Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dabei
möchte ich die Kolleginnen ganz besonders hervorheben. Die Sitzung ist eröffnet.
Heute ist der 90. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland. Genau heute vor 90 Jahren,
am 12. November 1918, verkündete der Rat der Volksbeauftragten in seinem Aufruf an das deutsche Volk:
Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind
fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen
Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten
männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.
Damit erlangte das Wahlrecht für Frauen in Deutschland
erstmals Gesetzeskraft.
Die Verkündung des Frauenwahlrechts durch die zwei
Tage zuvor aus der Revolution hervorgegangene Regierung bedeutete die Erfüllung einer Forderung, für die
Frauenorganisationen leidenschaftlich und zu Recht
viele Jahre gekämpft hatten. Die Gleichberechtigung der
Frau und die Einführung des Frauenstimmrechts waren
schließlich wesentliche Leitgedanken der Revolutionäre
von 1918, die in der Weimarer Republik, der ersten
parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden,
Realität wurden.
Von den insgesamt 421 Sitzen der auf Grundlage des
neuen demokratischen Wahlrechts gewählten Nationalversammlung wurden zunächst 36, später 41 Sitze von
weiblichen Abgeordneten besetzt. Zu den Parlamentarierinnen der ersten Stunde gehörten unter anderem
Gertrud Bäumer und Marie-Elisabeth Lüders, Marie
Juchacz und Luise Zietz. Das Zahlenverhältnis von
Männern und Frauen im Parlament hat sich über
90 Jahre hinweg verbessert. Bei 32,1 Prozent liegt der
Frauenanteil heute im Deutschen Bundestag. Die Auffassung, dass das nicht genug ist, werden die meisten teilen.
({0})
Schließlich ist noch immer nicht jeder zweite Platz des
Hauses von einer Frau besetzt. So sollte es aber sein.
Die Verwirklichung tatsächlicher Gleichberechtigung
von Frau und Mann in allen Bereichen und auf allen
Ebenen der Gesellschaft ist ein langer Weg. Bis heute ist
dieses Ziel nicht erreicht. Die Einführung des Frauenwahlrechts war nur ein Schritt auf diesem Weg, gleichwohl ein sehr bedeutsamer. Daher markiert der
12. November 1918 ein historisches Datum, an das wir
uns heute nicht ohne Stolz erinnern.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, eine amtliche Mitteilung: Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte
am vergangenen Freitag seinen 71. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich ihm und wünsche
alles Gute.
({1})
Der Kollege Albert Rupprecht hat sein Amt als
Schriftführer niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die
Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Paul Lehrieder
vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Dazu gratulieren wir Ihnen außerordentlich.
({2})
Interfraktionell ist verabredet worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina
Köhler ({3}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sebastian Edathy, Gabriele Fograscher,
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ ({4}) prüfen
- Drucksache 16/10839 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Redetext
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ZP 2 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn endgültig absagen
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Marieluise Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Historische Chance des VN-Übereinkommens
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nutzen
- Drucksache 16/10841 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang der Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 140. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Rechtsausschuss ({8}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Beratung des Antrags der Abgeordneten CarlLudwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann
Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Steuererhöhung bei der Erbschaftsteuer Gesetzentwurf zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts zurückziehen
- Drucksachen 16/7765 überwiesen:
Finanzausschuss ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Der in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Rechtsausschuss ({10}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Ulla Lötzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Den Reichtum umverteilen - für eine sozial gerechte Reform der Erbschaftsbesteuerung
- Drucksache 16/3348 überwiesen:
Finanzausschuss ({11})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf:
- Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Einsetzung eines Gremiums gemäß § 10 a des
Finanzmarktstabilisierungsgesetzes
- Drucksache 16/10835 - Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
§ 10 a des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes
- Drucksache 16/10836 Wir kommen sofort zur Abstimmung. Wer stimmt für
den gemeinsamen Antrag auf Einsetzung des Gremiums
auf Drucksache 16/10835? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. Das Gremium gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ist damit eingesetzt.
Wir kommen zur Wahl der Mitglieder. Wer stimmt
für die gemeinsamen Wahlvorschläge auf Drucksache 16/10836? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit sind die Wahlvorschläge einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina
Köhler ({12}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sebastian Edathy, Gabriele Fograscher,
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ ({13}) prüfen
- Drucksache 16/10839 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({14})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen.
Daher kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Drucksache 16/10839 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/10802, 16/10834 Zunächst rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für
die Fragestunde die dringlichen Fragen auf.
Es handelt sich um den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen
Volker Beck auf:
Warum setzen die neuen „Atommüll-Behälter … deutlich
mehr“ - 40 Prozent - „Neutronenstrahlung frei als die alten
Castor-Behälter“ ({15}),
und welche Konsequenzen hat dies für Schutzmaßnahmen für
Polizei und Bevölkerung im Umfeld der Transportstrecke?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wenn Sie erlauben,
würde ich gerne die dringlichen Fragen des Kollegen
Beck und des Kollegen Hofreiter gemeinsam beantworten, weil sie den gleichen Themenkomplex umfassen.
Ich beginne mit der Frage des Kollegen Beck. Die
Antwort lautet wie folgt: Der Vergleich der Gammaund Neutronenleistungsmessungen an den Castorbehältern beim Transport im Jahr 2006 und der Messungen
der Aufsichtsbehörden an den TN-85-Behältern in diesem Jahr zeigt, dass die Ergebnisse der Gamma- und
Neutronenleistungsmessungen nahezu übereinstimmen
und keine systematischen Nachteile der TN-85-Behälter gegenüber den Castorbehältern ersichtlich sind. Somit sind nach Ansicht der Bundesregierung Presseverlautbarungen unzutreffend, nach denen die TN-85Behälter deutlich mehr Neutronenstrahlung freisetzen
als die Castorbehälter in den vergangenen Jahren. Die
Schutzmaßnahmen für die Polizei und die Bevölkerung
orientieren sich somit an den bereits in 2006 und früheren Jahren ergriffenen Maßnahmen beim Transport von
Castorbehältern in das Zwischenlager Gorleben.
Dann rufe ich jetzt die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht des Leiters der Strahlenschutzkommission, Rolf Michel, dass für
Castortransporte ein Minimierungsgebot für die frei werdende
Strahlung aus Gründen der Minimierung der Gefährdung der
Öffentlichkeit und der am Transport Beteiligten gelten müsse,
nachdem beim aktuellen Castortransport mit französischen
Behältern vom Typ TN 85 die Strahlung in der Umgebung offenbar höher als in den letzten Jahren war, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?
Die Frage des Kollegen Hofreiter beantworte ich wie
folgt: Das Sicherheitskonzept bei der Beförderung radioaktiver Stoffe beruht gemäß verkehrsrechtlicher Vorschriften auf der Festlegung von Grenzwerten für die
Dosisleistung und die Kontamination für die Transportbehälter und die Fahrzeuge. Dieses Sicherheitskonzept
hat sich nach Ansicht der Bundesregierung sowohl bei
den Transporten in der Vergangenheit als auch bei dem
diesjährigen Transport von hochradioaktiven Abfällen in
das Zwischenlager Gorleben bewährt.
Die in diesem Jahr und in der Vergangenheit durchgeführten Messungen der Aufsichtsbehörden bestätigen,
dass von allen verwendeten Transportbehältern die zulässigen Grenzwerte für die Dosisleistung und Kontamination unterschritten wurden. Die Bundesregierung
stellt klar, dass auch in Zukunft nur Transporte in das
Zwischenlager genehmigt und durchgeführt werden, die
alle verkehrsrechtlichen und atomrechtlichen Sicherheitsanforderungen erfüllen.
Herr Beck, Sie haben eine Nachfrage.
Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass wir die
Fragerechte aufaddieren, weil die Kollegin im Zusammenhang geantwortet hat.
Herr Beck, selbstverständlich.
Das freut mich. - Um Ihre Antwort nachvollziehen zu
können, würde ich gerne wissen, wie hoch die Strahlenbelastungen pro Castorbehälter im Jahre 2006 und in
2008 waren, damit wir das mit den Untersuchungen, die
Greenpeace gemacht hat, abgleichen können; denn es
gibt offensichtlich einen Widerspruch bei den Ergebnissen der zwei stattgefundenen Messungen.
Die Ergebnisse der Messungen in den Jahren 2008,
2006 und auch in den Vorjahren sind im Internet veröffentlicht, unter anderem auf der Website der GRS. Dort
können Sie sich die Kurve ansehen und ausdrucken. Es
gibt ja unterschiedliche Messungen unterschiedlichster
Institutionen in unterschiedlichen Entfernungen vom
Castorbehälter. Sie können sich dort die Kurven genau
anschauen. Sie sehen, dass sich die Kurven der Messergebnisse nicht unterscheiden, wenn man 2008 und
2006 vergleicht.
Hat denn die Bundesregierung die Pressemeldungen
von Montag zum Anlass genommen, mit Greenpeace
darüber zu sprechen, wie sie zu den anderen Messergebnissen gekommen sind, um der Diskrepanz in dieser
Frage nachzugehen? Es ist doch alarmierend, wenn man
einerseits Messergebnisse hat, die auf ein Nichtanwachsen der Strahlung hindeuten, und andererseits welche,
die einen anderen Befund liefern. Meines Erachtens
muss man im Rahmen der Atomaufsicht dieser Frage
Volker Beck ({0})
nachgehen. In welcher Form sind Sie dieser Frage seit
Montag nachgegangen?
Wir haben keine Veranlassung, an den veröffentlichten Messergebnissen zu zweifeln. Ich hatte keinen direkten Kontakt mit Greenpeace. Wir haben uns über die
Veröffentlichung von Greenpeace gewundert und wissen
nicht, wie man zu dem entsprechenden Ergebnis gekommen ist. Sowohl die Messungen, die in Frankreich beim
Start der Behälter durchgeführt wurden, als auch die
Messungen, die von deutschen Behörden durchgeführt
wurden, kamen alle zu dem gleichen Ergebnis, das auf
der Website der GRS zusammengefasst veröffentlicht
wird.
Herr Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, haben wir Sie richtig verstanden, dass
Sie keinerlei Kontakt zu Greenpeace gesucht haben, die
Messungen nicht überprüft haben und nicht beurteilen
können, ob Greenpeace einen Messfehler gemacht hat
oder ob diese Messungen korrekt sind?
Es gibt die Vermutung, dass Greenpeace Messungen
durchgeführt hat, deren Ergebnisse sehr wohl im Rahmen der Grenzwerte liegen, und man aus diesen Messergebnissen Rückschlüsse auf Messwerte in unmittelbarer Nähe des Castorbehälters gezogen hat. Dort haben
aber keine Messungen von Greenpeace stattgefunden.
Die Behörden haben in unmittelbarer Nähe, also in einem 2-Meter-Abstand, Messungen durchgeführt. Das
sind die Messungen, die dokumentiert sind und deren
Ergebnisse sich von denen in den Vorjahren nicht unterscheiden.
Sie haben eine weitere Nachfrage. - Bitte sehr.
Ich hatte Sie nach dem Minimierungsgebot gefragt.
Sie haben uns geantwortet, dass die Strahlung innerhalb
der Grenzwerte liegt. Aber darum ging es nicht in der
Frage und auch nicht in der Aussage von Herrn Michel.
Es ging um das Minimierungsgebot. Teilen Sie nun die
folgende Ansicht - diese beachtet das Minimierungsgebot -: Wenn beide Behältertypen unterhalb des Grenzwertes liegen, wobei ein Behältertyp, der klassische
Castorbehälter, besser ist, müsste dieser Behälter verwendet werden? Oder teilen Sie diese Ansicht, die Herr
Michel vorgetragen hat, nicht?
Natürlich gibt es ein Minimierungsgebot. Das ist ja
auch der Grund, weshalb nicht die bisherigen Castorbehälter zum Einsatz gekommen sind, sondern die speziell
für die jetzt transportierten HAW-Glaskokillen entwickelten neuen Behälter TN 85. Der Inhalt dieser Behälter, die jetzt transportiert wurden, entwickelt eine höhere
Radioaktivität und damit auch eine höhere Wärmeleistung als der Inhalt früherer Castorbehälter. Deshalb wurden die bisherigen Behälter nicht zum Einsatz gebracht,
sondern die neu entwickelten Behälter, deren Dosisleistung an der Außenhülle sich nicht von der früherer Behälter unterscheidet.
Die Aussage von Herrn Michel bezog sich auf die
Hypothese, dass man sich, wenn die Messungen, Aussagen und Rückschlüsse von Greenpeace stimmen sollten,
natürlich Gedanken darüber machen muss. Da aber die
Messungen sowohl der Behörden in Frankreich als auch
in Deutschland, die tatsächlich in unmittelbarer Nähe der
Castorbehälter und auch in weiterer Entfernung durchgeführt wurden, die Ergebnisse von Greenpeace nicht bestätigt haben, gibt es aus unserer Sicht dazu keine Veranlassung.
Die nächste Frage hat die Kollegin Menzner.
Danke, Frau Präsidentin. - Da es sich um zwei Fragenkomplexe handelt, gehe ich davon aus, dass ich zwei
Nachfragen stellen darf.
Die erste Frage betrifft die Messungen von Greenpeace, deren Ergebnisse die Menschen sehr irritiert
haben; Greenpeace hat allerdings selbst darauf hingewiesen, dass sie nicht unter optimalen Bedingungen vorgenommen wurden. Wir alle wissen, dass Neutronenstrahlung nicht innerhalb von Tagen geringer wird. Ist
von Ihrer Seite vorgesehen, noch einmal unabhängige
Prüfmessungen, wie sie auch vor dem Abtransport und
nach der Ankunft vorgesehen sind, durchzuführen, und
zwar an allen elf Behältern und nicht nur stichprobenartig?
Da solche Messungen bereits vorgenommen worden
sind, und zwar sowohl auf französischer Seite als auch
auf deutscher Seite, nämlich vom Eisenbahn-Bundesamt
und vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg,
sehen wir keine Veranlassung, diese Messungen zu wiederholen oder ihre Ergebnisse in Zweifel zu ziehen.
Meine zweite Frage: Ist Ihnen bekannt, dass der niedersächsische Landtagsabgeordnete unserer Partei aufgrund der Verwendung der neuen Behälter Strafantrag
unter anderem gegen die Genehmigungsbehörde gestellt
hat?
Ich möchte auf zwei wesentliche Punkte des Strafantrags hinweisen. In der Begründung heißt es erstens, dass
die Neutronenabschirmung im Bereich der Tragzapfen
im Deckenbereich stark minimiert ist, und zweitens, dass
Havarietests nur mit Modellen, nicht aber mit Originalcastoren und -behältern durchgeführt wurden. Wie stehen Sie dazu?
Der Strafantrag ist mir nicht bekannt. Ich kann mich
dazu erst äußern, wenn ich seinen Inhalt kenne. Dann erkläre ich Ihnen das sehr gerne.
Frau Höhn.
Ich bitte, jetzt genauso zu verfahren wie gerade, sodass auch ich zwei Nachfragen stellen darf, eine zur
Frage des Kollegen Volker Beck und eine zur Frage von
Toni Hofreiter.
Meine erste Frage, Frau Staatssekretärin: Unter welchen Rahmenbedingungen sind die Messungen in diesem Jahr vorgenommen worden, und haben sich diese
Rahmenbedingungen von den Rahmenbedingungen in
den vorigen Jahren unterschieden?
Nein, es haben genau die gleichen Messungen stattgefunden. Wenn man Vergleiche ziehen will, ist es wichtig,
dies zu gewährleisten. Ich empfehle Ihnen, sich die auf
www.grs.de dargestellten Kurven der letzten Jahre anzuschauen. Dann werden Sie sehen, dass sich die Kurven
in nichts unterscheiden.
Zweite Nachfrage: Jeder Transport ist mit Strahlenbelastung verbunden. Man muss versuchen, sie zu minimieren. Deshalb hat der Umweltminister des Landes
Niedersachsen gestern die Forderung aufgestellt, jetzt im
Hinblick auf die Endlagerfrage eine ergebnisoffene Suche voranzutreiben und diese Frage nicht auf Gorleben
zu beschränken. Meine Frage an Sie: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass man jetzt eine ergebnisoffene Suche starten sollte, auch nach anderem Wirtsgestein, und wann wird die Bundesregierung damit endlich
loslegen?
Indem ich deutlich mache, dass es, was die Strahlenbelastung durch den Castortransport angeht, in diesem
Jahr keine Unterschiede zu den Vorjahren gibt, will ich
nichts beschönigen. Das war aber die Implikation der
Fragesteller. Ich will nicht beschönigen, dass mit jedem
Transport radioaktiven Abfalls Belastungen, auch Strahlenbelastungen, verbunden sind, die sich maximal innerhalb der gesetzlich festgelegten Grenzwerte bewegen
dürfen.
An dieser Stelle möchte ich aber auch betonen, dass
wir für den Abfall, der in deutschen Kernkraftwerken
angefallen ist und der wiederaufgearbeitet und dann einer Endlagerung zugeführt werden muss, verantwortlich
sind. Wir haben die Verantwortung dafür, diesen Abfall
zurückzunehmen und ihn an die dafür geeignete Stelle in
Deutschland zu transportieren. Deshalb finden diese
Transporte statt.
Wie Sie wissen, wird eine Diskussion darüber geführt, wie das künftige deutsche Endlager aussehen soll
und wo es platziert werden soll. Hierzu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Auffassung des Bundesumweltministeriums - Sie kennen sie - ist, dass wir
eine ergebnisoffene Suche starten sollten, um herauszufinden, ob es in Deutschland anderes Wirtsgestein gibt,
das als Endlager möglicherweise besser geeignet ist als
Gorleben. Dazu gibt es innerhalb der Bundesregierung
allerdings unterschiedliche Auffassungen.
Herr Kollege Hill.
Auch ich bitte, zwei Nachfragen stellen zu dürfen, jeweils eine zu beiden Themen.
Frau Staatssekretärin, mir ist bei meinen Besuchen in
Gorleben etwas aufgefallen - es geht um das Begleitpersonal -: Die Polizistinnen und Polizisten, die den Transport begleiten, standen ohne Indikatoren bzw. ohne Dosimeter sehr dicht an den Castoren. Einmal sah ich sogar,
dass eine junge Frau an der Frontseite eines Castors, der
relativ hohe Strahlung abgibt, stand. Mir wurde erklärt,
dass man lediglich Referenzmessungen an zwei oder
drei Stellen des Transportes durchführt, an denen sich
Personal mit Dosimetern befindet.
Erste Frage dazu: Warum ist das so? Zweite Frage:
Geht man hier nicht nachlässig mit diesen Menschen
um, die sich allein schon aus beruflichen Gründen diesen
Gefahren aussetzen müssen?
Ein weiterer Punkt. Frau Höhn hat eben die Messverfahren angesprochen. Inwiefern werden die zum Zeitpunkt des Transports vorliegenden Wetterlagen, wie
Inversionen, Niederschläge usw., bei diesen Messverfahren berücksichtigt? Man muss ja davon ausgehen, dass
bei unterschiedlichen Wetterlagen auch unterschiedliche
Kontaminationen vorhanden sind.
Vielen Dank. - Die Schutzmaßnahmen vor Ort sind
Aufgabe der Behörden vor Ort. Das ist keine Aufgabe
des Bundesumweltministeriums.
Durch die Definition von Grenzwerten für maximale
Dosisleistungen, die von den Behältern ausgehen dürfen,
hat der Bundesgesetzgeber sein Möglichstes getan, um
die Belastung, die von den Behältern ausgeht, zu minimieren und eine Obergrenze festzulegen.
({0})
Das war die Antwort auf beide Fragen?
Ja.
({0})
Der Kollege Beck zur Frage von Herrn Hofreiter.
Ich habe eine Nachfrage dazu, wie Sie die Kompetenz
Ihres Hauses hinsichtlich der Atomaufsicht handhaben.
Sie sagten vorhin ja, Sie selber hätten nicht bei Greenpeace angerufen. Ich will es Ihnen überlassen, mit wem
Sie telefonieren wollen. Sie werden ja sicher entsprechende Leute im Haus haben.
Wenn es Hinweise dafür gibt, dass Messungen voneinander abweichen und dass etwas schiefgeht, wie bei
Asse II jede Menge schiefgegangen ist, gehen Sie diesen
Hinweisen dann nicht nach, sondern verlassen Sie sich
einfach auf die im Internet präsentierten Messungen?
Oder rufen Sie dort an und fragen Sie: Woher kommen
eure Informationen? Was habt ihr gemessen? Wie
kommt ihr zu dem abweichenden Bild?
Finden Sie nicht, dass es zur Verantwortung Ihres Ministeriums im Rahmen der Atomaufsicht gehört, einem
solchen Hinweis nachzugehen, statt die Hände in den
Schoß zu legen?
Da es offizielle Messungen gibt, durch die die Messungen von Greenpeace nicht bestätigt werden, bzw. wir
auch davon ausgehen, dass Greenpeace Rückschlüsse
aus den eigenen Messungen gezogen hat, die methodisch
nicht zulässig sind, gibt es für uns keine Veranlassung,
daran zu zweifeln, dass sich an der Dosisleistung der Behälter im Vergleich zu den Vorjahren nichts verändert
hat.
Ein Antrag zur Geschäftsordnung.
Ich denke, wir haben diese Fragen jetzt eingehend
diskutiert. Dramatisch ist ja insbesondere, dass Sie feststellen mussten, dass die Bundesregierung keine Auffassung zu der Frage hat, wie wir zu einem sicheren Endlager kommen. Ich glaube, bei dieser Frage geht es um die
Umwelt und die Gesundheit des ganzen Landes.
Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion, nach
§ 106 und Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum Thema „Aktuelle Castortransporte
und die ungelöste Frage des Atommülls“ durchzuführen.
({0})
Vielen Dank. - Das entspricht der Nr. I.1.b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet
nach dieser Fragestunde statt.
Nichtsdestotrotz möchte ich gerne noch die beiden
angemeldeten Nachfragen von Herrn Koppelin und Frau
Dr. Dückert zulassen, durch die die Aktuelle Stunde ja
vielleicht auch bereichert werden kann.
Frau Staatssekretärin, ich beziehe mich mit meiner
Frage auf die Frage 1 des Kollegen Beck. Wie viele Polizisten waren anlässlich dieses Castortransports im Einsatz, und wie hoch sind die Kosten für diesen Einsatz?
Es tut mir leid. Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Das müssen Sie entweder den Bundesinnenminister oder die Länderinnenminister fragen.
({0})
Frau Dr. Dückert.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ja noch einmal
betont, dass Sie davon ausgehen, dass die Messungen
von Greenpeace methodisch nicht zulässig waren. Auf
der anderen Seite haben Sie auf verschiedene Fragen
meiner Kolleginnen und Kollegen geantwortet, dass es
keinen Kontakt und keine Gespräche mit Greenpeace
gab. Es stellt sich mir jetzt nicht dar, wie Sie zu der
Interpretation kommen konnten, dass das methodisch
nicht zulässig war.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob
nicht gerade die Vermutung, die Sie geäußert haben, und
die Verunsicherung, die in der Bevölkerung besteht,
dazu Anlass geben, zügig mit Greenpeace Kontakt aufzunehmen und aufzuklären, warum es diese unterschiedlichen Arten von Messungen bzw. Ergebnisse der Messungen gab.
Ich nehme diese Anregungen gerne auf. Aber das
wird an den vorliegenden Messergebnissen aus konkreten Messungen im unmittelbaren Umfeld der CastorbeParl. Staatssekretärin Astrid Klug
hälter in einem 2-Meter-Abstand, zu dem Greenpeace
Aussagen gemacht hat, ohne dort gemessen zu haben,
nichts ändern.
Aber ich nehme Ihre Anregungen gerne auf. Das ist
kein Problem.
Jetzt folgt noch eine Frage von Frau Dr. Flachsbarth.
Frau Staatssekretärin, meine Frage lautet: Hat die
Bundesregierung Erkenntnisse darüber, in welchem
Maße sich die Belastung für Mensch und Umwelt im
Rahmen der Castortransporte dadurch vervielfacht, dass
es zu maßgeblichen Verzögerungen der Transporte durch
die Demonstrantinnen und Demonstranten kommt, und
wie hoch dann sozusagen die Schadwirkung einzuschätzen ist, der nicht nur die Demonstranten ausgesetzt sind,
sondern auch die Polizisten und das Begleitpersonal?
Ich habe darüber keine Erkenntnisse. Da wir aber, wie
ich schon mehrfach ausgeführt habe, Grenzwerte für die
maximale Strahlenbelastung definiert haben, die von
Castorbehältern ausgeht, und die implizieren, dass davon
keine nicht vertretbaren gesundheitlichen Gefahren ausgehen, gilt das sowohl für eine Fahrt, die einen Tag dauert, als auch für eine Fahrt, die zwei oder drei Tage dauert.
Eine zweite Frage.
Frau Staatssekretärin, vor meiner politischen Tätigkeit habe ich meine medizinische Ausbildung hinter
mich gebracht. Grenzwerte sind schön und gut, aber sie
sind immer nur in Verbindung mit Expositionszeiten zu
sehen. Das heißt, es mag zwar sein, dass eine solche
Strahlenbelastung für einen oder zwei Tage relativ belanglos ist, nicht aber für mehrere Tage. Ich rege in diesem Zusammenhang an, möglicherweise auch vonseiten
der Bundesregierung verstärkt darauf hinzuweisen.
Könnten Sie dem zustimmen?
Auch das nehme ich gerne als Anregung mit.
Damit sind wir am Ende der dringlichen Fragen.
Ich rufe die übrigen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf und beginne mit dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Dr. Seifert auf:
Welche Erfahrungen und Ergebnisse gibt es aus Sicht der
Bundesregierung seit Einführung des trägerübergreifenden
Persönlichen Budgets als Regelleistung - 1. Januar 2008 -,
und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
aus diesen Erfahrungen und Ergebnissen?
Herr Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Seifert! Nach Auffassung der Bundesregierung ist die
Zeitspanne seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf
trägerübergreifende Persönliche Budgets noch zu kurz,
um über belastbare Erkenntnisse zu verfügen oder um
Schlussfolgerungen ziehen zu können. Allerdings ist
nach Einführung des trägerübergreifenden Persönlichen
Budgets als Regelleistung ein erheblicher Anstieg der
Budgetbewilligungen zu konstatieren.
Begleitend unterstützt das Strukturverstärkungsprogramm der Bundesregierung gezielte Maßnahmen, um
das trägerübergreifende Persönliche Budget bekannter
zu machen. Erste Ergebnisse zur Umsetzung und zum
Erfolg werden im Sommer 2009 vorliegen. Diese sollen
danach in einer Best-Practice-Dokumentation zusammengefasst und als weitere Hilfe für die Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets veröffentlicht werden.
Herr Dr. Seifert, eine Nachfrage.
Vielen Dank für die Aussage, dass Sie noch nichts sagen können, Herr Staatssekretär. Aber immerhin gab es
eine ausreichend lange Vorbereitungszeit, in der klar
war, dass das trägerübergreifende Persönliche Budget
zur Regelleistung werden soll. Insofern verwundert mich
das schon ein bisschen.
Ich möchte zumindest nachfragen, ob Sie den Überblick darüber haben, wie viele von den jetzt neu bewilligten Budgets tatsächlich trägerübergreifend sind, also
mehr als zwei oder drei Träger umfassen und nicht nur
einfache Maßnahmen sind, die bisher ohnehin schon in
einer geringfügig anderen Form gewährt worden sind.
Herr Abgeordneter Seifert, das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales geht von mehr als 5 000 statistisch erfassten Fällen bei Leistungsträgern im Rahmen
des Persönlichen Budgets aus; so viele sind jedenfalls
bekannt. Tatsächlich werden aber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales längst nicht alle Persönlichen Budgets, die beantragt und von den zahlreichen
Leistungsträgern in Deutschland bewilligt werden, gemeldet. Es kann daher aus unserer Sicht davon ausgegangen werden, dass die Zahl bewilligter Persönlicher
Budgets deutlich höher liegt. Wir gehen im Haus davon
aus, dass es an die 10 000 sein werden.
Eine weitere Nachfrage, Herr Seifert.
Sie sprachen nur vom Persönlichen Budget. Wie jeder
weiß, gibt es aber einen großen Unterschied zwischen
dem allgemeinen Persönlichen Budget und dem trägerübergreifenden Persönlichen Budget. Ich will mich vergewissern, dass wir vom gleichen Sachverhalt sprechen.
Ich möchte zudem nachfragen, wie es sich mit der Anrechnung von Einkommen und Vermögen verhält.
Jemand, der ein Einkommen hat, weil er oder sie als behinderter Mensch arbeiten geht - das wird von der Bundesregierung gefördert und gefordert -, ist im Rahmen
des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets nicht anspruchsberechtigt, weil das Gewähren von Sozialhilfeleistungen dann nicht möglich ist.
Auch wenn überwiegend nur ein Träger Leistungen
erbringt, gehen wir insgesamt gesehen von dem neuen
Leistungsinstrument des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets aus. So viel zu Ihrer ersten Frage.
Ich will in diesem Zusammenhang sehr deutlich machen, dass die Bundesregierung gerade bezüglich des
Persönlichen Budgets sehr viel Öffentlichkeitsarbeit geleistet hat. Ende 2007 ist eine Öffentlichkeitskampagne
mit einer Informationstour der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen mit
dem Titel „Selbstbestimmt leben: Persönliches Budget“
durchgeführt worden.
Darüber hinaus ist ein Informations-Flyer erstellt
worden, und zwar in leichter Sprache. Eine DVD mit
wichtigen Informationen zum trägerübergreifenden Persönlichen Budget wurde angefertigt. Zudem wurde eine
große Plakat- und Anzeigenkampagne durchgeführt.
Darüber hinaus werden vom Bundesministerium für
Arbeit und Soziales zahlreiche Informations- und Fortbildungsveranstaltungen wie Bundesfachtagungen und
Regionalkonferenzen zum Persönlichen Budget durchgeführt und den Interessierten angeboten. Als besonders
erfolgreich kann die Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum trägerübergreifenden Persönlichen Budget bezeichnet werden;
diese kennen Sie sicherlich, Herr Seifert. Diese Broschüre wurde über 100 000-mal angefordert bzw. verteilt. Sie ist auch deshalb so nachgefragt, weil sie einen
in leichte Sprache übersetzten Teil beinhaltet, der sich
insbesondere an Menschen mit geistiger Beeinträchtigung oder Lernbehinderung richtet. Aufgrund der großen Nachfrage ist dieser Informations-Flyer inzwischen
auch in Brailleschrift für blinde Menschen herausgegeben worden.
Zur Begleitung der Öffentlichkeitskampagne ist für
die Jahre 2008 bis 2010 das Programm zur Strukturverstärkung und Vorbereitung auf das Persönliche Budget
mit entsprechender begleitender Öffentlichkeitsarbeit
aufgelegt worden. Hiermit sollen auch Ideen angeregt
werden, wie und wo das neue Instrument zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderung
eingesetzt und wie sein Bekanntheitsgrad gesteigert werden kann. Dies wird inzwischen in 27 einzelnen Modellprojekten erprobt. Um das Förderprogramm zu finanzieren, haben die Bundesregierung und der Beirat für die
Teilnahme behinderter Menschen für die Jahre 2008 bis
2010 3,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. In den
Broschüren sind natürlich auch die Leistungsvoraussetzungen beschrieben. Dazu liegen zumindest mir keine
weiteren detaillierten Angaben vor.
Die Fragen 2 und 3 des Kollegen Spieth aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 4 des
Kollegen Fell aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen zur Verfügung.
Ich komme zur Frage 5 der Kollegin Dr. HappachKasan:
Wie hat sich der Holzpreis für die verschiedenen Sortimente im Laufe dieses Jahres entwickelt, und wie beeinflusst
die Finanzkrise den Export von Holz in die USA?
Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan, die Entwicklung der Erzeugerpreise für forstwirtschaftliche Produkte war für alle
Rohholzsortimente im Zeitraum von Mitte 2007 bis zum
Frühjahr 2008 durch einen moderaten Anstieg geprägt.
Danach sind die Preise bis zum Herbst wieder leicht unter das Niveau von Ende des Jahres 2007 gefallen. Die
Tendenz der Preise für alle Rohholzsortimente - das
müssen wir leider deutlich feststellen - ist zurzeit leicht
fallend.
Die Finanzmarktkrise, um zum zweiten Teil Ihrer
Frage zu kommen, hat eine Rezession in der Bauwirtschaft der USA ausgelöst. Dadurch ist vor allem die
Nachfrage nach Nadelschnittholz deutlich zurückgegangen. Es gab bereits Produktionskürzungen, etwa in skandinavischen Ländern wie Norwegen, aber auch bei uns.
Sie haben aber noch zu keiner Entspannung der Exportsituation beigetragen. Dadurch stehen die Erzeugerpreise, insbesondere im Bereich Nadelschnittholz, weiter
unter Druck.
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur weiteren
Einschätzung der Entwicklung. Wir sind davon überzeugt, dass der Rohstoff Holz weiter im Trend der Zeit
liegt, es vielfältige Verwendungsmöglichkeiten für ihn
gibt und sich dadurch günstige Perspektiven auftun. Ich
darf beispielsweise darauf hinweisen, dass es gerade in
Teilen Osteuropas und des Nahen Ostens einen erheblichen Bauboom gibt, der den Export bei uns beleben
kann. Wir hoffen, dass die Initiativen, die der Holzabsatzfonds zurzeit ergreift, um den Export zu beleben, den
Export vor allem in diese Richtung lenken werden.
Frau Happach-Kasan, eine Nachfrage.
Frau Kollegin, ich habe dazu eine Nachfrage. Ich bedanke mich erst einmal für die positive Einschätzung des
Werkstoffes Holz. Die Darstellung der Bundesregierung
teile ich. Vor vier Jahren ist in Deutschland die Charta
für Holz beschlossen worden, die mit großer Begeisterung sowohl von der Politik als auch von den Unternehmen aufgegriffen worden ist. Meine Nachfrage lautet:
Inwieweit sehen Sie Möglichkeiten, über die Umsetzung
der Ziele innerhalb der Charta für Holz einen höheren
Absatz von Holz im Baubereich gerade in Deutschland
zu erreichen? Sind Sie der Auffassung, dass man beispielsweise Architekturbüros stärker dafür begeistern
sollte oder Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stellen sollte, um die Verwendung von Holz im Baubereich
zu verstärken? Denn wir haben Nachbarländer, in denen
deutlich mehr mit Holz gebaut wird, als es bei uns in
Deutschland der Fall ist.
Am liebsten würde ich sagen, dass wir genau das machen wollen und umzusetzen versuchen. Ich weiß nicht,
ob Sie im vergangenen Jahr dabei gewesen sind, als hier
in Berlin das erste Mehrfamilienhaus aus Holz entstanden ist. Wir meinen, das war ein - wie sagt man immer
so schön? - wunderbares Leuchtturmprojekt, mit dem
aufgezeigt wird, was man alles mit dem Baustoff Holz
machen kann. Wir haben auf den Messen - ich habe
viele besucht - gesehen, dass der Baustoff Holz immer
mehr im Kommen ist. Ihre Anregung, besonders die Architekturbüros anzusprechen, nehmen wir sehr gerne
auf.
Bitte schön, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Wie weit achten Sie - auch in Zusammenarbeit mit
anderen Häusern - darauf, dass bei Verordnungen die
Verwendung des Werkstoffes Holz nicht stärker mit Auflagen belegt wird, als dies für die Sicherheit der Bauten
tatsächlich erforderlich ist?
Wie Sie wissen, hat sich die Bundesregierung ganz
klar zum Ziel gesetzt, Verordnungen so einfach wie
möglich zu halten und vor allen Dingen bürokratische
Hemmnisse abzubauen. Aus dem Grund werden nicht
nur alle Gesetzesvorhaben, sondern auch alle Verordnungen vom Normenkontrollrat untersucht. Bisher sind
wir da auf einem guten Weg.
Jetzt kommen wir zur Frage 6 der Kollegin HappachKasan:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen,
um die Meldung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit, BVL, zu Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln, die nicht übereinstimmend
mit der BVL-Studie sind, richtigzustellen und somit dem falschen Eindruck in der Öffentlichkeit entgegenzutreten, die
Verbraucher würden durch Lebensmittel aus Deutschland einem erhöhten Risko ausgesetzt?
Hintergrund ist, dass der Leiter des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Oktober gemeinsam mit dem Vorsitz der Landesarbeitsgemeinschaft für Verbraucherschutz die Ergebnisse des sogenannten Lebensmittelmonitorings aus dem Jahr 2007
sehr ausführlich vorgestellt hat. Sie wissen, das Lebensmittelmonitoring ist ein repräsentatives Untersuchungsprogramm, das von einem Ausschuss der Länder geplant
und dann von den Ländern durchgeführt wird. Die Länder ihrerseits übermitteln dem BVL die Daten, und das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erstellt anschließend den Bericht. Die Pressemitteilung, auf die Sie sich beziehen und die sehr breit in
den Medien veröffentlicht wurde, enthält sehr viele neutrale Zahlen und präsentiert einige positive, aber auch einige negative Trends.
Gestatten Sie mir, auch wenn das jetzt etwas ausführlicher ist, das an einem Beispiel deutlich zu machen,
nämlich am Beispiel des Apfels. Daran kann man das so
schön sehen. Der Anteil der Höchstmengenüberschreitungen hat sich im Vergleich zum Jahr 2004 halbiert,
liegt aber immer noch bei 7,4 Prozent. Erstaunlicherweise wiesen deutsche Äpfel - leider - häufiger Rückstände auf, die zulässigen Höchstmengen wurden jedoch
seltener überschritten als bei südamerikanischen Äpfeln.
Zur Schattenseite gehört auch, dass die gesetzlichen
Rückstandshöchstmengen bei verschiedenen Lebensmitteln zum Teil erheblich überschritten wurden. Dazu gehörten insbesondere Grünkohl mit 20 Prozent, Wirsingkohl mit 14 Prozent und Pfirsiche mit 12 Prozent
Überschreitung. Darüber hinaus berichtet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit,
dass die Belastung bei einigen Proben, so bei Kopfsalat,
Grünkohl, Austernseitlingen und Tomaten, so hoch lag,
dass bei einmaligem Verzehr gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht auszuschließen seien.
Diese Aussagen sowie die Überschrift der entsprechenden Pressemitteilung, die ich hier noch einmal zitieren darf - „In Obst und Gemüse erneut zu hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln festgestellt“ -, haben
möglicherweise dazu beigetragen, dass Presseorgane zu
sehr oberflächlichen Schlussfolgerungen verleitet wurden, obwohl gerade das BVL konstatiert hat, dass verbesserte Eigenkontrollen des Handels teilweise Erfolge
zeigen. Wir haben die Veröffentlichungen und die daraus
resultierenden Diskussionen sehr ernst genommen und
haben deshalb jetzt das BVL gebeten, in einem Fachge19804
spräch mit den Erzeugerverbänden die Ergebnisse des
Lebensmittelmonitorings 2007 einschließlich der Problematik der Einhaltung von Rückstandshöchstmengen zu
erörtern.
Frau Happach-Kasan, Sie haben eine Nachfrage. Bitte
schön.
Die Überschrift bezieht sich insbesondere auf Pflanzenschutzmittel. Berichtet wird anschließend über geringfügig belastete, häufig verzehrte Erzeugnisse: bei
Tomaten verringert, bei Äpfeln halbiert. Am Ende ist die
Rede von erhöhter Kontamination von Wildfleisch mit
Blei - das ist kein Pflanzenschutzmittel - und von hohen
Gehalten an Mykotoxinen - auch kein Pflanzenschutzmittel - bei Muskatnuss und Paprikapulver. Die Überschrift gibt meines Erachtens nicht ganz den Text in der
Presseveröffentlichung wieder. Teilen Sie meine Einschätzung?
Frau Dr. Happach-Kasan, ich teile Ihre Einschätzung,
dass gerade die Überschrift in Bezug auf bestimmte Absätze in der Pressemitteilung zu voreiligen Schlüssen geführt hat. Aus diesem Grund haben wir intensive Gespräche auch mit dem BVL geführt und festgehalten,
dass wir auf diesem Gebiet ein paar Dinge doch noch genauer bearbeiten müssen.
Frau Dr. Happach-Kasan, bitte.
Ich habe noch eine Nachfrage. Sie selbst haben mir
mit Schreiben vom 5. September geantwortet, die Tatsache, dass Rückstände zu finden sind, müsse nicht damit
einhergehen, dass dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Sie haben ausgeführt, dass in 2006, also
im Jahr vor diesem Bericht, lediglich bei 14 von insgesamt 17 535 untersuchten Proben ein gesundheitliches
Risiko nicht ausgeschlossen werden konnte. Teilen Sie
meine Einschätzung, dass die Lebensmittelsicherheit in
Deutschland sehr, sehr hoch ist und wir uns beglückwünschen könnten, wenn die Verkehrssicherheit genauso
hoch wäre?
Ich teile Ihre Ansicht, dass die Lebensmittelsicherheit
sehr hoch ist. Das liegt natürlich auch daran, dass die
Länder hervorragende Kontrollen durchführen. Auch
das Instrument des Lebensmittelmonitorings dient der
Sicherheit. Es zeigt auf, wo es gegebenenfalls Problembereiche gibt. Dann können wir mit den Erzeugern darüber sprechen und Veränderungen herbeiführen.
Sie zitieren mich, glaube ich, aus dem September. Die
Veröffentlichung des Lebensmittelmonitorings 2007 ist
Mitte Oktober erfolgt, sodass ich natürlich bedauere,
dass es in dem einen oder anderen Bereich zu Verschlechterungen gekommen ist. Aber lassen Sie mich
nur noch einmal zur Erläuterung sagen: Es werden nicht
in jedem Jahr dieselben Produkte untersucht, sondern es
werden in jedem Jahr andere Stichproben vorgenommen.
Auch wenn in einem Jahr besonders besorgniserregende
Werte beispielsweise bei Grünkohl festgestellt werden,
werden im nächsten Jahr vielleicht andere Produkte untersucht. Hierbei geht es um eine Stichprobe, die jeweils
besonders untersucht wird.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Ulrike Höfken auf:
Wie will die Bundesregierung die auf dem Milchgipfel am
30. Juli dieses Jahres versprochene Mengenreduzierung konkret umsetzen?
Vor allen Dingen, Frau Kollegin Höfken, geht es um
die Frage, wie die Beschlüsse des Milchgipfels vonseiten der Bundesregierung konkret umgesetzt wurden. Auf
dem Milchgipfel im Sommer wurden Maßnahmen zur
Stärkung der Quotendisziplin auf nationaler Ebene beraten. Die Ergebnisse sind in dem Papier „Eine leistungsstarke Milchwirtschaft in Deutschland sichern“ nachzulesen. Ein Teil der Maßnahmen betrifft in der Tat uns. Es
geht um das, was wir auf dem Verordnungsweg umzusetzen haben.
Die Bundesregierung hat zugesagt, umgehend einen
Verordnungsvorschlag zur Änderung des Umrechnungsfaktors der Anlieferungsmilch in den Bundesrat einzubringen. Das haben wir gemacht. Die Bundesregierung
hatte darüber hinaus zugesagt, den von Bayern in den
Bundesrat eingebrachten Antrag auf Abschaffung der
Molkereisaldierung zu unterstützen. Das haben wir
ebenfalls getan.
Außerdem haben wir zugesagt, eine Konzeption zur
Abschaffung der Bundessaldierung zu erarbeiten. Wir
haben nicht nur eine Konzeption, sondern umgehend
auch einen Maßgabebeschluss zur Abschaffung der gesamten Saldierung erarbeitet, der dann von Bayern in
den Bundesrat eingebracht worden ist. Wir haben damit
sozusagen unsere Hausaufgaben vom Milchgipfel erledigt. Leider hat der Bundesrat - das wissen Sie - den
Maßnahmen am vergangenen Freitag nicht zugestimmt.
Wir bedauern diese Entscheidung sehr, haben sie aber zu
akzeptieren.
Frau Höfken, eine Nachfrage.
Welche weiteren Maßnahmen werden Sie ergreifen,
um den Bundesrat von Ihren Beschlüssen zu überzeugen? Welche Wege werden Sie gehen, um die MengenreUlrike Höfken
gulierung und die Mengenreduzierung zu erreichen? Ist
es ebenfalls richtig, dass Sie es nicht erreichen, dass in
den geplanten Milchfonds die versprochenen 300 Millionen Euro fließen, sondern allenfalls 270 Millionen Euro,
und dass davon 70 Millionen Euro Mittel der Agrarleitlinie sind, während 200 Millionen Euro nur durch Umschichtungen zur Verfügung gestellt werden können?
Stimmt es, dass vor diesem Hintergrund die Verluste, die
durch eine Liberalisierung der Mengenregulierung auftreten würden, nicht im Allermindesten zu kompensieren
sind?
Sehr geehrte Kollegin Höfken, ich werde mich jetzt
einmal bemühen, die zahlreichen Fragen, die Sie in dieser einen Frage verpackt haben, zusammenfassend zu
beantworten.
Sie wissen, dass wir sozusagen zwei Diskussionsebenen haben. Eine Diskussionsebene ist hier, in unserem
Land, Stichwort „Mengenreduzierung“. Diese Diskussion wird aber, wie Sie wissen, auf europäischer Ebene so
nicht geführt. Ganz im Gegenteil: Dort steht regelmäßig,
auch zurzeit im Rahmen der Health-Check-Verhandlungen, die Mengenausweitung zur Diskussion, sodass wir
hier eine sehr große Bandbreite an Diskussionsthemen zu
bewältigen bzw. an Problemen zu lösen haben.
Sie wissen auch, dass wir sehr bemüht sind, Partner
auf der europäischen Ebene zu finden, die unseren Kurs
der Begrenzung mitgehen. Ich bin relativ zuversichtlich,
dass wir mit unserer neuen Ministerin auch in der kommenden Woche, wenn der Health-Check in seine Schlussphase tritt, zu guten Lösungen kommen werden.
Was den Milchfonds angeht, sind wir zurzeit dabei, zu
verhandeln. Da haben wir schon erste Erfolge erzielt,
zum Beispiel, dass wir ihn sozusagen aus der zweiten
Säule finanzieren können und damit diejenigen Maßnahmen, die wir für ein sogenanntes Soft Landing, also für
eine sanfte Landung, im Bereich der Milch für notwendig erachten, in Deutschland tatsächlich durchführen
können.
Seien Sie mir nicht böse: Über die tatsächlichen Mittel, die zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen zurzeit
noch keine Auskunft geben.
Sie haben eine weitere Nachfrage.
Darf ich einmal nachfragen, wie sich die Bundesländer bezüglich der Kofinanzierung, die sie für den Milchfonds leisten, positionieren sollen? Schließlich müssen
sie angesichts dieser Ausstattung auf alle weiteren Maßnahmen, die in den Programmen für die ländlichen
Räume eigentlich vorgesehen wären, verzichten.
Diese Frage kann ich Ihnen, Kollegin Höfken, leider
nicht beantworten. Ich rege aber an, dass Sie diese Frage
noch einmal an die entsprechenden Bundesländer richten. Sie wissen, dass wir uns zwar in regelmäßigen Gesprächen mit den Bundesländern befinden, aber in der
vergangenen Woche doch überrascht gewesen sind, dass
die Bundesländer unserem Votum bei den Verordnungen
zur Mengenreduzierung nicht gefolgt sind.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 8 des Kollegen
Peter Hettlich:
Wie lautet der aktuelle Zeitplan für die Genehmigung des
Biomasseforschungszentrums Leipzig, die seit über drei Jahren aussteht, und wie begründet die Bundesregierung die erneute Verzögerung bei der Genehmigung?
Kollege Hettlich, wenn Sie einverstanden sind, würde
ich gern Ihre beiden Fragen zusammen beantworten,
weil sie in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen.
Dann rufe ich auch die Frage 9 des Kollegen Peter
Hettlich auf:
Welche Bundes- und Länderbehörden haben mit welcher
Begründung zum jetzigen Zeitpunkt noch Vorbehalte gegen
die Genehmigung des Biomasseforschungszentrums Leipzig?
Das Deutsche Biomasseforschungszentrum hat seine
Forschungsaktivitäten bereits am 1. Januar 2008 in Leipzig in den Liegenschaften des dort ansässigen Instituts
für Energetik aufgenommen. Die wissenschaftlichen Arbeiten konnten somit bis zur rechtsförmlichen Etablierung vom ehemaligen Institut für Energetik wahrgenommen werden. Der Bundesminister der Finanzen hat am
12. Februar dieses Jahres die Einwilligung gemäß § 65
Abs. 2 und 3 der Bundeshaushaltsordnung erteilt. Die
rechtsförmliche Etablierung, wie es so schön heißt, des
Instituts erfolgte am 28. Februar 2008. Das Institut ist im
Handelsregister eingetragen. Die Verschmelzung mit dem
ehemaligen Institut für Energetik erfolgte am 17. Juni
2008.
Insofern ist das Genehmigungsverfahren abgeschlossen. Das Zentrum entwickelt sich planmäßig - mit heute
circa 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in zahlreichen Forschungsprojekten aktiv sind.
Ich glaube aber, Ihre Frage zielte auf einen etwas anders gelagerten Sachverhalt, nämlich auf die vorgesehene Erweiterung des Biomasseforschungszentrums.
Dazu ist eine Reihe von Baumaßnahmen geplant. Dabei
geht es beispielsweise um weitere Unterbringungsmög19806
lichkeiten für Mitarbeiter sowie Techniker und technische Prüfstände. Für diese Baumaßnahmen hatte der
Freistaat Sachsen finanzielle Mittel in Höhe von 2 Millionen Euro zugesagt. Eine Vereinbarung zwischen dem
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz und dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, die insbesondere
für die zugesagte Mittelbereitstellung notwendig ist,
steht noch aus. Die Vereinbarung wird aber in Kürze abgestimmt sein. Hierbei haben wir auch das Bundesministerium für Finanzen einbezogen. Die Frage der Freiwilligkeit stellte sich nicht; wir mussten es einbeziehen. Das
BMF hat nun seine Zustimmung erteilt.
Eine Verzögerung bei den Baumaßnahmen - um das
vielleicht vorwegzunehmen - ist dadurch nicht entstanden. Die Planungen und dazugehörigen Abstimmungen
bzw. die Einholung von Genehmigungen laufen schon
parallel. Uns liegt die Entwicklung des Deutschen Biomasseforschungszentrums als politischer Schwerpunkt
- das wissen Sie - sehr am Herzen. Es geht darum, dort
die Forschung auf dem Gebiet der Bioenergie zu bündeln und damit noch weiter zu stärken.
Da es keine Nachfragen gibt, kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Für die Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung.
Es liegen zwei Fragen des Kollegen Wolfgang
Gehrcke vor. Ich rufe zunächst die Frage 10 auf:
Was versteht die Bundesregierung unter einer „Stabilisierungsoperation“, wie der Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Franz Josef Jung, in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Oktober 2008 ausführte und mit dieser Begrifflichkeit begründet,
dass in Afghanistan kein Krieg stattfindet?
Ich gebe dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Christian Schmidt die Gelegenheit zur Beantwortung der Frage 10.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Gehrcke, auf Ihre erste Frage ist zu antworten:
Der ISAF-Einsatz - Sie wissen das - beruht auf einer
Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen und findet in Übereinstimmung mit der demokratisch gewählten Regierung Afghanistans statt. Die im
Rahmen von ISAF - „ISAF“ sollte man durchaus einmal
ausbuchstabieren: International Stability Assistance
Force, also: Internationale Stabilisierungs- und Unterstützungstruppe - in Afghanistan eingesetzten deutschen
Truppen nehmen vielschichtige Aufgaben wahr. Das
dient insgesamt der Stabilisierung der afghanischen
Staatlichkeit und der Überwindung innerstaatlicher afghanischer Konflikte.
Dabei handelt Deutschland auf der Grundlage eines
umfassenden Ansatzes. Sie wissen, dass wir den mit dem
Begriff „vernetzte Sicherheitspolitik“ - international:
comprehensive approach - verbinden. Dieser vernetzte
Ansatz soll politische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische, polizeiliche und militärische Maßnahmen verbinden.
Die Aufgaben deutscher Streitkräfte zur Unterstützung dieses Ansatzes reichen entsprechend von Sicherungsaufgaben über Maßnahmen der Unterstützung der Ausbildung
bis hin zu humanitären Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der sogenannten zivil-militärischen
Zusammenarbeit. Diese Vielschichtigkeit ist mit dem Begriff Stabilisierungsoperation, nach dem Sie gefragt haben, zutreffend ausgedrückt.
Mit dem Begriff Krieg dagegen würde unser Engagement in Afghanistan bzw. das internationale Engagement in Afghanistan weder hinsichtlich des politischen
noch hinsichtlich des militärischen Auftrags, noch hinsichtlich des völkerrechtlichen Rahmens zutreffend beschrieben.
Eine Nachfrage, Herr Gehrcke.
Herr Staatssekretär, erst einmal Dank für Ihre Antwort. Öffentlich besteht ja der allgemeine Eindruck, dass
der zuständige Minister und die Bundesregierung alles
tun, um den Begriff „Krieg“ zu vermeiden. Deswegen
nun meine Nachfrage: Es ist überall zu lesen, dass der
Krieg in Afghanistan - ich benutze bewusst diesen Begriff - Teil des Krieges gegen den Terror ist. Würden Sie
bestätigen, dass der Einsatz in Afghanistan nach Ihrer
Auffassung auch Teil des Krieges gegen den Terror ist,
also der Begriff „Krieg“ durchaus angemessen ist?
Herr Kollege, ich glaube, im allgemeinen Sprachgebrauch wird manches freier verwendet. Wir sind aber
schon dazu verpflichtet, uns am völkerrechtlichen
Sprachgebrauch zu orientieren. Völkerrechtlich ist das,
was im Rahmen von ISAF stattfindet, kein Krieg.
Wieso? Der Krieg ist eine Fallgruppe des internationalen
bewaffneten Konflikts. Kennzeichnend für einen Krieg
ist die mit Waffengewalt ausgetragene Auseinandersetzung zwischen souveränen Staaten. Auf innerstaatliche
Konflikte, auch wenn diese umgangssprachlich zum Teil
als Bürgerkriege bezeichnet werden, findet der klassische Kriegsbegriff völkerrechtlich keine Anwendung.
Da wir uns strikt an das Völkerrecht halten, bemühen
wir uns, auch die entsprechende Terminologie zu verwenden.
Eine weitere Nachfrage.
Das wäre ja schön. Sie könnten mich hier begeistert
sehen, wenn ich den Eindruck hätte, dass sich die Bundesregierung strikt an das Völkerrecht halten würde. Ich
glaube allerdings nicht einmal, dass sie sich an das Völkerrecht hält. Aber sehen wir einmal davon ab.
Beantworten Sie mir doch bitte die Frage, wieso eine
der rechtlichen Positionen, die die Bundesregierung imWolfgang Gehrcke
mer wieder zitiert, nämlich Art. 5 des NATO-Paktes,
also der Bündnisfall - das ist ja der Rückgriff auf einen
in der NATO-Geschichte erstmalig eingetretenen Fall -,
eben für Kriege bzw. bewaffnete Auseinandersetzungen
dieser Form gedacht ist.
Herr Kollege, natürlich würde es mich außerordentlich freuen, wenn es mir gelingen würde, Sie zufriedenzustellen.
({0})
Gleichwohl kann das nicht alleiniger Maßstab unserer
Formulierungen sein. Aber vielleicht gibt es ja ab und zu
einen Windfall-Profit bei Ihnen in der Form, dass Sie
meinen Ausführungen zustimmen können.
Sie beziehen sich auf Art. 5 des NATO-Vertrages. Der
NATO-Vertrag beinhaltet in der Tat eine Bündnisverpflichtung. Die Bündnisverpflichtung, die gemäß Art. 5
übrigens nicht in Bezug auf ISAF, sondern insgesamt als
Reaktion auf die terroristischen Angriffe auf die Vereinigten Staaten von Amerika durch Beschluss des NATORates am 12. September 2001 festgestellt worden ist, hat
nicht automatisch kriegerische Maßnahmen zur Konsequenz. Der Bündnisfall - Sie kennen, denke ich, den
NATO-Vertrag genauso gut wie ich - wird in Art. 5 nur
sehr grundsätzlich geregelt. Daraus sind keine unmittelbaren kriegerischen Konsequenzen abzuleiten. Ohne
rechtshistorisch argumentieren zu wollen: Bei Rückgriff
auf den Brüsseler Pakt, den früheren Vertrag der Westeuropäischen Union, wären wir dem von Ihnen angesprochenen Punkt etwas näher gekommen.
Ich kann Ihnen hier nun leider nicht mit weiteren
Ausführungen dienen, ob Sie das nun zufriedenstellt
oder nicht. Es ist und bleibt so, dass sich für die Bezeichnung dieses Konflikts als Krieg kein begriffliches Fundament, auch nicht in Art. 5 des NATO-Vertrages, findet.
Herr Dr. Seifert hat noch eine Nachfrage. Bitte, Herr
Dr. Seifert.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade sehr wortreich erzählt, was alles angeblich in Afghanistan im Rahmen von ISAF getan
wird. Die Frage richtete sich aber an das Verteidigungsministerium und bezog sich auf eine Aussage des Verteidigungsministers. Somit reden wir hier darüber, was die
militärische Komponente dieses vielfältigen Engagements in Afghanistan ist. Wenn ich die Berichte im Fernsehen richtig deute und die entsprechenden Berichte
richtig lese, dann ist es so, dass dort Leute totgeschossen
werden sowie Gebäude und andere Dinge mit militärischen Mitteln kaputtgemacht werden. Was ist denn das
anderes als Krieg?
Herr Kollege, falls ich Ihre Qualifizierung von „wortreich“ so verstehen soll, dass Sie mit der Tiefe der Antwort nicht zufrieden waren, dann kann ich Ihrer Bemerkung nicht folgen. Die Aussage, wo geschossen werde,
sei Krieg, ist leider zu kurz gegriffen. Es gibt - damit bin
ich bei der umgangssprachlichen Begrifflichkeit, die
Kollege Gehrcke schon angesprochen hat - beispielsweise das Buch eines deutschen Journalisten über Krieg
in den Städten. Mit dieser Formulierung wollte er nicht
sagen, dass die Bundeswehr oder andere Armeen durch
die Städte fahren und schießen,
({0})
sondern er wollte beschreiben, dass dort Gewalttätigkeiten stattfinden. Auch bei einem robusten Einsatz zur Sicherung des Friedens kann und wird es zur Anwendung
von Gewalt kommen, und es wird unmittelbaren Zwang
geben. Sonst wäre es nicht notwendig, dass entsprechend
ausgerüstete und ausgebildete Einheiten sich beteiligen.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 11:
Was unterscheidet nach Auffassung der Bundesregierung
einen „asymmetrischen Konflikt“ ({0}), von dem der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, in Bezug auf Afghanistan spricht,
von einem Krieg?
Bitte.
Ich darf wie folgt antworten: Nach dem humanitären
Völkerrecht findet ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen zwei oder mehr Staaten statt, die einander
auf der Ebene des Völkerrechts, also als Völkerrechtssubjekte, gleichberechtigt gegenüberstehen und gleichermaßen an die für diese Art von Konflikt geltenden
Regeln gebunden sind. Die Situation in Afghanistan unterscheidet sich davon grundlegend. Noch immer leidet
Afghanistan unter feindseligen Kräften, die im Innern
des Landes gegen die Regierung kämpfen, allen voran
den Taliban, die die Zivilbevölkerung, staatliche Institutionen, zivile und militärische Aufbauhelfer sowie auch
deutsche Soldatinnen und Soldaten mit Heimtücke und
Rücksichtslosigkeit immer wieder angreifen. Anders als
die Kombattanten in einem internationalen bewaffneten
Konflikt fühlen sich diese Aufständischen an keinerlei
Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden. Sie
verfolgen im Gegenteil eine offensive Strategie der Angriffe auf Unbeteiligte, oft mit heimtückischen, vom
Völkerrecht in einem bewaffneten Konflikt untersagten
Waffen oder Kampftaktiken und unter Ausnutzung der
Resonanz in den Medien. Da die ISAF-Truppen durch
ihre strikte Orientierung am Völkerrecht auf diese Angriffe nicht in gleicher Weise antworten können und dies
auch nicht dürfen, kann man von einem „asymmetrischen Konflikt“, also nicht gleichwertigen Konflikt,
sprechen. Der Begriff hat aber keine eigene völkerrechtliche Bedeutung.
Herr Gehrcke.
Herr Staatssekretär, ich ermuntere Sie: Überzeugen
Sie einen kritischen Abgeordneten! Ich versuche es meinerseits ja auch, wenn auch in Form von Fragen.
Wenn ich Ihre Antwort zusammenfassen darf, lautet
sie: Krieg ist für Sie ein nicht wünschenswerter Zustand,
der zwischen Staaten stattfindet. Für alles andere benutzen Sie nicht den Begriff „Krieg“, sondern andere
Formulierungen. „Asymmetrisch“ bedeutet: wenn eine
organisierte Armee auf nicht organisierte Widerstandsgruppen, wie immer man sie einordnen will, trifft. Ihr
Merkmal war, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts, auch des Kriegsrechts, gewahrt bleiben müssen.
Sind Sie wirklich der Auffassung, dass Bombenangriffe
auf die Zivilbevölkerung, die ja auch durch OEF-Kommandos oder ISAF-Truppen erfolgen, oder eine nicht gewollte Bombardierung des pakistanischen Grenzgebietes
irgendwie den Regeln des humanitären Kriegsrechts entsprechen?
Der von uns geleistete Beitrag im Kontext der von Ihnen angesprochenen Missionen von ISAF und OEF richtet sich streng nach dem Völkerrecht und den entsprechenden Begrifflichkeiten. Ich will aber deutlich sagen,
dass vor dem Hintergrund dessen, was die Charta der
Vereinten Nationen, die Genfer Konventionen sowie
sonstige völkerrechtliche Grundlagen mit dem Begriff
„Krieg“ verbinden, die Abwesenheit von Krieg nicht die
Abwesenheit von Gewalt bedeutet. Das kann sich sowohl auf die Ausübung von Gewalt gegen die Bevölkerung als auch auf die notwendigen Maßnahmen, dieser
Gewalt Einhalt zu gebieten, beziehen.
Es gibt Bereiche, in denen sich Gruppierungen zusammenschließen, um gegen die staatliche Existenz eines Landes oder gegen die Regierung vorzugehen. Als
Beispiel fällt mir die FARC in Südamerika ein, eine Organisation von Rebellen - um nicht zu sagen: Terroristen -,
die versuchen, in einem Land einen Umsturz herbeizuführen. Auch dies ist nach dem Völkerrecht kein Krieg,
wenngleich es eine bewaffnete Auseinandersetzung ist.
Die Wahl der Mittel hat sich - das ist mit „asymmetrisch“ gemeint - bei denjenigen, die als Staat oder international dagegen vorgehen, am Völkerrecht zu orientieren.
Sie haben noch eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.
Das sind Feinheiten, die mir Spaß machen. Ich frage
zurück: Wie viele Umstürzler haben später den Friedensnobelpreis - ich denke beispielsweise an Nelson
Mandela - erhalten? Das wollte ich aber nicht erörtern.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie dem ehemaligen Verteidigungsminister Herrn Rühe zustimmen, der ebenfalls in
der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat, ein Problem
der Bundesregierung sei, dass sie der Bevölkerung nicht
die Wahrheit sage. Er ist dafür, weit mehr Truppen nach
Afghanistan zu schicken. Zur Wahrheit gehöre, dass dort
Krieg herrsche und dass dort Menschen in einem Krieg
stürben. Er plädiert also sehr deutlich für die Benutzung
des Wortes „Krieg“.
Ich denke, das ist das, was die Menschen empfinden.
Es interessiert mich, weshalb ein ehemaliger Verteidigungsminister einen Krieg „Krieg“ nennen darf, während der jetzige Verteidigungsminister alle möglichen
Umschreibungen finden muss oder findet, um nicht den
Begriff „Krieg“ für das einzuführen, was dort stattfindet.
Manchmal hat bei früheren Amtsinhabern der Versuch einer deutlichen Darstellung Vorrang vor der Beachtung der Notwendigkeiten, denen diejenigen ausgesetzt sind, die in der konkreten Situation entscheiden
müssen.
Herr Kollege, bezogen auf Ihre Frage - das habe ich
meines Erachtens deutlich gemacht - ist eines sehr klar
zu sagen: Wir können und wollen nicht bei der Bevölkerung in unserem Land und anderswo den Eindruck aufkommen lassen, als ob die Situation in Afghanistan eine
friedliche wäre. Natürlich ist die Situation gefährlich für
die Zivilbevölkerung, für die dort tätigen Entwicklungshelfer, für Soldaten, eigentlich für alle Menschen.
Deshalb ist es notwendig, dort mit Gewalt zu unterbinden, dass diese Situation eskaliert. Gewalt ist aber nur
dann geboten, wenn keine anderen Mittel mehr helfen.
Deshalb bleibe ich dabei, dass die Verwendung dieser
Begrifflichkeit sich nicht einer falschen bzw. missverstandenen Zurückhaltung verdankt, sondern einer präzisen Orientierung an dem, was das Völkerrecht uns als
Grundlage bietet und was wir - in Sonderheit in einem
internationalen Konflikt mit einer internationalen Gemeinschaft und einer multinational orientierten Aktion national zu übernehmen verpflichtet sind.
Es bleibt dabei: Es ist ein bewaffneter Konflikt, ein
asymmetrischer Konflikt. Was wir tun, trägt dazu bei, zu
verhindern, dass in dieser Region Krieg entsteht.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Kolbe sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 14 des Kollegen Anton
Hofreiter:
Inwieweit liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, ob die Deutsche Bahn Finance B. V. - eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, DB AG,
mit Sitz in den Niederlanden - oder andere DB-AG-Beteiligungsgesellschaften als Zweckgesellschaften für die DB AG
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
fungieren und als solche Geschäfte mit ausländischen Finanzderivaten betrieben haben oder noch betreiben, und ist die
Bundesregierung - für den Fall, dass es bei der Deutschen
Bahn Finance B. V. oder anderen DB-AG-Beteiligungsgesellschaften zu Verlusten mit derartigen Derivaten gekommen ist bereit, diese Gesellschaften ebenso finanziell abzuschirmen,
wie sie dies im Fall deutscher Banken beabsichtigt?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Hofreiter,
die Deutsche Bahn Finance B. V. ist die Finanzierungsgesellschaft des DB-Konzerns. Die Aktivitäten beschränken sich nach Angaben der Deutschen Bahn AG
auf die Emission von Anleihen und Privatplatzierungen.
Die so aufgenommenen Finanzmittel werden per Darlehen an die Deutsche Bahn AG weitergereicht.
Geschäfte mit Finanzderivaten werden von der Deutschen Bahn Finance B. V. nicht abgeschlossen. Der DBKonzern nutzt Finanzderivate zur Absicherung von
Währungs-, Zins- und Energiepreisrisiken. Gemäß der
DB-Konzern-Finanzierungsrichtlinie dürfen derivate Finanzinstrumente grundsätzlich nur von der Deutschen
Bahn AG und ausschließlich zu Sicherungszwecken eingesetzt werden.
Die Transaktionen beziehen sich immer auf ein
Grundgeschäft und dienen einzig der Beschränkung von
Risiken. Verlustrisiken können insofern nicht auftreten,
als der spekulative Einsatz von Derivaten bei der Deutschen Bahn AG explizit untersagt ist und das durch entsprechende Regularien - zum Beispiel Unterschriftenregelung, Vorstandsbeschluss - abgesichert wird. Der
Bundesregierung ist kein Verstoß gegen diese Vorgaben
bekannt.
Herr Hofreiter, eine Nachfrage?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. - Meine erste Nachfrage lautet: Können
Sie ausschließen, dass die DB Finance eine sogenannte
außerbilanzielle Zweckgesellschaft hat bzw. dass es außerbilanzielle Risiken bei der DB AG gibt?
Ich habe meine Antwort schon mit der Einschränkung
versehen, dass ich diese Feststellungen nur gemäß den
Aussagen der Deutschen Bahn AG treffen kann. Sie wissen, dass die Deutsche Bahn ein selbstständiges, aktienrechtlich geführtes Unternehmen ist, und Sie haben
sicherlich Verständnis dafür, dass ich derart präzise
Nachfragen nicht beantworten kann, sondern dass ich
erst bei der Deutschen Bahn AG nachfragen muss, um
verlässliche Antworten geben zu können. Ich sage Ihnen
gerne zu, Ihre Frage schriftlich zu beantworten.
Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter? Bitte sehr.
Vielen Dank. - Noch einmal zur Präzisierung. Mich
würde insbesondere interessieren, ob die Finanzierungsgesellschaft der Deutschen Bahn AG, also die DB Finance B. V., eine Vollbanklizenz hat, ob ihr Sitz in Amsterdam ist und ob diese Gesellschaft eine sogenannte
außerbilanzielle Zweckgesellschaft besitzt.
Ich nehme diese Fragen auf und sage Ihnen zu, dass
ich sie schriftlich beantworte, nachdem wir die Bahn
entsprechend kontaktiert haben.
Der Kollege Seifert hat ebenfalls eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, im zweiten Teil der schriftlichen
Frage des Kollegen Hofreiter wurde danach gefragt, ob
der Schutzschirm der Bundesregierung auch über die DB
Finance gespannt wird, falls Verluste durch ihr Finanzgebaren auftreten. Das ist wichtig für den Fall, dass sich
die Aussagen der Deutschen Bahn AG, auf die Sie sich
jetzt berufen müssen, vielleicht am Ende doch nicht als
so haltbar und belastbar erweisen, wie man sich das eigentlich wünschen müsste.
Wir gehen davon aus, dass die DB AG der Bundesregierung auf die vorgelegten Fragen ordnungsgemäß
und wahrheitsgemäß antwortet. Ich teile daher Ihre Einschätzung des Risikos nicht. Auf Ihre Frage kann ich Ihnen konkret sagen, dass die DB AG kein Unternehmen
des Finanzsektors ist und deshalb keine Unterstützung
nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz in Anspruch nehmen kann.
({0})
Die Frage 15 der Kollegin Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 16 der Kollegin Veronika
Bellmann:
Inwiefern rechtfertigt das Betriebsergebnis der Deutschen
Bahn AG nach Ansicht der Bundesregierung die im Zeitraum
1999 bis 2007 vollzogene Vervielfachung der Vorstandsvergütungen, und wie beurteilt die Bundesregierung den Anstieg
dieser Gehalts- und Vergütungsstrukturen um fast 400 Prozent
im Verhältnis zum Anstieg der Gehaltsstrukturen der übrigen
Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG?
Herr Großmann, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin
Bellmann, einen bewertenden Vergleich nimmt die Bundesregierung nicht vor.
Ihre Nachfrage, bitte.
Das ist schade, weil man dies nach den Äußerungen
des Bundesverkehrsministers zu Boni und Dividenden
hätte erwarten können.
Meine Nachfrage ist: Wie wollen Sie zukünftig die
nötige Transparenz und Kontrolle sichern, wenn es um
die Gehaltsstrukturen, aber auch um die Infrastrukturzuschüsse laut der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung geht, über die wir erst kürzlich Näheres erfahren
haben? Der DB AG sind ja jetzt 2,5 Milliarden Euro zugesichert worden. Wie sollen in Zukunft Kontrolle und
Transparenz seitens des Anteilseigners Bund gewährleistet werden, da diese Mittel nicht, wie im Bundesschienenwegeausbaugesetz - ein kompliziertes Wort festgelegt, als ein zinsloses Darlehen, sondern als nicht
rückzahlbare Baukostenzuschüsse gezahlt werden sollen?
Das ist ja schon jetzt der Fall. Da gibt es keine Änderungen. Die LuFV - die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, das sollte man für diejenigen Kolleginnen
und Kollegen hinzufügen, die das Kürzel „LuFV“ nicht
kennen - ist dem Verkehrsausschuss gestern Abend zugegangen. Wir werden sie heute dem Haushaltsausschuss zustellen. Die beiden Fachausschüsse haben
dann, wie im Parlament beschlossen und zugesagt, die
Möglichkeit - sie ist ja noch nicht abgeschlossen; dies
ist ein Entwurf -, sich mit der LuFV zu beschäftigen.
Aus unserer Sicht ist, wenn wir diese LuFV so beschließen, der Einsatz der Mittel so klar und so transparent geregelt wie nie zuvor, weil wir uns mit der Bahn
auf genaue Anlageklassen geeinigt haben, die nachvollziehbar und transparent sind, und weil wir die Möglichkeit haben, über Testate einerseits des Wirtschaftsprüfers
und andererseits derjenigen, die die Investitionen testieren müssen, genau nachzuvollziehen, wohin das Geld
geflossen ist.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.
({0})
Dann kommen wir zur Frage 17 der Kollegin
Bellmann:
Welche Kenntnisse - Finanzierung, Planungs- und Realisierungsstand, zeitliche Realisierung, Beteiligung der betroffenen Bundesländer - liegen der Bundesregierung hinsichtlich
des Gesamtvorhabens Sachsen-Franken-Magistrale vor, und
ist die Bundesregierung gewillt, den aktuellen Finanzierungsengpass - zum Beispiel für eine vollständige Elektrifizierung
der Strecke - mit Mitteln des am 5. November 2008 beschlossenen Wirtschaftsförderungsprogramms oder bereits in den
Bundeshaushalt eingestellten Geldern - beispielsweise für die
nicht realisierte Transrapidstrecke zum Flughafen München
Franz Josef Strauß - zu finanzieren?
Vielen Dank. - Frau Kollegin Bellmann, einen aktuellen Finanzierungsengpass sehe ich nicht. Der Ausbau
der sogenannten Franken-Sachsen-Magistrale ist im Wesentlichen zwischen Hof und Dresden - bis auf die beiden Eisenbahnknoten Chemnitz und Zwickau - abgeschlossen. Der Abschnitt Werdau-Leipzig befindet sich
noch im Bau. Der Umbau des Bahnhofs Chemnitz
Hauptbahnhof hat im Oktober 2008 begonnen. Bisher
wurden Abschnitte mit einer Länge von insgesamt rund
190 Kilometern grundlegend saniert und mit moderner
Leit- und Sicherungstechnik ausgerüstet sowie für den
Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen angepasst. Für die
Planung und den Bau wurden bis Ende 2007 Mittel in
Höhe von insgesamt 1 001 Millionen Euro verausgabt.
Das sind 1 Milliarde und 1 Million Euro.
In diesem Zusammenhang verweist die Bundesregierung auf den Schienenwegeausbaubericht, der dem Parlament in regelmäßigen Abständen zugestellt wird und
der im Internetauftritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einzusehen ist.
Die erforderlichen Abstimmungen mit den Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes, insbesondere mit
der DB Netz AG, zur Einordnung der Elektrifizierung
des Abschnittes Hof-Reichenbach-Vogtland im Zuge
der sogenannten Franken-Sachsen-Magistrale in die mittelfristige Investitionsplanung konnten bisher noch nicht
abgeschlossen werden. Zur Finanzierung aus Mitteln des
am 5. November 2008 beschlossenen Maßnahmepaketes
der Bundesregierung zur Beschäftigungssicherung durch
Wachstumsstärkung kann zurzeit noch keine Aussage
getroffen werden, da die Beschlussfassung zu diesem
Maßnahmepaket dem Haushaltsgesetzgeber vorbehalten
ist. Sie wissen, dass wir am 20. November die Bereinigungssitzung haben und das Haushaltsgesetz Ende November in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag beraten werden soll.
