Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/12/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dabei möchte ich die Kolleginnen ganz besonders hervorheben. Die Sitzung ist eröffnet. Heute ist der 90. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland. Genau heute vor 90 Jahren, am 12. November 1918, verkündete der Rat der Volksbeauftragten in seinem Aufruf an das deutsche Volk: Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen. Damit erlangte das Wahlrecht für Frauen in Deutschland erstmals Gesetzeskraft. Die Verkündung des Frauenwahlrechts durch die zwei Tage zuvor aus der Revolution hervorgegangene Regierung bedeutete die Erfüllung einer Forderung, für die Frauenorganisationen leidenschaftlich und zu Recht viele Jahre gekämpft hatten. Die Gleichberechtigung der Frau und die Einführung des Frauenstimmrechts waren schließlich wesentliche Leitgedanken der Revolutionäre von 1918, die in der Weimarer Republik, der ersten parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden, Realität wurden. Von den insgesamt 421 Sitzen der auf Grundlage des neuen demokratischen Wahlrechts gewählten Nationalversammlung wurden zunächst 36, später 41 Sitze von weiblichen Abgeordneten besetzt. Zu den Parlamentarierinnen der ersten Stunde gehörten unter anderem Gertrud Bäumer und Marie-Elisabeth Lüders, Marie Juchacz und Luise Zietz. Das Zahlenverhältnis von Männern und Frauen im Parlament hat sich über 90 Jahre hinweg verbessert. Bei 32,1 Prozent liegt der Frauenanteil heute im Deutschen Bundestag. Die Auffassung, dass das nicht genug ist, werden die meisten teilen. ({0}) Schließlich ist noch immer nicht jeder zweite Platz des Hauses von einer Frau besetzt. So sollte es aber sein. Die Verwirklichung tatsächlicher Gleichberechtigung von Frau und Mann in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Gesellschaft ist ein langer Weg. Bis heute ist dieses Ziel nicht erreicht. Die Einführung des Frauenwahlrechts war nur ein Schritt auf diesem Weg, gleichwohl ein sehr bedeutsamer. Daher markiert der 12. November 1918 ein historisches Datum, an das wir uns heute nicht ohne Stolz erinnern. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, eine amtliche Mitteilung: Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte am vergangenen Freitag seinen 71. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich ihm und wünsche alles Gute. ({1}) Der Kollege Albert Rupprecht hat sein Amt als Schriftführer niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Paul Lehrieder vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Dazu gratulieren wir Ihnen außerordentlich. ({2}) Interfraktionell ist verabredet worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sebastian Edathy, Gabriele Fograscher, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ ({4}) prüfen - Drucksache 16/10839 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Redetext Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Bahnchef Mehdorn ablösen, Verkehrsminister Tiefensee entlassen, Börsengang der Deutschen Bahn endgültig absagen ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Marieluise Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Historische Chance des VN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nutzen - Drucksache 16/10841 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang der Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 140. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({8}) zur Mitberatung überwiesen werden. Beratung des Antrags der Abgeordneten CarlLudwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Steuererhöhung bei der Erbschaftsteuer Gesetzentwurf zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts zurückziehen - Drucksachen 16/7765 überwiesen: Finanzausschuss ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Der in der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({10}) zur Mitberatung überwiesen werden. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den Reichtum umverteilen - für eine sozial gerechte Reform der Erbschaftsbesteuerung - Drucksache 16/3348 überwiesen: Finanzausschuss ({11}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf: - Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Gremiums gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes - Drucksache 16/10835 - Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes - Drucksache 16/10836 Wir kommen sofort zur Abstimmung. Wer stimmt für den gemeinsamen Antrag auf Einsetzung des Gremiums auf Drucksache 16/10835? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. Das Gremium gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ist damit eingesetzt. Wir kommen zur Wahl der Mitglieder. Wer stimmt für die gemeinsamen Wahlvorschläge auf Drucksache 16/10836? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit sind die Wahlvorschläge einstimmig angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Köhler ({12}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sebastian Edathy, Gabriele Fograscher, Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ ({13}) prüfen - Drucksache 16/10839 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({14}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Daher kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Drucksache 16/10839 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/10802, 16/10834 Zunächst rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Es handelt sich um den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Volker Beck auf: Warum setzen die neuen „Atommüll-Behälter … deutlich mehr“ - 40 Prozent - „Neutronenstrahlung frei als die alten Castor-Behälter“ ({15}), und welche Konsequenzen hat dies für Schutzmaßnahmen für Polizei und Bevölkerung im Umfeld der Transportstrecke?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wenn Sie erlauben, würde ich gerne die dringlichen Fragen des Kollegen Beck und des Kollegen Hofreiter gemeinsam beantworten, weil sie den gleichen Themenkomplex umfassen. Ich beginne mit der Frage des Kollegen Beck. Die Antwort lautet wie folgt: Der Vergleich der Gammaund Neutronenleistungsmessungen an den Castorbehältern beim Transport im Jahr 2006 und der Messungen der Aufsichtsbehörden an den TN-85-Behältern in diesem Jahr zeigt, dass die Ergebnisse der Gamma- und Neutronenleistungsmessungen nahezu übereinstimmen und keine systematischen Nachteile der TN-85-Behälter gegenüber den Castorbehältern ersichtlich sind. Somit sind nach Ansicht der Bundesregierung Presseverlautbarungen unzutreffend, nach denen die TN-85Behälter deutlich mehr Neutronenstrahlung freisetzen als die Castorbehälter in den vergangenen Jahren. Die Schutzmaßnahmen für die Polizei und die Bevölkerung orientieren sich somit an den bereits in 2006 und früheren Jahren ergriffenen Maßnahmen beim Transport von Castorbehältern in das Zwischenlager Gorleben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich jetzt die dringliche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter auf: Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht des Leiters der Strahlenschutzkommission, Rolf Michel, dass für Castortransporte ein Minimierungsgebot für die frei werdende Strahlung aus Gründen der Minimierung der Gefährdung der Öffentlichkeit und der am Transport Beteiligten gelten müsse, nachdem beim aktuellen Castortransport mit französischen Behältern vom Typ TN 85 die Strahlung in der Umgebung offenbar höher als in den letzten Jahren war, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Die Frage des Kollegen Hofreiter beantworte ich wie folgt: Das Sicherheitskonzept bei der Beförderung radioaktiver Stoffe beruht gemäß verkehrsrechtlicher Vorschriften auf der Festlegung von Grenzwerten für die Dosisleistung und die Kontamination für die Transportbehälter und die Fahrzeuge. Dieses Sicherheitskonzept hat sich nach Ansicht der Bundesregierung sowohl bei den Transporten in der Vergangenheit als auch bei dem diesjährigen Transport von hochradioaktiven Abfällen in das Zwischenlager Gorleben bewährt. Die in diesem Jahr und in der Vergangenheit durchgeführten Messungen der Aufsichtsbehörden bestätigen, dass von allen verwendeten Transportbehältern die zulässigen Grenzwerte für die Dosisleistung und Kontamination unterschritten wurden. Die Bundesregierung stellt klar, dass auch in Zukunft nur Transporte in das Zwischenlager genehmigt und durchgeführt werden, die alle verkehrsrechtlichen und atomrechtlichen Sicherheitsanforderungen erfüllen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Beck, Sie haben eine Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass wir die Fragerechte aufaddieren, weil die Kollegin im Zusammenhang geantwortet hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Beck, selbstverständlich.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das freut mich. - Um Ihre Antwort nachvollziehen zu können, würde ich gerne wissen, wie hoch die Strahlenbelastungen pro Castorbehälter im Jahre 2006 und in 2008 waren, damit wir das mit den Untersuchungen, die Greenpeace gemacht hat, abgleichen können; denn es gibt offensichtlich einen Widerspruch bei den Ergebnissen der zwei stattgefundenen Messungen.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Die Ergebnisse der Messungen in den Jahren 2008, 2006 und auch in den Vorjahren sind im Internet veröffentlicht, unter anderem auf der Website der GRS. Dort können Sie sich die Kurve ansehen und ausdrucken. Es gibt ja unterschiedliche Messungen unterschiedlichster Institutionen in unterschiedlichen Entfernungen vom Castorbehälter. Sie können sich dort die Kurven genau anschauen. Sie sehen, dass sich die Kurven der Messergebnisse nicht unterscheiden, wenn man 2008 und 2006 vergleicht.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hat denn die Bundesregierung die Pressemeldungen von Montag zum Anlass genommen, mit Greenpeace darüber zu sprechen, wie sie zu den anderen Messergebnissen gekommen sind, um der Diskrepanz in dieser Frage nachzugehen? Es ist doch alarmierend, wenn man einerseits Messergebnisse hat, die auf ein Nichtanwachsen der Strahlung hindeuten, und andererseits welche, die einen anderen Befund liefern. Meines Erachtens muss man im Rahmen der Atomaufsicht dieser Frage Volker Beck ({0}) nachgehen. In welcher Form sind Sie dieser Frage seit Montag nachgegangen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Wir haben keine Veranlassung, an den veröffentlichten Messergebnissen zu zweifeln. Ich hatte keinen direkten Kontakt mit Greenpeace. Wir haben uns über die Veröffentlichung von Greenpeace gewundert und wissen nicht, wie man zu dem entsprechenden Ergebnis gekommen ist. Sowohl die Messungen, die in Frankreich beim Start der Behälter durchgeführt wurden, als auch die Messungen, die von deutschen Behörden durchgeführt wurden, kamen alle zu dem gleichen Ergebnis, das auf der Website der GRS zusammengefasst veröffentlicht wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, haben wir Sie richtig verstanden, dass Sie keinerlei Kontakt zu Greenpeace gesucht haben, die Messungen nicht überprüft haben und nicht beurteilen können, ob Greenpeace einen Messfehler gemacht hat oder ob diese Messungen korrekt sind?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Es gibt die Vermutung, dass Greenpeace Messungen durchgeführt hat, deren Ergebnisse sehr wohl im Rahmen der Grenzwerte liegen, und man aus diesen Messergebnissen Rückschlüsse auf Messwerte in unmittelbarer Nähe des Castorbehälters gezogen hat. Dort haben aber keine Messungen von Greenpeace stattgefunden. Die Behörden haben in unmittelbarer Nähe, also in einem 2-Meter-Abstand, Messungen durchgeführt. Das sind die Messungen, die dokumentiert sind und deren Ergebnisse sich von denen in den Vorjahren nicht unterscheiden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage. - Bitte sehr.