzige, was Sie von Ihren Versprechen wirklich eingelöst haben. Zielgerichteter und besser ist hier gar nichts geworden. Ich betone ausdrücklich, dass wir Grünen immer gesagt haben: Ja, man kann diesen Instrumentenkasten reformieren; einige Instrumente könnten durchaus wegfallen. - Wenn es aber weniger Instrumente gibt, dann müssen die dann vorhandenen Instrumente flexibler und individueller einsetzbar sein; ({7}) weil die Problemlagen der Menschen ja nicht weniger individuell und vielfältiger geworden sind. Ich will hier im Übrigen auch noch einmal betonen: Manche Instrumente waren gut und erfolgreich. Die „weiteren Leistungen“ zum Beispiel waren wirklich ein Garant für die individuelle Hilfe. Viele Jugendliche konnten dadurch den Schulabschluss nachmachen und haben den Einstieg in Ausbildung gefunden. Alleinerziehende haben mit kombinierten Maßnahmen davon profitiert und in Arbeit zurückgefunden. Auch vielen Migrantinnen und Migranten ist es über die „weiteren Leistungen“ gelungen, wieder den Weg in die Arbeit zu gehen. Lieber Herr Müller, hören Sie mir doch einmal zu. ({8}) Das sind wirklich keine unwirksamen Instrumente. Ihr Versprechen, nur unwirksame Instrumente fallen zu lassen, ist doch nicht eingelöst worden. ({9}) Dieses Instrument ist gestrichen worden, obgleich es eines der erfolgreichsten war. ({10}) Kommen Sie mir nicht damit, dass die freie Förderung ein Ersatz dafür sei. Die freie Förderung ist weder quantitativ noch qualitativ ein Ersatz dafür. 2 Prozent des Budgets: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich weiß, dass Sie das in der Regierungskoalition genauso sehen. Sie wollen die 2 Prozent signifikant aufstocken. ({11}) Ich unterstütze Sie gerne dabei. Ich fürchte aber, dass es den Betroffenen nicht hilft. Denn es gibt eine tiefe Misstrauenskultur dieser Regierung auch gegenüber den Regierungsfraktionen im Parlament. Staatssekretär Scheele hat auf der Sitzung der BAG Arbeit am letzten Montag Folgendes angekündigt: Sollte sich das Parlament mit diesem Vorhaben durchsetzen, dann würde es einen - ich zitiere - „Drahtverhau“ von Regelungen geben, der den flexiblen Einsatz dieser Instrumente verhindert. ({12}) - Liebe Frau Nahles, begreifen Sie das als das, was es wirklich ist: Es ist eine Kampfansage an das Parlament als Gesetzgeber. ({13}) Es ist insbesondere eine Kampfansage an die Fraktionen, die diese Regierung tragen. Hören Sie auf, sich das gefallen zu lassen und sich von dieser Regierung am Nasenring durch die Manege ziehen zu lassen! Wehren Sie sich endlich dagegen! ({14}) Dieser Gesetzentwurf atmet den Geist einer tiefsitzenden Misstrauenskultur ({15}) gegenüber dem Parlament als Gesetzgeber, gegenüber den eigenen Regierungsfraktionen, gegenüber den Akteuren vor Ort und gegenüber den Arbeitslosen. ({16}) Dieser Gesetzentwurf verschärft die Sanktionsregelungen und verschlechtert die Situation der ALG-I- und ALG-II-Empfänger zusätzlich. Die bisherigen Erfahrungen haben eines deutlich gezeigt: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist nicht mit dirigistischen Maßnahmen möglich. Sie erfordert Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein, gut qualifiziertes Personal, gute Rahmenbedingungen, Handlungsfreiheit vor Ort und ein Instrumentarium, das sich an den Bedarfen der Menschen ausrichtet, statt dass sich die Menschen nach den Maßnahmen richten müssen. ({17}) Aber die Politik, die Sie hier machen, folgt einem anderen Geist. Deswegen kann sie nicht erfolgreich sein. Die Arbeitslosen in diesem Land verdienen etwas Besseres. Etwas Besseres als diesen Instrumentenkasten finden sie allemal. Ich danke Ihnen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Katja Mast von der SPD-Fraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente will die Regelungen für die aktive Arbeitsmarktpolitik übersichtlicher gestalten. Das leistet der vorliegende Gesetzentwurf. Schon das ist ein Erfolg. Doch damit nicht genug. Die Reform stärkt die aktive Arbeitsmarktpolitik, indem präventive Ansätze wie die Vorbereitung auf das Nachholen eines Hauptschulabschlusses verbindlich eingeführt werden. Die Kultur der zweiten Chance wird gestärkt. Denn Bildungspolitik ist aktive Arbeitsmarktpolitik. Das gilt nicht nur auf dem Papier, sondern wird mit diesem Gesetzentwurf erneut umgesetzt. ({0}) Bei 500 000 Arbeitslosen ohne Schulabschluss - der Bundesarbeitsminister hat es bereits angesprochen - und bei jährlich 70 000 Schulabgängern ohne Abschluss wäre diese gesetzliche Verankerung schon lange sinnvoll gewesen. Jetzt kommt sie endlich. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es dabei: Wir müssten im Bundestag nicht handeln, wenn die Bundesländer ihrer Verantwortung für die Bildungspolitik an dieser Stelle nachkommen würden. ({1}) Aber das ist ein anderes Thema. ({2}) Wir von der SPD-Bundestagsfraktion sind auf jeden Fall stolz darauf, dass es uns gelungen ist, das Recht auf die Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Hinzu kommt, dass der nachträgliche Erwerb der deutschen Sprache - das ist vor dem Schulabschluss die erste Hürde auf dem Weg zur erfolgreichen Integration ebenfalls zu einem Recht der Arbeitsuchenden wird. Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente stärkt aber auch die Entscheidungs- und Handlungskompetenz vor Ort, und zwar rechtssicher, obwohl schon mehrfach das Gegenteil behauptet wurde. Rechtssicher bedeutet, dass es eben nicht sein kann, dass ein Gesetz, das ausschließlich dafür gedacht war, individuelle Unterstützung in Einzelfällen zu finanzieren, dafür verwendet wird, Projektförderung zu betreiben. ({3}) Deshalb schaffen wir mit diesem Gesetz ein Vermittlungs- und Aktivierungsbudget, also die Regelungen des SGB III in §§ 45 und 46, die identisch für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger gelten. Hier schaffen wir für die Vermittler und die Akteure vor Ort die Möglichkeit, Projekte zu fördern und auszustatten, wo dies die bisherige Rechtsgrundlage nicht hergab. Natürlich wissen wir, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht immer gleichbleibt und man deshalb vor Ort Luft braucht, um neue Ideen auszuprobieren. Wir alle kennen das aus unseren Wahlkreisen. Mit der neuen freien Förderung verschaffen wir Luft. ({4}) Die Bundesregierung ist allerdings der Meinung, dass für die freie Förderung 2 Prozent der Eingliederungsleistungen ausreichen. Leider kann ich hier nicht die Einschätzung des Kanzleramts und des Arbeitsministeriums teilen. ({5}) Ich finde, 2 Prozent sind nicht genug. Wir müssen im zweistelligen Bereich landen. ({6}) Mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein. Zum Glück entscheidet am Ende das Parlament. Auch für diese gute Gesetzesvorlage gibt es noch einen parlamentarischen Prozess. Da geht es um die Höhe der freien Förderung. ({7}) Da geht es um alle weiteren Aspekte, wie zum Beispiel darum, ob es noch weiterer detaillierter Regelungen zum Hauptschulabschluss bedarf. Doch eines ist klar: Wer dieses Gesetz beurteilt, darf nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern muss eins und eins zusammenzählen. Die neue Qualität dieses Gesetzentwurfs ist nicht daran zu messen, ob in der freien Förderung das gesamte Budget des bisherigen § 16 Abs. 2 eingegangen ist; denn mit Sprachkursen und Hauptschulabschluss sind wesentliche Kostenblöcke aus dem alten § 16 Abs. 2 herausgelöst. Über rechtswidrige Verwendung will ich hier gar nicht reden. Hinzu kommt, dass die Vermittler mit dem Vermittlungs- und Aktivierungsbudget enorme Handlungsspielräume bekommen. Diese werden finanziell vonseiten des Gesetzgebers nicht gedeckelt. Zusätzlich kommt die freie Förderung hinzu. ({8}) Also lassen Sie mich eins und eins zusammenzählen: Hauptschulabschluss und Spracherwerb in die Regelförderung, Vermittlungs- und Aktivierungsbudget zur dezentralen Entscheidung und dann noch die freie Förderung, das ist ein guter Ersatz für Rechtsunsicherheit und schafft Handlungsspielräume, ({9}) Handlungsspielräume für die Vermittlung in Arbeit und damit für die Beseitigung der größten Armutsfalle Deutschlands. Uns geht es darum, Menschen besser in Arbeit zu vermitteln. Ich bin auf unsere Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales gespannt. Ich glaube, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch mehr für die Arbeitsmarktintegration Jugendlicher machen könnten. Ich bin aber auch darauf gespannt, weil ich weiß, dass sich viele Fachverbände mit diesem Gesetzentwurf intensiv auseinandergesetzt und gute Vorschläge unterbreitet haben. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber wird es sein, diese Vorschläge abzuwägen und für Mehrheiten im Parlament zu sorgen. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft mit unserem Koalitionspartner, der zwar beim Hauptschul19992 abschluss zuerst nicht mitmachen wollte, aber am Ende unseren guten Argumenten nicht widerstehen konnte. ({10}) Den sozialen Trägern vor Ort, die unser Gesetzesvorhaben kritisch begleiten, will ich klar sagen: Wir wissen, es geht um die Menschen; wir wissen aber auch, dass gerade ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darunter leiden, dass wir am Anfang bei den Reformen am Arbeitsmarkt durch die Ausschreibungspraxis Fehler gemacht haben. Diese haben wir korrigiert, aber das reicht nicht. Uns von der SPD geht es darum, auch in der Trägerlandschaft die Verbindlichkeit von Mindestlöhnen sicherzustellen. Uns geht es darum, dass der Unterbietungswettbewerb bei Ausschreibungen ein Ende hat. Deshalb fordere ich auch jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten, auch diejenigen von der FDP, auf, der Festlegung von Mindestlöhnen ({11}) und von verbindlichen sozialen Mindeststandards beim Vergaberecht in den kommenden Wochen zuzustimmen. ({12}) Dann wird dieses Gesetz auch zu einem guten Gesetz, nicht nur für die betroffenen Arbeitsuchenden, sondern auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Trägern vor Ort. Dieses Gesetz leistet viel: Nicht Menschen in Schubladen stecken, sondern dem Einzelfall durch Budgets Spielraum geben, nicht Menschen abschreiben, sondern die Kultur der zweiten Chance verankern. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich nun dem Kollegen Karl Schiewerling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Pothmer, ({0}) Arbeitsplätze werden nicht durch Instrumente geschaffen, sondern durch die Wirtschaft in einer gut laufenden Konjunktur. ({1}) Wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen, dann sind nicht die Instrumente dafür zuständig, sondern die Wirtschaft und die Tarifpartner durch verantwortungsvolle Abschlüsse etc. Worum es hier geht, ist, dass wir den Menschen, die ohne fremde Hilfe keine Perspektive haben, Unterstützung zuteil werden lassen. Wir nennen dies nüchtern Instrumente und reden gerade so, als ginge es um irgendwelche Apparatschiks; es geht aber darum, Menschen Perspektiven zu geben, damit sie mit ihrer eigenen Hände und ihres eigenen Kopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen können. ({2}) Diese Hilfen sind im Sozialgesetzbuch III beschrieben und geregelt. Davon sind 30 Prozent aller Arbeitslosen betroffen. Das sind diejenigen, die bis zu einem Jahr erwerbslos sind. Die Hilfen derjenigen, die länger arbeitslos sind, sind im SGB II geregelt. Das sind immerhin 70 Prozent aller derjenigen, die letztendlich betroffen sind. Darunter sind auch viele junge Menschen, die bisher keine Ausbildung angefangen haben bzw. eine Ausbildung nicht abschließen konnten. Darunter sind auch diejenigen, die viele Jahre erwerbslos sind, viele Vermittlungshemmnisse haben und die den Tag nicht strukturieren können. Darunter sind auch diejenigen ohne Schulabschluss und diejenigen, die qualifiziert sind, die aber aufgrund hoher Arbeitslosigkeit in ihrer Region keinen Arbeitsplatz finden. Für alle diese Menschen braucht es zielgenauer Hilfen. Man sollte nun vermuten, dass für jede beschriebene Situation ein eigenes Instrument und ein detailliertes Hilfeangebot notwendig sind. Das hat es in der Vergangenheit gegeben. Das hat zu viel Bürokratie, aber nicht unbedingt zu mehr Effizienz geführt. Wir brauchen weniger Instrumente; deren Wirkungsgrad muss aber breiter sein. Genau das beabsichtigt dieses Gesetz. ({3}) Ich gestehe gerne zu, dass man über die Streichung des einen oder anderen Instruments diskutieren kann. Frau Kollegin Möller, ich glaube, dass die Frage des Jugendwohnens wichtig ist; daher begrüße ich ausdrücklich, dass die Bundesfamilienministerin diese Frage aufgreift und das Jugendwohnen in ihrem Haus evaluieren lässt. Ich bin sicher, dass wir auf Dauer zu vernünftigen und guten Lösungen kommen können. ({4}) Bei den Menschen, die im Arbeitslosengeld-II-Bezug sind, bedarf es besonderer Hilfen. Das bedeutet, dass diese Hilfen auch deren persönliches und soziales Umfeld berücksichtigen müssen. Daher ist es gut, wenn viele Fallmanager in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bei der BA übernommen werden. Allein in diesem Jahr werden es 3 000 sein, die neue Dauerstellen bekommen. Dadurch kann besser und intensiver betreut und vermittelt werden. Jemand, der Ringe unter den Augen hat, weil er nicht weiß, wie lange er selbst in der Beschäftigung ist, kann schlecht Menschen beraten, die auf Arbeitssuche sind. ({5}) Insofern ist das eine gute Entscheidung. Wichtig ist allerdings auch, dass die Qualifizierung der Fallmanager sichergestellt ist, weil sie ihre Aufgaben sonst letztendlich nicht werden wahrnehmen können. Daher ist es notwendig - auch das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit -, für die Optionskommunen im Rahmen der laufenden Organisationsklärung Rechtssicherheit zu schaffen; denn auch dort brauchen die Fallmanager und die Verantwortlichen Klarheit über ihre beruflichen Perspektiven. ({6}) Wir brauchen vor Ort flexibel einsetzbare Hilfs- und Förderangebote für die Menschen, damit sie wieder in Beschäftigung kommen. Daher ist es hilfreich, dass mittlerweile in § 16 f des SGB II nur die freie Förderung aufgenommen wurde. Allerdings - Frau Kollegin Mast hat darauf hingewiesen - müssen wir noch über die Höhe sprechen und die Bedingungen gestalten, damit mehr Gestaltungsspielraum besteht; denn sonst werden die Instrumente nicht wirken. Sie werden nur dann wirken, wenn ihre Handhabung so gestaltet ist, dass vor Ort auch mit der entsprechenden Freiheit entschieden werden kann. ({7}) Hier müssen wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dafür zuständig sind, Mut machen, entsprechend frei zu handeln. Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht sofort, wenn irgendein Fehler passiert, mit Sanktionen belegt werden. Wir müssen allerdings auch dafür sorgen, dass sich diejenigen, die dafür Verantwortung tragen, am Vermittlungserfolg messen lassen; sie müssen am Schluss das verantworten, was sie getan haben. ({8}) Es ist gut, dass gerade junge Menschen die Möglichkeit erhalten, einen Schulabschluss nachzuholen; schließlich gibt es zwischen Wissen und Arbeitslosigkeit einen Zusammenhang. Aber es wird auch nötig sein, Schulabschluss und praktische Erfahrung mehr als bisher miteinander zu verknüpfen. Hier entwickelt sich dann Bildung, und hier heißt es dann, dass Menschen etwas prägen, verändern und auch sich selbst prägen lassen. Bewährte Bildungsträger haben hier gute Erfahrungen. Gerade jungen Menschen fällt es - aus welchen Gründen auch immer - im klassischen Schulsystem schwer, den Schulabschluss nachzuholen. Eine Reihe von ihnen ist gescheitert. Daher brauchen wir - auch wenn wir den Schulabschluss nun in den Instrumentenbereich aufnehmen - Methoden und Wege, durch die Schulabschluss und praktische Erfahrung so miteinander verbunden werden, dass die jungen Menschen Erfolg sehen. Sie brauchen nicht mehr weiter „durchgekurst“ zu werden, sondern können erkennen, dass sie mit ihrer Hände Arbeit etwas schaffen können und so ihren Erfolg bekommen. Dadurch spüren sie, dass sie gebraucht werden. Wenn sie diese Erfahrung einmal gemacht haben, dann sind sie auch bereit, Abschlüsse zu machen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth von Bündnis 90/ Die Grünen?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben eben über die Freiheiten, die vor Ort möglich sein sollen, gesprochen. Halten Sie es denn dann angesichts der Äußerungen des Staatssekretärs Scheele für sinnvoll, die Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in dem Gesetz zu streichen? Sollte man die Verordnungsermächtigung nicht mindestens, wie es offensichtlich Herr Laumann aus NRW vorschlägt, von der Zustimmung der Länder abhängig machen?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich halte es für notwendig, sich zwischen der ersten Lesung dieses Gesetzes und der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes das eine oder andere noch einmal genau anzusehen. ({0}) Wir brauchen für die Bezieher von Arbeitslosengeld II verlässliche, langfristig angelegte Hilfen und stabile Hilfestrukturen. Gerade deshalb müssen wir noch einmal über die Dauer von bestimmten Maßnahmen sprechen. Alles in allem brauchen wir mehr örtliche Entscheidungsfreiheit, weil die Lebenssituation der Menschen unterschiedlich ist. Das betrifft nicht nur die einzelnen Menschen, sondern auch die unterschiedlichen Regionen. Arbeitslosigkeit in Stralsund sieht anders aus als Arbeitslosigkeit am Starnberger See. Entsprechend muss gehandelt werden. Der Kollege Müller hat hier in seiner Rede auf das hingewiesen, was da zu tun ist. Wir müssen die Hilfen, die für Menschen geschaffen wurden, die nur kurzfristig arbeitslos sind, hinsichtlich ihrer Wirkung für die Menschen überprüfen, die schon länger arbeitslos sind. Zudem brauchen wir für den SGB-II-Bereich ein eigenes Instrumentarium, in dem dies passgenau entsprechend formuliert wird. Vor allen Dingen sollten wir uns hüten, die Entscheidungen über den Einsatz dieser Hilfsangebote oder Instrumente nur unter dem Gesichtspunkt finanzieller Zuständigkeiten zu sehen. Subsidiarität bedeutet, der jeweiligen Ebene, die für die Lösung einer Aufgabe zuständig ist, diese auch zu überlassen und sie, wenn sie dies aus eigener Kraft nicht schaffen kann, dazu in die Lage zu versetzen. Wenn wir bei der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu einer Lösung kommen, dann wird es sicherlich auch möglich sein, in dem eigentlichen, zentralen Bereich des SGB II, dem Bereich der Aktivierung, hinsichtlich der Organisationsstruktur zu einer Lösung zu kommen, die zurzeit zwischen Bund, Ländern, Kommunen und anderen noch strittig ist. Ich sehe hierin einen wesentlichen Punkt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schiewerling, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Möller?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Möller.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr Schiewerling. - Sie sagten gerade, dass die Vergabe von Maßnahmen nicht von finanziellen Gegebenheiten abhängig sein solle. Nun gab es gestern Abend um 21.36 Uhr eine Nachricht in Spiegel Online, die besagt, dass die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr mit einem Minus von mindestens 5,8 Milliarden Euro zu rechnen habe. Glauben Sie nicht auch, dass sich dieses Minus in irgendeiner Form auf die Vergabe der Maßnahmen auswirken könnte? ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Meine Aussage zu den Finanzen bezog sich auf die Gesamtmittel, die im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden, und nicht auf einzelne Maßnahmen. Zweitens. Die Bundesagentur für Arbeit hat dank exzellenter Konjunktur und Aufwuchs von neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sowie durch kluges steuerpolitisches Handeln der Bundesregierung so viele Rücklagen gebildet, dass es an diesen Fragen nicht scheitern wird. ({0}) Dies haben sowohl die Bundesagentur als auch der Bundesminister in aller Klarheit deutlich gemacht. Deswegen glaube ich es nicht. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen. Reform der Instrumente heißt nichts anderes, als die Hilfsangebote für die Menschen, die ohne fremde Hilfe keine Perspektive auf eine Beschäftigung haben, so zu gestalten, dass diese eine solche Perspektive entwickeln können. Wir wollen, dass kein Mensch verloren geht. Dazu müssen die Hilfen gebündelt und optimiert werden. Dieses Gesetz bietet dazu Voraussetzungen und Rahmen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/10810 und 16/10511 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 47 a bis 47 i sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 e auf: 47 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERPSondervermögens für das Jahr 2009 ({0}) - Drucksache 16/10663 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes - Drucksache 16/10812 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Suchdienstedatenschutzgesetzes ({3}) - Drucksache 16/10813 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 9. Juli 2008 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Albanien und der Republik Kroatien - Drucksache 16/10814 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum SchenVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms gener Informationssystem der zweiten Generation ({6}) - Drucksache 16/10816 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 7. Dezember 2005 zur Änderung des Abkommens vom 20. Juni 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land, den Vereinten Nationen und dem Sekre- tariat des Rahmenübereinkommens der Ver- einten Nationen über Klimaänderungen über den Sitz des Sekretariats des Übereinkommens - Drucksache 16/10815 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth ({8}), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Gefangenschaft von Delfinen unverzüglich beenden - Drucksache 16/9102 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz Heilmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schnellstmögliche Unterzeichnung und Ratifizierung der Europäischen Landschaftskonvention - Drucksache 16/10821 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union i) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Stromübertragungsleitungen bedarfsgerecht ausbauen - Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung sowie Energiewende umfassend berücksichtigen - Drucksache 16/10842 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({11}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus ZP 5a) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansJoachim Otto ({12}), Jörg van Essen, Gudrun Kopp, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wahrung der Rechtssicherheit bei der Telekommunikationsüberwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen - Drucksache 16/10838 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) Ausschuss für Kultur und Medien Federführung strittig b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fortsetzen - Filteraustausch umsetzen, Prüf- und Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter einführen - Drucksache 16/9802 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz an den Finanzmärkten schaffen Anschleichtaktik bei verdeckten Unternehmensübernahmen verhindern - Drucksache 16/10640 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({16}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Weisskirchen ({18}), Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunternehmen kontrollieren - Drucksache 16/10846 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({19}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Pakistan und Afghanistan stabilisieren - Für eine zentralasiatische regionale Sicherheitskonferenz - Drucksache 16/10845 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({20}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung zur Vorlage auf Drucksache 16/10838 - Zusatzpunkt 5 a - ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Rechtsausschuss; die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP abstimmen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Soll ich die Abstimmung wiederholen? ({21}) - Der Fairness halber lasse ich die Abstimmung wiederholen, damit die beiden Regierungsfraktionen die Chance haben, sich daran zu beteiligen. ({22}) Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der FDP, das heißt Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie? Ich bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Für ihn haben FDP und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt, gegen ihn die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. ({23}) - Nein, ich habe es richtig vorgetragen; ich kann es aber auch noch einmal wiederholen. Der Überweisungsvorschlag war der Antrag der FDP; nur damit es keine Zweifel gibt. Die FDP hat beantragt, dass die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie liegen soll. ({24}) - Doch, so ist es. Dem haben Sie widersprochen, und mit diesem Widerspruch haben Sie Erfolg gehabt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen. Danach soll die Federführung beim Rechtsausschuss liegen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit umgekehrtem Stimmverhältnis angenommen. Die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke haben ihm zugestimmt, die Fraktion der FDP und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben ihn abgelehnt. Damit liegt die Federführung beim Rechtsausschuss. Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a bis 48 v sowie Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 48 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in der Gewerbeordnung - Drucksache 16/9996 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({25}) - Drucksache 16/10599 Berichterstattung: Abgeordneter Garrelt Duin Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10599, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9996 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Juli 2007 über die Beteiligung der Republik Bulgarien und Rumäniens am Europäischen Wirtschaftsraum - Drucksache 16/9997 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({26}) - Drucksache 16/10608 Berichterstattung: Abgeordnete Lena Strothmann Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10608, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9997 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDPFraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 48 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 16/10175 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({27}) - Drucksache 16/10899 Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10899, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10175 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Oktober 2007 zur Änderung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 29. Mai 1996 und des Protokolls hierzu vom 29. Mai 1996 - Drucksachen 16/10295, 16/10537 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({28}) - Drucksache 16/10817 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding ({29}) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10817, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10295 und 16/10537 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 48 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Abkommen vom 26. Mai 2006 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sonderverwaltungsregion Hongkong der Volksrepublik China über die gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen und über die Überstellung flüchtiger Straftäter - Drucksache 16/10390 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({30}) - Drucksache 16/10895 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({31}) Dr. Peter Danckert Jörg van Essen Wolfgang Nešković Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10895, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10390 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften ({32}) - Drucksache 16/10493 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({33}) - Drucksache 16/10844 Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Siegmund Ehrmann Gisela Piltz Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10844, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10493 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 g: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Februar 2008 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Bau und die Instandhaltung von Grenzbrücken in der Bundesrepublik Deutschland im Zuge von Schienenwegen des Bundes, in der Republik Polen im Zuge von Eisenbahnstrecken mit staatlicher Bedeutung - Drucksache 16/10533 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({34}) - Drucksache 16/10840 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothée Menzner Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10840, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10533 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Alle Fraktionen haben dem Gesetzentwurf zugestimmt, und er ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 48 h: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und zur Änderung des Gesetzes zur Änderung der Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkommens - Drucksachen 16/10534, 16/10583 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({35}) - Drucksache 16/10849 Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10849, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10534 und 16/10583 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 48 i: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes - Drucksache 16/10552 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({36}) - Drucksache 16/10875 Berichterstattung: Abgeordnete Julia Klöckner Gustav Herzog Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10875, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10552 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 j: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege - Drucksache 16/10570 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({37}) - Drucksache 16/10893 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({38}) Joachim Stünker Mechthild Dyckmans Wolfgang Nešković Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10893, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/10570 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 48 k: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({39}) zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Horst Friedrich ({40}), Joachim Günther ({41}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Abschaffung der Vorlagepflicht von Prüfbüchern - Modifikation der §§ 41, 42 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr - Drucksachen 16/6797, 16/10238 Berichterstattung: Abgeordneter Heinz Paula Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10238, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6797 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 48 l: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({42}) zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Jörg Rohde, Horst Friedrich ({43}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Änderung des § 34 a der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung - Mobilität von Rollstuhlfahrern verbessern, Sicherheit nicht vernachlässigen - Drucksachen 16/8545, 16/10562 Berichterstattung: Abgeordneter Gero Storjohann Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10562, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8545 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 48 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44}) Sammelübersicht 464 zu Petitionen - Drucksache 16/10788 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 464 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 48 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({45}) Sammelübersicht 465 zu Petitionen - Drucksache 16/10789 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 465 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge20000 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 48 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46}) Sammelübersicht 466 zu Petitionen - Drucksache 16/10790 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 466 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 48 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47}) Sammelübersicht 467 zu Petitionen - Drucksache 16/10791 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 467 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 48 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48}) Sammelübersicht 468 zu Petitionen - Drucksache 16/10792 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 468 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 48 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49}) Sammelübersicht 469 zu Petitionen - Drucksache 16/10793 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 469 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 48 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50}) Sammelübersicht 470 zu Petitionen - Drucksache 16/10794 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 470 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 48 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51}) Sammelübersicht 471 zu Petitionen - Drucksache 16/10795 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 471 ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 48 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({52}) Sammelübersicht 472 zu Petitionen - Drucksache 16/10796 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 472 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 48 v: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({53}) Sammelübersicht 473 zu Petitionen - Drucksache 16/10797 ({54}) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 473 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 6 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({55}) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ulrike Höfken, Marieluise Beck ({56}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überschüssige Mittel aus EU-Agrarhaushalt für Bekämpfung der Hungerkrise nutzen - Drucksachen 16/10591, 16/10912 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Dr. Sascha Raabe Hellmut Königshaus Alexander Ulrich Thilo Hoppe Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10912, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10591 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 6 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({57}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ({58}) KOM({59}) 414 endg.; Ratsdok. 11307/08 - Drucksachen 16/10286 A.55, 16/10911 Berichterstattung: Abgeordneter Jens Spahn Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 6 c: Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Staffelt, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Internetnutzerinnen und -nutzer nicht massenhaft kriminalisieren - Novellierung des EU-Telekommunikationspaketes nicht für Urheberrechtsregelungen missbrauchen - Drucksache 16/10843 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Jetzt geht es in der Debatte weiter. Wir kommen zum Zusatzpunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn endgültig absagen Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als Rednerin für die antragstellende Fraktion Die Linke der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. ({60})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat für den Fall des Börsenganges 1,4 Millionen Euro allein für Bahnchef Mehdorn beschlossen. Das ist der letzte dicke Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. ({0}) Herr Mehdorn übrigens nannte diese Boni nur „Möhrchen“; ich erinnere an die Peanuts von Herrn Kopper. ({1}) Minister Tiefensee hat diese Boni verschwiegen, weil er den Börsengang nicht gefährden wollte. Ich kann Ihnen sagen: Die Menschen haben die Nase voll von raffgierigen Managern, denen der ursprüngliche Zweck öffentlicher Güter gleichgültig ist und die Worte wie Gemeinsinn, Solidarität und Daseinsfürsorge aus ihrem Wortschatz ausgemerzt haben. ({2}) Die Menschen haben die Nase voll von Politikern, die jahrelang mitgemacht haben, wenn es darum ging, das Volkseigentum Deutsche Bahn zu verschleudern. Ich habe nicht die Zeit, alle Politiker von CDU, CSU und SPD aufzuzählen, die die Privatisierung der Bahn vorangetrieben haben, um danach in den gut bezahlten Dienst der Deutschen Bahn zu wechseln, und zwar nicht als Schaffner. Der wichtigste Grund für die Entlassungen, die wir fordern, ist aber die gescheiterte Bahnpolitik, die Minister Tiefensee und Bahnchef Mehdorn über Jahre ohne Rücksicht auf Verluste betrieben haben. Es ist doch absurd, dass Herr Tiefensee erklärt, dass der Börsengang nur aufgeschoben und nicht aufgehoben sei. Er hat immer noch nicht verstanden, dass wir uns in der schwersten Finanzkrise aller Zeiten befinden. ({3}) Die Banken sind nicht mehr bereit, Geld zu verleihen. In den USA, in Großbritannien und Frankreich werden Banken verstaatlicht, damit ihr Zusammenbruch verhindert wird. Opel und Ford schreiben Briefe an die Kanzlerin und fordern Milliarden aus der Staatskasse für die Autoindustrie. In dieser Situation meinen der Verkehrsminister und der Bahnchef, auf den leergefegten internationalen Finanzmärkten privates Geld für die Bahn zu bekommen. Dieses absurde Ansinnen zeigt doch, dass die beiden Privatisierer überhaupt noch nicht verstanden haben, welch ökonomischer Tsunami gerade über uns hereinbricht. ({4}) Auch wenn der Börsengang der Bahn nun verschoben ist - Herr Steinbrück hat uns gestern im Ausschuss informiert, dass er den Börsengang schon im September verschoben haben will -: Die Bahn wurde von Mehdorn und Tiefensee auf Rendite getrimmt. ({5}) Die Bürgerinnen und Bürger mussten das schmerzhaft erfahren. ({6}) Der zurückgetretene Aufsichtsrat der Deutschen Bahn Voscherau kritisiert die Bundesregierung zu Recht. Der Bund hat in den vergangenen Jahren akzeptiert, dass die Bahn sich zu einem internationalen Logistikdienstleister mit angehängtem Personenverkehr entwickelt hat. Genau das ist das Problem. ({7}) Die Bahnkunden werden von der Bundesregierung und vom Bahnvorstand nur noch als lästiges Anhängsel betrachtet. Dafür nur drei Beispiele: Erstens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, sind die Fahrkartenpreise um 22 Prozent in die Höhe geschossen. Er presst die Bahnkunden aus, um seine Renditeziele und damit seine maximale Leistungszulage von 3 Millionen Euro zu sichern, die zu seinem Festgehalt hinzukommt. Zweitens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, wird an der Sicherheit gespart. Es treten immer wieder schwerwiegende Sicherheitsmängel auf. Ich erinnere nur an den ICE Wolfsburg, der mit 250 Reisenden an Bord am 9. Juli nur aufgrund eines glücklichen Zufalls nicht verunglückte. ({8}) Drittens. Seit Herr Mehdorn Bahnchef ist, werden Minderjährige, die einen falschen Fahrschein gelöst haben, aus dem Zug geworfen. Wenn jetzt die Verantwortung auf die Schaffner abgewälzt wird, dann entspricht das der Politik der Bahn und der Bundesregierung, nie selbst Verantwortung zu übernehmen und immer jemanden im Visier zu haben, auf den man die Schuld abwälzen kann. ({9}) Wir Linke fordern eine endgültige Absage des Börsengangs der Bahn, mehr Investitionen in die Bahninfrastruktur, insbesondere in die Bahnsicherheit, und den Verzicht auf die zum Ende dieses Jahres geplante Fahrpreiserhöhung. ({10}) Die Bürger wollen keine Börsenbahn, sondern sie wollen eine Bürgerbahn. ({11}) Die Bürgerinnen und Bürger wollen die Bahn sicher und zu vernünftigen Preisen nutzen können. Alle Privatisierung ist ein Wahn, der hier beendet gehört. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Ich werde der Ablösung von Bahnchef Mehdorn aufgrund dieses Antrages nicht zustimmen; ich nehme an, meine Fraktion auch nicht. Zweitens. Ich werde der Entlassung von Verkehrsminister Tiefensee nicht zustimmen; ich nehme an, meine Fraktion auch nicht. Und wir werden auch nicht den Börsengang der Bahn endgültig absagen. ({0}) Frau Lötzsch, Sie haben Herrn Mehdorn angesprochen. Man muss zu ihm eines sagen: Wir haben mit ihm sicherlich einen unbequemen Partner, aber einen erfolgreichen. ({1}) Rechts hinter Ihnen sitzt ein ebenso unbequemer Politiker, aber ein gescheiterter. Sehen Sie, das ist der Unterschied: Der eine macht sich als Minister bei Nacht und Nebel aus dem Finanzministerium, als wäre er ein Dieb, der sich davonschleicht. ({2}) Ja, man muss doch einmal in Erinnerung rufen, welche Gestalten in Ihren Reihen sind! ({3}) Das sind diejenigen, die hinterher andere kritisieren. Drehen Sie sich um und kritisieren Sie den Mann hinter sich. Fordern Sie ihn auf, den Populismus zu lassen und zu vernünftigen Aussagen zurückzukehren. Jetzt kommen wir zu dem, was eine Linke immer sagen muss: Wir brauchen keine Renditebahn. Natürlich nicht. Womit investieren wir dann? Nur mit Staatsmitteln? Wir wollen Staatsmittel hineinstecken, aber wir wollen auch eine Bahn, die Rendite erwirtschaftet, damit mehr Geld in die Infrastruktur und den Service investiert werden kann. Das alles wollen Sie zwar, die Schaffung der Voraussetzungen für eine bessere Bahn und eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene verhindern Sie aber aufgrund Ihrer populistischen Einstellung. Das Schlimme ist, dass Sie das noch nicht einmal begreifen, sondern in alter Manier wie zu DDR-Zeiten auf Defizite setzen und glauben, damit könne man in Zukunft Erfolg haben. Das geht nicht! ({4}) Ich gehe davon aus, dass meine Kollegen detaillierter auf das eingehen werden, was Sie mit Sicherheitskrise gemeint haben. Davon kann in dieser Form nicht die Rede sein. Es gibt in einem Riesenunternehmen immer wieder Vorgänge, die sauber geprüft werden müssen. Das machen wir. Dagegen gibt es nichts zu sagen. Auf einen Punkt will ich noch eingehen. Wir stellen eindeutig klar, dass der Börsengang für diese Legislaturperiode nicht ad acta gelegt ist. ({5}) Es gab dazu missverständliche Äußerungen. Sie sind dankenswerterweise vom Chef des Kanzleramtes de Maizière ausgeräumt worden. Wir stehen dazu: Wir halten den Börsengang für richtig; denn wir brauchen Geld für die Bahn. Die Bahn braucht mehr Eigenkapital, und wir brauchen mehr Geld für die Bereiche Schiene und Service. Auch das hat mit dem Börsengang zu tun. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Ergebnis der sogenannten Roadshow abgewartet werden muss. Sie in Ihrer Schlauheit wissen alles schon vorher. Wieso eigentlich, wenn es noch nicht zu Ende durchgeführt worden ist? ({6}) Sie haben keine Ergebnisse, wir haben auch keine. Aber Sie fällen ein vorschnelles Urteil. Das kommt davon, Frau Lötzsch, wenn man sich mit der Sache nicht inhaltlich auseinandersetzt, sondern hier nur billige Sprüche ablässt. Das ist so nicht haltbar. ({7}) Da ich Freund der Großen Koalition bin, kann ich gleichzeitig festhalten, dass es einige Punkte gibt, die ich etwas kritisch betrachte. Der erste Punkt, Herr Minister, ist die Informationspolitik. Da wird es erhebliche Verbesserungen geben müssen. Der zweite Punkt ist die Entscheidungsstruktur. Es kann nicht angehen, dass sich die Hausspitze vor wesentlichen Entscheidungen nicht abstimmt. Sie haben zugesagt, das zu ändern. Ich gehe davon aus, dass das mittlerweile geändert wurde. Denn das ist entscheidend und notwendig. Der dritte Punkt ist, dass im Hause Klarheit herrschen muss, dass der Börsengang nicht irgendetwas ist. Wenn unwidersprochen in der Financial Times steht, dass Ihr Sprecher gesagt hat, dass Sie den Flyer für den Börsengang gar nicht hätten kennen müssen, dann zeigt das ein erschreckendes Ausmaß von Unkenntnis. Das muss abgestellt werden; das sprechen wir offen an. ({8}) Aber ich sage auch: Das ist jetzt kein Grund, dem Antrag der Linken zu folgen. ({9}) Wir werden für eine bessere Bahn sorgen. Wir werden für mehr Geld für Investitionen in die Bahn und mehr Geld für Service sorgen. Wir als Koalition werden damit erfolgreich sein. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben sprach ein Freund der Großen Koalition, einer der wenigen, die es noch gibt. ({0}) Geschätzter Kollege Lippold, in einem haben Sie natürlich recht. Herrn Mehdorn kann man sehr viel vorwerfen. Aber dass er sich in der aktuellen Debatte auf einen von einem früheren Bundesminister, einem früheren beamteten Staatssekretär und zwei Arbeitnehmervertretern unterschriebenen Vertrag beruft und sagt, das sei mit ihm vereinbart und dazu stehe er, bis er eine andere Aussage hat, kann man ihm nicht vorwerfen. Damit kommen wir zu dem, was man dem Minister vorwerfen muss. Da sind wir mit der Fraktion Die Linke ganz einig, und darüber werden wir ja auch noch debattieren. Man muss Ihnen, Herr Minister Tiefensee, vorwerfen, dass Sie die Detailregelungen - alles, was in diesem Zusammenhang im Börsenprospekt aufgeschrieben wurde - des wichtigsten Projekts dieser Legislaturperiode im Verkehrsbereich, der größten Privatisierung in dieser Legislaturperiode, also des Börsengangs der Bahn mit dem jetzt gewählten Modell, der von Ihnen in jeder Rede offensiv verteidigt wird, angeblich nicht haben zur Kenntnis nehmen wollen oder können. Das ist das Führungsversagen, das man Ihnen vorwerfen muss. ({1}) Das Parlament hat das Recht, Ihnen das vorzuwerfen, weil es die Hand dafür gehoben hat, diese Privatisierung durchzuführen. Man muss sich darauf verlassen können, dass sich das Ministerium, also auch der Minister, inhaltlich mit der Sache auseinandersetzt. ({2}) Ganz verblüffend ist auch die Antwort auf folgende Frage: Was ist eigentlich ein erfolgreicher Börsengang? Sie selbst haben mehrfach öffentlich gesagt: Wir erwarten zwischen 5 und 8 Milliarden Euro. Sie selbst haben diese Latte in der öffentlichen Debatte eingeführt: mindestens 5 Milliarden Euro für 24,9 Prozent. Irgendwann kam dann der Betrag 3,5 Milliarden Euro ins Spiel. Da kann man schon darüber diskutieren, wie viel der Anteil, den der Bund verkaufen will, wert ist. Dann sagen auch noch Mitglieder des Aufsichtsrates - Herr Müller, der frühere Bundeswirtschaftsminister, ist ja vom Eigentümer als Mitglied in den Aufsichtsrat geschickt worden, um die Interessen der AG im Aufsichtsrat, aber natürlich auch die Interessen der Eigentümer zu vertreten -: Unabhängig vom Erlös, ob 1, 2, 3 oder 4 Milliarden Euro, gibt es - ich zitiere aus dem Börsenprospekt - eine „EventTantieme“ für die Mitglieder des Vorstandes. Der Börsengang der DB AG ist doch kein Event, sondern eine wahrlich ernst zu nehmende politische Entscheidung. ({3}) Deshalb komme ich zurück zu dem Führungsversagen des Ministers, nicht des Staatssekretärs. Sie als Bund haben alle Mitglieder des Aufsichtsrates, die nicht Arbeitnehmervertreter sind, berufen. Natürlich sind sie nicht weisungsgebunden. Wenn aber Mitglieder des Aufsichtsrates seit Wochen dem, was der Bundesverkehrsminister möchte, öffentlich und mehrfach widersprechen - übrigens ist bis heute nicht dem widersprochen worden, was sie angeblich dem Kollegen Hübner erzählt haben, dass Sie bereits im Juni im Ministerium ein Gespräch geführt hätten und dass dabei über diese Eventund Erfolgstantiemen gesprochen worden sei; der Kollege Hübner spricht gleich, dann kann er das klarstellen -, wenn solche Aufsichtsräte weiterhin unwidersprochen in dem Konzern ihre aktienrechtliche Aufgabe für den Eigentümer Bund wahrnehmen, dann müssen Sie sich fragen lassen, ob Handeln und Sagen noch zusammenpassen. Sie können diese Aufsichtsräte durch eine außerordentliche Hauptversammlung abberufen. Die kann in 30 Tagen stattfinden. Warum machen Sie das nicht, wenn Ihnen diese Leute fortwährend auf der Nase herumtanzen, Herr Minister? ({4}) Es ist nicht redlich, wie Sie öffentlich mit dem Thema umgehen. Das Parlament legt Wert darauf, dass sich der Minister der Sache seriös und vernünftig annimmt. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht getan. Wenn Sie dann öffentlich sagen, Sie hätten sich durchgesetzt, weil der Börsengang und die Tantiemen nicht kommen, dann kann man nur sagen, dass Sie die Dimension der letzten drei Jahre und der Debatte um diese Frage politisch nicht einordnen können und auch nicht verstanden haben. ({5}) Darum hat meine Fraktion - die Debatte darüber wird sich an diese anschließen - einen Antrag gestellt, in dem die Bundeskanzlerin von diesem Haus aufgefordert wird, Sie zu entlassen. Ich denke, dass der Umgang mit der Frage, wer für die Diskussion um den Börsengang der DB AG verantwortlich ist, das ganz offensichtliche Auseinanderfallen des Redens und des Handelns des Bundesverkehrsministers im Aufsichtsrat und die Tatsache, dass Sie keine Konsequenzen in der aufsichts- und der börsenrechtlichen Struktur Ihrer Vertreter im Aufsichtsrat ziehen, sowie andere verkehrspolitische Fehlleistungen, etwa beim Thema Deutsche Flugsicherung - andere Themen brauche ich nicht auch noch zu nennen -, zeigen, dass Sie wieder einmal mit warmen Worten davonkommen wollen. Das werden jedenfalls wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaas Hübner von der SPDFraktion. ({0})

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser und der nächste Tagesordnungspunkt sind ein klares Zeugnis der inhaltlichen und strukturellen Schwäche der hier vertretenen Oppositionsparteien. ({0}) Ich komme zur inhaltlichen Schwäche: Während sich eine starke Regierung und eine handlungsfähige Koalition darum kümmern, wie man der Finanzmarktkrise beikommen, wie man die Realwirtschaft stärken und wie man einen Beschäftigungsschirm aufbauen kann, nehmen Sie zwei Stunden Debatte dafür in Anspruch, einen Kleinst- und Nebenkriegsschauplatz aufzumachen, mit dem Sie schon im Ausschuss am Mittwoch gescheitert sind, um etwas zu erörtern, was die Menschen momentan wirklich nicht interessiert. Deutlicher kann man seine Konzeptionslosigkeit in den entscheidenden Fragen unserer Gesellschaft nicht dokumentieren. ({1}) Ich komme zur strukturell schwachen Opposition: Da sind Sie sich schon einmal in dem für mich nicht nachvollziehbaren Wunsch einig, den Minister zu entlassen, und schaffen es noch nicht einmal, sich auf eine gemeinsame Formulierung in einem gemeinsamen Antrag zu einigen. Da muss die Linke zu einem Tagesordnungspunkt, der ordentlich aufgerufen ist, noch einmal eine Aktuelle Stunde beantragen. Das ist Populismus pur. Das ist Klamauk vor Inhalt. ({2}) Die zwei Vorsitzenden der Linkspartei - Herr Lippold hat zu Recht darauf hingewiesen und das muss man immer wieder erwähnen - hätten zweimal Verantwortung übernehmen können, der eine als Senator in Berlin, der andere als Bundesfinanzminister, aber sie sind dann, als es darauf ankam, diese Verantwortung wahrzunehmen, weggelaufen. Dieser Minister läuft nicht weg. Er steht zu seiner Verantwortung. Darum hat er auch unsere Unterstützung. ({3}) Die Fraktion der Grünen kommt hier ein bisschen spät. Alles ist zwar schon gesagt, aber noch nicht von jedem. Darum mussten sie einen mit dem der FDP wortgleichen Antrag mit gestrigem Datum noch hinterherschieben. Damit es auch jeder merkt, wurde dieser zur sofortigen Abstimmung gestellt. ({4}) Sie mahnen so oft, dass wir eine ordentliche Beratungsdauer bei vielen Regierungsentwürfen brauchen. Aber wenn es um Ihren Entwurf geht, dann wollen Sie gar keine Beratungsdauer in Anspruch nehmen. Was ist das für eine parlamentarische Kultur? Dann haben wir da noch die FDP, das kann ich Ihnen leider nicht ersparen, lieber Herr Kollege Döring. Sie haben - das ist Ihr gutes Recht - am vergangenen Mittwoch eine Ausschusssondersitzung einberufen, um dort mit dem Minister einige angeblich offene Fragen zu klären und um ihm Gelegenheit zu geben, Missverständnisse auszuräumen. Aber das wollten Sie gar nicht. Schon vor der Sitzung haben Sie sich nämlich entschlossen, den Antrag auf Entlassung des Ministers einzubringen. Damit haben Sie dem Ausschuss keinen Gefallen getan. Wenn es Ihnen wirklich um Aufklärung gegangen wäre, dann hätten Sie zumindest diese Sitzung abgewartet. Das haben Sie aber nicht getan. Sie waren vorfestgelegt. Man kann einen Ausschuss auch als Zeitvernichtungsmaschine missbrauchen. Das, was Sie an dieser Stelle getan haben, kommt dem sehr nahe. ({5}) Kurzum, die Situation ist wie folgt: Auf der einen Seite haben wir eine handlungsfähige und handlungsstarke Koalition ({6}) sowie eine gute Bundesregierung und einen guten Bundesminister. Auf der anderen Seite sehen wir eine zerstrittene Opposition: ({7}) eine Linkspartei, die vor der Verantwortung wegrennt, eine FDP, die sich auf Kleinstschauplätzen verrennt, und eine Grünen-Fraktion, die in diesem Fall leider ziellos hinterherrennt. Das sind die Gegensätze in diesem Parlament. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Oskar Lafontaine von der Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht heute um einen Ministerrücktritt. Daher bitte ich Sie, mir vorweg eine persönliche Bemerkung zu gestatten: Ich werde seit Jahren immer dann, wenn in der Sache nichts zu sagen ist, auf meinen Rücktritt angesprochen. Ich will dazu nur so viel sagen: Es gibt Situationen, in denen ein Minister Verantwortung übernehmen und zurücktreten muss. ({0}) Das gehört zu einem funktionierenden Parlamentarismus. Als jemand, der jahrzehntelang öffentliche Verantwortung getragen hat, habe ich allerdings die Erfahrung gemacht: Es ist immer schwer, zurückzutreten. ({1}) Es gibt eine weitere Erfahrung, die ich gemacht habe und die ich Ihnen mitteilen möchte: Politische Würstchen treten nie zurück, weil sie dazu viel zu feige sind. ({2}) - Ich hoffe, dass die Kamera jetzt auf die erste Reihe der SPD zeigt. Dann weiß nämlich jeder, was ich gemeint habe. ({3}) Nun komme ich zur Sache. Die Bahnpreise sind in der letzten Zeit erheblich gestiegen, und ein öffentliches Unternehmen steht in der Kritik. In einer solchen Situation schaut die Bevölkerung natürlich genau hin. Hier geht es nicht um einen Nebenkriegsschauplatz, wie es einer der Redner der Regierungsfraktionen formuliert hat, sondern darum, wie sich die Bundesregierung zu Kernfragen, über die zurzeit diskutiert wird, verhält. Eine dieser Kernfragen ist die Privatisierung. Es ist eine Tatsache, dass die Privatisierung insbesondere angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise zu einem regelrechten Rohrkrepierer wird. Privatisierte Betriebe werden erhebliche Arbeitsplatzverluste zu verzeichnen haben, es kommt nach wie vor zu Lohndrückerei und Leiharbeit, und Leiharbeiter sind immer die Ersten, denen gekündigt wird. Es ist so, als gingen Sie blind durch die Gesellschaft und als würden Sie nicht zur Kenntnis nehmen, welche schädlichen Folgen bereits eingetreten sind. ({4}) Die Privatisierung der Bahn ist nicht irgendein Nebenkriegsschauplatz. Wie kann man nur ein solches Fehlurteil abgeben! Die Privatisierung der Bahn ist ein Thema, das viele Menschen in der Bundesrepublik beschäftigt. Um eines in aller Klarheit zu sagen: Der Hauptakteur ist nicht die Bundesregierung. Der Hauptakteur und der Verantwortliche für die Geschäfte der Bahn ist ihr Vorstandsvorsitzender. Im Grunde genommen leitet er die Bahn, nicht die Bundesregierung. Sie ist mehr oder weniger ein Mitspieler, dem der Bahnchef hin und wieder - in welcher Form auch immer - Möhrchen hinhält, damit sie so funktioniert, wie er es gern hätte. Die Bahn ist ein klassisches Unternehmen, in dem der Vorstand alles bestimmt und in dem der Gesellschafter nichts zu sagen hat. Das haben wir zu kritisieren. ({5}) Das wäre ein Grund, denjenigen, der dort den Gesellschafter vertritt, zurückzuziehen. Es kann doch nicht sein, dass der Vorstand eines öffentlichen Unternehmens macht, was er will! Es gibt auch in den Gemeinden und in den Ländern öffentliche Unternehmen. Hier muss zumindest gewährleistet sein, dass die Verantwortlichen die Gesellschafterrechte richtig wahrnehmen. Das können sie offensichtlich aber nicht. Ich habe immer wieder versucht, an einem Beispiel, das auch Sie schon angesprochen haben, deutlich zu machen, dass Ihnen die Zusammenhänge gar nicht bewusst sind. Wenn die Bundesregierung die Begrenzung von Managerbezügen zum Thema macht, dann zeigt das, dass Sie das, was Sie sagen, überhaupt nicht ernst meinen. Denn in dem Unternehmen, an dem sie 100 Prozent hält, lässt sie zu, dass genau das Gegenteil von dem geschieht, was sie angeblich will. Man gewinnt den Eindruck, dass nicht der Aufsichtsrat die Höhe der Managerbezüge bestimmt, sondern dass der Vorstand selbst sagt, wie viel er haben will, und dass dies dann von allen anderen abgenickt wird. Das sind doch die Zustände, die bei der Bahn zu beobachten sind. ({6}) Gerade in der gegenwärtigen sensiblen Zeit haben Sie das Thema Bonuszahlungen in die Diskussion gebracht. Der Minister allerdings weiß gar nicht, ob er sie mitzuverantworten hat oder nicht. Vieles wird aus Ihren öffentlichen Äußerungen gar nicht klar. Dass es überhaupt möglich ist, dass bei einem öffentlichen Unternehmen mit einer solchen Gehaltsstruktur auch noch Bonuszahlungen thematisiert werden, zeigt, dass dort alle Maßstäbe verlorengegangen sind. Deshalb müssen die Verantwortlichen aus unserer Sicht Konsequenzen ziehen. ({7}) Statt über Bonuszahlungen und weitere Gehaltserhöhungen für die oberen Etagen zu diskutieren, sollte man lieber die Fahrpreiserhöhungen - meine Kollegin hat dies gefordert - zumindest reduzieren, wenn nicht ganz unterlassen; das wäre besser. Denn die Menschen haben kein Verständnis dafür, dass auf der einen Seite Millionengehälter gezahlt werden und auf der anderen Seite Hartz-IV-Empfänger zur Kasse gebeten werden, wenn sie einmal mit der Bahn fahren. Dafür haben die Menschen überhaupt kein Verständnis. ({8}) Als jemand, der im Gegensatz zu den Personen auf der ersten Bank hier lange Jahre Gesellschafterrechte ausgeübt hat, sage ich Ihnen: Wenn man Gesellschafterrechte ausübt, dann muss man die Geschäftspolitik des Unternehmens mitbestimmen und in der Lage sein, dem Vorstand Grenzen aufzuzeigen. ({9}) Dies ist offensichtlich völlig aus der Mode gekommen, insbesondere bei dem Bundesunternehmen Bahn. ({10}) Vielmehr ist es so, dass sich der Vorstand die Politik mehr oder weniger, so sage ich einmal, geneigt macht. Deswegen ist der Vorstandsvorsitzende vielleicht auch geeignet, Vorsitzender eines Kaninchenzuchtvereins zu werden, weil er sich hervorragend auf die Möhrchenfütterung versteht. ({11}) Auf der anderen Seite hat er aber überhaupt nicht erkennen lassen, dass er aus der letzten Zeit Konsequenzen gezogen hat. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass die ganze Diskussion über die Leidtragenden der Finanzkrise und diese Maßlosigkeit, die überall Platz gegriffen hat, zu keinerlei Konsequenzen bei der Bahn führt. ({12}) Wir sagen auf jeden Fall: Die Bundesregierung ist unglaubwürdig, wenn sie etwas über das Managerverhalten, die Begrenzung von Managergehältern usw. sagt, wenn sie im eigenen Laden nicht für Ordnung sorgt. Für uns ist diese Bahn mehr oder weniger - ich möchte es einmal so sagen - ein ungeordneter Betrieb ({13}) - ich vermeide einen anderen Begriff -, in dem ein Einziger das Sagen hat und alle anderen mehr oder weniger an der Leine mitführt. ({14}) Das ist nicht der Auftrag, den die Bahn hat. Die Bahn sollte von der Bundesregierung geleitet und geführt werden und nicht bestimmen, worüber in diesem Hause abgestimmt wird. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir den Titel der Aktuellen Stunde anschaue, dann sehe ich, dass dort „ablösen“, „entlassen“ und „absagen“ steht. Warum schreiben Sie dann nicht auch noch „Verhaftung von Personen“, wie Ihr Bundespräsidentenkandidat, der die Handschellen einmal zu viel hat klicken lassen, vielleicht angeregt hat oder angeregt hätte? ({0}) Es fehlt auch noch das Wort „Enteignung“ in Ihrem Antrag. ({1}) Das alles sind Dinge, zu denen ich sagen muss: Der Antrag ist doch ein bisschen unglaubwürdig. Sie wollen einfach keinen Börsengang. ({2}) Ich muss dazu sagen: Wir wollen den Börsengang, und ich bin froh, dass wir ihn erreichen werden. Es waren vor allen Dingen die Minister Steinbrück und Glos, die uns bei der Vorbereitung des Börsengangs in der jetzigen Form sehr geholfen haben. Wenn wir nach dem Vorschlag des Bahnchefs Mehdorn und des Ministeriums vorgegangen wären - es handelte sich um das Eigentumssicherungsmodell -, dann hätten wir das Netz der Deutschen Bahn überlassen. Das hätte nicht unsere Zustimmung gefunden; denn das wäre wirklich eine Verschleuderung von Volksvermögen gewesen. So bleibt das Netz in der Verantwortung des Bundes, und der Eigentümer Bund hat das Sagen. Ich verhehle aber auch nicht, dass hier vielleicht noch etwas mehr Transparenz erreicht werden muss und dass der Eigentümer etwas mehr zum Bereich Netz zu sagen haben sollte. Aus unserer Sicht ist die Trennung von Netz und Betrieb aber notwendig; denn die Deutsche Bahn ist ein internationaler Logistikkonzern und für den Betrieb verantwortlich. Das liegt in der unternehmerischen Verantwortung und ist Angelegenheit des Unternehmens. Wie gesagt: Es muss eine saubere Trennung geben, ({3}) damit wirklich Transparenz erreicht wird und der Bund seiner Verantwortung stärker gerecht werden kann. Kolleginnen und Kollegen, Bonuszahlungen bei Privatunternehmen, die an die Börse gehen, sind durchaus üblich. Es ist Aufgabe des Aufsichtsrats, Boni festzulegen. Allerdings bin ich der Meinung, dass der Aufsichtsrat die Brisanz hier vielleicht nicht richtig eingeschätzt hat. Im Grunde genommen sollten das Ministerium und der Minister natürlich rechtzeitig über diese sensible Materie informiert gewesen sein. Auch das Parlament hätte Interesse daran gehabt, über den Fortgang und den Börsengang laufend informiert zu werden. ({4}) Für Minister sollte es zwar nicht die Gnade der späten Geburt geben, aber die Entscheidung über den Minister liegt bei der SPD und bei ihm selbst. Vielleicht wäre es auch gut, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Müller - er wurde heute schon genannt -, der früher Bundesminister war und deshalb die Befindlichkeit der Politik und auch der Menschen kennen müsste, im Ausschuss einige Fragen klären könnte. Es ist schon seltsam, dass ein Transnet-Mitglied, früher im Aufsichtsrat und jetzt im Vorstand, ({5}) keinerlei Anmerkungen zu den Gehältern und Bonuszahlungen macht, obwohl die Bonuszahlungen um ein Hundertfaches den Betrag übersteigen, den die GdL für ihre Mitglieder gefordert hat. ({6}) Die Bahnreform 1993/1994 war auf den Börsengang ausgerichtet. ({7}) Der Börsengang wird jetzt aufgrund der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise verschoben; er ist aber dadurch nicht aufgehoben. ({8}) Wir wollen den Börsengang, damit sich die Deutsche Bahn in unternehmerischer Verantwortung weltweit aufstellen kann. Aber der Bund als Netzeigentümer muss sich in Zukunft auch mehr um das Netz kümmern und die entsprechenden Mittel dafür zur Verfügung stellen, damit so etwas wie Streckenüberlastung nicht mehr möglich ist. Wir wollen auch den Wettbewerb auf der Schiene. Dafür brauchen wir den Börsengang. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dr. Anton Hofreiter das Wort.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Renate Blank, spannend an deiner Rede war, dass du den meisten Zwischenapplaus nicht von der CDU/CSU, sondern von den Grünen bekommen hast. ({0}) Wir stehen selbstverständlich auf deiner Seite, wenn es um die Durchsetzung der Trennung von Netz und Trans20008 port geht. Leider hat deine kluge Erkenntnis innerhalb der Großen Koalition noch keinen entsprechenden Durchschlag gefunden. ({1}) Der Kollege der SPD-Fraktion ist kein Mitglied des Verkehrsausschusses und erlebt deshalb Herrn Tiefensee nicht so intensiv, wie wir ihn im Verkehrsausschuss leider erleben müssen. ({2}) Ich muss leider feststellen, dass ich selbst als Mitglied der Opposition mir einen anderen Minister wünschen würde. Wir brauchen keine lange Ausschussberatung darüber, ob wir ihn für geeignet halten. Wir haben ihn über Jahre erlebt, und er hat sich leider als ungeeignet erwiesen. Fragen Sie Ihre Kollegen im Verkehrsausschuss - Sie müssen es ja nicht öffentlich machen -; sie werden es Ihnen bestätigen. Sie können auch Herrn Großmann fragen. Er wird es Ihnen auch bestätigen. ({3}) Aber kommen wir zur DB AG. Welche verqueren Vorstellungen innerhalb der DB AG herrschen, zeigen zum Beispiel die Aussagen von Herrn Voscherau als Mitglied des Aufsichtsrates. Er hat geäußert, dass die Politik endlich einsehen möge, dass es sich bei der DB AG um einen internationalen Logistikkonzern mit angehängtem Personenverkehr handelt. Das Problem ist: Die Politik bzw. Ihr Minister hat zugelassen, dass diese Beschreibung zutrifft. Das ist der eigentliche Skandal. ({4}) Der Aufsichtsrat, der von der Politik entsandt wird, hat immer wieder Zukäufe von Logistikunternehmen genehmigt, zuletzt eine rumänische Straßenspedition, die der Bahn mit Dumpinglöhnen Konkurrenz auf der Straße macht. Das ist ein Skandal. Damit kommen wir zu Herrn Lippold, der von den Renditen gesprochen hat. ({5}) Herr Lippold, Sie wissen doch selber - im Ausschuss ist es uns allen bekannt -, dass die Renditen der Bahn AG nicht in die notwendige Sanierung des Schienennetzes fließen, sondern in den Zukauf von internationalen Logistikunternehmen. Sie fließen weder in die Bahnhöfe noch in den Güterverkehr oder in die Sanierung des vorhandenen Schienennetzes. Sie wissen es selbst besser. ({6}) Was wollen wir? Wir wollen keine Bahn mit angehängtem Personenverkehr, sondern eine Bahn nach Schweizer Vorbild, die eine perfekte Reisekette für die Menschen bereitstellt. Wenn die Bahn die entsprechende Qualität - regelmäßige, pünktliche, saubere und zuverlässige Züge - bieten würde, dann könnten wir uns sogar vorstellen, dass Herr Mehdorn einen Bonus bekommt. Aber was liefert uns denn die Bahn Tag für Tag? Ich weiß nicht, ob Sie alle von der Großen Koalition nur Auto fahren oder fliegen, aber ich persönlich besitze kein Auto und bin deshalb auf die Bahn angewiesen. Man erlebt jeden Tag bei der Bahn, dass die Züge unpünktlich sind. Es funktioniert nicht. Wichtige Verbindungen werden von heute auf morgen gestrichen. Das jüngste Beispiel, das ich gerade in Bayern erlebt habe, ist Augsburg. Diese Stadt mit einer Viertelmillion Einwohner wurde von heute auf morgen vom Fernverkehr Richtung Norden nahezu abgehängt. Der Herr Minister schweigt dazu. Er hat keine Kompetenzen. Das Maximum dessen, was Sie von der Großen Koalition tun, ist, dass Sie sich über Maßnahmen des Bundesrats lustig machen. ({7}) So geht es weiter. Das Gleisnetz wird immer maroder. Kleine Bahnhöfe verrotten. ICEs werden auf Verschleiß gefahren, wie das jüngste Beispiel der defekten Achsen zeigt. Die Fahrpreise werden immer weiter erhöht. Als Begründung müssen die höheren Energiekosten herhalten. Nun ist der Ölpreis nur noch halb so hoch. Trotzdem passiert nichts. Die Fahrpreise sinken nicht. Die Liste der Probleme ließe sich beliebig fortsetzen. Was hat der Minister getan? Der Minister hat sich über drei Jahre mit einem gescheiterten Privatisierungsmodell nach dem anderen aufgehalten. Ich will gar nicht aufzählen, wie viele verquere und seltsame Modelle vorgestellt wurden. Was hat er nicht getan? Er hat sich nicht um die Bahn gekümmert. Er hat sich nicht um einen entsprechenden Ausbau der Bahn und die Einführung eines vernünftigen Taktfahrplans gekümmert. Er setzt auf einzelne, überholte Großprojekte wie die Strecke Nürnberg-Erfurt ({8}) mit 5 Milliarden Euro - selbst die Bundesregierung gibt zu, dass hier nur anderthalb Züge pro Stunde fahren und das „schöne“ Projekt Stuttgart 21 mit 8 Milliarden Euro, das keinen Nutzen für den Hafenhinterlandverkehr hat. Das heißt, er hat letztendlich keine eigenen Konzepte entwickelt. Währenddessen laufen die Güterverkehrsstrecken über. Was wollen wir? Wir wollen eine Bahn mit Personenverkehr an erster Stelle und einem integrierten Taktfahrplan, mit sauberen und pünktlichen Zügen mit entsprechender Anschlusssicherung für die Fahrgäste und einen kapazitätsgestützten Ausbau des Güterverkehrs, um die Engpässe zu beseitigen. Mit dem vorhandenen Personal ist das aber kaum denkbar. Deshalb müsste neben Herrn Tiefensee, der sowieso keinen Einfluss auf die Bahnpolitik hat, vor allem und zuerst Herr Mehdorn ausgetauscht werden, der über Jahre auf die falsche Strategie gesetzt hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hofreiter, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dafür ist es nun Zeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPDFraktion. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Lötzsch, lieber Herr Lafontaine, ich glaube, dass Ihre Reden außer Beleidigungen der Abgeordneten in der ersten Reihe der SPD-Fraktion inhaltlich nichts zu bieten hatten. Die Menschen draußen wollen keine Reden von Leuten hören, die vom Thema überhaupt keine Ahnung haben, die Dinge von sich geben, die völlig abstrus sind. Die Menschen brauchen Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen nach der Mobilität der Zukunft, auf die Frage, wie es in Zukunft mit der Bahn weitergeht. Das wollen die Menschen hören und nicht das, was Sie in dieser Debatte gesagt haben. ({0}) Wir alle von der Koalition können nachvollziehen, dass die Opposition in dieser Debatte gern ihr Mütchen kühlen möchte. Es ist Ihnen schon im Verkehrsausschuss in keiner Weise gelungen, auch nur einen Pflock einzuschlagen. Sie waren absolut zahnlos. Auch der Kollege Döring, der hier eine gute Rede gehalten hat, aber im Ausschuss nicht so viel hinbekommen hat, muss zugestehen, dass das Ganze im Sande verlaufen ist. ({1}) - Kollege Hermann, dazu komme ich gleich noch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, versuchen wir wieder, uns den inhaltlichen Themen zu widmen. Es geht doch darum, wie es mit der Verkehrspolitik und der Bahn weitergeht. Die SPD-Fraktion ist der Meinung - und Sie alle sollten daran ein Interesse haben -, dass wir eine starke Bahn brauchen. Wir brauchen eine wettbewerbsfähige Bahn. Wir brauchen eine Bahn, die in Deutschland einen anständigen Verkehr organisieren kann. Wir brauchen aber auch eine Bahn, die sich dem liberalisierten europäischen Wettbewerb stellen kann und eine Chance hat, den Verkehr in Europa vernünftig zu organisieren. Wir brauchen eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. An der Erreichung dieses Zieles müssen wir gemeinsam arbeiten. Ich hoffe, dass wir nach dieser Debatte wieder zu einer sachlichen Arbeit im Ausschuss zurückkommen und uns diesen Fragen wirklich widmen. ({2}) Minister Wolfgang Tiefensee hat unsere Interessen und die Interessen des Bundes als Eigentümer gegenüber der DB AG vertreten. Der Minister hat das, was falsch gelaufen ist, korrigiert. Der Minister hat zur Frage der Boni eine klare Position bezogen. Der Minister hat sich mit dem Bahnvorstand zu Recht angelegt, als es darum ging, einen Bedienzuschlag einzuführen, den wir, glaube ich, fraktionsübergreifend für absoluten Schwachsinn gehalten haben. Da gilt es, ihm den Rücken zu stärken. ({3}) Wir sollten die Einflussmöglichkeiten, die wir zu Recht haben wollen, nutzen und als Eigentümer dafür sorgen, dass die Bahn so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. Dazu gehört auch, dass wir jetzt im Ausschuss vernünftigerweise die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung weiterbearbeiten, um die Bahn an die Zügel zu nehmen und in die Richtung zu bringen, die wir wollen. ({4}) Noch ein Wort zum Börsengang der Bahn. Verantwortliche Politik zeichnet sich dadurch aus, dass man dann, wenn man erkennt, dass das Umfeld den Börsengang nicht zulässt, sagt: Im Moment geht es einfach nicht. - Diesen Schritt ist die Bundesregierung gegangen, diesen Schritt sind wir gemeinsam gegangen; denn es geht eben nicht darum, Volksvermögen zu verschleudern, wie immer wieder behauptet wird, sondern es geht darum, die Kapitalbasis der Bahn zu verbreitern, damit sie ihre Aufgaben in der Zukunft vernünftig wahrnehmen kann. Zum Schluss noch ein kritisches Wort in Richtung Bahnvorstand. Ich glaube, dass der Bahnvorstand aufhören muss, sich immer nur damit zu beschäftigen, welche Abgeordneten, welche Minister und welche Bürgermeister als nächstes zu beschimpfen sind. Der Bahnvorstand hat in nächster Zukunft genug zu tun, sich zu überlegen, wie es mit der Bahn weitergeht, wie die Kundenfreundlichkeit weiter verbessert werden kann und wie das inakzeptable Verhalten einzelner Schaffner gegenüber Kindern unterbunden werden kann. Ich hoffe, dass die Bahn schnellstmöglich daran arbeitet. Es gibt aber noch andere Dinge, Stichwort Boni. Ich kann nicht verstehen, dass man als Manager in einer solchen Situation den Bonus in Anspruch nimmt. Da ist mehr Fingerspitzengefühl gefragt. ({5}) Das gilt auch für den „Zug der Erinnerung“. Ich bin immer noch der Meinung, dass sich die Bahn an dieser Stelle falsch verhalten hat. ({6}) Zum Schluss: Lassen Sie uns nach dieser Debatte sachlich daran weiterarbeiten, wie wir die Mobilität der Zukunft gestalten. Ich glaube, dass uns als Mitgliedern des Verkehrsausschusses allen daran gelegen sein sollte, dass die Bahn dabei eine bedeutende Rolle spielt. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Enak Ferlemann das Wort. ({0})

Enak Ferlemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linke hat deutlich gesagt, was eigentlich Ziel der heutigen Debatte neben dem ganzen Klamauk ist: Man will die Bahnreform stoppen. Das Problem ist nur bei den Linken: Wie immer sagen sie zwar, was sie nicht wollen, aber sie sagen nicht, was sie wollen. ({0}) - Verehrter Herr Kollege Lafontaine, Sie mit Ihrer Ahnungslosigkeit über Verkehrspolitik haben heute wieder den Beweis angetreten. Ihre Rede war ein Nichts. Es war keine einzige Lösung dabei. Gar nichts war das. ({1}) Das haben wir jedes Mal bei dieser Debatte, weil Sie von der Bahn einfach nichts verstehen. Wahrscheinlich fahren Sie auch nicht mit der Bahn. Dann kann man das natürlich auch nicht erwarten. ({2}) Ich möchte nur den vielen Menschen, die uns an den Fernsehschirmen zuschauen, erklären, warum wir die Bahnreform eigentlich so gemacht haben und warum wir sie so fortsetzen. ({3}) Sie dient nicht dazu, die Menschen zu ärgern. Von Ihnen kommen nur Fehlinformationen. Nein, die Bahnreform, die 1994 von einer großen Mehrheit dieses Hauses beschlossen wurde, wird weiter konsequent umgesetzt, weil sie richtig ist. Es wird immer vertuscht, leider auch von den Kollegen der Grünen, dass wir im Grunde genommen längst zwei Bahngesellschaften haben, nämlich eine, die ein internationaler Logistikkonzern geworden ist - mit einem Riesenerfolg -, die DB ML AG, und zum anderen Bahngesellschaften, die sich um die Infrastruktur kümmern. Nun wird so getan, als wenn in Deutschland alles dem privaten Kapital zum Fraß vorgeworfen wird. Das ist mitnichten richtig. Diese Koalition hat es nach schwierigen Diskussionen hinbekommen - da gebe ich Ihnen recht -, eine Trennung vorzunehmen. Wir lassen die gesamte Infrastruktur zu 100 Prozent beim Staat. Da wird überhaupt nichts privatisiert. Das bleibt in der Hand des Staates. Was aber teilprivatisiert werden soll, das sind die Betriebsgesellschaften. Da muss ich Sie einmal fragen: Mit welcher Berechtigung soll der deutsche Steuerzahler einen internationalen Logistikkonzern finanzieren? Das ist nicht seine Aufgabe. ({4}) Seine Aufgabe ist es vielmehr, für das Wachstum dieses großen Bereichs Kapital zu besorgen. Das machen wir über die Privatwirtschaft, und das ist richtig, und das ist gut so. ({5}) Warum ist das erforderlich, Herr Kollege Hofreiter? Auch Ihnen habe ich es von dieser Stelle aus schon mehrfach erklärt: Es ist notwendig, in der Öffnung der europäischen Märkte die Marktanteile für diese Gesellschaften zu erhalten. Wenn wir wollen, dass Europa auf der Schiene zusammenwächst, dann muss auch die DB AG in neue Züge, in neue Lokomotiven, übrigens auch in neues Personal investieren können. Dafür braucht man Geld - Geld, das der Staat dieser Gesellschaft nicht geben kann, weil wir davon für solche Zwecke nicht genug haben. Deswegen ist es richtig, eine Teilprivatisierung vorzunehmen. Die Konsequenz der Bahnreform von 1994 wird umgesetzt. Sie wird ihre Früchte tragen. ({6}) Worauf wir als öffentliche Hand, als Staat uns konzentrieren müssen, das ist die Infrastruktur. Da gebe ich Ihnen recht: Wir müssen mehr in Bahnhöfe, in Schienenwege, in die Weichen, in die Signalanlagen, in die moderne Technik investieren. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Dafür brauchen wir das öffentliche Geld. Wenn wir eine gute Infrastruktur haben, bekommen wir viel Betrieb. Wo viel Betrieb ist, ist viel Wettbewerb, und wo Wettbewerb ist, ist den Menschen gedient, weil mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert wird. Das ist eine der Kernaussagen der Bahnreform. Deshalb unser klares Fazit: Die Linken können weiterhin ihre Parolen bringen. Sie sind leider substanzlos, und leider bieten sie keine Alternative zu unserem Konzept. Deswegen wird die Bahnreform kommen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Iris Gleicke für die SPDFraktion. ({0})

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt so Tage, da verstehe ich die Welt nicht mehr. Ich gebe zu: Heute ist so ein Tag. Heute debattieren wir allen Ernstes darüber, ob ein Minister zurücktreten muss, weil er verhindert hat, dass sich ein paar Manager in einem Staatsunternehmen einen ordentlichen Schluck aus der Pulle genehmigen. ({0}) Ich verstehe das nicht. Ich sehe nicht ein, warum jemand seinen Hut nehmen soll, weil er das ganz normale und gesunde Gerechtigkeitsempfinden wie jeder andere Bürger und jede andere Bürgerin auf der Straße hat. ({1}) Manchmal kann man sich wirklich nur noch die Augen reiben. Da erklärt ein Mitglied des Aufsichtsrats der Bahn dieser Tage allen Ernstes, es sei ganz unmöglich, wie die Regierung mit der Bahn umgehe. ({2}) Er schimpft darauf, dass immer noch der Eigentümer, also wir Abgeordnete, die Bundesregierung und jeder Bürgermeister von Flensburg bis Garmisch, mitreden dürfe. Ich gebe ganz ehrlich zu: Das ist doch dreist. Jetzt sind es also die bösen Politiker. Vielleicht müsste einmal jemand dem Herrn Eggert Voscherau erklären, dass diese Politikerinnen und Politiker aller Ebenen demokratisch gewählt sind, so richtig vom Volk in freier, gleicher und geheimer Wahl. ({3}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie sich gerade so aufregen. ({4}) Es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit von uns, von diesen Volksvertretern, darauf zu achten, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger eben nicht unter die Räder der Deutschen Bahn AG geraten. ({5}) Ich will auch etwas zu Herrn Mehdorn sagen. Es ist in unserem Land geradezu zu einem Volkssport geworden, auf Herrn Mehdorn einzuprügeln. Daran will ich mich nicht beteiligen. Für mich ist Herr Mehdorn ein wirklich schwieriger - das kann ich aus langjähriger Erfahrung sagen -, aber ein anständiger Mensch, der viel für die Bahn geleistet hat. Ich glaube, das beurteilen zu können, weil ich mich immerhin anderthalb Jahrzehnte mit Verkehrspolitik beschäftigt habe. Was Sie, Frau Kollegin Lötzsch, da gerade gemacht haben, das ist unanständig. Ihre abschätzigen Zwischenrufe während der Debattenbeiträge der Kolleginnen und Kollegen hier, Herr Lafontaine, waren in meinen Augen ebenfalls unanständig. ({6}) Ich glaube, dass Mehdorn nicht mit den billigen Raffkes zu vergleichen ist, erst recht nicht mit den inkompetenten Finanzjongleuren, die versucht haben, ganze Volkswirtschaften in Schutt und Asche zu legen. Mehdorn gehört zu denen, die etwas aufbauen wollen; ({7}) aber manchmal setzt dieser Mann, wie wir alle wissen, zu echten politischen Geisterfahrten an. Ich bin froh darüber, dass wir in der Bundesregierung einen Minister haben, der sich dem regelmäßig entgegenstellt, zum Beispiel bei den Bonuszahlungen. ({8}) Es ist schon unerträglich, dass der Herr Bahnchef die Bonuszahlungen als „Möhrchen“ bezeichnet. Dazu sage ich: Nur Esel brauchen Bonuszahlungen, um in Gang zu kommen. ({9}) Erinnern Sie sich bitte mit mir an ein paar andere Dinge. Wolfgang Tiefensee war gerade einmal ein paar Tage im Amt, als Herr Mehdorn erklärte, er wolle mit der Bahnzentrale vom Potsdamer Platz nach Hamburg umziehen. Wolfgang Tiefensee und Klaus Wowereit haben das verhindert. Ich bin beiden dankbar dafür. ({10}) Das mag an meiner ostdeutschen Befindlichkeit liegen. Ich fand es nämlich überhaupt nicht lustig, dass eine der wenigen Konzernzentralen, die wir überhaupt in Ostdeutschland haben, nun auch noch in den Westen umziehen sollte. Wolfgang Tiefensee hat das gestoppt. Dann fand es Herr Mehdorn aus mir bis heute unerfindlichen Gründen nicht gut, auf den Bahnhöfen eine Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder in die Vernichtungslager und Konzentrationslager zu zeigen. Tiefensee hat sich auch in dieser Frage durchgesetzt. Heute gibt es eine solche Ausstellung. Sie wird auch im kommenden Jahr gezeigt. Im Moment ist sie im Münchener Hauptbahnhof zu sehen. ({11}) Das dritte Beispiel, das ich anführen will, ist die geniale Idee der Schaltergebühren. Sie alle können sich daran erinnern. Ich habe mich da gefragt, ob sich das die gleichen Oberstrategen der Bahn ausgedacht haben, die damals das Preissystem der Bahn reformieren wollten. Auch hier hat sich der Minister eindeutig dagegengestellt; Mehdorn hat wieder den Kürzeren gezogen. Herr Döring, ich wiederhole: Das ist kein Zeichen von Führungsschwäche, sondern ein Zeichen von Durchsetzungsstärke; denn diesen ganzen Quatsch hat Minister Tiefensee verhindert. Dafür gebühren ihm Dank und Anerkennung und vor allem die Unterstützung des ganzen Hauses. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen im Sitzungsvorstand! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Debatte in dieser Aktuellen Stunde, die wir heute ausgerechnet auf Antrag der Linken erleben, ist wirklich traumhaft; man kann sich als Redner an Ihrer Vergangenheit abarbeiten. Es tut Ihnen wirklich weh; denn als Nachfolgeorganisation der SED sind Sie dafür zuständig, dass die Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern marode war, dass es eine Deutsche Reichsbahn gab, die heute noch auf Schienen herumeiern würde, die nicht sicher sind. ({0}) Sie stellen sich hier hin und wollen die moderne Deutsche Bahn AG kritisieren. Das ist doch wirklich skurril. Erinnern tut bei Ihnen weh. Deswegen werden wir, die CDU/CSU, immer gegen das Vergessen der Bürgerinnen und Bürger ankämpfen, für welches System Sie als Nachfolgeorganisation der SED stehen. ({1}) - Herr Lafontaine, Sie können gerne mit Zwischenrufen glänzen. Sie haben sich als Vorsitzender zu diesen Schrottkönigen des 20. Jahrhunderts dazugesellt. Das spricht Bände. ({2}) Anträge der Opposition wären hilfreicher, ({3}) wenn sie uns als Verkehrspolitiker stärken würden, wenn sie nicht dazu führen würden, hier über Personen zu diskutieren und sie zu diskreditieren, sondern dazu beitragen würden - das gilt für alle Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition -, dass im Verkehrsbereich die Infrastrukturmittel ansteigen. Wenn Sie solche Anträge schreiben würden, bei denen es darum geht, dass wir alle zusammen helfen, dass die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur - in die Schiene, in die Straße, in die Wasserstraße - zustande kommen, dann wären Sie konzeptionell auf dem richtigen Weg. Sie sind es nicht, wenn Sie mit solchen Aktuellen Stunden und in der Folge mit Missbilligungsanträgen Personen diskreditieren. ({4}) Frau Kollegin Gleicke hat einige Sätze über Bahnchef Mehdorn gesagt. Jeder weiß, dass Herr Mehdorn etwas stur und seiner eigenen Person gegenüber vielleicht etwas zu unkritisch ist. Aber er führt einen erfolgreichen Konzern. Dieser Konzern - mein Kollege Enak Ferlemann hat darauf hingewiesen - agiert weltweit. Ein solcher Erfolg ist eben nur zu erreichen, wenn man ein harter Hund ist. Natürlich könnte man kritisieren, dass der Bahn-Börsengang so spät über die Bühne gehen sollte, bedingt auch dadurch, wie Mehdorn uns als Parlamentarier behandelt hat. Insofern ist er vielleicht sogar eine tragische Figur. Wenn Mehdorn im parlamentarischen Verfahren viel zügiger mitgearbeitet hätte, hätten wir den BahnBörsengang schon längst. Wir haben uns auf ein Modell verständigt, das die Trennung von Netz und Betrieb beinhaltet. Der Punkt ist, dass die Deutsche Bahn AG für die Zukunft im Betrieb Erfolg hat. Vor dem Hintergrund sollten wir in diesem Hohen Hause nicht jede Maßnahme schlechtreden, sondern den Erfolg herausstellen und vor allem auf die Deutsche Bahn AG stolz sein. ({5}) Die Deutsche Bahn AG agiert als weltweiter Logistiker über die Grenzen hinweg, und das ist auch ein Qualitätsausweis für den Standort Deutschland. ({6}) Das Ministerium, Herr Bundesminister Tiefensee, hätte manches Interview des Bahnchefs Mehdorn, zum Beispiel als er von „Möhrchen“ gesprochen hat - auch wieder ein skurriler Begriff -, etwas stärker hinterfragen können. Ich gebe also in die Diskussion hinein, dass die Kommunikation mit den Vertretern des Bundes im Aufsichtsrat offenbar nicht funktioniert hat. Das soll uns eine Lehre für die Zukunft sein. Diesen Fall möchte ich nicht für die Vergangenheit bewerten, Herr BundesDr. Andreas Scheuer minister, sondern vor allem für die Zukunft. Wir als Parlament, als Eigentümer Bundesrepublik Deutschland müssen unsere Vertreter im Aufsichtsrat beim Bahn-Börsengang so koordinieren, dass die Kontrolle auch funktioniert. ({7}) Im parlamentarischen Prozess haben wir Verkehrspolitiker uns in zig Stunden von Anhörungen - vielleicht hat das zu sehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden - fleißig Modelle um die Ohren gehauen und tagelang Experten für Experten angehört. Solcher Fleiß der Parlamentarier sollte damit belohnt werden, dass die Deutsche Bahn AG ohne Umschweife Informationen an das Parlament weitergibt. Ich verlange für die Zukunft, dass dies bei einem Bahn-Börsengang passiert, sodass die Kontrolle durch das Parlament funktionieren kann. Was Informationen zur Zukunft und zur Ausrichtung der Deutschen Bahn AG angeht, so ist das keine Holschuld der Abgeordneten, sondern eine Bringschuld der Deutschen Bahn AG. Für die Zukunft bitte ich darum, dafür zu sorgen, auch im Bundesministerium, dass diese Koordinationsarbeit von Verkehrspolitikern, Parlament und Eigentümer geleistet wird. Dann schaffen wir die Kommunikationsprobleme, die in der Vergangenheit bestanden haben, aus der Welt, dann funktioniert die Kontrolle, und dann haben wir eine erfolgreiche Deutsche Bahn AG. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Christian Carstensen. ({0})

Christian Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Stunde lang eine wirklich überflüssige Debatte erlebt. ({0}) Schlimm daran finde ich: Diese Aktuelle Stunde ist noch nicht einmal aktuell; denn bereits vor einer Woche - das ist hier schon angesprochen worden - hat die FDP das gleiche Thema schon in Antragsform gegossen. Es war also klar, dass wir heute darüber reden würden. Die Linke hat sich wieder mal nur angehängt, um billige Effekthascherei zu betreiben. Deswegen hat auch niemand von ihren Verkehrspolitikerinnen und -politikern gesprochen. Es ging nur um Klamauk. Noch schlimmer aber ist, dass von den wirklichen Problemen der Menschen kein einziges angesprochen wurde. Nun frage ich mich die ganze Zeit, die Stunde, die ich hier sitze, wie das eigentlich auf die Zuhörerinnen und Zuhörer an den Fernsehschirmen, vor dem Radio und hier auf der Besuchertribüne wirkt, also auf die Menschen, für die wir eigentlich tätig sein sollen, für die wir als Volksvertreter hier sitzen. Nun frage ich mich: Haben diese sich Politik so vorgestellt? Ich hoffe, dass zum Beispiel Sie hier auf den Besuchertribünen sagen: Nein, nein, so eigentlich nicht. - Ich befürchte aber, dass vielleicht gerade die Jüngeren sagen: Doch, na klar haben wir uns das so vorgestellt. Es ist doch klar, wir sind im Deutschen Bundestag. Da gibt es das Ritual, dass die Opposition den Rücktritt von irgendeinem Minister fordert und sich alle gegenseitig beschimpfen, aber am Ende die Mehrheit das ablehnt. Das ist ja auch egal. Hauptsache, die Opposition ist am nächsten Tag mit einer Schlagzeile in den Zeitungen vertreten. Darum geht es doch. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube nicht, dass es so sein sollte. Wir sollen hier vielmehr dafür sorgen, dass die Fragen, Interessen und Ideen der Menschen zur Sprache kommen, dass deren Probleme angesprochen werden. Das tut die Große Koalition, und das tut unser Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. ({1}) Die Verkehrspolitik wurde in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet. ({2}) - Sie sind nicht im Verkehrsausschuss, deswegen sage ich es Ihnen gerne: zum Beispiel mit dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. 1 Milliarde Euro stehen hierfür zur Verfügung. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({3}) Mit dem Masterplan „Güterverkehr und Logistik“ wurden die Weichen für einen wirtschaftlich erfolgreichen und zugleich umweltfreundlichen Güterverkehr gestellt. Flughafen- und Hafenkonzept werden folgen. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({4}) Die Verkehrssicherheit wurde deutlich verbessert: vom Alkoholverbot für Fahranfänger bis zur Nachrüstpflicht von Lkw-Spiegeln, um den toten Winkel zu verkleinern. ({5}) Noch nie gab es so wenige Verkehrstote auf deutschen Straßen nach Unfällen. Ein Erfolg für uns alle. Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({6}) Mit dem Nationalen Verkehrslärmschutzpaket wurden die Sorgen und Nöte der Menschen an großen Verkehrswegen, insbesondere an den Schienenwegen, die täglich von Verkehrslärm betroffen sind, aufgegriffen. 50 Millionen Euro standen zu Anfang dieser Legislaturperiode dafür zur Verfügung. Wir haben diesen Betrag auf 100 Millionen Euro verdoppelt. Wir werden jetzt den nächsten Schritt tun. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({7}) Klimaschutz- und Energieeinsparmaßnahmen bei Gebäuden wurden auf den Weg gebracht. ({8}) Seit 2006 wurden durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm schon über 750 000 Wohneinheiten saniert. Ganz nebenbei wurden dadurch bis zu 220 000 Arbeitsplätze erhalten bzw. neu geschaffen. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({9}) Die soziale Absicherung von rund 800 000 Mieterhaushalten wurde durch die Erhöhung des Wohngeldes verbessert. Wir sagen: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({10}) Vielleicht als letztes Beispiel: Ab 2009 werden mit der Förderung seniorengerechten Umbaus des Wohnungsbestandes die Interessen der Menschen, die auch im Alter länger in den eigenen vier Wänden leben wollen, aufgegriffen. Auch da sagen wir: Gut gemacht, Herr Minister Tiefensee! ({11}) Bei all diesen Punkten - man könnte diese Liste noch fortführen - hat der Minister unsere Unterstützung verdient und nicht irgendeinen durch Anträge hervorgerufenen Klamauk, der uns zwei Stunden von den eigentlichen Themen ablenkt. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 auf: 17 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP Missbilligung der Amtsführung und Entlassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee - Drucksache 16/10782 ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Missbilligung der Amtsführung und Entlassung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee - Drucksache 16/10918 Über die beiden Anträge werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich für die FDP-Fraktion. ({0})