Frau Bellmann, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Ihre Antwort halte ich für ziemlich abenteuerlich,
weil Sie im ersten Teil sagen, es gebe keinen Engpass,
und im zweiten Teil, dass die Elektrifizierung - zum
Beispiel die der Strecke Hof-Reichenbach - noch nicht
abgeschlossen ist. Das beschreibt den finanziellen Engpass, den es gibt. Die beiden Anrainerländer Bayern und
Sachsen beziffern ihn auf ungefähr 33 Millionen Euro.
Das Land Sachsen konnte die Planung mit EFRE-Mitteln betreiben; aber auf der bayerischen Seite fehlt es
noch. Deswegen war meine ursprüngliche Frage, auf die
Sie jetzt nicht geantwortet haben, ob wir das möglicherVeronika Bellmann
weise mit den Mitteln, die für den Bau der Transrapidstrecke zur Verfügung gestellt werden sollten, ausgleichen könnten.
Ein Finanzierungsengpass entsteht dann, wenn eine
Maßnahme baureif ist und das Geld fehlt, sie zu beginnen. Ich habe Ihnen aber in meiner Antwort - ich glaube,
sehr überzeugend - dargestellt, dass dann, wenn man bereits 1 Milliarde Euro investiert hat, davon keine Rede
sein kann. Jetzt geht es darum, dass wir die noch ausstehenden Projekte - unter anderem die Elektrifizierung planen und dann das Geld zeitnah zur Verfügung stellen.
Von daher sehe ich eine Finanzierungsnotwendigkeit am
heutigen Tage nicht. Ich habe darauf hingewiesen, dass
wir jetzt über das Maßnahmepaket sprechen und wir,
wenn der Bundestag entsprechend beschlossen hat, den
nächsten Schritt tun können, so wie wir das bei allen anderen Projekten auch machen.
Man kann über eine Finanzierungsvereinbarung und
über Finanzmittel auf der Grundlage eines vorgelegten
Planes beschließen. Daran arbeiten wir genauso wie die
Sachsen. Sie können sich daran erinnern, dass wir es
waren, die vorgeschlagen haben, einen Teil dieser Maßnahmen über EFRE-Mittel zu finanzieren. Sachsen hat
dankenswerterweise zugesagt, die Kofinanzierung der
Mittel zur Hälfte zu übernehmen, also eine Hälfte trägt
der Bund, die andere Hälfte Sachsen. Das zeigt, dass wir
auf einem sehr guten Wege sind.
Auf die Frage zu den Transrapidmitteln haben wir
schon auf mehrere Fragen von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages antworten müssen: Leider hätten diese Mittel im Haushaltsplan erst eingeworben werden müssen. Es ist nicht so, dass wir sie in einem
Tresor liegen hätten und wir jetzt krampfhaft überlegen
müssten, für welche anderen Maßnahmen wir sie ausgeben.
Sie haben noch eine Nachfrage? - Bitte.
Meine zweite Nachfrage knüpft an das an, was Sie
eben zu dem Maßnahmepaket zur Konjunkturstabilisierung bezüglich der Verkehrsinfrastruktur gesagt haben.
Wir alle wissen, dass nur das finanziert werden kann,
was bereits planfestgestellt ist, wo also ein gewisser
Planvorlauf vorhanden ist, damit dieses Konjunkturstabilisierungsprogramm schnell wirksam werden kann.
Im Bereich Straßenbau ist mir zumindest aus meinem
Bundesland bekannt, welche und wie viele planfestgestellte Verfahren es gibt. In mehreren Bundesländern
sind viele planfestgestellte Verfahren noch nicht durchfinanziert. Meine Frage ist: Wie sieht es im Bereich
Schiene - abgesehen von der Elektrifizierung der Sachsen-Franken-Magistrale -, vor allen Dingen im Osten
Deutschlands und insbesondere in Sachsen, aus? Ich
denke an die Planvorläufe und an das, was man möglicherweise in dieses Konjunkturstabilisierungsprogramm
einbeziehen könnte.
Ich habe Ihnen das Prozedere genannt. Wir müssen
jetzt abwarten, was der Deutsche Bundestag beschließt.
Es wird sicherlich so sein, dass man eine Haushaltsvorlage macht, in der die Bereiche Straße, Wasserstraße und
Schiene mit finanziellen Beträgen ausgestattet werden.
Weil wir darauf gehofft haben, dass so etwas passiert,
sind wir seit einigen Wochen dabei, mit den einzelnen
Bauträgern - das heißt bei der Straße mit den Auftragsverwaltungen, aber auch mit der Erfahrung, die wir im
Hause haben; mit den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen bei den Wasserstraßen; mit der DB AG bei den
Bahnprojekten - eine Grundlage dafür zu schaffen, dass
wir einen guten Vorschlag mit Projekten machen, die relativ schnell umsetzbar sind.
Dann komme ich jetzt zur Frage 18 des Kollegen Lutz
Heilmann:
Auf welcher rechtlichen Grundlage sollen Ende dieses
Jahres dänische Vermesser im Auftrag der dänischen Femern
Baelt A/S Vorarbeiten für den geplanten Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung Messungen auf Fehmarn durchführen ({0})?
Sehr geehrter Herr Heilmann! Die Duldungsanordnung wurde am 1. November 2008 in den Lübecker
Nachrichten und dem Fehmarnschen Tageblatt veröffentlicht und verweist als rechtliche Grundlage auf § 17
Allgemeines Eisenbahngesetz. Zuständig für den Erlass
einer im Rahmen des § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz
erforderlichen Duldungsanordnung ist die Planfeststellungsbehörde, im vorliegenden Fall der Landesbetrieb
Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein. Die Bundesregierung ist in diesen Prozess nicht eingebunden.
Eine Nachfrage?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär, da diese Vermessungsarbeiten von
der Baufirma Femern Baelt A/S durchgeführt werden:
Ist es möglich, dass als Rechtsgrundlage der Staatsvertrag, der zwischen Dänemark und Deutschland geschlossen wurde, gilt?
Ich darf noch einmal betonen: Die Zuständigkeit für
die Duldungsanordnung liegt bei der Planfeststellungsbehörde. Der einschlägige § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz besagt - ich zitiere -:
Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte haben
zur Vorbereitung der Planung … eines Vorhabens
oder von Unterhaltungsmaßnahmen notwendige
Vermessungen, Boden- und Grundwasseruntersuchungen einschließlich der vorübergehenden Anbringung von Markierungszeichen und sonstige
Vorarbeiten durch den Träger des Vorhabens oder
von ihm Beauftragte zu dulden.
Das ist ein Zitat aus dem Gesetz, das auch bei allen anderen Baumaßnahmen gilt, wenn das vorgesehen ist, was
Sie angesprochen haben, wenn es also zu einer Duldungsanordnung kommt.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Sie beziehen
sich auf das Allgemeine Eisenbahngesetz. Es ist richtig,
dass das Anwendung findet, wenn Eisenbahnstrecken
gebaut werden, also Eisenbahnschienen verlegt werden.
Nun wissen wir aber alle, dass die Fehmarnbelt-Querung
nicht nur aus zwei Eisenbahnschienen, sondern auch aus
Straßen besteht, auf denen Kraftfahrzeuge fahren sollen,
und die Hinterlandanbindung ebenfalls eine Straße ist.
Insofern meine Nachfrage: Welche Rechtsgrundlage gibt
es denn für diese Vermessungs-, Prüfungsmaßnahmen
usw.?
Es geht eindeutig um eine Schienenverbindung, die
auch von Pkws genutzt wird. Ich glaube, ich habe Ihnen
in meiner Antwort schon gesagt, dass die Bundesregierung in diesen Prozess nicht eingebunden ist. Ich bitte
deshalb um Verständnis dafür, dass ich anrege, dass Sie
diese Frage an die Landesregierung in Schleswig-Holstein richten; denn sie hat diese Duldungsanordnung gemäß § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz ausgesprochen
und die Richtlinien in den Zeitungen, die Sie zitiert haben, veröffentlicht.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht wiederum die Kollegin
Astrid Klug zur Verfügung.
Die Frage 19 des Kollegen Fell wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Karl auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, vertreten durch das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, zu gewährleisten, dass den Betreibern von Blockheizkraftwerken nach dem 1. Januar 2009 eine erhöhte Einspeisevergütung für Strom aus mit nachhaltig erzeugtem
Palm- und Sojaöl betriebenen Bestandskraftwerken gewährt
wird?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Kollege Karl, wenn Sie erlauben, würde ich gerne beide
Fragen gemeinsam beantworten, weil sie das gleiche
Thema betreffen.
Dann rufe ich auch die Frage 21 des Kollegen Karl
auf:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung hinsichtlich
des Zeitpunkts des Erlassens einer nationalen Nachhaltigkeitsverordnung durch das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit ein, und wie beurteilt sie
diese im Hinblick auf den gesetzgeberischen Willen des Deutschen Bundestages, der die Gewährung einer erhöhten Einspeisevergütung für Strom aus mit nachhaltig erzeugtem
Palm- und Sojaöl betriebenen und vor dem 1. Januar 2009 in
Betrieb genommenen Biomassekraftwerken im Rahmen der
EEG-Novelle - Erneuerbare-Energien-Gesetz - vorsieht?
Die Neufassung des EEG ist am 31. Oktober 2008 im
Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und wird am
1. Januar 2009 in Kraft treten. Für Strom aus Palm- und
Sojaöl besteht dann - wie bislang - Anspruch auf die
Grundvergütung und gegebenenfalls den KWK-Bonus.
Der Deutsche Bundestag hat den Anspruch auf den zusätzlichen Bonus für nachwachsende Rohstoffe, den sogenannten Nawaro-Bonus, an das Inkrafttreten von
Nachhaltigkeitsregelungen gekoppelt. Bis dahin kann
für Strom aus Palmöl daher kein Nawaro-Bonus beansprucht werden.
Nachhaltigkeitsregelungen werden derzeit auf EUEbene intensiv diskutiert. Im Zuge dieser Diskussion
spielt auch die Ausweitung solcher bislang vornehmlich
für den Biokraftstoffbereich vorgesehenen Regelungen
auf andere Biomasseanwendungen eine Rolle. Ziel aller
Beteiligten ist eine Einigung noch im Jahr 2008. Insbesondere die Bundesregierung drängt im Rahmen der Verhandlungen auf ein schnelles Inkrafttreten der EU-Regelungen. Diese wird sie nicht zuletzt im Interesse der
Betreiber von Blockheizkraftwerken zügig in nationales
Recht umsetzen.
Die Bundesregierung bereitet deshalb bereits jetzt parallel zur europäischen Debatte die nationale Umsetzung
vor und wird nach Abschluss der Verhandlungen unverzüglich den Entwurf einer nationalen Nachhaltigkeitsverordnung vorlegen. Eine Kabinettbefassung wird für
Januar 2009 angestrebt. Sofern der Bundestag zustimmt,
kann die Nachhaltigkeitsverordnung dann unverzüglich
in Kraft treten. Sie soll mit Rückwirkung zum Kabinettstermin ausgestaltet werden.
Für den Fall, dass eine Nachhaltigkeitsregelung auf
europäischer Ebene wider Erwarten nicht zustande kommen sollte, würde die Bundesregierung eine nationale
Nachhaltigkeitsverordnung beschließen. Damit würde es
noch im Jahre 2009 eine verbindliche Regelung zu
Nachhaltigkeitskriterien geben.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Karl?
Zunächst vielen Dank für die Beantwortung. - Eine
Nachfrage schließt sich an: Wir haben November. Sie
gehen davon aus, dass eine europäische Verordnung in
den nächsten fünf bis sechs Wochen kommen wird. Dieses Thema treibt sehr viele Betreiber und Investoren von
Blockheizkraftwerken um, weil sie, wenn der NawaroBonus wegfiele, vor dem wirtschaftlichen Aus stünden.
Sie könnten das Jahr 2009 nicht überbrücken, um auf
eine Verordnung im Jahr 2010 zu warten.
Mit welcher Sicherheit gehen Sie davon aus, dass
diese europäische Verordnung kommt? Mit welcher Bestimmtheit können Sie uns sagen, dass eine Verordnung
der Bundesregierung kommt, und in welchem Zeitraum
kann sie umgesetzt werden?
Wir gehen fest davon aus, dass eine politische Einigung auf europäischer Ebene noch in diesem Jahr erreicht wird. Es gibt inzwischen einen breiten Konsens
über den Inhalt. Es spricht eigentlich nichts mehr dagegen, dass sie nicht in diesem Jahr beschlossen werden
kann. Ich habe eben angekündigt, dass wir dann sehr
zeitnah, noch im Januar, im Kabinett die Umsetzung in
nationales Recht beschließen werden, und, wenn der
Bundestag mitspielt, sehr zeitnah das Verfahren zur Umsetzung der europäischen Regelungen in nationales
Recht abschließen werden.
Sollte es auf europäischer Ebene zu keiner Einigung
kommen, werden wir eine nationale Nachhaltigkeitsverordnung beschließen. Die europäische Debatte und
die Nachhaltigkeitskriterien haben ihren Ursprung in der
Nachhaltigkeitsverordnung, die wir in Deutschland im
Zusammenhang mit dem Biokraftstoffquotengesetz Ende
letzten Jahres beschlossen haben. Wenn bis zum Ende des
Jahres auf europäischer Ebene keine Einigung erreicht
werden kann, wenn dort keine Mehrheit gefunden wird,
wollen wir eine nationale Regelung in Kraft setzen.
Wir haben die Absicht, das sehr zeitnah zu tun. Dies
ist im Interesse der Blockheizkraftwerkbetreiber, die
sich bemühen, für das bisher nicht nachhaltig erzeugte
Palm- oder Sojaöl eine Alternative zu organisieren und
dies entsprechend zu belegen. Sie brauchen aber Kriterien und Systeme, um es belegen zu können. Wir wollen
in den Kabinettsbeschluss im Januar auch einbringen,
dass diejenigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt,
wenn die Verordnung in Kraft getreten ist, den Beweis
erbringen, dass ihr Palm- oder Sojaöl laut den definierten Kriterien nachhaltig produziert wurde, rückwirkend
ab dem Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses einen Anspruch auf den Nawaro-Bonus haben.
Sie haben noch eine weitere Nachfrage. - Bitte sehr.
Ist damit gewährleistet, dass steuerliche Vergünstigungen, Bezuschussungen in keinem Fall wegfallen,
wenn die Kriterien im Nachhinein erfüllt werden?
Der Nawaro-Bonus ist ja keine steuerliche Begünstigung,
({0})
sondern wird von den Netzbetreibern bzw. den Energieversorgern im Rahmen der Einspeisevergütung nach
dem EEG gezahlt. Wenn wir in der Nachhaltigkeitsverordnung einen solchen Mechanismus verankern, dass
derjenige, der zu einem späteren Zeitpunkt, also nach Inkrafttreten der Verordnung, nachweisen kann, dass das
Palmöl, das er eingesetzt hat, ab dem Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses nachhaltig produziert wurde, kann
der Nawaro-Bonus auch im Nachhinein gezahlt werden.
Dann sind diese Fragen beantwortet.
Die Frage 22 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
vom Bundesministerium der Finanzen beantwortet, und
zwar nach Frage 34.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht Staatssekretär Dr. Meyer-Krahmer zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 23 der Kollegin
Bärbel Höhn:
Wann hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung - und insbesondere die Hausspitze - erstmalig Kenntnis darüber, dass kontaminierte Laugen mit künstlichen Radionukliden - sei es Cäsium 137, Tritium oder Kobalt - im
Forschungslager Asse existieren, unabhängig davon, ob Freigrenzen überschritten wurden oder nicht?
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich darf hier für meinen Parlamentarischen Staatssekretär antworten. Die Antwort auf Ihre Frage lautet:
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung war
grundsätzlich über die Durchführung von Radioaktivitätsmessungen informiert. Solche Kontrollmessungen
gehören in Anlagen, in denen mit Radioaktivität umgegangen wird oder radioaktive Stoffe lagern, zum Standard. Messprotokolle oder Ergebnisse einzelner Analysen wurden jedoch nicht dem BMBF, sondern der
zuständigen Genehmigungsbehörde zugestellt. Daher ist
dem BMBF zum Beispiel die Überschreitung der Freigrenze für Cäsium 137 bei kontaminierter Lauge erst
zeitgleich mit der Öffentlichkeit Mitte Juni 2008 bekannt
geworden.
Eine Nachfrage, Frau Höhn?
Ja, ich habe extremen Nachfragebedarf. - Ich habe
nicht gefragt, wann Sie erfahren haben, dass die Grenzwerte überschritten waren. Das hatten Sie ja bereits ge19814
sagt; zumindest bezüglich der Hausspitze sei das im Juni
dieses Jahres gewesen. Ich habe gefragt: Wann haben Sie
Kenntnis darüber bekommen, dass es überhaupt eine
Kontamination, eine Betroffenheit gab? Darauf antworten Sie, dass Sie grundsätzlich etwas bekommen haben.
Ich habe ganz konkret gefragt: Wann haben Sie oder jemand anders aus dem Bundesforschungsministerium,
wann hat die Hausspitze das erste Mal davon erfahren,
dass in der Lauge Radionuklide nachgewiesen worden
sind? Ich habe mich noch nicht einmal auf einen Stoff
beschränkt. Ich hätte gerne eine präzise Antwort auf die
Frage: Wann?
Im Juni 2008. Die Begründung können Sie im NMUBericht von Anfang September dieses Jahres, in dem der
Umgang mit dieser Information mit Nachdruck moniert
wird, lesen. Der entscheidende Satz auf Seite 5 lautet:
Obwohl das NMU das LBEG
- das ist die Genehmigungsbehörde bereits seit 1993 mehrfach angewiesen hatte, dass
Kontaminationen von Salzlaugen zu melden seien,
bestand für das NMU erstmals im Juni 2006 die
Möglichkeit der Kenntnisnahme von kontaminierten Laugen. Dass dabei Freigrenzen überschritten
wurden, erfuhr das NMU erstmals im Juni 2008
vom HMGU.
So war die Situation auch bei uns im BMBF. Auch wir
hatten vor Juni 2008 keine Informationen über diese Ergebnisse.
Frau Höhn, Sie haben eine weitere Frage. Bitte sehr.
Ich habe eine zweite Nachfrage. Mir liegt ein Brief an
Ihr Ministerium aus dem Jahre 2001 vor. Darin führte
die niedersächsische Behörde aus, dass die Laugen auf
Cäsium untersucht werden. In diesem Schreiben findet
man also einen Hinweis darauf, dass man sie auf Radionuklide untersucht. Haben Sie auch in der Folge dieses
Briefes keinerlei Informationen bekommen und auch
nicht nachgefragt, was bei diesen Untersuchungen herausgekommen ist? So muss ich Ihre Antwort nämlich
verstehen. Ist das richtig?
Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das
Helmholtz-Zentrum in die Lage versetzt wird, die Asse
finanziell, fachlich, aber auch von den Geräten her zu
betreiben. Dazu gehören auch die Laugenuntersuchungen. Wie Sie wissen, ist seit Ende der 80er-Jahre,
seit 1988, Laugeneintritt festzustellen. Seitdem werden
grundsätzlich alle Laugen gemessen.
Unsere Aufgabe besteht zunächst einmal darin, zu gewährleisten, dass die Voraussetzungen für diese Messungen gegeben sind. Die Messergebnisse werden, wie gesagt, an die Genehmigungsbehörde weitergeleitet. Sie
hat die Auswertung und die Kontrolle der Messergebnisse vorzunehmen. Für uns war am wichtigsten, sicherzustellen, dass Proben genommen und gemessen werden
und dass die Messergebnisse an die Genehmigungsbehörde weitergeleitet werden. Das ist unsere vornehmliche Aufgabe.
Frau Kollegin Menzner.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass Sie sehr wohl schon seit längerer Zeit vom
Laugeneintritt in die Asse wussten und dass Sie veranlasst haben, Messungen durchzuführen. Habe ich Sie
richtig verstanden, dass Sie sich aber nie für die Ergebnisse dieser Messungen interessiert haben und dass Sie
erst im Jahre 2008 durch die Medien darauf aufmerksam
gemacht geworden sind, dass die Laugen kontaminiert
sind?
Sie müssen die Arbeitsteilung der verschiedenen Akteure beachten. Es gibt eine Genehmigungsbehörde
- das Landesbergamt -, eine Aufsichtsbehörde - das
Niedersächsische Umweltministerium - und das BMBF,
das für die Finanzierung der Asse zuständig ist. Unsere
Aufgabe besteht darin - ich habe dies schon in meiner
Antwort auf die Frage von Frau Höhn erläutert -, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Asse innerhalb
des Rechtsrahmens funktioniert.
Was die Kompetenzverteilung betrifft, so steht es uns
nicht zu, die Ergebnisse der Messungen zu bewerten und
daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist Sache der
Genehmigungsbehörde. Allerdings würden auch wir sagen, dass wir hätten informiert werden müssen. Das ist
völlig klar. Im Juni 2008 haben wir deshalb das Informationsgeschehen sofort umgestellt.
Als letzter Fragestellerin gebe ich der Kollegin
Flachsbarth das Wort.
Herr Staatssekretär, es ist ohne Zweifel richtig, dass
es im Umgang mit der Asse Defizite gegeben hat. Das ist
in den vielen Diskussionen, die wir geführt haben, sicherlich deutlich geworden. Welche Maßnahmen hat Ihr
Haus, nachdem es über die Kontamination informiert
war, ergriffen, um eine mögliche Gefährdung von Umwelt, Mensch und Mitarbeitern auszuschließen und um
sicherzustellen, dass die Defizite, die es zweifellos gibt,
in Zukunft ausgeschlossen werden können?
Wir haben verschiedene Maßnahmen ergriffen. Zum
Ersten haben wir im Rahmen eines Gutachtens unterStaatssekretär Dr. Frieder Meyer-Krahmer
sucht, woher diese Kontamination kommt. Danach
stammt die Kontamination aus der Kammer selbst, in der
dieses radioaktive Material lagert.
Zum Zweiten haben wir sofort nach der Ministerentscheidung von Herrn Gabriel, Frau Schavan und Herrn
Sander von Anfang September, nach der ein Betreiberwechsel vorgesehen ist, das BfS einbezogen. Das BfS
war ab diesem Zeitpunkt an allen Fragen hinsichtlich des
Umgangs mit den Laugen und dem radioaktiven Material unmittelbar beteiligt. Es wird keine wichtige Entscheidung mehr gefällt, ohne dass das BfS einbezogen
ist. Bereits jetzt befinden sich drei Mitarbeiter des BfS
ständig und regelmäßig auf der Asse selbst, um sich das
Geschehen anzuschauen.
Zum Dritten haben wir inzwischen das Strahlenschutzprogramm erweitert. Wir sind gerade dabei, die
Strahlenschutzanforderungen bis Ende dieses Jahres auf
das im Atomrecht geltende Niveau zu erhöhen; denn es
geht auch darum, dass wir, wenn es zu dieser Übertragung der Asse kommt, hinsichtlich des Erreichens des
Strahlenschutzniveaus möglichst weit sind.
Die Fragen 24 bis 44 werden schriftlich beantwortet.
Die Frage 35 wurde zurückgezogen. Damit sind wir am
Ende der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT
zu den Antworten der Bundesregierung auf die
dringlichen Fragen auf Drucksache 16/10834
Als Erste rufe ich die Kollegin Renate Künast für
Bündnis 90/Die Grünen auf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Botschaft dieser Tage, die Botschaft aus Gorleben und von
den vielen Tausenden Menschen, die dort am Wochenende gegen ein Endlager Gorleben demonstriert haben,
ist ja wohl klar. Die Botschaft lautet: Wenn ihr den Konsens aufknüpft, knüpfen wir ihn auch wieder auf. So einfach ist das. - Die Botschaft lautet: Wie man in den Wald
hineinruft, so schallt es wieder heraus. - Die Botschaft
lautet auch: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
({0})
Ich glaube, dass wir nach all diesen Demonstrationen
am Wochenende zum Teil eine falsche Debatte geführt
haben. Es ist darüber geredet worden, ob es nach dem
Atomkonsens legitim ist, dort Straßen zu blockieren,
sich auf Gleise zu setzen und zu demonstrieren. Das ist
eine vollkommen falsche Fragestellung. Die Fragestellung muss eigentlich lauten, ob es politisch legitim ist,
den Konsens jetzt wieder aufzuknüpfen, nachdem man
sich nach langen politischen Auseinandersetzungen in
diesem Land und nach langem Streit auf einen Konsens
geeinigt hatte und nachdem man gemeinsam ein Papier
unterschrieben hatte, nachdem die Kritiker, die sich Sorgen um die Umwelt und die Gesundheit der Menschen
machen, zugestimmt und gesagt haben: Okay, wir nehmen längere Zeiten hin, dafür unterschreibt ihr aber auch
den Ausstieg. - Diejenigen, die diesen Konsens nach der
ganzen Debatte jetzt wieder aufknüpfen, müssen sich die
Frage gefallen lassen, ob ihr Handeln eigentlich legitim
ist.
({1})
- Die FDP fragt gleich, was das mit dem Müll zu tun hat.
Ich weiß, dass die FDP als verlängerter politischer Arm
der Lobbyisten draußen immer solche Fragen stellt. Das
wundert mich jetzt ehrlich gesagt gar nicht.
({2})
Sie von der FDP und der CDU/CSU haben die Unverfrorenheit, den Betreibern jetzt noch unter die Arme zu
greifen
({3})
und unter dem großen Deckmäntelchen des Klimaschutzes so zu tun, als seien Atomkraftwerke verkannte Klimaschützer. Klein Fritzchen und Klein Erna können das
ausrechnen: Jedes moderne Gaskraftwerk, das gerade
gebaut wurde, emittiert weniger CO2, als bei der Herstellung von Atomstrom verursacht wird. So einfach ist das.
({4})
Das heißt, man muss sich nicht einmal auf den hohen
Ebenen der technologischen Entwicklung befinden. Sie
funktionalisieren Ihr Deckmäntelchen. In Wahrheit geht
es nicht um CO2 und ums Klima, sondern um den Profit
und darum, dass die Betreiber durch längere Laufzeiten
noch mehr Geld in ihr Säckel und in ihre Hosentaschen
scheffeln. Um nichts anderes geht es.
({5})
Da Sie immer wieder fragen, Frau Kopp, gebe ich Ihnen unter uns Frauen einen kleinen Verbraucherinnenhinweis: Wer Atomkraftwerke betreibt, hat auch zwingend Atommüll. Wer sie noch länger laufen lässt, hat
letzten Endes auch mehr Atommüll und somit mehr
Castortransporte, Frau Kopp.
({6})
Wir haben eines festgestellt: Ihre Unverfrorenheit,
aber auch Asse II und die damit verbundene Unsicherheit haben die Menschen auf die Straße getrieben, und
zwar alle Generationen. Sie dürfen sich darüber auch
nicht wundern, wenn Sie den Konsens aufknüpfen. Die
Konzernvertreter haben zwar den Atomkonsens unterschrieben, halten sich aber nicht daran und investieren
jetzt Millionen Euro in Anzeigen, in denen sie als verkannte Klimaschützer dargestellt werden, und sie versuchen seit Monaten, gegen den offensichtlichen Wortlaut
des Gesetzes die Laufzeiten von jüngeren AKWs auf die
alten zu übertragen. Wenn dies alles passiert und die
Lobbyisten in Nadelstreifen immer wieder auf das Kanzleramt und die Ministerien einwirken, dann sagt das
Volk in Ermangelung einer Einlasserlaubnis: Die Gleise
und die Straßen sind unser. Das ist doch logisch.
({7})
Die Debatte um die Castortransporte wird gerade
schärfer, weil Sie mit der Laufzeitverlängerung mehr
atomaren Müll bewirken. Das heißt, wenn Sie den Konsens aufknüpfen, auf den sich einige eingelassen haben,
dann wird die Sorge größer. Das gilt für Gorleben stellvertretend für alle Regionen. Alle Menschen dort wissen, dass es nie ein ordentliches Auswahlverfahren gegeben hat. An dieser Stelle lügt die CDU/CSU einfach.
({8})
Es hat nie eines gegeben. Man hat sich gedacht: Wunderbar, hier ist der Eiserne Vorhang. Wenn mal ein Unfall
passiert, dann machen wir an der anderen Stelle zu. Das
war doch die Überlegung. Es ging darum, in einem Zonenrandgebiet eine ganz tolle Zonenrandgebietsförderung zu leisten. Es ging um nichts anderes als um Investitionen in Niedersachsen.
Die Menschen gehen auf die Straße. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob es - wenn man Worte wie
„christlich“ oder „sozial“ im Namen trägt - richtig ist, die
Interessen und Sorgen der Menschen einfach zu negieren.
Die Menschen machen sich Sorgen wegen Asse II, weil
sie wissen, dass sie den Akteuren - zum Beispiel Klaus
Kühn, der Betriebsleiter bei Asse II war - nicht trauen
können. Klaus Kühn ist auch zu Gorleben als Gutachter
tätig. Das können Sie doch in einer Demokratie niemandem vermitteln.
({9})
Wir vertreten immer noch die Forderung, endlich eine
ergebnisoffene Suche durchzuführen. Salz, Ton und Granit müssen untersucht werden. Die Arbeitsteilung, dass
in Bayern die meisten Atomkraftwerke stehen und im
Norden der Müll eingelagert wird, ist nicht zu akzeptieren.
({10})
Wir sind auch gerne bereit, über eine Neubewertung
der Atomenergie zu reden. Die Terrorgefahr ist seit 2001
gestiegen. Die Leukämieraten bei Kindern steigen. Die
Kosten für den Atommüll steigen.
({11})
- Natürlich ist das wahr. Rund um die Atomkraftwerke
steigen die Leukämieraten.
({12})
- Sie können ja gleich reden.
({13})
Frau Kollegin!
Auch wenn keiner der Wissenschaftler sagt, er könne
schon belegen, dass es zwingend durch die Atomkraft
verursacht ist, fällt allen auf, dass im 5-Kilometer-Umkreis von Atomkraftwerken fünfjährige Kinder ein bedeutend höheres Risiko tragen.
Frau Kollegin, Sie müssten Ihren letzten Satz schon
angefangen haben.
Die letzte Chuzpe in dieser Woche, die wir alle zusammen zurückweisen sollten, ist der neueste PR-Trick
von RWE. Jetzt bieten sie Atomstrom als Klimaschutz
an. Atomstrom aus der Steckdose ist für das Klima ungefähr so gut wie Mentholzigaretten gegen Halsweh.
Frau Kollegin!
Lassen Sie uns endlich diese Debatte ernster, sauberer
und einer Demokratie würdig führen.
({0})
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Christian Hirte, der heute seine erste Rede halten wird,
und zwar nicht, weil er ignoriert worden wäre, sondern
weil er als Nachrücker dem Bundestag noch nicht sehr
lange angehört.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
1977 war ich ein Jahr alt. Damals hätte niemand gedacht,
dass ich heute als Thüringer meine erste Rede hier halte.
Damals hätte aber auch niemand gedacht, dass wir heute
noch immer keine Lösung für die Endlagerung unserer
Kernbrennstäbe gefunden haben. 1977 hatten sich die
damals politisch Verantwortlichen in Niedersachsen und
Bonn in einer quasi großen Koalition darauf verständigt,
im niedersächsischen Gorleben ein Endlager für Kernbrennstäbe einzurichten. 30 Jahre wird also nun schon
diskutiert, ob und wie ein mögliches Endlager eingerichtet werden soll. Die Diskussion wird teilweise noch immer so geführt, als könnten wir noch „Nein danke“ zu einem Endlager sagen. Wir können natürlich noch lange
diskutieren, ob wir sofort, in 10, 20 oder in 40 Jahren aus
der Kernenergie aussteigen. Aber wir müssen uns heute
unserer Verantwortung stellen. Wir können die Augen
nicht davor verschließen, dass wir schon Atommüll haben.
({0})
Egal wie man zur Nutzung der Kernenergie steht, wir
müssen mit den heute vorhandenen Abfällen umgehen.
Diese sind auch mit Ideologie nicht wegzudiskutieren.
({1})
Wir haben also gar keine Alternative zur Endlagerung.
Im Übrigen haben wir zumindest bislang noch keine Alternative zur Kernenergie. Zur Verantwortung gegenüber
zukünftigen Generationen gehört auch, dass wir für ein
bezahlbares Leben Sorge tragen müssen. Wenn wir die
Tendenz steigender Energiepreise schon nicht aufhalten
können, sollten wir sie wenigstens nicht beschleunigen.
Ein verfrühter Ausstieg aus der Kernenergie verursachte
aber genau das.
({2})
Deswegen ist die Position der Unionsfraktion hier auch
so deutlich. Wir und die große Mehrheit in diesem Land
wollen bezahlbare Energie. Ich hoffe, dass das auch für
die Mehrheit in diesem Haus gilt.
Sichere Energieversorgung bei einem breiten Energiemix, möglichst geringe Importabhängigkeit, bezahlbare Preise für Bürger und Wirtschaft sowie möglichst
niedrige CO2-Emissionen, das ist mehr denn je ein zentrales politisches Anliegen, dessen Durchsetzung durch
richtige politische Weichenstellungen gewährleistet werden muss.
({3})
Deutschland hat das Potenzial, diese Herausforderung
besser als andere zu meistern. Wir haben die Technologie und die Qualifikationsvorsprünge und nicht zuletzt
die Innovations- und die Investitionskraft, Energie effizienter zu nutzen und erneuerbaren Energien zum
Durchbruch zu verhelfen.
({4})
Diese Vorteile gilt es zu nutzen und weiter auszubauen.
Aber noch geht es nicht vernünftig ohne Kernenergie.
Niemand wird bestreiten wollen, dass Deutschlands
Kernkraftwerke bei weitem die sichersten auf der Welt
sind.
({5})
Wir nutzen die Kernenergie seit Jahrzehnten und haben daher die Verpflichtung, die Frage der Endlagerung
sicher und nachhaltig zu lösen. Dazu gehört, die 2001
unterbrochene Erkundung des Salzstocks Gorleben so
schnell wie möglich wieder aufzunehmen.
({6})
Uns hilft es heute nur wenig, die Kämpfe von damals zu
führen. Wir brauchen Lösungen. Zur Wahrheit gehört,
dass im Januar 2001 die rot-grüne Bundesregierung beschlossen und vereinbart hat, dass die deutschen Kernkraftwerke zunächst weiterlaufen, deren Abfälle in
Frankreich aufbereitet, dann nach Deutschland zurückgeholt und schließlich hier endgelagert werden. Die Grünen haben in politischer Verantwortung also selbst die
Castortransporte mitgetragen, die sie heute politisch und
praktisch bekämpfen. Das ist politisch unverantwortlich
und wenig glaubwürdig. Die Grünen müssen sich schon
entscheiden, ob sie Teil der Lösung oder Teil des Problems sein wollen.
Der Bundesumweltminister hat kürzlich in seiner Eröffnungsrede zum Endlagersymposium darauf hingewiesen:
Ein betriebsbereites Endlager für diese Abfälle
sollte spätestens bis zum Jahr 2035 zur Verfügung
stehen, da ab diesem Zeitpunkt sukzessive die Aufbewahrungsgenehmigungen für die Transportbehälterlager sowie die Genehmigungen für die Standortzwischenlager auslaufen.
Ich kann nur hoffen, dass wir nicht wieder 30 Jahre warten müssen, bis wir uns einer längst überfälligen Entscheidung stellen. Dann stünde vielleicht meine Tochter,
die heute ein Jahr alt ist, hier und würde uns allen zu
Recht vorwerfen: Warum habt ihr damals nicht gehandelt und die Lösung des Problems auf nachfolgende Generationen übertragen?
({7})
Jede weitere Verzögerung aus ideologischen oder
wahlkampftaktischen Gründen führt in der Sache nicht
weiter. Der Umweltminister bleibt aufgefordert - ich zitiere den Koalitionsvertrag -, „die Lösung dieser Frage
zügig und ergebnisorientiert“ anzugehen und noch „in
dieser Legislaturperiode“ zu einer Lösung zu kommen.
Lassen Sie uns aufhören, über das Ob eines Endlagers zu
diskutieren. Lassen Sie uns ein Wie finden. Wir brauchen ein Endlager. Die Menschen verdienen im Übrigen
bezahlbare Energiepreise.
Herzlichen Dank.
({8})
Als Nächstes spricht die Kollegin Angelika
Brunkhorst für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Demonstrationsrecht ist ein Bürgerrecht, und viele
haben davon in Gorleben am letzten Wochenende Gebrauch gemacht und sich auch korrekt verhalten. Aber
leider haben wir in den vergangenen Tagen auch einiges
anderes mit ansehen müssen: Leuchtmunition, die, auf
Pferde geschossen, Brandwunden verursacht hat, Steine
gegen Polizisten, die zu Verletzungen geführt haben, Anschläge auf Bahngleise, Leuchtraketen gegen Hubschrauber - das ist ganz gefährlich; denn die Dinger fallen auch mal herunter -, Blockaden. Wenn wir heute
über solche Ereignisse sprechen, dann möchte ich an einen Satz von Jürgen Schwabe, den Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Hamburg, erinnern. Er hat auf Folgendes hingewiesen: Wenn
der Staat dafür sorgen muss, dass friedlich protestierende
Demonstranten von Bahngleisen entfernt werden, dann
kommt es - jedenfalls wenn man in einem Rechtsstaat
lebt - nicht so sehr darauf an, ob diese dabei friedlich
sind, sondern es kommt darauf an, ob es eine Rechtsverletzung ist. - Und das ist es.
({0})
Warum ich diesen Hinweis an dieser Stelle für so
wichtig empfinde, wird dann schnell klar, wenn ich das
Verhalten der Kollegen aus der grünen Fraktion am vergangenen Wochenende beleuchte. Wenn man auf die
Homepage einiger grüner Fraktionsmitglieder schaut,
dann sieht man, welche Eindrücke sie geschildert haben.
Frau Pothmer beispielsweise zeigt sich begeistert.
({1})
Sie hat in ihrer Heimatlyrik geschildert, es seien sehr
viele junge Gesichter zu sehen gewesen, sie sprach vom
Teil der Bewegung - achten Sie einmal auf die Wortwahl! -, es ging um den Kampf und die Heimat. Sie
sprach von vielen grünen Fahnen aus vielen Bundesländern, die bei der Kundgebung gewesen seien: Die grüne
Jugend in der Blockade …,
({2})
mein Platz war bei der bäuerlichen Notgemeinschaft.
({3})
Solche Formulierungen beklemmen mich. Sie lullen doch
wirklich ein, Frau Künast.
({4})
Frau Bärbel Höhn steht ihrer Kollegin in nichts nach.
Frau Höhn sah ihre Aufgabe als Bundestagsabgeordnete
darin - wiederum wörtlich -, bei den Sitzblockaden anwesend zu sein und darauf zu achten, dass es von allen
Seiten friedlich zuging
({5})
und dass die Polizei beim Wegräumen die Rechte der
Demonstranten achtete. Das schlägt nun wirklich dem
Fass den Boden aus. Wie steht es denn wirklich um die
wunderbare Friedlichkeit, die die Kollegen von den Grünen in solch eine gefährliche Schwärmerei versetzt?
Frau Höhn, ich fürchte, die Rechte der Demonstranten
sind nicht so sehr das Problem, das uns hier bewegen
sollte, sondern der Rechtsbruch, zu dem Sie junge Leute
ermuntern, indem Sie da sind und sich solidarisch erklären.
({6})
Das ist die Botschaft, die Sie vermitteln. Sie ermuntern
zum Rechtsbruch. Das ist nicht zu fassen. Was ist eigentlich mit den Rechten von Tausenden Polizisten? Was ist
denn mit den Rechten von Hunderttausenden Bahnreisenden, die keine Verbindung haben?
({7})
- Frau Künast, lassen Sie das! Damit kommen Sie nicht
weit.
({8})
Es hätte Ihnen, meine Damen und Herren von den
Grünen, gut angestanden, zur Besonnenheit aufzurufen,
anstatt gedankenlos und opportunistisch Solidaritätsbekundungen abzugeben.
({9})
Es kommt wirklich nicht darauf an - das muss man hier
ganz deutlich sagen -, ob Sitzblockaden friedlich sind;
sie sind rechtswidrig, und darauf kommt es an dieser
Stelle an.
({10})
Ich möchte die Grünen - Sie hatten nicht immer so
große Sympathien für Rechtsbrüche - einfach daran erinnern - ich helfe Ihrem Gedächtnis gern auf die
Sprünge -, dass es Ihr grüner Umweltminister war, der
die Grundlage für die Castortransporte gelegt hat.
({11})
Es war Teil des Atomkompromisses, dass die Brennstäbe aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague
und Sellafield zurückgenommen werden müssen. Wenn
Sie mir die Bemerkung gestatten: Das ist eine Regelung,
die bereits im deutsch-französischen Vertrag geregelt ist.
Ich möchte noch einen Rückblick in das Jahr 2001 machen. Ich zitiere aus der Welt vom 6. Februar 2001. Dort
sagte Herr Jürgen Trittin: Demonstrationen gegen
Castor-Transporte in Deutschland halte er für unklug;
schließlich seien die Transporte „notwendig und unabweisbar“.
({12})
Im gleichen Artikel erfahre ich auch, dass die heutige
Bundesvorsitzende, Frau Claudia Roth, „Demonstrationsaufrufen ihrer eigenen Partei gegen den bevorstehenden Rücktransport von deutschem Atommüll aus
Frankreich erneut eine Absage“ erteilte. Die Grünen
stünden hinter dem Atomkonsens, und Atommülltransporte seien im Sinne des Atomkonsenses notwendig.
Aber sie hat sich jetzt einer anderen Idee hingegeben
- eine erstaunliche Wandlung -: Medienwirksam war sie
dabei. Super, toll! Das ist schon ein Ding. Sie rief sogar
zu zivilem Ungehorsam auf, was auch immer darunter
zu verstehen ist.
({13})
Kommen wir auf eine weitere klaffende Lücke in Ihrem Gedächtnis: Die Grünen haben sieben Jahre lang
Regierungsverantwortung getragen; aber Sie haben während der ganzen Zeit keine konstruktiven Schritte getan,
um die Endlagerfrage zu lösen, überhaupt nicht.
({14})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ja, ich komme zum Schluss. - Sie haben die ganze
Endlagerfrage schlichtweg verdrängt und beklagen nun,
dass die Endlagerfrage ungelöst ist. Wo kommen wir
denn da hin?
An dieser Stelle, ganz zum Schluss, möchte ich Sie
fragen: Werden Sie denn - wenn es wirklich dazu
kommt, was Sie immer wieder fordern und was leider
auch Herr Gabriel jetzt vorhat, nämlich, dass neue
Standorte zu finden seien -, wenn es dort zu Widerständen kommt, diese Widerstände ebenso vehement und enthusiastisch unterstützen? Ich weiß nicht, wohin das führen soll.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich jedenfalls sage für meine Partei: 2010 ist das Moratorium zu Ende. Dann wird die Lagerstätte in Gorleben
zu Ende erkundet. Wenn die Ergebnisse vorliegen, wird
man wissen, was man weiter zu tun hat.
({0})
Der Kollege Christoph Pries ist der nächste Redner
für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Albert Einstein hat einmal gesagt:
Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die
menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin
ich mir nicht ganz sicher.
Ich bin überzeugt, wenn Albert Einstein heute auf der
Besuchertribüne säße, er hätte seine Freude.
Vor acht Jahren hat Rot-Grün im Konsens mit der
Energiewirtschaft den Atomausstieg vereinbart. Wir haben damit den längsten und heftigsten gesellschaftlichen
Konflikt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beendet - dachten wir zumindest. Damals begann
eine geradezu harmonische Zeit: weniger Castortransporte, weniger Proteste und eine neue Energiepolitik.
Sogar bei der Endlagerproblematik hatten wir in dieser
Legislaturperiode die große Chance, eine Lösung auf
breiter gesellschaftlicher Basis zu finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie
haben diese Chance mit Ihrer Blockadehaltung vertan.
({0}) - Marie-Luise Dött [CDU/
CSU]: Wie bitte? Das ist Verkennung der Re-
alität!)
Bereits im Herbst 2006 hat Bundesumweltminister
Sigmar Gabriel ein Konzept für die Endlagersuche vorgelegt. Dieses Konzept sieht eine ergebnisoffene und
transparente Endlagersuche nach international festgelegten Kriterien vor. Gorleben ist eine Alternative, nicht
mehr und nicht weniger. Das Konzept stellt damit einen
fairen Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern
des Standortes Gorleben dar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir
haben unsere Hausaufgaben gemacht; Sie haben sich
dem Kompromiss verweigert.
({1})
Sie haben es vorgezogen, Endlagerpolitik nach dem
Motto Ihres Fraktionskollegen Axel Fischer zu betreiben: Klappe zu, Affe tot.
({2})
Sehr geehrte Damen und Herren, im Jahr 2000 konnte
man noch hoffen, das pessimistische Menschenbild von
Albert Einstein wäre zumindest für die deutsche Atomund Endlagerdebatte widerlegbar. Diese schöne Aussicht
ist seit dieser Woche endgültig zerstört. Die heutige Debatte beweist es. Acht Jahre nach dem Atomkonsens stehen wir wieder am Anfang: Der Atomausstieg ist wieder
Wahlkampfthema. In der Endlagerfrage herrscht weiter
Blockade; die Gesellschaft ist wieder in zwei Lager gespalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dessen
stellt sich die Frage: Wer ist schuld? Schuld sind auf jeden Fall nicht diejenigen, die im Wendland friedlich demonstriert haben; denn diese Menschen fühlen sich betrogen, und das zu Recht.
({3})
Warum? Ich möchte einmal kurz aus der Einleitung
des Atomkonsenses zwischen der Bundesregierung und
der Energiewirtschaft vom 14. Juni 2000 zitieren. Dort
heißt es:
Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass
der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt
wird.
Ich betone: dauerhaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute muss man
ganz klar feststellen: Wir haben unsere Zusagen gehalten. Die Energiewirtschaft hat das gegebene Wort gebrochen, tatkräftig unterstützt von Union und FDP. Deshalb
hat die SPD-Bundestagsfraktion volles Verständnis für
die friedlichen Demonstranten. Diese Menschen haben
den Zusagen der Energiewirtschaft vertraut. Sie haben
geglaubt, in Deutschland gelte der Grundsatz „Verträge
müssen eingehalten werden“. Wir stehen zu diesem
Grundsatz. Deshalb gilt für die SPD-Bundestagsfraktion: Am Atomausstieg wird nicht gerüttelt.
({4})
Das Standardargument der Atomlobby lautet: Die
Menschen haben nur deshalb Angst vor Atomenergie,
weil ihnen das notwendige physikalische Fachwissen
fehlt.
({5})
Ich sage: Eine sehr gewagte These, hat doch die Atomlobby selbst ein grundlegendes physikalisches Gesetz
völlig vergessen. Das dritte Axiom von Isaac Newton
lautet: Kraft erzeugt Gegenkraft.
Sehr geehrte Damen und Herren von Union und FDP,
glauben Sie wirklich, mit millionenschweren PR-Kampagnen der Energiewirtschaft und ihrer kompromisslosen Haltung in der Endlagerfrage können Sie den Menschen Sand in die Augen streuen? Glauben Sie wirklich,
das Thema Atomenergie wird im nächsten Bundestagswahlkampf ein Gewinnerthema? Das hat doch schon
2002, 2005 und auch bei der diesjährigen Landtagswahl
in Bayern nicht funktioniert. Statt sich im kommenden
Jahr eine blutige Nase zu holen, sollten Sie lieber mit
uns das Endlagerkonzept von Sigmar Gabriel umsetzen.
Sie befänden sich damit in guter Gesellschaft.
({6})
In allen anderen Ländern werden die Endlager in einem Vergleich der alternativen Standorte bestimmt. Alle
Länder haben aus den Fehlern Deutschlands ihre Lehren
gezogen. Nur Union, FDP und Energiewirtschaft wollen
um jeden Preis an Gorleben festhalten, auch um den
Preis eines späteren Scheiterns vor Gericht.
Bei der Wahl von Gorleben spielten viele Kriterien
eine Rolle. Größtmögliche Sicherheit, Transparenz des
Verfahrens und Öffentlichkeitsbeteiligung gehörten
nicht dazu. Fest steht, dass wir spätestens 2030 ein funktionsfähiges Endlager für unseren hochradioaktiven
Atommüll benötigen. Für die SPD-Bundestagsfraktion
ist dies nur über ein ergebnisoffenes, transparentes und
zielgerichtetes Auswahlverfahren sicher zu erreichen.
Nur ein solches Auswahlverfahren schafft Rechtssicherheit und die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung. Es ist
mit Blick auf die nächsten Generationen unverantwortlich, nur auf Gorleben zu setzen. Ebenso unverantwortlich ist es, jeden Endlagerstandort prinzipiell als ungeeignet abzulehnen. Bundesumweltminister Gabriel hat
einen Kompromissvorschlag gemacht. Bewegen müssen sich jetzt andere.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann von uns nicht gerade behaupten, dass
wir Altkanzler Schröder viele Tränen nachweinen; aber
mit einer Aussage lag er richtig - ich zitiere -:
Atomtransporte quer durch die Republik, die nur
durch massiven Polizeischutz zu sichern sind, passen nicht zu einer auf Konsens und Zukunftsfähigkeit ausgerichteten Demokratie.
Der Elan der damaligen Bundesregierung verließ sie
dann allerdings sehr schnell wieder. Die Realität bei
Castortransporten sind 17 000 Einsatzkräfte, Aushebelung der Grundrechte, Verbotskataloge, Einschränkung
der Bewegungsfreiheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Ich könnte das fortsetzen.
Die B.Z. titelte in den vergangenen Tagen: „AtomChaoten kosten uns 30 Millionen Euro“. Kollegin
Brunkhorst hat eben Ähnliches angeführt. All dies suggeriert verunglimpfend: alles schwarzer Block, alles
Chaoten, die dort demonstrieren. Nein, mitnichten! Die,
die da demonstrieren, sind Schülerinnen und Schüler,
Landwirte, Gewerbetreibende, kommunale Abgeordnete der angrenzenden Kommunen und aller Parteien, es
sind Lehrerinnen und Lehrer, fast die komplette Ärzteund auch Pastorenschaft, also ein ganz breites Bündnis
aller Bevölkerungsgruppen, hinweg über alle Weltanschauungen.
Die Atomchaoten sind andere. Die Atomchaoten sind
die, die ein Endlager in einem absaufenden Bergwerk
angelegt haben, die Atomenergie sponsern - und das
ohne ausreichende Versicherung.
({0})
Es sind die, die schon jetzt 40 Milliarden Steuergelder
verschwendet haben: in Schwarzbauten und Sackgassen.
Wo nicht gesprochen wird - das ist an Castortagen im
Wendland der Fall -, suchen sich die Betroffenen eine
andere Sprache, eine Sprache des zivilen Ungehorsams,
eine Sprache, die sich mit „Widersetzen“ und „Anliegen
deutlich machen“ umschreiben lässt. Sie legen schlichtweg ihre Körper in den Weg.
Listige Bauern stellten Betonpyramiden vor den Castor und sich damit gegen die Atompolitik. Sie sagten:
Wir wollen keine Konfrontation; wir wollen den Dialog.
Sie wollten Gespräche mit Innenminister Schünemann
aus Niedersachsen oder Kanzlerin Merkel oder Umweltminister Gabriel führen. Neun Stunden hätten diese Zeit
gehabt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen; denn so
lange waren sie dort verankert. Aber dieser Dialog fand
nicht statt - so wie viele Möglichkeiten zum Dialog
nicht genutzt wurden. Diese Bauern treibt die Sorge um
ihre Existenz, um ihre ganz persönliche Existenz. Das ist
ihre Motivation.
Aber mein Herz lacht, wenn ich so viel kreative Energie sehe und erlebe: gegen die Milliardenlobby, gegen
eine Politik, die nur verschiebt, verschaukelt, verschweigt, verdrängt und vertuscht und dafür noch nicht
einmal zur Rechenschaft gezogen wird.
({1})
Mein Herz lacht, wenn ich erlebe: 16 000 Menschen
haben am vergangenen Samstag auf der Demonstration
gerufen: Yes, we can. - Die meisten von ihnen sind übrigens nicht für den Erhalt des fadenscheinigen Atomkonsenses, sondern wirklich für ein Abschalten, für eine
klare Perspektive, für den Ausstieg aus dieser Politik,
und sie machen das auch immer wieder deutlich.
Mein Herz lacht, wenn ich sehe, wie Clowns mit Spaß
und Lust ihren Protest auf die Straße tragen und so die
Absurdität der gepanzerten Staatsmacht entlarven.
({2})
Wer solche Einsätze zwei-, vier- oder, wie ich, zehnmal erlebt hat, verliert den Respekt und glaubt nicht
mehr an den so viel beschworenen Dialog. Der Dialog
an Castortagen im Wendland ist sehr einseitig: mit Flüstertüte, Räumbefehl, NATO-Draht, Hubschraubern und
17 000 gepanzerten Einsatzkräften. Erzählen Sie mir
jetzt nichts von Deeskalation! Das ist so wahr wie die
Asse trocken.
Ich habe auch diesmal wieder gesehen und hautnah
gespürt - wie manche Kolleginnen und Kollegen hier -,
wie das ganze Arsenal unmittelbarer Maßnahmen aussieht: kopf- oder gelenkverdrehende Griffe, Faustschläge, Abdrängen, Tritte, Schlagstock- und Wasserwerfereinsatz. Das Gefühl der Demütigung, das dabei
aufkommt, ist sehr real. Ich glaube, es ist kein Ausweis
von Demokratie, wenn ein solches Gefühl bei Bürgerinnen und Bürgern erzeugt wird, die ganz berechtigte Sorgen, Ängste und Nöte zu Gehör zu bringen versuchen.
({3})
Ich danke den Menschen in Gorleben und anderswo,
die immer wieder diesen selbstlosen Einsatz fahren.
Ohne sie hätten wir eine WAA. Ohne sie hätten wir
Schnelle Brüter und rund 100 Atomkraftwerke in
Deutschland.
({4})
Ohne sie wären etliche Skandale - das ist vorhin in der
Fragestunde deutlich geworden - immer noch unter der
Decke, nicht aufgegriffen und nicht transparent. Sie trotzen dem Atomstaat - und das seit Jahrzehnten, seit über
30 Jahren im Wendland. Ich frage mich nur: Wer wird
ihnen einmal und wann ein Bundesverdienstkreuz oder,
vielleicht besser, ein Bundesverdienst-X überreichen?
Ich danke.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Künast, Sie haben vorhin nach der Botschaft
gefragt. Die Botschaft der Diskussion ist für mich ganz
klar - ich rate uns hier wirklich zu einer nüchternen Analyse und nicht zu Emotionalität und Ideologie; die Ideologie in Kernkraftfragen hat dieses Land viel zu lange
gespalten -: Unabhängig davon, ob wir, wie Sie wollen,
heute oder morgen oder, wie wir wollen, übermorgen wir wollen die Kernenergie nämlich als Brückentechnologie nutzen - aus der Kernenergie in der jetzigen Form
aussteigen, muss die Entsorgungsfrage gelöst werden.
({0})
Das wissen Sie genauso gut, wie wir das wissen.
({1})
Wir haben in der Großen Koalition zumindest erreicht, dass jetzt endlich für 95 Prozent dieser Abfälle
Klarheit herrscht; denn das Endlager für schwachradioaktive Abfälle in Schacht Konrad ist jetzt im Bau und
wird ab 2012/2013 zur Verfügung stehen. Das muss man
auch einmal sagen; das ist nämlich eine gute Botschaft.
({2})
Es ist aber auch richtig, dass wir bei der Endlagerung
der hochradioaktiven Abfälle - der Kollege vor mir hat
es angesprochen - noch nicht sehr viel weiter sind, als
wir Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre waren. In diesem Zusammenhang lassen Sie mich feststellen: Sie,
Frau Künast und meine Damen und Herren von den Grünen, waren in dieser Frage auch schon einmal weiter.
Frau Brunkhorst hat dazu ja schon fast alle Fakten aufgezählt. In der Tat hat der Parteirat der Grünen - Frau
Künast und Frau Roth waren ganz vorne mit dabei 2001 entschieden, dass Demonstrationen gegen den bevorstehenden Rücktransport von Atommüll aus Frankreich unklug seien.
({3})
Herr Trittin war immerhin klug genug, wenn ich das
richtig mitbekommen habe, am Wochenende nicht an
den Demonstrationen teilzunehmen. Er wollte sich wohl
keine Doppelzüngigkeit vorwerfen lassen.
({4})
Er hat sich damit anders verhalten als andere von Ihnen,
die dabei waren.
Die Grünen haben mehrfach darauf hingewiesen, dass
die Castortransporte notwendig und rechtlich nicht abweisbar sind. Insofern muss ich Ihnen klar sagen: Sie
schaden mit Ihren jetzigen Aktionen nicht nur Ihrer eigenen politischen Glaubwürdigkeit heute, sondern Sie demonstrieren und protestieren damit quasi auch gegen die
Entscheidungen von gestern, die Ihre eigenen Regierungsmitglieder getroffen haben. Das sollte man sich
einmal vor Augen führen.
({5})
Ich kann Ihnen, Frau Künast, nur zurufen: Seien Sie
froh, dass Sie nicht Mitglied der SPD sind, insbesondere
nicht der Hessen-SPD; denn Sie würden wahrscheinlich
aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn Sie heute
gegen das demonstrieren, wofür Sie sich gestern noch
ausgesprochen haben.
({6})
Jetzt möchte ich aber doch noch ein paar inhaltliche
Punkte aufgreifen, Frau Künast. Sie haben hier vorhin
andere der Lüge bezichtigt. Sie haben behauptet, andere
hätten Halbwahrheiten oder Ähnliches gesagt. Dazu
kann ich nur sagen: Sie argumentieren mit falschen Angaben und Halbwahrheiten, weil Sie offensichtlich versuchen - das ist ja legitim, solange man das auch darlegt -,
ein politisches Süppchen zu kochen.
({7})
Sie haben nämlich offensichtlich ein wenig Angst, in die
Defensive zu geraten, weil die politische Diskussion und
auch die Diskussion in der Bevölkerung im Moment in
eine andere Richtung laufen: Hier wird für einen rationaleren Umgang mit der Kernenergiefrage plädiert, und
das Polarisieren fällt offensichtlich nicht mehr auf so
fruchtbaren Boden, wie es in der Vergangenheit der Fall
war. Deshalb würde ich die Ereignisse vom vergangenen
Wochenende eher als letztes Aufbäumen betrachten, bei
dem versucht wird, an alte Zeiten anzuknüpfen, um daraus politisches Kapital zu schlagen.
Lassen Sie mich, Frau Künast, nachdem Sie eben im
Zusammenhang mit der Endlagerung von Halbwahrheiten gesprochen haben, noch ein weiteres von vielen Beispielen, die es gibt, anführen, nämlich das Thema Gorleben. Es wurde vorhin gesagt, der Standort Gorleben sei
willkürlich von der Politik festgelegt worden.
({8})
Gorleben wurde nach der Untersuchung von mehr als
140 Salzstöcken in einem mehrstufigen Verfahren als
potenzieller Standort für ein Entsorgungszentrum mit
Endlager ausgewählt. Dieses Verfahren war transparent
und nachvollziehbar. Das wurde ja schon alles belegt.
({9})
Die Erkundung erfolgte im Einvernehmen von Bund,
Land und Standortgemeinden.
Vielleicht noch ein Wort zu den Standortgemeinden:
Es ist doch schon erstaunlich, dass sich dort in den vergangenen 20, 30 Jahren immer eine politische Mehrheit
für die Weiterführung der Erkundungen ausgesprochen
hat.
({10})
Die wenigsten von denen, die am Wochenende demonstrierten, kamen aus der Region. Über 90 Prozent waren
Zugereiste, die von Ihnen oder anderen herbeigerufen
wurden, um, wie schon erwähnt, ein letztes Aufbäumen
zu veranstalten. Sie sollten meiner Meinung nach die demokratischen Entscheidungsprozesse in den Standortgemeinden respektieren. Dort haben sich diejenigen, die
sich dafür ausgesprochen haben, diese Erkundungen zu
Ende zu führen, schon mehrfach demokratischen Wahlen
gestellt.
Wir befinden uns jetzt - in diesem Fall durch Herrn
Trittin verschuldet - in der Situation, dass wir nicht weiterkommen. Alle Fragen, die als Begründung für das
Moratorium angeführt wurden, sind seit 2005 abschließend gelöst. Lassen Sie uns Gorleben weiter erkunden,
um festzustellen, ob es geeignet ist.
({11})
Es geht nicht darum, politisch die Eignung festzustellen,
sondern wir wollen, dass der Erkundungsprozess zu
Ende geführt wird. Wenn der Prozess in der Sache zu
Ende geführt ist, dann können wir feststellen, ob der
Standort geeignet ist oder nicht.
({12})
Wir unterwerfen uns da gerne jeglichem internationalen
Review, um dieses Vorgehen entsprechend testieren zu
lassen.
Deshalb ist das, was Sie dort tun, leider politische
Brandstiftung, aber kein Beitrag zur Beantwortung der
Entsorgungsfrage.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Frau Künast hat die Gelegenheit nicht genutzt, aber
die Frau Kollegin Höhn wird sich gleich in ihrem Redebeitrag sicherlich eindeutig von Gewalt und Straftaten
im Zusammenhang mit den Demonstrationen distanzieren.
({0})
Das hätte ich auch von Ihnen heute an diesem Rednerpult gerne gehört. Auch Kernkraftgegner müssen verantwortlich handeln und ihren Beitrag leisten.
Ich danke abschließend ausdrücklich der Polizei, die
ständig Herr der Lage war, die das gesunde Mittelmaß
zwischen Demonstrationsfreiheit und Sicherheit von
Menschen und Sachen gefunden hat und auf deren Rücken die Dinge ausgetragen wurden.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
war am Samstag mit dabei; ich war eine der 16 000 Menschen, die in Gorleben friedlich und fantasievoll demonstriert haben. Ich muss sagen: Es war Ausdruck
lebendiger Demokratie und sehr fantasievoll, was die
Bürgerinnen und Bürger dort gemacht haben. Das war
ein sehr großes Erlebnis für mich, und es wäre schön gewesen, wenn Sie, Herr Pfeiffer, mit dabei gewesen wären.
({0})
Wenn Brigitte Pothmer in Begeisterung schwelgt, hat
das auch etwas damit zu tun, dass wir dort Hunderte von
Treckern gesehen haben, alle mit Dannenberger Kennzeichen, Bauern, die sehr bewusst demonstriert haben:
Wir wollen diesen Atommüll in unserer Region nicht.
Das war eine klare Demonstration der Bauern dort, Herr
Pfeiffer.
({1})
Bauern haben vor der Bayern-Wahl vielleicht noch CSU
gewählt; aber jetzt müssen Sie aufpassen, dass sie Ihnen
nicht auch in Niedersachsen von der Fahne gehen.
({2})
Wenn Sie, Herr Pfeiffer, hier sagen: „Das war ein letztes Aufbäumen“, dann haben Sie es einfach nicht verstanden. Sie sagen: Die anderen sind in der Defensive.
Gleichzeitig halten Sie hier eine Rede, die von Defensivität wirklich nur so tropft. Herr Pfeiffer, das war ein
Pfeifen im Walde, was Sie hier an diesem Rednerpult geliefert haben.
({3})
Ja, es gibt ein Wiederaufleben des Konfliktes; es wird
wieder demonstriert. Das hat zwei Gründe. Erstens sind
die Leute gekommen, weil der bestehende Atomkonsens
aufgekündigt werden soll. Dieser Atomkonsens ist übrigens der Grund dafür, dass viele in den letzten Jahren
nicht mehr demonstriert haben. Das ist das große Verdienst von Rot-Grün. Wir haben einen jahrzehntelangen
Konflikt entschärft, indem wir einen Atomkonsens und
damit das Ende der Produktion von weiterem Atommüll
in Deutschland besiegelt haben.
({4})
Das ist der Grund, warum die Leute in den letzten Jahren
nicht mehr demonstriert haben. Und warum kommen sie
jetzt? Weil Sie von der CDU und von der FDP gemeinsam mit der Atomwirtschaft diesen gesellschaftlichen
Konsens infrage stellen. Deshalb waren die Leute dort,
und zwar zu Recht.
({5})
Der zweite Grund ist, dass sie in den letzten Wochen
gelernt haben, dass die Frage der Endlagerung keineswegs beantwortet ist, gerade nicht bei dem Salzstock in
und um Gorleben.
({6})
Die Betreiber der Asse haben immer wieder behauptet,
dass die Asse sicher ist, dass sie trocken ist
({7})
und dass sie Hunderttausende von Jahren sicher sein
wird. Dennoch hat sich herausgestellt, dass die Asse undicht ist und sifft.
({8})
- Die Asse ist genau neben Gorleben. Wenn Sie über
Gorleben reden, sollten Sie auch über die Asse reden.
Wer das nicht macht, hat die Situation vor Ort nicht verstanden.
({9})
Es gab immer eine argumentative Verbindung von der
Asse nach Gorleben. Zum Beispiel Professor Kühn hat
immer gesagt: Wir überzeugen euch, dass die Asse trocken ist, und deshalb wird es auch in Gorleben funktionieren. Wenn ein Wissenschaftler, ein Quasiwissenschaftler, das so überzeugend darstellt und eine
Sicherheit für Hunderttausende von Jahren attestiert und
sich dann herausstellt, dass das Ganze nach 20 Jahren
durchsifft, muss ich den Leuten, die sich die Frage stellen, ob sie diesem Menschen noch glauben, recht geben.
Dieser Art von Sicherheitsargumentation darf man nicht
glauben. Und wenn die Menschen einmal getäuscht worden sind, warum sollte das dann in Gorleben nicht wieder geschehen?
Es geht darum, dass anderes Wirtsgestein mit untersucht wird. Es geht darum, dass man eine ergebnisoffene
Untersuchung durchführt, meine Damen und Herren.
({10})
Frau Brunkhorst, Ihr Parteikollege ist in dieser Frage
schon viel weiter als Sie. Vom niedersächsischen Um19824
weltminister halte ich sonst wenig, aber dieses Mal hat
er durchaus etwas Vernünftiges gesagt. Er hat nämlich
gesagt: Wir brauchen endlich eine ergebnisoffene Suche
nach einem Endlager in Deutschland. - Es wäre richtig,
wenn Sie von der Großen Koalition damit endlich beginnen würden,
({11})
und zwar dahin gehend, dass man es ähnlich wie in der
Schweiz und in Frankreich macht, dass man nicht nur
eine ergebnisoffene Suche durchführt, sondern dass man
auch die Bevölkerung daran beteiligt. Auch das ist notwendig, um genau das, was Sie vorhin angesprochen haben, Herr Pfeiffer, zu vermeiden, nämlich Gewalt.
Ich möchte noch einmal auf das Thema Gewalt zu
sprechen kommen. Herr Pfeiffer, Sie haben gesagt, wir
sollten auch einmal etwas zum Thema Gewalt sagen. Ich
frage Sie: Ist es Gewalt, wenn Bauern in Gorleben Trecker auf die Straße stellen und damit dafür sorgen, dass
der Castor nicht durchkommt? Ist es Gewalt, wenn sich
Bauern in Gorleben mit einer Betonpyramide auf die
zweite mögliche Zugangsstraße stellen und damit dafür
sorgen, dass der Transport nicht durchkommt? Ich finde,
das war eine Aktion, die sinnvoll und richtig war, um gegen diesen Atomtransport zu demonstrieren. Es war
richtig, dass die Bauern das gemacht haben.
({12})
In den 70er-Jahren hat bezüglich Gorleben keine ergebnisoffene Suche stattgefunden. Vielmehr hat Ministerpräsident Albrecht gedacht, er bekomme 12 Milliarden DM in sein Land, und das Ganze könne man an der
Grenze zur DDR ruhig bauen.
Letzter Punkt, meine Damen und Herren. Sie haben
mehrfach Jürgen Trittin angegriffen. Das weise ich
schärfstens zurück; denn er hat ganz anders gehandelt.
Er hat erstens durch den Atomkonsens deutlich gemacht,
dass hier in absehbarer Zeit kein Atommüll mehr produziert wird. Das war wichtig für den Konsens in der Gesellschaft. Er hat es zweitens mit dem Verbot der Wiederaufbereitung und der direkten Endlagerung geschafft,
den bereits für Gorleben genehmigten Müll um 80 Prozent zu reduzieren.
Dass wir so wenige Transporte nach Gorleben haben,
ist Jürgen Trittin und der rot-grünen Regierung zu verdanken. Dafür sollten Sie dankbar sein, weil genau das
jahrelang dazu geführt hat, dass wir einen Konsens hatten, dass wir Ruhe an diesem Punkt hatten.
Sie stören diese Ruhe. Das Ergebnis dessen, was Sie
angestoßen haben, werden Sie ernten. Sie werden nämlich nicht ein letztes Aufbäumen erleben, sondern den
Anfang einer kraftvollen Antiatombewegung, die jetzt
wieder da ist und Ihnen das Leben schwer machen wird.
Wir werden dabei sein.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Hedi Wegener von der
SPD-Fraktion.
Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den letzten Tagen ist viel geschrieben und
im Fernsehen viel gezeigt worden, seit Sonnabend, seit
der ersten Demonstration, die vor dem Castortransport
stattgefunden hat. Was hat sich abgespielt auf der Bahnstrecke Frankreich-Deutschland-Niedersachsen-Lüneburg-Lüchow/Dannenberg-Gorleben, in meinem Wahlkreis? Im Übrigen kommen aus meinem Wahlkreis die
leukämiebelasteten Kinder der Elbmarsch. In dieser Hinsicht sind es also zwei Baustellen.
Wissen Sie, die Bilder im Fernsehen und die Darstellungen in den Zeitungen sind das eine, die Realität ist
aber noch viel problematischer. Ich empfehle Ihnen, sich
der Auseinandersetzung mit den Atomkraftgegnern zu
stellen.
Ungefähr 17 000 Polizisten stehen etwa 17 000 Demonstranten gegenüber. Eine Eins-zu-eins-Betreuung
gibt es sonst nur noch im Knast und in der Psychiatrie.
Ich kann zwischen Demo-Touristen und ernsthaften
Atommüllgegnern durchaus unterscheiden. Die Proteste
gibt es wieder verstärkt, seit die CDU und seit der Ministerpräsident von Niedersachsen klargemacht haben: Gorleben kommt! Der Salzstock ist gut, und deshalb soll der
hochradioaktive Müll dort endgültig eingelagert werden,
nicht nur für ein paar Jahre, sondern für immer und
ewig. - Die Frage der Entsorgung des Abfalls bleibt aber
weiterhin ungelöst. Ob Gorleben der bestgeeignete
Standort ist, kann nur im Vergleich mit Alternativen beurteilt werden.
Die Proteste haben sich aber auch verstärkt, weil die
Union und die Atomlobby den Konsens zum Ausstieg
faktisch aufgekündigt haben, und zwar aus reinem Gewinnstreben. Eigentlich waren wir in Zeiten der Finanzkrise so weit, darüber nachzudenken, ob die reine Geldgier der richtige Ratgeber ist. Anscheinend gilt für die
Gewinne aus der Atomenergie aber keinerlei Zurückhaltung. Man möchte den Bürger für dumm verkaufen, indem man ihm erzählt, ein steigender Ölpreis habe steigende Strompreise zur Folge, und nur durch Atomkraft
könne der Verbraucher bezahlbaren Strom bekommen.
Mir scheint, in dieser Sache gilt der gleiche Grundsatz
wie im Hinblick auf die Finanzkrise: Gewinne werden
privatisiert, und die Verluste - in diesem Falle die Kosten für die Beseitigung des Abfalls - werden sozialisiert.
Das heißt, sie werden dem Steuerzahler aufgebürdet, und
sie gehen vor allen Dingen zulasten der Gesundheit zukünftiger Generationen.
In meinem Wahlkreis ist jedes Jahr im November der
Teufel los:
({0})
oben die Hubschrauber, unten die Hundestaffeln, Wasserwerfer und Hundertschaften. Ich habe viele Jahre als
Konfliktschlichterin - sowohl bei der Polizei als auch
bei den Kirchen - die Demonstrationen begleitet, Tag
und Nacht. Ich weiß, dass der Pastor eine Beerdigung in
der Nähe der Transportstrecke schnell abschließen muss;
ansonsten käme die Trauergemeinde nicht mehr nach
Hause. Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass die
Schultaschen der Kinder untersucht werden? Da helfen
auch Ihre süffisanten Darstellungen vom Ablauf nichts,
verehrte Kollegin von der FDP. Verharmlosung ist ein
schlechter Ratgeber.
Die Bauern, die mit ihren schweren Traktoren und
Maschinen die Strecke verbarrikadiert haben, sind nicht
verrückt. Sie haben schlicht und ergreifend Sorgen, weil
Salz keine Lösung ist. Salz ist löslich, aber nicht die Lösung für die Endlagerung von Atommüll.
({1})
Ich sage nur: Asse! Dieses Stichwort fiel in der Fragestunde ein paarmal. Asse ist der unbestreitbare Beweis
dafür, dass die Atomenergie keineswegs eine Form von
Ökoenergie ist. Atomstrom kann nur deswegen als sauber dargestellt werden, weil wir den Dreck nicht sehen.
Ich sehe es als riesigen Erfolg der Demonstranten an,
dass die Niedersächsische Landesregierung eine 180-GradWende vollzogen hat. Jetzt fordert sie, Alternativstandorte zu prüfen. Das ist gut. Überzeugen Sie endlich Ihre
halsstarrigen Kollegen in Bayern und Baden-Württemberg!
Ich danke an dieser Stelle ganz ausdrücklich der Polizei.
({2})
Mit Umsicht, aber auch mit Konsequenz hat sie den
Castortransport begleitet. Der Mix aus Gewährenlassen
und konsequentem Durchgreifen hat bewirkt, dass es gut
gelaufen ist. Ich teile nicht die Einschätzung der Polizeigewerkschaft, dass die Deeskalation fehlgeschlagen sei.
Glauben Sie ja nicht, dass alle Polizisten dort gerne
ihren Dienst machen. Überträgt man die Einstellung der
Bevölkerung auf die Polizei, so kann man sagen, dass es
auch unter den Polizisten viele Atomkraftgegner gibt.
Die Polizei hat in den letzten Jahren viel dazugelernt,
und sie hat durch einen offensiven Dialog mit der Bevölkerung und mit den Demonstranten zur Konfliktschlichtung beigetragen. An dieser Stelle also meinen ganz
herzlichen Dank an die Lüneburger Polizei!
({3})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin
Dr. Maria Flachsbarth das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die fünfte Jahreszeit im Wendland liegt wieder hinter uns. Castortransporte werden von großen Demonstrationen begleitet,
wobei es sich großteils nicht um einheimische, sondern
um angereiste Demonstranten handelt.
Einerseits sind diese Proteste sicherlich Ausdruck
ernsthafter Sorge. Andererseits haben sie inzwischen
auch Eventcharakter.
({0})
Tausende von Polizisten waren vor Ort. Blockierer vertrauen, so scheint es, vorbehaltlos der Umsicht der Polizei und der Sicherheit der Transportbehälter. Auch in
diesem Jahr gab es wieder gewalttätige Übergriffe Einzelner. Der Event unter dem Dach der Demonstrationsfreiheit ist uns lieb und teuer. Die Sicherung des Transports - zu dem gibt es keine Alternative; das haben
schon viele Redner gesagt - kostete den Steuerzahler
circa 20 Millionen Euro.
({1})
- Und dann gibt es keine weiteren Transporte?