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hatte Sie nach dem Minimierungsgebot gefragt. Sie haben uns geantwortet, dass die Strahlung innerhalb der Grenzwerte liegt. Aber darum ging es nicht in der Frage und auch nicht in der Aussage von Herrn Michel. Es ging um das Minimierungsgebot. Teilen Sie nun die folgende Ansicht - diese beachtet das Minimierungsgebot -: Wenn beide Behältertypen unterhalb des Grenzwertes liegen, wobei ein Behältertyp, der klassische Castorbehälter, besser ist, müsste dieser Behälter verwendet werden? Oder teilen Sie diese Ansicht, die Herr Michel vorgetragen hat, nicht?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Natürlich gibt es ein Minimierungsgebot. Das ist ja auch der Grund, weshalb nicht die bisherigen Castorbehälter zum Einsatz gekommen sind, sondern die speziell für die jetzt transportierten HAW-Glaskokillen entwickelten neuen Behälter TN 85. Der Inhalt dieser Behälter, die jetzt transportiert wurden, entwickelt eine höhere Radioaktivität und damit auch eine höhere Wärmeleistung als der Inhalt früherer Castorbehälter. Deshalb wurden die bisherigen Behälter nicht zum Einsatz gebracht, sondern die neu entwickelten Behälter, deren Dosisleistung an der Außenhülle sich nicht von der früherer Behälter unterscheidet. Die Aussage von Herrn Michel bezog sich auf die Hypothese, dass man sich, wenn die Messungen, Aussagen und Rückschlüsse von Greenpeace stimmen sollten, natürlich Gedanken darüber machen muss. Da aber die Messungen sowohl der Behörden in Frankreich als auch in Deutschland, die tatsächlich in unmittelbarer Nähe der Castorbehälter und auch in weiterer Entfernung durchgeführt wurden, die Ergebnisse von Greenpeace nicht bestätigt haben, gibt es aus unserer Sicht dazu keine Veranlassung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die nächste Frage hat die Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Da es sich um zwei Fragenkomplexe handelt, gehe ich davon aus, dass ich zwei Nachfragen stellen darf. Die erste Frage betrifft die Messungen von Greenpeace, deren Ergebnisse die Menschen sehr irritiert haben; Greenpeace hat allerdings selbst darauf hingewiesen, dass sie nicht unter optimalen Bedingungen vorgenommen wurden. Wir alle wissen, dass Neutronenstrahlung nicht innerhalb von Tagen geringer wird. Ist von Ihrer Seite vorgesehen, noch einmal unabhängige Prüfmessungen, wie sie auch vor dem Abtransport und nach der Ankunft vorgesehen sind, durchzuführen, und zwar an allen elf Behältern und nicht nur stichprobenartig?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Da solche Messungen bereits vorgenommen worden sind, und zwar sowohl auf französischer Seite als auch auf deutscher Seite, nämlich vom Eisenbahn-Bundesamt und vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg, sehen wir keine Veranlassung, diese Messungen zu wiederholen oder ihre Ergebnisse in Zweifel zu ziehen.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Frage: Ist Ihnen bekannt, dass der niedersächsische Landtagsabgeordnete unserer Partei aufgrund der Verwendung der neuen Behälter Strafantrag unter anderem gegen die Genehmigungsbehörde gestellt hat? Ich möchte auf zwei wesentliche Punkte des Strafantrags hinweisen. In der Begründung heißt es erstens, dass die Neutronenabschirmung im Bereich der Tragzapfen im Deckenbereich stark minimiert ist, und zweitens, dass Havarietests nur mit Modellen, nicht aber mit Originalcastoren und -behältern durchgeführt wurden. Wie stehen Sie dazu?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Der Strafantrag ist mir nicht bekannt. Ich kann mich dazu erst äußern, wenn ich seinen Inhalt kenne. Dann erkläre ich Ihnen das sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bitte, jetzt genauso zu verfahren wie gerade, sodass auch ich zwei Nachfragen stellen darf, eine zur Frage des Kollegen Volker Beck und eine zur Frage von Toni Hofreiter. Meine erste Frage, Frau Staatssekretärin: Unter welchen Rahmenbedingungen sind die Messungen in diesem Jahr vorgenommen worden, und haben sich diese Rahmenbedingungen von den Rahmenbedingungen in den vorigen Jahren unterschieden?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Nein, es haben genau die gleichen Messungen stattgefunden. Wenn man Vergleiche ziehen will, ist es wichtig, dies zu gewährleisten. Ich empfehle Ihnen, sich die auf www.grs.de dargestellten Kurven der letzten Jahre anzuschauen. Dann werden Sie sehen, dass sich die Kurven in nichts unterscheiden.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zweite Nachfrage: Jeder Transport ist mit Strahlenbelastung verbunden. Man muss versuchen, sie zu minimieren. Deshalb hat der Umweltminister des Landes Niedersachsen gestern die Forderung aufgestellt, jetzt im Hinblick auf die Endlagerfrage eine ergebnisoffene Suche voranzutreiben und diese Frage nicht auf Gorleben zu beschränken. Meine Frage an Sie: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass man jetzt eine ergebnisoffene Suche starten sollte, auch nach anderem Wirtsgestein, und wann wird die Bundesregierung damit endlich loslegen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Indem ich deutlich mache, dass es, was die Strahlenbelastung durch den Castortransport angeht, in diesem Jahr keine Unterschiede zu den Vorjahren gibt, will ich nichts beschönigen. Das war aber die Implikation der Fragesteller. Ich will nicht beschönigen, dass mit jedem Transport radioaktiven Abfalls Belastungen, auch Strahlenbelastungen, verbunden sind, die sich maximal innerhalb der gesetzlich festgelegten Grenzwerte bewegen dürfen. An dieser Stelle möchte ich aber auch betonen, dass wir für den Abfall, der in deutschen Kernkraftwerken angefallen ist und der wiederaufgearbeitet und dann einer Endlagerung zugeführt werden muss, verantwortlich sind. Wir haben die Verantwortung dafür, diesen Abfall zurückzunehmen und ihn an die dafür geeignete Stelle in Deutschland zu transportieren. Deshalb finden diese Transporte statt. Wie Sie wissen, wird eine Diskussion darüber geführt, wie das künftige deutsche Endlager aussehen soll und wo es platziert werden soll. Hierzu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Auffassung des Bundesumweltministeriums - Sie kennen sie - ist, dass wir eine ergebnisoffene Suche starten sollten, um herauszufinden, ob es in Deutschland anderes Wirtsgestein gibt, das als Endlager möglicherweise besser geeignet ist als Gorleben. Dazu gibt es innerhalb der Bundesregierung allerdings unterschiedliche Auffassungen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Hill.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Auch ich bitte, zwei Nachfragen stellen zu dürfen, jeweils eine zu beiden Themen. Frau Staatssekretärin, mir ist bei meinen Besuchen in Gorleben etwas aufgefallen - es geht um das Begleitpersonal -: Die Polizistinnen und Polizisten, die den Transport begleiten, standen ohne Indikatoren bzw. ohne Dosimeter sehr dicht an den Castoren. Einmal sah ich sogar, dass eine junge Frau an der Frontseite eines Castors, der relativ hohe Strahlung abgibt, stand. Mir wurde erklärt, dass man lediglich Referenzmessungen an zwei oder drei Stellen des Transportes durchführt, an denen sich Personal mit Dosimetern befindet. Erste Frage dazu: Warum ist das so? Zweite Frage: Geht man hier nicht nachlässig mit diesen Menschen um, die sich allein schon aus beruflichen Gründen diesen Gefahren aussetzen müssen? Ein weiterer Punkt. Frau Höhn hat eben die Messverfahren angesprochen. Inwiefern werden die zum Zeitpunkt des Transports vorliegenden Wetterlagen, wie Inversionen, Niederschläge usw., bei diesen Messverfahren berücksichtigt? Man muss ja davon ausgehen, dass bei unterschiedlichen Wetterlagen auch unterschiedliche Kontaminationen vorhanden sind.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Vielen Dank. - Die Schutzmaßnahmen vor Ort sind Aufgabe der Behörden vor Ort. Das ist keine Aufgabe des Bundesumweltministeriums. Durch die Definition von Grenzwerten für maximale Dosisleistungen, die von den Behältern ausgehen dürfen, hat der Bundesgesetzgeber sein Möglichstes getan, um die Belastung, die von den Behältern ausgeht, zu minimieren und eine Obergrenze festzulegen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das war die Antwort auf beide Fragen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ja. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Beck zur Frage von Herrn Hofreiter.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage dazu, wie Sie die Kompetenz Ihres Hauses hinsichtlich der Atomaufsicht handhaben. Sie sagten vorhin ja, Sie selber hätten nicht bei Greenpeace angerufen. Ich will es Ihnen überlassen, mit wem Sie telefonieren wollen. Sie werden ja sicher entsprechende Leute im Haus haben. Wenn es Hinweise dafür gibt, dass Messungen voneinander abweichen und dass etwas schiefgeht, wie bei Asse II jede Menge schiefgegangen ist, gehen Sie diesen Hinweisen dann nicht nach, sondern verlassen Sie sich einfach auf die im Internet präsentierten Messungen? Oder rufen Sie dort an und fragen Sie: Woher kommen eure Informationen? Was habt ihr gemessen? Wie kommt ihr zu dem abweichenden Bild? Finden Sie nicht, dass es zur Verantwortung Ihres Ministeriums im Rahmen der Atomaufsicht gehört, einem solchen Hinweis nachzugehen, statt die Hände in den Schoß zu legen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Da es offizielle Messungen gibt, durch die die Messungen von Greenpeace nicht bestätigt werden, bzw. wir auch davon ausgehen, dass Greenpeace Rückschlüsse aus den eigenen Messungen gezogen hat, die methodisch nicht zulässig sind, gibt es für uns keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass sich an der Dosisleistung der Behälter im Vergleich zu den Vorjahren nichts verändert hat.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ein Antrag zur Geschäftsordnung.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich denke, wir haben diese Fragen jetzt eingehend diskutiert. Dramatisch ist ja insbesondere, dass Sie feststellen mussten, dass die Bundesregierung keine Auffassung zu der Frage hat, wie wir zu einem sicheren Endlager kommen. Ich glaube, bei dieser Frage geht es um die Umwelt und die Gesundheit des ganzen Landes. Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion, nach § 106 und Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zum Thema „Aktuelle Castortransporte und die ungelöste Frage des Atommülls“ durchzuführen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Vielen Dank. - Das entspricht der Nr. I.1.b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet nach dieser Fragestunde statt. Nichtsdestotrotz möchte ich gerne noch die beiden angemeldeten Nachfragen von Herrn Koppelin und Frau Dr. Dückert zulassen, durch die die Aktuelle Stunde ja vielleicht auch bereichert werden kann.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich beziehe mich mit meiner Frage auf die Frage 1 des Kollegen Beck. Wie viele Polizisten waren anlässlich dieses Castortransports im Einsatz, und wie hoch sind die Kosten für diesen Einsatz?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Es tut mir leid. Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Das müssen Sie entweder den Bundesinnenminister oder die Länderinnenminister fragen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dr. Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ja noch einmal betont, dass Sie davon ausgehen, dass die Messungen von Greenpeace methodisch nicht zulässig waren. Auf der anderen Seite haben Sie auf verschiedene Fragen meiner Kolleginnen und Kollegen geantwortet, dass es keinen Kontakt und keine Gespräche mit Greenpeace gab. Es stellt sich mir jetzt nicht dar, wie Sie zu der Interpretation kommen konnten, dass das methodisch nicht zulässig war. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob nicht gerade die Vermutung, die Sie geäußert haben, und die Verunsicherung, die in der Bevölkerung besteht, dazu Anlass geben, zügig mit Greenpeace Kontakt aufzunehmen und aufzuklären, warum es diese unterschiedlichen Arten von Messungen bzw. Ergebnisse der Messungen gab.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich nehme diese Anregungen gerne auf. Aber das wird an den vorliegenden Messergebnissen aus konkreten Messungen im unmittelbaren Umfeld der CastorbeParl. Staatssekretärin Astrid Klug hälter in einem 2-Meter-Abstand, zu dem Greenpeace Aussagen gemacht hat, ohne dort gemessen zu haben, nichts ändern. Aber ich nehme Ihre Anregungen gerne auf. Das ist kein Problem.