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den Antrag zu sprechen komme, noch ein Wort zu Herrn Kollegen Klaas Hübner von der SPD. Das genau ist Ihr Problem, Herr Kollege Hübner. Sie blenden für sich und die SPD die Realität aus und malen sich die Welt so, wie Sie glauben, dass sie tatsächlich ist. Genau deswegen haben Sie soeben so unheimlich kraftvolle Erfolge in Bayern und Hessen gefeiert. Ihr Problem ist, dass Sie gar nicht mehr wahrnehmen, worin die eigentlichen Probleme bestehen, und versuchen, es der Opposition im Deutschen Bundestag madigzumachen, diese anzusprechen. Vielleicht denken Sie über diese Worte einmal nach. ({0}) Jetzt zum Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht nicht darum, inhaltlich die Bahnreform zu bewerten. Es geht eindeutig nur um die eine Frage: Welche Verantwortung hat ein Minister persönlich zu übernehmen, wenn etwas, was von ihm aus unserer Sicht lange Zeit vorher gewusst, gedeckt und bestätigt wurde, aufkommt? Hat er dann auch politische Konsequenzen zu ziehen? Verantwortung besteht nämlich auch in der Größe, freiwillig zurückzutreten. An dieser Stelle besteht ein Dissens. ({1}) Ich will es kurz fassen. Der Minister hat gesagt: Ich bin zwar Minister, aber beim größten verkehrspolitischen Ereignis dieser Periode spiele ich die Geschichte vom Hasen. Ich weiß von nichts. Mir sagt nämlich niemand etwas. - Das Problem ist allerdings, dass dies relativ unglaubwürdig ist, Herr Minister. ({2}) Eine Ihrer ersten Anweisungen zu Beginn Ihrer Amtszeit als Minister lautete: Auf Weisung des Ministers soll der Kopfbogen für Schreiben des Ministers geändert werden. Die Schriftgröße der Funktionsbezeichnung „Bundesminister“ wird von 9 Punkt auf 11 Punkt vergröHorst Friedrich ({3}) ßert. Die Ministerschreiben sind ab sofort mit dieser Änderung zu fertigen. ({4}) Dagegen kann man nichts einwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Minister aber, der sich so im Detail um sein Ministerium kümmert, der kann uns nicht drei Jahre später erklären, er habe eine der wesentlichen Bedingungen des Börsenganges nicht gewusst. ({5}) Der Aufsichtsrat ist nicht vom Himmel gefallen. Alle Mitglieder des Aufsichtsrates sind von der Bundesregierung benannt und bestimmt worden. Unter den Aufsichtsratsmitgliedern gibt es auch drei Staatssekretäre. ({6}) Im Aufsichtsrat vertreten sind das Verkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium. ({7}) Überraschenderweise haben offensichtlich die Minister für Finanzen und Wirtschaft von ihren Staatssekretären gewusst, dass es Bonuszahlungen gibt; denn bis Dienstag vergangener Woche haben diese beiden Minister mehrfach öffentlich erklären lassen, sie hätten kein Problem mit den Bonuszahlungen. Spätestens dann hätte der dritte und federführende Minister wissen müssen, dass Bonuszahlungen vereinbart worden sind. Herr Tiefensee ist sowieso der Rekordminister. Wenn ich mich richtig erinnere, ist Herr Tiefensee der erste Minister, der in seiner Amtszeit drei Staatssekretäre entlassen hat. Begonnen hat er mit Ralf Nagel, dann kam Jörg Hennerkes und jetzt Matthias von Randow. ({8}) Wie viele Staatssekretäre muss er noch aus dem Amt entlassen, bis er endlich selbst die Konsequenzen zieht? Das ist das eigentliche Problem. ({9}) Er hat Matthias von Randow Ende Oktober mit der öffentlichen Aussage entlassen, er habe erst vor wenigen Tagen erfahren, dass es Bonuszahlungen gibt. Dieser Termin wurde dann auf den 2. Oktober, auf den Termin der Veröffentlichung des Börsenprospekts vorverlegt. Daraufhin kam die Antwort aus dem Hause Tiefensee, diesen habe er noch nicht gelesen. Mittlerweile gesteht er wenigstens zu, dass er seit Mitte September weiß, dass Bonuszahlungen vereinbart worden sind. Herr Minister, ehrlich gesagt glauben meine Fraktion und ich Ihnen das nicht; denn am 27. August hat im Verkehrsministerium eine Abteilungsleiterkonferenz stattgefunden - das Protokoll liegt vor -, an der der Minister teilgenommen hat. Unter anderem hat der Hauptabteilungsleiter E. zur Teilprivatisierung mitgeteilt, der Börsenprospekt sei am 27. August 2008 der BaFin übersandt worden, die Erstellung des Börsenprospekts sei intensiv von BMVBS, BMF und BMWi begleitet worden, und die Zusammenarbeit der Ressorts sei sehr kooperativ gewesen. Selbst wenn in dem Protokoll nicht steht, dass der Herr Minister etwas davon wusste, spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man wenigstens nachfragen können, was im Börsenprospekt steht. ({10}) Deswegen bleibe ich dabei: Die Beschlusslage für die Bonuszahlungen ist nicht vom Vorstand vorgegeben worden, sondern diese hat der Personalausschuss des Aufsichtsrates bestätigt. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Bahnprivatisierung, dass es von Aufsichtsratssitzungen kein Protokoll im Verkehrsministerium gegeben hätte. Es würde mich sehr überraschen, wenn dem so wäre. Die Realität sieht doch völlig anders aus. Es gibt noch ein weiteres Problem. Offensichtlich hat der Minister gemerkt, dass Bonuszahlungen für die Bevölkerung anrüchig sind. Diese Haltung kann man vertreten. Aber die Bedingungen für diese Zahlungen hat der Minister mitbestimmt. Wenn man Bonuszahlungen ausschließlich davon abhängig macht, dass ein gewählter Vorstand den Börsengang überhaupt schafft, dann darf man sich nicht wundern, dass es Widerspruch gibt. Wer ist eigentlich in der Lage, Berechnungsgrößen festzulegen? Warum kommt aus dem Hause Tiefensee nicht die Vorgabe, dass es Bonuszahlungen erst ab einem Börsenwert von beispielsweise 8 Milliarden Euro gibt und dass man bei einem Börsenwert von unter 5 Milliarden Euro erst gar nicht über das Thema zu reden braucht? - Was macht der Minister? Von ihm ist dazu nichts zu hören. Am Mittwoch letzter Woche wurde uns gesagt, dass es keine Bonuszahlung gibt, weil der Börsengang nicht stattfindet, und dass deswegen der Minister auch keine Verantwortung übernehmen muss. Vom Kollegen Lippold haben wir heute gehört, dass das Kanzleramt diese Position korrigiert hat; denn der Börsengang ist nicht abgesagt. Damit sind auch die Bonuszahlungen nicht vom Tisch. Der Aufsichtsratsbeschluss gilt also noch. Ich habe schon letzte Woche gefragt, wann der Minister gedenkt, den Aufsichtsratsbeschluss zu ändern. Als Antwort konnte man immer nur die gleiche Platte hören: „Das Vertrauensverhältnis ist gestört, das Vertrauensverhältnis ist gestört, das Vertrauensverhältnis ist gestört.“ Es gibt aber keine konkrete Antwort auf die Frage, wann es eine Initiative des Ministers gibt. ({11}) Offensichtlich ist das Problem noch nicht gelöst. Nun kann man sagen: Er hat mal wieder Glück gehabt. Durch die famosen Vorgänge bei der kraftvollen Horst Friedrich ({12}) SPD in Hessen ist sein Stuhl ein bisschen sicherer geworden. Aber Realität ist weiterhin: Der Minister bleibt angeschlagen; er ist einer der schwächsten Verkehrsminister, die diese Republik je erlebt hat. ({13}) Wenn der Minister noch einen Funken Anstand hat und demokratische Spielregeln für ihn wichtig sind, dann sollte er den Hut nehmen und zurücktreten. Sich allein aufgrund der Mehrheit der Großen Koalition am Stuhl festzuhalten, trägt nicht. Der Minister ist angeschlagen. Die Verkehrspolitik in Deutschland hat einen besseren Minister verdient. Danke. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich weise den Antrag der FDPFraktion auf Entlassung des Bundesverkehrsministers zurück und nehme Bezug auf all das, was meine Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion vorhin in der Aktuellen Stunde gesagt haben. Der Minister hat klar und deutlich auf alle Fragen sowohl im Verkehrsausschuss als auch im Haushaltsausschuss geantwortet. ({0}) Meine Damen und Herren von der Opposition, was ich nicht zurückweisen kann und will, ist die generelle Kritik der Bürger an der Schienenverkehrspolitik in Deutschland. Menschen fragen uns, wer denn eigentlich über die Schienenverkehrspolitik in Deutschland bestimmt: Aufsichtsräte, Manager und Vorstände oder die von uns gewählten Politiker? Weil wir auf dieses Unbehagen reagieren müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, insbesondere von der FDP, bitte ich Sie, das Vertrauensverhältnis bei der Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, den Koalitionsfraktionen und dem Minister nicht weiter zu belasten. Die Kritik der Bevölkerung sollte vielmehr aufgenommen und beantwortet werden. Ja, die Schiene hat in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren. Wir müssen uns überlegen, wie wir als Verkehrspolitiker und wie die Politik im Allgemeinen wieder mehr Einfluss auf die Gestaltung der Schienenverkehrspolitik in Deutschland nehmen kann. Da muss man zunächst die Frage stellen, was eigentlich Schienenverkehrspolitik in Deutschland ist. Ich beginne damit, festzuhalten, was sie nicht ist. Das Unternehmen Schenker, das in Deutschland, Europa und in der Welt mit Lkw Güter auf der Straße transportiert, gehört nicht zu dem Bereich, mit dem sich die Schienenverkehrspolitik beschäftigt. Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, auf den Schienen Güter von A nach B zu transportieren. Wir haben heute Hunderte von leistungsfähigen, guten Unternehmern, die beweisen, dass man mit unternehmerischem Mut und Kraft sehr gute Angebote im Güterschienenverkehr machen und sehr große Erfolge erzielen kann. Ich habe in meinem Wahlkreis einen Unternehmer, der vor wenigen Jahren am Bahnhof von Hof Flächen gepachtet und einen Containerterminal errichtet hat. Dieses Unternehmen transportiert heute täglich Container von Hof in Bayern in den Hamburger Hafen. Dazu braucht er den Staat nicht. Das kann ein Unternehmer leisten; das ist nicht Aufgabe des Staates. Ist es Aufgabe des Staates, Personenverkehr auf der Schiene zu verantworten? Ja, das ist Aufgabe des Staates. Deswegen tut das der Staat auch, indem der Bund Jahr für Jahr Milliarden an die Länder auszahlt und die Länder über Ausschreibungen Schienenverkehr für Personen organisieren und einkaufen. Ich halte es für überflüssig, dass der Staat selber Fahrzeuge kauft und Beamte diese Fahrzeuge fahren lässt. ({1}) Es reicht vielmehr aus, wenn der Staat die Ausschreibung vornimmt und im Wettbewerb leistungsfähige Unternehmen gewinnt. An den Bahnhöfen dieser Republik können Sie viele verschiedene leistungsfähige Verkehrsunternehmen in allen Farben sehen, die dieses Angebot des Staates in die Realität umsetzen. Der Betrieb auf der Schiene ist keine Staatsaufgabe. Das kann im Wettbewerb erfolgen, und es erfolgt im Wettbewerb. Schienenverkehrspolitik bedeutet - hier fordere ich einen höheren Einfluss der Verkehrspolitiker als in der Vergangenheit, als in den letzten 10, 15 Jahren, die übrigens auch die FDP und die Grünen während ihrer Regierungszeit mitzuverantworten haben - eine Verstärkung der Daseinsvorsorge, der Zurverfügungstellung von Infrastruktur: ({2}) Leistungsfähige Schienen, elektrifizierte Schienen, saubere Bahnhöfe - das sind die entscheidenden Dinge, die der Staat, der Bund, ({3}) gewährleisten muss. Hier sind die entscheidenden Aufgaben der Politik. Wir haben in dieser Woche - der Herr Minister hat dazu eine Pressekonferenz abgehalten - eine unterschriftsreife Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorgelegt bekommen, mit der der Einfluss der Politik auf Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) den Schienenverkehr gestärkt wird. Wir haben in dieser Woche ein Sonderprogramm dieser Bundesregierung in Milliardenhöhe vorgelegt bekommen, in dem mehr Ausgaben für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Schieneninfrastruktur in Deutschland vorgesehen sind. So wird die Schienenverkehrspolitik in Deutschland gestärkt. Ich halte es für dramatisch, dass es uns in der Vergangenheit nicht gelungen ist, wichtige Schienenverbindungen in Deutschland instand zu setzen oder auf Vordermann zu bringen, Schienenverbindungen, die notwendig sind, um den Investitionsstandort Deutschland zu erschließen. Ich nenne nur als Beispiel die Verbindung München-Mühldorf-Freilassing. Die chemische Industrie will in dieser Region Investitionen in Milliardenhöhe tätigen. Sie kann diese Investitionen nicht vornehmen, weil wir keine leistungsfähige Schienenverbindung haben. Dort muss der Staat handeln. ({5}) Der Minister selber hat den Bau einer dritten Startbahn auf dem Flughafen München als ein Projekt von nationaler Bedeutung bezeichnet. Wir können dies den Menschen nur zumuten, wenn wir auch die Frage beantworten, wie dieser Flughafen an ein leistungsfähiges Schienennetz angebunden wird, weil wir den Menschen, die in der Umgebung dieses Flughafens wohnen, alles andere nicht zumuten können. Hier besteht Handlungsbedarf in der Schienenverkehrspolitik. Das Gleiche gilt für den Güterbereich. Hier haben wir die Problematik, dass wir die Güter aus unseren Häfen in Hamburg, Bremen und von wo auch immer nicht schnell genug herausbringen, weil leistungsfähige Verbindungen nach Süden fehlen. Der Güterverkehrsknoten Fürth ist überlastet. Wir schaffen es nicht, es über den Bau eines Bypasses zwischen Reichenbach im Vogtland, lieber Kollege Günther, Hof und Regensburg zu ermöglichen, Güter möglichst schnell und leistungsfähig auf der Schiene zu transportieren. ({6}) Hier muss die Schienenverkehrspolitik handeln. Wir müssen begreifen, was Kollege Ferlemann gesagt hat: Die Deutsche Bahn AG besteht heute aus zwei Unternehmen: Das erste Unternehmen ist ein internationaler Logistikkonzern. Dieser kann sehr gut und beeindruckend im Wettbewerb agieren. Deswegen kann er auch privatisiert werden, und zwar zu einem Zeitpunkt und in einer Form, dass er das Geld einbringt, das er wert ist. Dieses Geld muss in die Schieneninfrastruktur in Deutschland reinvestiert werden. Das zweite Unternehmen ist die Staatsaufgabe Infrastruktur. Hier muss der Einfluss der Politik stärker werden. ({7}) Wir müssen die Trennung von Netz und Betrieb über den erreichten Stand hinaus vorantreiben, ohne - ich sage das ausdrücklich - den konzerninternen Arbeitsmarkt zu gefährden. Das haben wir mit den Gewerkschaften vereinbart. Das haben wir ihnen versprochen. Dazu müssen wir stehen. Ob es richtig ist, dass der Vorstandsvorsitzende der Betriebsgesellschaft DB ML, Herr Mehdorn, gleichzeitig der Vorstandsvorsitzende der Infrastrukturgesellschaft ist, daran mache ich ein großes Fragezeichen. ({8}) Wir sollten uns überlegen, wie wir eine klare Trennung von Netz und Betrieb auf den Weg bringen können. Das doppelte Lottchen Mehdorn halte ich für keine günstige Lösung. Lassen Sie mich zu Herrn Mehdorn aber etwas Allgemeines sagen: Ich schätze diesen Mann in besonderer Weise. Er hat als kluger und hervorragender Manager dieses internationale Unternehmen auf Vordermann gebracht. Die Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens ist beeindruckend. Er hat zum Wohle seines Unternehmens und zum Wohle der Arbeitnehmer die Spielräume genutzt, die ihm die Politik eingeräumt hat, die wir alle ihm eingeräumt haben. Nun müssen wir die Frage stellen: Wo müssen wir die Grenze für ihn ziehen? Die Grenze ist an der Stelle zu ziehen, an der wir jetzt die Trennung auf den Weg bringen sollten. Ich hoffe, dass wir das mit Unterstützung der Grünen - Ihr Beifall hat bei mir Optimismus aufkommen lassen -, aber auch mit Unterstützung der FDP machen werden. Herr Minister, ich bin überzeugt, dass Sie, wenn wir dieses Thema vorantreiben, die wohlwollende Unterstützung dieser beiden Oppositionsfraktionen gewinnen werden. Dann wird der Antrag, der heute von der FDP gestellt wird, obsolet sein. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Oppositionsfraktionen missbilligen die Amtsführung von Minister Tiefensee und fordern seine Entlassung. Ich sage ganz deutlich: Das Problem ist nicht nur Minister Tiefensee, sondern mindestens gleichermaßen Bahnchef Mehdorn. ({0}) Was Rücktritte überfällig macht, sind die unerträglichen Ereignisse der vergangenen Wochen. Wir haben schon einiges gehört, was ich nicht wiederholen möchte. Ich nenne nur das Stichwort Bahn-Bonuszahlungen. Gibt es Konsequenzen, etwa Initiativen aus dem Ministerium zur Rückgängigmachung dieses Beschlusses? Fehlanzeige. Wenn der Minister es zulässt, dass ein ihm unterstelltes Staatsunternehmen - das ist die DB AG noch - ihm auf der Nase herumtanzt, dann hat das nichts mehr mit Autorität zu tun, dann ist keine Autorität mehr vorhanden. ({1}) Das gilt insbesondere dann, wenn die Bahn-Führung nicht einmal davor zurückschreckt, Minister, Regierung und Parlamentarier medial zu kritisieren, sogar mit Klagen droht. Allein dafür hätten Minister Tiefensee und Kanzlerin Merkel Herrn Mehdorn und andere Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates längst entlassen müssen. ({2}) Das ist aber nur möglich, wenn man gegenüber Herrn Mehdorn handlungsfähig ist. Im Fall der Bahn ist die Bundesregierung aber offensichtlich - das wird immer deutlicher - nicht mehr Herr im eigenen Haus. Hier wedelt ganz eindeutig der Schwanz mit dem Hund und nicht umgekehrt. Der DB-Vorstand und nicht das Haus Tiefensee - das ist von Kollegen der Koalition angesprochen worden - macht in diesem Land Bahnpolitik. Das Parlament hat bei der Teilprivatisierung nichts mehr zu sagen, ({3}) obwohl das 1994 eigentlich ganz anders verabredet wurde. Konsens war, dass alle Schritte im parlamentarischen Verfahren vollzogen werden. Nicht umsonst setzt das Grundgesetz für Privatisierungsaktionen bei der Bahn enge Grenzen: Die Bahn ist und bleibt Daseinsvorsorge. ({4}) Politik am Parlament vorbei wurde auch bei den Bahn-Immobilien gemacht. Ich will dieses Thema nur ganz kurz anreißen. Ich nenne das Beispiel Aurelis. Es ist eine Bankrotterklärung des Hauses Tiefensee, dass Grundstücke der Bahn, zusammengefasst in der Firma Aurelis, mit einem Wert von insgesamt einigen Milliarden Euro, ohne das Parlament zu informieren, nebenbei verkauft und verhökert wurden. Wir sind nach wie vor zusammen mit anderen mit der Aufklärung dieses Vorgangs beschäftigt. Alles deutet darauf hin, dass wir uns damit noch einmal sehr ernsthaft und konsequent auseinandersetzen müssen. All dessen ungeachtet machen Mehdorn und Tiefensee weiter mit dem Ausverkauf, mit den Versuchen, fremdes Kapital an der Bahn zu beteiligen. Bis heute wird uns das Märchen erzählt, es werde um Geldgeber gerungen, die ein Interesse an der Bahn haben. Die Wahrheit ist aber: Hier werden Kapitalgeber in Kauf genommen, die innerhalb weniger Jahre das Doppelte und Dreifache dessen herausholen wollen, was sie reinstecken. Hart am Rande des Zulässigen durfte Herr Mehdorn versuchen, die Bahn umzustrukturieren und die Mobility Logistics AG zu gründen, die nun an die Börse gehen soll. Weil das aufgrund der Weltfinanzmarktkrise nicht genug bringen würde, ist jetzt sogar im Gespräch, doch an der Börse vorbei zu privatisieren und anders zu veräußern. Das ist in unseren Augen Politik nach Feudalherrenart und einer Demokratie unwürdig. ({5}) Schon im April dieses Jahres haben die Verkehrsminister der Länder bei einem Treffen in Wernigerode Herrn Tiefensee zu Recht die gelbe Karte gezeigt. Sie fühlten sich genauso wenig einbezogen wie wir Parlamentarier. Das ist ein Beweis dafür, dass die Koalition parlamentarische Kontrolle und Beteiligung offensichtlich gering schätzt. Das ist deutlich zu kritisieren. ({6}) Über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die uns diese Woche vorgelegt wurde, wurde schon gesprochen. Sie beinhaltet, dass wir über 15 Jahre jährlich 2,5 Milliarden Euro an die Bahn geben sollen. ({7}) Mehdorn hat es nicht fertiggebracht, dass wir bis heute einen Netzzustandsbericht bekommen, der seinen Namen verdient. Ich möchte erst einmal wissen, was mit dem Geld in der Vergangenheit passiert ist, bevor wir beschließen, weitere Milliarden Steuergelder bereitzustellen. ({8}) Man könnte wirklich den Verdacht bekommen, dass diese Finanzzusagen nur Investoren locken sollen, dass das die Motivation ist. Das Versagen des Ministers Tiefensee geht weiter. Es betrifft auch andere Großprojekte, wie zum Beispiel das Berliner Stadtschloss. Ich kann das nicht im Detail ausführen. Es betrifft auch Stuttgart 21. Immer wieder erleben wir, dass Großprojekte verfolgt werden, statt Verkehrsinfrastruktur in diesem Land zu erhalten und für die Bürger zur Verfügung zu stellen. ({9}) Großprojekte berauben uns der Möglichkeiten, Infrastruktur für Menschen auszubauen. Ich nenne nur das Berliner Stadtschloss, die A 39, Stuttgart 21 oder die für die Lösung der Probleme ungeeignete Y-Trasse. ({10}) Notwendig ist die Sanierung der bestehenden Infrastruktur, zum Beispiel der Schiene und der Straße. Der Ausbau von Lkw-Stellplätzen an der Autobahn ist nötig, um die Arbeitsbedingungen und die Verkehrssicherheit an den Autobahnen für die dort arbeitenden Menschen und alle, die dort unterwegs sind, zu gewährleisten. All das sind Versäumnisse des Ministers. ({11}) Aus unserer Sicht ist das Elementarste, was man von einem Verkehrsminister erwarten kann, dass er die Probleme der Menschen, die tagtäglich unterwegs sind, löst. Sie sind nicht angegangen worden. Von daher unterstützen wir den Antrag der Oppositionsfraktionen. Ich danke Ihnen. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Döring das Wort.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Friedrich - ich meine Hans-Peter Friedrich von der CDU/CSU -, ich muss noch einmal auf Ihre Bemerkung zum doppelten Lottchen zurückkommen, auf Ihre kritische Bemerkung, dass es vielleicht nicht zu einer stärkeren Interessentrennung zwischen Netz und Betrieb kommt, wenn der Vorstandsvorsitzende personenidentisch ist. Im Gegensatz zum Bundesminister habe ich den Börsenprospekt gelesen. ({0}) Darin steht - ich lese das jetzt einmal vor -: Zur Sicherung einer integrierten Konzernführung ist beabsichtigt, dass der Vorstand der DB ML AG und der Vorstand der DB AG ihre Vorstandssitzungen regelmäßig gemeinsam durchführen. Sind Sie mit mir der Meinung, dass auch dieser Satz aus dem Börsenprospekt sehr dafür spricht, dass die von der CDU/CSU und auch von der FDP beabsichtigte Interessentrennung zwischen Netz und Betrieb gar nicht gewollt ist? ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwiderung, Kollege Friedrich.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Döring, Sie haben auf einen wichtigen Punkt hingewiesen. Sie wissen, dass der Börsengang verschoben worden ist. Man sollte jetzt die Gelegenheit vor dem nächsten Anlauf, den wir nehmen werden, sobald der DAX auf 8 000 Punkte - ich glaube, diesen Wert sollte er erreichen - gestiegen ist, nutzen, ({0}) weitere Änderungen, notfalls auch am Börsenprospekt, vorzunehmen, die wir als Politiker für richtig halten. Wir müssen uns allerdings gut überlegen, welche Schritte wir im Einzelnen vorschlagen. Ich bin dezidiert dafür, eine Interessenverquickung zwischen der DB ML und der DB AG zu untersagen und nach Möglichkeit eine Personalunion in den Vorständen zu vermeiden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Kurzintervention hat nun der Kollege Ferlemann das Wort.

Enak Ferlemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Menzner, ich möchte Sie noch einmal direkt ansprechen. Ich hatte das schon mit einem Zwischenruf gemacht, aber Sie haben die von mir angemahnte Korrektur nicht vorgenommen. Deswegen will ich Sie in dieser Form ansprechen. Sie haben behauptet, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung würde einen Zeitraum von 15 Jahren umfassen. Sie haben am Dienstag dieser Woche den aktuellen Entwurf der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung erhalten. Sie haben schon am gestrigen Mittwoch mit uns gemeinsam eine Anhörung zu dieser Leistungsund Finanzierungsvereinbarung beschlossen, kennen also die Inhalte. Ich darf § 23 Abs. 1 der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung - Vertragsdauer und Kündigung - zitieren: Diese Vereinbarung tritt am 1. Januar 2009 in Kraft. Sie hat eine feste Laufzeit bis zum 31. Dezember 2013. Nach meiner Rechnung sind das 5 Jahre, nicht 15 Jahre. Angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit bitte ich Sie, sich dafür zu entschuldigen und die Korrektur hier vorzunehmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Menzner hat das Wort.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Ferlemann, Sie haben eben gesagt, wir hätten die Unterlagen - sie umfassen einen Leitz-Ordner - am Dienstag bekommen. Ich kann es konkretisieren: Dienstag, 19.40 Uhr. Mittwoch früh war die Ausschusssitzung. Wahrscheinlich waren auch Sie nicht in der Lage, das in Gänze zur Kenntnis zu nehmen. ({0}) Es kann gut sein, dass mir ein Fehler unterlaufen ist. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir mit dieser Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung langjäh20020 rig hohe Zahlungen an die DB festlegen und beschließen wollen. ({1}) Auf der anderen Seite wurde uns bis heute - das hat auch der Minister nicht geschafft - kein Netzzustandsbericht aus dem Hause Mehdorn vorgelegt, anhand dessen wir kontrollieren könnten, ob die in der Vergangenheit geflossenen Steuergelder wirklich zweckbestimmt verwendet wurden. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat der Kollege Klaas Hübner für die SPD-Fraktion das Wort.

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eben eine Aktuelle Stunde zum gleichen Thema gehabt. Da habe ich gesagt, es mache wenig Sinn, hier eine Showveranstaltung zu machen. Dass das eine ist, das hat Herr Ferlemann eben klargemacht. Frau Menzner, jedem können Fehler passieren. Aber wenn Sie sich explizit darauf berufen, was irgendwo steht, obwohl Sie es vorher nicht gelesen haben, dann ist das, gelinde gesagt, eine schlechte Vorbereitung. Damit zeigen Sie auch deutlich, dass Sie dieser Debatte inhaltlich nichts beimessen, sondern dass Sie einfach nur eine Showveranstaltung machen wollen. Deswegen wäre es am einfachsten, wenn wir alle unsere Redebeiträge aus der Aktuellen Stunde zu Protokoll geben würden; denn es wird bei dieser Debatte das Gleiche herauskommen. Damit wäre der Sache dann am besten gedient. Aber Sie haben doch etwas gesagt, worauf ich noch eingehen möchte. Frau Menzner, Sie haben wieder einmal erklärt, dass die DB AG eine Institution der Daseinsvorsorge ist. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass seit 1994 die DB AG de facto privatisiert ist und dass die Länder über die Regionalisierungsmittel selber entscheiden, bei wem sie Fahrleistungen bestellen. Das muss nicht bei der DB AG sein. Das können sie auch bei jedem anderen Unternehmen tun. Diese Aussage ist sachlich richtig. Aber Sie tun immer wieder so, als ob die DB AG für die Daseinsvorsorge zuständig ist. Nein, wir sind es, die das über das Netz darstellen müssen. Die Länder können entscheiden, bei wem sie Fahrleistungen bestellen wollen. Hören Sie auf, die Menschen mit solchen unsachlichen und unrichtigen Aussagen zu verunsichern. ({0}) Da ich in der Tat auf das verweisen kann, was ich schon in der anderen Debatte gesagt habe, möchte ich nur kurz auf die Anträge der Urheber dieser Debatte, der FDP und der Kopisten, der Grünen, eingehen, in denen die Entlassung des Ministers gefordert wird. Die Grundlage in dieser Debatte ist für uns die Frage: Was haben wir im Koalitionsvertrag beschlossen, und was ist davon abgearbeitet? Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm sollte aufgestockt werden; das ist erfolgt. Den Masterplan Güterverkehr und Logistik, ein wichtiges Projekt, hat der Minister gerade erst umgesetzt bzw. auf einen guten Weg gebracht. Die Verkehrsinvestitionen wurden erhöht. Im Jahre 2005 betrugen sie 9 Milliarden Euro, im Jahre 2009 werden sie bei 11 Milliarden Euro liegen. Die Erhöhung der Mittel für die Eisenbahninfrastruktur ist über die LuFV erfolgt. Der Vertrag über die Fehmarnbelt-Querung wurde abgeschlossen. Ich könnte diese Aufzählung ewig fortführen. Kurzum: Herr Minister, Sie haben die meisten Punkte, die im Koalitionsvertrag enthalten sind, abgearbeitet; dafür danken wir Ihnen. Darum haben wir keinerlei Grund, den vorliegenden Anträgen zuzustimmen. Im Gegenteil, wir müssen sagen: Wir haben einen guten Minister, und wir stehen hinter Ihnen; wir sind an der Stelle bei Ihnen. ({1}) - Ja. Das gilt übrigens auch für den Ausschuss. Dort hat er seinerzeit die Bonifikationen thematisiert. Auch in diesem Fall hat der Minister richtig gelegen. Der Kollege Carstensen hat im Ausschuss gefragt: Wer in diesem Parlament ist eigentlich nicht der Meinung des Ministers, dass die Bonifikationen nicht in Ordnung sind? Alle haben gesagt - auch Sie -, dass sie der Meinung des Ministers sind. Darum sage ich Ihnen: Geben Sie sich einen Ruck, und loben Sie den Minister dafür, dass er ein wichtiges Thema auf die richtige Art und Weise angesprochen hat! Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Fritz Kuhn.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Formulierung, dass die SPD hinter Ihnen steht, können Sie, Herr Minister, natürlich auch als Drohung verstehen. Sie mussten ja selbst lachen, als Sie sahen, dass diese Deutung gerade in Ihren eigenen Reihen aufkam. Ich will Ihnen erklären, warum wir diese Debatte führen und warum wir unseren Antrag gestellt haben. Das Parlament kontrolliert die Regierung. Die Regierungsfraktionen haben bezüglich der Personalauswahl einen besonderen Auftrag. Sie müssen prüfen, ob sie das richtige Personal ausgewählt haben. Wenn eine Regierungsfraktion, in diesem Fall die SPD, nicht in der Lage ist, diese Verantwortung wahrzunehmen, dann ist es, wenn es um den Vorwurf schwerer Verfehlungen im Amt geht, Aufgabe des Parlaments, die Frage zu stellen, ob ein Minister eigentlich geeignet ist oder nicht. ({0}) Wir diskutieren jetzt nicht über die Frage: Bahn-Privatisierung - ja oder nein? Ich jedenfalls tue das nicht. Das haben wir an anderer Stelle getan. Wir wollen jetzt nur darüber diskutieren, ob Minister Tiefensee in der Lage ist, sein Amt ordnungsgemäß zu führen oder nicht. ({1}) Minister Tiefensee hat uns in diesem Hause mehrfach erklärt - auch Frau Merkel hat das in ihren Regierungserklärungen immer wieder betont -, dass der Börsengang der Bahn eines der wichtigsten Verkehrsprojekte dieser Legislaturperiode ist. Das wurde uns erklärt. Nach vielem Hin und Her hat man sich auf eine bestimmte Form der Privatisierung geeinigt. Diese Einigung wurde allerdings nicht in Form eines Gesetzes festgehalten, sondern lediglich per Beschluss. Jetzt fragen wir uns natürlich: Wird dieser Beschluss ordentlich umgesetzt, wie von der Mehrheit des Parlaments gewünscht: ja oder nein? Ich sage Ihnen: Die Auseinandersetzungen um den Börsengang der Bahn - genauer: um den Börsenprospekt und die darin erwähnten Bonuszahlungen - sind ein Beispiel dafür, dass Minister Tiefensee dieses Thema von Anfang an nicht beherrscht hat. ({2}) Ich beginne mit der Frage: Seit wann hat er davon gewusst? Zuerst hörten wir: seit Anfang Oktober. Dann hat man sich korrigiert, und es hieß: seit Mitte September. Der entscheidende Punkt ist aber, dass am 27. August dieses Jahres eine Abteilungsleiterkonferenz stattgefunden hat; Kollege Friedrich hat dies bereits erwähnt. An dieser Konferenz, in der der Entwurf des Börsenprospektes Verhandlungsgegenstand war, hat auch Minister Tiefensee teilgenommen. Wie in der Ausschussdiskussion deutlich wurde, gab es dazu keine Leitungsvorlage. Das muss man den Leuten erklären: Unter „Leitungsvorlage“ ist zu verstehen, dass der Minister von seinen Mitarbeitern, zum Beispiel von seinem Staatssekretär, vor der Sitzung aufgeschrieben bekommt, auf welche wichtigen Punkte er in der Abteilungsleiterbesprechung zu achten hat. Ich frage Sie, Herr Minister: Was sind Sie eigentlich für ein Minister, wenn Sie an einer Abteilungsleiterbesprechung, in der der Börsenprospekt Thema ist, teilnehmen und vorher nicht wissen, um was es dabei geht - noch letzte Woche waren Sie im Ausschuss regelrecht stolz darauf, dass Sie den Börsenprospekt nicht kennen -, und wenn Sie dazu keine Leitungsvorlage haben? Was machen Sie eigentlich in Abteilungsleiterbesprechungen, Herr Tiefensee? ({3}) Schauen Sie in Ihren SMS nach, ob Sie jemand gelobt hat und, wenn ja, wer? Was veranstalten Sie dort eigentlich? Aus diesem Grund ziehen wir die Schlussfolgerung - es tut mir leid, dass ich sie Ihnen nicht ersparen kann -, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder haben Sie gelogen, als es um die Frage ging, seit wann Sie den Börsenprospekt kennen und über die Bonuszahlungen Bescheid wissen, oder Sie sind so unverschämt ahnungslos und unfähig, dass Sie nicht wissen, worauf es bei der Amtsführung konkret ankommt. ({4}) Es soll übrigens auch welche geben, die eine Kombination von beiden Möglichkeiten, also lügen und ahnungslos sein, nicht ausschließen. Darüber will ich aber nicht richten. Wir haben den Eindruck, dass Sie Ihr Amt nicht einfach nur fahrlässig führen, sondern dass Sie mit grobem Vorsatz lange gar nicht wissen wollten, was im Börsenprospekt steht und was es mit den Bonuszahlungen auf sich hat. ({5}) Herr Tiefensee, wir haben die These, dass Sie es längst gewusst haben, dass es Sie aber nicht gestört hat. Dafür spricht übrigens auch, dass Sie Ihren Staatssekretär, Herrn von Randow, noch am 2. Oktober 2008 damit beauftragt haben, Sie auf einer Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate zu vertreten, zu einem Zeitpunkt also, über den Sie uns später erzählt haben, dass das Vertrauensverhältnis da schon komplett gestört war. Das ist auch eine gute Story: Er schickt ihn als Vertretung von sich selber auf eine Dienstreise, erklärt aber hinterher, dass das Vertrauensverhältnis da schon zerstört gewesen sei. Weil Sie so mit Staatssekretären umgehen, wie dies durch dieses Beispiel gelehrt wird, wundert sich in diesem Hause niemand mehr darüber, welch schlechten Ruf Sie auch im Verkehrsministerium haben. ({6}) Um zu wissen, dass das so ist, muss man ja nur einmal die Spitznamen recherchieren, die in Ihrem Hause für Sie kreiert worden sind. Später haben Sie im Zuge der Finanzkrise gemerkt - das erklärt die ganze Show -, dass das Thema Bonuszahlungen und Gehälter eine große Rolle spielt, und Sie haben sich gedacht, dass Sie einen populistischen Nutzen für Ihr ansonsten angeschlagenes Image daraus ziehen können. Vor lauter Aufregung haben Sie den Börsengang im Ausschuss dann ganz versenkt: Er findet nicht statt, hurra; ich fühle mich bestätigt, ich habe die Boni abgeschafft. ({7}) Das kommt mir so vor, als ob jemand ein ganzes Haus zusammenhaut, um irgendwie mit einer Maus zurechtzukommen, die ihn stört. Herr Minister, das ist aber keine Amtsführung, sondern einfach kläglicher Populismus und nichts sonst. ({8}) Herr Tiefensee, deswegen haben wir den Antrag der FDP richtig gefunden und unterstützt. Dass es zwei gibt, sei dahingestellt. Sie meinen das Gleiche. Was Sie nicht nur in diesem Finale der letzten Wochen, sondern generell in den drei Jahren geliefert haben, ist nach unserer Überzeugung peinlicher Murks und Mist. Um mit Max Weber zu sprechen: Sie werden nicht aus Leidenschaft in der Sache getrieben - in der Verkehrspolitik -, sondern was Sie kennzeichnet, ist das, was Max Weber „sterile Aufgeregtheit“ genannt hat. Ansonsten könnten Sie Ihr wichtigstes Projekt dieser Legislaturperiode, den Börsengang, nicht mir nichts, dir nichts in den Sand setzen und abräumen und müssten Sie wissen, wie die Lage in der Koalition bei diesem Thema tatsächlich ist. ({9}) Deswegen fordern wir Frau Merkel auf - der Antrag geht ja an die Regierung -, dass sie Sie entlassen soll. Ich verstehe die CDU/CSU, warum sie sich dabei so passiv verhält, liebe Genossinnen und Genossen, nämlich weil sie sich natürlich sagt: Ein dermaßen lausig schwacher Minister ist im Wahljahr gut für uns. ({10}) Ich kann aber nicht verstehen, mit welchem Grad der Selbstverachtung Sie als SPD nach den eklatanten Verfehlungen von Minister Tiefensee immer noch sagen, wie toll er ist. Die Reden, die ich vorhin dazu gehört habe, waren doch geradezu peinlich. Solange Sie nicht bereit sind, einem Minister, der sein Amt nicht führen kann, zu sagen, dass Sie einen anderen und besseren haben, werden Sie aus dem Problem, in dem die SPD gerade steckt, nicht herauskommen. Das wollte ich Ihnen zum Abschluss ins sozialdemokratische Stammbuch geschrieben haben. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Solche Anträge auf Rücktritt eines Ministers stellt man eigentlich erst dann, wenn es einem gelungen ist, ihm ein Fehlverhalten nachzuweisen. ({0}) Der vorliegende FDP-Antrag wurde aber bereits im Vorfeld über die Presse angekündigt und ging schon am 4. November 2008, also einen Tag vor der Sondersitzung des Ausschusses, durch die FDP-Fraktion. ({1}) Die Grünen haben das hinterher abgeschrieben und sich drangehängt. ({2}) Damit wird deutlich, dass die FDP mit der Sondersitzung gar kein wirkliches Informationsinteresse verbunden hat. Denn wenn Ihr Antrag der Aufklärung vorauseilte, dann kam es auf die Sitzung gar nicht mehr an. ({3}) Ich bin in Sorge um das Rechtsstaatsverständnis der FDP. ({4}) Denn eigentlich gilt in unserem Lande: Erst kommt die Verhandlung und dann das Urteil. Die FDP ist aber auf dem Wege, zuerst zu verurteilen und dann die Verhandlung zu führen. ({5}) Ich muss allerdings feststellen: ({6}) Die Ausschusssitzung ist zur Enttäuschung der Opposition jedenfalls nicht so verlaufen, dass damit Anträge dieser Art legitimiert worden wären. Denn es ist der Opposition nicht gelungen - ich verstehe Ihren Frust darüber -, Minister Tiefensee Widersprüche oder Fehlverhalten nachzuweisen. Das haben Sie nicht geschafft. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gleich. - Daher sind die vorliegenden Anträge unbegründet und nachher in namentlicher Abstimmung abzulehnen. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Fischer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht nur Ihr Ausschuss, sondern auch der Haushaltsausschuss Minister Tiefensee fünf Stunden - mit einer Unterbrechung - angehört hat, dass wir uns sehr intensiv damit befasst haben und dass wir dann zusammen mit unseren Verkehrspolitikern festgestellt haben, dass es mit diesem Verkehrsminister nicht mehr geht? Es hat also eine weitere Ausschusssitzung stattgefunden, für Sie vielleicht bedauerlicherweise vor Ihrer Sitzung. Aber im Haushaltsausschuss hat der Minister, wie gesagt, fünf Stunden - mit einer Unterbrechung - Rede und Antwort gestanden. Jeder dort hatte den Eindruck: Mit diesem Minister geht es wirklich nicht.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ändert aber nichts an der zeitlichen Abfolge ({0}) - nämlich der Ankündigung in der Presse - und an der Tatsache, dass unsere Verkehrspolitiker den Minister erst am Mittwoch befragt haben. Es kann nur eine Sitzung beurteilt werden, an der man teilgenommen hat. Deshalb hätten die Kollegen der FDP nach dem Verlauf der Verkehrsausschusssitzung eigentlich fordern müssen, dass der Antrag zurückgezogen wird. Er ist völlig unbegründet. ({1}) Nach dem gesamten Geschehen wird Herr Minister Tiefensee wissen, dass die Koordination und Kommunikation besonders wichtiger Fragen im Ministerium zu verbessern sind. Selbstverständlich stellen sich für uns noch Fragen. Wenn der Bundesfinanzminister erklärt, er habe aus den Medien von dem Sonderbonus erfahren, sie seien bei der Festlegung der Privatisierungsregelungen nicht vorgesehen gewesen und es werde eine solche Regelung nicht geben, wenn es zu einem Börsengang kommen werde, dann stellt sich schon die Frage, ob Herr Mehdorn, der Aufsichtsratsvorsitzende Müller oder Herr von Randow sich vorsätzlich über diese Privatisierungsregelungen, die ihnen bekannt gewesen sein müssen, hinweggesetzt haben. Minister Tiefensee hat dem Staatssekretär von Randow nicht nur vorgeworfen, ihn Mitte September viel zu spät informiert zu haben, sondern er hat ihm in einem Interview in der Bild-Zeitung auch vorgeworfen, ihn nicht vor der entscheidenden Sitzung des Personalausschusses am 24. Juni - also spätestens am 23. Juni - in dieser Sache befragt und sie nicht mit ihm abgestimmt zu haben. Auch nach meiner Einschätzung war die Entlassung des Staatssekretärs deshalb unausweichlich. Aber selbstverständlich ist auch das Verhalten von Herrn Müller als Hauptvertrauensmann des Alleinaktionärs Bund im Aufsichtsrat ein Stück weit aufklärungsbedürftig. ({2}) Denn auf ihn muss sich der Alleinkapitaleigner in solchen Fragen verlassen können. Ich teile die Auffassung von Minister Tiefensee ausdrücklich, dass die regulären Bonuszahlungen, die sich am Unternehmenserfolg orientieren, ausreichend sind. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wesentlicher als eine Debatte über überflüssige, weil inhaltlich nicht legitimierte Anträge sind doch die positiven Entwicklungen für das deutsche und europäische Eisenbahnwesen: die wechselseitige Netzöffnung für den Güterverkehr ab 2007 und für den Personenfernverkehr ab 2010 in Europa - wir kommen also aus einer rein nationalen zu einer europäischen Landkarte des Eisenbahnverkehrs - und die positive Umstrukturierung einer Behördenbahn zu einer kunden- und wettbewerbsorientierten DB AG mit allen positiven Leistungen und Verdiensten, die sich Herr Mehdorn dort unzweifelhaft erworben hat. Nur daraus ergab sich die Chance, den Börsengang vorzubereiten, der bei einer besseren Lage der Finanzmärkte jederzeit in die Wege geleitet werden kann. In diesem Zusammenhang ist eine Unternehmenskonfiguration ordnungspolitisch richtig, in der Infrastruktur und Betriebsgesellschaften sauber getrennt werden: Infrastruktur, Netz, Bahnhöfe und Energieversorgung verbleiben dauerhaft zu 100 Prozent beim Staat. Die Betriebe wurden schrittweise privatisiert, soweit es die Unternehmensentwicklung einschließlich der Sicherheit der Arbeitsplätze im Unternehmen und die Entwicklung des Wettbewerbsmarktes zulassen. In dieser Woche wurde eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorgelegt, mit der die Steuerung und die Qualitätskontrolle bei der Verwendung öffentlicher Mittel verbessert werden. Das ist seit Jahrzehnten ein wirklicher Durchbruch, ein großer Fortschritt. Bei dem, was vorgelegt wurde, handelt es sich um erstklassige Arbeit. Ich erinnere zudem an die Erfolge der Bundesnetzagentur bei der Begleitung des Wandels von einer Monopollandschaft hin zu einer Wettbewerbslandschaft. Das alles sind große Erfolge. Die Große Koalition hat in ihrer Verantwortung ab 2005 großartige Leistungen erbracht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, darüber zu diskutieren, ist meines Erachtens allemal fruchtbarer, als über eigentlich überflüssige Showanträge zu debattieren. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Uwe Beckmeyer. ({0})

Uwe Beckmeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um die Amtsführung des Bundesverkehrsministers. Wenn man hört, was die gesamte Oppo20024 sition dazu zu sagen hat, dann stellt man fest, dass sie ihre Missbilligung daraus ableitet, dass der Minister gegen Bonuszahlungen bei der DB AG ist. Ich habe Sie im Ausschuss gefragt, ob Sie für Bonuszahlungen bei der DB AG sind. Ich habe festgestellt, dass auch Sie dagegen sind. Missbilligen Sie sich nun selbst? Die Sozialdemokraten messen die Amtsführung eines Ministers daran, welchen Auftrag er hat, wie seine Arbeit aussieht und welchen Erfolg er mit seiner Arbeit hat. Das sind die Kriterien, an denen man die Amtsführung eines Bundesministers messen sollte, und nicht an den Dingen, die Sie vordergründig aufgezählt haben. Wie sieht das Ergebnis, die Bilanz der Amtsführung des Bundesministers Wolfgang Tiefensee aus? Wir haben in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt, dass die ökonomische Ausrichtung der Verkehrspolitik viel stärker in den Vordergrund gerückt ist als in der Zeit zuvor. Wir haben mit dem Masterplan Güterverkehr und Logistik Verantwortung für ein Feld übernommen - darum müssen wir uns besonders kümmern -, in dem 2,6 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sind und das der Transmissionsriemen für die Ökonomie dieser Republik ist. Hier geht es um die Verantwortung für Hunderttausende, wenn nicht gar für Millionen von Arbeitsplätzen insgesamt. Minister Tiefensee hat es geschafft, für 2009 einen Haushalt mit einem absoluten Rekordvolumen durchzusetzen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland werden 11 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur ausgegeben. Wenn man sich die Maßnahmen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, anschaut, stellt man fest, dass in den vergangenen Jahren Punkt für Punkt und kontinuierlich an der Umsetzung dieser Maßnahmen gearbeitet worden ist. Ich will einige exemplarisch aufzählen. Nehmen wir als Beispiel die Maut. Hier gab es heftige Kritik, aber es funktioniert. Wir haben eine intensive Diskussion über das Mautharmonisierungsprogramm geführt. Inzwischen hat es ein Ergebnis gezeitigt, sodass selbst die Verbände, die es bisher kritisiert haben, einvernehmlich akzeptieren, dass eine Mautharmonisierung mit einem Volumen von 600 Millionen Euro pro Jahr vereinbart wurde. Dies alles sind Punkte, die der Minister als Erfolge vorweisen kann. Ich denke, die kann man nicht einfach unbeachtet lassen. ({0}) Ich möchte darüber hinaus sagen, dass wir das CO2Gebäudesanierungsprogramm in diesem Ministerium entwickelt haben. Die parlamentarische Unterstützung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass dies ein Programm ist, auf das wir vertrauen können, das enorme Impulse in der Bundesrepublik Deutschland gesetzt hat, das sich bewährt hat - ein Programm, von dem wir wissen, dass es fortgesetzt werden muss, und das in einer ganz entscheidenden Art und Weise Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Mittelstands gesetzt hat. Dieses Programm hat sich bewährt, und ihm wird inzwischen in anderen Staaten Europas nachgeeifert. Ich denke, das ist ein weiterer Meilenstein, den die erfolgreiche Politik in Deutschland in diesem Bereich vorzuweisen hat. ({1}) Wir haben mit den Investitionen in die Verkehrswege und mit dem Beschluss über den Bundesverkehrswegeplan in der vergangenen Legislaturperiode einen Markstein gesetzt. An den Maßnahmen arbeiten wir intensiv weiter. Das gilt für die Wasserstraßen, das gilt für die Straßen, und das gilt für die Schiene. Ich glaube, dieses Ministerium ist auf gutem Wege, alle die von uns erwarteten Maßnahmen umzusetzen. Das bedeutet, dass mit mehr Geld und mit einem klaren Konzept auch die Infrastruktur in Deutschland noch weiter verbessert wird. Das Ministerium ist dafür bestens aufgestellt, auch unter der Führung von Wolfgang Tiefensee. ({2}) Weitere Beispiele. Wir haben uns gerade im Zusammenhang mit der Kontrolle der Deutschen Bahn AG in den vergangenen Wochen und Monaten damit beschäftigt, welche Form die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die vom Bund jährlich zur Verfügung gestellten 2,5 Milliarden Euro für die Schiene haben soll. Es ist gelungen, dem Hause nach intensiven Beratungen eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vorzulegen. Wir werden sie im Ausschuss beraten. Wir haben die Hoffnung und die Zuversicht, dass wir sie mit Wirkung vom 1. Januar 2009 in Kraft setzen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach der Bahnreform von 1994 ist es gelungen, dass das Parlament, also unser Haus mit seinen Ausschüssen, direkte Kontrollmöglichkeiten über das Geld bekommt, das wir der Bahn geben. Darüber hinaus ist es gelungen, die Bahn zu verpflichten, eine zusätzliche Milliarde Euro und weitere 500 Millionen Euro jährlich für den Unterhalt der Schiene und für Investitionen bereitzustellen. ({3}) In der Summe gehören - das will ich deutlich sagen Auftrag, Arbeit und Erfolg zusammen. Herr Bundesminister Wolfgang Tiefensee, ich kann Ihnen für die sozialdemokratische Fraktion sagen: Wir haben volles Vertrauen in Ihre Amtsführung, und wir haben auch volles Vertrauen in Ihre Arbeits- und Innovationskraft. ({4}) Es ist vorhin davon gesprochen worden, dass wir bei der Bahn aufpassen müssen. Natürlich müssen wir bei der Bahn aufpassen. Mich ärgert natürlich auch die eine oder andere öffentliche Aussage, die man hin und wieder lesen kann, so die vom 10. November in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wonach der Bahnchef um Ölstaaten buhlt. So hieß es in der Überschrift. Wenn man den Text liest, dann steigt einem manchmal die Zornesröte ins Gesicht. ({5}) Dort wird geschrieben: Durch den Einstieg von privaten Geldgebern will der Bahnchef vor allem seinen ehrgeizigen weltweiten Expansionskurs finanzieren und den EinUwe Beckmeyer fluss des Staates zurückdrängen. - Im zweiten Satz heißt es: Vor allem Ölstaaten, Russlands Staatsbahn und Chinas Staatsfonds gelten in Konzernkreisen als erste Wahl für eine Beteiligung an der Bahn. So kann es nicht gehen. Man kann nicht den deutschen Staat als den bösen Staat bezeichnen, aber die autokratischen Systeme als die guten. Das passt irgendwie nicht zusammen. Darum Obacht auch an dieser Stelle. ({6}) Wir werden hier genau aufpassen müssen. Wir haben im Deutschen Bundestag den Börsengang der Bahn beschlossen. Dieser Beschluss gilt auch für die Linksfraktion. Sie können ihn nicht ignorieren. Aber wir werden aufzupassen haben, unter welchen Kautelen, unter welchen Umständen, vor allem mit welchem Ergebnis dieser durchgesetzt wird. Das ist der entscheidende Punkt, an dem wir uns zu orientieren haben. Das Thema Börsengang und natürlich auch das Thema Börsenprospekt sind spezielle Themen. Ich darf für die SPD-Fraktion die Erwartung ausdrücken - wir alle kennen den Börsenprospekt nicht; es ist auch aufgrund der entsprechenden Vorbereitung eine lange geheim gehaltene und uns nicht zugängliche Schrift, die angeblich 600 Seiten umfasst -, ({7}) dass mit diesem Börsengang nicht die Bahnpolitik, die wir, der Deutsche Bundestag, durch Beschlüsse artikuliert und postuliert haben, untergraben wird. ({8}) Dies ist nicht hinnehmbar. Die Ministerien, die darauf zu achten haben, werden dies, bitte schön, genau beachten; denn das entspricht der Grundlage der Verkehrspolitik, der Bahnpolitik dieses Hauses. Darauf wird der Deutsche Bundestag mit Argusaugen schauen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kollegen Enak Ferlemann das Wort gebe, möchte ich Sie darüber informieren, dass auf der Tribüne Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Afghanistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und der Mongolei Platz genommen haben. - Wir begrüßen Sie recht herzlich. ({0}) Für die CDU/CSU-Fraktion hat als letzter Redner in dieser Debatte der Kollege Enak Ferlemann das Wort. ({1})

Enak Ferlemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003525, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Minister Tiefensee, wer von uns beiden hätte gedacht, dass ich eines Tages der letzte Redner in einer Debatte sein werde, in der es um Ihre Entlassung gehen soll. Auch ich hätte mir das vor einigen Jahren nicht träumen lassen; aber so kommt es manchmal in der Politik. Man kann am Schluss dieser Debatte nur sagen: Die Anträge der Opposition sind eine Zumutung für die Große Koalition, für dieses Parlament. ({0}) Die verehrte Opposition konnte sich noch nicht einmal einigen. Die Grünen konnten sich mit der FDP nicht auf einen gemeinsamen Antrag einigen. Deswegen hat die FDP einen eigenen Antrag eingebracht. Die Grünen haben ebenfalls einen eigenen Antrag vorgelegt, der genau das Gleiche beinhaltet. Deswegen werden wir in wenigen Minuten wahrscheinlich zweimal über das Gleiche abstimmen. ({1}) Da man die Linken nicht mit ins Boot genommen hat, haben sie noch eine Aktuelle Stunde beantragt. Bei allem geht es um dasselbe. Man muss sich vor Augen führen, dass wir am Vorabend einer schweren Wirtschaftskrise stehen. Eine der Lösungen, da wieder herauszukommen und nicht noch tiefer hineinzurutschen, als wir es eh erwarten, sind Investitionen - ich sage sogar: massive Investitionen - in die Infrastruktur, insbesondere in die Verkehrsinfrastruktur. Was hat die Große Koalition auf den Weg gebracht? 1 Milliarde Euro mehr aus dem Bundeshaushalt für 2009, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den Bundeshaushalt 2010, eine Erhöhung der Lkw-Maut, die noch einmal jedes Jahr 1 Milliarde Euro einspielt. Wir haben also innerhalb von zwei Jahren sage und schreibe 4 Milliarden Euro, die wir im Rahmen eines Sonderinfrastrukturprogramms ausgeben können. In dieser Situation ist es die Stunde der Verkehrspolitiker. Wir können in die Straße, in Schienenwege, Wasserwege, Flughäfen und Häfen investieren. Mancher sagt: Endlich! Andere sagen: Das kommt zu spät. - Aber es kommt, und ich denke, es kommt zur rechten Zeit. Sie muten uns hier eine Debatte über Personen zu, eine Personaldebatte in einer Situation, in der wir zusammenstehen müssen, um dieses Programm voranzubringen, um hier in Deutschland Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Meine Fraktion erwartet von Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, dass wir jetzt zügig über die Investitionsprojekte entscheiden. Wir erwarten auch - das muten wir Ihnen wiederum zu -, dass Sie diese Projekte in enger Abstimmung auch mit meiner Fraktion, der CDU/CSU, jetzt vorlegen und verankern. ({2}) Es darf nicht sein, dass hier jeder eine Wunschliste vorlegt, sei es von den Bundesländern, sei es von Ministern, sei es von Fraktionsvorsitzenden. Nein, das muss eng mit den Verkehrspolitikern abgesprochen werden, damit die Projekte zügig und schnell umsetzbar sind. Hier braucht es eine enge Kommunikation. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Liste auch PPP-Projekte finden, weil diese besonders schnell und zügig umzusetzen sind. Angesichts des Anlasses sind die Maßnahmen, die die FDP und die Grünen beantragt haben, geradezu lächerlich. Die Opposition ist heute leider wieder einmal substanzielle Kritik schuldig geblieben. Ob der Minister gut oder weniger gut ist, hat die SPD-Fraktion entschieden; er bleibt im Amt. Das gilt damit auch für die Große Koalition. Letztlich hat der Wähler im September 2009 das Wort, weil dann auch über diese Dinge entschieden wird. Wir lehnen die Anträge der Opposition heute ab. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Frak- tion hat eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unse- rer Geschäftsordnung abgegeben. Diese nehmen wir zu Protokoll.1) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, über die beiden gleichlautenden und inhaltsgleichen An- träge der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10782 und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/10918 in einer gemeinsamen namentlichen Ab- stimmung abzustimmen. - Ich höre dazu keinen Wider- spruch. Dann verfahren wir so. Wir stimmen jetzt über die Anträge auf den Druck- sachen 16/10782 und 16/10918 mit dem Titel „Missbilli- gung der Amtsführung und Entlassung von Bundes- minister Wolfgang Tiefensee“ ab. Die Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen na- mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die dafür vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- stimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord- nungspunkte 18 a bis 18 c auf: 1) Anlage 3 2) Ergebnis Seite 20028 C a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({1}) und 1373 ({2}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/10720, 16/10824 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen ({3}) Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({4}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10915 - Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Roland Claus Omid Nouripour b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer ({7}), Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE Keine deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan - Drucksachen 16/6098, 16/7908 Berichterstattung: Abgeordnete Bernd Schmidbauer Detlef Dzembritzki Monika Knoche Kerstin Müller ({8}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine deutschen Soldaten für eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stellen Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden - Drucksachen 16/7890, 16/9710 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({10}) Markus Meckel Vizepräsidentin Petra Pau Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir fortfahren können, muss ich Sie bitten, hier die notwendige Aufmerksamkeit an den Tag zu legen oder, wenn Sie sich an der folgenden Debatte nicht beteiligen können, den Saal zu verlassen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der - von mir aus gesehen - rechten Seite, bitte schenken Sie den gleich folgenden Rednerinnen und Rednern die notwendige Aufmerksamkeit. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung später namentlich abstimmen werden. Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion. ({12})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung der Operationen Enduring Freedom und Active Endeavour mit großer Mehrheit zustimmen. Wir haben auch diesen Auslandseinsatz gründlich und verantwortungsbewusst beraten, auch außerhalb von Routine, und verbinden mit dieser Zustimmung selbstverständlich unseren Dank an die Soldatinnen und Soldaten, hier insbesondere der Marine, die in den Operationsgebieten einen verantwortungsvollen, schweren, aber für uns wichtigen und erfolgreichen Dienst absolvieren. ({0}) Das deutsche OEF-Mandat wird nur noch den maritimen Einsatz im Seeraum am Horn von Afrika umfassen, wobei „nur noch“ eine rhetorische, keine qualitative Einschränkung ist; denn die Aufgabe bleibt schwierig. Das bedeutet, dass der mandatierte Einsatzraum den tatsächlichen Erfordernissen angepasst und im Ergebnis erheblich eingegrenzt wird. Das bedeutet weiter, dass das deutsche militärische Engagement in Afghanistan nunmehr ausschließlich unter dem ISAF-Mandat stattfindet. Für meine Fraktion begrüße ich ausdrücklich, dass dies die Bundesregierung so entschieden und so auch in den Antrag geschrieben hat. ({1}) Herr Außenminister, wir danken Ihnen für diese Initiative und auch Ihnen, Herr Bundesverteidigungsminister, dafür, dass Sie in die Konzeption das aufgenommen haben, was politisch wichtig und richtig für die Zukunft ist. ({2}) Ich denke, dass die Herausnahme der KSK-Komponente auch im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist. Das Parlament will und kann ja in keiner Weise Vorratsbeschlüsse treffen. Wir Abgeordnete haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Umstände zu kennen, unter denen bewaffnete Einsätze unserer Streitkräfte stattfinden sollen. Die Operationen Enduring Freedom und Active Endeavour haben weiterhin zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten. Das inhaltlich veränderte Mandat, das wir bis Dezember 2009 erteilen und dessen weitere Beratung dann ausschließlich in den Händen des neuen Deutschen Bundestages liegen wird, hat auch, wie wir wissen, Konsequenzen für den Personalumfang. Die Reduzierung des Kontingents von 1 400 auf 800 Soldatinnen und Soldaten ist angesichts des Verzichts auf die Landkomponente mehr als vertretbar. Es kann so auch von einer Unterteilung der mandatierten Personalobergrenze abgesehen werden. Ich füge hinzu, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass mit einer Personalobergrenze von 800 Soldatinnen und Soldaten Deutschland weiterhin in der Lage ist, das erforderliche Fähigkeitsprofil für den Antiterroreinsatz am Horn von Afrika und im Mittelmeerraum abzubilden. Diese Obergrenze zeigt einerseits auf, wie viele Kräfte notwendig sind, um hinreichend flexibel sowie angepasst an die Lage und den Auftrag operieren zu können. Sie demonstriert aber auch andererseits unseren Partnern das bündnisgerechte militärische Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ich denke, es ist wichtig, weil in diesem Zusammenhang auch Rechtsfragen aufgeworfen werden, deutlich zu machen, dass durch den Einsatz von See-/Seeluftstreitkräften den Terroristen am Horn von Afrika der Zugang zu Rückzugs- und Aktionsräumen und die Nutzung potenzieller Verbindungswege zu terroristischen Strukturen auf der arabischen Halbinsel erschwert werden und dass gleichzeitig ein Beitrag zum Schutz dieser für den Welthandel strategisch so wichtigen Seepassage vor terroristischen Angriffen geleistet wird. Die gleiche Wirkung erzielen die NATO-See-/Seeluftstreitkräfte im Mittelmeer im Rahmen der Operation Active Endeavour. Meine Damen und Herren, es wird teilweise kritisch betrachtet, ob Art. 51 der UN-Charta, der das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung einräumt, eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Operation Enduring Freedom darstellt. Es wird die Frage gestellt, ob dieses Recht noch sieben Jahre nach dem auslösenden bewaffneten Angriff, der mit den Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001 begonnen hat, anwendbar ist. ({3}) Bereits im letzten Jahr haben wir hier intensive Diskussionen geführt. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich in ihrem Entschließungsantrag auch kurz damit auseinander. Es gilt festzuhalten, dass den Anschlägen vom 11. September 2001 weitere Terroranschläge in aller Welt bis in die jüngste Zeit folgten. Durch eine intensive Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden konnte glücklicherweise eine Reihe von weiteren Anschlägen im Vorfeld verhindert werden. Die Gefahr des internationalen Terrorismus und von terroristischen Anschlägen ist von daher immer noch nicht gebannt. Der internationale Terrorismus stellt leider nach wie vor eine andauernde Gefahr dar. ({4}) Wir teilen die herrschende Rechtsauffassung, dass der Angriff so lange als andauernd betrachtet werden muss, bis eine nachhaltige Zerschlagung der al-Qaida-Strukturen erreicht wurde, sodass eine Wiederholung der Anschläge vom 11. September 2001 nach Möglichkeit ausgeschlossen werden kann. ({5}) Wichtige Voraussetzung hierfür ist weiterhin, dass der al-Qaida-Stützpunkte entzogen und Rückzugsgebiete verwehrt werden. Schauen wir in den Jemen. Ich komme gerade aus Syrien zurück und habe den Platz gesehen, wo 17 Menschen auf tragische Weise durch einen Sprengstoffanschlag ihr Leben verloren haben, wo also auch ein terroristisches Netzwerk tätig gewesen ist. Ich bin der Auffassung, dass diese andauernde Gefahr präventiv und durch Präsenz eingehegt werden muss, damit sie beherrscht werden kann. Das Selbstverteidigungsrecht war und ist bis heute die völkerrechtliche Grundlage für diese Operation. Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage wird von der internationalen Gemeinschaft geteilt; in den letzten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zur ISAF-Mission wird die Operation Enduring Freedom ausdrücklich erwähnt. Ich denke, dies rechtfertigt, den Deutschen Bundestag zu einer Zustimmung zu veranlassen, zur Zustimmung zur Fortsetzung des Mandates Operation Enduring Freedom. Ich danke Ihnen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Anträge der Fraktion der FDP und Bündnis 90/Die Grü- nen auf den Drucksachen 16/10782 und 16/10918 mit dem Titel „Missbilligung der Amtsführung und Entlas- sung von Bundesminister Wolfgang Tiefensee“ bekannt: An der Abstimmung haben 572 Kolleginnen und Kolle- gen teilgenommen. Mit Ja haben 156 gestimmt, mit Nein haben 414 gestimmt, 2 Kolleginnen oder Kollegen haben sich enthalten. Die Anträge sind damit abgelehnt.1) 1) Anlagen 3 und 4 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 156 nein: 414 enthalten: 2 Ja SPD Renate Gradistanac FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({0}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({1}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({2}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Birgit Homburger Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({3}) Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({4}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({5}) DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kornelia Möller Vizepräsidentin Petra Pau Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({6}) Volker Schneider ({7}) Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({8}) Volker Beck ({9}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz ({10}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({11}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({12}) Omid Nouripour Claudia Roth ({13}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({14}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert ({15}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({16}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({17}) Dirk Fischer ({18}) Axel E. Fischer ({19}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser ({20}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({21}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({22}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({23}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({24}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({25}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({26}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Stefan Müller ({27}) Dr. Gerd Müller Bernd Neumann ({28}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({29}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({30}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({31}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({32}) Andreas Schmidt ({33}) Ingo Schmitt ({34}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({35}) Vizepräsidentin Petra Pau Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({36}) Gerald Weiß ({37}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({38}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Rainer Arnold Ernst Bahr ({39}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({40}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({41}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Günter Gloser Angelika Graf ({42}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({43}) Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({44}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({45}) Frank Hofmann ({46}) Eike Hovermann Christel Humme Johannes Jung ({47}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({48}) Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({49}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({50}) Michael Müller ({51}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({52}) Michael Roth ({53}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({54}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({55}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Ulla Schmidt ({56}) Silvia Schmidt ({57}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({58}) Carsten Schneider ({59}) Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({60}) Swen Schulz ({61}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({62}) Dr. Rainer Wend Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({63}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten CDU/CSU Carsten Müller ({64}) FDP Vizepräsidentin Petra Pau ({65}) Wir kehren nun zurück zu Tagesordnungspunkt 18. Das Wort hat der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. ({66})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Meine Kollegin Birgit Homburger und mein Kollege Rainer Stinner haben dies in der vergangenen Woche ausführlich begründet. Ich will das jetzt nicht wiederholen, sondern mich auf einige wenige Punkte konzentrieren. Sie haben auch unsere Bedenken vorgetragen; Herr Kollege Kolbow ist darauf eingegangen. Auch wir sind der Auffassung, dass die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen ausreichend sind; aber man wird sie nicht unendlich dehnen können. Man kann sich nicht ewig auf einen Ausnahmetatbestand berufen. Deshalb wird man an dieser Baustelle weiterarbeiten müssen. Ein Ausnahmetatbestand ist es nämlich, wenn wir uns auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen berufen. Es würde auch keinen Sinn machen, eine Überdehnung vorzunehmen, weil man damit das kollektive Selbstverteidigungsrecht im Sinne der Charta der Vereinten Nationen auf Dauer entwerten würde. Wir sehen zudem die Schwierigkeit, dass es bislang nicht gelungen ist, international eine verbindliche Definition des Begriffs Terrorismus herbeizuführen. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Es ist ein ziemlich unerträglicher Zustand, dass sich jedes Regime dieser Welt auf das Argument der Terrorismusbekämpfung stützen kann, nur um damit schlicht und ergreifend Rechtsverstöße kaschieren zu wollen. ({0}) Mein Kollege Stinner hat in der vergangenen Woche ausführlich dargestellt, dass wir Abgrenzungsprobleme haben. Das betrifft insbesondere die bizarre Debatte über die Rechtsgrundlagen der Pirateriebekämpfung. Wir müssen aufpassen, dass wir uns als Deutsche nicht vor der Welt bis auf die Knochen blamieren, zum Beispiel dann, wenn wir nicht handlungsfähig sind, wenn es darum geht, Lebensmitteltransporte der Vereinten Nationen in Länder der größten Not von uns aus nicht gegen Piraten schützen zu können. Wir stimmen übrigens auch deshalb zu, weil wir in dieser Zeit nicht ein falsches Signal aussenden wollen und weil dieses OEF-Mandat auch ein Übergangsmandat ist. Wir sind davon überzeugt, dass der Amtswechsel im Weißen Haus die Chance einer Bestandsaufnahme und einer kritischen Revision unserer gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und beim Aufbau Afghanistans bringen wird. Diese Chance sollten wir entschlossen ergreifen. Wir sollten nicht kleinmütig die Debatte darauf reduzieren, welche Erwartungen die amerikanischen Freunde im Hinblick auf die Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten haben. Der Bundesverteidigungsminister beantwortet nach meiner Auffassung ständig Fragen, die keiner stellt - zumindest jetzt nicht und nicht so simpel. Ich fürchte, die Bundesregierung ist nicht wirklich vorbereitet auf die großen Veränderungen, die sich in Amerika und von Amerika ausgehend jetzt vollziehen werden. Die Zeitenwende, die wir in Amerika beobachten, und die Paradigmenwechsel, die sich daraus für die amerikanische Außenpolitik und damit für die Weltpolitik abzeichnen, sind in vielen Köpfen in Berlin noch nicht angekommen. Diese werden in ministerialer Routine sträflich unterschätzt. Für die Regierung Obama wird der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und der Aufbau Afghanistans natürlich eine ganz große Bedeutung haben - übrigens auch für uns. Aber klug, wie Senator Obama, Senator Biden und ihre exzellenten Berater nun einmal sind, werden sie sehr sorgfältig analysieren, bevor sie neu justieren. Sie werden verhindern wollen, dass nach dem - für die USA übrigens auch ökonomischen - Desaster durch den Irakkrieg in Afghanistan eine ähnliche Mission Impossible definiert wird, die sie von ihrer Hauptaufgabe, die sie mit ihrer neuen Administration werden bewältigen müssen, ablenkt und die sie politisch wie ökonomisch überlastet. Amerika muss nämlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gigantische Herausforderungen im Innern meistern. Sie werden Afghanistan einordnen in den Gesamtkontext ihrer Neudefinition amerikanischer Außenpolitik. Deshalb besteht für Deutschland und Europa jetzt die einmalige Chance, gemeinsam mit unserem amerikanischen Partner die Ziele präzise zu definieren, die wir bei der Terrorismusbekämpfung und konkret beim Aufbau Afghanistans haben. Daraus sind gegebenenfalls veränderte Zielerreichungsstrategien abzuleiten. Es ist nach meiner Einschätzung ein gutes Zeichen, dass Amerika wegkommt von der Definition unrealistischer Ziele. ({1}) Es ist zu begrüßen, dass sich die amerikanische Regierung keine Kontaktsperre auferlegen will, wenn aus dem Kreise der Taliban versöhnungsbereite Persönlichkeiten zum Dialog bereit sein sollten. Wir sollten sehr begrüßen, dass die USA offenbar in den Dialog mit den Nachbarn Afghanistans eintreten wollen; denn wir werden dieses Problem nur mithilfe regionaler Zusammenarbeit in den Griff bekommen. Die Chance, China und Russland, Indien und Pakistan und nicht zuletzt den Iran in eine Problemlösung einzubeziehen, dürfte für die Regierung Obama größer sein als für die Regierungen davor. Das ist sehr ermutigend. In der NATO haben wir das präzise Setzen von Zielen und das Erarbeiten von Zielerreichungsstrategien sträflich vernachlässigt. Es wird zwar wie zuletzt auf der ATA-Tagung diese Woche in Berlin gebetsmühlenhaft wiederholt, dass wir diese Ziele nicht allein militärisch erreichen können. Aber wenn es dann um die Verzahnung der militärischen und der nichtmilitärischen Anstrengungen in der NATO geht, kommt nichts. Der NATO-Generalsekretär wiederum wird nicht müde, zu betonen, dass die NATO keine Entwicklungsagentur ist. Das behauptet auch keiner. Aber die Koordination unserer militärischen und nichtmilitärischen Bemühungen ist überfällig. Amerika besinnt sich auf seine besten Tugenden. Es knüpft bewusst an die Traditionen und Werte an, die uns mit Amerika verbunden haben und die für uns in Deutschland nach der Nazibarbarei den Leuchtturm der Freiheit, nämlich Amerika, so attraktiv gemacht haben: Rechtsstaat, Toleranz, Demokratie und Würde des Menschen, Rückbesinnung auf die Aufklärung, Versöhnung von Glauben und Vernunft, Respekt vor den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Forschung. Das sind doch genau die Kernelemente, die das zusammenhalten, was wir gemeinhin den Westen nennen - nicht eine geografische Definition, sondern ein geistiges Fundament. Die Terrorangriffe vom 11. September, die zu OEF geführt haben, waren doch Angriffe auf dieses Fundament, auf diese freiheitliche westliche Lebensform. Beklagenswerterweise haben die Glaubwürdigkeit und die Attraktivität dieses Wertefundamentes in der Folge des 11. September schwer gelitten. Man denke an die Bilder von Abu Ghureib und Guantánamo Bay, die heute das Image Amerikas in der Welt vielleicht mehr prägen als die Freiheitsstatue. Die neue amerikanische Regierung will offensichtlich die Glaubwürdigkeit und Attraktivität der Fundamente des Westens wiederherstellen. Daran müssen sich die kritische Bestandsaufnahme und die kritische Revision unserer Anstrengungen im Zusammenhang mit Afghanistan und der Bekämpfung des Terrorismus messen lassen. Präsident Obama wird - da bin ich ganz sicher seine Hand ausstrecken. Wir sollten sie beherzt ergreifen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Eckart von Klaeden das Wort. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Kollege Werner Hoyer hat die Debatte um die Verlängerung des OEF-Mandates genutzt, grundlegend zu den Fragen der transatlantischen Beziehungen Stellung zu nehmen. Ich möchte an das anknüpfen, was Kollege Kolbow ausgeführt hat, an Fragen des Mandates, will aber schon jetzt auf meine Rede in der Haushaltsdebatte verweisen, ({0}) in der ich die Aspekte aufgreifen werde, die Sie, Herr Kollege Hoyer, hier angesprochen haben. ({1}) - Ob Sie das als Drohung empfinden oder nicht, bleibt Ihnen überlassen. Ich hoffe jedenfalls, dass es Sie unterhalten wird. Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, noch etwas zur Rechtsfrage zu sagen, weil ja die Rechtsgrundlage der Operation Enduring Freedom immer wieder direkt oder indirekt infrage gestellt wird und weil nach meinem Eindruck bei manchem die Vorstellung vorherrscht, dass die Legitimation aus der Charta der Vereinten Nationen dann am höchsten ist, wenn es eine Resolution des Sicherheitsrates gibt. Diese Rechtsansicht ist falsch; denn die höchste Legitimation ergibt sich unmittelbar aus der UN-Charta, nämlich aus Art. 51, in dem es um das Recht auf Selbstverteidigung geht. Dass dieses Recht zur kollektiven Selbstverteidigung im Hinblick auf OEF auch vom Sicherheitsrat anerkannt wird, ist in verschiedenen Resolutionen deutlich geworden. Dies sind zum einen aus dem Jahr 2001 die Resolution 1368 vom 12. September und die Resolution 1373. Zum anderen hat der UN-Sicherheitsrat selbst in diesem Jahr noch einmal ausdrücklich auf das kollektive Recht zur Selbstverteidigung im Rahmen der Operation Enduring Freedom hingewiesen, nämlich in der Resolution 1833. Es ist eine paradoxe Situation: Die Arbeit unserer Sicherheitsorgane hat dazu geführt - man muss hinzufügen, dass uns auch das Glück hold gewesen ist -, dass wir in Deutschland erfreulicherweise keine großen Terroranschläge haben erleiden müssen. Das führt bei dem einen oder anderen dazu, dass er glaubt, die Gefahr durch den internationalen Terrorismus sei für uns nicht mehr gegenwärtig. Das wiederum führt zu dem Trugschluss der Infragestellung der völkerrechtlichen Grundlagen. Aber wenn man sich einmal die Zahlen allein dieses und des letzten Jahres vergegenwärtigt, dann muss man bedauerlicherweise feststellen, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus nichts von ihrer Intensität verloren hat. Die Zahl der weltweiten Terroranschläge blieb 2007 mit 15 000 auf dem Niveau des Vorjahres 2006. Die Zahl der Todesopfer stieg noch einmal um 10 Prozent an. Wenn man Entführte und Verwundete hinzuzählt, dann hat es allein im Jahr 2007 70 000 Opfer durch den internationalen Terrorismus gegeben. Es ist uns nach den Anschlägen in Schottland im Juni 2007 erfreulicherweise gelungen, die Zahl der Anschläge in Europa zu vermindern. Es ist auch gelungen, dass Afghanistan heute keine Brutstätte und kein Rückzugsraum mehr für den internationalen Terrorismus ist. Aber wir wissen, dass sich die Gefahr verlagert hat und dass heute insbesondere die FATAs, die Grenzregion zwischen Pakistan und Afghanistan, dieser Rückzugsraum und diese Brutstätte sind. Wenn wir heute über die Region des Mittelmeers und des Horns von Afrika sprechen, so wenden wir uns einer anderen Weltregion zu, die nicht in der gleichen Intensität - aber fast genauso - ein solcher Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus ist, nämlich dem Operationsgebiet der Operation Enduring Freedom. Aufgabe der Bundeswehr, der Marine, ist es, dort mit unseren Partnern den Terrorismus und seine Verbindungslinien, seine Kommunikations- und Nachschubwege an der Quelle zu bekämpfen. An dieser Operation beteiligen sich nicht nur westliche Länder; dazu gehören vielmehr auch Schiffe aus Australien und sogar aus Pakistan. Wer unterstellt, das sei eine Operation des Westens gegen den Mittleren Osten oder gar eine Operation der westlichen gegen die islamische Welt, der ist schief gewickelt. Nahezu alle Staaten dieser Region haben ein großes Terrorproblem. Laut der Datenbank des amerikanischen National Counterterrorism Center gab es 2007 in diesen Ländern nicht weniger als 512 terroristische Angriffe, bei denen 1 369 Menschen getötet, 1 897 verwundet und 151 entführt wurden. Zentrum des Terrorismus in dieser Region ist Somalia, ein Land, das de facto aufgehört hat, als Staat zu existieren, und seit langem das ist, was man einen Failed State nennt. Es ist richtig, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern in der Region alles tun müssen, um die Lebenssituation der Somalierinnen und Somalier zu verbessern, insbesondere durch den Aufbau staatlicher Strukturen. Das wird aber nicht gelingen, wenn man den Terror in der Region nicht bekämpft und nicht versucht, ihn einzudämmen. ({2}) Von den genannten 512 Terroranschlägen in der Region wurden 413 in Somalia und 45 im Nachbarland Kenia verübt, das seit dem Anschlag von al-Qaida auf die amerikanische Botschaft in Nairobi im August 1998 nur selten mit Terrorismus in Verbindung gebracht worden ist. Vor zwei Wochen drohte der Führer der somalischen Al-Shabaab-Bewegung Kenia mit einem Dschihad, falls das Land nicht damit aufhöre, die Streitkräfte der somalischen Übergangsregierung auszubilden. Das ist also eine ähnliche Konfliktlage wie die, die wir in Afghanistan beobachten können, wo radikale Taliban versuchen, den Aufbau staatlicher Strukturen in Afghanistan zu verhindern. Ähnliche Drohungen wurden gegen Uganda und gegen westliche Einrichtungen in der Region ausgesprochen. Kenia und Uganda leisten einen konstruktiven Beitrag in dem mühseligen Prozess, die Lage in Somalia zu stabilisieren. Wenn wir in den Sudan schauen - wir haben unter anderen Vorzeichen häufig über die Lage in diesem Land gesprochen -, müssen wir feststellen, dass dort allein 2007 68 Terroranschläge verübt worden sind. Die Anrainerstaaten des Einsatzes der Marine, Äthiopien, Eritrea, Jemen und Saudi-Arabien, sind ebenfalls Opfer terroristischer Anschläge. Insbesondere das Seegebiet zwischen dem Jemen und Somalia ist von größter Bedeutung für die Unterbindung der Kommunikation zwischen den auf der arabischen Halbinsel und den auf dem afrikanischen Kontinent operierenden Terroristen. Allein ein Blick auf die Karte - das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin - und die Gefahren, die unter anderem in Algerien entstehen und auch uns drohen können, zeigen, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus nach wie vor gegenwärtig ist und es nicht nur unsere Aufgabe, sondern auch unsere Pflicht ist, ihn zur Sicherheit unserer eigenen Bürger an der Wurzel zu bekämpfen. Dazu leistet die Operation Enduring Freedom einen unverzichtbaren Beitrag. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Die USA haben einen neuen Präsidenten. Barack Obama steht für eine große Hoffnung. Endlich haben die Vereinigten Staaten die Chance, einen Weg aus dem Bush-Desaster zu finden. Vor allem den Afroamerikanern und den Hispanos ist dafür zu danken, dass sie das demokratische System genutzt haben, um Dummheit, Dreistigkeit und Demokratievergessenheit in die Vergangenheit zu schicken. Wir gratulieren dem amerikanischen Volk. Obama verspricht, das dunkelste Kapitel republikanischer Rechtsbeugung zu beenden; denn er verspricht, das Gefangenenlager Guantánamo aufzulösen. Hatte die Bundesregierung bislang gegenüber Bush nicht den Mut, dieses Krebsgeschwür des weltweiten Antiterrorkampfes zu skandalisieren, muss Obama wenigstens jetzt bei seinem Weg zurück zu rechtsstaatlichen Standards unterstützt werden. Deshalb sagen wir Linke: Deutschland muss bereit sein, Häftlinge aufzunehmen. Aus China, Libyen, Russland, Tunesien und Usbekistan kommen die Gefangenen. In 15 bis 20 Ländern wird nach Rumsfelds Befehl Jagd auf und die Tötung von vermeintlichen Terroristen betrieben. Damit muss jetzt Schluss sein. ({0}) Es liegt im deutschen Interesse, den Antiterrorkampf in all seinen rechtswidrigen Ausmaßen zu beenden. Deshalb fordern wir die Aufnahme von US-Gefangenen. Doch, meine Herren und Damen, ohne die völkerrechtswidrige OEF-Mission - Herr von Klaeden, Sie wissen, dass wir Ihre völkerrechtliche Interpretation da nicht teilen; wir gehen von einer völkerrechtswidrigen OEF-Mission aus - wären diese Übergriffe, von denen ich sprach, so gar nicht geschehen. Wer zu OEF Ja gesagt hat, nahm Menschenrechtsverletzungen billigend in Kauf. Wer weiter Ja zu OEF sagt, nimmt weiterhin in Kauf, dass das Völkerrecht gebrochen wird. ({1}) Die OEF hat nämlich nie ein Mandat der Vereinten Nationen bekommen. Im Namen von OEF werden in Afghanistan und in Pakistan Dörfer bombardiert. Mit Drohnen aus dem ISAF-Gebiet werden Frauen und Kinder getötet. Dieser Krieg ist schmutzig, und dieser Krieg ist gescheitert. Pakistans Premier nennt ihn kontraproduktiv. Präsident Karzai sagt - ich zitiere -, er stärke Antiamerikanismus und führe dazu, dass einheimische Stammesmilizen mit Taliban und al-Qaida kollaborieren. Darüber hinaus gibt es keine staatliche Souveränität in Afghanistan. Wer also Staats- und Zivilaufbau stärken will, muss diesen Antiterrorkampf beenden. Die Ausweitung von OEF auf Pakistan unterminiert die Grundlagen für einen Dialog mit der dortigen Regierung. Herr Außenminister Steinmeier will einen Dialog führen. Wenn er Erfolg haben will, muss er sich gegen OEF aussprechen. Ein Verbleib Deutschlands in der OEF macht seine diplomatische Mission politisch unglaubwürdig. ({2}) Natürlich weiß ich, dass die USA nicht wollen, dass das deutsche KSK an diesem Teil des Krieges teilhat. Sie wollen das lieber selber erledigen. Der deutschen Bevölkerung aber zu sagen - die Bundesregierung tut dies -, dass man das KSK aus der OEF abziehe, macht diese Regierung weder zu Friedensstiftern noch entlässt es sie aus der politischen Verantwortung für OEF. Darüber hinaus weiß mittlerweile alle Welt, dass erstens das KSK und die Quick Reaction Force längst in Afghanistan mit Kampfauftrag im Einsatz sind und dass zweitens die gesamte maritime Seite der OEF weitergeführt wird. Wir Linke sagen auch zum maritimen Antiterrorkampf entschieden Nein, nicht nur weil derzeit versucht wird, die Pirateriebekämpfung mit dem Antiterrorkampf zu verbinden, sondern auch weil im Rahmen der entgrenzten Selbstmandatierung, also im Zuge einer militärischen Selbstermächtigung, schon heute de facto die Sicherung von Handelswegen für Öl und Gas betrieben wird. Das Horn von Afrika und die Straße von Hormus sind die Lebensadern dieser begehrten fossilen Ressourcen. Hier wird bereits Militär für die Energiesicherung eingesetzt. Dies hat keine zeitliche Begrenzung. Mit Selbstverteidigung hat das nichts mehr zu tun. Auch das lehnen wir ab. ({3}) Wir Linke kennen die politischen Koordinaten. Es ist zweifellos richtig, dass sich Deutschland mit einem generellen Ausstieg aus OEF in eine Konfliktstellung zum transatlantischen Bündnis und den USA begeben würde. Zurück zum Völkerrecht ist denn auch eine außenpolitische Orientierung, die wir positiv mit Barack Obama verbinden. Das würde auch ihm neue Wege für eine Politik des Dialogs und der Kooperation statt der Konfrontation öffnen. Es würde deutlich dokumentieren, dass er eine Zäsur zur miserabelsten Politik will, die die Falken in den USA jemals gemacht haben. Die Bilanz von sieben Jahren Krieg gegen Terror ist vernichtend. Der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 war ausschlaggebend für die militärische Operation. Heute kann er nicht mehr für eine Begründung der Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta herangezogen werden. Man kann auch sagen: Spätestens seit der Regierungsübernahme durch Karzai ist er hinfällig geworden. Überzeugen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, den zukünftigen Präsidenten Obama davon, dass die transatlantischen Beziehungen gedeihen, wenn der Krieg gegen Terror beendet wird. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Debatte scheinbar routinemäßig abläuft: Wenn man sich die heutige Debatte und auch die Debatten der letzten Male genau anschaut, dann muss man feststellen, dass es im Gegensatz zu ISAF, dem Unterstützungsmandat in Afghanistan, für OEF eigentlich kaum noch eine Akzeptanz im Deutschen Bundestag gibt. Zumindest kann festgestellt werden, dass diese Akzeptanz ziemlich bröckelt. Herr Kolbow, Ihre Argumentation hier und heute war, dass OEF im Grunde genommen eine Ermächtigungsgrundlage ist - auf ewig und überall in der Welt. ({0}) - Sie haben sogar von Uganda, Eritrea und Somalia gesprochen. Sie meinen doch nicht wirklich, dass OEF eine Ermächtigungsgrundlage ist, auf ewig in all diesen Staaten einzugreifen. Genau das ist das Problem von OEF. ({1}) Das, Herr Kolbow, wird die Akzeptanz hier im Deutschen Bundestag nicht stärken. Herr Hoyer hat hier für seine Fraktion und auch im Ausschuss sehr deutlich die Kritikpunkte vorgetragen. Ich habe Sie so verstanden, dass auch Sie eine sehr kontroverse Debatte darüber hatten. Sie haben angekündigt, dass es auch wegen dieser schwierigen Grundlage möglicherweise das letzte Mal ist, dass die FDP zustimmt. Die Linke und wir werden nicht zustimmen. Bei der SPD muss man ehrlich sagen: Wenn es dem Außenminister nicht gelungen wäre, den Abzug der sozusagen fiktiven KSK-Soldaten und die Reduzierung der Marineeinheiten am Horn von Afrika durchzusetzen, dann hätten Sie hier kaum noch eine Zustimmung. Sogar in der CDU gibt es Enthaltungen und Neinstimmen. ({2}) Das muss man hier einmal ganz klar feststellen. Kerstin Müller ({3}) Deshalb meine ich: Dieser Einsatz ist im Grunde genommen heute nur noch reine Symbolpolitik. Er ist ein verbliebener Solidaritätsbeweis gegenüber den USA. Aber - das will ich hier sehr deutlich erklären, Herr Nachtwei hat dies das letzte Mal gesagt - Soldaten aus reiner Symbolpolitik in einen höchst fragwürdigen Einsatz zu schicken, ist unverantwortlich. ({4}) Vor dem Hintergrund der US-Wahlen wird das Ganze vollends absurd. Wenn irgendetwas für den gescheiterten Antiterrorkrieg - die Bush-Regierung hat ja von Krieg gesprochen - steht, dann ist das neben dem Irakkrieg der OEF-Einsatz. Wir können nicht einfach business as usual machen und das OEF-Mandat verlängern. Wenn es stimmt, dass die Wahl von Obama auch außenpolitisch eine Zäsur ist, dann muss es jetzt darum gehen, diesen Wechsel in den USA hin zu Obama für einen Neuanfang in der internationalen Politik und - so möchte ich es sogar sagen - für eine Neubegründung des transatlantischen Verhältnisses zu nutzen. Jetzt ist auch der Zeitpunkt, ganz ehrlich und ganz offen gerade vor dem Hintergrund der Ankündigungen, die Obama und seine Administration gemacht haben, gemeinsam darüber zu sprechen, wie denn eine Erfolgsstrategie in Afghanistan und eine Erfolgsstrategie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus künftig aussehen muss. Dafür ist heute der Zeitpunkt gekommen. ({5}) Zur Bemerkung von Herrn Hoyer, dass in den Medien schon jetzt Fragen beantwortet werden, die noch gar nicht gestellt wurden, will ich sagen: Erst einmal sollten wir genau hinschauen, was von der künftigen Administration bzw. von den außenpolitischen Beratern Obamas bisher geschrieben und gesagt wurde. Er selbst hat gesagt: Es ist die Zeit für eine neue Ära der internationalen Kooperation. Es ist die Zeit für Amerika und Europa, unsere gemeinsamen Vereinbarungen zu erneuern, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu begegnen. Das heißt, er will internationale Kooperation. Er will gemeinsam beraten und entscheiden. An erster Stelle steht für ihn - das betont er immer wieder -: gemeinsam mit Europa, mit der Europäischen Union. Das ist ein großer Unterschied zur Politik der Alleingänge der Ära Bush. Ich meine, genau dies ist der Ansatzpunkt, um das transatlantische Verhältnis neu zu begründen. Hier müssen wir uns aktiv einbringen und diese Chance nutzen. Wir dürfen nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange stehen und erst einmal abwarten, welche Forderungen die Amerikaner an uns richten. Vielmehr müssen wir jetzt mit der neuen amerikanischen Administration eine strategische Debatte darüber führen, wie es in der internationalen Politik weitergeht und wie eine Erfolgsstrategie nicht nur für Afghanistan, sondern insgesamt aussehen kann. ({6}) Der Antiterrorkrieg der Bush-Regierung ist nicht nur im Irak, sondern auch in Afghanistan gescheitert. Unsere Argumente haben wir an verschiedenen Stellen dargelegt. Das haben übrigens nicht nur wir getan, sondern auch Kollegen aus der SPD und andere Mitglieder dieses Hauses. Wir müssen genau hinschauen, was im Rahmen von OEF eigentlich getan wird. Man muss konstatieren, dass die Art und Weise der Kriegsführung im Süden und im Südosten die paschtunische Bevölkerung gegen die internationale Gemeinschaft aufgebracht hat. Ein Grund dafür ist, dass OEF überproportional viele zivile Opfer fordert. Ich verweise auf die Zahlen von UNAMA, der UN-Organisation vor Ort, die davon spricht, dass die Zahl ziviler Opfer gegenüber 2007 um 40 Prozent zugenommen hat. 90 Prozent der zivilen Opfer sind im Süden des Landes zu beklagen, und die Hälfte geht auf das Konto von OEF, also auf das Konto einer Kriegsführung, die oft - zu diesem Ergebnis kam Human Rights Watch in einer sehr guten Analyse - auf ungeplante Luftangriffe zurückzuführen ist. Das schürt den Hass, und das hat den Terrorismus dort gestärkt, statt ihn zu schwächen. Noch etwas: Im Rahmen von OEF werden immer wieder Tötungen auf Verdacht vorgenommen. Das ist eindeutig völkerrechtswidrig. Das ist etwas, was man ansprechen und kritisieren muss. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen - im ISAF-Headquarter ist davon immer wieder die Rede -: OEF kommt ISAF in die Quere, weil man unabgestimmt nach eigenen Einsatzregeln vorgeht. Summa summarum muss man sagen: Dieser Einsatz ist kontraproduktiv. Er gefährdet und untergräbt die Entwicklung einer Erfolgsstrategie für ISAF in Afghanistan insgesamt. ({8}) Deshalb sind wir für die Beendigung des OEF-Mandats. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Debatte darüber mit unseren amerikanischen Partnern jetzt führen müssen. Diese Diskussion sollten wir führen, bevor diese Art der Kriegsführung auch noch systematisch auf Pakistan ausgeweitet wird; ich hoffe, diesen Schritt haben Sie mit Ihrer Rede heute Morgen nicht rechtfertigen wollen, Herr Kolbow. An dieser Stelle verstehe ich die Bundesregierung überhaupt nicht. Sie, Herr Außenminister, haben Pakistan zu einem Schwerpunkt gemacht; so habe ich Sie jedenfalls verstanden. Sie sind mehrfach dort gewesen und haben hier berichtet: Dieses Land braucht Unterstützung, damit es nicht weiter destabilisiert wird, nicht nur mit Blick auf Afghanistan, sondern auch, weil es gefährlich ist, wenn eine Atommacht bzw. ein Atomland destabilisiert wird. Ich verstehe aber nicht, warum man sich nicht öffentlich - wenn nicht öffentlich, dann zumindest gegenüber den Amerikanern - glasklar äußert und sich gegen die Einsätze, die dort stattfinden, ausspricht. Die pakistani20036 Kerstin Müller ({9}) sche Regierung hat sich darüber beklagt. Wir wissen zwar nicht, ob das wirklich ernst gemeint ist; aber sie hat sich öffentlich beklagt. Man kann objektiv festhalten: Auch diese Einsätze sind kontraproduktiv. Auch diese Einsätze stärken die Taliban in den Tribal Areas. Das ist eine verfehlte Strategie, die auch in Pakistan zum Scheitern und möglicherweise zu einer Destabilisierung des Landes führen wird. Das können wir nicht wollen. ({10}) Ich glaube, die US-Wahlen und die neu gewählte amerikanische Regierung markieren eine Zäsur. Diese Chance müssen wir nutzen: für eine neue Zeit in der internationalen Politik, für mehr Multilateralismus, für eine Stärkung des Völkerrechts und für die Beachtung der Menschenrechte, auch und gerade im Kampf gegen den Terrorismus. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Müller, Sie haben vielleicht gemerkt, dass ich hinsichtlich der Redezeit etwas großzügiger war als sonst. Das ist Ihrem heutigen Geburtstag geschuldet. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich. ({0}) Nun erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden zu einer Kurzintervention das Wort.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Müller, trotz Ihres Geburtstags kann ich Ihnen meinen Widerspruch zu dem, was Sie mir unterstellt haben, leider nicht vorenthalten. Zum Ersten. Sie haben behauptet - Ihr Kollege Trittin hat das durch einen Zwischenruf noch unterstrichen -, dass ich durch die Tatsache, dass ich geschildert habe, welche Länder in Afrika von terroristischen Anschlägen betroffen sind, geradezu ein Interventionsrecht für uns konstruieren würde, um in diesen Staaten militärisch eingreifen zu können. Das ist wirklich eine geradezu absurde Unterstellung, die ich hier mit aller Entschiedenheit zurückweise. ({0}) Zum Zweiten haben Sie erneut behauptet, dass die Rechtsgrundlage nicht gegeben ist, und Sie sind mit keinem Wort auf die UN-Resolution eingegangen, die ich in meiner Rede zitiert habe und durch die - das gilt auch für dieses Jahr - das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 der UN-Charta hinsichtlich der Operation Enduring Freedom unterstützt wird. Sie haben aber nicht nur die Rechtsgrundlage hinsichtlich des Zeitablaufs, sondern Sie haben das Mandat grundsätzlich infrage gestellt. Ich finde, es gehört zur Redlichkeit dazu, dann auch zu erwähnen, dass dieses Mandat zum ersten Mal von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden ist und dass der grüne Außenminister Fischer für dieses Mandat die Federführung gehabt hat. Wenn Sie jetzt in dieser Art und Weise sagen, dass der Wechsel in der amerikanischen Regierung dazu führen muss, dass man das Mandat und auch seine völkerrechtliche Grundlage grundsätzlich infrage stellt, dann bestätigen Sie damit den Vorwurf der Linkspartei, dass Sie dieses Mandat damals nicht aus eigenem Willen und in eigener Souveränität, sondern auf fremde Veranlassung hin beschlossen haben. ({1}) Ich erwarte, dass Sie zu dem, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben, weiter stehen und hier vernünftige Gründe vortragen, wenn Sie glauben, davon abweichen zu können. Wenn Sie die Dinge aber grundsätzlich infrage stellen, dann stellen Sie damit auch das infrage, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Müller, bitte.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist völlig klar, dass es trotz meines Geburtstags auch eine Kontroverse geben kann. Jetzt haben Sie Behauptungen aufgestellt, die so nicht richtig sind. Ich habe das Mandat nicht grundsätzlich infrage gestellt. Ich habe vor allen Dingen politische Argumente dagegen genannt. Sie sagen, wir hätten dem Mandat zugestimmt. Natürlich, aber ich bitte Sie: 2001 gab es eine völlig andere Situation. ({0}) - Ja, sie war völlig anders. - Damals gab es die ISAF noch nicht. Nicht nur unsere Fraktion, sondern auch die Fraktion der FDP und jede andere Fraktion muss sich die Rechtsgrundlage dieses Mandates noch einmal genau anschauen. Zu Art. 51 der UN-Charta, dem Selbstverteidigungsrecht. Schauen wir einmal, was sich verändert hat. Inzwischen hat es den Petersberger Prozess gegeben. Nach Abschluss des Petersberger Prozesses hat die afghanische Regierung die volle Souveränität über ihr Land übernommen. Das ist ein großer Unterschied. Die ISAF hat mit ihrer Arbeit angefangen, und ihre Tätigkeit wurde auf das ganze Land ausgedehnt. Dieser Prozess sollte spätestens im Jahre 2006 abgeschlossen sein. Spätestens seitdem gibt es zumindest im Hinblick auf Afghanistan nur eine sehr fragwürdige Grundlage für das OEF-Mandat. Kerstin Müller ({1}) ({2}) ISAF ist dazu befugt, in enger Abstimmung mit und zur Unterstützung der afghanischen Regierung für die Sicherheit der Afghanen zu sorgen. Zumindest das muss man sich sehr genau anschauen. Ich frage Sie: Wollen Sie wirklich und ernsthaft behaupten, dass das richtige Selbstverteidigungsrecht der USA nach dem 11. September 2001 überall dort auf der Welt, wo es Terrorismus gibt, auf ewig gelten soll? Ich sage: Das kann nicht sein. Herr Kolbow, Sie haben sogar gesagt: Dieses Selbstverteidigungsrecht steht über einem Beschluss des Sicherheitsrates. - Das kann ja nun gar nicht sein. ({3}) Der Sicherheitsrat muss als Souverän entscheiden können, wann dieses Recht beendet ist und wann man den Kampf gegen den Terrorismus mit anderen Maßnahmen führt. Darum geht es uns, Herr von Klaeden. Wir sehen das - anders als die Linke - ganz klar so. Selbstverständlich müssen wir den Kampf gegen den internationalen Terrorismus führen, aber so, dass er wirksam ist, statt den Terrorismus weiter zu stärken. Genau das passiert aber durch OEF. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Uta Zapf das Wort. ({0})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, manchmal sollte man versuchen, eine Nummer kleiner anzusetzen. Worum geht es? Ich denke, wir sind uns alle einig, dass es darum geht, den Terrorismus zu bekämpfen. Wir sind uns uneinig darüber - manchmal gibt es nur kleine Unterschiede, manchmal etwas größere -, mit welchen Mitteln man das macht. Deshalb halte ich die Forderung für unsinnig, OEF zu beenden, ohne zu sagen, wie es dann weitergehen soll, und zwar in ganz Afghanistan, aber auch in Bezug auf Pakistan, auf das sich das OEF-Mandat nicht erstreckt. Wir haben als SPD schon darüber nachgedacht, dass die beiden Mandate im Prinzip zusammengeführt werden müssten. Aber das ist nur vor dem Hintergrund eines Strategiewechsels möglich, den Sie, Frau Müller, mit Recht einklagen und der auch in Bezug auf Pakistan gelten müsste. Denn wie wir alle immer wieder beklagt haben, ist es durch die Kriegsführung insbesondere der Amerikaner zu zivilen Opfern gekommen. Diese Kriegsführung ist kontraproduktiv, weil sie - darauf haben Sie hingewiesen - Hass erzeugt und dadurch den Terrorismus fördert. Aber wie können wir Terrorismus und Aufständische bekämpfen, ohne in dem gesamten Bereich eine solche Strategieänderung und unangenehme Nebenwirkungen - wenn ich das etwas zynisch so formulieren darf - herbeizuführen? Dafür haben wir noch keine endgültige Lösung. Wir sind alle aufgefordert, an einer Lösung mitzuarbeiten. Wir haben viel diskutiert und uns insbesondere - ich denke, das hat das ganze Haus ausgezeichnet - auf die zivile Hilfe konzentriert und diese immer weiter verstärkt. Wir wissen aber, dass dies auch heute noch nicht ausreichend wirksam ist, um eine so schwierige Situation wie in Afghanistan zu heilen. Es ist eine Illusion, sozusagen aus dem Mittelalter und nach einem 30-jährigen Krieg plötzlich in die Moderne übergehen zu können. Hinzu kommt - das haben wir vielleicht ein bisschen arg spät erkannt -, dass dasselbe Problem in Pakistan im Grenzgebiet zu Afghanistan virulent ist, weil sich dort Ruheräume für den Terrorismus aufgetan haben. Denn dort ist in den FATAs vonseiten der pakistanischen Regierung überhaupt keine staatliche Souveränität mehr wirksam. Deshalb ist davon auszugehen - wie am vergangenen Mittwoch im Auswärtigen Ausschuss festgestellt wurde -, dass Pakistan auf der Kippe steht, ein Failed State zu werden. Insofern glaube ich nicht, dass es um die Neubegründung der transatlantischen Zusammenarbeit oder Freundschaft - das ist eine große Nummer - durch einen Neuanfang in Afghanistan geht; vielmehr ist es eine internationale Aufgabe, endlich einmal über die virulenten Kriegsgebiete hinauszudenken. Wir müssen die gesamte Region in den Blick nehmen und regionale Möglichkeiten entwickeln, um Pakistan zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang möchte ich Frank-Walter Steinmeier herzlich danken, weil er durch seine Initiativen schon eine ganze Menge in die Wege geleitet hat. ({0}) Wir müssen versuchen, die Situation in Pakistan möglichst schnell zu beeinflussen. Dabei haben wir immer noch eine etwas bessere Ausgangsposition als in Afghanistan. Das heißt aber auch, dass wir in diesen Gebieten nicht mit militärischen Mitteln vorgehen dürfen. Ich glaube, jeder wird unterstreichen, dass die Angriffe der US-Amerikaner auf pakistanisches Gebiet zur Terrorbekämpfung kontraproduktiv sind. Wir müssen uns in diesen Regionen um Stabilisierung bemühen. Wir müssen eine Regionalstrategie unter Einschluss der Nachbarstaaten entwickeln. Das bedeutet, dass natürlich Pakistan im Mittelpunkt steht, dass wir aber auch Indien einbeziehen müssen, weil der pakistanisch-indische Konflikt seine Schatten auf diesen Bereich wirft. Ich möchte hinzufügen: Wir müssen auch den Iran einbeziehen. ({1}) Das ist aufgrund unserer Beziehungen zum Iran relativ schwierig. Sicherlich hoffen wir, dass Obama einiges anders machen wird. Aber wir müssen auch unseren eigenen Beitrag, zum Beispiel verstärkte Hilfe für Pakistan, leisten. Das ist von den Friends of Pakistan auch zugesagt worden. Es gibt eine weitere Initiative, die vor allem von der Türkei ausgeht, um einen Versöhnungsprozess zwischen Afghanistan und Pakistan, die sonst feindliche Gefühle füreinander hegen, zu bewirken. Wir müssen darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, noch einmal Geld in die Hand zu nehmen und Aufbauhilfe in der Region, in Pakistan und vor allem in den Gebieten zu leisten, in denen staatliche Strukturen nicht mehr wirken, damit die jungen Menschen dort eine Perspektive haben. Sonst laufen sie zum Terrorismus über. Lassen Sie mich einen weiteren regionalen Punkt anführen. Es gibt ein wenig beachtetes Flüchtlingsproblem in der Region. Über 4 Millionen sind nach 2002 aus Pakistan und dem Iran zurückgekehrt. Zudem gibt es sehr viele Binnenflüchtlinge, die zum Teil in Camps leben und immer wieder vertrieben werden und daher humanitäre Hilfe benötigen. Diese Menschen haben keine Jobs und vegetieren unter elenden Umständen. Ich denke, hier ist eine neue Quelle der Rekrutierung von Terroristen auszumachen. Wir müssen daher die internationalen Bemühungen zur Befriedung einer ganzen Region, aber auch die Unterstützung zum Wiederaufbau und die Hilfsmaßnahmen für Pakistan, Afghanistan und möglicherweise andere Länder genauer aufeinander abstimmen. Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass sich der Deutsche Bundestag als Parlament in der wohl einmaligen Situation befindet, über Ziel, Art, Umfang und Zeit des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland entscheiden zu können. Das ist eine Entscheidung, wie sie normalerweise in anderen Staaten nur die Exekutive, die Regierung, zu treffen hat. Deshalb müssen wir uns bei dieser Entscheidung in besonderem Maße vergegenwärtigen, dass wir damit eine unmittelbare persönliche Verantwortung für die betroffenen Menschen übernehmen. Zugleich müssen wir aber bedenken, dass wir internationalen Verpflichtungen unterliegen und gemeinsam mit anderen Staaten betroffen sind. Leider ist diese Last der Verantwortung offenbar nicht allen im Hause gegenwärtig, sodass immer wieder dazu aufgerufen wird - möglicherweise schielen die Betreffenden auf eine bestimmte Stimmungslage beim Wähler -, das Engagement zu beenden. An dieser Stelle möchte ich mich beim Verteidigungsministerium bedanken, das durch eine heute veröffentlichte Umfrage klargestellt hat, dass in der Tat drei von vier Wählern hinter dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan stehen. Ich finde, das ist bisher viel zu wenig bekannt gewesen und uns bewusst geworden. ({0}) Würden wir dem Begehren, alles stehen und liegen zu lassen und uns sofort zurückzuziehen, nachgeben, wären die Folgen äußerst ernst. Wir würden uns der internationalen Solidarität im Kampf gegen den nach wie vor gefährlichen Terrorismus verweigern, obwohl Deutschland - das müssen wir uns vergegenwärtigen - genauso wie Frankreich, Spanien, Großbritannien oder die USA unverändert ein relevantes Ziel der Terroristen ist. Die Folge wäre eine tiefgreifende Isolierung in der Gemeinschaft demokratischer Staaten und Völker. Die Terroristen würden in einer beispiellosen Art und Weise ermutigt, ihren Weg weiterzugehen, könnten sie unser Ausscheiden doch als Erfolg ihres Tuns ansehen. Die Verantwortung, die uns vom Verfassungsgeber auferlegt worden ist, zwingt uns, im Rahmen einer pflichtgemäßen Güterabwägung den Versuch aller - hier der Fraktion Die Linke -, sich aus dieser Verantwortung davonzustehlen, entschieden zurückzuweisen. Dennoch dürfen unsere Debatten und Entscheidungen über die Teilnahme von Angehörigen unserer Bundeswehr an internationalen Einsätzen nie Routine werden. Jeder einzelne Schritt muss stets neu geprüft und wohlüberlegt werden. Deshalb sind in den zurückliegenden Jahren Umfang und Natur des Einsatzes immer wieder angepasst und auch geändert worden. Nur so können wir in der Tat der uns auferlegten Verantwortung gerecht werden. ({1}) Dieses Bemühen kommt auch im vorliegenden Antrag zum Ausdruck. Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von OEF in Afghanistan wird deshalb beendet. Die 2001 unter den damaligen Gegebenheiten gerechtfertigte Obergrenze von 3 900 Soldatinnen und Soldaten wird auf nur noch 800 reduziert, und ihr Einsatzgebiet wird entsprechend verkleinert und neu definiert, ebenso der Umfang und die Art ihres Einsatzes. Er beschränkt sich künftig auf die Überwachung und Sicherung von Seewegen. Das bedeutet natürlich nicht, dass unsere Arbeit in Afghanistan etwa erledigt ist; vielmehr eröffnet diese Neujustierung die Möglichkeit, dass wir uns noch stärker als bisher auf unsere Aufgaben im Rahmen von ISAF konzentrieren können. Dazu müssen wir unseren Verbündeten und unserer Bevölkerung deutlich machen, dass Terrorbekämpfung für uns nicht bloß eine rein militärische Aufgabe ist, sondern vor allem ein Instrument, um den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan voranzutreiben. Nur so werden wir letztlich Zustände schaffen können, die es uns eines Tages erlauben, uns guten Gewissens aus Afghanistan zurückzuziehen. Die verbleibenden Kräfte werden im Sinne des Antrags insbesondere zur Überwachung und Sicherung der Seewege am Horn von Afrika eingesetzt. Gerade die immer aggressiver werdenden Attacken von Piraten vor der somalischen Küste führen uns die Verletzlichkeit der Seewege immer wieder deutlich vor Augen. Ich bin froh, dass sich jetzt ein Weg zu mehr konkretem Schutz der Schiffe vor solchen Verbrechen abzeichnet und Deutschland sich daran beteiligen wird. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir ein Land sind, das in ganz hohem Maße von einem sicheren Zugang zu den Weltmärkten auf dem Seeweg abhängig ist. Wir sind durch solche Angriffe deshalb höchst verletzlich. Der Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Seewegen schützt daher auch unsere ureigenen nationalen Interessen. Damit bestätigt Deutschland wiederum seinen Ruf als ein zuverlässiger Partner seiner Freunde und Mitstreiter in einer insgesamt recht unruhigen Welt. Das so erworbene Vertrauen ist ein Kapital - so müssen wir es sehen -, auf das wir hoffentlich nie zurückgreifen müssen; aber wir könnten doch im Falle des Falles darauf angewiesen sein. Ich halte daher den vorliegenden Antrag der Bundesregierung für richtig und unterstützenswert. Unsere Soldatinnen und Soldaten können sich bei diesem Einsatz auf unsere nachhaltige Unterstützung stets verlassen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Rolf Kramer für die SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Müller, auch von dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich bei Ihren Ausführungen auf das Thema besonnen hätten, das heute ansteht, nämlich die Verlängerung des im Antrag der Bundesregierung formulierten Mandats. Ich lese noch einmal vor, wo wir tätig werden sollen: Der deutsche Beitrag wird im Gebiet gemäß Artikel 6 des Nordatlantikvertrages sowie am Horn von Afrika einschließlich angrenzender Seegebiete ({0}) geleistet. Sie haben hier fast ausschließlich über Afghanistan berichtet. Das ist nicht Gegenstand des heute zu beratenden Mandats. Wir entscheiden heute ausschließlich darüber, wo die deutsche Bundesmarine - es ist ausschließlich ein seegebundenes Mandat - in Zukunft tätig sein wird. Wenn Sie einfordern, dass zusammen mit den Vereinigten Staaten - auch wir setzen große Hoffnung in den neuen amerikanischen Präsidenten - eine neue Taktik, eine neue Strategie entwickelt wird, dann wäre es aus unserer Sicht der falsche Weg, jetzt aus diesem Mandat auszusteigen, um Fakten zu schaffen. Das kann, wenn es in Zukunft mehr multilaterale Vereinbarungen gibt, nur gemeinsam mit der neuen amerikanischen Administration gemacht werden. Auf diesen Weg sollten wir uns tatsächlich begeben. ({1}) Frau Knoche von der Linkspartei hat hier die üblichen Dinge vorgetragen, die sich darin erschöpfen, dass wir einen völkerrechtswidrigen Krieg führen, dass der Antiterrorkampf beendet werden muss und dass wir menschenrechtswidrige Maßnahmen unterstützen. Frau Knoche, wenn wir nicht der Meinung wären, dass dieses Mandat durch die Resolutionen 1368 und 1373 der Vereinten Nationen gedeckt ist, dann würden wir dem nie und nimmer zustimmen; denn wir legen sehr viel Wert darauf, dass wir hier Mandate ausführen, die aufgrund eines Aufrufs der Vereinten Nationen entstanden sind. Wir sind nicht der Meinung, dass das völkerrechtswidrig ist. Sie tragen immer das gleiche Argument - Völkerrechtswidrigkeit - vor. Ich finde, Sie sollten sich überlegen, ob Sie nicht zum Bundesverfassungsgericht gehen, um diese Angelegenheit endgültig zu klären. Es ist vollkommen unangemessen, was Sie hier tun. Wir sprechen in jedem Jahr über die Verlängerung dieser Mandate, und wir hören von Ihrer Seite immer das gleiche Argument: völkerrechtswidrig. Ich meine, Sie sind jetzt in der Bringschuld, das klären zu lassen. Dazu ist in Deutschland das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Lassen Sie mich noch kurz aus verteidigungspolitischer Sicht folgende Dinge ausführen: Das Mandat, über das wir reden, existiert seit 2001. Wir haben ursprünglich mit etwa 3 900 Soldatinnen und Soldaten angefangen. Dieses Mandat war teilweise auch für Afghanistan vorgesehen. Wir haben dank der Initiative der SPD-Fraktion seit etwa zwei Jahren eine Arbeitsgruppe - sie nennt sich Taskforce -, die sich mit unserem Einsatz in Afghanistan ganz intensiv beschäftigt. Wir haben im letzten Jahr vorgeschlagen, dass die 100 KSK-Soldaten nicht mehr Gegenstand dieses Mandats sind. Ich danke unserem Außenminister für seine Zustimmung dazu, dass wir in diesen Antrag hineingeschrieben haben, dass wir nur noch am Horn von Afrika tätig sind. Die Reduzierung umfasste aber nicht nur die Anzahl der Soldatinnen und Soldaten; wir haben darüber hinaus mehrfach die Qualität des Mandats reduziert. Ich nenne nur den Wegfall der ABC-Abwehrkräfte im Jahr 2003. Aktuell sind am Horn von Afrika 96 Bundeswehrangehörige im Einsatz. Im Mittelmeer beteiligen sich an der Operation Active Endeavour 23 bis 24 Soldaten, die auf einem U-Boot tätig sind. Wir werden dort in Zukunft wieder mit einem etwas verstärkten Ansatz tätig sein. Das Orion-Aufklärungsflugzeug wird durch eine Fregatte abgelöst, und dann werden wir dort sicherlich wieder etwas über 200 Soldaten im Einsatz haben. Man hört von Zeit zu Zeit folgende Argumente: Wenn Schiffe im Einsatz sind, haben die deutschen Soldaten eigentlich sehr wenig zu tun. Sie haben sehr wenige Boarding-Maßnahmen etc. durchzuführen. Eigentlich sollten wir sehr glücklich sein, dass es allein aufgrund der Anwesenheit der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in diesem Bereich nicht nötig ist, stärkere aktive Maßnahmen zu ergreifen. ({2}) Ich möchte mich ganz herzlich bei den Soldatinnen und Soldaten der Bundesmarine bedanken, die dort im Einsatz sind. Wir werden der Verlängerung dieses Mandates zustimmen. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Robert Hochbaum für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Name des Mandats, dessen Verlängerung heute beschlossen werden soll, geht uns, auch wenn er nicht in deutscher Sprache ist, nach siebenmaliger Verlängerung und breiter Diskussion recht einfach über die Lippen. Es scheint mir jedoch, als sei bei uns im Hause die innere Bedeutung der sogenannten Operation Enduring Freedom nicht immer präsent. Erlauben Sie mir deshalb, speziell auch für Sie, Frau Knoche, auf die Übersetzung einzugehen, die uns das übergeordnete Ziel dieses Einsatzes in Erinnerung ruft. Frau Knoche, Operation Enduring Freedom heißt so viel wie Einsatz für nachhaltige Freiheit bzw. für dauerhaft zu erhaltende Freiheit. Es ist schon schlimm, wenn man den Antiterroreinsatz als „Krebsgeschwür“ bezeichnet. ({0}) Dauerhaft zu erhaltende Freiheit: Das ist es, worum es im Kern geht, warum es wichtig ist, dass wir das Mandat verlängern, und warum sich Deutschland an der Bekämpfung des Terrorismus aktiv beteiligen muss. Wir können bei der gegenwärtigen asymmetrischen Bedrohungslage eben noch nicht von nachhaltiger Freiheit oder nachhaltiger Friedenssicherung sprechen; denn immer wieder müssen wir leider schmerzlich erfahren, mit welcher Menschenverachtung und Hinterhältigkeit Terroristen vorgehen, wobei sie weder Frauen noch Kinder und andere verschonen. Der Einsatz bleibt also notwendig, um der Bedrohungslage entgegenzuwirken. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir müssen den Gefahren dort begegnen, wo sie auftreten, zum Beispiel auch am Horn von Afrika. ({1}) Wir müssen handeln, bevor die verheerenden Auswirkungen und Folgen perfiden terroristischen Handelns auch das Leben der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes bedrohen können. An dieser Stelle - es wurde schon mehrfach getan, aber man kann es gar nicht oft genug tun - möchte ich nicht versäumen, allen eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Kräften im Einsatz meinen Dank auszusprechen. Sie leisten hoch motiviert eine ausgezeichnete Arbeit und dienen dadurch direkt dem Sicherheitsinteresse unseres Landes und unserer Bürger. ({2}) Darauf können sie und wir stolz sein, und deswegen sollten wir sie heute hier mit einer breiten Zustimmung unterstützen. Weil im Zusammenhang mit dem OEF-Mandat immer wieder von angeblicher Rechtsunsicherheit gesprochen wird - da bin ich wie viele andere, auch der Sicherheitsrat, anderer Meinung -, freut es mich ganz besonders, dass auch die FDP die rechtlichen Grundlagen, nämlich Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und Art. 5 des Nordatlantikvertrages, in ihrem vorliegenden Entschließungsantrag jedenfalls zurzeit klar als gegeben ansieht. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, einmal positiv festzustellen, wie verantwortungsvoll sich die FDP als Oppositionspartei in diesem Fall verhält. Auch hier wurde meiner Meinung nach erkannt, dass es bei der heutigen Entscheidung letztendlich um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande geht. Ich weiß, meine Damen und Herren von der FDP, dass es für eine Oppositionspartei nicht selbstverständlich ist, mit den Regierungsparteien zu stimmen. Ich danke Ihnen, weil Sie das gerade bei einem für die Menschen in unserem Land so wichtigen Thema tun, weil Sie Verantwortung und nicht Populismus in den Vordergrund stellen. ({3}) Natürlich muss sich mittelfristig erst etwas ändern. Natürlich gelten die Bedingungen und Voraussetzungen für das Mandat zwar noch heute, aber sicher nicht für immer. Erfreulicherweise hat auch unsere Bundeskanzlerin vor einigen Tagen in ihrer Rede anlässlich einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e. V. von einer Überarbeitung des strategischen Konzeptes der NATO gesprochen. Ich kann ihr in dieser Hinsicht als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO aus vollster Überzeugung zustimmen. In der Tat ist das derzeitige strategische Konzept der NATO vor der neuen internationalen Bedrohung des Terrorismus entstanden. Man hat sich damals kaum vorstellen können, dass Terroristen generalstabsmäßig geplante, militärisch durchgeführte Terroraktionen begehen, die Tausenden von unschuldigen Menschen das Leben kosten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei?