Ein wenig skurril scheint die Mitwirkung einiger grüner Politikerinnen und Politiker auch aus diesem Hause
zu sein - wir haben darüber bereits gesprochen -; denn
ihr Parteifreund Jürgen Trittin hat diese Transporte veranlasst.
({2})
Er war es, der als Bundesumweltminister anstelle der
Wiederaufbereitung in La Hague der Energiewirtschaft
aufgetragen hat, die Brennstäbe zurück nach Deutschland zu holen.
({3})
Die jetzigen Transporte sind Gegenstand der Ausstiegsvereinbarung zwischen Rot-Grün und der Atomwirtschaft,
({4})
genauso übrigens wie das zehnjährige Erkundungsmoratorium in Gorleben, das trotz abgearbeiteter Zweifelsfragen weiter anhält.
Im Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, waren wir uns doch einig, in nationaler
Verantwortung die Frage der sicheren Endlagerung zügig und ergebnisorientiert anzugehen
({5})
und in dieser Legislaturperiode - nicht wahr, Herr Pries zu einer Lösung zu kommen. Letztendlich ist das eine
Frage der Generationengerechtigkeit und der Verantwortung für die Sicherheit unserer Bevölkerung; das haben
wir, glaube ich, damals gemeinsam so gesehen.
In Bezug auf die schwach- und mittelradioaktiven
Abfälle sind wir tatsächlich einen entscheidenden Schritt
weitergekommen: 90 Prozent der radioaktiven Abfälle,
die allerdings nur 1 Prozent der Radioaktivität veranlassen, können voraussichtlich 2013 im Schacht Konrad bei
Salzgitter sicher endgelagert werden.
({6})
Hier hat die Große Koalition entschieden gehandelt.
({7})
Die Umrüstung der Schachtanlage zu einem Endlager
hat bereits begonnen. Die erforderlichen Mittel sind im
Bundeshaushalt eingestellt. Die Öffentlichkeit wird detailliert informiert und die Leistung der Standortkommune angemessen berücksichtigt.
Beim Schacht Asse II hat diese Bundesregierung endlich Verantwortung für ein Versuchsendlager übernommen, dessen gravierende Probleme von der Vorgängerregierung noch ignoriert wurden.
({8})
Jetzt arbeitet man an einem Konzept für eine geordnete
Schließung. Dabei haben die Sicherheit der dort arbeitenden Menschen und der Menschen, die in der Umgebung leben, natürlich oberste Priorität.
Hinsichtlich eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle treten wir allerdings auf der Stelle. Die Union hatte,
weil wir um die Zweifel wissen, ob denn der Standort
Gorleben Resultat eines qualifizierten Auswahlverfahrens sei, vorgeschlagen - Herr Pries, nur um auch dazu
etwas zu sagen -, die Wiederaufnahme der Erkundung
mit einer internationalen Überprüfung nach den Regularien der OECD-NEA zu begleiten. Ein solcher methodisch abgesicherter und international anerkannter Prozess sollte neben der fachlichen Begutachtung natürlich
auch zu einer Versachlichung der politischen Diskussion
führen.
Statt einer inhaltlichen Antwort haben wir dann vom
Herrn Bundesumweltminister das Standortauswahlverfahren vorgeschlagen bekommen.
({9})
Ziel soll es dabei sein, nicht, wie im Atomgesetz vorgesehen, einen geeigneten, sondern den bestmöglichen
Standort zu finden, weil man sich - so habe ich ihn verstanden - nach Jahren der Erkundung nicht dem Risiko
aussetzen wolle, dass ein Gericht die Entscheidung
kippt, weil es keine Alternativuntersuchungen gegeben
hat. Dass bei der Entscheidung für den Schacht Konrad
das OVG Lüneburg im März 2006 gerade im Gegenteil
festgestellt hat, dass ein Mangel eben nicht darin bestehe, dass alternative Standorte nicht umfassend und
vergleichend untersucht worden wären, wird allerdings
ignoriert.
({10})
Namhafte Wissenschaftler bestreiten, dass Vergleichbarkeit möglich ist. Auch das wird ignoriert. Wie es bei einer Alternativerkundung und einer Erkundungszeit für
Gorleben von 30 Jahren möglich sein soll, Abfälle tatsächlich 2035 einzulagern - dann nämlich, wenn die Genehmigungen für die ersten Zwischenlager auslaufen -,
auch darauf wird nicht geantwortet.
Wenn denn die Untersuchungen kürzer sein sollen,
also nicht so intensiv wie in Gorleben, dann frage ich
mich besorgt, welche Erkenntnisse weggelassen werden
sollen und wie das mit der Aussage des BfS zusammenpasst, dass die Sicherheit eines möglichen Endlagers nur
mit standort- und anlagenspezifischen Sicherheitsanalysen ermittelt werden könne. Auch auf diese Frage gibt es
keine Antwort.
Wer soll das Verfahren - das frage ich hier in aller Öffentlichkeit; ich bitte wirklich um Antwort - aufgrund
welcher rechtlichen Grundlagen eigentlich finanzieren?
Die Erkundung von Gorleben hat 1,5 Milliarden Euro
gekostet. Das haben nicht die bösen Strommultis finanziert, sondern die Stromkunden.
({11})
Gar nicht zu reden von der Gretchenfrage - diese Frage
hat auch Minister Sander in Niedersachsen gestellt -:
Wo, bitte schön, soll denn konkret alternativ gesucht
werden?
({12})
Wenn sich nicht der Eindruck aufdrängen soll, der Vorschlag einer Alternativerkundung sei schlicht eine
Verzögerungstaktik, die die Lösung der Endlagerfrage
offenhalten soll, dann müssen diese Fragen zügig beantwortet werden.
({13})
Das absurde Theater in der Endlagerfrage muss ein
Ende haben. Der deutsche Atommüll lässt sich nicht
wegdemonstrieren. Die Union fordert die Aufhebung
des Moratoriums und die Erfüllung des Koalitionsvertrages.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt ({0})
von der SPD-Fraktion.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Medien und wir alle waren überrascht,
dass die Antiatombewegung wieder da ist.
({0})
Wir haben dies mit Wohlwollen wahrgenommen. Wir haben mit Respekt und Achtung vor den Menschen reagiert,
die ihre Auffassung vertreten haben. Es gibt natürlich
auch Grenzen: Gewalttäter werden nicht akzeptiert.
Richtig bleibt dennoch: Demokratie braucht Menschen,
die sich engagieren, für ihre Überzeugung eintreten und
damit in diesem Staate ein Grundrecht wahrnehmen.
({1})
Ich bekenne auch, dass ich vor vielen Jahren mit vielen Hunderttausenden in Wackersdorf mitgeholfen habe,
dass dort keine Plutoniumfabrik gebaut wurde. Wir wurHeinz Schmitt ({2})
den von der einheimischen Bevölkerung unterstützt, die
uns mit Frühstück versorgt hat. Darunter waren auch
brave einheimische CDU-Wähler.
({3})
Sie waren dankbar, dass auch Menschen von außerhalb
gekommen sind, um mitzuhelfen, dass dieses Milliardengrab nicht entsteht.
Lassen wir uns nicht täuschen: Wer den Atomkonsens
von 2001 aufkündigt, der spielt mit dem Feuer. Der
Kompromiss für den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft hat unsere Gesellschaft befriedet.
({4})
Das war eine der großen Leistungen der rot-grünen Bundesregierung. Wer diesen Atomkonsens aufkündigt - das
ist die Lehre aus den letzten Tagen -, wird unser Land
erneut spalten. Die Antihaltung zur Atomkraft ist sehr
wohl begründet. Sie ist nicht weg. Es gibt heute nirgendwo in der Welt eine gesicherte Entsorgung. Das ist
kein deutsches Problem. Der Jumbojet Atomkraft ist gestartet, ohne dass eine Landebahn für ihn gebaut wurde.
Wir belasten die heutige Generation und auch künftige Generationen für Tausende von Jahren mit atomarem Abfall. Wir nehmen künftige Generationen, Herr
Pfeiffer, in Geiselhaft. Der Atommüll ist da; das wissen
wir alle. Aber je schneller wir aus der Atomnutzung aussteigen, desto größer sind unsere Möglichkeiten, die Risiken nicht noch größer werden zu lassen. Je mehr Abfall anfällt, desto stärker ist die Wärmeentwicklung und
desto größer werden auch die Schutzanforderungen.
Hinzu kommen Gefahren wie Terrorismus oder schwere
Unfälle. Es ist falsch, Tschernobyl als eigentlich undenkbaren Einzelfall abzutun. Wir haben oft Glück gehabt.
Wir kennen die Störfälle der letzten Jahre, auch in
Deutschland. Deshalb bleibt aus Sicht der SPD der
Atomausstieg richtig.
Mehr noch: Gerade für den Klimaschutz ist der
Atomausstieg wichtig. Es geht um den Umbau in eine
hocheffiziente, sichere und umweltverträgliche Energieversorgung. Atomkraft blockiert Innovationen für erneuerbare Energien und ist mit Effizienz nicht vereinbar.
({5})
Das beste AKW erreicht einen Wirkungsgrad von gerade
einmal 35 Prozent. Das ist Technik von gestern.
Zu den Geldern wurde schon etwas gesagt. Mein Wahlkreis liegt in der Nachbarschaft der „Versuchswiederaufbereitungsanlage“ Karlsruhe. Dort lagern 60 000 Liter
hochangereicherte Flüssigkeiten, deren Entsorgung mit
mittlerweile 5 Milliarden Euro kalkuliert wird. In Wackersdorf wurden, wenn ich mich richtig erinnere, 2 Milliarden DM in den Sand gesetzt. So viel zum Thema billige Atomenergie.
Auch wenn das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomkraft von 2001 der Umweltbewegung nicht weit genug
ging, so trug es doch wesentlich zur Befriedung unserer
Gesellschaft bei. Dieses hohe Gut dürfen wir nicht verspielen. Der Kompromiss beendete die tiefe Spaltung
unseres Landes. Zugleich belegt der Erfolg der erneuerbaren Energien, dass Alternativen zu der risikoreichen
und verschwenderischen Nuklearenergie durchaus möglich sind.
Wir werden noch zwei Transporte aus La Hague nach
Gorleben erleben, um unsere vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dennoch müssen wir einen geeigneten
Standort für ein Endlager finden. Es gibt berechtigte
Zweifel, ob Gorleben der geeignete Standort ist. Deshalb
fordern wir ein unabhängiges Auswahlverfahren. Gerade
nach dem Debakel um Asse II gilt als oberstes Ziel: Sicherheit zuerst.
Allen voran tun sich CDU und CSU - auch die FDP
mittlerweile wieder verstärkt - immer noch schwer, für
ein Ende der Atomkraft zu plädieren. Damit betreiben
sie ein Spiel mit dem Feuer. Die Atomkraft ist eine Dinosauriertechnik ({6})
- danke schön -, die sich nur rechnet, wenn viel Strom
verbraucht wird. Die Zukunft muss anders aussehen. Die
Zukunft heißt aus unserer Sicht Einsparung, Nutzung
von Solarenergie, Wind- und Wasserkraft, Geothermie
und Biomasse.
({7})
Die Energiepolitik rückt ins Zentrum des Wahlkampfes. Daraus kann eine gute, eine notwendige Zukunftsdebatte werden. Auf der einen Seite steht das alte Denken, das von CDU, CSU und FDP vertreten wird; auf der
anderen Seite steht der Umbau der Energieversorgung in
Richtung Effizienz und erneuerbare Energien. Erlauben
Sie mir dieses Bild zum Schluss: Das ist so ähnlich wie
George Bush gegen Barack Obama.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich
habe mir aus Welt Online den gleichen Artikel ausgedruckt, den Frau Brunkhorst hier angeführt hat, weil kein
anderer Artikel die Doppelzüngigkeit der Grünen so
kurz und prägnant belegt.
({0})
Es gibt offenbar rot-grüne Castoren. Das sind die guten Castoren. Dann gibt es die schwarz-roten. Das sind
die bösen Castoren. Ich betone „schwarz-rot“, weil der
Bundesumweltminister in der Bredouille ist, solche
Dinge unterstützen zu müssen. Ich bin froh, dass sich zumindest Kollegen aus der SPD vom Rechtsbruch und
von der Gewalt distanzieren.
({1})
Die Grünen bringen das ja nicht über die Lippen. Sie bekommen es nicht hin, zu sagen, dass Rechtsbruch nicht
infrage kommt. Dabei müsste ein solches Bekenntnis
doch vor allen Dingen von diesem demokratischen Haus
ausgehen.
Zu dem, was die Grünen hier machen, gibt es Parallelen.
({2})
Ich komme aus dem Landkreis Günzburg. Dort steht das
Kernkraftwerk Gundremmingen, und dort existiert seit
geraumer Zeit auch ein Zwischenlager. Seinerzeit, vor
Trittin, haben die Grünen bei Zwischenlagern immer von
Blechhütten oder Tennishallen gesprochen und Gefahren
an die Wand gemalt. Als man dann plötzlich Regierungsverantwortung hatte, war das alles plötzlich gut und richtig und man konnte es problemlos zwölffach über die
Republik verteilen. Also, wenn das keine Doppelzüngigkeit ist! Das ist ein Unding!
({3})
Da zieht auch das Pseudoargument von Frau Höhn nicht,
man habe den Konsens aufgekündigt und deshalb müssten die Atomkraftgegner wieder unterstützt werden.
Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was sich hier
andeutet, zum Geschäft mit der Angst, das hier gemacht
werden soll. Herr Pries, Angst entsteht nicht durch mangelndes Wissen um physikalische Vorgänge. Angst entsteht insbesondere dann, wenn diejenigen, die politische
Verantwortung tragen, sie gezielt schüren. Ich bin Frau
Kotting-Uhl ausgesprochen dankbar dafür, dass sie zu
der KiKK-Studie, die Frau Künast angesprochen hat, im
Ausschuss ganz klar gesagt hat, dass der Zusammenhang, den Frau Künast hergestellt hat, nicht richtig ist.
Das ist Gott sei Dank nicht so. Sonst wäre das, was Sie
in Ihrer Regierungszeit gemacht haben, ja in doppelter
Hinsicht unverantwortlich: Wenn Kinder im Umfeld von
Kernkraftwerken an Krebs erkranken und an Krebs sterben würden, dann hätten Sie nicht sagen dürfen, dass sie
in 20 Jahren oder irgendwann einen Ausstieg anstreben,
dann hätten Sie den sofortigen Ausstieg fordern müssen.
Das ist schließlich etwas, was Sie vorher immer lauthals
gefordert haben.
({4})
Sie haben dem doch zugestimmt, weil Sie wissen, dass
das, was Sie hier predigen, nicht wahr ist. Sie verunsichern Familien, indem Sie hier in unsittlicher Art und
Weise Dinge vortragen, die nicht haltbar sind. Ich bitte
die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dies nicht
auch noch aufzunehmen und, wie Herr Schmitt vorhin,
von Störfällen und ähnlichen Dingen zu reden.
Warum diskutiert die Union über die Kernfrage? Weil
wir in einer großen industriellen Volkswirtschaft die berechtigte Frage stellen müssen: Wie können wir diese
Volkswirtschaft verlässlich, umweltschonend und kostengünstig mit Strom versorgen?
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir haben miteinander das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen, in dem steht, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 auf mindestens
30 Prozent erhöhen wollen. Die Frage ist: Wo kommen
die anderen 70 Prozent her?
({6})
Die Frage müssen Sie beantworten. Sie können sich
nicht aus der Affäre stehlen und keine Antwort liefern
oder nur von Solarenergie sprechen. Wir müssen sagen,
wo die Energie herkommen soll. Diese Frage können Sie
unter dem Druck der internationalen Klimapolitik nicht
ernsthaft beantworten, wenn Sie die Kernenergie komplett ausblenden.
({7})
Ich sage noch etwas zum Thema Endlager. Man kann
viel darüber diskutieren, was man parallel machen
möchte, was man noch erkunden und erforschen will.
Dazu wird es eine engagierte Debatte geben, die auf das
Ziel ausgerichtet ist, in dem heute schon mehrfach angesprochenen Zeitraum tatsächlich ein Endlager zu finden.
Dies brauchen wir, egal, ob wir aussteigen oder nicht.
Aber ich verstehe nicht - vielleicht kann der Bundesumweltminister, der anschließend spricht, etwas dazu sagen -,
warum man das Moratorium in Gorleben mit aller Macht
aufrechterhalten muss. Diejenigen, die wirklich daran interessiert sind, dass wir an der Stelle vorankommen,
müssen doch die Erkundung weitertreiben. Es gibt bislang kein wissenschaftliches oder technisches Argument
gegen Gorleben. An der Stelle weiterzumachen und
parallel etwas anderes zu tun, wäre in Ordnung und
würde zeigen, dass man es ernst meint. Diejenigen, die
sagen, dass das Moratorium bestehen bleiben soll, dass
sie Gorleben nicht weiter erkunden wollen, sagen im
Grunde doch nur eines: Wir wollen um Himmels willen
nicht, dass - ich greife den Vergleich von vorhin auf der Flieger ohne Landebahn irgendwann eine Landebahn
bekommt. Denn dann würde die Diskussion, ob man
Kernenergie in diesem Land nicht doch verantwortlich
nutzen kann, Auftrieb bekommen.
Vielen herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar
Gabriel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, bei ein paar Punkten muss man aufpassen, dass
man nicht zu sehr Versteck spielt.
Erstens. Der Atommüll aus La Hague muss zurück
nach Deutschland. Es ist deutscher Müll. Deswegen
müssen wir ihn zurücknehmen. Der Standort, an den er
gehört, ist das Zwischenlager in Gorleben.
({0})
Dazu gibt es keine Alternativen.
({1})
Zweitens. Man darf dagegen demonstrieren; das ist
keine Frage. Aber wer den Transport durch den Einsatz
seines Körpers, durch Straßenblockaden oder Gleisblockaden aufhalten will, begeht Rechtsbruch. Diejenigen, die das tun, wissen das und empfinden es als das Risiko, das sie bereit sind, einzugehen. Trotzdem ist es
Rechtsbruch. Deswegen ist die Polizei aufgefordert, dafür zu sorgen, dass der Transport ungehindert das Zwischenlager erreicht. Liebe Kollegen von der Linken, da
werden keine Grundrechte aufgehoben,
({2})
sondern es wird dafür gesorgt, dass die Polizei Recht
und Gesetz durchsetzen kann.
({3})
Ich sage das, weil ich in unterschiedlichen Funktionen
mit diesem Thema zu tun hatte und weil man den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dort nicht den Eindruck vermitteln darf, sie würden etwas machen, was
nicht rechtmäßig ist.
({4})
Ich danke ausdrücklich beiden Seiten: den friedlichen
Demonstranten und denjenigen, die - sogar ausweislich
der Demonstranten - ihren Job als Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamte dort außerordentlich gut gemacht haben. Das ist eine Bestätigung, die es nicht immer gibt.
Ich finde, beide Seiten haben gut abgewogen dort reagiert. Wir sollten jetzt nicht versuchen, das Ergebnis irgendwie zu konterkarieren.
({5})
Drittens. Eines ist auch klar: Der Protest dort lebt wieder auf, weil zwei wesentliche Bedingungen, die in den
letzten Jahren dazu geführt haben, dass der Protest abgenommen hatte, in den Augen der Demonstranten nicht
mehr gegeben sind. Es ist nach ihrer Auffassung nicht
mehr sicher - das ist die erste Bedingung -, dass der
Atomkonsens, eine vertragliche Grundlage mit den
Energieversorgungsunternehmen und ein Gesetz, das
den Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2020
vorsieht, eingehalten wird.
({6})
- Das ist doch dummes Zeug. Ich habe nichts dagegen,
wenn Sie noch einmal deutlich machen, dass Sie auch an
der Stelle unrealistische Positionen vertreten. Aber in
der Sache selber war es so, dass - ({7})
- Passen Sie auf: Machen Sie keine Zwischenrufe, sondern halten Sie zu dem Thema eine Rede. Das ist ein bisschen schwieriger, aber das ist eine intellektuelle Leistung, die man als Abgeordneter gelegentlich erbringen
muss.
({8})
Dieser Konsens ist in den Augen der Demonstranten
aufgekündigt. Es ist nicht mehr sicher, dass sich die
Menge des Atommülls nicht unendlich vergrößert.
Die zweite Bedingung war, dass es zu einem ergebnisoffenen Auswahlverfahren kommt. Beide Bedingungen
sind in den Augen der Demonstranten nicht mehr gegeben. Deswegen wird der Protest in den nächsten Jahren
zunehmen. Da bin ich ganz sicher. Deswegen ist das
Beste, was man machen kann, diese gesetzgeberisch vorgesehene Maßnahme, aus der Kernenergie auszusteigen,
nicht anzuzweifeln und zu einem ergebnisoffenen Auswahlverfahren für ein Endlager zurückzukommen.
({9})
Dann wird es dort weniger Proteste geben. Wer allerdings erklärt, die Atomenergie sei eine Bioenergie, und
Atomendlager seien Biotonnen, der treibt die Leute auf
die Straße. Das ist die Konsequenz.
({10})
Meine Damen und Herren, auch in der Frage „Wie
soll mit Gorleben umgegangen werden?“ gibt es ein Versteckspiel. Frau Kollegin Flachsbarth, ich will Ihnen
ganz offen sagen: Aus meiner Sicht haben wir erstens
den Koalitionsvertrag eingehalten - wir haben Ihnen im
Hinblick auf die Endlagersuche einen Vorschlag gemacht -, und zweitens haben wir angeboten, das Moratorium aufzuheben;
({11})
das steht da drin. Die Bedingung ist allerdings, dass man
nicht einfach das Wort „Gorleben“ streicht und stattdessen einen anderen Ortsnamen nennt oder einfach Gorleben stehenlässt; das ist der Vorwurf, den ich dem Kollegen Sander aus Niedersachsen, anders als Frau Höhn,
mache. Vielmehr muss man sich endlich auf ein Verfahren verständigen, das weit über eine Legislaturperiode
des Bundestages hinaus gilt; das ist die große Schwierigkeit.
Das eigentliche Problem ist: Wir diskutieren über die
Endlagerfrage. Aber selbst dann, wenn wir Gorleben
weiter erkunden und uns letztlich sogar für diesen Standort entscheiden würden, würde das Endlager in Gorleben
nicht bis zum Jahre 2025 fertig sein, sondern frühestens
2030 oder 2035. Das heißt, wir haben einen sehr langen
Prozess vor uns, der weit über eine Legislaturperiode des
Bundestages hinausreicht.
Wir haben also die Verantwortung dafür, ein Verfahren zu finden, auf das sich die Menschen in Deutschland
- sowohl die Befürworter als auch die Kritiker der Kernenergie - verständigen können; das ist die eigentliche
Aufgabe des Deutschen Bundestages. Dieses Verfahren
darf aber nicht darin bestehen, nur andere Standorte vorzuschlagen. In diesem Verfahren müssen zunächst die
Sicherheitsanforderungen an ein Endlager für hochradioaktive Stoffe festgelegt werden; das ist das Erste, was
man tun muss.
Was Gorleben angeht, ist man anders vorgegangen.
Man hat sich zuerst für den Standort entschieden, dann
die Sicherheitskriterien am Standort entwickelt und sogar die ursprünglichen Kriterien verändert.
({12})
- Aber natürlich. Genau das ist in Gorleben passiert. Sehen Sie sich nur einmal an, was mit dem Multibarrierenkonzept geschehen ist. Auf einmal war es nicht mehr nötig, weil es in Gorleben nicht darzustellen ist. Zuerst
muss man die Sicherheitsanforderungen festlegen und
dann die verschiedenen Standorte miteinander vergleichen. Das ist bisher nicht getan worden. An dieses Verfahren müssen wir uns aber halten.
Ich frage mich: Warum blicken wir vor dem Hintergrund der in Deutschland zugegebenermaßen ziemlich
verfahrenen Situation nicht einmal in andere Länder?
Warum schauen wir uns nicht an, was man in Frankreich
macht? Warum schauen wir uns nicht an, was man in der
Schweiz oder in Finnland macht? Dort geht man nämlich
anders vor. In Frankreich gibt es sogar Standortgemeinden, die sich um ein Endlager bewerben. Dort wird nämlich ein völlig anderes Verfahren praktiziert. Auch in der
Schweiz werden zuerst die Sicherheitskriterien festgelegt, dann vergleicht man die Standorte miteinander, und
letztlich verständigt man sich auf einen Standort. Dieses
Verfahren wird in Deutschland bisher nicht angewandt.
Deswegen wird man in Deutschland für keinen Standort,
für den man sich entscheidet, Akzeptanz finden.
Ich bin mir absolut sicher: Wenn wir morgen an einem anderen Standort mit Untersuchungen beginnen
würden, würde sich niemand bereit erklären. Es käme zu
den gleichen Protesten wie in Gorleben. Das Einzige,
was man tun kann, ist Folgendes: Man muss die Verfahren und die Kriterien, die man anlegt, öffentlich erläutern. So kann man in der Öffentlichkeit Akzeptanz für
das Auswahlverfahren und letztlich auch für einen bestimmten Standort gewinnen. Aber an dieser Stelle verweigern Sie sich. Geben Sie es zu! Es ist doch nicht
dramatisch und nicht schlimm, zu sagen: Ich habe
Schwierigkeiten, diese Entscheidung in meinem Wahlkreis zu vertreten.
In meinem Wahlkreis befinden sich zwei Endlager.
Ich weiß, wie schwierig eine solche Situation ist. Schon
jetzt rufen mich sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg oder Bayern an und fragen mich: Hast du wirklich die Absicht, auch bei uns
nach einem Standort Ausschau zu halten? Ich weiß, dass
das in diesen Ländern schwierig ist. Man darf aber nicht
sagen - das gilt auch für diejenigen, die Gorleben als
Standort wollen -: Wir machen einfach in Gorleben weiter.
Frau Flachsbarth, ich wundere mich ernsthaft, wie Sie
argumentieren. Es ist doch so, dass Sie zum heutigen
Zeitpunkt gar nicht wissen, ob Gorleben tatsächlich geeignet ist. Es gibt keine Langzeitanalyse - allein dafür
bräuchte man zehn Jahre Zeit -, sondern nur den Begriff
der Eignungshöffigkeit. Dieser Begriff stammt übrigens
vom Wort „hoffen“. An dieser Stelle kann ich nur sagen:
Hoffen und Harren hält manchen zum Narren.
({13})
Was machen Sie denn, wenn sich im Laufe der Zeit
herausstellt, dass Gorleben ungeeignet ist?
({14})
Ich sage Ihnen: Wenn sich das erst im Jahre 2020, nach
der Sicherheitsanalyse bzw. nach dem Langzeitsicherheitsnachweis, herausstellt, dann stehen Sie mit leeren
Händen da. Dann müssen Sie mit der Endlagersuche von
vorne beginnen. Das ist das eigentliche Problem.
({15})
In Niedersachsen gibt es nicht viele Sozialdemokraten, die Ihnen sagen: Wenn wir in einem Auswahlverfahren feststellen, dass Gorleben und andere Standorte
gleich gut geeignet sind,
({16})
dann kommt das Endlager nach Gorleben. Ich allerdings
sage Ihnen, dass das so ist; denn in Gorleben haben wir
am meisten investiert. Sie bringen uns mit Ihrem Modell
aber in die Situation, dass der Druck am Ende so groß
sein wird, dass wir bei den Sicherheitsanforderungen
nachgeben müssen, um Gorleben realisieren zu können.
({17})
Das ist der Weg, der auch in Morsleben und bei der Asse
beschritten worden ist.
Der andere Weg ist natürlich genauso schlimm. Der
Druck wird so groß sein, dass man sagen wird: Lasst uns
einmal mit den Russen reden und sie fragen, ob sie das
nicht nehmen. Es wird die gleiche Situation entstehen.
Wir werden bei den Sicherheitsanforderungen nachgeben, weil die Laufzeit der Zwischenlager im Jahre 2035
ausläuft. Wir dürfen dort dann nicht mehr zwischenlagern. Dann wird der Druck so groß sein, dass wir entweBundesminister Sigmar Gabriel
der im eigenen Land nachgeben oder prüfen, wem wir
das im Ausland unter der Tür durchschieben können,
ohne dass wir Einfluss auf die Sicherheitsanforderungen
haben werden.
Frau Flachsbarth, wenn ich Ihre Aussage ernst nehme
und sage, dass wir das lösen wollen, dann muss ich auch
sagen, dass das nur dann geht, wenn man zwei oder drei
Pferde aus dem Stall lässt. Wenn Sie beim Pferderennen
nur ein Pferd herauslassen, das unterwegs vom Oberverwaltungsgericht erschossen wird, dann werden Sie den
Siegerkranz am Ende nicht nach Hause tragen.
({18})
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie zwei oder drei
Standorte nach vorher vorgegebenen Kriterien untersuchen, dann werden Sie zu einem Endlager kommen und
in Deutschland auch eine Akzeptanz dafür finden.
({19})
Alles andere ist der Weg in die organisierte Unverantwortlichkeit, wie wir sie bei der Asse und in Morsleben
vorgefunden haben. Das dürfen wir in Deutschland nicht
noch einmal machen.
Deswegen gilt unser Angebot: erstens ergebnisoffene
Suche, zweitens Fortsetzung oder Aufhebung des Moratoriums in Gorleben - das ist keine Frage; das kann man
dann sofort machen - und drittens vorherige Festlegung
der Standortkriterien. Dann werden wir zu einem Ergebnis kommen, das man öffentlich auch erklären kann.
Wenn das nicht gelingt, dann werden die Proteste größer
und dann laufen wir Gefahr, dass wir das Problem im
Jahr 2035 nicht gelöst haben.
Wir wollen das lösen, aber nicht auf dem Weg, auf
dem Asse und Morsleben herbeigeführt wurden.
({20})
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der
Kollege Marco Bülow von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
haben heute schon viele Redner darauf hingewiesen,
dass sich der Protest in Gorleben wieder verstärkt hat.
Ich brauche darüber nicht abstrakt zu diskutieren.
Auch ich gehörte schon häufiger zu den friedlichen
Demonstranten vor Ort in Gorleben. Wie vielen anderen
Demonstranten ging es auch mir eben nicht nur um den
Atommüll, der dort angelandet ist, sondern auch um den
Protest gegen die Kernkraft insgesamt. Wie viele andere
habe auch ich die Diskussionen verfolgt, die dann zu
dem Atomkonsens geführt haben. Mir ging er damals zu
weit, weil ich dachte, dass man den Kompromiss zu früh
getroffen hat und dass dabei zu viele Faktoren außer
Acht gelassen wurden.
Wie viele andere Atomgegner habe auch ich gesagt:
Okay, wir akzeptieren diesen Kompromiss, weil wir
dann eine Sicherheit dafür haben, dass wir aus dieser
Technologie aussteigen, dass wir diese Gefahren minimieren und dass wir eine Chance haben, von der Atomenergie wegzukommen. Deshalb haben viele Demonstranten gesagt: Okay, dann bleiben wir auch von diesen
Demonstrationen weg, mit der Hoffnung, dass der Anteil
der Atomenergie nicht nur reduziert wird, wie dies unter
Rot-Grün geschehen ist, sondern dass die Atomenergie
irgendwann auch einmal gestoppt und der Atommüll
nicht noch weiter obendrauf geladen wird.
Diese Hoffnung ist eben nicht erfüllt worden.
({0})
Diese Hoffnung wird von denen einseitig aufgekündigt,
die diesen Kompromiss damals mitunterschrieben und
gesagt haben: Ja, dann habt ihr eine Sicherheit, dass es
den Ausstieg gibt. Die Atomkraftbefürworter wollen
jetzt nicht mehr zu dieser Sicherheit stehen, wobei
- fälschlicherweise - davon ausgegangen wird, dass die
Menschen keine Lust mehr auf Demonstrationen haben.
Vielleicht werden sie sogar noch benutzt nach dem
Motto: Es demonstriert niemand mehr; heute sind ja anscheinend wieder alle für die Atomenergie. - Von daher
ist der Protest heute, solange er friedlich ist und ein deutlicher Eindruck hinterlassen wird, gerechtfertigt.
({1})
Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen, die hier diskutiert worden sind.
Herr Pfeiffer, Sie haben davon gesprochen, dass die
Diskussion sehr von Ideologie geprägt ist. Sie wollten
Sachlichkeit schaffen und haben sich darüber beklagt,
dass wir in dieser Gesellschaft eine Spaltung haben. Ja,
das ist wahr. Ich habe ja gerade darauf hingewiesen, warum wir diese Spaltung wieder haben, nämlich weil der
Kompromiss infrage gestellt worden ist. Sie von der
Union haben die einmalige Chance, diese Spaltung zu
überwinden.
({2})
Im Endeffekt geht es hier nämlich nicht um die Industrie. Wenn die Union sagt, sie sei für den Kompromiss,
und wenn sie diesen Atomkompromiss unterschreibt,
dann kann die Industrie sagen, was sie will: Dieser Kompromiss wird dann, egal wer irgendwann einmal regiert,
durchgesetzt. Das heißt, Sie könnten die Spaltung überwinden. Geben Sie sich also einen Ruck und überwinden
Sie die Spaltung! Dann gibt es auch keine Demonstrationen bei den Castortransporten mehr.
({3})
Herr Nüßlein, Sie haben gesagt, dass Sie mit uns dazu
stehen - das finde ich sehr gut, weil sich diesbezüglich
in der CDU/CSU eine Menge bewegen musste; das ist
aber gelungen -, dass wir bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 30 Prozent erreichen und sie
weiter ausbauen wollen. Das ist ein wichtiges Ziel. Es ist
auch gut, dass es diese Gemeinsamkeit gibt. Ich glaube,
dass fast das gesamte Haus dafür einsteht.
Sie haben zu Recht nach den übrigen 70 Prozent gefragt. Wir haben noch einen gemeinsamen Beschluss gefasst, nämlich die Energieeffizienz deutlich zu steigern.
Der Anteil der erneuerbaren Energien beträgt derzeit
14 Prozent. Er war unter Schwarz-Gelb bzw. zu Beginn
von Rot-Grün deutlich niedriger. Energieeffizienz und
der Ausbau von erneuerbaren Energien zusammengenommen werden dazu führen, dass wir die Atomenergie
nicht mehr brauchen werden.
({4})
Das ist keine politische Aussage einer Partei oder eines einzelnen Abgeordneten. Beispielsweise wird auch
in der neuesten Studie der Deutschen Gesellschaft für
Luft- und Raumfahrt deutlich dargelegt, wie ohne Atomkraft sowohl unsere Klimaschutzvereinbarungen als
auch alle anderen Energievorhaben umgesetzt werden
können. Das zeigt, dass es möglich ist, sowohl mit dem
Ausbau von erneuerbaren Energien als auch mit Energieeffizienz und der Beibehaltung der anderen Technologien, aber ohne Atomkraft einen Pfad zu finden, der eine
Energiewende bringt. Dazu gibt es mehrere Studien. Das
können Sie alle nachlesen.
({5})
Ich möchte auch auf die Kosten eingehen, die immer
wieder angesprochen werden. Nach meinen Informationen will die niedersächsische Regierung die Kosten für
die Castortransporte nicht mehr tragen. Ich habe auch
gehört, dass sich in Baden-Württemberg mehrere
Unionsabgeordnete dafür ausgesprochen haben, die
Schweizer dringlich aufzufordern, das Atommüllendlager möglichst nicht in Grenznähe zu errichten, sondern
ergebnisoffen nach einem Standort zu suchen. Das wollen wir in Deutschland auch.
Wer die Kosten für die Castortransporte nicht tragen
will und keine Endlager in der Nähe der eigenen Landesgrenze möchte, der muss sich auch gegen Atomkraft
aussprechen. Andernfalls hat es keinen Sinn, diese Rechnung aufzumachen.
({6})
Wenn wir die Laufzeit um zehn Jahre verlängern
- wie es einige fordern -, dann fallen 3 500 Tonnen hochradioaktiven Materials zusätzlich an, ganz zu schweigen
von den Tausenden von Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Materials. Wenn wir das nicht wollen, dann
dürfen wir die Laufzeit nicht verlängern. Diejenigen, die
für eine Laufzeitverlängerung eintreten, müssen auch
angeben, wo das zusätzliche Material bleiben soll. Ich
finde, dass jeder Ministerpräsident und jeder Abgeordnete, der sich dafür ausspricht, das zur Not auch bei sich
vor der Haustür akzeptieren muss. Sonst sollte man nicht
für eine Verlängerung der Laufzeit plädieren.
({7})
Ich komme zum Schluss. Was die Kosten angeht, sind
einige Zahlen genannt worden. In Wackersdorf waren es
1,6 Milliarden Euro. In Karlsruhe sind es mittlerweile
fast 4 Milliarden Euro für die Forschung. Das sind weitere 4 Milliarden Euro, für die größtenteils der Steuerzahler aufkommen muss.
Wer Atomkraft immer noch für günstig hält, der missachtet die Zahlen, die durch Forschung, Endlager,
Sicherheitsbestimmungen und die Castortransporte auch
in Zukunft auf uns zukommen werden. Diese Kosten
müssen in Zukunft eingerechnet werden. Dann werden
wir feststellen: Atomkraft ist nicht nur von gestern, sondern auch überteuert.
Vielen Dank.
({8})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Abwehr von
Gefahren des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt
- Drucksache 16/9588 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Abwehr von Gefahren des internationalen
Terrorismus durch das Bundeskriminalamt
- Drucksache 16/10121 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
- Drucksache 16/10822 Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Brandt
Michael Hartmann ({1})
Frank Hofmann ({2})
Ulla Jelpke
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10823 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Roland Claus
Omid Nouripour
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche
Abstimmung verlangt. Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt
es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat durch Verfassungsänderung dem Bundeskriminalamt die Aufgabe der
Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
gestellt.
({0})
Damit es diese Aufgabe erfüllen kann, muss es mit den
notwendigen Befugnissen ausgestattet werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält diese Befugnisse, die uns aus vielen Polizeigesetzen der Länder
bekannt sind. Es handelt sich um die üblichen Standardbefugnisse wie Durchsuchung, Befragung und Identitätsfeststellung, aber auch um das Instrument der
Telekommunikationsüberwachung und der akustischen
Wohnraumüberwachung. Das ist Standard in den Bundesländern. Diese Standards reichen aber nicht mehr aus.
Wir wissen, Terroristen bedienen sich komplizierter Verschlüsselungstechniken. Der Sauerland-Fall hat uns das
gezeigt. Das BKA hat bis heute, 15 Monate nach der
Festnahme und der Beschlagnahme, die auf der Festplatte gespeicherten kryptischen Daten noch nicht entschlüsselt.
({1})
15 Monate danach! Daraus lernen wir,
({2})
dass der wohlfeile Vorschlag, man möge Computer doch
beschlagnahmen, dann brauche man keine Onlinedurchsuchung, untauglich ist.
({3})
Glücklicherweise wurden die Gespräche der Sauerland-Täter im Auto abgehört. Damit war eine Maßnahme
erfolgreich, die von einigen noch immer - genauso wie
das Abhören von Wohnungen - als Teufelszeug abgelehnt wird. Wäre dies in diesem Fall nicht geschehen,
wäre es zu einem Terroranschlag mit möglicherweise
Tausenden Toten gekommen.
Aus diesem Grunde haben wir dem BKA zusätzlich
zu den Standardbefugnissen die Befugnis übertragen,
verdeckt informationstechnische Systeme zu überprüfen.
Die Beschlagnahme reicht eben nicht aus. Die sogenannte Onlinedurchsuchung ist bei der Terrorbekämpfung unverzichtbar. Sie wird nur unter ganz bestimmten,
engen Voraussetzungen und nur in den wenigen Fällen
terroristischer Gefährder zum Einsatz kommen. Es ist
deswegen reine Panikmache, wenn einige Politiker und
Medien dieses Instrument als ein Mittel des totalen
Überwachungsstaates diffamieren.
({4})
Herr Ströbele, als wir in der Großen Koalition angetreten sind, fanden wir eine unter rot-grüner Verantwortung erfolgte Ermächtigung zur Onlinedurchsuchung
vor.
({5})
Die Ermächtigung erfolgte übrigens im Wege einer
Dienstvorschrift, unterschrieben von einem Staatssekretär. Das war die gesamte Ermächtigung zum Eingriff in
die Grundrechte der Menschen. Als der Minister davon
erfuhr, hat er diesen grob fahrlässigen Umgang mit den
Grundrechten unverzüglich gestoppt.
({6})
Demgegenüber hat der FDP-Innenminister Wolf in
Nordrhein-Westfalen wenigstens ein veritables Gesetz
als Legitimationsgrundlage für die Onlinedurchsuchung
in diesem Bundesland vorgelegt.
({7})
Als Jurist muss man aber sagen: Diesem Gesetz stand
die Verfassungswidrigkeit sozusagen auf die Stirn
geschrieben. Es war also für den ehemaligen FDP-Innenminister Baum ein Leichtes, das Gesetz seines FDPKollegen Wolf in Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesverfassungsgericht aufheben zu lassen; das war keine
große Kunst.
({8})
Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Wiefelspütz?
Ja, bei Herrn Wiefelspütz immer.
({0})
Herr Kollege Uhl, können Sie bestätigen, dass der
FDP-Innenminister von Nordrhein-Westfalen dieses sagenhafte Gesetz nur deshalb gemacht hat, damit das
Bundesverfassungsgericht unsere gemeinsame Auffassung bestätigen konnte, dass die Onlinedurchsuchung
verfassungskonform ist, und zwar unter strengsten Voraussetzungen, oder gab es andere Motive? Können Sie
zudem das seltsame Verhalten der CSU erklären, eine
Koalition mit der FDP einzugehen und sich auf die
Onlinedurchsuchung zu verständigen?
({0})
Das bestätige ich gerne, Herr Kollege Wiefelspütz;
denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hilft uns,
das BKA-Gesetz mit der rechtmäßigen Befugnis zur
Onlinedurchsuchung auszustatten und heute auf den
Weg zu bringen.
({0})
Der vorliegende Entwurf eines BKA-Gesetzes entspricht Punkt für Punkt den Vorgaben, die uns Karlsruhe
gemacht hat. Wir gehen zweistufig vor. In der ersten
Stufe wird natürlich alles getan, um kernbereichsrelevante Daten nicht zu durchsuchen. Wenn dies aber nicht
möglich ist, wird in der zweiten Stufe alles getan, um
Kernbereichsdaten nicht zu verwerten, sondern zu löschen. Dies alles haben wir im Gesetz geregelt. Deswegen wird dieses Gesetz, egal wer es angreifen will - die
FDP oder andere -, vor dem Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe Bestand haben.
({1})
Ich möchte, weil das das FDP-Verhalten sehr deutlich
macht, auf den Koalitionsvertrag zu diesem Thema zwischen der FDP und der CSU in Bayern zu sprechen kommen. In der Koalitionsvereinbarung, die beide Parteien
unterschrieben haben,
({2})
heißt es:
Onlinedurchsuchungen von Computern stellen einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre dar und sind
daher nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig.
({3})
Genauso steht es in unserem Gesetz.
({4})
Dann heißt es weiter:
Die gesetzlichen Kriterien sind im Hinblick auf diesen Ausnahmecharakter zu überprüfen.
Genau das haben wir in diesem Gesetz gemacht. Dann
heißt es in der Koalitionsvereinbarung in Bayern:
Insbesondere entfällt künftig die Befugnis zum
heimlichen Betreten von Wohnungen im Zusammenhang mit Onlinedurchsuchungen.
Deswegen haben wir das von vornherein in unserem Gesetz weggelassen.
Der Kernbereich privater Lebensführung
- so heißt es in dem Koalitionsvertrag ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unantastbar;
({5})
die dazu ergangenen Regelungen werden präzisiert.
Genau diese Präzisierung haben wir, Herr Stadler, in
diesem Gesetz vorgenommen.
({6})
Ich empfehle Ihnen, Herr Stadler, und meinen verehrten
Kolleginnen und Kollegen von der FDP, aus Glaubwürdigkeitsgründen dringend Ihren Kreuzzug gegen die
Onlinedurchsuchung in Berlin nicht auf die Spitze zu
treiben und gleichzeitig in Bayern klammheimlich
Onlinedurchsuchungen zuzulassen.
({7})
Es geht um ein Gesetz - das sage ich in allem Ernst;
denn es geht nicht um irgendein Gesetz -, mit dem wir
versuchen, die Bürger dieses Staates vor einem möglicherweise drohenden Terroranschlag zu schützen. Das
ist der Sinn, die Ratio Legis: Schutz vieler Menschen vor
einem Terroranschlag, von dem keiner weiß, wann er
kommt, woher er kommt und wie er aussieht. Wir hoffen
doch sehr, dass dieses Gesetz einen Beitrag dazu leistet,
dass auch in Zukunft ein solcher Terroranschlag verhütet
werden möge und dass den Menschen durch die kluge,
vernünftige und sachgerechte Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes - dies soll nicht im Übermaß, sondern mit Sorgfalt und Konsequenz geschehen - ein solcher Terroranschlag erspart bleibt.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist quasi ein historischer Tag; denn der Bundestag
schreibt Rechtsgeschichte, aber leider nicht im positiven
Sinne. Heimliche Durchsuchungen sind ein Novum in
der deutschen Geschichte, ein Novum, auf das der
Rechtsstaat aus unserer Sicht besser verzichten sollte.
({0})
Mit dem BKA-Gesetz entsteht darüber hinaus eine
Polizei auf Bundesebene. Bisher war es so, dass der Bereich der Gefahrenabwehr der Länderebene vorbehalten
war. Auch das ist eine Neuerung dieses Gesetzes.
({1})
Aus unserer Sicht war die Gefahrenabwehr auf der Länderebene bisher sehr gut aufgehoben. Eine Polizei des
Bundes, nicht nur für besondere Fälle, sondern mittelfristig ein deutsches FBI - das ist etwas, was wir ablehnen.
({2})
Der zweite Schritt, der heute ein Novum darstellt, ist
die Bündelung von Kompetenzen beim BKA in bislang
nicht gekannter Weise. Sie, Herr Schäuble, wiederholen
ständig, dass eigentlich jeder Ortspolizist tun dürfe, was
nach dem BKA-Gesetz dem BKA erlaubt ist. Aber das
macht es nicht besser und nicht richtiger. Es ist nicht so.
Das, was Sie hier vorlegen, ist eine Bündelung all dessen, was irgendwo in einem Landesgesetz steht. Das hat
es bisher in keinem Land gegeben. Es ist bedauerlich,
dass das jetzt auf Bundesebene durchgesetzt wird und
Sie das auch noch verniedlichen. Die stetige Wiederholung macht es nicht wahrer, Herr Minister.
({3})
Meine Damen und Herren, Koalitionsrunden müssen
wirklich wunderbare Veranstaltungen sein.
({4})
- Ich habe das schon erlebt; ich habe in NRW die Koalitionsvereinbarung geschrieben. Angesichts dessen, was
darin steht, können Sie vor Neid nur erblassen.
({5})
Da wird um Grundrechtseingriffe gefeilscht wie auf
einem Basar: Gibst du mir den Wegfall der Erbschaftsteuer bei der Unternehmensnachfolge, gebe ich dir die
heimliche Onlinedurchsuchung; tausche Befristung bei
der Onlinedurchsuchung gegen Streichung der Eilfallregelung. Grundrechte werden so zur Verhandlungsmasse. Vielleicht hat auch der Einsatz der Bundeswehr
im Inneren noch irgendwie damit zu tun. Um den
Rechtsstaat geht es leider niemandem von Ihnen mehr,
und das ist wirklich sehr bedauerlich.
({6})
Nach erfolgter Einigung musste dann alles ganz
schnell gehen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das hat das
Gesetz auch nicht verdient. Da wird eingeladen für den
Freitag, da wird ausgeladen für den Freitag, da wird eingeladen für den Montag. So kann man mit Parlamentarierkollegen nicht umgehen; das ist kein ordentliches
Verfahren.
({7})
Auch dabei ging es Ihnen nicht mehr um den Rechtsstaat. Das, was Sie hier geboten haben, hat eher etwas
mit Kasperletheater zu tun. Mit Ihrer Zwischenfrage,
Herr Wiefelspütz, haben Sie das eben nahtlos fortgesetzt.
({8})
Ich frage mich nur: Wer ist hier der Kasper, und wer ist
das Krokodil? Das habe ich noch nicht ausmachen können.
({9})
Eines weiß ich jedenfalls genau: Der Seppel sind die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Sie narren die
Bürgerinnen und Bürger mit dieser unerträglichen Aufführung.
({10})
Und wofür der ganze Aufstand? Zu mehr Rechtsstaatlichkeit führt er jedenfalls nicht. Die Änderungsanträge,
die Sie eingebracht haben, machen aus einem schlechten, verfassungsrechtlich bedenklichen Gesetz ein
schlechtes, verfassungsrechtlich bedenkliches Gesetz.
Daran haben Sie wirklich lange gearbeitet; das muss
man Ihnen lassen. Aber es gibt eben kein Mehr für den
Rechtsstaat. Sie haben eine Eilfallregelung gegen die
Befristung getauscht.
Aber vielleicht findet es die SPD ja ganz toll, endlich
einmal eine Agenda 2020 zu haben, nachdem die
Agenda 2010 für sie zum Albtraum geworden ist. Vielleicht hoffen Sie ja auch selbst, dass Ihr Gesetz noch vor
dem Bundesverfassungsgericht landet. Wir jedenfalls
werden alles dafür tun, um das zu erreichen; denn so,
wie Sie es hier praktizieren, darf man mit der Verfassung
nicht umgehen.
Ich will nur ein paar Punkte nennen. Dazu gehören
heimliche Onlinedurchsuchungen, bei denen das BKA
selber darüber entscheidet, ob der Kernbereich privater
Lebensgestaltung betroffen ist.
({11})
Dazu gehört die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, die genau das ist, was das Bundesverfassungsgericht schon gesagt hat, nämlich das Überwinden der entscheidenden Hürde zur Ausspähung des gesamten
Systems. Herr Uhl, das passiert nicht nur dann und
wann; das ist in den letzten drei Jahren 30-mal vom Zoll
angewendet worden. 30-mal! Das können Sie auch hier
nicht mehr verniedlichen, lieber Herr Uhl.
({12})
Die optische Wohnraumüberwachung mit völlig unzureichendem Kernbereichsschutz zählt dazu. Dabei
wird nämlich das sogenannte Richterband mitlaufen, das
erst einmal alles aufzeichnet; aber es ist niemand da, der
auf Stopp drückt, wenn tatsächlich der Kernbereich erfasst wird. Die akustische Wohnraumüberwachung mit
ebenso geringem Kernbereichsschutz und die Überwachung von Kontakt- und Begleitpersonen mit dem gesamten Repertoire von Überwachungsmaschinerie zählen hierzu. Und das kann wirklich jeden treffen, jeden,
der irgendwie in Kontakt mit irgendjemandem steht; er
muss es gar nicht wissen.
({13})
Weiter gehört dazu die Rasterfahndung unter Missachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts; daran ändert
auch Ihre Streichung der Eilfallregelung nichts.
Überhaupt ist der Gesetzentwurf nach unserer Auffassung von einer generellen Geringschätzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung getragen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber mit auf den Weg
gegeben, dass dieser Bereich absolut zu schützen ist. Das
haben Sie nicht konsequent getan.
({14})
Ich habe es eben am Beispiel der Richterbänder beschrieben. Aber Sie haben zum Beispiel beim Einsatz
verdeckter Ermittler ebenfalls komplett auf den Kernbereichsschutz verzichtet. Aber Sie handeln ja verfassungsgemäß.
({15})
Hinzu kommt noch die Aushöhlung des Schutzes von
Berufsgeheimnisträgern. Ich frage Sie ernsthaft, ob Sie
nicht begriffen haben, dass Zeugnisverweigerungsrechte
von Berufsgeheimnisträgern Ausfluss der Grundrechte
sind, beispielsweise der Justizgrundrechte, die ein faires
Verfahren gewährleisten und mithin den vertraulichen
Kontakt zum Anwalt sicherstellen müssen. Herr Brandt,
ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso Sie als Anwalt da mitgemacht haben.
({16})
Die FDP schätzt die Arbeit des Bundeskriminalamtes,
überhaupt keine Frage.
({17})
Wir möchten, dass das BKA besser arbeiten kann, mit
gutem Personal, mit ordentlicher Ausstattung. Dazu passt
im Übrigen nicht, dass Sie in den vergangenen Jahren
den Haushalt des BKA jedes Mal gekürzt haben. Das ist
nämlich genau das Gegenteil dessen, was Sie hier immer
erzählen. Dieses Gesetz aber hat das BKA wirklich nicht
verdient. Wie soll zum Beispiel ein Beamter dort wissen,
was unter „Gütern der Allgemeinheit, deren Bedrohung
die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die
Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“, zu verstehen ist? Wie soll das ein Beamter beim BKA interpretieren, wenn das nicht einmal ein Sachverständiger bei
der Anhörung konnte und vor allen Dingen - erschreckenderweise - nicht einmal der Präsident des BKA
selbst? Das müssen Sie einmal erklären.
({18})
Es ist unverantwortlich, Beamte mit dieser Entscheidung alleinzulassen. Das führt natürlich nicht zu mehr
Sicherheit, sondern eher zu mehr Unsicherheit, nämlich
bei denen, die sich für unsere Sicherheit einsetzen sollen.
Ich wiederhole: Das ist unverantwortlich.
Es gäbe noch viel zu diesem Gesetz zu sagen. Meine
sieben Minuten Redezeit reichen leider nicht für alle
Kritikpunkte. Deshalb nur noch eines: Wir werden das
Gesetz ablehnen.
({19})
Herzlichen Dank.
({20})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Fritz
Rudolf Körper von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
Sie mich auf den Ausgangspunkt eingehen: Warum
wurde dieses Bundeskriminalamtsgesetz eigentlich novelliert? Das Bundeskriminalamt bekommt mit dieser
Novelle Zuständigkeiten, um Gefahren des internationalen Terrorismus in den Fällen abzuwehren, in denen
- das ist mir ganz wichtig - eine länderübergreifende
Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Das ist im Grunde
genommen die Zuständigkeitserweiterung innerhalb unserer föderalen Sicherheitsarchitektur. Das ist eine herausforderungsgerechte Weiterentwicklung.
({0})
Ich finde, das muss man sehr deutlich machen. Als
Ergebnis der Föderalismusreform I wurde dem Bund
durch den neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a des Grundgesetzes die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz gegeben, das BKA mit entsprechenden Zuständigkeiten auszustatten. Ich sage, das ist herausforderungsgerecht.
Auch wenn ich dieses Datum nicht überstrapazieren
will: Was die terroristische Bedrohung in unserem Land
anbelangt, war der 11. September 2001 ein Schlüsselerlebnis, das man nicht so ohne Weiteres wegdiskutieren
kann.
Worum geht es jetzt? Welche Aufgaben bekommt das
Bundeskriminalamt eigentlich? Die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ist eine gesamtstaatliche Aufgabe mit internationalen Bezügen. Schon jetzt
- auch das will ich noch einmal festhalten - obliegt der
Dienstverkehr der Polizeien des Bundes und der Länder
mit den zuständigen Stellen anderer Staaten grundsätzlich dem BKA. Ich kann mich noch an die Diskussion
erinnern, die aufkam, als das BKA nationale Verbindungsstelle von Europol wurde. Offensichtlich hat es
auch da eine Verfassungsklage gegeben. Ich möchte
auch daran erinnern, dass das BKA nationales Büro für
Interpol und nationale Eingangsstelle im Rahmen des
Schengen-Verbundes ist. Das zeigt, dass es aufgrund internationaler Gefahrenlagen notwendig war, im Verbund
mit dieser Funktion für das BKA entsprechend zu reagieren. Deswegen ist es gut, dass das Bundeskriminalamt bereits jetzt eine besondere, zusammenfassende
Funktion bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender oder internationaler Bedeutung hat.
Operative Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind bislang jedoch nur auf der Länderebene möglich. Dies bedeutet, dass bei bestimmten Gefahren, bestimmten Hinweisen, bestimmten Informationen im Zusammenhang
mit terroristischen Ereignissen, die eben nicht Ländern
zuzuordnen sind, zukünftig das Bundeskriminalamt die
Möglichkeit hat, dem entsprechend nachzugehen. Das
erspart im Grunde genommen den Abklärungs- oder Abstimmungsprozess zwischen den verschiedenen Bundesländern und beispielsweise dem Bundeskriminalamt.
In Zukunft hat das BKA die Möglichkeit, bei länderübergreifenden Gefahren, bei unklarer Landeszuständigkeit oder auf Ersuchen eines Landes selbst einzugreifen.
Insbesondere aus dem Ausland eingehende Informationen über terroristische Gefahren können so, wie ich eben
schon sagte, unmittelbar in Abwehrmaßnahmen umgesetzt werden.
Ich will zugeben, dass die Diskussion um den neuen
§ 4 a Bundeskriminalamtgesetz, wo die Zuständigkeiten
geregelt sind, nicht so ganz einfach gewesen ist,
({1})
insbesondere die Diskussion mit den Ländern. Die Lösung ist: Die Länder bleiben zuständig. Das ist ganz sicher kein Nachteil. In der Vergangenheit haben wir, was
die Zusammenarbeit der Polizeien von Bund und Ländern betrifft, immer gute Erfahrungen gemacht. Im Übrigen gilt an dieser Stelle unseren Sicherheitsbehörden ein
herzlicher Dank für die bisher geleistete gute Arbeit.
({2})
Wir sehen auch eine Evaluierung vor - darauf bin ich
stolz -,
({3})
speziell im Hinblick auf diesen § 4 a, was die Zuständigkeitszuschnitte anbelangt, um dann zu erkennen, ob es so
funktioniert oder nicht. Ich denke, das ist richtig.
Was die Instrumentarien angeht, sehen wir im Grunde
genommen nichts anderes vor als das, was in einem normalen Polizeigesetz eines Landes - 16 solcher Gesetze
haben wir in der Bundesrepublik Deutschland - festgeschrieben ist. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.
({4})
Neu ist der Komplex, den wir mit „Onlinedurchsuchung“ umschreiben. Das ist keine Erfindung von uns,
({5})
sondern das ist eine neue technische Entwicklung. Wir
stellen fest, dass Kommunikation immer mehr online erfolgt. Sicherheitsbehörden dürfen bei einer solchen technischen Entwicklung, die letztendlich Gefahren und
Risiken für unsere Sicherheitslage bedeutet, nicht hinterherhinken; das ist, denke ich, einfach so.
({6})
Weil wir Neuland betreten, war es gut, dass wir die
Entscheidung in Karlsruhe abgewartet haben. Letztendlich - so ist meine Auffassung - war das kein Schaden,
weil die Karlsruher Entscheidung uns sehr geholfen hat
und klargestellt hat, was möglich ist und was nicht möglich ist. Ich bin der Meinung: Wir haben exakt entlang
den Vorgaben dieser Entscheidung eine gute Regelung
gefunden.
Was beispielsweise die Onlinedurchsuchung anbelangt, ist in Karlsruhe die Vorgabe formuliert worden:
richterliche Anordnung. Diese Vorgabe der richterlichen
Anordnung wird von uns umgesetzt. Was die Durchsuchung anbelangt, schreibt Karlsruhe vor: in einem geeigneten unabhängigen Verfahren. Was sehen wir vor? Wir
sehen einen Datenschutzbeauftragten aus dem Bundeskriminalamt vor,
({7})
der - § 4 f Bundesdatenschutzgesetz - nicht weisungsgebunden ist und somit frei entscheiden kann. Das ist das
genaue Abbilden der Karlsruher Entscheidung.
({8})
Es kommt noch eines hinzu, Frau Piltz. In diesem
Verfahren ist es so, dass ein Zweifel des Datenschutzbeauftragten nicht überstimmt werden kann. Wenn der Datenschutzbeauftragte Zweifel artikuliert, wird eine richterliche Entscheidung einzuholen sein - genau wie es die
Karlsruher Entscheidung vorsieht. Ich finde, dass wir
hier ein gutes Ergebnis vorweisen können.
Liebe Frau Piltz, ich sehe es eher positiv, dass unsere
Diskussionen und Debatten im Laufe der Zeit auch noch
ein paar Änderungen gegenüber dem ursprünglichen
Entwurf hervorgebracht haben. Ich bin der Auffassung:
Das ist ein gutes Beispiel für gute parlamentarische Arbeit, wie sie eigentlich immer von uns erledigt werden
sollte.
({9})
Das kann man an den verschiedensten Punkten festmachen. Meine Kollegen Hofmann und Wiefelspütz gehen noch darauf ein, wie beispielsweise die Eilfallregelung zu verstehen ist
({10})
oder, Frau Piltz, was die Auskunftsverweigerungsberechtigung für Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete anbelangt. Hier haben wir die Regelung aus der
Strafprozessordnung übernommen,
({11})
und zwar, wie ich denke, richtigerweise. Aus der entsprechenden Debatte kennen Sie ja auch schon die weiteren Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, möchte
ich mich bei all denjenigen bedanken, die intensiv an
dieser Gesetzesnovelle mitgearbeitet haben. Ich bin sicher, dass wir mit diesem novellierten BKA-Gesetz einen guten Beitrag für die Sicherheitslage unseres Landes
leisten werden.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die oberflächlichen Änderungen, die nach der Expertenanhörung
im Innenausschuss am BKA-Gesetz vorgenommen wurden, können meines Erachtens über eines nicht hinwegtäuschen: Dieses Gesetz atmet den Geist eines Obrigkeitsstaates, eines Staates, der einen allmächtigen, alles
wissenden Polizei- und Geheimdienstapparat anstrebt,
also ein deutsches FBI.
({0})
Das lehnen wir ab, weil es auf Kosten von Grund- und
Bürgerrechten geht.
({1})
Bei der Anhörung haben wir erfahren, dass auch von
der Union und der SPD benannte Experten auf ganz offenkundige Mängel an diesem BKA-Gesetz hingewiesen
haben. Ich will hier nur einige wichtige aufzählen:
Es fehlt dem Gesetz an klaren Begriffsbestimmungen.
Es wird nicht klipp und klar gesagt, was genau mit dem
Begriff „internationaler Terrorismus“ gemeint ist. Es ist
nicht klar, wer genau als sogenannte Kontakt- und Begleitperson von vermeintlichen Terrorverdächtigen
ebenfalls ausgeforscht werden kann.
Es erlaubt den BKA-Beamten in Privatwohnungen
einzudringen, um heimlich Wanzen und Kameras anzubringen. Nach dem Großen Lauschangriff kommt jetzt
also der große Spähangriff, und das alles, ohne genau zu
regeln, unter welchen Voraussetzungen das eigentlich erlaubt sein soll.
({2})
Das alles haben die Sachverständigen bei der Anhörung festgestellt. Die Koalition will, dass das BKA die
offenen Fragen einfach selbst beantwortet. Es ist uns ja
auch im Innenausschuss gesagt worden: Hier kontrolliert, wer das Gesetz selbst gemacht hat. Der Sachverständige Christoph Möllers hat das Organisationskonzept folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Wir
geben allen Behörden, die wir haben, alle Kompetenzen,
die wir kennen“, und dann sehen wir weiter.
Dass BKA-Chef Ziercke in der Anhörung selbst ausgeführt hat, er möchte gerne so viele Ermittlungsbefugnisse wie nur irgend möglich, das verwundert uns natürlich überhaupt nicht, aber ich sage hier ganz deutlich:
Wir dürfen ihm diese Befugnisse einfach nicht geben.
({3})
Denn, meine Damen und Herren, Selbstkontrolle durch
das BKA ist ungefähr so, wie einen Alkoholiker in einen
Schnapsladen zu stellen und ihn zu ermahnen: Trink
nicht zu viel!
({4})
Ich hätte gehofft, dass die Koalition wenigstens auf
Professor Hansjörg Geiger hört, einen Mann, der übrigens früher Chef des BND war. Der hat bestätigt, Herr
Kauder: Der Kreis der sogenannten Kontakt- und Begleitpersonen ist viel zu weit gefasst.
({5})
Und: Die Regelungen zum Schutz der Privatsphäre entsprechen nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes.
({6})
Das Gesetz vermischt polizeiliche und geheimdienstliche Tätigkeiten; denn es verleiht dem BKA Befugnisse, wie sie normalerweise Geheimdiensten vorbehalten sind. Dazu zählt der ganze Komplex heimlicher
Überwachungsmaßnahmen weit im Vorfeld eines konkreten Tatverdachts.
Der unbescholtene Bürger laufe Gefahr, so Professor
Geiger wörtlich, „zum Objekt staatlicher Ausforschung
zu werden“. Ohne Normenklarheit wissen die Bürger
nicht, welches Verhalten sie in den Augen der neuen Superbehörde BKA verdächtig macht und wann das BKA
sie einem Verdacht aussetzen kann.
({7})
Eine Kontrolle des BKA gibt es kaum noch, weil es ja
heimlich ermittelt und heimlich Computer durchleuchtet, Kameras und Wanzen anbringt.
({8})
Nach fünf Jahren soll das Gesetz - Herr Körper hat es
hier eben schon freudig angemerkt - evaluiert werden.
Wer soll es evaluieren? Die Bundesregierung natürlich.
Das kann man nur noch als lächerlich bezeichnen,
({9})
dass die Bundesregierung ein Gesetz macht und meint,
sie könne sich selber kontrollieren.
({10})
Ich halte das jedenfalls nicht für eine parlamentarische
und demokratische Kontrolle.
Dieses Gesetz beinhaltet darüber hinaus die Lizenz
zur Willkür. Das ist mit der Fraktion der Linken nicht zu
machen.
({11})
Denn wohin diese Willkür führt, haben die Ermittlungsbehörden erst vor wenigen Wochen vorgeführt, als sie
auf dem Flughafen Köln/Bonn zwei Reisende festgenommen haben, die angeblich einen Terroranschlag geplant hatten.
({12})
Schon nach wenigen Tagen mussten sie wieder freigelassen werden, weil sowohl die Aktion als auch der Verdacht völlig unbegründet waren. Das kommt meines Erachtens dabei heraus, wenn man der Polizei immer mehr
unkontrollierbare Befugnisse einräumt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wir stimmen gegen dieses Gesetz; denn es ist ein weiterer gefährlicher Schritt hin zum Überwachungsstaat und
baut Grundrechte und Bürgerrechte deutlich ab.
Danke schön.
({13}) und Gert Winkelmeier [fraktionslos]
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Wieland von
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beruhigung der Großen Koalition - auch zu Ihrer Beruhigung, Herr Wiefelspütz - sage ich zunächst vorweg:
Selbst wir stellen nicht in Abrede, dass wir auch morgen
noch in einem Rechtsstaat leben werden.
({0})
- Das wird die einzige Stelle sein, wo Sie mir Beifall
spenden. Umso lieber höre ich ihn. - Zur Beruhigung der
Kollegin Jelpke sage ich: Auch morgen im Frühnebel
werden nicht Männer in schwarzen Mänteln bei Ihnen
klingeln; so weit sind wir nicht.
({1})
Das Problem ist ein ganz anderes: Das BKA wird überhaupt nicht mehr klingeln.
({2})
Das BKA verlegt seine Tätigkeit so weit in den Geheimbereich, dass wir die ganze Buchstabensuppe von § 20 a
bis § 20 x brauchen, alle Kompetenzen, die hier schon
genannt wurden, von Onlinedurchsuchung über IMSICatcher, den Einsatz von verdeckten Ermittlern und
V-Leuten bis hin zu Videoangriff, Lauschangriff usw.,
ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Warum
braucht man all das? Weil es im System liegt. Es liegt
gerade im Sinn dieser Vorfeldarbeit, dass sie ins Klandestine geht, weil die Ermittlungen nicht auffallen sollen.
Deswegen wiederhole ich es und freue mich, Herr
Kollege Hartmann, dass immer mehr das sagen: Wir
werden ein deutsches FBI bekommen und zugleich eine
Polizei, die ihr eigener Geheimdienst ist. Das können wir
wahrlich nicht gebrauchen.
({3})
Zusätzlich entsteht durch Überzentralisierung eine Art
Monsterbehörde, ohne dass eine adäquate parlamentarische Kontrolle auch nur angedacht ist. Auch dies haben
wir Ihnen schon mehrfach gesagt. Unsere Nachrichtendienste werden kontrolliert, so schlecht das auch sein
mag. Wir haben Gremien dafür. Wir haben die G-10Kommission, wir haben das Parlamentarische Kontrollgremium,
({4})
die das leisten sollen. Jetzt geben wir dem BKA das
volle geheimdienstliche Instrumentarium, und es gibt
keine Instanz, die das kontrollieren kann. Aus unserer
Sicht haben die BKA-Skandale der nächsten 20 Jahre
hier ihre Wurzeln. Für uns ist das ein Grund, dieses Gesetz in toto abzulehnen.
({5})
Zu der behaupteten Sicherheitslücke. Es wird immer
so getan, als habe das BKA bisher Däumchen gedreht
und untätig herumgesessen, als habe der Innenminister
dreieinhalb Jahre lang einer riesigen Sicherheitslücke tatenlos zugesehen. Wo war denn die Sicherheitslücke? Es
gab sie nicht. Wir waren effektiv. Wie waren handlungsfähig im föderalen System. Das gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin ist insoweit ein Erfolgsmodell gewesen.
Herr Kollege Wiefelspütz, terroristische Netzwerke
mit Zentralisierung bekämpfen zu wollen, das ist so
sinnvoll wie zum Fischfang auszufahren ohne Netz, aber
dafür mit einem Panzerkreuzer. So sinnvoll ist Ihr Vorgehen.
({6})
- Sie fischen höchstens im Trüben. Wo war denn die Sicherheitslücke? Wir hatten eine Sicherheitslücke bei den
Kölner Kofferbombern. Die Frage ist doch, was sich dabei ändern müsste. Hätten wir mit einem neuen BKAGesetz diese beiden Männer vorher erkannt? Diese
Frage kann doch niemand ernsthaft beantworten. Sie tun
das Gegenteil von dem, was notwendig ist.
Herr Kollege Wieland, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hartmann?
Selbstverständlich.
Bitte schön.
Geschätzter Herr Kollege Wieland, jenseits des notwendigen Schlagabtausches, den man um einen derart
schwierigen, aber auch wichtigen Gesetzentwurf führen
muss, möchte ich Sie etwas fragen. Sie haben darauf hingewiesen - das Bild mit dem Panzerkreuzer war schön -,
dass man das, was alles vorgesehen ist, gar nicht nötig
habe und auch nicht brauche.
Ich frage Sie in der gebotenen Sachlichkeit. Natürlich
haben unsere Sicherheitsbehörden bisher eine hervorragende Arbeit geleistet. Das wurde auch nie von uns bestritten. Natürlich hat das BKA mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln eine tolle Arbeit geleistet.
Sind Sie bereit zuzugeben, dass es in Zeiten des internationalen Terrorismus oftmals nicht so einfach möglich
ist festzustellen, ob eine Spur einem Bundesland zuzuordnen ist oder nicht? Sind Sie bereit einzugestehen,
dass viele Spuren, die aus dem Ausland kommen, viele
Bewegungsmuster, die aufzuzeigen sind, es erforderlich
machen, dass nicht nur Länderpolizeien das weiterhin
dürfen, was sie bereits bisher durften, sondern dass dies
auch das Bundeskriminalamt darf? Um nicht mehr und
nicht weniger geht es nämlich. Einen Popanz muss man
dabei nicht aufbauen.
Herr Kollege Hartmann, es tut mir leid, aber den Popanz bauen andere auf. Das BKA war bisher handlungsund aktionsfähig. Sie werden sich daran erinnern, dass
nach dem 11. September in Hamburg, sofort nachdem
der Verdacht aufkam, dass sich eine Hamburger Zelle
gebildet haben könnte, BKA-Beamte unter Anleitung
der Generalbundesanwaltschaft vor Ort waren und dort
ermittelt haben. Möglicherweise werden Sie sich auch
daran erinnern, dass wir schon zu Zeiten der Roten Armee Fraktion durch Palästinenser und andere dem internationalen Terrorismus ausgesetzt waren, der sogar in
München zugeschlagen hat.
Das ist also nicht so neu, wie Sie es behaupten. Wir
waren immer gut aufgestellt in der Hierarchie Generalbundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt. Die Federführung lag aber bei der Generalbundesanwaltschaft.
Das wird jetzt auf den Kopf gestellt. Sie legen die von
Ihnen so gehasste sogenannte Knechtrolle ab.
Deshalb habe ich gestern gesagt, Binninger triumphiere, weil er glaubt, die Polizei wird nun der Chef. Das
sieht er nicht so falsch. Auf der BKA-Jahrestagung, die
heute eröffnet wird, an der wir aber nicht teilnehmen
können, weil wir hier sind, werden heute Abend die
Sektkorken knallen - das sage ich Ihnen voraus -, weil
die Polizei heute an das Ziel ihrer Wünsche kommt.
({0})
- Ich habe das gar nicht bewertet.
Herr Kollege Wieland, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Ich halte das immer mit der Sesamstraße: Wieso weshalb warum, wer nicht fragt bleibt dumm. - Bitte schön,
Herr Kollege Wiefelspütz.
({0})
Herr Kollege Wieland, bitte schauen Sie mir in die
Augen.
({0})
Herr Kollege, ich bin hier zu manchem verpflichtet,
aber dazu nicht. So weit geht es nun wirklich nicht.
({0})
Herr Wieland, haben Sie sich eigentlich einmal gefragt, warum das Bundeskriminalamt seit vielen Jahrzehnten Terrorismus bekämpfen und verfolgen darf - im
Übrigen sehr erfolgreich -, wenn es entsprechende terroristische Straftaten gegeben hat? Welchen Sinn macht es
eigentlich, dass das Bundeskriminalamt zwar repressiv
tätig werden kann, also Täter verfolgen darf - Stichwort
Terrorismus -, aber nicht bei der Gefahrenabwehr tätig
sein darf, Herr Wieland?
Ich antworte Ihnen gerne: weil diese neuen Kompetenzen nicht notwendig sind.
({0})
Gerade im Bereich des Terrorismus - das wurde uns immer gesagt und ist mit Blick auf § 129, Bildung krimineller Vereinigungen, und § 129 a, Bildung terroristischer Vereinigungen, des Strafgesetzbuches nicht ganz
falsch - gibt es eine sogenannte präventive Komponente.
Das heißt, wenn sich eine terroristische Vereinigung im
Ausland gebildet hat, beispielsweise al-Qaida, dann sind
deren Straftaten bei uns unter Strafe gestellt.
Alle, die sich in diesem Umfeld organisieren und bei
uns einreisen, können mit den Mitteln der Strafverfolgung bekämpft und verfolgt werden. Das passiert doch
heute schon. Malen Sie doch nicht ein Bild, als ob wir
gezwungen gewesen wären, untätig zu sein! Malen Sie
doch nicht ein Bild, als ob der Rechtsstaat dem internationalen Terrorismus schutzlos ausgeliefert gewesen
wäre!
({1})
Das Gegenteil ist richtig.
({2})
Wir waren mit unseren dezentralen Strukturen erfolgreich, aber Sie sind gerade dabei, sie zu zerschlagen.
({3})
Sie werden sich noch wundern, welche Sicherheitslücken dadurch entstehen. Die Bürgerrechte sind dabei nur
ein Aspekt. Es ist auch die völlig falsche Sicherheitsphilosophie, die Sie zugrunde legen, Herr Kollege.
({4})
- Wer schreit, hat unrecht, Herr Körper.
({5})
Dieses Temperament hätten Sie vorhin bei Ihrer Rede
zeigen sollen. Da habe ich es allerdings vermisst.