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt folgt noch eine Frage von Frau Dr. Flachsbarth.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, meine Frage lautet: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, in welchem Maße sich die Belastung für Mensch und Umwelt im Rahmen der Castortransporte dadurch vervielfacht, dass es zu maßgeblichen Verzögerungen der Transporte durch die Demonstrantinnen und Demonstranten kommt, und wie hoch dann sozusagen die Schadwirkung einzuschätzen ist, der nicht nur die Demonstranten ausgesetzt sind, sondern auch die Polizisten und das Begleitpersonal?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich habe darüber keine Erkenntnisse. Da wir aber, wie ich schon mehrfach ausgeführt habe, Grenzwerte für die maximale Strahlenbelastung definiert haben, die von Castorbehältern ausgeht, und die implizieren, dass davon keine nicht vertretbaren gesundheitlichen Gefahren ausgehen, gilt das sowohl für eine Fahrt, die einen Tag dauert, als auch für eine Fahrt, die zwei oder drei Tage dauert.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine zweite Frage.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, vor meiner politischen Tätigkeit habe ich meine medizinische Ausbildung hinter mich gebracht. Grenzwerte sind schön und gut, aber sie sind immer nur in Verbindung mit Expositionszeiten zu sehen. Das heißt, es mag zwar sein, dass eine solche Strahlenbelastung für einen oder zwei Tage relativ belanglos ist, nicht aber für mehrere Tage. Ich rege in diesem Zusammenhang an, möglicherweise auch vonseiten der Bundesregierung verstärkt darauf hinzuweisen. Könnten Sie dem zustimmen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Auch das nehme ich gerne als Anregung mit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir am Ende der dringlichen Fragen. Ich rufe die übrigen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf und beginne mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Dr. Seifert auf: Welche Erfahrungen und Ergebnisse gibt es aus Sicht der Bundesregierung seit Einführung des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets als Regelleistung - 1. Januar 2008 -, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Erfahrungen und Ergebnissen? Herr Brandner.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Seifert! Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Zeitspanne seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf trägerübergreifende Persönliche Budgets noch zu kurz, um über belastbare Erkenntnisse zu verfügen oder um Schlussfolgerungen ziehen zu können. Allerdings ist nach Einführung des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets als Regelleistung ein erheblicher Anstieg der Budgetbewilligungen zu konstatieren. Begleitend unterstützt das Strukturverstärkungsprogramm der Bundesregierung gezielte Maßnahmen, um das trägerübergreifende Persönliche Budget bekannter zu machen. Erste Ergebnisse zur Umsetzung und zum Erfolg werden im Sommer 2009 vorliegen. Diese sollen danach in einer Best-Practice-Dokumentation zusammengefasst und als weitere Hilfe für die Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets veröffentlicht werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dr. Seifert, eine Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Aussage, dass Sie noch nichts sagen können, Herr Staatssekretär. Aber immerhin gab es eine ausreichend lange Vorbereitungszeit, in der klar war, dass das trägerübergreifende Persönliche Budget zur Regelleistung werden soll. Insofern verwundert mich das schon ein bisschen. Ich möchte zumindest nachfragen, ob Sie den Überblick darüber haben, wie viele von den jetzt neu bewilligten Budgets tatsächlich trägerübergreifend sind, also mehr als zwei oder drei Träger umfassen und nicht nur einfache Maßnahmen sind, die bisher ohnehin schon in einer geringfügig anderen Form gewährt worden sind.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Herr Abgeordneter Seifert, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht von mehr als 5 000 statistisch erfassten Fällen bei Leistungsträgern im Rahmen des Persönlichen Budgets aus; so viele sind jedenfalls bekannt. Tatsächlich werden aber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales längst nicht alle Persönlichen Budgets, die beantragt und von den zahlreichen Leistungsträgern in Deutschland bewilligt werden, gemeldet. Es kann daher aus unserer Sicht davon ausgegangen werden, dass die Zahl bewilligter Persönlicher Budgets deutlich höher liegt. Wir gehen im Haus davon aus, dass es an die 10 000 sein werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage, Herr Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sprachen nur vom Persönlichen Budget. Wie jeder weiß, gibt es aber einen großen Unterschied zwischen dem allgemeinen Persönlichen Budget und dem trägerübergreifenden Persönlichen Budget. Ich will mich vergewissern, dass wir vom gleichen Sachverhalt sprechen. Ich möchte zudem nachfragen, wie es sich mit der Anrechnung von Einkommen und Vermögen verhält. Jemand, der ein Einkommen hat, weil er oder sie als behinderter Mensch arbeiten geht - das wird von der Bundesregierung gefördert und gefordert -, ist im Rahmen des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets nicht anspruchsberechtigt, weil das Gewähren von Sozialhilfeleistungen dann nicht möglich ist.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Auch wenn überwiegend nur ein Träger Leistungen erbringt, gehen wir insgesamt gesehen von dem neuen Leistungsinstrument des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets aus. So viel zu Ihrer ersten Frage. Ich will in diesem Zusammenhang sehr deutlich machen, dass die Bundesregierung gerade bezüglich des Persönlichen Budgets sehr viel Öffentlichkeitsarbeit geleistet hat. Ende 2007 ist eine Öffentlichkeitskampagne mit einer Informationstour der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen mit dem Titel „Selbstbestimmt leben: Persönliches Budget“ durchgeführt worden. Darüber hinaus ist ein Informations-Flyer erstellt worden, und zwar in leichter Sprache. Eine DVD mit wichtigen Informationen zum trägerübergreifenden Persönlichen Budget wurde angefertigt. Zudem wurde eine große Plakat- und Anzeigenkampagne durchgeführt. Darüber hinaus werden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zahlreiche Informations- und Fortbildungsveranstaltungen wie Bundesfachtagungen und Regionalkonferenzen zum Persönlichen Budget durchgeführt und den Interessierten angeboten. Als besonders erfolgreich kann die Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum trägerübergreifenden Persönlichen Budget bezeichnet werden; diese kennen Sie sicherlich, Herr Seifert. Diese Broschüre wurde über 100 000-mal angefordert bzw. verteilt. Sie ist auch deshalb so nachgefragt, weil sie einen in leichte Sprache übersetzten Teil beinhaltet, der sich insbesondere an Menschen mit geistiger Beeinträchtigung oder Lernbehinderung richtet. Aufgrund der großen Nachfrage ist dieser Informations-Flyer inzwischen auch in Brailleschrift für blinde Menschen herausgegeben worden. Zur Begleitung der Öffentlichkeitskampagne ist für die Jahre 2008 bis 2010 das Programm zur Strukturverstärkung und Vorbereitung auf das Persönliche Budget mit entsprechender begleitender Öffentlichkeitsarbeit aufgelegt worden. Hiermit sollen auch Ideen angeregt werden, wie und wo das neue Instrument zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderung eingesetzt und wie sein Bekanntheitsgrad gesteigert werden kann. Dies wird inzwischen in 27 einzelnen Modellprojekten erprobt. Um das Förderprogramm zu finanzieren, haben die Bundesregierung und der Beirat für die Teilnahme behinderter Menschen für die Jahre 2008 bis 2010 3,8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. In den Broschüren sind natürlich auch die Leistungsvoraussetzungen beschrieben. Dazu liegen zumindest mir keine weiteren detaillierten Angaben vor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Fragen 2 und 3 des Kollegen Spieth aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 4 des Kollegen Fell aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen zur Verfügung. Ich komme zur Frage 5 der Kollegin Dr. HappachKasan: Wie hat sich der Holzpreis für die verschiedenen Sortimente im Laufe dieses Jahres entwickelt, und wie beeinflusst die Finanzkrise den Export von Holz in die USA? Bitte schön.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Happach-Kasan, die Entwicklung der Erzeugerpreise für forstwirtschaftliche Produkte war für alle Rohholzsortimente im Zeitraum von Mitte 2007 bis zum Frühjahr 2008 durch einen moderaten Anstieg geprägt. Danach sind die Preise bis zum Herbst wieder leicht unter das Niveau von Ende des Jahres 2007 gefallen. Die Tendenz der Preise für alle Rohholzsortimente - das müssen wir leider deutlich feststellen - ist zurzeit leicht fallend. Die Finanzmarktkrise, um zum zweiten Teil Ihrer Frage zu kommen, hat eine Rezession in der Bauwirtschaft der USA ausgelöst. Dadurch ist vor allem die Nachfrage nach Nadelschnittholz deutlich zurückgegangen. Es gab bereits Produktionskürzungen, etwa in skandinavischen Ländern wie Norwegen, aber auch bei uns. Sie haben aber noch zu keiner Entspannung der Exportsituation beigetragen. Dadurch stehen die Erzeugerpreise, insbesondere im Bereich Nadelschnittholz, weiter unter Druck. Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur weiteren Einschätzung der Entwicklung. Wir sind davon überzeugt, dass der Rohstoff Holz weiter im Trend der Zeit liegt, es vielfältige Verwendungsmöglichkeiten für ihn gibt und sich dadurch günstige Perspektiven auftun. Ich darf beispielsweise darauf hinweisen, dass es gerade in Teilen Osteuropas und des Nahen Ostens einen erheblichen Bauboom gibt, der den Export bei uns beleben kann. Wir hoffen, dass die Initiativen, die der Holzabsatzfonds zurzeit ergreift, um den Export zu beleben, den Export vor allem in diese Richtung lenken werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Happach-Kasan, eine Nachfrage.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich habe dazu eine Nachfrage. Ich bedanke mich erst einmal für die positive Einschätzung des Werkstoffes Holz. Die Darstellung der Bundesregierung teile ich. Vor vier Jahren ist in Deutschland die Charta für Holz beschlossen worden, die mit großer Begeisterung sowohl von der Politik als auch von den Unternehmen aufgegriffen worden ist. Meine Nachfrage lautet: Inwieweit sehen Sie Möglichkeiten, über die Umsetzung der Ziele innerhalb der Charta für Holz einen höheren Absatz von Holz im Baubereich gerade in Deutschland zu erreichen? Sind Sie der Auffassung, dass man beispielsweise Architekturbüros stärker dafür begeistern sollte oder Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stellen sollte, um die Verwendung von Holz im Baubereich zu verstärken? Denn wir haben Nachbarländer, in denen deutlich mehr mit Holz gebaut wird, als es bei uns in Deutschland der Fall ist.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Am liebsten würde ich sagen, dass wir genau das machen wollen und umzusetzen versuchen. Ich weiß nicht, ob Sie im vergangenen Jahr dabei gewesen sind, als hier in Berlin das erste Mehrfamilienhaus aus Holz entstanden ist. Wir meinen, das war ein - wie sagt man immer so schön? - wunderbares Leuchtturmprojekt, mit dem aufgezeigt wird, was man alles mit dem Baustoff Holz machen kann. Wir haben auf den Messen - ich habe viele besucht - gesehen, dass der Baustoff Holz immer mehr im Kommen ist. Ihre Anregung, besonders die Architekturbüros anzusprechen, nehmen wir sehr gerne auf.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Sie haben eine weitere Nachfrage.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie weit achten Sie - auch in Zusammenarbeit mit anderen Häusern - darauf, dass bei Verordnungen die Verwendung des Werkstoffes Holz nicht stärker mit Auflagen belegt wird, als dies für die Sicherheit der Bauten tatsächlich erforderlich ist?