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Hochbaum, ich habe allen Rednern der Großen Koalition sehr sorgfältig zugehört, um eine Antwort auf die entscheidende Frage nach der Wirksamkeit der Operation Enduring Freedom zu bekommen. Am letzten Montag gab es eine sehr interessante Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo ein ehemaliger pakistanischer Botschafter in Kabul und jetziger Berater der Friedens-Jirga auf pakistanischer Seite zu Enduring Freedom sagte, dass sie mehr Militanz geschaffen und mehr Terrorismus hervorgebracht habe. Das sehe man jeden Tag. Es sei ein Paradigmenwechsel notwendig. Meine erste Frage: Wie bewerten Sie diese Aussage zur kontraproduktiven Wirkung von Enduring Freedom? Zweitens. Sind Ihnen von der Bundesregierung irgendwelche Informationen zugänglich gemacht worden, die dieses harte Urteil widerlegen würden? Ich als Obmann habe dazu keinerlei widerlegenden Argumente und Informationen von der Bundesregierung bekommen. ({0})

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke für Ihre Frage. - Ich will zu dieser einzelnen Stellungnahme nicht Stellung beziehen. Es gibt viele Stellungnahmen. Wir alle können Papiere von vielen klugen Menschen, die zu allem viel Kluges sagen, aus der Tasche ziehen. Aber auf einen Aspekt möchte ich eingehen. Es wird oft kritisiert, dass wenige Terroristen festgenommen worden oder wenige große Waffen gefunden worden sind. Aber das heißt für mich nicht, dass wir dadurch, dass wir dort präsent und aktiv sind, so etwas nicht verhindern. Sie können doch nicht beispielsweise die Polizei abschaffen, nur weil keine Straftäter gestellt werden. Das geht doch nicht. Wir sind dort auch präventiv tätig. Wir sorgen dafür, dass keine terroristischen Aktivitäten erfolgen, das heißt, wir verhindern terroristische Aktivitäten. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass wir erfolgreich sind. ({0}) Doch unabhängig davon entscheiden wir heute über die Verlängerung des OEF-Mandates. Das ist übrigens ein Einsatz, bei dem - es wurde eben genannt - nicht nur die USA, Großbritannien und Deutschland, sondern auch Länder wie Kanada, Tschechien, Italien, Frankreich, die Niederlande und Norwegen - auch Pakistan, wie wir vorhin erfahren haben -, also viele Nationen der freien Welt, beteiligt sind. Sie alle wollen nur eines, nämlich Schaden von ihren Bürgerinnen und Bürgern abhalten und Sicherheit für ihre Länder gewährleisten. Deshalb sind sie mit uns gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus angetreten und aus keinem anderen Grund, Frau Knoche. Weil es nicht um billigen Populismus, sondern um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land geht, bitte ich um Ihre Zustimmung zur Mandatsverlängerung. Herzlichen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/10824 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Dazu liegen von fünf Kolleginnen und Kollegen persönliche Erklä- rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 16/10720 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. An allen Urnen sind die Stimmen abgege- ben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung gebe ich Ihnen an- schließend bekannt.2) Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich dieje- nigen, die den weiteren Abstimmungen und Beratungen nicht folgen wollen, bitten, den Saal zu verlassen oder ihre Gespräche einzustellen. Wir können jetzt die Abstimmungen fortsetzen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/10890? - Wer ist dage- gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/10829? - Wer ist da- gegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP- Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken ebenfalls abgelehnt. Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7908, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6098 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 18 c. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine deutschen Soldaten für eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stellen - 1) Anlage 5 2) Ergebnis Seite 20044 C Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9710, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7890 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2008 - Drucksache 16/10454 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Klaas Hübner, Andrea Wicklein, Ernst Bahr ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Joachim Günther ({3}), Jan Mücke, Horst Friedrich ({4}), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 - zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 - Drucksachen 16/7015, 16/7014, 16/6500, 16/8865 - Berichterstattung: Abgeordnete Petra Weis Jan Mücke c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Roland Claus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Erhöhung von Transparenz und Zielgenauigkeit des Mitteleinsatzes für die ostdeutschen Bundesländer - Drucksachen 16/7567, 16/9120 Berichterstattung: Abgeordneter Joachim Günther ({6}) Zum Jahresbericht 2008 liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und zwei Entschließungsanträge der Fraktion DIE LINKE vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung Herrn Bundesminister Wolfgang Tiefensee. ({7})

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit am 13. November, vier Tage nach dem 9. November 2008. Ich bin jetzt mittlerweile fast 19 Jahre im politischen Geschäft - in ganz unterschiedlichen verantwortungsvollen Funktionen, ausgehend vom runden Tisch der Stadt Leipzig, an dem ich im März 1990 Platz genommen habe. Es erfüllt mich mit Blick auf den 9. Oktober, auf den 9. November oder auf den 3. Oktober immer wieder mit Stolz, dass wir konstatieren können, dass unser Land zusammengewachsen ist. Der Aufbau Ost hat an Fahrt gewonnen. Wir können mit großem Respekt vor der Lebensleistung insbesondere derjenigen, die in Ostdeutschland leben, feststellen, dass wir sehr gut vorankommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paar einfache Wahrheiten am Anfang. Wenn wir in den Jahren 2009 und 2010 die großen Jubiläen vor uns haben, dann bleibt daran zu erinnern, dass es die Menschen in der ehemaligen DDR, die Menschen in Ostdeutschland gewesen sind, die die deutsche Einheit möglich geBundesminister Wolfgang Tiefensee macht haben. Wir können mit Stolz und Respekt vor dieser Leistung diese Jubiläen begehen. ({0}) Niemand in diesem Hause rüttelt am Solidarpakt II. Das ist das große Versprechen der Solidarität. 156 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, um den Angleichungsprozess zu beschleunigen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie den Bericht aufschlagen, dann werden Sie eine Fülle von Datenmaterial vorfinden. So wäre es für mich relativ einfach, jetzt wieder den Ost-West-Vergleich zu zitieren, das Bruttoinlandsprodukt zu vergleichen, aber auch - negativ - die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit. Ich möchte aber in diesem Jahr einen neuen Akzent setzen und Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt lenken. Wir dürfen die deutsche Einheit nicht immer nur an diesen Vergleichszahlen messen. Damit würden wir nur immer wieder auf die Frage zielen, ob Ostdeutschland schon in jedem einzelnen Bereich so weit ist wie die alten Bundesländer oder Westeuropa. Wir brauchen eine andere Betrachtungsweise. Diese haben wir erstmals in diesem Bericht zum Stand der deutschen Einheit niedergelegt. Wir stehen in Ostdeutschland vor Herausforderungen, vor denen gleichermaßen ganz Deutschland steht. Diesen Herausforderungen wollen wir mit ostdeutschen Antworten begegnen. Dabei geht es um folgende Punkte: Erstens. Wir müssen deutlich machen, dass ausgehend von Ostdeutschland eine Innovationskraft in der Wirtschaft wächst, die für ganz Deutschland gut ist. Zweitens. Ostdeutschland muss in der Lage sein, die großen sozialen Spannungen, die es überall in unserem Land gibt - insbesondere was die Arbeitslosigkeit betrifft -, zu meistern. Drittens. Wir stehen vor immensen demografischen Problemen. Es gilt, in Ostdeutschland für Gesamtdeutschland die Antworten auf diese Probleme zu finden. Viertens. Ostdeutschland steht für eine intensive Kooperation zwischen Deutschland und den neuen EUMitgliedstaaten. Ostdeutschland rennt also nicht Westeuropa hechelnd hinterher, Ostdeutschland versucht nicht, etwas zu kopieren, was andere Bundesländer irgendwann vorgemacht haben, sondern Ostdeutschland hat die Antworten, um ganz Deutschland innerhalb der Europäischen Gemeinschaft voranzubringen. Ich gehe zunächst auf den Bereich der Wirtschaft ein. Wir haben eine hervorragende Entwicklung im industriellen Sektor bei den erneuerbaren Energien. ({1}) Wir stärken diese Entwicklung, indem wir die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Investitionszulage fortsetzen, indem wir die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe jetzt noch einmal aufstocken und indem wir im Rahmen des Maßnahmenpakets der Bundesregierung, das wir dem Bundestag und dem Bundesrat vorschlagen, noch einmal Investitionsmittel aufstocken, was insbesondere Ostdeutschland zugute kommt. Das ist heute die positive Nachricht. ({2}) Darüber hinaus investieren wir in Forschung und Entwicklung. Wir brauchen in der Industrie und im Mittelstand mehr Forschungs- und Entwicklungskapazitäten. Programme wie Inno-Watt und Inno-Regio, Innovationswettbewerbe wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ sowie das Bemühen um externe Forschungs-GmbHs führen dazu, dass wir bestehende Defizite beheben. Wenn wir in die Arbeitsplätze und in die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands investieren, dann betreiben wir nachhaltigen Aufbau Ost. Die Bundesregierung steht dafür. In Richtung der Linken sei es noch einmal gesagt: Wer diese wirtschaftliche Entwicklung konterkariert, indem er immer wieder nur schwarzmalt, wird die Kräfte, die wir in Ostdeutschland brauchen, nicht wecken, sondern erdrücken. Deshalb müssen wir eine Politik machen, die die Kräfte in Ostdeutschland stärkt. Ich komme zu einem weiteren Thema. Es geht darum, die Langzeitarbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen und die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, die immer noch doppelt so hoch ist wie in Westdeutschland, abzubauen. Es gab noch nie so wenige Arbeitslose wie im Oktober 2008. Das ist die gute Nachricht. Aber immer noch gibt es eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit, der wir zum Beispiel mit unserem Programm „Kommunal-Kombi“ begegnen. Wir kombinieren Gelder der Bundesregierung, der Länder und des Europäischen Sozialfonds. Mein Appell an die Länder ist: Tun Sie mehr in dieser Richtung! Wir müssen uns aber auch den demografischen Herausforderungen stellen. Mit unseren Programmen „Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ sorgen wir dafür, dass Wohnungen vom Markt genommen werden und dadurch Wohnungsunternehmen stabilisiert werden. Gleichzeitig werten wir dadurch die Innenstädte und die innenstadtnahen Räume auf. Das sind Stadtentwicklungspolitik und Sozialpolitik par excellence. Wir kombinieren das mit unserem CO2-Gebäudesanierungsprogramm. ({3}) Licht und Schatten liegen nach wie vor dicht beieinander. Lassen Sie uns auf der Basis dieses Berichtes den Herausforderungen, vor denen ganz Deutschland steht, mit den ostdeutschen Antworten, mit unserer speziellen Erfahrung und mit unserer Motivation begegnen. Meine Damen und Herren, der Osten ist auf gutem Wege. Wir werden auch die nächste Distanz gut zurücklegen - mit vereinten Kräften, vor allen Dingen aber auch mit der Kraft der Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland und mit einer großen Solidarität, die keine Himmelsrichtungen kennt. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, würde ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekanntgeben: abgegebene Stimmen 566. Mit Ja haben gestimmt 428, mit Nein haben gestimmt 130. 8 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung und damit der Antrag der Bundesregierung sind also angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 566; davon ja: 428 nein: 130 enthalten: 8 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({1}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser ({5}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Christian Hirte Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({9}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({11}) Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Bernd Neumann ({14}) Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt SPD Gerd Andres Niels Annen Rainer Arnold Ernst Bahr ({24}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Volker Blumentritt Kurt Bodewig Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({25}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Günter Gloser Angelika Graf ({26}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Gerd Höfer Frank Hofmann ({28}) Eike Hovermann Christel Humme Johannes Jung ({29}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Waltraud Lehn Lothar Mark Caren Marks Markus Meckel Petra Merkel ({31}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({32}) Michael Müller ({33}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({34}) Michael Roth ({35}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({36}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({37}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Ulla Schmidt ({38}) Silvia Schmidt ({39}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({40}) Carsten Schneider ({41}) Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({42}) Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Jörg Vogelsänger Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({43}) Dr. Rainer Wend Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({44}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({45}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({46}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({47}) Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Birgit Homburger Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Michael Link ({48}) Markus Löning Dr. Erwin Lotter Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({49}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({50}) Nein CDU/CSU ({51}) Dr. Peter Gauweiler Willy Wimmer ({52}) SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Klaus Barthel Dr. Axel Berg Lothar Binding ({53}) Clemens Bollen Marco Bülow Dr. Peter Danckert Renate Gradistanac Dr. Reinhold Hemker Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({54}) Christian Kleiminger Helga Lopez Hilde Mattheis Maik Reichel Gerold Reichenbach Sönke Rix Swen Schulz ({55}) Wolfgang Spanier Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt FDP Sabine LeutheusserSchnarrenberger DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Jan Korte Oskar Lafontaine Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({56}) Volker Schneider ({57}) Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({58}) Volker Beck ({59}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Priska Hinz ({60}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Thilo Hoppe Sylvia Kotting-Uhl Renate Künast Undine Kurth ({61}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({62}) Omid Nouripour Claudia Roth ({63}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Dr. Wolf Bauer SPD Iris Hoffmann ({64}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren FDP Michael Kauch Nun hat als nächster Redner das Wort der Kollege Joachim Günther für die FDP-Fraktion. ({65})

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute zum wiederholten Male über den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit. Auch nach 19 Jahren halte ich es für etwas tragisch, dass darüber immer am späten Nachmittag debattiert wird. ({0}) Ich glaube, die deutsche Einheit hätte einen besseren Zeitpunkt verdient, als das jetzt der Fall ist. ({1}) Wir haben wieder einen Bericht vorliegen, der eine Fleißaufgabe der Bundesregierung darstellt; das ist unumstritten, Herr Minister. Wir haben einen Bericht vorliegen, in dem einige Fakten klar aufgelistet werden. Die Menschen wollen aber nicht nur die Vorlage eines Berichts. Sie wollen im Endeffekt aus den Ergebnissen dieses Berichts ein Handeln abgeleitet haben. Dieses Handeln merken sie im tagtäglichen Leben. Wir werden noch so lange über einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit sprechen, solange es unterschiedliche Lohn- und Rentenberechnungen gibt, solange es unterschiedliche Beitragssätze und unterschiedliche Beitragsbemessungsgrenzen gibt. Das sind Dinge, die die Menschen täglich spüren. Die müssen wir auflösen. Deshalb hatte ich, ehrlich gesagt, das Gefühl: Sie haben hier zwar ein hervorragendes Grußwort gehalten, aber auf die Fakten keine Antwort gegeben. ({2}) Das müssen wir meines Erachtens ändern. Lassen Sie mich zum Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit kommen. Es wurden wirklich alle Felder aufgenommen: von der Wirtschafts- bis zur Jugendpolitik; ich will nicht jeden Punkt aufführen. Absolut betrachtet - auch Sie haben das gesagt - geht es auf dem Arbeitsmarkt im Osten aufwärts; das bestreitet niemand. Aber der Beseitigung des Phänomens, das wir seit Jahren haben, nämlich dass die Arbeitslosigkeit, betrachtet man Gesamtdeutschland, im Osten doppelt so hoch ist, sind wir leider keinen Schritt nähergekommen. Joachim Günther ({3}) Das gilt auch für das Wirtschaftswachstum. Sie haben zwar gesagt, man solle dies nicht immer in Zahlen ausdrücken. Man muss so etwas aber in Zahlen ausdrücken. ({4}) Nehmen wir das Bruttoinlandsprodukt: Es ist seit 1995 in Westdeutschland um 16,9 Prozent und im Osten nur um 16,3 Prozent gestiegen. Das bedeutet, die Schere ist selbst statistisch betrachtet nicht enger geworden. Das muss uns in dieser Zeit wachrütteln. Das bedeutet, dass es ein gemeinsames Engagement von Bund, Ländern und Kommunen geben muss. Das bedeutet, dass es nicht immer nur darum geht, mehr Mittel zu fordern. Das wollen wir nicht. Es ist das Anliegen der Linken, ständig mehr Geld zu fordern, ohne zu sagen, woher es kommen soll. Meines Erachtens ist es aber sehr wichtig, das zur Verfügung stehende Geld zu koordinieren und in die richtigen Bahnen zu lenken, dorthin, wo es die größten Effekte hat. ({5}) Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in funktionierende Wohnungsmärkte, lebenswerte Städte - all das sind Dinge, die die Standortbedingungen in Ostdeutschland erhalten und ausbauen können. Die Menschen wollen das. Sie wissen, dass viel getan wurde; das streitet niemand ab. Aber es muss weitergehen; sonst setzt sich die Abwanderung aus dem Osten Deutschlands fort. Dabei müssen in der heutigen Situation Infrastrukturinvestitionen als Konjunkturprogramm gesehen werden und einen besonderen Vorrang erhalten. Ich finde es auch gut, dass Sie den Investitionsanteil im Bau- und Verkehrshaushalt erhöht haben. Das ist zweifelsohne richtig. Bloß, wer die Zahlen genauer betrachtet - dies jetzt zu tun, würde zu weit führen -, wird sehen, dass mit dieser Erhöhung noch nicht einmal die Inflationsrate und der Preisanstieg ausgeglichen wurden. Wir bauen also in der Relation weniger als 1998. ({6}) Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen: Als ehemaliger OB von Leipzig kennen Sie sicherlich die A 72. Sie sollte zur Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig sein. Heute reden wir über den letzten Planungsabschnitt. Sie kennen sicher die - scherzhaft gesagt - schnellste Eisenbahnverbindung Deutschlands von Dresden nach Berlin. Auf dieser Strecke sind wir vor 80 Jahren schneller gefahren, als das heute der Fall ist. Da müsste man sich einmal etwas einfallen lassen. ({7}) Als ich gestern sächsische Zeitungen gelesen habe, habe ich gedacht, Sie haben die Koalition gekündigt. Zumindest kommt es einem so vor. Die Große Koalition gibt es ja in Dresden und hier. Der Kollege Kretschmer - ich sehe ihn jetzt nicht - hat gesagt: Wir wollen die Bauanträge sofort schreiben. Wir wollen noch in diesem Jahr damit beginnen. Die ersten Bagger müssen rollen. Der Herr Minister hat darauf geantwortet - in gewisser Hinsicht kann ich das sogar verstehen -: Was der da treibt, ist unsachlich und billige Polemik. - Ich habe einen Vorschlag: Sie bilden eine Koalition. Setzen Sie sich zusammen und reden Sie darüber. Sagen Sie den Menschen, wo es hingehen soll. ({8}) Herr Tiefensee, es gibt aber auch Projekte, die mit überschaubaren Mitteln sofort eine ganze Region weiterentwickeln können. Ich möchte hier die durchgehende Elektrifizierung der Franken-Sachsen-Magistrale nennen. Das ist ein Projekt, das die Freistaaten Sachsen und Bayern vorangetrieben haben. Alle Voruntersuchungen sind abgeschlossen. Es geht nur noch um das Unterwerk für Energieeinspeisung in Hof. Das ist das Einzige, was bei diesem immensen Bauabschnitt noch offen ist. Sie sagen, es gibt neue Investitionen in die Infrastruktur. Hier geht es um 30 Millionen. Durchschlagen Sie diesen Knoten. Fangen Sie an dieser Stelle an. Es kann sofort losgehen mit Investitionen, die den Menschen in der Region nützen und Arbeitsplätze schaffen. ({9}) Ein Wort zur Städtebauförderung. Der Stadtumbau Ost ist eine wichtige Voraussetzung, um wirtschaftliche Kerne in einer Region aufzubauen. Die Städte haben in letzter Zeit zum Teil eine gute Entwicklung genommen. Nach wie vor gibt es aber 1 Million Wohnungen im Osten, die leer stehen. Das ist etwas, was der Attraktivität schadet. Das Programm Stadtumbau Ost ist eindeutig ein hervorragendes Programm und schafft gute Ansätze. Zu dem, was gut ist, muss man stehen. Unsere Aufgabe wird es sein, die Attraktivität der Städte im Osten weiter zu steigern. Es muss nach einer geschickten Verbindung zwischen Rückbau und Stadtentwicklung gesucht werden. Wenn man diese Synthese findet, werden hoffentlich nicht mehr so viele alte Häuser, die ein Stadtbild prägen, abgerissen, dann werden diese alten Häuser hoffentlich stärker integriert. Dann muss man eben am Stadtrand zurückbauen. Weitere Wohnungen auf grünen Flächen brauchen wir nicht. Davon haben wir im Moment genügend. Als Beispiel ist in diesem Zusammenhang das Schloss Osterstein in Zwickau zu nennen. Hier hat man etwas geschaffen, was Stadtentwicklungs- und Stadtfördermittel verdient. Ein Renaissanceschloss, das dem Verfall preisgegeben war, aber für Sachsen in architektonischer Hinsicht wertvoll ist, wurde umgebaut. In den oberen Etagen befindet sich ein Pflegeheim, und in den unteren Etagen gibt es Gemeinschaftsräume, Restaurants, Arztpraxen und Ähnliches. Das heißt, mitten in der Stadt ist aus einer Ruine ein Begegnungszentrum entstanden. Das ist ein gutes Beispiel für richtige Stadtentwicklung. ({10}) Gestatten Sie mir zum Schluss zwei Bemerkungen: Über die Anträge der CDU/CSU werden wir im Ausschuss beraten. Der Antrag der Grünen enthält Geldforderungen. Es muss in der gegenwärtigen Situation vielleicht nicht sein, lieber Peter Hettlich, dass noch mehr Geld gefordert wird. Deswegen werden wir uns enthalten oder den Antrag ablehnen. Joachim Günther ({11}) Eines erscheint mir ziemlich kurios. In der Leipziger Volkszeitung habe ich gestern gelesen, dass die Herren Weißgerber, Fornahl und Vaatz - das sind ja nicht irgendwelche in der Fraktion - mit ihrem Anliegen gescheitert seien, die Gestaltung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals auf die Tagesordnung des Kulturausschusses zu setzen. Damit bleibt Leipzig praktisch vor der Tür. Ich halte das 19 Jahre nach der Wende für ein fatales Zeichen. Wir reden stets über riesige Kosten der deutschen Einheit und darüber, wie die Anpassung vorangehen soll. Ich bitte Sie, dabei nicht die Menschen zu vergessen, die die deutsche Einheit möglich gemacht haben. Dazu zählen die Menschen in Leipzig. Geben Sie sich einen Ruck. Ich glaube, gemeinsam können wir einiges erreichen. Danke schön. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion.

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Einheit ist volljährig. Volljährigkeit bedeutet Eigenverantwortung, selbstständiges Handeln, Chancen erkennen und Chancen nutzen. Genau das tun die Ostdeutschen seit 1990 immer besser. Ich denke, das ist die gemeinsame Quintessenz, die wir aus dem diesjährigen Bericht zum Stand der deutschen Einheit entnehmen können. 18 Jahre Einheit heißt auch 18 Jahre Abstand von einem durch die SED ruinierten Staat. Das Schild und Schwert dieser Partei, das Ministerium für Staatssicherheit, kontrollierte alle Teile des täglichen Lebens im Osten und vielleicht auch ein bisschen im Westen. Die katastrophale Lage wurde bis zuletzt verheimlicht und wird leider auch heute noch von manchen Schönfärbern verharmlost. Millionen Menschen sind über die Jahre geflohen, die Wirtschaft war am Boden, der Staat war hoffnungslos verschuldet, die Rentenkassen waren leer und eine Absenkung des ohnehin bescheidenen Lebensstandards um mindestens 25 Prozent unabwendbar. Das ist nicht in der Bild-Zeitung nachzulesen, sondern in einer Politbürovorlage, die „Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen“ heißt. Sie war von der Staatlichen Plankommission in Auftrag gegeben worden. Das allein ist sicherlich schon schlimm. Aber für mein Empfinden ist es noch schlimmer, wie das SEDRegime mit den Kritikern, mit den Andersdenkenden im Land umgegangen ist. Es ist aus heutiger Sicht unbeschreiblich, was den eigenen Landsleuten von der Stasi, vom Schild und Schwert der SED, auf Befehl dieser Parteiführung angetan wurde. Zum großen Glück gibt es die Stasi heute nicht mehr. Alle Demokraten in diesem Haus - ich denke, da sind wir uns einig - begrüßen die Rente für SED-Opfer, ein Vorhaben, das von der Großen Koalition zum Abschluss gebracht worden ist, wenngleich wir alle wissen, dass es am Ende nur eine symbolische Geste für diejenigen ist, die großes Leid erfahren haben, und dass wir das große Leid damit nicht tatsächlich entschädigen können. ({0}) Es ist und bleibt eine Verpflichtung für uns, die Aufarbeitung unserer jüngeren Geschichte voranzutreiben und dabei ganz besonders bei allen Gelegenheiten das Gedenken der Opfer in besonderer Art und Weise hervorzuheben. Der Osten in unserem Land hat in den letzten Jahren in allen gesellschaftlichen Bereichen enorme Umstrukturierungen durchgemacht. Dazu gehört natürlich auch der große Bereich der Infrastruktur. Mobilität ist Freiheit, Infrastruktur verbindet Menschen und sorgt für wirtschaftlichen Aufschwung. Die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ waren Anfang der 90er-Jahre eine richtige Entscheidung. Alle Projekte sind entweder abgeschlossen oder befinden sich im Bau. Es kommt darauf an, diejenigen, die noch im Bau sind, zielstrebig und planmäßig zum Abschluss zu bringen. ({1}) Dazu gehören die ICE-Strecke der VDE 8.1 und 8.2 ebenso wie die Lückenschlüsse auf der A 9 zwischen Bayern und Thüringen oder auf der A 4 von Sachsen in Richtung Hessen. Ich weise ganz bewusst darauf hin, dass diese Projekte nicht nur den ostdeutschen Bundesländern dienen, sondern auch entscheidend für die infrastrukturelle Entwicklung in der gesamten Bundesrepublik sind. ({2}) Ein anderer Aspekt spielt dabei noch eine wesentliche Rolle. All diese wichtigen Fernverbindungen sind auch Teil der transeuropäischen Netze. Deswegen nenne ich diese Projekte auch bewusst Teile der „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“. Neue Korridore - auch durch Ostdeutschland - von großer europäischer Bedeutung kommen auf uns zu. Ich nenne den Viermeereskorridor, aber auch Hinterlandanbindungen der Häfen in Deutschland in Richtung Süden und Südosten, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine entscheidende Rolle spielen. Infrastrukturmaßnahmen sind natürlich nur ein Mosaikstein zur Beherrschung der demografischen Entwicklung, die uns im Osten ganz besonders zu schaffen macht. Nach meiner Einschätzung wird es in den nächsten 30 Jahren besonders schwierig. Deswegen ist es unsere Aufgabe, diesen Trend langfristig umzukehren und die Durststrecke bis dahin mit geeigneten Maßnahmen abzufedern. Dafür haben wir heute schon geeignete Mittel, zum Beispiel und vor allen Dingen im Bereich der Stadtentwicklung. Das Programm Stadtumbau Ost ist ein Erfolg. Deswegen wird es unser Ziel sein, dieses Programm über 2009 hinaus fortzuschreiben. Wir werden es besser mit anderen Programmen in diesem Bereich verzahnen. Wir müssen für Flexibilität bei der Anwendung der Mittel sorgen: auf der einen Seite Abriss, auf der anderen Seite Aufwertung. Wir müssen eine stärkere Fokussierung auf die Innenstädte entwickeln und dies mit einem geeigneten Denkmalschutz kombinieren, aber vor allen Dingen mit der Stadtkernerhaltung und der Verbesserung der Attraktivität der Innenstädte. Flankierende Maßnahmen sind dabei ausgesprochen wichtig. So kann ich mir für die Bewältigung dieser auch in finanzieller Hinsicht schwierigen Aufgabe durchaus vorstellen, dass wir mit einer Investitionszulage und neu überdachten Sonderabschreibungen einiges mehr erreichen können. Eines liegt mir noch ganz besonders am Herzen; das ist der ländliche Raum. Eine starke Stadt-Umland-Beziehung sorgt für Stabilität auch in Krisenzeiten. Starke landwirtschaftliche Betriebe sorgen für attraktive Arbeitsplätze; sie sind besonders in den strukturell schwachen Gebieten in allen Teilen der Bundesrepublik notwendig, natürlich auch im Osten. Für uns steht fest: Wir halten an dem Ziel der Umsetzung des Solidarpakts bis 2019 fest. Dafür setzen wir uns ein und werden Vereinbarungen zu einer Verstetigung der GA-Mittel treffen. Dabei kommt es darauf an, dass man für Transparenz beim Mitteleinsatz sorgt und dass eine Zielorientierung vorgegeben wird, ohne Gefahr zu laufen, dass die Fläche dabei verödet. Die so oft gescholtene Gießkanne muss man differenziert betrachten. Die Gießkanne statt des Gartenschlauches sorgt richtig eingesetzt aus meiner Sicht für Wachstum und blühende Flächen. Die Alternative heißt Wüste mit Oasen. Wüsten sind aus meiner Sicht etwas für Kamele, aber nicht für verantwortungsvolle Politiker. Deshalb - auch das ist ein Ergebnis des Aufbaus Ost in den vergangenen Jahren - sprechen wir zum Beispiel heute in Mikrofone, die aus Gefell im Vogtland kommen, deswegen baut Opel in Eisenach im Wartburgkreis Fahrzeuge, deswegen gibt es einen Airbuszulieferer im Altenburger Land, und deswegen können wir heute über Arbeitslosenquoten von 10 Prozent reden. Das ist ein Erfolg des Aufbaus Ost und vor allen Dingen ein Erfolg der Union, die sich immer dafür eingesetzt hat. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit?

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am Ende bleibt mir nur noch zu sagen: Ich freue mich auf eine interessante Diskussion in den Ausschüssen. Ich bin mir sicher, die Menschen in Ostdeutschland, die ostdeutschen Bundesländer, gehen selbstbewusst ihren Weg in unserem vereinten Vaterland, auch wenn das einigen Ewiggestrigen nicht passt. Das kann uns egal sein. Es geht um unser Vaterland, um die Weiterentwicklung aller Regionen. Danke schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit soll Antwort auf die Frage geben, wie viel Einheit zwischen Ost und West hergestellt ist. Es ist die einzige Debatte im Deutschen Bundestag, die fast ausschließlich von ostdeutschen Abgeordneten geführt wird. ({0}) Das sagt auch einiges über die Kultur der Einheit und den Zustand, den wir erreicht haben. Warum müssen wir eigentlich immer noch über den Osten reden? Zunächst sei Folgendes klargestellt: Selbstverständlich, Herr Bundesminister Tiefensee, freut sich auch die Fraktion Die Linke über jeden wirklichen Schritt nach vorn. Es war bekanntlich unsere Fraktion, die Ihnen vorgeschlagen hat, der aufgrund der Finanzkrise drohenden Krise der Realwirtschaft mit einem Konjunkturprogramm zu begegnen. Jetzt haben Sie ein solches Programm aufgelegt, dürfen es aber nicht „Konjunkturprogramm“ nennen. ({1}) Wenn Sie uns aber absprechen, dass wir uns über Fortschritte freuen, muss ich Ihnen ausdrücklich widersprechen. ({2}) Die Fakten kann man nicht leugnen. Wenn man einen Vergleich aller Landkreise der Bundesrepublik vornimmt und sich das Ende der Liste anschaut, stellt man fest, dass sich unter den 50 letztplatzierten Landkreisen 49 ostdeutsche Landkreise befinden. Ein anderer Fakt: Addiert man die Leistungskraft der 100 größten ostdeutschen Unternehmen, kommt man noch nicht einmal auf die Hälfte der Leistungskraft des Daimler-Konzerns. Deshalb sind wir der Meinung: Wir haben in Deutschland viele Probleme. Dazu gehört nach wie vor das Problem der Ost-West-Teilung. Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorlegt, ist bemerkenswert problembewusst. Wenn man allerdings nach Schlussfolgerungen und nach Konsequenzen für die Politik der Bundesregierung sucht, stellt man fest: Fehlanzeige. Deshalb muss man mit aller Deutlichkeit sagen: Sie sind mit Ihrer Unlogik, den Aufbau Ost ausschließlich als Nachbau West zu gestalten, und zwar nach dem Motto „Wie im Westen, so auf Erden!“, gescheitert. Das ist keine Basis für eine zukunftsfähige Entwicklung. ({3}) Man kann diese Frage auch einmal andersherum stellen: Was kann der Westen vom Osten lernen? Ich möchte einige wenige Punkte aufzählen. Er kann lernen, der Krise in schwierigen Situationen in die Augen zu sehen und besonnen zu handeln. Er kann lernen, keine Angst vor Systemfragen zu haben. Ich bin mir ganz sicher, dass der Osten bei der Bewältigung der aktuellen Krise ganz eindeutig einen Kompetenzvorsprung hat. Die Abgeordneten der Koalition haben sich fürchterlich beklagt, als Umfrageergebnisse bekannt wurden, nach denen nur noch 31 Prozent der Ostdeutschen Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft haben. Aber die Schlussfolgerung, die Sie daraus gezogen haben und die Sie uns politisch anbieten - darauf zu warten, dass die internationalen Finanzmärkte eines Tages wieder so funktionieren, wie sie einmal funktioniert haben -, ist völlig falsch. An dieser Stelle können Sie vom Osten in der Tat neues Denken lernen. Das halten wir auch für dringend geboten. ({4}) Außerdem kann man vom Osten lernen, Transformationserfahrungen einzubringen, will heißen: erfolgreiches Handeln unter völlig neuen gesellschaftlichen Situationen. Nur zwei Beispiele: Die erfolgreiche Einführung erneuerbarer Energien, beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, bedeutet natürlich auch eine gesellschaftspolitische Umwälzung; denn es muss gegen Bewährtes und Altes vorgegangen werden. Das ist im Osten beispielhaft gelungen. Ein anderes Beispiel ist die Etablierung und Ausbreitung erfolgreich wirkender Sparkassen. Dies ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Ost-West-Einigung. Deshalb sagen wir: Sparkassen sind in Europa kein Auslauf-, sondern ein Zukunftsmodell, ({5}) das wir uns durchaus auch als Ratgeber bei der Neuorganisation der Stromnetze vorstellen können. Vom Osten kann man lernen, neue Wege zu gehen. Nur ein Beispiel: Viele, auch ostdeutsche Unternehmen klagen inzwischen über den drohenden oder schon anzutreffenden Fachkräftemangel. Sie haben die Hoffnung aufgegeben, Löhne oder Gehälter wie im Westen zahlen zu können. Sie haben sich allerdings selbst geholfen, und zwar mit einer typischen Erfahrung aus dem Osten. Sie haben Betriebskindergärten installiert, sodass die Arbeitnehmer ideale Bedingungen vorfinden. Das ist ein Aspekt, der unserer Meinung nach viel stärker als bisher berücksichtigt werden sollte. ({6}) Über Ostdeutschland zu reden, heißt nach wie vor aber auch, Diskriminierungen zu überwinden. Als wir dieser Tage eine breite Diskussion über die Angleichung von Ost- und Westrenten geführt haben, warnte der sächsische Ministerpräsident Tillich tatsächlich 18 Jahre nach der deutschen Einheit vor überhasteten Schritten. Ich frage Sie: Wo leben wir denn? Die Hoffnung der Ostdeutschen auf eine Angleichung von Ost- und Westrenten hat die Bundesregierung am Tag der Deutschen Einheit enttäuscht. ({7}) Die Bundeskanzlerin antwortete den Ostdeutschen lediglich mit der Formel: Die Höhe der Renten wird nicht sinken. Ich muss Ihnen sagen: Damit haben Sie die Erwartungen der Ostdeutschen nicht erfüllt. ({8}) Wir haben heute schon viel über die Bahn debattiert. Dass der Osten durch die am 14. Dezember 2008 erfolgenden Preiserhöhungen stärker als das gesamte restliche Bundesgebiet getroffen wird, halten wir ebenfalls für eine nicht hinzunehmende Diskriminierung. ({9}) Wir stellen die Frage: Warum ist die Bundesregierung eigentlich so reformunfähig, und warum gibt es im Westen so viel Beharrung? Ich glaube, das liegt auch daran, dass viele in den alten Bundesländern die deutsche Einheit nicht als einen Zugewinn in ihrem Lebensalltag erfahren konnten. Nehmen wir dieses einfache Beispiel: Es gibt im Westen Arbeit und keine Kinderbetreuungseinrichtungen, im Osten gibt es Kitas und keine Arbeit. ({10}) Man muss an dieser Stelle doch einmal die Erwartung an die Politik ausdrücken dürfen, das jetzt einmal zusammenzubringen. ({11}) Wir geben uns auch nicht damit zufrieden, dass noch immer 54 Prozent der Beschäftigten der Bundesregierung in Bonn tätig sind. Ich sage es Ihnen gleich: Alle im Bonn-Berlin-Gesetz fixierten Ziele für die Bundesstadt Bonn sind mit der Jahrtausendwende erreicht worden. ({12}) Da Sie unsere entsprechenden Anträge seit Monaten im Haushaltsausschuss blockieren, legen wir Ihnen heute den Antrag „Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin“ vor. Das ist eine angemessene Aufgabe. ({13}) Die Linke wird deshalb im Westen und im Osten und immer wieder auch in diesem Parlament für die Angleichung der Lebensverhältnisse aller Bürger dieser Republik eintreten. Deshalb gilt: Ohne eine starke Linke keine wirkliche deutsche Einheit. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Peter Hettlich.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich finde, dass das bis jetzt eine ausgesprochen müde Debatte ist. Das hat vielleicht etwas damit zu tun, dass wir heute Nachmittag schon eine etwas längere und erhitzte Debatte über den gleichen Minister geführt haben, der auch für den Aufbau Ost zuständig ist. Es kann sein, dass die Energien etwas verbraucht sind. Ich weise darauf hin, dass dies heute die letzte Debatte ist, die wir in dieser Legislaturperiode zum Stand der deutschen Einheit führen. ({0}) Insofern kann ich meinem Kollegen Joachim Günther nur ausdrücklich recht geben: Es ist außerordentlich schwach, dass wir diese Debatte hier nachmittags um 16 Uhr und nicht morgens zur Primetime führen. Das wäre diesem Thema absolut angemessen. ({1}) Ich kann dazu nur sagen, dass wir uns hier einmal einen Ruck geben müssen. ({2}) Ich spreche zu diesem Thema hier vorne jetzt schon zum sechsten oder siebten Mal und habe natürlich alle Berichte zum Stand der deutschen Einheit sehr aufmerksam gelesen. Wenn man sich einmal die Berichte dieser Legislaturperiode anschaut, dann muss man sagen: Der Bericht über das Jahr 2005 aus dem Jahre 2006 war wirklich positiv, weil er eine sehr ehrliche und relativ schonungslose Analyse der Situation in Ostdeutschland enthielt. Der Bericht aus dem Jahre 2007 fiel schon wieder in alte Stereotype zurück: viel erreicht, der Aufholprozess gewinnt an Fahrt, die Schere schließt sich. Wir haben uns damals gefragt, wie sich bei einem Unterschied von 0,3 Prozent beim Wirtschaftswachstum zwischen Ost und West eine Schere schließen kann. Joachim Günther hat eben auch noch einmal darauf hingewiesen, dass sich bei Betrachtung eines längeren Zeitraums ganz deutlich zeigt, dass es beim Aufholprozess seit etwa 12, 13 Jahren eine Stagnation gibt. Dabei kann man doch nicht von einer sich schließenden Schere sprechen. Dieses Jahr gibt es eigentlich wieder einen Rückfall in das Jahr 2006. Es werden die industriellen Stärken und die strukturellen Defizite beschrieben. Wir sind eigentlich wieder dort, wo wir schon vor drei Jahren waren, aber es werden keine Rückschlüsse aus der guten Analyse gezogen. Das genau ist das Dilemma nicht nur dieser Großen Koalition, sondern auch des Ministers und seines Ministeriums. Hier erwarte ich einfach mehr. An dieser Stelle erwarten auch die Leute von uns ehrliche Analysen mit ehrlichen und vor allen Dingen auch nachvollziehbaren Lösungsvorschlägen mit der entsprechenden Diskussion. ({3}) Ich will das nicht immer wiederholen, weil die Zusammenlegung der Debattentage mit den Jahrestagen 9. November und 9. Oktober natürlich immer wieder beschworen wird: Die Lebensleistung der Ostdeutschen ist, das ist keine Frage, überragend - jeden Tag und auch in schwierigen Situationen. Das muss man auch immer wieder sagen. Ich erinnere daran, dass wir letztes Jahr hier eine gewaltige Debatte über das Einheitsdenkmal geführt haben. Ich stelle jetzt fest, dass ich vom Minister und auch aus den Reihen der Koalition nichts dazu höre. Was ist denn jetzt eigentlich mit dem Einheitsdenkmal? Wenn ich der Presse jetzt einmal wirklich glauben kann, dann schaffen Sie es in dieser Legislaturperiode offensichtlich nicht einmal, dass das Einheitsdenkmal zum 20. Jahrestag im nächsten Jahr steht. Das ist wirklich ein Armutszeugnis. An meine Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig gerichtet, die heute nicht anwesend sind, kann ich nur sagen: Vermutlich werden es die Leipziger wieder selbst in die Hand nehmen müssen und sich selbst ein Denkmal bauen müssen. Ich glaube nicht, dass die Große Koalition in der Lage sein wird, uns an dieser Stelle etwas Positives zu liefern. ({4}) Es gibt viele Themen. Wir werden heute Abend noch eine Debatte zum Investitionszulagengesetz führen. Darauf werde ich noch eingehen. Es ist interessant, wenn man Revue passieren lässt, was die CDU/CSU und die SPD im letzten Jahr zum Aufbau Ost beigetragen haben. Da hat man sich über die CDU/CSU schon arg gewundert. Ich erinnere beispielsweise an den Ost-Kongress in Dresden. Interessanterweise hat noch niemand in irgendeiner Weise darauf Bezug genommen, was ihr damals dort verzapft habt - vielleicht gehen die nächsten Redner noch darauf ein und was ihr auch groß diskutiert und verkündet habt. Selbst der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt hat dazu gesagt, dass man so keine Diskussion Ost führen kann. Insofern erwarte ich von Ihnen auch an der Stelle etwas mehr Konstruktivität. Lieber Volkmar Vogel, ich schätze dich sehr, aber du hast eher eine verkehrspolitische als eine aufbaupolitische Rede gehalten. Ich frage die beiden Kollegen, die gleich zu dem Thema sprechen werden: Was enthält der Entwurf der CDU/CSU für den Osten jenseits der Frage, wo wir 1989 waren, ob auf der Straße oder in irgendwelchen Ämtern? Zur SPD. Es war sehr interessant, als die CDU/CSU ihr Papier in der Bundesgeschäftsstelle vorgestellt hat. Die Kollegen von der SPD standen mit ihrem Gegenentwurf vor dem Haus, um ihn dort zu verteilen. Wenn man beide Papiere gelesen hat, hat man gemerkt, dass sich die Große Koalition nicht grün ist. Wenn sie sich nicht grün ist, dann ist das nicht gut für die Menschen in Ostdeutschland. Das hilft uns insgesamt nicht weiter. Das ist ein Armutszeugnis für die Große Koalition. An dieser Stelle haben wir von Ihnen nicht viel zu erwarten. Ich lade Sie alle ein, an unserem Ost-Kongress am 12. und 13. Dezember teilzunehmen. Wir werden nicht von großen Masterplänen schwadronieren, die sonst immer gefordert werden. Wir werden grüne Impulse für Ostdeutschland vorstellen. Es sind 15 an der Zahl. Ich werde noch erläutern, welche Impulse das konkret sind. Es geht darum, den Menschen ehrliche Botschaften zu vermitteln, statt ihnen große Masterpläne und Worthülsen zu verkaufen, die sie nicht voranbringen, wie es in den letzten Jahren oft genug der Fall war. Wir müssen die Wirtschaftsförderung viel stärker von der Investitionsförderung auf die Innovationsförderung verlagern. Neulich hat in Dresden der Bildungsgipfel stattgefunden. Zumindest ist erkannt worden, dass das Thema Bildung für uns sehr wichtig ist. Aber wir werden nicht an unseren Worten, sondern an unseren Taten gemessen. Unsere Taten lassen etwas ganz anderes zu. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Verwendung der Mittel in Korb II. Das sind die überproportional hohen Mittel, die der Bund im Rahmen des Solidarpakts an die ostdeutschen Bundesländer gibt. Wir geben fünfmal so viel Mittel für harte Infrastrukturmaßnahmen aus wie für Maßnahmen, die für den Standort Ostdeutschland wichtig sind, nämlich in den Bereichen Bildung, Forschung, Entwicklung und Innovation. An dieser Stelle müssen wir unbedingt umsteuern. ({5}) Daher fordern wir in unserem Entschließungsantrag für die letzten Jahre des Solidarpakts, 50 Prozent der Korb-IIMittel in diese Bereiche zu investieren. Was das Handlungsfeld Bildung angeht, konnte ich kaum glauben, was ich heute im Tagesspiegel gelesen habe: „Ost-Länder wollen neuen Soli“, und zwar den Bildungssoli. Das ist unsere Erfindung, die wir im Rahmen der Föderalismusreform II vorgestellt haben. Seinerzeit sind wir von allen anderen abgebügelt worden. Ich müsste eigentlich Urheberrechtsgebühren von den ostdeutschen Ministerpräsidenten verlangen, weil sie unseren Bildungssoli eins zu eins als ihr Produkt verkaufen. Sie glänzen wieder einmal durch Abwesenheit. Das zeigt, wie wenig offensichtlich auch von dieser Seite im Bildungsbereich zu erwarten ist. Der Ansatz von Herrn Tillich, immer mehr Geld zu fordern, ist der falsche Weg. Das Problem besteht nicht darin, dass wir zu wenig Geld im System haben; wir richten aber mit dem zur Verfügung stehenden Geld zu wenig aus, vor allem deswegen, weil wir in den letzten Jahren den Fehler gemacht haben, die Politikfelder Bildung, Forschung und Innovation sträflich zu vernachlässigen. Zum Schluss komme ich zum Rentenwert Ost-West. Lieber Kollege Claus, wir haben bereits im September hierzu einen Antrag vorgelegt. Die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk war dabei für uns federführend. Ich gebe Ihnen eine gute Empfehlung: Lesen Sie den Antrag! Dann können wir demnächst darüber diskutieren. ({6}) - Ja, genau das ist der Punkt. Sie versprechen den Leuten alles nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“. - Ich habe schon vor fünf Jahren in diesem Hause darauf hingewiesen, dass uns die dauerhafte Niedriglohnpolitik in Ostdeutschland noch einmal mordsmäßig auf die Füße fallen wird. Mit der jetzigen Regelung der Rentenwerte werden wir nicht zurande kommen. Insofern brauchen wir andere Lösungen. Die Lösungen, die wir dazu vorgelegt haben, sind innovativ und intelligent. An dieser Stelle brauchen wir Ihre Unterstützung von allen Seiten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hettlich, ich empfehle Ihnen ein sehr spannendes Papier, nämlich den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Aus ihm geht hervor, was wir in den nächsten Jahren vorhaben, um den Aufbau Ost weiter voranzubringen. Ich kann Sie beruhigen: Dort steht auch, dass es im nächsten Jahr und darüber hinaus einen Bericht zum Stand der deutschen Einheit geben wird; das haben wir vereinbart. Wir schauen also auch im nächsten Jahr, was wir erreicht haben und was in Ostdeutschland noch zu tun ist. ({0}) Am 9. November wurde ich auf einer Veranstaltung zum Mauerfall gefragt, wie ich mir Ostdeutschland in zehn Jahren vorstelle. Ich habe geantwortet: Ich wünsche mir, dass dort alle eine hervorragende Schulbildung bekommen, dass mehr Jugendliche als heute dort studieren, dass eine ausreichende Zahl an Studienplätzen vorhanden ist, dass genug Arbeit für alle da ist, dass jeder dort eine Perspektive hat und dass es für diejenigen, die sich die Welt angeschaut haben, genügend Gründe gibt, nach Hause zurückzukehren, weil sie dort für ihre Familien eine gute Zukunft sehen. Warum habe ich gerade diese Wünsche geäußert? Gehen wir zurück in die Gegenwart. Schauen wir uns die Situation in Ostdeutschland heute an, 19 Jahre nach dem Fall der Mauer. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Die Verkehrsinfrastruktur und die Kommunikationsnetze haben einen hervorragenden Ausbaustand erreicht. Seit dem Jahr 2000 ist die industrielle Wertschöpfung um 54 Prozent gestiegen. Im Osten entstehen Kompetenzzentren und Exzellenzcluster für innovative Zukunftsfelder, wie in Dresden, Jena und Potsdam, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei den erneuerbaren Energien ist der Osten vorn. Das sind Erfolge, auf die wir gemeinsam stolz sein können. ({1}) Wir haben in Ostdeutschland sehr viel erreicht. Aber in der Tat gibt es noch viel zu tun. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist zwar auf dem niedrigsten Stand seit 1991, aber leider immer noch doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Seit 2000 ist die industrielle Wertschöpfung zwar um 54 Prozent gestiegen. Aber leider beträgt der Produktivitätsrückstand zum Westen 22 Prozent. Der Abstand der Löhne in der Industrie liegt bei knapp 32 Prozent; das wurde bereits angesprochen. Warum weise ich ausdrücklich darauf hin? Gerade durch den demografischen Wandel wirken sich diese Faktoren auf Ostdeutschland besonders dramatisch aus. Zurzeit verlieren die ostdeutschen Bundesländer im Saldo jährlich circa 50 000 Menschen im Alter zwischen 18 und 30. Die anhaltende Abwanderung zeigt, dass wir die strukturellen Probleme im Osten noch nicht überwunden haben. Ein Grund dafür ist das Fehlen von kapitalstarken Unternehmen. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen wie die Verbundnetz Gas AG in Leipzig als eigenständiges, wettbewerbsfähiges Unternehmen am ostdeutschen Standort gehalten werden. ({2}) Die Wirtschaft Ostdeutschlands ist wesentlich stärker durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. Das ist ein weiterer Grund für die strukturellen Defizite; denn diese Unternehmen sind oft nicht in der Lage, die erforderliche Finanz- und Wirtschaftskraft aufzubringen, um sich eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zu leisten. Deshalb liegt der ostdeutsche Anteil an den industriellen Forschungsaufwendungen unter 5 Prozent. Wir sind uns einig: Es liegt im Interesse des ganzen Landes, die teilungsbedingten strukturellen Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden. Wir wollen, dass Ostdeutschland 2019 auf eigenen Füßen steht. Dieser Prozess ist kein Selbstläufer. Hier ist trotz aller Erfolge nach wie vor politisches Handeln erforderlich - und wir handeln. Den entscheidenden Einfluss auf den weiteren Angleichungsprozess werden die Bildungspolitik, die Ausbildung sowie die Wirtschafts- und Forschungsförderung haben. Der eingeschlagene Weg mit dem Hochschulpakt, der Fortsetzung der Exzellenzinitiative oder dem Programm „Spitzenforschung und Innovation in den Neuen Ländern“ ist der richtige Weg. Auch die von der Bundesregierung geförderte Clusterbildung ist der richtige Ansatz. Beispielsweise bestehen in Ostdeutschland vielfältige Forschungskompetenzen, um Erdöl in Kunststoffen durch Pflanzen zu ersetzen. Mit der Schaffung eines Bioraffinerieclusters Mitteldeutschland könnten diese Kompetenzen gebündelt werden. Deshalb ist es wichtig, dass solche Initiativen weiterverfolgt und mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Wir brauchen in den kommenden Jahren eine neue Innovations- und Gründungswelle in Ostdeutschland, um die immer noch vorhandenen Defizite zu überwinden. Dafür brauchen wir ein noch größeres Engagement des Bundes, der Länder, aber auch der Wirtschaft. Ostdeutschland hat das Zeug, sich in den kommenden zehn Jahren zu dem Innovationslabor Deutschlands zu entwickeln, zu einem Zentrum für Zukunftstechnologien. Es kann zu einem Zentrum für neue Ideen und Innovationen sowie zum Ideengeber für die Bewältigung des demografischen Wandels werden. Der Aufbau Ost kann zu einem Gewinn für alle werden und den Standort Deutschland insgesamt stärken, so wie es im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen formuliert ist. Wenn ich in zehn Jahren zu Ostdeutschland befragt werde, dann möchte ich sagen können: Ostdeutschland hat seine Chancen genutzt. Hier wollen die Menschen studieren, arbeiten und leben. Es gibt keine nach Ost und West getrennten Statistiken mehr. Beschäftigung, Löhne und Renten sind auf gleichem Niveau. Und vor allem: In Ostdeutschland ist ein neues Selbstwertgefühl entstanden. Die Menschen in Ost und West sind stolz auf das Erreichte und geben ihre Erfahrungen weiter. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unser Land weiter zusammenwächst. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Veronika Bellmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 18 Jahre deutsche Einheit, 18 Jahre vereintes Deutschland, Gott sei Dank ohne Mauer und Stacheldraht. Obgleich ich nicht verkenne, dass auch ohne Finanzkrise noch jede Menge Aufgaben vor uns stehen, können die Menschen im Osten und Westen Deutschlands stolz sein, was sie bisher unter dem Motto „getrennt, vereint, gemeinsam“ geleistet haben. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, der wird beim Vergleich der Abschlussbilanz DDR/Eröffnungsbilanz Bundesrepublik und der jetzigen Situation zugeben müssen, dass sich unheimlich viel zum Besseren verändert hat. Ich möchte nur den zentralen Punkt der Verkehrsinfrastruktur herausgreifen. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Wenn du reich werden willst, dann musst du Stra20054 ßen bauen. - Auf unsere Zeit übertragen ergänze ich: Dann musst du moderne Infrastruktur bauen, und zwar für alle Verkehrsträger: Schiene, Straße, Wasser, Luft. Dann kannst du nicht mehr nur in der Kategorie „Bundesland“ planen, sondern dann musst du deutschlandweit und - mehr noch - europäisch planen. Dem Aufbau einer modernen, dynamischen Wirtschaft und leistungsfähiger Wachstumskerne in einigen ostdeutschen Regionen ging der Aufbau einer modernen Verkehrsinfrastruktur voraus, oder er ging parallel mit ihm einher. Das Tempo und die Intensität haben sich leider in den letzten Jahren etwas verringert. Ein Beispiel dafür ist die Bahnstrecke Hamburg-Stralsund. 2002 sollte sie ursprünglich fertig sein. Jetzt spricht Minister Tiefensee von einer Verschiebung bis 2011. Ähnliches spielt sich - darauf wies Kollege Günther schon hin bei der Bahnstrecke Berlin-Dresden ab. Fahrzeiten, die nicht einmal die von 1938 erreichen, entsprechen nun wirklich nicht modernen Standards. ({0}) Vielleicht liegt das daran, dass man eben nicht mehr das Prinzip anerkennt, dass der weitere Ausbau der Infrastruktur eine zentrale Voraussetzung für mehr Wachstum in Deutschland ist. Oder es liegt daran, dass sich die Meinung breitmacht - so ist von der DB AG immer wieder zu vernehmen -, dass Infrastruktur schließlich keine Entwicklungspolitik sei und deshalb im Osten nicht mehr investiert werde, da dort zu wenig Wertschöpfungs- und zu geringe Bevölkerungspotenziale seien. Das halte ich für eine Unverschämtheit. ({1}) Wenn wir ab 1990 auch so gedacht hätten, hätten wir das Buch gleich zugeklappt und der Osten wäre ein heruntergekommener Landstrich geblieben. Stattdessen haben wir durch den Aufbau leistungsfähiger Verkehrsverbindungen Standortvorteile geschaffen - wenn auch noch zu wenige -, Industrieinvestitionen gefördert und ein bescheidenes Wachstum erzeugt. Ganz Deutschland profitiert davon, weil sich dort, wo sich Verkehrswege kreuzen, immer auch wirtschaftliche Chancen ergeben. Durch die EU-Erweiterung sind - teilweise auf alten Handelswegen - neue Warenströme entstanden. Bei den aufstrebenden Wirtschaftszentren in Mittel- und Osteuropa haben wir es mit einer Perlenkette dynamisch wachsender Metropolen zu tun. Mit besseren und schnelleren Anbindungen an diese Schrittmacherregion kann und muss Ostdeutschland an dieser Dynamik teilhaben. Das transeuropäische Verkehrsnetz ist deshalb ein Schlüsselelement für die Gewährleistung des schnellen und reibungslosen Personen- und Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Gleiches gilt für den Aufbau von Wirtschaftsräumen und von Korridoren über Ländergrenzen hinweg. Der wichtigste Korridor für uns ist dabei die Nord-Süd-Verbindung von Skandinavien über die Nord- und Ostseehäfen bis an die Häfen der Adria und des Schwarzen Meeres. Der sogenannte Vier-Meeres-Schienen-Korridor hat das Potenzial eines wirtschaftlichen Kernraumes in der EU, der Ostdeutschland mit seinen Wachstumskernen einschließt. Das ist für den weiteren Aufbau Ost unheimlich wichtig. Inzwischen haben sich alle ostdeutschen Ministerpräsidenten in nunmehr drei Regierungskonferenzen hinter diese Korridorinitiative gestellt, auch die Regional- und Raumentwicklungsminister sowie einige Nachbarstaaten - Tschechien, Österreich, Kroatien, Schweden - und sogar der EU-Koordinator Karel van Miert. Bundesminister Tiefensee hat in vielen Reden, auch hier im Plenum, von seiner Unterstützung für diesen Korridor gesprochen. Geschrieben hat er dann ein wenig anders; gehandelt hat er diesbezüglich leider noch gar nicht. Aus seinem Hause hört man gar, dass es stattdessen größere Sympathien für die Konkurrenzstrecke einer Nord-SüdVerbindung auf polnischem Gebiet, von Stettin aus, geben soll. Das halten wir ebenfalls für sehr fragwürdig. Ich hoffe nur, dass Bundesminister Tiefensee seit dem heutigen Tage in seinem Hause nicht nur Cello, sondern die erste Geige spielt. Fakt ist, dass wir keine Zeit zu verlieren haben; denn entscheidende Weichen werden in den kommenden Monaten auf EU-Ebene gestellt. Der Vier-Meeres-Schienen-Korridor soll in der Revision der TEN-Leitlinien verankert werden, und das, meine Damen und Herren, ist ein wesentlicher Bestandteil unseres heutigen Entschließungsantrags, für den ich ganz herzlich um Ihre Zustimmung bitte. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion.

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Claus, Sie haben in Ihrer Rede eben angesprochen, dass diese Regierung und diese Koalition abwarten, bis sich die Finanzmärkte wieder beruhigt haben. Das steht in einem gewissen Widerspruch zu dem, was Sie sonst immer sagen. Es ist diese Regierung, die einen Rettungsschirm für die Banken aufgespannt hat, was notwendig war. Sie haben es kritisiert. Ich wiederhole: Sie widersprechen sich an dieser Stelle. Sie haben das seinerzeit abgelehnt. Diese Regierung handelt hier. Sie wartet im Hinblick auf die Finanzmärkte gar nicht ab, sondern handelt, weil sie weiß, dass ein funktionierendes Bankensystem ein öffentliches Gut ist. Ohne dieses öffentliche Gut können wir keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik betreiben, auch nicht in Ostdeutschland. Darum sind wir hier die Handelnden; für Sie gilt das weniger. Wir debattieren zum Herbst immer wieder den Stand der deutschen Einheit. Das ist in meinen Augen auch gut so. Es ist recht und billig, dass die Bundesregierung Rechenschaft über die Verwendung der von uns zur Verfügung gestellten Mittel ablegen muss. Wichtig ist auch, dass wir uns bei diesem Anlass Gedanken darüber maKlaas Hübner chen, inwieweit die gesteckten Ziele erreicht sind und was dort noch zu tun ist. Die aktuelle Lage der Weltwirtschaft macht diese Debatte nicht einfacher. Daher sollte jeder vernünftige Vorschlag ernsthaft diskutiert werden. Selbstverständlich ist mit dem Abschluss der heutigen Debatte kein Schlusspunkt gesetzt. Mir sind, offen gestanden, lieber Kollege Hettlich, einige in Ihrem Entschließungsantrag enthaltenen Vorschläge nicht unsympathisch. Trotzdem werden wir ihm heute wahrscheinlich nicht zustimmen können, weil die Finanzierung diejenige Seite ist, die wir als Koalition an dieser Stelle mit bedenken müssen. Gleiches kann ich vom Entschließungsantrag der Linken nicht unbedingt behaupten. Sie beklagen zwar immer wieder gerne das Gefühl der Zweitklassigkeit im Osten, aber Sie machen in Ihrem Antrag zu wenig Mut. In meinen Augen kann man ermutigen, gerade auch im Osten, und zwar bei jeder passenden und jeder unpassenden Gelegenheit. Der Aufbau, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland geleistet worden ist, ist eine genauso große Leistung wie der Aufbau in Westdeutschland, nur unter ungleich schlechteren Bedingungen. Liebe Kollegen von der Linksfraktion, Ihre Vorgängerpartei hat einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Bedingungen für die Ostdeutschen so schlecht waren. Man muss aber die Leistung anerkennen, die dort erbracht wurde. ({0}) Natürlich ist es ein Verdienst der Menschen in Ostdeutschland, dass man seit 1989 in der neuen Selbstbestimmung, in der neuen Freiheit viel erreicht hat. Man kann vor dem, was erreicht worden ist, nur Respekt haben. Man soll auch sagen: Das, was ihr erreicht habt, muss euch Mut machen. Wir sind in vielen Feldern sehr weit nach vorne gekommen. Wir sind in vielen Feldern sehr innovativ gewesen. Wir sind vielleicht noch nicht dort angelangt, wo wir sein wollen; aber einige Beispiele - gerade im Bereich der erneuerbaren Energien und der Wirtschaftsfelder, die wir daraus entwickelt haben - geben doch Mut und Anlass, zu sagen: Jawohl, wir können aus eigener Kraft eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Ost und West erreichen. Wirtschaft ist bei der Angleichung der Lebensverhältnisse der entscheidende Punkt. Wenn wir die Zahlen betrachten, kann man zwar sagen - wie es der Kollege von der FDP getan hat, -, dass das Wachstum im Osten momentan nicht ganz so groß wie im Westen ist; das ist nicht ganz falsch. Man muss dabei allerdings berücksichtigen, dass das schwächere Wachstum im Osten vor allen Dingen darauf beruht, dass im Sektor der öffentlichen Dienstleistungen ein Rückgang verbucht worden ist, der gewollt war; es ist Teil der Konsolidierungsanstrengungen der ostdeutschen Landesregierungen, dafür zu sorgen, dass sich Länder und Kommunen zurückziehen und Personal abbauen, um mehr Mittel für Innovationen freizubekommen. Das hat den statistischen Effekt, dass das Wachstum formal etwas geringer ist. Insgesamt kann man jedoch sagen, dass das Wachstum im industriellen Bereich in den neuen Bundesländern deutlich stärker ist als im Westen. Die Bauwirtschaft ist momentan einigermaßen stabilisiert. Ich finde den Weg, den wir gegangen sind, gut. Wir wollen unsere Bemühungen weiter verstärken. Das Kabinett hat beschlossen, die GA-Mittel noch einmal aufzustocken. Damit wird eine Forderung erfüllt, die in diesem Hause oft erhoben wurde. Die GA-Mittel sind das zielgenaueste Instrument für eine effektive Wirtschaftsförderung. Darum bin ich sehr dankbar dafür, dass die Große Koalition, das Kabinett, beschlossen hat, genau diese zielgenauen Mittel noch einmal um rund 200 Millionen Euro für zwei Jahre aufzustocken. Ich glaube, damit kann man den neuen Bundesländern einen gewaltigen Schub geben. ({1}) Meine Kollegin Wicklein hat gerade angesprochen, dass wir im Bereich der Innovationen im Osten zum Teil noch zurückliegen. Das ist leider richtig. Ja, wir haben heute im Osten zum Teil noch Firmen, die in der Wertschöpfungskette ziemlich weit hinten liegen, die noch nicht weit genug vorne sind. Wir müssen insgesamt mehr tun, um das zu ändern. Das ist aber in meinen Augen nicht nur eine Aufgabe des Bundes, der öffentlichen Hand. Vielmehr müssen wir bei der Wirtschaft, bei den Unternehmen, einfordern, dass sie mehr tun. Wir haben im Osten sehr viele motivierte, junge Mitarbeiter. Wir haben dort gute Hochschulen. In meinen Augen lohnt es sich für die Wirtschaft allemal - auch ohne staatliche Subventionen -, im Osten die Innovationen voranzutreiben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Hübner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hettlich?