({6})
Hier geschieht, was alte Polizeistrategen - ich erinnere mich an Herrn Stümper in Baden-Württemberg; ich
erinnere mich an Horst Herold, den früheren Präsidenten
des BKA - immer gefordert haben: eine Entfesselung
der Polizei, eine Entgrenzung bei der Polizeiarbeit. Voraussetzung für die Eingriffsbefugnis ist nur noch die
Gefahr aufgrund des internationalen Terrorismus. Ohne
Schwarzseher zu sein, kann man sagen: Diese Gefahr
werden wir in den nächsten 20 Jahren leider immer haben. Das heißt, wir werden immer eine Zuständigkeit des
BKA haben.
Heute Morgen hat der Herr Bundesinnenminister im
Info-Radio gesagt, dass die Maßnahmen nichts Neues
sind, dass es das Telefonabhören seit 100 Jahren gibt
- ich weiß nicht, ob es stimmt; aber es kann sein, dass es
schon so lange möglich ist - und dass die Länderpolizeien die anderen Befugnisse seit 50 Jahren haben. Da
frage ich mich, ob schon vor 50 Jahren IMSI-Catcher bekannt waren und Onlinedurchsuchungen durchgeführt
wurden.
Was der Innenminister suggerieren will, ist falsch. Er
will nämlich suggerieren, dass hier gar nichts Neues entsteht. Aber es entsteht in der Qualität etwas Neues. Die
Länderpolizeien haben in extremen Ausnahmefällen wie
Geiselnahmen von diesen Befugnissen Gebrauch gemacht. Hier wird aber aus der Ausnahme die Regel. Das
BKA wird gezwungen sein - es wird entsprechend handeln -, diese ganze Palette der Maßnahmen einzusetzen,
({7})
weil es die alleinige Zuständigkeit für die Terrorismusabwehr bekommt und ohne diese Maßnahmen seine
Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Signal in Richtung der
Länder wird sein, dass der Bund das jetzt macht. Dies ist
ein verheerendes Signal mit Blick auf die Bereiche, in
denen es Mängel gibt. In Kiel hat der Landesverfassungsschutz die Gefahr durch die Kofferbomber nicht
erkannt. Dort kommt das Signal an, dass Gefahrenabwehr in Zukunft Bundessache ist. Dadurch werden wir
vor Ort sozusagen blinder. Das ist die völlig falsche Zentralisierungstendenz, die sich in diesem Gesetz wiederfindet.
({8})
Von dem sogenannten Kompromiss - die Kollegin
Piltz hat es bereits gesagt - ist herzlich wenig zu halten.
Nachdem Sie so lange auf die Entscheidung zur Onlinedurchsuchung gewartet haben - das war ja richtig -,
hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie diese Entscheidung wenigstens eins zu eins umsetzen. Diese Notwendigkeit hat Ihnen der Sachverständige Geiger sehr deutlich nahegelegt. Wenn man im Gesetz ausführt, dass eine
Maßnahme nur dann nicht ausgeführt werden darf, wenn
zu erwarten ist, dass dadurch allein Daten aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erfasst werden,
dann wird diese Schranke wirkungslos. Denn es werden
in der Regel Mischformen sein. Es werden in der Regel
höchst private und höchst banale Dinge nebeneinander
auf der Festplatte zu finden sein. Sie halten aber an dem
Wort „alleine“ fest.
Sie haben gesagt, dass es eine geniale und großartige
Kontrollmethode ist, wenn zu den beiden BKA-Beamten, die wohl ein Ermittlungsinteresse und einen Jagdinstinkt im positiven Sinne haben, die etwas herausbekommen und weiterkommen wollen, der hauseigene
Datenschutzbeauftragte hinzutritt. Dazu sage ich Ihnen:
Kein Mensch kann sich selber kontrollieren. Diesen
Menschen müssten Sie noch erfinden; den müssten Sie
noch zeigen. Das wird vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben.
({9})
Abschließend: Von der Richterin am Bundesverfassungsgericht Frau Hohmann-Dennhardt stammt der
Satz: Es gibt nicht nur die Sicherheit durch den Staat. Es
gibt auch die Sicherheit vor dem Staat. - Diese Sicherheit vor dem Staat treten Sie leider mit diesem Gesetz
hin zu einem allgegenwärtigen, allzuständigen BKA mit
Füßen.
({10})
Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, hat das Wort von der permanenten
verfassungsgerichtlichen Nachhilfe geprägt. Als Fraktion sehen wir uns gezwungen, um diese Nachhilfe in
Karlsruhe nachzusuchen. An Ihrer Lernfähigkeit bestehen nach dieser Debatte gewisse Zweifel. Aber hier gilt
der alte Satz: Wer nicht hören will, muss fühlen. Sie werden das zur Kenntnis nehmen müssen.
({11})
Wo wir als Opposition es nicht geschafft haben, Sie zu
überzeugen, wird es dann das Wort der Richterinnen und
Richter aus Karlsruhe tun.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freiheitsrechte, die unser Grundgesetz verbürgt, bedürfen
des Schutzes durch den Rechtsstaat, durch den freiheitlich verfassten Staat. Sie sind, wie wir es übrigens gerade auf den Finanzmärkten erleben, ohne Ordnung,
ohne Regeln, ohne Gesetze nicht garantiert. Deswegen
ist es notwendig, dass der freiheitlich verfasste Rechtsstaat die Grundrechte schützt.
Die Polizei hat im Zusammenhang mit Straftaten im
Grunde zwei Aufgaben: Die eine ist, wenn der Verdacht
besteht, dass eine Straftat begangen worden ist, unter der
Verantwortung der Staatsanwaltschaft die Aufklärung
von Straftaten zu verfolgen. Das ist die repressive Aufgabe. Sie hat zum anderen die Aufgabe, wenn möglich
Straftaten zu verhindern. Das ist die präventive Aufgabe.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen in seiner Entscheidung zum nordrhein-westfälischen Landesverfassungsschutzgesetz gesagt, die Aufgabe, Straftaten,
Anschläge und Gefahren zu verhindern, sei noch höherwertiger als die Verfolgung von begangenen Straftaten.
Das ist ohne Weiteres einleuchtend; denn es ist ja wichtiger, dass gar nichts passiert. Gegen Selbstmordattentäter
zum Beispiel hilft die Strafverfolgung relativ wenig.
Deswegen müssen wir versuchen, schwere Straftaten zu
verhindern. Das ist ein polizeilicher Auftrag.
({0})
Diese Aufgabe ist nach der Ordnung des Grundgesetzes - mit kleinen grenzpolizeilichen Ausnahmen - bisher Sache der Polizeien der Bundesländer.
({1})
- Das mag sein. Alles, was im Grundgesetz steht, steht
dort aus gutem Grund. Aber wenn das im Grundgesetz
aus gutem Grund so ist, wie es ist, Herr Kollege
Ströbele, dann ist auch die jetzige Fassung des Grundgesetzes aus gutem Grund so, wie sie ist.
Man hat dort gesagt: Wegen der besonderen Schwere
der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus,
({2})
weil es dabei immer um internationale Zusammenarbeit
geht, also in der Regel länderübergreifend, soll das Bundeskriminalamt abweichend von der bisherigen Ordnung
eine Gefahrenabwehrbefugnis für diese und für keine andere Gefahr bekommen. Das müssen wir gesetzlich
umsetzen - nicht mehr und nicht weniger.
({3})
Die Diffamierungskampagne, die daraus abgeleitet wird,
ist diesem freiheitlichen Verfassungsstaat nicht angemessen.
Das, was Sie zur Entfesselung gesagt haben - ich
habe Ihnen sehr genau zugehört - ({4})
- Ja, Sie sind einer. Wenn ich Sie sehe und Ihre Rede
höre, fällt es mir ein.
({5})
Jetzt will ich Ihnen sagen: Das, was Sie zur Entfesselung der Polizei und des Bundeskriminalamtes gesagt
haben, ist eine Beleidigung aller Landespolizeien; denn
sie haben über 50 Jahre ihre Aufgaben im Rahmen der
gesetzlichen Befugnisse erfüllt.
({6})
Ich weise Ihre Aussage zurück. Wegen dieser Aussage
bin ich unfreundlicher zu Ihnen, als ich es normalerweise bin.
({7})
- Nein, den Landespolizeien wird überhaupt nichts weggenommen, Herr Kollege Ströbele. Das ist wiederum die
Unwahrheit, so, wie es eine Unwahrheit ist, Frau Kollegin Jelpke, zu behaupten, das heimliche Betreten von
Wohnungen sei in dem Gesetzentwurf geregelt. Das ist
ausdrücklich nicht geregelt.
({8})
Den Ländern werden keine Zuständigkeiten weggenommen; es bleibt bei den Zuständigkeiten der Länder. Die
Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes kommt hinzu;
wir setzen das um, nicht mehr und nicht weniger. Das ist
der Auftrag des Verfassungsgebers; das muss geschehen.
Das Bundeskriminalamt bekommt keine neuen Befugnisse. Es ist nicht wahr, dass ein „Sammelsurium“
oder dergleichen entsteht. Wenn wir im Jahr 2008 ein
Gesetz machen, dann berücksichtigen wir natürlich die
Erfahrungen, die man seit 1949 oder 1950 in den Bundesländern gesammelt hat, und die bisherige Rechtsprechung, nicht mehr und nicht weniger. Im Übrigen ist die
Verhinderung eines Fahrraddiebstahls, für den Sie, Herr
Kollege Ströbele, schon einmal Videoüberwachung eingesetzt haben wollten, nicht wichtiger als die Abwehr
der Gefahren des internationalen Terrorismus.
({9})
Das Bundeskriminalamt muss ebenfalls die Befugnisse
erhalten, über die die Landespolizeien verfügen, wenn es
diese Aufgabe wahrnehmen soll.
In die jüngere Vergangenheit fällt auch - Kollege
Körper hat es beschrieben - die Entwicklung der neuen
Kommunikationstechnologien. Wenn die Polizeien
Straftaten verhindern sollen, dann müssen sie versuchen,
in Kommunikationsvorgänge, die Straftaten immer vorhergehen, einzudringen. Das macht übrigens nur Sinn,
wenn man es heimlich macht; bei der Strafverfolgung ist
das nicht notwendig, bei der Gefahrenabwehr schon. Das
geht übrigens immer nur aufgrund richterlicher Entscheidung, und zwar in jedem Einzelfall.
Es wird eine Verfälschung unseres rechtsstaatlichen
Systems zur Verunsicherung der Bevölkerung betrieben;
das ist unverantwortlich und wirklich nicht angemessen.
({10})
Nun ist eine neue Informationstechnologie entstanden. Es war bisher schon möglich, den Telefonverkehr
unter engen Voraussetzungen aufgrund richterlicher Entscheidung zu überwachen.
({11})
- Wir reden von Gefahrenabwehr; wir reden nicht von
Strafverfolgung. Wir reden nicht von Repression, sondern von Prävention. - Das ist selbstverständlich bisher
schon rechtens, immer unter engen Begrenzungen,
ebenso Eingriffe in das Briefgeheimnis, in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Nun hat man, als die neue
Technologie entstanden war, gesagt: Wir machen das in
analoger Anwendung der Gesetze zur Überwachung des
Telefonverkehrs. Das ist eine Entscheidung, die ich nicht
kritisiert habe. Das war die frühere Bundesregierung;
das ist in Ordnung.
Dann hat der Bundesgerichtshof während der Vorbereitung des Entwurfs des BKA-Gesetzes gesagt: Das ist
zwar keineswegs verboten, aber ihr braucht dafür eine
eigene gesetzliche Grundlage, nicht mehr und nicht weniger. Wir schaffen also keine neuen Befugnisse, sondern wir reagieren auf neue technologische Entwicklungen, mit dem Ziel der Bewahrung unserer Grundrechte
durch den freiheitlichen Verfassungsstaat.
({12})
Dies geht in jedem Einzelfall nur durch richterliche
Entscheidung. Deswegen bin ich völlig beruhigt. Natürlich soll das durch das Verfassungsgericht überprüft werden. Es gehört zu den großen Verbürgungen unserer
Freiheitsrechte, dass alles, was verfassungsrechtlich bezweifelt wird, unter den Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - ob die Klage zulässig ist überprüft werden kann. Dem sehe ich mit großer Gelassenheit und Sicherheit entgegen, weil das Gesetz genau
der Systematik unseres Grundgesetzes entspricht.
Meine Bitte nach langen Beratungen, die wir uns
nicht leichtgemacht haben: Hören wir auf, unseren freiheitlichen Verfassungsstaat in einer Weise zu diffamieren, die bei jungen Menschen bewirkt, dass sie glauben,
es entstünde so etwas wie die Stasi. Das Gegenteil ist der
Fall.
({13})
Wir verteidigen die Freiheitsrechte. Das geht nicht ohne
den Verfassungsstaat und seine Befugnisse.
Ich möchte auch nicht, dass Polizeien, Nachrichtendienste oder wer auch immer in Grauzonen handeln.
Deswegen brauchen sie klare rechtliche Grundlagen.
Grundrechte sind geschützt; sie müssen durch den Staat
geschützt werden. In grundrechtlich geschützte Bereiche
kann nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Ein solcher Eingriff muss im Einzelfall möglich sein.
Das Gesetz muss die Voraussetzungen genau regeln. Im
Zweifelsfall wird ein unabhängiger Richter zu entscheiden haben. So ist es beim Haftbefehl und bei der Wohnungsdurchsuchung. Nicht anders ist es bei der Telefonkontrolle, und nicht anders ist es bei der Onlinekontrolle.
Dieses System bleibt. Deswegen ist das kein Angriff auf
den Rechtsstaat, sondern ein Gesetz zur Verteidigung
des Rechtsstaats und zur Wahrung der Sicherheit und der
Freiheit.
({14})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten aufpassen. Alle Länder werden entsprechende Gesetze machen. Sie werden diese Befugnisse alle brauchen. Bayern
hat es.
({15})
Die bayerische Landesvorsitzende der FDP hat richtigerweise eine entsprechende Koalitionsvereinbarung unterschrieben.
Sie sollten dem Bundeskriminalamt nicht weniger
Befugnisse zur Gefahrenabwehr geben als jede Landespolizei braucht - nicht mehr und nicht weniger.
({16})
Wir sollten sagen: Mit diesem Gesetz zeigen wir, dass
wir die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ernst nehmen. Man muss nicht übertreiben, aber sie
ist nach wie vor vorhanden; alle Experten sagen das. Wir
sind bisher verschont geblieben, Gott sei Dank. Wir haben Glück gehabt. Wir haben aufmerksame Sicherheitsbehörden. Wir sollten tun, was wir können, und nicht zur
Hysterie neigen. Aber wir sollten aufhören, unseren freiheitlichen Verfassungsstaat und die Organe, die zu seinem Schutz da sind, zu diffamieren. Wir säen damit etwas, was Freiheit und Recht in unserem Land nicht
sicherer und nicht stabiler macht. Im Übrigen sollten wir
sehen, dass jede Freiheitsordnung des Schutzes bedarf.
Das haben uns gerade die Erfahrungen der letzten Wochen gezeigt.
Unsere Polizeien, das Bundeskriminalamt und alle
unsere rechtsstaatlichen Institutionen verdienen Vertrauen. Wir schützen die Freiheit. Freiheit und Sicherheit
sind kein Gegensatz, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Dieses Gesetz wird dem gerecht.
Herzlichen Dank.
({17})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Max
Stadler das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Im Zuge einer streitigen Debatte ist es sicherlich
richtig, auch auf Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Herr
Minister, selbstverständlich wissen auch wir um die terroristische Bedrohung. Selbstverständlich ist auch uns
der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren durch den
Terrorismus ein Anliegen.
Der Streit dreht sich um die Methoden. Da wird es allerdings sehr prinzipiell; denn wir sagen: Der Rechtsstaat, so wie er sich bei uns über Jahrzehnte hinweg unter Geltung des Grundgesetzes entwickelt hat, ist stark
genug, um die Gefahren abzuwehren. Wir brauchen
keine Eingriffe in die Strukturen und Institutionen des
Rechtsstaates. Herr Minister, das ist der entscheidende
Punkt der Auseinandersetzung. Aufgrund vieler Äußerungen von Ihnen, Herr Schäuble, wissen wir, dass Sie
die Sorge haben, dass die überkommenen Institutionen,
die Sicherheitsbehörden, so wie sie konzipiert sind, und
die rechtlichen Befugnisse nicht ausreichen. Das ist Ihre
Sorge, die Sie oft zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben nicht zuletzt deswegen gesagt, dass es in der sicherheitspolitischen Debatte keine Tabus geben dürfe.
Wir greifen Ihre Grundhaltung auf und schauen, was
davon in den Entwurf des BKA-Gesetzes, der uns heute
vorliegt, eingeflossen ist. Wir stellen fest: Es handelt
sich eben nicht um den Entwurf eines normalen Polizeigesetzes. Es trifft den Kern der Auseinandersetzung
nicht, wenn man sagt: Da ist nur aufgeschrieben worden,
was in den Länderpolizeigesetzen sowieso schon steht,
und jetzt darf das Bundeskriminalamt das, was jeder
Dorfpolizist darf. Tatsächlich verlassen Sie mit diesem
Gesetzentwurf bewährte Strukturen des Polizeirechts.
({0})
Es gibt jetzt Eingriffe in die Befugnisse der Länder. Es
gibt jetzt Tätigkeiten des Bundeskriminalamts, die nicht
mehr durch den Generalbundesanwalt überwacht werden. Das Bundeskriminalamt kann als Polizeibehörde
geheimdienstähnliche Methoden anwenden.
Der Sachverständige Professor Geiger hat in der Anhörung darüber gesprochen. Er hat gesagt: Wenn geheimdienstliche Methoden zum Alltag der Polizeiarbeit
werden, dann ist das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizeien verletzt. Sie führen so
tiefe Eingriffe ein, wie es in keinem Polizeigesetz in dieser Massivität bisher der Fall war. Beispiel: heimliche
Onlinedurchsuchungen. Sie sagten hier in Ihrer Rede zu
Recht, dass dann immer ein unabhängiger Richter entscheiden muss. Warum steht das dann anders in Ihrem
Gesetzentwurf?
({1})
Sie haben für den Eilfall vorgesehen, dass es zunächst
keiner richterlichen Entscheidung bedarf.
({2})
Das ist ein rechtsstaatlicher Sündenfall, der völlig unerträglich ist, weil es diesen Eilfall im Handyzeitalter gar
nicht geben darf. Justiz kann so organisiert werden, dass
immer ein Richter zu erreichen ist, der eine Entscheidung trifft. Das ist auch die Auffassung des Deutschen
Richterbundes.
({3})
Ich sage am Schluss meiner kurzen Rede noch: Da,
wo Sie Neuland hätten beschreiten können, haben Sie es
nicht getan.
({4})
Sie hätten die Gelegenheit gehabt, in diesem Gesetzentwurf einen gleichwertigen Schutz für alle Berufsgeheimnisträger vorzusehen. Anwälte, Journalisten und Ärzte
hätten Sie mit Strafverteidigern und Abgeordneten
gleichstellen können. Sie haben es nicht getan. Sie haben
nicht den neuen Weg beschritten, eine parlamentarische
Kontrolle vorzusehen, wenn schon der Generalbundesanwalt nicht mehr die Aufsicht und Kontrolle hat.
Kollege Stadler, Sie haben zu Recht den Schluss Ihrer
Rede angekündigt.
Ja, ich komme zum Schluss. - Sie hatten nicht die
Fantasie, aus der Sachverständigenanhörung Anregungen neuerer Art aufzugreifen, zum Beispiel die von Professor Geiger, der einen Bürgeranwalt vorgeschlagen
hat. Wenn immer mehr Menschen heimlich überwacht
werden - Sie selber haben ja gesagt, das müsse heimlich
geschehen -, dann müssen die Kontrolle und der Schutz
aber auch damit Schritt halten.
Dieses Gesetz ist kein normales Polizeigesetz. Es ist
ein weiterer Schritt in einen ausufernden Präventionsstaat. Das ist die Wahrheit.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Frank
Hofmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines BKA-Gesetzes, den wir heute vorlegen, wird nach seiner Verabschiedung das modernste und rechtsstaatlich anspruchsvollste Polizeigesetz der Bundesrepublik.
({0})
Das gesamte polizeiliche Instrumentarium, das zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus notwendig
ist, haben wir in diesem Gesetzentwurf abgebildet. Dies
umfasst - und es bleibt dabei - die bekannten und bewährten polizeilichen Standardbefugnisse wie die Vorladung und erkennungsdienstliche Maßnahmen. In allen
Polizeigesetzen der Länder sind diese klassischen Polizeibefugnisse seit Jahrzehnten festgeschrieben.
({1})
Auch in den Bundesländern, in denen FDP, Grüne und
die sogenannte Linke an der Regierung beteiligt sind, ist
kein Wort der Kritik von Ihrer Seite zu hören. Nur im
Bund sollen die gleichen Maßnahmen plötzlich Teufelszeug sein. Das ist beim besten Willen nicht nachvollziehbar.
({2})
Schauen wir einmal auf die Rasterfahndung.
({3})
Das ist ein Instrument, das enthalten ist. Dass es sie in
Hamburg nicht gibt, ist der Größe des kleinen Landes
Hamburg geschuldet.
({4})
Die großen Bundesländer haben die Rasterfahndung in
ihrem jeweiligen Polizeigesetz. Schauen Sie in die StPO.
Dann stellen Sie fest, dass es dort eine Eilfallregelung
gibt. Laut dieser Regelung ordnet im Eilfall der Staatsanwalt an, nicht der Richter. Was haben wir beim Entwurf des BKA-Gesetzes gemacht? Laut unserem Entwurf darf die Rasterfahndung nur durchgeführt werden,
wenn diese vorher von einem Richter angeordnet wird.
Zusätzlich wird ausschließlich nur im Rahmen dieses
BKA-Gesetzes die Rasterfahndung nach fünf Jahren
durch einen unabhängigen Wissenschaftler evaluiert.
Von daher lag auch Frau Jelpke falsch, die gesagt hat,
das werde von der Bundesregierung gemacht. Nein, es
wird von einem unabhängigen Wissenschaftler evaluiert.
({5})
Ebenfalls im Entwurf des BKA-Gesetzes ist die
Onlinedurchsuchung enthalten, auf die das gesamte Gesetz in den Medien und von Teilen der Opposition häufig
reduziert wird. Die Onlinedurchsuchung ist kriminalistisch geboten, sagen uns die Fachleute, und zwar überzeugend.
({6})
Sie ist verfassungsrechtlich in engen Grenzen erlaubt,
urteilt das Bundesverfassungsgericht.
({7})
Weshalb sollten wir die Onlinedurchsuchung nicht in
diesen Gesetzentwurf aufnehmen?
Es ist richtig, dass die CDU/CSU uns, der SPD-Fraktion, nicht jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hat.
({8})
Wir haben die Einschaltung eines Richters bei der Onlinedurchsuchung immer befürwortet. Aber der Idee, zuerst
Frank Hofmann ({9})
einen unabhängigen Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes einzuschalten, konnten wir uns nicht
verschließen. Denn nach dem Datenschutzbeauftragten
des Bundeskriminalamtes kann nun auch der Bundesdatenschutzbeauftragte, Herr Schaar, kontrollieren. Wenn
es schon so sein muss, dass man den Kernbereich erst im
Nachhinein prüft, gibt es nun zumindest zwei Kontrollinstanzen:
({10})
den Richter und später noch den Datenschutzbeauftragten des Bundes. Das ist ein Vorteil. Wir halten es für
richtig, das so zu regeln.
Ebenso wie bei der Rasterfahndung sagen wir auch an
dieser Stelle: Wir wollen dieses neue Instrumentarium
evaluieren.
({11})
Hinzu kommt, dass diese Maßnahme befristet ist. Es war
nicht unser Wunsch, die Befristung bis zum Jahre 2020
vorzusehen. Aber ich sage: lieber eine Befristung auf
zwölf Jahre als keine Befristung.
Was den Eilfall angeht, möchte ich diejenigen von Ihnen, die Mitglied des Innenausschusses sind, daran erinnern, dass uns hierzu zusätzliche Protokollnotizen vorliegen, sodass für jeden klar sein muss, dass die
Eilfallregelung eine Ausnahme im Einzelfall sein kann.
Wir fordern, dass es in jedem Bundesland, in dem das
BKA einen Sitz hat, eine Selbstverständlichkeit ist, dass
genug Ermittlungsrichter erreichbar sind. Ich erinnere
daran, dass sich die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen, als der Umzug des BKA nach Berlin anstand, dafür starkgemacht haben, dass dieser Umzug nicht stattfindet. Vor diesem Hintergrund erwarten wir aber auch,
dass die Ermittlungsrichter in diesen Ländern auch sonnund feiertags Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Ich
denke, das ist notwendig.
({12})
Es wird immer wieder kritisiert, dass dadurch, dass
das BKA solche Maßnahmen vornimmt, eine neue Qualität geschaffen werde. Die Rasterfahndung ist seit Jahr
und Tag in der Strafprozessordnung geregelt. Bisher
führte das Bundeskriminalamt ganze zwei Rasterfahndungen durch. Ich wiederhole: ganze zwei Rasterfahndungen.
({13})
Zu sagen, dieses Gesetz würde in Zukunft ständig angewendet und missbraucht, ist falsch.
({14})
Außerdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die
Wohnraumüberwachung ist seit 2001 geregelt. Wenn
hier vorgetragen wird, das BKA müsse jetzt jedes Jahr
mindestens 50 oder 100 Mal zuschlagen, sage ich: Nein!
Zwischen 2001 und 2007 wurden vom BKA ganze sieben Wohnraumüberwachungen durchgeführt. Da kann
man nicht sagen, dass aufgrund der neuen Quantität, die
dadurch entsteht, dass das BKA eine solche Maßnahme
durchführen darf, eine neue Qualität erreicht wird.
({15})
Das ist völlig neben der Sache.
({16})
Jetzt möchte ich noch etwas zum Argument der Entmachtung der Staatsanwaltschaften sagen; auch das wird
ständig von euch angeführt.
({17})
Sie kritisieren, die Staatsanwaltschaften würden die
Sachherrschaft in den Terrorverfahren verlieren. Das ist
falsch.
({18})
Die Doppelzuständigkeit der Polizei, auf der einen
Seite Gefahren abzuwehren und auf der anderen Seite
Strafverfolgung zu betreiben, ist täglich Brot.
({19})
Die Landeskriminalämter tun dies auch im Terrorismusbereich seit Jahr und Tag. Wer hat aufseiten der Länder
bisher von einer Entmachtung der Staatsanwaltschaften
gesprochen? Niemand!
({20})
Hier schießen Sie weit über das Ziel hinaus.
Das Gleiche gilt für Polizei und Geheimdienste. Die
heimlichen Ermittlungsmethoden werden von den Landeskriminalämtern schon seit langer Zeit praktiziert. Wer
hat dort bisher gefordert, dass an dieser Stelle zusätzliche parlamentarische Kontrollen notwendig sind? Niemand!
({21})
Wird das von den Grünen, der FDP oder den Linken
dort, wo sie an einer Landesregierung beteiligt sind, gefordert? Nein, das fordern Sie nicht.
({22})
Wir legen einen guten Gesetzentwurf vor. Ich bin der
Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetz dazu beitragen, die Menschen gegenüber den Bedrohungen durch
den internationalen Terrorismus zu schützen. Gleichzeitig haben wir den Eingriffsbefugnissen Zügel angelegt,
die so eng sind, dass die Freiheitsrechte weiterhin gewahrt bleiben.
Kollege Hofmann, jetzt laufen Sie Gefahr, die
Freundschaft des Kollegen Wiefelspütz aufs Spiel zu
setzen; denn Sie sind schon in seiner Redezeit.
({0})
Letzter Satz. Wir haben also für den Eingriff so kurze
Zügel vorgesehen, dass die Freiheitsrechte weiterhin gewahrt und geschützt bleiben. Wir machen ein gutes Gesetz, und ich hoffe, dass wir damit auch helfen, dass wir
weiterhin vor terroristischen Anschlägen in Deutschland
geschützt bleiben.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jan
Korte das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte Ihnen noch einmal kurz etwas zu dem Thema
sagen, was sehr viele Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land bewegt, nämlich zu der Onlinedurchsuchung.
Weder in der Anhörung noch heute noch von der Regierungskoalition wurde nachgewiesen, warum sie eigentlich wirklich notwendig ist. Warum ist sie notwendig? Um im Kampf gegen den Terrorismus zu bestehen,
müsse man das machen.
({0})
Da wir keine Antwort bekommen haben, will ich die
Bundesregierung zitieren. In einer Kleinen Anfrage
wurde Folgendes gefragt - Zitat -:
Was ist nach Auffassung der Bundesregierung der
zusätzliche Nutzen der Online-Durchsuchung, der
nur durch dieses Instrumentarium, nicht aber mit
anderen Instrumenten erreicht werden kann?
Die Bundesregierung antwortete auf diese Kleine Anfrage - ich zitiere -:
Im Zuge von Online-Durchsuchungen können regelmäßig dieselben Erkenntnisse gewonnen werden
wie durch „offene“ Durchsuchungen und die Auswertung sichergestellter Computerdateien.
Das sagt selbst die Bundesregierung.
Deswegen geht es hier offensichtlich um etwas völlig
anderes. Es geht sozusagen um eine sicherheitspolitische
Vereinigung von Geheimdienst- und Polizeitätigkeiten
mit neuen Befugnissen wie der Onlinedurchsuchung.
Das lehnen wir strikt ab.
({1})
Wo liegt bei der Onlinedurchsuchung der eigentliche
Skandal? Um das den Zuhörerinnen und Zuhörern noch
einmal deutlich zu machen: Es ist ja schon in vielen
Debatten und von Gutachtern gesagt worden, was die
Menschen heute auf ihren Computern haben: E-Mails,
Liebesbriefe, Tagebücher, Steuererklärungen usw. usf.
Allein dadurch wird schon deutlich, wo das Problem
liegt.
Ein praktisches Beispiel aus der Politik: Wenn der
Kollege Uhl und der Kollege Wiefelspütz irgendwann in
Rente sind und sich dann E-Mails schreiben, in denen
steht, was sie in den letzten Jahren hier gemacht haben,
dann wäre es Herrn Schäuble oder wem auch immer bei
einem Verdacht im Prinzip möglich, das nachzuvollziehen.
({2})
Das ist nicht akzeptabel. Das ist ein zu tiefer Eingriff
und bringt überhaupt nichts, weil dieselben Erkenntnisse
auch jetzt schon auf anderem Wege gewonnen werden
können, wie die Bundesregierung selber sagt.
({3})
Wie so oft - wie auch bei der Vorratsdatenspeicherung - hat die SPD gesagt, dass sie das alles nicht mitmacht. Jetzt hat sie verkündet, dass sie einen enormen
Kompromiss erreicht und sich hinsichtlich der Bürgerrechte voll durchgesetzt hat.
({4})
Es wird erstens angeführt, dass eine Befristung bis 2020
erfolgt. Vielleicht erleben das hier ja einige noch. Zum
Zweiten - darauf ist heute mehrfach hingewiesen worden - wird gesagt, dass zwei BKA-Beamte und der
BKA-eigene Datenschutzbeauftragte, der angeblich unabhängig agieren soll, die Daten durchsehen werden. Es
sind also drei BKA-Beamte. Das ist wirklich eine ganz
tolle Überprüfung. Da kann man dann ja wirklich sehr
beruhigt sein. So geht es nicht. Das glaubt draußen ja
auch wirklich kein Mensch mehr.
Ich will noch eine Sache ansprechen, auf die auch
mehrfach hingewiesen worden ist, nämlich auf die
Frage, ob das jetzt verfassungsgerichtsfest ist oder nicht.
Das mag vielleicht sogar so sein. Ich habe, wie viele andere auch, erhebliche Zweifel daran. Für uns im Bundestag ist das aber überhaupt nicht die Kernfrage. Der Kernpunkt ist doch, dass nicht alles, was juristisch und
technisch möglich ist, auch gemacht werden muss.
({5})
Wir meinen: Das hier muss nicht gemacht werden, weil
das damit völlig aus dem Lot gerät.
({6})
Erst wenn man sich darüber im Klaren ist, was wir in
den letzten zwei Jahren hier beschlossen haben - Antiterrordatei, Vorratsdatenspeicherung; man bräuchte
20 Minuten Redezeit, um das alles aufzuzählen -, wird
deutlich, dass wir heute den endgültigen Dammbruch
hinsichtlich des Eingriffs in die Grund- und Freiheitsrechte erleben. Das ist mit uns nicht zu machen.
Ich möchte eine letzte Bitte an den Minister und insbesondere auch an die Law-and-Order-Fraktion stellen:
({7})
Sagen Sie uns doch einmal, welche Gesetze Sie noch erlassen wollen, damit die größtmögliche Sicherheit hergestellt wird, sodass wir uns einmal darauf vorbereiten
können, wo sich der Rubikon befindet, bei dem auch Sie
sagen, dass das jetzt doch etwas viel wird. Uns würde
einmal interessieren, wann das der Fall sein wird.
Da sich die Großkoalitionäre heute bei allen Möglichen bedankt haben - vor allem bei sich selber -, bedanke ich mich bei allen, die auf der Straße - das sind
zum Glück immer mehr - und hier im Parlament gegen
die Onlinedurchsuchung und dieses BKA-Gesetz aufgestanden sind. Das wird auch in Zukunft der Fall sein. So
einfach wie bisher kriegen Sie solche Vorhaben nämlich
nicht mehr durch. Daran arbeiten wir fleißig mit.
Vielen Dank.
({8})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Helmut Brandt.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Abwehr von Gefahren des internationalen
Terrorismus stellt unsere Sicherheitsbehörden vor eine
große Herausforderung. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten zu Recht von der Politik, dass alles getan wird, um Anschläge in unserem Land zu verhindern. Ich bin deshalb froh, dass wir heute nach langen
Diskussionen, einer Anhörung von Sachverständigen
und intensiven Beratungen innerhalb der Koalitionsfraktionen die dringend erforderliche gesetzliche Grundlage
hierfür schaffen und eine Schwachstelle im Sicherheitssystem schließen.
Ich stelle zunächst fest, dass bis auf die Fraktion Die
Linke alle Fraktionen darin übereinstimmen, dass wir
von dem weltweit agierenden Terrorismus unmittelbar
bedroht sind. Diese ganz offenkundige Erkenntnis wird
von der Linken ignoriert, die stattdessen in stereotyper
Wiederholung Anfragen an die Bundesregierung richtet,
welche konkreten Anhaltspunkte es für bevorstehende
Terroranschläge in Deutschland gibt. Die Blutspur des
Terrorismus, die sich durch alle Welt zieht, müsste auch
für die Linke ein Alarmzeichen darstellen. Auch Sie von
der Linken erinnere ich daran, dass Sie als Mitglied dieses Hauses für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Mitverantwortung tragen.
Noch schwerer verständlich ist die Haltung der Fraktion der FDP bzw. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
die die Gefahr durchaus sehen, jedoch nicht bereit sind,
die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zur Abwehr
der Gefahr mit zu beschließen. In der Öffentlichkeit ist
immer noch die Wahrnehmung verbreitet, dass - weil es
in Deutschland noch keinen so fürchterlichen Anschlag
wie in Spanien, Großbritannien oder gar wie in den USA
gegeben hat - die Bedrohung für uns nicht entsprechend
groß sei. Dies ist aber eine trügerische Ruhe; denn all die
Vorkommnisse weltweit und in Europa und schließlich
auch die fehlgeschlagenen Attentate in Deutschland zeigen, dass wir unmittelbar mit der Bedrohung leben und
uns hierauf einstellen müssen.
Nach der Änderung des Grundgesetzes in Art. 73
Abs. 1 Nr. 9 a haben wir mit dem jetzt zur Verabschiedung stehenden Gesetzentwurf die notwendige Grundlage geschaffen, dass das Bundeskriminalamt bereits im
Vorfeld eines terroristischen Anschlags tätig werden
kann. So viel Glück wie bisher haben wir beim nächsten
Mal vielleicht nicht. Die Notwendigkeit, in diesem Bereich das Bundeskriminalamt mit Präventionsaufgaben
zu betrauen, ergibt sich daraus, dass die Arbeitsweise der
Terroristen eine solche Konzentration gebietet. Die Gefahren des internationalen Terrorismus haben bislang unbekannte Herausforderungen für den Staat und seine Behörden geschaffen.
Die Kaltblütigkeit und der Fanatismus der bislang im
Ausland erfolgreich verübten Anschläge zeigen, dass
sich internationale Terroristen von unserem Strafrecht
nicht im Mindesten abschrecken lassen.
({0})
Durch das BKA-Gesetz haben wir endlich das rechtliche
Instrumentarium geschaffen, auch präventiv gegen den
internationalen Terrorismus vorzugehen. Die zentrale
Steuerung der Gefahrenabwehr durch das BKA ist für
eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus unabdingbar,
({1})
da wir ja gar nicht wissen - das hat die Vergangenheit
gezeigt -, in welchem Bundesland ein Anschlag geplant,
vorbereitet und durchgeführt wird. Auch für die Kooperation mit Polizeibehörden anderer Länder ist eine Bündelung der Kompetenzen beim BKA unabdingbar.
Ich komme auf den heute zu verabschiedenden Gesetzesentwurf zurück und möchte nicht versäumen, mich
bei den Mitarbeitern der beteiligten Ministerien ausdrücklich für ihre hervorragende Arbeit bei diesem Gesetzesvorhaben zu bedanken.
({2})
Dabei waren wir uns stets bewusst, dass wir mit der
Schaffung der neuen Eingriffsbefugnisse auch zu beachten haben, dass nicht unnötig in die Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird und dass die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
einzuhalten sind. In der öffentlichen Diskussion ist dabei
nicht immer deutlich geworden, dass - mit einer Ausnahme - praktisch alle Regelungen dieses Gesetzes bereits langjährig bestehende Standardregelungen für die
Landespolizeien darstellen. Eine Ausnahme gibt es lediglich bei der Schaffung des verdeckten Eingriffs in informationstechnische Systeme in § 20 k Bundeskriminalamtgesetz, der sogenannten Onlinedurchsuchung.
Wenn man die Diskussion in den letzten Monaten verfolgt hat, dann stellt man fest, dass sich offenbar dem unbefangenen Bürger der Eindruck aufdrängt, dass à la
George Orwell praktisch jeder von einer solchen Maßnahme betroffen sein kann; Sie haben diesen Eindruck
gerade noch einmal erwecken wollen, Herr Korte. Dabei
wurde leider zu selten deutlich gemacht, dass eine solche
Maßnahme dann und wirklich nur dann zulässig ist,
wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen,
dass eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit oder für
den Bestand des Staates besteht. Obwohl sich mithin die
sogenannte Onlinedurchsuchung ohnehin nur auf wenige
im Bereich des Terrorismus auffällig gewordene und
verdächtige Personen beziehen wird, haben wir mit einer
aufwendigen Regelung in § 20 k Abs. 7 dafür Sorge getragen, dass der notwendige Kernbereichsschutz gewährleistet ist. Dies geschieht in zwei Schritten. Im ersten Schritt muss ein Richter die Onlinedurchsuchung
anordnen. Die Onlinedurchsuchung unterliegt also einem sogenannten Richtervorbehalt, was die Opposition
noch immer bestreitet. Nach der Anordnung durch einen
Richter sollen zwei BKA-Beamte und der unabhängige
Datenschutzbeauftragte des BKA prüfen, ob der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verletzt wurde.
Damit haben wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts und den Ängsten der Bevölkerung vor einem unbefugten Eingriff des Staates in die Privatsphäre
des Einzelnen voll und ganz Rechnung getragen.
Weiterhin werden wir eine Evaluierung derjenigen
Vorschriften nach Ablauf von fünf Jahren vornehmen
lassen, die wirklich Neuregelungen darstellen. Hierbei
geht es um die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes
gegenüber den Landespolizeibehörden
Kollege Brandt, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
({0})
- ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin -,
die Rasterfahndung und die in § 20 k geregelte Onlinedurchsuchung.
Im Hinblick auf die Redezeit will ich zusammenfassend Folgendes feststellen: Wir haben mit dem Gesetz
zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt eine bestehende Lücke im Sicherheitssystem der Bundesrepublik Deutschland wirksam geschlossen. Der hohe Sicherheitsstandard
in unserem Land wird hierdurch optimiert. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes können sich weiterhin
darauf verlassen, dass vonseiten des Parlamentes wie der
Bundesregierung alles unternommen wird, dass wir auch
in Zukunft in Freiheit und Sicherheit in Deutschland leben können. Insoweit geht mein Appell noch einmal an
alle, heute dieser Verantwortung gerecht zu werden und
unserem Gesetzesvorhaben zuzustimmen.
Besten Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Mir will die Fragestunde des Deutschen Bundestages
Anfang Juni hier in diesem Parlament nicht aus dem
Kopf. Vor einem halben Jahr hat der Bundesminister des
Innern in der Fragestunde versucht, den Schwarzen Peter
seinen Kritikern zuzuschieben. Sie, Herr Dr. Schäuble,
haben fachkundigen Menschen vorgeworfen, die Bevölkerung durch ihre - aus meiner Sicht: durchaus berechtigte - Kritik zu verunsichern. Sie haben diesen Menschen sogar vorgeworfen, die Freiheit zu gefährden. Das
haben Sie in der heutigen Debatte wiederholt. Ich bleibe
bei meiner Feststellung: Sie sind es, der die Menschen in
diesem Land verunsichert.
Das Entsetzen über 9/11 hat die Angst in den Mittelpunkt gestellt, gerade die Angst, selbst Opfer eines Anschlags zu werden. Die Psychologie empfiehlt aber, über
Ängste zu reden. Haben wir eigentlich jemals über den
11. September 2001 geredet? Haben wir politisch diskutiert, was da vor gut sieben Jahren geschehen ist? Das
haben wir nicht. Der 11. September 2001 wurde zum Tabuthema, außer wenn es darum ging, neue Sicherheitsgesetze zu verabschieden und die Rechte der Bürgerinnen
und Bürger weiter auszuhöhlen. Dann diente er als dankenswerter Vorwand. Es hat weitere Anschläge gegeben,
viele Menschen mussten ihr Leben lassen. Da will ich
nichts verharmlosen. Unser Land war nicht unmittelbar
betroffen, aber die Angst war da. Politische Strategen
wie Sie, Herr Schäuble, haben diese Situation genutzt,
um den Überwachungsstaat weiter auszubauen. Die sogenannten Otto-Kataloge haben den allgemeinen Trend
der Angst noch bedienen können. Die Bilder der einstürzenden Twin Towers vor Augen, gab es nur wenig Proteste gegen die einschneidenden Beschränkungen der
Rechte von Bürgerinnen und Bürgern. Gut sieben Jahre
danach ist die Skepsis gestiegen, und das ist gut so.
Meine Redezeit lässt es nicht zu, alle Kritiker zu zitieren.
Ich beschränke mich auf den ehemaligen Präsidenten des
Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes, Hansjörg Geiger - Zitat -:
Dieses Gesetz bringt eine deutliche Veränderung
der Sicherheitsarchitektur in Deutschland. … Wie
schon der Verfassungsschutz wird auch das BKA
zunehmend im Vorfeld von Gefahren ermitteln.
Außerdem erhält das BKA immer mehr heimliche
Ermittlungsbefugnisse. Auch da droht ein Zuständigkeitskonflikt. Und der Betroffene kann sich
überhaupt nicht wehren, weil er von heimlichen
Maßnahmen ja nichts mitbekommt.
Meine Redezeit lässt es auch nicht zu, auf jede einzelne Maßnahme wie Schleier- und Rasterfahndung,
Onlinedurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung einzugehen.
({0})
Für einige Fragen muss aber Zeit bleiben: Brauchen wir
wirklich noch einen Geheimdienst? Mit diesem Gesetz
darf das Bundeskriminalamt alles, was dem Verfassungsschutz schon jetzt erlaubt ist. Der Unterschied ist
aber: Das BKA unterliegt keinerlei parlamentarischer
Kontrolle. Wollen wir wirklich, dass die Polizeiarbeit
künftig Bundessache wird und nicht mehr, wie bisher bewährt, Ländersache bleibt? Wer löscht wann aufgrund
welcher Kriterien Aufzeichnungen, die den Kernbereich
privater Lebensgestaltung betreffen? Wem obliegt die
Definition der sogenannten Eilkompetenz? Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt wenig Rücksicht auf den
Richtervorbehalt. Nach der richterlich angeordneten
Onlinedurchsuchung entscheiden zuerst BKA-Beamte,
dann ein Datenschutzbeauftragter des BKA und erst am
Ende ein Richter, ob der Kernbereich verletzt wurde.
Der Richter muss in einer so sensiblen Frage aber immer
die erste Entscheidung haben.
Wo beginnt die Privatsphäre? Das ist im Gesetz nicht
definiert. Was genau ist der Kernbereich privater Lebensführung? Was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht? Ich will nicht, dass das BKA heimlich Wohnungen durchsuchen und versteckte Kameras installieren
darf. Als über den Lauschangriff gestritten wurde, haben
Kritiker vor einem Spähangriff gewarnt. Dazu schreibt
die Süddeutsche Zeitung - ich zitiere -:
Als seinerzeit … Kritiker exakt davor warnten, davor also, dass dem Lauschangriff eines Tages der
Videoangriff folgen werde, wurden sie als Spinner
abgetan. Nun soll die Spinnerei Gesetz werden.
Was vorgestern als unmöglich und gestern noch als
unerhört galt, gilt heute als akzeptabel.
Auch heute gibt es wieder Spinner: die Bundesärztekammer, die Deutsche Polizeigewerkschaft, der Deutsche
Richterbund, der Verband der deutschen Internetwirtschaft, der Deutsche Anwaltverein und Reporter ohne
Grenzen. Sind das alles Spinner? Diese Organisationen
warnen mit Recht vor den Folgen des BKA-Gesetzes,
das ich, vor allem nach der BVG-Entscheidung zum
Computergrundrecht, für verfassungswidrig halte. Sie,
Herr Innenminister, setzen darauf, dass wir uns an solche
Eingriffe in die Grundrechte gewöhnen. Wir aber werden nicht zulassen, dass solche Gesetze zur Selbstverständlichkeit werden.
({1})
- Wir, das sind die Öffentlichkeit und die, die sich engagieren.
Vielen Dank.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mir sicher,
dass sowohl der Kollege Winkelmeier als auch jetzt
nachfolgend der Kollege Wiefelspütz hocherfreut sind,
dass Sie sich so zahlreich zu ihren Redebeiträgen versammelt haben, um danach an der namentlichen Abstimmung teilnehmen zu können. Ich finde aber, es gebietet
die Fairness, dass wir alle Rednerinnen und Redner hier
ausreden lassen und uns gegenseitig die Chance geben,
zu hören, was sie zu sagen haben. Ich bitte also darum,
bis zum Aufruf der Abstimmung die Gespräche, welche
dringend geführt werden müssen, vor dem Plenarsaal zu
führen und die entsprechende Aufmerksamkeit und
Ruhe herzustellen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Wiefelspütz für die SPDFraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bitte kein Mitleid: Endlich habe ich einmal das
angemessene Forum.
({0})
Wir alle hätten bei einem solch wichtigen Gesetz gern
hinreichend viele engagierte und interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer.
Das Gesetz, über das wir heute hier abschließend reden, ist das wichtigste Sicherheitsgesetz in dieser Wahlperiode. Ich bin froh, dass wir das in guter Ordnung zu
Ende gebracht haben. Es hat eine lange Geschichte; vier
Jahre sind es. Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben,
und ich bin der festen Überzeugung, dass sich das Ergebnis sehen lassen kann.
({1})
Der Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland ist
ein außerordentlich qualifizierter Rechtsstaat. Ich persönlich bin der Auffassung, Herr Wieland, es ist der qualifizierteste Rechtsstaat weltweit.
({2})
Das war vor diesem Gesetz so,
({3})
und das ist nach diesem Gesetz so. Daran haben sehr
viele mitgewirkt, in Grenzen sogar Sie, Herr Wieland.
Wir haben nach 1949 hier in Deutschland mit vielen
Beteiligten etwas Außerordentliches entwickelt: einen
hoch qualifizierten Rechtsstaat. Was das wirklich ist,
kann man beurteilen, wenn man die Realität in solchen
Ländern beobachtet, wo es so etwas nicht gibt. Der
Rechtsstaat hier in Deutschland ist eine großartige zivilisatorische Leistung, und man erträgt vielleicht sogar da
und dort, dass manche Menschen nicht begreifen, welche Qualität und welch großartige Sache dies ist.
Ich kenne kein Land dieser Welt, Frau LeutheusserSchnarrenberger, in dem der Grundrechtsschutz einen so
hohen Stellenwert wie in Deutschland hat. Kein Land
hat ein Verfassungsgericht von solcher Bedeutung wie in
unserem Land, kein Land kennt einen Art. 19 Abs. 4
Grundgesetz, der es jedem Bürger ermöglicht, Grundrechtseingriffe durch unabhängige Gerichte überprüfen
zu lassen.
({4})
Wir haben in 16 Ländern Deutschlands 16 Polizeigesetze mit Befugnissen zur Gefahrenabwehr und mit
Befugnissen zur Verbrechensverfolgung sowie mit präventiven und repressiven Zuständigkeiten. Jetzt verabschieden wir ein Gesetz, wonach es dem Bundeskriminalamt auf Bundesebene erlaubt ist, im Bereich von
Terrorismus nicht nur Strafverfolgung, sondern auch Gefahrenabwehr zu betreiben. Hier wird eine Lücke in unserer Sicherheitsarchitektur geschlossen.
({5})
Diese Architektur hat sich bewährt und wird weiterentwickelt, ohne dass sie auf den Kopf gestellt wird. Diese
Sicherheitsarchitektur Deutschlands - schreiben Sie bitte
mit, damit Sie etwas gelernt haben, Herr Wieland könnte man als kooperativen Sicherheitsföderalismus
umschreiben. Das bleibt auch so. 80 Prozent der Sicherheitsarbeit in Deutschland wird von den Ländern und
20 Prozent grosso modo vom Bund geleistet, und wir
machen es gemeinsam.
({6})
Das bleibt auch in Zukunft so. Ich habe nie verstanden,
warum im Bereich des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt zwar Verbrechen verfolgt
werden können, aber nicht die Gefahrenabwehr vorgenommen werden darf. Es war überfällig, dass wir diese
Lücke schließen.
({7})
Dieses Polizeigesetz hat in der Tat besondere Qualitäten. Wenn ich den Rednern der Opposition Glauben
schenken dürfte, dann dürften wir in Deutschland kein
einziges Polizeigesetz erlassen. Das sind Beiträge aus
der Opposition, die nicht aus Deutschland, sondern aus
Absurdistan stammen.
({8})
Das hat mit der Wirklichkeit dieses Landes doch überhaupt nichts zu tun.
({9})
Das BKA-Gesetz ist ein strikt rechtsstaatliches Gesetz
auf sehr hohem Niveau, und anders als vielleicht bei
dem einen oder anderen Landespolizeigesetz ist mit großer Akribie, mit sehr viel Mühe die strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur präventiven
Telefonüberwachung, zum großen Lauschangriff und natürlich auch im Bereich der Onlinedurchsuchung eingearbeitet worden.
Zu den besonderen Vorzügen unseres Landes gehört
auch, dass jeder, der der Auffassung ist, dass da irgendetwas nicht in Ordnung ist, das Bundesverfassungsgericht anrufen kann. Bitte schön! Wer sich ein blaues
Auge holen will, soll den Weg nach Karlsruhe wählen.
Auch das ist völlig in Ordnung. Wir werden in Demut
abwarten, was uns die Richterweisheit in Karlsruhe zu
sagen hat.
Lassen Sie mich noch etwas zur Onlinedurchsuchung
sagen. Herr Minister Schäuble hat zu Recht darauf hingewiesen: Verbrechen hat etwas mit Kommunikation zu
tun. Die Kommunikationstechnik hat sich massiv entwickelt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Lücke
zwischen den Sicherheitsbehörden, ihren Befugnissen,
ihren technischen Möglichkeiten und denjenigen, die
Hightechkommunikation zu verbrecherischen Zwecken
anwenden, eher größer als kleiner geworden ist. Man
muss sich doch damit auseinandersetzen, wie man damit
umzugehen hat.
Die Onlinedurchsuchung, wie wir sie im Gesetz ausgestaltet haben, ist strikt rechtsstaatlich; das, was uns von
Karlsruhe vorgegeben worden ist, ist millimetergenau
umgesetzt worden. Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
der Landesgesetzgeber in Bayern wird gut beraten sein,
abzuschreiben, was wir hier aufgeschrieben haben. Ich
bin einmal sehr gespannt, was bei Ihnen herauskommt.
Sie werden das Rad nicht neu erfinden, sondern vermutlich millimetergenau das abschreiben, was wir hier ent19852
wickelt und in den Gesetzgebungsberatungen auf dem
Gebiet des Kernbereichsschutzes noch einmal verbessert
haben.
An dem Beitrag von Herrn Korte fand ich einen Aspekt - ich hoffe, das schadet Ihnen nicht, Herr Korte intelligent.
({10})
Sie sagen: Ich wäre selbst dann gegen die Onlinedurchsuchung, wenn sie verfassungsgemäß wäre. Dazu muss
ich Ihnen sagen: Das finde ich fair. Diese Argumentation
verfolgt auch der eine oder andere in meiner Fraktion,
zum Beispiel mein Freund Jörg Tauss. Manchmal kann
man für seine Freunde nichts.
({11})
Er sagt: Verfassungsrecht hin oder her, ich will die
Onlinedurchsuchung nicht. - Ich bin anderer Auffassung, weil ich glaube, dass man diesen technischen
Entwicklungen Rechnung tragen muss. Aber dieses Argument respektiere ich. Wir sind bis heute ohne Onlinedurchsuchungen ausgekommen. Man kann die Auffassung vertreten: Wir kommen auch noch die nächsten
20 Jahre ohne Onlinedurchsuchungen aus, ohne dass die
Sicherheit in Deutschland zusammenbricht. Aber bleiben Sie dann, bitte schön, weiterhin so fair und intelligent, Herr Korte, und sagen Sie nicht: „Deutschland
wird Überwachungsstaat“, sondern: Auch wenn das verfassungskonform und mit dem Rechtsstaat vereinbar ist,
will ich die Onlinedurchsuchung nicht, weil ich sie für
überflüssig halte. - Dieses Argument respektiere ich,
auch wenn es nicht mein Argument ist. Diese Argumentation verfolgt auch der eine oder andere in meiner Fraktion.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz, das
unsere Sicherheitsarchitektur weiterentwickelt und einen
Beitrag zu Sicherheit und Freiheit in unserem Land ist.
Schönen Dank für das Zuhören.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
17 Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion
haben eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung
abgegeben.1) Wir nehmen diese zu Protokoll.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur
Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/10822, die genannten Gesetzentwürfe der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/9588
sowie der Bundesregierung auf Drucksache 16/10121 zu-
1) Anlagen 24 bis 26
sammenzuführen und als Entwurf eines Gesetzes zur
Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt in der Ausschussfassung
anzunehmen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich ent-
halten? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun auf Verlan-
gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über den
Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. - Ist dies überall der Fall? - Alle Schriftführe-
rinnen und Schriftführer sind an ihrem Platz.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für
den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/10851? Wer stimmt dagegen?
Wir wiederholen die Abstimmung, da das Präsidium
in der Feststellung des Abstimmungsergebnisses nicht
einig ist. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der
FDP-Fraktion? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag - mit einer
Stimme Mehrheit, wie wir hier vorne auszählend festgestellt haben - mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller,
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({0}), Birgitt
Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines
Registers über unzuverlässige Unternehmen
({1})
- Drucksache 16/9780 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Federführung strittig
2) Seite 19854 C
Vizepräsidentin Petra Pau
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen
Kolleginnen und Kollegen, welche sich noch auf dem
Weg nach draußen zu anderen wichtigen Beratungen befinden, dies zu beschleunigen, und alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die notwendige Aufmerksamkeit
für den ersten Redner herzustellen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans-Christian Ströbele.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt Gesetze, die wir nicht brauchen. Eines davon haben wir gerade eben behandelt. Es gibt aber auch Gesetze bzw. gesetzliche Regelungen, die bisher fehlen und
die wir ganz dringend brauchen. Wir brauchen vor allen
Dingen ausreichend Gesetze und Vorkehrungen gegen
Bestechung und Korruption im Land. Es gibt immer
wieder Fälle, wo wir feststellen, dass die derzeitigen Instrumente nicht ausreichen, um aus Deutschland ein
Land zu machen, in dem so etwas möglichst wenig vorkommt.
({0})
Wir haben hier einen Gesetzentwurf zur Einführung
eines Korruptionsregisters vorgelegt. Anhand dieses Registers sollen öffentliche Stellen, die Aufträge vergeben
wollen, feststellen können, welche von den Unternehmen, die sich nach der Ausschreibung eines Auftrages
auf diesen beworben haben, schon einmal als unzuverlässig aufgefallen sind, also etwa, weil sie Bestechung
betrieben haben, weil sie Geldwäsche betrieben haben,
weil sie Schwarzarbeit in erheblichem Umfang in ihren
Firmen zugelassen, befördert oder betrieben haben, weil
sie Bilanzfälschung oder Ähnliches betrieben haben. Ein
solches Register wollen wir auf Bundesebene schaffen,
damit sich bundesweit jede Bundesbehörde und jeder andere öffentliche Auftraggeber informieren kann, ob eine
bestimmte Firma schon einmal als unzuverlässige Firma
in Erscheinung getreten ist.
Dieser Gedanke ist jetzt von uns nicht neu in die Debatte gebracht worden. Vielmehr gibt es in zahlreichen
Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen,
Berlin, Baden-Württemberg oder Bayern, schon solche
Register. Aber auf Bundesebene gibt es das noch nicht.
Doch auch auf Bundesebene ist das kein ganz neuer
Gedanke. Ich richte mich jetzt insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir einmal die rotgrüne Koalition gebildet haben. In dieser haben wir im
Jahr 2002, unmittelbar vor der damaligen Bundestagswahl, schnell ein Gesetz zur Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters erarbeitet. Das haben wir im
Deutschen Bundestag in drei Lesungen behandelt und
verabschiedet. Aber dieses Gesetz ist nicht in Kraft getreten, weil der Bundesrat nicht mitgemacht hat und das
Gesetz da hängen geblieben ist.
({1})
Was vor sechs Jahren notwendig war - damals hat sich
zum Beispiel Herr Müntefering sehr intensiv darum gekümmert und dafür gesorgt, dass das noch vor der Bundestagswahl verabschiedet wurde -, das ist jetzt, sechs
Jahre später, noch notwendiger geworden, als es damals
schon war.
({2})
Der Hintergrund dafür, dass die Sozialdemokraten damals bereit waren, darüber zu reden, viele Stunden bei
Verhandlungen zu verbringen, um etwas Vernünftiges
zustande zu bringen, und das zu beschließen, war, dass
es damals in einigen Städten - ich nenne als Beispiele
Wuppertal und Köln - Korruptionsvorwürfe gegen Politiker gab. Darin sollten auch Sozialdemokraten verwickelt gewesen sein. Inzwischen gibt es dazu Urteile und
auch Verurteilungen. Damals hatte die SPD offenbar das
Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass so etwas in der Zukunft
auf keinen Fall vorkommt. Alle Politiker, gerade SPDPolitiker, in den Ländern, in den Kommunen, aber auch
auf Bundesebene sollten wissen können, welche Firmen
schon einmal unangenehm aufgefallen sind. Der Gesetzentwurf ist damals vor dem Hintergrund entstanden, dass
man eine Bundestagswahl gewinnen wollte. Das ist zwar
ein vernünftiger Grund; aber man darf das Vorhaben
dann nach der Wahl nicht vergessen. Der Gesetzentwurf
ist ja nicht aus inhaltlichen Gründen gescheitert, sondern
er konnte deshalb nicht umgesetzt werden, weil der Bundesrat ihn damals ausgebremst hat.
Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Die Große Koalition hätte die Verpflichtung gehabt, ein solches Gesetz
auf den Weg zu bringen. Das war ihr offenbar nicht möglich, obwohl der Bundesrat inzwischen selber ein solches Gesetz und die Einrichtung eines Korruptionsregisters fordert. Deshalb sagen die Grünen heute: Wir haben
einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet; ihr
braucht nur zuzustimmen.
({3})
Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass ein Korruptionsregister eingerichtet wird, in das die Firmen aufgenommen werden sollen, bei denen kein vernünftiger Zweifel
daran besteht, dass sie in Geldwäsche, Subventionsbetrug, Untreue, Bestechung, Schwarzarbeit, Bilanzfälschung oder Ähnliches verwickelt sind, insbesondere
wenn eine Firma schon einmal strafrechtlich verurteilt
worden ist, wenn gegen sie ein Strafbefehl erlassen worden ist, wenn gegen einen der Beteiligten durch einen
Richter ein Haftbefehl erlassen worden ist oder wenn ein
Geständnis oder Ähnliches vorliegt, was Zweifel daran
ausschließt, dass ein solcher Tatbestand vorliegt.
Die Firmen sind dem aber nicht schutzlos preisgegeben. Bevor sie in ein solches Korruptionsregister aufgenommen werden, werden sie davon unterrichtet, und sie
erhalten die Möglichkeit, Gegendarstellungen zu machen und Belege oder Beweise für eine unrechtmäßige
Beschuldigung anzubringen. Diese werden geprüft, und
wenn die Prüfung zugunsten der Betroffenen ausfällt,
kommen sie nicht in das Register. Alle Auftraggeber der
öffentlichen Hand, die über Aufträge in Höhe von über
25 000 Euro entscheiden wollen, können dieses Register
einsehen, um festzustellen, welche Firma aufgefallen ist.
Dann können sie selbstständig entscheiden, ob der Verdacht, der in dem Register festgehalten ist, sie daran hindert, mit der entsprechenden Firma ein Geschäft einzugehen und ob sie sich lieber an eine andere Firma
wenden oder den Auftrag noch einmal ausschreiben
möchten.
Das ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfes. Das ist vernünftig und richtig. Selbstverständlich sind die Datenschutzbestimmungen - das erwartet man von den Grünen, und das steht auch im Gesetzentwurf anzuwenden. Insbesondere dürfen solche Informationen
nicht zweckentfremdet werden. Aufgrund dieser Regelungen ist der Gesetzentwurf rund und gut begründet; er
wäre eine vernünftige Maßnahme gegen Korruption in
unserem Lande. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Diese
sollte Ihnen viel leichter fallen als bei anderen Gesetzen,
denen Sie heute schon zugestimmt haben.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück
zu Tagesordnungspunkt 3 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie
der Bundesregierung zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt
bekannt: abgegebene Stimmen 549. Mit Ja haben
375 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 168 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 6 haben
sich der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf ist damit
angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 549;
davon
ja: 375
nein: 168
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({9})
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Marlene Mortler
Stefan Müller ({12})
Bernd Neumann ({13})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({16})
Vizepräsidentin Petra Pau
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({22})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({25})
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Iris Gleicke
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Petra Heß
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({30})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({31})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({32})
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({33})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Steffen Reiche ({34})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Rene Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({35})
Michael Roth ({36})
Marlene Rupprecht
({37})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({38})
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({39})
Silvia Schmidt ({40})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Olaf Scholz
({43})
Swen Schulz ({44})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({45})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({46})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Gerd Andres
Dr. Axel Berg
Ulla Burchardt
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Elvira Drobinski-Weiß
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({47})
Gabriele Hiller-Ohm
Christine Lambrecht
Helga Lopez
Lothar Mark
Dr. Matthias Miersch
Dr. Wilhelm Priesmeier
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Frank Schwabe
Dr. Margrit Spielmann
Jörg Tauss
Andrea Wicklein
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({50})
Vizepräsidentin Petra Pau
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Dr. Erwin Lotter
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({52})
Detlef Parr
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Daniel Volk
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({53})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({54})
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({55})
Volker Beck ({56})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({57})
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({58})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({59})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({60})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Enthalten
SPD
Dr. Peter Danckert
Ortwin Runde
Ottmar Schreiner
Ewald Schurer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Wir kehren nun zur Debatte zu Tagesordnungspunkt 4
zurück. Das Wort für die Unionsfraktion hat der Kollege
Dr. Georg Nüßlein.
({61})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich
hatte gehofft, dass ich von Herrn Kollegen Ströbele ganz
grob erfahre, warum die Grünen das in so prominenter
Position beraten haben wollen, warum sie meinen, dass
das in der jetzigen Phase ein sehr wichtiger Gesetzentwurf ist. Dazu haben Sie aber nichts gesagt.
({0})
Ich hatte den Eindruck, Ihnen geht es darum,
Deutschland als Korruptionshochburg darzustellen, was
aber fatal und völlig falsch ist.
({1})
Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich hin- und hergerissen
bin, weil die Forderung nach einem Korruptionspranger
eigentlich nicht in die Zeit einer Finanzkrise passt, in der
wir eigentlich andere Sorgen haben müssten. Vielmehr
haben wir uns mit der Frage zu befassen, wie wir verhindern können, dass die Finanzkrise in die Realwirtschaft
überschwappt bzw. wie dies nicht so gravierend ausfällt,
wenn wir dies schon nicht verhindern können. Andererseits passt das dann doch wieder zum Thema im weiteren Sinne, weil es bei uns viele gibt, die momentan
nichts Besseres zu tun haben, als politisch motiviert Manager, Banker und andere an den Pranger zu stellen. Zudem könnte man den Eindruck erwecken, dass sie sowieso alle korrupt sind.
Das will ich ihnen aber nicht unterstellen.
({2})
Ich möchte Ihnen ganz sachlich sagen, dass wir als
Union allergrößte Vorbehalte gegenüber dem haben, was
Sie hier vortragen. Das beginnt bereits mit der Frage,
wen Sie am Ende eintragen wollen: die Töchter oder den
ganzen Konzern? Weshalb reicht es nicht aus, wenn es
bereits die Bundesländer tun?
({3})
Weshalb muss der Bund dies zusätzlich machen?
Wenn Sie sagen, es würden nicht alle tun, dann muss
ich Ihnen entgegenhalten, dass in Hessen, in NordrheinWestfalen und in Baden-Württemberg derzeit darüber
nachgedacht wird, die Ausschlussregister wieder abzuschaffen, weil kaum Gebrauch davon gemacht wird.
({4})
Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Thema
zeitlich vielleicht nicht ganz so richtig platziert ist.
({5})
- Man kann über vieles diskutieren. Die Frage ist aber,
in welchem Kontext man darüber diskutiert und welche
Show man darum herum machen möchte. Ich habe die
Sorge, dass Sie lieber eine Show darum herum machen
möchten. Ich möchte Sie einmal reden hören, wenn ich
fordern würde, ein Handschriftenregister für Graffitisprüher einzuführen. An dieser Stelle würden Sie ganz
andere Töne anschlagen.
({6})
Das aber nur, um die Debatte ein bisschen aufzuheitern.
Das Thema „Kosten- und Personalaufwand“ ist in der
Tat ein Problem. Das werden Sie nicht bestreiten, weil
das so in Ihrem Antrag steht. Die Umsetzung Ihrer Forderungen kostet richtig viel Geld. Sie schreiben, dies
werde vielleicht ausgeglichen durch das, was der Bund
letztendlich spart, wenn öffentliche Investitionen nicht
länger mit missbrauchsanfälligen Unternehmen umgesetzt werden. Ich kenne die Rechnung zwar nicht, aber
ich frage mich, ob denn die Unternehmen nichts aus einer rechtskräftigen Verurteilung lernen. Dies impliziert
doch die Vorgabe, dass man diese Unternehmen ausschließen muss, um ernsthaft abzuschrecken. Lernen die
Unternehmen denn nichts hinzu?
Um rechtskräftige Verurteilungen geht es Ihnen jedoch gar nicht. Das macht den Gesetzentwurf aus unserer Sicht vollkommen inakzeptabel. Sie wollen, dass ein
Unternehmen sofort in das neu zu schaffende Register
eingetragen werden muss, wenn ein dringender Tatverdacht besteht. Meines Erachtens sollte man nicht Sorge
dafür tragen, dass ein Unternehmen, das unter einem solchen Verdacht steht, letztendlich pleitegeht, weil ihm
keine öffentlichen Aufträge mehr erteilt werden, und
dann vor ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten
steht. Es kann nicht sein, dass man durch ein solches Register zu einer Vorverurteilung kommt und damit dafür
verantwortlich ist, dass Unternehmen in zusätzliche
Schwierigkeiten kommen.
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ströbele?
Herzlich gern.
Bitte.
Herr Kollege, haben Sie sich einmal die Voraussetzungen für einen Eintrag in das Korruptionsregister der
Länder angeschaut, die Sie genannt haben? Wissen Sie,
welche Voraussetzungen ausreichend sind, um in deren
Korruptionsregister eingetragen zu werden? Die Voraussetzungen sind noch wesentlich geringer. Vor allen Dingen ist eine vorherige Informationspflicht - das habe ich
vorhin erwähnt - und damit auch eine Abwehrmöglichkeit überhaupt nicht gegeben. Das heißt, wir bewegen
uns in einem sehr viel engeren rechtsstaatlich sicheren
Rahmen als die Länder, die das seit vielen Jahren praktizieren. Von Missbrauch ist bisher nichts bekannt geworden.
Ich frage Sie also: Sind Sie nicht auch der Meinung,
dass dieser Vorschlag durchaus sehr ausgewogen und
rechtsstaatlich fundiert ist?
Ich erkenne an, dass Sie in grüner Manier unter datenschutzrechtlichen Aspekten einen ausgewogenen Vorschlag gemacht haben. Wenn man in diesem Bereich etwas tun möchte, könnte man es ungefähr auf diese Weise
machen. Das will ich gar nicht bestreiten.
({0})
Es gibt aber auch Beispiele aus den Ländern, angesichts
derer ich Ihren Vorschlägen nicht folgen würde. Wir reden doch darüber, was wir als Bundesgesetzgeber tun
sollten. Unsere Einschätzung, dass die Länder es in eigener Zuständigkeit sehr viel schlechter machen, sollte uns
nicht veranlassen, etwas Ähnliches auf den Weg zu bringen, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle ein
bisschen besser wäre.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Bayern. Ein Unternehmen im Baugewerbe, das viele Menschen beschäftigt
hatte, hat Mitarbeiter, die im Osten im Tiefbau gearbeitet
haben, nach Bayern geholt und im Hochbau eingesetzt,
weil im Osten in diesem Bereich kein Geschäft mehr zu
machen war. Dieses Unternehmen hat geglaubt, die Beschäftigten geringer bezahlen zu können. Im Nachgang
wurde ihm vorgeworfen, gegen Mindestlohnvorgaben
verstoßen zu haben. Es kam zu einem Strafprozess. Der
Staatsanwalt hat letztendlich das Verfahren eingestellt,
weil er keinen Vorsatz erkennen konnte. Aber es wurde
vom zuständigen Hauptzollamt geprüft, ob eine Ordnungswidrigkeit vorlag. Die Ersparnis aufgrund der
niedrigeren Löhne wurde mal fünf genommen und ein
Bußgeld von 350 000 Euro festgesetzt. Wenn das Unternehmen dieses Bußgeld wirklich bezahlen muss, dann ist
die Konsequenz, dass es zukünftig von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wird.
Der Unternehmer hat sich anständig verhalten, er hat
einen Sozialplan aufgestellt und ist mit seinen Mitarbeitern fair umgegangen. Er wird vom Staat dadurch „belohnt“, dass er erstens eine hohe Summe zahlen muss
und dass er zweitens - das ist für das Unternehmen das
gravierendere Problem - an den Pranger gestellt und
nicht mehr bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen
berücksichtigt wird, was dazu führt, dass Mitarbeiter
entlassen werden müssen.
Ich gehe davon aus, dass wir dieses Problem auf sinnvolle Weise lösen werden. Aufgrund dieser Beispiele
überlegt man sich schon, wie man mit solchen Unternehmen umgehen sollte.
({1})
Deshalb kann ich nur vor Vorschlägen warnen, mit denen der Eindruck erweckt wird, als könne man Unternehmen einfach mal so an den Pranger stellen.
Ich kann an dieser Stelle noch weitere Beispiele anführen. Ich habe ohnehin ein Problem damit, dass es bei
Unternehmen und bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, relativ schnell zu Vorverurteilungen kommt.
Ich beziehe nicht die Abgeordneten mit ein; denn sie alle
wissen, wie sie sich verhalten müssen, wenn sie vom
Staatsanwalt ins Visier genommen werden. Aber wenn
ein Staatsanwalt wie in dem von mir genannten Beispiel
aufgrund eines Verdachtes in einem Unternehmen auftaucht, mit Kunden telefoniert und mit Lieferanten
spricht, dann ist der Schaden sehr viel höher als die
eventuell gerechtfertigte Strafe. Auch wenn das Unternehmen unschuldig ist, wird der erlittene Imageschaden
von niemandem ausgeglichen. Deshalb habe ich Probleme damit, wenn versucht wird, Leute und Unternehmen an den Pranger zu stellen.
Wenn wir in der jetzigen Phase ein solches Gesetz beschließen würden, dann müssten wir insbesondere auf
die Außenwirkung achten.
({2})
Wir müssen den Eindruck vermeiden, als ob es in
Deutschland ein größeres Korruptionsproblem gibt. Auf
der Liste von Transparency International liegen wir unter 180 Staaten auf Platz 13.
({3})
- Ja, es geht noch besser. Aber es gibt eine weitaus größere Zahl an Ländern, die hinter uns liegen.
Ich habe das im Sommer dieses Jahres erlebt, als ich
mit CSU-Kollegen in Griechenland war. Damals war
dort die Siemens-Affäre das große Thema. Es hat einen
nicht nur während der politischen Gespräche, sondern
auch bis hin zum Mittagessen verfolgt. Selbst beim Mittagessen hat ein griechischer Kollege gemeint, es sei
opportun, noch einmal auf den Deutschen und Siemens
herumzuhacken und zu sagen, was das doch für ein
furchtbar korrupter Haufen sei und dass dies alles zum
Himmel stinke. Ich habe die Schnauze voll gehabt - so
sage ich einmal auf gut Bayerisch - und habe ganz deutlich gesagt, dass zum Thema „Bestechung und Bestechlichkeit“ zwei Seiten gehören: der eine, der gibt, und der
andere, der die Hand aufhält. Jeder möge doch bitte an
dieser Stelle vor seiner eigenen Tür kehren und schauen,
dass es keinen gibt, der die Hand aufhält. Das Problem,
das die Wirtschaft im Außenbereich hat, ist nämlich,
dass es in anderen Ländern - da kommen wir zu denjenigen, die unterhalb des 13. Platzes liegen, also zu den
fortfolgenden - leider Gottes gang und gäbe ist, die
Hand aufzuhalten und zu sagen: Gib mir, und dann machen wir gemeinsam ein Geschäft. - Wir sollten hier die
Dinge nicht verkehren.
Im entsprechenden Bericht des BKA von 2007 steht,
dass die allgemeine öffentliche Verwaltung mit einem
Anteil von 79 Prozent an allen Korruptionsfällen am
korruptionsanfälligsten ist. Nun frage ich mich: Warum
beschäftigen wir uns nicht zunächst einmal mit den Dingen, die uns selber angehen?
({4})
Wir sind doch in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass
gerade in der öffentlichen Verwaltung durch entsprechende Kontrollmechanismen nicht so einfach die Hand
aufgehalten werden kann. Da führen wir kein Register
oder Ähnliches ein. Warum konzentrieren wir uns nicht
insbesondere auf Themen, die unmittelbar unserem Zugriff unterliegen? Warum wollen wir uns stattdessen gerade in der jetzigen schwierigen wirtschaftlichen Situation wieder mit der Wirtschaft beschäftigen, wieder mit
dem Finger auf diejenigen zeigen, die mehrheitlich anständig sind und ein sauberes Geschäft machen?