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Wie Sie wissen, hat sich die Bundesregierung ganz klar zum Ziel gesetzt, Verordnungen so einfach wie möglich zu halten und vor allen Dingen bürokratische Hemmnisse abzubauen. Aus dem Grund werden nicht nur alle Gesetzesvorhaben, sondern auch alle Verordnungen vom Normenkontrollrat untersucht. Bisher sind wir da auf einem guten Weg.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt kommen wir zur Frage 6 der Kollegin HappachKasan: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Meldung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, zu Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln, die nicht übereinstimmend mit der BVL-Studie sind, richtigzustellen und somit dem falschen Eindruck in der Öffentlichkeit entgegenzutreten, die Verbraucher würden durch Lebensmittel aus Deutschland einem erhöhten Risko ausgesetzt?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Hintergrund ist, dass der Leiter des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Oktober gemeinsam mit dem Vorsitz der Landesarbeitsgemeinschaft für Verbraucherschutz die Ergebnisse des sogenannten Lebensmittelmonitorings aus dem Jahr 2007 sehr ausführlich vorgestellt hat. Sie wissen, das Lebensmittelmonitoring ist ein repräsentatives Untersuchungsprogramm, das von einem Ausschuss der Länder geplant und dann von den Ländern durchgeführt wird. Die Länder ihrerseits übermitteln dem BVL die Daten, und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erstellt anschließend den Bericht. Die Pressemitteilung, auf die Sie sich beziehen und die sehr breit in den Medien veröffentlicht wurde, enthält sehr viele neutrale Zahlen und präsentiert einige positive, aber auch einige negative Trends. Gestatten Sie mir, auch wenn das jetzt etwas ausführlicher ist, das an einem Beispiel deutlich zu machen, nämlich am Beispiel des Apfels. Daran kann man das so schön sehen. Der Anteil der Höchstmengenüberschreitungen hat sich im Vergleich zum Jahr 2004 halbiert, liegt aber immer noch bei 7,4 Prozent. Erstaunlicherweise wiesen deutsche Äpfel - leider - häufiger Rückstände auf, die zulässigen Höchstmengen wurden jedoch seltener überschritten als bei südamerikanischen Äpfeln. Zur Schattenseite gehört auch, dass die gesetzlichen Rückstandshöchstmengen bei verschiedenen Lebensmitteln zum Teil erheblich überschritten wurden. Dazu gehörten insbesondere Grünkohl mit 20 Prozent, Wirsingkohl mit 14 Prozent und Pfirsiche mit 12 Prozent Überschreitung. Darüber hinaus berichtet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, dass die Belastung bei einigen Proben, so bei Kopfsalat, Grünkohl, Austernseitlingen und Tomaten, so hoch lag, dass bei einmaligem Verzehr gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht auszuschließen seien. Diese Aussagen sowie die Überschrift der entsprechenden Pressemitteilung, die ich hier noch einmal zitieren darf - „In Obst und Gemüse erneut zu hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln festgestellt“ -, haben möglicherweise dazu beigetragen, dass Presseorgane zu sehr oberflächlichen Schlussfolgerungen verleitet wurden, obwohl gerade das BVL konstatiert hat, dass verbesserte Eigenkontrollen des Handels teilweise Erfolge zeigen. Wir haben die Veröffentlichungen und die daraus resultierenden Diskussionen sehr ernst genommen und haben deshalb jetzt das BVL gebeten, in einem Fachge19804 spräch mit den Erzeugerverbänden die Ergebnisse des Lebensmittelmonitorings 2007 einschließlich der Problematik der Einhaltung von Rückstandshöchstmengen zu erörtern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Happach-Kasan, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Überschrift bezieht sich insbesondere auf Pflanzenschutzmittel. Berichtet wird anschließend über geringfügig belastete, häufig verzehrte Erzeugnisse: bei Tomaten verringert, bei Äpfeln halbiert. Am Ende ist die Rede von erhöhter Kontamination von Wildfleisch mit Blei - das ist kein Pflanzenschutzmittel - und von hohen Gehalten an Mykotoxinen - auch kein Pflanzenschutzmittel - bei Muskatnuss und Paprikapulver. Die Überschrift gibt meines Erachtens nicht ganz den Text in der Presseveröffentlichung wieder. Teilen Sie meine Einschätzung?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Frau Dr. Happach-Kasan, ich teile Ihre Einschätzung, dass gerade die Überschrift in Bezug auf bestimmte Absätze in der Pressemitteilung zu voreiligen Schlüssen geführt hat. Aus diesem Grund haben wir intensive Gespräche auch mit dem BVL geführt und festgehalten, dass wir auf diesem Gebiet ein paar Dinge doch noch genauer bearbeiten müssen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Dr. Happach-Kasan, bitte.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe noch eine Nachfrage. Sie selbst haben mir mit Schreiben vom 5. September geantwortet, die Tatsache, dass Rückstände zu finden sind, müsse nicht damit einhergehen, dass dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Sie haben ausgeführt, dass in 2006, also im Jahr vor diesem Bericht, lediglich bei 14 von insgesamt 17 535 untersuchten Proben ein gesundheitliches Risiko nicht ausgeschlossen werden konnte. Teilen Sie meine Einschätzung, dass die Lebensmittelsicherheit in Deutschland sehr, sehr hoch ist und wir uns beglückwünschen könnten, wenn die Verkehrssicherheit genauso hoch wäre?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Ich teile Ihre Ansicht, dass die Lebensmittelsicherheit sehr hoch ist. Das liegt natürlich auch daran, dass die Länder hervorragende Kontrollen durchführen. Auch das Instrument des Lebensmittelmonitorings dient der Sicherheit. Es zeigt auf, wo es gegebenenfalls Problembereiche gibt. Dann können wir mit den Erzeugern darüber sprechen und Veränderungen herbeiführen. Sie zitieren mich, glaube ich, aus dem September. Die Veröffentlichung des Lebensmittelmonitorings 2007 ist Mitte Oktober erfolgt, sodass ich natürlich bedauere, dass es in dem einen oder anderen Bereich zu Verschlechterungen gekommen ist. Aber lassen Sie mich nur noch einmal zur Erläuterung sagen: Es werden nicht in jedem Jahr dieselben Produkte untersucht, sondern es werden in jedem Jahr andere Stichproben vorgenommen. Auch wenn in einem Jahr besonders besorgniserregende Werte beispielsweise bei Grünkohl festgestellt werden, werden im nächsten Jahr vielleicht andere Produkte untersucht. Hierbei geht es um eine Stichprobe, die jeweils besonders untersucht wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Ulrike Höfken auf: Wie will die Bundesregierung die auf dem Milchgipfel am 30. Juli dieses Jahres versprochene Mengenreduzierung konkret umsetzen?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Vor allen Dingen, Frau Kollegin Höfken, geht es um die Frage, wie die Beschlüsse des Milchgipfels vonseiten der Bundesregierung konkret umgesetzt wurden. Auf dem Milchgipfel im Sommer wurden Maßnahmen zur Stärkung der Quotendisziplin auf nationaler Ebene beraten. Die Ergebnisse sind in dem Papier „Eine leistungsstarke Milchwirtschaft in Deutschland sichern“ nachzulesen. Ein Teil der Maßnahmen betrifft in der Tat uns. Es geht um das, was wir auf dem Verordnungsweg umzusetzen haben. Die Bundesregierung hat zugesagt, umgehend einen Verordnungsvorschlag zur Änderung des Umrechnungsfaktors der Anlieferungsmilch in den Bundesrat einzubringen. Das haben wir gemacht. Die Bundesregierung hatte darüber hinaus zugesagt, den von Bayern in den Bundesrat eingebrachten Antrag auf Abschaffung der Molkereisaldierung zu unterstützen. Das haben wir ebenfalls getan. Außerdem haben wir zugesagt, eine Konzeption zur Abschaffung der Bundessaldierung zu erarbeiten. Wir haben nicht nur eine Konzeption, sondern umgehend auch einen Maßgabebeschluss zur Abschaffung der gesamten Saldierung erarbeitet, der dann von Bayern in den Bundesrat eingebracht worden ist. Wir haben damit sozusagen unsere Hausaufgaben vom Milchgipfel erledigt. Leider hat der Bundesrat - das wissen Sie - den Maßnahmen am vergangenen Freitag nicht zugestimmt. Wir bedauern diese Entscheidung sehr, haben sie aber zu akzeptieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höfken, eine Nachfrage.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welche weiteren Maßnahmen werden Sie ergreifen, um den Bundesrat von Ihren Beschlüssen zu überzeugen? Welche Wege werden Sie gehen, um die MengenreUlrike Höfken gulierung und die Mengenreduzierung zu erreichen? Ist es ebenfalls richtig, dass Sie es nicht erreichen, dass in den geplanten Milchfonds die versprochenen 300 Millionen Euro fließen, sondern allenfalls 270 Millionen Euro, und dass davon 70 Millionen Euro Mittel der Agrarleitlinie sind, während 200 Millionen Euro nur durch Umschichtungen zur Verfügung gestellt werden können? Stimmt es, dass vor diesem Hintergrund die Verluste, die durch eine Liberalisierung der Mengenregulierung auftreten würden, nicht im Allermindesten zu kompensieren sind?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Sehr geehrte Kollegin Höfken, ich werde mich jetzt einmal bemühen, die zahlreichen Fragen, die Sie in dieser einen Frage verpackt haben, zusammenfassend zu beantworten. Sie wissen, dass wir sozusagen zwei Diskussionsebenen haben. Eine Diskussionsebene ist hier, in unserem Land, Stichwort „Mengenreduzierung“. Diese Diskussion wird aber, wie Sie wissen, auf europäischer Ebene so nicht geführt. Ganz im Gegenteil: Dort steht regelmäßig, auch zurzeit im Rahmen der Health-Check-Verhandlungen, die Mengenausweitung zur Diskussion, sodass wir hier eine sehr große Bandbreite an Diskussionsthemen zu bewältigen bzw. an Problemen zu lösen haben. Sie wissen auch, dass wir sehr bemüht sind, Partner auf der europäischen Ebene zu finden, die unseren Kurs der Begrenzung mitgehen. Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir mit unserer neuen Ministerin auch in der kommenden Woche, wenn der Health-Check in seine Schlussphase tritt, zu guten Lösungen kommen werden. Was den Milchfonds angeht, sind wir zurzeit dabei, zu verhandeln. Da haben wir schon erste Erfolge erzielt, zum Beispiel, dass wir ihn sozusagen aus der zweiten Säule finanzieren können und damit diejenigen Maßnahmen, die wir für ein sogenanntes Soft Landing, also für eine sanfte Landung, im Bereich der Milch für notwendig erachten, in Deutschland tatsächlich durchführen können. Seien Sie mir nicht böse: Über die tatsächlichen Mittel, die zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen zurzeit noch keine Auskunft geben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben eine weitere Nachfrage.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich einmal nachfragen, wie sich die Bundesländer bezüglich der Kofinanzierung, die sie für den Milchfonds leisten, positionieren sollen? Schließlich müssen sie angesichts dieser Ausstattung auf alle weiteren Maßnahmen, die in den Programmen für die ländlichen Räume eigentlich vorgesehen wären, verzichten.

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Diese Frage kann ich Ihnen, Kollegin Höfken, leider nicht beantworten. Ich rege aber an, dass Sie diese Frage noch einmal an die entsprechenden Bundesländer richten. Sie wissen, dass wir uns zwar in regelmäßigen Gesprächen mit den Bundesländern befinden, aber in der vergangenen Woche doch überrascht gewesen sind, dass die Bundesländer unserem Votum bei den Verordnungen zur Mengenreduzierung nicht gefolgt sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir jetzt zur Frage 8 des Kollegen Peter Hettlich: Wie lautet der aktuelle Zeitplan für die Genehmigung des Biomasseforschungszentrums Leipzig, die seit über drei Jahren aussteht, und wie begründet die Bundesregierung die erneute Verzögerung bei der Genehmigung?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Kollege Hettlich, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern Ihre beiden Fragen zusammen beantworten, weil sie in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich auch die Frage 9 des Kollegen Peter Hettlich auf: Welche Bundes- und Länderbehörden haben mit welcher Begründung zum jetzigen Zeitpunkt noch Vorbehalte gegen die Genehmigung des Biomasseforschungszentrums Leipzig?