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, gern.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Kollege Hübner. Sie sprachen eben die Gemeinschaftsaufgabe Ost an. Sie wissen, dass sie Bestandteil des Korbs II ist. Insofern wird der Betrag für die Aufstockung aus diesem gedeckelten Korb genommen. Wenn Sie dies als großen Erfolg der Bundesregierung verkaufen, stellt sich die Frage: Bedeutet das nicht, dass an anderer Stelle Mittel aus dem Korb II gestrichen werden müssen? Sie haben nichts zur I-Zulage gesagt. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie später in Ihrer Rede darauf eingehen werden? Ich weise auf die heute Abend stattfindende Debatte dazu hin, bei der ich übrigens als Einziger reden werde, obwohl das Instrument laut Minister Tiefensee so wichtig ist. Ist das für Sie kein Thema mehr? Das wundert mich eigentlich. Warum wird die zweite und dritte Lesung quasi zu nachtschlafender und nicht zu prominenter Zeit gehalten, wenn Sie doch sa20056 gen, dass die I-Zulage ein hervorragendes Instrument ist? ({0})

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Hettlich. Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit ihrem Konjunkturprogramm gesagt, sie wolle die GA-Mittel um 200 Millionen Euro aufstocken. Es handelt sich dabei in der Tat um zusätzliche Mittel. Was den späten Zeitpunkt der Debatte angeht: Ich gebe Ihnen Recht, dass die Debatte spät stattfinden wird. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Wir hätten sie gerne früher geführt; aber Sie von den Oppositionsparteien haben uns heute zwei Stunden lang mit einer Debatte über Herrn Tiefensee aufgehalten, die in dieser Form nicht notwendig war. Herr Kollege Hettlich, wir hätten das durchaus weglassen können, um diese Debatte im Plenum sehr viel prominenter, besser und früher führen zu können. ({0}) Abschließend möchte ich aus aktuellem Anlass ein paar Worte zum Thema Rente sagen. Ich möchte vor allem mit einem Dank beginnen. Die faktische Entwicklung der Renten in Ostdeutschland beruht in meinen Augen auf einer grandiosen Solidarisierung der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen sowie des gesamtdeutschen Steuerbürgers. ({1}) Der nach 1990 eingeschlagene Weg war bisher erfolgreich. Wir sollten das an dieser Stelle nicht vergessen. Gestern hat sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder und den Ministern Scholz und Tiefensee getroffen. Dabei wurde auch zu dieser Frage Position bezogen. Wir unterstützen die Absichtserklärung der Bundesregierung, zu einer Regelung zu kommen, ausdrücklich, auch unter den von ihr gesetzten Prämissen. Sie werden dazu von mir heute keine Zahlen hören. Immerhin hat der gestrige Tag zu einer erfreulichen Versachlichung der Diskussion in der Presse beigetragen. Es gab allerdings eine Ausnahme des Pressebildes von heute: das Zentralorgan Ihrer Partei, nämlich das Neue Deutschland. Darin hat Frau Kollegin Enkelmann, die eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte, vorgerechnet, was eine Angleichung der Rentenwerte kosten würde. 6 Milliarden Euro war die Antwort. Sie sagt: 6 Milliarden Euro in vier Jahren. Was Sie dort vorstellen, sind doch bloß 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. So kann man es sich natürlich auch schönrechnen, Frau Enkelmann. Natürlich wären es 6 Milliarden Euro pro Jahr. Das heißt: Es sind nicht nur 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, sondern 6 Milliarden Euro jedes Jahr. Sie können das beliebig mit einer Zahl von Jahren multiplizieren und wissen dann, wie hoch die Haushaltsbelastung ist. Wenn Sie sich die Dinge auf diese Weise schönrechnen, dann ist Politik natürlich ganz einfach. Sie müssen sich aber auch um die Finanzierung kümmern. Da bleiben Sie uns eine Antwort immer schuldig. Insofern ist das in meinen Augen ein deutliches Zeichen dafür, dass gerade die Rentenpolitik bei denjenigen in besseren Händen ist, die verantwortungsvoll mit Finanzen umgehen können. Wie wollen Sie den Beitragszahlern und Beitragszahlerinnen erklären, dass wir die Beiträge erhöhen oder die Neuverschuldung um 6 Milliarden Euro erhöhen müssen, was dann andere Generationen bezahlen müssen? Das wäre keine sozialgerechte Politik. Insgesamt glaube ich, dass wir im Hinblick auf den Stand der deutschen Einheit auf einem guten und richtigen Weg sind. Wir sind aber bei Weitem nicht am Ende. Herr Kollege Hettlich, darum werden wir die Berichte auch weiterhin hier im Parlament beraten; das ist wichtig. Wir brauchen die Einheit für das Gesamtgefüge in Deutschland. Insofern freue ich mich auf die Debatte im Herbst nächsten Jahres und darauf, hier an gleicher Stelle reden zu können. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Eckardt Rehberg, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist gelegentlich wichtig, nicht ständig von Ost nach West zu schauen, sondern gerade in diesen Tagen einmal zu überlegen, wo wir eigentlich herkommen. Ich kann mich an die Zeit vor 19 Jahren, im Oktober bzw. November 1989, erinnern, als man feststellte - das war damals noch nicht so öffentlich -: Die DDR ist eigentlich pleite. Das ging aus dem sogenannten SchürerBericht hervor. Wenn ich weiter an 1990 und an die Untersuchungen im Zuge der Solidarpaktverhandlungen der fünf Wirtschaftsforschungsinstitute denke, erinnere ich mich, dass man sagte: 1990 waren im Gegensatz zu den alten Bundesländern nur 40 Prozent der Infrastruktur und Produktivität in den neuen Bundesländern vorhanden. Wir haben heute einen Stand von 75 Prozent erreicht. Herr Claus, wenn Sie in diesem Zusammenhang davon reden, dass die Westdeutschen die deutsche Einheit nicht als Zugewinn betrachten, dann muss ich Ihnen ganz deutlich widersprechen. Ihre Rede, so wie Sie sie hier vorgetragen haben, gräbt die Gräben tiefer und baut neue Mauern auf. Wir müssen gerade im Jahr der Volljährigkeit der deutschen Einheit dafür sorgen, dass die Mauer weg bleibt. Dies muss deutlich gemacht werden, damit die Gräben nicht tiefer, sondern flacher werden. ({0}) Herr Kollege Hübner ist bereits auf meinen nächsten Punkt eingegangen. Sie reden von Diskriminierungen der Ostdeutschen und haben beim Thema „Rente Ost/ West“ einen Scherbenhaufen sondergleichen hinterlassen - einen Scherbenhaufen ohne Ende. ({1}) Ich denke, wir müssen wirklich einmal ein paar Fakten und Daten nennen: Erstens. Das Niveau der Ostrenten lag 1990 bei 40 Prozent der Westrenten, heute liegt es bei 88 Prozent. Das, was wir in knapp zwei Jahrzehnten geschafft haben, ist eine Riesenerfolgsgeschichte. Zweitens. 14 Milliarden Euro der Renten im Osten werden von den Beitragszahlern in Westdeutschland bezahlt. Das sind fast zwei Rentenbeitragspunkte. Demjenigen, der hier von Diskriminierung redet, muss ich sagen: Das ist wirklich pure Solidarität Westdeutschlands gegenüber Ostdeutschland. Das sind die Fakten, nichts anderes. ({2}) Ein Weiteres: Wir müssen auch über den sogenannten Bewertungsfaktor reden. Sie, meine Damen und Herren von der Linkspartei, haben in Ihrer Angleichungsdebatte ja völlig verschwiegen, dass dieser Faktor mittlerweile viele Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern und auch viele derjenigen, die heute Rente beziehen, bevorteilt. ({3}) Nehmen Sie allein einmal den Mindestlohn im Baugewerbe: In den alten Ländern sind es in der Lohngruppe 1 10,70 Euro und in den neuen Ländern 9 Euro. Durch die Aufwertung um 18 Prozent dank des Bewertungsfaktors sind diese beiden Lohngruppen bei der Rentenberechnung gleichgestellt. Es ergibt sich der gleiche Entgeltpunkt. Sie haben auch verschwiegen - das macht es besonders schlimm, dass Sie hier von Diskriminierung reden -, dass der Bauarbeiter in Deutschland West auf der Basis von 10,70 Euro Stundenlohn Rentenbeiträge bezahlt, dagegen der Bauarbeiter in Deutschland Ost auf der Basis von 9 Euro Stundenlohn. Er ist hier deutlich im Vorteil, denn er zahlt weniger Rentenbeiträge, aber er erhält die gleichen Rentenentgeltpunkte. Wenn wir heute eine Angleichung vornehmen würden, gäbe es nicht nur das Problem, dass es 6 Milliarden Euro pro Jahr kosten würde - das entspräche ja knapp einem Rentenbeitragspunkt -, sondern es käme auch dazu, dass der Bauarbeiter Ost, der deutlich weniger Beiträge für einen Entgeltpunkt eingezahlt hat, in fünf oder zehn Jahren gegenüber dem westdeutschen Bauarbeiter deutlich im Vorteil wäre, weil er bei einem gleichen Rentenwert in Ost und West die gleiche Rente beziehen würde. Liebe Freunde, das Thema Rente ist äußerst sensibel. Wer den Eindruck erweckt, man könne hier von heute auf morgen eine Lösung präsentieren, dem muss man sagen: Das ist nicht möglich. Ich rate jedem dringend, verantwortungsvoll in der Öffentlichkeit zu handeln und zu debattieren, damit nicht eine echte Neid- und Missgunstdebatte zwischen West und Ost entsteht. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister Tiefensee, auf uns wird in den nächsten Jahren ein eminentes Problem zukommen. Wir müssen uns fragen, wie wir eine bestimmte Gruppe von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung bekommen. Unter Punkt II. Nr. 3 unseres Entschließungsantrags haben wir zwei Modelle gegenübergestellt: den Kommunal-Kombi und das Modellprojekt Bürgerarbeit. Wir sollten hier sehr sachlich und ohne Polemik abwarten, wie sich beides entwickelt. ({5}) Der Kommunal-Kombi ist jetzt ein Dreivierteljahr am Netz. 5 400 Personen nehmen am Kommunal-Kombi teil, es gab knapp 8 000 Anträge. Die Modellprojekte Bürgerarbeit sind aber deutlich erfolgreicher. Diese Modellprojekte gibt es mittlerweile nicht nur in SachsenAnhalt, sondern auch in Bayern, so zum Beispiel in Weiden, Hof und Coburg. Man kann sagen, dass hier die Arbeitslosigkeit in einem vierstufigen Prozess um durchschnittlich 50 Prozent gesunken ist. Dazu trug die Beschäftigung in Bürgerarbeit nicht einmal zur Hälfte, sondern nur etwa zu einem Drittel bei. Der Abbau geht vielmehr insbesondere darauf zurück, dass erstens jeder Einzelne gecheckt wird, zweitens jedem ein Weiterbildungsangebot gemacht wird und drittens die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt Vorrang vor der Bürgerarbeit hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten wirklich sehr sorgfältig in den nächsten Wochen und Monate beides beobachten. Ich sage Ihnen, Herr Minister Tiefensee: Das Prä haben für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz eindeutig die erfolgreichen Modellprojekte Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern. Danke. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort für eine Erklärung zur Aussprache erhält nun Kollege Arnold Vaatz.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf jeweils eine Bemerkung der Kollegen Günther und Hettlich eingehen. Ich kann zwar nicht für meine beiden Leipziger Kollegen Fornahl und Weißgerber sprechen. Ich glaube aber für mich und in ihrem Namen sagen zu können, dass es selbstverständlich unser fester Vorsatz und unser fester Wille ist, den Ge20058 danken zur Errichtung eines Denkmals, das an den Einsatz der Leipziger für Freiheit und Einheit Deutschlands erinnert, weiterzuverfolgen. Das muss klar sein. Im Übrigen möchte ich hinzufügen: Ganz egal, wie einige das heute sehen, dieses Denkmal wird eines Tages stehen, und zwar ohne jeden Zweifel. Es wird auch dann stehen, wenn wir uns heute nicht dafür engagieren, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Die historische Wahrheit wird sich durchsetzen. Die historische Wahrheit lautet, dass der Einsatz der Leipziger, stellvertretend für den Einsatz von vielen, insbesondere im südlichen Teil der damaligen DDR, die Voraussetzung für eine grundlegende Veränderung in Richtung Demokratisierung in Deutschland und Europa geschaffen hat. Der Fall der Berliner Mauer ist nicht der Beginn, sondern das Resultat dieser Initiative gewesen. Aus diesem Grunde möchte ich all diejenigen, die diesem Gedanken heute skeptisch gegenüberstehen, eindringlich darum bitten, sich zu vergegenwärtigen, dass das letztendliche Resultat selbstverständlich eine Erinnerung an diese Tat der Leipziger sein wird, weil sie in der Geschichte Deutschlands einer der positivsten, nachhaltigsten und wirkungsvollsten politischen Einsätze überhaupt gewesen ist. Daran werden wir selbstverständlich erinnern. Noch eine kurze Bemerkung an Herrn Kollegen Hettlich. Herr Kollege Hettlich, Sie haben gesagt, wir hätten oftmals das Geld nicht so effizient ausgegeben, wie wir es hätten ausgeben können. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass eine Reihe von Infrastrukturvorhaben im Wesentlichen durch die grünen Bataillone so verzögert und in die Länge gezogen worden ist, dass diese am Ende doppelt so teuer geworden sind. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das war hart am Rande des unter uns Erlaubten. Das war eigentlich eine Kurzintervention, die sofort erfolgen und sich auf die Rede des Vorredners beziehen muss. Es war nicht unbedingt eine Erklärung zur Aussprache. Wir wollen die Diskussion aber nicht verlängern. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/10454 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/10852 und der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10854 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir stimmen nun über die weiteren Entschließungsanträge ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10853? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10855? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/8865. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1 seiner Empfehlung, in Kenntnis des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 auf Drucksache 16/6500, die Annahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/7015 zum genannten Jahresbericht. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7014 zum Jahresbericht 2007. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Erhöhung von Transparenz und Zielgenauigkeit des Mitteleinsatzes für die ostdeutschen Bundesländer“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9120, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7567 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kindergelderhöhung sofort auch bei Hartz IV wirksam machen - Drucksache 16/10616 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({1})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns mit einer Angelegenheit, bei der ich die Regierungskoalition, also sowohl Union als auch SPD, dringend bitte, hier Hilfe zu leisten. Wenn es so bleibt, wie es gegenwärtig geregelt ist, halte ich es für einen nicht zu rechtfertigenden und nicht zu verteidigenden Skandal. ({0}) In Deutschland gibt es 2,5 Millionen arme Kinder. Wegen der Kostensteigerung haben Sie eine Kindergelderhöhung von 10 Euro für das erste und zweite Kind und von 16 Euro für die weiteren Kinder beschlossen. Das ist ein sehr geringer Betrag. Es ist die erste Kindergelderhöhung nach 2002. Man muss hinzufügen, dass Bischof Mixa - er ist sicherlich vieles, aber kein Linker - erklärt hat, das Ganze sei ein Skandal, weil dadurch die Kostensteigerung bei den Ausgaben für Kinder überhaupt nicht ausgeglichen würden. Aber immerhin erhöhen Sie das Kindergeld um 10 bzw. 16 Euro. Nun passiert etwas, was ich den Leuten nicht erklären kann, ({1}) nämlich dass Oskar Lafontaine für seinen elfjährigen Sohn und ich für meine zwölfjährige Tochter diese 10 Euro mehr bekommen, dass wir aber der Hartz-IVEmpfängerin und der Sozialhilfeempfängerin sagen: Du bekommst zwar diese 10 Euro mehr, aber sie werden mit dem Eckregelsatz für deine Kinder gleich wieder verrechnet. - Real bekommt sie also keinen Cent mehr. Das ist nicht vermittelbar. Es geht hier um Kinder. ({2}) Man muss noch Folgendes hinzufügen. Wie hoch sind im Augenblick die Eckregelsätze für Kinder? Eine Hartz-IV-Empfängerin oder eine Sozialhilfeempfängerin bekommt für Kinder bis zum 14. Lebensjahr 211 Euro und für die 14- bis 17-jährigen Kinder 281 Euro. Das ist deshalb interessant, weil die Bundesregierung das Existenzminimum für Kinder gutachterlich hat ausrechnen lassen. Das Ergebnis liegt seit September vor: Das Existenzminimum für ein Kind beträgt 3 864 Euro. ({3}) - Im Jahr! Aufgeschlüsselt auf den Monat - das können Sie mir zutrauen - bedeutet das 322 Euro. Jetzt bekommt aber die Hartz-IV-Empfängerin oder die Sozialhilfeempfängerin nur 211 bzw. 281 Euro pro Kind. Damit liegt sie deutlich unter dem Existenzminimum in Höhe von 322 Euro. Ab Januar könnte sie 10 Euro Kindergeld mehr bekommen. Aber Sie wollen diese 10 Euro gleich mit den 211 Euro wieder verrechnen. Das ist wirklich nicht nachvollziehbar und grob ungerecht. ({4}) Wenn Sie argumentieren, dass das zu teuer ist, dann kann ich nur sagen: Das ist, nachdem 480 Milliarden Euro für die Sicherung der Banken und für die Stabilität der Finanzmärkte beschlossen worden sind, kein zulässiges Argument. Dieses Argument ist erst recht nicht zulässig, wenn Besserverdienende - ich hatte Ihnen zwei Beispiele genannt - diese 10 Euro real bekommen, aber die Sozialhilfeempfängerin oder die Hartz-IV-Empfängerin keinen Cent mehr bekommt. Es ist nicht vertretbar; es ist nicht hinnehmbar. ({5}) - Entschuldigen Sie, die Kosten für Kinder sind um mindestens 10 Prozent gestiegen. ({6}) Das wird durch die Erhöhung um 10 Euro nicht ausgeglichen. Das habe ich doch schon kritisiert. Aber darum geht es hier nicht. Der Hartz-IV-Empfängerin zu sagen: „Du bekommst zwar die 10 Euro, aber sie werden dir gleich wieder weggenommen“, ist doch der Gipfel angesichts von 2,5 Millionen armen Kindern. Das ist den Ärmsten in der Gesellschaft nicht zumutbar. ({7}) Ich möchte einmal wissen, ob Frau Merkel, Herr Steinmeier, Herr Steinbrück, Herr Scholz, Herr Kauder, Herr Ramsauer und Herr Struck es wirklich als gerecht empfinden - Sie können das ja an die Betreffenden weiterleiten -, dass Oskar Lafontaine, ich und andere für ihre Kinder ab 1. Januar real mehr Geld bekommen und die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger sowie die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger für ihre Kinder real keinen Cent mehr bekommen. Wenn sie das wirklich als gerecht empfinden sollten, sehen sie die Welt so extrem anders als ich, dass es für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist. ({8}) - Ja, es kann sein. Wenn Sie das als gerecht empfinden - das ist wirklich interessant -, dann sollte man aber auch überall verbreiten, dass die Union es für richtig hält, das Besserverdienende für ihre Kinder 10 Euro mehr bekommen und Hartz-IV-Empfänger und Sozialhilfeempfänger nicht. Ich hatte gedacht, Sie zeigen an dieser Stelle Vernunft und sagen: Das ist nicht in Ordnung; wir werden das reparieren. - Es wäre nämlich höchste Zeit. ({9}) Kommen Sie mir bitte jetzt nicht mit dem Schulgeld. Das Schulgeld - 100 Euro - wird erst im August nächsten Jahres gezahlt. Das ist ja zunächst einmal okay. ({10}) Aber Sie gewähren es nur bis zur 10. Klasse und sagen: Diejenigen, die in der 11., 12. oder 13. Klasse sind und Abitur machen, bekommen nichts. - Damit bringen Sie zum Ausdruck, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern sowie von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern kein Abitur machen sollen. Der Bundesrat - nicht die SPD-Fraktion im Bundestag - hat dazu gesagt: Das geht zu weit. Das machen wir nicht mit. - Da hat der Bundesrat übrigens recht. ({11}) - Wieso sind Sie so grob? Er hat es doch entschieden, oder nicht? Er hat es doch kritisiert, oder nicht? Wenn Sie noch nicht einmal das zur Kenntnis nehmen, dann tut mir das leid.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Kollegen Tauss?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mal sehen, ob es eine Frage wird.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Gysi, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die SPD dafür eintritt, das Schulgeld bis zum 13. Schuljahr zu zahlen - wir hatten nie eine andere Position -, dass im Rahmen von Koalitionsverhandlungen in der Tat der jetzige Zustand erzielt worden ist, wir weiterhin für die Verbesserung eintreten, es allerdings ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation ist, in der überhaupt kein Schulgeld gezahlt wurde? Ich stimme Ihnen in der Tat ausdrücklich zu. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass es zwischen der CDU und der CSU im Bundesrat und der CDU/CSU im Bundestag Unterschiede gibt und die SPD nicht die Position vertreten hat, die von Ihnen kritisiert wird? ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich nehme das schon zur Kenntnis. Ich habe doch auch heute früh zur Kenntnis genommen, dass Sie das korrigieren wollen. Das halte ich auch für richtig. ({0}) Aber Sie haben der Zahlung eines Schulgeldes nur bis zur 10. Klasse erst einmal im Bundestag zugestimmt! ({1}) Eine SPD-Fraktion hätte immer sagen können: Wir schließen diese Leute nicht vom Abitur aus. - Wenn die Union das nicht mitgemacht hätte, dann hätten Sie die Auseinandersetzung öffentlich führen müssen. Darum geht es aber nicht. Jetzt geht es um das Kindergeld. ({2}) - Hier, bei diesem Antrag. - Ich möchte, dass Sie erklären: Wir werden eine Regelung finden, damit den betroffenen Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern sowie den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern zumindest diese 10 bzw. 16 Euro, also zumindest die Kindergeldsteigerung, zugutekommen und nicht wieder abgezogen werden. Das ist das Mindeste, was wir erreichen müssen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Franz Romer, CDU/CSUFraktion. ({0})

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war ja zu erwarten: Erhöht die Bundesregierung das Kindergeld, tritt sofort die Linkspartei auf den Plan, verurteilt diesen Schritt als Ungerechtigkeit und sieht sofort, wo noch mehr Geld verteilt werden kann. ({0}) Wir lehnen den Antrag der Linkspartei ab. ({1}) Die Kindergelderhöhung wird bei Hartz-IV-Empfängern sinnvollerweise auf den Regelsatz der Grundsicherung, den Eltern für ihre Kinder erhalten, angerechnet. In Wahrheit streiten wir darum, ob eine generelle Anrechnung des Kindergeldes bei Hartz-IV-Empfängern sinnvoll ist oder nicht. Hier ist unsere Position klar: Kinder in ALG-II-Bedarfsgemeinschaften bekommen je nach Alter zwischen 60 und 80 Prozent des Regelsatzes. Einen Anspruch auf sogenannte Mehrbedarfe für Alleinerziehende gibt es ebenfalls. In vielen Kommunen gibt es zusätzliche Vergünstigungen bei Eintrittsgeldern oder sonstigen Gebühren. Neben der Absicherung des gesamten Lebensunterhalts der Kinder werden auch Wohnund Heizkosten für die Kinder durch den Steuerzahler finanziert. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das so sein muss. Das Kindergeld aber soll den Familien mit Kindern helfen, die sonst keine Unterstützung bei der Finanzierung des Lebensunterhalts ihrer Kinder bekommen. ({2}) Wir alle wissen, dass die Erziehung von Kindern in unserem Land immer noch mit starken Belastungen für die Eltern verbunden ist. Mehr Teilzeitarbeitsplätze und eine bessere, flexiblere Kinderbetreuung sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Es ist richtig, das Kindergeld anzuheben und es gerade denen zu geben, die für den Lebensunterhalt ihrer Familie selbst aufkommen. Nun gibt es Kritiker, die meinen, dass mit dem Kindergeld und den Kinderfreibeträgen vor allem besserverdienende Familien unterstützt werden. Herr Gysi, Sie haben das betont, indem Sie auf Herrn Lafontaine und sich selbst verwiesen haben. Ich könnte Ihnen da andere Kürzungen vorschlagen. Tatsächlich ist es so, dass 120 Euro je Kind und Jahr gerade für Normalverdiener eine nennenswerte Unterstützung sind. Meine Damen und Herren von der Linkspartei, die Bundesregierung wird die Grundsicherung auch in Zukunft regelmäßig anpassen. Wer hier weitere Erhöhungen fordert, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, muss immer berücksichtigen, dass sie auch von Familien mit begrenztem Arbeitseinkommen über Steuern und Abgaben finanziert werden müssen. Dies wäre die wahre Ungerechtigkeit. Sie stellen sich hierhin und wollen Geschenke verteilen, die Sie von Geringverdienern mitfinanzieren lassen wollen. Der Regelsatz für Kinder unter 14 Jahre beträgt im Moment 211 Euro plus anteilige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung. Für Kinder über 14 Jahre sind es 281 Euro, Mehrbedarfe bei Alleinerziehenden nicht eingerechnet. Es sollte immer sichergestellt sein, dass dieses Geld bei den Kindern ankommt und nicht durch die Eltern zweckentfremdet wird. ({3}) Ich kenne Beispiele, wo Kinder vernachlässigt werden und zusätzliche Mittel in Alkohol, Zigaretten oder einen neuen Flachbildfernseher fließen. ({4}) Ich weiß, dass man solche Nachrichten nicht verallgemeinern kann. ({5}) Wir dürfen uns aber auch nicht abwenden und darüber hinwegsehen. Wenn wir das Kindergeld zusätzlich zur Grundsicherung an Eltern, die ALG II beziehen, auszahlen würden, wären die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, entsprechend geringer. Solche möglichen Auswirkungen müssen wir immer im Blick haben. ({6}) Ebenso müssen wir dafür sorgen, dass die Nettoeinkommen der arbeitenden Bevölkerung über dem Hartz-IVNiveau liegen. Leistung muss sich lohnen. ({7}) Ich glaube, wir alle würden gerne mehr für Kinder tun. Natürlich sollen auch Kinder, die eine Grundsicherung erhalten, ständig bessere Lebensverhältnisse haben. Aber Sie wissen, dass alle Leistungen von der Gemeinschaft erbracht werden müssen. Oft sind es Familien mit Kindern und kleinen oder mittleren Familieneinkommen, die einen bedeutenden Teil ihres Geldes für Steuern und Abgaben aufwenden müssen. Deshalb müssen wir gerade sie in Zukunft mehr fördern. Letztlich brauchen wir in unserem Land mehr Kinderfreundlichkeit. Die Große Koalition hat hierbei in kurzer Zeit mehr erreicht, als in vielen Jahren vorher von anderen Parteien durchgesetzt werden konnte. Wir können aber nicht alles mit immer mehr Geld regeln. Wir brauchen abseits der finanziellen Unterstützung der Familien mit Kindern, von Elterngeld, besserer Kinderbetreuung und Kindergelderhöhung eine kinderfreundliche Gesellschaft. Arbeitgeber und Arbeitskollegen müssen genauso tolerant werden wie Nachbarn im Haus und Verkehrsteilnehmer in Wohngebieten. Wir brauchen mehr familiengerechte Wohnungen und Spielplätze in jedem Wohngebiet. Es ist traurig, dass zahlreiche Kinder in unserem Land auf Grundsicherung angewiesen sind. Unser Ziel ist und bleibt, hier anzusetzen und diese Zahl zu verringern. Kinder gehören in unser Leben. Kinder sichern unsere Zukunft. Ich bedanke mich. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon bei dieser Überschrift wird mir ein bisschen mulmig im Bauch. Hier steht: Kinder und Hartz IV. Hier finden wir „Kinder“ und „Sozialhilfe“ in einem Satz. Das ist nicht gut. ({0}) Kinder sind das Wichtigste, was wir haben. Sie sind etwas Wunderbares und Herrliches. Für Kinder müssen wir alles tun. Dafür kämpfen wir als FDP. ({1}) Die Linke bezieht sich in ihrem Antrag darauf, dass das ALG II mit dem Kindergeld verrechnet wird. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei das eine große Ungerechtigkeit. Nun ist dieser Begriff der relativen Armut nicht ganz so einfach. Er wird wie folgt definiert: Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens unterschritten werden, ist man arm. Nun sage ich der Linken: Setzen wir uns einmal gedanklich - wirklich nur gedanklich ganz kurz 25 Jahre zurück und betrachten dieses Thema bezogen auf die Altbundesrepublik und die DDR. Dann wären nach dieser Definition 99 Prozent der DDR-Bevölkerung arm gewesen. Auch das ist Fakt. ({2}) Das ist die Definition. Das muss man bitte einmal zur Kenntnis nehmen. ({3}) In der Begründung Ihres Antrags, verehrte Linke, gehen Sie auf die gestiegenen Preise und Lebenshaltungskosten ein. ({4}) Ich erinnere nur an die unselige Mehrwertsteuererhöhung, die vor allem Familien mit Kindern trifft. ({5}) Nun kann man - das machen auch wir - mit Blick auf die CDU/CSU zugestehen, sie hat es vorher ja gesagt. Aber ihr von der SPD habt gesagt: Mit uns gibt es keine Mehrwertsteuererhöhung, keine Merkel-Steuer. ({6}) Dann habt Ihr um 3 statt um 2 Prozentpunkte erhöht. Das war nicht in Ordnung, Kollegen. Jetzt merken wir, dass die Leute weniger in den Taschen haben, dass sie weniger Netto vom Brutto haben. ({7}) Die FDP hat weitergehende Anträge. Wir wollen - das ist in der Diskussion vor wenigen Wochen schon angesprochen worden - ein Kindergeld in Höhe von 200 Euro pro Monat für jedes Kind. ({8}) Wir möchten den Freibetrag auf 8 000 Euro anheben. Wir möchten mehr für unsere Kinder. Das ist eine Frage des Ansatzes. Es wäre besser, wenn wir die Kinder, unsere Zukunft, in den Mittelpunkt stellen und an ihnen den Haushalt ausrichten würden. Jetzt sagen wir immer, für die Kinder sei kein Geld mehr da. Das kann so nicht weitergehen. ({9}) Wichtiger als Geld zu verteilen, ist, etwas dafür zu tun, dass Arbeitsplätze und mit den Arbeitsplätzen die Lebensgrundlage für Familien und deren Kinder entstehen. Dort muss man ansetzen. ({10}) Deshalb fordern wir eine Entlastung des Mittelstands. Man muss den Leuten mehr lassen, damit die Betriebe investieren können. Wir fordern mehr Investitionen in Forschung und Bildung. Wir brauchen Bildung; denn sie ist unser Rohstoff. Dort müssen wir investieren. ({11}) Wir möchten eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Auch das ist ganz wichtig. ({12}) Für unsere Kinder müssen wir alles tun. Es hat in verschiedenen Ländern großflächig Schulschließungen gegeben. Dort verlangt man, dass die Kinder mit dem Bus weite Strecken zur Schule fahren und dafür auch noch zahlen. Auch das kann nicht richtig sein. Kurze Wege für kurze Beine, so muss es sein. Alles für unsere Kinder! ({13}) Ebenso habe ich schon vor drei Jahren, damals im Wahlkampf, kostenlose Kitas für alle gefordert. Warum machen wir es denn nicht? Wenn es darauf ankommt, dann ist ja auch Geld für andere Sachen da. Ein Thema, das mich ebenfalls wurmt, ist das Schulessen; es sollte für alle Kinder kostenlos sein. ({14}) Sie sehen also, wir als FDP sind eine sehr soziale Partei. Wir kämpfen für unsere Kinder, denn die Kinder sind unsere Zukunft. ({15}) Ich halte es mit unserem Fußballkaiser, Franz Beckenbauer, der gesagt hat: Gott liebt alle Kinder. - Machen wir es auch so, tun wir alles für unsere Kinder! In diesem Sinne ein herzliches Glückauf für unsere Kinder! ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Zunächst muss ich mich beim Kollegen Gysi dafür entschuldigen, dass ich seine Rede nur vor dem Fernseher verfolgen konnte. Es tut mir leid, dass ich nicht im Plenarsaal war. Das ist aber auch das Einzige, was ich dazu formell anmerken möchte. Ansonsten kann ich nur sagen: Herr Gysi, ich würde Ihnen weder mein Auto noch das soziale System in Deutschland zur Reparatur anvertrauen. ({0}) Sie haben mit Ihrer Rede bewiesen, dass Sie dazu nicht in der Lage sind; denn ein solcher Antrag zeigt, dass Ihnen gar nicht klar ist, wie dieses System aufgebaut ist und mit welcher Logik es funktioniert. Zu jemandem, der meint, er könne es mal eben so reparieren, kann ich nur sagen: Hände weg! Mit Verlaub, ich sage das auch aus eigener Erfahrung, Herr Kollege Gysi. Mehr will ich zu Ihrem Vortrag hier gar nicht sagen. Sie täten etwas Gutes für die Kinder in Deutschland, wenn Sie dazu beitrügen, dass es ein solides System gibt, auf das sich Familien verlassen können, wenn es darum geht, eine gute Zukunft zu organisieren. Wir haben heute Morgen hier in diesem Haus eine ausführliche Debatte darüber geführt, wie wir den Familienleistungsausgleich voranbringen wollen. Das war eine ausgesprochen gute Debatte, weil sie zeigte, wie viel wir in den letzten zehn Jahren für Familien und damit auch für Kinder getan haben. Das kann sich im Vergleich zu jenen Zeiten unbedingt sehen lassen, in denen Familie ein ausschließlich privater Bereich war. Wir sind uns wohl alle einig, dass wir für unsere Kinder eine gute Zukunft wollen. Eine gute Zukunft für Kinder umfasst etwas mehr als eine Kindergelderhöhung, für die ich mich ausdrücklich ausspreche. ({1}) Wir als SPD setzen deshalb auf eine gute Betreuung, auf bessere Förderung, auf gute Schule und auf gute Ausbildung. Dennoch müssen wir, weil dazu auch Ehrlichkeit gehört, festhalten: Kinder sind in Deutschland eher ein Armutsrisiko als eine Reichtumschance. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. Insofern ist es geradezu eine Verlockung, der die Linke leider erlegen ist, die Erhöhung des Kindergeldes so zu gestalten, dass sie bei Empfängern von Grundsicherung nicht auf das Grundsicherungseinkommen angerechnet wird, sondern zusätzlich gewährt wird. Das wollen Sie ja mit Ihrem Antrag erreichen. Ich und mit mir meine Fraktion halten das für falsch, und ich will das gern begründen, weil mir daran liegt, dass ein wenig Fachkenntnis in die Debatte kommt. Das ließen Sie, Herr Gysi, leider in jeder Hinsicht vermissen. Ich nehme an, dass Ihnen das Prinzip der Nachrangigkeit sehr wohl bekannt ist. Ich halte dieses Prinzip für einen zentralen Aspekt des sozialen Sicherungssystems, und dies ist aus gutem Grund so. Im SGB II ist ausdrücklich festgelegt, dass Kindergeld als anzurechnendes Einkommen gilt. Das ist vom System her richtig und notwendig; deshalb trete ich nach wie vor dafür ein. Sie haben in Ihrer Begründung darauf hingewiesen, dass wir 1999 einmal versucht haben, es anders zu regeln. Wir haben damit keine guten Erfahrungen gemacht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es seinem Erkenntnisgewinn dient, den er nötig hat, gern. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das könnte ja sein. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vorab: Sie leisten immer einen Beitrag zu meinem Erkenntnisgewinn, egal in welcher Richtung. Meine Frage ist folgende: Das Land Rheinland-Pfalz unter Ministerpräsident Beck, Mitglied der SPD, hat im Bundesrat - natürlich nach uns, aber immerhin am 5. November - genau dasselbe beantragt wie wir. Halten Sie ihn in jener Hinsicht für genauso daneben wie mich, oder wie darf ich Sie interpretieren?

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen nur sagen: Ich antworte Ihnen sehr gerne, und Sie werden einen Erkenntnisgewinn erzielen; daran habe ich gar keinen Zweifel, Herr Gysi. Ich glaube, dass Herr Beck ein sehr guter Ministerpräsident ist. Ich kann seinem Vorschlag etwas abgewinnen. Er hat ihn allerdings für sein Bundesland gemacht. Dort kann er auf eine gute Politik für Kinder zurückblicken. Sie haben hier im Bundestag eine völlig andere Verantwortung. - Da ich noch bei der Beantwortung Ihrer Frage bin, möchte ich Sie bitten, mir freundlicherweise auch zuzuhören. Wir Bundespolitiker haben guten Grund, zu sagen, dass das nicht der richtige Weg ist. Ich zeige Ihnen andere Vorschläge auf. Wenn Sie ein wenig Geduld haben - ich glaube, Sie werden sie haben -, können Sie erkennen, welche besseren Vorschläge wir machen. ({0}) Deshalb fahre ich jetzt fort. Im Rahmen des Schulbedarfspakets, das wir heute auch andiskutiert haben, stellen wir zum Beginn jedes neuen Schuljahres 100 Euro zur Verfügung. Damit wollen wir genau jene Schüler und Schülerinnen unterstützen, die unsere Unterstützung verdammt nötig haben; das ist heute deutlich geworden. ({1}) Die SPD tritt dafür ein, dass diese Unterstützung nicht bei Schülern der 10. Klasse aufhört. Vielmehr sagen wir: Solange ein Kind zur Schule geht - in möglichst vielen Fällen hoffentlich bis zum Abitur -, gibt es am Beginn eines jeden Schuljahres 100 Euro. ({2}) Ich denke, an dieser Stelle sollte einmal daran erinnert werden, wer diese Idee ins Gespräch gebracht hat. Mit Verlaub, Herr Gysi, das waren nicht Sie, sondern das war Franz Müntefering. ({3}) Er machte im letzten Jahr den Vorschlag, ein Schulstarterpaket auf den Weg zu bringen. ({4}) Weil wir auch Gutes noch verbessern wollen, haben wir aus dem Schulstarterpaket ein Schulbedarfspaket gemacht. Das ist zielführend und richtig. Darüber freue ich mich sehr. ({5}) Besser würde die Lage von Kindern im Übrigen auch, wenn Länder und Kommunen durch Lernmittelfreiheit, Ganztagsschulen, gebührenfreie Kitas und mehr ihren Teil dazu beitragen würden. Das Land Rheinland-Pfalz ist hierfür wirklich modellhaft. ({6}) In diesem Zusammenhang ist auch der von uns eingeführte Kinderzuschlag unbedingt zu erwähnen. Wer das Ziel des Kinderzuschlags kennt, weiß, dass er ausgesprochen positiv wirkt. Zum Jahreswechsel werden wir ihn noch weiter verbessern. Denn unser Ziel ist, dafür zu sorgen, dass Kinder gar nicht erst in die Bedürftigkeit hineinkommen, sondern dass schon vorher ein Weg gesucht wird, um dies zu verhindern. Das halte ich für eindeutig besser. In der Begründung Ihres Antrags gehen Sie klugerweise auf die wirklich wichtigen Aspekte ein. Um die wünschenswerte Verbesserung der Leistungen für Kinder zu erreichen, muss man Grundlagenarbeit machen. Dem stellen wir uns. Wir fragen uns: Was ist der Bedarf eines Kindes im Sinne einer Grundsicherung? Ist ein aus dem Erwachsenenbedarf unmittelbar abgeleiteter Regelsatz sinnvoll? Wie könnte man einen eigenen Kinderregelsatz ausgestalten? Wir fragen uns auch, welche Altersstufen sinnvollerweise gebildet werden sollten. Daran zu arbeiten, ist ein bisschen anstrengender, als ganz flott einen Antrag aufs Papier zu bringen und sich dann zu beschweren, dass er nicht angenommen wird. Wir arbeiten an diesen Fragen sehr lösungsorientiert. Damit haben wir uns viel vorgenommen. Wir sind uns aber sicher: Die Kinder, die wir damit erreichen wollen, verdienen das. Zum Schluss möchte ich noch eine Anmerkung machen, die ich für ziemlich wichtig halte. Es ist richtig, dass wir über unsere sozialen Sicherungssysteme diskutieren. Es ist richtig, dass wir sie verbessern wollen. Lassen Sie uns aber auch berücksichtigen, wie die Situation wäre, wenn wir sie nicht hätten. In dieser Debatte vergessen wir immer wieder, dass wir im europäischen Vergleich ({7}) - das ist so, auch wenn Sie das nicht hören wollen; das weiß ich - gar nicht so schlecht dastehen. Ich denke, dass wir ein Sozialstaatsmodell haben, über das sich andere freuen würden. ({8}) Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch wir noch das eine oder andere verbessern könnten. Daran arbeiten wir zurzeit. Abschließend: Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen eine Arbeit haben, von der sie auskömmlich leben können. Noch besser wäre es, wenn ganze Familien in einem Verbund davon leben könnten. Deshalb behaupte ich: Sozialstaatspolitik und Sozialpolitik sind wichtig. Dafür braucht man aber auch eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. ({9}) - Wir sind mittendrin. Aber ich merke, dass Sie das nicht so recht mitbekommen. ({10}) Das ist allerdings schon seit längerer Zeit der Fall. Eine gute Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist der Schlüssel für eine gute Zukunft der Kinder. ({11}) Insofern glaube ich, dass unsere Schwerpunkte richtig sind und dass sich unsere Anstrengungen lohnen. Für Schnellschüsse sind mir die deutschen Kinder nämlich ein kleines bisschen zu schade. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Markus Kurth, Fraktion Die Grünen. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 10 Euro Kindergelderhöhung nicht auf den Regelsatz für Kinder anzurechnen, klingt auf den ersten Blick gut und richtig, und dadurch werden auch die Herzen der Menschen gewärmt. Die 10 Euro, die hier zur Debatte stehen, liegen allerdings deutlich unter dem, was Kinder, die sich im Hartz-IV-Bezug befinden, wirklich brauchen. ({0}) Das eigentliche Problem sind die viel zu niedrigen Regelleistungen. ({1}) Deshalb ist Ihr Antrag strategisch-politisch falsch, und er ist auch systematisch falsch, weil Sie damit den Nachrangigkeitsgrundsatz bei den Sozialleistungen aushebeln. Frau Lösekrug-Möller, das ist einer der wenigen Punkte, bei denen ich Ihnen zustimme. Entscheidend ist: Die politisch-gesellschaftlich wirklich wichtige Debatte ist die um die höheren Regelsätze und nicht die um irgendwelche Trostpflästerchen. ({2}) Mit der Trostpflasterdebatte haben wir unsere eigenen Erfahrungen. Im Jahre 1999 - das ist ja ausdrücklich Ihr Vorbild; damals regierte Rot-Grün - haben wir Grüne gefordert, die Kindergelderhöhung von damals noch 20 DM nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen. Wegen der verfassungsrechtlichen Probleme konnte das dann auch nur befristet für drei Jahre geschehen. Was ist politisch passiert? Aus der Debatte um Regelsätze ist der Druck herausgenommen worden. Man konnte sich erst einmal zurücklehnen und sich auf die Schultern klopfen - ich reflektiere das durchaus selbstkritisch -, und man hat die gesamte Bedarfsdebatte nicht angemessen geführt. ({3}) Diesen politischen Fehler wollen Sie jetzt um des kurzfristigen populistischen Erfolges willen wiederholen, ({4}) obwohl die Voraussetzungen in der gesellschaftlichen Debatte um die Höhe der Kinderregelleistungen gar nicht schlecht sind. ({5}) Im September dieses Jahres hat der Paritätische Wohlfahrtsverband in einer Studie festgestellt, dass die Regelleistungen für Kinder auf der Basis der Einkommensund Verbrauchsstichprobe deutlich über dem jetzigen Stand liegen müssten, nämlich zwischen 276 und 358 Euro. Im Juni dieses Jahres haben wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Anhörung dazu geführt. Wir haben einen Antrag zu Kinderregelsätzen gestellt, und auch die Fraktion Die Linke hat einen Antrag gestellt, mit dem sie in eine ähnliche Richtung geht. Sie verfolgen ihn aber gar nicht ernsthaft. ({6}) Ich sage das jetzt einmal der Großen Koalition: Die Bundesländer haben am 23. Mai dieses Jahres einstimmig eine Anhebung der Kinderregelleistungen gefordert. Die Bundesländer - auch Baden-Württemberg, Herr Romer - haben die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, den Kinderbedarf auf der Basis der entwicklungsspezifischen Bedarfe von Kindern neu zu berechnen. ({7}) Das hat Baden-Württemberg mitunterzeichnet, und die FDP war im Übrigen auch dabei. Mehr noch: Am vergangenen Donnerstag hat der Bundesrat anlässlich der Abstimmung zum Familienfördergesetz noch eine allgemeine Bemerkung zu diesem Gesetz beschlossen - „8. Zum Gesetzentwurf allgemein“ -, aus der ich hier jetzt noch einmal zitiere: Der Bundesrat begrüßt den Beschluss der Bundesregierung, für hilfebedürftige Kinder einen gesonderten Schulbedarf … zu finanzieren. Und dann: Für die dringend erforderliche Berücksichtigung des kinderspezifischen Bedarfs bei der Neubemessung der Regelleistungen und Regelsätze ist dies allerdings lediglich ein erster Schritt. Das ist Mahnung und Auftrag für uns alle. ({8}) - Herr Romer, die Regelleistungen sollen angehoben werden. Das ist hier festgehalten und Auftrag für uns alle. Die politische Dynamik, die darin steckt, dass sogar CDU-geführte Bundesländer dies tun, sollten wir aufgreifen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Kurth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe nur eine Frage. Ich habe vorhin gesagt, dass das Existenzminimum eines Kindes - gutachterlich festgestellt - jetzt bei 322 Euro monatlich liegt. Davon sind wir meilenweit entfernt - sowohl bei den Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern als auch bei Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern. Ich bin völlig damit einverstanden, dass wir das mit dem Trostpflaster sein lassen, wenn Sie mir sagen, dass sie ab Januar eine solche Erhöhung erhalten. Sie sagen, dass Sie über etwas anderes reden. Sie bekommen im Januar nichts, und dann wollen Sie ihnen auch noch nicht einmal diese 10 Euro pro Monat geben. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. ({0})

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aus meiner Sicht müsste die Regelleistung ab sofort entsprechend angepasst werden. ({0}) Lassen Sie mich das noch sagen - Sie sind ja an Erkenntnisgewinn interessiert, wie ich eben erfahren habe -: Ihr Vergleich der 322 Euro mit den heutigen Regelsätzen hinkt insofern, als Sie den Mietanteil an der Stelle unterschlagen haben. Letzten Endes hilft Ihnen der Verweis auf das steuerliche Existenzminimum dann auch nicht weiter. Da bewegen Sie sich auch fachlich auf dünnem Eis. In politischer Hinsicht bin ich dafür, den Schwerpunkt insgesamt auf eine angemessene Regelleistung zu legen, statt ab dem 1. Januar 10 Euro mehr zu zahlen. Ich finde, man sollte in dieser Frage so redlich sein, die Sys20066 tematik der nachrangigen Sozialleistungen an der Stelle nicht auszuhebeln. Wenn sich dafür in diesem Hause eine Mehrheit findet, dann kommen wir, glaube ich, auch politisch weiter. Auch das Schulstarterpaket ist ein Trostpflaster, Frau Lösekrug-Möller, das nicht annähernd an die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro herankommt. ({1}) Es beläuft sich auf 8,33 Euro im Monat. Angesichts dessen, was sich an Expertise dazu geäußert hat, ist das, mit Verlaub, mehr als kläglich. Diskutieren Sie nicht nur, sondern fangen Sie möglichst bald an zu handeln! Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/10616 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes - Drucksachen 16/10294, 16/10495 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) - Drucksache 16/10833 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Claudia Winterstein Claudia Roth ({1}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({2}) zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das deutsche Filmerbe sichern - Drucksachen 16/8504, 16/10831 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Claudia Winterstein Claudia Roth ({3}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes sicherstellen - Drucksachen 16/10509, 16/10891 Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Dr. Claudia Winterstein Claudia Roth ({5}) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Staatsminister Bernd Neumann das Wort.

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Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der deutsche Film hat seit der letzten Novellierung des Filmförderungsgesetzes deutlich an Bedeutung gewonnen. Er befindet sich auf Erfolgskurs. ({0}) Gerade die aktuellen Kinobesucherzahlen für die deutschen Filme können sich sehen lassen. Der Marktanteil deutscher Filme betrug in den ersten neun Monaten 26,3 Prozent; die Erwartungen reichen sogar bis über 30 Prozent bis zum Jahresende. Noch vor wenigen Jahren schwankte dieser Anteil zwischen 10 und 18 Prozent. Unter den 28 Kinofilmen, die in diesem Jahr in Deutschland die 1-Million-Grenze durchbrochen haben, waren immerhin zehn deutsche Filme. Das hat es lange nicht gegeben. ({1}) Auch international wird der deutsche Film derzeit gewürdigt und gefeiert wie schon lange nicht mehr. Auf allen bedeutenden Festivals und Wettbewerben laufen deutsche Filme mit großem Erfolg. ({2}) In den letzten beiden Jahren ging der Oscar für den besten fremdsprachigen Film an von der Filmförderungsanstalt geförderte Projekte. Der Deutsche Filmförderfonds hat in den letzten beiden Jahren - er besteht seit 2007 - unser Land auch als Filmstandort attraktiv gemacht. Bisher wurden 116 Millionen Euro Fördermittel für 190 Projekte vergeben und dadurch in Deutschland fast 740 Millionen Euro investiert. ({3}) Das ist ein Erfolg, und deshalb wollen wir diesen Fonds um weitere drei Jahre verlängern. Der heute zur Beratung vorliegende Entwurf des Filmförderungsgesetzes ist der Schlüssel zum Erfolg des deutschen Films. Er unterstützt den gesamten Prozess der Entstehung und Verwertung von Filmen: vom Drehbuch über die Filmherstellung bis zur Vorführung im Kino und der Auswertung in weiteren Verwertungsstufen. Der schwierigen Situation unserer Filmtheater haben wir nach intensiven Gesprächen mit den Kinoverbänden in vielerlei Hinsicht Rechnung getragen. Wir haben auf der einen Seite die Abgabenlast der Kinos um fast 8 Prozent verringert. Damit sinken deren Beiträge von 19,5 Millionen auf 18 Millionen Euro. Auf der anderen Seite haben die Fernsehsender nach vertrauensvollen Gesprächen ihre Leistungen noch einmal erhöht. Sie werden ihre sogenannten Medialeistungen in Form von Werbezeiten für Kinofilme um 5,5 Millionen Euro anheben. ({4}) Insgesamt steigen damit die Beiträge der Sender von 23 Millionen auf 28,5 Millionen Euro. Das ist ein gutes Ergebnis, insbesondere wenn man die prekäre finanzielle Lage mancher Privatsender sieht. ({5}) Manche sind damit unzufrieden, dass wir mit den Fernsehsendern das alles in Verträgen vereinbart haben. Sie hätten gern einen gesetzlichen Abgabetatbestand. Das ist ein altes Thema. Meine Position dazu hat sich nicht verändert. Mir kommt es auf das Ergebnis an. Warum sollen wir denn ein verfassungsrechtliches Risiko eingehen? Warum sollen wir einen Streit mit den Bundesländern vom Zaun brechen, weil sie ihre eigene Filmförderung bedroht sehen? Warum sollen wir das machen, wenn wir anders ein gutes Ergebnis erzielen können? ({6}) Wir haben alle Fernsehsender als verlässliche Vertragspartner kennengelernt. So soll es auch bleiben. ({7}) Mit dem Gesetzentwurf nehmen wir auch die Herausforderungen der Digitalisierung unserer Kinos an. Aber in unserer Wirtschaftsordnung sind erst einmal die Unternehmen selbst für Erneuerungsinvestitionen verantwortlich. Deshalb erwarten wir hier endlich ein gemeinsames Konzept von Verleihern und Kinobesitzern, um dann mit allen, auch mit den Bundesländern, über Finanzierungsmodalitäten zu reden. ({8}) Das Filmförderungsgesetz zielt auf die Förderung des Kinofilms als besonderes ästhetisches Gut. Große Filme brauchen eine große Leinwand. Der Erhalt der Kinos als kulturelle Begegnungsstätte ist das zentrale Anliegen dieses Gesetzes. Deswegen hat das Gesetz es verdient, insbesondere von den Kinobesitzern Beifall zu bekommen. ({9}) Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis langer Verhandlungen mit allen Beteiligten. Auf Grundlage der Ergebnisse des runden Tisches, zu dem ich im Dezember letzten Jahres in Hamburg 100 Vertreter der Branche eingeladen hatte, und nach sich anschließenden, zahlreichen Einzelgesprächen wurde ein breiter Konsens erzielt. An dieser Stelle möchte ich den Mitgliedern des Bundestages, insbesondere dem Kulturausschuss, für die konstruktive Zusammenarbeit danken. Ich bin überzeugt, dass das neue FFG ein gelungener Wurf ist, und würde mich freuen, wenn der Gesetzentwurf im Parlament eine breite Zustimmung erhielte. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Claudia Winterstein für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der deutsche Film feiert ein erfolgreiches Kinojahr 2008. Der Staatsminister hat schon darauf hingewiesen: Der Marktanteil deutscher Produktionen liegt nach drei Quartalen bei über 25 Prozent. 20 Millionen Zuschauer haben in diesem Jahr einen Film aus deutscher Produktion gesehen. Das ist ein toller Erfolg. ({0}) Gerne werden diese Zahlen als Erfolg der deutschen Filmförderung gefeiert. Eines ist auf jeden Fall klar: Ohne die Filmförderung hätte der deutsche Film sicherlich einen sehr schweren Stand. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Schließlich haben 90 Prozent der Filme aus deutscher Produktion eine Förderung erhalten. Aufgrund der Ausweitung der Förderung ist die Zahl deutscher Filme in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Vor zehn Jahren startete pro Woche ein Film aus deutscher Produktion in den Kinos. Heute sind es mehr als zwei pro Woche. Die Filmförderungsanstalt fördert jährlich etwa 170 Filme. Allerdings sagt die große Zahl der deutschen Filme noch nichts über ihren Erfolg aus. Leider erreichen 40 Prozent der geförderten Werke nur weniger als 10 000 Zuschauer. Den hohen Marktanteil in diesem Jahr verdanken wir lediglich acht Produktionen, die Besucherzahlen im Millionenbereich erreicht haben. Staatsminister Bernd Neumann: Staatsminister Bernd Neumann Nun ist für die FDP der Marktanteil nur ein Erfolgsmaßstab für den deutschen Film. ({1}) Natürlich zählt auch die künstlerische Bedeutung. Wir halten aber den wirtschaftlichen Erfolg für ein sehr wichtiges Kriterium der Filmförderung. Bei allem Jubel über die aktuellen Zahlen muss man zugeben: Andere Länder sind weitaus erfolgreicher als wir in Deutschland. Frankreich zum Beispiel erreicht dauerhaft einen Marktanteil von über einem Drittel heimischer Produktionen. Das muss auch unser Ziel in Deutschland sein. Deswegen brauchen wir eine effektive Filmförderung nach dem Motto „mehr Klasse statt Masse“. Wird das neue Filmförderungsgesetz nun diesem Anspruch gerecht? Zunächst möchte ich die Arbeit des Kulturstaatsministers loben, der hier insgesamt ein gutes Gesetz vorgelegt hat. ({2}) Jeder, der die Filmwirtschaft kennt, weiß, wie schwierig es ist, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Akteure auf einen einigermaßen gleichen Nenner zu bringen. Dies ist Ihnen, Herr Neumann, mit diesem Gesetz gelungen, und wir werden diesem Gesetz natürlich zustimmen. ({3}) Zwei positive Punkte möchte ich herausgreifen. Zum einen halte ich die Ausweitung der Drehbuchförderung im neuen Filmförderungsgesetz für ein sinnvolles Mittel, um die Stoffentwicklung zu stärken. Dies ist die grundlegende Voraussetzung, um gute Filme zu schaffen, die auch an der Kinokasse erfolgreich sind. Zum anderen dürfte die stärkere Absatzförderung dazu beitragen, mehr Zuschauer für deutsche Filme zu begeistern. Leider haben Sie das - zugegebenermaßen - schwierigste, aber auch wichtigste Problem ausgespart, nämlich die Finanzierung der Filmförderungsanstalt. Zahlungen unter Vorbehalt, Klagen bei der EU, Zahlungsverweigerung einzelner Anbieter - das Finanzierungssystem ist und bleibt die Achillesferse der FFA. Dabei braucht die FFA eine verlässliche finanzielle Grundlage für die Förderung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer sich rasch verändernden Landschaft der Verwerter von Filmen. Die Angebote sind vielfältiger und unübersichtlicher geworden. IP-TV, Video-on-Demand, Payper-Channel und wie sie alle heißen - die Abgrenzung zwischen diesen Anbietern fällt oft schwer. Leider ist in der FFG-Novelle die Einbeziehung der neuen Dienste in die Finanzierungsstruktur nicht befriedigend. ({4}) Wir brauchen ein übersichtliches, faires Abgabensystem auf einer einheitlichen Grundlage, das alle Nutzer von Kinofilmen nach ihrer Leistungsfähigkeit in die Finanzierung einbezieht, ohne einzelne Anbieter zu überfordern. ({5}) Der dauernde Kuhhandel über die Beiträge muss endlich beendet werden. Die FDP hatte im Ausschuss einen Antrag gestellt, um eine Verbesserung bei der Finanzierung zu erreichen, aber leider hat die Koalition diesem Vorschlag nicht zugestimmt. ({6}) Ich wünsche mir, dass wir die Evaluation des Deutschen Filmförderfonds, die im Moment läuft, auf die Arbeit der FFA ausdehnen, auch unter dem Aspekt, wie die einzelnen Förderinstrumente miteinander wirken. Dies ist neben der Frage nach der Archivierung des Filmerbes die zentrale filmpolitische Aufgabe für das nächste Jahr. Hier haben wir in einem gemeinsamen Antrag die wichtigsten Forderungen an die Bundesregierung formuliert. Der Kulturstaatsminister hat angekündigt, im nächsten Jahr ein Konzept vorzulegen, wie die Bewahrung dieses kulturellen Filmerbes organisiert werden kann. ({7}) Für mich ist besonders wichtig, dass die Archivierung nach klaren Kriterien erfolgt, welche filmischen Werke verbindlich aufbewahrt werden sollen. Es ist übertrieben, jeden Werbespot, Videospiele oder Internetfilmchen aufzubewahren, wie die Linke es hier vorgeschlagen hat. Dies würde nur Bürokratie und hohe Kosten für den Steuerzahler und die Filmwirtschaft bedeuten. ({8}) Wir brauchen effektive Instrumente der Filmförderung, die gut aufeinander abgestimmt sind, um sowohl der künstlerisch-kreativen als auch der wirtschaftlichen Bedeutung des Filmes gerecht zu werden. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Angelika Krüger-Leißner, SPD-Fraktion.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr konnten wir ein erfreuliches Jubiläum feiern: 40 Jahre Filmförderungsanstalt. 40 Jahre FFA heißt auch vier Jahrzehnte erfolgreiche Filmförderung auf der Grundlage des FFG. Heute wollen wir das zum fünften Mal fortschreiben. Was uns nun zur Abstimmung vorliegt, ist wirklich eine gute Novelle. ({0}) Aber alle wissen, dass dieses Ergebnis nur möglich geworden ist, weil in diese Vorbereitungen immense Arbeit gesteckt wurde. Mit größtem Aufwand wurde in zahlreiAngelika Krüger-Leißner chen Abstimmungen, Gesprächsrunden und Anhörungen mit allen Beteiligten der Filmbranche nach Lösungen gesucht. Mit bewundernswerter Geduld und harter Arbeit wurde um den Interessenausgleich gerungen. An dieser Stelle möchte ich - das wird niemanden wundern - ganz herzlich Herrn Kulturstaatsminister Neumann danken und ihn bitten, diesen Dank auch an seine Mitarbeiter weiterzugeben. ({1}) Ich möchte an der Spitze Herrn Hanten und Frau Schauz nennen. ({2}) Ich sage das nicht nur so dahin. Ich habe nämlich wirklich großen Respekt vor diesem außergewöhnlichen Einsatz. Mein Dank gilt auch den Koalitionsfraktionen für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich glaube auch, dass die Oppositionsfraktionen und wir ziemlich nahe beieinander sind. Ich finde, die Mühen haben sich insgesamt gelohnt, weil wir jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen. Es ist uns gelungen, die Förderung und ihre Finanzierung an die veränderten Rahmenbedingungen für die Herstellung und die Auswertung des deutschen Kinofilms anzupassen. Wir haben die rasanten technischen und medienwirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre berücksichtigt. Ich freue mich ganz besonders, dass wir auch die kreative Seite des Filmemachens gestärkt haben. Ich will einige Kernpunkte ansprechen: Wir haben die neuen Anbieter, die Videoabrufdienste und Programmanbieter, in die Finanzierung der FFA einbezogen; jetzt haben wir eine breite Grundlage. Wir haben die Produzenten in der Rechtefrage gegenüber den Sendern gestärkt. Wir haben die Drehbuchförderung verbessert und ausgebaut. Außerdem konnten wir die wichtige Absatzförderung erhöhen. Darüber hinaus haben wir die Sperrfristen zeitgemäß ausgestaltet. Ich glaube, wesentlich war, dass wir die Kino- und die Abspielförderung gestärkt haben. Darauf möchte ich nachher besonders eingehen. Ich finde, dass das FFG insgesamt solidarischer geworden ist und aus meiner Sicht auch gerechter. Ich bin auch ein wenig stolz darauf; denn ich bin mir sicher, dass wir auf dieser Grundlage künftig auch in der Breite mehr Qualität in den deutschen Film bringen können. ({3}) - Einige hören gar nicht zu. Das stört ganz schön, Herr Börnsen. ({4}) Lassen Sie mich aber zunächst auf die Verbesserungen für die Kinos eingehen. Ich finde, dass wir in diesem Bereich eine Menge getan haben. Dies war aus meiner Sicht auch nötig, weil es mit der wirtschaftlichen Lage der Kinos wirklich nicht zum Besten steht. Wir haben seit Jahren rückläufige Besucherzahlen. Während man in der Geburtsstunde des FFG, 1967, noch klagte, dass man nur 290 Millionen Eintrittskarten im Jahr verkaufen konnte, sind wir heute schon froh, wenn wir das Resultat des letzten Jahres, nämlich 125 Millionen Besucher, erreichen. Es gab 2005 einen regelrechten Einbruch. Davon haben sich die Kinos noch nicht erholen können. Aber es kommt noch mehr zusammen. Viele Kinobetriebe schleppen noch die Belastungen der Altdarlehen mit sich, weil sich die damaligen Prognosen, dass die Besucherzahlen steigen, nicht erfüllt hatten. Vor diesem Hintergrund hat sich bei vielen Häusern ein Investitionsstau gebildet. Das heißt, viele Kinos können nicht mehr die Ausstattung und den Komfort bieten, den der Zuschauer erwartet. Für viele Kinos wird die anstehende Umrüstung auf die digitale Projektion zu einer Frage des Überlebens werden. Auf all diese Herausforderungen haben wir mit der neuen Kinoförderung reagiert. ({5}) Ich will die Punkte einzeln benennen: Erstens stehen für besondere Werbemaßnahmen und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit künftig Zuschüsse bis zu einer halben Million Euro zur Verfügung. Zweitens können Förderungshilfen für die Modernisierung, die Verbesserung und die Neuerrichtung von Filmtheatern, die bisher nur als Darlehen vergeben worden sind, künftig bis zu 30 Prozent als Zuschuss gewährt werden. Drittens haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass alte Darlehensschulden gegenüber der FFA bis zu 50 Prozent erlassen werden. Viertens haben wir mit dem sogenannten Sondertopf Digitalisierung die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die FFA einen beachtlichen Beitrag zur Finanzierung der Digitalisierung leisten kann. Fünftens haben wir insgesamt den Anteil der Kinos am Förderkuchen deutlich erhöht: Bisher waren es 20 Prozent; jetzt sind es 25,5 Prozent. Ich will ganz deutlich sagen: Kein anderer Bereich kann von dieser Novellierung so stark profitieren wie die Kinobranche. ({6}) Sechstens konnten wir, die Koalitionsfraktionen, nach der Anhörung eine weitere Entlastung der Kinos durchsetzen - sie ist in das Gesetz aufgenommen worden -, von der vor allen Dingen die größeren Kinos, bei denen die Lage besonders angespannt ist, profitieren werden; denn die Kinos werden bei der Filmabgabe um rund 1,3 Millionen Euro entlastet. Ich habe Ihnen diese sechs Maßnahmen nicht ohne Grund aufgezeigt. Ich finde, wir haben so ein Stück mehr Abgaben- und Fördergerechtigkeit geschaffen. Ich bin sehr froh, dass wir das für die Kinos erreichen konnten. Ich hoffe, dass das Ergebnis der Kinobranche Mut macht und Zuversicht schafft, dass es ein gutes Zeichen für die Solidarität in der Branche ist. Wenn jetzt alle Kinos zusammenstehen, werden wir auch die nächste Herausforderung - die Phase der Digitalisierung - gemeinsam bewältigen. Ich stehe jedenfalls fest an der Seite der Kinos. ({7}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mir wichtig ist. Zu den guten Rahmenbedingungen für die Filmwirtschaft gehören auch - das ist ganz wichtig - gut qualifizierte und motivierte Beschäftigte. Was mir Sorgen macht, sind die Arbeitsbedingungen bei der Filmproduktion, die sich in den letzten Jahren unter dem zunehmenden Kostendruck für die Unternehmen verschlechtert haben. Viele Filme, insbesondere LowBudget-Produktionen, könnten unter den Vorgaben starrer Arbeitszeitregelungen gar nicht entstehen. Deshalb haben wir die Möglichkeit, im Rahmen des Tarifvertrages besonders hohe Arbeitszeiten zuzulassen. Im Gegenzug erwarten wir, dass Ruhezeiten, Arbeitszeitkonten und Vergütungen berücksichtigt werden. ({8}) Aber dazu müssen die Tarifverträge angewendet werden. Wir machen leider die Erfahrung, dass diese in der Branche mit Pauschalverträgen unterlaufen werden. Ich habe lange geprüft, welche Auswirkungen es hätte, wenn man - entsprechend dem Antrag der Linken die Einhaltung sozialer Standards als Förderbedingung ins FFG aufnähme. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das mehr Schaden anrichten würde, als es weiterhelfen würde. Aus diesem Grunde lehnen wir den Antrag der Linken ab. Die Umsetzung würde große EUrechtliche Probleme bringen. Wahrscheinlich würde das Gesetz gestoppt. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen. ({9}) Wir haben mit unserem Koalitionspartner einen Weg gefunden. Ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Börnsen und bei Herrn Mißfelder bedanken, dass uns das gelungen ist. Die FFA hat sich künftig um die Belange der Filmwirtschaft einschließlich ihrer Beschäftigten zu kümmern. ({10}) Das haben wir in der Begründung deutlich ausgewiesen. In Zukunft können wir darauf Bezug nehmen. Die Filmschaffenden selber können sich darauf berufen. Das wird ihre Position nachhaltig stärken. Ich halte das für einen großen Fortschritt. ({11}) Zugleich bitte ich Herrn Börnsen, Frau Connemann und Herrn Mißfelder, die Kollegen Sozialpolitiker zu gewinnen, eine weitere Veränderung einzubringen: die Veränderung der Rahmenfrist. Mir ist egal, wie das erreicht wird. Wenn wir wirklich etwas für die Branche der Filmschaffenden tun wollen, müssen wir auch an die Rahmenfrist herangehen. Ein letzter Punkt, den ich herausgreifen will: die Förderung der Kreativen und die Beteiligung der Regisseure an der Referenzfilmförderung. Tomy Wigand hat es klar zum Ausdruck gebracht: Die Regisseure sind darauf angewiesen, dass wir ihnen bei der Projektentwicklung etwas mehr den Rücken freihalten. Ich würde hier gern etwas mehr tun. Auch hier habe ich geprüft, ob das im Rahmen des FFG möglich ist. Ich sage Ihnen: Das wäre falsch. Wir brauchen einen Konsens in der Branche. Wir können nicht einfach Geld hin- und herverteilen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident, für den Hinweis. Ich komme zum Schluss. ({0}) Wir sollten etwas mehr tun, aber an einer anderen Stelle: im Rahmen des Deutschen Filmpreises. Ich bitte meine Kollegen, mich dabei zu unterstützen. ({1}) Ich denke, dass wir mit dieser Novellierung eine Menge für das Kulturgut und Wirtschaftsgut Film getan haben. Ich bin mir ganz sicher, dass wir für die Kinos und für die Verbesserung der Qualität und der Vielfalt des deutschen Filmschaffens die Weichen gut gestellt haben. Das ist, finde ich, ein gutes Fazit. Danke. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Lothar Bisky, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lothar Bisky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003739, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Zukunft der Filmförderung und der Sicherung des Filmerbes stehen heute zwei wichtige Themen für die Kultur unseres Landes zur Debatte. Bei der Sicherung des Filmerbes sind wir uns einig, dass die Archivbestände vor der Zerstörung bewahrt werden müssen. So weit, so gut. Es ist mir aber ein Rätsel, wie das ohne zusätzliche Haushaltsmittel funktionieren soll. Wer das Filmerbe sichern will, muss auch darlegen, wie das finanziert werden kann. ({0}) Wir haben mit vielen beteiligten Institutionen, dem Bundesfilmarchiv, der Deutschen Kinemathek, der DEFA-Stiftung und vielen anderen Akteuren gesprochen. Nach ersten Schätzungen wird die Sicherung des deutschen Filmerbes um die 90 Millionen Euro kosten. Deshalb schlagen wir erstens vor, dass die Filmwirtschaft und die Bundesregierung über einen Zeitraum von fünf Jahren jeweils 6 Millionen Euro jährlich für die Sicherung des Filmerbes zur Verfügung stellen. Zweitens sollen weitere 6 Millionen Euro im Jahr durch eine zweckgebundene Abgabe auf jede Kinokarte in Höhe von 5 Cent erhoben werden. Drittens fordern wir eine gesetzlich verankerte Abgabepflicht für alle öffentlich aufgeführten, neu produzierten Filme. ({1}) Wer das deutsche Filmerbe ernsthaft schützen will, der muss dafür auch die nötigen Mittel aufbringen. Ich meine, dass das Geld hier wirklich gut angelegt ist. ({2}) Die Sicherung des Filmerbes ist unser gemeinsames Interesse. Nehmen Sie sich daher unsere Vorschläge ruhig zu Herzen, und prüfen Sie sie ganz genau! Auch bei der Novelle zum Filmförderungsgesetz geht es um grundlegende Rahmenbedingungen der Filmproduktion in den kommenden fünf Jahren. Das Filmförderungsgesetz ermöglicht es, dass weitere Kinofilme in Deutschland produziert werden. Deshalb ist die Filmförderung in unserem Lande und in ganz Europa zu Recht eine breit akzeptierte Praxis. Auch wir akzeptieren sie. Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes enthält gute Pläne zur Neujustierung der hiesigen Filmwirtschaft. Die Förderbedingungen des deutschen Films werden optimiert. Das ist zwar alles in Ordnung; aber uns fehlt ein wichtiger Aspekt: Die soziale Situation der beim Film Beschäftigten muss Berücksichtigung finden. ({3}) Die Linke fordert deshalb, dass die Vergabe von Filmfördermitteln verbindlich an die Einhaltung sozialer Mindeststandards für die in der Filmbranche Tätigen gebunden ist. Gegenwärtig sonnen sich die Promis aus Politik und Gesellschaft im Glanz des roten Teppichs, ({4}) und die große Zahl der nicht wenigen Filmschaffenden arbeitet in sehr schlecht bezahlten Jobs. Wenn Ihnen das egal ist, dann bleiben Sie bei Ihrer Haltung. Wir werden das immer wieder thematisieren. ({5}) Dumpinglöhne und mangelnde soziale Absicherung müssen nicht sein. Damit muss Schluss sein. So wie der deutsche Film gegenüber der Marktmacht der Hollywood-Produktionen konkurrenzfähig gehalten werden muss, so müssen auch die Filmschaffenden vor der Macht des Marktes geschützt und gestärkt werden. ({6}) Das Filmförderungsgesetz ist dafür genau das richtige Instrument. Wir sagen Ja zur Förderung, aber nur bei guter sozialer Absicherung und angemessener Bezahlung der festen und freien Beschäftigten. Wir wissen, dass allein dadurch keine guten Filme entstehen. Ich hoffe, dass wir nicht auf die Tradition zurückkommen, dass der Erfolg des deutschen Films vor allem der Politik zu danken ist. Nein, das ist den Menschen, die diese Filme produzieren, zu verdanken und den vielen anderen, die daran beteiligt sind: von der Beleuchtung, über die Garderobe, die Maske usw. Auch sie sollten am Erfolg des deutschen Films beteiligt sein. ({7}) Meine Damen und Herren, auch wir Linken wissen, dass Filmförderung und gute soziale Absicherung keine hinreichenden, aber nach unserer Meinung doch erforderlichen Bedingungen für gute Produktionen sind. ({8}) - Herr Tauss, ich freue mich immer, wenn auch Sie das wissen. Das ist ja gut so. Ich erwähne es trotzdem. Im Übrigen scheint die Große Koalition ja vor Wissen fast zu platzen. ({9}) Vieles andere wie Vertriebsförderung, stimulierende Filmpreise und Belohnungen für publikumswirksame Filme, die dank des Enthusiasmus und der Risikobereitschaft der Produzenten gedreht wurden, gehören ebenso dazu. Es gehört also viel mehr zur Filmförderung. Lassen Sie uns gemeinsam die Kreativschaffenden als die eigentlichen Leistungsträger der Filmwirtschaft in den Mittelpunkt der Filmförderung stellen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ich bin der Sprecher für innere Sicherheit meiner Fraktion, ({0}) aber keine falschen Schlüsse: Der deutsche Film ist für uns kein Sicherheitsproblem geworden. ({1}) Nein, die Kollegin Roth, die hier gerne geredet hätte, ist schon auf dem Weg, nicht nach Hollywood, aber immerhin nach Erfurt zu unserem Bundesparteitag. ({2}) Von daher habe ich die Ehre, hier zu Ihnen zur Filmförderung reden zu dürfen. Das ist schwierig für einen Innenpolitiker; denn so viel Lob für einen Minister wie in dieser Debatte gibt es in innenpolitischen Debatten eigentlich nie, noch nicht einmal vom Koalitionspartner. Deswegen muss ich mir - das gestehe ich zu - Mühe geben, um mich hier nicht wie in einem falschen Film, sondern nur wie in einem ungewohnten Film zu fühlen. Für uns hat die Novelle Licht und Schatten. Tucholsky fragt: Wo bleibt das Positive? Damit fangen wir also an. Gut ist auf jeden Fall, dass die Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren mehr Fördermittel erhalten und diese nun auch selbstständig beantragen können. Gut finden wir auch - Herr Neumann hat es angesprochen -, dass die Frage der Digitalisierung der Kinos zum Thema geworden ist. Uns ist es wichtig, dass auch Programmkinos und mittelständische Kinos diesen Weg mitgehen können. ({3}) Angesichts dessen, was da auf uns zukommt, haben wir Grüne die Einrichtung eines runden Tisches Kino angeregt, damit alle diesen Weg mitgehen können und es nicht zu einer weiteren Marktbereinigung und einem weiteren Sterben der kleinen Kinos kommt. ({4}) Kritik üben wir daran, dass es nicht gelungen ist, die Zusammensetzung des Präsidiums der Filmförderungsanstalt zu verbessern. Wir hatten vorgeschlagen, auch dort den Kreativen einen Sitz einzuräumen und nicht nur wie bisher im Verwaltungsrat. Dort wird dies ja praktiziert; aber auch im Präsidium sollten sich die Bereiche Drehbuch, Regie, Kurz- und Dokumentarfilm einen Sitz teilen. Das wurde von Ihnen mit Ihrer Mehrheit im Ausschuss abgelehnt. Das halten wir für misslich. ({5}) Es geht ja bei der Filmförderung nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um kulturelle Fragen. Ein anderes Anliegen von uns Grünen war die Einbeziehung von Regisseurinnen und Regisseuren in die Referenzmittelförderung. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, auch für einen geplanten Film Fördermittel zu beantragen. Das Geld wäre sozusagen in der Produktion geblieben und nicht abgezogen worden. Meines Erachtens ist das - das ist ja für mich Neuland; ich habe mir das erklären lassen - ein durchaus originärer und guter Vorschlag. Auch in dieser Frage haben Sie es nicht für nötig gehalten, unser Anliegen aufzugreifen. Die Frage ist jetzt natürlich, was Sie sozusagen an diese Stelle setzen wollen ({6}) - ja, ich hätte es gerne von Herrn Neumann gehört - und wie dieses Loch, in das Regisseure ja oft fallen, gefüllt werden soll. Nachdem Regisseure einen guten Film gedreht haben, bleibt ja häufig der Anschlussfilm aus, sodass sie zum Teil gezwungen sind, sich anderweitig Beschäftigung zu suchen. Um das zu verhindern, gibt es auch andere Möglichkeiten, zum Beispiel über den Bundesfilmpreis. Ich denke, an dieser Stelle muss noch nachgearbeitet werden. ({7}) - Ja, ich hoffe, dass das kommt. Ich komme deswegen jetzt zu einem ganz versöhnlichen Schluss. ({8}) - Ich sagte ja, dass ich die Anpassung übe. Es sind positive und negative Elemente darin enthalten. Hätte der Herr Kulturstaatsminister etwas zu der Frage gesagt, die ich als letztes angeschnitten habe, ({9}) nämlich zur Stellung der Regisseurinnen und Regisseure, dann hätten wir zustimmen können. So wird sich unsere Fraktion der Stimme enthalten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir natürlich eine breitere Zustimmung für diesen Gesetzentwurf gewünscht, nachdem wir schon die ganze Zeit konstruktiv diskutiert haben. Offensichtlich haben sich die Grünen aber im falschen Film befunden - Sie haben es ja gerade gesagt, Herr Kollege Wieland -, ({0}) während sich die Linkspartei in einem ganz anderen Film befindet. Sie versucht zwar, davon abzulenken, indem sie Tatort-Kommissare ins Rennen schickt. Wenn ich Sie aber reden höre, Herr Dr. Bisky, dann denke ich eher an Das Leben der Anderen statt an alles andere. ({1}) Ich möchte ausdrücklich das Zustandekommen des Gesetzentwurfs hervorheben. Wir haben tatsächlich lange und konstruktiv über die routinemäßig anstehende Novellierung diskutiert. Frau Krüger-Leißner, Sie haben bereits gesagt, dass das nicht ohne Diskussionen vonstatten gegangen ist. Ich möchte mich aber ganz herzlich bei Ihnen als SPD-Berichterstatterin bedanken und hervorheben, dass die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Herrn Neumann so erfreulich war, dass ich mich schon jetzt auf die nächste Novellierung freue, die ab dem Zeitpunkt der Verabschiedung ansteht; denn Sie haben bereits ein breites Feld an Aufgaben für die kommenden Jahre aufgezählt. Ich glaube, es ist notwendig, über das hinaus, was wir zu regeln versucht haben, noch weitere Themen aufzugreifen. Wir reißen einen bestimmten Bereich an, beispielsweise die Frage der Digitalisierung, die Frage des Erhalts des Filmerbes und die Frage der zukünftigen Einbeziehung anderer Medien. Dies betrifft ganz konkret die Frage von Video-on-Demand, wo wir zum ersten Mal einsteigen. Dabei müssen wir aber auch die Frage stellen, ob wir bei der nächsten Novellierung nicht noch weitergehen können. Im Laufe der Entwicklung des Medienbereichs in den kommenden Jahren wird der Weg des Films zum Zuschauer eine größere Rolle spielen. Deshalb muss dieser Weg einbezogen werden, auch wenn sich starke Interessenvertretungen dagegen aussprechen. Bei der nächsten Novelle wollen wir das Thema noch deutlicher angehen, als wir es bislang angegangen sind. ({2}) Der Film ist ein großes Kulturgut geworden und ist nicht nur wichtig für die deutsche Sprache, sondern auch für das Vermitteln von historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Deshalb ist es gerade in unserem Interesse, dass möglichst viele deutsche Produktionen in Deutschland erfolgreich sind und darüber hinaus natürlich auch international eine Chance bekommen. ({3}) Das hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark bewährt. Deshalb gilt ein ausdrücklicher Dank unserem Kulturstaatsminister, der vielfach - dies nicht ganz zu Unrecht - als Filmminister bezeichnet wird. Denn beim Thema Film haben wir es mit einer Bündelung von Maßnahmen, wie zum Beispiel mit dem DFFF und der heute zu beratenden FFG-Novelle, geschafft - auch gemeinsam mit Herrn Steinbrück; das möchte ich gar nicht unterschlagen -, den Film finanziell so gut auszustatten, dass ich mir um den deutschen Film in den kommenden Jahren wenig Sorgen machen muss. ({4}) Was die Sicherung des Filmerbes angeht - dies war auch ein wichtiger Punkt in der Diskussion -, so möchte ich zumindest darauf verweisen, dass wir im Rahmen der Neuregelung des Bundesarchivgesetzes auch noch in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit haben, in diesem Bereich Erfolge zu erzielen, sodass der Eindruck, der aufgrund des Antrags der Linken entsteht, wir würden hier zu wenig tun, einfach nur trügt. Wir werden dieses Thema in dieser Legislaturperiode hoffentlich noch weiter verfolgen können. Die Diskussion im Rahmen des Kulturausschusses macht mich sehr optimistisch. ({5}) Mit diesem Gesetzentwurf würdigen wir nicht nur die Leistungen der Produzenten, die ich besonders hervorheben möchte, also die Leistung derjenigen, die Film vor allem als Wirtschaftsgut darstellen. Deshalb haben wir sie stärker in den Verwaltungsrat der FFA eingebunden, was ich für eine sinnvolle Maßnahme erachte. Und so schaffen wir zumindest auch appellativ den Einstieg in die Diskussion darüber, wie man eine Verbesserung der sozialen Situation der Menschen, die beim Film arbeiten, erreichen kann. Das ist auch ein Wert dieses Gesetzes an sich. ({6}) Ich wünsche uns allen viele vergnügliche Kinoerlebnisse mit möglichst vielen deutschen Filmen. Ich wünsche mir auch, dass im Abspann oft der Hinweis zu sehen ist, dass der Film mit von uns bewilligten Mitteln produziert worden ist. Dann können wir zu Recht stolz darauf sein, dass wir für das Kulturgut Film sehr viel getan haben. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile nun das Wort Kollegin Monika Griefahn, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie sehr Filme Menschen bewegen und unser tägliches Leben künstlerisch widerspiegeln, hat sich für mich gestern erneut gezeigt. Bei einer Sondervorführung des Films „Let’s make money“, die für die Mitglieder des Deutschen Bundestages veranstaltet wurde, konnten wir mit dem Filmemacher Erwin Wagenhofer diskutieren. Sein neuer Dokumentarfilm gibt einen sehr realen Einblick in die komplizierte Welt der Finanzströme. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise fand ich diesen Film auch deshalb so beeindruckend, weil er auf sehr plastische Weise die mit diesem globalen Geldkreislauf verbundenen Folgen verdeutlicht. Ich kann diesen Film nur empfehlen. Bilder machen manchmal mehr deutlich als viele Worte und Tabellen. Deswegen ist es mir ein besonderes Anliegen, den Dokumentarfilm zu unterstützen, ({0}) der leider - auch von den Fernsehanstalten - viel zu schlecht bezahlt wird; das muss man deutlich sagen. Die Bezahlung pro Minute ist seit 20 Jahren gleich geblieben. Das, finde ich, ist kein Zustand. Deshalb richte ich den Appell an die Fernsehanstalten, das zu ändern. Bevor ein Film ins Kino kommt, müssen viele Menschen - beispielsweise Schauspielerinnen und Schauspieler, Kostümbildnerinnen und Kostümbildner sowie Regisseurinnen und Regisseure - künstlerisch daran mitgewirkt haben. Diese Arbeit wollen wir hier wertschätzen und fördern. Aber wir müssen - das hat meine Kollegin sehr deutlich gemacht - auch die Arbeitsbedingungen der Filmschaffenden in besonderer Weise berücksichtigen. Das möchte ich hier noch einmal unterstreichen. ({1}) Doch die Kunst des Filmemachens lässt sich nicht ohne den Zusammenhang mit den technischen Mitteln denken. Da spielt das Problem des Urheberrechts eine Rolle, das wir bis jetzt noch nicht vollständig gelöst haben. Die Novellierung des Filmförderungsgesetzes war auch deshalb notwendig geworden, weil die Förder- und Vergabebedingungen an die technischen und medienwirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre angepasst werden mussten. Denn heute gibt es DVD, Internet, Fernsehen und andere Plattformen, von denen sich viele noch in der Erprobung befinden. Diese Verwertungsformen und die vielfältige Vermarktung von Filmen spielen eine immer größere Rolle. Wir müssen zu immer besseren Regeln kommen, nach denen die Künstler entlohnt werden. Dieses Problem ist, wie gesagt, noch nicht vollständig gelöst. Wir haben allerdings - das freut mich sehr; Herr Staatsminister hat darauf aufmerksam gemacht - die Fernsehanstalten noch stärker in das Finanzierungssystem der FFA einbinden können. Sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten haben aktiv daran mitgearbeitet, sodass eine gesetzliche Regelung, die wir vorgesehen hatten, entfallen konnte. Eine Vereinbarung über zusätzliche Medialeistungen konnte getroffen werden. Darüber bin ich sehr froh. Wenn die Kinofilme im Fernsehen beworben werden, dann werden sie auch von mehr Menschen gesehen. Auf diese Weise haben diejenigen, die die Filme gemacht haben, hinterher mehr davon. Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis. ({2}) Ein Problem bleibt ungelöst. Dabei geht es um Fragen im Zusammenhang mit den Widerspruchsrechten, die wir im Urheberrecht noch lösen müssen. Das schaffen wir wahrscheinlich in dieser Legislaturperiode nicht mehr. Wenn zum Beispiel eine unangemessene Verwendung der Werke über neue Nutzungsarten erfolgt, beispielsweise als Filmschnipsel über Handy, dann haben die Hersteller der Filme im Moment kaum Widerspruchsmöglichkeiten; denn der Verwerter muss den Urheber erst nachträglich informieren. Diesen Aspekt haben wir in unserer Entschließung zum Filmförderungsgesetz aufgenommen, und wir wollen, dass die Auswirkungen dieser Regelung mit Blick auf die unbekannten Nutzungsarten noch einmal sorgfältig geprüft werden. Ich bitte den Staatsminister, dieses Problem in Zusammenarbeit mit der Justizministerin aufzugreifen, damit wir es in der nächsten Legislaturperiode im Zuge einer Reform des Urheberrechtes lösen können. Das haben wir beim letzten Mal nicht geschafft, aber es muss gemacht werden. ({3}) Ebenfalls kein Bestandteil der Novelle zum Filmförderungsgesetz - das wurde hier mehrfach angesprochen ist das Thema Filmerbe. Wir haben dazu einen fraktionsübergreifenden Antrag eingebracht, weil wir die Notwendigkeit sehen, dazu Regelungen zu treffen. Wir wollen, dass das Filmerbe als Teil unseres kulturellen Gedächtnisses erhalten bleibt. Filme müssen erhalten und gesehen werden, um ihre Wirkung zu entfalten. Wir müssen sie aufbewahren. Wir haben mit der Durchführung eines öffentlichen Expertengespräches, das wir im Ausschuss geführt haben, und dem vorliegenden Antrag deutlich gemacht, dass uns dieses Thema wichtig ist. Ich bin froh, dass wir uns Anfang des nächsten Jahres mit dem Bundesarchivgesetz beschäftigen werden und ganz konkrete und praktische Regelungen treffen und verankern können. Das braucht noch ein bisschen Zeit und kann nicht schon in dieser Novelle geregelt werden. ({4}) Die FFG-Novelle, die wir heute beschließen, ist - meine Kollegin hat das deutlich gemacht - intensiv geplant und vorbereitet worden. Ich denke, wir sind gemeinsam zu einem Ergebnis gekommen, das sich sehen lassen kann. Dies ist für die Filmbranche ein wichtiger Schritt in die Zukunft. Ich stimme Herrn Mißfelder zu: Wir werden, wenn wir uns die Medienlandschaft anschauen, beim nächsten Mal sicherlich nicht über ein Filmförderungsgesetz diskutieren, sondern über ein Medienförderungsgesetz. Dazu brauchen wir ein bisschen mehr Vorbereitung. Ich danke für die Kooperation und hoffe, dass wir in dieser guten Koordination weitermachen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Dorothee Bär, CDU/CSUFraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Staatsminister! Ein erfolgreicher Film in letzter Zeit hieß Vier Minuten und trägt den Titel meiner Rede. ({0}) - Jetzt sind schon wieder 10 Sekunden mehr weg, Wolfgang. Wir haben nur deswegen einen so erfolgreichen deutschen Film, weil jeder Kinosaal in Deutschland meistens bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Wenn die Kinosäle so voll wären wie unser Plenarsaal, würde es um den deutschen Film nicht so gut stehen. ({1}) - Ein Sonderapplaus für Frau Gleicke: Sie sitzt schon seit 12 Uhr im Plenum. ({2}) Aufgrund der vielen Millionen, die zugeschaut haben, hatten wir ein erfolgreiches Jahr. - Natürlich lohnt sich vielleicht nicht jede einzelne Debatte, aber die Debatte zum deutschen Film ist doch sehr lohnenswert. Noch besser, als heute Abend über den deutschen Film zu reden, wäre es natürlich, wenn wir alle gemeinsam im Anschluss ins Kino gehen würden, um die deutsche Filmwirtschaft weiterhin zu fördern. ({3}) Wir haben sowohl seitens des gesamten Bundestages als auch seitens unserer Fraktion Initiativen ergriffen. Wir bieten sehr viele Dinge an, um den Kollegen die Möglichkeit zu geben, sich mehr mit dem deutschen Film zu beschäftigen. Ich möchte zwei Genres - auch Frau Griefahn hat eines angesprochen - ganz besonders hervorheben. Es gibt in Deutschland nicht nur herausragende Spielfilme, sondern auch ganz herausragende Dokumentarfilme. Diese haben in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung gewonnen. ({4}) Ich möchte mich bei allen Dokumentarfilmern bedanken, die sich oft mit Themen beschäftigen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht spannend klingen und schwierig sind. Man muss sich mit diesen Filmen wesentlich länger und teilweise auch kritischer auseinandersetzen. Sie erzielen vielleicht nicht besonders hohe Einspielergebnisse. Aber sie lohnen sich wirklich, und deren Bedeutung ist in den letzten Jahren Gott sei Dank größer geworden. Bei diesen Filmen geben die Filmemacher oft sehr viel mehr von sich preis, als es bei manchen Spielfilmen der Fall ist. Ich konnte mich bei den Hofer Filmtagen von einigen sehr guten Dokumentarfilmen überzeugen. Ich würde mir wünschen, dass wir darauf in den nächsten Jahren ein noch größeres Augenmerk richten. Ein anderes Genre, das wirklich sehr lohnenswert ist und das in den letzten Jahren in Deutschland zunehmend Bedeutung bekommen hat, ist der Kinder- und Jugendfilm. Auch da haben wir sehr gute Filmemacher. Es gibt ganz tolle Themen. Es sind in Deutschland vom Stoff her sehr hochwertige Filme entstanden. Auch all denjenigen, die am Kinder- und Jugendfilm beteiligt sind, ein ganz herzliches Dankeschön. ({5}) Wenn ich mir jetzt die Produktionen 2008/2009 anschaue, sehe ich, dass wir in Deutschland auf einem noch besseren Weg sind. Ich brauche nicht alle Preise aufzuzählen, die der deutsche Film in den letzten Jahren gewonnen hat. Wir haben es nicht nur geschafft, Filme zu machen, die in Deutschland erfolgreich sind. Auch bei den Filmfestspielen in Cannes oder der Verleihung des Europäischen Filmpreises müssen wir uns nicht verstecken, und bei der Oscar-Verleihung ist regelmäßig ein deutscher Film dabei. Liest man die Nominierungsliste für den diesjährigen Europäischen Filmpreis, dann begegnen einem sehr viele deutsche Namen. Deswegen ist es lohnenswert, sich mit dem deutschen Film auseinanderzusetzen. Heute Abend ist vielen gedankt worden, ganz oft dem Herrn Staatsminister und seinem Team. Ich möchte dieses Lob wiederholen. Frau Schauz hat vorhin gequält geschaut, als Herr Mißfelder gesagt hat, dass er sich schon auf die sechste Novelle freut. Man sieht Ihnen gar nicht an, dass die fünfte so anstrengend war. Deswegen glaube ich, dass wir die nächste, sobald sie ansteht, frischen Mutes angehen können. Einige Probleme sind noch zu lösen. Alles in allem haben wir das gut hinbekommen, sowohl fraktionsübergreifend als auch mit dem BKM. Frau Gleicke, ich hoffe sehr, dass wir, nachdem das Plenum geschlossen ist, alle zusammen in die Spätvorstellung gehen können. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Filmförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10833, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- sachen 16/10294 und 16/10495 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Stimmenthaltung der Linken und der Grünen angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10833 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP und der Grünen bei Stimmenthaltung der Linken ange- nommen. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10889 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge- gen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Frak- tionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Das deutsche Filmerbe sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10831, den Antrag auf Druck- sache 16/8504 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau- ses bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/10891, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10509 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen ange- nommen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller ({0}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokratischen Republik Kongo unverzüglich wirksam bekämpfen - Drucksache 16/9779 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller ({4}), Winfried Nachtwei, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung - Drucksachen 16/4555, 16/8608 Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Detlef Dzembritzki Monika Knoche Kerstin Müller ({5}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte hat leider eine traurige Aktualität bekommen; denn die Lage im Osten des Kongos eskaliert dramatisch. Ich glaube, landesweit gibt es seit August dieses Jahres 1,6 Millionen Flüchtlinge, 250 000 allein in und um Goma. Es gibt Massaker an Zivilisten, Plünderungen und Zerstörung und vor allem Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt in einem unvorstellbaren Ausmaß. Vor allen Dingen sind viele Frauen und Mädchen im Ostkongo betroffen. Ihre Lage ist katastrophal. Wir haben vor einigen Wochen eine Anhörung durchgeführt. Daran nahmen auch Vertreterinnen anderer Fraktionen gemeinsam mit medica mondiale teil. Dort sprach man von 40 Frauen pro Tag. Das sind Schätzungen; die Dunkelziffern sind unbekannt. Die UNO jedenfalls spricht von den schlimmsten Verbrechen weltweit. Die Schilderungen sind schrecklich. Sie haben sich das im Vorfeld sicherlich noch einmal angesehen. Hierzu hat medica mondiale Zitate und Erzählungen veröffentlicht, zum Beispiel von einer 15-Jährigen, einem Opfer, die erzählt: Sie kidnappten und vergewaltigten mich drei Monate lang. Ich weiß nicht, wie viele es waren. Als ich immer mehr einnässte, ließen sie mich gehen. - Es gibt viele solche Schilderungen. Jetzt jüngst in Goma kam es wieder zu solchen Verbrechen. Man muss darauf hinweisen, dass diese dort von marodierenden Regierungssoldaten ausgeübt wurden, und zwar in Anwesenheit der UNO, die in der Stadt ist und tatenlos zugeschaut hat. Ich glaube, wenn nicht schnellstens etwas passiert - das ist ein Punkt in dieser Debatte -, bekommt die UNO ein schweres Glaubwürdigkeitsproblem. Man muss sich ernsthaft fragen, ob wir aus Ruanda nichts gelernt haben, ohne zu sagen, dass es sich hier jetzt schon um einen Völkermord handelt. Die Tatsache, dass sich nichts tut, erinnert daran. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schewe-Gerigk?