({5})
Dies hielte ich für vollständig verfehlt.
Um einen Schritt weiterzugehen: Vor kurzem wurde
in der Öffentlichkeit auch über die Bestechlichkeit diskutiert, die sich allmählich auf der Ebene der Europäischen Union breitmacht. Im Übrigen ist auch ein deutscher Direktor in die Schlagzeilen gekommen, was mir
persönlich wehgetan hat, weil auch dies ein bisschen den
Eindruck erweckt, es seien die Deutschen. Nein, es sind
die Strukturen. Auf europäischer Ebene lassen wir zu,
dass sich in der Kommission Gestaltungsmacht konzentriert und dass über Korruption das eine oder andere relativ einfach bewegt werden kann. Dies ist dann der Fall,
wenn sich Macht in den Händen weniger und insbesonDr. Georg Nüßlein
dere bar jeder demokratischen Kontrolle bewegt. Deshalb sollten wir uns aus meiner Sicht, was das europäische Thema angeht, intensiv Gedanken darüber machen,
wie wir den europäischen Prozess so gestalten können,
dass er stärker unter demokratischer Kontrolle stattfindet, dass nicht, wie Roman Herzog es formuliert hat,
letztendlich die Beamten die Politik machen, sondern
dass der Wille des Parlaments zum Ausdruck gebracht
wird.
({6})
Das ist ein Thema der EU-Reform, das ich für ganz entscheidend halte.
({7})
- Sie sollten eines sehen: Ich habe einen großen Bogen
gespannt. Warum habe ich dies getan? Ich habe eine Redezeit von zwölf Minuten für ein Thema, das es im
Grunde nicht wert ist, in zwei Minuten abgehandelt zu
werden, weil eigentlich alles gesagt ist. Wir werden den
Gesetzentwurf nicht unterstützen.
({8})
Wir wollen dies nicht.
In diesem Sinne bedanke ich mich 1 Minute und
36 Sekunden vor Ende meiner Redezeit ganz herzlich
für die Aufmerksamkeit. Ich will die Kollegen nicht weiter strapazieren.
Vielen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Paul
Friedhoff das Wort.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich glaube, in diesem Haus
besteht ein Konsens darüber: Wir alle sind gegen Korruption und Unzuverlässigkeit.
({0})
Wir sind uns auch darin einig, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um Korruption zu bekämpfen.
Auch Unzuverlässigkeiten von Unternehmen können
selbstverständlich nicht geduldet werden; denn Unternehmen, die sich so verhalten, haben im Wettbewerb
häufig einen Vorteil gegenüber den anständigen Unternehmen, die sich an die Gesetze halten.
Leider gibt es trotz vieler Anstrengungen unzuverlässige Unternehmen und Korruption, und das nicht nur in
Entwicklungsländern oder in fernen Ländern, sondern
auch bei uns. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und auf
die anderen zeigen, sondern müssen mit geeigneten
Maßnahmen die Unzuverlässigkeiten bekämpfen.
({1})
- Die Betonung liegt hierbei allerdings auf „geeignete
Maßnahmen“, Herr Ströbele.
({2})
Damit komme ich zu Ihrem Gesetzentwurf: Nicht alles,
was gut klingt, ist geeignet und noch lange nicht verhältnismäßig.
({3})
- Ja, ich komme gleich dazu.
Wir haben 1997 mit dem damaligen Justizminister
Edzard Schmidt-Jortzig das Gesetz zur Bekämpfung der
Korruption als Rechtsgrundlage für eine effektive Bekämpfung der Missstände eingeführt. Dieses Gesetz hat
sich bewährt, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.
Allerdings muss das Gesetz - das gilt für alle Gesetze administriert werden. Gegen Defizite bei der Durchsetzung, die entstehen, wenn das Gesetz nicht administriert
wird, hilft nur eine gut organisierte Behördenstruktur.
Weitere Gesetze helfen jedoch nicht; sie machen alles
komplizierter und in der Regel wesentlich uneffektiver.
({4})
Wir haben mit dem Bundeszentralregister und dem
Gewerbezentralregister bereits zwei einschlägige Register, die gegen unzuverlässige Unternehmen und für die
Korruptionsbekämpfung gut einsetzbar sind. Das vorhandene Instrumentarium ist also ausreichend. Wenn es
trotzdem zu Missständen kommt, sollte zuerst geprüft
werden, wie diese bestehenden Informationsquellen besser und effektiver genutzt und vernetzt werden können.
Herr Ströbele, mir ist klar, dass man sich mit einer
solchen Formulierung nicht so gut schmücken kann wie
mit dem Ruf nach einem neuen Gesetz, erst recht, wenn
dieses neue Gesetz dann noch einen schönen Namen erhält, der für alle Bürger wohlklingt,
({5})
der suggeriert, es gäbe eine Gesetzeslücke. Sie haben
vorhin so getan, als sei das etwas ganz Neues. Wenn man
sich einmal ansieht, was bereits im Gesetzblatt steht,
dann kommt man zu dem Ergebnis: So ganz neu ist dies
nicht. Wir sollten das, was im Gesetzblatt steht, anwenden, und nicht so tun, als gäbe es das gar nicht.
({6})
Nutzen wir lieber diese beiden vorhandenen Register!
Dann werden wir zu ordentlichen Ergebnissen kommen.
({7})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen die
Grünen ihre gesetzgeberischen Vorhaben aus den Jahren
2002 und 2004 weiter, mit denen sie damals im Bundesrat gescheitert sind. In der seitdem vergangenen Zeit
sind wir aber in der Wirtschaft ein Stück weitergekommen.
({8})
Wir haben inzwischen einige neue Vorstellungen entwickelt, wenn auch nicht hinsichtlich der Korruption. Wir
haben aber in der Zwischenzeit erkannt, dass wir die
Wirtschaft mit allen möglichen Gesetzen und Informationspflichten ziemlich fesseln.
({9})
- Ja, es geht um die schwarzen Schafe. Die kann man
auch so herausfiltern. Damit müssen Sie nicht alle behelligen, wie es Ihr Gesetzentwurf vorsieht.
({10})
Mit dem Aufbau neuer Bürokratie durch ein weiteres
Register wird das Ziel der Bekämpfung von Korruption
und Unzuverlässigkeit leider nicht erreicht. Dadurch
wird leider auch kein Wachstum gefördert. Auch wenn
der Beweggrund der Korruptionsbekämpfung sehr gut
klingt, so sind doch die Folgen für die ehrlichen Unternehmen ziemlich böse. Es entstehen mehr Bürokratie
und höhere Kosten für den Staat.
({11})
Wir sollten nicht verkennen, dass die Vielzahl der deutschen Unternehmen - Herr Nüßlein, auch Sie haben das
gerade gesagt - nicht von Betrügern geführt werden und
nicht korrupt sind.
({12})
Es gibt ganz wenige, die sich nicht an die Gesetze halten. Diese können wir mit dem vorhandenen Instrumentarium herausfischen.
({13})
Neue Register ziehen neue Verwaltungsapparate nach
sich. Es würden auch neue Informationspflichten für die
öffentlichen Auftraggeber geschaffen. Solche Informationspflichten sind vielfach überflüssig; sie bringen mehr
Kosten und Aufwand als Nutzen. Mit den Mittelstandsentlastungsgesetzen zum Beispiel - die Zielsetzung verfolgen wir alle - wird genau das Gegenteil erreicht.
({14})
Deshalb muss sich jede Fraktion, die entgegen dieses
Ziels neue Bürokratie einzuführen gedenkt, intensiv fragen lassen, ob dazu die Notwendigkeit besteht. Wir meinen, nein.
({15})
Inhaltlich ist vor allem anzumerken, dass hier unter
dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung diverse
weitere Verfehlungen von Unternehmen und Ausschreibungsteilnehmern registriert werden sollen, die mit Korruption im engeren Sinn überhaupt nichts zu tun haben.
({16})
Im Gesetzentwurf der Grünen finden sich neben den
Kernpunkten der Korruption zahlreiche weitere mögliche Verstöße aus den Bereichen des Kartellrechts, des
Arbeitsrechts, des Insolvenzrechts und sogar des Wertpapierrechts. Das Ganze läuft unter der Überschrift
„Korruption“. Solche Verstöße sind natürlich nicht zu
entschuldigen. Sie sind aber allesamt durch unsere
Rechtsordnung bereits sanktioniert. Herr Ströbele, diese
Straftaten werden registriert. Man kann nachsehen.
Das von den Grünen geforderte nationale Korruptionsregister hätte eine Prangerwirkung. Es würde das
eigentliche Problem nicht lösen, sondern einen Wust an
Bürokratie mit sich bringen. Vor allen Dingen würde ein
„Pranger auf Verdacht“ eingeführt.
({17})
- Doch, das steht in Ihrem Gesetzentwurf.
({18})
- Das ist ja prima. Sie stehen also an einem Pranger, und
es heißt: nur auf Verdacht. Das finde ich toll. So habe ich
mir den Pranger eigentlich nie vorgestellt.
({19})
Nach Ihren Vorstellungen soll bereits ausreichen, dass
ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Ich weiß nicht, was
Sie damit bezwecken.
({20})
- Das, was Sie jetzt sagen, steht gar nicht im Entwurf;
jetzt machen Sie ihn schön.
({21})
Unsere Wirtschaft braucht Spielregeln; das wissen
wir. Es ist wichtig, dass sich alle daran halten. Ein fairer
Wettbewerb kann anders nicht funktionieren. Das wissen
alle am Wirtschaftsleben Beteiligten sehr wohl. Die
FDP-Bundestagsfraktion unterstützt den Kampf gegen
Korruption und Unzuverlässigkeit. Wir unterstützen aber
keine Symbolpolitik, die Sie hier betreiben.
({22})
Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ströbele?
Ja, klar.
Das ist sehr freundlich, Herr Kollege. Ich stelle sowieso fest, dass die Kollegen in diesem Hause, die viel
mit Wirtschaftsthemen zu tun haben, vielfach viel zugänglicher sind als andere Kollegen. Das soll ein Lob
sein.
({0})
Trotzdem muss ich die Frage stellen: Haben Sie unseren wunderbaren Gesetzentwurf vor Ihrer Rede wirklich
gelesen? Haben Sie insbesondere § 3 gelesen? In Abs. 2
steht:
Straftaten und Verstöße einer Person oder eines Unternehmens werden nur gemeldet, gespeichert und
mitgeteilt, wenn keine vernünftigen Zweifel bestehen an der Täterschaft, die sich ergibt aus
1. einer strafrechtlichen Verurteilung,
2. Erlass eines Strafbefehls,
3. Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a der
Strafprozessordnung,
- das bedeutet, wenn zugegeben worden ist, dass eine
Verfehlung vorliegt 4. gerichtlicher Feststellung eines dringenden Tatverdachts,
5. Einleitung eines Strafverfahrens bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten,
6. einem bestandskräftigen Bußgeldbescheid oder
7. einer zivilrechtlichen Verurteilung zu Schadenersatz.
All das geht weit über die normale Einleitung eines
Strafverfahrens hinaus.
Herr Ströbele, ich habe den Text hier.
({0})
Er ist an vielen Stellen gemarkert. Daran können Sie
feststellen, dass ich ihn gelesen habe.
({1})
Obwohl ich kein Jurist bin, habe ich mich damit beschäftigt. Damit beschäftigen sich auch Leute, die zufällig
nicht Juristen sind.
Hier steht: „… die sich ergibt aus … gerichtlicher
Feststellung eines dringenden Tatverdachts“. Ich wüsste
nicht, wie ein Verfahren ohne dringenden Tatverdacht
eröffnet werden kann. Das Gericht stellt damit aber noch
lange nicht die Schuld fest.
({2})
Bei uns, in einem Rechtsstaat gilt - so habe ich als Ingenieur das zumindest verstanden -, dass ich nicht vorab
verurteilt werde, sondern dass das ein Gericht machen
muss. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie sich in all Ihren Tätigkeiten darauf beziehen. Aber hier wollen Sie einen Pranger.
({3})
- Aber natürlich. An den Pranger stellen Sie denjenigen,
gegen den ein Verfahren eingeleitet worden ist. Das geht
uns entschieden zu weit. Deswegen können wir das nicht
als vernünftig ansehen. Wir werden den Gesetzentwurf
ablehnen.
({4})
Der Entwurf der Grünen findet aus den genannten
Gründen nicht unsere Unterstützung. Wir Liberalen wollen geltendes Recht umsetzen. Wir wollen keine überflüssigen neuen Gesetze und Vorschriften. Wir wollen
auch keine neue zusätzliche Bürokratie.
Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt hat mich die Parlamentarische Geschäftsführerin
der Linken fast aus dem Verkehr gezogen; aber es ist ihr
nicht gelungen.
({0})
Die Debatte über den Gesetzentwurf der Fraktion der
Grünen kam mir bislang ein bisschen merkwürdig vor.
Auf der einen Seite haben alle recht, die sagen: Dieser
Gesetzentwurf und die heutige Debatte dienen dem
Zweck, ein Zeichen zu setzen. Auf der anderen Seite
wird das Problem in der Debatte gleichzeitig sehr verniedlicht.
Ich sage einmal vorweg: Ich habe bereits bei verschiedenen Gelegenheiten, zum Beispiel im Wirtschaftsausschuss und bei Anhörungen zur Reform des Vergaberechts, gesagt, dass wir die Anregung des Bundesrates,
künftig bundesweit und einheitlich ein Register für
schwere Verfehlungen aufzustellen, unterstützen. Ich
habe den Grünen gesagt: Das müsste auf einer Ebene
sein, auf der man gemeinsam darüber reden kann. Denn
diese Reform steht an; wir sind mitten im Prozess. Insofern verstehe ich, dass Sie einen Bypass über einen sol19862
Reinhard Schultz ({1})
chen Gesetzentwurf versuchen, aber dass wir jetzt nicht
darauf anspringen, bitte ich auch zu verstehen.
Das im Bundestag von Rot-Grün im Jahr 2002 beschlossene Gesetz ist fast wortidentisch mit dem, was
die Grünen jetzt vorgelegt haben.
({2})
- Sage ich doch gar nicht. Vom Inhalt her ist es in Ordnung. Völlig bekloppt bin ich nun auch nicht.
({3})
Daraus geht hervor, dass es eben, wie die Überschrift
signalisiert, nicht nur - „nur“ verstehe ich in Anführungszeichen - um Korruption geht, sondern um einen
breiten Kranz schwerster Verfehlungen, wie sie bereits
in allen Verdingungsverordnungen aufgezählt sind, die
als Ausschlussgründe für Unternehmen, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, herhalten können. Das betrifft Mitglieder krimineller und terroristischer Vereinigungen, Geldwäsche und Verwandtes,
Betrug, Subventionsbetrug, Bestechung und Steuerhinterziehung. Dies geschieht sogar unter Einbeziehung der
Lieferantenkette, also Subunternehmer usw. Das Unternehmen, das sich an der Oberfläche beteiligt, und die
gesamte Kette der beteiligten Unternehmen - auch innerhalb von Arbeitsgemeinschaften - sind dann auszuschließen.
Es geht doch jetzt in der Sache darum, ob man bundesweit eine Transparenz für diejenigen schafft, die Entscheidungen darüber zu treffen haben, ob ein Unternehmer ausgeschlossen werden kann oder nicht. Es geht um
die Frage, ob die Zuständigen einen Zugriff auf die Daten bekommen oder ob es mehr oder weniger dem Zufall
überlassen wird, dass zum Beispiel jemand, der in Baden-Württemberg oder in Bayern nicht im Register steht,
aber in Nordrhein-Westfalen oder irgendwo anders, wo
es dieses Kataster oder Register nicht gibt, aufgefallen
ist, nicht ausgeschlossen wird. Er könnte nur ausgeschlossen werden, wenn jemand in der Vergabestelle zufällig durch Hörensagen mitbekommen hat, dass er auffällig geworden ist, und deswegen mehr recherchiert. Es
ist eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung, wenn man
auf diesem Gebiet nicht die notwendige Transparenz und
Beurteilungssicherheit schafft.
Deswegen bin ich dafür, dass wir uns dieses Themas
im Rahmen der Vergaberechtsreform ernsthaft annehmen, allerdings nicht mit einem eigenständigen Register
- Herr Friedhoff, da stimme ich Ihnen völlig zu -, sondern indem wir das bestehende Gewerbezentralregister,
das seit 2007 beim Bundesamt für Justiz angelegt ist,
aufbohren. Das gibt es. Nicht jedes Gewerbeunternehmen ist dort registriert; das ist ein Nachteil. Es sind dort
auch nicht alle Tatbestände erfasst. Aber es ist ein
Mantel, auf dessen Grundlage mit möglichst geringem
bürokratischen Aufwand und möglichst geringen Kosten
eine Plattform geschaffen werden kann, die jeder Vergabestelle zugänglich wäre.
In den Vergabeverordnungen vieler Länder steht zum
Beispiel, dass die Unternehmen einen Auszug aus dem
Gewerbezentralregister beizubringen haben. Aber nur
manche Unternehmen stehen drin, und manche sind dort
nicht erfasst. Manchmal sind die Tatbestände nicht erfasst, aber das Unternehmen ist aufgeführt. Damit ist ein
Unternehmen, das den Auszug erbringt und das einmal
verurteilt worden ist, diesen Tatbestand dem Zentralregister aber gar nicht melden musste, reingewaschen, obwohl es möglicherweise ein schwerer Sünder ist.
({4})
Das sind Zustände, die aus unserer Sicht so nicht hinnehmbar sind.
Natürlich geht es uns nicht darum, Unternehmen an
den Pranger zu stellen. Ich sage ganz deutlich: Für uns
ist die Abschneidegrenze eine rechtskräftige Verurteilung, ein rechtsbeständiger Bußgeldbescheid oder Ähnliches, also kein Vorverdacht, sondern ein abgeschlossenes Verfahren. Wir würden nicht so weit gehen, den
Rechtsweg abzuschneiden oder Rechtsmittel nicht auszuschöpfen. So etwas wollen wir grundsätzlich nicht.
({5})
- Ja, sie werden vorher benachrichtigt und können Widerspruch einlegen, sogar vor Gericht. Das ist aber sehr
aufwendig, Herr Ströbele. Die Betroffenen haben ein Ermittlungsverfahren am Hals, werden deswegen registriert, bekommen den Auszug und müssen dann vor einem anderen Gericht dagegen vorgehen,
({6})
obwohl sie gerade damit zu tun haben, die möglicherweise nicht gerechtfertigten Verdachtsmomente ihres
Leib-und-Magen-Staatsanwalts abzuwehren. So geht das
natürlich nicht.
Es muss sich um ein klares, rechtsbeständiges Urteil,
um einen Bußgeldbescheid oder ein Geständnis handeln;
es gibt ja auch Fälle, in denen jemand, um das Strafmaß
zu mindern, gesteht. Dann ist das okay. Aber die Entscheidung muss abschließend und ohne jeden Zweifel
getroffen worden sein. Ansonsten würden wir Unternehmen, die aus irgendwelchen Gründen in Verdacht geraten sind, aber nichts getan haben, ohne Not an den Pranger stellen; hier kommt es mir auf jeden einzelnen Fall
an. Das würde das Ansehen der gesamten Operation
mehr beschädigen als ihm nützen.
Umgekehrt wollen wir natürlich die schwarzen
Schafe, die Sünder, die das öffentliche Interesse immer
wieder hintergehen, ob durch Korruption, aktive Bestechung, systematische Steuerhinterziehung, die Begünstigung von Schwarzarbeit oder Subventionsbetrug, von
öffentlichen Aufträgen ausschließen. Eigentlich müsste
es auch im Interesse der privaten Wirtschaft sein, die
ebenfalls in großem Umfang Aufträge vergibt, dass solche Unternehmen ausgeschlossen werden. Wenn ich mir
Reinhard Schultz ({7})
die Verhaltensregeln der Wirtschaft im Hinblick auf den
Kampf gegen die Korruption vor Augen halte, so denke
ich: Eigentlich müssten auch große Wirtschaftsunternehmen daran interessiert sein, dass hier ein Höchstmaß an
Transparenz geschaffen wird, damit die Vielzahl der
weißen Schafe, die nichts getan hat, von dem kleinen
Häuflein schwarzer Schafe getrennt wird.
({8})
Darüber muss man vernünftig diskutieren. Ich glaube,
wenn man von politischen Showeffekten, die natürlich
legitim sind, absieht, kann man hier zu einem Ergebnis
kommen.
Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Friedhoff?
Ja, selbstverständlich. Wir mögen uns und hören uns
zu.
Herr Kollege Schultz, Sie haben gerade erläutert, was
Sie verändern wollen. Warum wollen Sie nicht das Bundeszentralregister nutzen, das für all das, was Sie gerade
gesagt haben, gilt? Es heißt ganz klar, dass auf Strafe erkannt sein muss, bevor man dort einen Eintrag bekommt.
({0})
Sie hingegen wollen das Gewerbezentralregister, in das
viele Dinge nicht eingetragen werden, nutzen.
({1})
Es gibt verschiedene Zentralregister, Herr Friedhoff.
Das Zentralregister, in dem Vorstrafen registriert sind, ist
den Vergabestellen nicht zugänglich. Das sollte auch
grundsätzlich so bleiben. Hier geht es aber um spezifische Straftatbestände oder um bußgeldbewehrte Tatbestände, die nur zum Teil im Gewerbezentralregister erfasst werden. Vor allen Dingen - das ist noch viel
wichtiger - sind nicht alle Unternehmen im Gewerbezentralregister aufgeführt. Insofern sage ich: Dieses vorhandene Instrument
({0})
wollen wir nutzen und aufbohren. Das Wort „aufbohren“
kennen Sie doch, oder?
({1})
- Ja, genau. - So wollen wir das machen. Wir wollen
kein neues Instrument entwickeln, sondern das vorhandene gemäß Ihrer Empfehlung weiterentwickeln. Sind
Sie mit dieser Antwort zufrieden?
({2})
- Damit haben wir wieder einmal einen Beitrag zum
Konsens geleistet. Wir kommen also voran. Auch bei der
Vergaberechtsreform insgesamt habe ich das Gefühl,
dass ein Problembereich nach dem anderen, in diesem
Fall sogar öffentlich, „abgeräumt“ wird.
Das ändert natürlich nichts an den gerechtfertigten
Hinweisen, dass wir nicht nur darüber diskutieren dürfen, wie wir es schaffen, bald eine transparente Oberfläche herzustellen, sondern dass wir uns auch konsequent
mit der Bekämpfung von Korruption und anderen
Straftatbeständen auseinandersetzen müssen. Hier ist die
Situation zum Teil sehr unterschiedlich.
Es ist zu Recht dargelegt worden, dass nach der Gesetzesnovelle von Rot-Grün, die im Bundesrat gescheitert ist, einige Bundesländer aus eigenem Antrieb aus
den Puschen gekommen sind und Antikorruptionsgesetze erlassen haben. Ein Antikorruptions- bzw. Korruptionsbekämpfungsgesetz gibt es bislang nur in NRW
- seit 2005 - und in Berlin - seit 2006. Andere Länder
haben aber immerhin landesweite Korruptionsregister
eingeführt - auch das geschah danach; das alles waren
Folgen der damaligen Debatte -: Baden-Württemberg,
Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen und RheinlandPfalz.
Einige wenige Länder haben sogar Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet. Das sind auch die
Länder, die nach der Statistik des Bundeskriminalamtes
die meisten Ermittlungs- und Strafverfahren auf diesem
Gebiet eröffnen, und zwar gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes; denn es wäre klar, dass sonst NRW immer vorne läge. Das zeigt, dass diese Maßnahmen nicht
überall gleich sind. Wir müssen die Länder, denen der
Vollzug ja obliegt, zum Teil wirklich bitten, noch einen
Zacken zuzulegen.
Ähnliches gilt für den Bereich Schwarzarbeit. Das ist
auch so ein Bereich. Mit der Taskforce Schwarzarbeit, in
der wir Fachkräfte aus dem Zoll und aus der Bundesanstalt für Arbeit zusammenführen, unternehmen wir als
Bund große Anstrengungen. Es ist dabei aber ein Ärgernis, dass wir nach wie vor das Problem haben, dass es
kein einziges Bundesland mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften gibt, sondern dass das in dem normalen Geschäft der normal zuständigen Staatsanwaltschaften zum
Teil versickert und wegen Zeitablauf geradezu versandet, sodass nichts dabei herauskommt, weswegen die
Schuldigen natürlich weder erwischt noch bestraft und
auch die Einnahmen, die der Öffentlichkeit zustehen
würden, nicht zurückgeführt werden, wie zum Beispiel
die entzogenen Steuern, die mit der Schwarzarbeit zusammenhängen.
Das könnte man von schwerer Verfehlung zu schwerer Verfehlung durchbuchstabieren, um in dieser Terminologie zu bleiben. In den Bundesländern gibt es eine
sehr unterschiedliche Schlagzahl hinsichtlich des Um19864
Reinhard Schultz ({3})
gangs damit. Diejenigen, die etwas laxer damit umgehen, versündigen sich eigentlich an allen anderen - sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen
Seite als auch hinsichtlich der moralischen Grundlage;
denn es werden Gesetze gemacht, die zum Teil nicht vernünftig vollzogen werden.
Wenn derjenige, der in Versuchung kommt, entweder
aktiv oder passiv eine Straftat zu begehen - zum Beispiel
im Bereich der Bestechung bzw. Bestechlichkeit -, weiß,
dass die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, relativ
gering ist und wenn er auch weiß, dass es zwar für ihn
als Person - er erhält eine Strafe oder muss ein Bußgeld
zahlen -, aber nicht für seinen Gewerbebetrieb Konsequenzen hat, wenn er erwischt wird, dann ist das alles
doch für die Katz. Wenn wir es mit den moralischen
Grundlagen unserer auf Fairness aufbauenden Wettbewerbsgesellschaft ernst meinen, dann müssen wir im
Kampf gegen Korruption, Schwarzarbeit, Subventionsbetrug und andere schwere Verfehlungen deutlich einen
Zacken zulegen.
Dazu gehört am Ende natürlich auch eine Informationsoberfläche, über die jeder, der öffentliche Aufträge
vergibt, weiß, dass diejenigen, die dort registriert sind,
wirklich Sünder sind, die im öffentlichen Auftragswesen
zumindest für eine bestimmte Zeit nichts zu suchen haben.
({4})
- Ja, das können wir ja auch, wenn die Zahlen dafür reichen. Die jetzige ist aber auch nicht schlecht. Koalitionen haben ja selten ausschließlich etwas mit Zuneigung
zu tun. Das war bei uns ja auch nicht anders, und das ist
auch bei der Großen Koalition nicht nur der Fall. Koalitionen haben oft schlicht und einfach etwas mit den rechnerischen Möglichkeiten zu tun. Insofern muss man in
solchen Debatten auch einmal ganz frei reden.
Ich wünsche mir, dass wir hinsichtlich dieses Themas
und auch hinsichtlich der Vergaberechtsreform insgesamt am Ende eine breite Mehrheit über die Große Koalition hinaus erreichen.
Ich habe jetzt acht Minuten verschenkt und bitte, das
mit einem Bier zu honorieren.
Vielen Dank.
({5})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun Professor
Herbert Schui.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Grünen spielt in einer Welt, die wenigstens insofern noch in Ordnung ist, als die Korruption ein
Gesetzesverstoß in der einen oder anderen Weise ist,
nicht aber in einer Welt, in der diejenigen bei der Gesetzgebung erfolgreich Hand anlegen, die sonst aktiv bestechen müssten.
({0})
- Ja, passen Sie auf.
Wenn wir uns vorstellen, dass die Welt insofern halbwegs in Ordnung wäre, dann ist Ihr Gesetzentwurf
durchaus begrüßenswert. Aber auch hier könnte das Register umfassender sein, auch wenn es dann kein einfaches Korruptionsregister mehr wäre, das nur Straftaten
und Verstöße auflistet.
Was sollte beispielsweise noch in das Register aufgenommen werden? Was sollte die politische Entscheidungsinstanz wissen? Werden Tariflöhne gezahlt? Wie
hoch sind die Löhne überhaupt, auch wenn Tariflöhne
gezahlt werden bzw. sie dem Entsendegesetz entsprechen? Ich glaube, auch das kann für eine öffentliche Entscheidung darüber, an wen ein Auftrag vergeben wird,
bedeutend sein. Wie verhält es sich mit den Arbeitsbedingungen? Wird die Gründung eines Betriebsrates ständig hintertrieben? Wie ist es mit dem Umweltschutz?
Werden die herrschenden Normen überboten? Wird
mehr gemacht als vorgeschrieben? Auch diese Frage
wäre angebracht. Wie war es mit Pfusch am Bau, auch
wenn er niemals justiziabel geworden ist?
Was gehört noch in ein erweitertes Register? Dass
beispielsweise Siemens die Gründung einer Betriebsgewerkschaft als Gegengewerkschaft zur IG Metall finanziert - das ist die amüsante Geschichte mit dem Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer und mit
Wilhelm Schelsky -, gehört ebenfalls hinein.
({1})
- Ja, das ist ein Straftatbestand. Sie haben das nicht in
Ihre Liste aufgenommen.
({2})
- Ja, richtig. Danke. Ich wollte es aber lieber als politisches Phänomen begriffen haben. Da wird jemand ausgeguckt und hoch dotiert, und dann gründet er sozusagen
eine Gegengewerkschaft. Es könnte ja sein, dass im
Stadtrat beispielsweise SPD-Mitglieder vertreten sind,
die gleichzeitig in der IG Metall sind und sich dann dafür einsetzen, dass ein solches Unternehmen trotz allem
einen öffentlichen Auftrag nicht bekommt, weil das
keine Art und Weise ist.
({3})
- Die ist ohnehin öffentlich. Aber das ist nicht mein
Punkt.
Noch wichtiger aber ist, sich darüber Rechenschaft
abzulegen, wie Gesetze überhaupt zustande kommen.
Man muss sich darüber klar werden, dass die Korruptionsregister dann weniger lang werden, wenn das gesetzlich erlaubt wird, was sonst erst durch Bestechung
erkauft werden müsste. Ich zitiere eine längere Passage
aus der Zeit vom 30. Oktober 2003:
Stolz sind die Lobbyisten auch auf ihren Beitrag zur
Gemeindefinanzreform. BDI und DIHK intervenierten bei Wirtschaftsminister Clement und Finanzminister Eichel gegen das Kommunal-Modell,
das die Regierungsfraktionen favorisierten. Der Telekom-Konzernbeauftragte Maldaner rechnete den
Ministerialbeamten vor, dass dieses Modell seinem
Unternehmen eine zusätzliche Steuerlast von einer
Milliarde Euro bringen würde.
Die Regierung legte daraufhin einen eigenen Gesetzentwurf vor, der allerdings, wie der DIHKMann Alfons Kühn inzwischen öffentlich erklärte,
- so der Artikel in der Zeit im Wesentlichen auf den Ausarbeitungen seines
Verbandes beruhte ... „Geld in Umschlägen unter
dem Tisch“, das mache man heute nicht mehr, sagt
Kollegiumspräsident Zumpfort. „Unsere Mittel sind
Information und Kommunikation.“
Herr Zumpfort ist der Präsident eines Kollegiums,
dem die Vorstände der 30 DAX-Unternehmen und andere Interessenvertreter angehören. Sie treffen sich gelegentlich zum Meinungsaustausch in Berlin und schauen,
was zu machen ist. Zumpfort berichtet, dass beispielsweise die Dienstwagensteuer auf Betreiben dieses Kollegiums versenkt worden ist.
Innerhalb der Lobby ist offenbar eine Verschiebung
der Machtverhältnisse erfolgt. Die Managementberaterin
Inge Maria Burgmer sagt, die großen Unternehmen hätten sich innerhalb der Lobbyszene gegenüber ihren Verbänden durchgesetzt; die Steuerungsmöglichkeiten der
Konzernlenker und ihre politische Bedeutung hätten zugenommen, zum Beispiel bei der Mitwirkung an Gesetzen.
Zwischen 2004 und 2007 wirkte ein Angestellter der
Deutschen Börse AG gleich an zwei Gesetzen mit. Des
Weiteren ist die Bankenrichtlinie zu nennen, über die der
Focus am 27. Oktober berichtete.
({4})
- Nun seien Sie doch friedlich. Es geht mir um eine bessere Gesetzgebung; ich will Ihrem Gesetzentwurf zustimmen.
({5})
- Gut.
Das Energiewirtschaftsgesetz aus Clements Zeiten ist
ein weiteres Beispiel. Theo Koll, Redaktionsleiter bei
Frontal 21, hat ermittelt und einiges Interessantes festgestellt: Unter Inkaufnahme von Risiken erpressten die
Energiekonzerne die Bundesregierung zu Clements Zeit.
Die Drohung wirkt schlussendlich. Die Konzerne sind
durchaus in der Lage, ein Gesetz nach ihren Vorstellungen durchzusetzen. In den Fußnoten der Gesetzesvorlage
heißt es mehrfach: Wörtlich RWE. Wenn die Dinge so
weit gediehen sind und wenn es so weitergeht, dann gibt
es bald keine Korruption mehr. Dann bleibt Ihr Korruptionsregister leer. Ihr Gesetzentwurf in Gottes Ohr!
Auch über Parteispenden wäre zu reden. Ich möchte
noch immer sehr gerne wissen, wem der Altkanzler
Helmut Kohl sein Ehrenwort gegeben hat,
({6})
als es um die besagten 2 Millionen gegangen ist. Ist angesichts solcher und anderer Spenden sicher, dass die
Gesetzgebung unabhängig vom Spender ist?
Je größer der Einfluss der Unternehmerschaft auf die
Gesetzgebung ist, desto geringer ist die Zahl der Korruptionsdelikte. Deswegen reicht ein Korruptionsregister alleine - so sehr ich es begrüße - nicht aus.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Schultz, Sie wollten mir offenbar gerade charmant zu meiner Wiederwahl als Vorsitzender der Jungen Union gratulieren. Zu meinem 29. Lebensjahr passt das auch.
Herr Schui, Sie haben gerade einen bunten Strauß an
Verfehlungen bis hin zu schweren Straftaten präsentiert.
Sie haben sehr viel miteinander vermischt. Dazu muss
ich Ihnen sagen: Es tut mir leid, wir arbeiten im Wirtschaftsausschuss zwar nicht zusammen, sitzen aber dort
zusammen. Dort haben Sie schon wesentlich bessere
Beiträge geleistet als heute. Was Sie gerade gesagt haben, war schlichtweg am Thema vorbei. Das ist nicht
Thema des Gesetzentwurfs, für den Herr Ströbele mit
großer Verve geworben hat.
Herr Ströbele, wenn ich sehe, wie leer die Reihen bei
Ihnen sind, dann muss ich sagen, dass das Interesse in
Ihrer eigenen Fraktion und in Ihrer Wunschkonstellation
Rot-Grün nicht so stark ausgeprägt zu sein scheint wie
Ihr Engagement für den Gesetzentwurf.
({0})
Ich bin angesichts des geringen Interesses Ihrer Kollegen
optimistisch, dass dieses Thema nicht so offensiv vorangetrieben wird, wie Sie es gerade in Ihrer Rede getan haben.
({1})
Ich bin der Meinung, dass wir das so nicht machen sollten.
Im Übrigen ist das, was Sie vortragen, nichts anderes
als kalter Kaffee. Darüber wurde bereits mehrfach beraten. Aber nichts wurde verabschiedet, und zwar aus gutem Grund
({2})
- es ist aber nicht Gesetz geworden -, weil man der Meinung war, dass es nicht richtig ist, einen öffentlichen
Pranger zu schaffen und Menschen vorzuverurteilen, bevor eine abschließende juristische Bewertung stattgefunden hat.
({3})
Das ist der Kardinalfehler Ihres Gesetzentwurfs: Sie
sagen, ein hohes Maß an Gewissheit bezüglich der Verfehlung solle Maßstab sein. Was soll das heißen? Es gibt
sicherlich bessere Möglichkeiten, gegen Korruption vorzugehen. Dass das notwendig ist, obwohl wir im europäischen Vergleich statistisch gesehen verhältnismäßig gut
dastehen, steht außer Zweifel. Denn Korruption ist eine
der Geißeln, die beispielsweise im öffentlichen Bereich
eine große Rolle spielt; Herr Kollege Nüßlein hat bereits
darauf hingewiesen. Wir müssen Korruption sehr ernst
nehmen und sehr konsequent bekämpfen.
Ich wende mich allerdings entschieden gegen eine
Stigmatisierung, die zu einer öffentlichen Vorverurteilung führt. Das ist genau das Ziel, das Sie verfolgen. Sie
sagen, ein Zentralregister über unzuverlässige Unternehmen reiche deshalb nicht aus, weil nicht jeder zu jedem
Zeitpunkt dazu Zugang habe; es müsse möglich sein,
Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen. Das
werte ich eindeutig als eine Vorverurteilung. Mit
schwarzen Listen und sonstigen Dingen, die Sie vorhaben, möchten wir nichts zu tun haben, schon gar nichts
mit einem Denunziantengesetz.
({4})
Die Partei, die sonst so sehr in bestimmten Bereichen,
nicht in allen, auf die Bürgerrechte verweist, versagt an
dieser Stelle komplett.
({5})
Bei jedem Thema schreien Sie nach den Bürgerrechten,
und das legt den Verdacht nahe, dass Sie sich anders als
die FDP, die das bei jedem Thema macht - nicht nur
dann, wenn es um ihre Klientel geht -, nur dann für die
Bürgerrechte stark machen, wenn es um Ihre Klientel
geht. Wenn es aber um eine bestimmte gesellschaftliche
Gruppe geht, die Ihnen nicht passt, wie zum Beispiel die
Unternehmer, dann sind Sie schnell mit Vorverurteilungen bei der Hand und stellen sie öffentlich an den Pranger.
({6})
Der Gesetzentwurf würde, sollte er Gesetzeskraft erlangen, was tatsächlich nicht geschehen wird - wir werden ihn nämlich mit Mehrheit ablehnen -, Willkür Tür
und Tor öffnen. Deshalb muss man sich bei einer zukünftigen Beratung dieses Themas Gedanken darüber
machen, wie man Korruption wirksam, effizient und
ohne zum Beispiel öffentliche Verleumdung zu betreiben
verhindern kann. Das ist der Punkt, an dem wir, wie ich
glaube, viel zu tun haben. Wir können im Bereich des
Vergaberechts einiges machen. Der Vorschlag des SPDKollegen Schultz, über Schwerpunktstaatsanwaltschaften nachzudenken, ist sicherlich sinnvoll. Das würde allerdings nicht in unsere Zuständigkeit fallen. Das tun die
Länder konsequent, und Sie haben die positiven Beispiele gerade genannt.
Was mich massiv stört - ich glaube, das ist in dieser
Debatte ganz klar herausgekommen -, ist der Eindruck,
den Sie mit der Länge dieser Debatte erwecken. Sie haben nur ein Bild der Unternehmer vor Augen. Sie zeichnen, wie es Herr Schui in seiner Rede getan hat - zweifellos haben Sie das etwas eleganter getan als Herr
Schui, der alles in einen Topf gerührt hat -, ein Bild des
Unternehmers, der per se korrupt ist. Zumindest legen
Sie diesen Verdacht nahe. Als hätte der Deutsche Bundestag in dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage
nichts Wichtigeres zu tun,
({7})
als sich in der Kernzeit, in der es auch um den öffentlichen Diskurs geht und nicht darum, Erklärungen zu
Protokoll zu geben, so lange mit einem Gesetzentwurf
zu beschäftigen, der schon einmal an anderer Stelle abgelehnt worden ist.
({8})
Sie tun so, als ob das Wohl und Wehe der deutschen
Wirtschaft oder des öffentlichen Gemeinwesens in
Deutschland daran hinge, ob dieses Gesetz zustande
kommt oder nicht. Das halte ich für unangebracht. Ich
glaube auch, dass das der Problemstellung, die wir aktuell angesichts der nun drohenden Wirtschaftskrise haben,
nicht entspricht.
({9})
Wir sind gegen ein Korruptionsregister. Wir sind für
eine effiziente Bekämpfung der Korruption. Das kann
mit einer Stärkung der Staatsanwaltschaften geschehen.
Das kann auf anderer Ebene besser als mit Ihrem Gesetzentwurf geschehen. Deshalb werden wir ihn ablehnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/9780 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fe-
derführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/
CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Rechts-
ausschuss.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Federführung beim
Rechtsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die
Stimmen der antragstellenden Fraktion von den übrigen
Fraktionen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Federführung
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - ab-
stimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Vorschlag zur federführenden Überweisung an den
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ist angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung
- Drucksache 16/10806 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia
Möller, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Handlungsfähigkeit der Bundesagentur für
Arbeit erhalten - Auf Senkung der Beitragssätze verzichten
- Drucksache 16/10618 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist so
günstig wie schon lange nicht mehr. Erstmals seit 1992
liegt die Zahl der Arbeitslosen wieder unter 3 Millionen.
Weniger Arbeitslose, mehr Erwerbstätige, mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Hunderttausende freie Stellen sind das Ergebnis einer erfolgreichen
Politik. Aufgrund dieser positiven Entwicklung kann der
Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter sinken.
Das ist der Erfolg der konsequenten und nachhaltigen
Reformpolitik: reformieren, investieren, sanieren. Dieser
Dreiklang ist erfolgreich durchgeführt worden, und daher dürfen wir uns auch einmal gemeinsam freuen,
({0})
denn wir erleben in diesem Land oft genug, dass der Erfolg von einer Gruppe in der Gesellschaft eingestrichen
wird, während für die negativen Ergebnisse die Politik
verantwortlich ist. Jetzt legen wir eine hervorragende Bilanz vor, und meines Erachtens sollten wir dies auch mit
allem Selbstbewusstsein nach außen vertreten.
Innerhalb von zwei Jahren haben wir den Beitrag zur
Arbeitslosenversicherung halbiert, von 6,5 Prozent Ende
2006 auf heute 3,3 Prozent. Unser Ziel ist es, den Beitragssatz dauerhaft auf 3 Prozent zu senken und die Beiträge zur Sozialversicherung langfristig unter 40 Prozent
zu halten. Das ist eine gut kalkulierte Größenordnung,
die den Kriterien von Stabilität und Verlässlichkeit
Rechnung trägt.
Wegen der guten konjunkturellen Entwicklung der
letzten Zeit und der guten Finanzsituation der Bundesagentur für Arbeit ist es möglich,
({1})
den Beitragssatz für einen befristeten Zeitraum von anderthalb Jahren, nämlich vom 1. Januar 2009 bis zum
30. Juni 2010, sogar auf 2,8 Prozent zu reduzieren. Damit nutzen wir den vorhandenen Spielraum optimal aus.
Uns ist wichtig, dass mit dem Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung keine willkürliche Stop-and-go-Politik
betrieben wird; vielmehr setzen wir auf eine Politik der
Stabilität und Verlässlichkeit, denn die Bundesagentur
braucht gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten finanziellen Spielraum. Es wäre deshalb falsch, die Beiträge in wirtschaftlich guten Zeiten maßlos zu senken,
wie es einige leider immer wieder verlangen und bestimmt auch heute wieder fordern werden, denn das bedeutete, dass in konjunkturell schwierigen Lagen die
Beiträge prozyklisch wieder erhöht werden müssten.
Das wäre keine verlässliche und vorausschauende Politik.
Die Bundesagentur für Arbeit hat erhebliche Rücklagen. Deshalb können wir den Beitragssatz für einen
überschaubaren Zeitraum von 18 Monaten auf 2,8 Prozent senken und so die Beitragszahler erheblich entlasten.
({2})
Gegenüber 2006 beträgt die Entlastung rund 30 Milliarden Euro jährlich; ich wiederhole es: 30 Milliarden Euro
Entlastung in einem Jahr, für Unternehmen und für Arbeitnehmer. Das hilft bei den Unternehmen mit, Investitionen schneller und besser durchführen zu können, und
bei den Arbeitnehmern hilft es, den privaten Konsum anzuschieben. Der private Konsum wird umso wichtiger, je
schwieriger das weltwirtschaftliche Umfeld für unser
Wachstum ist.
({3})
Berücksichtigt man nur die Arbeitslosenversicherung
und vergleicht die Jahre 2006 und 2009, so ergibt sich
bei jemandem, der 30 000 Euro Jahreseinkommen hat,
eine Entlastung von 555 Euro pro Jahr, und dies jeweils
bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Berücksichtigt
man insgesamt alle Veränderungen bei den Beitragssätzen zur Sozialversicherung zwischen 2006 und 2009,
dann hat ein Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoeinkommen von 30 000 Euro im Vergleich zu 2006 264 Euro
mehr in der Tasche. So setzen wir gerade jetzt, wo wir
schwierigen Zeiten entgegensehen, wichtige Impulse für
Wachstum und Beschäftigung.
Natürlich sehen wir die Risiken am Arbeitsmarkt. Wir
müssen damit rechnen, dass sich die Finanzkrise auf die
reale Wirtschaft auswirken und dass die Entwicklung am
Arbeitsmarkt stagnieren wird. Auch eine ungünstigere
Entwicklung ist sicherlich nicht auszuschließen. Aber
gerade in solchen Zeiten sind wohlüberlegtes Handeln,
Stabilität und Verlässlichkeit von enormer Bedeutung.
Die Bundesregierung geht mit dieser Situation wahrlich
nicht leichtfertig um. Sie ist vorbereitet und reagiert präventiv auf die zu erwartenden Folgen der Finanzkrise.
Unser Ziel ist es, die Beschäftigungserfolge der letzten
Jahre zu sichern. Es geht daher nicht um einen Wettlauf
um die niedrigsten Beitragssätze, sondern es geht um
eine zukunftsfähige Bundesagentur, die ihrem Auftrag,
Arbeitslose zu qualifizieren und passgenau zu vermitteln, nachkommt und für diesen Auftrag auch genügend
Mittel zur Verfügung hat.
({4})
Effizienz und Qualität dürfen nach unserer Überzeugung
kein Gegensatz sein.
Weiterbildung, gezielte Qualifizierung und nachhaltige Arbeitsmarktpolitik sind von entscheidender Bedeutung, um Beschäftigung in diesem Land zu sichern. Wir
brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die den veränderten
Erwerbsbiografien ebenso Rechnung trägt wie den
hohen Qualifizierungsansprüchen infolge des internationalen Wettbewerbs. Deswegen werden wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu ausrichten. Wir werden die Maßnahmen noch passgenauer und flexibler
ausgestalten, um die größtmögliche Wirkung mithilfe
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zur Integration
in den Arbeitsmarkt zu erreichen.
Dass wir den Beitragssatz weiter senken können, ist
nicht nur Ergebnis einer gelungenen Reformpolitik, sondern auch das Ergebnis einer nachhaltigen, vorausschauenden und verlässlichen Arbeitsmarktpolitik. Genau
diese Arbeitsmarktpolitik wollen wir weiter vorantreiben. So stellen wir die Weichen, die Beschäftigung auch
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu sichern. Mit anderen Worten: Wir leisten damit einen verlässlichen Beitrag zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung in diesem Land.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die FDP-Fraktion redet der Kollege Dirk Niebel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist lange schon möglich, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weiter zu senken. Die Betrachtungsweise des Herrn Staatssekretärs ist doch recht eindimensional, wenn er diesen zwingend notwendigen
Schritt zu etwas mehr Entlastung von Betrieben und Arbeitnehmern so darstellt, als wenn jetzt alles gut wäre.
Diese Bundesregierung hat sich vorgenommen, den
Beitrag zu den Sozialversicherungen dauerhaft auf unter
40 Prozent zu senken. Das haben Sie nur einmal kurzzeitig geschafft, nämlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sie
die Pflegeversicherungsbeiträge zum Sommer dieses
Jahres erhöht haben.
({0})
Auch mit der jetzt angekündigten notwendigen Maßnahme der weiteren Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge werden Sie bei Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 über der 40-ProzentBeitragsmarke bleiben. Sie haben Ihr Ziel nicht erreicht.
Sie haben mit einem wesentlichen sozialpolitischen Ziel
Schiffbruch erlitten. Das muss man hier ganz deutlich
sagen.
({1})
Sie haben eine eindimensionale Betrachtungsweise
geliefert, indem Sie zwar völlig zu Recht festgestellt haben, dass die notwendigen Beitragssenkungen in der Arbeitslosenversicherung durchgeführt worden sind. Da
mussten wir Sie übrigens teilweise zum Jagen tragen.
Was Sie unterschlagen haben, das ist die Erhöhung der
Mehrwertsteuer, die von Ihnen unter anderem auch zur
Absenkung der Beitragsbelastung der Arbeitslosenversicherung durchgeführt worden ist. Was Sie aber unterschlagen haben, ist die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge. Was Sie unterschlagen haben, ist die
Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge.
Jetzt stellen Sie sich hin und tun so, als wäre eine Beitragsabsenkung in der Arbeitslosenversicherung von
0,5 Prozentpunkten eine deutliche Entlastung für die
Bürgerinnen und Bürger und als wäre deswegen die
Mehrbelastung in der Krankenversicherung - ohne Gesundheitsfonds - um 0,5 Prozentpunkte faktisch kompensiert. Sie entlasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei
der Arbeitslosenversicherung um 4 Milliarden Euro.
({2})
Sie belasten die gesamte Gesellschaft insgesamt mit
5 Milliarden Euro,
({3})
Herr Kauder; denn die Arbeitslosenversicherungsbeiträge sparen nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und die Arbeitgeber, nicht die Rentner, nicht die
Arbeitslosen, nicht die Studierenden, nicht die Hausfrauen, nicht die Schülerinnen und Schüler. Diese Menschen, die durch die Mehrwertsteuererhöhung von Ihnen
überproportional belastet wurden, werden jetzt wieder
zusätzlich belastet: durch eine Scheinentlastung im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Das ist unredlich.
({4})
Trotz der Notwendigkeit und übrigens auch der Möglichkeit der Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Arbeitslosenversicherung lamentiert
die Nürnberger Anstalt wieder öffentlich in den Medien.
Sie sagt: Wir müssten an die Rücklagen gehen. - Natürlich muss sie das. Alles, was in Nürnberg zu viel an Geld
zur Verfügung steht, ist vorher Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu viel weggenommen worden.
Die Nürnberger Anstalt hat nicht die Aufgabe, die
Sparbüchse der Bundesrepublik zu sein; sie hat die Aufgabe, die Arbeitslosenversicherung zu organisieren und
einen Integrationsprozess zu gestalten, zu dem auch gehört, den Menschen und den Betrieben mehr vom selbstverdienten Geld übrig zu lassen,
({5})
Arbeit billiger zu machen, damit man leichter einstellt
oder damit es schwerer fällt, zu entlassen, den Menschen
mehr Netto vom selbstverdienten Brutto zu lassen, damit
sie konsumieren können. Das führt dazu, dass man Arbeitsplätze gewinnt. Das führt dazu, dass man Beitragszahler und Steuerzahler gewinnt und im Ergebnis eine
dauerhaft gute Entwicklung für die deutsche Wirtschaft
sicherstellt.
Sie tun so, als seien Sie so etwas Ähnliches wie der
Weihnachtsmann.
({6})
Sie machen aber nichts anderes, als den Menschen das
zurückzugeben, was Sie ihnen zu viel weggenommen
haben. Deswegen ist das, was jetzt passiert, zwingend
notwendig und dauerhaft möglich.
Aus diesem Grund muss man ganz deutlich sagen:
Die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent ist zwar eine Entlastung, aber
sie ist nur befristet bis nach der Bundestagswahl. Was
Sie im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern als Wahlgeschenk für die CSU angerührt haben, versuchen Sie für
die sogenannte Große Koalition über den Bundestagswahltermin zu retten. Machen Sie es dauerhaft! Die
Möglichkeiten sind da. Die Spielräume gibt es. Dann
können wir auch über eine vernünftige Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und der Strukturen
der öffentlichen Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsverwaltung diskutieren. Das machen wir morgen
um 10.55 Uhr. Ich lade Sie alle herzlich dazu ein.
({7})
Der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung uns den Anlass bietet, angesichts der aktuellen Herausforderungen, die vor uns stehen, noch einmal über
das Erreichte zu reden. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt
die beste Situation seit 16 Jahren: erstmals seit 16 Jahren
unter 3 Millionen Arbeitslose. Wir sind damit noch nicht
zufrieden, wir sind noch nicht am Ziel, aber es ist ein
Riesenerfolg der Regierung von Angela Merkel, diese
Zahl erreicht zu haben. Darauf können wir gemeinsam
stolz sein.
({0})
Dazu gehören weitere Rekordzahlen. Es gibt
28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
und 41 Millionen Erwerbstätige. Das sind Rekordzahlen,
auf die wir gemeinsam stolz sein können.
({1})
Das allein ist auch die Basis für das, was die Bundesregierung hier vorschlägt, nämlich für die Senkung des
Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung. Wir haben
über all die Jahre der Großen Koalition sinkende Arbeitslosenzahlen, und deswegen haben wir auch sinkende Beitragssätze. Wir halten Kurs, indem wir jetzt,
auch wenn die Zeiten schwieriger werden, damit fortfahren und die Beitragssätze weiter senken. Wir sind damit
im nächsten Jahr bei einem paritätisch finanzierten Beitragssatz zu den Sozialversicherungen von 39,25 Prozent. Wir sind bei einem Beitragssatz von klar unter
20 Prozent für die Arbeitgeber.
({2})
Wir wissen, wie wichtig das für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land ist.
Ich will noch einmal deutlich sagen, was bei der Arbeitslosenversicherung schon erreicht worden ist und
was jetzt noch erreicht wird: Wir entlasten die Menschen
im nächsten Jahr noch einmal um 4 Milliarden Euro.
Man muss das Gesetz und die Verordnung in einem politischen Zusammenhang sehen. Das ist dann eine Entlastung gegenüber 2006 um 3,7 Prozentpunkte. Das bedeutet für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber 2006
insgesamt eine Entlastung um 30 Milliarden Euro; es
sind nicht nur die 4 Milliarden Euro in einem Jahr. Das
ist eine einmalige Erfolgsbilanz dieser Großen Koalition. Das sind die Zahlen, um die es geht.
({3})
Wir haben das gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt. Wir behalten diesen Kurs bei. 265 Euro Entlastung - der Staatssekretär Brandner hat zu Recht darauf hingewiesen - bedeutet das für einen Arbeitnehmer
schon bei einem Jahresbruttoeinkommen von
30 000 Euro.
Wir haben es mit dem Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in der Tat geschafft, Reserven bei der BA anzuhäufen. Ich will jetzt
nicht sagen, dass es an dem Gehalt des Kollegen Niebel
lag, dass es damals anders war. Aber zu der Zeit, lieber
Kollege Niebel, als Sie noch bei der BA beschäftigt waren, benötigte die BA jedes Jahr einen Zuschuss des
Bundes.
({4})
Wir haben ihn auch gegeben; aber wir sind froh, dass die
BA heute Reserven hat und keinen Bundeszuschuss
mehr braucht. Das ist der Unterschied gegenüber früheren Zeiten.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich von den
Zahlen ausgehe, die uns der Sachverständigenrat heute
in seinem Gutachten präsentiert hat, nämlich dass trotz
der wirtschaftlichen Stagnation, auf die wir uns einstellen müssen, die Zahl der Arbeitslosen jahresdurchschnittlich nur um 30 000 steigt, dann liegt der Schluss
nahe, dass der Arbeitsmarkt in einer robusteren Verfassung ist, als es in früheren Jahren der Fall gewesen ist.
Viele Jahre gab es Wachstumsraten von mehreren Prozent, ohne dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist.
Ich rate uns dazu, jetzt einmal das zu tun, was wir tun
können, und die weitere Entwicklung der Finanzen abzuwarten. Ich weise nur darauf hin: Im Jahr 2007 ist die
Entwicklung der Finanzen der Bundesagentur für Arbeit
am Ende um 11 Milliarden Euro positiver ausgefallen als
erwartet. Statt eines erheblichen Defizits ist ein Überschuss erzielt worden. Auch in diesem Jahr - so sieht es
bisher wenigstens aus - wird der BA-Haushalt um
3,4 Milliarden Euro besser dastehen, als es für dieses
Jahr prognostiziert war. Das zeigt, diese Regierung hat
bisher immer vorsichtiger geschätzt und wurde nachher
von der Realität positiv übertroffen. Wann, wenn nicht in
einer solchen Zeit sollten die Reserven, die die Bundesagentur hat, eingesetzt werden, um den Arbeitsmarkt anzukurbeln? Die BA ist keine Sparkasse. Deshalb ist jetzt
der richtige Zeitpunkt, das zu tun.
({6})
Wir setzen also jetzt genau die richtigen Akzente.
Ich will auch noch einmal etwas zu der Befristung sagen, lieber Kollege Niebel. Ihre Argumentation ist nun
wirklich völlig an den Haaren herbeigezogen. Wir haben
dreimal den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung
per Gesetz formal unbefristet gesenkt. Wir haben uns
dann immer die Freiheit genommen, und zwar immer
gegen Ihren Widerstand, das unbefristete Gesetz zu ändern und die Beiträge noch stärker zu senken.
({7})
Den Menschen ist es egal, ob sie per Gesetz oder per
Verordnung entlastet werden. Die Menschen haben diese
Entlastung nötig. Deshalb bekommen sie sie auch.
({8})
Der niedrigere Beitragssatz wird dann zu einem Dauerzustand werden, wenn sich der Arbeitsmarkt auch in Zukunft wieder dauerhaft positiv entwickelt. Es ist besser,
befristet die Beiträge zu senken, als sie unbefristet konstant zu lassen.
({9})
Genau das haben wir immer getan. Das hat nichts mit
der Bundestagswahl zu tun. Wir stehen vielmehr dafür,
dass die Beiträge immer dann gesenkt werden, wenn es
möglich ist. Nach dieser Maxime haben wir wie keine
andere Regierung vor uns gehandelt, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({10})
Keiner wird heute ernsthaft behaupten können, schon
alle Konsequenzen der Finanzmarktkrise absehen zu
können. Aber so viel ist klar: Beitragssatzsteigerungen
wären Gift für die reale Wirtschaft. Beitragssatzsteigerungen wären Gift für den Arbeitsmarkt. Wir verhindern
sie nicht nur, sondern senken sogar die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Wir tun das uns Mögliche, liebe
Kolleginnen und Kollegen, um mit unserer Politik die
Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt so gering
wie möglich zu halten. Wir tun das uns Mögliche, um
den Arbeitsmarkt zu schützen. Deshalb appelliere ich an
die Arbeitgeber: Gehen Sie mit den Arbeitnehmern jetzt
gemeinsam durch diese schwierige Phase! Lassen Sie
uns gemeinsam die Herausforderungen meistern, vor denen die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt jetzt stehen!
Wir als Politik unterbreiten ein Unterstützungsangebot: Mit niedrigeren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, mit der Verlängerung des Bezugszeitraums für das
Kurzarbeitergeld leisten wir einen Beitrag dazu, dass die
Menschen gemeinsam und solidarisch diese Krise überDr. Ralf Brauksiepe
winden können. Wir werden diesen Weg auch weitergehen, zur Not auch gegen Widerstände. Ich rufe Sie auf:
Machen Sie dabei mit! Der Arbeitsmarkt braucht belebende Effekte. Das vorliegende Gesetz ist ein gutes Gesetz, das wir unterstützen.
Herzlichen Dank.
({11})
Kornelia Möller spricht jetzt für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wenn ich höre, was Sie gerade gesagt haben, und wenn ich mir den Gesetzentwurf ansehe, kann
ich nur sagen: Die Bundestagswahl wirft ihre langen
Schatten voraus. Nun will die Koalition noch einmal so
richtig auf die große Pauke hauen. Sie will den niedrigsten Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung seit 1975
beschließen,
({0})
und das trotz Finanzkrise, Kurzarbeit und beginnender
Entlassungswellen bei den Menschen, die in der Leiharbeit ohnehin schon zu schlechten Bedingungen arbeiten müssen. Ich nenne das Vorhaben einen billigen Taschenspielertrick auf Kosten von Bürgerinnen und
Bürgern.
({1})
Hier die Fakten: Das IAB geht für 2009 von einer
Steigerung der Erwerbslosigkeit auf durchschnittlich 3,5
bis 3,7 Millionen aus. Dabei sind die Auswirkungen der
aktuellen Wirtschaftswachstumsprognosen wie zum Beispiel des IWF, der von einem Minuswachstum von
0,8 Prozent ausgeht, noch nicht berücksichtigt. Hinzu
kommen heute schon mehr als 8 Millionen Menschen in
atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Was 2010 wird,
weiß niemand. Aber dass mit der Krise die Arbeitslosigkeit steigt, ist gewiss. Für diese Menschen braucht man
volle und nicht leere Kassen in der BA. Wir sind daher
gegen die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
({2})
Fakt ist: Mit den Hartz-Gesetzen wurde die BA einseitig betriebswirtschaftlich ausgerichtet, und die langzeiterwerbslosen Menschen wurden in den Bereich des
SGB II abgeschoben, wo sie bis heute nicht im Entferntesten die notwendigen Fördermöglichkeiten für eine rasche Rückkehr in den Arbeitsprozess erhalten. Noch
immer fehlen über 7 000 Vermittler. Das Organisationschaos ist auch nach drei Jahren nicht beendet. Außerdem
fehlen Schlussfolgerungen aus dem durch die Hartz-Gesetze verursachten Niedergang der geförderten beruflichen Weiterbildung und ihrer Träger. Wir brauchen einen wirkungsvollen, wenn Sie so wollen, Schutzschirm
für die zu erwartende steigende Zahl von Erwerbslosen.
({3})
Auch deshalb ist die Beitragssatzsenkung gerade jetzt
der falsche Schritt.
Fakt ist, dass viele Unternehmen mit den Geldern, die
ihnen der Staat durch die Unternehmensteuerreform geschenkt hat, nicht massenhaft Arbeitsplätze schaffen und
erhalten. Das Märchen von den angeblich zu hohen
Lohnnebenkosten können Sie sich schenken. - Herr
Brauksiepe, Sie könnten ruhig zuhören. - Durch die Senkung der Arbeitslosenbeiträge können die Unternehmen
allein 2009 mit einem milliardenschweren warmen Euroregen rechnen. Angesichts der gegenwärtigen globalen
Absatzprobleme wird man sich in den meisten Unternehmen allerdings vordringlich überlegen, wie mit den zusätzlichen Mitteln Rationalisierungs- und Kostensenkungsprogramme aufgelegt werden können. Das ist das
Gegenteil von Arbeitsplatzbeschaffung. Schon jetzt wird
kurzgearbeitet und entlassen.
Fakt ist die hohe Langzeitarbeitslosigkeit. Um sie abzubauen, werden ausreichende Mittel für Arbeitsmarktmaßnahmen benötigt. 70 Prozent der Arbeitslosen, so
viel wie in fast keinem anderen europäischen Land, sind
langzeiterwerbslos, und dies trotz Wirtschaftsaufschwungs und angeblicher Wirkung der Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Jahren. Bereits vor der Finanzkrise kamen die Nürnberger Arbeitsmarktforscher
für 2009 auf fast 2,4 Millionen Erwerbslose im SGB II.
Jetzt werden weit mehr Menschen betroffen sein. Da
braucht es Geld, um diese Menschen gut betreuen und
schnell wieder in Arbeit vermitteln zu können, Geld, das
Sie heute den Erwerbslosen von morgen vorenthalten
und an Unternehmen umleiten wollen.
Fakt ist, dass Sie Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten, Arbeitslose und Langzeitarbeitslose nicht entlasten. Bei den abhängig Beschäftigten
werden die Minientlastungen durch andere Faktoren
mehr als kompensiert.
Übrig bleibt die nackte Wahrheit: Gewinnen werden
vor allem die Unternehmen. Entlastungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind marginal, und sie
werden für den Preis künftiger Arbeitsplatz- und Existenzunsicherheit erkauft.
Wichtig ist auch: Die Nürnberger Arbeitsmarktforscher haben bereits Anfang 2007 ermittelt, dass aus derartigen Beitragssenkungen die Menschen in den östlichen Bundesländern den geringsten Nutzen ziehen. Da
nach fast 20 Jahren deutscher Einheit die Arbeitslosigkeit zwischen Rostock und Dresden nach wie vor doppelt so hoch ist wie die zwischen Hamburg und München, brauchen wir eine neue Offensive für mehr
Arbeitsplätze, für öffentlich geförderte Jobs vor allem in
den strukturschwachen Gebieten, übrigens auch im Westen, auch in Bayern. Das kostet nun einmal Geld.
Schauen Sie über den Teich. Obama will im Angesicht der bevorstehenden Rezession eine Verlängerung
der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, eine stärkere
Binnennachfrage also. Vielleicht lassen Sie einfach Ihre
Scheukappen fallen und sehen endlich der Realität ins
Auge.
({4})
Denn es ist paradox. Der Welt und insbesondere
Deutschland stehen die wirtschaftlich schwersten Zeiten
bevor, und die Regierung senkt zu Beginn dieser Entwicklung die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Gleichzeitig beschließt sie ein Gesetz, mit dem darüber
hinaus verstärkt an den Instrumenten der Arbeitsförderung gespart werden soll.
Daraus kann man nur eine Schlussfolgerung ableiten:
Ganz offensichtlich will die Koalition den ohnehin
schon Benachteiligten auch noch den Großteil der Lasten der kommenden Rezession aufbürden. Ich sage Ihnen: Nicht mit uns. Beerdigen Sie Ihren Gesetzentwurf.
Stimmen Sie unserem Antrag zu; denn Arbeitsmarktpolitik muss immer Politik für, aber nicht gegen die Menschen sein.
({5})
Nun hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf
2,8 Prozent ist nicht sachgerecht und hat nichts, aber
auch gar nichts mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Die Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung ist der Versuch, die Steigerung der
Krankenkassenbeiträge zu kompensieren, die durch den
unsäglichen Gesundheitsfonds verursacht wird.
Deswegen, lieber Herr Brandner, ist es auch nicht so,
dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer 30 Milliarden Euro
mehr in der Tasche haben. Vielmehr ist das das Prinzip
„linke Tasche, rechte Tasche“. Dabei bleibt bei den Betroffenen einfach nichts übrig.
({0})
Dies ist vielmehr ein Wahlkampfmanöver. Das geht
leider zulasten derjenigen, die infolge der steigenden Arbeitslosigkeit, die wirklich kommen wird und auf die wir
uns vorbereiten müssen, dringend Qualifizierungsmaßnahmen benötigen. Zudem wird es die Bundesagentur
für Arbeit in eine absehbare Schieflage bringen.
({1})
Wenn Sie mir das nicht glauben wollen - mir gegenüber sind Sie ja immer sehr ungläubig -, dann glauben
Sie das doch wenigstens dem Chef der Bundesagentur
für Arbeit,
({2})
der schon im Oktober gesagt hat, dass dieses Manöver
zu einer Schieflage in seiner Agentur und zu einem Minus von 5 Milliarden Euro im operativen Geschäft führen werde. Dabei ist er von einer Wachstumsprognose
von 1,2 Prozent ausgegangen. Vor dem Hintergrund einer Wachstumsprognose von 1,2 Prozent bedeutet das
ein Minus von 5 Milliarden Euro im operativen Geschäft! Wir reden aber nicht mehr über Wachstum. Derzeit reden wir von einer Rezession. Das bedeutet eine
steigende Arbeitslosenzahl. Für die Bundesagentur für
Arbeit bedeutet das sinkende Einnahmen bei gleichzeitig
steigenden Ausgaben. Das wiederum bedeutet mehr
Kosten für dringend notwendige arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen, jedenfalls wenn man auf diesem Gebiet
noch einen gewissen Anspruch hat.
({3})
Die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit wird vor
diesem Hintergrund abschmelzen wie Schnee in der
Sonne während des Klimawandels, liebe Freundinnen
und Freunde. Außerdem wird der Beitragssatz von
2,8 Prozent niemals 18 Monate beibehalten. Das wissen
Sie ganz genau, Herr Brauksiepe.
Das weiß auch der Arbeitsminister. Dieser Beitragssatz wird bis zum Tag der Wahl beibehalten. Dafür ist
das Projekt auch da. Ich glaube aber nicht, dass Ihnen
das viel nützen wird.
Der Arbeitsminister hat selbst gesagt, dass eine Beitragssatzsenkung auf 3 Prozent strukturell vielleicht vernünftig sein könne, aber nur dann, wenn die Arbeitslosenzahl auf dem gegenwärtigen Niveau gehalten wird.
Jeder und jede von uns weiß aber, dass das nicht so sein
wird. Es wäre wirklich gut, wenn wir uns ein bisschen
auf die sehr schwierigen Zeiten vorbereiten würden, die
auf uns zukommen. Es ist doch klar wie Kloßbrühe, dass
dieser Konjunkturabschwung, der durch die Finanzkrise
noch einmal verschärft wird, auch zu schwerwiegenden
Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt führen wird.
Allein in der Zeitarbeitsbranche arbeiten 700 000
Menschen, die bereits jetzt von Arbeitslosigkeit bedroht
und zum Teil auch schon betroffen sind. Genauso verhält
es sich bei den Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverhältnissen. Diese Probleme liegen doch nicht in einer
fernen Zukunft. Sie gibt es bereits jetzt.
Da nützt es überhaupt nichts - wie auch heute geschehen -, von Vollbeschäftigung zu reden. Man muss sich
einmal vorstellen, dass der Bundesarbeitsminister letzten
Monat im Rahmen der Haushaltsberatungen trotz der
neuen Entwicklung von Vollbeschäftigung schwadroniert hat. So sieht der Haushalt auch aus; denn in ihm ist
in keiner Weise die Situation berücksichtigt, die auf uns
zukommen wird. Der Minister schwadroniert von Vollbeschäftigung, ohne auch nur eine einzige Andeutung
darüber zu machen, wie sie denn erreicht werden könnte.
({4})
Leidtragende dieses Politikversagens sind diejenigen,
die jetzt in der Gefahr sind, ihren Arbeitsplatz und damit
ihr Einkommen zu verlieren.
Sie haben den Vorschlag gemacht, die Bezugsdauer
des Kurzarbeitergeldes zu verlängern. Ich halte das für
eine vernünftige Maßnahme. Aber niemand sollte so tun,
als wäre mit dieser Maßnahme allein das Problem bereits
gelöst. Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass die
Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes
Geld kostet und den Etat der Bundesagentur für Arbeit
belasten wird.
({5})
Belastet wird der Etat der Bundesagentur für Arbeit
im Übrigen auch, wenn die Ankündigung des Bundesarbeitsministers, die Qualifizierung in den Betrieben zu
verbessern, in die Realität umgesetzt wird.
({6})
Wenn das Programm WeGebAU tatsächlich stärker gefördert wird, dann kostet das zusätzlich Geld. Auch der
nachträgliche Erwerb eines Hauptschulabschlusses ist
nicht umsonst zu haben, sondern kostet 160 Millionen
Euro.
({7})
Das unsägliche Projekt eines Ausbildungsplatzbonus,
der nur reine Mitnahmeeffekte hervorrufen wird, kostet
der Bundesagentur für Arbeit 450 Millionen Euro.
({8})
- Ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich berichtige - so
viel Zeit muss sein -: Dieses Projekt kostet die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich 450 Millionen Euro.
Lieber Herr Brauksiepe, Sie sind vielleicht gut in
Grammatik, aber Sie sind offensichtlich ganz schlecht in
Mathematik.
({9})
Wenn Sie all die Kosten zusammenrechnen, dann können Sie hier nicht allen Ernstes ankündigen, dass die
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden.
Mehr Arbeitslose kosten nämlich mehr Geld; wir brauchen mehr Geld für Qualifizierung. Was Sie angekündigt
haben, ist nicht umsonst zu haben.
Nehmen Sie Vernunft an und nehmen Sie diesen Vorschlag zurück! Lassen Sie die Arbeitslosen nicht im
Stich!
Ich danke Ihnen.
({10})
Jetzt spricht die Kollegin Andrea Nahles für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Kollegin Pothmer, wir sind hier im
Deutschen Bundestag und nicht auf dem Parteitag der
Grünen. Ich will das nur zur allgemeinen Orientierung
sagen.
({0})
Wer so viel Alarmismus verbreitet, der muss wissen,
dass er unverantwortlich handelt; denn wir befinden uns
insgesamt in einer Phase, in der es eine Verunsicherung
gibt. Deswegen sollten wir nicht noch zusätzlich Öl ins
Feuer gießen,
({1})
indem wir Behauptungen aufstellen, mit denen die Lage
in unbotmäßiger Weise dramatisiert wird. Das muss an
dieser Stelle klar gesagt werden.
({2})
Fakt ist, dass wir seit 16 Jahren die niedrigste Arbeitslosenzahl haben: 2 997 000. Wir müssen uns darüber im
Klaren sein, dass dadurch neue Spielräume eröffnet werden. Weil wir eine konjunkturelle Abschwungsituation
haben, sehe ich diese Spielräume richtig genutzt, wenn
wir die BA nicht als Sparschwein im Hinblick auf Arbeitslosenbeiträge ansehen.
({3})
Wir sollten die Spielräume, die es gibt, ein Stück weit
weitergeben. Dies wird die Binnennachfrage stabilisieren. Das ist in dieser Situation gut; das ist doch ganz
klar.
({4})
Wir müssen aber auch aufpassen; denn die Prognosen
des Sachverständigenrates von heute gehen von einem
Nullwachstum aus. Wir müssen natürlich präventiv aktivierende Maßnahmen ergreifen; denn dies wird sich
- davon gehen wir aus - auch auf die Arbeitslosenzahlen
auswirken. Niemand muss über den Ernst der Lage aufgeklärt werden. Aber für genau diese Situation haben
wir Reserven gebildet. Dies konnten wir deswegen, weil
die Situation in den letzten Jahren sehr gut war. Diese
Reserven liegen mittlerweile bei 15 Milliarden Euro. Ich
sage Ihnen: Obwohl die Prognosen heute nach unten
korrigiert wurden, kann die BA das leisten. Sie kann
noch Kurzarbeitergeld und 1 000 Vermittlungsstellen für
eine bessere Job-to-Job-Vermittlung finanzieren. Das alles ist möglich, ohne dass wir die BA ausplündern.
({5})
Ich sage das an dieser Stelle, damit der Alarmismus
keine falschen Vorstellungen hervorruft. Dies ist möglich, und deswegen machen wir es.
({6})
Dass wir flexibel sind, sieht man an einem intelligenten Vorschlag; wir haben ihn noch gar nicht gewürdigt.
Dieser intelligente Vorschlag sieht nämlich vor, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung per Gesetz auf
3,0 Prozent zu reduzieren und ihn dann weiter auf
2,8 Prozent zu senken. Für den Fall aber, dass sich die
Lage dramatisch entwickelt, hat der Arbeitsminister die
Möglichkeit - dies wurde eben schon von Klaus
Brandner ausgeführt -, per einfacher Verordnung
({7})
und ohne Parlament auf 3,0 Prozent zurückzugehen. Das
bietet die Chance, auf die aktuelle Situation zu reagieren.
Das halte ich für sehr intelligent und pfiffig.
({8})
Es ermöglicht angesichts dieser Situation Flexibilität.
({9})
Ich denke, dass wir neben den Beitragssätzen, die natürlich wichtig sind, andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen müssen, wobei ich hinzufügen
möchte, dass die Entlastung der Arbeitnehmer und der
Arbeitgeber in Höhe von 3,7 Milliarden Euro sicherlich
ein Stimulus für die Konjunktur ist. Wir wollen auch andere konjunkturelle Maßnahmen ergreifen. Der Beitrag
zur Arbeitslosenversicherung ist nicht das Einzige, worauf wir uns konzentrieren.