Ursula Heinen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003143

Das Deutsche Biomasseforschungszentrum hat seine Forschungsaktivitäten bereits am 1. Januar 2008 in Leipzig in den Liegenschaften des dort ansässigen Instituts für Energetik aufgenommen. Die wissenschaftlichen Arbeiten konnten somit bis zur rechtsförmlichen Etablierung vom ehemaligen Institut für Energetik wahrgenommen werden. Der Bundesminister der Finanzen hat am 12. Februar dieses Jahres die Einwilligung gemäß § 65 Abs. 2 und 3 der Bundeshaushaltsordnung erteilt. Die rechtsförmliche Etablierung, wie es so schön heißt, des Instituts erfolgte am 28. Februar 2008. Das Institut ist im Handelsregister eingetragen. Die Verschmelzung mit dem ehemaligen Institut für Energetik erfolgte am 17. Juni 2008. Insofern ist das Genehmigungsverfahren abgeschlossen. Das Zentrum entwickelt sich planmäßig - mit heute circa 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in zahlreichen Forschungsprojekten aktiv sind. Ich glaube aber, Ihre Frage zielte auf einen etwas anders gelagerten Sachverhalt, nämlich auf die vorgesehene Erweiterung des Biomasseforschungszentrums. Dazu ist eine Reihe von Baumaßnahmen geplant. Dabei geht es beispielsweise um weitere Unterbringungsmög19806 lichkeiten für Mitarbeiter sowie Techniker und technische Prüfstände. Für diese Baumaßnahmen hatte der Freistaat Sachsen finanzielle Mittel in Höhe von 2 Millionen Euro zugesagt. Eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft, die insbesondere für die zugesagte Mittelbereitstellung notwendig ist, steht noch aus. Die Vereinbarung wird aber in Kürze abgestimmt sein. Hierbei haben wir auch das Bundesministerium für Finanzen einbezogen. Die Frage der Freiwilligkeit stellte sich nicht; wir mussten es einbeziehen. Das BMF hat nun seine Zustimmung erteilt. Eine Verzögerung bei den Baumaßnahmen - um das vielleicht vorwegzunehmen - ist dadurch nicht entstanden. Die Planungen und dazugehörigen Abstimmungen bzw. die Einholung von Genehmigungen laufen schon parallel. Uns liegt die Entwicklung des Deutschen Biomasseforschungszentrums als politischer Schwerpunkt - das wissen Sie - sehr am Herzen. Es geht darum, dort die Forschung auf dem Gebiet der Bioenergie zu bündeln und damit noch weiter zu stärken.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Da es keine Nachfragen gibt, kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Für die Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt zur Verfügung. Es liegen zwei Fragen des Kollegen Wolfgang Gehrcke vor. Ich rufe zunächst die Frage 10 auf: Was versteht die Bundesregierung unter einer „Stabilisierungsoperation“, wie der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Oktober 2008 ausführte und mit dieser Begrifflichkeit begründet, dass in Afghanistan kein Krieg stattfindet? Ich gebe dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Christian Schmidt die Gelegenheit zur Beantwortung der Frage 10.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gehrcke, auf Ihre erste Frage ist zu antworten: Der ISAF-Einsatz - Sie wissen das - beruht auf einer Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und findet in Übereinstimmung mit der demokratisch gewählten Regierung Afghanistans statt. Die im Rahmen von ISAF - „ISAF“ sollte man durchaus einmal ausbuchstabieren: International Stability Assistance Force, also: Internationale Stabilisierungs- und Unterstützungstruppe - in Afghanistan eingesetzten deutschen Truppen nehmen vielschichtige Aufgaben wahr. Das dient insgesamt der Stabilisierung der afghanischen Staatlichkeit und der Überwindung innerstaatlicher afghanischer Konflikte. Dabei handelt Deutschland auf der Grundlage eines umfassenden Ansatzes. Sie wissen, dass wir den mit dem Begriff „vernetzte Sicherheitspolitik“ - international: comprehensive approach - verbinden. Dieser vernetzte Ansatz soll politische, wirtschaftliche, entwicklungspolitische, polizeiliche und militärische Maßnahmen verbinden. Die Aufgaben deutscher Streitkräfte zur Unterstützung dieses Ansatzes reichen entsprechend von Sicherungsaufgaben über Maßnahmen der Unterstützung der Ausbildung bis hin zu humanitären Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der sogenannten zivil-militärischen Zusammenarbeit. Diese Vielschichtigkeit ist mit dem Begriff Stabilisierungsoperation, nach dem Sie gefragt haben, zutreffend ausgedrückt. Mit dem Begriff Krieg dagegen würde unser Engagement in Afghanistan bzw. das internationale Engagement in Afghanistan weder hinsichtlich des politischen noch hinsichtlich des militärischen Auftrags, noch hinsichtlich des völkerrechtlichen Rahmens zutreffend beschrieben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, Herr Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, erst einmal Dank für Ihre Antwort. Öffentlich besteht ja der allgemeine Eindruck, dass der zuständige Minister und die Bundesregierung alles tun, um den Begriff „Krieg“ zu vermeiden. Deswegen nun meine Nachfrage: Es ist überall zu lesen, dass der Krieg in Afghanistan - ich benutze bewusst diesen Begriff - Teil des Krieges gegen den Terror ist. Würden Sie bestätigen, dass der Einsatz in Afghanistan nach Ihrer Auffassung auch Teil des Krieges gegen den Terror ist, also der Begriff „Krieg“ durchaus angemessen ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, ich glaube, im allgemeinen Sprachgebrauch wird manches freier verwendet. Wir sind aber schon dazu verpflichtet, uns am völkerrechtlichen Sprachgebrauch zu orientieren. Völkerrechtlich ist das, was im Rahmen von ISAF stattfindet, kein Krieg. Wieso? Der Krieg ist eine Fallgruppe des internationalen bewaffneten Konflikts. Kennzeichnend für einen Krieg ist die mit Waffengewalt ausgetragene Auseinandersetzung zwischen souveränen Staaten. Auf innerstaatliche Konflikte, auch wenn diese umgangssprachlich zum Teil als Bürgerkriege bezeichnet werden, findet der klassische Kriegsbegriff völkerrechtlich keine Anwendung. Da wir uns strikt an das Völkerrecht halten, bemühen wir uns, auch die entsprechende Terminologie zu verwenden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine weitere Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wäre ja schön. Sie könnten mich hier begeistert sehen, wenn ich den Eindruck hätte, dass sich die Bundesregierung strikt an das Völkerrecht halten würde. Ich glaube allerdings nicht einmal, dass sie sich an das Völkerrecht hält. Aber sehen wir einmal davon ab. Beantworten Sie mir doch bitte die Frage, wieso eine der rechtlichen Positionen, die die Bundesregierung imWolfgang Gehrcke mer wieder zitiert, nämlich Art. 5 des NATO-Paktes, also der Bündnisfall - das ist ja der Rückgriff auf einen in der NATO-Geschichte erstmalig eingetretenen Fall -, eben für Kriege bzw. bewaffnete Auseinandersetzungen dieser Form gedacht ist.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, natürlich würde es mich außerordentlich freuen, wenn es mir gelingen würde, Sie zufriedenzustellen. ({0}) Gleichwohl kann das nicht alleiniger Maßstab unserer Formulierungen sein. Aber vielleicht gibt es ja ab und zu einen Windfall-Profit bei Ihnen in der Form, dass Sie meinen Ausführungen zustimmen können. Sie beziehen sich auf Art. 5 des NATO-Vertrages. Der NATO-Vertrag beinhaltet in der Tat eine Bündnisverpflichtung. Die Bündnisverpflichtung, die gemäß Art. 5 übrigens nicht in Bezug auf ISAF, sondern insgesamt als Reaktion auf die terroristischen Angriffe auf die Vereinigten Staaten von Amerika durch Beschluss des NATORates am 12. September 2001 festgestellt worden ist, hat nicht automatisch kriegerische Maßnahmen zur Konsequenz. Der Bündnisfall - Sie kennen, denke ich, den NATO-Vertrag genauso gut wie ich - wird in Art. 5 nur sehr grundsätzlich geregelt. Daraus sind keine unmittelbaren kriegerischen Konsequenzen abzuleiten. Ohne rechtshistorisch argumentieren zu wollen: Bei Rückgriff auf den Brüsseler Pakt, den früheren Vertrag der Westeuropäischen Union, wären wir dem von Ihnen angesprochenen Punkt etwas näher gekommen. Ich kann Ihnen hier nun leider nicht mit weiteren Ausführungen dienen, ob Sie das nun zufriedenstellt oder nicht. Es ist und bleibt so, dass sich für die Bezeichnung dieses Konflikts als Krieg kein begriffliches Fundament, auch nicht in Art. 5 des NATO-Vertrages, findet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Dr. Seifert hat noch eine Nachfrage. Bitte, Herr Dr. Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie haben gerade sehr wortreich erzählt, was alles angeblich in Afghanistan im Rahmen von ISAF getan wird. Die Frage richtete sich aber an das Verteidigungsministerium und bezog sich auf eine Aussage des Verteidigungsministers. Somit reden wir hier darüber, was die militärische Komponente dieses vielfältigen Engagements in Afghanistan ist. Wenn ich die Berichte im Fernsehen richtig deute und die entsprechenden Berichte richtig lese, dann ist es so, dass dort Leute totgeschossen werden sowie Gebäude und andere Dinge mit militärischen Mitteln kaputtgemacht werden. Was ist denn das anderes als Krieg?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Kollege, falls ich Ihre Qualifizierung von „wortreich“ so verstehen soll, dass Sie mit der Tiefe der Antwort nicht zufrieden waren, dann kann ich Ihrer Bemerkung nicht folgen. Die Aussage, wo geschossen werde, sei Krieg, ist leider zu kurz gegriffen. Es gibt - damit bin ich bei der umgangssprachlichen Begrifflichkeit, die Kollege Gehrcke schon angesprochen hat - beispielsweise das Buch eines deutschen Journalisten über Krieg in den Städten. Mit dieser Formulierung wollte er nicht sagen, dass die Bundeswehr oder andere Armeen durch die Städte fahren und schießen, ({0}) sondern er wollte beschreiben, dass dort Gewalttätigkeiten stattfinden. Auch bei einem robusten Einsatz zur Sicherung des Friedens kann und wird es zur Anwendung von Gewalt kommen, und es wird unmittelbaren Zwang geben. Sonst wäre es nicht notwendig, dass entsprechend ausgerüstete und ausgebildete Einheiten sich beteiligen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann kommen wir jetzt zur Frage 11: Was unterscheidet nach Auffassung der Bundesregierung einen „asymmetrischen Konflikt“ ({0}), von dem der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, in Bezug auf Afghanistan spricht, von einem Krieg? Bitte.