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Kollegin Kerstin Müller, Sie haben hier ganz eindrucksvoll über die Situation im Kongo gesprochen. Wie empfinden Sie es, dass niemand auf der Regierungsbank sitzt? Jetzt kommt gerade der Herr Staatssekretär aus dem Familienministerium. Glauben Sie nicht, dass es diesem Thema angemessen wäre, wenn die Regierungsbank besetzt wäre? ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das finde ich in der Tat schlecht. Ich weiß nicht, ob man vonseiten der Fraktionen etwas in der Hinsicht machen kann. Es ist ein Thema, das mindestens das Entwicklungsministerium, das Auswärtige Amt, aber auch das Verteidigungsministerium hochrangigst angeht. Insofern wäre es gut, wenn Sie vielleicht dafür sorgen könnten, dass noch ein paar Vertreter kommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Werte Kolleginnen, mir wird gerade mitgeteilt, dass Herr Staatsminister Gloser gleich erscheint. Er ist irgendwo aufgehalten worden. Ich wollte das auf die Anfrage hin mitteilen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut. Frauen und Mädchen werden von den Milizen der FDLR, Mai-Mai-Milizen sowie Nkundas Milizen, aber eben auch von Regierungssoldaten systematisch als Kriegswaffe missbraucht. Durch die Vergewaltigungen sollen sie seelisch und körperlich vernichtet werden. Es geht darum, den jeweiligen Gegner zu demoralisieren. Inzwischen spricht medica mondiale von einem Femizid, weil es sich um schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen an Frauen und Mädchen handelt. Es wird auch nur vereinzelt von diesen Massakern, die an der Zivilbevölkerung stattfinden, berichtet, etwa von dem in Kiwanja, bei dem mindestens 20 Zivilisten brutal ermordet wurden, indem nacheinander Nkundas Milizen und Mai-Mai-Milizen über das Dorf herfielen. Ich glaube, es ist nicht nur ein Gebot der internationalen Schutzverantwortung, der im Jahre 2005 alle zugestimmt haben, dass jetzt alle Hebel in der EU und UNO in Bewegung gesetzt werden, um die Zivilbevölkerung im Ostkongo zu schützen. ({0}) Ich meine, das folgt nicht nur aus der Schutzverantwortung, sondern eben auch aus den Resolutionen 1325 und 1820, die insbesondere die Rolle der Frauen als Opfer in solchen Krisen zum Thema haben. Die Bundesregierung hat jetzt gesagt, eine EU-BattleGroup wolle sie nicht. Wenn man aber auf Diplomatie setzt, dann frage ich Sie: Wo sind die diplomatischen Initiativen? Wieso wird nicht mehr Druck auf Kabila gemacht? Immerhin haben wir Kabila mit einer EU-Mission unterstützt; er hat zugesagt, die Armee aufzubauen und die FDLR zu entwaffnen. All das ist nicht passiert; stattdessen hat sich die Regierungsarmee inzwischen mit den Hutu-Milizen, also den Völkermördern aus Ruanda, verbündet. Herr Fischer, Frau Irber, ich schätze Ihr persönliches Engagement für Afrika. Aber ich verstehe nicht, warum angesichts einer solch dramatischen humanitären Lage nicht der Außenminister selber eine aktivere Vermittlungsrolle in dieser Krisenregion einnimmt, zumindest eine diplomatische Vermittlungsrolle. Selbst zu dem Zeitpunkt, als die Franzosen und Briten dort waren, war der Außenminister nicht präsent. Meines Erachtens geht das nicht; dafür ist die Lage zu dramatisch. ({1}) Nun zur UNO: 17 000 Soldaten sind vor Ort, 900 allein in der Region Goma, aber die Menschen sind der Gewalt schutzlos ausgeliefert. Herr Fischer, ich kann mir vorstellen, dass Sie das ähnlich sehen: Meiner Auffassung nach muss zumindest ein robusteres MONUCMandat her, eines, das die Zivilbevölkerung schützt, und zwar auch gegen marodierende Regierungssoldaten. Es kann doch nicht sein, dass wir wieder erleben, dass die Menschen traktiert werden und die UNO-Soldaten danebenstehen. Die UNO bekommt ein schwerwiegendes Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn sich jetzt, weil die UNO nicht handelt, auch noch Ruanda und Angola einmischen, wir also möglicherweise vor einem zweiten afrikanischen Weltkrieg stehen - das wird zum Teil schon geschrieben -, dann müssen wir zumindest MONUC so robust ausstatten, dass sie in der Lage ist, die Zivilbevölkerung zu schützen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Müller, achten Sie bitte auf die Zeit.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gleich zum Schluss. - Die Opfer sexualisierter Gewalt verlangen ebenfalls nach Gerechtigkeit. Sie verlangen, dass den Vergewaltigern aus den Reihen der eigenen Armee und der Miliz der Prozess gemacht wird. Wenn die kongolesische Justiz dies nicht macht, gehören sie vor einen internationalen Strafgerichtshof. Kerstin Müller ({0}) Ich will noch eine letzte Forderung nennen, die sich ebenfalls in der Anhörung ergeben hat. Es gibt einen Friedensfonds, den die Entwicklungshilfeministerin nach ihrer letzten Reise aufgelegt hat. Er wird leider nur für den Wiederaufbau und eben nicht für die Opfer sexualisierter Gewalt zur Verfügung gestellt. Es wäre aber sehr wichtig, Mittel für die Opfer sexualisierter Gewalt und für die Hilfsorganisationen bereitzustellen. Davon gibt es nur sehr wenige; sie kämpfen zum Teil um ihr Leben und werden auch bedroht. Zumindest auf dieser Ebene müssen wir von Deutschland aus wirklich etwas tun. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat die Kollegin Anke Eymer für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der erste hier heute vorliegende Antrag bezieht sich auf sexuelle Gewalt gegen Frauen. Die eskalierenden Ereignisse im Ostkongo - davon sprach meine Vorrednerin bereits - scheinen in ihrer Geschwindigkeit unsere parlamentarische Debatte zu überholen. Die Situation ist vielschichtig und verworren. Ende Januar dieses Jahres gab es bekanntlich in der Demokratischen Republik Kongo das Friedensabkommen von Goma. Es wurde dort unterzeichnet; es ist aber nicht das Papier wert, auf dem es steht. ({0}) Die Kämpfe im Ostkongo sind verantwortlich für Massaker an Frauen, Kindern und Männern sowie für die Flucht von mittlerweile einer Viertelmillion Menschen in dieser Region. Die Regierungen in Kongo und in Ruanda bezichtigen sich wechselseitig, die gegnerischen Milizen auf der jeweils anderen Seite der Grenze zu unterstützen. Ende der 90er-Jahre forderte der sogenannte erste afrikanische Weltkrieg Millionen Opfer. Wie weit sind wir jetzt noch von solchen Verhältnissen entfernt, wenn ein Nachbarstaat wie Angola sich wieder mit eigenen Truppen aktiv am Konflikt beteiligt? Was nützen eigentlich Diplomatie und Krisengipfel in Nairobi und in Johannesburg, wenn verantwortliche Kombattanten wie General Nkunda nicht erscheinen? Wie viel wirkliche Bereitschaft ist vorhanden, wenn verfeindete Präsidenten sich für ein gemeinsames Gespräch nur knapp fünf Minuten Zeit nehmen, wie von Präsident Kabila und Staatschef Kagame beim Treffen in Nairobi berichtet wird? Die Lage ist katastrophal; darin sind wir uns einig. Eine humanitäre Katastrophe droht nicht, sie ist bereits eingetreten. Aber sie kann noch schlimmer werden, wenn die Verantwortlichen nicht zu wirklichen Gesprächen, zu Stabilität und einer friedlichen Lösung bereit sind. Es ist richtig, dass Frauen und Kinder in diesem Konflikt und in den allermeisten anderen gewaltsamen Konflikten und Kriegen in besonderem Maße die Leittragenden sind. Ich möchte allerdings bezweifeln, dass es sinnvoll ist, sich angesichts dieser bedrückenden Situation in einem Antrag auf die Lage der Frauen im Ostkongo zu beschränken. Eine Lösung für die gesamte Region und ein entschiedenes internationales Handeln sind unverzichtbar. ({1}) Dazu müssen sich die Verantwortlichen an einen Tisch setzen, und Partikularinteressen müssen beiseitegeschoben werden. Das ist in dieser Region natürlich besonders schwierig. Hier bietet sich für unzählige Gruppen ein ungeheuer großes Feld der partikularen Bereicherung. Dazu zählen insbesondere die Milizen, aber auch die hinter ihnen stehenden Regierungen. Illegaler Rohstoffabbau und -handel sind das Feuer, das unter den Kesseln der Kriegsherren brennt. Dadurch sichern sie die Finanzierung. So werden ständig neue Begehrlichkeiten geweckt. Eine Komponente ist der ungelöste Konflikt zwischen Hutu und Tutsi, der immer wieder ideologischen Nährboden bietet und jede Gewalt gegen den anderen zu rechtfertigen scheint. In Ihrem ersten Antrag beschreiben Sie die Tatsache, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen im Ostkongo zu einem der abscheulichsten Mittel der Kriegsführenden geworden ist, im Kern richtig. Die Lage ist aber viel umfassender, auch wenn bei der noch ausstehenden Lösung des Problems diese besondere Gefährdung der Frauen zu berücksichtigen ist. Daher ist Ihr Antrag in dieser Form nicht zu unterstützen. Die Ausschreitungen im Ostkongo stehen auch im Zusammenhang mit dem zweiten vorliegenden Antrag, in dem es um die Umsetzung der UN-Resolution 1325 geht. Ich möchte darauf hinweisen, dass er nicht der erste Antrag zu diesem Thema ist. Ein entsprechender Antrag, der von CDU/CSU und SPD eingebracht worden war, ist in diesem Hause längst beschlossen worden. Natürlich geht es auch hier um Frauenrechte, den Schutz von Frauen und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf den unterschiedlichsten Ebenen, also um ein Thema, das nicht neu ist und nicht erst mit der Resolution 1325 begonnen hat. Es ist unbestritten, dass mit der Resolution 1325 ein weiterer wichtiger Schritt getan wurde. Es ist eine Tatsache, dass die Gefährdung und Belastung von Frauen in Krisensituationen und in kriegerischen Auseinandersetzungen besonders groß ist. Von Verschleppung, Misshandlung und Vergewaltigung sind insbesondere Frauen betroffen. Der Konflikt im Ostkongo ist ein besonders scheußliches Beispiel dafür, wie sexualisierte Gewalt als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wird. Hinzu kommen die Gefahr einer HIV-Infektion der betroffenen Frauen und die anschließende Stigmatisierung der Frauen in ihren Familien und in ihrem sozialen Umfeld. Anke Eymer ({2}) Wenig beachtet wird, dass Gewalt gegen Frauen oft von männlichen Familienangehörigen ausgeübt wird und eine Strafverfolgung dann meist ausbleibt. Diese Übergriffe werden gesellschaftlich tabuisiert. Auch hierfür bietet die Demokratische Republik Kongo zahlreiche erschütternde Beispiele. Solche Übergriffe stellen eine klare Verletzung der Menschenrechte dar. Sie fordern uns alle zu konsequentem Handeln auf. Frauen brauchen aber nicht nur einen besonderen Schutz, sondern sie müssen darüber hinaus auch an der Schaffung friedlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen für sich und ihre Familien mitwirken. Frauen müssen als Mitgestalterinnen in friedenschaffenden und friedensichernden Prozessen eine wichtige Rolle spielen. In der Resolution 1325 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darauf hingewiesen und zum Handeln aufgefordert. Die vorgeschlagenen Maßnahmen konzentrieren sich auf drei Kernbereiche: auf die Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen, die Konfliktprävention und den Schutz von Frauen vor Gewaltübergriffen. Die großen Erwartungen, die mit dieser Resolution verbunden waren, haben sich nicht erfüllt. Allerdings hat der Prozess der Umsetzung der Resolution in den vergangenen Jahren mehr Dynamik erfahren. Deutschland gehört zur Freundesgruppe der Resolution 1325. Wir unterstützen auch die Europäische Union in besonderer Weise bei ihrer Umsetzung und beim Bemühen um die Gleichstellung von Männern und Frauen. Das der Verwirklichung der Gleichstellung zugrunde liegende Prinzip, bekannt als Gender-Mainstreaming, ist in der deutschen Politik mittlerweile gut verankert. Es bietet eine gute Grundlage für die nationale Umsetzung der Resolution. Dennoch ist der Handlungsbedarf weiterhin groß. Wie anfangs bereits erwähnt, haben wir auch über dieses Thema im Deutschen Bundestag schon diskutiert und dazu einen Beschluss gefasst. Ein entsprechender Antrag von uns, der CDU/CSU, und unserem Koalitionspartner ist in diesem Hause längst angenommen worden. Der vorliegende Antrag beruht in weiten Teilen auf einer sehr vergleichbaren Einschätzung der Faktenlage. Die Arbeit der Bundesregierung wird allerdings nicht richtig bewertet und eingeschätzt. Insofern bietet der Antrag auch keine sinnvolle Ergänzung. Daher halte ich die aus den Ausschüssen stammenden Beschlussempfehlungen, nämlich den Antrag abzulehnen, für sinnvoll. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Marina Schuster spricht nun für die FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die dramatischen Schreckensbilder, die uns aus dem Ostkongo erreichen, wurden von meinen Vorrednerinnen bereits geschildert. Es sind wirklich erschreckende Bilder: Flüchtlingslager, die geplündert und niedergebrannt werden, Kinder, die zu Soldaten gemacht werden, Frauen, die systematisch durch sexuelle Gewalt terrorisiert werden. Das Internationale Rote Kreuz attestiert unzählige Vergewaltigungen, und niemand kennt die Dunkelziffer. Doch damit ist es nicht genug: Es gibt Anzeichen für ethnisch motivierte Massaker an Zivilisten. Wer heute in die FAZ schaut, der kann den Schreckensbericht lesen, den Thomas Scheen von seiner Entführung geschrieben hat. Ich glaube, wir alle hier sind sehr froh und erleichtert, dass er wieder frei ist. Ich denke, dieser Bericht gibt noch einmal Aufschluss darüber, wie dramatisch die Situation ist. Dies zeigt auch, wie gefährlich die Situation im Hinblick auf einen Flächenbrand ist. Es besteht die Gefahr, dass wir dort ein Déjà-vu-Erlebnis haben, dass sich nämlich, wie beim letzten Kongo-Krieg, sieben afrikanische Nachbarstaaten in einen mörderischen Krieg verwickeln. Bei diesem Problem dürfen wir eben nie die regionale Dimension vergessen - und auch nicht, welche Eigeninteressen die jeweiligen Staaten haben. Ruanda spielt noch heute eine äußerst zweifelhafte Rolle in dieser Region, und auch Angola hat gestern angekündigt, eigene Truppen in das Gebiet zu entsenden natürlich ohne Blauhelmmandat. Auch die SADC hat ein militärisches Vorauskommando losgeschickt. Dabei fragt man sich natürlich, wohin das führen wird. Ich sehe die Gefahr, dass man hier militärisch versucht, etwas zu lösen, was sehr komplexe Wurzeln hat. Meine Vorrednerinnen sind darauf schon eingegangen. Die kongolesische Regierung und Nkundas Rebellen werden aus eigener Kraft kaum eine friedliche Lösung finden. Sie scheinen sie auch nicht anzustreben. Und was machen die Vereinten Nationen? Das MONUC-Mandat ist mit über 17 000 Soldaten das größte derzeit existierende Mandat. Wir hören schreckliche Nachrichten von überforderten UN-Soldaten, die sich auf die Seite der Rebellen schlagen oder Menschenrechtsverletzungen begehen. Das muss unverzüglich gestoppt werden. ({0}) Welche weiteren Schlüsse ziehen wir aus dieser Situation? Heute rächt sich die mangelnde Aufmerksamkeit der EU und der Bundesregierung gegenüber der Lage im Ostkongo. ({1}) Als wir vor zwei Jahren deutsche Soldaten zur Sicherung der freien Wahlen nach Kinshasa geschickt haben, haben wir immer darauf hingewiesen, dass demokratische Wahlen eben nur ein Schritt - ein wichtiger und erster Schritt - auf dem Weg zur Demokratie sind und dass da20080 mit noch nicht die Stabilisierung des Landes erreicht wird. ({2}) Wir haben auch damals schon deutlich gemacht, dass wir dringend eine bessere Unterstützung der EU-Missionen EUPOL und EUSEC brauchen, damit dort ein funktionierendes Justizsystem errichtet wird und Polizei und Militär entsprechend ihrer Strukturen arbeiten können, ({3}) und dass es dort eben keine rechtsfreien Räume und keine Kultur der Straflosigkeit geben darf. Die Sicherheitslage ist schon lange fragil. Es gab viele Warnzeichen dafür, die die Bundesregierung nicht aufgeweckt haben. Hier ist die Bundesregierung meines Erachtens viel zu spät tätig geworden, und sie hat die Krise aus den Augen verloren. ({4}) Wir müssen aber auch an die Konfliktparteien appellieren, die diesen Kreislauf der Gewalt endlich stoppen müssen. Die Friedensabkommen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Das hat die Kollegin schon angesprochen. Auch die AU ist gefragt, den politischen Druck zu erhöhen. Aber auch die Bundesregierung muss die ihr zur Verfügung stehenden Kanäle aktiver nutzen. Die Bemühungen des UN-Generalsekretärs sind richtig. Er hat gesagt: Politische Lösungsansätze müssen Vorrang haben. - Kabila und Kagame sind die Schlüsselfiguren für eine Lösung. Es müssen aber eben auch Gespräche mit dem Rebellenführer Nkunda und anderen Parteien stattfinden. Denn es zeigt sich, dass die Bemühungen um einen tiefgreifenden Versöhnungsprozess viel zu lange vernachlässigt worden sind. Was die heillos überforderten UN-Truppen angeht, muss die personelle und finanzielle Ausstattung verbessert werden. Denn selbst der Leiter von MONUC hat verkündet, dass er die Zivilbevölkerung nicht mehr schützen kann. Die Maßnahmen müssen aber von einer politischen Komponente begleitet werden. Sonst wird sich an der Krise nichts ändern, weil man nicht an die Ursachen herangeht. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Umsetzung der UN-Resolution eingehen. Der Blick in den Kongo zeigt, dass die körperliche und seelische Zerstörung von Frauen zum teuflischen Instrumentenkasten der Konfliktparteien gehört. Gerade weil Frauen oft die Leidtragenden solcher Krisen sind, sind sie dann auch der Schlüssel, wenn es darum geht, dauerhaften Frieden und Versöhnung zu erreichen. Der Bericht, den uns die Bundesregierung vorgelegt hat, führt zwar Projekte und Maßnahmen auf, aber er lässt keine Strategie erkennen. Stattdessen hat man versucht, alles, was mit dem Thema Frauen zusammenhängt, in ein Schema zu pressen. Das führt zu einem verworrenen Flickwerk ohne roten Faden. ({5}) Was haben die Einrichtung eines Containerkrankenhauses in Afghanistan, eine Schreibwerkstatt und die Konferenz einer finnischen Ministerin für Gleichstellungsangelegenheiten gemeinsam? Worin besteht die Strategie? ({6}) Ich finde, die Bundesregierung bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Sie hätte Vorreiter sein können. Es braucht einen genauen Fahrplan bzw. eine Strategie, wie die UN-Resolution weiter umgesetzt werden soll. Denn Frieden und Rechtsstaatlichkeit müssen hart erarbeitet werden, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich. Dazu fordere ich Sie auf. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Brunhilde Irber das Wort.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über den Antrag der Grünen vom Juni dieses Jahres. Schon damals war die Situation der Frauen im Kongo schlimm genug. Seit August hat sich mit dem Wiederaufflammen der Kämpfe die Situation noch einmal dramatisch verschlimmert. Frauen und Mädchen sind und waren Opfer beispielloser brutaler sexualisierter Gewalt. Angehörige der Armee sowie aller bewaffneten Gruppen nehmen die körperliche und seelische Zerstörung der Frauen in Kauf. Es macht ihnen überhaupt nichts aus. Sie benutzen es als Kriegwaffe. Es ist daher unsere Pflicht, zu helfen und dafür einzutreten, die Gewalt im Kongo dauerhaft zu beenden. Deshalb hege ich große Sympathie für den Antrag der Grünen. Zugleich habe ich aber ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Warum? Der Antrag erweckt den Eindruck, dass es möglich sei, die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ohne in den Konflikt selbst einzugreifen. Ich glaube aber nicht, dass dies möglich ist. Die Gewalt gegen Frauen im Osten des Kongos ist eine Folge des fortwährenden Krieges. Solange es im Ostkongo so gut wie keine staatlichen Strukturen gibt, sind unsere Einflussmöglichkeiten denkbar gering. Natürlich ist es dringend geboten, auf die Einhaltung der UN-Resolution 1325 zu pochen und sich für entsprechende Schulungen der kongolesischen Soldaten und Polizisten einzusetzen. Denn Vergewaltigung ist im Kongo seit 2006 strafbar. Doch müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, dass die Reform von EUSEC und EUPOL und der Aufbau der Justiz langfristige Aufgaben sind. Beides kommt bedauerlicherweise nicht so schnell voran, wie wir uns das wünschen. Um die Lage der Frauen im Kongo zu verbessern, gibt es nur einen Weg: eine politische Lösung des Konflikts. Dass Deutschland diesen Weg ernst nimmt, hat es in den letzten Tagen bewiesen. Die Bundesregierung hat mit ihrem Engagement aktiv dazu beigetragen, dass es am vergangenen Wochenende in Nairobi endlich zu einem Gipfeltreffen zur Lage im Ostkongo gekommen ist. Am Unwillen des kongolesischen Präsidenten Kabila und des ruandischen Präsidenten Kagame, von Angesicht zu Angesicht zu verhandeln, können wir allerdings ermessen, wie steinig der Weg zum Frieden noch sein wird. Dennoch wird die Bundesregierung weiterhin für Gespräche zur Umsetzung des 2002 in Pretoria und im Januar 2008 in Goma geschlossenen Abkommens werben. Diese Bemühungen um eine politische Lösung werden von einem breiten Katalog von Hilfsmaßnahmen flankiert. Er umfasst neben Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Zivilbevölkerung Hilfen zum Staatsaufbau sowie die Finanzierung der VN-Mission MONUC. Schließlich sind wir uns bewusst, dass die jetzige Situation für eine Vielzahl der Beteiligten sehr profitabel ist. Das Fehlen staatlicher Ordnungsstrukturen ermöglicht es den Konfliktparteien, die Schätze des Kongos außer Landes zu schmuggeln und mit dem Erlös die eigenen Taschen zu füllen. Es ist daher dringend notwendig, dass die Bundesregierung den kongolesischen Provinzregierungen beim Aufbau eines wirksamen Zoll- und Grenzregimes unter die Arme greift.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Irber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller?

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Irber, Sie haben die nicht unmaßgebliche finanzielle Beteiligung der Bundesregierung an MONUC angesprochen. Nun hat der Leiter von MONUC, Alan Doss, eine sogenannte Shoppingliste vorgelegt. Ban Ki-moon hat gestern einen dringlichen Appell an die Staatengemeinschaft gerichtet, MONUC so auszurüsten und die Mittel so aufzustocken, dass die Mission wirken kann. Doss hat 18 Transporthubschrauber, zwei Transportflugzeuge, eine Pioniereinheit, zwei Militärtrainer und zwei zusätzliche Polizeieinheiten gefordert. Der Staatssekretär hatte sich im Ausschuss ebenfalls auf die sogenannte Doss-Liste bezogen. Ich frage Sie: Was wird Ihrer Meinung nach die Bundesregierung leisten, damit MONUC robust wird und die Zivilbevölkerung schützen kann, also den Auftrag erfüllen kann, den sie von den Vereinten Nationen erhalten hat?

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Müller, ich komme im Laufe meiner Rede darauf zurück, was die Bundesregierung meiner Meinung nach hier zu tun hat. ({0}) Ich fahre mit meiner Rede fort. Nach meiner Meinung ist es wichtig, ein Zoll- und Grenzregime einzuführen. Zusammen mit der Initiative zur Zertifizierung von Rohstoffen, EITI, besteht dann die Möglichkeit, die Erlöse aus dem Rohstoffhandel endlich der breiten Bevölkerung zukommen zu lassen. Wir müssen den Konfliktparteien den Geldhahn zudrehen. Ich glaube, das ist das Wichtigste. ({1}) - Ja. Die Demokratische Republik Kongo ist bereits heute das Land, welches nach Afghanistan die umfassendste Unterstützung von Deutschland erhält. Ich selbst habe mich im Juni mit meiner Kollegin Bärbel Kofler dafür eingesetzt, dass der 50 Millionen Euro umfassende Friedensfonds ausgezahlt wird. Wir waren im Mai im Kongo und haben uns selbst ein Bild von der Lage gemacht. Darüber hinaus hat die Bundesregierung für die nächsten zwei Jahre mehr als 50 Millionen Euro für die technische und finanzielle Zusammenarbeit eingeplant. Noch umfangreicher sind die Beteiligungen an den zahlreichen internationalen Hilfsprogrammen. Allein von den Kosten des VN-Militäreinsatzes trägt Deutschland in diesem Jahr 67,5 Millionen Euro. Vielleicht kann man damit auch die Einkaufsliste ein bisschen aufpeppen. Darüber hinaus fließen 2008 12 Millionen Euro an Nothilfe. Unterstützt werden damit rückkehrende Flüchtlinge und die Opfer von sexuellen Gewalttaten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat zusätzlich Soforthilfen für den Wiederaufbau des Flughafens von Goma zugesagt. Damit wird ein dringend benötigter Versorgungszugang für internationale Hilfsleistungen geschaffen. Eine weitere Aufstockung der Hilfen ist nach Einschätzung von Fachleuten kaum möglich, da die Aufnahmefähigkeit der staatlichen Strukturen weitgehend erschöpft ist. Aufgrund dieser Tatsache bemühen sich vor allem die Hilfsorganisationen nach Kräften um die Opfer sexualisierter Gewalt. Dafür bedanke ich mich besonders beim Evangelischen Entwicklungsdienst und bei seiner Durchführungsorganisation „Heal Africa“ in Goma. ({2}) Es ist unbefriedigend, von all diesen Initiativen zu hören und zugleich zu wissen, dass sie die humanitäre Katastrophe im Ostkongo nicht verhindern können. Es ist mir daher umso wichtiger, Sie alle zu bitten, die Bundesregierung bei der Suche nach einer politischen Lösung zu unterstützen. ({3}) Wir müssen die militärischen Einsatzkräfte der Vereinten Nationen vor Ort stärken. Das heißt, wir müssen die rechtlichen und technischen Möglichkeiten von MONUC verbessern. MONUC verfügt zwar schon jetzt über ein robustes Mandat nach Art. 7 der VN-Charta, doch sind die konkreten Aufgaben und Kompetenzen der Mission eher zurückhaltend beschrieben. Ich bitte die Bundesregierung daher, sich bei der bevorstehenden Mandatsverlängerung Ende des Jahres dafür einzusetzen, dass die Aufgaben und Kompetenzen von MONUC ausgeweitet werden. MONUC muss rechtlich und ausrüstungstechnisch in die Lage versetzt werden, die Frauen im Kongo zu schützen. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Meine Vorrednerinnen haben in großer Eindringlichkeit geschildert, vor welcher Situation wir heute im Kongo stehen. Während wir hier reden, werden dort Frauen vergewaltigt. Auf jeder Seite der kriegführenden Parteien werden Frauen zum Objekt der Rache und der Erniedrigungsrituale gemacht; denn sexuelle Gewalt ist eine Waffe im Krieg, egal wer diesen Krieg führt. Frauen sind Mittel zum Zweck, um den Feind zu treffen. Wer das versteht und durchdenkt, kann meiner Meinung nach nicht zu der Forderung kommen, dieser Entkultivierung mit den Mitteln der militärischen Gewalt Herr zu werden. Ich halte das für einen Irrtum. Es ist wahr: Auch Soldaten der MONUC sind Täter und üben sexuelle Gewalt aus, und die UN-Null-ToleranzRichtlinie wird nicht eingehalten. Dennoch sind wir aufgefordert, etwas zu tun. Ich sehe die Notwendigkeit, den Schutz der Frauen im Kongo zum zentralen Thema zu machen. Ich sehe die Notwendigkeit, zivile Konfliktintervention im Krieg zu leisten. Wir müssen uns mit massiven zivilen Maßnahmen auf die Seite der Opfer stellen. Das ist meines Erachtens das Gebot der Stunde. Der Antrag der Grünen benennt die zivilen, die politischen und die sozialen Instrumente. Ich kann mich sämtlichen Forderungen anschließen. Sie sind nahezu vollständig. Es gibt aber eine Ausnahme: Ich bin nicht der Meinung, dass diese Gewalt mit militärischen Mitteln bekämpft werden kann; ({0}) denn sie wohnt dem Krieg inne, und sie wird in der militärischen Auseinandersetzung immer wieder neu geboren. Das muss man verstehen. Daraus erklärt sich, warum auch UN-Soldaten in diese erniedrigenden Handlungen involviert sind. Es gehört zu der Entzivilisierung, zur Entkultivierung im Krieg, dass sich dieser Machismus ausbreitet. Das wissen wir, und daraus muss man Lehren ziehen. Man muss sich auf die Seite der Opfer stellen. Eines erwarte ich: Ich erwarte, dass Frau Bundeskanzlerin Merkel sich als Frau mit Macht einmal explizit auf die Seite der ohnmächtigen Frauen stellt. Ich erwarte von der Bundeskanzlerin, dass sie sich in dieser Weise zu dem Konflikt im Kongo verhält. Die UN-Resolution, um die es heute auch geht, würde man als Völkerrechtsnorm nur unzulänglich verstehen, wenn man sie lediglich als Hilfe für Frauen, die Opfer von Krieg und Kriegsverbrechen geworden sind, interpretierte. Ich will deshalb als ein Handlungsfeld Afghanistan nennen; denn in keiner Stellungnahme der Regierung zu Afghanistan hat die Bundesregierung bisher die Implementierung der UN-Resolution 1325 in ihr Konzept aufgenommen. Wo bleibt zum Beispiel die offizielle Unterstützung für die mutigen und tapferen Frauen von RAWA? Sie repräsentieren antifundamentalistische Kräfte. Es gilt, sie zu stärken, wenn man den demokratischen Aufbau voranbringen will. Wer einen zivilen Wiederaufbau will, muss auf solche Frauen bauen. Wer es mit Menschenrechten der Frauen in Afghanistan wirklich ernst meint, der darf überhaupt keine Kooperation mit Warlords und mit korrupten Politikern erlauben. Wer frauenverachtenden Fundamentalisten entgegenwirken will, der muss nicht nur den Krieg beenden, der muss auch emanzipiatorischen Frauen Anerkennung und vor allen Dingen endlich einmal internationale Präsenz geben. Mit der UN-Resolution 1325 ist eines beabsichtigt: Frauen am Aufbau des Staatswesens zu beteiligen, sie an prominente Stellen zu setzen, sie zu Entscheiderinnen zu machen. Wenn ich mir die Debatten im Auswärtigen Ausschuss ansehe, stelle ich fest: Es ist bei den Herren Kollegen Außenpolitikern noch überhaupt nicht angekommen, dass die UN-Resolution 1325 eine Völkerrechtsnorm ist, die es in allen Bereichen der Politik und der Außenpolitik umzusetzen gilt. Es ist nicht eine Frage von Entwicklungspolitikerinnen und Menschenrechtlerinnen allein. Die UN-Resolution 1325 ist das weltweite Recht der Frauen, und das muss in alle Bereiche der Politik aufgenommen werden. Ich meine, Deutschland muss in Europa eine Initiative starten, dass im Nahostkonflikt endlich die Frauen, die tagtäglich für Frieden arbeiten - israelische Frauen, die die Besatzung ablehnen, palästinensische Frauen, die sich von der Hamas absolut distanzieren -, als die kompetenten Politikerinnen im Nahen Osten beim anstehenden Friedensprozess und bei den anstehenden Friedensverhandlungen einbezogen werden, damit sie endlich Einfluss darauf nehmen können. Das sind Initiativen im Sinne der UN-Resolution 1325, die ich mir von dieser Regierung wünsche. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Hartwig Fischer das Wort. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, die Situation im Kongo - egal in welcher Form - immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Als ich 2002 gewählt wurde, wurde ich von der Gesellschaft für bedrohte Völker auf das Thema Coltan angesprochen. Ich habe dann versucht, mich in die Situation im Kongo zu versetzen. In deutschen Medien gab es kaum Informationen; die Neue Zürcher Zeitung und die taz haben damals berichtet. Als ich im Mai 2003 das erste Mal hier im Bundestag reden durfte, ging es um den Haushalt, und ich habe mich nicht an das Thema gehalten, sondern über den Kongo geredet, weil ich den Eindruck hatte, dass viel zu wenige Kolleginnen und Kollegen die Situation dort kennen. Inzwischen müsste sie jeder hier im Bundestag kennen: ein Krieg, der bereits doppelt so lange dauert wie der Zweite Weltkrieg, ein Bürgerkrieg mit über 4 Millionen Toten, ein Bürgerkrieg, der auch aus einem Genozid entstanden ist. Frau Müller, ich glaube, in einem einzigen Punkt haben Sie nicht recht: dass die UN in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise kommen. Diese Krise existiert bereits. Die UN haben nicht mehr das Vertrauen der Menschen, und das ist auch das Problem mit MONUC. MONUC hat ein Mandat, das immer wieder verlängert wird. Das ist toll. Man kann Sprüche lesen wie: … feststellend, dass die Situation in der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region darstellt … Wenn es eine Bedrohung für den Weltfrieden gibt, dann frage ich, warum man ein Mandat immer nur verlängert und am Schluss des Antrags auf Mandatsverlängerung festhält - zuletzt war das am 15. Februar 2008 -, dass man das Mandat zum Jahresende noch einmal überprüfen will. Ein Satz wie dieser ist übrigens in den letzten sieben Resolutionen enthalten gewesen; aber die Art des Mandats hat sich nicht verändert. Da bin ich absolut anderer Meinung als Sie, Frau Knoche. Wir haben mit dem Mandat Artemis - zeitlich begrenzt - gezeigt: Ein Mandat ist robust auszustatten, und man muss genau wissen, in welcher Region man wie handeln muss. Bei dem Konflikt zwischen Hema und Lendu haben wir MONUC in eine bestimmte Ausgangslage versetzt. Wir waren natürlich nur am Stab und mit Medivac beteiligt. Darauf konnte MONUC aufbauen. Danach wurden zwei Gerichte gebildet. Da wurde Polizei eingesetzt. In Ituri wurden Vergewaltiger verurteilt. Das heißt, da ging es vorwärts. Dann haben wir aus Deutschland auch bei den Wahlen Unterstützung geleistet. Aber nach den Wahlen ist die öffentliche Diskussion wieder verstummt, und das Morden und das Vergewaltigen als Mittel der Kriegsführung gehen auf allen Seiten weiter.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller?

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fischer, Sie haben soeben Artemis angesprochen. Auch ich meine, dass das eine zeitlich begrenzte, aber sehr erfolgreiche Mission war, jedenfalls um die Zivilbevölkerung dort vor Gewalt zu schützen. Ich meine das wirklich ernst. Wir haben auch in unserer Fraktion darüber diskutiert. Sind Sie nicht der Meinung, dass es, um schnell zu handeln, um die schlimmste Gewalt einzudämmen, erforderlich wäre, dass die EU doch noch eine EU-Battle-Group zur Unterstützung von MONUC - und nur Hand in Hand mit MONUC schickt? Wenn das nicht möglich ist: Wie steht es um eine Aufstockung? Was wird Deutschland bzw. was werden die Europäer dazu beitragen?

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Müller, ich hatte das Glück, den Bundespräsidenten für eine Woche nach Nigeria zu begleiten. Dort hat er am Afrika-Forum teilgenommen. Man hatte dort die Gelegenheit, mit vielen prominenten Afrikanern zu sprechen. Ich habe den Eindruck, die Afrikaner würden das Problem am liebsten selbst im Rahmen der Afrikanischen Union lösen, mit einer eigenen Stand-by-Force, über die sie aber zurzeit noch nicht verfügen. Ich habe in den Gesprächen auch den Eindruck gewonnen, dass man erwartet, dass wir uns mit dafür verwenden, dass MONUC - auch technisch - dazu in die Lage versetzt wird. Damit komme ich auf die von Ihnen erwähnte DossListe zu sprechen. Bevor man sich mit der Frage beschäftigt, ob man dieser Doss-Liste zustimmen möchte und ob man dafür zusätzliche Mittel aus Deutschland geben möchte, sollte das Mandat verändert werden. Wenn es bei dem MONUC-Mandat bei der bisherigen Grundlage bleibt - MONUC ist eigentlich nur eine kongolesische Rumpfarmee, die nicht vernünftig ausgebildet ist, die keine Moral hat, aber die Entwaffnung der Milizen unterstützt -, dann werden wir den Kampf gegen die Milizen und die Rebellen weiter auf kleiner Flamme köcheln lassen. Die Menschen in dieser Region werden darunter leiden. ({0}) Deshalb bin ich der festen Überzeugung: Es darf nur ein MONUC-Mandat geben, das von der Ausstattung bzw. von der rechtlichen Situation her aber Artemis ähnelt. Erst dann werden wir die Möglichkeit haben, in den anderen Bereichen, die hier angesprochen wurden, etwa bei der Frage der Rohstoffzertifizierung, voranzukommen. Ich finde es gut, dass wir dort Initiativen ergriffen haben, auch aus dem Ministerium heraus. Ich finde es Hartwig Fischer ({1}) wichtig, dass wir diese Maßnahmen ergriffen haben, um den vergewaltigten Frauen dort zu helfen. All das findet in einem Umfeld statt, in dem null Sicherheit gewährleistet ist, wo die Entwicklungshelfer Furchtbares erleben und traumatisiert werden. Ich kann nur noch einmal an den Bericht von Frau SchulerDeschryver vor dem Menschenrechtsausschuss erinnern. Sie hat eine Situation beschrieben, von der die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland kaum wissen. Ich sage es hier noch einmal: Da werden seit über einem Jahr Dörfer überfallen. Da werden die Männer geschlachtet, die Mädchen und die Jungen vor den Augen der Mütter vergewaltigt. Dann verschwinden die Kinder für wenige Tage. Danach wird den Müttern gesagt: Hier habt ihr euer Kind. - Der Kopf ist im Jutebeutel, die Knochen sind abgekocht. - Dann wird ihnen gesagt: Ihr glaubt doch nicht, dass ihr unser wertvolles Ziegenfleisch gegessen habt. Das ist die Realität in diesem Land. Da kann man verzweifeln. Die Menschen dort erwarten von uns, dass wir handeln. Wir sind gewählt worden, um zu handeln. ({2}) Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich mich frage: Verzweifelst du? Es muss doch eine Möglichkeit geben, in der Gemeinschaft der Staaten, die ein Koordinatensystem gemeinsamer Grundwerte haben, sich endlich auf UN-Ebene zu einigen. Dazu gehören die Rahmenbedingungen für die Hutus, die nach dem Völkermord dorthin geflohen sind. Inzwischen ist aber auch eine Generation von Kindern nachgewachsen, die eine gewisse Verantwortung für die Geschichte tragen, so wie wir Verantwortung für unsere Geschichte tragen. Es muss versucht werden, eine diplomatische Lösung zu finden. Man muss prüfen, ob man ihnen irgendwo ein Refugium schaffen kann. In Ruanda ist das wahrscheinlich nicht möglich. Ich weiß, dass sich diese Frage wie bei den Palästinensern entwickeln kann; aber wenn das Problem der Hutus nicht gelöst wird, wird Nkunda immer versuchen - er wird das als Rechtfertigung für sich in Anspruch nehmen -, die kongolesischen Tutsis vor ihnen zu schützen. Ich möchte auch Murwanashyaka ansprechen, der sich hier in Deutschland aufhält. Das ist für uns eine Elendsgeschichte. ({3}) Ich muss sagen: Deutschland hat die Stabschefin - oder wie man sie nennen will - von Herrn Kagame ausgeliefert. Wir haben ein europäisches Recht, nach dem dieses Land nach meiner Überzeugung verpflichtet gewesen ist, sie auszuliefern; aber ich frage mich vor dem Hintergrund des deutschen Rechts wirklich, wie dieser Mann, der Präsident der FDLR, über die Homepage und über alle Kanäle den Kampf in diesem Land, im Kongo, ungestraft anheizen kann. ({4}) Ich bin kein Jurist; das müssen andere beurteilen. Wer wie ich und andere hier in Goma gewesen ist - wir waren dort vor wenigen Wochen - und das Flüchtlingslager gesehen hat, hat mitbekommen, dass die Maismehlrationen für eine Familie von 12 Kilo auf 6 Kilo pro Monat reduziert wurden, weil kein Geld mehr zur Verfügung steht, und dass die Menschen nur noch dahinsiechen. Wer solche Bilder von geschlachteten Kindern sieht - Sie können sie sich anschauen -, der muss sich einfach fragen: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Warum sind wir nicht in der Lage, gemeinsam als Weltgemeinschaft menschlich zu handeln? ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat nun die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Diskussion ist folgende Frage mehrfach angesprochen worden: Was können wir vor allen Dingen tun? Das ist ein Thema, das ich, seitdem ich politisch tätig bin, auch als Ministerin, immer wieder verfolgt habe. Was können wir tun, um dazu beizutragen, dass den systematischen Vergewaltigungen und der Gewalt gegen Frauen in der Region, insbesondere der des Ostkongos, entgegengearbeitet wird? Wir, die Entwicklungsminister, haben dazu schon vor vielen Monaten eine klare Position entwickelt. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen - neben all dem, was hier genannt worden ist und was ich in vielen Punkten teile -: Es gibt ein Instrument, das von der internationalen Gemeinschaft bisher noch nicht genutzt worden ist. Ich bin dafür, dass es genutzt wird. Jede Regierung ist verpflichtet, nach den Regeln des internationalen Rechts dafür zu sorgen, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsprechend geahndet werden. Ich fordere alle Beteiligten auf, sicherzustellen, dass die Regierungen - das gilt auch für die kongolesische Regierung - dafür sorgen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit - systematische Vergewaltigungen sind ein solches Verbrechen - im eigenen Land geahndet werden. Wenn dies nicht geschieht, hat die internationale Gemeinschaft die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Namen der Täter genannt werden und diese dann vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden. Somit wird ein Signal gesetzt, das klarmacht, dass es nicht bloß um Gewalt oder dergleichen geht, sondern dass es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Das soll dann auch ein Signal an die entsprechende Region sein. ({0}) Deshalb fordere ich, dass es zu einer solchen Initiative kommt. Ich habe das an mehreren Stellen bereits geHeidemarie Wieczorek-Zeul sagt, auch in meiner Funktion als Mitglied der Regierung. Das wirkt nicht unmittelbar. Moreno-Ocampo, der entsprechende Chefankläger, hat aber gesagt, dass er bereit ist, die Täter vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, wenn ihm deren Namen genannt werden. Das ist eine Möglichkeit, zu agieren. Wir können nicht einfach zusehen. Ich habe Frauen getroffen, die Opfer schrecklichster Gewalttaten wurden. Unterschiedliche Gruppen vergewaltigen und massakrieren Frauen. Das können wir nicht zulassen. Deshalb sollten wir, mit vielen anderen zusammen, eine gemeinsame Initiative auf den Weg bringen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel das Wort.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als letzte Rednerin in dieser Debatte wende ich mich noch einmal den grundsätzlichen Fragen zu, da heute ein Antrag zur Resolution 1325 behandelt wird. Unter anderem spielt heute auch eine andere Resolution eine große Rolle. Zu Beginn möchte ich auf die Resolution 1325 zu sprechen kommen. Seit acht Jahren gibt es diese Resolution des Sicherheitsrates. Sie macht sehr deutlich, dass Frauen von den Auswirkungen von Konflikten und Krisen und vor allen Dingen von kriegerischen Auseinandersetzungen überproportional betroffen sind, vor allen Dingen - das haben wir hier schon mehrfach gehört durch sexuelle Gewalt. Die Resolution 1325 macht aber auch noch etwas anderes deutlich. Sie macht sehr deutlich, dass Frauen eine wichtige Rolle spielen müssen, wenn es darum geht, Konflikte zu verhindern oder aber nach Konflikten in einem Land für den Wiederaufbau bzw. für Lösungen zu sorgen. Die Verabschiedung dieser Resolution vor acht Jahren war ein sehr wichtiges Ereignis, das inzwischen viele internationale Debatten ausgelöst hat. Wir haben hier im Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen in diesem Jahr schon mehrfach darüber debattiert. Ich möchte noch einmal die wichtigen Punkte in dieser Resolution in Erinnerung rufen. Auf Deutsch könnte man sagen: Es handelt sich um drei „P“, die hier wichtig sind: Protektion, Partizipation und Prävention. Protektion - bei diesem Punkt waren wir eben - wird Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen eigentlich kaum gewährt. An Schutz von Frauen und Mädchen vor Not, Elend und Gewalt und davor, dass sie in kriegerischen Auseinandersetzungen ermordet, vertrieben oder ausgeplündert werden, mangelt es. Sie alle wissen, was es bedeutet, wenn Menschen gezwungen sind, zu flüchten, und in der Hoffnung auf bloßes Überleben alles hinter sich lassen müssen. Vor allem Frauen sind immer wieder Zielscheibe der Gewalt. Wir haben es heute schon mehrfach gehört und kennen es auch aus anderen kriegerischen Auseinandersetzungen, dass sexuelle Gewalt eine Kriegswaffe ist, die ganz gezielt eingesetzt wird. Das ist in vielen Regionen dieser Welt der Fall; und es ist noch gar nicht allzu lange her, dass wir über solche Vorfälle selbst in Europa debattieren mussten. Im Nachgang mussten wir dann vieles unternehmen, um den Frauen und Mädchen zu helfen, diese Traumata wenigstens halbwegs zu überwinden. Keine Frau kann so etwas vollständig verarbeiten oder irgendwann in ihrem Leben vergessen. Es gilt, darauf hinzuwirken, dass das militärische und zivile Personal darin trainiert und geschult wird, während kriegerischer Auseinandersetzungen und danach die Resolution 1325 zu beachten. Dazu muss es vor allen Dingen wissen, dass diese Resolution eigentlich völkerrechtlich bindend ist; denn sie ist damals einstimmig beschlossen worden. Aber wenn wir bei Soldaten einmal nachfragen, wer eigentlich diese Resolution kennt, dann würden wir selbst dann, wenn wir nur deutsche Soldaten befragten, feststellen, dass die Soldaten vor Ort die Resolution 1325 kaum kennen. Sie scheint vor allen Dingen für die obersten Heerführer gedacht zu sein. Aber es muss genau darum gehen, dass Soldaten lernen und trainieren müssen, was es bedeutet, im Notfall dazwischenzugehen, und vor allen Dingen, was es bedeutet, selbst nicht zu Tätern zu werden. Das zweite „P“ in der Resolution 1325 steht für Partizipation. Frauen muss auf allen Ebenen die gleichberechtigte Teilhabe an der Friedenskonsolidierung und am Wiederaufbau ermöglicht werden. Aber wenn wir uns die Bilder dieser Welt anschauen, stellen wir fest, dass insbesondere die Außen- und Sicherheitspolitik eine Männerdomäne ist. Die Fotos machen es deutlich. Mit Ausnahme einiger weniger Frauen sehen wir dort nur Männer. Das heißt, alle Entscheidungen werden vorrangig von Männern getroffen. Die Frauen dagegen tragen die soziale Verantwortung für die Gemeinschaft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hanewinckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy?

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, Sie sprachen die Resolution 1325 an. Meine Frage lautet: Warum zögert die Bundesregierung, einen Aktionsplan umzusetzen, nachdem Kofi Annan das schon 2005, also vor drei Jahren, gefordert hat?

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist für mich jetzt nicht einfach zu beantworten, weil ich nicht Mitglied der jetzigen Bundesregierung bin. Ich kann nur für die Vergangenheit, als ich noch Mitglied der Bundesregierung war, feststellen, dass es schon damals nicht einfach war bzw., im Klartext, nicht gelungen ist, einen Aktionsplan für Deutschland aufzustellen. Die Begründung war - diese wird, soweit ich weiß, auch heute noch angeführt -, dass Deutschland eigentlich ganz gut dasteht und wir vieles von dem tun und erfüllen, was die Resolution 1325 fordert. Sie wissen das, Frau Kollegin Koczy. Wir haben im Ausschuss schon darüber debattiert, als es um einen entsprechenden Antrag der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion ging. Ein Aktionsplan hätte den Charme, dass eine jede Regierung sich daran messen lassen müsste, was sie davon tatsächlich abgearbeitet hat. An dieser Stelle stimme ich Ihnen zu. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass ich eigentlich keine Lust mehr habe, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich eine Bundesregierung dazu bewegen kann, einen Aktionsplan aufzustellen. Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, die Bundesregierung dazu zu bewegen, dass sie im Ausschuss für Menschenrechte versprochen hat, in zwei Jahren, wenn wir über zehn Jahre Resolution 1325 debattieren werden, einen Bericht darüber vorzulegen, wie sich das in der Bundesrepublik weiterentwickelt hat. Wir haben in unseren Debatten im Ausschuss sehr deutlich gemacht, in welchen Bereichen wir Defizite sehen. Ein Defizit habe ich schon angesprochen, dass nämlich auch in der Bundeswehr die Kenntnis der Resolution 1325 so gut wie nicht vorhanden ist. Ich bin der Meinung, dass noch sehr viel getan werden muss; denn dies wird auch von anderen Armeen dieser Welt gefordert. Dabei müsste Deutschland mit sehr gutem Beispiel vorangehen. Das dritte „P“ steht für Prävention. Das heißt, wir brauchen nachhaltigen Frieden und Entwicklung. Das erreichen wir aber nicht - wie es bisher immer versucht wird - ohne die Beteiligung von Frauen. Ihr Beitrag zur Konfliktlösung, zur Versöhnung und zum Wiederaufbau, ihr Fachwissen und ihre andere Sicht der Dinge sind ein Potenzial, das nicht länger ignoriert werden darf. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat im Juni dieses Jahres die Resolution 1820 verabschiedet und darin ein sofortiges Ende von sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten gefordert. Auch diese Resolution macht noch einmal deutlich, dass sich die Mitglieder des Sicherheitsrates einig sind. Dies ist also ein klares Signal. Außerdem wird nochmals deutlich - wie schon an anderen Stellen festgestellt -, dass sexualisierte Gewalt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist und - Zitat „die Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit behindern kann“. Den betroffenen Frauen wird also höchste Priorität eingeräumt. Wie wird diese Resolution aber umgesetzt? Wir haben zwei wichtige und notwendige Resolutionen des Sicherheitsrates, zwei gute Instrumente, um Frauen zu schützen, aber auch zu fordern und zu fördern sowie zu stärken. Wir wissen aber alle, dass Instrumente nur dann helfen, wenn man sie auch benutzt. Genau das passiert aber nicht oder zu wenig. Wenn Soldaten der UN-Mission MONUC - wie berichtet wurde - an Vergewaltigungen beteiligt gewesen sind und nicht klar ist, ob sie dafür bestraft werden, dann heißt das, dass die Umsetzung dieser beiden Resolutionen nicht zur Genüge betrieben wird. Das heißt, dass bei allen internationalen Einsätzen der Vereinten Nationen diese beiden Resolutionen zur Grundausstattung eines jeden Soldaten und einer jeden Soldatin gehören müssen. Das heißt auch, dass wir im Hinblick auf die unterschiedliche Herkunft der Soldaten daran arbeiten müssen, dass ein Frauenbild entsteht, das Frauen nicht zu Menschen zweiter Klasse macht. Es muss weltweit deutlich werden, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, dass sich niemand auf die Kultur oder aber auf die Tradition seines Herkunftslandes zurückziehen kann. Wir müssen insgesamt darum kämpfen, dass diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit - dies wurde hier bereits angemahnt - vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden, und wir müssen ernst nehmen, was der Sicherheitsrat als letzten Punkt in der Resolution 1820 beschlossen hat, nämlich sich weiterhin aktiv mit diesem - das ist jetzt meine Formulierung - vorrangig männlichen Problem zu beschäftigen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9779 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22 b: Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur strategischen Umsetzung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/8608, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4555 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- tion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({0}) zu der Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen - Drucksachen 16/9875, 16/10285 Nr. 6, 16/10565

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Abgeordnete Wolfgang Börnsen ({0}) Christoph Waitz Katrin Göring-Eckardt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Konzepte der Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen und den veränderten Bedingungen anpassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Nationalsozialismus - Drucksachen 16/8880, 16/8184, 16/10071 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Christoph Waitz Katrin Göring-Eckardt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatsminister Bernd Neumann. ({3})

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 18. Juni dieses Jahres hat das Bundeskabinett die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 beschlossen. Diese neue Konzeption stellt in meinen Augen einen Meilenstein für die Erinnerungskultur in Deutschland dar. Unser Ziel ist es, Verantwortung wahrzunehmen, die Aufarbeitung zu verstärken und das Gedenken zu vertiefen. Die Bundesregierung trägt mit dieser Fortschreibung der historischen und moralischen Verpflichtung Deutschlands Rechnung. Die Geschichte Deutschlands und Europas im 20. Jahrhundert wurde durch die Schrecken und Gräuel geprägt, die unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in deutschem Namen geschehen sind. Die historisch einzigartige Dimension des nationalsozialistischen Terrorregimes wird durch das Wissen um die Singularität des Holocaust bestimmt. Dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden als Menschheitsverbrechen bisher nicht gekannten Ausmaßes kommt in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zu jetzt und für alle Zeiten. Deshalb müssen wir die authentischen Erinnerungsorte an die NS-Schreckensherrschaft pflegen und erhalten. Das neue Gedenkstättenkonzept sieht daher vor, die Gedenkstätten in Bergen-Belsen, Dachau, Flossenbürg und Neuengamme neu in die institutionelle Förderung aufzunehmen und darüber hinaus in einem Stufenplan für die Sanierung einiger Gedenkstätten, wo nötig, Sorge zu tragen. ({0}) Für die Bundesregierung bekräftige ich noch einmal die besondere Verantwortung für das Gedenken an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Sinti und Roma wurden Opfer eines Völkermordes, der vom NS-Staat systematisch ins Werk gesetzt wurde und der die vollständige Vernichtung dieser Minderheit zum Ziel hatte. Das geplante „Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma“ bringt den besonderen Stellenwert dieses Verbrechens im Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck. Mit diesem zentralen Gedenkort zwischen Reichstag und Brandenburger Tor bekennt sich unser Land zu seiner historischen Verpflichtung gegenüber den Sinti und Roma. Wir gedenken im Rahmen unseres Konzeptes aber auch der nationalsozialistischen Morde an behinderten Menschen sowie der Verfolgung Homosexueller und anderer Opfergruppen. Wir vergessen nicht, was die Frauen und Männer erleiden mussten, die sich zum Widerstand gegen das Regime entschlossen. Zum Erbe des wiedervereinigten Deutschlands zählt auch die kommunistische Diktatur in der ehemaligen SBZ bzw. DDR. Ich sage ganz klar: Auch bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts müssen wir unsere Anstrengungen verstärken. Wir müssen der Bagatellisierung und dem Verklären entgegenwirken. ({1}) Hier leistet die Bundesstiftung Aufarbeitung ganz hervorragende Arbeit, ({2}) gerade auch im Bereich der historisch-politischen Bildung von Kindern und Jugendlichen. Im Bereich der Gedenkstätten zur SED-Herrschaft werden wir drei weitere Einrichtungen in die institutionelle Förderung aufnehmen und die Unterstützung bei anderen, wie dem Jugendwerkhof Torgau und der Runden Ecke Leipzig, fortsetzen, gegebenenfalls auch stärker. Meine Damen und Herren, die Birthler-Behörde, also die Behörde, die die Stasiunterlagen verwaltet, bearbeitet und durchforstet, hat für die Aufarbeitung der SEDDiktatur in ganz Europa Vorbildcharakter. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Sie hat bei der Aufklärung wichtige und gute Arbeit geleistet. ({3}) Diese Arbeit wird sie fortsetzen, obwohl diese Einrichtung nie als Dauereinrichtung vorgesehen war. In der nächsten Legislaturperiode wird der Deutsche Bundestag - so ist es von den Fraktionen vereinbart worden eine unabhängige Expertenkommission einsetzen, die dann als Entscheidungshilfe Vorschläge zum langfristigen Umgang und zur Aufbewahrung der Stasiakten machen wird. Für die Realisierung des Gedenkstättenkonzeptes haben wir die Mittel für die Jahre 2008 und 2009 um 50 Prozent auf insgesamt 35 Millionen Euro angehoben. Dies soll deutlich machen, welchen Stellenwert die Aufarbeitung dieser beiden Diktaturen hat. ({4}) Hinzugekommen zu diesem bisherigen Gedenken ist - das will ich an dieser Stelle sagen; denn dies spielte auch in der Debatte über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit eine Rolle - die Erinnerung an in diesem Falle eher positive Momente der deutschen Geschichte - dies geschieht auch auf der Basis eines Beschlusses des Deutschen Bundestages -: an die Ereignisse in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Berlin in den Jahren 1989 und 1990, in diesem Falle also mit eher positiver Assoziation. ({5}) So schnell wie möglich soll das Einheits- und Freiheitsdenkmal auf dem Schlossplatz in Berlin verwirklicht werden. Das ist die Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Ich werde dazu beitragen, dies zügig umzusetzen. ({6}) Ich möchte abschließend sagen: Ich bin sehr dankbar, dass die von mir vorgelegte Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption nicht nur von der CDU/CSU-Fraktion und dem Koalitionspartner SPD, sondern in diesem Falle auch von der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen voll unterstützt wird. ({7}) Für mich ist es ein wichtiges Signal für die politische Kultur dieses Hauses und für das Demokratieverständnis in unserem Land, dass wir bei einem so schwierigen, sensiblen und emotionalen Thema so große Einigkeit erzielen konnten. Dafür bedanke ich mich. Die Erinnerung und das Gedenken in der Bundesrepublik erhalten mit dieser Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes ein tragfähiges Fundament für die Zukunft. Es ist umso tragfähiger, je stärker die Unterstützung ist. Dafür noch einmal herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Christoph Waitz das Wort. ({0})

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Drei Jahre haben wir über das Gedenkstättenkonzept beraten. Dem Kulturstaatsminister, dem BKM, ist es zu verdanken, dass es gelungen ist, ein konsensfähiges Konzept zu entwickeln. Nachdem Sie vorhin so ausdrücklich gelobt worden sind, habe ich mir überlegt, ob ich mein Lob ein bisschen reduziere. Aber die Arbeit, die in Ihrem Amt geleistet worden ist, rechtfertigt ein ausdrückliches Lob. ({0}) Der Bundestag steht hinter dem Gedenkstättenkonzept. Der vorliegende Entschließungsantrag fast aller Fraktionen belegt das. Es gibt wenige Möglichkeiten, sich im Deutschen Bundestag mit der komplexen und wechselvollen deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu beschäftigen. Es ist traurig, dass diese Debatte auch in dieser Plenarwoche wieder etwas an den Rand gedrängt wurde, obwohl man uns dieses Mal eigentlich einen zentraleren Platz versprochen hatte. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation gibt es aber sicherlich Gründe, warum diese Debatte zurückgedrängt worden ist. Das Gedenkstättenkonzept klärt Fördervoraussetzungen und formuliert Ziele und Schwerpunkte der Aufarbeitung der beiden Diktaturen, die wir im letzten Jahrhundert auf deutschem Boden gesehen haben. Ich habe vor einigen Monaten mit einigem Entsetzen die Studie des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin über die Kenntnisse von 15- und 16-jährigen Schülern gelesen, die mehr als nur schlaglichtartig beleuchtet, welchen erstaunlichen Fehleinschätzungen diese Schülerinnen und Schüler unterliegen und welche Unkenntnis bei ihnen hinsichtlich der Realitäten in der damaligen DDR vorherrscht. Ich befürchte, dass eine Studie über das Wissen von Schülern über die NS-Jahre ähnliche Befunde hätte und keine besseren Ergebnisse zutage treten würden. Das Gedenkstättenkonzept kann daher nicht nur als statischer Rahmen für Institutionen verstanden werden. Vielmehr müssen gerade durch die Förderung der Aufarbeitung und eine intensivierte Bildungsarbeit Impulse gesetzt werden. ({1}) Dem Bund sind im Feld der schulischen Bildung Schranken gesetzt. Wir appellieren daher insbesondere an die Kultusministerkonferenz der Länder, sich dieses Themas anzunehmen und sich mit den Defiziten bei der geschichtlichen Bildung von Schülern auseinanderzusetzen. ({2}) Was der Bund leisten kann und leisten muss, ist insbesondere der Erhalt der bedeutenden Erinnerungs- und Gedenkorte und die Gestaltung dieser Orte als Lernorte. ({3}) Durch die Aufnahme der KZ-Gedenkstätten in Dachau, Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die institutionelle Förderung leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Vermittlung von geschichtlichem Wissen über Aspekte der deutschen Geschichte, die mit Schuld, Schmerz und Scham verbunden sind. Besuchsfahrten, wie sie Schülerinnen und Schüler auf den Ettersberg, in das Konzentrationslager Buchenwald machen, sind durch keinen noch so gut gemachten Geschichtsunterricht zu ersetzen. Die Erfahrung, auf diesem gewaltigen, leeren Lagerplatz zu stehen, der Gang durch das Krematorium und die Ausstellung schnüren einem den Hals zu und machen die Geschichte dieses Ortes geradezu körperlich spürbar. Bei diesen Besuchsfahrten wird die Basis für weitergehende Fragen gelegt: Wie konnte es an dieser Stelle nahe Weimar, einer Stadt, die wir mit dem Humanismus, der deutschen Klassik, mit Namen wie Wieland, Goethe und Schiller verbinden, zu diesen Verbrechen im Namen Deutschlands kommen? Was machte die Weimarer Republik und ihre Verfassung so verletzlich für die Attacken von Kommunisten, Nationalsozialisten und weiteren antidemokratischen Parteien, und was bereitete den Weg für den Aufstieg des Nationalsozialismus? Weshalb haben große Teile der deutschen Bevölkerung der Entrechtung der jüdischen Mitbürger und der späteren Deportation und Vernichtung tatenlos zugesehen? Das Konzentrationslager in Buchenwald ist aus einem weiteren Grund bemerkenswert. Dort wurde im August 1945 das NKWD-Speziallager 2 der sowjetischen Besatzungstruppen eingerichtet. Während anfangs Funktionäre der Nationalsozialisten und mutmaßliche Kriegsverbrecher in das Lager eingewiesen wurden, waren es später auch Sozialdemokraten, Bauern, willkürlich Denunzierte und Personen, die im Verdacht standen, Sympathie für den Westen zu haben. Auch wenn dieses Lager kein Vernichtungslager war, kamen von den 28 000 Insassen bis 1950 über 7 000 Menschen durch Hunger und unbehandelte Krankheiten ums Leben. Dieser Teil der Lagergeschichte war zu DDR-Zeiten tabuisiert. Heute existiert auf diesem Gelände eine Dauerausstellung, die an das Speziallager und an die Insassen erinnert. ({4}) Die Differenzierung zwischen den beiden Diktaturen, die auch im Gedenkstättenkonzept vorgenommen wird, ist dringend geboten. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass sich beide Diktaturen in ihren Zielen und Konsequenzen unterscheiden. Eine Auseinandersetzung um die Frage, in welchem Umfang die beiden totalitären Systeme Parallelen aufweisen, muss aber weiterhin möglich bleiben. ({5}) Zwei Punkte zum Schluss. Erstens. Das vorliegende Gedenkstättenkonzept darf nicht als abgeschlossen gelten. Die FDP-Fraktion geht davon aus, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere Einrichtungen im Rahmen der institutionellen Förderung aufgenommen werden können. Es geht uns vor allem darum, dass nicht nur Gedenkstätten in Berlin, sondern auch in den anderen Bundesländern erhalten und gefördert werden. Ich freue mich, Herr Staatsminister, dass Sie neben der Runden Ecke in Leipzig insbesondere den Jugendwerkhof in Torgau in Ihrer Rede erwähnt haben, weil Sie damit deutlich gemacht haben, dass es eine Vielzahl von weiteren Einrichtungen gibt, die ganz wichtig sind, um ein komplettes Bild dieser Art von Bedrohung und Repression zu zeichnen. Zweitens. Wir fordern, die pädagogische Arbeit auszubauen. Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird richtig beschrieben, dass der Staffelstab der Erinnerung nach dem Verschwinden der Erfahrungsgeneration an kommende Generationen weitergegeben werden muss. Eine Bildungsoffensive zum Thema Nationalsozialismus ist notwendig. Darum stimmen wir Ihrem Antrag ausdrücklich zu. Heinrich Heine schrieb in einem Gedicht: Die alten, bösen Lieder, Die Träume schlimm und arg, Die laßt uns jetzt begraben, Holt einen großen Sarg. Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Boden lassen nicht zu, dass wir diese Themen beerdigen. ({6}) Das Gedenkstättenkonzept ist eine wichtige Basis für die weitere gemeinsame Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. ({7}) Nur durch diese Auseinandersetzung können wir unsere Kinder für die Gefahren für unsere offene Gesellschaft, für Demokratie und Menschenrechte sensibilisieren. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse für die SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr ist es her, dass wir im Kulturausschuss im Rah20090 men einer Anhörung über die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption intensiv mit Experten diskutiert haben. Seitdem hat es viele weitere Diskussionen gegeben. Die kritischen Anmerkungen der Experten wurden zu einem großen Teil eingearbeitet. Die jetzt vorliegende Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts hat deutliche Verbesserungen erfahren. Es ist ein gutes Konzept, das wir voll unterstützen. ({0}) Natürlich konnte nicht alles Wünschenswerte aufgenommen und nicht jede Einrichtung genannt werden. Denn es handelt sich um eine Konzeption des Bundes, die die Länder nicht ihrer Pflichten enthebt und Raum für zivilgesellschaftliche Initiativen lässt, ohne die es im Übrigen die vielfältige Erinnerungs- und Gedenkstättenlandschaft in Deutschland nicht geben würde. Grundlage für die Fortschreibung war das 1999 von der rot-grünen Bundesregierung vorgelegte Gedenkstättenkonzept. Es wird nicht ersetzt, sondern sinnvoll ergänzt und dort fortentwickelt, wo nach fast zehn Jahren Praxis Verbesserungen möglich und notwendig sind. In der Anhörung vor einem Jahr wurde von mehreren Experten, insbesondere von Salomon Korn und Volkhard Knigge, deutliche Kritik an der historischen Einordnung der NS-Diktatur und der SED-Diktatur geäußert. Beide Diktaturen würden gleichgesetzt und eine Neugewichtung der Erinnerung vorgenommen. Die SPD hat mit dafür Sorge getragen, dass es keine Verschiebung und Neugewichtung in der Gedenk- und Erinnerungspolitik gibt. Die Debatte zum sichtbaren Zeichen gegen Vertreibung nährte die Befürchtung einer solchen Verschiebung in der Erinnerungspolitik. Bei der Umsetzung dieses Projekts und in den politischen Debatten dazu muss alles vermieden werden, was den Verdacht nährt, wir Deutschen wollten uns zu einem Opfervolk stilisieren und von Schuld reinwaschen. Wir dürfen niemals vergessen, dass die Expansions- und Vernichtungspolitik der Nazis, die damals von breiten Teilen der deutschen Bevölkerung unterstützt wurde, die wesentliche Ursache der Vertreibungen war. Erinnerung und Gedenken bleiben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Gedenken an die Opfer der NS-Terrorherrschaft wird mit der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption deutlich gestärkt. Vier weitere Gedenkstätten werden aufgrund ihrer nationalen und internationalen Bedeutung in die institutionelle Förderung des Bundes aufgenommen. In der Gedenkstättenkonzeption haben alle Opfergruppen angemessene Berücksichtigung gefunden. Das Gedenken - wir wissen das - kann sich nicht an der Anzahl der ermittelten Opfer bemessen. Erlittenes Unrecht wird nicht hierarchisiert, der Terror der Naziherrschaft nicht relativiert. ({1}) Es ist gut, dass in diesem Jahr das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht wurde. Auf das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma bin ich sehr gespannt. Auch bei der Erinnerung an die kommunistische Diktatur hat der ursprünglich vorgelegte Entwurf deutliche Verbesserungen erfahren. Vier Punkte sind für mich von besonderer Bedeutung. Erstens wird die mittlerweile gegründete Stiftung „Berliner Mauer“ institutionell gefördert. Mit Axel Klausmeier, der in der letzten Woche vom Stiftungsrat benannt wurde, hat die Stiftung einen kompetenten Direktor erhalten und kann jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Zweitens. Die Stasiunterlagenbehörde erhält eine verlässliche Zeitperspektive. Sie bleibt als wichtiger Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in vollem Umfang arbeitsund funktionsfähig. Eine unabhängige Expertenkommission wird in der nächsten Legislaturperiode ein Konzept erarbeiten, welche Aufgaben der Stasiunterlagenbehörde künftig in welcher Form erfüllt werden, denn auch nach einem Ende der Behörde wird die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur nicht zu Ende sein. ({2}) Drittens. Der Bundestag muss sich zur dringend notwendigen Sanierung von Haus 1 der ehemaligen Stasizentrale in der Normannenstraße bekennen und die notwendigen finanziellen Mittel dafür zur Verfügung stellen. Das wäre gerade im Hinblick auf den anstehenden 20. Jahrestag des Mauerfalls ein wichtiges Signal. Das Haus 1 muss als authentischer Ort der Täter erhalten bleiben. Die Stasiunterlagenbehörde soll gemeinsam mit dem ASTAK ein neues Ausstellungskonzept entwickeln und die ehemalige Stasizentrale zu einem Lernort der Demokratie weiterentwickeln. Dabei handelt es sich übrigens nicht, wie von verschiedenen Seiten häufig kritisiert, um eine zusätzliche Aufgabe der Behörde. Ausstellung und politische Bildung entsprechen dem im StasiUnterlagengesetz festgeschriebenen Auftrag der Behörde. Viertens. Auch das Thema Alltag in der DDR, vor allem Widerstand im Alltag, findet sich in der Konzeption angemessen wieder. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt hierbei vernünftigerweise in Leipzig und diesmal nicht in Berlin. Besonderes Augenmerk haben wir im Entschließungsantrag auf die politische Bildung und die Vermittlung der Geschichte der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und der kommunistischen Diktatur gelegt. Damit haben wir auch Anliegen der Linken und der Grünen, die in den beiden anderen Anträgen deutlich werden, aufgegriffen. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns in einem Zeitenwechsel in der Erinnerungskultur. Mit dem Tod der Zeitzeugen, sowohl der Opfer als auch der Täter wie der Mitläufer, ist ein historischer Einschnitt verbunden, der besondere Herausforderungen an die pädagogische Arbeit der Gedenkstätten und an die politische BilDr. h. c. Wolfgang Thierse dung insgesamt, aber auch und besonders in den Schulen stellt. Jetzt - das ist die eigentliche Herausforderung - muss der Übergang vom individuellen Gedächtnis in das kollektive und kulturelle Gedächtnis gelingen. Das ist unsere Aufgabe. ({4}) Deshalb ist die politische Verantwortung für die authentischen Orte und für die Bildungs- und Vermittlungsprozesse so groß. Diese, die authentischen Orte, und das Angebot von Bildung und Vermittlung sind Einladungen an die nachfolgenden Generationen; Einladungen, keine Vorschriften. Folgendes sage ich immer wieder: Wir haben nicht das Recht, zu unterstellen, dass nachfolgende Generationen moralisch weniger sensibel wären als wir. Sie müssen ihre eigenen Formen der Erinnerung, der Aneignung des Geschehenen gewinnen. Wir müssen ihnen dabei helfen, und in diesem Sinne ist die Gedenkstättenkonzeption auch ein Angebot an die kommenden Generationen, diese deutsche Geschichte in ihren bitteren Seiten sich anzueignen, so mühselig und so schmerzlich dies auch gelegentlich sein mag. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt handelt es sich um eine sehr gelungene Konzeption, die jetzt mit Leben erfüllt werden muss. Ich freue mich, dass es gelungen ist, mit vier Fraktionen einen gemeinsamen Entschließungstext zu erarbeiten. Das beweist bei allen Differenzen im Detail, dass es einen Grundkonsens über den Umgang mit der Geschichte und über die fortdauernde Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und der kommunistischen Diktatur gibt. Das ist sehr gut so; denn das ist der Konsens, der diese Republik trägt. Ich möchte mich bei allen Beteiligten, vor allem bei den angehörten Experten, für die Zusammenarbeit bedanken. Jetzt geht die Arbeit zwar nicht los, aber sie geht weiter - die schwierige, wichtige Erinnerungsarbeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Jochimsen das Wort. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Drei Postulate, die gar nicht ernst genug genommen werden können, überschreiben die Gedenkstättenkonzeption, über die wir heute abstimmen wollen: „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung stärken, Gedenken vertiefen“. Das sind angesichts unserer Geschichte schwierige Aufgaben. Wer sie angehen will, muss hohen Erwartungen gerecht werden. Wird die Konzeption in ihren inhaltlichen Positionen und in ihrer konkreten Umsetzung diesen hohen Erwartungen gerecht? Wir sagen: leider nein. Deshalb können wir den Vorlagen auch nicht zustimmen. Wir sind zwar die Einzigen, die nicht zustimmen, aber da sind wir selbstbewusst. Warum? Die inhaltliche Ausrichtung, die Sie in der Unterrichtung durch den Staatsminister und in der Beschlussempfehlung des Ausschusses festgeschrieben haben, ist widersprüchlich. Im Vorwort heißt es: Die Politik des Nationalsozialismus führte in der Konsequenz zur Teilung Deutschlands. Wohl wahr! Aber dieser Satz bleibt ohne Konsequenzen innerhalb der Umsetzung der Konzeption. Dort ist von der gesamtstaatlichen Verantwortung für das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für die Folgen des Zweiten Weltkrieges die Rede. In einem Satzsprung heißt es dann aber: Außerdem gelte es seit der Wiedervereinigung, das Unrecht der kommunistischen Diktatur aufzuarbeiten. ({0}) Ich habe schon in der Ausschussberatung darauf hingewiesen, dass dies auf eine Verzerrung der Geschichte hinausläuft. Es sind nämlich nicht zwei nebeneinanderstehende Geschichtskapitel, sondern es ist eine ursächlich ineinander übergreifende und dadurch im Übrigen gemeinsame Vergangenheit, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. ({1}) Wir haben nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Opfern des NS-Regimes, sondern auch die Pflicht und Schuldigkeit, die Terrorherrschaft insgesamt aufzuarbeiten, in diesem Zusammenhang vor allem auch unsere Nachkriegszeit. Wer wie ich das Verschweigen und Leugnen der Nachkriegsbundesrepublik, Nazis in hohen Positionen, die schmachvoll späten und angefeindeten KZ-Prozesse, die Gedenkstättenarbeit, die fast nur von den Betroffenen betrieben wurde, und die jahrzehntelang verschleppten Fragen der Restitution erlebt hat, für den sind die NS-Geschichte und die Nachkriegsgeschichte in beiden Gesellschaften ein Komplex, dessen Aufarbeitung, in ihren Zusammenhängen wohlgemerkt, insgesamt aussteht. Diese Chance hätte man mit einer in vielfältiger, langjähriger Arbeit entstandenen Gedenkstättenkonzeption jetzt gehabt. Man hat sie aber nicht genutzt. Es reicht nicht, dass nun endlich vier KZ-Gedenkstätten im Westen institutionell gefördert werden. Wie ein Mantra wird ständig wiederholt und stets beschworen, dass es ein neues Gedenkstättenkonzept gibt und dass wir jetzt auch vier Gedenkstätten im Westen institutionell fördern. Das ist natürlich zu begrüßen. Aber was hat die Lagergemeinschaft Ravensbrück in einem Schreiben an uns Abgeordnete festgehalten? Groß ist der Bedarf bei der Erforschung der Geschichte der über ganz Deutschland verteilten KZAußenlager. An anderer Stelle wurde in aller Bescheidenheit darauf hingewiesen: Wenn man die Ausführung zu den Gedenkstätten und Erinnerungsorten zur NS-Herrschaft vergleicht mit den Erläuterungen zum Geschichtsverbund zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland, so fällt vor allem auf, wie viel detaillierter die letzteren Festlegungen ausgeführt werden. „Detaillierter“ ist das eine. Das andere sind die schiere Zahl, der Umfang und die Gewichtung. Während sich im Konzept genau zwei Kapitel mit der NS-Geschichte befassen, werden neun Kapitel zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte aufgezählt und entsprechende Förderungsprojekte beschrieben. ({2}) Innerhalb dieser geht es bis auf das Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt nicht um den Alltag in der DDR, den Lauf der Geschichte und die Fragen: Wie kam es zur DDR, wer hat sie geformt und getragen, und wie hat sie sich schließlich selbst befreit? Darum geht es nicht. Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen: Das sind große Worte und schwierige Aufgaben, gerade hinsichtlich der Zeit des nationalsozialistischen Terrorregimes. Hier stehen wir an einer Wende - Kollege Thierse hat es beschrieben -: Die Zeitzeugen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch ihren persönlichen Einsatz so vieles für die Auseinandersetzung und Vermittlung geleistet haben, werden uns fehlen. Wir brauchen dringend ein neues Gesamtkonzept für die zukünftige Vermittlungsarbeit, das in der vorliegenden Gedenkstättenkonzeption leider fehlt. Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag zu dieser Problematik eingebracht. Wie Sie alle heute darauf reagieren, könnte eine Art Lackmustest dafür sein, wie wichtig Ihnen der Satz in der Einleitung der Unterrichtung ist, der da lautet: Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen. Es wäre gut, wenn Sie dieser Erklärung mit dem Gedenkstättenkonzept tatsächlich nachkämen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, dem heutigen Tag ist eine lange Debatte im Kulturausschuss und vor allem auch in der Öffentlichkeit vorausgegangen. Ich finde, das war eine gute Debatte, die zu einem breiten Konsens geführt hat. Ich schließe mich ausdrücklich und sehr gern dem Dank auch an diejenigen an, die uns dabei mit klaren und oft auch unbequemen Urteilen unterstützt haben. Herr Knigge und Herr Korn sind hier zu Recht erwähnt worden. Auf die Problemstellen des ersten Entwurfs haben wir als Grüne ganz am Anfang - im Sommer letzten Jahres schon hingewiesen. In dem ursprünglichen Entwurf des neuen Gedenkstättenkonzeptes wurde aus unserer Sicht in unverantwortlicher Weise eine Gleichsetzung zwischen dem Nationalsozialismus und der DDR-Diktatur vorgenommen, wodurch die Unterschiede verwischt wurden. Frau Jochimsen, ich bin aber der Meinung, dass es mit dem neuen Entwurf gelungen ist, deutlich zu machen, dass es eben eine sehr klare Unterscheidung gibt. ({0}) Am Anfang heißt es wörtlich: Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen. Daran werden wir die Erinnerungspolitik der Großen Koalition messen. Dass das hier steht, ist auch ein Erfolg unserer gemeinsamen Diskussionen, den wir nicht kleinreden sollten. ({1}) Ganz besonders freut es mich natürlich, dass durch dieses Konzept jetzt sehr deutlich wird, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Initiativen sind. Erinnerung von oben funktioniert eben nicht, sondern wir brauchen die Zivilgesellschaft, und wir müssen verhindern, dass wir uns allein in öffentlichen Ritualen und sogenannter Anlasserinnerung erschöpfen. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen und Projekte aus der Mitte der Gesellschaft sind lebendige Erinnerung und Aufarbeitung von unten. Der „Zug der Erinnerung“ und das Projekt „Stolpersteine“ stehen symbolisch dafür, und sie sind Zeichen dafür, dass sich gerade auch junge Menschen in unserem Land dafür interessieren und sich auf ganz wunderbare Art und Weise und, wie ich finde - dies erfährt man, wenn man mit diesen Jugendlichen darüber redet -, sehr nachhaltig mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigen und auseinandersetzen. Aus genau diesem Grund, weil zivilgesellschaftliches Erinnern eben auch mit Bildung und Wissen zu tun hat, haben wir heute einen Antrag eingebracht. Herr Waitz hat darauf hingewiesen. Vielen Dank, dass Sie ihm zustimmen wollen. Ich glaube, damit wird auch der ÜberKatrin Göring-Eckardt gang zum nächsten Schritt der Erinnerungskultur beschrieben, der so wichtig ist; denn wir befinden uns am Übergang von der kommunikativen Erinnerung zum kulturellen Erinnern. Das bedeutet mehr als einen Epochenwechsel. Paul Spiegel hat ja den Begriff „Staffelstab der Erinnerung“ geprägt, der übergeben werden muss. Er hat ihn zu Recht geprägt. Wir brauchen jetzt eine systematische Verankerung in schulischen Lehrplänen und gleichzeitig in außerschulischen Bildungsangeboten. Ich glaube, dass wir daran nicht vorbeikommen, nicht vorbeikommen sollten und auch nicht vorbeikommen wollen. ({2}) Das gilt übrigens auch - es ist hier schon einmal zu Recht darauf hingewiesen worden - hinsichtlich des Wissens über die Geschichte der DDR-Zeit. Auf der einen Seite gibt es eine Art von Verklärung, die immer neue Blüten treibt und bei der häufig der Satz „Es war nicht alles schlecht“ geäußert wird. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sich zu Recht für die Anerkennung ihrer eigenen Biografie einsetzen. Beides widerspricht sich aber sehr stark. Die Anerkennung der eigenen Biografie ist zentral und wichtig. Es geht aber auch darum, deutlich zu machen, was das Leben auch in dieser Diktatur bedeutet hat, und sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet hat, Mitläufer zu sein und zu versuchen, in dieser Diktatur zurechtzukommen. Die Eltern- und Lehrergeneration hat dabei eine große Verantwortung. Wir als Politiker haben sie erst recht. Gerade bei der Bildung zum Thema Nationalsozialismus muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass er nicht wie eine Naturkatastrophe von oben über Deutschland kam, sondern tief in der Gesellschaft verankert war. Diesen Auftrag haben wir auch heute, wenn wir uns mit rechtsextremistischen und rechtsradikalen Gedanken, Taten, Gruppierungen und Parteien auseinandersetzen. Dazu gehört übrigens auch, sich mit dem Antisemitismus in der DDR zu befassen. Dazu gehören authentische Orte. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir die KZ-Gedenkstätten auch als Lernorte stärken wollen. Die authentischen Orte des Grauens der Naziverbrechen helfen, wenn wir heute über unsere Erinnerung reden, sehr viel weiter, als museale Erinnerung das jemals kann. ({3}) Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung; denn die Frage der authentischen Orte betrifft auch die Erinnerung an die SED-Diktatur. Dass beim einzigen verbliebenen ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella jetzt die Bagger für den Abriss bereitstehen, weil das Geld nicht reicht, um ihn winterfest zu machen, ist sehr bedauerlich. Noch ist er zu retten. Ich hoffe, dass das gelingt, weil er einer der authentischen Orte ist, an denen man die Teilung Deutschlands auf ganz besondere Art und Weise sehen, erleben und nachempfinden kann. Deswegen hoffe ich sehr, dass der Abriss noch verhindert werden kann. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für jeden dritten Jugendlichen in der Bundesrepublik gilt: Erich Mielke war ein Schriftsteller, Helmut Kohl war Kanzler der DDR, Adenauer ein Ossi. Für jeden vierten Schüler unseres Landes war Willy Brandt Repräsentant des SED-Regimes. Auf einen Abgrund von Fehl- und Falschwissen der jungen Generation weist eine aktuelle Studie der FU Berlin hin. Es ist erschreckend. Auf die Feststellung „Wer die DDR verlassen wollte, war selber schuld, wenn an der Grenze auf ihn geschossen wurde!“ antwortete jeder fünfte Jugendliche mit Ja. Fehlende Kenntnisse führen zu falschen Beurteilungen. Nichtwissen schadet der Demokratie. Ahnungslosigkeit macht verführbar. Das Feld für Extremisten ist dann bestellt. In seiner Ballade des Vergessens formulierte der Dichter Klabund bereits vor 100 Jahren eine eindringliche Mahnung: Vergaßt ihr die gute alte Zeit, die schlechteste je im Lande? Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid, die Hofherren Feigheit und Schande. Es führte euch in den Untergang mit heitern Mienen, mit kessen. Längst habt ihr’s bei Wein, Weib und Gesang vergessen, vergessen, vergessen. Zwei Drittel aller Schüler - in einigen Bundesländern sogar mehr - gaben an, das geteilte Deutschland sei im Unterricht kein Thema gewesen. Selbstverständlich muss die Schule solche Defizite aufarbeiten. Auch und gerade das Wissen und das Gedenken an die eigene Geschichte führt zu der Einstellung: Nie wieder! ({0}) Nie wieder Rechts- oder Linksdiktaturen! Nie wieder Ausgrenzung von Menschen- und Bürgerrechten! Nie wieder ein Verlust an Freiheit! Das neue Gedenkstättenkonzept wird diesen Ansprüchen gerecht. Es verstärkt die Aufarbeitung unserer Diktaturgeschichte. Es ermöglicht, Opfer- wie Tätergeschichte unmittelbar wahrzunehmen. Die menschenverachtende Zeit des NS-Staates wird ebenso konsequent, schonungslos, aber auch differenziert aufgearbeitet und dargestellt wie die DDR-Vergangenheit. Dem Unterschied zwischen dem Naziterror und der SED-Diktatur wird Rechnung getragen. Eine verantwortungsbewusste Erinnerungspolitik darf weder die Ver20094 Wolfgang Börnsen ({1}) brechen der Nationalsozialisten relativieren noch das SED-Unrecht bagatellisieren. Klabund appelliert in seiner Ballade des Vergessens an die Wegseher und Vereinfacher mit folgenden für unsere Ohren heute ungewohnten Worten: Wir haben Gott und Vaterland mit geifernden Mäulern geschändet, wir haben mit unsrer dreckigen Hand Hemd und Meinung gewendet. Es galt kein Wort mehr ehrlich und klar, nur Lügen unermessen ... Wir hatten die Wahrheit so ganz und gar vergessen, vergessen, vergessen. Das neue Gedenkstättenkonzept stärkt die Erinnerungskultur, weil es eine zentrale Struktur vermeidet, die Eigenständigkeit der zeithistorischen Einrichtungen garantiert, weil es Rücksicht auf die eindrucksvollen Leistungen der bürgerschaftlichen Aufarbeitungsinitiatoren nimmt, weil es auf der Authentizität der Gedenkstätten beruht, Geschichte am Ort des Geschehens erlebbar macht, weil es erstmals kooperative Vernetzungen zwischen den Trägern institutionalisiert - das gilt für die NS-Gedenkstätten ebenso wie für die DDR-Rudimente und weil es die Geschichte der SED-Diktatur wie die Zeit des Dritten Reiches zu einer Herausforderung für Ost- wie für Westdeutschland erklärt, es endlich eine gesamtdeutsche Aufgabe wird. ({2}) Wir können aus unserer Geschichte nicht flüchten. Wir müssen uns ihr stellen. Das gilt für die dunklen Kapitel unserer Vergangenheit wie für die glücklichen Momente. Leipzig gehört dazu, beispielgebend als Stadt des unerschrockenen Bürgermutes. Es ist sachgerecht - darin bin ich mir mit Wolfgang Thierse einig -, hier, in dieser Stadt, den Schwerpunkt für die Erinnerung an den Widerstand gegen die SED-Diktatur zu setzen. Es verdient auch die Unterstützung des Bundes, wenn an dieser Stelle der Freiheit und Einheit gedacht wird. Es ist richtig und respektvoll, wenn vor Ort ein passendes Konzept dafür entwickelt wird. Was für Leipzig gilt, gilt auch für Bonn. Es gilt auch den westdeutschen Beitrag zur Wiedervereinigung dort zu dokumentieren. Dass ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal in die Mitte unserer Hauptstadt gehört, haben wir vor einem Jahr beschlossen. 200 Jahre couragierte Freiheits- und Parlamentsgeschichte dokumentieren den Teil unserer Vergangenheit, auf den wir stolz sein können. Eine historisch gerechte Erinnerungslandschaft kommt ohne ein solches Symbol der Freiheitsbekundung nicht aus. Der Bund wird mit dieser neuen Gedenkstätte seiner Verantwortung gerecht. Hier wird den Orten von nationaler Bedeutung Zukunft gegeben. Die vier schon geschilderten NS-Gedenkstätten, die durch die institutionelle Förderung eine viel stärkere Möglichkeit als Lernorte erhalten, sind ein Teil dieser Zukunftsorientierung. Die BStU, um deren Perspektiven wir lange gerungen haben, wird dann ihre Akten und Unterlagen in das Bundesarchiv überführen, wenn eine Kommission dafür dem Bundestag eine Entscheidungsgrundlage erarbeitet hat. Unabhängig davon bleibt festzuhalten - darin bin ich mir mit vielen in diesem Saal einig -: Deren Mitarbeiter leisten eine notwendige und ambitionierte Aufarbeitungsarbeit. Die BStU hat Anerkennung verdient. Ihr Konzept hat europaweit Bedeutung. Das gilt auch für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und viele andere Häuser. Das Konzept zur geschilderten Erinnerungslandschaft, über das wir heute befinden, wird von vier Fraktionen getragen. Das ist eine ganz großartige Grundlage. Es ist gut für unser Land und gut für die Demokratie, dass eine so starke parlamentarische Mehrheit sagt: Wir stehen zu diesem Konzept. - Trotzdem bleiben wir aufgefordert, weiter wachsam zu sein, im Sinne der Ballade des Vergessens: Habt ihr vergessen, was man euch tat, des Mordes Dengeln und Mähen? Es lässt sich bei Gott der Geschichte Rad, beim Teufel nicht rückwärts drehen. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank der Vorrednerinnen und Vorredner anschließen. Nachdem der Staatsminister im Juni 2007 einen doch umstrittenen Entwurf für die Fortschreibung des Gedenkstättenkonzeptes vorgelegt hat, haben wir nun einen sehr konstruktiven Prozess durchlebt und die vorliegende Konzeption gemeinsam erarbeitet. Daran haben sowohl der Ausschuss mit einer Anhörung als auch eine Reihe externer Experten mitgewirkt. Ich denke, diese Konzeption ist ein überzeugendes Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit. Frau Jochimsen, es gibt schon ein Gedenkstättenkonzept von 1999, in dem die NS-Diktatur ausführlich behandelt wurde. Es ist nicht durch dieses Gedenkstättenkonzept aufgehoben, sondern fortgeführt, und ergänzt wurden jetzt die Punkte, die vorher noch nicht darin standen. Es gab vorher - das ist mehrfach gesagt worden eben keine institutionelle Förderung von Gedenkstätten in den alten Bundesländern. Es gab sie in den neuen, aber nicht in den alten. Deswegen haben wir jetzt Bergen-Belsen in Niedersachsen, Neuengamme in Hamburg sowie Dachau und Flossenbürg in Bayern institutionell gefördert. Das war notwendig. Wir alle haben immer wieder erlebt, dass Schulgruppen und andere Gruppen, die sich informieren wollten, keine anständige Führung bekommen konnten, weil das Geld nicht da war, um Leute zu beschäftigen etc. Das ist jetzt möglich. Das ist auch notwendig; denn dann können die Gruppen, die dorthin kommen, qualifiziert informiert werden, und das ist eine wichtige Grundlage für die Demokratie. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesfinanzminister danken; denn üblicherweise gibt es keine neuen institutionellen Förderungen. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass wir das hier machen. Zugleich führen wir die Projektförderung des Bundes für authentische und national bedeutsame Erinnerungsorte und Gedenkstätten fort. Ich erinnere daran, dass wir in Sachsen den Jugendwerkhof in Torgau jetzt mit Projektmitteln fördern. Der Herr Staatsminister hat ihn erwähnt. Die Besucher können dort ein fragwürdiges Erziehungskonzept, den menschenunwürdigen Alltag und das drakonische Strafsystem im geschlossen Jugendwerkhof sehen, der dem Ministerium für Volksbildung der DDR direkt unterstand. Viele hätten diese Möglichkeit nicht, wenn es eine solche Projektförderung nicht gäbe. Deswegen glaube ich, dass einer der wesentlichen Aspekte, die wir sehr ausführlich diskutiert haben, das zivilgesellschaftliche Engagement von vielen Gruppen ist - dies wurde mehrfach erwähnt; auch Frau Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen -, aber auch die politische Bildung. In der Diskussion über das Konzept ist deutlich geworden, wie wichtig Vermittlung und politische Bildung beim Umgang mit unserer Geschichte sind und wo es noch hapert. Wir haben die Lücken alle aufgedeckt. Deswegen bin ich froh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche, wenn wir den Haushalt diskutieren, die Mittel dafür entsprechend erhöhen werden und damit etwas tun. Im Umgang und bei der Vermittlung unserer Geschichte, ob es nun die Geschichte des Nationalsozialismus ist oder die DDR-Geschichte, sind wir alle gefordert, nicht nur der Bund, sondern auch Elternhäuser, Schulen, Medien und Politik; denn viele Schüler - Herr Börnsen hat darauf hingewiesen -, aber leider auch viele Erwachsene wissen nur wenig über unsere Vergangenheit und wenig über die beiden Teile unserer Gesellschaft, wie sie vor dem Fall der Mauer tatsächlich waren. Hier wird besonders deutlich, dass sich unser Bemühen nicht nur auf die gute Ausgestaltung der Gedenkstätten beschränken darf, sondern dass es auch einer umfassenden Aufarbeitung bedarf. Dabei müssen wir weiterhin auf Zeitzeugen zurückgreifen, nicht nur auf die Zeitzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die uns leider nach und nach nicht mehr zur Verfügung stehen, sondern auch auf Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR. Da haben wir Menschen unter uns, die in beiden Teilen gelebt haben und die erzählen können, wie das eigentlich damals war. Es sind Menschen, deren Familien getrennt waren und die erlebt haben, wie es war, sich zu besuchen, und die den jeweiligen Alltag erlebt haben. Diese persönlichen Erfahrungen sollten wir noch stärker einbringen, gerade auch in der Schule. Das muss in allen Bundesländern überhaupt erst einmal in den Schulplänen verankert werden; denn das findet in vielen Schulen leider noch nicht statt. ({1}) Wenn ich meine Kinder danach frage, ob sie in der Schule schon einmal etwas davon gehört haben, also vom täglichen Leben in einem Konstrukt von Überwachung und Zersetzung, vom menschlichen Miteinander in einem unmenschlichen System, dann stelle ich fest: Das haben sie so noch nicht wahrgenommen. Ich glaube, man kann das zusammen mit Zeitzeugen, mit Menschen, die so etwas direkt erlebt haben, viel besser nachvollziehen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Wir haben heute Nachmittag den Bericht zur deutschen Einheit diskutiert. Dabei sind viele Schritte, die zeigen, dass wir zusammenwachsen, aufgeführt worden. Das, was ich angesprochen habe, ist sehr notwendig, damit wir zu einem bestimmten Punkt kommen: Nie wieder darf es uns passieren, dass wir durch Diktaturen bestimmt werden. Wir haben im nächsten Jahr eine Menge Gedenktage. Wir feiern 20 Jahre Fall der Mauer, wir feiern 60 Jahre Grundgesetz. Aber wir haben auch Erinnerungstage, die uns nachdenklich stimmen müssen, zum Beispiel den 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf Polen. Ich hoffe sehr, dass wir dieses Jahr mit seinen Gedenktagen zum Nachdenken und für die Erinnerung nutzen und dass wir mit dem Gedenkstättenkonzept als guter Grundlage für das gemeinsame Bewusstsein aktiv arbeiten, damit sich das Bewusstsein vor Ort so ändert, dass die Demokratie erhalten bleibt und gestärkt wird und dass Geschehnisse wie Diktaturen, Gewalt und Brutalität nicht mehr stattfinden können. Das wünsche ich mir. Ich bin froh, dass wir gemeinsam daran gearbeitet haben. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/10565 zu der Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf Drucksache 16/9875 zur Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes mit der Überschrift „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/10071. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8880 mit dem Titel „Konzepte der Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen und den veränderten Bedingungen anpassen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Vizepräsidentin Petra Pau Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 25 b. Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10071 empfiehlt der Ausschuss für Kultur und Medien die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8184 mit dem Titel „Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Nationalsozialismus“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Miriam Gruß, Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Schaffung einer Individualbeschwerde im Rahmen des Übereinkommens über die Rechte des Kindes - Drucksache 16/9096 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Thomas Mahlberg für die CDU/CSU-Fraktion, Marlene Rupprecht für die SPD, Miriam Gruß für die FDP, Diana Golze für die Fraktion Die Linke und Ekin Deligöz für die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9096 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Überfüh- rung der Anteilsrechte an der Volkswagen- werk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand - Drucksache 16/10389 - - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Dorothée Menzner, Dr. Diether Dehm, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des VW-Gesetzes - Drucksache 16/8449 - 1) Anlage 10 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 16/10896 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Joachim Stünker Wolfgang Nešković Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach. ({2})

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesministerin Zypries hat bereits bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs vor wenigen Wochen auf die Bedeutung und Entstehung des VW-Gesetzes und auf die besondere Geschichte des größten deutschen Autobauers hingewiesen. Es ist eben aufgrund der Geschichte des Volkswagenwerkes gerechtfertigt, dass das VW-Gesetz gewisse Abweichungen vom allgemeinen Aktienrecht vorsieht. Selbstverständlich ist, dass die Regelungen des VW-Gesetzes dabei nicht gegen das EURecht verstoßen dürfen und dass wir, soweit das der Fall ist, Abhilfe schaffen müssen. Damit bin ich schon beim Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober 2007. Der EuGH hat darin entschieden, dass Deutschland mit einigen Vorschriften des VW-Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße. Dieses Urteil setzen wir mit dem Gesetzentwurf, um den es heute geht, in nationales Recht um, und zwar - das sage ich auch in Richtung Brüssel - zu 100 Prozent. ({0}) Angesichts seiner besonderen Historie werden wir aber am VW-Gesetz nicht mehr ändern, als es das Urteil verlangt. Wie Sie wissen, gibt es unterschiedliche Meinungen zu der Frage, was das Urteil genau verlangt. Sehen wir uns daher noch einmal den Tenor der Entscheidung an - ich darf zitieren, Frau Präsidentin -: Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung - ich wiederhole: in Verbindung - mit § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes beibehalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die genannten Bestimmungen betreffen das gesetzliche Entsenderecht für den Bund und das Land NiederParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach sachsen, die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent und das besondere Mehrheitserfordernis für Hauptversammlungsbeschlüsse von 80 Prozent plus einer Aktie, also die Sperrminorität von 20 Prozent. Der Europäische Gerichtshof hat das gesetzliche Entsenderecht für rechtswidrig erklärt, die beiden anderen Bestimmungen aber nur „in Verbindung“ miteinander, also nicht jede für sich. Im Übrigen - so sagt es das Gericht; ich habe es schon zitiert - ist die Klage abgewiesen worden. Wenn zwei Paragrafen aber nur „in Verbindung“ miteinander rechtswidrig sind, dann liegt es auf der Hand, dass man sie nicht beide aufheben muss. Es reicht aus, einen davon aufzuheben, wodurch der andere weiterbestehen kann, ohne gegen das Europarecht zu verstoßen. Ich gehe davon aus, dass der Europäische Gerichtshof diese Formulierung sehr wohl mit Bedacht gewählt hat und genau das gemeint hat, was er gesagt hat. Es ist aus meiner Sicht unverständlich und dem EuGH gegenüber nicht gerade von Respekt getragen, wenn man darüber hinweggeht und sagt, das habe der Gerichtshof nicht so gemeint, vielmehr seien alle drei Bestimmungen isoliert rechtswidrig. Deshalb sieht der Regierungsentwurf genau das vor, was der Urteilstenor verlangt: Wir schaffen das gesetzliche Entsenderecht für den Bund und das Land Niedersachsen ab, denn dies verlangt der EuGH. Der Gesetzentwurf der Linken, der hier noch Abstufungen und Winkelzüge macht, wird von uns nicht mitgetragen. In Brüssel würden wir sofort auffliegen. Wir schaffen die Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent ab. Die Sperrminorität bei Hauptversammlungen, die im Übrigen vom allgemeinen Aktienrecht gar nicht so weit abweicht, kann allerdings isoliert weiter bestehen. Außerhalb des offiziellen Verfahrens kamen Presseäußerungen aus Brüssel, dass wir alle drei Bestimmungen ersatzlos streichen müssten. Eine begründete Stellungnahme der Kommission, durch die unserer Rechtsansicht widersprochen würde, gibt es bisher aber nicht. Sollte eine solche Stellungnahme kommen, hätte Deutschland zwei Monate Zeit, um darauf zu reagieren und gegenüber der Kommission seine Ansicht darzulegen. Wir sind uns unserer Sache sehr sicher. Sie sehen, dass es keinen Anlass dafür gibt, dass die Bundesregierung von ihrem einstimmig gefassten Beschluss abrücken sollte, die Sperrminorität des VW-Gesetzes fortbestehen zu lassen und das Änderungsgesetz in der Form zu verabschieden, wie sie Ihnen vorliegt. Lassen Sie sich davon weder durch nicht korrektes Hochdeutsch noch durch Briefe mit Goldprägung abhalten. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede des Kollegen Paul Friedhoff für die FDP- Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat der Kollege Michael Grosse-Brömer für die Unionsfraktion. 1) Anlage 11 ({0})