Deswegen haben wir ein Konjunkturpaket vorgelegt.
Es ist ganz interessant, dass dieses Konjunkturpaket sehr
einmütig und zügig vorgelegt worden ist. Nach dem Rettungsschirm für die Banken haben wir nicht lange gefackelt und nicht lange abgewartet, sondern ein Konjunkturpaket zur Stabilisierung der Arbeitsplätze vorgelegt.
Darin sind zwei wesentliche Punkte enthalten, die auch
unser Arbeitsfeld betreffen. Der eine wesentliche Punkt
ist, dass Menschen erst gar nicht in Arbeitslosigkeit hineinrutschen sollen. In den letzten Jahren waren die Jobto-Job-Vermittlung und das frühzeitige Intervenieren
- nicht erst zu handeln, wenn das Kind in den Brunnen
gefallen ist - ein ganz zentrales Erfolgskriterium. Dafür
gibt es 1 000 zusätzliche Vermittlungsstellen in der Bundesagentur für Arbeit. Darauf setzen wir schon jetzt im
Sinne einer vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik, obwohl
die Situation jetzt noch ausgesprochen positiv ist.
Der zweite Punkt ist: Im Bereich der Argen - das ist
schon beschlossen; das will ich aber in Erinnerung rufen gibt es 9 700 zusätzliche Vermittlungsmöglichkeiten.
Teilweise werden Personen, die in der Vermittlung tätig
sind, von der leistungsbezogenen Vermittlung abgezogen; teilweise werden Personen zusätzlich eingestellt.
Wir werden die Befristungen für diejenigen Menschen,
die das tun, zurückführen, und zwar in drei Jahresschritten auf 10 Prozent, was ich für eine vertretbare Größenordnung halte.
Ich halte es aber auch für sehr wichtig, dass wir auf
die bereits jetzt absehbaren Steigerungsraten bei der Anmeldung von Kurzarbeit reagieren. Wir können die Anmeldungen jetzt noch nicht auswerten, weil das quartalsweise erfolgt, hören aber aus diesem Bereich: Es wird
mehr Kurzarbeit angemeldet. Wir müssen den Betrieben
das Signal geben: Ihr braucht eure gut qualifizierten Arbeitskräfte nicht zu entlassen, wenn ihr vorübergehend
eine Delle habt.
({10})
Wir sind bereit, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes
auf 18 Monate zu verlängern. Das ist bereits heute, Frau
Pothmer, per Verordnung geschehen. Genauso werden
wir in dieser Zeit Qualifizierung ermöglichen. Das wird
in Bälde geschehen. Damit möchte ich sagen: Wir
reagieren doch in Ihrem Sinne. Warum müssen Sie dann
hier in dieser Weise agieren?
({11})
Ich sage Ihnen ganz klar: Das Kurzarbeitergeld ist
eine sehr gute Maßnahme. Ich komme aus einer Region,
in der wir angesichts einer Arbeitslosigkeit von 4 bis
5 Prozent nicht wirklich davon sprechen können, dass es
uns schlecht geht. Gerade dort gibt es aber Unternehmen, die Sorge haben, weil sie Zulieferer der Maschinenbau- oder Automobilindustrie sind. Wenn diese Unternehmen ihre Leute jetzt entlassen müssen, finden sie
später keine guten Leute. Damit wäre der gesamte Betrieb gefährdet. So stellt sich die Situation in den Betrieben dar. Deshalb ist es so wichtig, die Bezugsdauer des
Kurzarbeitergeldes zu verlängern.
Darüber hinaus arbeiten wir daran, die Vermittlung
insgesamt weiter zu optimieren. Deswegen werden wir
in der nächsten Zeit die Frage der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf die Tagesordnung setzen. Wir haben uns entschlossen, die Anzahl der Instrumente zu verringern. Das tun wir auf eine sehr mutige Art und Weise
und in der nötigen Form. Ich sage voraus: Es wird den
Leuten nutzen, es wird für Entbürokratisierung sorgen,
und es wird die Vermittlungschancen sogar erhöhen.
Dabei ist für mich entscheidend, dass wir auch hier
die Logik der Vorsorge und der Prävention zum Tragen
bringen. In den letzten zehn Jahren ist klar geworden,
dass es entscheidend ist, Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik immer mehr miteinander zu verzahnen. Es
ist immer klarer geworden, dass die Arbeitsmarktpolitik
dort, wo Bildungsdefizite bestehen, nachher nur noch
eine Reparatur der vorhandenen Schwächen durchführen
kann, und das oft nur mit viel Mühe, viel Geld und mit
zweifelhaftem Erfolg.
({12})
Deshalb sagen wir: Wir schaffen einen Rechtsanspruch auf Sprachförderung, damit Leute überhaupt eine
Arbeit annehmen und bewältigen können. Zudem schaffen wir einen Rechtsanspruch auf Nachholen des Hauptschulabschlusses, und zwar im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik. Das hätte man vor Jahr und Tag doch kaum
für möglich gehalten. Es war jahrelang ein Tabu. Ich
gebe zu, auch viele in der SPD haben das aus ordnungspolitischen Gründen nicht gewünscht. Ich halte es aus
pragmatischen Gründen für notwendig. Auch das werden wir in den nächsten Wochen auf den Weg bringen.
Ich möchte für die SPD-Fraktion der BA, die viel gescholten wird - speziell von einem ehemaligen Mitarbeiter dieser Organisation; man muss dahinter eine persönliche Problematik vermuten -, meinen Dank
aussprechen.
({13})
Tatsache ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der BA und der Argen mit ihrem Einsatz in den letzten
Jahren einen großen Anteil am Erfolg der Arbeitsmarktpolitik hatten, und zwar weil sie vor Ort eigenverantwortlich entscheiden.
Wir, die SPD-Fraktion, wollen die freie Förderung,
die Handlungsspielräume der Arbeitsmarktpolitik vor
Ort stärken. Dabei sind wir im Einvernehmen mit der
CDU/CSU-Fraktion:
({14})
Wir wollen die freie Förderung deutlich stärker ausbauen als derzeit vonseiten des Ministeriums und der
Regierung angedacht. Damit wollen wir denen Anerkennung zollen, die seit Jahren vor Ort ihre Arbeit gut machen; wir wollen ihre Handlungsspielräume erhöhen.
({15})
Ich sehe uns auf der sicheren Seite. Wir können ohne
Probleme diese Beitragssatzsenkung vornehmen. Wir
müssen allerdings mehr als nur die Beitragssatzsenkung
in Angriff nehmen, weil wir sonst unserer Aufgabe nicht
gerecht würden.
Besten Dank.
({16})
Die Kollegin Dr. Claudia Winterstein hat jetzt das
Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zum Antrag der Linken will ich nur ganz kurz
sagen: Auf eine Senkung des Beitragssatzes zu verzichten, wäre natürlich der völlig falsche Weg. Sie wollen
nun noch mehr Geld für die Arbeitsmarktpolitik ausgeben. Sie meinen offensichtlich: Viel hilft viel. In diesem
Fall ist es aber sicherlich nicht sinnvoll, mehr auszugeben. Es geht um Qualität, nicht um Quantität.
({0})
In der Arbeitsmarktpolitik muss es um Effizienz und um
eine Konzentration auf sinnvolle Maßnahmen gehen.
Trotz der Beitragssatzsenkung werden wir dazu in der
Lage sein.
Nun aber zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die FDP
hält eine Senkung der Beitragssätze für sinnvoll, richtig
und vor allen Dingen für finanzierbar.
({1})
Ich will auf die Rücklagen hinweisen, die sich Ende
2007 auf insgesamt 17,9 Milliarden Euro belaufen haben.
Auch im laufenden Geschäftsjahr - Stand: Oktober - verzeichnen wir einen Überschuss von 818 Millionen Euro.
Das sind Beitragsgelder, gezahlt von Arbeitnehmern und
Arbeitgebern. Diese Gelder müssen wir selbstverständlich über Beitragssatzsenkungen an die Beitragszahler
zurückgeben.
({2})
Sie legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem der Beitragssatz auf 3 Prozent abgesenkt werden soll. Hinzu
kommt die Verordnung, nach der der Beitragssatz auf
2,8 Prozent gesenkt werden soll. Das hört sich eigentlich
ganz gut an.
({3})
Leider ist das aber nur die halbe Wahrheit; denn die Senkung auf 2,8 Prozent ist nur vorübergehend. Sie machen
gleich eine Rolle rückwärts und sagen, dass Sie diesen
Prozentsatz im Jahr 2010, also nach der Bundestagswahl, wieder erhöhen werden. Es ist doch ganz offensichtlich, dass es sich hierbei um ein Wahlgeschenk handelt. Herr Brauksiepe, da brauchen wir uns nichts
vorzumachen.
({4})
Die Senkung dieses Beitragssatzes müsste eigentlich
dazu führen, dass auch die Lohnnebenkosten sinken. Das
wäre insbesondere wegen der nachlassenden Konjunktur
wichtig. Leider geschieht das aber nicht. Es gibt da ein
Problem. Dieses Problem heißt Ulla Schmidt. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Beitragssätze in der Krankenversicherung kontinuierlich und entgegen allen vorherigen Versprechungen im Prinzip ständig steigen.
({5})
Und dann erklärt die Ministerin noch, das sei alles gar
nicht so problematisch, weil die Beiträge zur Arbeitslo19876
senversicherung sinken würden. Deswegen sei es nicht
so schlimm, wenn die Beiträge zur Krankenversicherung
steigen würden. Man bleibe insgesamt ja trotzdem unter
40 Prozent. Tatsache ist, dass die positive Entwicklung
bei der Arbeitslosenversicherung letztendlich durch die
Misswirtschaft der Ministerin im Gesundheitsbereich
zunichtegemacht wird.
({6})
Es kommt also letztendlich zu einer Mehrbelastung der
Beitragszahler. In der Summe werden die Sozialversicherungsbeiträge zum 1. Januar 2009 auf 40,15 Prozent
steigen. Das ist weiß Gott das falsche Signal für die
Wirtschaft.
({7})
Im Übrigen wäre der Spielraum zur Senkung des Beitragssatzes bei der Arbeitslosenversicherung deutlich
höher, wenn sich der Bund nicht zunehmend aus den Taschen der Beitragszahler bedienen würde,
({8})
zum Beispiel indem er Lasten des Bundeshaushalts einfach dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit aufbürdet.
({9})
Der größte Brocken ist der Eingliederungsbeitrag. Hier
entzieht der Bund der Bundesagentur ganze 5 Milliarden
Euro. Er greift dem Beitragszahler tief in die Tasche.
Diese 5 Milliarden Euro entsprechen 0,6 Beitragssatzpunkten. Das heißt, ohne diese Belastung könnte man
eine weitere Senkung vornehmen.
({10})
Damit aber nicht genug. Das Vorgehen hat Methode,
wie man an aktuellen Ankündigungen der Bundesregierung sieht. Der Rechtsanspruch auf das Nachholen eines
Hauptschulabschlusses geht zulasten der Bundesagentur.
Die von der Regierung groß angekündigten zusätzlichen
1 000 Job-to-Job-Vermittler gehen zulasten der Bundesagentur. Die Verlängerung der Bezugsdauer des
Kurzarbeitergeldes geht zulasten der Bundesagentur.
({11})
Die Regierung rühmt sich für ihre Wohltaten. Dabei werden sie in Wirklichkeit von den Beitragszahlern bezahlt
werden müssen. Das ist Politik zulasten Dritter.
({12})
Ich fasse zusammen: Die Senkung der Beiträge ist
richtig. Der Griff des Bundes in die Taschen der Beitragszahler ist es ganz sicher nicht.
({13})
Stefan Müller spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir stellen heute einen ganz wesentlichen Fortschritt bei
der FDP fest. Herr Niebel hat mich gebeten, die FDP
heute einmal zu loben.
({0})
Ich will dem ausdrücklich nachkommen, Herr Niebel.
Bedauerlicherweise mussten wir in Bayern eine Koalition mit Ihnen eingehen. Verstehen Sie es als vertrauensbildende Maßnahme.
({1})
Aber wir erleben hier einen ganz wesentlichen Fortschritt,
({2})
nämlich dass die FDP heute - meines Erachtens zum ersten Mal - begrüßt, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden soll. Das ist wirklich ein Fortschritt. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, bisher haben Sie den Beitragssatzsenkungen nicht
zugestimmt.
({3})
Ich will feststellen, dass Sie heute zum ersten Mal einen
Fortschritt zeigen. Das begrüße ich außerordentlich; das
finde ich sehr gut.
Frau Winterstein, Sie haben gesagt, die Senkung auf
2,8 Prozent sei viel zu wenig, weil sie nur befristet sei;
vieles andere mehr haben Sie kritisiert. Seien Sie beruhigt. Für den Fall, dass wir ab 2009 auch hier im Bund
gemeinsam regieren sollten,
({4})
bin ich sehr zuversichtlich, dass wir dauerhaft auf
2,8 Prozent senken können, wenn es die finanzielle Lage
der Bundesagentur und vor allem auch die Arbeitsmarktlage zulassen.
Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages
auf 3,3 bzw. 2,8 Prozent fügt sich gewissermaßen nahtlos in die Politik der Entlastungen der Bürgerinnen und
Bürger durch die Große Koalition ein.
({5})
Dies machen wir natürlich nicht zum Selbstzweck, sondern weil wir damit zwei Ziele verbinden. Erstens wollen wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land finanziell entlasten, und zweitens wollen wir
Stefan Müller ({6})
einen Beitrag dazu leisten, dass Einstellungshemmnisse
abgebaut werden können.
({7})
Erstens: finanzielle Entlastungen der Arbeitnehmer.
Ich will Ihnen das, was in den vergangenen Jahren gemacht worden ist, noch einmal in Erinnerung rufen. Am
31. Dezember 2006 lag der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung noch bei 6,5 Prozent. Wir haben ihn
dann zum Jahresanfang 2007 auf 4,2 Prozent und zum
Jahresbeginn 2008 auf 3,3 Prozent gesenkt.
({8})
Mit der Reduzierung auf 2,8 Prozent bewirken wir eine
Entlastung der Arbeitnehmerschaft in Deutschland um
13 Milliarden Euro. Das heißt, 13 Milliarden Euro mehr
bleiben den Menschen in den Taschen.
({9})
Das Problem ist nicht, dass die Löhne in Deutschland
generell zu niedrig sind, sondern unser Problem ist, dass
die Abzüge zu hoch sind. Wir legen jetzt einen weiteren
Baustein dafür, dass die Menschen in unserem Land entlastet werden können;
({10})
also mehr Netto vom Brutto. Alles, was Sie, liebe
Freunde von der FDP, bisher theoretisch aufgeschrieben
haben, wird von uns in dieser Großen Koalition umgesetzt.
({11})
Zweitens: Abbau von Einstellungshemmnissen. Dazu
ist, glaube ich, schon vieles gesagt worden. Die Senkung
der Lohnzusatzkosten plus Lohnverzicht der Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren plus eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft haben in den vergangenen Jahren dazu
geführt, dass mehr Arbeitsplätze in unserem Land haben
entstehen können. Dass wir einen Aufschwung am Arbeitsmarkt erreicht haben, hat diese Große Koalition
durch die Senkung der Lohnzusatzkosten mit bewirkt.
Auch das sollte bei dieser Gelegenheit einmal gesagt
werden.
({12})
Nun stellt sich hier im Hause und in der öffentlichen
Diskussion - die Linken haben einen entsprechenden
Antrag eingereicht - immer wieder die Frage, ob die
weitere Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages
verantwortbar ist. Ich sage ausdrücklich: Ja, es ist verantwortbar. Die Finanzlage der Bundesagentur für Arbeit lässt es zu. Die BA hat in den vergangenen Jahren
Rücklagen in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages angesammelt. Die liquiden Mittel der Bundesagentur
belaufen sich auf 13,5 Milliarden Euro. Es ist schon öfter gesagt worden - nicht nur von Ihnen, Herr Niebel -:
Die Bundesagentur ist in der Tat keine Sparkasse und
keine Vermögensverwaltung, die nur dazu dient, einen
zweistelligen Milliardenbetrag irgendwo am Kapitalmarkt anzulegen.
({13})
Deswegen machen wir durch diese Beitragssatzsenkung
etwas, das Kernanliegen von CDU/CSU-Politik ist, nämlich den Menschen etwas zurückzugeben, was man ihnen vorher abgenommen hat.
({14})
Ich bin froh, dass wir den Beitragssatz senken können, ohne dass bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik gespart werden muss. Frau Möller, Sie erwecken hier einen
völlig falschen Eindruck, wenn Sie behaupten, dass
durch die Beitragssatzsenkungen der vergangenen Jahre
auch nur ein Euro an der aktiven Arbeitsmarktpolitik gespart worden wäre. Wir haben in den vergangenen Jahren den Beitragssatz gesenkt und den Ansatz für die
aktive Arbeitsmarktpolitik im Haushalt der BA nicht
verändert. Ich bitte Sie, das anzuerkennen und nicht
ständig Lügen in dieser Republik zu verbreiten.
({15})
Ich sage: Es ist verantwortbar, weil immer noch genügend finanzielle Möglichkeiten bestehen, um denen zu
helfen, die bislang vom Aufschwung am Arbeitsmarkt
noch nicht haben profitieren können. Ich weise aber
auch ganz ausdrücklich darauf hin: Mit Geld allein ist es
nicht getan. Wer glaubt, dass man den Menschen nur mit
einem Haufen Geld und vielen Maßnahmen helfen kann,
die Integration in den Arbeitsmarkt hinzubekommen,
dem muss man leider sagen, dass die Ergebnisse aller
Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte genau das
Gegenteil belegen.
({16})
Es kommt darauf an, dass wir wirksame Instrumente
zur Hand haben und dass dafür ausreichend Geld zur
Verfügung steht; auch hierzu werden wir einen Beitrag
leisten. Es kommt ganz entscheidend darauf an, dass
nicht nur Geld zur Verfügung steht, sondern dass die Arbeitsmarktverwaltung auch leistungsfähig ist.
Um dafür zu sorgen, dass die Bundesagentur noch
mehr als bisher ein leistungsfähiger Dienstleister am Arbeitsmarkt sein kann, werden wir morgen in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Reform der Arbeitsmarktinstrumente beraten. Ich würde mich freuen, wenn Sie
auch dieses Vorhaben konstruktiv begleiten.
Herzlichen Dank.
({17})
Gerald Weiß spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte möchte ich
einige Aspekte unserer Aussprache aufarbeiten.
Zunächst will ich Ihnen mitteilen, dass die gemeinnützige Rechengemeinschaft Franz Romer und Gerald
Weiß grundsolide und seriös nachgerechnet hat. Herr
Niebel, Sie haben in einer „niebelösen“ Äußerung behauptet, wir hätten das Ziel, den Sozialversicherungsbeitragssatz bei unter 40 Prozent zu belassen, nicht erreicht.
Als wir nachgerechnet haben, sind wir auf einen Beitragssatz von 39,2 Prozent gekommen.
({0})
Nachher werde ich Ihnen dieses wertvolle Dokument
überreichen.
({1})
Dann können Sie gerne nachrechnen und das überprüfen.
({2})
Es blieb einer Weltökonomin, geschult in marxistischem Geist, vorbehalten, einen Zusammenhang zu
leugnen, den die internationale Fachwissenschaft festgestellt hat und der im gesamten Spektrum der Lehrmeinung unstrittig ist: dass hohe Lohnnebenkosten die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes belastet haben und
dass es eine Investition in Beschäftigung ist, die Lohnnebenkosten sukzessive und wo immer möglich zu senken.
({3})
Ein Land, das den größten Teil der sozialen Sicherung
an den Bruttolohn bzw. an Arbeit bindet, hat in wettbewerblicher Hinsicht ein Problem, insbesondere im Bereich arbeitsintensiver Produktion. Wir haben Herrn
Weise, den Chef der Bundesagentur für Arbeit, gefragt,
wie er die Wirkung der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitragssatzes von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent,
also um mehr als 3 Prozentpunkte - das ist der Schritt,
den wir jetzt machen; demnächst senken wir ihn sogar
auf 2,8 Prozent -, einschätzt. Er hat uns versichert, dass
diese Maßnahme selbstverständlich eine beachtliche und
positive Arbeitsplatzwirkung hat. Zwar kann man die
Wirkung dieses Schrittes, weil es sich dabei um eine Teilursache handelt, nicht isolieren. Es ist aber unstrittig,
dass dadurch mehrere 100 000 Arbeitsplätze geschaffen
werden.
Die Ergebnisse der Untersuchungen der Fachwissenschaft besagen, dass die Reduzierung der Belastung
durch Sozialversicherungsbeiträge um 1 Prozentpunkt
mit 100 000 neuen Arbeitsplätzen belohnt wird. Entgegen dem Ratschlag der Weltökonomin Kornelia Möller
gehen wir genau diesen Weg konsequent weiter, um in
Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist der richtige Weg.
({4})
Jetzt möchte ich mit dem Märchen, dass unser Land
in prekären Arbeitsverhältnissen versinkt, aufräumen.
Frau Möller, lassen wir einmal Zahlen sprechen. Im Bereich der Zeitarbeit gibt es Gutes, Schlechtes, Segensreiches, Probleme und Risiken; all das muss man aufarbeiten, und darüber muss man diskutieren. Aber man sollte
nicht sagen, dass uns eine Welle droht, die den Arbeitsmarkt verschlingt, sodass es in Deutschland bald nur
noch prekäre Arbeitsverhältnisse gibt. Derzeit gibt es
700 000 prekäre Beschäftigungsverhältnisse, doppelt so
viele wie vor vier Jahren; das stimmt. Dem möchte ich
eine andere Zahl gegenüberstellen: Insgesamt befinden
sich heute 28 Millionen Menschen in Deutschland in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.
({5})
Da können Sie doch nicht sagen, dass das prägende
Merkmal dieser Volkswirtschaft die Zeitarbeit oder die
prekäre Arbeit ist.
Sie haben Recht, dass das anders angefangen hat. Am
Anfang gab es den Aufschwung vor allem im Bereich
der Zeitarbeit. In der Gesamtbilanz ist aber mittlerweile
festzustellen, dass mehr als die Hälfte der zugewachsenen Arbeitsplätze Vollzeitstellen und sozialversicherungspflichtig sind. Es existiert also nicht dieses düstere
Bild, das Sie hier an die Wand malen.
Dieses düstere Bild stimmt übrigens auch nicht mit
Blick auf die Ressourcen, die wir jetzt weggeben und die
man dann für die Arbeitsmarktpolitik nicht mehr zur
Verfügung hat. Weil es mir wirklich darum geht, dass
wir dieser Geschichtsklitterung der Linken entgegentreten, stelle ich fest, dass keine einzige arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht stattgefunden hat, weil das Geld
gefehlt hat - keine einzige. Das ist auch kein Wunder;
denn die Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel ist ja
gleich geblieben, obwohl wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag so stark gesenkt und damit für eine Gesamtentlastung von 30 Milliarden Euro gesorgt haben.
Für Eingliederungsmaßnahmen nach dem SGB III
- ich sage jetzt einmal vergröbernd: Das ist die klassische Kurzzeitarbeitslosigkeit - haben wir, obwohl die
Zahl der Arbeitslosen um Millionen signifikant zurückgegangen ist, sowohl in 2006 als auch in 2007 und 2008
jeweils 3,3 Milliarden Euro an Mitteln zur Verfügung
gestellt. Das ist also trotz dieser starken Rückgabe zu
viel bezahlter Beiträge gleich geblieben.
Zur Arbeitslosigkeit gemäß SGB II, also grob gesagt
zur Langzeitarbeitslosigkeit, vulgo Hartz IV: Die Eingliederungshilfen bzw. -leistungen betrugen 2006
4,7 Milliarden Euro, 2007 4,8 Milliarden Euro und 2008
4,8 Milliarden Euro.
Ich wage die Prognose: Auch im kommenden Jahr
wird keine einzige sinnvolle arbeitsmarktspolitische
Gerald Weiß ({6})
Maßnahme unterbleiben müssen, weil das Geld fehlt.
Bauen Sie hier doch keinen Popanz auf und folgen Sie
dem Weg, den wir Ihnen aufzeigen! Es ist der Weg der
Vernunft und hin zu mehr Beschäftigung in Deutschland.
Herzlichen Dank.
({7})
Damit schließe ich die Aussprache.
Es ist verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen
16/10806 und 16/10618 an die Ausschüsse zu überweisen, die in der Tagesordnung vorgeschlagen sind. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und
zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei
besonderen Vertriebsformen
- Drucksache 16/10734 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort gebe ich jetzt
als Erstem dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär
Alfred Hartenbach für die Bundesregierung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Unerlaubte Telefonwerbung ist für viele Menschen eine massive Belästigung. Sie ist ein Eingriff in
die Privatsphäre und die Ursache für viel Streit darüber,
ob am Telefon nun tatsächlich ein Vertrag geschlossen
worden ist oder nicht.
Insbesondere ältere Menschen leiden unter unseriösem Telefonmarketing und dem Ärger, der damit verbunden ist. Unerlaubte Telefonwerbung ist deshalb eine
Herausforderung für den Verbraucherschutz. Sie ist ein
Übel, und wir müssen und werden dagegen etwas tun.
Ich freue mich, dass wir uns in der Sache grundsätzlich einig sind. Im Interesse der Verbraucherinnen und
Verbraucher sollten wir jetzt an einem Strang ziehen.
Das heißt konkret: Wir sollten den vorliegenden Gesetzentwurf möglichst rasch beschließen.
Dieser Gesetzentwurf sieht im Wesentlichen fünf
Maßnahmen vor:
Erstens wollen wir klarstellen, dass Werbeanrufe nur
dann zulässig sind, wenn der Verbraucher vorher ausdrücklich eingewilligt hat. Bei unerlaubten Werbeanrufen kann künftig ein Bußgeld bis zu einer Höhe von
50 000 Euro verhängt werden.
Zweitens muss bei Werbeanrufen künftig immer die
Telefonnummer angezeigt werden. Die Unterdrückung
der Rufnummer wird verboten und kann ebenfalls mit einem Bußgeld geahndet werden.
Drittens erweitern wir den Widerruf von Verträgen,
die am Telefon abgeschlossen worden sind. Bei der Lieferung von Zeitschriften oder Wett- und Lotteriedienstleistungen war der Widerruf nach dem Fernabsatzgesetz
bisher ausgeschlossen. Das wollen wir ändern.
Viertens können Verbraucher künftig bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen die Verträge so lange
widerrufen, bis der Vertrag vollständig erfüllt ist, wenn
sie denn zuvor nicht über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden sind.
Fünftens schaffen wir eine Regelung, die vor allem
beim Wechsel des Telefon- oder Energieanbieters relevant ist. Eine Kündigung des alten Vertrages oder die
Vollmacht hierzu bedürfen in Zukunft der Textform.
Diese Regelung verhindert, dass der neue Anbieter
durch bloßen Zuruf eigenmächtig in das Vertragsverhältnis des Verbrauchers mit seinem bisherigen Anbieter
eingreift, ohne dass der Verbraucher dies wünscht.
Diese Regelungen sorgen für einen umfassenden
Schutz vor unlauterer Telefonwerbung. Wir schaffen damit Lösungen für alle bekannten Problemfälle, und zwar
ohne dabei die redlichen Unternehmer zu belasten oder
den Geschäftsverkehr zu erschweren.
Der ganz überwiegende Teil von Verträgen, die am
Telefon geschlossen sind, wird heute reibungslos und
unkompliziert abgewickelt. Ich meine, das muss auch
weiter so bleiben, und deshalb lehnen wir - das Bundesministerium der Justiz und ich - auch die sogenannte Bestätigungslösung ab. Stellen Sie sich vor, Frau Klöckner,
Ihr Lieblingswinzer ruft Sie an
({0})
- das weiß ich doch - und empfiehlt seinen neuen Wein.
Wenn Sie dann am Telefon ein paar Flaschen kaufen,
wollen Sie doch nicht erst eine schriftliche Bestätigung
hinterherschicken, bevor Ihr Bruder, der Winzer, die
Kiste absendet.
({1})
- Sei nicht so kleinlich! Das war ein einprägsames Beispiel für alle, die nicht Manzewski und Klöckner heißen.
({2})
Die Bestätigungslösung würde erstens zu erheblicher
Rechtsunsicherheit führen. Ob ein Vertrag wirksam ist,
würde davon abhängen, ob der Unternehmer oder der
Kunde angerufen hat. Wenn der Unternehmer angerufen
hat, dann würde die Wirksamkeit von der Einwilligung
des Verbrauchers abhängen. Wer kann aber nach längerer Zeit noch genau nachweisen, bei wem das Telefon
zuerst geklingelt hat?
Zweitens dürfte die Bestätigungslösung im Ergebnis
zu noch mehr unerwünschten Telefonanrufen führen.
Unseriöse Unternehmen würden versuchen, die Verbraucher durch weitere Anrufe zu der notwendigen Bestätigung zu bringen. Dabei bestünde die weitere Gefahr,
dass unseriöse Unternehmen dem Verbraucher mit einer
vorformulierten Bestätigung dann gleich noch irgendwelche Vertragsbedingungen unterjubeln könnten.
Drittens würde das Recht völlig unübersichtlich,
wenn wir eine Bestätigungslösung schaffen und anschließend weiter den Widerruf des Vertrages ermöglichen, wozu wir europarechtlich verpflichtet sind.
Schließlich würde viertens die Bestätigungslösung zu
erheblichen Wertungswidersprüchen führen. Selbst bei
arglistiger Täuschung oder Drohung sind Verträge zunächst wirksam und nur anfechtbar. Verträge aufgrund
unlauterer Telefonwerbung wären dagegen zunächst unwirksam und könnten nur durch ihre Bestätigung oder
Annahme in Textform wirksam werden. Das passt nicht
zueinander.
Übrigens ist es auch längst nicht so, dass Verbraucher
bei der Bestätigungslösung - anders als beim Widerruf überhaupt nicht aktiv werden müssten. Wenn etwa ein
Anbieter den bisherigen Tarif nach einer telefonischen
Werbung umstellt und den neuen Tarif vom Konto des
Verbrauchers abbucht, muss der Verbraucher sehr wohl
tätig werden, wenn er sein Geld zurückhaben möchte.
Auch Mahnungen, den angeblich vereinbarten Preis endlich zu zahlen, lassen nicht alle Verbraucher unbeeindruckt.
Ich halte daher nichts von einer Bestätigungslösung
und meine, dass unser Gesetzentwurf die Verbraucher
besser schützt und für die Praxis mehr taugt. Vielleicht
rührt die Sympathie für die Bestätigungslösung aus der
Debatte über den Datenmissbrauch her. Dort geht es
auch darum, ob ein Verbraucher der Verwendung seiner
Daten bloß widersprechen kann oder ob er vor deren
Verwendung einwilligen muss. Auch dort sprechen manche von einer Bestätigungslösung. Aber es geht hier um
eine vorherige Einwilligung. Bei den Verträgen, die am
Telefon geschlossen werden, gibt es nur einen richtigen
Weg, nämlich mehr Möglichkeiten, solche Verträge zu
widerrufen. Genau diese wollen wir mit unserem Gesetz
schaffen.
({3})
Ich bin sicher, dass wir hier auf einem guten, auf dem
richtigen Weg sind.
Vielen Dank.
({4})
Die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat
jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Juni dieses Jahres haben wir das erste Mal
über einen Antrag der FDP genau zu diesem Thema debattiert. Nach der Rede von Herrn Hartenbach muss ich
feststellen: Die jetzige Debatte ähnelt der damaligen
sehr. Genau die Problempunkte, die heute eine Rolle
spielen, haben wir damals angesprochen. Um gleich auf
den Punkt zu kommen, mit dem Sie sich am intensivsten
befasst haben, Herr Hartenbach, nämlich ob es eine
schriftliche Bestätigung geben soll oder nicht: Herr
Manzewski, ich erinnere daran, dass Sie damals die FDP
beschimpft und gesagt haben, wie wenig konsequent sie
sei, weil sie eine schriftliche Bestätigung in ihren Antrag
nicht aufgenommen habe.
({0})
In anderen Punkten haben Sie angeblich Widersprüchlichkeiten entdeckt. Was lese ich nun? Der Gesetzentwurf der Bundesregierung deckt sich in weiten Teilen
mit dem damaligen Antrag der FDP.
Herr Hartenbach, Sie haben das Pro und Kontra - Sie
waren vor allem bei den Argumenten für das Kontra
überzeugend - zur schriftlichen Bestätigung vorgetragen; das muss ich nicht wiederholen. Ich bin mir aber sicher, dass gerade dieser Punkt in der Anhörung, die wir
heute im Rechtsausschuss zu diesem Thema beschlossen
haben, eine wichtige Rolle spielen wird.
Insgesamt teile ich Ihre Einschätzung, Herr Hartenbach,
dass es in vielen Einzelpunkten Übereinstimmung über
die Fraktionsgrenzen hinweg gibt. Es besteht dringender
Handlungsbedarf. Die Zahl der Belästigungen, denen
man selbst ausgesetzt ist - man muss nicht unbedingt in
sein Wahlkreisbüro gehen, sondern nur ausnahmsweise
am Wochenende zu Hause sein -, nimmt zu. Es kann
passieren, dass man sechs- bis achtmal wegen irgendwelcher Lotterien, Zeitungen oder sonstiger Dinge behelligt wird. Da man am Display nicht immer erkennen
kann, wer anruft, nimmt man den Anruf an, obwohl man
als Abgeordnete vielleicht schon einen geschärften Blick
hat. Es ist also ganz entscheidend, dass es keine Rufnummerunterdrückung mehr geben wird. Es wäre schön,
wenn es eine einheitliche Vorwahlnummer gäbe. Das ist
von Ihnen, Herr Manzewski, in der Debatte im Juni als
ein guter Vorschlag bezeichnet worden. Ich hoffe, dass
wir in der Anhörung über das Pro und Kontra dieses Vorschlags - ich sehe nur wenige Argumente für ein Kontra debattieren werden.
Wir verfolgen doch ein gemeinsames Ziel: Was können wir tun, um Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen? Das geltende Recht, das Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb, das bereits bestimmte
Handlungen für unzulässig erklärt, reicht nicht aus und
greift nicht. Sonst nähme die Zahl der Behelligungen
durch unseriöse Einrichtungen nicht ständig zu. Wenn
man den Zahlen, die die Verbraucherzentralen länderbezogen zusammengestellt haben, trauen kann, dann muss
man feststellen, dass die Zahl der kritisierten und wohl
nicht erlaubten Telefonanrufe, um Verträge abzuschließen und Werbung zu betreiben, ohne dass vorher eine
Einwilligung vorliegt, eindeutig im fünfstelligen Bereich
bzw. in der gesamten Bundesrepublik sogar im sechsstelligen Bereich liegt.
Deshalb: Der mündige Verbraucher ist wichtig, Verbraucheraufklärung und Verbraucherbildung sind wichtig, aber wenn es nicht gewisse gesetzliche Instrumentarien gibt, dann bleibt Verbraucherschutz ein leeres
Versprechen. Es ist schade, dass heute nicht auch Verbraucherinnen und Verbraucher über uns Abgeordnete
hinaus hier sitzen, damit sie sehen, wie intensiv wir uns
mit diesen Fragen beschäftigen,
({1})
die übrigens schon Bundesminister Seehofer, als er auch
noch für Verbraucherschutz zuständig war, beschäftigt
haben. Damals ging es noch um die Ankündigung von
Gesetzentwürfen; jetzt sind wir Gott sei Dank in der
Phase der Konkretisierung.
Ich teile die Einschätzung des Justizministeriums,
dass gerade dem Widerrufsrecht, und zwar dem ausgedehnten Widerrufsrecht, der Verbraucherinnen und Verbraucher entscheidende Bedeutung zukommt; denn es
gibt Gesetzeslücken, nicht nur was die Anwendung und
die Möglichkeit, überhaupt ein Widerrufsrecht ausüben
zu können, angeht; es gibt vielmehr auch Lücken bei der
Frage, wie lange dieses Widerrufsrecht gilt, damit eben
bei Fernabsatzverträgen in anderen Bereichen dieses Widerrufsrecht der Verbraucherin oder des Verbrauchers
nicht bei Erfüllung des Vertrages schon vor Ablauf der
Frist erlischt. Hier Korrekturen vorzunehmen, halte ich
für ganz entscheidend. Wir unterstützen in diesem Punkt
die Vorschläge, die in dem Gesetzentwurf formuliert
worden sind.
Mein Glaube an die Abschreckungswirkung von Bußgeldern und neuen Ordnungswidrigkeitstatbeständen ist
extrem begrenzt. Ich glaube auch nicht, dass gerade die,
die wir vielleicht im Blickfeld haben, also diejenigen,
die wirklich unerlaubte Telefonwerbung vornehmen,
sich von Bußgeldern bis zu einer Höhe von 50 000 Euro
abschrecken lassen werden.
({2})
Daher ist das ein Aspekt in dem vorgelegten Gesetzentwurf, den wir als Liberale deutlich hinterfragen werden.
({3})
Aber im Großen und Ganzen kann ich konstatieren:
Wir werden uns sehr konstruktiv in die Beratungen einbringen. Unser Antrag deckt sich in vielen Punkten mit
dem, was heute als Gesetzentwurf vorliegt. Ich teile die
Meinung, dass dieses Gesetzgebungsverfahren sehr intensiv, sehr sachlich, aber auch in einem überschaubaren
Zeitraum durchgeführt werden sollte, und zwar allein
schon, weil wir Änderungen im Zusammenhang mit Änderungen im UWG - § 7 - beschlossen haben, die die
unerlaubten Telefonanrufe betreffen. Es sollte kein allzu
großer Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten dieses Gesetzes und dem, was wir hier beraten, liegen; denn das
dient der Verbrauchersicherheit.
Recht herzlichen Dank.
({4})
Der Kollege Dr. Günter Krings spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich brenne schon darauf, zu erfahren, was der
Auslöser der Heiterkeit in den Reihen meiner Fraktion
ist. Aber da muss ich mich noch neun Minuten gedulden.
Die neun Minuten will ich gerne mit einigen Bemerkungen zu dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ausfüllen.
Bei Anruf Werbung - so hat dieses Phänomen vor einigen Wochen eine große deutsche Zeitung beschrieben
und mit der Schlagzeile offenbar auf den berühmten
Hitchcock-Film angespielt. Natürlich sind die Folgen
des Anrufs bei Werbung nicht ganz so fatal und letal wie
bei Hitchcock, allerdings eine Parallele gibt es: Auch
Werbung ist nervtötend. Wir haben gerade 20.20 Uhr
und befinden uns in einer Stunde, in der in vielen deutschen Haushalten das Telefon klingelt, was wahrlich
keine Begeisterung auslöst. Diese Anrufe stehlen Zeit.
Dabei werden zum Teil Verträge untergeschoben, und
vor allem ältere Menschen werden durch solche Anrufe
überrumpelt.
Die Zahlen sprechen für sich. Für das Jahr 2006 geht
man von etwa 220 Millionen Anrufen aus. Die sind natürlich nicht alle illegal, aber viele davon. Die Tendenz
ist steigend. Laut einer Forsa-Umfrage sollen sich
86 Prozent der Angerufenen belästigt fühlen.
Eine der Hauptforderungen der Union war es, einen
Ordnungswidrigkeitstatbestand einzufügen. Er mag
nicht in allen Fällen ausreichend helfen, aber er ist ein
klares Unwerturteil des Gesetzgebers. Hierfür haben wir
einen Rahmen von bis zu 50 000 Euro vorgesehen. Man
kann sich darüber streiten, ob es zumindest erwägenswert ist, mit Bußgeldern bis zu 250 000 Euro in Richtung des Vorschlags des Bundesrates zu gehen. Meines
Erachtens müssen wir im Ordnungswidrigkeitenrecht allerdings auch systemkonform bleiben. Beispielsweise
sieht § 119 Ordnungswidrigkeitengesetz vor, dass selbst
grob anstößige und belästigende Handlungen mit einer
Strafe von maximal 10 000 Euro belegt werden. Irgendwo muss es also auch im Rahmen des sonstigen
Systems der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten bleiben.
Wichtig ist auch, dass der genervte Angerufene, der
genervte Bürger jetzt erstmalig einen vernünftigen Ansprechpartner in Gestalt der Bundesnetzagentur hat, an
den er seine Beschwerden richten kann.
Ein Streitpunkt ist natürlich auch, wann angerufen
werden darf, wie wir also die weißen von den schwarzen
Schafen trennen. Dies ist insofern wichtig, als die Mehrzahl aller Callcenter, die Mehrzahl aller Anrufer selbstverständlich weiße Schafe sind, die durchaus aufgrund
von Einwilligungen agieren; aber es gibt eben auch andere. Wo liegt die Grenze?
Zurzeit bestehen zu viele Schlupflöcher - darüber
sind wir uns wohl alle einig -, weil eben nach jetziger
Gesetzeslage keine ausdrückliche Einwilligung gefordert ist. Deshalb sagt der Regierungsentwurf dazu ganz
klar: Es muss eine ausdrückliche Einwilligung vorliegen. Der Bundesrat geht sogar noch ein Stück weiter und
spricht von schriftlicher Einwilligung. Meiner Auffassung nach sollten wir ganz offen darüber diskutieren,
was hier die bessere Formulierung ist. Gelegenheit dazu
wird es im Beratungsverfahren geben.
Ein weiterer Punkt wurde angesprochen: Was ist denn
bei Verträgen, die dann doch am Telefon, nach unerbetenen Anrufen, zustande kommen? Sollen diese Willenserklärungen seitens des Verbrauchers schriftlich bestätigt
werden müssen? Auch dies ist eine Idee des Bundesrates. Das Bundesjustizministerium hat eben wieder in
Gestalt von Herrn Staatssekretär Hartenbach dagegen argumentiert, meines Erachtens in der Sache überzeugend.
Es gibt ein wichtiges systematisches Argument gegen
das Vorhaben des Bundesrates: Hier würde eine Regelung über das Zustandekommen von Verträgen in ein
Spezialgesetz, in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, hineingegeben werden.
Wir haben vor einigen Jahren im Deutschen Bundestag
große Anstrengungen unternommen, um die Regelungen
vieler Spezialgesetze, gerade verbraucherschützender
Spezialgesetze, ins BGB zurückzuholen: das Verbraucherkreditgesetz, das Haustürwiderrufsgesetz und andere. Wir wollten mehr Transparenz, mehr Klarheit haben, wollten all diese Dinge an einer zentralen Stelle für
den Verbraucher nachlesbar haben, nämlich im BGB.
Dies nunmehr wieder in Spezialgesetze auszulagern, die
nichts mit dem Zustandekommen von Verträgen zu tun
haben, ist in der Sache kein richtiger Schritt. Es gibt
noch viele Fragen: Was ist denn in der Schwebezeit eines solchen Vertrages, wenn der Unternehmer die Bestätigung noch nicht angefragt, der Verbraucher den Vertrag
noch nicht bestätigt hat? Ist dann zumindest der Unternehmer an sein Angebot gebunden, oder muss der Verbraucher sich gefallen lassen, dass der Unternehmer dieses Angebot vielleicht sogar wieder zurückzieht? Wenn
das so wäre, bekäme er mit einem solchen Gesetz Steine
statt Brot. Besser ist daher die Regelung, die der Regierungsentwurf vorsieht: ein starkes Widerrufsrecht, das
ausgeweitet wird und das selbstverständlich erst mit der
schriftlichen Bestätigung beginnt.
Ein weiteres Problemfeld besteht insbesondere bei
Abonnements und Dauerleistungsverträgen. Hier geht
das Widerrufsrecht praktisch leider vielfach ins Leere.
Nach jetziger Regelung erlischt das Widerrufsrecht,
wenn eine Seite geleistet hat, der Unternehmer also die
erste Zeitschrift zugeschickt hat, damit begonnen hat,
Telefondienstleistungen anzubieten. Der Regierungsentwurf sieht hier insofern eine Verbesserung vor, als dieses
Widerrufsrecht künftig fortbestehen soll, bis beide Seiten mit der Leistung begonnen haben, bis also auch der
Verbraucher seine erste Rate bezahlt hat. Dies ist übrigens auch an systematisch geeigneter Stelle geregelt, im
Gesetz über Fernabsatzverträge, das inzwischen Teil des
Bürgerlichen Gesetzbuches ist.
Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Dauerlieferungen, also Telekommunikationsleistungen, Stromlieferungen und Ähnlichem, sind die ungewollten Anbieterwechsel. Sie bekommen den Anruf, lassen sich im
Telefonat überreden oder überzeugen, Sie wechseln den
Anbieter oder Ihnen wird vielleicht sogar nur ein Vertrag
untergeschoben. Was passiert, wenn Sie zu Ihrem alten
Anbieter, zum Beispiel zum alten Telefonanbieter, zurückwollen? Der neue Anbieter muss Sie sozusagen freigeben, obwohl der alte Vertrag gekündigt bleibt. Das
Ergebnis kann sein, dass man nachher ganz ohne Telefonanbieter und mit einer toten Leitung dasteht. Wenn
man es etwas ironisch formulieren würde, könnte man
sagen: Man hat gar kein Telefon mehr, und das ist sozusagen der wirksamste Schutz gegen Werbeanrufe. Aber
natürlich ist das ein Schutz, den wir alle nicht wollen
und an den wir nicht gedacht haben. Deswegen lautet die
Lösung - sie ist, wie ich finde, sehr praxisorientiert -: Ein
wirksamer Schutz vor Werbeanrufen besteht darin, dass
die Kündigung in einer schriftlichen Form erfolgen
muss. Hier herrscht eben ein besonderes Schutzbedürfnis, und von daher gibt es eine besondere Rechtsfolge.
Ich glaube, es ist deutlich geworden: Der Regierungsentwurf bietet eine gute Vorlage, um den Verbraucher
besser vor unerbetenen Anrufen zu schützen. Das Verbot, das wir vor einigen Jahren im Gesetz verankert haben - ebenfalls nach langer Diskussion; das will ich betonen -, musste nun noch effektiv durchgesetzt werden.
Ein Verbot, das nur auf dem Papier des Gesetzblattes
existiert, bringt nichts. Wir müssen es in der Praxis effektiv durchsetzen.
({0})
- Danke schön. Genau ein Applaus pro Rede muss sein,
finde ich. - Dazu liegen gute Vorschläge vor.
Wir haben jetzt im Rechtsausschuss in Kooperation
mit den mitberatenden Ausschüssen, vor allem mit dem
Verbraucherschutzausschuss, noch die Möglichkeit, über
Einzelheiten ausführlich zu sprechen. Ich gehe davon
aus, dass das in Form von Anhörungen oder erweiterten
Berichterstattergesprächen geschehen wird. Jedenfalls
haben wir hier es - quer durch alle interessierten Ausschüsse - in der Hand, die Landplage der unerwünschten
Telefonanrufe einzudämmen. Ich biete an und freue
mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({1})
Karin Binder hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat im August
2007 eine repräsentative Forsa-Umfrage vorgelegt, die
hier heute schon angesprochen worden ist. Danach wurden 64 Prozent der Befragten schon mindestens einmal
ohne ihre Einwilligung von einem Unternehmen angerufen. Bei den über 65-Jährigen waren es 78 Prozent. Das
zeigt, wer vor allem betroffen ist. 86 von 100 Befragten
fühlten oder fühlen sich durch unlautere Telefonwerbung
belästigt. Bereits im Juli 2007 habe ich in diesem Hause
auf die Folgen dieser unerwünschten Anrufe hingewiesen. Insbesondere ältere Menschen werden durch diese
unlauteren Werbemethoden oft über den Tisch gezogen
und verfangen sich in Verträgen, die sie unter reellen Bedingungen nicht abgeschlossen hätten. Auch unerfahrene jüngere Kunden oder Menschen mit Migrationshintergrund und Sprachschwierigkeiten gehen in diese
Telefonfalle und wissen sich hinterher nicht mehr zu
wehren.
Seit geraumer Zeit sind wir uns mit vielen anderen
verbraucherpolitischen Akteuren einig, dass hier etwas
passieren muss. Auch die Regierungskoalition hat dies
erkannt und aufgenommen. Wer jedoch nun angenommen hat, dass die Regierung daraus rasche Schlussfolgerungen ziehen würde, wurde enttäuscht. Es hat mehr als
zwei Jahre gedauert. Es wurde herumgedoktert, um nun
wieder einmal mehr ein halbherziges Ergebnis zu präsentieren.
({0})
Blicken wir noch einmal zurück: Im Januar 2007
stellte der VZBV fest, dass die Zahl unerbetener Werbeanrufe seit Inkrafttreten des gesetzlichen Verbotes sogar
noch angestiegen war. Im ersten Quartal 2006 wurden
offenbar 82,6 Millionen unaufgeforderte telefonische
Werbekontakte festgestellt. Das bedeutet 800 000 Anrufe pro Tag. In der Zwischenzeit sind zwei Jahre vergangen. Wir können davon ausgehen, dass sich an dieser
Situation und an der Zahl dieser Anrufe nicht viel verändert hat.
Nun liegt uns ein Gesetzentwurf vor. Wir begrüßen es
ausdrücklich, dass nach langwieriger Abstimmung zwischen Justizministerium und Verbraucherschutzministerium endlich ein Vorschlag auf dem Tisch liegt. Es wurden auch einige Verbesserungen am ursprünglichen
Entwurf vorgenommen. Unter anderem muss bei Werbeanrufen jetzt wirklich die Rufnummer des Anrufenden
angezeigt werden. Auch die Widerrufsrechte werden
ausgeweitet, womit ein besserer Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Kostenfallen auch im Internethandel erreicht werden soll.
Aber ich stelle fest, dass wesentliche Änderungsvorschläge, insbesondere von der Verbraucherzentrale Bundesverband und auch von der Konferenz der Verbraucherschutzminister der Länder, keinen Eingang
gefunden haben. Die Regierung muss sich schon fragen
lassen, warum der Gesetzentwurf gerade die Maßnahmen ausspart, die im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher
({1})
am wirkungsvollsten
({2})
- die werde ich Ihnen gleich sagen ({3})
gegen die telefonische Dauerbelästigung wären.
Es geht vor allem darum, die Menschen überhaupt vor
solchen unlauteren Anrufen zu schützen.
({4})
Es handelt sich um ein Eindringen in die Privatsphäre
der Wohnung. Die Unannehmlichkeiten, die sich daraus
ergeben können, sollten gar nicht erst entstehen.
({5})
- Bitte gedulden Sie sich, liebe Kollegin.
Ich fand die Erklärungen von Herrn Staatssekretär
Hartenbach nicht sehr logisch.
({6})
Die Telefonanrufe kommen trotz Widerrufsrechts oder
Widerruffrist und Ähnlichem in die Wohnungen. Die
Maßnahmen, die möglich wären, ergreifen Sie nicht.
Ich möchte zwei zentrale Defizite aufzeigen. Verträge
aus unerwünschten Werbeanrufen müssen nichtig sein,
solange der Kunde sie nicht schriftlich bestätigt hat. Sie
werden aber nicht nichtig. Sie gestatten, dass unlautere
Werbeanrufe zu Verträgen führen. Die Menschen müssen aktiv werden, wenn sie diese Verträge nicht haben
wollen.
({7})
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Leute, die den
Vertrag haben wollen, können aktiv werden. Sie haben
nicht das Problem, dass sie aufgrund fehlenden Verständnisses für solche Geschäfte möglicherweise Fehler
machen.
({8})
Dieser Standpunkt wird auch von den Verbraucherschutzministern der Länder vertreten.
Die Bundesregierung will die telefonischen Vertragsabschlüsse jedoch weiter dulden und ein 14-tägiges Widerrufsrecht ohne Angabe von Gründen einräumen. Das
ist wenigstens was - das gestehe ich zu -, aber in meinen
Augen ist das nicht das Optimale.
Der zweite große Mangel ist das viel zu niedrige Bußgeld. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich gebe Ihnen
recht: 10 000 bis 50 000 Euro Bußgeld reißen es nicht.
Das zahlen die Unternehmen aus der Portokasse. Das ist
in meinen Augen ein großer Fehler. Wenn die Verbraucherzentrale Bundesverband schon heutzutage Unterlassungserklärungen erwirkt, bei denen im Falle des Verstoßes 250 000 Euro Ordnungsgeld zu zahlen sind, dann
frage ich mich, wieso die Regierung das Bußgeld für die
Unternehmen auf 10 000 bis maximal 50 000 Euro reduzieren will. Aus unserer Sicht wäre die Gewinnabschöpfung die einzig wirksame Maßnahme, die Maßnahme,
die tatsächlich wehtäte und verhindern würde, dass unlautere Anrufe stattfinden.
({9})
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Wenn die Firmen davon ausgehen müssen, dass es
wehtut, dann werden sie es bleiben lassen. Nur so sortieren wir die schwarzen Schafe aus.
Damit beende ich meinen Beitrag und bedanke mich
für die Aufmerksamkeit.
({0})
Jetzt spricht Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Staatssekretär! Frau Staatssekretärin!
Wir haben in der Debatte gehört: Gegen das gesetzliche
Verbot der Telefonwerbung wird täglich tausendfach
verstoßen. Ein Großteil der Bevölkerung, darunter auch
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, fühlt sich durch
diese unerlaubten Telefonanrufe belästigt und in der Privatsphäre gestört.
({0})
Noch schlimmer als die Belästigung durch Telefonanrufe ist jedoch der Schaden, der durch untergeschobene
Verträge zustande kommt, also Abzocke durch Werbeanrufe.
Sie alle bekommen, wenn Sie sich mit Verbraucherschutz beschäftigen, Briefe des Inhalts in Ihr Wahlkreisbüro: Eine alte Frau, die nicht einmal einen Computer
besitzt, hat einen Vertrag über eine Internet-Flatrate abgeschlossen. Kunden, die glauben, sie hätten mit der Telekom telefoniert, haben danach einen zweiten Telefonvertrag mit einem dubiosen Anbieter am Hals. - Hier
bestand dringend Handlungsbedarf. Es hat lange gedauert. Aber jetzt hat uns die Bundesregierung etwas vorgelegt.
({1})
Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Nachsehen, wenn sie ungewollte Telefon- oder Lotterieverträge haben. Die sind zwar laut UWG verboten, aber das
hindert viele Unternehmen nicht daran, diese Form der
Werbung weiterzubetreiben und dann damit Profite zu
machen. Das heißt, es liegt ein illegales Verhalten vor,
und das wird im Zweifelsfall auch noch dadurch belohnt,
dass rechtsgültige Verträge abgeschlossen werden.
({2})
Die Scherereien haben dann die Verbraucherinnen und
Verbraucher am Hals; denn sie müssen sich darum kümmern, etwas wieder loszuwerden, was sie eigentlich nie
haben wollten. Deshalb haben wir Grünen, die Verbraucherverbände und auch einige Bundesländer immer wieder darauf verwiesen, dass es notwendig ist, im Gesetz
zu verankern, dass solche Verträge nur durch eine
schriftliche Bestätigung zustande kommen. Auch Horst
Seehofer hat uns an verschiedener Stelle immer wieder
versprochen, dass wir auf einem guten Weg hin zur gesetzlichen Verankerung dieser schriftlichen Bestätigung
seien.
({3})
Die Bundesregierung hat in dem vorliegenden Gesetzentwurf leider nichts zur Frage der schriftlichen Bestätigung gesagt,
({4})
aber - das müssen ja auch wir Grüne als Oppositionspartei anerkennen - einiges hat sich schon verbessert:
Die Einführung eines Bußgeldes bei Rufnummernunterdrückung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Leider ist es in der Realität so, dass es schwer nachweisbar
ist, dass wirklich eine Rufnummer unterdrückt wurde.
Ich mache ja kein Beweisfoto vom Display meines Handys, wenn ich angerufen werde.
Ein wirklich sehr guter Aspekt ist, dass Zeitschriftenabos und Lotteriedienstleistungen in Zukunft auch
widerrufen werden können. Ich kann Ihnen ein kleines
Beispiel aus der Zeit nennen, als ich noch kein Geld und
keinen Fernseher hatte: Nach dem Anruf eines sehr eloquenten Herrn von TV Spielfilm hatte ich plötzlich eine
Fernsehzeitschrift abonniert.
({5})
Richtig ist auch, dass in Zukunft ein Bußgeld in Höhe
von bis zu 50 000 Euro bei einem Verstoß gegen das
Verbot von unerlaubten Werbeanrufen gesetzlich vorgesehen ist.
Man muss aber sagen: Das eigentliche Problem wird
nicht angegangen. Verbraucherinnen und Verbraucher
werden nämlich weiterhin nicht wirksam vor Abzocke
geschützt. Das würde nur funktionieren, wenn man die
Lösung mit einer verpflichtenden schriftlichen Bestätigung wählen würde. Dieser Ansatz wirkt präventiv. So
könnte dafür gesorgt werden, dass Verbraucherinnen und
Verbraucher nicht hinterher Scherereien damit haben,
wie sie Verträge, die sie gar nicht wollten, wieder loswerden.
({6})
Die Bundesländer NRW und Bremen haben das Problem erkannt und haben jeweils mit Unterstützung der
Union den Weg hin zur gesetzlichen Verankerung einer
schriftlichen Bestätigung eingeschlagen. Man kann der
neuen Verbraucherschutzministerin nur sagen, hier hätte
sie die Chance, ein deutliches Zeichen für den Verbraucherschutz zu setzen. Ich fordere sie deshalb auf - sie
wird es im Protokoll nachlesen können -, sich so, wie es
ihr Vorgänger angekündigt hat, für die gesetzliche Verankerung einer schriftlichen Bestätigung einzusetzen.
({7})
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne Margaret
Thatcher zitieren. Ich zitiere ja gerne konservative Politiker.
({8})
Sie sagte nämlich: If you want anything said - ask a
man. If you want something done - ask a woman.
({9})
Horst Seehofer hat über die Frage der schriftlichen Bestätigung geredet. Es ist jetzt an Frau Aigner, zu handeln.
Ich danke Ihnen.
({10})
Dirk Manzewski hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Freunde der Rechtspolitik!
({0})
Es ist ein schöner Tag für mich heute, und zwar deshalb,
weil ich feststellen kann, dass sich im Grunde genommen alle fraktionsübergreifend mit diesem Thema beschäftigen. Das erfreut mich. Es ist nämlich noch gar
nicht so lange her, dass das hier im Hause völlig anders
war. Dass wir uns nun überhaupt darüber unterhalten, hat
etwas damit zu tun, dass wir Regularien haben, die deutlich machen, dass Telefonwerbung nicht erlaubt ist. Das
ist Rot-Grün zu verdanken: Die Regularien wurden nämlich damals gegen den erheblichen Widerstand anderer
Fraktionen eingeführt. Ich schaue hierbei insbesondere
ganz nach rechts.
({1})
Es ist ja berechtigt, dass jetzt alle Fraktionen diese Auffassung teilen. Es ist ja wirklich so, dass sich unerwünschte Telefonwerbung für die Verbraucher in letzter
Zeit zu einer immer schlimmer werdenden Belästigung
entwickelt hat. Insbesondere die Zahl der in diesem Zusammenhang untergeschobenen Verträge, bei denen einfach ein Vertragsschluss behauptet wird, hat extrem zugenommen. Das gilt insbesondere für die angeblichen
Wechsel von Strom- oder Telefonanbietern.
Es ist richtig, dass sich die Bundesregierung dieser
Problematik angenommen hat. Sie will diese lösen, indem sie beim Widerrufsrecht ansetzt und es in der Form
neu regelt, dass es nicht gleich durch die erstmalige
Inanspruchnahme einer Dienstleistung erlischt. In der
Vergangenheit war es ja oft vorgekommen, dass Verbraucher erst durch zugesandte vermeintliche Auftragsbestätigungen darauf aufmerksam gemacht wurden, dass
ihre telefonische Einwilligung zur Zusendung von Informationsmaterial einfach frech als Vertragsschluss ausgelegt worden ist und ihr Widerrufsrecht zwischenzeitlich,
weil sie beispielsweise schon unbemerkt ein anderes Telefonnetz nutzten, entfallen war.
Ergänzt werden soll diese Maßnahme der Bundesregierung dadurch, dass von nun an die Kündigung eines
solchen Dauerschuldverhältnisses bzw. die Vollmacht
hierzu der Schriftform bedarf.
Dies lässt mich erneut die Frage aufwerfen - Herr
Kollege Hartenbach hat schon im Vorfeld darauf reagiert -, warum wir die aufgrund eines Cold Calls fernmündlich abgeschlossenen Verträge nicht grundsätzlich
vom Kunden bestätigen lassen. Worum geht es dem Telefonwerber letztlich? Es geht ihm um den Abschluss eines Vertrages. Setzen wir grundsätzlich bei dessen Wirksamkeit an, dann werden wir feststellen, wie schnell
diese Werbeanrufe uninteressant werden. Man muss eines deutlich sagen: Die Telefonwerber setzen doch gerade darauf, dass den Betroffenen die ihnen zustehenden
Regularien nicht bekannt sind oder dass sie sie nicht einsetzen. Das wird von vornherein mit einkalkuliert.
Nun wird entgegengehalten - der Herr Staatssekretär
hat das gemacht, weil er genau wusste, was ich hier ausführen werde -, dass eine solche Regelung dem Geschäftsverkehr abträglich sei und es schwer zu beweisen
sei, ob es sich hierbei um einen Cold Call handelt. Er hat
allerdings schlechte Beispiele gewählt; denn ich gehe
davon aus, Frau Klöckner, dass Ihr Bruder die Erlaubnis
hat, Sie anzurufen.
({2})
Ich gehe auch davon aus - so schätze ich Ihre Familie
ein -, dass Ihr Bruder nur Kunden anruft,
({3})
von denen er vorher die Einwilligung dazu erhalten hat.
Ich frage Sie ernsthaft, Herr Staatssekretär: Was ist
denn der schriftliche Nachweis für die Kündigung des
alten Vertrages im Zusammenhang mit dem Wechsel eines Dauerschuldverhältnisses - ich sage ausdrücklich: in
Schriftform - anderes als eine solche Bestätigung des
Willens des Kunden? Warum soll das, was bei der Mehrzahl der unerlaubten Werbeanrufe möglich ist, nicht allgemein Gültigkeit erhalten? Das verstehe ich nicht.
Wir reden - auch das ist nicht ganz deutlich geworden - hier wie dort nur von Verträgen, die aufgrund sogenannter Cold Calls, also nur durch unerwünschte Anrufe durch den Werbenden zustande gekommen sind. Im
Streitfall ist es völlig anders, als Sie es dargelegt haben.
Im Streitfall müsste nämlich zunächst der Werbende, der
sich auf die Gültigkeit eines Vertrages beruft, beweisen,
dass eine Einwilligung zum Anruf bestand bzw. der Verbraucher derjenige gewesen ist, der ihn zuvor angerufen
hat.
Wenn ich lese - das wurde auch von Ihnen vorgetragen -, dass sanktionsrechtlich Werbeanrufe von jetzt an
nur noch erlaubt sein sollen, wenn zuvor eine ausdrückliche Einwilligung hierzu vom Kunden erteilt worden ist
- sanktionsrechtlich soll eine konkludente Einwilligung
also nicht mehr ausreichen -, dann geht auch das - seien
wir ehrlich - genau in diese Richtung.
Im Übrigen würden wir hierdurch das Paradoxon vermeiden, dass der unerlaubte Werbeanruf einerseits mit
einem Bußgeld sanktioniert wird, andererseits aber das
gegebenenfalls negative Rechtsgeschäft für den Verbraucher zunächst gültig bleibt und nicht von Anfang an unwirksam ist.
Ich sage auch deutlich, dass ich zugegebenermaßen
eine Art Déjà-vu empfinde. Wenn wir nämlich das bestehende Widerrufs- und Rückgaberecht nunmehr auch auf
Verträge zur Lieferung von Zeitungen und Zeitschriften
oder zur Erbringung von Lottodienstleistungen ausweiten, dann finde ich das richtig, zumal ich schon in der
Vergangenheit darauf hingewiesen habe und auch die
Ungleichbehandlung moniert habe. Ich erinnere mich allerdings dunkel daran, dass auch dies seinerzeit als nicht
praktikabel und dem geschäftlichen Verkehr abträglich
dargestellt worden war.
Lassen Sie mich abschließend noch einen weiteren
Punkt ansprechen. Wenn die Bundesregierung nun die
Verpflichtung zur Rufnummernanzeige vorschlägt, dann
mag dies sicherlich helfen, um den Initiator des Anrufs
zu identifizieren. Ich befürchte allerdings, dass die Angerufenen gleichwohl nicht die Verbraucherschutzverbände informieren werden, da dies - bei allem Ärger
über den Anruf und unabhängig von der Beweisfrage,
wer angerufen hat - für sie mit weiterem Aufwand verbunden ist.
Es wurde auch nicht angesprochen - das haben wir in
internen Gesprächen von Fachleuten erfahren -, dass
Rufnummernanzeigen manipuliert werden können. Von
daher wird das Vorhaben insbesondere dann nicht weiterhelfen, wenn sich der Anrufer im Ausland aufhält,
was uns in der Zukunft verstärkt erwarten wird. In diesem Zusammenhang finde ich den Vorschlag übrigens
nicht gut, dass statt der Nummer des Callcenters auch
diejenige des Auftraggebers im Display erscheinen
kann. Abgesehen davon, dass es den Verbraucherschutzverbänden oder Mitbewerbern meiner Auffassung nach
nicht zuzumuten ist, den Streit darüber auszutragen, ob
tatsächlich die Beauftragung eines Callcenters erfolgt ist
und, wenn ja, in welchem Umfang, will ich die Callcenter nicht aus der Verantwortung entlassen; denn sie haben meiner Auffassung nach mit ihrem Auftraggeber
vorab abzuklären, ob es sich um einen Cold Call handelt.
Denn - da beißt die Maus keinen Faden ab - es sind
letztendlich die Callcenter, die diese belästigenden Anrufe tätigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben verschiedene Gesetzentwürfe, übrigens auch einen Antrag der
Grünen. Diesen haben Sie vorhin gar nicht erwähnt, Frau
Kollegin. Wir haben den Antrag der FDP-Fraktion, der
teilweise wortgleich ist mit dem jetzigen Vorschlag der
Bundesregierung. Das hat mich schon sehr interessiert,
Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Als der Referentenentwurf vorgelegt wurde, haben Sie interessanterweise
quasi diesen Entwurf ganz schnell ins Plenum eingebracht.
Ich halte alle drei für sehr interessant. Ich würde nicht
so borniert sein und sagen, dass ich den Stein der Weisen
gefunden habe. Dazu ist das Problem viel zu komplex
und viel zu diffizil. Wir werden uns zusammensetzen.
Sie wissen, dass ich dazu auch stehe, wenn ich so etwas
ankündige. Wir werden versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden, und zwar - so hoffe ich - im Sinne der
Betroffenen und ich gehe davon aus, dass ich auf intensive Diskussionen und Unterstützung bei diesen Beratungen mit Ihnen zählen kann.
Das war es. Ich danke Ihnen, und ich freue mich auf
interessante Beratungen mit Ihnen.
({4})
Jetzt hat Julia Klöckner das Wort für die CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Staatssekretärin!
Verehrte Herren Staatssekretäre! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
({0})
- Wir haben doch zwei. Eins und eins ergibt zwei.
({1})
- Ich habe Frau Heinen bereits als liebe Staatssekretärin
tituliert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele CallcenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wissen seit Wochen
und Monaten, wie es sich anfühlt, einer Berufsgruppe
anzugehören, deren Beliebtheit sich am unteren Ende
der Skala befindet, so etwa zwischen Gebrauchtwagenhändler und Politiker. Es gibt Tausende von CallcenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die einen ordentlichen Job machen, die genau die Dienstleistung erbringen, die sich Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen.
Zudem ist eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in
Deutschland in der Callcenter-Branche beheimatet. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die schwarzen Schafe herausziehen, die die ganze Branche schädigen, und dass
wir vor allen Dingen den schwarzen Schafen das Handwerk legen, die uns allen unsere Nerven kosten und die
vor allen Dingen Menschen überrumpeln, die etwas
schwächer in der Auseinandersetzung sind, oft auch ältere Menschen.
Es werden nämlich bewusst Seniorenlisten unter den
schwarzen Schafen der Callcenter ausgetauscht, um
diese Senioren zu überrumpeln. Wir kennen alle das Beispiel einer älteren Dame - dieses hat Frau Maisch erwähnt -, die zu einem Internetanschluss kam, obwohl sie
überhaupt keinen Computer besaß. Das ist meines Erachtens bodenlos und nicht in Ordnung. Das wirft natürlich ein schlechtes Licht auf die Branche.
Deshalb ist heute ein guter Tag für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch ein guter Tag für
die Unternehmerinnen und Unternehmer, die in dieser
Branche ihren Beruf ordentlich ausüben.
Wir werden heute noch - ich schaue zur Frau Kollegin Krogmann - das Telekommunikationsgesetz debattieren bzw. zu Protokoll geben. In diesem Gesetzentwurf
haben wir eine Passage untergebracht, die auch Herr
Krings bereits erwähnt hat, nämlich zum Thema Textform. Damit wollen wir das sogenannte Slamming, das
Unterschieben von Verträgen, unterbinden; denn es kam
nicht selten vor, dass eine Telefongesellschaft behauptete, dass ein Verbraucher einen Vertrag gekündigt habe.
Das konnte man lange Zeit behaupten. Jetzt soll die
Textform vorgeschrieben sein.
Wir müssen darauf achten, dass diese Textform nicht
zum Beispiel von der neuen Firma selbst definiert wird,
sondern dass die Unterschrift desjenigen nötig ist, der
kündigen möchte, damit das Ganze auch zu verifizieren
ist.
Ich bin sehr froh, dass die SPD-Ministerin Zypries,
die ich im persönlichen Umgang sehr mag, erkannt hat,
dass Handlungsbedarf besteht. Als ich sie vor zwei Jahren auf die Problematik angesprochen habe, dass die unlautere Telefonwerbung zunimmt, bekam ich noch
schriftlich zur Antwort - Herr Hartenbach, Ihr Name
war als Unterzeichner zu finden -, dass kein Handlungsbedarf bestehe, denn es existiere bereits ein Gesetz. Die
Existenz eines Gesetzes allein stellt aber noch lange
nicht sicher, dass das Gesetz gut ist. Stichwort UWG.
Wir haben noch ziemlich viele Regelungslücken, durch
die die schwarzen Schafe schlüpfen können. Deshalb bin
ich sehr froh, dass wir hier gemeinsam vorangegangen
sind und endlich diesen Gesetzentwurf vorlegen.
Ich möchte aber auch betonen - leider gibt es nur
noch wenige Besucher auf der Zuschauertribüne -, dass
wir diese unlauteren und belästigenden Werbeanrufe
nicht gänzlich unterbinden können. Denn eines ist klar:
Gegen Gesetze wird leider immer verstoßen werden.
Auch wenn mit dem vorliegenden Gesetz Verstöße wirksam geahndet werden können, gilt: Diejenigen, die aus
dem Ausland anrufen, können nur schwer belangt werden. Um die Anrufe besser verfolgen zu können, darf die
Rufnummer in Zukunft nicht mehr unterdrückt werden.
Aber diejenigen, die die Rufnummer unterdrücken, können nur sehr schwer ermittelt werden.
Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass wir unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Rechte klarmachen. Deswegen, Frau Staatssekretärin Heinen, wäre es
gut, wenn das Verbraucherschutzministerium mit der
Ministerin an der Spitze eine entsprechende Kampagne
fahren würde, um die Verbraucherinnen und Verbraucher
aufzuklären. Frau Zypries hat etwas Ähnliches angedeutet. Wenn wir aus den beiden Haushalten eine solche
Aufklärung gemeinsam finanzieren könnten, dann wäre
das sicherlich prima.
({2})
Liebe Frau Maisch, ich bedanke mich für Ihren
konstruktiven Debattenbeitrag und dafür, dass Sie die
Punkte, die Sie gut fanden, auch angesprochen haben.
Sie haben betont, dass Frauen nicht nur reden, sondern
auch handeln. Es ist schade, dass diese Entwicklung erst
mit der neuen Legislaturperiode eingesetzt hat. Wir hätten uns gewünscht, dass Ihre Ministerin Frau Künast damals gehandelt hätte.
({3})
Denn damals gab es dieses Problem ebenfalls schon;
auch das UWG war schon ein Thema. Sie haben sich damals aber mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.
({4})
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss, bevor
der Tumult endgültig ausbricht.
({0})
Das freut mich. Wenn Sie mich zitieren, können Sie
nur dazugewinnen.
Ich wünsche uns allen möglichst geruhsame Abende
ohne belästigende Anrufe. Denjenigen, die in der Callcenterbranche ordentlich arbeiten, wünsche ich viel
Spaß bei der Arbeit. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wünsche ich, dass sie einen guten Service bekommen.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/10734 an die Ausschüsse, die
in der Tagesordnung aufgeführt sind, vorgeschlagen. -
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlos-
sen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf:
a) Vereinbarte Debatte
Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kom-
mission für 2009
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link ({0}), Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Mehr Demokratie und Öffentlichkeit für
Europa - Regelmäßige Europa-Fragestunden
im Plenum des Deutschen Bundestages
- Drucksache 16/8080 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat ({1})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es ist vorgesehen, eine Stunde zu debattieren. Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich dem Kollegen Michael Roth das Wort für die SPDFraktion.
({2})
Guten Abend, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Als ich vor einem guten Jahr erstmals über das Legislativ- und Arbeitsprogramm der
Europäischen Kommission reden durfte, habe ich meiner
Hoffnung Ausdruck verliehen, dass 2008 ein gutes Jahr
für Europa wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden mit mir
sicherlich übereinstimmen, dass sich unsere Hoffnungen
nicht so ganz erfüllt haben: das gescheiterte Referendum
in Irland, damit verbunden der ins Stocken geratene Ratifizierungsprozess für den Vertrag von Lissabon, der
Krieg in Georgien und damit die Krise in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland und
nicht zuletzt die Finanzkrise, die das gesamte Ordnungsgefüge innerhalb der Europäischen Union nicht nur infrage gestellt hat, sondern uns alle mit drängenden Fragen konfrontiert hat, auf die wir schnellstmöglich haben
eine Antwort finden müssen.
Das Legislativ- und Arbeitsprogramm ist nunmehr
das Angebot der EU-Kommission an uns, an die Mitgliedstaaten und an die Organe der EU, daran mitzuwirken, wie es im kommenden Jahr weitergehen soll. Wir
müssen uns in der heutigen Debatte auch fragen: Wird
die EU-Kommission ihrer traditionellen Rolle als Motor
der europäischen Integration gerecht?
Das Legislativ- und Arbeitsprogramm ist überschrieben mit dem Motto: „Jetzt für ein besseres Europa
handeln“. Zum einen kann man feststellen: Die Phrasendreschmaschinen in Brüssel scheinen mindestens genauso gut zu funktionieren wie in Berlin und anderswo.
Ich muss fragen: Ist das wirklich ernst gemeint? Denn
das Motto „Jetzt für ein besseres Europa handeln“ wird
von einer Europäischen Kommission eingefordert, deren
Amtszeit sich dem Ende nähert. Wir alle wissen, dass
der Gesetzgebungsprozess innerhalb der Europäischen
Union in den nächsten Monaten abgeschlossen sein
wird. Also dürfte doch zumindest die Frage erlaubt sein:
Ist die EU-Kommission diesem Motto in den vergangenen Jahren gerecht geworden? Ich habe da mitunter
meine Zweifel. Ich habe aber auch den Eindruck gewonnen, dass die EU-Kommission, wenn man sich das Legislativ- und Arbeitsprogramm genauer anschaut, noch
nicht die zukunftsweisenden Antworten gefunden hat,
die wir brauchen. Dass die Verantwortung dafür aber
nicht allein die EU-Kommission zu tragen hat, darauf
komme ich gleich zu sprechen.