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich darf wie folgt antworten: Nach dem humanitären Völkerrecht findet ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen zwei oder mehr Staaten statt, die einander auf der Ebene des Völkerrechts, also als Völkerrechtssubjekte, gleichberechtigt gegenüberstehen und gleichermaßen an die für diese Art von Konflikt geltenden Regeln gebunden sind. Die Situation in Afghanistan unterscheidet sich davon grundlegend. Noch immer leidet Afghanistan unter feindseligen Kräften, die im Innern des Landes gegen die Regierung kämpfen, allen voran den Taliban, die die Zivilbevölkerung, staatliche Institutionen, zivile und militärische Aufbauhelfer sowie auch deutsche Soldatinnen und Soldaten mit Heimtücke und Rücksichtslosigkeit immer wieder angreifen. Anders als die Kombattanten in einem internationalen bewaffneten Konflikt fühlen sich diese Aufständischen an keinerlei Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden. Sie verfolgen im Gegenteil eine offensive Strategie der Angriffe auf Unbeteiligte, oft mit heimtückischen, vom Völkerrecht in einem bewaffneten Konflikt untersagten Waffen oder Kampftaktiken und unter Ausnutzung der Resonanz in den Medien. Da die ISAF-Truppen durch ihre strikte Orientierung am Völkerrecht auf diese Angriffe nicht in gleicher Weise antworten können und dies auch nicht dürfen, kann man von einem „asymmetrischen Konflikt“, also nicht gleichwertigen Konflikt, sprechen. Der Begriff hat aber keine eigene völkerrechtliche Bedeutung.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich ermuntere Sie: Überzeugen Sie einen kritischen Abgeordneten! Ich versuche es meinerseits ja auch, wenn auch in Form von Fragen. Wenn ich Ihre Antwort zusammenfassen darf, lautet sie: Krieg ist für Sie ein nicht wünschenswerter Zustand, der zwischen Staaten stattfindet. Für alles andere benutzen Sie nicht den Begriff „Krieg“, sondern andere Formulierungen. „Asymmetrisch“ bedeutet: wenn eine organisierte Armee auf nicht organisierte Widerstandsgruppen, wie immer man sie einordnen will, trifft. Ihr Merkmal war, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts, auch des Kriegsrechts, gewahrt bleiben müssen. Sind Sie wirklich der Auffassung, dass Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung, die ja auch durch OEF-Kommandos oder ISAF-Truppen erfolgen, oder eine nicht gewollte Bombardierung des pakistanischen Grenzgebietes irgendwie den Regeln des humanitären Kriegsrechts entsprechen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Der von uns geleistete Beitrag im Kontext der von Ihnen angesprochenen Missionen von ISAF und OEF richtet sich streng nach dem Völkerrecht und den entsprechenden Begrifflichkeiten. Ich will aber deutlich sagen, dass vor dem Hintergrund dessen, was die Charta der Vereinten Nationen, die Genfer Konventionen sowie sonstige völkerrechtliche Grundlagen mit dem Begriff „Krieg“ verbinden, die Abwesenheit von Krieg nicht die Abwesenheit von Gewalt bedeutet. Das kann sich sowohl auf die Ausübung von Gewalt gegen die Bevölkerung als auch auf die notwendigen Maßnahmen, dieser Gewalt Einhalt zu gebieten, beziehen. Es gibt Bereiche, in denen sich Gruppierungen zusammenschließen, um gegen die staatliche Existenz eines Landes oder gegen die Regierung vorzugehen. Als Beispiel fällt mir die FARC in Südamerika ein, eine Organisation von Rebellen - um nicht zu sagen: Terroristen -, die versuchen, in einem Land einen Umsturz herbeizuführen. Auch dies ist nach dem Völkerrecht kein Krieg, wenngleich es eine bewaffnete Auseinandersetzung ist. Die Wahl der Mittel hat sich - das ist mit „asymmetrisch“ gemeint - bei denjenigen, die als Staat oder international dagegen vorgehen, am Völkerrecht zu orientieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das sind Feinheiten, die mir Spaß machen. Ich frage zurück: Wie viele Umstürzler haben später den Friedensnobelpreis - ich denke beispielsweise an Nelson Mandela - erhalten? Das wollte ich aber nicht erörtern. Ich möchte Sie fragen, ob Sie dem ehemaligen Verteidigungsminister Herrn Rühe zustimmen, der ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung geschrieben hat, ein Problem der Bundesregierung sei, dass sie der Bevölkerung nicht die Wahrheit sage. Er ist dafür, weit mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken. Zur Wahrheit gehöre, dass dort Krieg herrsche und dass dort Menschen in einem Krieg stürben. Er plädiert also sehr deutlich für die Benutzung des Wortes „Krieg“. Ich denke, das ist das, was die Menschen empfinden. Es interessiert mich, weshalb ein ehemaliger Verteidigungsminister einen Krieg „Krieg“ nennen darf, während der jetzige Verteidigungsminister alle möglichen Umschreibungen finden muss oder findet, um nicht den Begriff „Krieg“ für das einzuführen, was dort stattfindet.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Manchmal hat bei früheren Amtsinhabern der Versuch einer deutlichen Darstellung Vorrang vor der Beachtung der Notwendigkeiten, denen diejenigen ausgesetzt sind, die in der konkreten Situation entscheiden müssen. Herr Kollege, bezogen auf Ihre Frage - das habe ich meines Erachtens deutlich gemacht - ist eines sehr klar zu sagen: Wir können und wollen nicht bei der Bevölkerung in unserem Land und anderswo den Eindruck aufkommen lassen, als ob die Situation in Afghanistan eine friedliche wäre. Natürlich ist die Situation gefährlich für die Zivilbevölkerung, für die dort tätigen Entwicklungshelfer, für Soldaten, eigentlich für alle Menschen. Deshalb ist es notwendig, dort mit Gewalt zu unterbinden, dass diese Situation eskaliert. Gewalt ist aber nur dann geboten, wenn keine anderen Mittel mehr helfen. Deshalb bleibe ich dabei, dass die Verwendung dieser Begrifflichkeit sich nicht einer falschen bzw. missverstandenen Zurückhaltung verdankt, sondern einer präzisen Orientierung an dem, was das Völkerrecht uns als Grundlage bietet und was wir - in Sonderheit in einem internationalen Konflikt mit einer internationalen Gemeinschaft und einer multinational orientierten Aktion national zu übernehmen verpflichtet sind. Es bleibt dabei: Es ist ein bewaffneter Konflikt, ein asymmetrischer Konflikt. Was wir tun, trägt dazu bei, zu verhindern, dass in dieser Region Krieg entsteht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Kolbe sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Kollege Parlamentarischer Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 14 des Kollegen Anton Hofreiter: Inwieweit liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, ob die Deutsche Bahn Finance B. V. - eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, DB AG, mit Sitz in den Niederlanden - oder andere DB-AG-Beteiligungsgesellschaften als Zweckgesellschaften für die DB AG Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt fungieren und als solche Geschäfte mit ausländischen Finanzderivaten betrieben haben oder noch betreiben, und ist die Bundesregierung - für den Fall, dass es bei der Deutschen Bahn Finance B. V. oder anderen DB-AG-Beteiligungsgesellschaften zu Verlusten mit derartigen Derivaten gekommen ist bereit, diese Gesellschaften ebenso finanziell abzuschirmen, wie sie dies im Fall deutscher Banken beabsichtigt?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Hofreiter, die Deutsche Bahn Finance B. V. ist die Finanzierungsgesellschaft des DB-Konzerns. Die Aktivitäten beschränken sich nach Angaben der Deutschen Bahn AG auf die Emission von Anleihen und Privatplatzierungen. Die so aufgenommenen Finanzmittel werden per Darlehen an die Deutsche Bahn AG weitergereicht. Geschäfte mit Finanzderivaten werden von der Deutschen Bahn Finance B. V. nicht abgeschlossen. Der DBKonzern nutzt Finanzderivate zur Absicherung von Währungs-, Zins- und Energiepreisrisiken. Gemäß der DB-Konzern-Finanzierungsrichtlinie dürfen derivate Finanzinstrumente grundsätzlich nur von der Deutschen Bahn AG und ausschließlich zu Sicherungszwecken eingesetzt werden. Die Transaktionen beziehen sich immer auf ein Grundgeschäft und dienen einzig der Beschränkung von Risiken. Verlustrisiken können insofern nicht auftreten, als der spekulative Einsatz von Derivaten bei der Deutschen Bahn AG explizit untersagt ist und das durch entsprechende Regularien - zum Beispiel Unterschriftenregelung, Vorstandsbeschluss - abgesichert wird. Der Bundesregierung ist kein Verstoß gegen diese Vorgaben bekannt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Hofreiter, eine Nachfrage?

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Meine erste Nachfrage lautet: Können Sie ausschließen, dass die DB Finance eine sogenannte außerbilanzielle Zweckgesellschaft hat bzw. dass es außerbilanzielle Risiken bei der DB AG gibt?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich habe meine Antwort schon mit der Einschränkung versehen, dass ich diese Feststellungen nur gemäß den Aussagen der Deutschen Bahn AG treffen kann. Sie wissen, dass die Deutsche Bahn ein selbstständiges, aktienrechtlich geführtes Unternehmen ist, und Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich derart präzise Nachfragen nicht beantworten kann, sondern dass ich erst bei der Deutschen Bahn AG nachfragen muss, um verlässliche Antworten geben zu können. Ich sage Ihnen gerne zu, Ihre Frage schriftlich zu beantworten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter? Bitte sehr.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Noch einmal zur Präzisierung. Mich würde insbesondere interessieren, ob die Finanzierungsgesellschaft der Deutschen Bahn AG, also die DB Finance B. V., eine Vollbanklizenz hat, ob ihr Sitz in Amsterdam ist und ob diese Gesellschaft eine sogenannte außerbilanzielle Zweckgesellschaft besitzt.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich nehme diese Fragen auf und sage Ihnen zu, dass ich sie schriftlich beantworte, nachdem wir die Bahn entsprechend kontaktiert haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Seifert hat ebenfalls eine Nachfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, im zweiten Teil der schriftlichen Frage des Kollegen Hofreiter wurde danach gefragt, ob der Schutzschirm der Bundesregierung auch über die DB Finance gespannt wird, falls Verluste durch ihr Finanzgebaren auftreten. Das ist wichtig für den Fall, dass sich die Aussagen der Deutschen Bahn AG, auf die Sie sich jetzt berufen müssen, vielleicht am Ende doch nicht als so haltbar und belastbar erweisen, wie man sich das eigentlich wünschen müsste.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Wir gehen davon aus, dass die DB AG der Bundesregierung auf die vorgelegten Fragen ordnungsgemäß und wahrheitsgemäß antwortet. Ich teile daher Ihre Einschätzung des Risikos nicht. Auf Ihre Frage kann ich Ihnen konkret sagen, dass die DB AG kein Unternehmen des Finanzsektors ist und deshalb keine Unterstützung nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz in Anspruch nehmen kann. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Frage 15 der Kollegin Gesine Lötzsch wird schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zur Frage 16 der Kollegin Veronika Bellmann: Inwiefern rechtfertigt das Betriebsergebnis der Deutschen Bahn AG nach Ansicht der Bundesregierung die im Zeitraum 1999 bis 2007 vollzogene Vervielfachung der Vorstandsvergütungen, und wie beurteilt die Bundesregierung den Anstieg dieser Gehalts- und Vergütungsstrukturen um fast 400 Prozent im Verhältnis zum Anstieg der Gehaltsstrukturen der übrigen Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG? Herr Großmann, bitte.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Bellmann, einen bewertenden Vergleich nimmt die Bundesregierung nicht vor.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ihre Nachfrage, bitte.