Michael Grosse-Brömer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003541, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Heute wollen wir das in einigen Punkten geänderte VW-Gesetz in zweiter und dritter Beratung beschließen. Ich halte das für eine gute Idee. Wir haben in den letzten Wochen mehrfach über dieses Gesetz diskutiert. Ich habe dabei stets die Gelegenheit genutzt, um darauf hinzuweisen, dass VW für viele Deutsche, und nicht nur für Niedersachsen, eine Herzensangelegenheit und ein Stück deutscher Identität darstellt. ({0}) Das VW-Gesetz besteht seit dem 21. Juli 1960 und ist damit - wenn auch nur knapp - älter als ich selbst. Seither ist das Gesetz eng mit der Erfolgsgeschichte von VW verknüpft. Der niedersächsische Ministerpräsident hat sich bei der letzten Debatte sogar persönlich die Ehre gegeben, um die Bedeutung des Gesetzes noch einmal hervorzuheben. Im September hat er im Bundesrat dazu ausgeführt, dass das VW-Gesetz kein Hindernis für eine gute Entwicklung von VW ist. Im Gegenteil: Es war bisher und wird auch in Zukunft eine Voraussetzung dafür sein. Es ist deshalb gut, dass wir heute im Bundestag den Erhalt des VW-Gesetzes bei zwei notwendigen Änderungen beschließen wollen. Der Parlamentarische Staatssekretär hat darauf hingewiesen, dass wir so vorgehen, weil der Europäische Gerichtshof es verlangt hat, obwohl es eigentlich sinnvoll wäre, in ein Unternehmen, das, wie Volkswagen, sehr erfolgreich arbeitet, am besten gar nicht einzugreifen. Wir kommen den uns auferlegten europarechtlichen Verpflichtungen nach. Der Rechtsprechung des EuGHs werden wir durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf gerecht. Das Bundesjustizministerium hat das Urteil sorgfältig analysiert. Das Ergebnis ist eben von Herrn Hartenbach vorgetragen worden. Es geht um die Verbindung zwischen Höchststimmrecht und den besonderen Mehrheitserfordernissen. Nur das wurde beanstandet, und nur das haben wir geändert. ({1}) Letztlich ist das im Urteilstenor genau erkennbar. Der EuGH spricht explizit von § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes. Der zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy hält die genannten Normen alternativ und nicht kumulativ für europarechtswidrig. Damit ignoriert er erstens den Urteilstenor, und zweitens überinterpretiert er die Reichweite der Grundfreiheiten. ({2}) Mit unserer Bundesjustizministerin bin ich hoffnungsfroh, dass das Gesetz nach dem Passieren des Bundesrates, einschließlich Unterzeichnung und Verkündung, zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Das wäre für die Beschäftigten - nach meiner Kenntnis sind es weltweit 364 000 - und auch für ihre Familien zu Be20098 ginn des neuen Jahres eine schöne Nachricht. In Krisenzeiten sind solche Zeichen gut für die Menschen. Zwar hat das Wort Krise gegenwärtig Hochkonjunktur. Es ist aber nicht mehr zu leugnen, dass die Krise auf dem Finanzmarkt auf die sogenannte Realwirtschaft übergegriffen hat. Anzeichen dafür sind vorhanden. Sie betreffen mittlerweile unstreitig auch die Automobilindustrie. Vor diesem Hintergrund ist die Volkswagen-Gruppe offensichtlich noch gut aufgestellt. Unter den aktuell schwierigen Bedingungen wird VW von Fachleuten und auch in der Fachpresse häufig noch als „Fels in der Brandung“ bezeichnet. ({3}) - Ich bin froh, dass doch einige Niedersachsen da sind. Das zeigt sich ja jetzt am entsprechenden Applaus. ({4}) - Das finde ich auch anständig, dass die Sozialdemokraten dazugelernt haben. Im Vergleich zum letzten Mal sind deutlich mehr Niedersachsen da, auch auf Ihrer Seite. ({5}) Die Politik sollte diese positive Entwicklung von VW honorieren und erfreut zur Kenntnis nehmen. Jedenfalls sollten wir sie nicht durch unnötige Veränderungen belasten. Ich habe gestern erfreulicherweise und fast auch ein wenig überraschend ein Schreiben vom Vorstandsvorsitzenden der Porsche Holding, Herrn Wendelin Wiedeking, erhalten. ({6}) Auch er ging auf die künftigen Herausforderungen ein, insbesondere die der Automobilbranche. Ich zitiere eine Passage aus seinem Brief. Die Automobilbranche steht vor gewaltigen Herausforderungen. Um vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktkrise zu bestehen und weiter zu wachsen, wollen wir gemeinsam ein starkes Unternehmen schaffen, das mit Ideenreichtum und Innovationskraft auf der Basis weltweiter Erfolge Arbeitsplätze erhält und neue Arbeitsplätze schafft. Am Standort Deutschland. ({7}) Mit diesen Worten von Herrn Wiedeking kann ich mich voll und ganz einverstanden erklären. Ich schließe mich ihnen an. Unternehmen müssen leistungsstark und innovativ sein, um bestehen zu können. VW hat exakt dies in der Vergangenheit immer wieder eindrucksvoll bewiesen - mit dem VW-Gesetz. ({8}) Das VW-Gesetz war auch deswegen eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg dieses Unternehmens, weil es wohl in einmaliger Weise Zukunftsfähigkeit mit besonderer Treue und Verantwortung zur Belegschaft und zu den Standorten gerade in Deutschland beweist. Auch bei internationalen Beziehungen gab es nie rechtliche Bedenken. Infolgedessen kann ich in einem Punkt Herrn Wiedeking nicht zustimmen, nämlich seiner Behauptung, dass dieses Gesetz europarechtswidrig sei. Aufgrund der genannten Erfolgsgeschichte wünsche ich mir vielmehr, dass das VW-Gesetz weiterhin, wie die letzten 48 Jahre, als stabile Grundlage eines Traditionsunternehmens, als Mittel der Standortsicherung und als Instrument der Beschäftigungssicherung erhalten bleibt. Ich würde mich freuen - darauf ist vorhin schon Bezug genommen worden -, wenn die Europäische Kommission das auch so sehen könnte. Sie sollte ihre Ankündigung überdenken, eventuell wiederum zu klagen. Es gab leider schlechte Nachrichten. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass Kommissar McCreevy gegenüber dem Handelsblatt erklärte, noch vor Weihnachten die zweite Stufe des Verfahrens einleiten zu wollen. ({9}) Ich halte das für ein überflüssiges Geschenk in der Vorweihnachtszeit. Es ist im Übrigen auch ein schlechtes Signal für Hunderttausende von Menschen. Dazu kommt, dass dieses Signal auch noch in denkbar ungünstigen Zeiten ausgesendet wird. Ich halte dieses Vorgehen auch für bedenklich; denn im Rahmen der Ratifikation des Lissabon-Vertrages wurde immer wieder gefordert, Europa müsse endlich bei den Menschen ankommen. Die EU-Bürger sollten sich mit ihrer Union identifizieren können. Dazu gehört dann auch, ein Stück weit Rücksicht auf die Interessen der Menschen zu nehmen. ({10}) Damit einher muss dann auch Zurückhaltung in Bereichen gehen, die nicht von Brüssel, sondern von den Mitgliedstaaten geregelt werden sollen. Man kann zwar unterschiedlicher Auffassung sein, aber die Kommission hat noch nicht so richtig nachvollziehbar begründet, warum sie immer wieder Klage einreichen will. Sie behauptet immer pauschal, es liege ein Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs vor. Wenn sie das auf die gesetzlich verankerte Sperrminorität bezieht, muss man sich einmal die Frage stellen, ob man nicht irgendwann auch gegen die Ausgabe von stimmrechtslosen Aktien gerichtlich vorgehen sollte. Inhaber dieser Aktien haben ja auch keinen Einfluss auf Entscheidungen eines Unternehmens. Es stellt sich also die Frage: Wo beginnt der freie Kapitalverkehr, und wo hört er auf? Der EuGH wird sich im Streitfall mit den sorgfältigen Überlegungen der Bundesregierung auseinandersetzen müssen, die in den heute vorliegenden Entwurf eingeflossen sind. Ich denke, wir haben das gerügte Zusammenspiel aus Höchststimmrecht und Mehrheitserfordernissen beendet. Wir haben auch bei den Regelungen zur Entsendung in den Aufsichtsrat den Forderungen des EuGH Folge geleistet. Die Sperrminorität von 20 Prozent bleibt aber bestehen. Ich denke, dass sie auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein dürfte. Schließlich - auf diese Aussage lege ich gesteigerten Wert - ist die Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts keine europarechtliche Materie. Schauen Sie sich den dritten Teil des EG-Vertrages, also „Die Politiken der Gemeinschaft“, an. Dort sucht man vergebens nach einem Kompetenztitel „Gesellschaftsrecht“. Das Urteil des EuGH wird also schon denklogisch - da haben Sie wiederum völlig recht, Herr Staatssekretär - vollständig beachtet und eins zu eins umgesetzt. Schauen wir jetzt einmal in unser nationales Aktienrecht; darüber könnte man ja auch noch nachdenken. Dieses sieht keine feste Grenze für Sperrminoritäten vor. ({11}) Zwar sind 25 Prozent der gesetzliche Regelfall. Ausnahmen sind aber möglich, nach oben wie nach unten. Porsche zum Beispiel hat in seiner Satzung eine Sperrminorität von 33,3 Prozent festgeschrieben, VW hat die 20-Prozent-Regelung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der heutigen Verabschiedung des Entwurfs, den die Bundesregierung vorgelegt hat, können wir ein klares Zeichen setzen, ein Zeichen erstens für die europäische Integration und gegen unzulässige Einmischung aus Brüssel unter Berücksichtigung originärer Interessen der Mitgliedstaaten ({12}) und zweitens für ein weiterhin erfolgreiches Unternehmen Volkswagen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Novellierungsvorschlag der Bundesregierung zur Anpassung des VW-Gesetzes erscheint uns etwas halbherzig. Er nimmt Änderungen auch in den Bereichen vor, in denen sie nach unserer Auffassung durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht geboten sind. Das Entgegenkommen nützt aber nichts. Die EU-Kommission in ihrer neoliberalen Verblendung wird das nicht überzeugen. Kommissar McCreevy hat schon jetzt angekündigt, noch vor Weihnachten wieder gegen das Gesetz vorzugehen. Auch das nach den Vorschlägen der Bundesregierung geänderte VW-Gesetz entspreche den EU-Verträgen nicht, meint er. Nach seiner Auffassung würde auch unsere neue Fassung des Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen. Worum geht es wirklich? Die Presseagentur Reuters schrieb gestern: Der größte VW-Eigner Porsche dagegen will das Gesetz abgeschafft sehen. Nur wenn die Sperrminorität auf 25 Prozent angehoben würde, hätte der Sportwagenbauer die Chance, einen Beherrschungsvertrag durchzusetzen. Weiter heißt es: Der volle Durchgriff des Porsche-Managements auf VW wäre dann gesichert. In diesem Sinne wurden wir Abgeordneten von Wendelin Wiedeking angeschrieben. Der „volle Durchgriff“ bedeutet, dass der gesamte VW-Konzern dem Interesse der Eigentümer von Porsche untergeordnet würde. Interessen der VW-Belegschaft, des Bundes oder des Landes Niedersachsen würden nicht mehr zählen. Dabei geht es nicht nur abstrakt um Beherrschung, sondern es geht auch und vor allem um eine vertraglich auferlegte Gewinnabführung an das beherrschende Unternehmen. Es geht um die Umwandlung von VW-Gewinnen in Profite der Porsche-Eigner. Mit der Ermöglichung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages würde VW seine eigenständige Bedeutung verlieren. Die langfristige Zukunft dieses für die gesamte Volkswirtschaft bedeutenden Unternehmens würde den kurzfristigen Gewinninteressen einiger Kapitaleigner untergeordnet. Spekulative Interessen würden dem Gemeinwohlinteresse und den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgehen. Die Interessen der Eigentümer von Porsche an der Freiheit ihres Kapitals gelten Kommissar McCreevy mehr; sie gelten ihm als Kapitalverkehrsfreiheit, als eine der Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes. All das können wir und kann die Bundesregierung so nicht hinnehmen. Wir brauchen eine eindeutige Klarstellung im EU-Vertragsrecht, im Primärrecht. Dazu haben wir Vorschläge gemacht, die ich aus Zeitgründen hier nicht genau ausführen kann. Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon muss ausgesetzt werden. Es muss eine soziale Fortschrittsklausel in das Primärrecht aufgenommen werden. In diesem Sinne stellen wir fest, dass der Vorschlag der Bundesregierung auch unter den Bedingungen des EuGH-Urteils nicht optimal ist. Unser Vorschlag, den wir vorgelegt haben, wäre besser. Dennoch werden wir dem Vorschlag der Bundesregierung zustimmen, weil er immer noch besser ist, als wenn nichts passieren würde. Mit der Novellierung des VW-Gesetzes aber sind die Probleme keineswegs bewältigt. Wir brauchen Regelungen für die Wirtschaft insgesamt, nicht nur für ein Großunternehmen. ({0}) Wir müssen das Europarecht so verändern, dass es nicht weiter als Brechstange gegen den Sozialstaat ein20100 gesetzt werden kann. Meiner Ansicht nach sollte sich niemand folgender Einsicht - damit möchte ich meine Rede beenden - verschließen: Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben1). Jetzt gebe ich Herrn Kollegen Garrelt Duin, SPDFraktion, das Wort.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann Frau Dückert nicht den Vorwurf machen, dass sie sich in der Vergangenheit nicht sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hätte. Sie hat auch hier im Plenum immer wieder zu diesem Thema gesprochen. Anders liegt der Fall bei den Kolleginnen und Kollegen von der FDP - das finde ich sehr bedauerlich -, die nicht zum ersten Mal hier die direkte Auseinandersetzung scheuen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie nachher bei der Abstimmung der Weisheit der Linkspartei folgen, die ja den Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützt. Darüber freue ich mich ausdrücklich. Es ist nämlich notwendig, dass wir dieses VW-Gesetz mit großer Mehrheit beschließen, ({0}) damit auch in Brüssel registriert wird, dass wir uns hier trotz unterschiedlicher Auffassungen in manchen Fragen nicht auseinanderdividieren lassen. Im Interesse dieses Unternehmens und seiner Beschäftigten wollen wir dieses Gesetz gemeinsam auf den Weg bringen. ({1}) Um diese Zeit - jetzt ist es ungefähr 21.10 Uhr - läuft bei VW noch die Spätschicht. Was denkt ein Beschäftig- ter bei VW in diesem Moment? Denkt dieser Beschäf- tigte: „Die Politik kümmert sich sowieso nicht um mich; denen ist doch sowieso egal, was mit uns passiert; die können auch nichts tun“? Denkt er, dass wir der Auffas- sung sind, der Markt werde es schon richten? Was er zurzeit erlebt, könnte derartige Gedanken durchaus be- fördern: die gigantische Finanzmarktkrise, die Meldun- gen über eine drohende Konjunkturkrise mit besonderen Auswirkungen auf die Autobranche, Aktienkurse des ei- genen Unternehmens, die in den vergangenen Wochen völlig verrückt gespielt haben - wie wir jetzt wissen, aus nachvollziehbaren Gründen -, eine Auseinandersetzung im Aufsichtsrat, angesichts derer der Beschäftigte nur mit dem Kopf schütteln kann, weil dort offensichtlich ganz persönliche Dinge eine größere Rolle spielen als das Interesse des gesamten Unternehmens. Mit der Verabschiedung des VW-Gesetzes haben wir die Chance, ein Stück - allein wird es nicht ausreichen - Vertrauen in die Politik und in staatliches Handeln zu- 1) Anlage 11 rückzugewinnen. Dieses Vertrauen ist erschüttert. Europäische Entscheidungen haben dazu ihren Teil beigetragen. Aber wir haben die Chance, dieses Vertrauen neu zu schaffen. Wir können unter Beweis stellen: Politik kümmert sich, nimmt die Sorgen ernst und lässt sich auch durch wirtschaftliche Einzelinteressen - auch wenn sie 24 Stunden vor der Abstimmung noch einmal schriftlich artikuliert werden - nicht beeindrucken. Politik lässt sich aber auch nicht durch die Drohung der EU-Kommission beeinflussen, dass ein neues Verfahren angestrengt werden soll. Wir halten den Kurs - gemeinsam mit der Bundesregierung und mit Zustimmung anderer. ({2}) Wir machen das VW-Gesetz EU-rechtskonform. Wir machen dies im Bewusstsein der Geschichte dieses Unternehmens und im Bewusstsein, dass das Unternehmen VW das geworden ist, was es heute ist - nicht trotz dieses Gesetzes, sondern gerade wegen dieses Gesetzes. Der freie Kapitalverkehr wird auch in Zukunft nicht gefährdet. Aber mit diesem Gesetz - das ist uns Sozialdemokraten natürlich besonders wichtig - wird auch die Mitbestimmung in dem Unternehmen Volkswagen zukünftig nicht gefährdet. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die versuchen, an dieser Stelle herumzuoperieren. Wir haben nicht nur den Brief von Porsche bekommen, wir haben heute auch einen Brief von Bernd Osterloh bekommen. Darin schreibt er: Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Beschäftigten von Volkswagen sind in großer Sorge um ihre Mitbestimmungsrechte und in der Folge um die langfristige Sicherheit ihrer Arbeitsplätze. Denn wer nichts Böses im Schilde führt, der muss sich vor Mitbestimmung und einem VW-Gesetz nicht fürchten. ({3}) Ich finde, man kann diese Worte von Herrn Osterloh nur unterstreichen: Wer nichts Böses im Schilde führt, braucht dieses Gesetz nicht zu fürchten. Wir sagen dies mit großem Nachdruck an die Adresse aller Anteilseigner, und wir sagen dies auch in Richtung der EU-Kommission: Dieses VW-Gesetz ist EU-rechtskonform. Das ist unsere feste Überzeugung. Wir sind sicher, dass wir gegebenenfalls einen Rechtsstreit darüber gewinnen werden. Ich bin stolz darauf, dass es uns heute nach vielen Jahren der Auseinandersetzung gelingt, ein solches Gesetz zu beschließen. Ich hoffe auf eine große Zustimmung des Hauses, damit dem Beschäftigten, von dem ich vorhin gesprochen habe und der jetzt noch in der Spätschicht ist, klar wird: Der Deutsche Bundestag ist an seiner Seite und weiß seine Interessen zu schützen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand. Zu dieser Ab- stimmung liegen mir einige Erklärungen nach § 31 un- serer Geschäftsordnung vor.1) Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10896, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10389 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei einigen Gegenstimmen in der CDU/CSU und Gegenstimmen der FDP mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der FDP und zwei Gegenstimmen aus der CDU/CSU mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. ({0}) Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des VW-Gesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10896, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8449 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verdeckte Armut bekämpfen - Rechte wahr- nehmen, unabhängige Sozialberatung auswei- ten und Selbsthilfeinitiativen unterstützen - Drucksachen 16/3908, 16/4826 - Berichterstattung: Abgeordneter Markus Kurth Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin: 1) Anlage 6 Peter Weiß, CDU/CSU, Rolf Stöckel, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/4826, den Antrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/3908 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Ge- genstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur arbeitsmarktadäquaten Steuerung der Zuwanderung Hochqualifizierter und zur Änderung weiterer aufenthaltsrechtlicher Regelungen ({2}) - Drucksachen 16/10288, 16/10722 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff ({3}), Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({4}) - Drucksache 16/9091 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5}) - Drucksache 16/10914 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Dr. Michael Bürsch Hartfrid Wolff ({6}) Sevim Dağdelen Josef Philip Winkler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff ({8}), Dr. Heinrich L. Kolb, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Zuwanderung durch ein Punktesystem steu- ern - Fachkräftemangel wirksam bekämpfen - Drucksachen 16/8492, 16/10914 - Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit 2) Anlage 12 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Michael Bürsch Hartfrid Wolff ({9}) Sevim Dağdelen Josef Philip Winkler Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kollegen und folgender Kollegin: Stephan Mayer, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid Wolff, FDP, Sevim Dağdelen, Die Linke, Josef Philip Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Arbeitsmigra- tionssteuerungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/10914, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10288 und 16/10722 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim- men der Fraktion der FDP und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an- genommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stim- menergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/10914, den Gesetzent- wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9091 ab- zulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- tere Beratung. Tagesordnungspunkt 27 b. Wir setzen die Abstim- mung zu der Beschlussempfehlung des Innenausschus- ses fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/10914 die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8492 mit dem Titel „Zuwanderung durch Punktesystem steuern - Fachkräftemangel wirksam be- kämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke, der SPD und der CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen ange- nommen. 1) Anlage 13 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Cornelia Behm, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherung der interkommunalen Zusammenarbeit - Drucksache 16/9443 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({10}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Reinhard Schultz, SPD, Paul K. Friedhoff, FDP, Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke, und Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9443 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 b auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens ({11}) - Drucksachen 16/10188, 16/10579 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12}) - Drucksachen 16/10910, 16/10940 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Tillmann Gabriele Frechen - Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10916 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({14}) Otto Fricke Alexander Bonde Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Manfred Kolbe, CDU/CSU, Gabriele Frechen, SPD, Dr. Volker Wissing, 2) Anlage 14 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner FDP, Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke, und Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.1) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Ausschussfassung anzunehmen, Drucksachen 16/10188, 16/10579, 16/10910 und 16/10940. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mittelstandsförderung sichern - ERP-Vermögen aus der KfW Bankengruppe herauslösen - Drucksache 16/8928 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({15}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU, Garrelt Duin, SPD, Frank Schäffler, FDP, Dr. Herbert Schui, Die Linke, Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Niemand kann bestreiten, dass die KfW einige nicht akzeptable Managerfehler zu verkraften hat und ein star- ker Gewinneinbruch zu erwarten ist. Ich kann Ihnen ver- sichern, dass ich über die Geschäftsvorgänge der KfW aus Sorge um das ERP-Sondervermögen nicht glücklich bin. Ich kann Ihnen aus meiner Unternehmerpraxis je- doch auch sagen, dass man für das Krisenmanagement Ruhe und Besonnenheit haben sollte. Dies sollten wir be- herzigen, wollen wir insgesamt den Instituten nicht weiter Schaden zufügen. Wir sollten eine klare Analyse treffen und zukunftsgerechte Lösungen schaffen. Welcher Sachstand ist uns bekannt? Erstens. Am 15. September 2008 hat die KfW rund 300 Millionen Euro an die bereits insolvente US-Investmentbank Lehman Brothers überwiesen. Die Summe war Bestand- teil mehrerer vereinbarter Termingeschäfte. Zweitens. Die bislang letzte Hiobsbotschaft ereilte uns am 6. November: Die KfW-Bankengruppe hat rund 288 Millionen Euro bei mehreren Banken in Island ange- 1) Anlage 15 legt. Dabei ist ein Engagement bei der Kaupthing Bank. Hier dürfte eine Rückerstattung wohl mehr als kompliziert werden und fraglich sein. Mein Ziel als Vorsitzender des Unterausschusses „ERP-Wirtschaftspläne“ ist es, die Substanz und Förderkraft des ERP-Sondervermögens in voller Höhe zu erhalten. Trotz allem Vorgenannten halte ich jetzt eine Rolle rückwärts für den falschen Weg, das ERP-Sondervermögen wieder aus der KfW herauszulösen. Das würde in der Finanzmarktkrise die Probleme verschärfen. Unser Ziel, die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand konkret und gerade jetzt zu verbessern, muss Priorität haben. Denn nach wie vor haben vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlichkeiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, ein zu geringes Eigenkapitalpolster oder Probleme bei der Fremdfinanzierung. Unser Mittelstand darf jetzt nicht durch unbesonnenes Handeln in die Kreditklemme kommen. Der Innovations- und Mittelstandsförderung kommt nach wie vor große Bedeutung zu. Dazu werden Finanzierungen dringlich benötigt. Wenn ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern gerade auch über Gründungen von Unternehmen spreche, dann sagen sie mir: Das zentrale Problem ist die Finanzierung. Der Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“ hat sich in der letzten Zeit natürlich gerade aufgrund der Geschäftsvorgänge in der KfW und der allgemeinen Finanzkrise ausführlich mit der Frage befasst, welche Auswirkungen die Vorgänge auf den Substanzerhalt des ERPSondervermögens und die Förderfähigkeit haben werden. In der letzten Sitzung des Unterausschusses „ERP-Wirtschaftspläne“ am 14. Oktober 2008 haben alle Vertreter, sowohl die der KfW, die des BMF als auch die des BMWi, betont, dass das ERP-Vermögen in seiner Substanz und in seiner Förderfähigkeit voll erhalten bleibt und die vereinbarte faire Lastenverteilung eingehalten wird. Das BMWi hat in der Sitzung ausgeführt, dass der Bund aus seinen Sondergewinnrücklagen zeitnah in 2008 einen temporären Ausgleich in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten des Sonderrücklagenkontos des ERP-Sondervermögens zur Verfügung stellt. Der Betrag dient als Abschlagszahlung und soll ein erstes Signal sein, dass man zu den Vereinbarungen steht. Sobald das ERP-Sondervermögen in einem Bilanzjahr wieder Erträge erzielt, die den vereinbarten Benchmark zuzüglich Inflationsausgleich gewährleistet, wird man den den Benchmark übersteigenden Ertrag aus dem für das ERP-Sondervermögen geführten Sondergewinnrücklagenkonto auf das für den Bund geführte Sonderrücklagenkonto zurückbuchen. Die Rückbuchungen erfolgen so lange, bis eine vollständige Kompensation des vom Bund geleisteten Umbuchungsbetrages erreicht ist. Dabei handelt es sich um eine Vorsorgemaßnahme, damit man die ERP-Förderung ungeschmälert fortführen kann. Die Höhe des wahrscheinlichen Verlusts für die KfW ist eine Frage, die sich in Zukunft stellen wird. Entscheidend ist, dass man für die Gegenwart ein klares Signal geschaffen hat, nämlich belastbare Verhältnisse. Das BMF hat seine Zusage, die Förderfähigkeit des ERP-Sonder20104 vermögens sicherzustellen, eingehalten. Das findet auch Ausdruck im Wirtschaftsplan, der dem Ausschuss zur Beratung vorliegt. Man kann sicher erwarten, dass die Geschäftsbilanz der KfW in diesem Jahr und unter Umständen auch im nächsten Jahr negativ ausfallen wird. Aber die 300 Millionen Euro des BMF sind geeignet, die Förderfähigkeit sicherzustellen. In der Frage der Verzinsung haben sich BMWi und BMF allerdings noch nicht verständigt. Diese Vereinbarung muss jetzt dringlich erfolgen. Für weitere Verzögerungen gibt es kein Verständnis. Es braucht Vertrauen. Die KfW stellt 460 Millionen Euro unabhängig vom Jahresergebnis bereit. Das stärkt das Vertrauen, dass man die Festlegungen für die Erhaltung des ERP-Sondervermögens einhalten wird. Der Bundesrechnungshof überprüft die jeweilige Entwicklung und wird den Sachverhalt im Auge behalten. Der Bundesrechnungshof ist vom Unterausschuss „ERPWirtschaftspläne“ mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Gegenstand des Berichts des Bundesrechnungshofs sollen mögliche Risiken für die ERP-Wirtschaftsförderung und den Substanzerhalt des ERP-Sondervermögens sein. Ich kann Ihnen heute versichern, dass ich mich weiter dafür einsetzen werde, dass dem Mittelstand weiterhin so viel Förderung wie möglich zugute kommt. Denn eines weiß ich als Unternehmer nur zu gut: Die Gründung und der Erhalt eines Unternehmens und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen stehen und fallen mit der Finanzierung.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Angefangen vom Wiederaufbau über die Unterstützung exportintensiver Industrien und Investitionen sowie den Umweltschutz bis hin zu Beteiligungskapital für technische Innovationen - die Geschichte der ERP-Förderung liest sich wie die Erfolgsgeschichte des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Anhand dieser Entwicklung wird ganz klar, welche Bedeutung das ERP-Vermögen für zahlreiche Wirtschaftsunternehmen, aber auch für die wirtschaftliche Position Deutschlands weltweit hat. Wir haben das ERP-Sondervermögen im vergangenen Jahr in die Obhut der KfW-Bankengruppe übertragen. Mit der KfW wurde ein im Bereich Mittelstandsförderung kompetenter Partner mit ins Boot genommen. Durch diese Zusammenarbeit haben wir Effizienzsteigerung und Bürokratieabbau erreicht. Es war trotz der jetzigen Probleme eine richtige Entscheidung. Man darf Managementfehler - die ich an dieser Stelle sicherlich nicht schönreden will - nicht mit grundsätzlicher Inkompetenz seitens der KfW gleichsetzen. Die Herausnahme des ERP-Vermögens aus der KfW, wie sie im FDP-Antrag gefordert wird, wäre die endgültige Bankrotterklärung für die KfW. Das kann und darf nicht unser Ziel sein. Die Auswirkungen des Verkaufs der IKB-Bank an den US-Finanzinvestor Lone Star und der Vorgänge um die insolvente Investmentbank Lehman Brothers führen dazu, dass die KfW im Geschäftsjahr 2008 einen Verlust ausweisen wird. Dies hat auch Auswirkungen auf das ERPVermögen. Um das ERP-Vermögen effektiv für die Wirtschaft zu nutzen, werden für das Fördergeschäft 300 Millionen Euro, für den Substanzerhalt 290 Millionen plus Inflationsausgleich benötigt. 459 Millionen Euro der 590 Millionen Euro sind dabei völlig unabhängig von der Bilanzierung und der Gewinnentwicklung der KfW. Die restlichen 130 Millionen können mangels Gewinn der KfW nicht bereitgestellt werden. Das Bundesfinanzministerium hat vor, eine Umbuchung in Höhe von 300 Millionen Euro zugunsten des ERP-Vermögens vorzunehmen, um dessen Fördervolumen „ungeschmälert“ sicherzustellen. Dabei handelt es sich um ein Darlehen, das zurückgebucht werden soll, sobald das ERP-Vermögen wieder Erträge erzielt. Aus Sicht der KfW wäre diese Situation auch eingetreten, wenn es im vergangenen Jahr die Neuordnung des ERP-Vermögens nicht gegeben hätte. Der KfW-Sprecher sagte, er gehe davon aus, dass die Gesamtförderfähigkeit auf dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre beibehalten werden könne. Der Bundesrechnungshof teilte mit, dass die Förderfähigkeit des ERP-Vermögens mit fester Verzinsung sichergestellt sei, in der Frage des Substanzerhalts jedoch 130 Millionen Euro fehlten. Dass nun 300 Millionen Euro bereitgestellt würden, stelle noch keine „Substanzstärkung“ dar, sondern sei lediglich ein Liquiditätszufluss. Die Alternative zu dem Darlehen sei eine „tatsächliche Kapitalübertragung“ zum Ausgleich von Substanzverlusten. Wir müssen an dieser Stelle überlegen, ob es nicht ein sinnvollerer Weg wäre, das Kapital an das ERP-Sondervermögen zu übertragen und es dort auch zu belassen. Der Vorstandsvorsitzende der KfW Bankengruppe Dr. Ulrich Schröder erklärte: Die KfW hat trotz der weiter verschlechterten Lage an den Kapitalmärkten und der verstärkten konjunkturellen Abschwächung ihre Förderaktivitäten auf hohem Niveau weitergeführt. Wir werden auch weiterhin als wichtiger Finanzierungspartner bereitstehen und gerade im Rahmen der Finanzkrise unseren Aufgaben als größte deutsche Förderbank nachkommen. So wollen wir mithelfen, möglichen negativen Auswirkungen zum Beispiel bei der Kreditvergabe entgegenzuwirken. Und genau das ist es, was wir in der Zeit unsicherer Finanzmärkte brauchen: eine verlässliche Zusammenarbeit und eine breite Förderung. Denn unser vorrangiges Ziel ist und bleibt es, die Investitionsfähigkeit mittelständischer Unternehmen langfristig zu sichern und die Gründung neuer Unternehmen zu unterstützen. Das Fördervolumen und die Förderintensität des ERP bleiben dabei bestehen. Das in der KfW angelegte Sondervermögen bleibt ausdrücklich weiterhin der Wirtschaftsförderung erhalten. Wir wollen mit der Wirtschaftsförderung weiterhin zukunftsorientierte Akzente setzen. Unsere Politik setzt eindeutige Zeichen für nachhaltige Belebung und Stützung der wirtschaftlichen Dynamik im Mittelstand. Die ERP-Förderung von Existenzgründern sowie kleinen und mittleren Unternehmen stärkt den Standort Deutschland und damit die Position im Rahmen des euZu Protokoll gegebene Reden ropäischen und des globalen Standortwettbewerbs. Nicht zuletzt stellt sie einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Beschäftigungsprobleme dar. Denn neue Betriebe und die Ausweitung mittelständischer Unternehmen wirken sich positiv und nachhaltig auf den Arbeitsmarkt aus. Die Finanzierung von betrieblichen Umweltprojekten und neuen Energiequellen leistet einen wichtigen Beitrag für unsere ökologischen Zielsetzungen. Gerade in strukturschwachen Regionen ist das ERP ein wichtiges Fördermittel, besonders für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Diese Ziele haben wir mit dem vereinbarten Konjunkturpaket nachdrücklich unterstrichen. Hier haben wir die Mittel für die KfW ausgeweitet. Um die Kreditversorgung der Wirtschaft und insbesondere des Mittelstands auch bei Engpässen im Bankenbereich zu sichern, wird bei der KfW zeitlich befristet bis Ende 2009 ein zusätzliches Finanzierungsinstrument mit einem Volumen von bis zu 15 Milliarden Euro geschaffen, mit dem das Kreditangebot der privaten Bankwirtschaft verstärkt wird. In diesem Zusammenhang sind auch Haftungsübernahmen durch die KfW von bis zu 80 Prozent und eine Abdeckung des Bankenrisikos der KfW vorgesehen, die durch eine entsprechende Bundesgarantie unterlegt werden. Die EUKommission wird in das Vorhaben eingebunden. Das ist doch genau das, was wir mit unserer Politik erreichen wollen: Wir wollen den Mittelstand stärken und die Menschen in Deutschland am Aufschwung teilhaben lassen.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn es unseren Antrag noch nicht geben würde, dann müsste man ihn jetzt einbringen, denn er war niemals aktueller und dringlicher als zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Warum? Weil Substanz und Förderkraft des ERP-Sondervermögens aufgrund der negativen Geschäftsbilanz der Kreditanstalt für Wiederaufbau ({0}) in diesem und aller Voraussicht nach auch in den nächsten Jahren akut gefährdet sind. Rekapitulieren wir noch einmal: Seit der Neuordnung des ERP-Sondervermögens im Juli 2007 wird die Wirtschaftsförderung nicht mehr durch Darlehen, sondern aus den Erträgen des Sondervermögens finanziert. Für die Mittelstandsförderung wurde eine jährliche Zielgröße von 300 Millionen Euro angesetzt, für den Substanzerhalt jährliche ({1})Erträge von 290 Millionen Euro als notwendig berechnet. Um das vorgesehene Fördervolumen zu sichern, ist der Bund jetzt allerdings gezwungen, dem ERP-Sondervermögen ein Darlehen in Höhe von 300 Millionen Euro zu gewähren; denn es gibt 2008 eine Unterdeckung von 130 Millionen Euro. Im nächsten Jahr ist Ähnliches zu erwarten. Für diesen Kredit wird das ERPSondervermögen Zinsen in noch unbekannter Höhe zahlen müssen, die zusätzlich an seiner Substanz zehren werden. Dass die Situation brenzlig ist, spiegelt sich auch im ERP-Wirtschaftsplan 2009 wider, in dem die Bundesregierung sich bewusst nebulös bzw. gar nicht zu den in künftigen Jahren entstehenden Risiken und Belastungen des ERP-Sondervermögens äußert, was auch der Bundesrechnungshof in einer Stellungnahme ausdrücklich anmerkt und kritisiert. Der Bund war davon ausgegangen, dass die KfW die entsprechenden Beträge für das ERPSondervermögen erwirtschaften könne, ein Traum, der aufgrund der Finanzkrise und vor allem wegen des Engagements der KfW bei der Krisenbank IKB wie eine Seifenblase geplatzt ist. Eine Bedingung für die im Juli 2007 in Kraft getretene Neuordnung des ERP-Sondervermögens war, dass sich seine Substanz und Förderkraft nicht verschlechtern dürfen. Genau dies ist aber eingetreten. Das widerspricht eindeutig dem ERP-Gesetz und ist nicht hinnehmbar. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine solche Entwicklung von Anfang an befürchtet. Deshalb haben wir die Neuordnung des ERP-Sondervermögens immer entschieden abgelehnt. Wir haben kritisiert, dass ohne ersichtlichen Mehrwert mit einer 53 Jahre alten bewährten Praxis gebrochen und die Mittelstandsgelder aus der Verfügungsgewalt des Bundeswirtschaftsministeriums gelöst und dem KfW-Vorstand unterstellt wurden. Aus unserer Sicht bestand der wichtigste Grund dafür darin, dass das Bundesfinanzministerium seinen Einflussbereich ausweiten und über seine „Hausbank“ KfW die Mittelstandsförderung stärker an sich binden wollte. Auch erlaubte es dieser Coup dem Finanzministerium, die Herauslösung von 2 Milliarden Euro aus dem ERPSondervermögen und deren Einstellung in den Haushalt relativ geräuschlos über die Bühne zu bringen. Ein beispielloser Vorgang, der deutlich machte, dass die Bundesregierung keine Hemmungen hat, den bislang immer rigide gehüteten Bestand des ERP-Sondervermögens als Steinbruch zu benutzen, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen. Nun muss der Mittelstand die Suppe auslöffeln, die die Bundesregierung ihm ohne Not versalzen hat. Zwar war das Bundesfinanzministerium sehr eifrig, als es darum ging, dem Bundeswirtschaftsministerium die Oberhoheit über das ERP-Sondervermögen zu entwinden, aber jetzt, wo es gilt, die entstandenen Finanzlöcher zu stopfen, hält sich das Ministerium äußerst bedeckt. Da ist bestenfalls ein Kredit drin, für den wahrscheinlich auch noch saftige Zinsen anfallen. Wie das ERP-Sondervermögen diese Schulden angesichts der eklatanten Ertragsschwäche der KfW wieder loswerden soll, das interessiert Herrn Steinbrück offenbar weit weniger. Wir erwarten vom Finanzminister, dass er nicht wortbrüchig wird und eine Zerschlagung des ERP-Vermögens verhindert. Dazu wird er notfalls auch Kapital an das Sondervermögen übertragen müssen. Wir unterstreichen noch einmal, was wir in unserem Antrag gefordert haben: dass die Neuordnung der ERPWirtschaftsförderung, die sich bereits nach kurzer Zeit erkennbar nicht bewährt hat, wieder rückgängig gemacht wird.

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ERP-Sondervermögen erfüllt eine wichtige Funktion. Es ermöglicht die Ausgabe von zinsgünstigen Krediten an kleine Unternehmen. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr dieses Sondervermögen des Bundes auf die Zu Protokoll gegebene Reden KfW übertragen mit dem Argument, dass es dort besonders gut angelegt sei. Die Operation war mit großen Vorteilen für den Bundeshaushalt verbunden. Da lag die Vermutung nahe, dass den Vorteilen für den Bundeshaushalt entsprechende Nachteile für das Sondervermögen gegenüberstehen würden. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass sich durch das Umsortieren von Vermögenswerten das Gesamtvermögen steigern lässt. Und so kam es dann auch. Die Bewertung des Forderungsvermögens wurde, wie der Bundesrechnungshof feststellte, „politischen Zielsetzungen unterworfen“. Das Bundesfinanzministerium hob stille Reserven in der Bilanz des Sondervermögens und eignete sie sich an, laut Rechnungshof in Höhe von 373 Millionen Euro. Im Zuge der Auflösung von Rückstellungen übernahm der Bund tatsächliche Risiken in Höhe von 437 Millionen Euro und bekam zum Ausgleich 1 Milliarde Euro in bar aus dem ERP-Vermögen. Die Lasten aus der gebündelten Übertragung von Forderungen und Verbindlichkeiten auf den Bund sollten, so war vereinbart, fair geteilt werden. Tatsächlich trägt das Sondervermögen mit 976 Millionen Euro deutlich mehr als der Bund. Die Bundesregierung sagte dennoch verbindlich zu, dass die Substanz des Sondervermögens und seine Förderleistungen erhalten bleiben sollen. Ausgerechnet die Anlage in der KfW sollte die notwendigen Erträge sichern. Daraus wird nun nichts, nachdem die Bundesregierung der KfW erst die Verluste der IKB zugeschoben hat und sie dann dazu bewegt hat, ihre Anteile an der sanierten IKB an einen Finanzinvestor praktisch zu verschenken. Die KfW macht bis auf Weiteres Verlust. Also fehlen dem ERP-Sondervermögen jährlich 130 Millionen Euro. Das Bundesfinanzministerium möchte nun mit einem Kredit über 300 Millionen Euro aushelfen, den das Sondervermögen zurückzahlen soll, wenn die KfW-Anteile einmal mehr Ertrag abwerfen als erwartet. Worauf das hinausläuft, ist völlig klar: Die Verbindlichkeiten des Sondervermögens gegenüber dem Bund werden wachsen, bis die Förderleistung zurückgefahren wird. Da trifft es sich gut, dass dies für die nächsten Jahre ohnehin geplant ist: Nach 300 Millionen Euro Förderleistung im Jahr 2009 soll sie auf 228 Millionen im Jahr 2010 sinken. Es ist genau das eingetreten, was wir befürchtet haben. Wer das ERP-Sondervermögen als Mittel der Wirtschaftspolitik erhalten wollte, konnte der Übertragung auf die KfW nicht zustimmen. Er muss nach den vorliegenden Zahlen dafür sein, die Übertragung rückgängig zu machen. Die Kosten für die komplizierten Finanztransaktionen, die dafür notwendig waren, lassen sich dadurch allerdings nicht wieder hereinholen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Bundesfinanzministerium hat ganze Arbeit geleistet. Zuerst hat es große Teile des ERP-Sondervermögens gegen den Widerstand des Parlaments in die KfW gedrückt. Nur wenige Wochen nachdem das Geld bei der KfW auf den Konten einging, hat es dann die KfW dazu bemüßigt, den Hauptteil der IKB-Lasten zu übernehmen. Damit hat das BMF gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Vordergründig hat das BMF selbst Geld gespart, da ja die KfW statt des Bundes einsprang. Vor allem aber hat das BMF mit dieser Aktion so gut es ging das eigene Versagen in der IKB-Aufsicht übertüncht. Zuständig für die mangelnde Aufsicht war der damalige BMF-Abteilungsleiter Asmussen. Zum Dank für sein Versagen wurde er mittlerweile zum Staatssekretär befördert. Doch zurück zum ERP-Sondervermögen. Dieses hatte das Pech, dass es mittlerweile den größten Teil seines Vermögens in die KfW investiert hatte. Folglich muss es auch einen großen Teil der Verluste tragen. Der Schaden für das ERP-Sondervermögen dürfte zwischen 4 und 4,5 Milliarden Euro betragen. Die Bundesregierung und die KfW tun alles, um diesen Substanzverlust zu übertünchen. Dass dies immer schwerer fällt, zeigen die jüngsten Berichte des Bundesrechnungshofes. Die Berichte zeigen auf, dass die Substanz des ERP-Sondervermögens infrage gestellt ist und dass in den nächsten Jahren ein Rückgang der Förderung zu befürchten ist. Die Tragik für den Mittelstand liegt darin, dass genau dann, wenn die KfW und das ERP-Sondervermögen besonders gebraucht werden, diese staatlichen Geldgeber ausgedörrt sind. Jetzt, zu Beginn der Wirtschaftskrise, sind die wichtigsten Finanzierungsinstrumente weitgehend lahmgelegt. Die Politik des Bundesfinanzministeriums verursacht große Schäden im deutschen Mittelstand, der gerade jetzt auf eine finanzkräftige KfW und ein finanzkräftiges ERP-Sondervermögen angewiesen wäre. Hätten die verantwortlichen Akteure im Bundesfinanzministerium Charakter, würden sie die Verantwortung für den Schaden übernehmen, den sie zu verantworten haben. Aber gerade das wollen sie nicht. Es kommt sogar noch schlimmer: Um von den Fehlern und den Schäden abzulenken, hat das BMF zwar vor einem Dreivierteljahr zugesagt, dass die Schäden, die das ERP-Sondervermögen aus den IKB-Verlusten erleidet, ausgeglichen werden sollen. Selbstverständlich hat man im BMF aber keine Sekunde daran gedacht, dieses Versprechen zu halten. Bis heute liegt dazu noch keine Einigung in der Bundesregierung vor. Es gibt keinen Grund für das Bundeswirtschaftsministerium, dem BMF bei dessen Wortbruch auch noch Hilfestellung zu geben. Das BMF will doch tatsächlich für den Verlustausgleich nur einen Kredit zur Verfügung stellen, den das ERP-Sondervermögen danach brav verzinst zurückzahlen darf. Alle reden im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise von einer Vertrauenskrise, und der Bundesfinanzminister weigert sich, sein Wort zu halten, das er auch gegenüber dem Parlament gegeben hat. Als Folge des Wortbruchs sind wir in der absurden Situation, dass die Unternehmen des Mittelstandes mit verschlechterten Kreditkonditionen und Kreditzugängen einen Großteil der Last der IKB-Verluste tragen müssen. Dies wurde bis heute von keinem politischen Gremium so beschlossen. Aber das sind die Fakten, auch wenn das Zu Protokoll gegebene Reden Bundesfinanzministerium sehr darum bemüht ist, die Tatsachen unter den Tisch zu kehren. Was muss getan werden? Hier muss das Verursacherprinzip gelten. Die verursachten Schäden sind durch das Bundesfinanzministerium zu tragen. Das heißt: Zum einen muss die verloren gegangene Vermögenssubstanz in Höhe von mindestens 4 Milliarden Euro vom Bundesfinanzministerium an das ERP-Sondervermögen übertragen werden. Ein Teil dieser Mittel kann von BMF-Beteiligungen an der KfW auf das ERP-Sondervermögen übertragen werden. Darüber hinaus muss das BMF im Rahmen des ERPGesetzes gesetzlich dazu verpflichtet werden, einen Ausgleich für die Mittel zu leisten, die jährlich weniger zur Verfügung stehen, als dies in der Benchmark, inklusive Inflationsausgleich, vorgesehen war. Nur so kann die Substanz und die Förderung erhalten bleiben. Die Bundesregierung will Hunderte Milliarden für die Finanzmärkte zur Verfügung stellen. Die Stärkung des ERP-Sondervermögens und der KfW hat sie in all der Eile übersehen. Dies muss jetzt korrigiert werden. Das ERP-Sondervermögen wieder aus der KfW herauszulösen, ist zwar im Grundsatz richtig, würde aber angesichts der veränderten Verhältnisse die KfW quasi pleite machen, was auch nicht im Sinne der Mittelstandsförderung sein kann. Die Herauslösung des ERP-Sondervermögens aus der KfW hätte eine drastische Verringerung des Eigenkapitals der KfW zur Folge. Wie die KfW im Falle der ERP-Herauslösung handlungsfähig gehalten werden kann, sagt uns der FDP-Antrag leider nicht. Für die Mittelstandsförderung brauchen wir aber sowohl ein starkes ERP-Sondervermögen als auch eine handlungsfähige KfW. Darauf hat die FDP in ihrem Antrag keine Antwort gegeben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8928 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen - Drucksachen 16/10289, 16/10693 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/10901 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es han- delt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU, Wolfgang Grotthaus, SPD, Dr. Heinrich Kolb, FDP, Dr. Barbara Höll, Die Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, und den Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10901, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/10289 und 16/10693 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10907. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohnungslosigkeit vermeiden - Wohnungslose unterstützen - SGB II überarbeiten - Drucksachen 16/9487, 16/10906 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Maria Michalk, CDU/ CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Katja Kipping, Die Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Heute steht der Antrag der Fraktion Die Linke zur ab- schließenden Beratung an. Seit der ersten Lesung am 16. Oktober 2008 können wir keinen Erkenntnisgewinn verzeichnen, der etwa die Berechtigung dieses Antrages im Nachhinein verdeutlicht. Die Zahl der wohnungslosen 1) Anlage 16 Personen hat einen rückläufigen Trend. Unter anderem hat das in einer verbesserten Beratungsleistung vor Ort seine Begründung. Damit ist eine der Forderungen aus dem Antrag gegenstandslos. Selbstverständlich ist, dass von den handelnden Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden immer und immer wieder hinterfragt wird, ob die Beratungsleistungen quantitativ und qualitativ optimal organisiert sind. Dieser Prozess liegt allein im Handlungsspielraum dort und nicht beim Bundesgesetzgeber. Dass diese Beraterarbeit immer besser organisiert wird, belegt die prognostizierte Zahl von wohnungslosen Kindern und Jugendlichen. Die 2003 prognostizierte Zahl ist nicht eingetreten. Sie hat sich dankenswerterweise halbiert. Dazu hat ein Bündel von Maßnahmen vor allem im SGB-II-Bereich beigetragen, das ich noch einmal zusammenfassen möchte. Erstens. Durch die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltgeräte ist sichergestellt, dass es einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht an den erforderlichen Mitteln fehlen muss, damit er mit den zu seiner Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen in einer angemessenen und mit den notwendigen Einrichtungsgegenständen ausgestatteten Wohnung leben kann. Zweitens. Wohnbeschaffungs- und Umzugskosten sowie eine Mietkaution können bei entsprechender Zusicherung des Grundsicherungsträgers übernommen werden. Dabei wird die Mietkaution in der Regel in Form eines Darlehens erbracht. Dies so umzuwandeln, dass statt eines Darlehens in der Regel Beihilfe gezahlt wird, wie im Antrag gefordert, ist allein aus dem Gleichheitsgrundsatz unmöglich. Denn Arbeitnehmer mit geringem Einkommen, denen auch keine Aufstockung zusteht, wären unproportional belastet. Drittens. Die Unterstützung für die Unterkunft wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen ausgezahlt. Um trotz dieser Regelung das Mietverhältnis durch ausbleibende Mietzahlungen nicht zu gefährden, soll jedoch der zuständige Träger die Kosten für Unterkunft und Heizung ausnahmsweise direkt an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zahlen. Damit ist die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen für Unterkunft und Heizung durch den Hilfebedürftigen gesichert, wenn er es selbst nicht gewährleisten kann. Auch das ist eine soziale Leistung und mit Verwaltungsaufwand auf Kosten des Steuerzahlers verbunden. Ich erinnere auch an die Möglichkeit der Schuldenübernahme. Soweit zum Bereich der Grundsicherung. Verweisen will ich des Weiteren auf die Regelungen zum Wohngeld. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen Absicherung des angemessenen und familiengerechten Wohnens. Zum 1. Januar 2009 tritt die Wohngeldnovelle in Kraft. Die Wohngeldtabellenwerte werden um 8 Prozent und die Miethöchstpreise um 10 Prozent erhöht. Dafür werden insgesamt 520 Millionen Euro aufgewandt. Zukünftig werden erstmals die Heizkosten in pauschalierter Form einbezogen. Damit erreichen wir in Verbindung mit dem reformierten Kinderzuschlag eine spürbare Entlastung für etwa 70 000 einkommensschwache Haushalte außerhalb des Sozialgesetzbuches. Und wie immer ignorieren die Linken den Beschluss der Koalition, die Wohngeldnovelle rückwirkend auf den 1. Oktober 2008 in Kraft zu setzen, damit die Vorteile schon in dieser Heizperiode genutzt werden können. Wohnungslosigkeit ist nicht eine Frage des Angebotes von Wohnungen, sondern oft auch Ergebnis von persönlichen Entscheidungen von Wohnungslosen. Sie haben sich aus unterschiedlichen Gründen zu diesem Leben entschieden. Hier gibt es viele Lebensschicksale. Auch diesen Menschen zu helfen, damit sie Anlaufpunkte haben und Versorgung bekommen, ist eine öffentliche Aufgabe, die in Deutschland sehr ernst genommen wird. Ich möchte diese Debatte dafür nutzen, den vielen sozialen Einrichtungen vor Ort und den ehrenamtlichen Helfern für ihr Engagement zu danken. Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, werden wir auch weiterhin die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe unterstützen, die dieses Jahr rund 240 000 Euro erhält. Zusammenfassend kann man feststellen, dass wir in unserem Land eine Fülle von sozialen Leistungen eingeführt haben, die genutzt werden, Menschen in schwierigen Situationen zu helfen. Die beste Hilfsmöglichkeit ist aber in jedem Fall das Angebot bzw. die Aufnahme einer Arbeit. Auch die Vielfalt der Beschäftigungsmöglichkeiten in den Kommunen ist zu würdigen und muss weiter genutzt werden. Sein Dach über dem Kopf zu haben, ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, dem sich unser Staat in der Verantwortungszuständigkeit unserer föderalen Struktur ausgesprochen intensiv widmet. Deshalb betrachten wir den vorliegenden Antrag als gegenstandslos. Wir werden ihn ablehnen.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Leider ist der Antrag der Linken von der ersten Lesung bis heute nicht besser geworden. Wie auch? Er erweckt nach wie vor den Eindruck, dass das ALG II die Vorstufe zur Wohnungslosigkeit ist. Derartige Ängste zu schüren, ist vollkommen fehl am Platz. Insofern wäre es durchaus angemessen, die Rede vom 16. Oktober 2008 zu wiederholen. Ich will davon absehen und die Zeit nutzen, einiges noch einmal klar zu stellen, was in Ihrem Antrag tendenziös bis unzutreffend formuliert ist. Wir sorgen dafür, dass Menschen nicht wohnungslos werden. Deswegen heißt es im Sozialgesetzbuch, SGB II, § 22 ({0}): „Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Das heißt, der Staat wird in dieser Vorschrift seiner Fürsorgepflicht gerecht. Die Kosten der Unterkunft werden vom Staat getragen, und zwar vollumfänglich in der Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, sofern diese angemessen sind. Sie verlangen Mietschuldenübernahme als Regelfall im SGB II. Für die Sicherung der Unterkunft ist eine Übernahme von Mietschulden im Rahmen des Ermessens möglich, ein Darlehen ebenso. Damit kann sehr wohl Wohnungslosigkeit abgewendet werden. Zu Protokoll gegebene Reden Sie verlangen die komplette Streichung des § 7 Abs. 4, SGB II, und - das sagte ich bereits im Oktober - damit schießen sie weit über ein möglicherweise sinnvolles Ziel hinaus. Das Versagen von Leistungen zur Grundsicherung von Arbeitssuchenden nach einem Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung von länger als sechs Monaten ist sinnvoll geregelt. Gesetzesbegründung und Kommentierung belegen dies. Die besondere Situation wohnungsloser Erwerbsfähiger in stationären Einrichtungen ist nicht der Regelfall. Deshalb ist diese jeweils zu prüfen. Sie können davon ausgehen, dass eine entsprechende Rechtsprechung ganz sicher weder von Parlament noch Bundesregierung missachtet wird. Daraus jedoch eine komplette Streichung des § 7 Abs. 4 SGB II abzuleiten, ist unangemessen. Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Kostenübernahme für alle unter 25-Jährigen, die umziehen - wir haben ihn aus guten Gründen eingeschränkt. Die Zustimmung des Leistungsträgers ist erforderlich, und sie erfolgt bei Bedarf. Diese Einzelfallentscheidungen im Rahmen des Ermessens sind nötig und durch Sozialgerichte überprüfbar. Zu den Sanktionen im Rahmen der Leistungen Kosten zur Unterkunft habe ich in meiner Rede am 16. Oktober 2008 ausführlich den SGB-II-Kommentar zu § 31 Abs. 5 SBG II zitiert. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Dies gilt auch für Ihre Forderung, von Gewalt betroffene Frauen präventiv vor Wohnungsverlust zu schützen. Vielleicht haben Sie die Zwischenzeit genutzt und dazu den Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gelesen und sich über das breite Spektrum an Maßnahmen informieren können. Nun zum Wohngeld: Das Wohngeld leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen Absicherung des angemessenen und familiengerechten Wohnens. Die WohngeldTabellenwerte werden um 8 Prozent und die Miethöchstbeträge um 10 Prozent erhöht. Nicht nur das: Erstmals werden die Heizkosten in pauschalierter Form einbezogen. Mit dem Wohngeld wird in Verbindung mit dem reformierten Kinderzuschlag eine spürbare Entlastung für etwa 70 000 einkommensschwache Haushalte außerhalb des Sozialgesetzbuches erreicht. Zurück zum Anfang Ihres Antrages. Die rückläufigen Zahlen der Wohnungslosigkeit belegen, dass die verstärkte Präventionsarbeit der Kommunen zur Verhinderung von Wohnungsverlust sowie die Integrationsarbeit der Wohnungslosenhilfe ihre Wirkung zeigen. Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden - auch drauf habe ich bereits hingewiesen - werden wir auch weiterhin die Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe unterstützen. Fassen wir zusammen: Die Linke schreibt also ganz richtig, dass die Zahl der Wohnungslosen in den letzten Jahren erfreulicherweise zurückgegangen ist. Diese wirklich erfreulichen Nachrichten versuchen Sie umzumünzen, um bei Arbeitsuchenden Ängste vor Wohnungsverlust zu schüren. Was Sie den Menschen suggerieren ist doch: Erst verlierst du die Arbeit, dann nimmt der Staat dir die Wohnung, und dann kämpft nur noch die Linke für deine Rechte. - Armes Deutschland - wenn das so wäre. Ich halte davon ebenso wenig wie von rosa Brillen. Man muss auf das, was ist, schauen, das Gute erkennen bzw. anerkennen, Schwächen oder Fehler erkennen und besser werden. Das ist mühsamer, das ist schwieriger, aber ehrlicher und am Ende die bessere Politik.

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Niemand möchte, dass Menschen wohnungslos werden. Wir müssen alles dafür tun, dass den Betroffenen die notwendige Unterstützung zuteil wird. Deswegen heißt es auch in § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III: Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Das gilt es zu allererst festzustellen, wenn wir hier über das Problem der Wohnungslosigkeit reden. Das heißt, dass es Wohnungslosigkeit, wie die Fraktion Die Linke sie mit dem vorliegenden Antrag thematisiert, eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn der Staat trägt ja über diese Vorschrift bereits heute die Kosten der Unterkunft, und zwar nicht in begrenzter Höhe in Form bestimmter Sätze, sondern vollumfänglich in der Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, sofern diese angemessen sind. Der Staat wird in dieser Vorschrift des SGB II seiner Fürsorgepflicht gerecht. Dass damit auch Pflichten des Leistungsempfängers verbunden sind, muss selbstverständlich sein. Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Reihe von Maßnahmen, auf die ich gerne im Einzelnen eingehen möchte: Erstens. Zunächst soll im SGB II die Möglichkeit geschaffen werden, dass der Staat bestehende Mietschulden eines Leistungsbeziehers übernimmt. Dies soll künftig als Beihilfe geschehen. Der Antrag argumentiert, Mietschulden seien der dominierende Grund für den Wohnungsverlust. Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit sei nicht nur sozialer und effektiver, sondern auch günstiger als die Reintegration von Wohnungslosen. Es ist richtig, dass Mietschulden die Hauptursache für den Verlust der Wohnung und für Wohnungslosigkeit sind. Ebenso richtig ist, dass es ökonomisch sinnvoll ist, Wohnungslosigkeit von Anbeginn zu vermeiden, anstatt die Folgen zu bekämpfen. Natürlich ist Prävention günstiger als Heilung. Richtig ist aber auch, dass Mietschulden bereits nach heutiger Rechtslage keine Auslöser für Wohnungslosigkeit sein müssen. Laut § 23 Abs. 5 Satz 3 sollen Mietschulden sogar explizit vom Leistungsträger übernommen werden, um drohende Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Dass dies als Darlehen geschieht, schmälert nicht die Wirksamkeit dieses Instruments zur Vermeidung des Wohnungsverlustes. Zweitens. Der Antrag greift die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II auf, nach der Personen von der Leistung ausgeschlossen sind, die sich länger als sechs Monate in einem stationären Aufenthalt befinden. Die Regelung soll gestrichen werden. Tatsächlich sind für den Leistungsausschluss des § 7 die Art der Einrichtung und der UmZu Protokoll gegebene Reden fang der Unterbringung entscheidend. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 6. September 2007, auf die sich die Antragsteller hier beziehen, neue Kriterien für die Prüfung aufgestellt, ob es sich im Einzelfall um eine stationäre Einrichtung handelt. Eine stationäre Einrichtung im Sinne des SGB II liegt nach Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit vor, wenn diese so strukturiert und gestaltet ist, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Untergebrachte, so die Argumentation, ist dann derart zeitlich und räumlich fremdbestimmt, dass er der Integration in den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, wie es das SGB II verlangt. Drittens. Ferner thematisiert der Antrag die Wohnungslosigkeit junger Menschen, die droht, wenn unter 25-jährige Leistungsbezieher von zu Hause ausziehen. In diesem Fall ist laut § 22 Abs. 2 a SGB II zuvor eine Genehmigung des Trägers einzuholen, sofern weiterhin Leistungen bezogen werden wollen. Dass die Linke hier abermals erklärt, die Einholung der Genehmigung sei den betroffenen jungen Menschen nicht zuzumuten und es sei abzulehnen, dass erwachsene Menschen nicht aus freien Stücken einen eigenen Hausstand gründen dürfen, ist nichts Neues. Diese Haltung ist jedoch gleichermaßen bekannt und falsch. Denn worüber reden wir hier? Diejenigen unter 25-Jährigen, die eine eigene Wohnung brauchen und die Entsprechendes rechtzeitig beantragen, werden selbstverständlich Unterstützung erfahren. Dass sie dies zuvor beantragen müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Vom dem Minimum an Eigenverantwortung dürfen wir die Menschen nicht entbinden. Sich als unter 25-Jähriger ohne Einkommen vor dem Abschluss eines Mietvertrages zu fragen, wer die Kosten für die neue Wohnung trägt, ist eine Selbstverständlichkeit. Falls schwerwiegende soziale Gründe oder aber die Eingliederung in den Arbeitsmarkt eine eigene Wohnung erforderlich machen, wird der Träger auf Antrag selbstverständlich die Kostenübernahme erklären. Dies zuvor zu beantragen, ist allerdings nicht nur zumutbar. Es entspricht dem Maß an Eigenverantwortung, das unerlässlich ist, nämlich sich rechtzeitig um seine finanziellen Angelegenheiten selbst zu kümmern, wenn Bedürftigkeit droht oder naht. Viertens. Auch wendet sich die Linke gegen die bestehende Regelung des § 31 Abs. 5 SGB II, der die Möglichkeit vorsieht, auch die Kosten der Unterkunft vollständig zu streichen, weil dies zu Wohnungslosigkeit führe. Es ist klar, dass Wohnungslosigkeit droht, wenn die Kosten nicht länger getragen werden. Doch über die Ursache für die Kürzung der Leistungen geht man leichtfüßig hinweg. Denn erstens gilt die Möglichkeit, die Leistungen einzuschränken, als Ultima Ratio. Und sie gilt nur für den Fall, dass der Betroffene mehrfach seine Pflichten gegenüber dem Leistungsträger verletzt hat. Des Weiteren erlauben auch dann noch die Durchführungsbestimmungen der Bundesagentur für Arbeit, nach Ermessen zu entscheiden und die Leistungen wieder zu gewähren, wenn der Betroffene sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen. Bis hierhin hat es der Leistungsbezieher also selbst in der Hand, die Wohnungslosigkeit abzuwenden. Allerdings muss darüber hinaus auch gesehen werden, dass die Ultima Ratio der Leistungsstreichung ihre Berechtigung hat. Der Staat kann nicht jemanden, der wiederholt gezeigt hat, dass er nicht mit dem Leistungsträger kooperiert, dauerhaft weiterhin unterstützen. Das kann nicht die Lösung sein. Es muss doch jedem verständlich und klar sein, dass auch der größtmögliche Unterstützungswille irgendwann seine Grenzen findet, wenn nicht ein Minimum an Kooperation erfolgt. Dass mit fehlender Kooperation die Wohnungslosigkeit quasi in Kauf genommen wird, ist eine traurige Erkenntnis. Aber den Staat hier der Sanktionsmöglichkeit zu berauben, ihn gleichsam wehrlos zu machen, ist der falsche Weg. Fünftens. Schließlich erklärt die Linke, dass für Wohnungslose spezielle Beschäftigungs-, Aus- und Fortbildungsangebote vorzuhalten seien. Das ist richtig, insofern man hierbei oftmals mit komplexen Problem- und Härtefällen zu tun hat, die einer maßgeschneiderten und persönlichen Hilfe bedürfen. Allerdings zieht der Antragsteller hieraus die Folgerung, es müsse auf Sanktionsmaßnahmen und repressive Angebote verzichtet werden. Die FDP hält dies für falsch, wie ich oben bereits ausgeführt habe. Wo der Staat Leistungen erbringt, muss er in letzter Konsequenz auch das Recht haben, diese zu kürzen, wenn der Betroffene nicht kooperiert. Es bleibt die zentrale Aufgabe des Sozialstaates, sich um die Bedürftigen zu kümmern. Dieser Aufgabe werden die bestehenden Regelungen gerecht. Mit der Übernahme der Mietkosten durch den Leistungsträger ist eine Absicherung ausreichend gegeben. Auch darf nicht vergessen werden, dass das Hauptaugenmerk auf dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt liegen muss.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kurz vor Weihnachten werden die Medien wieder über sie berichten und dabei viel Mitleid erregen. Kurz vor Weihnachten wird so mancher in den eigenen Geldbeutel greifen, um mit einer Spende ihre Not etwas zu lindern. In der kalten Jahreszeit wird es für sie besonders hart. Die Rede ist von den rund 250 000 Menschen in diesem Land, die wohnungslos sind. Doch Wohnungslosigkeit ist nicht nur um die Weihnachtszeit für diejenigen, die davon betroffen sind, ein Problem. Ursprünglich hatte ich gehofft bei einem Thema, welches existenzielle Not betrifft, sei eine fraktionsübergeifende Zusammenarbeit möglich, und hatte versucht, Vertreter und Vertreterinnen der Koalition für einen gemeinsamen Antrag zu gewinnen. Leider bisher erfolglos. Die Linksfraktion im Bundestag hat deswegen nun einen eigenständigen Antrag zum Thema Wohnungslosigkeit in den Bundestag eingebracht. Darin geht es um zweierlei: erstens um die Vermeidung von Wohnungslosigkeit und zweitens um bessere Teilhabe für Menschen, die bereits wohnungslos sind. Meist bedürfte es gar nicht viel, um Wohnungslosigkeit zu verhindern. So sieht das Gesetz bereits heute die Möglichkeit vor, dass Mietschulden von Menschen übernommen werden, denen aufgrund dieser Schulden die Wohnungslosigkeit droht. Zu Protokoll gegebene Reden Trotzdem sind 13 Prozent der Wohnungslosen durch Mietschulden wohnungslos geworden. Auch kann bisher nach Gesetz die Übernahme der Mietschulden nur als Darlehen erfolgen, nicht als Beihilfe. Das Problem besteht jedoch darin, dass die betroffenen Personen meist schon verschuldet sind; im Jahre 2006 waren es circa 65,2 Prozent der Wohnungslosen. Eine zusätzliche Verschuldung konterkariert das Ziel der sozialen Stabilisierung. Insofern ist auch eine spätere Rückzahlung des Darlehens nur selten möglich. Deswegen sollte im Notfall die Übernahme der Mietschulden auch als Beihilfe erfolgen können. Das herrschende Sozialgesetzbuch II scheint eher auf die Schaffung als auf die Vermeidung von Wohnungslosigkeit geeicht. So sieht das Sozialgesetzbuch II vor, dass bei Sanktionen gegen Erwerbslose auch die Kosten der Unterkunft gekürzt werden können. Hier sind Mietschulden vorprogrammiert. Diese Sanktionsmöglichkeit gehört also sofort abgeschafft, da sie dem Ziel der Vermeidung von Wohnungslosigkeit zuwiderläuft. Zentrale Auslöser des Wohnungsverlustes bei Frauen lauten „Trennung vom Partner“ - 25 Prozent - sowie akute Gewalt des Partners - 14 Prozent -; diese spezifischen Gründe müssen beachtet werden. Deswegen ist eine ausreichende Infrastruktur an Hilfeangeboten und hilfeleistenden Einrichtungen wie Frauenhäuser zur Verfügung zu stellen. Auch Menschen, die wohnungslos sind, können Arbeitsangebote unterbreitet werden. Entscheidend ist jedoch, dass diese Tätigkeitsangebote freiwillig sind und den konkreten Lebensumständen der Betroffenen angepasst werden. Wo Sanktionen drohen, ist eine soziale Stabilisierung nur schwer möglich. Sanktionen für die Gruppe der Wohnungslosen sind in besonderer Weise kontraproduktiv und daher abzuschaffen. Weiterhin hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe beobachtet, dass das Personal bei den Trägern des SGB II bislang nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Wohnungslosen bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohten Personen vorbereitet ist. Die Erfahrungen, die in den Kommunen seit den späten 80er-Jahren mit dem Konzept der „Zentralen Fachstelle“ gemacht wurden, müssen in eine analoge Praxis in die Strukturen des SGB II integriert werden. In diesem Zusammenhang ist auch sicherzustellen, dass Meldungen der Amtsgerichte über Räumungsklagen unverzüglich bei den zuständigen Stellen ankommen und Wohnungslosigkeit vermeidende Aktivitäten auslösen. Dies ist nur eine kleine Auswahl von sinnvollen Schritten zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit bzw. zur Verbesserung der Situation von Wohnungslosen. Diese und weitere Schritte umzusetzen, ist sowohl ein Gebot der Menschlichkeit als auch der Wirtschaftlichkeit. Ist ein Mensch erst einmal wohnungslos geworden, bedarf es so viel mehr an Energie und Mittel, um diesen Zustand zu verbessern. Christdemokraten und Sozialdemokraten wären also gut beraten, sich dieses Problems anzunehmen, nicht nur in der Weihnachtszeit. Zum Schluss eine alarmierende Zahl aus dem Statistikbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe vom Oktober 2008: Über 42 Prozent der Wohnungslosen klagen über einen schlechten Gesundheitszustand. Die Praxisgebühr und Zuzahlung für Medikamente und medizinische Leistungen gehören abgeschafft; denn sie verursachen in nicht geringem Maße eine mangelnde Gesundheitsversorgung der Wohnungslosen, weil die Befreiung von der Praxisgebühr und der Zuzahlungspflicht erst nach großen bürokratischen Hürden, die für Wohnungslose schwer überwindbar sind, gewährt wird. Die Linke hat diese Praxisgebühr als auch die Zuzahlungspflicht schon immer wegen ihrer ungerechten und selektierenden Wirkung heftig kritisiert. Die Einschätzung des Gesundheitszustandes der Wohnungslosen bestätigt uns in dieser fundamentalen Kritik. Es besteht also ein massiver politischer Handlungsbedarf, wohnungslosen Menschen Teilhabe und eine Gesundheitsversorgung zu ermöglichen sowie prinzipiell Wohnungslosigkeit zu überwinden und präventiv zu vermeiden; denn Wohnungslose haben einen großen Wunsch nach den eigenen vier Wänden. Über 70 Prozent wünschen sich eine eigene Wohnung, für sich und für ihre Partner.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Von Obdachlosigkeit Betroffene sind in vielfacher Hinsicht vom gesellschaftlichen Leben und den Leistungen des Sozialstaats ausgeschlossen. Nicht wenige müssen ihr Leben dafür lassen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gilt deshalb: Jeder Obdachlose ist einer zu viel. Verglichen mit dem Wohnungslosen-Hoch von 530 000 Personen im Jahr 1998, fällt der Rückgang von 254 000 Personen im Jahr 2006 zwar deutlich aus. Der Trend abnehmender Obdachlosigkeit geht aber nicht - wie es der Kollege Schiewerling von der CDU/CSUFraktion meint - auf politisches Engagement und die besonders für diese Zielgruppe geeigneten Regelungen im SGB II zurück. Im Gegenteil: Der Rückgang von Obdachlosigkeit ist vielmehr auf eine deutlich spürbare Entspannung am Wohnungsmarkt zurückzuführen, für die wiederum der demografische Wandel und eine verringerte Zuwanderung ursächlich sind. Der Rückgang ist außerdem der gezielten präventiven Arbeit durch soziale Träger und besonders engagierter Großstädte - wie zum Beispiel der Stadt Köln - zu verdanken, die trotz der Widrigkeiten in der Sozialgesetzgebung des Bundes, Obdachlosigkeit verhindern oder beenden konnten. Nach wie vor besorgniserregend ist die Zahl der von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht davon aus, dass weitere 235 000 Menschen im Arbeitslosengeld-IIBezug akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Diese latente Bedrohung für viele Arbeitslosengeld-II-Beziehende ist zu einem großen Teil auf neue, verschärfende Regelungen der schwarz-roten Koalition zurückzuführen. Bereits in der ersten Lesung des hier zur Debatte stehenden Antrages haben Bündnis 90/Die Grünen deutlich gemacht, dass sie besonderen Handlungsbedarf bei den jungen Erwachsenen im Arbeitslosengeld-II-Bezug seZu Protokoll gegebene Reden hen. Der Anteil junger von Wohnungslosigkeit bedrohter Erwachsener nimmt überproportional zu. Dieser Trend wurde durch das SGB-II-Fortentwicklungsgesetz der Bundesregierung mit verursacht, denn mit diesem Gesetz wurden nicht nur die Sanktionsregelungen im Arbeitslosengeld II, sondern auch die Möglichkeiten für unter 25-Jährige zur Gründung eines eigenen Haushalts deutlich eingeschränkt. Es gibt also keinen Grund, sich beim Thema Obdachlosigkeit zurückzulehnen, wie es offenbar die Koalitionsfraktionen und Bundesarbeitsminister Scholz tun. Leider leben viele der obdachlosen jungen Menschen in so zerrütteten Familien, dass sie das Leben auf der Straße oder in ungesicherten Wohnverhältnissen dem Leben in der Familie vorziehen. Die Beiträge der Kollegen von der CDU/CSU und der FDP zu diesem Antrag lassen jedes Gespür für die Lebenswirklichkeit der von Obdachlosigkeit betroffenen Jugendlichen vermissen. Statt junge Erwerbslose zu qualifizieren und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, treiben Sie mit Ihrer Sanktionspolitik die jungen Menschen in Kriminalität und Obdachlosigkeit. Die Fraktion Die Linke schlägt sinnvolle Maßnahmen vor, die Bündnis 90/Die Grünen zu großen Teilen bereits in ihrem Antrag vom 4. April 2006 „Hartz IV weiterentwickeln - existenzsichernd, individuell, passgenau“ - Drucksache 16/1124 - gefordert haben. Die Vorschläge der Linken sind allerdings in einigen Punkten änderungsbzw. ergänzungsbedürftig: Dies gilt insbesondere für die Sanktionsbestimmungen nach dem SGB II für Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre, die unbedingt flexibilisiert und entschärft werden müssen. Die entsprechende Regelung im SGB II ist in eine Ermessensvorschrift umzuwandeln, die die Rücknahme der Sanktion bei einer Verhaltensänderung ermöglicht, denn um eine Verhaltensänderung bei einem jungen Erwachsenen bewirken zu können, muss dieser die Gewissheit haben, dass ein Wohlverhalten zu einer sofortigen Rücknahme der Sanktion führt. Die jetzige von der Großen Koalition eingeführte Sanktionsregelung wird zu Recht von den Betroffenen als reine Schikane empfunden. Außerdem müssen von Sanktionen nicht nur - wie Die Linke es fordert - die Kosten der Unterkunft unberührt bleiben. Keinesfalls darf der Grundbedarf, der zum Leben notwendig ist, angetastet werden. Das Zustimmungserfordernis des kommunalen Trägers für alle Umzüge von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre, das von der Großen Koalition mit dem sogenannten SGB-II-Fortentwicklungsgesetz eingeführt wurde, bedeutet ebenfalls einen Rückschritt gegenüber der von Rot-Grün auf den Weg gebrachten Hartz-IV-Reform. Auch hier gehen wir Grüne über die Forderung der Fraktion Die Linke hinaus, die diese Regelung lediglich modifizieren möchte: Wir fordern, dass junge Erwachsene, auf eigenen Beinen stehen können müssen und bei Hilfebedürftigkeit grundsätzlich nicht wieder auf ihr Elternhaus zurückverwiesen werden dürfen. Sie müssen - wie im ursprünglich von Rot-Grün eingeführten Arbeitslosengeld II vorgesehen - einen Anspruch darauf haben, einen eigenen Haushalt zu gründen. Deshalb ist diese Regelung zu streichen. Um den besonderen Bedürfnissen von Obdachlosen gerecht zu werden, muss die organisatorische Schnittstelle zwischen Jobcenter und Kommune verbessert werden: Die Jobcenter müssen sich fachlich und organisatorisch auf die besonderen Bedürfnisse von Obdachlosen einstellen. Richtig ist der Vorschlag der Linken, „zentrale Fachstellen“ für die Belange von Wohnungslosen einzurichten. Anders als Die Linke es fordert, sollten diese jedoch nicht nur für Arbeitslosengeld-II-, sondern auch für Sozialhilfe-Beziehende rechtskreisübergreifend eingerichtet werden. Insbesondere in Großstädten ist eine besondere Organisationsform erforderlich, die auch präventiv gegen Obdachlosigkeit agiert. Es wird in der Regel nicht ausreichen, Obdachlose von einem speziell geschulten Sachbearbeiter zu betreuen. Wir Grüne schlagen vor, nach dem Vorbild des Kölner Modells der Obdachlosenhilfe eine besonders spezialisierte Organisationseinheit für das Fallmanagement von Obdachlosen und von Obdachlosigkeit bedrohter Menschen in Großstädten zur Pflicht zu machen. Diese speziellen trägerübergreifenden Einheiten für Wohnungslose sollten sowohl für präventive Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit als auch für die akute Hilfe zuständig sein. Um nachhaltig Obdachlosigkeit zu vermeiden, sollte die Begleichung von Mietschulden als Beihilfeleistung des Jobcenters - wie die Linken es vorschlagen - an die Einschaltung einer Schuldnerberatung gekoppelt sein. Unabhängig von diesen Verbesserungen im Detail weist der Vorschlag der Linken in die richtige Richtung. In jedem Falle besteht dringender Handlungsbedarf mit Blick auf eine Anpassung der Bestimmungen für das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe auf die besonderen Bedürfnisse von Obdachlosen und von Obdachlosigkeit bedrohter Menschen. Auch um diesen Handlungsbedarf zu unterstreichen, stimmt meine Fraktion diesem Antrag zu.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10906, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9487 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Unterstützter Beschäftigung - Drucksache 16/10487 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/10905 - Berichterstattung: Abgeordneter Hubert Hüppe Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Hubert Hüppe, CDU/CSU, Gabriele Lösekrug-Möller, SPD, Dr. Erwin Lotter, FDP, Dr. Ilja Seifert, Die Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und den Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10905, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10487 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von der Fraktion Die Linke, der SPD, der CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wirtschaftliche Dynamik fördern - Gewerbeanmeldungen entbürokratisieren - Drucksache 16/9338 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Andreas Lämmel, CDU/CSU, Dr. Rainer Tabillion, SPD, Rainer Brüderle, FDP, Sabine Zimmermann, Die Linke, Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten heute in erster Lesung den FDP-Antrag „Wirtschaftliche Dynamik fördern - Gewerbeanmeldun- gen entbürokratisieren“. Für meine Fraktion und als Vor- sitzender der Mittelstandsvereinigung der sächsischen Union möchte ich betonen, dass ich das grundsätzliche Ziel einer möglichst bürokratiearmen und schnellen Ge- 1) Anlage 17 werbeanmeldung unterstütze. Allerdings teile ich die Zustandsbeschreibung durch die FDP, wonach gewerberechtliche Anmelde- und Zulassungsverfahren „in der Regel durch einen hohen Verwaltungsaufwand, unüberschaubare Verfahrensstrukturen, unterschiedliche Kompetenzen und zum Teil Doppelzuständigkeiten sowie einen unverhältnismäßigen Zeitaufwand gekennzeichnet“ seien, in dieser Allgemeinheit nicht. Für den weit überwiegenden Teil aller Gewerbe ist lediglich die Gewerbeanzeige nach § 14 Gewerbeordnung erforderlich; eine spezielle gewerberechtliche Prüfung erfolgt nicht. Für diese Gewerbeanzeige ist nur ein Vordruck auszufüllen, der vom kommunalen Gewerbeamt bestätigt wird und danach behördenintern anderen Behörden ganz oder teilweise zugänglich gemacht wird. Bei persönlichem Erscheinen ist die Anzeige in fünf Minuten erledigt; elektronische oder schriftliche Anzeigen dauern etwas länger. Die Behörde ist darüber hinaus verpflichtet, innerhalb von höchstens drei Tagen den Empfang der Anzeige zu bestätigen. Nach meiner Kenntnis ist dies die kürzeste Frist, die in Verfahren für den Beginn eines Berufes gesetzlich vorgegeben wird. Natürlich gibt es auch Gewerbe, die wegen einer besonderen Überwachungsbedürftigkeit und aufgrund sozialpolitischer Notwendigkeiten weiteren Zulassungsschranken, insbesondere Erlaubnissen, unterworfen sind. Dies betrifft bestimmte Betriebe, die sich auf den Handel mit Gebrauchtwaren spezialisiert haben, sowie zum Beispiel Detekteien, Partnervermittlungen, Betrieb von Reisebüros und Schlüsseldienste. Das Bundeswirtschaftsministerium achtet aber darauf, dass diese zusätzlichen Zulassungsschranken nur für möglichst wenige Gewerbe gelten. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie erwähnen in dem Antrag das Beispiel eines reisenden Gewerbetreibenden, der in einer Fußgängerzone Waren von einem vorübergehend ortsfesten Verkaufsstand anbieten will. Diese reisegewerbliche Tätigkeit setzt nach § 55 Gewerbeordnung die Erteilung einer bundesrechtlichen Erlaubnis in Form der Reisegewerbekarte voraus. Eine solche Reisegewerbekarte, einmal ausgestellt, gilt dann aber bundesweit und nicht nur für den speziellen Ort X, wo sich die Fußgängerzone befindet. Dass für diese Fußgängerzone noch eine straßenrechtliche Genehmigung nach dem jeweiligen Landesstraßen- und Wegegesetz erforderlich ist, liegt schlicht an der verfassungsrechtlichen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern für unterschiedliche Sachverhalte. Bei der straßenrechtlichen Genehmigung geht es nämlich nicht um die grundsätzliche Eignung des Gewerbetreibenden für eine reisegewerbliche Tätigkeit sondern um die Frage, ob er seinen Stand zum Beispiel in einer Fußgängerzone, wo auch Busverkehr herrscht, tatsächlich aufstellen darf oder nicht. Auf eine Erlaubnis dafür kann leider nicht verzichtet werden, denn diese besonderen Umstände kann die Reisegewerbekarte nicht vorhersehen. Der Bundesgesetzgeber könnte hier außerdem, selbst wenn er wollte, wegen der erwähnten Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen auch keine Aufgabenkonzentration bei der Genehmigung festlegen. Insofern taugt das von Ihnen angeführte Beispiel nicht besonders gut, um generell einen hohen Verwaltungsaufwand bei Gewerbeanmeldungen zu belegen. Lassen Sie mich nun die fünf Forderungen, die die FDP in ihrem Antrag stellt, der Reihe nach durchgehen. Zuerst zur Nummer eins, die Bundesregierung solle die Bürokratiebelastung der Wirtschaft durch die Gewerbeordnung evaluieren, und zur Forderung Nummer zwei, sie solle in diesem Bereich weitere Maßnahmen zum Bürokratieabbau umsetzen. Dies ist längst geschehen. Die Informationspflichten der Wirtschaft, die in der Gewerbeordnung enthalten sind, wurden im Rahmen der Standardkostenmessung vollständig ermittelt. Als Ergebnis dieser Prüfung sind mit dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz unter anderem Erleichterungen bei der Reisegewerbekartenpflicht und beim automatisierten Datenabruf von Daten aus der Gewerbeanzeige umgesetzt worden. Im Dritten Mittelstandsentlastungsgesetz, welches sich momentan im parlamentarischen Verfahren befindet, sind weitere Erleichterungen enthalten. So soll zum Beispiel die Anzeigepflicht bei der Aufstellung von Automaten zurückgeführt werden und Bestimmungen zur Anbringung des Namens von Gewerbetreibenden an offenen Betriebsstätten entfallen. Dies hört sich vielleicht etwas kleinteilig an. Aber Bürokratieabbau fängt genau bei diesen Kleinigkeiten an, denn in der Summe sind viele Kleinigkeiten eben keine Kleinigkeit mehr. Unter Nummer drei fordert die FDP die Bundesregierung auf, die gewerberechtlichen Anmeldeverfahren durch Konzentration von Zuständigkeiten zu vereinfachen und zu beschleunigen. Hierzu ist zu sagen: Eine Konzentration von Zuständigkeiten, das heißt Entscheidungskompetenz bei einer einzigen Behörde, ist nur möglich, wenn ein gewisser Sachzusammenhang zwischen den zu entscheidenden Fragen besteht. In vielen Fällen, zum Beispiel bei Normen des speziellen Ordnungsrechts oder des Gesundheitsrechts, werden die Gewerbebehörden in der Regel nicht in der Lage sein, diese Fragen zu prüfen. Ob eine Kommune die Verfahren so gestaltet, dass faktisch eine Konzentration erreicht wird, hängt entscheidend davon ab, wie wirtschaftsorientiert sich die Kommune aufstellt. Im Rahmen der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie werden auch Kontaktstellen eingerichtet, über die Dienstleistungserbringer künftig alle zur Aufnahme ihrer Tätigkeit notwendigen Verfahren und Formalitäten abwickeln können. Die Zuständigkeit für die Einrichtung und Ausgestaltung dieser „Einheitlichen Ansprechpartner“ liegt bei den Ländern. Zum Punkt Nummer vier: Eine elektronische Gewerbeanmeldung, wie sie die FDP fordert, ist bereits jetzt rechtlich zulässig. Hierfür ist - wie auch zum Beispiel beim Einwohnermeldeverfahren - eine elektronische Signatur erforderlich. Die hierfür notwendigen gesetzlichen Änderungen wurden bereits vor einigen Jahren vorgenommen. Bleibt noch die Forderung Nummer fünf, alle gewerblichen Anzeigepflichten zu bündeln. Solche Bündelungen erfolgen bereits. Ich gebe aber zu, in dieser Angelegenheit müssen wir noch weiter kommen. Bislang scheiterte dies jedoch an dem Bestehen anderer Ressorts auf ihrer jeweiligen Vollzugskompetenz. Gleichwohl wird in Zusammenhang mit der Einführung des „Einheitlichen Ansprechpartners“ geprüft, inwieweit die im Vergleich zu anderen Anzeigeverfahren sehr einfache und schnelle Gewerbeanzeige vermehrt auch für andere Verwaltungsaufgaben genutzt werden kann. Notwendig hierfür ist eine verbesserte Vernetzung der Kommunen untereinander und mit anderen Verwaltungsträgern. Ein solches Vorhaben eines übergreifenden Gewerberegisters könnte auch zu einer Verschlankung von Verwaltungsabläufen genutzt werden. Insofern nehmen wir die FDP-Vorschläge als Anregung und Motivation, weiter an dem Thema Bürokratieabbau - auch im Bereich der Gewerbeordnung - dranzubleiben. Wir stellen aber gleichzeitig fest, dass sich die meisten der hier genannten FDP-Forderungen zeitlich überholt haben, weil sie entweder schon umgesetzt worden sind oder sich in Umsetzung befinden. Ich freue mich auf die bevorstehende Diskussion des Antrags in den Ausschüssen.