Ich habe das Stichwort „Finanzkrise“ genannt. Was
erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns? Zum einen erwarten wir eine Flankierung der nationalen Strategien, über die wir im Bundestag ausführlich geredet und
gestritten haben. Wir erwarten zum anderen, dass endlich Schluss ist mit dem gnadenlosen Wettbewerb um die
niedrigsten Unternehmensteuern. Wir erwarten zudem,
dass die Steueroasen innerhalb der Europäischen Union,
aber auch innerhalb Europas endlich trockengelegt werden.
({0})
Wir erwarten, dass die Finanzmärkte endlich ordentlich
reguliert werden. Der marktradikale Wind, der auch in
den Fluren der EU-Kommission im Berlaymont geweht
hat, hat sich überlebt. Ich hoffe, dass sich dies in den
nächsten Jahren auch für die sich neu zu installierende
Kommission als Handlungsmaxime ergibt.
Ich begrüße im Namen meiner Fraktion ausdrücklich
das Sozialpaket. Es ist der sehr späte Versuch, die soziale
Dimension der Europäischen Union nicht nur in Sonntagsreden zu stärken, sondern endlich auch einmal ein
paar konkrete Vorschläge zu unterbreiten, was das im
tagtäglichen politischen Handeln eigentlich heißt. Es
reicht aber nicht, wenn die Betriebsräterichtlinie nur
leicht überarbeitet wird. Da muss noch mehr folgen.
({1})
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Innen- und Justizpolitik. Wir haben eine Reihe von Richtlinienentwürfen
in Aussicht gestellt bekommen: zur Saisonarbeit, zu innerbetrieblichen Versetzungen von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern. Es geht um bezahlte Auszubildende. Es geht um Migration und um Integration. Die
EU-Kommission hat verstanden, dass das zwei Seiten
derselben Medaille sind. Das wissen wir auch aus unserem nationalen Handeln heraus.
Ich vermisse aber in diesem Zusammenhang beispielsweise Vorschläge der EU-Kommission zur Beendigung der Ausgrenzung von Roma und Sinti. Das ist ein
drängendes Problem nicht allein in Mittelosteuropa oder
in Südosteuropa.
Besonders wichtig ist mir: Wie entwickeln wir das
Haager Programm weiter? Finden wir endlich eine verMichael Roth ({2})
antwortungsvolle Balance zwischen Freiheit einerseits
und dem Streben nach Sicherheit andererseits? Das
Stockholmer Programm ist in Aussicht gestellt. Es muss
uns auch im Bundestag in den nächsten Monaten intensiv beschäftigen; denn ich habe den Eindruck gewonnen,
dass man es manchmal mit der Terrorismusbekämpfung
übertreibt, und ich frage mich, wie man die Bürgerrechte
stärker zum Ausdruck bringen kann.
({3})
In diesem Zusammenhang fordern wir, die SPD-Fraktion, dass man die Zuständigkeiten für die Justiz- und die
Innenpolitik perspektivisch in der EU-Kommission
trennt. Das nutzt den Bürgerrechten. Das ist eine gute
Tradition in fast allen Mitgliedstaaten. Davon kann auch
die EU-Kommission profitieren, bei der sich mitunter
die vielen Kommissare darum schlagen, wer denn nun
für welches Dossier und für welches Ressort zuständig
ist.
Aber all diese Politikbereiche, die ich jetzt genannt
habe, beeinflussen auch unmittelbar unser nationalstaatliches Handeln. Das heißt, wie setzen wir uns im Deutschen Bundestag damit auseinander? Werden wir unserer Verantwortung gerecht? Deswegen unterstütze ich im
Grundsatz die Initiative der FDP-Fraktion, die gesagt
hat: Wenn der Europäische Rat tagt, brauchen wir eine
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Wir brauchen eine intensive parlamentarische Beratung. Das ist
keine Kür, sondern Pflicht. Dazu verpflichtet uns auch
die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung. Ich würde uns allen dazu raten, keine formalen Lösungen zu suchen, sondern politische Lösungen, die dem
parlamentarischen Alltag Rechnung tragen. Möglicherweise gibt es einmal einen europäischen Gipfel, bei dem
sich eine entsprechende Regierungserklärung erübrigt.
Dennoch haben Sie im Grundsatz recht: Die Beratung, die Debatten gehören in die Mitte des Bundestages.
Sie müssen von der Bundeskanzlerin auf den Weg gebracht und verantwortet werden, nicht von leitenden Beamten des Bundeskanzleramtes oder des Auswärtigen
Amtes.
({4})
Insgesamt umfasst das Programm der Kommission
- ich übernehme die Formulierung - 12 strategische Initiativen, 37 vorrangige Initiativen, 33 Vereinfachungsvorschläge, 20 Vorschläge, die man gerne zurückziehen
möchte. Bei all diesen Strategien und Initiativen vermisse ich aber die lang und breit angekündigte Übersetzungsstrategie. Ich hätte mir von der Kommission gewünscht und auch von ihr erwartet, dass sie allen
nationalen Parlamenten und den Mitgliedstaaten die
Hand zum Dialog reicht. Wir brauchen eine umfassende
Übersetzung in alle Amtssprachen der Europäischen
Union, damit die Abgeordneten ihre Arbeit erledigen
können. Das gilt nicht nur für die Amtssprache Deutsch,
sondern auch für viele andere Amtssprachen. Wir dürfen
das nicht nur in Englisch oder Französisch bekommen.
Es ist eigentlich traurig, dass uns das Legislativ- und Arbeitsprogramm bislang nur in Englisch vorgelegt wurde,
aber nicht in Deutsch.
({5})
Dennoch lade ich uns alle dazu ein, kritisch und konstruktiv mit dem Programm ins Gericht zu gehen. Ich
wünsche uns gute Beratungen und freue mich auf die
Vorschläge und Kommentierungen aus den anderen
Fraktionen.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Michael Roth, hier ist das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission auf Deutsch. Ich weiß
nicht, warum ihr es nur auf Englisch bekommen habt.
Wie stellen wir uns die Europa-Fragestunde vor, die
wir in diesem Antrag vorschlagen? Die Idee ist, dass die
Kanzlerin nach jedem Europäischen Rat hier ins Plenum
kommt und eine Erklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates abgibt. Danach soll sie sich - das ist das
eigentlich Neue an unserem Vorschlag - den spontanen
Fragen der Abgeordneten stellen.
Wir möchten eben nicht das exerzieren, was wir jetzt
bei unseren Fragestunden tun: Spätestens am Freitag
sind die Fragen schriftlich einzureichen, dann kann tagelang darüber nachgedacht werden, Formulierungen können ausgefeilt werden; schließlich wird uns von Staatssekretären - ich entschuldige mich bei den anwesenden
Staatssekretären - etwas vom Blatt vorgelesen. Das ist
die langweiligste Veranstaltung im Deutschen Bundestag. Es ist eine Schande für das Parlament, dass wir das
nicht längst geändert haben.
Es ist wichtig, dass wir insbesondere beim Thema Europa einmal versuchen, neue Wege zu gehen. Wir wollen
eine Debatte, die lebendig ist. Wir wollen das erreichen,
was der britische und der schwedische Premierminister
längst tun. Wir wollen wie die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten dort das Recht erhalten, hier im Parlament aufzustehen und den Regierungschef tagesaktuell,
ohne Vorbereitung, spontan zu befragen, ihn unter Druck
zu setzen und eine Debatte zu führen.
Wie oft reden wir darüber, dass Europa zu langweilig
ist, dass zu wenig passiert, dass sich niemand für Europa
interessiert! Dann machen wir Europa spannend. Lieber
Michael Roth, es handelt sich hier um mehr als einen
formalen Vorschlag; es handelt sich um etwas, mit dem
wir das Interesse der Menschen für Europa durchaus
besser wecken können als zurzeit. Machen wir eine
spannende Debatte, live im deutschen Fernsehen übertragen, sodass die Leute wirklich sehen können, was die
Regierungschefin oder der Regierungschef zu sagen hat,
auch unter dem Druck der drängenden Fragen der Abgeordneten. Das wäre etwas Neues. Ich glaube, der Deut19890
sche Bundestag sollte an dieser Stelle einmal etwas
Neues ausprobieren.
({0})
Dahinter steckt aber mehr als das Thema Europa und
die Absicht, das Parlament spannender zu machen. Dahinter steckt - das ist etwas sehr Ernsthaftes -, dass wir
unserem Anspruch gerecht werden müssen, die europäische Politik und das Agieren der Bundesregierung in den
Räten zu kontrollieren. Wir haben eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht und eine Reihe von Verbesserungen erreicht. Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag ist schon angesprochen
worden. Von der Kommission, aber auch von der Bundesregierung werden wir inzwischen früher und besser
informiert. Wir führen unsere Debatten über europäische
Initiativen gerade in den Ausschüssen zum Teil deutlich
früher.
Aber, meine Damen und Herren, reicht das, um unserem Anspruch auf demokratische Kontrolle dessen, was
in Brüssel passiert, gerecht zu werden? Ist das Maß an
Transparenz, das wir herstellen, ausreichend? Oder müssen wir als Abgeordnete einen höheren Anspruch an uns
selber haben und die Dinge, die in Brüssel hinter verschlossenen Türen passieren, als Parlament transparenter
darstellen? Ich glaube, diesen Anspruch sollten wir haben. Wir sind es den Wählerinnen und Wählern, den
Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland schuldig, dass
wir europäische Politik transparent machen.
({1})
Ich will in diesem Zusammenhang an das MaastrichtUrteil des Bundesverfassungsgerichts erinnern. Es gibt
uns nämlich genau das auf: demokratische Kontrolle
auszuüben und europäische Politik transparent zu machen. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Antrag, um Unterstützung für unser Anliegen. Ich
freue mich auf konstruktive und spannende Debatten in
den Ausschüssen.
Lassen Sie mich einen Punkt des Arbeitsprogramms
herausheben, den ich für zentral halte - diesem Punkt
räumt die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm zu
Recht einen weiten Raum ein -: das Thema Wirtschaft
und Finanzen. Ich glaube, dass das nächste Jahr politisch
von der Bewältigung der Finanzkrise dominiert sein
wird. Das ist das Thema, mit dem wir uns im nächsten
Jahr auseinandersetzen müssen, auf der nationalen, aber
insbesondere auf der europäischen Ebene. Man sollte
klar sagen, dass Elemente der Konstruktion Europas, gerade die Europäische Zentralbank und der Euro, in dieser
Finanzkrise Stabilitätsanker gewesen sind. Stellen wir
uns vor, wir hätten verschiedene nationale Währungen
gehabt und die nationalen Regierungen hätten völlig unkoordiniert auf die Finanzkrise reagiert. Meine Damen
und Herren, das wäre ein Desaster geworden. Wir können froh sein, dass wir den Euro haben, und wir können
froh sein, dass gemeinsam gehandelt worden ist.
({2})
Wir sollten diesen erfolgreichen Kurs konsequent
fortsetzen. Das heißt aus meiner Sicht, dass wir explizit
die Länder einladen, der Euro-Zone beizutreten, die das
könnten, zum Beispiel Schweden, Dänemark und Großbritannien, auch wenn die Briten ein bisschen skeptisch
sind. Wir sollten die Einladung aussprechen, jetzt beizutreten, und die Euro-Zone dadurch vergrößern.
Zum Binnenmarkt im Finanzbereich formuliert die
Kommission in ihrem Arbeitsprogramm eine ganze
Reihe von Vorschlägen. Im Finanzbereich funktioniert
der Binnenmarkt nur teilweise. Das ist einer der Gründe
für diese Krise. Wir haben Banken, die miteinander eng
im Geschäft sind - auf der Bankenseite funktioniert der
Binnenmarkt -, aber die Kommunikation zwischen den
Aufsichtsbehörden funktioniert nicht. 70 verschiedene
Behörden kontrollieren den Finanzsektor im Binnenmarkt. Das geht nicht. Bei der Hypo Real Estate haben
wir gesehen, wie schlecht die Kommunikation zwischen
den verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden ist.
Einer der Gründe für diese Finanzkrise war, dass die
europäische Bankenaufsicht nicht funktioniert hat. Da
besteht dringender Handlungsbedarf.
Das College of Supervisors, dessen Einrichtung jetzt
vereinbart worden ist, kann nur ein erster Schritt auf diesem Weg sein. Wir brauchen mehr. Wir brauchen gleiche
Standards hinsichtlich der Transparenz von Finanzprodukten. Diese Forderung richtet sich insbesondere an unsere britischen Freunde, die ich von dieser Stelle aus
noch einmal auffordere, sich den Standards der anderen
anzunähern und anzupassen. Wir brauchen gleiche Standards bei der Unterlegung mit Eigenkapital, bei der Haftung und auch bei der persönlichen Verantwortung.
({3})
Insgesamt brauchen wir gemeinsame Regeln und
gleiche Standards in einem funktionierenden Binnenmarkt. Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich etwas zur persönlichen Verantwortung: Zu einer
funktionierenden Marktwirtschaft gehören persönliche
Verantwortung und persönliche Haftung. Das können
wir nicht ignorieren. Diese Konsequenz aus der Finanzkrise müssen wir europaweit durchsetzen.
Wir sollten auch über die EU hinausschauen. Nutzen
wir die Chance, jetzt gemeinsam die Amerikaner unter
Druck zu setzen, ihre Geldpolitik zu ändern! Die europäische, an Geldwertstabilität orientierte Geldpolitik war
erfolgreich, die amerikanische Geldpolitik hat zur Krise
geführt. Nutzen wir die Chance, Druck auf die Amerikaner auszuüben, dass sie ihre Geldpolitik in unserem
Sinne verändern!
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Nutzen
wir die Chance, die in dieser Krise steckt, um Europa im
Finanzbereich und im Wirtschaftsbereich vorwärtszuentwickeln, gemeinsam zu handeln und gemeinsam aus dieser Krise zu kommen!
Vielen Dank.
({4})
Nun hat das Wort der Kollege Thomas Dörflinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst möchte ich die Frage aufklären, wieso
der eine Kollege ein englisches Exemplar hatte, andere
aber schon über das deutsche Exemplar des Arbeitsprogramms verfügen. Das liegt an Folgendem: Auch ich
habe am Montag recherchiert und es nur auf Englisch
gefunden. In der Zeit von Montag bis Mittwoch wurde
es offensichtlich übersetzt. Auch mir liegt inzwischen
das deutsche Exemplar vor.
({0})
Dies zeigt einmal mehr, wie berechtigt und wie sinnvoll
der Antrag war, der unter der Federführung von Hans
Peter Thul und Michael Roth zur Übersetzungsstrategie
der Europäischen Union gestellt und hier von uns einstimmig verabschiedet wurde. Denn in diesem Punkt
sind wir immer noch nicht am Ende angekommen.
({1})
Wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, wie das Legislativund Arbeitsprogramm der Kommission im Frühjahr dieses Jahres aussah, und mir jetzt die aktualisierte Version
vom 5. November ansehe, finde ich eine begrüßenswerte
Konzentration auf und eine Priorisierung von Themen,
die wichtig sind, etwa in dem Maße, wie Kollege Löning
es vorgetragen hat. Zunächst einmal erwarten die Menschen schlicht und ergreifend angesichts dessen, was
sich in den letzten Wochen und Monaten ereignet hat,
dass auch die Kommission ihren Beitrag dazu leistet,
dass die Finanz- und Bankenkrise möglichst bald bewältigt wird. Das ist richtig. Das Ganze wird kombiniert mit
den Themen Klima, Umwelt und Energie, bei denen die
Kommission und auch wir als Bundesrepublik Deutschland uns ehrgeizige Ziele gesetzt haben. Beim Arbeitsprogramm der Kommission konzentriert man sich
auf das, was tatsächlich machbar ist.
Wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, was ebenfalls im
Frühjahr im Europäischen Parlament zu diesem Thema
beschlossen wurde, und mir vor dem geistigen Auge vergegenwärtige, wie das Arbeitsprogramm ausgesehen
hätte, wenn man all das, was dort als Mangel charakterisiert wurde, in das Arbeitsprogramm gepackt hätte, dann
hätte das Arbeitsprogramm nicht nur bis einschließlich
2009, sondern bequem bis 2019, vielleicht sogar bis
2090 gereicht. Insofern ist es sinnvoll, wenn man sich
konzentriert und Prioritäten setzt.
Ich will auch ein paar Worte zu dem Antrag, den uns
die FDP vorgelegt hat, sagen. In der Analyse, Herr Kollege Löning, sind wir uns weitgehend einig, dass der Ministerrat an Bedeutung gewinnt und dass das im Deutschen Bundestag zu einer intensiveren Befassung mit
diesen Themen führen muss. Die Frage ist nur, wie wir
es machen. Da bin ich eher beim Kollegen Roth denn bei
Ihnen. Richtig ist, dass die Kanzlerin nach einem Europäischen Rat selbstverständlich eine Regierungserklärung abgibt. Das hat sie bisher immer getan; das haben
auch ihre Vorgänger immer getan.
({2})
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, Herr Kollege
Löning - dafür war die heutige Ausschusssitzung eigentlich ein guter Beweis -, wie lange wir uns mit der Unterrichtung über die verschiedenen Räte befasst haben und
dass schlussendlich die weiteren Punkte der Tagesordnung - Herr Kollege Steenblock, „Schweinsgalopp“ war
zu Recht Ihre Wortwahl - im Schweinsgalopp bewältigt
werden mussten.
Wenn wir uns einmal vorstellen, wir machen das nicht
mit 25 oder 30 Leuten im Europaausschuss, mit dem zuständigen Staatsminister des Auswärtigen Amtes oder
einem Staatssekretär, sondern wir machen das mit
612 Kolleginnen und Kollegen und mit der Frau Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages,
dann muss ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht, ob das Ergebnis für all diejenigen, die dann eine Frage stellen
möchten, so befriedigend ausfällt, wie man sich das jetzt
denkt.
({3})
Ich glaube eher, dass das Gegenteil richtig ist.
({4})
- Ich habe keinen Zweifel, dass die Frau Bundeskanzlerin mit diesen Fragen umgehen kann. Es stellt sich aber
die Frage, ob wir selbst als Parlamentarierinnen und Parlamentarier uns mit einer solchen Einrichtung einen Gefallen tun würden. Ich glaube, nein.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen persönlich sagen:
Wenn wir im Deutschen Bundestag mehr Transparenz
herstellen wollen, dann wäre ich für den Vorschlag offen, bei uns selbst anzufangen. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir die Fragestunde, in der die Kolleginnen
und Kollegen unter anderem die Möglichkeit haben, Anliegen aus ihren Wahlkreisen vorzutragen und darüber
mit Vertretern der Bundesregierung zu diskutieren, im
deutschen Fernsehen übertragen. Ich hätte damit kein
Problem.
({5})
Das wäre im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und ein
Beitrag zu mehr Transparenz. Allerdings habe ich erhebliche Zweifel, ob wir uns und den Bürgerinnen und Bürgern einen Gefallen tun würden, wenn wir eine zusätzliche Institution, eine Europa-Fragestunde, schaffen
würden.
({6})
Ich glaube, das bisherige System, das Gremium des
Europaausschusses zu nutzen, um uns mit der Bundesregierung auszutauschen, die Ergebnisse anschließend abseits von Regierungserklärungen in den parlamentarischen Betrieb einzuspeisen und zum Anlass zu nehmen,
im Deutschen Bundestag Debatten über diese Themen
zu führen, ist der richtigere und der zielführendere Weg.
Ansonsten würden wir uns in Dingen verzetteln, die sich
gut anhören, die aber mit Sicherheit nicht die Ergebnisse
liefern, die man sich von ihnen erhofft hat.
Ich sage noch einmal: In der Analyse sind wir uns
weitgehend einig. Was die Durchführung betrifft, so
glaube ich allerdings nicht, dass wir mit zusätzlichen institutionellen Formen im Geschäftsbetrieb des Deutschen Bundestages zu einem sinnvollen Ergebnis kommen.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Alexander Ulrich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Roth, hier wurde schon über den Titel des Arbeitsprogramms diskutiert. Ich denke, eigentlich müssten wir das Arbeitsprogramm mit der Frage „Wie führt
man Europa aus der Krise?“ überschreiben.
Wenn man sich die Ereignisse dieses fast abgelaufenen Jahres vor Augen führt - Stichworte: Georgien-Konflikt, Mittelmeerunion, Finanzmarktkrise, BarcelonaProzess, Umgang mit dem Nein der Iren -, dann muss
man feststellen, dass sich Europa in den letzten Jahren,
wenn es um die Bewältigung von Krisen ging, selten so
wenig einig gezeigt hat. Das hat dazu geführt, dass die
Menschen immer mehr Abstand zu diesem Europa gewinnen. Sie haben keinen Glauben mehr daran, dass dieses Europa, die europäischen Regierungen und die Europäische Kommission handlungsfähig sind und die
Bevölkerungen der Länder Europas aus der Krise führen
können.
Eigentlich hätte man sich dieses Papier sparen können. Denn was wollen wir noch erwarten? In einem halben Jahr finden Europa-Wahlen statt. Die Kommission
weiß, dass sie sich im Prinzip in ihrer Abschluss- bzw.
Ehrenrunde befindet. Bald wird es eine neue Kommission geben. Von der jetzigen Kommission können wir im
nächsten Jahr nicht mehr viel erwarten. Wir können nur
hoffen, dass sie Wege aufzeigt, wie die genannten Probleme gelöst werden können. Dass keiner meiner Vorredner das Nein der Iren angesprochen hat, zeigt, dass
auch wir diese Probleme nicht richtig wahrnehmen.
Es ist noch nicht allzu lange her, da haben auch Sie
die deutsche Bundeskanzlerin dazu beglückwünscht,
dass sie es während der deutschen Ratspräsidentschaft
geschafft habe, die europäischen Verträge zu retten. Ich
glaube, damals hat man zu früh applaudiert. Denn heute
wissen wir, dass wir aus dieser Sache nicht einfach dadurch herauskommen, dass wir die Iren so lange abstimmen lassen, bis das Ergebnis stimmt.
({0})
Langsam frage ich mich: Wo bleiben die Vorschläge,
die eure Fraktionen der EU-Kommission zur Lösung
dieses Problems vorlegen wollen? Die Situation ist relativ einfach - wir haben das schon vor zwei Jahren gesagt -:
Man wird für diese Verträge keine Mehrheit bekommen.
Dort, wo Volksabstimmungen durchgeführt wurden,
wurden sie abgelehnt.
Hinzu kommt, dass Sie sich jetzt auch noch in den
von Ihnen selbst geschaffenen Konflikten verfangen haben. Sie haben gesagt: Es wird zusätzliche Beitritte nur
bei einem neuen EU-Vertrag geben. Jetzt klopfen die
kleineren Länder an die Tür. Was machen Sie nächstes
Jahr? Ich höre von den Koalitionsfraktionen und der Regierung keinen Vorschlag, und ich höre auch nichts dazu,
wie die Kommission damit umgehen will. Es herrscht
nur Zerstrittenheit.
Ich glaube, dass das zu wenig sein wird und dass die
deutsche Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
mit schuld daran sind, dass Europa in diese Krise hineingeführt worden ist. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat
einen großen Anteil daran gehabt.
({1})
- Wir haben Nein zu diesem Vertrag gesagt und befinden uns damit in Übereinstimmung mit der Mehrheit der
Bevölkerung. Überall dort, wo im letzten Jahr abgestimmt worden ist, wurde mit Nein gestimmt.
({2})
Würde in Deutschland abgestimmt werden, dann würden
diese Verträge auch abgelehnt werden, weil auch die
deutsche Bevölkerung weiß: Ein neoliberales Europa gehört nicht auf die Tagesordnung.
({3})
Kollege Löning, euren Antrag finde ich in Ordnung.
Wir werden ihm auch zustimmen. Ich bin einmal gespannt, ob die CDU/CSU ihm auch dann noch zustimAlexander Ulrich
men wird, wenn wir zustimmen, weil wir ja aus der letzten Woche wissen, dass sie lieber einen eigenen Antrag
stellt, wenn wir zustimmen wollen. Wir werden eurem
Antrag aber zustimmen, weil es richtig ist.
({4})
Wir führen ja auch immer die Diskussion darüber - auch
unter den Obleuten -, dass es notwendig wäre, dass wir
mehr über die Ratsgipfel erfahren, und dass wir im Bundestag eine Debatte darüber brauchen.
Wir haben uns auch nicht damit abgefunden, dass
man beim letzten Mal den Europa-Ausschuss umgangen
hat. Dass man das Plenum oder den Europa-Ausschuss
umgangen hat, war früher anscheinend gang und gäbe.
Mittlerweile umgeht man sie komplett. Das ist meines
Erachtens auch eine Missachtung des Geistes der Vereinbarung, die zwischen Bundesregierung und Bundestag
getroffen worden ist.
Es ist vollkommen richtig - darin haben Sie auch unsere Unterstützung -, dass wir für diesen Antrag möglicherweise eine Mehrheit erreichen. Wir hoffen, dass wir
in Zukunft mehr europapolitische Debatten führen werden, vielleicht auch zu einer besseren Uhrzeit als abends
um fast halb zehn.
Die fehlende europäische Öffentlichkeit ist eine wichtige Ursache für die Fehlentwicklung in Europa. Dass
Sie das erkannt haben, haben Sie durch Ihren Antrag
deutlich gemacht. Man merkt auch, dass es natürlich ein
Problem ist, wenn die Mehrheiten in den Bevölkerungen
immer wieder ignoriert werden.
Wir können lesen, dass die Europäische Kommission
70 Millionen Euro ausgeben will, damit im Fernsehen
mehr über sie berichtet wird. Das hat ihr den Vorwurf
eingebracht, dass sie Hofberichterstatter einkaufen will.
Ich glaube aber, dass das Problem ein anderes ist. Solange das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat
- auch das ist ein Problem des Lissabon-Vertrags -, wird
es nicht ernst genommen. Solange wir keine parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene haben, wird
das Fernsehen darüber auch nicht informieren. Wie gesagt: Der Vorschlag der FDP, hier über den Rat zu unterrichten, hat unsere Unterstützung.
Das Arbeitsprogramm der Kommission ist im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu sehen.
Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in
Brüssel schreibt in seiner Kurzinformation zum Arbeitsprogramm - ich zitiere -:
Welche Maßnahmen kann die Kommission ergreifen, um das Wachstum zu fördern, Arbeitsplätze
und soziale Sicherheit sowie die finanzielle Stabilität zu gewährleisten? Auf diese Fragen geht die
Kommission mit vielen Mitteilungen und wenigen
Rechtsetzungsvorschlägen ein.
Das ist eine sehr treffende Beschreibung der Situation. Allerdings liegt das nicht so sehr an der Kommission und noch weniger an der französischen Ratspräsidentschaft. Es liegt auch nicht am Nein der Iren zum
Vertrag von Lissabon. Ich zitiere Hugo Brady, einen
Ökonomen und Berater des irischen Außenministeriums,
der am 7. November 2008 in der taz sagte:
({5})
Der neue Lissabon-Vertrag hätte uns in der Finanzkrise keinen Schritt weitergebracht, bei der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik beinhaltet er ja
keine weitergehende Integration.
An wem liegt es dann also? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Es liegt auch an der deutschen Bundesregierung.
({6})
Die Bundesregierung zeigt neuerdings gerne mit dem
Finger auf Amerika. Man muss sagen, dass auch sie nun
die Gestaltung der Globalisierung predigt. Die französische Ratspräsidentschaft hat eine europäische Wirtschaftsregierung und eine umfassende Weltfinanzpolitik
des IWF vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat das
abgelehnt.
Diese Krise ist keine Krise made in USA, wie uns
noch vor wenigen Wochen dargestellt wurde, sie ist auch
eine Krise made in Europe. Die US-Wirtschaft war überfordert, das globale Wachstum dauerhaft durch die Verschuldung der US-Bürger zu finanzieren.
({7})
Kollege Löning, es ist wirklich fatal, dass Sie hier
auch noch sagen, die Europäische Zentralbank sei eigentlich ein Vorreiter, und den Vorschlag machen, die
Amerikaner müssten sich daran orientieren. Hätten die
Amerikaner eine ähnliche Zinspolitik betrieben wie die
Europäische Zentralbank, dann wäre noch mehr Geld für
die Zocker zur Verfügung gestellt worden. Notwendig
sind niedrigere Zinsen, damit das Wirtschaftswachstum
angekurbelt wird und ein Beitrag für Wachstum und Beschäftigung geleistet wird. Denn nächstes Jahr wird Europa in die Krise geführt werden. Ich bin gespannt, welche Vorschläge ihr dann gegen die Zunahme der
Massenarbeitslosigkeit macht.
Diese europapolitische Debatte bräuchte mehr als das
Verschweigen, dass man Europa in die Krise geführt hat.
Vielen Dank.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Nein, das mache ich nicht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Ulrich, erlauben Sie mir eine Bemerkung
zu Ihrer zentralen Argumentation, was den LissabonVertrag angeht. Sie haben, glaube ich, immer noch nicht
verstanden - das macht Ihre Argumentation so windig -,
dass wir im Falle eines Scheiterns des Lissabon-Vertrags, von dem die große Mehrheit dieses Hauses überzeugt ist, dass er Europa handlungsfähiger, transparenter
und demokratischer macht - all das, was Sie eben angesprochen haben und was Sie fordern -, nichts anderes
haben als den Nizza-Vertrag. Für diesen Vertrag werben
Sie mit Ihrer Politik; denn es gibt nur diese Alternative.
Wenn Sie die Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag
führen - das haben Sie hier gemacht und in anderen Ländern unterstützt -, dann sprechen Sie sich dafür aus, dass
die Europäische Union so undemokratisch, intransparent
und handlungsunfähig bleibt, wie der Vertrag von Nizza
sie nun einmal macht. Diese Botschaft geben Sie der Bevölkerung mit. Das ist verantwortungslos.
({0})
Ich will zunächst auf den Antrag der FDP eingehen
und mich bei der FDP bedanken, dass wir diese EuropaDebatte aufgrund des vorliegenden Antrages auf einem
Debattenplatz der FDP führen. Denn es ist nicht mehr so
einfach, Europa-Debatten in diesem Hause auf die Tagesordnung zu setzen - das hat auch etwas mit der Regierungserklärung zu tun -; deshalb vielen Dank dafür.
In der Sache selber unterstützen wir die Intention Ihres Antrages. Ich glaube aber, dass wir in zwei Punkten
Diskussionsbedarf haben, über die wir in den Ausschüssen fair diskutieren sollten.
Sie haben in Ihrem Antrag zu Recht die Regierungserklärung und die Debatten dazu angesprochen. Es ist
nicht wahr, wenn vonseiten der Regierung behauptet
wird, dass die Bundesregierung nach jedem Gipfel Bericht erstattet. Die Kollegen aus dem Europa-Ausschuss
- insbesondere die Obleute - erinnern sich sehr gut an
die quälende Debatte zum letzten Rat, als zunächst eine
Regierungserklärung avisiert war. Dann wurde das zurückgenommen und angekündigt, dass die Kanzlerin im
Europa-Ausschuss Bericht erstatten wird. Das hat dann
auch nicht stattgefunden. Letztendlich hat ein Mitarbeiter des Kanzleramtes in einer Sondersitzung des EuropaAusschusses einigen Mitgliedern eine Stunde aus der
Zeitung vorgelesen, was auf dem Gipfel passiert ist.
Die Behandlung der Europäischen Räte insbesondere
dann, wenn die Regierungschefs der EU angesichts derartiger existenzieller Krisensituationen wie beim letzten
Gipfel verhandeln, muss in diesem Hause erfolgen. Darüber hat der Deutsche Bundestag zu debattieren. Das ist
überhaupt keine Frage.
({1})
Die CDU/CSU hat auf ihrer Fraktionsseite zu der
heutigen Debatte die wunderbare Meldung veröffentlicht
- du guckst so, als wenn du das gar nicht wüsstest,
Michael; ich lese es dir gerne vor -:
Das Begehren nach einer Regierungserklärung in
der nach einer Tagung des Europäischen Rates folgenden Sitzungswoche ist gängige Praxis und bedarf keiner zusätzlichen Beantragung.
Das steht auf eurer Homepage. Es ist aber falsch.
({2})
Nach dem, was wir gerade erlebt haben, ist es ziemlich
dreist, der Öffentlichkeit so etwas vorzugaukeln. So geht
es nicht.
({3})
Ich halte eine Änderung des Antrages für notwendig,
um die Transparenz, die Spannung und die öffentliche
Beteiligung an solchen Debatten zu verbessern, was wir
alle wollen. Es sollte nicht nur hinterher Berichte bzw.
Debatten geben. Wenn wir den Europäischen Rat und
unser Parlament ernst nehmen, dann macht es häufig
Sinn, auch vor den Sitzungen des Europäischen Rates
eine Debatte zu führen, um der Regierung die Meinung
des Parlamentes zu dem, was dort diskutiert werden soll,
mitzuteilen; darüber sollten wir noch einmal diskutieren.
Es darf nicht nur im Nachhinein eine Berichterstattung
über das geben, was dort passiert ist. Es macht häufig
Sinn, vor den Sitzungen des Europäischen Rates im
Bundestag eine Debatte über die Zielsetzung zu führen.
Wir wollen der Regierung Aufträge mitgeben, damit sie
weiß, wie sie sich verhalten soll. Wenn sich der Bundestag in dieser Frage emanzipieren soll, sollten wir ein bisschen weiterdenken.
Das gilt auch im Hinblick auf eine europäische Fragestunde, über deren Einführung wir schon lange diskutieren. Dafür gab es fast eine Mehrheit. Ich erinnere an die
Zusammenarbeitserklärung, die die Einführung einer
solchen Fragestunde vorsah. Eine solche Fragestunde
kann ein sinnvolles Element sein. Wir sollten darüber
nachdenken, ob es nicht Sinn macht, nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch andere Fachminister zu befragen. Das sollte man ausweiten. Aber eine europäische
Fragestunde in diesem Hause macht sicherlich Sinn, um
zu bündeln und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen der europäischen Politik, die von Deutschland beeinflusst wird, zu lenken, um den Bundestag damit stärker zu befassen - das wollten wir immer - und um
unsere Verantwortung als Parlamentarier bei der Mitgestaltung der Regierungspolitik deutlich zu machen.
({4})
Deshalb freue ich mich auf die weiteren Beratungen über
den vorliegenden Antrag. Die Intention wird sicherlich
vom ganzen Haus geteilt.
Lassen Sie mich noch etwas zum Arbeits- und Legislativprogramm sagen. Im letzten Jahr einer Kommission
werden nur wenige Entscheidungen getroffen. Ich
möchte mich auf einen Aspekt beziehen, der aus unserer
Sicht am meisten zu kritisieren ist. Es ist zu würdigen,
dass man zuerst die Lissabon-Strategie angeht. Es geht
um Jobs and Growth, Klimaschutz und Nachhaltigkeit.
Das Problem der Kommission in den letzten Jahren ist
aber gewesen, dass sie die Lissabon-Strategie nur als
ökonomische Wachstumsstrategie verstanden hat.
({5})
Daraus resultieren extreme Probleme, die wir bei der
Akzeptanz und der Steuerung dieser ökonomischen Strategie haben. Wenn wir Ökologie, Ökonomie und soziale
Verantwortung nicht zusammendenken und nicht in eine
Strategie einbinden, dann werden wir scheitern. Dann
werden wir nicht nur einen Vertrauensverlust, sondern
auch einen Effizienzverlust erleiden. Aber das berücksichtigt die Kommission auch in ihren jetzigen Arbeitsplanungen nicht. Diese Planungen enthalten sicherlich
vernünftige Vorschläge zum Klimaschutz und die 20/20Verpflichtung. All das teilen wir. Aber es ist keine neue
Intention in diesem Programm erkennbar, abgesehen von
einem Punkt, über den ich mich besonders freue. Wir
sollten das Grünbuch zur grenzüberschreitenden Mobilität der Jugend weiterentwickeln. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an die ERASMUS-Debatte. Wenn wir
unserer Jugend die Chance geben wollen, sich im europäischen Wettbewerb zu behaupten, dann müssen wir
ihnen grenzüberschreitende Aktivitäten ermöglichen;
diese sind wichtig. Das sollte aber nicht nur für Studenten gelten. Das sollten wir vielmehr auf eine sehr viel
breitere Grundlage stellen. Auch diejenigen, die eine
Lehre oder eine andere Ausbildung machen, sollten die
Möglichkeit haben, am grenzüberschreitenden europäischen Austausch teilzunehmen. Das wird die europäische Identität der Bürgerinnen und Bürger weiter stärken.
Vielen Dank.
({6})
Für die Bundesregierung hat nun das Wort Herr
Staatsminister Günter Gloser.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst einige Anmerkungen zu Ihnen, Herr Ulrich. Ich
weiß nicht, welches Bild Sie sonst bei europapolitischen
Debatten malen. Wenn aber selbst der irische Premierminister vor der letzten Sitzung des Europäischen Rates
im irischen Parlament die nicht rhetorisch gemeinte
Frage stellt: „Wo stünden wir Iren, wenn wir angesichts
der Finanzkrise und ihrer Auswirkungen auf die Realwirtschaft nicht Mitglied in der Europäischen Union wären?“, und trotz der Schwierigkeiten im eigenen Land zu
vermitteln versucht, dass Irland genau zum richtigen
Zeitpunkt Mitglied der Europäischen Union ist, dann
weiß ich nicht, warum Sie der Bundesregierung den
Schwarzen Peter für diese Krise zuschieben. Das ist ein
völliger Fehlschluss.
({0})
Sie haben eine bunte Vielzahl von Themen aufgelistet. Da wird die Mittelmeerunion in einem Atemzug mit
der Kaukasus-Krise und dergleichen mehr genannt. Ich
muss mich schon fragen: In welcher Welt leben Sie denn
eigentlich? Gerade in der Kaukasus-Krise, finde ich, hat
doch die Europäische Union als einziger Akteur die entsprechenden Weichen gestellt, zumindest die für einen
Waffenstillstand. Dass wir mit der Lösung nicht zufrieden sein können, ist eine ganz andere Geschichte. Aber
es war die Europäische Union, die gehandelt hat. Auch
was die Bewältigung der Finanzmarktkrise angeht, hat
die Europäische Union gehandelt, wenn auch - darauf
komme ich zurück - in der Vergangenheit sicherlich
nicht rechtzeitig Initiativen ergriffen worden sind, um
Regeln aufzustellen.
Ich bin immer überrascht, zu erfahren, wer alles gegenwärtig für Regeln ist. Ich kann mich noch an Debatten erinnern, in denen gerade hier nur noch von der Freiheit die Rede war. Nichts gegen Freiheit - ich bin für
Freiheit -,
({1})
aber zur Freiheit gehört auch Verantwortung. Gelegentlich hörte man nur noch, dass es eine Strangulierung
gebe und sich Menschen und Unternehmen nicht entfalten könnten. Es war Peer Steinbrück - das sage ich ganz
deutlich -, der während der deutschen EU-Präsidentschaft gesagt hat, dass die Finanzmärkte Regeln brauchen.
({2})
Er hat die notwendige Unterstützung in der Europäischen Union nicht bekommen; die kam erst später. Wenn
jetzt die Europäische Kommission in ihrem Arbeitsprogramm entsprechende Regeln vorsieht, so gibt es hier
große Zustimmung.
Zum Programm selbst: Rainder Steenblock hat gerade
angesprochen, dass es das letzte Arbeitsprogramm für
die existierende Kommission ist. Es ist richtig, eine neue
Kommission nicht mit allen Dingen zu belasten, aber es
gibt verschiedene Bereiche, in denen man wegen der aktuellen Situation etwas mehr Ehrgeiz hätte erkennen lassen können. Ich finde es richtig, dass Themen wie
Wachstum und Beschäftigung, Klimawandel und Nachhaltigkeit, Europa der Bürger und Europa als Partner in
der Welt, was schon in der Strategieplanung enthalten
war, jetzt konkret umgesetzt werden. Das sind wichtige
Punkte. Ich glaube auch, dass für den Finanzmarkt entsprechende Regeln erarbeitet werden müssen. Ich nenne
beispielsweise die Transparenz finanzieller Akteure wie
Hedgefonds, Vorstandsgehälter, aber auch die angemahnte Finanzmarktaufsicht. Wir hätten uns auch, weil
das ein wichtiges wirtschaftliches Betätigungsfeld ist,
einen Hinweis auf den Abschluss von Solvency II, des
Schlüsselprojekts für den Versicherungssektor, gewünscht. Weitere Initiativen, gerade angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, sollen zur Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen beitragen.
Ich finde es richtig und gut - gelegentlich gibt es auch
bei uns schon Debatten darüber -, dass die EU-Kommission an der Umsetzung der auf dem Frühjahrsgipfel 2007
unter deutscher EU-Präsidentschaft verbindlich beschlossenen Ziele beim Klimaschutz festhält. Es ist richtig, dass wir jetzt nicht einen Gang zurückschalten. Ich
weiß, dass es Debatten darüber gibt, welche Auswirkungen das hat, aber ich finde es gut, dass die Kommission
ausdrücklich betont, bei den Anstrengungen für den Klimaschutz nicht nachzulassen. Die Europäische Union
sollte im nächsten Jahr auf den Konferenzen in Posen
und Kopenhagen als ein Akteur auftreten und sich nicht
möglicherweise laschere Vorschriften von anderen Partnern in dieser Welt diktieren lassen.
Der Bereich „Justiz und Inneres“ wird sich auf die
Vorstellung des Stockholmer Programms konzentrieren,
das die Weichen für die Zeit 2010 bis 2014 stellen soll.
Die Kommission betont zu Recht, wie wichtig das
Thema Migrationspolitik ist. Aber - das kann die Bundesregierung in einer ersten Bewertung sagen - leider
gibt es hier wenig Initiativen.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, auf den Rainder
Steenblock schon hingewiesen hat. Ich glaube, dass wir
schon früher in der Lissabon-Strategie auch die Nachhaltigkeit entwickelt haben, möglicherweise schon vor der
Zeit, als Rot-Grün regiert hat. Aber das, was nicht ausgeprägt ist, ist die soziale Dimension der Europäischen
Union. Die soziale Dimension ist aber nicht mit einer
europäischen Rente oder einem europäischen Gesundheitsschutz gleichzusetzen, sondern die soziale Dimension kann zum Beispiel auch die Frage umfassen, wie
wir mit Hypothekenzinsen umgehen. Folgen wir dem
amerikanischen Modell, das flexibel und nicht fixiert ist,
oder orientieren wir uns an fixen Hypothekensätzen? Ich
glaube, wir müssen vor dem Hintergrund der Wahlen
zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr die Nachhaltigkeitsstrategie mit der sozialen Dimension in Einklang bringen.
({3})
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Allerdings wünschte ich mir auch, dass seitens der EU-Kommission in den Außenbeziehungen noch mehr Energie
entwickelt wird. Ich kann mich nahtlos der Kritik des
Parlaments anschließen, weil wir an diesem Punkt gemeinsam in dieselbe Richtung zielen: Wir hätten von der
Kommission durchaus ein Wort zur Übersetzungsstrategie erwartet. Das ist eine Leerstelle, die eigentlich noch
gefüllt werden sollte.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Die aktuelle Finanz- und Kapitalmarktkrise macht deutlich, welche Rolle die EU derzeit spielt
und auch zukünftig spielen muss. Ich knüpfe an das an,
was Kollege Ulrich gesagt hat: Gerade in der jetzigen
Zeit hat die EU meines Erachtens eine unglaublich
starke Akzeptanz in der Bevölkerung, weil die Menschen spüren, dass auf dem globalen Finanzmarkt Dinge
passieren, die in einem Mitgliedstaat allein gar nicht
mehr geregelt werden könnten. Wir brauchen vielmehr
Gremien und Institutionen wie die Europäische Union
und den Euroraum, in denen wir gemeinsame Lösungen
für die Probleme dieser Welt finden. Deshalb ist es ein
gutes Zeichen, dass wir in der Europäischen Union
schnell handlungsfähig waren und jetzt gemeinsame Lösungen finden.
Ich knüpfe an das an, was Kollege Löning angesprochen hat: Es wäre eine Katastrophe, wenn wir jetzt noch
15 verschiedene Währungen in der Europäischen Union
hätten. Es ist ein gutes Zeichen, dass es in der Welt einen
starken Euro gibt, der teilweise schon Ankerwährung geworden ist und damit auch Stabilität in die Finanzmärkte
gebracht hat.
({0})
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen, müssen wir uns
aber auch überlegen, welche kommenden Herausforderungen wir in der Europäischen Union gemeinsam angehen müssen und was dies für unser Arbeitsprogramm in
der Europäischen Union in den nächsten Monaten bedeutet.
Ich schicke vorweg und unterstreiche sehr deutlich,
dass meines Erachtens in den letzten Monaten nicht die
Märkte an sich, sondern einzelne Akteure auf diesen
Märkten versagt haben. Dies hat dazu geführt, dass das
Vertrauen erschüttert wurde und dass der Kapitalmarkt
in weiten Teilen nicht mehr so funktionierte, wie er
funktionieren sollte. Ein Akteur sind sicherlich die Ratingagenturen, die eigentlich hätten Vertrauen schaffen
sollen, aber für das vertrauenslose Agieren entsprechend
bestraft wurden.
Wir müssen innerhalb der Europäischen Union Lösungen finden, wie wir die Ratingagenturen zukünftig
auf ein Fundament stellen, das Vertrauen schafft. Hierzu
hat die Europäische Kommission heute Lösungsvorschläge geliefert. Auch das zeigt, dass die Europäische
Union in diesem Bereich handlungsfähig ist. Darauf
müssen wir aufbauen. Wir brauchen eine verstärkte Aufsicht der Ratingagenturen und Regelungen, die dafür
sorgen, dass wir zukünftig fundiertere Benotungen bzw.
Ratings bekommen.
({1})
Ich sage aber ganz klar, dass mehr Regulierung nicht
immer gleichzeitig auch etwas Gutes bedeutet. Die großen Rufe nach Bretton Woods II, was mehr Inflexibilität
und mehr starre Systeme bedeutete, sind meines Erachtens nicht die richtigen Signale, die wir in den Markt setzen dürfen. Wir brauchen gemeinsame Standards, allerThomas Bareiß
dings nicht immer mehr Regulierung. Wir haben diese
Standards in weiten Teilen dieser Welt bereits festgelegt;
wir müssen sie nur noch umsetzen. Ein Thema ist
Basel II, das wir in Deutschland und Europa weitestgehend umgesetzt haben, das aber in den USA und anderen
Finanzmärkten noch nicht in der Form gilt, wie es sein
sollte. Wenn diese Standards weltweit gegolten hätten,
hätten wir auch keine solche Krise gehabt, wie wir sie in
den letzten Wochen gespürt haben. Auch die Themen
„gemeinsame Bilanzierungsrichtlinien“ und „Normensammlung EVS“, die in der Zwischenzeit von den USA
und in Europa anerkannt werden, werden dazu führen,
dass wir uns gegenseitig besser verstehen und dass zukünftig in den Märkten mehr Vertrauen vorhanden sein
wird.
Ich möchte noch etwas zum IWF sagen. Auch hier
wird immer wieder versucht, etwas in seine Rolle hineinzuinterpretieren. Viele sagen, der IWF müsse jetzt
zum großen Regulierer in der Welt aufsteigen. Ich
glaube, das würde nicht funktionieren. Andere Staaten
würden dem IWF diese Rolle nicht zugestehen. Ganz
offen gesagt: Er wäre dazu auch nicht in der Lage. - Bevor wir Europäer oder Deutsche dies fordern, müssen
wir zunächst einmal unsere Hausaufgaben in Europa machen. Wir brauchen in Europa ein klares Signal für eine
gemeinsame Bankenaufsicht in der Europäischen Union.
Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen: Wir
brauchen diese Aufsicht vielleicht sogar nur im Euroraum. Diese Aufsicht sollte ihren Sitz in Frankfurt haben. Von Deutschland sollte das ganz klare Signal ausgehen, dass wir gemeinsam die Lösungen der Probleme der
Europäischen Union angehen, keine weiteren Schlupflöcher zulassen und verhindern, dass unkontrollierbare
Risiken entstehen.
Ich kann die Bundesregierung nur darin unterstützen,
dass sie Forderungen nach einer Wirtschaftsregierung
innerhalb der Europäischen Union eine klare Absage erteilt hat. Würden wir diesen Forderungen nachgeben,
würden wir einen Schritt zu weit gehen. Wir sind gut damit gefahren, dass wir beispielsweise eine unabhängige
EZB haben, die für den Bürger und für den Verbraucher
eine ordentliche Geldpolitik betreibt. Die EZB muss
auch zukünftig neue Aufsichtsstrukturen entwickeln,
Stichworte „Ratingagenturen“ und „Bankenaufsicht“. In
dieser Form muss sie entsprechend unabhängig sein.
Meine Redezeit läuft langsam ab. Noch ein letzter
Punkt. Gerade in dieser Zeit müssen wir in Europa, in
der Welt verstärkt für ein Herabsetzen der Handelshemmnisse sorgen. Wir brauchen einen freien Welthandel. Gerade für Deutschland als Exportweltmeister ist
das ein ganz wichtiger Punkt. WTO und Doha müssen
weiterentwickelt werden. Wenn wir das nicht schaffen,
müssen wir verstärkt bilaterale Verträge in den Mittelpunkt stellen. Ich sage ganz klar: Wir sollten auch das
transatlantische Bündnis in stärkerem Maße in den
Blickpunkt rücken. Wir sollten durchaus überlegen, ob
wir im Verhältnis zwischen den USA, Kanada und Europa Vorreiter sein können.
Herzlichen Dank.
({2})
Nun hat das Wort der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir können über alles reden; aber wir sollten uns zumindest an die Fakten halten. Also, noch einmal zur Erklärung an den Kollegen Ulrich: Es geht nicht, hier falsche
Dinge zum Thema Referenden zu behaupten, um damit
die Europäische Union und den Einigungsgedanken, so
wie wir ihn umsetzen, zu diskreditieren und hinterher die
Bürger damit überzeugen zu wollen, dass das das
Schlechte an Europa sei. Es ist schlicht und einfach
falsch.
({0})
Es hat in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft/Europäischen Union 36 Referenden gegeben. Davon waren 27 ein Erfolg und 9 ein Misserfolg. Zwei
diese Misserfolge fanden in Norwegen statt, weil man
nicht beitreten wollte. Das muss man auch ehrlich sagen.
Man darf nicht nur sagen: „Die haben dagegen gestimmt“, sondern man muss auch alle aufzählen können,
die dafür gestimmt haben. Das können Sie nicht, und das
wollen Sie nicht, und deshalb diskreditieren Sie sich mit
Ihrer Europapolitik ständig selbst.
({1})
Ich würde jetzt gern zu den wirklich ernsthaften Dingen kommen, nämlich zum einen zum Antrag der Kollegen der FDP und zum anderen zu dem, was im Aktions-,
Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission steht.
Wir alle in diesem Haus sind uns wahrscheinlich einig:
Das Grundanliegen der FDP ist richtig. Die Frage ist nur,
wie wir es umsetzen. Das ist genau die Schwierigkeit.
Man muss in Koalitionen und in bestimmten Konstellationen immer schauen, dass auch eine Regierung, die
von der Mehrheit getragen und gestützt wird, im Parlament möglichst immer das macht, was man will. Das
klappt nicht immer. Das klappt in keiner Regierungskonstellation der Welt. Das kennen Sie von den Landesregierungen, an denen Sie beteiligt sind. Wir müssen deshalb schauen, dass wir das so gut wie möglich machen.
Dabei dürfen wir natürlich nicht vergessen, wie viel
Gutes wir schon gemacht haben. Ich erlebe bei jeder Sitzung im Europäischen Parlament, in der COSAC und
sonst wo, dass Personen zu uns deutschen Abgeordneten, egal welcher Couleur, kommen und sagen: Das, was
ihr im Bundestag an Zusammenarbeitsvereinbarungen
und damit an Erhöhung der Transparenz im Parlament
für die Abgeordneten und damit auch für die öffentliche
Debatte gemacht habt, ist ein Stück weit eine Vorlage,
ein gutes Beispiel für uns. Dieses gute Beispiel sollten
wir auch benennen. Wir sollten uns an diesem guten Bei19898
Axel Schäfer ({2})
spiel in der Praxis abarbeiten, indem wir das entsprechend umsetzen. Ich denke, das gehört dazu.
({3})
Zur Kritik gehört immer auch ein Stückchen Selbstkritik: Warum lernen wir hier im Deutschen Bundestag
nicht auch manchmal vom Europäischen Parlament?
Warum zum Beispiel sollen die Ausschüsse nicht öffentlich tagen? Das wäre ein großer Gewinn für die Debatte.
Spätestens nach der dritten Runde würden wir uns abgewöhnt haben, Fensterreden zu halten, und würden nur
noch Sachbeiträge leisten. Das wäre vor allen Dingen für
die Europaarbeit eminent wichtig.
({4})
Was wir hier beim Deutschen Bundestag ebenso wie in
den Landtagen machen, ist im Gegensatz zu Europa und
zur kommunalen Ebene demokratisch noch ein Stückchen unterentwickelt.
({5})
Zur Wahrheit gehört natürlich, dass wir auf Bundesund Landesebene so etwas wie das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission, an dem sich jedes Jahr
die Parlamente, Oppositions- und Regierungsparteien,
kritisch abarbeiten, nicht haben. Bei uns läuft das halt
anders. Also muss man überlegen, welche intelligenten
Elemente von Europa wir für die bundesdeutsche Politik
übernehmen können. Wir wollen ja nicht nur gemeinsam
für Europa kämpfen und miteinander arbeiten, sondern
auch voneinander lernen. Bitte auch im Parlamentarismus!
({6})
Was wir von der Kommission und diesem Arbeitsprogramm erwarten, will ich an der Frage der Erweiterung
einerseits und dem Thema Finanzmarkt andererseits
kurz deutlich machen.
Was die Erweiterungsstrategie betrifft, brauchen wir
mehr Mut. Wir alle brauchen ein bisschen Mut bei dem,
was wir dort fordern. Wir sind eine Europäische Gemeinschaft mit 491 Millionen Bürgerinnen und Bürgern.
Es sind noch einmal insgesamt 26 Millionen, um die es
in Südosteuropa oder auf dem Westbalkan - so heißt das
Kunstwort - geht. Auch wenn wir das aufrechterhalten,
was wir an Kopenhagener Kriterien und an Beitrittsvoraussetzungen haben und brauchen, müssen wir bestimmte Wege oder Türen öffnen, zum Beispiel durch
bessere Visamöglichkeiten, sodass vor allen Dingen die
jungen Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen
können, wenn sie das wollen. Damit bringen wir Europa
ein Stückchen voran, wo das notwendig, wichtig und
richtig wäre. Dazu müssen wir ganz bestimmte Dinge,
die wir bisher vielleicht zu restriktiv gesehen haben, ein
bisschen progressiver sehen. Dafür brauchen wir große
Unterstützung im Parlament hier und auch im Europäischen Parlament; denn das hieße, bestimmte liebgewordene Traditionen, die nicht immer ganz so lieb sind, ein
Stück zu überwinden.
({7})
Dazu gehört auch, dass die Kommission sich dort
sichtbarer macht. Bei allen zu Recht genannten Problemen zum Thema Übersetzung: Wir brauchen keinen
Kommissar für Sprachenvielfalt; wir brauchen Sprachenvielfalt. Wir brauchen aber einen Kommissar, der
sich jeden Tag nur um diese Frage der Erweiterung kümmert und vor Ort, in Südosteuropa, auch präsent ist, sodass deutlich wird: Wir wollen, dass diese Länder, weil
sie zu Europa gehören, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in die Europäische Union kommen. Dazu muss
von der Kommission mehr getan werden.
Ein letzter Punkt, zum Thema Finanzmarkt und zu all
dem, was jetzt ansteht. Seien wir ganz ehrlich: Wir haben in den 90er-Jahren den Binnenmarkt vollendet, weil
wir zu Recht vieles liberalisieren und deregulieren mussten. Wir sind jetzt, im 21. Jahrhundert, in der Situation,
dass wir zur Frage, was staatliche, das heißt politische
Regulierung anbelangt, wieder ein Stückchen neu denken, manches Alte wieder aufnehmen und uns vor allen
Dingen beim Blick auf das, was notwendig ist, keine
Scheuklappen anlegen dürfen.
Aus meiner Sicht ist ganz klar, dass dazu natürlich
auch die von Frankreich genannte „Wirtschaftsregierung“ gehört. Es ist notwendig, dass die Europäische
Zentralbank unabhängig ist und nicht Weisungen der Regierung unterliegt, wie das früher bei der französischen
Nationalbank der Fall war. Genauso notwendig ist es,
dass wir, was Wirtschaftspolitik anbelangt, vom politischen Willen getragene stärker greifende Vereinbarungen brauchen und nicht nur das, was bisher ist und was
als Balance zur Geldpolitik so nicht funktioniert.
Lassen Sie uns diese Debatte offen miteinander führen, weil wir alle noch keine abschließenden Konzepte
haben. Es ist gut, wenn wir das im Verhältnis zu dem,
was bisher war, kritisch diskutieren, damit wir zu besseren Lösungen kommen, auch zu besseren Lösungen für
die Kommission.
Vielen Dank.
({8})
Bevor ich dem Kollegen Thomas Silberhorn von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, will ich darauf hinweisen, dass er den Abend seines heutigen 40. Geburtstages bei uns verbringt.
({0})
Ich gratuliere sehr herzlich, lieber Herr Kollege
Silberhorn, und wünsche alles Gute.
Herr Kollege, Sie haben nun das Wort.
Frau Präsidentin, herzlichen Dank für die guten Wünsche. Vielen Dank auch für die vermeintlichen Beileidsbekundungen. Wenn ich in die Runde blicke, stelle ich
fest: Den 40. Geburtstag haben auch andere schon überstanden.
({0})
Es macht mich natürlich stolz und glücklich, am
40. Geburtstag vor dem Forum der gesamten deutschen
Öffentlichkeit eine Grundsatzrede zur Europapolitik halten zu dürfen.
({1})
Das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission erweckt auf den ersten Blick den Eindruck einer
neuen Bescheidenheit: weniger Rechtssetzungsvorschläge als bisher, eine Reihe von Vereinfachungsvorschlägen, 20 Vorschläge werden sogar zurückgezogen.
Ich halte es mit Blick auf die Europawahlen und auf das
Ende der Amtszeit der gegenwärtigen Kommission im
nächsten Jahr für angemessen, dass jetzt nicht viele,
viele neue Vorschläge unterbreitet werden, die ohnehin
nicht mehr von den jetzigen Akteuren umgesetzt werden
können. Wir müssen auch in der Europäischen Union
Bescheidenheit üben, damit neu gewählte Parlamentarier
und eine neu besetzte Kommission von neuem entscheiden können, was auf die Tagesordnung kommt. Das, was
wir unter dem Gesichtspunkt der Diskontinuität im
Deutschen Bundestag seit langem pflegen, muss auch in
der Europäischen Union im nächsten Jahr Einzug halten.
({2})
In der Sache allerdings ist das Programm der Kommission durchaus ambitioniert. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen: weltweite Finanzkrise, schwächelnde Konjunktur, Preissteigerungen für Energie und
Lebensmittel. Es ist jetzt an allen politischen Akteuren
und natürlich auch an der Europäischen Union, Orientierung zu geben und Handlungsfähigkeit unter Beweis zu
stellen. Insofern halte ich die Schwerpunkte der Kommission für richtig gesetzt: Förderung von Wachstum
und Beschäftigung, Klimaschutz und innere Sicherheit.
Das sind auch die Schwerpunkte der nationalen Politiken. Ich finde es gut, dass es eine parallele politische
Agenda bei der Europäischen Union und den nationalen
Parlamenten gibt, dass wir gemeinsam die großen Herausforderungen der Zeit angehen.
Ich halte es allerdings auch für angebracht, dass die
Europäische Union mehr Bescheidenheit in der Sache
übt und mehr Ehrgeiz im Interesse der Bürger und der
Unternehmen zeigt.
Stichwort „Wachstum und Beschäftigung“: Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, bis 2012 die Bürokratiekosten um 25 Prozent zu senken und damit die
Wirtschaft um 150 Milliarden Euro zu entlasten. Die
hochrangig besetzte Gruppe zum Bürokratieabbau, die
zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt worden ist, hat
({3})
bereits eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet und wird
weitere unterbreiten. Es ist jetzt Sache der Kommission,
entsprechende Initiativen dazu auf den Tisch zu legen,
beispielsweise wenn es um die Vereinfachung der Rechnungslegung und Buchhaltung, um den Abbau von Statistik- und Informationspflichten oder die Vereinfachung
des Erhebungsverfahrens bei der Mehrwertsteuer geht.
Vorschläge zu all diesen Punkten hat die hochrangig besetzte Gruppe zum Bürokratieabbau schon auf den Tisch
gelegt oder wird sie noch erarbeiten.
({4})
Die Kommission muss dazu nun auch ganz konkrete
Umsetzungsvorschläge auf den Tisch legen.
({5})
Das ist nicht nur für kleine und mittlere Unternehmen
wichtig. Das ist auch mit Blick auf die Europawahl
wichtig. So können wir nämlich der Bevölkerung in
Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten sagen:
Wir reden nicht nur von Bürokratieabbau, wir tun ganz
konkret etwas dafür. Entsprechende Rechtsetzungsvorschläge könnten von der Kommission leicht erarbeitet
und vorgeschlagen werden, und ihre Umsetzung würde
niemanden etwas kosten.
({6})
Stichwort Klimaschutz: Die Europäische Union
nimmt weltweit eine Vorreiterrolle ein, nicht zuletzt aufgrund unserer Initiativen während der deutschen Ratspräsidentschaft. Es ist richtig, dass man vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen nach einem gemeinsamen
europaweiten Ansatz sucht, um ein Post-Kioto-Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels nach 2012 hinzubekommen.
Man darf aber auch nicht verkennen, dass unter dem
Vorwand des Klimawandels auch knallharte wirtschaftliche Interessen vertreten werden. Wir müssen deshalb
aufpassen, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Interessen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ich darf in
diesem Zusammenhang an den Handel mit Emissionszertifikaten erinnern: Wir laufen schon Gefahr, dass
energieintensive Betriebe in Deutschland kujoniert und
damit Betriebsstandorte und Arbeitsplätze gefährdet
werden. Demgegenüber haben die Franzosen - im Übrigen im Benehmen mit ihren Umweltverbänden - schon
beschlossen, ihre Kernenergiekapazitäten auszubauen,
und zwar mit dem Ziel, Strom aus Kernenergie verstärkt
in Deutschland, Polen und anderen europäischen Ländern zu verkaufen. Auf der Basis der Vorschläge, die
jetzt zum Emissionszertifikatehandel auf dem Tisch liegen, würden wir also zu Verlierern werden. Das darf
nicht das Ergebnis der europäischen Klimaschutzpolitik
sein, meine Damen und Herren.
({7})
Wir müssen in der Europäischen Union Wege aufzeigen, wie Klimaziele und wirtschaftliches Wachstum in
Einklang gebracht werden können, beispielsweise indem
die Europäische Union sich für Forschung für erneuerbare Energien engagiert und der Beitrag der Landwirtschaft genutzt und gefördert wird, zum Klimaschutz in
Land- und Forstwirtschaft.
({8})
Meine Damen und Herren, die Europäische Union
sollte in der Vorgehensweise und in den Verfahren, die
sie wählt, ein bisschen mehr Bescheidenheit zeigen. Wir
erleben seit geraumer Zeit, dass die Kommission vom
Modell der gegenseitigen Anerkennung und von Mindeststandards Abstand nimmt und ein Modell der Vollharmonisierung verfolgt. Sie setzt sich auch über Bedenken im Hinblick auf die Subsidiarität hinweg. Letztlich
zeigt sie so einen starken Drang zur Zentralisierung.
Wenn wir es nicht schaffen, den Kommunen, Regionen und den Mitgliedstaaten genug eigenen Handlungsspielraum, eigene Kompetenzen und genügend Spielraum zur Umsetzung der Vorgaben, die die Europäische
Union beschließt, zu lassen, dann werden wir erleben,
dass sich weiterer Unmut aufstaut, wie das in Irland der
Fall war.
Ich würde es befürworten, wenn wir im Tagesgeschäft
der Europäischen Union dazu kämen, dass ein Nein oder
eine fehlende Mehrheit dazu führt, dass eine Initiative
begraben wird. Auf diese Weise gäbe es keinen ständigen Drang, einen Kompromiss einzugehen. Außerdem
gewinnt man so nicht den Eindruck, dass nie jemand
Nein sagt und es immer zu Ergebnissen in Form von
Kompromisspaketen kommen muss.
({9})
Es ist für die Akzeptanz von Politik auch wichtig,
dass Dinge, die keine Mehrheit finden, am Ende scheitern und nicht in irgendeinem Kompromiss verwurstet
werden.
({10})
Dies würde vielleicht dazu führen, dass wir bei den großen Fragen der europäischen Integration nicht vor der
Situation stehen wie jetzt in Irland, wo sich der kleine
Unmut über lange Zeit aufgestaut und sich dann in einem Nein zum Vertrag von Lissabon entladen hat.
Es ist Sache der Europäischen Union und insbesondere auch der Kommission, eine Balance zwischen den
Dingen zu finden, die wir nur auf europäischer Ebene regeln können, und dem Bedürfnis nach eigenem Handlungsspielraum sowie nach Identifizierung mit eigenen
Belangen in den Regionen, den Kommunen und den
Mitgliedstaaten. Wenn wir diese Balance nicht erreichen, werden wir aus der Akzeptanzkrise der Europäischen Union nicht herauskommen. Das Miteinander von
EU und den Mitgliedstaaten setzt eigene Spielräume auf
beiden Seiten voraus.
Ich danke für die Aufmerksamkeit. Nachdem uns aufgrund der heutigen Debatte die Gelegenheit zu einer Geburtstagsfeier davonzurennen scheint, lade ich alle Anwesenden ein, im Anschluss an unsere Debatte in der
Parlamentarischen Gesellschaft noch einen Absacker zu
sich zu nehmen.
({11})
Der Beifall großer Teile, auch der Oppositionsfraktio-
nen, war gewiss.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 7 b: Interfrak-
tionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 16/8080 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts ({0})
- Drucksachen 16/7076, 16/7440 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, des Bundesbeamtengesetzes
und weiterer Gesetze
- Drucksache 16/2253 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 16/10850 Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Clemens Binninger
Siegmund Ehrmann
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10887 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Roland Claus
Omid Nouripour
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Für ein modernes Berufsbeamtentum
- Drucksachen 16/129, 16/10850 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralf Göbel
Clemens Binninger
Siegmund Ehrmann
Ulla Jelpke
Silke Stokar von Neuforn
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Birgit Homburger, Elke
Hoff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
- Drucksache 16/9317 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache 16/9823 -
Berichterstattung:
Abgeordente Ralf Göbel
Siegmund Ehrmann
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn
Zu dem Entwurf eines Dienstrechtsneuordnungsge-
setzes der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die-
sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Folgende Kolle-
gen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Clemens
Binninger, Siegmund Ehrmann, Rolf Kramer, Dr. Max
Stadler, Petra Pau, Silke Stokar von Neuforn und der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.1)
Außerdem liegen zum Dienstrechtsneuordnungsge-
setz Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung
der Kollegen Maik Reichel, Robert Hochbaum, Andreas
Weigel, Petra Heß und Andrea Wicklein vor, die dem
Protokoll beigefügt werden.2)
Tagesordnungspunkt 8 a. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts.
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/10850, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/7076
und 16/7440 in der Ausschussfassung anzunehmen.
1) Anlage 29
2) Anlagen 27 und 28
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zunächst ab-
stimmen werden. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 16/10869? - Wer ist dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen-
ergebnis wie zuvor angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/10850 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie-
ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 16/10870. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, des Bun-
desbeamtengesetzes und weiterer Gesetze. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/10850, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/2253 für erledigt zu
erklären. Darüber müssen wir abstimmen. Wer ist für
diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Ent-
haltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstim-
mig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 b: Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Für ein modernes Be-
rufsbeamtentum“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10850,
den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/129
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.
Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des
Bundesbesoldungsgesetzes. Der Innenausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/9823, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/9317 abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Petra Pau, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Soziale Existenzsicherung nach dem Asyl-
bewerberleistungsgesetz
- Drucksachen 16/7213, 16/9018 -
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Volker Beck
({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes
- Drucksache 16/10837 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Die Fraktion Die Linke hat zu ihrer Großen Anfrage
einen Entschließungsantrag eingebracht.
Die Kollegen Michael Hennrich, Gabriele Hiller-
Ohm, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und der Parlamentari-
sche Staatssekretär Klaus Brandner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)
Gleichwohl eröffne ich die Aussprache und erteile
dem Kollegen Josef Winkler für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist jetzt 15 Jahre her, dass im Zuge der Verfassungs-
änderung zur Einschränkung des Asylgrundrechts das
Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft getreten ist. Wir
haben dieses Gesetz von Beginn an aus grundsätzlichen
und menschenrechtlichen Erwägungen heraus kritisiert;
denn dieses Gesetz führt zu einem diskriminierenden
Ausschluss von Asylsuchenden aus der Sozialhilfe und
aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende.
Die Leistungen aufgrund dieses Gesetzes betragen in-
zwischen nur noch etwa zwei Drittel der Leistungen, die
Sozialhilfeempfänger bekommen. Hinzu kommt, dass
1) Anlage 30
die medizinische Versorgung von Asylsuchenden und
Geduldeten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf
die unabweisbar notwendige Behandlung akuter
Schmerzzustände beschränkt ist. Das muss man sich einmal vorstellen. Seit der Einführung des Gesetzes wurden
die Leistungen nicht ein einziges Mal an die Preisentwicklung angepasst.
({0})
Das heißt, dass seit 1993 in § 3 Abs. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes unverändert ein im Übrigen
noch in D-Mark ausgewiesener Betrag von 80 DM im
Monat, umgerechnet sind das 1,36 Euro pro Tag und pro
Person, als einziges Bargeld für den gesamten persönlichen Bedarf dieser Menschen - ich nenne beispielsweise
die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr, Telefongebühren, Porto, Rechtsanwaltsgebühren usw. - zur Verfügung steht. Zusätzliche Leistungen, zum Beispiel für
eine Monatskarte im öffentlichen Nahverkehr, werden
nicht gewährt.
Die Leistungen für Essen, Kleidung, Körperpflege,
aber auch für Energie im Haushalt werden als Sachleistungen in Form von Essenspaketen oder Vollverpflegung,
Gutscheinen oder Bargeld mit einem seit 1993 ebenfalls
unveränderten Wert von 360 DM, also 184 Euro pro Monat, gewährt. Wenn man das mit dem Regelsatz beim Arbeitslosengeld II vergleicht - 351 Euro zu 184 Euro -,
dann sieht man, wie schrecklich diese Entwicklung für
die betroffenen Menschen ist.
Deshalb legt meine Fraktion einen Gesetzentwurf zur
Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, den
ich hier kurz skizzieren möchte. 15 Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ist festzustellen, dass es die eigentlich gewünschten Effekte nicht erreicht hat. Denn
die Asylantragszahlen haben in Deutschland zwar einen
historischen Tiefpunkt erreicht, aber es gibt niemanden,
der ernsthaft behaupten würde, dass dies auf die Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zurückzuführen ist. Hierfür sind vielmehr die Drittstaatenregelung,
die rigiden Grenzkontrollen und das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten verantwortlich.
Ein weiterer Punkt ist, dass sich die Aufenthaltsdauer
von abgelehnten Asylsuchenden und Geduldeten nicht
reduziert, sondern sich deutlich verlängert hat. Ende
2006 lebten über 100 000 Geduldete seit über sechs Jahren, 70 000 Geduldete seit über acht Jahren und
40 000 Geduldete sogar seit mindestens zwölf Jahren in
Deutschland. Bezogen im Jahr 2000 noch 20 Prozent der
Anspruchsberechtigten länger als drei Jahre Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, so sind es inzwischen rund die Hälfte.
Dies zeigt, dass man die Motivation dieser Menschen
völlig falsch eingeschätzt hat. Nicht die Höhe der sozialrechtlichen Transferleistungen, vor denen in diesem
Hause immer wieder gewarnt wird, war für diese Menschen der entscheidende Grund, nach Deutschland zu
kommen bzw. hierzubleiben. Diese Menschen haben in
der Regel vielmehr gravierende rechtliche, humanitäre
oder tatsächliche Gründe, die sie daran hindern, in ihr
Heimatland zurückzukehren. Die Verleumdung, diese
Menschen wollten nur in die Sozialsysteme zuwandern,
entspricht nicht der Wahrheit. Die Fakten sagen etwas
anderes.
({1})
Ein Gesetz, das offenkundig weder geeignet noch erforderlich ist, um mit verhältnismäßigen Mitteln seinen
Zweck zu erfüllen, hat seinen Sinn verfehlt. Wer dieses
Gesetz beibehalten möchte, zeigt, dass es ihm weniger
um die Bekämpfung des angeblichen Asylmissbrauchs
geht als vielmehr darum, Asylsuchende und Geduldete
in Deutschland zu schikanieren und zu diskriminieren.
Damit wollen wir Schluss machen. Deshalb werbe ich
eindringlich dafür, dass in der zweiten und dritten Beratung diesem Gesetz zugestimmt wird. Darum bitte ich Sie.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10871. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 9 b. Hier wird interfraktionell
die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache
16/10837 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 ({0})
- Drucksachen 16/10807, 16/10868 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
dabei um die Reden folgender Kollegen und einer Kolle-
gin: Dr. Hans Georg Faust, Jens Spahn, Eike Hovermann,
Daniel Bahr, Frank Spieth, Dr. Harald Terpe und Par-
lamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 16/10807 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Inzwischen
liegt die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stel-
lungnahme des Bundesrates auf Drucksache 16/10868
vor, die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden soll.
1) Anlage 31
Gibt es anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Telekommunikationsgesetzes
- Drucksache 16/10731 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die
Reden zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, auch damit
sind Sie einverstanden. Es handelt sich um die Reden der
Kolleginnen und Kollegen Dr. Martina Krogmann, Julia
Klöckner, Martin Dörmann, Manfred Zöllmer, Hans-
Joachim Otto, Sabine Zimmermann und Kerstin
Andreae.2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/10731 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch
hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksache 16/10730 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Frank Schäffler, Martin Zeil, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft - Die europäische Alternative zu Wirtschaftsprotektionismus und Ausländerdiskriminierung
- Drucksache 16/6997 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die
Reden zu Protokoll zu geben. - Ich sehe dazu keinen
Widerspruch. Es geht um die Reden der Kollegen Rolf
Hempelmann, Rainer Brüderle, Dr. Herbert Schui, der
Kollegin Kerstin Andreae3) und des Parlamentarischen
Staatssekretärs Hartmut Schauerte4).
2) Anlage 32
3) Anlage 33
4) Der Redebeitrag wird im Plenarprotokoll der 187. Sitzung abgedruckt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/10730 und 16/6997 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hier sehe ich keinen Widerspruch. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 3 auf:
13 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen der Vereinten Nationen vom
13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum
Übereinkommen der Vereinten Nationen über
die Rechte von Menschen mit Behinderungen
- Drucksache 16/10808 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Marieluise Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Historische Chance des VN-Übereinkommens
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nutzen
- Drucksache 16/10841 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich weiß, dass es schon spät ist.
({0})
- Das macht uns gar nichts; denn dieses Thema ist uns
wichtig.