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist schade, weil man dies nach den Äußerungen des Bundesverkehrsministers zu Boni und Dividenden hätte erwarten können. Meine Nachfrage ist: Wie wollen Sie zukünftig die nötige Transparenz und Kontrolle sichern, wenn es um die Gehaltsstrukturen, aber auch um die Infrastrukturzuschüsse laut der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung geht, über die wir erst kürzlich Näheres erfahren haben? Der DB AG sind ja jetzt 2,5 Milliarden Euro zugesichert worden. Wie sollen in Zukunft Kontrolle und Transparenz seitens des Anteilseigners Bund gewährleistet werden, da diese Mittel nicht, wie im Bundesschienenwegeausbaugesetz - ein kompliziertes Wort festgelegt, als ein zinsloses Darlehen, sondern als nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse gezahlt werden sollen?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Das ist ja schon jetzt der Fall. Da gibt es keine Änderungen. Die LuFV - die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, das sollte man für diejenigen Kolleginnen und Kollegen hinzufügen, die das Kürzel „LuFV“ nicht kennen - ist dem Verkehrsausschuss gestern Abend zugegangen. Wir werden sie heute dem Haushaltsausschuss zustellen. Die beiden Fachausschüsse haben dann, wie im Parlament beschlossen und zugesagt, die Möglichkeit - sie ist ja noch nicht abgeschlossen; dies ist ein Entwurf -, sich mit der LuFV zu beschäftigen. Aus unserer Sicht ist, wenn wir diese LuFV so beschließen, der Einsatz der Mittel so klar und so transparent geregelt wie nie zuvor, weil wir uns mit der Bahn auf genaue Anlageklassen geeinigt haben, die nachvollziehbar und transparent sind, und weil wir die Möglichkeit haben, über Testate einerseits des Wirtschaftsprüfers und andererseits derjenigen, die die Investitionen testieren müssen, genau nachzuvollziehen, wohin das Geld geflossen ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage. ({0}) Dann kommen wir zur Frage 17 der Kollegin Bellmann: Welche Kenntnisse - Finanzierung, Planungs- und Realisierungsstand, zeitliche Realisierung, Beteiligung der betroffenen Bundesländer - liegen der Bundesregierung hinsichtlich des Gesamtvorhabens Sachsen-Franken-Magistrale vor, und ist die Bundesregierung gewillt, den aktuellen Finanzierungsengpass - zum Beispiel für eine vollständige Elektrifizierung der Strecke - mit Mitteln des am 5. November 2008 beschlossenen Wirtschaftsförderungsprogramms oder bereits in den Bundeshaushalt eingestellten Geldern - beispielsweise für die nicht realisierte Transrapidstrecke zum Flughafen München Franz Josef Strauß - zu finanzieren?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank. - Frau Kollegin Bellmann, einen aktuellen Finanzierungsengpass sehe ich nicht. Der Ausbau der sogenannten Franken-Sachsen-Magistrale ist im Wesentlichen zwischen Hof und Dresden - bis auf die beiden Eisenbahnknoten Chemnitz und Zwickau - abgeschlossen. Der Abschnitt Werdau-Leipzig befindet sich noch im Bau. Der Umbau des Bahnhofs Chemnitz Hauptbahnhof hat im Oktober 2008 begonnen. Bisher wurden Abschnitte mit einer Länge von insgesamt rund 190 Kilometern grundlegend saniert und mit moderner Leit- und Sicherungstechnik ausgerüstet sowie für den Einsatz von Neigetechnikfahrzeugen angepasst. Für die Planung und den Bau wurden bis Ende 2007 Mittel in Höhe von insgesamt 1 001 Millionen Euro verausgabt. Das sind 1 Milliarde und 1 Million Euro. In diesem Zusammenhang verweist die Bundesregierung auf den Schienenwegeausbaubericht, der dem Parlament in regelmäßigen Abständen zugestellt wird und der im Internetauftritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einzusehen ist. Die erforderlichen Abstimmungen mit den Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes, insbesondere mit der DB Netz AG, zur Einordnung der Elektrifizierung des Abschnittes Hof-Reichenbach-Vogtland im Zuge der sogenannten Franken-Sachsen-Magistrale in die mittelfristige Investitionsplanung konnten bisher noch nicht abgeschlossen werden. Zur Finanzierung aus Mitteln des am 5. November 2008 beschlossenen Maßnahmepaketes der Bundesregierung zur Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung kann zurzeit noch keine Aussage getroffen werden, da die Beschlussfassung zu diesem Maßnahmepaket dem Haushaltsgesetzgeber vorbehalten ist. Sie wissen, dass wir am 20. November die Bereinigungssitzung haben und das Haushaltsgesetz Ende November in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag beraten werden soll.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Bellmann, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihre Antwort halte ich für ziemlich abenteuerlich, weil Sie im ersten Teil sagen, es gebe keinen Engpass, und im zweiten Teil, dass die Elektrifizierung - zum Beispiel die der Strecke Hof-Reichenbach - noch nicht abgeschlossen ist. Das beschreibt den finanziellen Engpass, den es gibt. Die beiden Anrainerländer Bayern und Sachsen beziffern ihn auf ungefähr 33 Millionen Euro. Das Land Sachsen konnte die Planung mit EFRE-Mitteln betreiben; aber auf der bayerischen Seite fehlt es noch. Deswegen war meine ursprüngliche Frage, auf die Sie jetzt nicht geantwortet haben, ob wir das möglicherVeronika Bellmann weise mit den Mitteln, die für den Bau der Transrapidstrecke zur Verfügung gestellt werden sollten, ausgleichen könnten.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ein Finanzierungsengpass entsteht dann, wenn eine Maßnahme baureif ist und das Geld fehlt, sie zu beginnen. Ich habe Ihnen aber in meiner Antwort - ich glaube, sehr überzeugend - dargestellt, dass dann, wenn man bereits 1 Milliarde Euro investiert hat, davon keine Rede sein kann. Jetzt geht es darum, dass wir die noch ausstehenden Projekte - unter anderem die Elektrifizierung planen und dann das Geld zeitnah zur Verfügung stellen. Von daher sehe ich eine Finanzierungsnotwendigkeit am heutigen Tage nicht. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir jetzt über das Maßnahmepaket sprechen und wir, wenn der Bundestag entsprechend beschlossen hat, den nächsten Schritt tun können, so wie wir das bei allen anderen Projekten auch machen. Man kann über eine Finanzierungsvereinbarung und über Finanzmittel auf der Grundlage eines vorgelegten Planes beschließen. Daran arbeiten wir genauso wie die Sachsen. Sie können sich daran erinnern, dass wir es waren, die vorgeschlagen haben, einen Teil dieser Maßnahmen über EFRE-Mittel zu finanzieren. Sachsen hat dankenswerterweise zugesagt, die Kofinanzierung der Mittel zur Hälfte zu übernehmen, also eine Hälfte trägt der Bund, die andere Hälfte Sachsen. Das zeigt, dass wir auf einem sehr guten Wege sind. Auf die Frage zu den Transrapidmitteln haben wir schon auf mehrere Fragen von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages antworten müssen: Leider hätten diese Mittel im Haushaltsplan erst eingeworben werden müssen. Es ist nicht so, dass wir sie in einem Tresor liegen hätten und wir jetzt krampfhaft überlegen müssten, für welche anderen Maßnahmen wir sie ausgeben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine Nachfrage? - Bitte.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine zweite Nachfrage knüpft an das an, was Sie eben zu dem Maßnahmepaket zur Konjunkturstabilisierung bezüglich der Verkehrsinfrastruktur gesagt haben. Wir alle wissen, dass nur das finanziert werden kann, was bereits planfestgestellt ist, wo also ein gewisser Planvorlauf vorhanden ist, damit dieses Konjunkturstabilisierungsprogramm schnell wirksam werden kann. Im Bereich Straßenbau ist mir zumindest aus meinem Bundesland bekannt, welche und wie viele planfestgestellte Verfahren es gibt. In mehreren Bundesländern sind viele planfestgestellte Verfahren noch nicht durchfinanziert. Meine Frage ist: Wie sieht es im Bereich Schiene - abgesehen von der Elektrifizierung der Sachsen-Franken-Magistrale -, vor allen Dingen im Osten Deutschlands und insbesondere in Sachsen, aus? Ich denke an die Planvorläufe und an das, was man möglicherweise in dieses Konjunkturstabilisierungsprogramm einbeziehen könnte.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich habe Ihnen das Prozedere genannt. Wir müssen jetzt abwarten, was der Deutsche Bundestag beschließt. Es wird sicherlich so sein, dass man eine Haushaltsvorlage macht, in der die Bereiche Straße, Wasserstraße und Schiene mit finanziellen Beträgen ausgestattet werden. Weil wir darauf gehofft haben, dass so etwas passiert, sind wir seit einigen Wochen dabei, mit den einzelnen Bauträgern - das heißt bei der Straße mit den Auftragsverwaltungen, aber auch mit der Erfahrung, die wir im Hause haben; mit den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen bei den Wasserstraßen; mit der DB AG bei den Bahnprojekten - eine Grundlage dafür zu schaffen, dass wir einen guten Vorschlag mit Projekten machen, die relativ schnell umsetzbar sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann komme ich jetzt zur Frage 18 des Kollegen Lutz Heilmann: Auf welcher rechtlichen Grundlage sollen Ende dieses Jahres dänische Vermesser im Auftrag der dänischen Femern Baelt A/S Vorarbeiten für den geplanten Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung Messungen auf Fehmarn durchführen ({0})?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sehr geehrter Herr Heilmann! Die Duldungsanordnung wurde am 1. November 2008 in den Lübecker Nachrichten und dem Fehmarnschen Tageblatt veröffentlicht und verweist als rechtliche Grundlage auf § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz. Zuständig für den Erlass einer im Rahmen des § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz erforderlichen Duldungsanordnung ist die Planfeststellungsbehörde, im vorliegenden Fall der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein. Die Bundesregierung ist in diesen Prozess nicht eingebunden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage?

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, da diese Vermessungsarbeiten von der Baufirma Femern Baelt A/S durchgeführt werden: Ist es möglich, dass als Rechtsgrundlage der Staatsvertrag, der zwischen Dänemark und Deutschland geschlossen wurde, gilt?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich darf noch einmal betonen: Die Zuständigkeit für die Duldungsanordnung liegt bei der Planfeststellungsbehörde. Der einschlägige § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz besagt - ich zitiere -: Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte haben zur Vorbereitung der Planung … eines Vorhabens oder von Unterhaltungsmaßnahmen notwendige Vermessungen, Boden- und Grundwasseruntersuchungen einschließlich der vorübergehenden Anbringung von Markierungszeichen und sonstige Vorarbeiten durch den Träger des Vorhabens oder von ihm Beauftragte zu dulden. Das ist ein Zitat aus dem Gesetz, das auch bei allen anderen Baumaßnahmen gilt, wenn das vorgesehen ist, was Sie angesprochen haben, wenn es also zu einer Duldungsanordnung kommt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Haben Sie eine weitere Nachfrage?