Dr. Rainer Tabillion (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit ihrem hier zu Debatte stehenden Antrag fordert die FDP, Gewerbeanmeldungen zu entbürokratisieren um die wirtschaftliche Dynamik zu fördern. Sicherlich, wir sind in unserem täglichen Leben von einer Vielzahl von Regelungen und Vorschriften umgeben, sodass der Eindruck von Einschränkungen, Beschränkungen oder gar Behinderungen entsteht. Ebenso ist es auch erwiesen, dass eine Vielzahl bestehender Regelungen hohe Kosten für die Volkswirtschaft verursacht und so die wirtschaftliche Entwicklung behindert. Insoweit möchte ich nicht von der Hand weisen, dass Bürokratieabbau oder Entbürokratisierung wichtige Aufgaben für unsere politische Arbeit sind. Nicht zuletzt hat sich die Große Koalition ja auch zum Ziel gesetzt, die Entbürokratisierung weiter voranzutreiben. Doch nicht jede Vorschrift ist auch wirklich überflüssig. Nicht jede Meldung oder jeder Gang zu einer Behörde ist erlässlich. Vielmehr müssen mit Sorgfalt und Bedacht alle Auswirkungen und Folgen, die eine rechtliche oder administrative Erleichterung bringen kann, berücksichtigt werden. Das Gewerberecht steht normalerweise nicht unbedingt im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, ist aber in der Praxis von hoher Bedeutung, da es erheblichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben hat. Aus dem Polizeirecht heraus hat es sich zu einem selbstständigen Gebiet innerhalb des Wirtschaftsverwaltungsrechts entwickelt und unterliegt der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Grundlage ist die hier zur Debatte stehende Gewerbeordnung ({0}), die vom Grundsatz der Gewerbefreiheit ausgeht und deren Beschränkungen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit unter Berücksichtigung des Arbeitschutzes dienen. Letzte Änderungen hat es durch das Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft ({1}) vom 7. September 2007 erfahren, was ein Beispiel für die fortlaufende Überarbeitung und BearbeiZu Protokoll gegebene Reden tung der bestehenden Regelungen unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaues ist. Um zu zeigen, dass die Forderungen der FDP nicht berechtigt sind, möchte ich im Folgenden kurz verschiedene Fallkonstellationen im Rahmen der Gewerbeanmeldung erläutern. § 14 der GewO verpflichtet jeden, der ein Gewerbe betreiben will, zu einer Anzeige desselben bei der zuständigen Behörde. Zur Bearbeitung der Gewerbeanmeldung wird in den meisten Fällen nur der Personalausweis benötigt, bei Ausländern außerdem die Aufenthaltsgenehmigung. In den Fällen, in denen es sich um juristische Personen handelt, sind noch Gesellschaftsverträge vorzulegen, deren Erfordernis aber mit den Besonderheiten des Gesellschaftsrechts zusammenhängt. Bei erlaubnis- oder handwerkskartenpflichtigen Gewerben muss natürlich noch die entsprechende Erlaubnis oder Handwerkskarte vorgelegt werden. Zweck der Vorschrift des § 14 GewO ist, der zuständigen Behörde Aufschluss über die Zahl und Art der in ihrem Bezirk vorhandenen Betriebe zu geben und eine wirksame Überwachung der Gewerbeausübung zu ermöglichen. Durch die Gewerbeanzeigen werden die zuständigen Behörden insbesondere in die Lage versetzt, bei Bedenken gegen die Zuverlässigkeit oder auch bei Nichterfüllung von sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen gegen den Gewerbetreibenden einzuschreiten. Sie dient einerseits zur Überwachung der Gewerbeausübung und andererseits dem Schutz des Kunden, also den Menschen, mit denen der Gewerbetreibende später zu tun haben wird. Die Gewerbeanmeldung ist in vielen Städten und Gemeinden heute online möglich, das heißt, der Bürger kann seine Unterlagen elektronisch zur Behörde schicken, muss allerdings meistens noch einmal persönlich erscheinen, um eine Unterschrift zu leisten. Da die Frist zur Anzeige, Veränderung oder Beendigung eines Gewerbes sechs Wochen beträgt, denke ich, dass jeder Gewerbetreibende die Möglichkeit haben müsste, ohne allzu großen Aufwand zu seiner zuständigen Behörde zu gehen. Vielfach kann man in den Ämtern auch Termine vereinbaren, sodass die Wartezeit eingeschränkt sein wird. Die Onlineanmeldung soll richtigerweise weiter vorangetrieben werden. Sie hat aber auch Schwächen, nämlich dann, wenn es zum Beispiel um Rückfragen der Behörde geht. Hier erhöht sich der Aufwand einer vollständigen elektronischen Bearbeitung gegenüber der Konstellation, dass der Gewerbetreibende persönlich erscheint und mögliche Probleme besprochen und zeitnah gelöst werden können. Auch muss im Fall der elektronischen Anmeldung sichergestellt sein, dass die Dokumente wirklich vom Unterzeichner stammen. Das kann zwar die elektronische Signatur gewährleisten, deren Verbreitung ist aber noch nicht ausreichend, weil die Kosten zur Anschaffung der Verschlüsselungstechnik noch sehr hoch sind. Auch dauert der Vorgang einer Gewerbeanmeldung nicht so lange, wie gerne behauptet. Innerhalb von drei Tagen nach Eingang der Gewerbeanzeige wird deren Empfang von der Behörde durch einen Durchschlag bestätigt, und der Gewerbetreibende erhält eine Empfangsbestätigung. Diese ist der Gewerbeschein. Die vielfach kritisierten Barrieren in Form von Sachkundeprüfung und Unterrichtung betreffen nur das Bewachungsgewerbe und sind, da es sich hier um einen sensiblen Bereich handelt, auch angesichts der grundrechtlich garantierten Gewerbefreiheit, vertretbar. Auch die anderen in der GewO formulierten Berufsausübungsregelungen dienen dem Schutz der anderen bereits am Markt bestehenden Anbieter, der Sicherung der Qualität sowie dem Schutz des Kunden und sind nicht einem freien Spiel der Kräfte am Markt zu opfern. Eine Bündelung verschiedener mit einer Gewerbeausübung verbundener Verfahren, wie zum Beispiel die eventuelle Notwendigkeit einer baurechtlichen Genehmigung, erscheint mir nicht sinnvoll, da sichergestellt sein müsste, dass die zuständigen Bearbeiter die Sachkunde besitzen, über all die unterschiedlichen Fälle zu entscheiden. Mit der Gewerbeanmeldung sind die Anzeigepflichten gegenüber dem Finanzamt und der zuständigen IHK erfüllt. Zusätzlich muss nur noch eine Meldung bei der Berufsgenossenschaft erfolgen und, wenn ein zulassungspflichtiges Handwerk betrieben wird, eine Meldung bei der Handwerkskammer. Nicht zuletzt die Zahl von 850 000 Gewerbeanmeldungen im Jahr 2007 ist Beweis genug, dass kein potentieller Gewerbetreibender wegen einer zusätzlichen Meldung oder eines Behördenganges von der Gründung einer ihm lohnenden Existenz absieht. Vielmehr verhindern oder bremsen wirtschaftliche Verunsicherung oder restriktive Kreditvergabe an Selbstständige oder bestimmte Berufsgruppen die wirtschaftliche Betätigung. Aus den eben genannten Gründen ist der Antrag der FDP abzulehnen.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In Deutschland herrscht Gewerbefreiheit - jedenfalls im Prinzip. Jeder hat das Recht, ein Gewerbe zu betreiben und Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Ein Gewerbe zu betreiben, ist wirtschaftspolitisch erwünscht. Das sollte der Staat nach Kräften unterstützen. Selbstverständlich muss beim Betrieb eines Gewerbes bestimmten technischen Anforderungen Rechnung getragen werden. Auch soziale Schutzanliegen darf ein Staat verfolgen. Gewerberechtliche Anmelde- und Zulassungsverfahren sind jedoch in der Regel durch einen hohen Verwaltungsaufwand, unüberschaubare Verfahrensstrukturen, unterschiedliche Kompetenzen und zum Teil Doppelzuständigkeiten und einen unverhältnismäßigen Zeitaufwand gekennzeichnet. Das trägt weder berechtigten sozialpolitischen Schutzanliegen wie dem Gesundheitsschutz von Mitarbeitern Rechnung, noch dient es der Vermeidung von Gefahren und dem Schutz des Gemeinwesens. Über Bürokratieabbau, Entschlackung von Vorschriften und Mittelstandsentlastung wird viel geredet, allerdings mehr geredet als gehandelt. Die Bürokratie ist nicht nur außerordentlich lästig, sie ist zu einem richtigen Problem geworden. Mit geschätzten 50 Milliarden Euro an Bürokratiekosten werden die Unternehmen in Deutschland jährlich belastet. Das macht deutlich, dass BürokraZu Protokoll gegebene Reden tieabbau auch ein Standortfaktor ist, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Die erste Begegnung mit der Bürokratie hat ein Gewerbetreibender, wenn er seinen Betrieb eröffnen will, wenn er das Gewerbe anmeldet oder die Erlaubnis beantragt. Das Gewerberecht, die Gewerbeordnung muss deshalb entrümpelt werden. Die Bundesregierung rühmt sich, einiges dafür zu tun. Die Reisegewerbekartenpflicht ist mittlerweile etwas eingeschränkt und für bestimmte Gewerbe vereinfacht worden. Trotzdem bleibt der Aufwand bei der Beantragung einer Gewerbeerlaubnis für viele Gewerbetreibende unverhältnismäßig hoch. Wirtschaftliche Dynamik kann sich nur entfalten, wenn die staatlichen Betätigungsbarrieren, wenn gewerbliche Anmelde- und Zulassungsverfahren auf das wirtschaftlich sinnvolle und sozialpolitisch notwendige Maß zurückgeführt werden. Hier schafft auch der von der Bundesregierung inzwischen beschlossene Entwurf eines dritten Mittelstandsentlastungsgesetzes noch keine Abhilfe. Wir wollen die Barrieren weiter abbauen. Die Gewerbeordnung muss weiter entrümpelt werden. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die bürokratischen Belastungen der Wirtschaft, die sich aus der Gewerbeordnung ergeben, zu überprüfen und auf das wirklich notwendige Maß zu reduzieren. Zum Beispiel sollten die Zuständigkeiten für die gewerberechtlichen Erlaubnisverfahren vereinfacht werden. Es muss ausreichen, wenn sich ein Gewerbetreibender mit der Anmeldung an eine einzige Behörde wendet, bei der die Zuständigkeiten und die Entscheidungskompetenz gebündelt sind. Diese Behörde muss dann zügig entscheiden und die benötigten Dokumente ausstellen. Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie fordert schon einheitliche Ansprechpartner für in- und ausländische Dienstleistungsunternehmen. Sie sollen sicherstellen, dass jeder Erbringer von Dienstleistungen alle Verfahren und Formalitäten über eine einzige Kontaktstelle abwickeln kann. Solche kurzen Verwaltungswege sollte es für alle Gewerbetreibenden geben. Elektronische Gewerbeanmeldungen sollten Standard werden. Dann müssten Gewerbetreibende nicht mehr persönlich bei der Anmeldung erscheinen oder einen Stellvertreter schicken. Stattdessen könnten sie sich online anmelden. Die Entwicklung von Signatur- oder Authentifizierungsverfahren ist weit genug fortgeschritten, sodass eine eindeutige Identifizierung gewährleistet werden kann. Mit der Anmeldung sollten gleichzeitig auch alle Informationspflichten erfüllt werden. Solche Änderungen würden es vor allem Existenzgründern schon deutlich erleichtern, ihr Gewerbe starten zu können. Bürokratieabbau ist und bleibt aber darüber hinaus weiter eine ordnungspolitische Daueraufgabe.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Um uns herum wird die Finanzkrise immer mehr zur Weltwirtschaftskrise. Das Statistische Bundesamt meldet heute für das dritte Quartal 2008 zum zweiten Mal in Folge einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Wir stecken mitten in der Rezession. Und was fällt der FDP dazu ein? Sie will die wirtschaftliche Dynamik fördern, indem - ich zitiere - die Gewerbeanmeldungen „entbürokratisiert“ werden. Das ist wirklich ein ganz besonderes Konjunkturpaket, was Sie da vorlegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Zur wirtschaftlichen Dynamik würde das mit Sicherheit noch weit weniger beitragen als das wirre Paket von Kleinigkeiten, mit dem die Bundesregierung angeblich die Konjunktur stützen will. Aber Ironie beiseite! Natürlich ist es zu begrüßen, wenn neue Unternehmen gegründet werden, insbesondere wenn das nicht aus der Not heraus geschieht, etwa in Form von prekärer Selbstständigkeit. Denn - machen wir uns nichts vor - ein gehöriger Anteil des Wachstums der Selbstständigkeit in den vergangenen Jahren ist genau darauf zurückzuführen, dass Menschen gezwungen wurden, sich als Ich-AG oder Scheinselbstständiger selbst auszubeuten, weil keine vernünftigen Arbeitsplätze angeboten wurden. Solch eine prekäre Selbstständigkeit will die Linke ausdrücklich nicht fördern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was die Linke will, ist, dass mehr sinnvolle, gute Arbeitsplätze entstehen. Und wenn eine Unternehmerin oder ein Unternehmer eine gute Geschäftsidee hat und das Wagnis einer Unternehmensgründung auf sich nimmt, dann begrüßen wir das sehr. Wir sind auch der Auffassung, dass die Probleme, die eine Entstehung neuer Unternehmen und neuer Arbeitsplätze erschweren oder verhindern, analysiert und gegebenenfalls beseitigt werden müssen. Aber um welche Probleme handelt es sich dabei? Was hält potenzielle Unternehmer von der Gründung ab? Die FDP behauptet, Gewerbeanmeldungen seien zu kompliziert. Auch andere „bürokratische Lasten“ hat sie in ihren regelmäßigen Schaufensteranträgen immer wieder kritisiert. Es ist sogar durchaus möglich, dass sich der eine oder andere Gründer über die Formalitäten ärgert, die er zu berücksichtigen hat. Das Hauptproblem ist die Bürokratie allerdings in keinem Fall. In der Regel gibt es für Auflagen und Melderegeln gute Gründe. Sie dienen dem Umweltschutz, der Sicherheit oder anderen gesamtgesellschaftlichen Zielen. Die KfW hat sich im Rahmen ihrer Gründungsmonitorstudie vor einiger Zeit intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Faktoren Unternehmensgründungen in Deutschland behindern. Danach werden - ich zitiere - „als Hauptprobleme bei der Existenzgründung die schlechte konjunkturelle Lage, das hohe finanzielle Risiko sowie die individuell schlechten Erfolgsaussichten auf Grund mangelnder Nachfrage gewertet“. Auch die Angst vor einem sozialen Abstieg bei Scheitern des Unternehmens spielt eine wichtige Rolle. Bürokratische Hürden sind hingegen für zwei Drittel der befragten Gründer wenig bis überhaupt nicht relevant. Die mangelnde Nachfrage ist hierzulande das Problem, liebe Kollegen von der FDP. Schreiben Sie doch einmal einen Antrag mit dem Titel „Wirtschaftliche Dynamik fördern - Binnennachfrage stärken“. Oder noch besser: Schließen Sie sich der Linken an, die genau das schon immer gefordert hat. Kämpfen Sie für höhere Löhne, für eine sozial gerechte Grundsicherung, für anZu Protokoll gegebene Reden ständige Renten! Dann haben die Menschen mehr Geld in der Tasche, die Binnennachfrage wächst und damit auch die Wirtschaft. Gerade in der aktuellen konjunkturellen Situation ist ein solches Umsteuern dringend nötig.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Bundesregierung fehlt ein umfassendes Konzept zum Bürokratieabbau. Zwar hat die Große Koalition mit den zwei beschlossenen und dem in dieser Woche eingebrachten dritten Mittelstandsentlastungsgesetz viele kleinteilige Regelungen auf den Prüfstand gestellt, die jeweils an sich entlastend wirken, ohne einen positiven Effekt oder Nutzen zu haben. Es ist richtig, wenn die Handwerkszählung durch den Rückgriff auf vorhandene Verwaltungsdaten vereinfacht wird, Schausteller in Zukunft kein Umsatzsteuerheft mehr führen müssen oder die Anzeigepflicht bei der Aufstellung von Automaten abgeschafft wird. Das Maßnahmenpaket der Regierung krankt aber insgesamt an der viel zu niedrigen Zielmarke, die sich die Bundesregierung gesetzt hat. Der Normenkontrollrat erfasst allein bundesseitig um die 45 Milliarden Euro Bürokratielasten in Deutschland. Die Belastungen durch Regelungen der Länder oder der Sozialversicherungsträger kommen noch dazu. Mit dem dritten Mittelstandsentlastungspaket will die Große Koalition jetzt eine weitere Entlastung um 76 Millionen Euro schaffen. Das ist deutlich zu wenig. Zum Vergleich: Die Niederlande haben in einer Legislaturperiode die Bürokratielasten um 25 Prozent abgebaut und diesen Prozess bereits 2006 abgeschlossen. Die deutsche Bundesregierung will dasselbe Ziel bis 2011 erreichen. Die Niederlande sind dagegen bereits im Anschlussprozess, die Bürokratielasten nochmals um 25 Prozent zu senken. Das heißt im Klartext: Deutschland hinkt im Vergleich um eine Legislaturperiode hinterher. Selbst die Zielerreichung bis 2011 ist mit den kleinen Schritten, die die Bundesregierung vorschlägt, unsicher. Nach den Erfahrungen in der EU hochgerechnet ist eine Gesamtentlastung, die unter 20 Milliarden Euro liegt, für Deutschland zu klein. Und die wird auch mit dem dritten Mittelstandsentlastungsgesetz sowie den beiden schon beschlossenen Maßnahmenpaketen bei weitem nicht erreicht. Vor diesem Hintergrund weist der FDP-Antrag zwar in die richtige Richtung. Zentrale Bürokratieprobleme wie die Gewerbeanmeldungen drängen und müssten zuvörderst angegangen werden. Eine Bündelung der Zuständigkeiten bei der Gewerbeanmeldung, die Schaffung eines einheitlichen Ansprechpartners oder die elektronische Gewerbeanmeldung machen Sinn. Aber die Problematik des Bürokratieabbaus geht noch weit über das hinaus, was die FDP hier thematisiert. Wir brauchen ein umfassendes Konzept für den Bürokratieabbau, das Ressort für Ressort umgesetzt wird. In den Niederlanden und in Österreich berichten die Fachminister jährlich zu den Haushaltsberatungen über die Erreichung der Bürokratieabbauziele und über neue Ziele, die sie sich setzen. In Deutschland führt der Bürokratieabbau dagegen ein Schattendasein. Dieser Standortnachteil wird, wie bereits an den Bemühungen in den Niederlanden beschrieben, immer mehr wachsen. Darum muss der Normenkontrollrat endlich umfassende Kompetenzen bekommen. Wir brauchen eine ehrliche Durchsicht aller geltenden gesetzlichen Regelungen auf ihre Bürokratielasten hin. Bei der Prüfung durch den Normenkontrollrat muss in Zukunft das Ergebnis eines jeden Gesetzgebungsverfahrens Prüfungsgegenstand sein. Heute ist es nur der Regierungsentwurf, der ins Parlament geht. Entwürfe, die über die Fraktionen eingebracht werden, bleiben bei der Bürokratieprüfung sogar ganz außen vor. Der Normenkontrollrat hat bei der Vorstellung seines diesjährigen Jahresberichtes selbst in deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass die Bemühungen der Bundesregierung beim Bürokratieabbau nicht reichen, und ein Gesamtkonzept eingefordert, das die Abbaumaßnahmen der einzelnen Bundesministerien inhaltlich und zeitlich festlegt. Solange es ein solches Gesamtkonzept nicht gibt, werden Einzelmaßnahmen zum Bürokratieabbau immer nur Stückwerk bleiben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9338 an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Autobahnmautgesetzes für schwere Nutzfahrzeuge - Drucksache 16/10388 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) - Drucksache 16/10897 Berichterstattung: Abgeordneter Jan Mücke - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10898 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Carsten Schneider ({2}) Roland Claus Anna Lührmann Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Wilhelm Josef Sebastian, CDU/CSU, Uwe Beckmeyer, SPD, Jan Mücke, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Winfried Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamenta- rischen Staatssekretärs Achim Großmann.1) Ich weise darauf hin, dass uns zu diesem Tagesord- nungspunkt einige Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung vorliegen.2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver- kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/10897, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10388 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- stimmen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung bei Gegenstimmen der FDP mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Drucksache 16/10488 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({3}) - Drucksache 16/10903 Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Steppuhn - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10904 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Waltraud Lehn Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verstöße gegen den Mindestlohn im Bauge- werbe wirksam bekämpfen - Drucksachen 16/9594, 16/10902 - Berichterstattung: Abgeordnete Gitta Connemann 1) Anlage 18 2) Anlage 7 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Peter Rauen, CDU/CSU, Andreas Steppuhn, SPD, Dr. Heinrich Kolb, FDP, Werner Dreibus, Die Linke, Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des Parlamentarischen Staatssekretärs Klaus Brandner.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein wirksames und durchgreifendes Gesetz mit klaren Regelungen zur Eindämmung der Schwarzarbeit in Deutschland wollen wir heute beschließen. Wir haben dies im Koalitionsvertrag angekündigt, und es ist nun auch höchste Zeit, dies umzusetzen. Denn die wieder ansteigenden Zahlen der Schattenwirtschaft sprechen eine bedenklich deutliche Sprache. Das Volumen der gesamten Schattenwirtschaft in Deutschland - so Friedrich Schneider von der Universität Linz - umfasste 2007 etwa 349 Milliarden Euro. 2006 waren es noch etwa 345,5 Milliarden Euro. Das sind knapp 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts und entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung von Baden-Württemberg. Rein rechnerisch stellt das circa 3 Millionen Vollzeitstellen dar. Ein Drittel davon wäre laut Institut der deutschen Wirtschaft ({0}) in die legale Wirtschaft als reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführbar. Schwarzarbeit verhindert aber nicht nur sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, Schwarzarbeit untergräbt den Wettbewerb und ist Steuerhinziehung und Versicherungsbetrug zulasten aller ehrlichen Angestellten und Unternehmer. Doch leider ist Schwarzarbeit ein Massenphänomen, moralisch teilweise sogar schon akzeptiert und bis in den letzten Winkel der Republik verbreitet. Viele betrachten Schwarzarbeit als die Notwehr des kleinen Mannes gegen zu hohe Steuern und Sozialabgaben. Grund hierfür: Das steile Brutto-Netto-Gefälle. Zwei Drittel der Schwarzarbeiter führen überdies im Hauptjob regulär ihre Steuern ab und werkeln erst nach Feierabend im arbeitsrechtlichen Schattenreich. Dazu kommt noch ein psychologischer Effekt: Je mehr Schwarzarbeiter ein Mensch persönlich kennt, desto weniger verurteilt er Schwarzarbeit als unrechtmäßig. Die vermeintliche Entschuldigung ist so einfach wie falsch: Es mache ja schließlich jeder. Um dieses Phänomen gezielt einzudämmen, wurde 2004 die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ({1}) gegründet. Sie sollte durch die Erfolge ihrer Ermittlungen neben den Präventionseffekten auch 1 Milliarde Euro jährlich der Staatskasse direkt einbringen. Doch der Behörde gelang es nicht einmal, ihre eigenen Kosten wieder reinzuholen. Der Grund ist offensichtlich: Bei den derzeitig bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten ist es abwegig, mit dieser 7 000 Mann starken Einheit den rund 13 Millionen Schwarzarbeitern das Handwerk legen zu wollen. Das Urteil des Bundesrechnungshofes Anfang des Jahres fiel hierzu dann auch eindeutig aus: „Der Gesetzgeber kann nicht davon ausgehen, dass Schwarzarbeit an Attraktivität verloren hat.“ Schwarzarbeit - da sind sich alle einig - wird niemals ganz verschwinden. Denn, wo der Anreiz da ist, unter der Hand zu arbeiten und arbeiten zu lassen, wird es auch immer schwarze Schafe geben. Doch gerade das Volumen der Schattenwirtschaft ist ein deutliches Anzeichen dafür, inwieweit staatliches Handeln gerade in Bezug auf Abgaben und Regulierungen noch angemessen ist. Denn reduzierte man die Bürokratiedichte und damit die Kosten für hiesige Unternehmen auf angelsächsisches Niveau, könnten 500 000 neue Jobs mit einer Wertschöpfung von bis zu 40 Milliarden Euro entstehen. So zumindest folgert das Institut der deutschen Wirtschaft. Auch ermutigt die Tatsache, dass ein Handwerker heutzutage fünf Stunden arbeiten gehen muss, um sich eine reguläre Stunde seines Kollegen leisten zu können, zu vorgeschichtlich anmutendem Tauschhandel nach dem Motto: Du reparierst mein Auto, und ich pflastere Dir Deine Auffahrt. Aus all den genannten Gründen haben wir infolgedessen diesen Gesetzentwurf formuliert, vor allem aber um die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit leichter und effizienter zu gestalten. Gerade für die von Schwarzarbeit besonders betroffenen Branchen sollen klare Regelungen eingeführt werden, die spätere Ausreden bezüglich des Arbeitsbeginns und Unklarheiten bei der Identifikation unmöglich machen. Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf werden wir erreichen, dass künftig jeder neu eingestellte Arbeitnehmer sofort zum Beginn des ersten Arbeitstages bei der Sozialversicherung angemeldet sein wird. Die Sofortmeldung benötigt lediglich vier Angaben: erstens Familien- und die Vornamen, zweitens Versicherungsnummer, soweit bekannt, ansonsten Tag und Ort der Geburt, Anschrift, drittens Betriebsnummer des Arbeitgebers und viertens Tag der Beschäftigungsaufnahme. Dass dies für einige Branchen nicht einfach werden wird, möchte ich nicht verhehlen. Gerade in denjenigen Arbeitsfeldern, in denen viel an Wochenenden und auf die Schnelle Personal akquiriert werden muss - im Gaststättengewerbe, bei Messeaufbauten und natürlich auch bei den Gebäudereinigern - entstehen Probleme, die nicht einfach zu lösen sein werden. Hier baue ich darauf, dass bei der Formulierung der „Gemeinsamen Grundsätze“ zu diesem Gesetz zwischen den beteiligten Ministerien und den Spitzenverbänden der betroffenen Branchen gangbare Lösungen gefunden werden. Jedenfalls macht ein Gesetz nur dann Sinn, wenn es auch praktisch umsetzbar ist. Dies betrifft vor allem die Ausgestaltung der Sofortmeldung auf elektronischem Wege und womöglich die Einrichtung einer Anlaufstelle zur telefonischen Annahme und Umsetzung der Sofortmeldungen. Die bisher häufigste Ausrede bei Kontrollen jedenfalls, man habe eben erst mit der Tätigkeit begonnen und die Meldung erfolge noch, zieht dann nicht mehr. Weiterhin soll das ständige Mitführen von ausreichenden Ausweispapieren in den von Schwarzarbeit besonders betroffenen Wirtschaftsbranchen Pflicht werden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass der Sozialversicherungsausweis keine sichere Identifizierung der entsprechenden Person gewährleisten kann. Dieser Umstand verzögerte die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit enorm und verhinderte eine schnelle und sachgerechte Feststellung legaler bzw. illegaler Beschäftigung. Da auch hier trotz der einzusehenden Notwendigkeit zu Beginn praktische Probleme zu erwarten sind, appelliere ich an den Verordnungsgeber, die Bußgeldbewehrung in diesem Zusammenhang moderat und der Situation angemessen auszugestalten. In Berufsfeldern mit ständig wechselnden Arbeitsorten, bei Tätigkeiten im Freien bei Wind und Wetter wird es insbesondere Beschäftigten aus Nicht-EUStaaten schwer fallen, ihre Ausweispapiere, deren Wiederbeschaffung äußerst umständlich ist, fortwährend parat zu halten. Gleichwohl ist die schnelle und genaue Feststellung der Personalien für einen effizienten Einsatz der Kontrolleure unabdingbar. Um zudem das Abgleichen der erforderlichen Daten zur Kontrolle fortwährend aktuell zu halten, werden in Zukunft die Einwohnermeldedaten durch die entsprechenden Meldebehörden direkt und zentral an die Deutsche Rentenversicherung übertragen. Dennoch sind alles in allem die Beratungen zu diesem Gesetzentwurf leider nicht optimal gelaufen. Die Kürze der parlamentarischen Beratung erscheint mir in Bezug auf die Tragweite der Entscheidung nicht angemessen. Meiner Auffassung nach wäre auch ein noch besseres Einbinden der Spitzenverbände der betroffenen Wirtschaftszweige mit ihren Erfahrungen sinnvoll gewesen. Die Bereitschaft der Verbände jedenfalls war und ist - im eigenen Interesse, gegen Schwarzarbeit vorzugehen vorhanden. Schließlich wird sich in den kommenden Jahren zeigen, inwieweit sich das Gesetz in seiner praktischen Umsetzung als zielführend erweist. Hierauf müssen wir besonderes Augenmerk legen. Immerhin sind die im Gesetzentwurf genannten Maßnahmen Ergebnis einer vorangegangenen Diskussion, die auch zu verschiedenen Kompromissen geführt hat. So wurde auf die geplante elektronische Überwachung von Registrierkassen generell verzichtet. Die Anzahl der Wirtschaftszweige, die als von Schwarzarbeit besonders betroffen gelten, wurde von 16 auf 9 reduziert. Auch wurde die zuerst vorgesehene tägliche Überprüfungspflicht der Mitführung von Personaldokumenten durch den Arbeitgeber durch eine einmalige Aufforderung ersetzt. Um jegliche Möglichkeit einer späteren Ausrede bei eventuellen Kontrollen zu vermeiden, wurde die Formulierung bei der Sofortmeldepflicht auf die Formel „spätestens bei Beschäftigungsaufnahme“ konkretisiert. Fazit: Mit diesem Gesetzentwurf wollen wird den circa 7 000 Mitarbeitern der Finanzkontrolle Schwarzarbeit konkrete Mittel in die Hand geben, um schnell und sichtbar Missbräuche auf dem Arbeitsmarkt zu bekämpfen. Dennoch wird uns eine generelle Eindämmung der Schwarzarbeit erst dann gelingen, wenn wir zuvor die grundlegenden Ursachen dieses Missbrauches bekämpfen. Dies kann als positiver Anreiz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur bedeuten: Runter mit den Kosten der Arbeit und mehr Netto vom Brutto! Zu Protokoll gegebene Reden

Andreas Steppuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003850, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit der heutigen Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze sagen wir Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung in Deutschland den Kampf an. Wir beschließen heute sehr wichtige Maßnahmen, um gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch stärker und effektiver als bisher vorzugehen. Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt, das man so eben unter den Tisch kehren kann. Im Gegenteil: Schwarzarbeit ist - um es sehr deutlich zu sagen - handfeste Wirtschaftskriminalität. Sie schadet dem Allgemeinwohl. Was mich daran am meisten ärgert, ist, dass Schwarzarbeit selbst in einem so wirtschaftlich gut aufgestellten Land wie Deutschland bei vielen Unternehmen, egal welcher Größenordnung, auf der Tagesordnung steht. Gerade die größeren Unternehmen ärgern mich dabei besonders. Denn durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung werden legale Arbeitsplätze zerstört, werden ehrliche Unternehmen geschädigt, und es wird unserer Gesellschaft erheblicher Schaden zugefügt. Wir reden hierbei über volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe, die durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung entstehen - Geld, das nicht nur den Sozialversicherungen fehlt, sondern auch Geld, das für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, für neue Investitionen in Bildung und Forschung oder für Familien nicht zur Verfügung steht. Darum bin ich stolz darauf, dass wir uns als SPD durchsetzen konnten und mit dem vorliegenden Gesetz dazu beitragen, dass Schwarzarbeit sowie illegale Beschäftigung in Deutschland weiter eingedämmt und die Bekämpfung von Schwarzarbeit deutlich erleichtert werden. Für uns als SPD-Fraktion war es seit Beginn dieser Wahlperiode ein entscheidendes Ziel, den Kampf gegen die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung weiter voranzutreiben, die Instrumente zu verbessern und vor allem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in ihrer Arbeit zu stärken. Mit dem vorliegenden Gesetz lösen wir unser Versprechen ein. Sicherlich ist das Gesetz noch nicht der letzte Schritt im Kampf gegen Schwarzarbeit, aber es ist ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Praxis hat uns die derzeitigen Defizite aufgezeigt, und wir haben sie aufgegriffen. Beispielsweise bei dem Punkt der „Feststellung von Personalien bei Kontrolle“ vor Ort. Hier gab es bislang erhebliche Probleme. Die eindeutige Identifizierung der angetroffenen Personen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit konnte nicht immer vorgenommen werden, sei es aufgrund der Aktualität der Daten oder der Nichtmitführung von Dokumenten. Dass eine wirkungsvolle Aufdeckung von Schwarzarbeit aber nur erfolgen kann, wenn sich die Kontrollierten auch ausweisen können, darüber besteht sicherlich kein Zweifel. Daher wird mit dem Gesetz eine Mitführungs- und Vorlagepflicht von Ausweisdokumenten eingeführt. Beschäftigten in Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko zu illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit besteht, müssen künftig Ausweisdokumente verbindlich mit sich führen und sich auf Verlangen auch ausweisen können. Wir nehmen aber nicht nur die Arbeitnehmer in die Pflicht, sondern auch die Arbeitgeber. Sie müssen künftig ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben über die Ausweispflicht nachweislich belehren und diese Unterweisung auch schriftlich belegen können. Neben dieser Problematik hat sich in der Vergangenheit ein zweiter wesentlicher Punkt als schwierig dargestellt: die Meldung zur Sozialversicherung. Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, muss diese bisher nicht vor oder mit Beginn der Beschäftigungsaufnahme erfolgen, sondern erst mit der ersten Lohn- oder Gehaltszahlung. Dies kann bis zu sechs Wochen dauern. Das Problem, das hierbei bestand, war, dass Beamte der FKS oftmals bei Kontrollen zu hören bekamen: Ich habe erst heute mit der Arbeit begonnen oder eine Meldung musste noch nicht erfolgen. Damit konnte die Kontrollbehörde sehr oft nicht feststellen, ob eine Meldung bei der Deutschen Rentenversicherung vorlag bzw. noch erfolgt ist oder ob es sich um einen illegal Beschäftigten handelte. Die im Gesetz enthalte Neuregelung zur Sofortmeldepflicht bei Beschäftigungsaufnahme setzt eine klare Regelung. Die Kontrollbehörde kann mittels eines elektronischen Datenabgleichs zukünftig sofort überprüfen, ob es sich um einen ehrlichen Arbeitgeber handelt, der ordnungsgemäß seine Arbeitnehmer sozialversichert, oder nicht. Zu dem Argument, so etwas kann gar nicht von den Firmen geleistet werden bzw. was geschieht in dem Moment, in dem die Beschäftigungsaufnahme an einem Sonntag oder Feiertag erfolgt: Dieses Argument kann ich beim besten Willen und in Zeiten eines modernen Kommunikationszeitalters nicht nachvollziehen. Denn angesichts dessen, dass es heute in fast allen Unternehmen möglich ist, Sofortmeldungen auch elektronisch vorzunehmen, und zum anderen den Unternehmen eine automatische Ausfüllhilfe vonseiten der Einzugsstelle kostenlos zur Verfügung gestellt wird, dürfte es für die Beauftragten vor Ort, die Arbeitsverträge abschließen, kein Problem darstellen, dies ebenso einfach zu tun. Zudem belasten sie den Arbeitgeber nicht über Gebühr. Im Gegenteil: Durch die Möglichkeit einer zügigen Kontrolle werden auch sie entlastet. Zumal die umfangreiche Anmeldung, das heißt die Meldung aller Daten, wie bisher in einem zweiten Schritt erfolgt: mit der ersten Lohn- und Gehaltsrechnung nach Beschäftigungsbeginn. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang - das dürfte auch im Interesse der Beschäftigten sein - ist die Tatsache, dass mit dieser Sofortmeldung zugleich ein Zugriff der Leistungsträger, zum Beispiel der Unfallversicherungsträger, auf diese Daten ermöglicht wird, um so eventuelle Ansprüche etwa bei Arbeitsunfällen geltend machen zu können. Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung der Übermittlung von Meldedaten durch die Meldebehörden an die Deutsche Rentenversicherung. Dieser Punkt ist ebenso wichtig für die Kontrolle vor Ort. Denn nur wer mit aktuellen Angaben arbeiten kann, kann eine effektive und Zu Protokoll gegebene Reden schnelle Kontrolle sicherstellen. Dies wird aber nicht nur die Arbeit der Beamten vor Ort erleichtern, sondern dies wird auch den Unternehmen zugutekommen. Diese von mir genannten Punkte waren für uns als SPD-Fraktion von hoher Priorität: die sofortige Identitätsfeststellung durch die Mitführungspflicht von Ausweisdokumenten, die Sofortmeldung sowie die Verbesserung der Übermittlung von Meldedaten. Zudem ermöglichen diese Maßnahmen auch eine effektivere Kontrolle von Mindestlöhnen in den Branchen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Dazu gehört, meine Damen und Herren von den Linken, natürlich auch der Baubereich. Denn was nützt es, Mindestlöhne in den Branchen einzuführen, wenn diese nicht wirksam überprüft werden können? Nicht zuletzt deshalb sehen wir als SPD-Fraktion in diesen Maßnahmen einen ersten wichtigen Schritt, gerade auch in einer von Schwarzarbeit stark betroffenen Branche wie der Baubranche die Einhaltung von Mindestlöhnen durchzusetzen und zugleich auch Schwarzarbeit zu bekämpfen. Denn die Kontrollinstanzen werden in die Lage versetzt werden, die Kontrolle über die Einhaltung der Mindestarbeitsbedingungen, wie sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz der Branche vorsieht, auch effektiv und wirksam durchzuführen. Abschließend möchte ich aber noch auf eine weitere Regelung in diesem Gesetzentwurf eingehen. Damit komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion. Sie haben einen Entschließungsantrag formuliert, in dem Sie fordern, die im Gesetz vorgesehene Neufassung der Befreiungsmöglichkeiten von der gesetzlichen Rentenversicherung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV durch das vorliegende zweite SGB-IV-Änderungsgesetz abzulehnen. Hier möchte ich mir doch eine Bemerkung gestatten: Ich freue mich, dass Ihnen das so kurzfristig eingefallen ist und Sie sich in Ihrer Fraktion so gut abstimmen. Nicht nur, dass wir diesen Punkt im Ausschuss für Arbeit und Soziales ausführlich beraten und diskutiert haben, nein, Sie haben selbst dem Änderungsantrag und dem geänderten und jetzt vorliegenden Gesetzentwurf im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 3. November 2008 zugestimmt. Sie können dies gern nachlesen im 100. Protokoll des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Tagesordnungspunkt 3. Nichtsdestotrotz möchte ich auf Ihre Forderung im Entschließungsantrag nochmals eingehen. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie fordern eine Beibehaltung der jetzigen Regelungen der Befreiungsmöglichkeiten von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für Lehrer an nichtöffentlichen Schulen. Wir als SPD-Fraktion teilen diese Auffassung nicht. Wie bereits gesagt, nicht nur, dass wir uns im Vorfeld intensiv mit diesem wichtigen Punkt und dem Anliegen der privaten Schulen auseinandergesetzt haben. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass über die ursprünglich im Gesetz geplante personenbezogene Vertrauensschutzbestimmung eine darüber hinausgehende Vertrauens- bzw. Bestandsschutzregelung aufgenommen wird. Uns war es wichtig, Rücksicht zu nehmen auf die bereits seit längerem von bestimmten Schulen für ihre beschäftigten Lehrer in Anspruch genommenen Alterseinrichtungen. Gerade auch, weil diese für das Fortbestehen auf einen Neuzugang an Mitgliedern angewiesen sind. Das bedeutet konkret, dass auch zukünftig Personen von der Versicherungspflicht befreit werden können, die durch solche Einrichtungen abgesichert werden: Personen, die zwar nicht die verschärften Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in der neuen Fassung ab 1. Januar 2009 erfüllen, wohl aber die bisherigen Voraussetzungen für die Antragsbefreiung erfüllen. Ich denke, hier haben wir einen sehr guten Kompromiss im Sinne der Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der Schulen gefunden. Ihre Anmerkung, man würde diese Lehrerinnen und Lehrer nichtöffentlicher Schulen schlechter stellen, kann ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen. Denn wir sorgen jetzt dafür, dass sie auch im Krankheitsfall abgesichert sein müssen und ebenso einen Anspruch auf Beihilfe haben. Wo, meine Damen und Herren von der FDP, stellen wir an dieser Stelle diese Lehrerinnen und Lehrer schlechter? Das kann nur im Interesse der betroffenen Lehrerinnen und Lehrer sein, um die es im Endeffekt hier ja wohl geht: die soziale Absicherung von Beschäftigten. Mit der Verabschiedung des Gesetzes und den darin enthaltenen Maßnahmen sind wir aber im Kampf gegen die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Uns als SPDFraktion ist bewusst: Dies ist ein erster Schritt. Dies ist aber auch ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Wir stärken die Kontrolle vor Ort. Für eine noch bessere Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung müssen wir aber alle mit ins Boot holen. Dazu gehören auch die Länder. Darum richte ich meinen Appell an dieser Stelle insbesondere nochmals an die Länder. Steigen Sie mit ein ins Boot und ermöglichen Sie mehr Transparenz bei vereinnahmten Geldern und eine bessere Verfolgung und Ahndung von aufgedeckten Straftaten. Unsere Vorschläge haben wir den Ländern bereits mehrfach an anderer Stelle unterbreitet. Nun liegt es an ihnen, dass wir gemeinsam noch besser und noch effektiver gegen Schwarzarbeit vorgehen können.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erstens. Die FDP verurteilt Schwarzarbeit ohne Wenn und Aber. Denn Schwarzarbeit schadet nicht nur der Volkswirtschaft insgesamt, sondern benachteiligt ehrliche Arbeitnehmer und ehrliche Unternehmer gleichermaßen. Allein im letzten Jahr, 2007, sind in Deutschland 348 Milliarden Euro schwarz erwirtschaftet worden. Das war ein Plus von 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Linzer Wissenschaftler Friedrich Schneider führt diesen Anstieg übrigens auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurück. Zweitens. Zur effektiven Bekämpfung der Schwarzarbeit muss man deren Ursachen kennen und bekämpfen. Ebenso entscheidend ist es, die Anreize zur Aufnahme legaler Beschäftigung zu stärken. Und hier hat die Bundesregierung schlicht kontraproduktiv agiert: Steuererhöhung, Beitragssatzerhöhung in allen Bereichen der Sozialversicherung außer bei der ArbeitslosenversicheZu Protokoll gegebene Reden rung und die geplante Einführung von Mindestlöhnen verstärken nicht die Anreize zur Aufnahme einer legalen Tätigkeit, sondern befördern die Schwarzarbeit. Die ausufernde Bürokratie tut ein Übriges dazu. Drittens. Die FDP-Fraktion wird effektive Maßnahmen zur Verhinderung von Schwarzarbeit unterstützen. In der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf habe ich für die FDP-Fraktion deutlich gemacht, dass wir die Maßnahmen Sofortmeldung und Mitführungspflicht von Ausweisdokumenten in schwarzarbeitgefährdeten Branchen ausdrücklich begrüßen. Dies hat die FDP im Übrigen schon länger gefordert. Im FDP-Antrag „Mehr Wettbewerb und Kapitaldeckung in der Unfallversicherung“ vom Oktober letzten Jahres - Bundestagsdrucksache 16/6645 - haben wir uns allerdings darauf festgelegt, dass die Sofortmeldung an die jeweils zuständige Meldestelle, die Krankenversicherung, und nicht die Rentenversicherung zu erfolgen hat. Dies hat den Vorteil, dass den Arbeitgebern nicht noch eine zweite Meldeadresse für die Mitarbeiter vorgegeben wird und somit zusätzliche bürokratische Strukturen geschaffen werden. Sinnvoll ist auch die vorgesehene Aufbewahrungspflicht des Arbeitgebers betreffend die einmalige schriftliche Belehrung der Arbeitnehmer über die Mitführungspflicht der Personaldokumente. Erwägenswert erscheinen mir auch die Hinweise des Deutschen Anwaltvereins. Dies gilt insbesondere für Präzisierungen zur Vermeidung von Unsicherheiten. Zu Recht hat der Deutsche Anwaltverein darauf hingewiesen, dass, wenn es bezüglich der Einführung der Sofortmeldepflicht Unklarheiten gibt, dies zu erheblichen Belastungen aller Beteiligten - Justiz, Unternehmen und Verwaltung - führen kann. Viertens. Zur Benachteiligung von freien Schulen gegenüber konfessionellen und staatlichen Schulen bei der Gründung von Versorgungswerken: Die FDP hat zu den im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen zu den Versorgungswerken von Schulen in privater Trägerschaft einen Entschließungsantrag eingebracht. Wir sehen keinen Anlass, weshalb es Lehrern an nichtöffentlichen Schulen und Anstalten künftig nur noch dann möglich sein soll, sich von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen, wenn sie entweder an nichtöffentlichen Schulen beschäftigt sind, die vor der abschließenden Lesung des Gesetzentwurfs Mitglied einer Versorgungseinrichtung geworden sind, oder die den verschärften Bedingungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI neuer Fassung genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf schränkt die Befreiungsmöglichkeit einer Vielzahl von Lehrern an nichtöffentlichen Schulen unzulässig ein. Es sollen künftig nur solche Lehrer sich von der Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen können - Antragsbefreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI für Lehrer und Erzieher an Privatschulen -, die über eine beamtenähnliche Absicherung verfügen. Dies ist aber bei Versorgungseinrichtungen privater Schulen gerade nicht gegeben. Hier sei auch darauf hingewiesen, dass Schulen in privater Trägerschaft, wie beispielsweise die Waldorfschulen, andere gewachsene Vergütungsstrukturen aufweisen. Hinzu kommt, dass es die Finanzsituation den Schulen oft nicht erlaubt, neue Vergütungsstrukturen einzuführen. Die FDP fordert, auch künftig Lehrern den Eintritt in solche Versorgungswerke ohne unüberwindbare Hindernisse zu ermöglichen. Diese Hürden sind nicht geeignet, die Altersversorgung der betroffenen Lehrer und Erzieher zu verbessern. Denn Versorgungswerke an nichtöffentlichen Schulen bieten bereits heute eine ausreichende bzw. sehr gute Absicherung ihrer Lehrer. Durch das Entfallen eigener Versorgungswerke und den Verweis auf die gesetzliche Rentenversicherung ist zu befürchten, dass Schulen in privater Trägerschaft gegenüber staatlichen Schulen benachteiligt werden, die eine Absicherung nach Beamtenrecht vorsehen. Bei den Beratungen im zuständigen Ausschuss am vergangenen Mittwoch wurde in diesem Zusammenhang seitens des Ministeriums darauf verwiesen, dass es seit 1995 die sogenannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Rentenversicherung einerseits und den Versorgungswerken andererseits gebe und hier nur eine Fortschreibung erfolge. Dem ist entgegenzuhalten: Die im Gesetzentwurf enthaltene Regelung ist nicht mit der sogenannten Friedensgrenze aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vergleichbar, mit der festgelegt wurde, wer sich in berufsständischen Versorgungswerken statt in der gesetzlichen Rentenversicherung versichern lassen kann. Denn der Kammerzwang der jeweiligen Berufsgruppe zum 1. Januar 1995, der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 a SGB VI als Voraussetzung für eine Befreiung von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung verankert ist, umfasste tatsächlich bereits vor 1994 alle Berufsgruppen der freien Berufe. Durch diese Regelung sollte nur ausgeschlossen werden, dass sich noch weitere Berufsgruppen zusätzlich zu den bereits befreiten Berufsgruppen von der Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Es gilt aber, dass auch nach 1995 beispielsweise von Ärzten, Anwälten und Architekten noch Versorgungswerke gegründet werden können. Entsprechend muss auch weiterhin an nichtöffentlichen Schulen die Gründung von Versorgungswerken möglich sein. Zum Antrag der Linken: Die in ihrem Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen taugen nicht zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Die Maßnahmen sind ineffektiv, zu bürokratisch, zu teuer. Und für mich der entscheidende Punkt: Sie sind zum Teil schädlich und dazu angetan, auch reguläre Arbeitsplätze zu vernichten. Es ist nicht zielführend, ehrlichen Unternehmen zusätzliche bürokratische Belastungen aufzuerlegen, um die schwarzen Schafe zu bekämpfen. Dadurch werden die seriösen Firmen mit zusätzlichen Kosten belastet. Wir brauchen effektive, unbürokratische und realistische Maßnahmen, um illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit und Lohndumping zu bekämpfen. Die Bauwirtschaft braucht keine neuen Belastungen durch bürokratische Hürden. Zur wirksamen Bekämpfung der Schwarzarbeit gehört, nach den Ursachen und Gründen dafür zu suchen. Ein nicht unwesentlicher Grund ist die zu hohe Steuerund Abgabenlast, die mit dafür verantwortlich ist, dass Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nicht zurückgehen, sondern eher noch zunehmen. Die Kosten für leZu Protokoll gegebene Reden gale Arbeit sind um ein Vielfaches höher als die für illegale Arbeit. Die Senkung der Lohnzusatzkosten ist sicherlich das wirksamste Mittel zur Bekämpfung von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Dumpinglöhnen. Darüber hinaus ist ein flexibles Tarifrecht, damit sich die Löhne an der Produktivität orientieren können, dringend geboten. Ideologisch motivierter Populismus ist der falsche Weg und überaus schädlich. Deshalb lehnt die FDPFraktion den Antrag der Linken ab.

Werner Dreibus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003749, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind kein Kavaliersdelikt, sondern ein absolut ernst zu nehmendes Problem. Es kann nicht angehen, dass Unternehmen sogenannte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung als Lohndumpingstrategie einsetzen, um die Zahlung von Tarif- und Mindestlöhnen zu umgehen. Diese Unternehmen gefährden zigtausende reguläre Arbeitsplätze und schwächen die Sozialversicherungskassen. So zahlen wir am Ende alle für den Extraprofit, den diese skrupellosen Unternehmen durch den Einsatz von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung herausholen. Das ist nicht hinnehmbar! Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesregierung endlich zwei wichtige Maßnahmen ergreift, die meine Fraktion bereits vor der Sommerpause in dem Antrag „Für eine wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen den Mindestlohn im Baugewerbe“ gefordert hat. Die Verpflichtung zur Sofortmeldung zur Sozialversicherung und die Mitführungspflicht von Personaldokumenten am Arbeitsplatz sind zwei wichtige Schritte, um die Kontrollen zu vereinfachen und den Kampf gegen den Einsatz von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung zu effektivieren. Diese Maßnahmen reichen jedoch noch nicht aus. Meine Fraktion stellt deshalb heute den Antrag „Für eine wirksame Bekämpfung von Verstößen gegen den Mindestlohn im Baugewerbe“ ebenfalls zur Abstimmung. In der Baubranche gelten bereits seit Jahren Mindestlöhne. Und der Mindestlohn ist ein Erfolg! Er sorgt nicht nur dafür, dass die Beschäftigten im Baugewerbe im Gegensatz zu Millionen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in anderen Branchen ein auskömmliches Einkommen haben. Er hat auch zehntausende Arbeitsplätze erhalten. Da sind sich die Spitzenverbände der Bauwirtschaft und die IG Bauen-Agrar-Umwelt ({0}) einig. Trotzdem gibt es immer wieder Verstöße gegen den Mindestlohn, oftmals durch den Einsatz von Schwarzarbeit oder illegaler Beschäftigung. Aber es gibt auch konkrete Vorstellungen zu wirksamen Gegenmaßnahmen. Meine Fraktion hat in Gesprächen mit Vertretern der Arbeitgeber und der IG BAU eine Reihe praktikabler und wirksamer Maßnahmen für den Schutz des Mindestlohns in der Baubranche identifiziert, die Sie alle begründet in unserem Antrag wiederfinden. Dazu gehört, dass die zuständige Kontrollbehörde „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ eine deutlich bessere Sachmittelausstattung erhält und ihr Personal umgehend auf 8 000 Stellen aufgestockt wird. Nur so wird sie in die Lage versetzt, ihren umfassenden Kontroll- und Ahndungsaufgaben tatsächlich auch gerecht werden zu können. Und dazu gehört auch, dass die Sanktionen bei Verstößen so gestaltet und angewendet werden, dass sie auf die Unternehmen eine deutlich abschreckendere Wirkung entfalten. In diesem Sinn erwarten wir von der Verschärfung der Generalunternehmerhaftung und dem sofortigen Ausschluss der Unternehmen, bei denen Verstöße gegen Mindestlohnvorschriften oder der Einsatz von Schwarzarbeit oder illegaler Beschäftigung festgestellt werden, deutliche präventive Effekte. Gehen Sie die weiteren Schritte, die im Kampf gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung notwendig sind! Sichern Sie den Mindestlohn im Baugewerbe! Stimmen Sie für unseren Antrag!

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schwarzarbeit bedeutet Steuerhinterziehung, Sozialversicherungsbetrug und Arbeitsplatzklau. Da, wo Schwarzarbeit blüht, wird reguläre Beschäftigung verdrängt. Deshalb muss Schwarzarbeit ein Riegel vorgeschoben werden. Das hat auch etwas mit fairem Wettbewerb zu tun. Um Schwarzarbeit deutlich einzudämmen, muss es vorbeugende Maßnahmen, effektive Kontrollen und wirksame Strafen geben. Im Ziel sind sich alle Fraktionen im Bundestag einig. In der Frage, wie diese Ziele erreicht werden können, liegen die Differenzen. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung halten wir auch nach den vorgenommenen Modifizierungen in wesentlichen Punkten nicht für praxistauglich. Darüber hinaus bleiben wichtige Bereiche, die zum Abbau von Schwarzarbeit beitragen können, weiterhin außen vor und werden von der Bundesregierung bisher nicht in Angriff genommen oder sogar abgelehnt. Ich möchte das an wenigen Beispielen erläutern: Ja, eine Meldefrist von sechs Wochen bei der Sozialversicherung lädt geradezu zum Missbrauch ein. Die jetzt vorgesehene Sofortmeldung bei der Sozialversicherung ignoriert aber die Gegebenheiten in vielen Arbeitsbereichen, in denen kurzfristig an den Wochenenden und am Abend eingestellt wird. Die betroffenen Unternehmen haben deshalb den Vorschlag gemacht, die Meldepflicht auf den Beginn des ersten Werktages nach Beschäftigungsaufnahme zu legen. Das ist vernünftig. Die Union hat dies bei der ersten Beratung auch so gesehen, aber es wurde keine praxistaugliche Modifizierung des Gesetzentwurfes vorgenommen. Ja, die kontrollierten Personen auf den Baustellen, im Gastgewerbe oder in Reinigungsfirmen müssen für die Prüfer identifizierbar sein. Aber die Mitführung von Personaldokumenten bedeutet für viele Menschen, die in den betroffenen Branchen beschäftigt sind, ein unzumutbares Risiko. Ausländerinnen und Ausländer haben leider zu Recht große Angst vor dem Verlust ihrer Papiere. Manchmal ist die Wiederbeschaffung schlicht unmöglich, und aufenthaltsrechtliche Probleme sind die Folge. Auch hier hatte die Union in der ersten Beratung angekündigt, brauchbare Alternativen zu erarbeiten. Das ist aber nicht geschehen. Damit Schwarzarbeit wirksam unterbunden werden kann, muss nicht nur die Kontrolle einfacher und besser werden. Auch die Folgen für die Unternehmen, denen Schwarzarbeit nachgewiesen wird, müssen spürbar und Zu Protokoll gegebene Reden abschreckend sein. Geldstrafen, die verhängt werden, müssen auch gezahlt werden, und Unternehmen, die bei Schwarzarbeit erwischt werden, müssen zukünftig von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden können. Wir haben gestern über den Gesetzentwurf der Grünen zur Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters debattiert. Ein solches Korruptionsregister brauchen wir auch, um zu verhindern, dass Unternehmen, die auf Schwarzarbeit setzen und so fairen Wettbewerb untergraben, bei der nächsten öffentlichen Auftragsvergabe wieder berücksichtigt werden. Die Einrichtung eines bundesweiten Korruptionsregisters ist auch dafür ein wirksames Instrument, wurde aber von der Union bisher immer blockiert. Insgesamt müssen die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt so gesetzt werden, dass faire Löhne gezahlt werden und dass legales Arbeiten attraktiv ist. Auch darum schlagen wir Mindestlohnregelungen vor, die die Besonderheiten in den einzelnen Branchen und Regionen berücksichtigen, und auch darum fordern wir eine gezielte und deutliche Entlastung der unteren Einkommen bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Letzteres bedeutet für die Unternehmen eine deutliche Entlastung bei den Lohnnebenkosten und für die Beschäftigten mehr Netto vom Brutto. Damit wird Schwarzarbeit vorgebeugt. Insgesamt ist das, was die Bundesregierung zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vorgelegt hat, weder praxistauglich noch ausreichend. Darum lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind in Deutschland nach wie vor verbreitet und fügen dem Gemeinwesen schweren Schaden zu. Die Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung hat daher - da weiß ich mich mit Ihnen allen einig - weiterhin hohe Priorität. Mit dem Aktionsprogramm „Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ hat die Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen. Mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf werden wesentliche Punkte des Pakets umgesetzt. In der Prüfungspraxis hatte sich gezeigt, dass sich bei der Meldung zur Sozialversicherung Unklarheiten ergeben können, da die Meldungen bisher nicht vor oder mit Beginn der Beschäftigung abzugeben sind, sondern mit der ersten Lohn- und Gehaltsabrechnung. So ist bisher eine abschließende Klärung des Sachverhalts durch die Kontrollbehörden vor Ort vor allem dann nicht möglich, wenn eine Meldung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht oder noch nicht vorliegt. Ein weiteres Problem stellt bislang die Schwierigkeit dar, Personalien festzustellen, um Personen, die überprüft werden sollen, eindeutig zu identifizieren. Mit den Maßnahmen des vorliegenden Gesetzentwurfes werden diese Probleme angepackt: Maßnahme Nummer eins ist die Einführung der Sofortmeldepflicht spätestens bei Beschäftigungsaufnahme. Sie ermöglicht es den Behörden, vor Ort schnell und zweifelsfrei festzustellen, ob das Beschäftigungsverhältnis der Sozialversicherung gemeldet wurde. Liegt in den neun Branchen, in denen ein erhöhtes Risiko für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung besteht, für einen Beschäftigten keine Meldung in der Stammsatzdatei der Rentenversicherung vor, ist das als ein klarer Hinweis auf Schwarzarbeit zu werten. Auch die Berufsgenossenschaften der Unfallversicherung erhalten im Leistungsfall Zugriff auf die Stammsatzdatei, um bei Schwarzarbeit den Arbeitgeber in Regress nehmen zu können. Maßnahme Nummer zwei ist die Einführung einer Mitführungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumenten bei der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen in den neun betroffenen Branchen. Schon heute müssen bei der Überprüfung insbesondere ausländischer Arbeitnehmer Personaldokumente vorgelegt werden, um die betreffende Person eindeutig identifizieren zu können. In Zukunft werden auch die Arbeitgeber mit in die Verantwortung genommen. Sie müssen ihre Beschäftigten schriftlich über die Mitführungs- und Vorlagepflicht von Personaldokumenten belehren. Diese Belehrung wiederum muss aufbewahrt und gegebenenfalls vorgelegt werden können - andernfalls drohen Bußgelder. Maßnahme Nummer drei zielt auf eine bessere Qualität der Anschriftendaten, die im Verdachtsfall einen eindeutigen Abgleich der Personendaten mit den Daten der Versichertenkonten bei der Rentenversicherung ermöglichen. Aus diesem Grund erhalten die Träger der Deutschen Rentenversicherung über ihre Datenstelle zukünftig aktualisierte Anschriftendaten, die von den Meldebehörden bei Geburt, Anschriftenänderung oder im Sterbefall übermittelt werden. Mit dieser zentralen Übermittlung der Anschriftendaten können die besonderen Meldungen der Arbeitgeber in den Fällen einer Anschriftenänderung entfallen. Das vorgesehene Verfahren senkt die Bürokratiekosten erheblich: Die Meldebehörden der Kommunen wie auch die Rentenversicherungsträger werden um geschätzt rund 180 Millionen Euro im Jahr entlastet - vor allem, weil nach der Umstellung die bisher notwendigen, aber kostspieligen Einzelaufklärungen entfallen. Neben den skizzierten Maßnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit sieht der vorliegende Gesetzentwurf zwei Neuregelungen vor, die den Bereich der Altersvorsorge betreffen. Punkt eins betrifft die staatliche Förderung privater Altersvorsorge. Durch eine Ergänzung im SGB XII unterstützen wir hilfebedürftige und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen beim Aufbau einer Riester-Rente. Die Beiträge für eine solche Altersvorsorge werden durch die Sozialhilfe übernommen. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Regelung zur Begrenzung der Versorgungswerke für Lehrerinnen und Lehrer an Privatschulen. Eine Bestandsschutzregelung nimmt hier Rücksicht auf Einrichtungen, die bereits seit längerem in Anspruch genommen werden und für ihr Fortbestehen auf Neuzugänge angewiesen sind. Durch diese Regelung sind auch die Ansprüche der Versicherten in diesen Versorgungswerken geschützt. Zu Protokoll gegebene Reden

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 36 a. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10903, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10488 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen, um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10908. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltungen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Tagesordnungspunkt 36 b. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10902, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9594 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Investitionszulagengesetzes 2010 ({0}) - Drucksachen 16/10291, 16/10496 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 16/10886 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10917 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Otto Fricke Alexander Bonde Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Simone Violka, SPD-Fraktion. ({4})

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über ein Förderinstrument, das eigentlich Erfolgsinstrument heißen müsste. In 19 Jahren gab es so manchen Versuch der Förderung. Vieles war erfolgreich, anderes nicht. Aber das Investitionszulagengesetz gehört auf jeden Fall zu den gelungenen Versuchen. Auch wenn es spät ist - ich hoffe, dass viele vor den Fernsehern sitzen -, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei den Unternehmerinnen und Unternehmern, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Gewerkschaft und ebenso bei den vielen zumeist ehrenamtlich arbeitenden Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern zu bedanken, die in den vergangenen 19 Jahren neben den finanziellen Mitteln das meiste zum Aufbau Ost beigetragen haben. Wir sprechen in dieser Zeit, so auch heute, über den Aufbau Ost und den Stand der deutschen Einheit, und es wird viel darüber geredet, was noch nicht so funktioniert. Aber ich halte es auch für wichtig, zu sagen, dass vieles geschaffen wurde. ({0}) Ich will als Sächsin in diesem Zusammenhang auf Folgendes hinweisen: In den neuen Ländern haben wir insbesondere im Hinblick auf alternative Energien aus den Chancen, die uns gegeben wurden, unglaublich viel gemacht. Ich erinnere nur an Solarworld in Freiberg und an Roth & Rau in Hohenstein. Inzwischen sind in Ostdeutschland viele gute und neue Unternehmen ansässig, bei denen viele Menschen in Lohn und Brot stehen und die den Menschen in der Region eine Perspektive geben. Wer sich Gedanken darüber macht, ob es überhaupt einen idealen Zustand gibt bzw. wann er erreicht ist, muss ehrlich sein und sagen: Einen idealen Zustand gibt es in Deutschland nirgendwo, weder im Osten noch im Westen noch im Norden noch im Süden. Das hat etwas mit Entwicklung zu tun. Natürlich hatten wir im Osten des Landes erst einmal viel nachzuholen; das ist nach wie vor so. Allerdings ist bei uns auch viel passiert. Ich möchte nicht darüber nachdenken, in welchem Zustand sich zum Beispiel unsere Kanalisation heute befinden würde, hätte es die Wende und die folgenden Investitionen nicht gegeben. ({1}) Als ich ein Kind war, gehörten massive Rohrbrüche vor allen Dingen im Winter zum täglichen Bild. Wenn manch einer einwendet, dass das vielleicht etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, und darauf hinweist, dass die Winter heute nicht mehr so hart wie früher sind, muss ich sagen: Ich glaube nicht, dass dies die Gründe sind; denn damals lag vieles im Argen. Es fand ein unglaublicher Raubbau an der Substanz statt, dessen Folgen erst einmal bewältigt werden mussten. Wer glaubt, 19 Jahre hätten ausreichen müssen oder können, um diesen Rückstand wettzumachen, der sollte einmal intensiv darüber nachdenken, dass dieser Rückstand sozusagen 40 Jahre Zeit hatte, sich aufzubauen. Zu den Ursachen dieses Rückstands gehören nicht nur der Raubbau an Material und zum Teil am Menschen, sondern auch, dass bewusst kein Mittelstand zugelassen wurde, dass innovativen Betrieben, die sich hätten erweitern können, die Verstaatlichung drohte, sobald sie eine gewisse Mitarbeiterzahl überschritten, sodass in diesem Bereich praktisch keine Entwicklung stattfand. Man kann nicht davon ausgehen, dass Menschen, die 40 Jahre lang unter solchen Rahmenbedingungen einen Betrieb führen mussten, von heute auf morgen zu hervorragenden Unternehmern werden, die sich darüber hinaus - das kommt noch hinzu - in einem neuen System zurechtfinden mussten, was sie schlicht und ergreifend nicht konnten, weil ihre Lebensbedingungen dies nicht hergaben. In Anbetracht dessen muss man wirklich sagen: Es ist super, was die Leute aus dieser Situation gemacht haben. ({2}) Ich möchte noch einmal auf den Faktor Zeit zu sprechen kommen. Ich sage immer: Das ist wie beim Abnehmen. Zu viele Kilos hat man schnell drauf. Will man aber nachhaltig und vor allen Dingen auf gesunde Art und Weise wieder schlank werden, dauert das seine Zeit. Wie beim Abnehmen muss man auch beim Aufbau Ost von Zeit zu Zeit überprüfen, welche Maßnahmen gut sind und deshalb fortgesetzt werden sollten und welche inzwischen nicht mehr zeitgemäß und somit „ungesund“ sind. Die Investitionszulage, die wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, hat sich als gutes Instrument erwiesen und sich bewährt. Deshalb ist es gut und richtig, dass sie auch nach 2009 weiterhin zur Verfügung steht. Natürlich hat auch dieses Gesetz Schwächen. Wenn man ehrlich ist, muss man sich allerdings fragen: Welches Gesetz hat denn keine Schwächen? Ich bin politisch nicht bereit, ein Gesetz, von dem Menschen profitieren, wegen ein paar Schwächen, die in keinem Verhältnis zu seinen Stärken stehen, preiszugeben. ({3}) Zu den Schwächen dieses Gesetzes gehören nach wie vor die Mitnahmeeffekte. Mitnahmeeffekte gibt es allerdings überall, wo gefördert wird. Man kann sie nicht verhindern, ohne die Menschen, die auf das Gesetz angewiesen sind, ihrer Existenz zu berauben. Dem gegenüber stehen Rechtssicherheit, Schnelligkeit und vor allen Dingen eine unbürokratische Abwicklung. Diese Aspekte haben dieses Förderinstrument so beliebt gemacht. Das sind Stärken, die wahrlich nicht jedes Förderinstrument vorweisen kann. Daher ist sehr zu begrüßen, dass es mit dem jetzt zu verabschiedenden Investitionszulagengesetz 2010 ein Nachfolgegesetz für das Investitionszulagengesetz 2007, welches Ende des Jahres 2009 ausläuft, gibt, welches die Förderung auch nach 2009 möglich macht und die geförderten Maßnahmen bis 2013 sicherstellt. Trotz aller Freude will ich nicht verschweigen, dass das nicht selbstverständlich war, nicht wegen der Einstellung der Bundesrepublik zu diesem Gesetz, sondern wegen Brüssel. Schon als es um das Investitionszulagengesetz 2007 ging, waren intensive Verhandlungen in den zuständigen Brüsseler Stellen, die diesem Förderinstrument eher skeptisch gegenüberstanden und ihm nach wie vor skeptisch gegenüberstehen, notwendig. Mein Dank gilt an dieser Stelle all jenen, die das jetzt zur Abstimmung stehende Gesetz durch intensive Gespräche und durch Überzeugungsarbeit in den Verhandlungen in Brüssel ermöglicht haben. ({4}) Das war natürlich nicht ohne Kompromisse machbar. Eine Forderung aus Brüssel war die Festschreibung eines Endpunktes der Förderung und eines degressiven Verlaufs der Fördersätze. Dieser Forderung wird durch die Ausgestaltung des vorliegenden Investitionszulagengesetzes 2010 Rechnung getragen. Allerdings haben wir im Ausschuss deutlich gemacht, dass für uns in dieser Angelegenheit noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Sollte 2011 festgestellt werden, dass die Wirtschaftskraft im Fördergebiet noch immer weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt, muss die Degression noch einmal auf den parlamentarischen Tisch und auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. ({5}) Dadurch haben wir für den Osten viel gewonnen. Anstatt den Zugeständnissen nachzuweinen, sollten wir bis 2013 das Beste daraus machen. Dank dem Entgegenkommen Brüssels wird mit dem Investitionszulagengesetz 2010 auch die Förderlücke abgeschafft werden können. Das wird möglich, weil die Europäische Kommission am 6. August 2008 eine Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung verabschiedet hat, wonach eine Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen im D-Fördergebiet, also in Berlin, weiterhin möglich ist. Vorher war eine Förderung in diesem Gebiet auf bis Ende 2008 begonnene Investitionsvorhaben beschränkt. Dadurch wurde ein nahtloser Übergang der Förderung für alle Gebiete ermöglicht. Neu ist auch, dass kleine Unternehmen jetzt stärker gefördert werden. Für Erstinvestitionen bei kleinen Unternehmen beträgt die Investitionszulage 20 Prozent der Bemessungsgrundlage, und für mittlere Unternehmen beträgt sie zukünftig 10 Prozent. Auch damit wird einer Forderung aus Brüssel Rechnung getragen. Aufgrund der Fördersummen haben wir alle Chancen auf weitere gute Ergebnisse. Neben anderen Förderinstrumenten wollen wir auch mit diesem Gesetz weiter Unterstützung leisten. Durch die Beträge wird deutlich, dass es sich bei dieser Unterstützung um ganz schöne Brocken handelt und nicht um kleine Möhrchen, von denen heute früh schon gesprochen wurde. Durch die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes wird es zu folgenden Förderungen kommen: Im Jahre 2011 sind es über 550 Millionen Euro, im Jahr 2012 über 770 Millionen Euro, im Jahr 2013 über 540 Millionen Euro, im Jahr 2014 über 315 Millionen Euro, und im Jahr 2015 sind es wegen der degressiven Ausgestaltung, die 2011 aber noch einmal überprüft werden soll, noch einmal 90 Millionen Euro. Das Investitionszulagengesetz 2010 ist ein gutes Gesetz. Es ist eine gute Nachricht für die Unternehmer - vor allem aus Mittelstand und Handwerk -, die diese Förderung bereits in der Vergangenheit gern und oft in Anspruch genommen haben. Es werden natürlich noch weitere Mittel freigesetzt, weil mit jedem Euro Fördergeld natürlich auch Eigeninvestitionen verbunden sind, was gerade in dem Bereich der mittelständischen und kleinen Betriebe zu unglaublich großen Kräften für die heimische Wirtschaft führt. Wir haben uns im Verfahren aber nicht nur mit der Degression, der Förderlücke und den Fördersummen beschäftigt, sondern auch die Forderungen und Wünsche der verschiedenen Verbände und Unternehmerinnen und Unternehmer angehört und sie, wenn es ging, auch berücksichtigt. Soweit es möglich und politisch gewollt war, ist es gelungen, dementsprechende praxisnahe Veränderungen herbeizuführen. Beispielhaft möchte ich die konstruktiven Vorschläge des Zentralverbands des Deutschen Handwerks nennen. Einigen der zentralen Punkte ihres Wunsches auf Veränderung konnten wir folgen, und ich bin mir sicher, dass diese Veränderungen in unser aller Interesse sind. Wir stimmen heute über ein gutes Gesetz ab, das hilft, Deutschland in Gänze und damit die ostdeutschen Länder im Besonderen weiter nach vorne zu bringen. Deshalb fordere ich Sie auf: Machen Sie mit, stimmen Sie zu, und schaffen Sie in den neuen Bundesländern bis 2013 weitere Chancen, damit wir die deutsche Einheit endlich auch auf wirtschaftlichem Sektor vollenden können! ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt, FDPFraktion. ({0})