Ich will deshalb gleich zu Beginn sagen: Ich rede
heute Abend hier nicht, weil einzelne Abgeordnete der
Fraktion bestimmt haben, dass heute Abend zu diesem
Thema gesprochen wird. Ich rede vielmehr aus Überzeugung zu diesem Thema.
Als Zweites sage ich ganz deutlich, lieber Markus
Kurth, dass nicht die Bundesregierung die Tagesordnung
und den Zeitpunkt dieser Debatte festgesetzt hat, was du
leider so kritisch angemerkt hast, sondern dass immer
noch das Parlament die Tagesordnung aufstellt und damit auch, wann und wie lange gesprochen wird. Insofern
möchte ich den Hinweis geben, dass man nicht so eifernd damit umgehen sollte.
Es geht um ein sehr ernstes Thema, nämlich um das
Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen, das aus meiner Sicht
- das will ich klar sagen - immerhin das Potenzial hat,
den Alltag von über 600 Millionen behinderten Bürgerinnen und Bürgern auf der Welt entscheidend zu verbessern.
({1})
Das Übereinkommen ist Ausdruck des aktiven Kampfes gegen Diskriminierung. Für die Betroffenen ist es ein
großer Schritt auf dem Weg zu einer uneingeschränkten
Gleichstellung, zu Teilhabe und Selbstbestimmung. Das
Übereinkommen und das dazugehörige Fakultativprotokoll spezifizieren und konkretisieren grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Leben, das Recht auf
Freizügigkeit und das Recht auf gleichberechtigten Zugang zur Justiz, umfassen aber auch konkrete Regelungen zur Chancengleichheit und zur Gestaltung barrierefreier Lebenswelten.
Deutschland gehörte am 30. März 2007 zu den Erstunterzeichnern beider Dokumente.
({2})
- Herr Seifert, hören Sie mal zu, arbeiten Sie konkret mit
und machen Sie keine schrägen Zwischenrufe! ({3})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir den
nächsten Schritt: Das Übereinkommen und das dazugehörige Fakultativprotokoll sollen innerstaatlich verbindlich werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich hier
ausdrücklich betonen: Das Übereinkommen basiert auf
den zentralen Menschenrechtsabkommen der Vereinten
Nationen. Es schafft also keine Sonderrechte, sondern
gewährleistet, dass die spezifischen Lebenslagen behinderter Bürgerinnen und Bürger systematisch beachtet
werden. Das Fakultativprotokoll erweitert die Kompetenzen des Vertragsausschusses des Übereinkommens
um das Verfahren der Individualbeschwerde und das Untersuchungsverfahren. Beide Verfahren lehnen sich an
die entsprechenden Verfahren in anderen Menschenrechtsverträgen an und stärken damit die Umsetzung des
Übereinkommens.
Die deutsche Delegation hat sich, unterstützt von den
Verbänden behinderter Menschen, von Anfang an aktiv
an den Verhandlungen beteiligt und die Verhandlungsposition der Europäischen Union maßgeblich beeinflusst.
Während des gesamten Verhandlungsprozesses waren
Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft stets
eng mit eingebunden. Eine Vertreterin des Deutschen
Behindertenrates wirkte als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation aktiv an den Verhandlungen mit. Gemeinsam haben wir uns erfolgreich beispielsweise dafür
eingesetzt, die Belange von Frauen mit Behinderungen
in eigenen Regelungen im Konventionstext besonders zu
benennen.
Für die Belange behinderter Bürgerinnen und Bürger
ist in Deutschland in den vergangenen Jahren politisch
viel bewegt worden. Seit 1998 ist zum traditionellen sozialrechtlichen Ansatz in der Politik für und mit behinderten Bürgerinnen und Bürgern ein starker bürgerrechtlicher Ansatz getreten. Es ist gelungen, in nur einem
Jahrzehnt ein ganzes Politikfeld von Grund auf zu erneuern und Großes auf den Weg zu bringen: Sozialgesetzbuch IX, das Behindertengleichstellungsgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, eine ganze Reihe erfolgreicher Arbeitsmarktprogramme und die Einführung
des Rechtsanspruchs auf ein persönliches Budget. All
das hat den Alltag behinderter Bürgerinnen und Bürger
in Deutschland spürbar verbessert.
Es wäre aber falsch, sich auf den Lorbeeren auszuruhen.
({4})
Es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Wir müssen gemeinsam ehrgeizig bleiben. Ich betone: gemeinsam ehrgeizig bleiben. Die Konvention der Vereinten
Nationen ermuntert und verpflichtet uns dazu. Sie wird
in Zukunft ein wichtiges Referenzdokument sein, auf
dessen Grundlage neue Entwicklungen in der Behindertenpolitik angestoßen und beurteilt werden.
Ich baue darauf, dass wir die Politik in möglichst großer Gemeinschaft fortführen. Deswegen habe ich darauf
hingewiesen, dass Eifern an dieser Stelle falsch wäre.
Kollege Kurth, es wurde darauf hingewiesen, dass das
Parlamentsfernsehen heute Abend diese Debatte überträgt. Ich lege großen Wert darauf, festzustellen, dass die
Enge der Tagesordnung damit zu tun hat, dass das Parlament auf Parteitage Rücksicht nimmt. Die Grünen haben
nun einmal am Freitag einen Parteitag. Deshalb hat sich
die Tagesordnung dieses Parlaments sehr gedrängt. Ich
finde es unfair, wenn man nach außen so tut, als würde
die Bundesregierung diesem wichtigen Tagesordnungspunkt wenig Bedeutung beimessen und dieses Thema zu
nachtschlafender Zeit nur hasenfüßig behandeln.
({5})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Erwin Lotter für
die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich kann Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, anlässlich meiner ersten
Rede im Deutschen Bundestag Kritik leider nicht ersparen.
({0})
Dafür ist unser heutiges Thema, die UN-Behindertenrechtskonvention, viel zu wichtig.
Die Konvention kann - ich betone: kann - ein Meilenstein auf dem Weg zu vollständiger Gleichberechtigung, Teilhabe und Chancengleichheit behinderter Menschen sein. Die FDP steht uneingeschränkt hinter den
Zielen der UN-Konvention.
({1})
Selbstbestimmung, vollständige gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherung von Chancengleichheit sind
selbstverständliche Bestandteile liberaler Gesellschaftspolitik.
({2})
Allein durch die Ratifizierung der Konvention werden wir in der Behindertenpolitik aber keinen Schritt vorankommen. Um das Hauptziel der Konvention, nämlich
das Begreifen von Behinderung nicht als Schwäche, sondern als menschliche Normalität, zu erreichen,
({3})
bedarf es einer sorgfältigen und öffentlichen Diskussion
sowie einer Überprüfung unserer politischen, rechtlichen
und sozialen Realität.
({4})
Die Konvention muss mit Leben erfüllt werden. Deshalb
müssen Bund, Länder und Gemeinden überprüfen, ob
die Rahmenbedingungen und das staatliche Handeln
dem Sinn der Konvention entsprechen.
Viele behinderte Menschen in Deutschland knüpfen
schon heute ganz konkrete Erwartungen an die Konvention. Viele Eltern behinderter Kinder zum Beispiel leiten
aus der Konvention ab, dass ihre Kinder nach der Ratifizierung des Übereinkommens durch den Bundestag
nicht mehr Förderschulen besuchen müssen, sondern
auch bei jeder Regelschule einen Anspruch auf Aufnahme und qualitativ hochwertige Förderung und Bildung haben. Auch Patientenvertreter psychisch Kranker
haben Fragen gestellt, die bislang aber keine hinreichende Würdigung durch den Gesetzgeber erfahren haben. Diese Menschen müssen wir mit ihren Sorgen,
Wünschen und Erwartungen ernst nehmen. Diese Menschen wollen wissen, woran sie sind und was ihnen die
Konvention ganz praktisch bringen wird.
Leider nimmt die Bundesregierung die Wünsche Betroffener nicht ernst genug. So hat die Bundesregierung
zum Beispiel schriftliche Anfragen meines Vorgängers
Jörg Rohde und des Kollegen Markus Kurth von den
Grünen wortkarg und wenig bis gar nicht überzeugend
beantwortet.
({5})
Herr Staatssekretär Thönnes hat in einer der Antworten
wörtlich erklärt, dass das Kabinett die Übereinstimmung
der deutschen Rechtslage mit den Anforderungen der
Konvention beschlossen hat. Es ist mir völlig neu, dass
juristische Überprüfungen neuerdings durch Kabinettsbeschlüsse ersetzt werden können.
({6})
Vor über eineinhalb Jahren, am 30. März 2007, haben
die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Frau
Karin Evers-Meyer, und Staatssekretär Franz Thönnes
die Konvention bei den Vereinten Nationen in New York
vor Ort unterzeichnet. Die Bundesregierung mit all ihren
Ministerien hatte somit eineinhalb Jahre Zeit für eine
kritische Überprüfung des Handlungsbedarfs, den die
Konvention mit sich bringen könnte. Das Ergebnis der
Überprüfung überrascht mich dann doch. Lapidar heißt
es jetzt im Entwurf des Ratifizierungsgesetzes:
Durch das Gesetz entsteht kein weiterer Vollzugsaufwand.
Und:
Durch das Gesetz entstehen für Bund, Länder und
Gemeinden keine weiteren Kosten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD
und Union, beim besten Willen nehme ich Ihnen das
nicht ab. Sie alle wissen, dass die Konvention, die wir
Liberalen ausdrücklich unterstützen, in vielen Details
zumindest in einem Spannungsverhältnis zu geltendem
Recht steht. So schreibt zum Beispiel Kollege Hüppe
von der CDU/CSU in der vergangenen Woche in einem
Brief an die Elterninitiative „Eine Schule für alle“:
Eine Umsetzung des Artikels 24 bedeutet für die
Bundesländer ein Umdenken in ihrer bisherigen
Schulpolitik. Konsequenterweise müssten sie das
Förderschulsystem weitestgehend aufgeben und
Kindern mit Behinderungen die Beschulung in Regelschulen ermöglichen.
Ich frage Sie, Herr Hüppe: Warum erklären Sie nicht
in der Problem-, Ziel- und Lösungsskizze des Gesetzentwurfes, was Sie der Elterninitiative klipp und klar in Ihrem Brief mitgeteilt haben,
({7})
nämlich dass Sie die grundsätzliche Beschulung behinderter Kinder in Regelschulen bei uns in Deutschland
nur mittel- bis langfristig für durchsetzbar halten? Die
gleiche Frage richte ich an die Kollegin Silvia Schmidt,
behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie
greifen Ihre Koalitionspartner, CDU und CSU, direkt an,
wenn Sie in Ihrem Schreiben an die gleiche Elterninitiative erklären, dass inklusive Bildung ein Ansatz ist, den
die unionsregierten Bundesländer wohl eher nicht unterstützen. Völlig zu Recht stellen Sie die Konvention als
eine politische Herausforderung dar, nicht jedoch als Lösung aller Probleme behinderter Menschen in Deutschland. Aber auch Sie müssen sich fragen lassen, warum
Sie diese Erkenntnis nicht in den vorliegenden Gesetzentwurf haben einfließen lassen.
({8})
Besonders beunruhigt mich bei Ihrem Brief an die Elterninitiative, Frau Schmidt, der letzte Satz:
Die UN-Konvention gibt uns dazu das richtige Instrument an die Hand, um auch für Sie als engagierte Mutter nach langem Kampf eine Rechtsgrundlage für Inklusion zu haben.
({9})
Frau Schmidt, wollen Sie wirklich, dass Eltern behinderter Kinder jetzt vor Gericht in jahrelangen Rechtsstreitigkeiten die Beschulung ihrer Kinder in Regelschulen
durchsetzen müssen?
Das ist der springende Punkt Ihres Umgangs mit der
UN-Konvention, verehrte Kolleginnen und Kollegen der
Regierungsfraktionen. Sie nehmen bewusst Rechtsunsicherheiten in Kauf, getreu dem Motto: Was wir politisch
nicht erreichen, sollen halt die Gerichte klären. Das
nenne ich verantwortungslos.
({10})
Rechtsunsicherheiten, enttäuschte Hoffnungen und
Missverständnisse werden der Konvention nicht zum Erfolg verhelfen.
Danke.
({11})
Herr Kollege Dr. Lotter, das war Ihre erste Rede hier
in diesem Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich und wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles erdenklich Gute.
({0})
Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
meinen Glückwunsch an Herrn Dr. Lotter für diese Jungfernrede.
({0})
- Doch, ich bin da sehr großzügig. - Ich freue mich - ich
glaube, Sie sind behindertenpolitischer Sprecher Ihrer
Fraktion -, dass ich jetzt solche neuen Töne zur Inklusion höre. Ich glaube, wenn Sie so weitermachen und die
FDP Ihrer Politik folgt, dann können wir eine Menge
daraus machen.
({1})
Seit langem gab es die Idee einer UN-Menschenrechtskonvention, die vor allen Dingen die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen im Blick hat.
Mit der Annahme der UN-Konvention über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2006 ist
diese Idee real geworden. Deutschland - das wurde eben
schon einmal gesagt - hat sich an der inhaltlichen Gestaltung beteiligt und diese UN-Konvention intensiv begleitet und mitgeprägt. Im März 2007 - auch dies wurde
gesagt - wurde sie gezeichnet. Damit haben wir von Anfang an eine Vorreiterrolle eingenommen. Ich möchte an
dieser Stelle noch einmal allen Beteiligten, die dort mit
sehr viel Kraft und Engagement für uns verhandelt haben, für die Realisierung der UN-Konvention danken.
Mit diesem internationalen Übereinkommen liegt ein
Dokument vor, das den Schutz der in zahlreichen anderen Konventionen aufgeführten Menschenrechte speziell
abgestimmt auf die Belange von Menschen mit Behinderungen garantieren soll. Die UN-Konvention ist ein Novum in der Behindertenpolitik. Von vielen Seiten werden
große Erwartungen an die Ratifizierung und die Umsetzung der UN-Konvention geknüpft.
Erklärtes Ziel des Übereinkommens ist die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen sowie ihre
umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. Sie will die
Grundrechte dieser Menschen garantieren. Durch die
Ratifizierung der UN-Konvention ist es unsere Aufgabe,
auch weiterhin dafür zu sorgen, dass eine gesellschaftliche Entwicklung fortgeführt wird, die Menschen unabhängig von Art und Grad der Behinderung als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkennt.
Die Konvention unterstützt unsere bisherigen Handlungen und Entscheidungen in der Behindertenpolitik.
Wir haben in den vergangenen Jahren über die Parteigrenzen hinweg - das betone ich ausdrücklich - einen
guten Weg eingeschlagen, um Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung und ein Leben mitten in
der Gesellschaft zu ermöglichen. Das gilt sowohl im
Hinblick auf das Behindertengleichstellungsgesetz und
das SGB IX als auch im Hinblick auf den Rechtsanspruch auf Leistungen in Form des Persönlichen Budgets.
Ich sage aber auch, dass wir längst noch nicht alles erreicht haben. Dies gilt vor allem für die praktische Umsetzung von Ansprüchen. Wir haben weniger ein Defizit
bei den Rechtsnormen. Die Probleme liegen vielmehr in
der Praxis. Im SGB IX heißt es zum Beispiel, dass Fristen eingehalten werden müssen und dass der zweite Träger die Leistungen auch dann zuteilen muss, wenn er
selbst nicht zuständig ist. In Wirklichkeit sieht die Situation aber so aus, dass Behinderte immer noch von einer
Stelle zur anderen geschickt und insbesondere Eltern
häufig weggeschickt werden, obwohl sie eigentlich Ansprüche geltend machen könnten. Das ist nicht länger
hinnehmbar.
({2})
Diese Konvention ist der Leitfaden, an dem sich unsere politischen Entscheidungen, aber auch ihre praktische Umsetzung messen lassen müssen. Bei allen Gesetzgebungsverfahren haben wir darauf zu achten, dass
die in der UN-Konvention enthaltenen Rechte auch tatsächlich umgesetzt werden. Das gilt für alle Bereiche,
nicht nur für das SGB IX und die Gesundheits- und Sozialpolitik. Das gilt auch für die Bildungspolitik und bis
hin zur Verkehrs- und Kulturpolitik.
Meine Damen und Herren, positiv ist, dass infolge
dieser UN-Menschenrechtskonvention erstmalig eine
unabhängige Stelle geschaffen werden muss, die den
Prozess der Umsetzung und Durchführung der UN-Konvention in Deutschland überwacht und begleitet. Damit
dämmen wir das Risiko ein, dass diese Konvention in
den Schubladen verschwindet und vergessen wird.
Ebenfalls begrüße ich, dass diese Konvention ohne
Vorbehalte und Interpretationserklärungen ratifiziert
wird.
({3})
- Die Denkschrift ist nicht Sache des Parlaments, sondern eine Stellungnahme der Regierung; darauf komme
ich noch zu sprechen. Sie ist auch kein Bestandteil des
Gesetzgebungsverfahrens; auch darauf muss man an dieser Stelle hinweisen.
Die UN-Konvention über die Rechte der Menschen
mit Behinderungen kann als Grundlage für die Weiterentwicklung einer modernen Behindertenpolitik dienen.
Aus diesem Grund dürfen wir nicht den Eindruck erwecken, als sei schon alles gut. Ich gebe Ihnen recht: Wenn
man die Denkschrift liest, kann man manchmal den Eindruck gewinnen, als sei schon alles getan. Nein, dieses
Dokument nur als Bestätigung der bisherigen Politik zu
betrachten, wäre aus meiner Sicht nicht richtig.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle neben den positiven Aspekten auch ein paar kritische Worte sagen; das wird Sie
freuen, Herr Dr. Lotter. Meine Kritik bezieht sich insbesondere auf Teile der Übersetzung, aber auch - darauf
wurde gerade hingewiesen - auf Teile der Denkschrift.
So kann ich in der Tat meine Enttäuschung darüber nicht
verhehlen, dass die in der englischsprachigen Fassung
gewählte Formulierung „inclusive education“ in der
deutschsprachigen Fassung mit „integrative Bildung“
übersetzt wurde.
({5})
Weder aus politischer noch aus wissenschaftlicher Sicht
beinhalten Inklusion und Integration das Gleiche.
({6})
Während der Gedanke der Integration von einer Anpassung des behinderten Kindes an das bestehende Bildungssystem ausgeht, muss sich nach dem Inklusionskonzept das Bildungssystem an den Bedürfnissen des
einzelnen Kindes orientieren. Dies ist meiner Meinung
nach in Art. 24 der Originalversion deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu
verwirklichen, soll auf allen Ebenen ein inklusives Bildungssystem gewährleistet werden.
Bei den vielen Begegnungen, die ich wie alle anderen, die in der Behindertenpolitik tätig sind, erlebe, stelle
ich immer wieder fest: Eines der größten Probleme ist,
dass die Menschen, die keine Behinderung haben, nie
gelernt haben, mit Menschen mit Behinderung umzugehen. Das liegt zum Teil auch daran, dass sie nicht mit ihnen aufgewachsen sind.
({7})
Um das zu ändern, sollte man dafür sorgen, dass behinderte und nicht behinderte Kinder in einen gemeinsamen
Kindergarten und nicht in getrennte Kindergärten gehen.
Denn was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Das gilt für Menschen mit und ohne Behinderung.
({8})
Noch ein Wort zu Art. 10. Der Staatssekretär hat
schon darauf hingewiesen, dass dort das Recht auf Leben dokumentiert ist. In der englischen Sprache spricht
man von „inherent right to life“. Übersetzt wird das mit
„angeborenes Recht auf Leben“. Wenn ich das richtig
übersetzen würde, dann würde ich sagen, dass es mehr
darum geht, dass es für jeden Menschen ein innewohnendes Recht auf Leben gibt. Das ist ein Unterschied.
Das sage ich auch im Hinblick auf die Debatte, die über
die Spätabtreibungen geführt wird. Auch hier muss man
fragen, wie ernst man das Recht auf Leben nimmt. Das
Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt, dass
auch schon dem ungeborenen Kind ein Lebensrecht zukommt.
({9})
Wenn zum Beispiel über 90 Prozent der ungeborenen
Kinder, bei denen das Down-Syndrom festgestellt
wurde, getötet werden, dann ist das für mich auch eine
Diskriminierung von behinderten Menschen.
({10})
Meine Damen und Herren, die Ratifizierung des
Übereinkommens - wir werden in der Anhörung und
auch danach sicherlich eine sehr kritische Diskussion
darüber führen - ist für mich von großer Bedeutung. Die
UN-Konvention bedeutet eine einmalige Chance zur
konsequenten Fortentwicklung der Rechte der Menschen
mit Behinderungen. Wir sollten diese Chance nutzen.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ilja Seifert für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie haben es offenbar immer
noch nicht begriffen: Diese Konvention wird nicht nur
das Leben von 600 Millionen Menschen mit Behinderungen auf der Welt verändern; diese Konvention hat das
Potenzial, die Lebenssituation von uns allen - auch von
Ihnen - zu verändern. Das ist nämlich eine Menschenrechtskonvention und kein Behindertenspezialgesetz.
Das haben sogar Sie gesagt; aber Sie haben nicht gemerkt, welche Konsequenzen das hat.
Das ist der unglaublich positive Aspekt daran: Es ist
die erste Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts. Wir reden hier nicht über Nichtigkeiten, sondern
über etwas sehr Wichtiges.
({0})
In dem Zusammenhang muss ich schon einmal sagen:
Wenn Sie behaupten, dass das nichts kostet, dann machen Sie sich entweder etwas vor oder Sie belügen die
Bevölkerung oder - das wäre das Schlimmste - Sie wollen es nicht. Wir brauchen nicht nur ein Gesetz, in dem
steht, dass die Bundesrepublik Deutschland mitbekommen hat, dass es diese Konvention gibt, sondern wir
brauchen Umsetzungs- und Vollzugsgesetze. Nach meinem bisherigen Überblick werden das auf Bundes- und
Länderebene mindestens ungefähr 300 sein. Das ist das,
was ich bis jetzt recherchiert habe. Vermutlich werden es
am Ende noch mehr werden.
Damit Sie wissen, was ich meine: Im § 201 des Strafgesetzbuches zum Beispiel geht es um den Schutz der
Privatsphäre. Wo ist diese denn in irgendeinem Heim gegeben, wenn jeder zur Tür hereinkommen kann? Das
muss geändert werden, wenn wir diese Konvention ernst
nehmen. Das war nur ein Beispiel, weil ich nicht immer
die aufzählen will, die jeder schon tausendmal gehört
hat.
Wir brauchen nicht nur ein Umsetzungs- und Vollzugsgesetz, sondern wir brauchen ein richtiges Konzept
für die Umsetzung und den Vollzug dieser Konvention.
Das kostet ein bisschen, vor allen Dingen natürlich geistige Anstrengung und dann auch ein bisschen Geld.
Ganz klar ist: Wir brauchen auch eine Übersetzung,
die dem Geist dieser Konvention gerecht wird. Wenn Sie
nicht einmal bereit sind, anzuerkennen - das ist mir
durch die Antwort auf eine Anfrage gerade erst wieder
bestätigt worden -, dass es auch andere Übersetzungsmöglichkeiten als die gibt, die Sie uns hier ständig vorhalten, dann hat das etwas mit Ignoranz zu tun. Es gibt
die „Schattenübersetzung“ des „Netzwerks Artikel 3“
- ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus der Behindertenbewegung ausdrücklich dafür, dass sie sich
diese Mühe gemacht haben -, in den wenigstens die
gröbsten Fehler Ihrer Übersetzung ausgemerzt sind.
Deshalb werden die Linke und, wie ich hoffe, auch
viele andere Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag wenigstens darum kämpfen, dass die von Ihnen so
abgeschwächte Übersetzung nicht „als amtlich“ bezeichnet wird, damit sich anschließend niemand auf irgendeine andere Übersetzung berufen kann. Das ist ein
Trick von Ihnen, den wir nicht durchgehen lassen können.
({1})
Das Gleiche gilt für die sogenannte Denkschrift. Herr
Hüppe hat behauptet, sie sei nicht Teil des Ratifizierungsprozesses. Dann verknüpfen Sie sie auch nicht damit! Dann sollten Sie klipp und klar sagen, dass diese
Denkschrift nichts mit dem richtigen Leben zu tun hat
({2})
- Entschuldigung, ich will das von der Regierung hören und dass sie im Ratifizierungsprozess keine Relevanz
hat. Dann kann nicht später, wenn sich die Richter damit
befassen müssen, vorgebracht werden, dass der Gesetzgeber diese Denkschrift einbezogen hat. Das muss raus.
Weiterhin ist zu überlegen, wie die Kompetenzen auf
Bundes- und Länderebene zu regeln sind. Die ganze
Kleinstaaterei muss überdacht werden, ob es um das
Baurecht, das Schulrecht oder das Heimrecht geht. Das
kann man nicht wie in Kleinstaaten jeweils unterschiedlich regeln.
Ein weiterer Punkt: Wir können Menschen mit psychischen Erkrankungen und Psychiatrieerfahrungen nicht im
Regen stehen lassen, wenn sie dagegen kämpfen,
zwangseingewiesen zu werden, nicht etwa, weil sie sich
selbst oder andere gefährden, sondern nur deshalb, weil
sie eine psychische Erkrankung haben.
Ich denke, all diese Fragen müssen bedacht werden.
Uns liegt ein unglaublich wichtiges Dokument vor.
Selbst in der abgeschwächten Form ist es eine tolle Konvention. Aber lassen Sie sie in ihrer ursprünglichen
Form wirken. Sorgen Sie dafür, dass nicht die Menschen
mit Behinderungen sich der Umwelt anpassen müssen,
sondern passen Sie die Umwelt den Menschen mit Behinderungen so an, dass sie darin leben können!
Ich danke Ihnen.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn ich von Staatssekretär Brandner des Eiferns
bezichtigt worden bin - ich weiß, dass die Bundesregierung die Tagesordnung nicht selbst erstellt, sondern die
sie tragenden Mehrheitsfraktionen und die Parlamentarischen Geschäftsführer -,
({0})
bleibe ich dabei, dass die Debatte über dieses so überaus
wichtige Übereinkommen einen besseren Zeitpunkt verdient hätte als jetzt nach 22.30 Uhr. Ich hoffe doch sehr,
dass dies bei der zweiten und dritten Lesung der Fall
sein wird.
({1})
- Dass Sie jetzt den Parteitag der Grünen dafür verantwortlich machen, obwohl die UN-Konvention schon seit
anderthalb Jahren vorliegt, ist kleine Münze.
({2})
Aber zur Sache: Ich möchte vorweg auf die Einwände
von Herrn Seifert eingehen, weil ich glaube, dass es für
die Menschen, die diese Debatte verfolgen, wichtig ist,
klarzustellen, dass die Denkschrift der Bundesregierung
keine Beschlusssache des Parlamentes ist. Es ist bloß
eine Willensbekundung der Bundesregierung.
Ich habe ein Gutachten des Wissenschaftlichen
Dienstes eingeholt und mit anderen Völkerrechtlern gesprochen: Aus der Denkschrift der Bundesregierung
alleine gehen keinerlei Interpretationshilfen für Gerichtsentscheidungen und dergleichen hervor. Ich glaube, wir
müssen das sehr deutlich machen. Es wäre auch
schlimm, wenn es so wäre. Denn die Denkschrift verschenkt alles, was an positivem Veränderungsgehalt in
dieser Konvention enthalten ist. In der Konvention wird
ein völlig neues Verständnis von Behinderung angelegt.
Es geht nicht darum, dass sich der Mensch anpassen
muss, wie Herr Seifert richtig ausgeführt hat; stattdessen
werden die Umweltbedingungen und äußeren Umstände
von Behinderungen in den Fokus gerückt. Behinderung
wird als Wechselverhältnis zwischen der Besonderheit
eines Menschen und der ihn umgebenden Lebensumwelt
und sozialen Umwelt gesehen. Art. 12 der UN-Konvention sieht die gleiche Anerkennung vor dem Recht vor.
Er eröffnet die Möglichkeit, wenn nicht sogar die Verpflichtung, etwa im Betreuungsrecht Änderungen vorzunehmen und die Geschäftsfähigkeit von Menschen mit
Behinderungen nicht mehr abzuerkennen, sondern ihnen
stattdessen eine rechtliche Begleitung zur Verfügung zu
stellen.
In Art. 19 ist das Recht auf Wohnen und auf unabhängige Lebensführung in den eigenen vier Wänden verankert. Das heißt, wir können und müssen den Kostenvor19910
behalt in der Sozialhilfe, wenn es darum geht, in den
eigenen vier Wänden selbstbestimmt zu wohnen, kippen.
({3})
Art. 24 beinhaltet das wichtige Recht auf Bildung;
das hat der Kollege Lotter schon ausgiebig angesprochen. Das heißt, die UN-Konvention eröffnet die Möglichkeit - das ist noch keine Garantie -, einen Durchbruch bei inklusiver Bildung zu erzielen. Ich hoffe, dass
die von der FDP mitregierten Bundesländer das genauso
engagiert betreiben werden, wie Sie es eben dargelegt
haben.
Die Übersetzungsfehler gehen unter anderem darauf
zurück, dass die Länder von Inklusion, inklusiver Beschulung und Beschulung in der Regelschule nicht viel
wissen wollten und dass deswegen von integrativer Beschulung die Rede ist. Ich hoffe sehr, dass dieses Parlament über das hinauskommt, was mir die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine schriftliche Anfrage am
9. Oktober 2008 beschieden hat. In der Antwort der
Bundesregierung heißt es lapidar:
Das Kabinett hat anlässlich der Beschlussfassung
über den Gesetzentwurf auch beschlossen, dass die
derzeitige deutsche Rechtslage … den Anforderungen des Übereinkommens entspricht.
Wenn dem so wäre, dann bräuchten wir die UN-Konvention erst gar nicht zu ratifizieren. Ich kann nur davor
warnen, dieses wichtige Kernstück, ein Erbe der rot-grünen Regierung, zu verspielen. Wir sollten die deutsche
Rechtslage in einem emanzipativen Sinn weiterentwickeln und den Stolz darüber, dass die Bundesrepublik
Deutschland bei der Verhandlung über dieses Abkommen treibende Kraft war, in eine entsprechend stolze Gesetzgebung auf nationaler Ebene münden lassen.
Vielen Dank.
({4})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Silvia Schmidt für die SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Lotter, meinen
herzlichen Glückwunsch zu dieser Rede. Ich freue mich
unglaublich, dass Sie das genauso sehen wie wir; denn
es ist festzustellen - das können Sie noch nicht wissen -,
dass wir im Grunde genommen alles, was mit der Politik
zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu tun hat,
gemeinsam vorangebracht und geschlossen getragen haben. Um das zu verdeutlichen: Wir sind stolz auf das
SGB IX; Herr Brandner hat dazu schon einiges gesagt.
Wir haben auch den Grundstein für eine UN-Konvention
gelegt. Das sollten wir nicht vergessen. Das Persönliche
Budget wurde dort schon festgeschrieben. Das ist die
richtige Richtung. Aber natürlich gibt es Veränderungsbedarf, Hubert Hüppe. Markus Kurth hat es schon erwähnt. Es geht um das SGB XII und den Grundsatz „ambulant vor stationär“. Darüber reden wir schon 30 Jahre.
Es passiert aber nichts. Es werden weiter Heime gebaut,
und zwar in verstärktem Maß. Menschen dürfen aufgrund des Mehrkostenvorbehalts nicht dort leben, wo sie
leben wollen. Die überörtlichen Träger haben aber festgestellt, dass ambulante Leistungen mit Sicherheit preiswerter sind als stationäre. Aber das kommt nicht an.
Zum Inklusionsgedanken selbst, also zur Idee, von
Anfang an mittendrin zu sein. Richard von Weizsäcker
hat gesagt: Was ich am Anfang nicht trenne, brauche ich
später nicht mehr zusammenzuführen. - Das sollten wir
uns alle gut merken. Wir sollten auf die Kultusminister
in den Bundesländern entsprechend einwirken, insbesondere auf den bayerischen. Schleswig-Holstein und
Berlin haben bereits erkannt: Inklusion ist die Zukunft.
Es gibt keinen anderen Weg. Diesen sollten wir beschreiten. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung
verficht das eifrig.
Sie haben Briefe erwähnt. Es gibt auch einen Brief
von uns vieren, in dem wir die Kultusminister auffordern, die inklusive Bildung voranzutreiben. Wir haben
sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Man hat
sich für Integration entschieden. Wir halten das für nicht
richtig und hoffen, dass noch eine Veränderung einsetzt.
Sie haben vollkommen recht: Es ist nicht gut, dass man
noch immer schreiben muss, dass sich die Rechtslage
ändern wird und dass die Eltern behinderter Kinder
Rechtssicherheit erhalten werden. Ich finde es unanständig, dass Eltern mit behinderten Kindern heutzutage ihre
Rechte noch vor Gericht einklagen müssen. Es ist nicht
nur unanständig, sondern teilweise auch menschenverachtend und hat wirklich nichts mit dieser Konvention
zu tun.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen. Wir sollten
nicht mehr - darum bitte ich einfach - über schwache
Menschen reden; denn eine Gesellschaft ist nur dann
schwach, wenn sie den Menschen, die einen Unterstützungsbedarf haben, diesen nicht gewährleisten kann.
Vielen Dank und einen schönen Abend.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/10808 und 16/10841 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Axel E.
Fischer ({0}), Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Röspel, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Im Deutsch-Israelischen Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008 neue Impulse für
die Zusammenarbeit setzen
- Drucksache 16/10847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung schon ausgewiesen, werden
die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um
die folgenden Kolleginnen und Kollegen: Axel Fischer,
Dr. Heinz Riesenhuber, René Röspel, Patrick Meinhardt,
Dr. Petra Sitte und Priska Hinz.
Das Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaft und
Technologie 2008 geht auf die gemeinsame Initiative unserer geschätzten Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, und des israelischen Ministers für Wissenschaft, Kultur und Sport, Galeb Majadle,
zurück. Das Ziel dieses bilateralen Jahres ist der Ausbau
und die Intensivierung der zwischen beiden Ländern seit
nahezu 50 Jahren bestehenden Kooperation in Wissenschaft und Forschung.
Die deutsch-israelische Wissenschaftskooperation gilt
zu Recht als eine Wegbereiterin für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, und sie ist auch heute noch ein
wichtiges und besonders lebendiges Element der bilateralen Beziehungen. Darüber hinaus bietet die Kooperation die Chance, auf der Basis der bestehenden bilateralen Kontakte gemeinsame Kooperationen mit dritten
Ländern aufzubauen.
Die offizielle Auftaktveranstaltung des Wissenschaftsjahres am 7. und 8. April in Berlin mit einem klassischen
Konzert, einem Festakt und einem Symposium mit je
20 deutschen und israelischen Nachwuchswissenschaftlern verschiedener Fachbereiche zum Thema des Wissenschaftsjahres „Wissenschaft als Diplomatie des Vertrauens“ war ein großer Erfolg. Damit konnte eine Serie von
Veranstaltungen eingeleitet werden, die die Vielfalt und
Exzellenz der deutsch-israelischen Kooperation in Bildung und Forschung, Wissenschaft und Technologie öffentlich sichtbar machten.
Das Albert-Einstein-Zentrum an der Hebräischen
Universität Jerusalem, das im Zusammenhang mit dem
Einsteinjahr 2005 gegründet wurde, präsentierte sich
zum Beispiel vor kurzem an der Humboldt-Universität bei
der Veranstaltung „Einstein revisits Humboldt“. Wissenschaftler beider Länder hatten in vier verschiedenen
fachspezifischen Workshops die Gelegenheit, Kooperationsmöglichkeiten mit Fachkollegen auszuloten.
Die Schwerpunkte der fruchtbaren Zusammenarbeit
liegen bei Projekten in der Gesundheits- und Umweltforschung und in den Geistes- und Kulturwissenschaften.
Gerade bei der gemeinsamen Umweltforschung soll
mit den israelischen Partnern intensiv geprüft werden, ob
die im Rahmen der Zusammenarbeit gewonnenen vielfältigen Ergebnisse und Lösungskonzepte, zum Beispiel bei
der Wasserforschung, an die Bedürfnisse von Entwicklungs- und Schwellenländern angepasst werden können,
und ob sich hieraus Möglichkeiten zur gemeinsamen Kooperation mit diesen Ländern ergeben. Ausgehend von
der Kooperation auf dem Gebiet des Wassermanagements gilt es weitere Forschungsthemen mit regionalem
Charakter in die multilaterale Zusammenarbeit einzubeziehen, wie zum Beispiel die Entwicklung von Konzepten
für eine nachhaltige Landnutzung und für die Bekämpfung der Desertifikation sowie die Erforschung und Erhaltung der Biodiversität der Region. Sollten sich hier
unsere Hoffnungen erfüllen, werden wir einen großen
Schritt auf dem Weg zur sicheren Versorgung mit Wasser
in Entwicklungsländern beschreiten, vielen Menschen ein
gesünderes und besseres Leben bzw. Überleben sichern
und einen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung leisten
können.
Mit der zivilen Sicherheitsforschung wird gerade ein
neues, viel versprechendes Kooperationsfeld angestoßen.
Auch Nachwuchswissenschaftler werden zukünftig stärker in die Kooperation eingebunden werden, um für dauerhafte Kontinuität und Nachhaltigkeit in den deutsch-israelischen Beziehungen zu sorgen. Die Bedeutung einer
besonderen Förderung von Nachwuchswissenschaftlern,
insbesondere die erstmalige Auslobung eines Förderpreises für leistungsstarke deutsch-israelische Teams von
Nachwuchswissenschaftlern, kann von daher gar nicht
hoch genug geschätzt werden.
Das Wissenschaftsjahr war Anlass für zahlreiche Impulse. Gerade im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften kann die Kooperation durch neue Instrumente
und Institutionen belebt werden. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Zusammenarbeit von Nachwuchswissenschaftlern beider Länder.
Die Einrichtung eines Minerva Humanities Center
wird die Kooperation in den Geistes- und Kulturwissenschaften stärken und beleben. Dessen Gründung wurde
anlässlich der ersten Deutsch-Israelischen Regierungskonsultationen im März 2008 angeregt. Die Gründung eines Jungen Kollegs der Geisteswissenschaften wird auch
die junge Generation verstärkt in den wissenschaftlichen
Dialog einbinden. Es wird in den nächsten fünf Jahren
speziell der Nachwuchsausbildung dienen und soll für
Studierende aller Universitäten offen sein, einen interdisziplinären Ansatz haben. Young Scientists sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Forschungsarbeiten gemeinsam
mit Senior Scientists durchzuführen.
Angesichts der schwierigen Situation, in der sich die
Geistes- und Kulturwissenschaften in der Kooperation
befinden, sind weitere besondere Maßnahmen insbeson19912
Axel E. Fischer ({0})
dere zur Förderung des Nachwuchses erforderlich. Der
Nachwuchswissenschaftlerpreis ARCHES ({1}), der
wechselnd in den Geistes- und Kulturwissenschaften, den
Natur- und Ingenieurwissenschaften und in den Lebenswissenschaften vergeben wird, wurde dieses Jahr an ein
junges geisteswissenschaftliches Forscherteam verliehen.
Damit die Tatkraft und der Enthusiasmus der jungen
Wissenschaftler sich frei entfalten und Früchte erbringen
können, werden wir uns dafür einzusetzen, dass die grenzüberschreitende Arbeit der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler im Rahmen multilateraler Projekte durch
die zuständigen Behörden erleichtert wird. Wenn nötig
werden wir hierzu einen runden Tisch mit allen beteiligten Partnern einrichten und zu Rate ziehen. Es gilt, mit
unseren langfristig angelegten Maßnahmen die Impulse
des Wissenschaftsjahres über das Jahr 2008 hinaus wirken zu lassen und dazu beizutragen, die dauerhafte Tragfähigkeit der deutsch-israelischen Kooperation zu sichern.
Neben der Auftaktveranstaltung in Berlin, siehe Newsletter 1, veranstalteten die wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt Heidelberg - DKFZ, Uni, Hochschule
für Jüdische Studien - und die Stadt Heidelberg, die eine
Städtepartnerschaft mit Rehovot unterhält, am 17./18.
Juli das Symposium „Heidelberg-Israel, Science and
Culture“, das die intensiven Kontakte Heidelbergs mit Israel feierte. Am Festakt nahm auch die Bundesministerin
für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan teil.
Vom 21. bis 25. September veranstalteten die israelischen und deutschen Mitglieder der Internationalen Liga
gegen Epilepsie in Berlin den 8. Europäischen Epilepsiekongress, der vom Parlamentarischen Staatssekretär bei
der Bundesministerin für Bildung und Forschung
Thomas Rachel eröffnet wurde. Dieser Kongress hat die
Bedeutung der deutsch-israelischen Kooperation in den
Neurowissenschaften hervorgehoben, auch auf multilateraler Ebene.
Im Deutsch-Israelischen Jahr der Wissenschaft und
Technologie 2008 müssen neue Impulse für die Zusammenarbeit gesetzt werden.
Wissenschaft lebt davon, dass sie Grenzen überschreitet, und das nicht nur in ihrem Fach. Auch dass unsere Beziehungen zu Israel heute, fast 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, wieder sehr eng und freundschaftlich sind,
verdanken wir zum großen Teil der Wissenschaft.
Es waren engagierte Wissenschaftler, die schon in den
50er-Jahren vor allen anderen unsere Völker wieder zum
Gespräch zusammenbringen konnten, und dies war lange
vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahre
1965. Nach zahlreichen Vorgesprächen reisten im Jahre
1959 Otto Hahn, Wolfgang Gentner und Feodor Lynen
von der Max-Planck-Gesellschaft erstmals zum Weizmann Institute of Science in Rehovot, und bereits ein Jahr
später begannen die Institute, gemeinsam an konkreten
Projekten zu arbeiten. Diese Zusammenarbeit wurde
1964 vertraglich besiegelt, und sie bildete die Basis für
die zahlreichen Programme und Forschungszentren der
Minerva-Stiftung, die in der Folge entstanden. Sie sind
nun schon seit über 40 Jahren eine zentrale Säule der
deutsch-israelischen Forschungskooperation und erfüllen höchste wissenschaftliche Ansprüche: bei der Projektförderung in der Grundlagenforschung, zum Beispiel
der Krebsforschung, in den 37 Minerva-Exzellenzzentren
in Israel und bei der Nachwuchsförderung durch das Minerva-Stipendienprogramm.
Nach Minerva kamen weitere wichtige Eckpfeiler der
Kooperation hinzu. So startete 1996 das Programm
Deutsch-Israelische Projektkooperation, DIP, zur Bearbeitung hoch aktueller Fragestellungen, zum Beispiel in
der Alzheimerforschung, in der Mikrostrukturphysik und
in der Biochemie. Das DIP-Program wird seit 2008 von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft betreut. Die Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2004 an Professor
Aaron Ciechanover vom Technion in Haifa unterstreicht
die hohe Qualität der Forschung im Rahmen von DIP,
denn das Projekt, für das er ausgezeichnet wurde, wurde
von DIP mitgefördert.
Ein weiteres wichtiges Flaggschiff der deutsch-israelischen Zusammenarbeit ist die Deutsch-Israelische Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung,
GIF, die in einer hochrangig besuchten Festwoche vom
16. bis 21. November 2008, an der auch Bundesministerin Schavan teilnimmt, ihren 20. Geburtstag feiert. Deshalb möchte ich die Arbeit von GIF an dieser Stelle besonders würdigen. Die Idee zu dieser gemeinsamen
Stiftung entstand in den 80er-Jahren. Schimon Peres
schlug Helmut Kohl zunächst vor, eine Industriestiftung
nach amerikanischem Vorbild zu gründen, was jedoch einige Komplikationen wegen der Nähe der israelischen Industrie zum Militär bedeutet hätte. Wir konnten Herrn
Peres schließlich von den Vorteilen einer rein zivilen Forschungsstiftung überzeugen.
In einer gemeinsamen Stiftung für bilaterale Kooperationsprojekte der Wissenschaft sollten Partner aus beiden
Ländern zusammengeführt werden, über das gesamte
Spektrum der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Das eingezahlte Kapital sollte von beiden
Ländern zu gleichen Teilen aufgebracht werden und dauerhafte Planungssicherheit gewährleisten. Gemeinsam
mit Gideon Patt, dem damaligen israelischen Forschungsminister, haben wir dieses einzigartige Projekt
aufgebaut. Unser damaliger Finanzminister Gerhard
Stoltenberg, der sich als früherer Forschungsminister der
Wissenschaft ebenso herzlich verbunden fühlte, wie er
sich immer für das deutsch-israelische Verhältnis eingesetzt hat, hat damals unter großen Schwierigkeiten Haushaltsmittel für die Stiftungsgründung bereitgestellt.
Und endlich konnten wir 1988 unser Board of
Governors gemeinsam benennen: Die ersten Mitglieder
auf deutscher Seite waren Prof. Ernst Biekert, Prof. Hans
Weidenmüller und Prof. Hubert Markl; letzterer war damals Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft
und Vizepräsident der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Für den Erfolg von GIF war es sehr wichtig, dass sie von
unseren großen Forschungsorganisationen mitgetragen
Zu Protokoll gegebene Reden
wurde, dass wir hoch angesehene Wissenschaftler für die
Mitarbeit gewinnen konnten, und dass bei der Auswahl
der Projekte neben wissenschaftlicher Exzellenz und der
engen Zusammenarbeit von deutschen und israelischen
Forschern auch die Aktualität der Fragestellungen und
die Nutzbarkeit der Forschungsergebnisse für beide Seiten die wesentlichen Kriterien waren und sind.
Schon in den allerersten Jahren wurde die große
Spannweite der Themen deutlich, die GIF unterstützt hat.
Besonders stark waren zunächst Projekte aus dem Bereich der Lebenswissenschaften vertreten, aus der Biotechnologie und aus der Landwirtschaft, um neue Methoden und Pflanzen für den schwierigen Anbau in ariden
Gebieten zu finden. Ebenso hervorzuheben sind dann die
Projekte aus der Gesundheitsforschung, die uns in der
Behandlung von Krebs weitergebracht haben. Dazu kommen die gemeinsamen Ausgrabungen bei Gath zur Erforschung der alten Kultur der Philister sowie die Projekte
zur Herstellung neuer Materialien mithilfe von Nanoröhren. Deutsche und israelische Wissenschaftler werden im
Rahmen der GIF-Förderung auch gemeinsam an Projekten im größten Teilchenbeschleuniger der Welt am CERN
in Genf, dem Large Hadron Collider, mitarbeiten.
Die statistische Erfolgsbilanz von GIF ist beeindruckend. Über 2 000 Wissenschaftler aus Israel und aus
Deutschland haben bis heute eine eindrucksvolle Vielfalt
exzellenter Arbeiten vorgelegt und rund 1 000 Kooperationsprojekte vorangebracht. Hinzu kommt das im Jahr
2000 ins Leben gerufene Nachwuchsförderprogramm für
junge Wissenschaftler, das bisher rund 200 Forschertalente gefördert hat. Rund 165 Millionen Euro hat GIF bis
heute insgesamt für die Wissenschaft zur Verfügung gestellt, aus einem Stiftungskapital von heute 211 Millionen
Euro. Diese hervorragende Bilanz ist ganz wesentlich
auch Dr. Amnon Barak zu verdanken, der seit 20 Jahren
die Geschäfte der Stiftung mit großem Engagement führt.
Bereits seit 1973 arbeiten auch die Forschungsministerien beider Länder und das israelische Wirtschaftsministerium sehr eng zusammen. Sie fördern nicht nur gemeinsame akademische Spitzenforschung, sondern auch
anwendungsorientierte Kooperationsprojekte zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft. Von großer Bedeutung sind
dabei die Projekte zur besseren Nutzung der knappen
Wasserressourcen in der Region, bei denen nicht nur
deutsche und israelische Wissenschaftler zusammenarbeiten, sondern auch jordanische und palästinensische
Forscher und Forschungsinstitutionen beteiligt sind. So
leistet die Wissenschaft nicht nur einen wichtigen Beitrag
zur Lösung der Umweltprobleme in der Region, sondern
sprengt einmal mehr politische und psychologische Grenzen. Sie schlägt eine Brücke der Verständigung zwischen
den Völkern und kann mithelfen, den Weg für den Frieden
für die Menschen in diesem Krisengebiet zu bereiten.
Neben den großen Eckpfeilern der Kooperation gibt es
zahlreiche weitere Formen der Zusammenarbeit mit Israel, nicht nur bei den großen Forschungsorganisationen. So gibt es rund 70 Hochschulpartnerschaften, zum
Beispiel aus Hessen zwischen der Goethe-Universität
Frankfurt und den Universitäten in Jerusalem und Tel
Aviv und zwischen der Universität Kassel und der BarIlan Universität. Der DAAD und die Alexander von Humboldt-Stiftung vergeben Forschungsstipendien an Forscher und Nachwuchswissenschaftler. Die in Israel tätigen privaten Stiftungen wie die Volkswagen-Stiftung
fördern auf vielfache Weise den Wissenschaftleraustausch und den Aufbau neuer Forschungsinstitute. Auch
die politischen Stiftungen vor Ort - die KonradAdenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die
Friedrich-Naumann-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung
und die Heinrich-Böll-Stiftung - arbeiten eng mit Universitäten und Wissenschaftlern aus Deutschland und Israel
zusammen. Es ist äußerst erfreulich zu sehen, dass die inzwischen fast 50 Jahre währende deutsch-israelische
Wissenschaftskooperation heute so vielfältig und breit
angelegt ist, dass man sie kaum noch überblicken kann:
Ja, es ist schwer, überhaupt ein Gebiet zu finden, auf dem
wir nicht zusammenarbeiten.
Dennoch bleibt Raum für weitere Verbesserungen, den
wir nutzen müssen. Das deutsch-israelische Jahr der Wissenschaft 2008, das unsere Forschungsministerin
Annette Schavan und der israelische Forschungsminister
Galeb Majadle im sechzigsten Jahr nach der Staatsgründung Israels ausgerufen haben, würdigt deshalb nicht nur
die bisherigen Erfolge, sondern setzt auch zahlreiche
neue Zeichen für die Zukunft.
Wir wollen und müssen die fruchtbare Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung mit Israel auch künftig auf hohem Niveau fortsetzen und erweitern. In unserem Antrag, den wir heute hier einbringen, machen wir
noch einmal deutlich, worum es dabei vor allem geht. Israel und Deutschland gehören als Hightech-Nationen
heute zu den führenden Wissenschaftsnationen der Welt,
wobei ich gerne auf den Ruf Israels als „Silicon Valley of
the Middle East“ hinweise. Eine enge Zusammenarbeit
ist für beide Staaten essenziell, wie auch für unsere Wettbewerbsfähigkeit in der globalisierten Wissensgesellschaft, in der nur Innovationen der Garant für sichere Arbeitsplätze und Wohlstand sein können. Gleichzeitig
wollen wir die deutsch-israelische Wissenschaftskooperation noch stärker als bisher darauf ausrichten, eine
Antwort auf aktuelle und künftige Herausforderungen zu
finden: auf die alternde Gesellschaft, den Klimawandel,
die Energieverknappung, den internationalen Terrorismus und letztendlich auch auf die Frage der Friedenssicherung im Krisengebiet Nahost.
Deshalb wollen wir vor allem die gemeinsame anwendungsorientierte Forschung verstärken, besonders in der
Gesundheitsforschung und in der Energieforschung, darüber hinaus in der zivilen Sicherheitsforschung, um
Menschen und wichtige Infrastrukturen vor terroristischen Angriffen besser schützen zu können. Durch eine
intensivere Zusammenarbeit in den Geisteswissenschaften wollen wir zudem die traditionellen Verbindungen
zwischen Deutschland und Israel weiter stärken; das
neue Minerva-Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften kann dazu einen großen Beitrag leisten. Wir
wünschen uns auch die noch stärkere Einbeziehung von
Wissenschaftlern aus den palästinensischen Autonomiegebieten und den Nachbarstaaten Israels in die gemeinsamen Projekte. Denn der direkte Kontakt von Mensch zu
Mensch, die gemeinsame Arbeit und gemeinsame Ziele
Zu Protokoll gegebene Reden
sind immer noch der beste Weg, Vorurteile und Vorbehalte abzubauen und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.
Ganz besonders wichtig ist und bleibt die Aufgabe, die
Zusammenarbeit von Nachwuchswissenschaftlern beider
Länder noch mehr zu intensivieren. Das Kapital unserer
beiden Staaten liegt vor allem in den Köpfen der Menschen, und unsere Zukunft liegt in den Händen junger
Wissenschaftler, in ihrem neuen Denken und in ihrem frischen Geist. Wir unterstützen die neuen Impulse der Bundesregierung für die Forschungskooperation mit Israel
voll und ganz. Diese Zusammenarbeit hat sich seit ihren
Anfängen in den 50er-Jahren über alle Erwartungen hinaus glanzvoll entwickelt und viele Grenzen überschritten.
Wir brauchen auch in Zukunft viele engagierte Wissenschaftler in Deutschland und Israel, die inspirierende
Antworten auf drängende Zeitfragen finden und dabei
helfen, die besonderen Beziehungen unser Völker weiter
zu vertiefen und auch in der Krisenregion Nahost eine
Brücke der Verständigung zu bauen. Wir brauchen die
Kreativität und den zuversichtlichen Geist der Wissenschaft, um in unserer begrenzten und gefährdeten Welt die
Zukunft zu erfinden, für unsere Völker und als unseren
Beitrag zur gemeinsamen Zukunft der Menschheit.
Am letzten Wochenende jährte sich zum 70. Mal der
Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht. In dieser
Nacht im Jahre 1938 zeigte sich für alle Welt deutlich die
hässliche Fratze des deutschen Nationalsozialismus.
Aber die Diskriminierung von jüdischen Mitbürgerinnen
und Mitbürgern im Deutschen Reich wurde bereits mit
der Machtergreifung Hitlers 1933 institutionalisiert. Dies
betraf natürlich auch die vielen jüdischen Wissenschaftler in Deutschland.
Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933, das die Entlassung von
„regimekritischen“ Beamten vorsah, setzte in den wissenschaftlichen Institutionen eine Entlassungswelle ein,
von der etwa 20 Prozent der Universitätsangestellten betroffen waren. Dies führte dazu, dass so renommierte jüdische Wissenschaftler wie Albert Einstein, Theodor W.
Adorno oder Victor Klemperer entlassen wurden und
meist emigrierten. Viele weniger bekannte Wissenschaftler jüdischen Glaubens verloren aber nicht nur Ihre Arbeitsstellen, sondern später auch ihr Leben.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, dass bereits Ende der 50er-Jahre eine erste offizielle Delegation der Max-Planck-Gesellschaft, MPG,
vom Weizmann Institut, WIS, nach Israel eingeladen
wurde. Der Kontakt zwischen der MPG und dem WIS
markierte den Beginn einer kontinuierlichen und langfristigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit beider
Länder und trug wesentlich zum Aufbau der Beziehungen
zwischen Israel und Deutschland bei. Besiegelt wurde die
Kooperation zwischen der MPG und dem WIS endgültig
mit dem bis heute geltenden Minerva-Vertrag von 1964.
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Israel sollte erst ein
Jahr später, 1965, folgen. Seitdem hat sich die wissenschaftliche Kooperation ständig verstärkt. Neben dem
Minerva-Vertrag ist dabei insbesondere die DeutschIsraelische Stiftung für wissenschaftliche Forschung und
Entwicklung, GIF, zu nennen. Diese 1986 von beiden
Regierungen gegründete Stiftung fördert jährlich mittlerweile circa 40 Projekte. Anträge können dabei nur von
israelischen und deutschen Forschern gemeinsam eingereicht werden. Unsere SPD-Bundesforschungsministerin
Edelgard Bulmahn hat sich Anfang 2000 insbesondere
für das heutige Nachwuchswissenschaftlerprogramm bei
GIF eingesetzt. Allein bis 2006 wurden hierdurch
164 Nachwuchsprojekte gefördert.
Israel besitzt heute eine exzellente Wissenschaftslandschaft. Mit Ausgaben um die 4,65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, BIP, gibt es prozentual weltweit den
höchsten Betrag für Forschung und Entwicklung aus. Ein
sichtbarer Erfolg dieser Gelder sind die vier Israelis, die
bisher einen Nobelpreis für wissenschaftliche Erkenntnisse erhalten haben.
Israel ist assoziiertes Mitglied beim 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union und kann somit
an den aktuellen Programmen teilnehmen. Dieses Jahr
hat Israel zum Beispiel 24 erfolgreiche Bewerbungen um
finanzielle Förderung beim Europäischen Forschungsrat
für Grundlagenforschung erhalten. Pro Einwohner sowie
gemessen am BIP steht es damit unter allen Bewerbernationen auf Platz eins, weit vor Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Auch dieser Erfolg zeigt, wie
exzellent die israelische Forschung ist.
Letztes Jahr konnte ich, zusammen mit einigen Kollegen, bei einer Ausschussreise vor Ort einige Forschungsstrukturen besichtigen. Besonders beeindruckt hat mich
dabei die deutsch-israelische Zusammenarbeit im Bereich der Wassertechnologie und Umweltforschung.
Israel ist ein wasserarmes Land. Deshalb unterstützt
Deutschland Vorhaben, die die Verfügbarkeit und Qualität von nutzbarem Wasser erhöhen und verbessern. Hierbei wird vermehrt auch mit israelischen Nachbarstaaten
zusammengearbeitet.
So besuchten wir zum Beispiel das multilaterale
BMBF-Projekt zum integrierten Wassermanagement am
Totem Meer. An diesem durch das BMBF finanzierten
Projekt arbeiten deutsche, israelische, jordanische und
palästinensische Wissenschaftler zusammen. Dies ist ein
gutes Beispiel dafür, dass scheinbar unüberbrückbare
staatliche Gegensätze auf der Wissenschaftsebene viel
leichter überwunden werden können.
Neben dem Wassermanagement gibt es weitere Bereiche, die ein gemeinsames Problem für die gesamte Region darstellen und nachhaltig nur multilateral bearbeitet werden können. In unserem Antrag haben wir als
mögliche wissenschaftliche Kooperationsprojekte deshalb eine nachhaltige Landnutzung, die Zurückdrängung
der Desertifikation und die Erhaltung der Biodiversität
der Region genannt.
Ich freue mich, dass die heutige Leitung des BMBF den
von Bundesforschungsministerin Bulmahn eingeschlagenen Weg der verstärkten Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus Israel und
Zu Protokoll gegebene Reden
Deutschland besondere Bedeutung beimisst. Die Auslobung eines Förderpreises für leistungsstarke deutschisraelische Teams steht damit auch in einer sozialdemokratischen Tradition.
Daniel Barenboim hat mit seinem West-Eastern Divan
Orchestra im Bereich der Musik vorgemacht, wie wichtig
und erfolgreich die Zusammenarbeit zwischen jungen
Menschen verschiedener Kulturen und Religionen ist.
Man sollte meiner Meinung nach deshalb prüfen, ob die
bestehenden Förderungen nicht auch auf Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den Nachbarländern Israels ausgeweitet werden könnten.
Trotz unserer gemeinsamen leidvollen Geschichte ist
Deutschland mittlerweile ein wichtiger Partner Israels.
In der wissenschaftlichen Zusammenarbeit stehen wir
hinter den USA auf Platz zwei. Gleichzeitig haben wir ein
hohes Ansehen bei den arabischen Ländern der Region.
Dies ist eine Chance, die wir verstärkt nutzen sollten.
Denn so wie die deutsch-israelische wissenschaftliche
Zusammenarbeit zur Versöhnung unserer beiden Länder
beigetragen hat, so hoffe ich, dass die wissenschaftliche
Zusammenarbeit zwischen Israel und seinen Nachbarn
ebenfalls zu einer stärkeren Annäherung beitragen wird.
Wissenschaft kann Brückenbauer sein! Im Hinblick auf
den Nahen Osten fühlen wir uns diesem Motto als Sozialdemokraten auch weiterhin verpflichtet.
Mir wurde im Dezember vergangenen Jahres die Ehre
zuteil, an einer Reise des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung nach Israel teilzunehmen. Das, was ich auf dieser Reise gesehen habe, die
Menschen und ihre Leistungen, die ich kennenlernen
durfte, haben bei mir einen starken und bleibenden Eindruck hinterlassen. Doch - das sei mir an dieser Stelle gestattet zu sagen - ich wundere mich über den uns heute
vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen schon.
Soll der Antrag - postum sozusagen - das bereits am
8. April dieses Jahres von Dr. Annette Schavan und ihrem
israelischen Amtskollegen Raleb Majadele eingeleitete
Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008 öffentlich machen? Das würde ich insofern verstehen, als dass dieses Ereignis bis dato weitgehend von
der Öffentlichkeit unbemerkt blieb.
Das Datum der Antragstellung scheint allerdings geeignet, heute an den Neubeginn deutsch-jüdischer Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologieförderung
vor jetzt fast schon 50 Jahren zu erinnern. Zu einem sehr
frühen Zeitpunkt hat sich die Wissenschaft als Diplomatie
des Vertrauens erwiesen. Die Rolle der Max-Planck-Gesellschaft und des israelischen Weizmann Institut of
Science wurden im Antrag gewürdigt. Das ist den Verfassern zwar spät, nicht zu spät und gerade noch rechtzeitig
eingefallen.
Doch warum werden, wo das Bergfest des Wissenschaftsjahres längst hinter uns liegt, erst jetzt neue Impulse von den Regierungsfraktionen gefordert? Oder
setzte die Bundesregierung gar die falschen, indem sie
stärkere anwendungsorientierte Forschungskooperationen forderte? Der Fokus lag bislang auf der Zusammenarbeit deutscher und israelischer Wissenschaftseinrichtungen. Die Schwerpunkte des Jahres 2008 sind die
Medizinwissenschaften, die Umweltforschung und die zivile Sicherheitsforschung. Durchgerührt werden Projekte
im Bereich der Trinkwasserüberwachung und der Detektion von chemischen, biologischen und explosiven Gefahrstoffen sowie der Schutzsysteme von Rettungskräften.
Doch das besondere Augenmerk des Wissenschaftsjahres liegt auf der Zusammenarbeit von Nachwuchswissenschaftlern beider Länder, um die sehr guten Forschungsbeziehungen zwischen Deutschland und Israel
auch in der nächsten Generation fortsetzen zu können.
Erstmals gibt es einen Förderpreis für zwei leistungsstarke deutsch-israelische Teams von Nachwuchswissenschaftlern in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ein
Meilenstein des Wissenschaftsjahres ist ein neues, mit
2 Millionen Euro Stiftungskapital ausgestattetes Minerva-Zentrum für Geistes- und Kulturwissenschaften.
Ich glaube, wir stehen hier in einer guten Kontinuität.
Die Koalition möchte pünktlich zum Ende des
Deutsch-Israelischen Wissenschaftsjahres 2008 die Aktivitäten bundesdeutscher Wissenschaftseinrichtungen und
anderer beteiligter Institutionen mit einem eigenständigen Antrag im Bundestag begleiten - nein sie will, ich zitiere, „neue Impulse für die Zusammenarbeit setzen“.
Das ist doch begrüßenswert. Zumal sie sich auch auf eine
anlässlich dieses Jahres veröffentlichte 72-seitige Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung stützen kann. Welch glückliches Zusammentreffen!
Schaut man sich die Zusammenarbeit zwischen beiden
Ländern genauer an, dann stellt man sehr schnell fest,
dass über die Jahre gemeinsames Forschen auf Augenhöhe betrieben wurde und dieser Austausch heute zum
wissenschaftlichen Alltag gehört. Das war nicht immer
so.
Ein kurzer Blick auf die lange und widersprüchliche
Vorgeschichte scheint mir daher notwendig. Ausgangs
des 20. Jahrhunderts gelang jüdischen Intellektuellen,
die zugleich eine Staatsgründung unterstützten, die Gründung einer hebräischen Universität in Jerusalem. Sie
sollte geistiges, kulturelles und wissenschaftliches Zentrum für die neu entstehende jüdische Gesellschaft sein.
Und sie war zu Teilen natürlich auch eine Reaktion auf
eine Jahrhunderte währende Geschichte von Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Menschen - auch auf deutschem Staatsgebiet. Dort
verschärften sich diese Tendenzen in den Zwanziger- und
Anfang der Dreißigerjahre unerträglich. In der systematischen Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen während der Zeit des deutschen Faschismus fanden
sie ihren unfassbaren Höhepunkt. Wer noch konnte, verließ Deutschland. Vielen jüdischen Intellektuellen wurde
diese Hebräische Universität Jerusalem neuer geistiger
Zufluchts- und Arbeitsort. Diese wie andere israelische
Wissenschaftseinrichtungen sind in ihrer Gründung und
Entwicklung beeinflusst von Erfahrungen jüdischer IntelZu Protokoll gegebene Reden
lektueller und - wie man heute sagen würde - Spitzenforscher, die zuvor an deutschen Universitäten oder der
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als der Vorläuferin der
Max-Planck-Gesellschaft geforscht und gelehrt hatten.
Die aktive Beteiligung ihrer vormaligen Kolleginnen und
Kollegen an der Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden,
auch in ihren eigenen Instituten, an Rassenpolitik und
„Volk-ohne-Raum“-Wahn, an Kriegswirtschaft und Kolonialismus sollte uns heute mahnen, die Freiheit der
Forschung zwingend als sozial kontextualisierten Wert zu
begreifen.
Man kann sich noch heute sehr lebendig vorstellen,
wie unglaublich schwierig die Voraussetzungen für gemeinsame Wissenschaftskontakte gewesen sein müssen.
Sieben Jahre nach dem Luxemburger Abkommen zur Annäherung von Deutschland und Israel begannen 1959
wissenschaftliche Kontakte über die Max-Planck-Gesellschaft. Aus meinen Gesprächen in Israel weiß ich, dass es
dazu auch heftige Diskussionen in der gesellschaftlichen
Öffentlichkeit Israels gegeben hat. Da erst 1965 diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern aufgenommen wurden, stimmt wohl die Einschätzung, dass die Wissenschaft einen ganz maßgeblichen Anteil an der
Vertrauensbildung hatte. Diese Rolle hat sie nie verloren.
So beteiligen sich heute auch jordanische und palästinensische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den
Forschungsprojekten. Zudem ist Israel durch die Zusammenarbeit mit Deutschland erfolgreich in die Forschungsrahmenprogramme der EU integriert und stellt
mit einem Ausgabenanteil von 4,8 Prozent des BIP für
Forschung und Entwicklung anderen Ländern echte Herausforderungen. Wenn man dann noch weiß, dass es
über die weltweit höchste Wissenschaftler- und Ingenieurdichte gemessen an der Bevölkerung verfügt, dann
wird klar, warum ich eingangs gesagt habe, dass hier in
der Tat Forschungszusammenarbeit auf Augenhöhe betrieben wird.
Die Zuwanderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus osteuropäischen und insbesondere
Staaten der früheren Sowjetunion hat weitere inhaltliche
und qualitative Marken setzen können. Das wäre im
Übrigen mit Einwanderungsregelungen bundesdeutscher
Prägung undenkbar gewesen! Auch da könnte die Koalition etwas lernen.
Im Umfeld dieses Wissenschaftsjahres wird betont,
dass man sich stärker anwendungsorientierter Forschung zuwenden will. Damit wird dem selbst gesetzten
und allgemeinen Trend in der Ausrichtung von Wissenschaft und Forschung gefolgt. Und so wundert es nicht,
wenn in Israel die Namen derselben großen deutschen
Firmen als Kooperationspartner auftauchen, die auch
schon maßgeblich von der Hightech-Strategie der Bundesregierung profitieren. Ich will das auch bei dieser Gelegenheit kritisch anmerken. Und in Israel treffen diese
Unternehmen dann auch noch auf andere, bessere Finanzierungspotenziale ausländischer Investoren, insbesondere in Bezug auf die Mobilisierung von Wagniskapital.
Nun hebt Ministerin Schavan den besonderen Schwerpunkt Geistes- und Kulturwissenschaft hervor. Dazu soll
ein weiteres Minerva-Zentrum gegründet werden. Es soll
der Reflexion von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
dienen und der Politik Handlungsoptionen aufzeigen.
Das ist spannend, weil die konkrete Ausrichtung noch
offen ist. Und gespannt bin ich auch darauf, wie wissenschaftliche Erkenntnisse bereits arbeitender Kooperationszentren dieser Prägung, beispielsweise des Verbundprojektes „Migration und soziale Integration“, in Israel
aufgenommen werden. Ich wünschte mir dabei auch Anregungen, für das Leben in Deutschland bestehender
oder auch im Aufbau befindlicher jüdischer Gemeinden
und für die Integrationsarbeit in ihren Kommunen. Israel
hat schließlich umfangreiche Integrationserfahrungen,
wenn es darum geht, neue soziale Perspektiven zu öffnen.
Dass sich insgesamt vor allem wissenschaftlicher
Nachwuchs vernetzen und kontinuierlich kooperieren
soll, kann nur begrüßt werden. Ich hoffe aber zugleich,
dass dabei vorbereitend auch noch mehr Studierende angesprochen werden. Die Erfahrungsberichte aus der Broschüre des Ministeriums zeigen ja sehr eindrücklich, wie
prägend die Aufenthalte im jeweils anderen Land waren.
Der Bereich ziviler Sicherheitsforschung soll erstmalig durch gemeinsame Verbundprojekte in die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel aufgenommen
werden. Ganz abgesehen davon, dass in absehbarer Zeit
ein Zwischenbericht zu Inhalt und Stand dieses Programmteils notwendig ist, sollten vor dem Hintergrund
von Forschungen auf geistes- und kulturwissenschaftlichem Gebiet auch deren Erkenntnisse sowie Lösungsansätze entlang der ethnischen, religiösen und sozialen
Konfliktlinien in Israel mit diesen Programmteil vernetzt
werden. Fragwürdig erscheint uns daher, wenn die Bundesregierung mit Israel sogenannte neue Sicherheitsprodukte zur Umsetzung von Wettbewerbsvorteilen auf internationalen Hochtechnologiemärkten anstrebt. Gerade
der Nahe Osten und das Beispiel Israel zeigen doch, dass
Sicherheit mit noch so hoch technisierten Systemen nicht
produzierbar ist, wenn die zivile Konfliktlösung versagt.
Unsere Priorität liegt darauf, dass Sicherheitsforschung
ihren Namen nur verdient, wenn sie nicht einseitig auf
Abschottung setzt, sondern nachhaltige Konfliktlösungsstrategien entwickelt. Im Fall Naher Osten muss sie konkret auf eine Stärkung des Friedensprozesses ausgerichtet werden. Diesem Ziel sollte sich alles andere
unterordnen.
Die Linke unterstützt ausdrücklich die Ausweitung der
Zusammenarbeit mit Israel - hier konkret in Wissenschaft
und Forschung. Lassen Sie mich sinngemäß mit den Worten von Dr. Uwe Bovensiepen, einem Young-ScientistStipendiaten schließen. Durch klug gestaltete und geförderte Programme lassen sich historische Gräben überwinden und ein vielversprechendes Potenzial für die Zukunft entwickeln.
Die Pflege, der Ausbau und die Vertiefung der deutschisraelischen Beziehungen haben für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen zentralen politischen
Stellenwert. Hier im Bundestag haben wir gemeinsam
- Regierung und Opposition - vor nicht langer Zeit, den
Zu Protokoll gegebene Reden
Priska Hinz ({0})
60. Geburtstag des Staates Israel gewürdigt. Unsere Beziehungen zu Israel sind sehr gut, fest und lebendig.
1965 hat Deutschland mit dem Staat Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Dies wurde nicht zuletzt
deshalb möglich, weil auf dem Gebiet der Wissenschaften
viele Jahre vorher erste Kontakte und Kooperationen
zwischen unseren beiden Ländern entstanden. Die MaxPlanck-Gesellschaft und das israelische Weizmann Institute of Science spielten dabei eine zentrale Rolle. Dies
unterstreicht einmal mehr, welche segensreiche Kraft
wissenschaftliche Kooperation und internationaler Austausch für Verständigung, Freundschaft und Fortschritt
in dieser Welt entfalten können.
Heute blicken wir auf viele Jahre vielfältiger und erfolgreicher Zusammenarbeit zwischen Deutschland und
Israel auf ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Gebieten, beispielsweise der Gesundheitsforschung, zurück.
Nun gilt es diese fruchtbare Kooperation zu pflegen und
weiter auszubauen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
begrüßt daher nachdrücklich, dass 2008 zum Jahr der
Deutsch-Israelischen Wissenschaft und Technologie ausgerufen wurde.
Die Auslobung eines Förderpreises für leistungsstarke
deutsch-israelische Teams von Nachwuchswissenschaftlern oder die Absicht der Bundesregierung, ein neues Minerva-Zentrum für Geistes- und Kulturwissenschaften in
Israel einzurichten, sind wichtige Impulse für eine vertiefte Zusammenarbeit und finden daher unsere klare Unterstützung.
Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD bringen
nun heute einen Antrag mit dem Titel „Im Deutsch-Israelischen Jahr der Wissenschaft und Technologie neue Impulse für die Zusammenarbeit setzen“ ein. Da stellt sich
die Frage, welche Bedeutung dieses Wissenschaftsjahr
für die Koalitionäre tatsächlich hat. Welchen Monat haben wir? Richtig, November. In welchem Jahr leben wir?
Richtig, im Jahre 2008. Wann wurde das Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaften feierlich eröffnet? Richtig, Anfang April dieses Jahres. Das Deutsch-Israelische
Jahr der Wissenschaft und Technologie ist fast vorbei,
und Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, merken anscheinend erst jetzt, dass es
ein solches überhaupt gibt!
Jetzt sind Sie aufgewacht und wollten noch schnell vor
Ablauf des Jahres etwas ins Parlament einbringen. Das
merkt man Ihrem Antrag leider an: schöne warme Worte,
nichts Konkretes, wachsweiche Forderungen an die Regierung. An Ihrem Antrag ist nicht alles falsch, aber er
enthält nichts, was über die Ankündigungen der Regierung hinaus zusätzliche Impulse setzen würde.
Schauen wir uns exemplarisch eine ihrer Forderungen
an. Sie fordern in ihrem Antrag die Bundesregierung auf,
„vor dem Hintergrund der umfassenden bilateralen und
regionalen Kooperation in Wassertechnologie und -management in der Region von Jordan und Totem Meer und
dem dort anhaltenden Wassermangel, die Zusammenarbeit in diesem Bereich im Rahmen des Möglichen zu vertiefen“.
Die Wasserknappheit ist ein ernstes Problem in dieser
Region. Das sehen wir genauso. Die Zusammenarbeit im
Bereich von Wassertechnologie und Management sollte
vertieft werden. - Auch das halten wir für sinnvoll und
wünschenswert. Aber wozu fordern Sie die Bundesregierung auf? Wollen Sie den Expertenaustausch intensivieren, mehr Geld in die Hand nehmen, Prozesse vor Ort
durch deutsche Fachleute unterstützen? Die einzig konkrete Formulierung ihrer Forderung ist die Zusammenarbeit „im Bereich des Möglichen“ zu vertiefen. Blumiger,
nebulöser, unverbindlicher kann man gar keine Forderung formulieren.
Angesichts der Bedeutung der deutsch-israelischen
Zusammenarbeit im Wissenschaftsbereich kann ich nur
hoffen, dass die Bundesregierung nicht ebenso gestaltungsschwach und ideenlos agieren wird, wie die Koalitionsfraktionen es mit dem vorgelegten Antrag getan haben. Die deutsch-israelische Zusammenarbeit hat mehr
Engagement, Energie und Enthusiasmus verdient!
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10847 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich danke Ihnen, dass Sie so lange ausgehalten und
mitdiskutiert haben.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. November 2008,
9.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.