Christian Ahrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003729, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sie zu so später Stunde noch hiergeblieben sind! Die FDP wird dem Investitionszulagengesetz 2010 zustimmen. Wir halten dies nach wie vor für wichtig. Der Aufholprozess in den neuen Bundesländern ist nicht abgeschlossen. Es gibt nach wie vor die Situation, dass vor allem die kleinen und Kleinstunternehmen in den neuen Bundesländern Schwierigkeiten haben, über ihre Eigenkapitalausstattung Investitionen zu finanzieren. Hier war die Investitionszulage in den letzten Jahren ein sicherer und kalkulierbarer Faktor, der gerade jetzt, da man angesichts der Finanzmarktkrise, in der wir uns befinden, über den wirtschaftlichen Abschwung nachdenken muss, im Osten stabilisierend wirken und dadurch weiterhin dazu beitragen kann, dass Investitionen im Mittelstand getätigt werden. Gleichwohl - das muss man an dieser Stelle auch sagen - könnte man die Rede auch mit den Worten „Alle Jahre wieder“ beginnen; denn das Investitionszulagengesetz ist ein Gesetz, dessen Gültigkeit alle zwei Jahre verlängert wird. Damit wird ein Stück weit auch gezeigt, wie schwierig es ist, eine einmal gewährte Subvention wieder abzubauen. Der Kollege Hettlich hat es in seiner letzten Rede gesagt: Es gibt keine wirklich sinnvolle Untersuchung darüber, ob die Investitionszulage zu den Effekten und Erfolgen geführt hat, die wir alle konstatieren. ({0}) Zu einem Erfolg hat sie geführt: Sie hat zumindest dazu geführt - das habe ich schon in der letzten Rede zu diesem Thema angeführt -, dass das Finanzministerium in Mecklenburg-Vorpommern staatsanwaltschaftlich durchsucht wurde, weil dort jahrelang Missbrauch mit Kerngebietsbescheinigungen betrieben wurde, was zu einem entsprechenden Abfluss von Investitionszulagen auf durchaus unberechtigter Weise geführt hat. Insofern muss man sich - wenn man das Gesetz alle zwei Jahre verlängert - die Frage stellen, ob es langfristig so weitergehen kann. Auch wenn man nicht an den Solidarpakt II, zu dem das Gesetz gehört, herangehen möchte, ist es fraglich, ob die Investitionszulage letzten Endes das erreicht, was wir uns davon versprechen. Gleichwohl käme die Diskussion jetzt zum falschen Zeitpunkt. Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt geführt werden müssen, wenn wir die wirtschaftlichen Krisenzeiten, die jetzt auf uns zukommen, hoffentlich erfolgreich überstanden haben. Die mittelständischen Unternehmer in den neuen Bundesländern brauchen die Investitionszulage. Vor diesem Hintergrund stimmt die FDP dem Gesetzentwurf zu. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition arbeitet auf vielen Gebieten reibungslos zusammen, so auch auf dem Gebiet der Investitionszulage. Das zeigt sich auch daran, dass die Kollegin Violka mehr oder weniger meine Rede vorgetragen hat. Wir haben unabhängig voneinander mehr oder weniger denselben Text verfasst. Ich kann mich deshalb auf ei20128 nige zusätzliche Anmerkungen beschränken und darf im Interesse der anwesenden Kollegen verkünden, dass ich keineswegs gedenke, die Redezeit voll auszuschöpfen. Ich möchte mit dem Dank an die Bundesregierung beginnen. Wir beschließen die Nachfolgeregelung für das Investitionszulagengesetz 2007. Die Bundesregierung hat frühzeitig auf der Kabinettsklausur im letzten August in Meseberg das Investitionszulagengesetz bis 2013 auf den Weg gebracht. Herr Schauerte, Herr Diller, vielen Dank namens meiner Fraktion. ({0}) Die Kollegin Violka hat ausgeführt, dass wir im Osten viele Erfolge erzielt haben. Wer vor 20 Jahren in der ehemaligen DDR war und heute dieselben Städte und Landschaften besucht, wird diese in jeder Hinsicht nicht wiedererkennen. Wir haben teilweise den Westen in einigen Bereichen nicht nur eingeholt, sondern auch überholt. Wenn man auf der A 4 von Dresden nach Frankfurt fährt, dann wird man feststellen, dass in Thüringen die Autobahn sechsspurig ist. In Hessen verengt sie sich auf einmal auf vier Spuren, obwohl es dort nicht weniger Verkehr gibt. Wir haben auch die Pflegeheime, Krankenhäuser und den gesamten Bereich der öffentlichen Infrastruktur ganz wesentlich auf Vordermann gebracht. Nichtsdestotrotz gibt es noch Schwachpunkte beim Aufbau Ost. Ein Schwachpunkt ist sicherlich die gewerbliche Wirtschaft. Uns fehlen noch nach wie vor selbstständige Unternehmen. Wir haben nur einen größeren Unternehmenssitz im Osten Deutschlands. Das ist ein Defizit. Deshalb sind - das ist auch durch Zahlen belegt - die Wachstumsraten im Osten Deutschlands leider seit einigen Jahren wieder niedriger als im Westen. Auch die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor doppelt so hoch. Der Abwanderungstrend setzt sich leider weiter fort. Deshalb halten wir von der CDU/CSU-Fraktion das Investitionszulagengesetz 2010 für notwendig. Das Fördergebiet umfasst die östlichen Länder. Begünstigte Wirtschaftszweige sind das verarbeitende Gewerbe, produktionsnahe Dienstleistungen und das Beherbergungsgewerbe. Der Investitionszeitraum umfasst die Zeit bis zum 31. Dezember 2013. Der Fördersatz ist degressiv, von 12,5 Prozent im Jahr 2010 bis 2,5 Prozent im Jahr 2013. Das Investitionsvolumen beträgt 550 Millionen Euro im Jahr 2011, 770 Millionen Euro in 2012, 540 Millionen Euro in 2013, 315 Millionen Euro in 2014 und weitere 90 Millionen Euro in 2015. Damit komme ich zu der scharfen Degression, die das Investitionszulagengesetz 2010 enthält. Auch darin sind wir uns einig, liebe Simone Violka: Wir sind froh über die Fortführung des Investitionszulagengesetzes, aber wir bedauern etwas die scharfe Degression, die im Widerspruch zu der Tatsache steht, dass der Osten noch nicht so richtig aufholt und wir dieses Instrument deshalb weiter brauchen. Aus aktuellem Anlass möchte ich noch auf Folgendes hinweisen: Wir machen uns dieser Tage Gedanken über ein Konjunkturprogramm, das einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten soll. Es macht angesichts dessen wenig Sinn, die Mittel für ein bewährtes Konjunkturprogramm wie die Investitionszulage zurückzufahren und damit möglicherweise 200 Millionen Euro im Jahr einzusparen. Das sollte man vielleicht bedenken. Wir sind deshalb froh, dass die Koalitionsfraktionen - Simone Violka hat das schon vorgetragen - in ihrem Bericht Folgendes formuliert haben - ich darf das zitieren -: Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregierung auf, dem Finanzausschuss im Jahre 2011 über die wirtschaftliche Situation im Fördergebiet zu berichten, damit bewertet werden kann, ob die Investitionszulage tatsächlich 2013 auslaufen oder doch darüber hinaus verlängert werden soll. So lautet die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses. Ich möchte bereits auf den letzten Redner in dieser Debatte eingehen, obwohl ich deine Rede noch gar nicht kenne, lieber Kollege Peter Hettlich. ({1}) Du hast vorhin in der Debatte zur deutschen Einheit geäußert, dass den Koalitionsfraktionen dieser Punkt offenbar nicht so wichtig sei, weil sie nicht redeten. Das war falsch. Wir haben geredet. Du siehst mich doch hier am Rednerpult stehen. Du wirst gleich möglicherweise beklagen, dass wir diese Debatte zu so später Stunde führen. Das liegt aber an eurem morgigen Parteitag, auf den wir Rücksicht nehmen. Sicherlich hätte man morgen zu einer besseren Zeit über diesen Punkt diskutieren können. Du wirst möglicherweise auch beklagen, dass die Investitionszulage durch andere Instrumente ersetzt werden soll. Ich meine aber - darin stimmen wir mit der SPD überein -, dass das ein unbürokratisches Förderinstrument ist. Es wird angenommen. Wenn du mit den Vertretern der Wirtschaft vor Ort sprichst - wir beide haben denselben Wahlkreis -, dann wirst du feststellen, dass das nach wie vor das beliebteste Förderinstrument ist. Abschließend darf ich mich bei allen Beteiligten, der Bundesregierung, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzausschuss sowie den Kollegen, bedanken, die dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Wir haben damit einen kleinen weiteren Baustein zur inneren Einheit gelegt und wünschen diesem Gesetz viel Erfolg. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner, Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist angesichts der aktuellen Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten und deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft leider anachronistisch. So empfinde ich im Übrigen viele von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe, gerade mit ihren Konsequenzen für die ostdeutschen Bundesländer. In diesem Fall aber und angesichts eines parallel durch die Bundesregierung geplanten Konjunkturprogramms zur Abfederung der Wirtschaftskrise stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Gesetzesvorhabens noch dringlicher. Warum? Das Gesetz selbst regelt eine Fortführung der Investitionsförderung in den neuen Bundesländern über das Jahr 2009 hinaus. Das begrüßen wir, ebenso wie der Bundesrat. Der vorliegende Entwurf verstetigt einerseits die Trennung zwischen Ost und West, ignoriert jedoch andererseits die aktuelle Entwicklung in Richtung einer schweren und wahrscheinlich lang anhaltenden Phase ökonomischer Rezession. Angesichts dessen - und solange im Grundgesetz die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse postuliert wird - ist es politisch geradezu fahrlässig, die Investitionszulage für die neuen Bundesländer ab 2009 kontinuierlich abzusenken, um sie dann nach 2013 auslaufen zu lassen. ({0}) Um es ganz deutlich zu sagen: Natürlich unterstützt die Linke die weitere Förderung. Gleichzeitig setzt sie sich jedoch gegen die Einstellung der Investitionszulage nach 2013 ein, weil man sich damit eines Instruments zur Förderung des Mittelstandes in den neuen Bundesländern beraubt; denn aktuell ist dieses Mittel umso dringlicher und kann von den im Rahmen des Konjunkturprogramms der Bundesregierung geplanten Förderungsmaßnahmen für den Mittelstand nur flankiert werden. Niemand wird bezweifeln, dass die besondere Förderung des ostdeutschen Mittelstandes notwendig ist, um den neuen Bundesländern zu dem selbsttragenden Aufschwung zu verhelfen, von dem die Große Koalition immer redet. Eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, kaum Forschung und Entwicklung, die Verfestigung prekärer Arbeitsverhältnisse sowie ein geringeres Lohnund Rentenniveau sprechen eine deutliche Sprache. Nun trifft es ja zu, dass aufgrund des ökonomischen Wandels auch in den alten Bundesländern strukturschwache Regionen mit ähnlichen Problemen entstanden sind, die auch staatlicher Hilfe bedürfen. Diese aber zulasten der ostdeutschen strukturschwachen Regionen zu gewähren, spricht einer nachhaltigen Politik Hohn. Hier wird offensichtlich Ost gegen West bei der Wirtschaftsförderung ausgespielt. Apropos sozial: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass durch die Kürzung der Investitionszulage und die Neuaufteilung der Gelder zwischen Ost und West irgendeiner strukturschwachen Region wirklich geholfen werden kann. Die bestehenden und anwachsenden Probleme lassen sich durch die allgemeine Ausdünnung des Förderniveaus ganz bestimmt nicht sinnvoll und nachhaltig lösen. Dass die Bundesregierung statt eines langfristigen und finanzpolitisch nachhaltigen Engagements jeden finanzökonomischen Unsinn mitmacht, ist die Steuerzahler leider schon mehr als teuer zu stehen gekommen. Dass diese Regierung die schwächeren Regionen, gleich ob in Ost oder West, perspektivisch ihrem Schicksal überlässt, wird die Menschen auch noch teuer zu stehen kommen. Dass Sie dann noch versuchen, diesen von Ihrer Politik mehrfach benachteiligten Menschen ein X für ein U vorzumachen, zeugt schlichtweg von schlechtem politischem Stil. Da wir als Fraktion Die Linke eine Förderung von Investitionen in den neuen Bundesländern nicht ablehnen, das vorliegende Gesetz aber für unzureichend halten, werden wir uns enthalten. Ich danke. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal muss ich sagen: Lieber Manfred Kolbe, ich freue mich ausdrücklich, dass wir diese Debatte führen; ich werde mich nicht beklagen. Wir waren uns darin einig, dass wir in der letzten Legislaturperiode öfter auch um ein oder zwei Uhr hier geredet haben. Das hat sich ein bisschen verändert. Neue Jahre, neue Sitten. Wie gesagt, ich freue mich ausdrücklich und bedanke mich bei den Kollegen, dass sie noch zu so später Stunde hier im Saal sind. ({0}) Ich finde, das ist ein wichtiges Thema. Deswegen habe ich auch gesagt, wir sollten darüber diskutieren; denn die Investitionszulage, die Frage der Verlängerung und die Frage, wie es nach 2013 weitergeht, sind Dinge, die meine Fraktion schon sehr lange bewegen. Ich bin seit sechs Jahren Sprecher der AG Ost. Das Thema Wirtschaftsförderung stand natürlich von Anfang an bei uns im Zentrum. Wir haben uns im Rahmen dieses Themas auch länger mit der Frage auseinandergesetzt, wie es eigentlich weitergehen soll. Ich glaube, wir sind uns in der Analyse des Aufholprozesses in Ostdeutschland einig. Wir wissen, dass wir eine ganze Menge erreicht haben, und das wird, so glaube ich, von keinem hier im Haus negiert. Aber wir wissen natürlich auch, dass wir von einem Erfolg dieses Aufholprozesses, den wir eigentlich mit dem Solidarpakt gestalten wollten, und von der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West noch ein Stück entfernt sind. Wenn wir uns die Zahlen ansehen - die haben wir heute Nachmittag bei der Debatte zum Stand der deutschen Einheit genannt -, dann sehen wir, dass wir noch einen Riesenweg vor uns haben. Wir müssen einfach konstatieren, dass uns die letzten zehn Jahre da nicht unbedingt weitergebracht haben. Insofern muss man sich über die Sinnhaftigkeit der Förderinstrumente Gedanken machen. Ich finde, dass man das Recht haben muss, auch ein Instrument wie die I-Zulage von einer anderen Seite zu beleuchten und teilweise auch infrage zu stellen. Lieber Kollege Ahrendt, in der ersten Rede - die zu Protokoll ging - haben wir auf die Probleme der Fehlverwendung und auf die Rückforderungen in einigen Bundesländern hingewiesen. Ich habe eben von Ihnen sehr interessante Aspekte über Mecklenburg-Vorpommern erfahren. Für mich ist es wichtig, die Botschaft zu senden. Wir haben den Solidarpakt II, der aus zwei Körben besteht, nämlich dem Korb I und dem Korb II. Der Korb I umfasst quasi die Barmittel für die Bundesländer, die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, und der Korb II, aus dem die Investitionszulage und auch die Gemeinschaftsaufgabe Ost letztendlich gespeist werden, ist gedeckelt. Er hat ein Volumen von 51 Milliarden Euro, von denen wir laut den Statistiken des Finanzministeriums bis heute etwa 16 Milliarden Euro ausgegeben haben. Somit bleiben 35 Milliarden Euro für die letzten zehn Jahre des Solidarpakts II übrig. Wir müssen uns also vergegenwärtigen, dass wir das Geld, das wir dem Korb II entnehmen - dazu gehört auch die I-Zulage -, möglichst effizient einsetzen müssen. Deswegen kann man nicht einfach so mit Jubelfanfaren auftreten, sondern man muss überlegen, ob das an der Stelle wirklich sinnvoll ist. Wenn wir die Probleme in Ostdeutschland betrachten, dann müssen wir feststellen, dass wir einen Teil unserer Klientel eigentlich nicht erreichen, auch nicht mit der I-Zulage; denn die I-Zulage bekommt nur derjenige, der Kapital hat, um Investitionen zu tätigen. Der bekommt dann über die I-Zulage einen Zuschuss. Es gibt aber viele kleine, mittelständische und Kleinstunternehmen in Ostdeutschland, die ganz andere Probleme haben. Ich nenne als Beispiel das klassische Problem der Mittelstandsfinanzierung, also die Frage der Liquidität. Das ist eine eminent wichtige Frage, die sich gerade in Zeiten der Finanzmarktkrise stellt. Wir sind der Meinung, dass uns die I-Zulage an dieser Stelle nicht weiterhilft. Unabhängig von den Fragen der Fehlverwendungen haben wir immer gesagt, dass die Gemeinschaftsaufgabe Ost aus unserer Sicht sinnvoller ist. Das bedeutet natürlich mehr Bürokratie und mehr Arbeit. Deswegen ist sie auch nicht so beliebt. Aber wir wissen uns auf der Seite der wirtschaftswissenschaftlichen Institute und der Sachverständigen. Ich kann mich noch an die letzte Debatte in diesem Hause vor etwa drei Jahren erinnern. Damals hat mir die Kollegin Antje Tillmann von der CDU/CSU zugestanden, dass dieses Instrument nicht so toll ist, wie es auf den ersten Blick immer erscheint. Der Diskussionsprozess ist in allen Fraktionen offensichtlich vorangeschritten; insofern hat sich die Position der CDU/CSU hin zur Zustimmung entwickelt. Ich erinnere mich auch an das, was Jan Mücke im Ausschuss zur Frage des Beherbergungsgewerbes gesagt hat. Aufgrund seiner Erfahrungen in Dresden hat er berichtet: Liebe Leute, die Förderung des Beherbergungsgewerbes in Dresden über die I-Zulage führt zu einer Fehlallokation. Dann haben wir eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung hat uns geantwortet: Wir können Ihnen dazu nichts sagen, weil wir das nicht evaluieren. ({1}) - Ja. Ich wollte nur sagen: Das ist aber das Problem. Insofern begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag des Finanzausschusses, sich 2011 über das Thema Instrumente zu unterhalten. Ich muss jetzt nicht mehr sagen. Meine Redezeit ist auch abgelaufen. ({2}) Sie kennen unsere Position - wir haben sie auch in der ersten Beratung dargelegt; da hat sich bei uns nichts geändert -: Wir werden dieses Gesetz ablehnen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir es für sinnvoller halten, die Mittel an anderen Stellen einzusetzen, beispielsweise bei Innovationen, Bildung und Forschung. Wir sähen es lieber, wenn die Gelder aus Korb II dort verwendet würden. Damit könnten wir gut leben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Investitionszulagengesetzes 2010. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10886, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10291 und 16/10496 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes - Drucksache 16/9415 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeldund Elternzeitgesetzes - Drucksache 16/10118 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) - Drucksache 16/10689 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Caren Marks Jörn Wunderlich Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ingrid Fischbach, CDU/CSU, Dieter Steinecke, SPD, Ina Lenke, FDP, Jörn Wunderlich, Die Linke, Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10689, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/9415 anzunehmen. Ich bitte die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10118 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10830. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 1) Anlage 19 über den Zugang zu digitalen Geodaten ({1}) - Drucksachen 16/10530, 16/10580 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) - Drucksache 16/10892 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Petzold Horst Meierhofer Sylvia Kotting-Uhl Hierzu liegt uns ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ulrich Petzold, CDU/CSU, Gerd Bollmann, SPD, Horst Meierhofer, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wissen ist Macht. Wenn alle Macht vom Volke ausgehen soll, ist es zwingend notwendig, den Zugang zu Wissen so demokratisch wie nur irgend möglich auszugestalten. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir im Informationsbereich mehr Demokratie einführen. Lassen Sie mich von einem Gespräch berichten, das ich vor wenigen Tagen in Vorbereitung auf die heutige Lesung in einem Landesamt für Geoinformationen geführt habe. Ein leitender Mitarbeiter erzählte mir, dass ihn sein Nachbar vor kurzem gebeten hatte, Informationen zur Größe und Bebauung eines Grundstückes zu besorgen, das er zu kaufen beabsichtigte. Dieser leitende Mitarbeiter des früher als Katasteramt benannten Amtes setzte auch alle Hebel in Bewegung, um die Informationen zu erhalten. Er holte Genehmigungen ein, sah Akten ein. Als er schließlich nach einigen Tagen freudestrahlend ob seines Ergebnisses bei seinem Nachbarn erschien, zuckte der nur mit den Schultern und entgegnete: Das, was ich brauchte, habe ich mir schon längst über Google besorgt. Werkzeuge und Daten sind dort alle vorhanden, und es hat mich nichts gekostet. Nun will ich nicht behaupten, dass wirklich alle Daten so leicht erreichbar wären, doch vieles von dem, was einige Ämter nur mit großem Aufwand herausrücken, Informationen, um die man ewig kämpfen muss, sind längst aus dem Internet beziehbar. So wäre es dann gar nicht notwendig, diese Daten von Amts wegen in das Netz zu stellen? Doch. Amtliche Daten sind nun einmal amtliche Daten mit einer großen Zuverlässigkeit, und amtliche Daten gehören nun einmal auch auf die Datenplattform, auf die sie hingehören. Es kann nicht sein, dass nur der an Daten herankommt, der entweder ein Ratefuchs ist oder aber hoch versiert am Computer arbeiten kann. Zur Demokratie gehört auch ein einfacher Zugang zu Daten. Gerade wir als Abgeordnete müssten das nachvollziehen können, werden wir doch auch manchmal regelrecht mit Daten zugeschüttet. Ich habe den Eindruck, dass das hin und wieder mit Absicht geschieht. Also könnte man sagen voll und ganz rundum zufrieden? Ein paar Sorgen bleiben schon noch. In § 12 des heute zu beratenden Gesetzes sind auch Zugangsbeschränkungen zu Daten geregelt. Dazu wird auf die §§ 8 und 9 des Umweltinformationsgesetzes verwiesen. Jedoch bleibt die Frage, ob das geistige Eigentum an Geodaten richtig geschützt ist. Selbstverständlich wird auch immer ein Interesse der Öffentlichkeit an Geodaten vorhanden sein, an denen geistiges Eigentum besteht. Die datenverwaltenden Behörden werden dann in der Zwickmühle des öffentlichen Interesses stehen. Geht dann im Einzelfall das öffentliche Interesse über das Interesse des Schutze am geistigen Eigentum? Hier stehen Urheberrecht und Umweltinformationsgesetz meiner Auffassung nach unberührt nebeneinander, sodass ich die Mitarbeiter der Behörden nur bedauern kann. Diese Zwickmühle wäre dann einfacher zu lösen, wenn eine Einvernehmensregelung des jeweiligen Amtes mit dem Dateneigentümer, in welcher Form auch immer, gegeben wäre. Die Bundesregierung hat sich eine breite Verordnungsermächtigung im Gesetz gegeben. Da in § 14 des GeoZG auch eine Verordnungsermächtigung zu Durchführungsbestimmungen nach Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie enthalten ist, die die Durchführung der Zugangsbeschränkung regeln kann, kann meine Sorge noch behoben werden. Es muss jedoch dann in einer Verordnung klar zum Ausdruck kommen, dass Geodaten, an denen Dritte Rechte des geistigen Eigentums haben, der Öffentlichkeit nur mit Zustimmung dieses Dritten zugänglich gemacht werden dürfen. Die Aufhebung der Zugangsbeschränkung zu geistigem Eigentum Dritter sollte nicht im freien Ermessen von Behörden liegen. § 13 spricht Geldleistungen und Lizenzen für Geodaten an. So grundsätzlich richtig solche Gebühren sind, dürfen sie doch auch nicht dazu führen, dass Personengruppen aus finanziellen Gründen von Informationen ausgeschlossen werden, die für sie wichtig sind. Ich erwarte hier eine klare Abgrenzung zur kommerziellen Nutzung. Auch wenn wir der juristischen Argumentation der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates folgen, sehe ich vom Rechtsgefühl her den Streit des Bundesrates mit der Bundesregierung in der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der zu erlassenden Verordnungen nach § 14 durch den Bundesrat als unbefriedigend. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass von dem vorliegenden Gesetz in großem Umfang auch Geodaten betroffen sein werden, die bei Länderbehörden gespeichert sind. Wie Geodaten haltende Stellen des Bundes ohne beständige Mitarbeit von Länderverwaltungen ihrer Informationspflicht nachkommen wollen, erschließt sich mir noch nicht vollständig. Auch wenn die Geobasisdaten als Kernkompetenz der Länder ausdrücklich auf Wunsch der Länder in § 5 Abs. 1 aufgenommen wurden, sehe ich doch auch eine nationale Geodateninfrastruktur immer vor unserem föderalen Hintergrund und damit eine Involvierung der Länder. Wie soll gemäß § 10 ein nationales Lenkungsgremium des Bundes und der Länder Verantwortung für die Organisation der nationalen Geodateninfrastruktur tragen, wenn nach § 14 die Bundesländer bei der Verordnungsermächtigung zum Beispiel zu Zugangsbeschränkungen nach Art. 13 der Richtlinie und damit bei einem wesentlichen Teil der Organisation außen vor sind? Wenn es um die Organisation der nationalen Geodateninfrastruktur geht, macht eine alleinige Verordnungskompetenz des Bundes bei Verantwortung eines gemeinsamen Lenkungsgremiums des Bundes und der Länder keinen Sinn. Wer haftet für fehlerhafte, unvollständige oder falsche Geodaten, wer haftet für unberechtigt herausgegebenes geistiges Eigentum? Alles das lässt mich zu dem Schluss kommen, dass hier endlich Kooperation statt Konfrontation zwischen Bund und Ländern angesagt ist. Die von anderen Fraktionen gestellte Frage nach dem ausreichenden Schutz von personenbezogenen Daten erledigt sich dadurch, dass auch der in vielen Fragen sehr kritische Bundesbeauftragte für den Datenschutz das Geodatenzugangsgesetz geprüft und für zulässig in dieser Frage befunden hat. Deshalb können wir den Antrag der FDP ohne weitere Bedenken ablehnen. Zusammenfassend darf ich für meine Fraktion ausführen, dass es höchste Zeit für die Umsetzung der Richtlinie war und dass wir trotz einiger Bedenken dem Gesetz zustimmen werden. Wir erwarten jedoch, dass sich die Bundesregierung gegenüber den Bundesländern kooperativ verhält, und gleichzeitig erwarten wir natürlich das gleiche kooperative Verhalten der Länder, wenn es um die Zulieferung von Geodaten und die Organisation dieser Zulieferung geht.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschätzte 80 Prozent der Entscheidungen, die wir im öffentlichen wie auch im privaten Leben treffen, haben einen räumlichen Bezug. Sei es der Ausflug am Wochenende, die Wahl eines Firmenstandortes oder Wohnsitzes, die Überlegung, ob eine Geothermieanlage rentabel ist oder welche Energieeffizienzmaßnahmen sinnvoll sind, allen diesen Fragen liegen räumliche Überlegungen zugrunde. Doch bisher war es nicht immer möglich oder zumindest mit Aufwand und Kosten verbunden, Zugang zu diesen entscheidenden Daten zu erlangen. Mit der sogenannten INSPIRE-Richtlinie, die das Europäische Parlament und der Rat im März des vergangenen Jahres erlassen habe wurde dem Problem auf europäischer Ebene begegnet. Die Richtlinie sieht die Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft vor. Mit der heutigen Beratung über den Entwurf eines Gesetzes über den Zugang zu digitalen Geodaten setzen wir die europäische Richtlinie in nationales Recht um. Das Geodatenzugangsgesetz regelt den Zugang zu und die Nutzung von Geodaten der öffentlichen Verwaltung. Zukünftig müssen harmonisierte Geodaten und Metadaten der öffentlichen Verwaltung aus dem Themenbereich der europäischen Umweltpolitik über entsprechende Geodatendienste für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung öffentlich verfügbar bereitgestellt werZu Protokoll gegebene Reden den. Dritten wird die Möglichkeit eingeräumt, ihre Daten freiwillig in das System einzupflegen. Durch die Vereinfachung des Zugangs zu und der Nutzung dieser Daten werden wir endlich in der Lage sein, das Wertschöpfungspotenzial dieser Daten zu erschließen. Die Daten müssen dabei interoperabel sein. Um diese Interoperabilität - sowohl auf lokaler, regionaler wie auch auf nationaler Ebene - zu gewährleisten, wurde eine enge Verbindung zu der im Aufbau befindlichen Geodateninfrastruktur hergestellt. Die europäische INSPIRE-Richtlinie berücksichtigt und unterstützt sogar die seit 2004 in Deutschland unternommenen Aktivitäten zum Aufbau einer Geodateninfrastruktur. Ob die Suche nach Rohstoffen oder die Planung von Rettungseinsätzen, ob Daten für Navigationssysteme oder den Verkehr im Allgemeinen, das vorliegende Gesetz wird all dies wirtschaftlicher und einfacher machen.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geodaten kommt eine immense Bedeutung zu: Dies gilt auch und gerade für den Umweltbereich. Ohne eine seriöse Datengrundlage kann man weder sagen, ob sich die Gewässerqualität verbessert oder verschlechtert hat, noch, ob der Biotopschutz wirkt oder wie es um die biologische Vielfalt steht. Als jemand, der aus seinem Wohnzimmerfenster direkt auf die Donau schauen kann, weiß ich zudem, wie wichtig es ist, bei Hochwasser schnell europaweit abgestimmte Reaktionen treffen zu können. Je einfacher die hierfür relevanten Geodaten über die nationalen Grenzen hinweg verfügbar sind, umso besser. Die Brüssler INSPIRERichtlinie setzt genau hier an. Geoinformationen, die für die Umwelt bedeutsam sind, sollen Behörden und Öffentlichkeit europaweit zugänglich gemacht werden. Das ist konsequent, und auch wir Liberale finden das prinzipiell gut. Was macht die Bundesregierung aus den Brüssler Vorgaben? Anders als Brüssel beschränkt sich das deutsche Gesetz nicht auf die umweltrelevanten Geodaten. Das kann man machen. Die deutsche „Geodatenlandschaft“ ist schließlich verwirrend und zersplittert genug. Aber: Gerade dann, wenn man sich für diese „große“ - weil über umweltrelevante Daten hinausgehende - Lösung entscheidet, darf der Datenschutz nicht so stiefmütterlich behandelt werden, wie es beim Entwurf des BMU den Anschein hat. Auch Geodaten können schließlich personenbezogene Daten sein, auch in diesem Gesetz. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal klarstellen: Anders als die Bundesregierung gestern im Ausschuss sind wir Liberale sehr wohl der Meinung, dass auch die von dem Gesetz erfassten Geodaten Personenbezug haben können. Oder was bitteschön - wenn nicht personenbezogen - ist die „Lokalisierung von Grundstücken anhand von Adressdaten“? Auch bei der sogenannten Orthofotografie sehe ich ab einem gewissen Maßstab und Auflösungsgrad Personenbezug. Wir wissen sehr wohl, dass private Unternehmen zum Teil noch sehr viel detaillierter solche Daten erheben. Aber das entbindet den Gesetzgeber nicht davon, dem Datenschutz einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Ohne einen sinnvollen Datenschutz ist der öffentliche, europaweite Zugang zu Geodaten für uns deshalb indiskutabel. Wir sind der Meinung, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss auch in diesem Gesetz angemessen berücksichtigt werden. Aber genau da haben wir noch unsere Zweifel. Den Behörden die Entscheidung aufzuhalsen, wann und in welchem Umfang die angefragten Daten herausgegeben werden dürfen, halten wir weder für sachgerecht noch für tatsächlich praktikabel. Immerhin geht es jetzt nicht mehr nur um gelegentliche Einzelanfragen, wie das beim Umweltinformationsgesetz der Fall war und auf das das Geodatenzugangsgesetz verweist, sondern um den Massenabruf, und das europaweit. Wir Liberale sind deshalb der Meinung: Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Eine gewisse Vorfestlegung durch den Gesetzgeber, ob und in welchem Ausmaß personenbezogene Daten betroffen sein können, erleichtert den Vollzug und macht das Gesetz für die Betroffenen nicht ganz so willkürlich. In diesem Zusammenhang halten wir vor allem ein Ampelsystem, das die Geodaten je nach Personenbezug in die Kategorien Rot, Gelb und Grün einteilt, und je nach Kategorie unterschiedliche Zugangsbedingungen bereithält, für sinnvoll. In unserem Entschließungsantrag haben wir deshalb die Bundesregierung aufgefordert, das jetzige Gesetz zurückzuziehen und ein neues, das vor allem dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung angemessen Rechnung trägt, zu erarbeiten. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesentwurf enthalten wir uns.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vermutlich wissen nur wenige, was genau Geodaten eigentlich sind. Man könnte sie als digitale Karten bezeichnen. Dadurch wird der große Unterschied zu echten Karten aber eher verschleiert als erhellt. So können Geodaten in mehr als zwei Dimensionen dargestellt werden. Und Sie können zeitliche Entwicklungen abbilden. Konkreten Gebieten lassen sich durch die digitale Verfügbarkeit auch viel mehr Informationen zuordnen, als man auf einer einzelnen Karte darstellen könnte. Und Geodaten kann man in Geoinformationssystemen bearbeiten. Die EU hat in der INSPIRE-Richtlinie nun festgelegt, dass Geodaten europaweit zentral verfügbar gemacht werden sollen und dass die Daten dafür bestimmten Standards unterliegen müssen, damit sie europaweit einheitlich nutzbar sind. Das ist zu begrüßen. Geodaten an sich sind genauso neutral wie alle anderen Daten auch. Die Frage ist hier wie dort, wer was mit den Daten machen kann, bzw.: Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Warum ist der Datenschutz bei Geodaten überhaupt wichtig? Dazu muss man sich vor Augen halten, dass Geodaten eben nicht immer „irgendwas mit Umwelt“ zu tun haben, wie viele vielleicht denken. Geodaten liefern Informationen über die räumliche Verteilung aller möglichen Aspekte. Das sind natürlich auch umweltbezogene Zu Protokoll gegebene Reden Informationen wie die Verteilung landwirtschaftlicher Flächen, der Bodenbeschaffenheit, der Verteilung und Anzahl des Vorkommens geschützter Arten und Biotoptypen. All das kann gespeichert werden. Wie gesagt, mit Geodaten kann man viele sinnvolle Sachen machen. Da es in Deutschland leider keine bundesweite und einheitliche Erfassung aller Flächen mit rechtlichen Bindungen zugunsten des Naturschutzes und der Landschaftspflege gibt, ist es aus dieser Sichtweise mehr als wünschenswert, Geodaten zentral verfügbar zu machen und einheitliche Standards einzuführen. Eine solche „Datenbank der Natur“ könnte für Deutschland und Europa sehr große Dienste dabei leisten, den Anforderungen im Naturschutz durch den Klimawandel und den dadurch bedingten Lebensraumveränderungen für Pflanzen und Tiere besser gerecht werden zu können. Geodaten sind aber weit mehr als das. Geodaten sind auch Informationen über die Verteilung von Krankheiten, Armut, Arbeitslosigkeit, den Anteil von Migrantinnen und Migranten. Wenn man solche Daten wissenschaftlich nutzt, können auch die sehr nützlich sein. Im Umweltausschuss haben wir direkt im Anschluss an die Beratung dieses Gesetzes über die auffällige Häufung von Kinderkrebsfällen in der Umgebung von Atomkraftwerken gesprochen. Wenn alle Kinderkrebsfälle als Geodaten vorliegen würden, könnte man die mit den Informationen über die Standorte von Atomanlagen kombinieren, die Wahrscheinlichkeit der zufälligen räumlichen Übereinstimmung berechnen - und so sehr leicht wichtige Informationen gewinnen. Die räumliche Verteilung von Krebs, Lungenentzündungen und anderen Krankheiten kann aber auch für ganz andere Zwecke genutzt werden. Ich sage dabei bewusst „kann“ und nicht „wird“. Es „kann“ aber sein, dass Krankenkassen ein großes Interesse an solchen Daten entwickeln. Das „könnte“ dann dazu führen, dass Menschen, die da wohnen, wo viele Menschen bestimmte Krankheiten haben, nicht mehr in eine Krankenkasse aufgenommen werden oder zumindest einen Risikoaufschlag zahlen müssten. Und es „kann“ auch sein - in den USA ist das durchaus üblich -, dass sich Banken dafür interessieren, wo man wohnt. Wohnt man in einer Gegend, in der viele Menschen arm oder arbeitslos sind oder einen Migrantionshintergrund haben, dann bekommt man vielleicht keinen Kredit mehr oder nur mit einem Zinsaufschlag. Wollen wir das? Die Linke will das nicht. Wir wollen nicht, dass man aufgrund seines Wohnortes diskriminiert werden kann. Das ist ein Grund, warum wir dieses Gesetz ablehnen. Der andere ist, dass sich viele Daten direkt personenbezogen zuordnen lassen. Die Schranken für den Zugang zu diesen Daten sind unzureichend. Für die Bereitstellung amtlicher Geodaten sowohl nach der europäischen Richtlinie als auch nach deutschem Verfassungsrecht ist der Schutz personenbezogener Daten angemessen zu gewährleisten. Der Gesetzentwurf leistet das aber nicht. Er sieht eine Anwendung der Schutzvorschriften des Umweltinformationsgesetzes vor. Darin heißt es, dass die Abgabe personenbezogener Daten nur dann eingeschränkt wird, wenn die schützwürdigen Interessen Betroffener „erheblich beeinträchtigt“ werden. Der Leiter des schleswig-holsteinischen Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz schlägt für das Landesgesetz ganz andere Formulierungen vor. Danach sollte bereits dann der Antrag auf Zugang zu Geodaten abgelehnt werden, wenn die Interessen Betroffener „beeinträchtigt“ würden. Vor allem aber sollen die Betroffenen vor der Freigabe der Daten informiert oder angehört werden. All das sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung eben nicht vor. Die Anwendung des Umweltinformationsgesetzes ist zudem auch unpassend. Es regelt den Zugang Einzelner zu Informationen von allgemeinem Interesse. Der Zugang zu Geodaten meint auch das. Er kann aber auch das genaue Gegenteil bedeuten, dass nämlich staatliche Stellen und sogar die Wirtschaft Informationen über Einzelne erhalten. Auch nach der INSPIRE-Richtlinie soll die Zugangsmöglichkeit eingeschränkt werden, wenn dies nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit personenbezogener Daten haben kann. Das leistet der Gesetzentwurf der Bundesregierung aber nicht. Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab. Die Risiken überwiegen bei diesem Gesetz leider die vielfältigen Chancen. Es eröffnet dem Missbrauch durch die Wirtschaft Tür und Tor. Und es bietet keinen ausreichenden Schutz davor, dass Daten über einzelne Personen in Hände gelangen, in die sie nicht gehören. Die FDP zeigt eine praktikable Lösung auf, wie der Datenschutz gewährleistet werden kann. Wenn die Bundesregierung einen vernünftigen Gesetzentwurf vorlegt hätte, dann hätten wir dem mit Freude zugestimmt.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dieses Gesetz ist ein beredtes Beispiel dafür, wie man ein wichtiges und berechtigtes Anliegen so blamieren kann, dass auch Befürwortern der öffentlichen Zugänglichkeit von Geodaten eine Unterstützung nicht möglich ist. Blamiert haben Sie das Anliegen durch Ihr völliges Unverständnis für das Bedürfnis nach informeller Selbstbestimmung. Die Große Koalition hat schon viele Beispiele geliefert, dass sie kein Gespür für das Bedürfnis der Bevölkerung nach dem Schutz der eigenen Daten hat, zuletzt beim BKA-Gesetz, aber auch bei den Terrorismusgesetzen. Beim vorliegenden Entwurf des Geodatenzugangsgesetzes geht es darum, digitale räumliche Daten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit der an dieser Stelle ausdrücklich von uns begrüßten stärkeren Einmischung des Staates in die Informationswelt des Internet werden Standards für die Qualität und Nutzbarkeit von verschiedensten geografisch abbildbaren Daten gesetzt. Damit werden die ohnehin in den Verwaltungen vorhandenen und mit Steuergeldern erhobenen und archivierten Informationen nun auch miteinander verknüpft der breiten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. In Form von datenunterlegten Karten können sie allen für eine bessere Planung von Maßnahmen und Vorhaben dienen. Der Zugriff auf flurstücksgenaue und zuverlässige Daten durch den Aufbau der Geodateninfrastruktur in Deutschland - und nicht nur durch die bisher marktführenden privaten Zu Protokoll gegebene Reden Anbieter - wird aus grüner Umweltsicht ausdrücklich begrüßt. Ein grünes Kernanliegen ist es aber auch, die Persönlichkeitssphäre zu schützen und den „gläsernen Bürger“ zu verhindern. Würde der Gesetzentwurf nur halb so viel zur Datensicherheit wie zur Frage der Kostenregelung und angemessenen Geldleistungsforderungen beinhalten oder wenigstens Aussagen im Umfang des europaweit unterschiedlich gehandhabten geistigen Eigentumsrechts umfassen, wären unsere Bedenken kleiner. Stattdessen wird der Datenschutz nicht geregelt und unter Verweis auf das Umweltinformationsgesetz ({0}) abgetan. Während die Entscheidung nach dem UIG auf eine Einzelfallabwägung zugeschnitten ist, richtet sich dieser Entwurf zur Umsetzung der europäischen INSPIRE-Richtlinie nun auf einen Massenabruf von Daten. Auch beim UIG ist der Schutz personenbezogener Daten nur dann vorgesehen, wenn die Interessen der Betroffenen „erheblich“ beeinträchtigt werden. Beim UIG wird aber wenigstens im Einzelfall durch die Behörden abgewogen. Im Ergebnis senkt das Geodatenzugangsgesetz das Schutzniveau der Daten stark ab. Damit haben es die Teile der Wirtschaft, die schon in der Vergangenheit großes Interesse an Geodaten hatten, wesentlich leichter, das von den Grünen kritisierte Geoscoring noch schneller durchzuführen und auch zielgenauer zu nutzen. Wer also beispielsweise im „falschen“ Viertel wohnt, bekommt künftig zum Beispiel vielleicht keinen Kredit mehr, weil sich die Einzelfallprüfung für die Kreditinstitute nicht lohnt. Folglich unterstützen wir den Entschließungsantrag der FDP mit der Forderung nach Überarbeitung und Neuvorlage des Gesetzes bis April nächsten Jahres. Der Entschließungsantrag stützt sich auf die Argumentationslinie der Grünen, die Datenfreigabe zu differenzieren. Dazu sollen die Ergebnisse der sogenannten Ampelstudie berücksichtigt werden. Die vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein im Auftrag der Kommission für Geoinformationswirtschaft am 22. September 2008 vorgelegte Studie wurde bisher von der Koalition ignoriert. Wir lehnen folglich den vorgelegten Entwurf des Gesetzes aus Datenschutzgründen ab, hoffen aber, dass eine längst überfällige Regelung noch vor der Umsetzungsfrist der EU die staatlichen Umweltdatendienste befördert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10892, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10530 und 16/10580 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10909. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Personal der Bundesagentur für Außenwirtschaft ({0}) - Drucksachen 16/10293, 16/10664 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) - Drucksache 16/10883 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Flach Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Erich Fritz, CDU/CSU, Rolf Hempelmann, SPD, Ulrike Flach, FDP, Ulla Lötzer, Die Linke, Dr. Wolfgang StrengmannKuhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Bundesrepublik Deutschland besitzt ein anerkannt gutes Außenwirtschaftsinstrumentarium. Der verschärfte globale Wettbewerb aber fordert eine bessere Vernetzung der Aktivitäten. Deshalb setzt die Bundesregierung auf ein neues Konzept zur effizienteren Gestaltung der Instrumente der Außenwirtschaftsförderung. Aus dem uns heute hier vorliegenden Gesetz über das Personal der Bundesagentur für Außenwirtschaft ({0}) geht hervor, dass die für die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen Informationen für das In- und Ausland zuständige BfAI und die für das Standortmarketing zuständige Invest in Germany GmbH ab 1. Januar 2009 zu einer neuen, privatrechtlich organisierten Gesellschaft zusammengelegt werden sollen. Aufgabe der neuen Gesellschaft mit dem Namen „Germany - Trade and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ ({1}) ist der Aufbau eines schlagkräftigen Netzwerkes aus Außenwirtschaftsförderung und Standortmarketing auf Bundesebene. Die neue Gesellschaft wird künftig nicht nur Dienstleistungen für deutsche Exporteure erbringen, indem sie Informationen über ausländische Märkte zur Verfügung stellt, sondern auch ausländische Unternehmen als Investoren in Deutschland anwerben und beraten. Warum ist das nötig? Wir erhoffen uns von dem neuen Konzept mehr Schlagkraft in der Außenwirtschaftsförderungs- und Standortpolitik. Mit beispielsweise mehr als 140 unterschiedlichen Förderprogrammen auf Bundes20136 und Länderebene zur Unterstützung allein des Mittelstandes im Ausland sind Zweifel erlaubt, ob das derzeitige Konzept seine Ziele auch wirklich erreicht. Mit der bevorstehenden Zusammenführung wird keine Änderung in der Außenwirtschaftsförderpolitik des Bundes bezweckt. Auch die Unabhängigkeit des BfAIKorrespondentennetzes wird nicht angetastet. Die Korrespondenten sollen weiterhin neutrale und objektive Informationen über Marktchancen für die mittelständische Wirtschaft liefern. Zugleich können sie von den Branchenkenntnissen und Kontakten der bisherigen Invest in Germany als zusätzlichem Input profitieren. Noch sind nicht alle Konflikte ausgeräumt. Der Prozess der Integration der verschiedenen Instrumente unter ein Dach wird kompliziert. Dies gilt auch hinsichtlich der Beschäftigten der BfAI, deren Beamtinnen, Beamten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer laut vorliegendem Gesetzentwurf dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ({2}) zugeordnet werden und gleichzeitig Tätigkeiten bei der neuen Germany - Trade and Invest zugewiesen bekommen sollen. Vieles konnte aber schon im Interesse des Personals geregelt werden. Statusfragen des Auslandskorrespondentennetzes - Kassenstaatsprinzip, Status- und Akkreditierungsfragen, Sozialversicherung - sind ebenso geklärt wie die Standortfrage. Große Anerkennung verdient die Arbeit der Mitarbeitervertretungen, die mit voller Kraft dafür gesorgt haben, dass die Gespräche zwischen der Belegschaft und dem BMWi zu befriedigenden bis guten Ergebnissen geführt haben. Ich bin zuversichtlich, dass noch verbleibende Unsicherheiten bis Januar 2009 geklärt werden können. Dies gilt etwa für den Kooperations- bzw. Gestellungsvertrag zwischen dem BAFA und der künftigen Geschäftsführung der GTaI, der zwar vorliegt, aber einer Überarbeitung und Erweiterung bedarf. Dies gilt aber auch insbesondere hinsichtlich der Frage der beruflichen Chancen und Perspektiven der Beamten und Tarifbeschäftigten der BfAI und der in diesem Zusammenhang durch das BMWi zugesagten Beförderungen und Höhergruppierungen. Die verantwortungsvolle Lösung dieser personellen Fragen ist unerlässlich für das Gelingen der Verschmelzung und eine erfolgreiche Arbeit der neuen Bundesgesellschaft. Das neue Konzept bietet die Chance, durch die Fusion von BfAI und Invest in Germany über einen höheren Wirkungsgrad und eine deutlichere Sichtbarkeit des Standorts Deutschland im Ausland zu verfügen als dies bislang der Fall ist. Solche Synergieeffekte sind angesichts der im Bundeshaushalt 2009 für Maßnahmen der Außenwirtschaftsförderung zur Verfügung stehenden 203 Millionen Euro und der internationalen Konkurrenz - UK Trade & Investment verfügt über einen Jahresetat von 350 Millionen Euro - sinnvoll und notwendig.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Außenwirtschaftsförderung und das Standortmarketing des Bundes werden derzeit über drei verschiedene Organisationen abgewickelt: die Bundesgesellschaft Invest in Germany GmbH ({0}), die dem BMWi nachgeordnete Bundesagentur für Außenwirtschaft ({1}) und die mit der Bundesagentur verbundene Gesellschaft für Außenhandelsinformationen ({2}). Aufgrund einer Empfehlung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 10. Mai 2006 sieht die Bundesregierung nun eine organisatorische Zusammenführung vor. Ab dem Jahr 2009 soll eine neu zu gründende Gesellschaft, die „Germany - rade and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ - kurz: GTI - die Aufgaben der Investorenanwerbung und der Exportförderung wahrnehmen. Die GTI wird nach Auflösung der BfAI formal dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle - kurz: Bafa - zugeordnet. Über die Verknüpfung der verschiedenen Kompetenzen sollen nicht nur Kosten gespart werden, sondern vor allem Synergieeffekte erzielt werden. So erlaubt eine Bündelung des Standortmarketings und der Exportförderung trotz der sehr unterschiedlichen Aufgaben, die die Invest, BfAI und GfAI bislang wahrgenommen haben, eine gegenseitige Stärkung von Länder-, Fach- und Branchenwissen. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, dass die Bundesrepublik künftig einheitlicher nach außen auftritt. Die Auslandsaktivitäten der GTI sollen inhaltlich und organisatorisch unter dem Dach der Außenhandelskammern gebündelt werden. Damit schaffen wir einen Anlaufpunkt für die unterschiedlichen Zielgruppen der inund ausländischen Unternehmen sowie Verbände und beseitigen die Zersplitterung der aus dem BMWi geförderten Instrumente. Kritiker haben an dieser Stelle Bedenken geäußert, dass es zu einer ungleichen Schwerpunktsetzung zugunsten des Standortmarketings in der neuen GTI kommen könnte. Ich denke, dass hierfür kein Anlass besteht. Gleichwohl werden die erhofften Vorteile der Zusammenlegung erst im Laufe der Zeit greifen können. Deshalb gilt es auch weiterhin, den Prozess der organisatorischen Zusammenführung zu begleiten. Bei der Zusammenlegung wird im Übrigen Wert darauf gelegt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut und die bestehenden Standorte Berlin und Rheinland erhalten bleiben. Dienstsitz der GTI wird Berlin sein. Daneben wird es jedoch eine dauerhafte zweite Betriebsstätte im Rheinland geben. Derzeit sitzen etwa 100 Mitarbeiter in Berlin und an die 250 Mitarbeiter in Köln. An diesen Größenordnungen sollte sich durch die Zusammenlegung der beiden Einrichtungen nichts ändern. Auch müssen unnötige Härten für die Mitarbeiter, wie ein Hin- und Herziehen, nach Möglichkeit vermieden werden. Von den organisatorischen Details einmal abgesehen, denke ich, dass Deutschlands ausgeprägte Exportorientierung von einem integrierten und gut funktionierenden Auslandsnetz sowie einer gemeinsamen Außendarstellung nur profitieren kann. Ausländische Investitionen tragen in Deutschland in erheblichem Maße zur Wertschöpfung bei. Gut zwei Millionen Arbeitsplätze können Unternehmen in ausländischer Hand direkt zugeordnet werden, und die indirekten Arbeitsmarkteffekte liegen noch weit höher. Angesichts dessen bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Stärkung des WirtschaftsZu Protokoll gegebene Reden standortes Deutschland durch eine enge Vernetzung von Standortmarketing, Investorenanwerbung, Exportförderung und Außenwirtschaftsinformation mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die organisatorische Bündelung des Standortmarketings des Bundes ist lange überfällig. Die FDP mahnt dies schon seit vielen Jahren an und begrüßt, dass nun nach äußerst zähen Verhandlungen ein Durchbruch erzielt werden konnte. Das gilt sowohl für die Zusammenführung im Haushalt als auch für das heute zu beratende BfAI-Personalgesetz. Die Bundesagentur für Außenwirtschaft, die Bundesgesellschaft Invest in Germany und die Gesellschaft für Außenhandelsinformationen, das sogenannte Korrespondentennetz, werden zum 1. Januar 2009 zu einer neuen Bundesgesellschaft Germany Trade and Invest verbunden werden. Das ist richtig so. Ich habe es nie für richtig gehalten, dass der Bund eine Organisation für die Werbung für deutsche Investoren im Ausland hat und eine für ausländische Investoren bei uns, die miteinander nichts zu tun haben. Es hat leider auch viel zu lange gedauert, ehe Vertreter der beiden Organisationen mal miteinander gesprochen haben. Diese lange Jahre falsche Aufstellung hat uns im harten internationalen Wettbewerb geschadet. Es hat auch erhebliche Fehler aufseiten der Regierung und bei der BfAI gegeben: Ich will hier gar nicht ausbreiten, welche Eifersüchteleien, welche Probleme mit Geschäftsführern es hier gegeben hat. Gut gemanagt worden ist der Integrationsprozess wirklich nicht. Mit dem Gesetz werden die Mitarbeiter in die neue Gesellschaft überführt, und zwar zu sehr günstigen Konditionen. Sie werden ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt. Wo das nicht geht, werden sie in der Entgeltgruppe vergütet, die ihrer vorigen Tätigkeit entspricht, auch wenn die Tätigkeit geringerwertig ist. Es müsste also möglich sein, sich hier auch gegen die Beharrungskräfte durchzusetzen. Ich sage allerdings für die FDP: Wir würden gern weiter gehen. Wir würden auch die Außenhandelskammern einbeziehen. In einigen Ländern klappt diese Integration schon ganz hervorragend, hin zu einem „Deutschen Haus“, in dem sich verschiedene Institutionen nicht nur unter einem Dach befinden, sondern auch wirklich gemeinsam den Standort Deutschland bewerben. In anderen Ländern aber sehen wir, dass verschiedene deutsche Institutionen miteinander noch nicht mal reden! Vieles ist zu stark von den handelnden Personen vor Ort abhängig. Wir brauchen stattdessen eine wirklich schlagkräftige Organisation, die den Standort Deutschland im Ausland vertritt. Ein ausländischer Investor muss an einem Ort und auf einer Internetseite alle Kontakte finden, die er braucht, wenn er sich für Investitionen in oder aus Deutschland interessiert, wenn er Arbeitskräfte sucht, wenn er Innovationsallianzen eingehen oder Forschung mit deutschen Partnern betreiben will. Aus meinem Vorleben als Forschungspolitikerin liegt mir deshalb am Herzen, dass die Forschungsorganisationen, wie die DFG oder die Max-Planck-Gesellschaft, die ja auch Büros im Ausland - zum Beispiel in USA - haben, noch viel stärker eingebunden werden. Wirtschaftlicher Erfolg hängt immer mehr von Innovationen ab. Die deutschen Forschungsorganisationen haben international einen ausgezeichneten Ruf, aber unser Land leidet darunter, dass der Weg von der Idee zum Produkt zu lang und zu hindernisreich ist. Auch hier könnte eine engere Verzahnung von Forschung und Außenhandelsmarketing gute Dienste leisten. Ebenso würden wir uns wünschen, dass eine Organisation wie die Dena als Multiplikator deutscher Energiepolitik im Ausland stärker auftritt, beispielsweise auf Auslandsmessen. Wir meinen, das heutige Gesetzesvorhaben ist ein richtiger und guter Schritt auf einem Weg, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die operativen Aufgaben des Standortmarketings des Bundes und die Bereitstellung von außenwirtschaftlichen Informationen für das In- und Ausland werden derzeit im Verantwortungsbereich des BMWi getrennt voneinander wahrgenommen. Diese Aufgaben sind aufgeteilt auf die Bundesgesellschaft Invest in Germany GmbH, die nachgeordnete Bundesoberbehörde Bundesagentur für Außenwirtschaft und die mit der Bundesagentur verbundene Gesellschaft für Außenhandelsinformationen mbH. Die Fusion dieser verschiedenen Stellen ist differenziert zu bewerten. Einerseits ist es sicherlich sinnvoll, die Aufgaben von Standortmarketing und außenwirtschaftlichem Informationsdienst in einer einzigen Stelle zusammenzuführen. Dies birgt die Chance zu größerer Effzienz und Kohärenz bei der Erledigung der Aufgaben und zu einem einheitlicheren Erscheinungsbild. Andererseits ist es fragwürdig, dass diese Fusion mit einer Ausgliederung der Aufgaben der Bundesagentur für Außenwirtschaft in eine privatrechtliche GmbH und einer Auflösung der Bundesagentur einhergehen muss. Dies ist ein Rechtsformwechsel zugunsten einer privaten Rechtsform, der nicht notwendig ist. Eine Verbesserungen des Standortmarketings kann eine Chance insbesondere auch für die ostdeutschen Bundesländer sein. Aber nur, wenn in Zukunft darauf geachtet wird, mit welchen Argumenten Investoren für Deutschland angelockt werden sollen. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass die Invest in Germany in verschiedenen Werbebroschüren ausdrücklich damit geworben hat, dass in Deutschland ein „niedriger gewerkschaftlicher Organisationsgrad“ herrsche, was zusammen mit „flexiblen Arbeitskräften“ und anderen Merkmalen einen Vorteil für ausländische Investoren darstelle. In Bezug auf Ostdeutschland wird als weiterer Vorteil genannt, dass die Löhne dort bis zu 30 Prozent unter dem westdeutschen Niveau lägen. Das ist schon ein dreistes Stück, die prekäre finanzielle Situation der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch noch als Vorteil darzustellen, und das ist nicht frei von Zynismus. Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage von uns darauf hingewiesen, dass diese Aussagen von ihr nicht Zu Protokoll gegebene Reden autorisiert gewesen wären und nicht mehr verwendet werden würden. Bleibt zu hoffen, dass das Wirtschaftsministerium auch künftig in diesem Sinne Aufsicht über die privatrechtliche Invest in Germany GmbH führt.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bisher werden verschiedene Aufgaben der Beratung von Unternehmen in der Außenwirtschaft getrennt voneinander vorgenommen. Die Invest in Germany GmbH ist vor allem für Marketing zuständig und berät ausländische Unternehmen, die in Deutschland investieren wollen. Umgekehrt stellen die Bundesagentur für Außenwirtschaft und Gesellschaft für Außenhandelsinformation, die ein weltweites Korrespondentennetz organisiert, Informationen zu ausländischen Märkten für deutsche Unternehmen zur Verfügung. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen die Bündelung dieser verschiedenen außenwirtschaftspolitischen Aufgaben, die bisher von drei unterschiedlichen Organisationen wahrgenommen wurden. Es macht Sinn, diese Aufgaben in einer Gesellschaft zusammenzufassen. Dazu soll eine neue Gesellschaft mit dem Titel „Germany - Trade and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH“ ins Leben gerufen werden. Das unterstützen wir, weil wir uns davon erstens Synergieeffekte erhoffen, zweitens können die unterschiedlichen Aufgabenbereiche - Bereitstellung von Informationen für potenzielle ausländische Investoren im Inland auf der einen Seite und Bereitstellung von Informationen zu ausländischen Märkten für deutsche Investoren auf der anderen Seite - voneinander lernen. Schließlich können die bisher getrennt aufgebauten Netzwerke im Ausland in Zukunft gemeinsam genutzt werden. Zu dem Vorschlag gehört auch, dass die Beamtinnen und Beamten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den zusammenzufassenden Organisationen tätig sind, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zugeordnet und der neu entstehenden Gesellschaft zugewiesen werden, die aus der Verschmelzung von Invest in Germany GmbH und der Gesellschaft für Außenhandelsinformation entstehen wird. Auch diese Konstruktion halten wir für sinnvoll. Natürlich entstehen durch den Vollzugsaufwand kurzfristig Kosten, die nicht zu vermeiden sind und im Bundeshaushalt berücksichtigt werden. Insgesamt besteht aber die Chance, dass die außenwirtschaftlichen Dienstleistungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, transparenter, effektiver und effizienter gestaltet werden können. Deswegen unterstützen wir den Gesetzesentwurf.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10883, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10293 und 16/10664 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den restlichen Stimmen des Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksache 16/10569 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck ({0}), Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes - Drucksache 16/10566 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 16/10894 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Nešković Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Günter Krings, CDU/CSU, Dirk Manzewski, SPD, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Dr. Petra Sitte, Die Linke, Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, sowie des Parlamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Rückfall in die Steinzeit“ betitelten laut Evaluierungsbericht des Bundesjustizministeriums zum § 52 a UrhG einige Länder die mögliche Aufhebung des Paragrafen im Urheberrechtsgesetz. Und andere Länder wiederum sahen, zumindest schon einige tausend Jahre fortgeschritten, mit dem Wegfall der Regelung das „Mittelalter“ heraufschreiten. Ob derartige - eher unwissenschaftlich anmutende - Kraftausdrücke der Realität entsprechen, muss allerdings bezweifelt werden. Die von den Ländern gegebenen Antworten können qualitativ nicht befriedigen, wobei man den Ländern noch zugestehen kann, dass die Fragen teilweise auch nicht viel besser sind. Ich will dies an ein paar Beispielen illustrieren. Das Zahlenmaterial der Länder ist ungenau.Ich finde es skandalös, dass die Länder es ihren Universitäten durchgehen lassen, derart ungenaues Zahlenmaterial zu liefern. So kann ich mir kaum vorstellen, dass es keinen Unterschied machen soll, ob Werke für die Veranschaulichung im Unterricht oder für die wissenschaftliche Forschung genutzt werden. Denn die prozentuale Verteilung ist in beiden Fällen identisch. 75 Prozent fallen jeweils in den Verwertungsbereich der VG Wort, und 25 Prozent nehmen die übrigen Verwertungsgesellschaften ein. Da wurde wohl eher der Daumen als der Taschenrechner zurate gezogen. Beim nächsten Bericht werden wir eine derartige Verweigerung von genauer Datenerhebung nicht mehr durchgehen lassen. Die FH des Bundes macht unvollständige Angaben, wobei die Kritik fairerweise nicht nur an die Länder zu richten ist, sondern auch den Bund betrifft. Mit seiner Fachhochschule verfügt er über eine eigene, recht übersichtliche Einrichtung und lässt es dort zu, dass bei 29 Prozent der Nutzungen keine Angaben darüber gemacht werden, in welche Gruppe, also Büchern oder Bildmaterialien etc., sie einzuordnen sind. Bei der wissenschaftlichen Forschung sieht es noch verheerender aus. Über die Nutzung von zwei Dritteln der Werke liegen bei der FH des Bundes gar keine Erkenntnisse vor. Wenn eine Hochschule schon selbst nicht weiß, wie und welche urheberrechtlich geschützten Inhalte sie nutzt, dann kann ich die Verlage und Autoren gut verstehen, die Sorge haben, dass sie am Ende leer ausgehen. Wie wir gerade gesehen haben, entfällt der größte Teil der Nutzungen an Hochschulen in den Vergütungsbereich der VG Wort. Bis zum heutigen Tage ist für diesen größten und wichtigsten Bereich der Nutzung des § 52 a nicht ein einziger Cent geflossen. Die VG Wort hat ihren Teil getan, als sie im Mai 2005 einen Tarif aufgestellt und ihn sogar mit einer Musterkalkulation versehen hat, die erklärt, wie sie auf die angesetzte Vergütung kommt. Mir scheint diese Musterkalkulation durchaus leistungsgerecht zu sein, sodass ich die mehrjährige Totalverweigerung der Länder in diesem Bereich nicht nachvollziehen kann. Über drei Jahre haben sich die Länder Zeit gelassen, um vor der Schiedsstelle diesen Tarif anzugreifen. Und erst durch den Druck der Bundesjustizministerin und unserer Fraktion haben sich die Länder endlich dazu bewegen lassen, das Schiedsverfahren einzuleiten. Wenn ich eben namentlich die FH des Bundes kritisiert habe, so verdient sie aber auch ein Lob, nämlich für ihre Offenheit und Ehrlichkeit; denn zwei Drittel der dortigen Professoren erklärten, dass der Wegfall des § 52 a UrhG im Bereich „Veranschaulichung des Unterrichts“ keinerlei Auswirkungen auf ihre Arbeit habe. Die Forschungseinrichtungen, vertreten durch die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, sehen dies genauso, wobei der Wert wohl noch deutlich höher anzusetzen ist als bei der FH des Bundes. Und sie liefern allerdings auch die entscheidende Begründung dafür: Der überwiegende Teil der Nutzungen laufe inzwischen eh über Lizenzvereinbarungen. Das Vertragsrecht hat sich also hier erwartungsgemäß als praktischer und effektiver erwiesen als das Gesetzesrecht. Und eben hier liegt der richtige Ansatzpunkt. An sich ist der § 52 a UrhG ein Relikt aus alten Zeiten, als die Verlage noch nicht die Vorzüge der Digitalisierung von Inhalten erkannt hatten. Zur damaligen Zeit mag es vielleicht noch einen Sinn gegeben haben, eine Vorschrift einzuführen, die es den Schulen und Hochschulen ermöglichte, das Intranet der jeweiligen Einrichtung zur Veranschaulichung von Bildungsinhalten zu nutzen. Inzwischen halten die Verlage jedoch entsprechende Angebote vor und investieren viel Geld, um den Bildungsinstitutionen attraktiv aufbereitete Inhalte anzubieten. Anstatt auf derartige Angebote zuzugreifen, kämpft man auf der anderen Seite einen Kampf, der antiquiert anmutet. Die Verlage haben ja ein großes Interesse, derartige Angebote mittels Lizenzen den wissenschaftlichen Einrichtungen bereitzustellen, und es wäre aus meiner Sicht angebracht, dass sich beide Seiten einmal an einen Tisch setzen, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Der Wille, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten befriedigend ist, liegt auf der Seite der Verlage ganz offensichtlich vor. Und auf der Länderseite müsste diese Bereitschaft eigentlich auch gegeben sein, wenn es ihnen um ein wirklich attraktives Angebot für ihre Schüler, Studenten und Forscher geht. Diese Einigungsbereitschaft fehlt allerdings, wenn es den Ländern nur darum geht, den Verlagen und Autoren ihre gerechte Entlohnung zu verweigern und es nur billig haben zu wollen. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem immer wieder herbeigeredeten Antagonismus zwischen den Verlagen und dem Wissenschaftsbetrieb machen. Mir ist es wichtig zu betonen, dass die Verlage einen integralen Bestandteil dieses Wissenschaftsbetriebes ausmachen. Die Tausenden von Wissenschaftlern, die ihre Arbeit eben nicht einfach so ins Internet stellen, sondern eine Verlagsveröffentlichung vorziehen, bestätigen das Tag für Tag. Nur Verlage können durch kritische Prüfung von eingereichten Beiträgen eine Qualitätskontrolle erreichen, die ein hohes wissenschaftliches Niveau gewährleistet. Wissenschaftsverlage sind auf das Renommee ihrer Veröffentlichung angewiesen, da sie ansonsten ihren Ruf verlieren und damit in der Wissenschaftsfamilie nicht mehr ernst genommen werden. Zumal mit einem weiteren Mythos aufgeräumt werden sollte: dass es sich bei den Wissenschaftsverlagen nur um große Verlagshäuser handelt, die mit ihren Publikationen riesige Gewinne einfahren. Der weitaus größte Teil der deutschen Wissenschaftsverlage sind mittelständische Unternehmen, die zum Teil nur deshalb in dem Geschäft bleiben, weil ihre Eigentümer und ihre Mitarbeiter ihre Arbeit aus innerer Überzeugung und mit viel Herzblut betreiben. Aus den Gesprächen mit vielen Verlagen weiß ich: Die Absatzzahlen von Lehrbüchern sind teilweise eingebrochen. Das bezieht sich insbesondere auf Nischenprodukte, die in der Anschaffung entsprechend teuer sind. Studenten nutzen für ihre Arbeit zunehmend lieber das, was im Intranet eingestellt ist, als sich das entsprechende Lehrbuch anzuschaffen. Bei manchen dieser Verlage geht der § 52 a UrhG an die Substanz. Daher ist es auch traurig zu sehen, dass der Antrag der Grünen in seiner Begründung auf die Interessen der Urheber und ihrer Verlage gar nicht weiter eingeht, sondern Zu Protokoll gegebene Reden einfach nur von den positiven Auswirkungen der Wissenschafts- und Ausbildungsschranke in der Praxis spricht, die eine Aufhebung der Befristung rechtfertigen würden. Sie weisen zwar zu Recht darauf hin, dass das BMJ in seinem Evaluierungsbericht in der Zusammenfassung zu dem Ergebnis kommt, die Befristung sei aufzuheben. Wenn Sie allerdings den ganzen Bericht genau gelesen hätten, müssten Sie eigentlich zu einem anderen Ergebnis kommen. Derartige Regierungsgläubigkeit von einer Oppositionspartei hätte ich nicht erwartet. Ich werde an anderer Stelle gerne noch einmal darauf zurückkommen. Die nun gefundene Kompromisslösung halte ich insgesamt für vertretbar. Die beiden vorgelegten Evaluierungsberichte haben uns leider nur ein sehr rudimentäres Bild von der Anwendung des § 52 a UrhG in der Praxis geliefert. Für den nächsten Bericht sollte man den Fragenkatalog unbedingt überarbeiten und hinterfragen, ob er wirklich zielgerichtet die Informationen abfragt, die für eine vernünftige Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Verlage notwendig ist. Denn das war das eigentliche Ziel der Befristung: zu sehen, wie stark § 52 a in das Eigentumsrecht der Verlage eingreift. Dies ist bislang nur unzureichend möglich. Übrigens verpflichtet uns niemand, die Vierjahresfrist voll auszuschöpfen. Wir sollten uns schon zu Beginn der nächsten Wahlperiode mit der Evaluierung dieses Themas beschäftigen. Geeignete Vorschläge zur Verbesserung dieser Bestimmung, unter denen wir auch den berechtigten Bedenken der Verlage Rechnung tragen, können wir als Unionsfraktion jederzeit vorlegen. Wir geben mit dieser Verlängerung vor allen den Ländern noch eine - aus meiner Sicht letzte - Chance, mit dieser problematischen Urheberrechtsschutzschranke so verantwortlich umzugehen, dass auch die Autoren und Verlage zu ihrem Recht kommen. Da es ohne Original bekanntlich auch keine Kopien mehr gibt, müssen endlich angemessene Honorare für die Nutzung fremden Eigentums gezahlt werden.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als wir seinerzeit den § 52 a des Urhebergesetzes neu geschaffen haben, haben wir es im Interesse der Bildung unter anderem erlaubt, das kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs oder auch einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zum Beispiel zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen oder Hochschulen zugänglich gemacht werden können. Dem ist damals eine kontroverse Diskussion vorangegangen. Mit Urhebern und Rechteinhabern, die diese Regelung strikt ablehnten und mit Vertretern aus dem Bereich Bildung, denen diese Öffnungsklausel noch nicht weit genug ging. Auch innerhalb der Fraktionen gab es unterschiedliche Meinungsbilder. Die Rechts- und Kulturpolitiker, die eher auf der Seite der Urheber und Rechteinhaber standen und die Bildungs- und Verbraucherpolitiker, die diese neue Vorschrift noch viel zu einengend empfanden. Wir haben uns damals deshalb sehr intensiv mit dieser einzelnen Vorschrift befasst, weil eben zwei immanent wichtige Bereiche betroffen waren: Bildung und geistiges Eigentum. Und beiden Seiten haben damals gewichtige Argumente für ihre jeweilige Position vorgetragen. Nach langen Beratungen haben wir gleichwohl die immer noch Streit befangene Vorschrift erlassen. Wir haben aber diese Vorschrift allerdings unter eine Befristung gestellt um eben festzustellen, ob insbesondere die Befürchtungen der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen wirklich berechtigt sind. Diese Befristung lief zunächst bis zum 31. Dezember 2006 und wurde von uns dann bis zum 31. Dezember 2008 verlängert. Dementsprechend stellt sich uns nun die Frage, wie wir mit dieser auslaufenden Befristung weiter umgehen. Die unterschiedlichen Gruppierungen haben sich wieder zu Wort gemeldet und interpretieren - oh, Wunder die Resultate dieser Vorschrift höchst unterschiedlich. Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Evaluierungsphase dieser Vorschrift noch einmal zu verlängern und zwar bis zum 31. Dezember 2012. Die Gewichtung der Gründe sind hierfür innerhalb der Koalition durchaus unterschiedlich - das will ich nicht verhehlen. Für mich reicht der entsprechende Bericht des BMJ für eine abschließende Entscheidung jedenfalls noch nicht aus. Wir hätten wohl den Hinweis, die vorgegebene Zeitspanne sei für eine vernünftige Evaluierung viel zu kurz, ernster nehmen sollen. Ich sage das ganz selbstkritisch. Bildung ist ein hohes Gut - keine Frage - aber eine vernünftige Abwägung hat auch die Interessen der Rechteinhaber mit zu berücksichtigen. Deshalb fand ich es schon ganz interessant, in dem Bericht zu lesen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Hochschulen, gar nicht an einer intensiveren Nutzung von § 52 a UrhG interessiert ist, da der Bedarf unter anderem über Campus-Lizenzen etc. völlig ausreichend abgedeckt sei. Es gibt auch noch kein System für die Registrierung, Meldung und Abrechnung der einzelnen Nutzungen durch die Hochschulen. Das wäre aber Voraussetzung um von den bisher gültigen pauschalen Nutzungsentgelten auf eine gerechtere werksbezogene Einzelabrechnung zu kommen. Hinzu kommt, dass in dem Gesamtvertrag „Hochschulen“, der zwischen den Ländern und den Verwertungsgesellschaften geschlossen wurde, die Verwertungsgesellschaft mit dem höchsten Anteil der Nutzungen - die VG Wort - noch nicht eingebunden ist. Der VG Wort ist einfach das Entgelt, das für die Nutzungen an Hochschulen gezahlt werden soll, zu niedrig. Bislang sind die Länder nur bereit, für die Nutzung durch ihre sämtlichen Hochschulen einen relativ geringen Betrag zu zahlen. Dass die VG Wort das nicht akzeptiert und nun wohl vor die Schiedsstelle gehen wird, ist für mich mehr als verständlich. Die Befristung ist seinerzeit aber eben auch eingeführt worden, um zu sehen, ob die Interessen der Rechteinhaber hinreichend gewahrt werden. Da dieses zumindest derzeit offenbar nicht der Fall ist, sollte die Befristung Zu Protokoll gegebene Reden nicht einfach aufgehoben, sondern noch einmal verlängert werden. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns hierbei unterstützen würden.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zu Recht betont die Bundesregierung immer wieder die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung, die der wirksame Schutz des geistigen Eigentums gerade im digitalen Umfeld hat. In der praktischen Umsetzung wird die Bundesregierung ihren eigenen Maßstäben aber oft nicht gerecht. Das konnten wir in letzter Zeit vor allem am Beispiel des Urheberrechts beobachten. Mit § 52 a UrhG wurde im Jahr 2003 ein neue Ausnahmevorschrift in das Urheberrechtsgesetz eingefügt. Sie erlaubt die öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke in Intranets zur Veranschaulichung im Unterricht und in der Forschung. Die FDP hat § 52 a abgelehnt, weil diese Vorschrift über das Ziel hinausschießt und weil nicht absehbar war, in welchem Maß die Vorschrift die Entwicklung digitaler Verlagsangebote beeinträchtigt. Auch der Rechtsausschuss hat die Befürchtungen der Verlage vor unzumutbaren Beeinträchtigungen damals immerhin insoweit anerkannt, als er durchgesetzt hat, dass § 52 a UrhG zunächst auf zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2006 befristet wird. Die Bundesregierung war nicht in der Lage, dem Bundestag rechtzeitig eine aussagekräftige Evaluation der Auswirkungen von § 52 a UrhG vorzulegen. Die Übergangsfrist ist deshalb 2006 um weitere zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2008 verlängert worden. Um die Chance auf eine dauerhafte und tragfähige Regelung zu wahren, hat meine Partei diese Verlängerung gebilligt. Obwohl lange bekannt war, dass der Bundestag in diesem Jahr über § 52 a entscheiden muss, weil die Norm andernfalls am 31. Dezember 2008 außer Kraft tritt, hat die Koalition das Thema vor sich hergeschoben. Jetzt will sie im Eilverfahren eine erneute Übergangsregelung durch den Bundestag peitschen und sich wieder einer inhaltlichen Entscheidung entziehen. Der Evaluationsbericht des Bundsjustizministeriums liegt seit Frühjahr vor. Auch dieser Bericht ist unzureichend und lässt eine positive Bewertung, die eine Entfristung von § 52 a UrhG rechtfertigen würde, weiterhin nicht zu. Das sieht ausdrücklich auch die Koalition so. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb der Koalition; denn darüber, wie es mit § 52 a UrhG weitergehen soll, konnte in der Koalition keine Einigkeit erzielt werden. § 52 a soll deshalb erneut verlängert werden - dieses Mal gleich um weitere vier Jahre. Sollte der Entwurf der Koalition Gesetz werden, würden bis zur endgültigen Entscheidung des Gesetzgebers seit dem Inkrafttreten von § 52 a also neun Jahre vergehen. Damit wird die Befristung, die nach einem überschaubaren Zeitraum eine seriöse Überprüfung ermöglichen sollte, zur Farce. Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber sich auf diese Weise seiner Verantwortung entzieht. Faktisch haben wir es dann doch mit einer Entfristung zu tun. Wenn die Koalition das will, dann soll sie es auch so nennen. Es ist noch immer nicht geklärt, welche Auswirkungen § 52 a tatsächlich hat. Vor allem ist nicht akzeptabel, dass die begünstigten Einrichtungen offenbar noch immer keine Vorkehrungen für eine werkbezogene Abrechnung der Nutzungen getroffen haben. Es ist keineswegs auszuschließen, dass § 52 a UrhG die Verlage beim Ausbau ihres digitalen Geschäfts nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Und dabei geht es keineswegs nur um einige wenige dominierende Großverlage, wie gelegentlich behauptet wird. Auch und gerade mittlere und kleinere deutsche Fachverlage sehen § 52 a UrhG unverändert mit Sorge. Diese Sorgen muss der Bundestag ernst nehmen, wenn er seine urheberrechtspolitische Glaubwürdigkeit nicht verlieren möchte. Dass es auch anders geht, zeigt ja der „Zweite Korb“. Da haben wir Regelungen geschaffen, die sehr wohl die Interessen der Nutzer und der Rechteinhaber zum Ausgleich bringen. Die Nutzerbedürfnisse sind hier berücksichtigt worden, ohne zugleich die berechtigten Interessen der Rechteinhaber über Bord zu werfen. Das Ziel, das hinter § 52 a steht, ist grundsätzlich richtig. Das stelle ich hier ausdrücklich fest, damit keine Missverständnisse entstehen. Natürlich ist es richtig, Lehre und Forschung durch sinnvolle Rahmenbedingungen den Zugang zu digitalen Inhalten zu erleichtern. Aber das darf nicht zu Lasten der Rechteinhaber gehen. Es ist Aufgabe der Träger der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, diese mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Es kann nicht sein, dass wir das Urheberrecht zurückdrängen, um auf diese Weise die Bildungs- und Wissenschaftshaushalte auf Kosten der Rechteinhaber zu entlasten. Genau diese Gefahr besteht aber bei § 52 a in seiner geltenden Form unverändert. Der Bundestag hat § 52 a UrhG im Jahr 2003 bewusst mit einer knapp bemessenen Frist versehen, damit zeitnah eine Bewertung erfolgt. Der Gesetzentwurf der Koalition führt das Konzept der befristeten Geltung ad absurdum. Die FDP wird dem Gesetz deshalb nicht zustimmen.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Allenthalben werden in der Debatte über qualitative Veränderungen unserer Gesellschaft und ihrer ökonomischen Grundlagen Schlagworte wie „Wissensgesellschaft“, „Informationsgesellschaft“ oder neuerdings auch „Bildungsrepublik“ gebraucht. Abgesehen davon, dass diese Begriffe eher interessengeleitet als objektiv beschreibend verwendet werden, enthalten sie doch auch Wahres: Die Bedeutung von Wissen und Kreativität, aber auch von Kommunikation und Information steigt weiter stark an. Diese Kompetenzen werden immer mehr zu wichtigen Produktionsfaktoren im gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Bereich. Wenn unsere Gesellschaft sich also in umfassendem Sinne weiterentwickeln will, muss sie die Verbreitung des Wissens fördern und die kreativen Kompetenzen der Menschen herausfordern. Mit dem Bedeutungszuwachs des Wissens stiegen auch dessen Verwertungsmöglichkeiten als lukrative HandelsZu Protokoll gegebene Reden ware. Dieser schlichte Bezug zur „Wissensgesellschaft“ meint, dass sich heute mit wissensintensiven Gütern mehr Geld verdienen lässt als früher, und das auch im Bildungs- und Forschungsbereich. Sowohl Schulbuch- wie auch Wissenschaftsverlage konnten ihre Umsätze und Gewinne in den vergangenen Jahren stark steigern. Der Zugang zu Wissen wird dadurch jedoch verknappt. Hochschulen müssen Zeitschriften abbestellen, Schulen sparen am Lehrmaterial und Familien an Kinderbüchern, um die steigenden Beschaffungskosten abzufangen. Dabei profitieren weniger die Kreativen und Wissenschaftler von dieser Entwicklung, denn sie schließen zumeist Abtretungsverträge mit den Verwertern ab. Die Digitalisierung von Inhalten erweist sich in diesem Prozess als zweischneidiges Schwert: Zum einen ist prinzipiell die Verbreitung auf Basis des Internets fast ohne Kosten möglich, zum anderen sind jedoch Möglichkeiten des Rechtemanagements durch die Verlage und Firmen im Vergleich zur Papierform stark angestiegen. Mit einem Wort: Die technischen Möglichkeiten sind den gesellschaftlichen Regularien bei der Schaffung von Gemeinnutzen weit voraus. Es leuchtet ein, dass hier zwischen kommerziellen Verwertern des Wissens und den Nutzern ein Interessenwiderspruch besteht. Die Gesellschaft muss infolgedessen eine Güterabwägung vornehmen, wobei die beiden genannten Bereiche Bildung und Wissenschaft als Schlüsselsektoren einer wissensbasierten Gesellschaft besonderer staatlicher Förderung bedürfen. Der Gesetzgeber hat im Jahr 2003 daher als vorsichtigen, aber richtigen Schritt eine Regelung im Urheberrechtsgesetz verankert, die es Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen ermöglicht, urheberrechtlich geschützte, sogenannte kleine Werke und Teile von Werken in internen Netzwerken in digitaler Form einem begrenzten Personenkreis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise dienen sie fördernswerten Zwecken, ohne die Verwertungskreisläufe zu boykottieren. Denn für diese Nutzung zahlen die Einrichtungen bzw. ihre Träger pauschale Nutzungsgebühren. Die Vorbehalte gegen eine solch leichte Öffnung des Urheber- und Verwerterschutzes, mithin die Angst vor Kontrollverlust durch Verlage und Produktionsfirmen war und ist groß. Zudem ist die Verteilung der gezahlten Pauschalen durch die Verwertungsgesellschaften noch ein Problem. Daher ist diese Regelung zuerst bis 2006 und dann - aufgrund unzureichender Evaluierungsergebnisse - bis zum Jahr 2008 befristet worden. Die erneute Evaluierung durch das Bundesministerium der Justiz in den letzten zwei Jahren bezieht Befragungen aller Beteiligten ein und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Die genannte Regelung hat sich bewährt. Sie trägt dazu bei, das Lehrangebot in Schulen und Hochschulen aktuell zu halten und qualitativ zu verbessern. In Forschungseinrichtungen werden vor allem Kooperationen und Kollektivarbeiten befördert. Zudem habe selbst der Börsenverein des deutschen Buchhandels bisher keine nennenswerten Umsatzeinbußen infolge der Ausnahmeregelungen feststellen können. Eine Erweiterung des § 52 a Urheberrechtsgesetz, wie Schulen und Forschung forderten, könne das BMJ zwar nicht empfehlen, eine nochmalige Befristung sei jedoch in keinem Fall begründbar. Ich bin erstaunt, dass Sie, liebe Koalitionäre, nach diesem eindeutigen und gut belegten Plädoyer aus dem Bericht nun trotzdem eine Befristung beantragen. Trauen Sie Ihrem Ministerium nicht? Oder hat hier die Lobbyarbeit von Verlagen und Verbänden Wirkung gezeigt? Eine nochmalige Befristung um vier Jahre hilft doch niemandem! Sie behindert den Auf- und Ausbau von Intranets in Schulen und Hochschulen durch mangelnde Nutzungsperspektiven, führt dennoch nicht zu mehr Erkenntnissen in der Folgenabschätzung. Und zur FDP: Sie haben sich in der Sitzung des Bildungsausschusses als Partei des Eigentums dargestellt und wollten den § 52 a am liebsten ganz abschaffen. Das ist konsequent. Wie verträgt sich diese restriktive Haltung jedoch mit Ihrer Rhetorik von Wissenschaftsfreiheit und Bildungsaufschwung? Der FDP steht die genannte Güterabwägung offensichtlich noch bevor. Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen, der eine Entfristung des § 52 a vorschlägt. Kompromisse zwischen widerstreitenden Interessen, die sich nachweislich in der Praxis bewährt haben, sollte man um der Planungssicherheit der Beteiligten willen beibehalten. Trotzdem, das darf ich hier anfügen, kann diese Regelung nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu einem bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht gewesen sein. Die Linke fordert, wie der Bildungsausschuss, eine dritte Novelle des Urheberrechtsgesetzes, in dem der „Open Access“-Gedanke umfassend eingearbeitet ist und dem Recht auf Bildung und Informationsfreiheit Vorrang vor der kommerziellen Verwertung eingeräumt wird.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit der Einführung des § 52 a in das Urheberrechtsgesetz hat der Gesetzgeber im September 2003 einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Bildung und Forschung in einer digitalen Informationsgesellschaft geleistet. Durch die dort festgelegte Ausbildungs- und Wissenschaftsschranke ist es zulässig unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen, Werke für Unterrichtszwecke oder für Forschungszwecke in kleine Intranets von Schulen oder Universitäten einzustellen. Um die Auswirkungen dieser Norm in der Praxis evaluieren zu können, wurde § 52 a UrhG zunächst bis zum 31. Dezember 2006 befristet. Dann folgte mangels abschließender Evaluation wiederum eine Befristung bis zum 31. Dezember 2008. Nun wird im zweiten Evaluierungsbericht des Bundesjustizministeriums vom 2. Mai diesen Jahres eine Aufhebung der Befristung empfohlen. Dies halte ich für richtig. Die neue Regelung des § 52 a UrhG hat sich in der Praxis bewährt und muss - unbefristet - bleiben. Forschung und Lehre müssen auch weiterhin einen einfachen Zugriff auf urheberrechtlich geschützte Informationen erhalten. Laut der begünstigten Institutionen hat sie besonders im Bereich der Lehre zu einer gesteigerten Aktualität und einer besseren Vermittlung von Lehrinhalten sowie zu einer Verbesserung der Medienkompetenz der Studierenden geführt. Besonders im Bereich der Hochschulen hat die Regelung sehr große Akzeptanz gefunden - nahezu Zu Protokoll gegebene Reden 900 000 Nutzungen - davon circa 600 000 im Bereich Lehre und zirka 300 000 im Bereich Forschung - haben dort allein im Sommersemester auf der Grundlage der neuen Schranke des § 52 a UrhG stattgefunden. Die Länder gaben übereinstimmend an, dass ein Wegfall der Vorschrift erhebliche negative Konsequenzen hätte. Hamburg bezeichnete den Wegfall als „absolute Katastrophe“, Bayern und Baden-Württemberg als „Rückfall in die Steinzeit“ und Nordrhein-Westfalen als „Rückfall ins Mittelalter“. Dies zeigt, wie wichtig es für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland ist, innovative gesetzliche Neuerungen zu schaffen, die Forschung und Lehre den Zugriff auf Informationen auch im digitalen Bereich schnell und einfach ermöglichen. Dass dabei die Rechte der Urheber und Verwertungsgesellschaften nicht außer Acht gelassen werden dürfen, steht für mich völlig außer Frage. Wir brauchen ein funktionierendes Vergütungssystem. Der grundsätzliche Rahmen dafür ist durch den § 52 Abs. 4 UrhG und die Verhandlungen zu den Gesamtverträgen „Hochschulen“ und „Schulen“ zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Ländern geschaffen. Die Länder haben die Zahlungen aufgrund der Pauschalvergütungen nach den Gesamtverträgen „Schule“ und „Hochschulen“ aufgenommen. Dass dabei mit der VG Wort, die die Rechte der bei ihr zusammengeschlossenen Rechteinhaber vertritt, auch nach mehreren Jahren noch keine Einigung auf einen Gesamtvertrag „Hochschulen“, an dem auch sie beteiligt ist, erzielt worden ist, ist sicherlich ärgerlich. Doch gerade dieser Tage findet zwischen den beteiligten Kreisen vor der Schiedsstelle des Patent- und Markenamts in München ein erneutes Treffen zur Einigung statt. Diese Einigung kann nur ein Kompromiss zwischen den Parteien sein. Eine weitere Befristung würde das durch die Einführung von § 52 a UrhG bezweckte Ziel „Förderung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland in einer digitalen Informationsgesellschaft bei Achtung der Urheberrechte“ gefährden. Zum einen würde der Ausbau der Infrastruktur für die Nutzungen, die § 52 a UrhG ermöglicht, empfindlich gehemmt werden - besonders im schulischen Bereich ist dies evident. Nur circa zehn Prozent der befragten Schulen haben die Möglichkeiten des § 52 a UrhG genutzt. 50 Prozent der Schulen der Sekundarstufe I und II, die noch kein Intranet nutzen, gaben an, in Zukunft schulische Intranets nur dann nutzen zu wollen, wenn die Norm unbefristet fortgelte. Zum anderen wird eine weitere Befristung auch die Probleme bei der Einigung auf eine angemessene Vergütung im Bereich „Hochschulen“ nicht herbeiführen können. Im Gegenteil - die Befristung der Norm war doch gerade ein Grund dafür, dass im Gesamtvertrag der Hochschulen nur pauschale Nutzungsentgelte vereinbart wurden. Die Verwertungsgesellschaften gaben an, dass die bestehende Befristung der Norm die Gesamtvertragsverhandlungen erschwert hätten. Um eine für alle Seiten zufriedenstellende Einigung über die Vergütung und anstatt einer Pauschal-, auch eine Einzelabrechnung ermöglichen zu können, muss hier eine langfristige Perspektive und Rechtssicherheit für die Nutzer sowie die Rechteinhaber geschaffen werden. Deshalb dürfen noch ausstehende Einigungen im Vergütungsbereich nicht die grundsätzliche Richtigkeit und den Erfolg des § 52 a UrhG in Frage stellen - ich meine, eine weitere Befristung würde genau das Gegenteil bewirken.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

„Zum 10. Mal wiederholt, wird es gefallen“. Dies hat einmal der berühmte Dichter Horaz gesagt. Ich hoffe nicht, dass es einer zehnten Befristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz bedarf, bis uns die Norm gefällt. § 52 a des Urheberrechtsgesetzes wurde durch das Erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 erstmalig in das deutsche Urheberrechtsgesetz eingeführt. Diese Regelung erklärt es unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen für zulässig, Werke für Unterrichtsoder Forschungszwecke in Intranets von Schulen und Hochschulen einzustellen. Die Regelung wurde damals bis zum 31. Dezember 2006 befristet. Hiermit wollte man den Befürchtungen wissenschaftlicher Verleger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen ihres Kerngeschäfts Rechnung tragen. Nach einer ersten Evaluierung über die Auswirkung der Norm in der Praxis im Jahr 2006 war eine abschließende Bewertung nicht möglich. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 10. November 2006 wurde die Befristung daher um zwei Jahre verlängert. In diesem Jahr hat das Bundesministerium der Justiz eine erneute Evaluierung durchgeführt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Befristung der Norm aufgehoben werden sollte. In den nachfolgenden Beratungen mit den Berichterstattern der Regierungskoalition sind jedoch erneut Bedenken im Hinblick auf die Belange der wissenschaftlichen Verlage geäußert worden. Das Ergebnis der Beratungen war eine erneute Befristung um weitere vier Jahre. Ich hoffe nunmehr sehr, dass aller guten Dinge nicht zehn, sondern drei sind und die im Jahr 2012 anstehende dritte Evaluierung ausreichende Erkenntnisse für eine endgültige Entscheidung über den Fortbestand der Regelung und eventuelle Modifizierungen bringen wird. Die in diesem Jahr durchgeführte Evaluierung hat in jedem Fall gezeigt, dass die Norm für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland eine positive Rolle spielt. Von § 52 a Urheberrechtsgesetz wurde an den Hochschulen im großen Umfang Gebrauch gemacht. Die Hochschulen haben angegeben, dass die Norm es ihnen ermögliche, die Lehre besser und aktueller zu gestalten; außerdem steige durch den erleichterten Austausch von Inhalten unter den Wissenschaftlern die Qualität der Forschung. Aber auch im Bereich der Schulen gewinnt die Norm zunehmend an Bedeutung. Sicherlich verfügen bislang nicht alle Schulen über die technischen und personellen Ressourcen, um den Schülern Werke in Intranets öffentlich zugänglich zu machen. Ich denke aber, dass hier weitere Investitionen folgen werden. Denn die Erfahrungen der Schulen mit der Nutzung des Intranets waren durchgehend positiv. Ich freue mich daher sehr, dass wir - die Zu Protokoll gegebene Reden Regierungskoalition - zu dem Ergebnis gekommen sind, die Norm fortgelten zu lassen. Ich bin auch davon überzeugt, dass uns bei der erneuten Evaluierung im Jahr 2012 - nach immerhin neun Jahren - genügend Daten für eine abschließende Bewertung vorliegen werden. Bis dahin wird sich der Zahlungsmechanismus so eingespielt haben, dass wir noch genauer absehen können, inwieweit Urheber und Verleger von den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften profitieren. In jedem Fall kann ich Ihnen bereits jetzt versichern, dass das Bundesministerium der Justiz bei der im Jahr 2012 - hoffentlich letzten - Evaluierung von § 52 a Urheberrechtsgesetz sowohl die Belange von Wissenschaft und Forschung als auch die Interessen der Rechtsinhaber ausreichend berücksichtigen wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10894, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/10569 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10894 empfiehlt der Rechtsausschuss, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10566 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 16/10811 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Karl Schiewerling, CDU/CSU, Angelika Krüger-Leißner, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Katrin Kunert, Die Linke, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamentarischen Staatssekretärs Klaus Brandner.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf setzen wir die Beteiligung des Bundes an den kommunalen Leistungen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2009 neu fest. Das geschieht auf der Grundlage des SGB II. Der Bund beteiligt sich nach § 46 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - SGB II - zweckgebunden an den Leistungen der kommunalen Träger für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Damit wird sichergestellt, dass die Kommunen durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - unter Berücksichtigung der sich aus diesem Gesetz ergebenden Einsparungen der Länder - um jährlich 2,5 Milliarden entlastet werden - und das aus guten Grund, denn die Kommunen sollen dieses Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung aufwenden. Um die Entlastung der Kommunen um jährlich 2,5 Milliarden Euro sicherzustellen, wurde im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Jahre 2005 und 2006 ein Bundesbeteiligungssatz von 29,1 Prozent festgeschrieben. Da sich das Verfahren regelmäßiger Anpassungen der Höhe der Bundesbeteiligung auf der Grundlage einer jährlichen Be- und Entlastungsrechnung für die Kommunen als nicht zweckmäßig erwiesen hatte, gleichwohl aber nicht auf eine jährliche Anpassung der erforderlichen Höhe der Bundesbeteiligung verzichtet werden sollte, wurde im Einvernehmen mit den Ländern durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes bestimmt, dass die Höhe der Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß der gesetzlich verankerten Anpassungsformel zu bestimmen ist. Innerhalb der Anpassungsformel spielt die Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften eine wesentliche Rolle. Um es kurz zu fassen: Mehr Bedarfsgemeinschaften bedeuten mehr Bundeszuschuss. Weniger Bedarfsgemeinschaften bedeuten weniger Bundeszuschuss. Für das Jahr 2008 hatte das folgende Konsequenz: Da sich die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften im maßgeblichen Zeitraum von Juli 2005 bis Juni 2006 im Vergleich zu dem Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 um mehr als 0,5 Prozent verändert hatte - sie war nämlich um 3,7 Prozent gesunken -, musste laut Anpassungsgesetz die Bundesbeteiligung für das Jahr 2008 um 2,6 Prozentpunkte auf bundesdurchschnittliche 29,2 Prozent gesenkt werden. An den Leistungen für Unterkunft und Heizung in Baden-Württemberg beteiligt sich der Bund für das Jahr 2008 mit 32,6 Prozent, in Rheinland-Pfalz mit 38,6 Prozent und in den übrigen 14 Ländern mit 28,6 Prozent. Auch für das Jahr 2009 muss die Höhe der Bundesbeteiligung erneut angepasst werden. Die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften hat sich im Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 im Vergleich zu dem Zeitraum von Juli 2007 bis Juni 2008 von 3 827 934 auf 3 653 757 verringert. Das entspricht 4,6 Prozent. In der Anpassungsformel heißt es, dass bei einer Veränderung der Bedarfsgemeinschaften um plus oder minus 1 Prozent eine Anpassung des Beteiligungssatzes um plus oder minus 0,7 Prozentpunkte zu erfolgen hat. Dementsprechend verringert sich die Bundesbeteiligung um 3,2 Prozentpunkte; 4,6 mal 0,7 gleich 3,22. Hieraus ergibt sich eine Bundesbeteiligung in Höhe von bundesweiten 26,0 Prozent. Die Sonderquoten für Baden-Württemberg werden folglich auf 29,4 Prozent, die für RheinlandPfalz auf 35,4 Prozent und für die übrigen Länder auf jeweils 25,4 Prozent festgelegt. Die teilweise von kommunaler Seite beanstandete angebliche Benachteiligung beim Anpassungsgesetz ist nicht nachvollziehbar. Schließlich wurde die Anpassungsformel nach langen Verhandlungen mit den Ländern vereinbart und im Bundesrat einmütig beschlossen. Mit dem hier vorliegenden Regierungsentwurf wenden wir schlicht die gesetzlich festgelegte Anpassungsformel an. Aus diesem Grund sehe ich keine Bedenken, dieses Gesetz im Bundestag in naher Zukunft zu verabschieden.

Angelika Krüger-Leißner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diejenigen unter uns, die sich seit Jahren intensiv mit der Arbeitsmarktpolitik und insbesondere mit der Hartz-IV-Gesetzgebung beschäftigen, wissen, von welcher Brisanz das Thema Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung ({0}) ist. Jedes Jahr aufs Neue hatten wir bei der Festsetzung der Höhe der Bundesbeteiligung die Auseinandersetzungen mit den Ländern, den Kommunen und ihren Spitzenverbänden. Schon mit Einführung von Hartz IV musste der Vermittlungsausschuss eine Lösung zwischen Bundestag und Bundesrat herbeiführen. Beide Seiten haben sich darauf verständigt, die Kommunen im Zuge der Umsetzung von Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten. Die Entlastung - das wurde ebenfalls im Vermittlungsausschuss verabredet - erfolgt über die Beteiligung des Bundes an den KdU für Hartz-IV-Empfänger. Mit dem ersten SGB-II-Änderungsgesetz haben wir für die Jahre 2005 und 2006 die Bundesbeteiligung auf 29,1 Prozent festgelegt. Für die Jahre ab 2007 musste jedoch eine gesetzliche Neuregelung gefunden werden. Denn die Idee, die Höhe der Bundesbeteiligung anhand einer aufwendigen Berechnung regelmäßig neu zu berechnen, hat sich als nicht praxistauglich erwiesen. Nach auch hier langen Verhandlungen mit den Ländern konnte eine Vereinbarung getroffen werden, die im Wesentlichen drei Punkte umfasst: Erstens. Die durchschnittliche Beteiligung des Bundes wurde auf 31,8 Prozent festgesetzt. Damit ist der Bund dem Votum des Bundesrates gefolgt und stellte 450 Millionen Euro mehr zur Verfügung als aus seiner Sicht notwendig gewesen wäre. Für 14 Länder wurde die Bundesbeteiligung auf 31,2 festgelegt, für Baden-Württemberg auf 35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 41,2 Prozent. Diese Regelung wurde einmütig mitgetragen. Zweitens. Es war mir besonders wichtig, dass der „Ausgleich Ost“ über die Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen bis 2010 verlängert wurde. Damit wurde der - bis heute immer noch - schwierigen Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen. Drittens. Die Anpassung der Bundesbeteiligung ab den Jahren 2008 bis 2010 soll anhand der Entwicklung der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften erfolgen. Vereinfacht ausgedrückt: Steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, steigt auch die Beteiligung des Bundes, und umgekehrt. In beiden Fällen erfolgt die Beteiligung unterproportional. Auf eine detaillierte Darstellung der Anpassungsformel verzichte ich an dieser Stelle. Die Interessierten unter Ihnen können das im Gesetz genau nachlesen. In diesem Punkt konnte aber der Bund dem Vorschlag der Länder, nämlich die Höhe der Ausgaben für die Kosten der Unterkunft als Maßstab für die Bundesbeteiligung zu Grunde zu legen, nicht folgen. Ich halte die Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften als Berechnungsgrundlage nach wie vor für richtig. Denn das primäre Ziel im SGB II ist es, die Zahl der Hilfebedürftigen und damit die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften zu reduzieren. Somit geht das Ziel Senkung der Bedarfsgemeinschaften einher mit der Verringerung der Kosten der Unterkunft. Für die Kommunen besteht somit ein Anreiz, die Wohnkosten regelmäßig auf Ihre Angemessenheit zu prüfen. Darüber hinaus haben wir mit dieser Berechnungsmethode Transparenz geschaffen. Denn jeder kann die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften den entsprechenden Statistiken entnehmen. Somit ist der Anpassungsmechanismus eindeutig und nachvollziehbar. Nicht sonderlich überrascht war ich, dass Ende 2007 das Feilschen der Länder, als wir mit dem dritten Änderungsgesetz des SGB II den Bundeszuschuss für 2008 nach eben diesem Verfahren festlegen wollten, erneut begann. Dabei hatten wir doch in dieser Frage einen Konsens erreicht. Die Position der Länder und kommunalen Spitzenverbände und der Kommunen war eindeutig: Bei der Berechnung sollten auch die enorm gestiegenen Energiekosten berücksichtigt werden. In der Anhörung dazu konnten die Sachverständigen die aktuellen Kostensteigerungen jedoch nicht seriös nachweisen. Es konnte vor allem nicht dargelegt werden, ob und wie die Länder ihre Einsparungen beim Wohngeld an die Kommunen weitergegeben haben. Insofern blieb es bei der verabredeten Berechnung. Im Juni dieses Jahres haben wir mit dem vierten Änderungsgesetz des SGB II beschlossen, die zeitliche Befristung der Anpassungsformel aufzuheben. Dem Gesetzentwurf ging ein intensives Beratungsverfahren mit den Ländern voraus, dem die Länder letztendlich in Zusammenhang mit der Wohngeldnovelle im SGB XII zustimmten. Wenn man die Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften verfolgt, so ist festzustellen, dass es einen kontinuierlichen Rückgang - auch bedingt durch gesetzliche Änderungen gibt. Der Bundesanteil in 2008 an den KdU hat sich gegenüber 2007 erheblich verringert. Das ist auch dadurch bedingt, dass der Bund in 2007 einen höheren Anteil ausgegeben hat, als seiner Auffassung nach nötig gewesen wäre. Ich habe bereits darauf hingewiesen. Zu Protokoll gegebene Reden Für 2008 sind Gesamtkosten von 13,4 Milliarden Euro vorgesehen. Davon entfallen gemäß der Beteiligung des Bundes von durchschnittlich 29,2 Prozent 3,9 Milliarden Euro auf den Bund und 9,5 Milliarden Euro auf die Kommunen. Für 2008 sind bereits 83,5 Prozent der bereitgestellten Mittel abgerufen. Es ist also anzunehmen, dass die geplanten Kosten auch den tatsächlichen entsprechen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften in 2009 weiter rückläufig ist. Sie veranschlagt Gesamtkosten für die Kosten der Unterkunft von 12,3 Milliarden Euro. Daraus ergibt sich eine Beteiligung des Bundes von 26,0 Prozent. Das führt zu Ausgaben in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro. Gegenüber 2007 ergibt sich eine Entlastung des Bundes um rund 0,7 Milliarden Euro. Die Kommunen tragen gemäß ihrem Anteil rund 9,1 Milliarden Euro. Das entspricht einer Entlastung von 0,4 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bestimmen wir nur das Ergebnis für 2009 gemäß der verabredeten Anpassungsformel. Trotz rückläufiger Bundesbeteiligung steht der Bund weiterhin dazu, die Kommunen in ihrer Gesamtheit um jährlich 2,5 Milliarden Euro zu entlasten. Damit bleibt der Bund wie in den letzten Jahren ein verlässlicher Partner der Kommunen. Jedoch kann der Bund nicht die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Das lässt unsere Finanzverfassung nicht zu. An dieser Stelle sind die Länder gefordert, über den Finanzausgleich für einen Ausgleich zu sorgen.

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll - entsprechend den Regelungen der Vorjahre - die Höhe der Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung für das kommende Jahr angepasst werden. Damit soll die Zusage erfüllt werden, die den Kommunen im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gemacht worden ist. Es geht um eine Entlastung der Kommunen in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden Euro. Das war von Anfang an das entscheidende Ziel: die Entlastung der Kommunen. Die FDP hat bereits in vergangenen Jahren auf den Fehler hingewiesen, den Bundeszuschuss ausschließlich nach der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu bemessen. Wir haben das Ziel unterstützt, im Interesse der Kommunen eine gewisse Planungssicherheit zu schaffen. Doch die Ausrichtung an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften hielten wir für falsch. Wir halten es nach wie vor für falsch. Daran hat sich nach den Jahren nichts geändert. Denn die Bedarfsgemeinschaften sind als Bezugsgröße ungeeignet, die tatsächlichen Verhältnisse abzubilden. Ein Singlehaushalt verursacht geringere Miet- und Heizkosten als eine Großfamilie. Arbeitet man hier mit einem Mittelwert über alle Größen von Bedarfsgemeinschaften hinweg, dann sind automatisch diejenigen Kommunen benachteiligt, in denen strukturell bedingt mehr kinderreiche Familien leben. Die Ballungsräume mit der Vielzahl an Singlehaushalten werden dann begünstigt. Die Kommunen im ländlichen Raum mit einer strukturell bedingt höheren Zahl an Bedarfsgemeinschaften mit mehreren Personen haben das Nachsehen. Das ist nicht im Sinne einer gerechten Entlastung aller Kommunen. Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass hier nur ein Weg richtig sein kann: Wir müssen wegkommen vom der Bezugsgröße der Bedarfsgemeinschaften. Wir müssen dahin kommen, dass die tatsächlich entstandenen Kosten der Maßstab für die Bundesbeteiligung sind. Anders werden wir die Angelegenheit nicht lösen können. Planungssicherheit und finanzielle Entlastung für die Kommunen sind ja schön und gut - aber dann auch bitte entsprechend den tatsächlich entstandenen Kosten.

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Während der Bund das Risiko für die Banken übernimmt, bürdet er den Kommunen weitere Risiken auf. Für das Funktionieren des Finanzmarktes werden förmlich über Nacht 480 Milliarden Euro durch die Bundesregierung bereitgestellt. Zeitgleich erhalten Länder und Kommunen 700 Millionen Euro weniger Mittel zur Finanzierung der Kosten der Unterkunft. Ich finde es ungeheuerlich, dass diese Entscheidung im selben Atemzug mit der Entscheidung zum Finanzmarktpaket getroffen wurde. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf zur Änderung des SGB II - Zweites Buch Sozialgesetzbuch - will die Bundesregierung eine erneute Absenkung des Bundesanteils an der Finanzierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung für Hartz-IV-Beziehende vornehmen. Der Bundesanteil soll von 29,2 Prozent auf 26 Prozent abgesenkt werden Das entspricht 700 Millionen Euro. Nach Schätzung der Bundesregierung werden sich die Gesamtausgaben für die Kosten der Unterkunft im Jahr 2009 auf rund 13 Milliarden Euro belaufen. Davon müssen die Kommunen 9,1 Milliarden Euro an Kosten tragen. Berücksichtigt man die bereits für das Jahr 2008 vorgenommene Reduzierung des Bundesanteils, kommt es für die Folgejahre zu einer dauerhaften Zusatzbelastung der Kommunen von insgesamt über 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommen zusätzliche Ausgaberisiken infolge der Steigerungen des Ölpreises oder Anhebungen des Mietspiegels, und es ist zu befürchten, dass die Kommunen diesen finanziellen Druck an die Betroffenen weiterreichen. An dieser Stelle will ich abermals bundesweit einheitliche Mindeststandards für die Berechnung der KdU einfordern. Der Bundesrat hat sich am 7. November 2008 mit dem Gesetzesentwurf befasst. Wie nicht anders zu erwarten war, haben die Länder mehrheitlich zugestimmt. Warum? Die Antwort darauf finden Sie - stellvertretend für alle anderen Länder - in einer Anmerkung des Landes Sachsen-Anhalt zu diesem Gesetzesentwurf. Ich zitiere: Der Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt selbst wird durch die Verringerung des Bundesanteils nicht belastet. Wohl aber sind die Haushalte der Landkreise und kreisfreien Städte betroffen. Deren Ausgaben für Unterkunft und Heizung dürften in diesem Jahr ({0}) um rund 3,75 Prozent sinken, so dass landesweit die Senkung in 2008 kompensiert werden könnte. Zu Protokoll gegebene Reden Auf Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag müssen sich nun auch in erster Lesung zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB II alle Fraktionen erneut zum Vorgehen des Bundes in dieser Frage positionieren. Eine einfache Überweisung, das heißt ohne Aussprache, an die entsprechenden Ausschüsse - wie es von den Koalitionsfraktionen geplant war - konnte somit verhindert werden. Die Fraktion Die Linke will damit signalisieren, dass wir an diesem Thema dranbleiben, auch weil wir meinen, dass schlechte Gesetze wieder geändert werden müssen und können. Wenn es zu Korrekturen in der Politik kommt, um die Finanzmarktkrise zu bewältigen, warum sollte eine Korrektur hinsichtlich der Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Kosten der Unterkunft nicht möglich sein? Ich meine, der Bundesanteil muss erhöht werden. Grundlage für die Berechnung müssen die realen Kosten für Unterkunft und Heizung sein. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Der Gesetzentwurf ist als besonders eilbedürftig gekennzeichnet, da die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2009 in Kraft treten soll. Die Eilbedürftigkeit hat zur Konsequenz, dass ein anderes Verfahren angewandt wird; Art. 76 Abs. 3 Grundgesetz. Der Gesetzentwurf kann bereits nach drei Wochen - auch schon ohne Stellungnahme des Bundesrates - an den Bundestag weitergeleitet werden. Das heißt hätte der Bundesrat am 7. November 2008 keine Entscheidung dazu getroffen, hätte sich der Bundestag trotzdem damit befassen können. Den kommunalen Spitzenverbänden wurde nicht die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. Die Bundesregierung hat die kommunalen Spitzenverbände erst mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 über den Gesetzesentwurf in Kenntnis gesetzt. Der Gesetzesentwurf selbst datiert vom 16. Oktober 2008. Laut GGO der Bundesministerien, § 47 GGO, sind aber die kommunalen Spitzenverbände bei allen Gesetzesvorhaben, die ihre Belange berühren, grundsätzlich zu beteiligen. Auch Änderungsgesetze fallen darunter. Die jeweils federführenden Bundesministerien müssen laut GGO bei den kommunalen Spitzenverbänden rechtzeitig Angaben zu den Ausgaben einholen. In der Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche Anfrage heißt es hierzu: Mit dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuches, das am 15. Oktober 2008 im Bundeskabinett beschlossen wurde, wird die Höhe der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung im SGB II im Jahr 2009 festgelegt. Die gesetzlichen Vorgaben zur Bestimmung und Festlegung der Höhe der Bundesbeteiligung sind in § 46 Abs. 7 und Abs. 8 SGB II eindeutig festgeschrieben und für die Öffentlichkeit transparent nachvollziehbar. Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich daher um ein reines Feststellungsgesetz, mit dem die gesetzlichen Vorgaben zur Bestimmung der Höhe der Bundesbeteiligung umgesetzt werden. Den kommunalen Spitzenverbänden wurde der Gesetzentwurf nach Kabinettsbeschluss zur Kenntnis übersandt. Der Bund zieht sich mit dem Gesetzesentwurf aus der Finanzierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung weiter zurück und meint, dass er aufgrund der Gesetzeslage dabei im Recht ist. Vollkommen in Vergessenheit gerät dabei, dass die Kommunen und die kommunalen Spitzenverbände, die Oppositionsparteien im Bundestag und anfangs auch die Länder ihre Zustimmung zu dieser Rechtsgrundlage versagt hatten. 2007 betrug die Bundesbeteiligung 31,8 Prozent. 2008 wurde die Bundesbeteiligung auf 29,2 Prozent abgesenkt. Hintergrund hierfür ist die Einführung einer neuen Berechnungsformel, mit der sich der Bund quasi aus der Verantwortung rechnen kann. Für die Berechnung dessen, was der Bund zahlen will, werden nicht die Istzahlen - also die realen Kosten, die den Kommunen entstehen zugrunde gelegt, sondern die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften. Da die Zahl der Bedarfsgemeinschaften aufgrund der Politik der großen Koalition rückläufig ist, die realen Kosten aber weiter steigen, geht dies erneut zulasten der Kommunen. Die Berechnungsformel ist ein Deal zwischen Bund und Ländern, der im Ergebnis eines Vermittlungsverfahrens erzielt wurde. Man wollte auf diesem Weg künftigen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. Die Kommunen waren daran nicht beteiligt. Die neue Berechnungsformel ist 2008 erstmalig angewandt worden. Dabei ergab sich eine eklatante Differenz zwischen den realen Kosten für Unterkunft und Heizung, die um 8 Prozent gestiegen waren, und der als Maßstab für die Anpassung herangezogenen Zahl der Bedarfsgemeinschaftszahlen, die um 4 Prozent gesunken war. Dass es hier eine Differenz gibt, hatte selbst die Bundesregierung im Rahmen der Debatte zum Bundeshaushalt 2008 zugeben müssen. Auf die Frage der Fraktion Die Linke, in welchem Verhältnis die Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu der Entwicklung der Gesamtkosten für KdU im SGB II steht, antwortete die Bundesregierung im Haushaltsausschuss: Die Leistungen für Unterkunft sind von 12,1 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf 13,9 Milliarden Euro im Jahr 2006 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die durchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften von 3,7 Millionen Euro in 2005 auf 3,9 Millionen Euro in 2006 gestiegen. Die Zahlen machen deutlich, dass sich die durchschnittlichen LfU pro Bedarfsgemeinschaft und die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in den letzten Jahren unterschiedlich entwickelt haben. Das führte allerdings nicht dazu, die Berechnungsformel infrage zu stellen, da der Bund dann eine Erhöhung der Bundesbeteiligung hätte vornehmen müssen. Die Absenkung der Bundesbeteiligung führte im Jahr 2008 bei den Kommunen im Saldo zu einer Belastung der Kommunen von 1,15 Milliarden Euro. In dem vorliegenden Gesetzesentwurf heißt es: Für das Jahr 2009 werden Gesamtausgaben für Leistungen für Unterkunft und Heizung von rd. Zu Protokoll gegebene Reden 12,3 Mrd. Euro erwartet. Bei einer Bundesbeteiligung in Höhe von 26,0 Prozent führt dies zu Ausgaben des Bundes in Höhe von rd. 3,2 Mrd. Euro. Für das Jahr 2009 ist daher mit einer Entlastung für den Bund in Höhe von rund 0,7 Mrd. Euro … zu rechen … Die Kommunen tragen … einen Betrag in Höhe von rd. 9,1 Mrd. Euro. Was heißt das konkret für die Kommunen? Welche Mehrbelastungen kommen auf sie zu? Wir haben in den Städten und Landkreisen nachgefragt; hier nur einige Beispiele. In folgenden Kommunen kommt es zu Mehrbelastungen: Erfurt: circa 2 Millionen Euro, Berlin: 45 Millionen Euro, Landkreis Märkisch-Oderland: 1,5 Millionen Euro, Landkreis Nordwestmecklenburg: 740 800 Euro, Freiburg: 1,3 Millionen Euro, Würzburg: 570 000 Euro, Landkreis Ostvorpommern: 1 Millionen Euro, Landkreis Ilm: 660 000 Euro, Landkreis Rügen :567 000 Euro, Kassel: 1 689 216 Euro, Landkreis Offenbach: 1,6 Millionen Euro, München: rund 6,7 Millionen Euro, Landkreis Oberhavel: rund 1,44 Millionen Euro, Wuppertal: 3,2 Millionen Euro, Landkreis Stendal 1,08 Millionen Euro, Oberhausen: rund 1,64 Millionen Euro, Landkreis Nordsachsen: rund 1,47 Millionen Euro, Dresden rund 3,7 Millionen Euro. Die erneute Absenkung der Bundesbeteiligung um 3,2 Prozentpunkte entlastet den Bund um 700 Millionen Euro und belastet die Kommunen erneut - diesmal um circa 400 Millionen Euro. Das führt insgesamt zu einer Dauerbelastung der Kommunen von über 1,5 Milliarden Euro nur im Bereich der Kosten der Unterkunft, also Leistungen für Unterkunft und Heizung. Im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung hatte man den Kommunen versprochen, sie um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten. Tatsächlich hatten die Länder und Kommunen 2006 eine detaillierte Berechnung vorgelegt, die hierfür eine Bundesbeteiligung im Jahr 2007 von über 34 Prozent erfordert hätte. Lassen Sie mich an dieser Stelle stellvertretend für viele andere Städte und Landkreise den Oberbürgermeister der Stadt Erlangen zitieren, der seine Empörung über die erneute Absenkung des Bundesanteils zur Finanzierung der KdU wie folgt zum Ausdruck bringt: Im Ergebnis ist festzustellen, dass - der große Gewinner der Gesetzesänderungen der letzten Jahre im Sozialbereich die Länder sind, - der Bund seine Haushaltsbelastung zur Finanzierung der Unterkunftskosten bedürftiger Bevölkerungskreise in erheblichem Umfang senken konnte und - die großen Verlierer die Kommunen sind, die für die Finanzierung der Unterkunftskosten bedürftiger Bevölkerungskreise Haushaltsmittel in ganz erheblichem Umfang zur Verfügung stellen müssen. Offensichtlich ist die gesetzliche Verpflichtung des Bundes aus § 46 Abs. 5 SGB II, wonach der Bund verpflichtet ist, eine finanzielle Entlastung der Kommunalebene durch Inkrafttreten des SGB-IIGesetzes um 2,5 Milliarden Euro sicherzustellen, von allen Verantwortlichen völlig aus dem Auge verloren worden. Diese bedenkliche, kommunalunfreundliche Entwicklung wird besonders dadurch deutlich, dass neuerdings die Höhe der Bundesbeteiligung an den KdU-Kosten des SGB II nicht mehr von der tatsächlichen KdU-Belastung der Kommunen abhängig gemacht wird, sondern vielmehr nur noch von der - davon völlig abweichenden - Entwicklung der Anzahl der SGB II Bedarfsgemeinschaften. Sicher verfügen die Kommunen in den letzten beiden Jahren insgesamt über höhere Gewerbesteuereinnahmen. Aber es sind nicht alle Kommunen, die davon profitieren. Auch hier wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Die Kommunen haben ein strukturelles Defizit, das insbesondere infolge der Aufgabenübertragung durch Bund und Länder ohne die dafür erforderlichen Finanzen im sozialen Bereich entstanden ist. Es beträgt mehr als 10 Milliarden Euro. Sie schieben es seit fast zwei Jahrzehnten vor sich her. Die Gesamtverschuldung der Kommunen beträgt aktuell 110 Milliarden Euro, darunter 30 Milliarden Euro Kassenkredite, die zur Finanzierung der laufenden Aufgaben benötigt werden. Fazit: Es ist mehr als makaber, dass die Entscheidung zur weiteren Absenkung des Bundesanteils zur Finanzierung der Kosten der Unterkunft zum gleichen Zeitpunkt erfolgte wie die Bewilligung von 480 Milliarden Euro für die Banken. Diese Entscheidung hätte ausgesetzt werden müssen. Während man etliche „Schutzschirme“ aufspannt, lässt die Bundesregierung zum wiederholten Mal die Kommunen im Regen stehen. Der Bund hat in den letzten Jahren die Kommunen finanziell immer mehr belastet. Deshalb muss endlich eine Gemeindefinanzreform auf die Tagesordnung. Letztendlich zeigt dieser Vorgang auch, dass ein verbindliches, im Grundgesetz verankertes Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände im Gesetzgebungsverfahren des Bundes längst überfällig ist. Österreich hat dieses Recht seinen kommunalen Spitzenverbänden vor mehr als 15 Jahren in der Verfassung zugestanden. Seitdem gibt es eine andere politische Kultur des Austragens von Interessenkonflikten. Die österreichische Bundesregierung würde es niemals wagen, Gesetze, die die Belange ihrer Kommunen berühren, ohne frühzeitige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und Kommunen zu verabschieden.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Scheinbar ist die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eingeleitete Kürzung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft nach dem SGB II von ursprünglich 29,1 Prozent in 2005 auf 26 Prozent in 2009 nur noch eine Formalie. Auch die Bundesländer erheben in ihrem Bundesratsbeschluss vom 7. November 2008 keine Einwände, ist doch die Festlegung des Bundesanteils eine logische Konsequenz des im Vermittlungsausschuss noch vor der Sommerpause getroffenen Formelkompromisses, Zu Protokoll gegebene Reden wonach der Bund sich künftig an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mit einer gestaffelten Quote beteiligt, die von 13 Prozent im Jahr 2009 auf einen Anteil von 16 Prozent im Jahr 2012 steigt. Im Gegenzug wurde die umstrittene und von den kommunalen Spitzenverbänden bis heute kritisierte Anpassungsformel für die Ermittlung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft für SGB-II-Beziehende festgeschrieben. Bedingt durch den konjunkturellen Aufschwung ist die jahresdurchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften gesunken. Entsprechend sinkt der Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft. Auf den ersten Blick scheint also alles in bester Ordnung zu sein. Jedoch nur auf den ersten Blick: Die mit dem genannten Formelkompromiss festgeschriebene Anpassungsformel für den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft benachteiligt strukturell die Kommunen. Dies wirkt sich wiederum zulasten der Menschen aus, die am Ende dieses Verteilungsprozesses stehen, die Langzeitarbeitslosen; denn faktisch sind die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung je Bedarfsgemeinschaft nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen. Trotz rückläufiger Entwicklung der Zahl der Hilfeempfänger blieben daher die Ausgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung mit 13,65 Milliarden Euro in 2007 unverändert hoch. In diesem Jahr drohen den Kommunen nach meinen Schätzungen allein wegen der Heizkosten, die im Vergleich zum Vorjahr um fast 60 Prozent gestiegen sind, Mehrausgaben von 1 Milliarde Euro. In der Folge ist zu erwarten, dass in 2008 trotz der weiter rückläufigen Entwicklung der Bedarfsgemeinschaften die Gesamtausgaben der Kommunen für Unterkunft und Heizung nicht sinken. Diese Kostensteigerung wird in der Anpassungsformel, die sich ausschließlich an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften, nicht jedoch an den tatsächlichen Kosten der Unterkunft orientiert, nicht abgebildet. Ebenfalls unberücksichtigt bleibt die beängstigende Zunahme des Niedriglohnsektors auf mehr als 20 Prozent. Dies schlägt sich in der Zahl der Aufstocker nieder, das heißt der Personen, die ergänzend zum Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II beziehen. Auch die Zahl der Aufstocker ist trotz des konjunkturellen Aufschwunges seit 2006 kontinuierlich gestiegen. Diese Bedarfsgemeinschaften beziehen oftmals ausschließlich Kosten der Unterkunft, da das Einkommen zunächst auf die vom Bund finanzierte Regelleistung angerechnet wird. Die Unfähigkeit der Bundesregierung, Niedriglöhne durch die flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen zu bekämpfen, trifft nicht nur die betroffenen Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Kommunen, die diese Fehlentwicklung finanziell primär abfedern. Die strukturelle Veränderung des Arbeitsmarktes trifft die Kommunen doppelt hart; denn der Anstieg des Niedriglohnsektors trägt auch in besonderem Maße zur Entwicklung von Altersarmut bei. So wird die Untätigkeit der Bundesregierung im Kampf gegen Armut trotz Arbeit mittel- bis langfristig zu einer drastischen Zunahme der Empfänger von Grundsicherung im Alter führen. Der oben genannte Formelkompromiss, der eine Bundesbeteiligung an den Kosten für die Grundsicherung im Alter vorsieht, wird als Kompensationsleistung an die Kommunen nicht lange Bestand haben; denn schon in den vergangenen Jahren stiegen die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter kontinuierlich, zuletzt im Jahr 2007 um 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In wenigen Jahren wird sich herausstellen, dass die kompensatorisch eingeführte Bundesbeteiligung an diesen Kosten von der Entwicklung der Altersarmut überflügelt wird. Ein Blick in die Zukunft lässt ebenfalls nichts Gutes erwarten. Angesichts des bevorstehenden konjunkturellen Abschwunges geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in seiner zuletzt veröffentlichten Prognose vom 24. Oktober 2008 von einer Zunahme der Arbeitslosigkeit in 2009 aus, die vorwiegend aufseiten der Langzeitarbeitslosen, also im Arbeitslosengeld II zu verbuchen sein wird. So werden wir im nächsten Jahr mit deutlich steigenden Kosten der Unterkunft bei einem gleichzeitig sinkenden Bundesanteil konfrontiert sein. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, auf wessen Schultern dieser Verteilungskampf letztlich ausgetragen wird: Auf den Schultern der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden. Diese werden von den Job Centern verstärkt unter Druck gesetzt werden, sich eine kostengünstigere Wohnung zu suchen. Schon jetzt versuchen einige Kommunen mit rechtlich fragwürdigen Tricks die Heizkosten zu deckeln. Statt Langzeitarbeitlose in Arbeit zu vermitteln, werden sie, etwa durch Zahlung von begrenzten Pauschalbeträgen, in Unsicherheit bezüglich ihrer Wohnsituation gehalten. Dies ist kein Beitrag zur Förderung der Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Der Impuls für diese Fehlsteuerung geht auf das Konto der Bundesregierung.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf ist vorgesehen, die Bundesbeteiligung an den Leistungen der Kommunen für Unterkunft und Heizung anzupassen. Diese Anpassung steht am Ende einer mehrjährigen, nicht immer einfachen und von allen Beteiligten mit großem Engagement geführten Diskussion. Kurz zum Hintergrund: Bundestag und Bundesrat haben sich im Vermittlungsausschuss 2004 grundsätzlich über die Verteilung der finanziellen Belastungen aus der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe verständigt. Danach werden die Kommunen im Zuge der Umsetzung des Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt um insgesamt 2,5 Milliarden Euro entlastet - unter anderem, um Spielraum für den Ausbau von Kinderbetreuungsmaßnahmen zu schaffen. In § 46 Abs. 5 SGB II wurde dies gesetzlich verankert. Um diese Entlastung zu erreichen, soll sich der Bund entsprechend der Vereinbarung aus dem Vermittlungsausschuss 2004 an den Leistungen für Unterkunft und Heizung von SGB-II-Beziehern beteiligen. So weit die ursprüngliche Vereinbarung. In den ersten beiden Jahren wurde diese Bundesbeteiligung anhand einer in 2004 vereinbarten, sehr aufwendigen Berechnung durchgeführt. Dabei mussten wir unter Zu Protokoll gegebene Reden anderem auf eine fiktive Fortschreibung der Entlastung der Kommunen zurückgreifen. Diese Methode war naturgemäß streitanfällig und hat zu vielen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern geführt. Ende 2006 haben sich Bund und Länder daher nach schwierigen Verhandlungsrunden darauf verständigt, die Berechnung der erforderlichen Höhe der Bundesbeteiligung auf eine andere Basis zu stellen. Anstelle der bis dahin gesetzlich verankerten Berechnung zur Be- und Entlastung der Gesamtheit der Kommunen trat auf Vorschlag der Länder ein neuer Mechanismus, der Streit vermeiden soll und dies augenscheinlich nun auch tut. Wir haben vereinbart, dass die weitere Anpassung der Bundesbeteiligung von der Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II abhängen sollte - ausgehend von der Situation in 2006. Auf diese Weise war keine fiktive Berechnung der Entlastungen der Kommunen mehr notwendig. Schon die Höhe der Bundesbeteiligung für das Jahr 2008 wurde anhand dieser damals noch neuen Formel berechnet und gesetzlich festgelegt. Das geschieht nun auch für das Jahr 2009. Die gesetzlich verankerte Anpassungsformel gibt uns dabei genau vor, wie wir zu rechnen haben. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird damit lediglich die gemeinsam vereinbarte Regelung umgesetzt. Die Berechnungen haben einen durchschnittlichen Rückgang der Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Höhe von 4,6 Prozent und damit eine erforderliche Senkung der Bundesbeteiligung in Höhe von 3,2 Prozentpunkten ergeben. Dementsprechend muss - das ist der Auftrag des Gesetzes - die Bundesbeteiligung für Rheinland-Pfalz auf eine Höhe von 35,4 Prozent, jene für Baden-Württemberg auf eine Höhe von 29,4 Prozent und jene für die anderen 14 Länder auf eine Höhe von 25,4 Prozent festgelegt werden. Dies entspricht einer bundesdurchschnittlichen Bundesbeteiligung in Höhe von 26 Prozent. Die neue Anpassungsformel hat sich bewährt. Ich denke, ich spreche hier für den Bund und die Länder. Im Sommer dieses Jahres haben sich Bund und Länder deshalb im Vermittlungsausschuss darauf verständigt, diese Anpassungsformel über das ursprünglich vereinbarte Jahr 2010 hinaus unbefristet anzuwenden. Das ist eine gute Entscheidung für alle Beteiligten, weil sie langfristig für Transparenz und Planungssicherheit sorgt. Deshalb freue ich mich auch, dass der Bundesrat keine Einwendungen gegen das vorliegende Gesetz erhoben hat.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10811 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts - Drucksache 16/10798 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute Granold, CDU/CSU, Christine Lambrecht, SPD, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Jörn Wunderlich, Die Linke, Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10798 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften ({1}) - Drucksachen 16/10292, 16/10332 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({2}) - Drucksache 16/10900 - Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Enak Ferlemann, CDU/CSU, Petra Weiß, SPD, Patrick Döring, FDP, Heidrun Bluhm, Die Linke, Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen, und des Parlamentarischen Staatssekretärs Ulrich Kasparick.2) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10900, den Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10292 und 16/10332 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, FDP bei Enthaltung von Bünd- nis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. 1) Anlage 20 2) Anlage 21 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergeb- nis wie in zweiter Beratung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 45 a und 45 b auf. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes - Drucksachen 16/10528, 16/10695 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes ({3}) - Drucksache 16/5107 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Josef Philip Winkler, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes - Drucksache 16/2650 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 16/10913 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Dr. Michael Bürsch Rüdiger Veit Hartfrid Wolff ({5}) Sevim Dağdelen Josef Philip Winkler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einbürgerungen erleichtern - Ausgrenzungen ausschließen - zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Nešković, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz - zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE Klare Grenzen für die Rücknahme und den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ziehen - Drucksachen 16/1770, 16/9165, 16/9654, 16/ 10913 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Dr. Michael Bürsch Rüdiger Veit Hartfrid Wolff ({7}) Sevim Dağdelen Josef Philip Winkler Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Günter Baumann, CDU/CSU, Rüdiger Veit, SPD, Hartfrid Wolff, FDP, Sevim Da_delen, Die Linke, Josef Philip Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innen- ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/10528 und 16/10695 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom- men. Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra- tes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzent- wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5107 abzuleh- nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion der FDP mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Da- mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehö- rigkeitsrechtes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10913, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2650 abzulehnen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den 1) Anlage 22 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Innenausschusses auf Drucksache 16/10913 zu den Anträgen der Fraktion Die Linke fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags auf Drucksache 16/1770 mit dem Titel „Einbürgerungen erleichtern - Ausgrenzungen ausschließen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 5 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags auf Drucksache 16/9165 mit dem Titel „Für die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsgesetz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/ CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags auf Drucksache 16/9654 mit dem Titel „Klare Grenzen für die Rücknahme und den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ziehen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Düngegesetzes - Drucksache 16/10032 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) - Drucksache 16/10874 - Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Röring Gustav Herzog Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Johannes Röring, CDU/CSU, Gustav Herzog, SPD, Dr. Edmund Peter Geisen, FDP, Dr. Kirsten Tackmann, Die Linke, Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10874, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/10032 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis wie in zweiter Beratung angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10888. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit den restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 25. November 2008, 10 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.