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Sie beziehen sich auf das Allgemeine Eisenbahngesetz. Es ist richtig, dass das Anwendung findet, wenn Eisenbahnstrecken gebaut werden, also Eisenbahnschienen verlegt werden. Nun wissen wir aber alle, dass die Fehmarnbelt-Querung nicht nur aus zwei Eisenbahnschienen, sondern auch aus Straßen besteht, auf denen Kraftfahrzeuge fahren sollen, und die Hinterlandanbindung ebenfalls eine Straße ist. Insofern meine Nachfrage: Welche Rechtsgrundlage gibt es denn für diese Vermessungs-, Prüfungsmaßnahmen usw.?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Es geht eindeutig um eine Schienenverbindung, die auch von Pkws genutzt wird. Ich glaube, ich habe Ihnen in meiner Antwort schon gesagt, dass die Bundesregierung in diesen Prozess nicht eingebunden ist. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, dass ich anrege, dass Sie diese Frage an die Landesregierung in Schleswig-Holstein richten; denn sie hat diese Duldungsanordnung gemäß § 17 Allgemeines Eisenbahngesetz ausgesprochen und die Richtlinien in den Zeitungen, die Sie zitiert haben, veröffentlicht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht wiederum die Kollegin Astrid Klug zur Verfügung. Die Frage 19 des Kollegen Fell wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Karl auf: Wie beabsichtigt die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, zu gewährleisten, dass den Betreibern von Blockheizkraftwerken nach dem 1. Januar 2009 eine erhöhte Einspeisevergütung für Strom aus mit nachhaltig erzeugtem Palm- und Sojaöl betriebenen Bestandskraftwerken gewährt wird?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Karl, wenn Sie erlauben, würde ich gerne beide Fragen gemeinsam beantworten, weil sie das gleiche Thema betreffen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann rufe ich auch die Frage 21 des Kollegen Karl auf: Welche Haltung nimmt die Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunkts des Erlassens einer nationalen Nachhaltigkeitsverordnung durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein, und wie beurteilt sie diese im Hinblick auf den gesetzgeberischen Willen des Deutschen Bundestages, der die Gewährung einer erhöhten Einspeisevergütung für Strom aus mit nachhaltig erzeugtem Palm- und Sojaöl betriebenen und vor dem 1. Januar 2009 in Betrieb genommenen Biomassekraftwerken im Rahmen der EEG-Novelle - Erneuerbare-Energien-Gesetz - vorsieht?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Die Neufassung des EEG ist am 31. Oktober 2008 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und wird am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Für Strom aus Palm- und Sojaöl besteht dann - wie bislang - Anspruch auf die Grundvergütung und gegebenenfalls den KWK-Bonus. Der Deutsche Bundestag hat den Anspruch auf den zusätzlichen Bonus für nachwachsende Rohstoffe, den sogenannten Nawaro-Bonus, an das Inkrafttreten von Nachhaltigkeitsregelungen gekoppelt. Bis dahin kann für Strom aus Palmöl daher kein Nawaro-Bonus beansprucht werden. Nachhaltigkeitsregelungen werden derzeit auf EUEbene intensiv diskutiert. Im Zuge dieser Diskussion spielt auch die Ausweitung solcher bislang vornehmlich für den Biokraftstoffbereich vorgesehenen Regelungen auf andere Biomasseanwendungen eine Rolle. Ziel aller Beteiligten ist eine Einigung noch im Jahr 2008. Insbesondere die Bundesregierung drängt im Rahmen der Verhandlungen auf ein schnelles Inkrafttreten der EU-Regelungen. Diese wird sie nicht zuletzt im Interesse der Betreiber von Blockheizkraftwerken zügig in nationales Recht umsetzen. Die Bundesregierung bereitet deshalb bereits jetzt parallel zur europäischen Debatte die nationale Umsetzung vor und wird nach Abschluss der Verhandlungen unverzüglich den Entwurf einer nationalen Nachhaltigkeitsverordnung vorlegen. Eine Kabinettbefassung wird für Januar 2009 angestrebt. Sofern der Bundestag zustimmt, kann die Nachhaltigkeitsverordnung dann unverzüglich in Kraft treten. Sie soll mit Rückwirkung zum Kabinettstermin ausgestaltet werden. Für den Fall, dass eine Nachhaltigkeitsregelung auf europäischer Ebene wider Erwarten nicht zustande kommen sollte, würde die Bundesregierung eine nationale Nachhaltigkeitsverordnung beschließen. Damit würde es noch im Jahre 2009 eine verbindliche Regelung zu Nachhaltigkeitskriterien geben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, Herr Kollege Karl?

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst vielen Dank für die Beantwortung. - Eine Nachfrage schließt sich an: Wir haben November. Sie gehen davon aus, dass eine europäische Verordnung in den nächsten fünf bis sechs Wochen kommen wird. Dieses Thema treibt sehr viele Betreiber und Investoren von Blockheizkraftwerken um, weil sie, wenn der NawaroBonus wegfiele, vor dem wirtschaftlichen Aus stünden. Sie könnten das Jahr 2009 nicht überbrücken, um auf eine Verordnung im Jahr 2010 zu warten. Mit welcher Sicherheit gehen Sie davon aus, dass diese europäische Verordnung kommt? Mit welcher Bestimmtheit können Sie uns sagen, dass eine Verordnung der Bundesregierung kommt, und in welchem Zeitraum kann sie umgesetzt werden?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Wir gehen fest davon aus, dass eine politische Einigung auf europäischer Ebene noch in diesem Jahr erreicht wird. Es gibt inzwischen einen breiten Konsens über den Inhalt. Es spricht eigentlich nichts mehr dagegen, dass sie nicht in diesem Jahr beschlossen werden kann. Ich habe eben angekündigt, dass wir dann sehr zeitnah, noch im Januar, im Kabinett die Umsetzung in nationales Recht beschließen werden, und, wenn der Bundestag mitspielt, sehr zeitnah das Verfahren zur Umsetzung der europäischen Regelungen in nationales Recht abschließen werden. Sollte es auf europäischer Ebene zu keiner Einigung kommen, werden wir eine nationale Nachhaltigkeitsverordnung beschließen. Die europäische Debatte und die Nachhaltigkeitskriterien haben ihren Ursprung in der Nachhaltigkeitsverordnung, die wir in Deutschland im Zusammenhang mit dem Biokraftstoffquotengesetz Ende letzten Jahres beschlossen haben. Wenn bis zum Ende des Jahres auf europäischer Ebene keine Einigung erreicht werden kann, wenn dort keine Mehrheit gefunden wird, wollen wir eine nationale Regelung in Kraft setzen. Wir haben die Absicht, das sehr zeitnah zu tun. Dies ist im Interesse der Blockheizkraftwerkbetreiber, die sich bemühen, für das bisher nicht nachhaltig erzeugte Palm- oder Sojaöl eine Alternative zu organisieren und dies entsprechend zu belegen. Sie brauchen aber Kriterien und Systeme, um es belegen zu können. Wir wollen in den Kabinettsbeschluss im Januar auch einbringen, dass diejenigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Verordnung in Kraft getreten ist, den Beweis erbringen, dass ihr Palm- oder Sojaöl laut den definierten Kriterien nachhaltig produziert wurde, rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses einen Anspruch auf den Nawaro-Bonus haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie haben noch eine weitere Nachfrage. - Bitte sehr.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist damit gewährleistet, dass steuerliche Vergünstigungen, Bezuschussungen in keinem Fall wegfallen, wenn die Kriterien im Nachhinein erfüllt werden?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Der Nawaro-Bonus ist ja keine steuerliche Begünstigung, ({0}) sondern wird von den Netzbetreibern bzw. den Energieversorgern im Rahmen der Einspeisevergütung nach dem EEG gezahlt. Wenn wir in der Nachhaltigkeitsverordnung einen solchen Mechanismus verankern, dass derjenige, der zu einem späteren Zeitpunkt, also nach Inkrafttreten der Verordnung, nachweisen kann, dass das Palmöl, das er eingesetzt hat, ab dem Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses nachhaltig produziert wurde, kann der Nawaro-Bonus auch im Nachhinein gezahlt werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dann sind diese Fragen beantwortet. Die Frage 22 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird vom Bundesministerium der Finanzen beantwortet, und zwar nach Frage 34. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht Staatssekretär Dr. Meyer-Krahmer zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur Frage 23 der Kollegin Bärbel Höhn: Wann hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung - und insbesondere die Hausspitze - erstmalig Kenntnis darüber, dass kontaminierte Laugen mit künstlichen Radionukliden - sei es Cäsium 137, Tritium oder Kobalt - im Forschungslager Asse existieren, unabhängig davon, ob Freigrenzen überschritten wurden oder nicht?

Not found (Staatssekretär:in)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Abgeordnete, ich darf hier für meinen Parlamentarischen Staatssekretär antworten. Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung war grundsätzlich über die Durchführung von Radioaktivitätsmessungen informiert. Solche Kontrollmessungen gehören in Anlagen, in denen mit Radioaktivität umgegangen wird oder radioaktive Stoffe lagern, zum Standard. Messprotokolle oder Ergebnisse einzelner Analysen wurden jedoch nicht dem BMBF, sondern der zuständigen Genehmigungsbehörde zugestellt. Daher ist dem BMBF zum Beispiel die Überschreitung der Freigrenze für Cäsium 137 bei kontaminierter Lauge erst zeitgleich mit der Öffentlichkeit Mitte Juni 2008 bekannt geworden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage, Frau Höhn?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich habe extremen Nachfragebedarf. - Ich habe nicht gefragt, wann Sie erfahren haben, dass die Grenzwerte überschritten waren. Das hatten Sie ja bereits ge19814 sagt; zumindest bezüglich der Hausspitze sei das im Juni dieses Jahres gewesen. Ich habe gefragt: Wann haben Sie Kenntnis darüber bekommen, dass es überhaupt eine Kontamination, eine Betroffenheit gab? Darauf antworten Sie, dass Sie grundsätzlich etwas bekommen haben. Ich habe ganz konkret gefragt: Wann haben Sie oder jemand anders aus dem Bundesforschungsministerium, wann hat die Hausspitze das erste Mal davon erfahren, dass in der Lauge Radionuklide nachgewiesen worden sind? Ich habe mich noch nicht einmal auf einen Stoff beschränkt. Ich hätte gerne eine präzise Antwort auf die Frage: Wann?

Not found (Staatssekretär:in)

Im Juni 2008. Die Begründung können Sie im NMUBericht von Anfang September dieses Jahres, in dem der Umgang mit dieser Information mit Nachdruck moniert wird, lesen. Der entscheidende Satz auf Seite 5 lautet: Obwohl das NMU das LBEG - das ist die Genehmigungsbehörde bereits seit 1993 mehrfach angewiesen hatte, dass Kontaminationen von Salzlaugen zu melden seien, bestand für das NMU erstmals im Juni 2006 die Möglichkeit der Kenntnisnahme von kontaminierten Laugen. Dass dabei Freigrenzen überschritten wurden, erfuhr das NMU erstmals im Juni 2008 vom HMGU. So war die Situation auch bei uns im BMBF. Auch wir hatten vor Juni 2008 keine Informationen über diese Ergebnisse.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Höhn, Sie haben eine weitere Frage. Bitte sehr.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine zweite Nachfrage. Mir liegt ein Brief an Ihr Ministerium aus dem Jahre 2001 vor. Darin führte die niedersächsische Behörde aus, dass die Laugen auf Cäsium untersucht werden. In diesem Schreiben findet man also einen Hinweis darauf, dass man sie auf Radionuklide untersucht. Haben Sie auch in der Folge dieses Briefes keinerlei Informationen bekommen und auch nicht nachgefragt, was bei diesen Untersuchungen herausgekommen ist? So muss ich Ihre Antwort nämlich verstehen. Ist das richtig?

Not found (Staatssekretär:in)

Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das Helmholtz-Zentrum in die Lage versetzt wird, die Asse finanziell, fachlich, aber auch von den Geräten her zu betreiben. Dazu gehören auch die Laugenuntersuchungen. Wie Sie wissen, ist seit Ende der 80er-Jahre, seit 1988, Laugeneintritt festzustellen. Seitdem werden grundsätzlich alle Laugen gemessen. Unsere Aufgabe besteht zunächst einmal darin, zu gewährleisten, dass die Voraussetzungen für diese Messungen gegeben sind. Die Messergebnisse werden, wie gesagt, an die Genehmigungsbehörde weitergeleitet. Sie hat die Auswertung und die Kontrolle der Messergebnisse vorzunehmen. Für uns war am wichtigsten, sicherzustellen, dass Proben genommen und gemessen werden und dass die Messergebnisse an die Genehmigungsbehörde weitergeleitet werden. Das ist unsere vornehmliche Aufgabe.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass Sie sehr wohl schon seit längerer Zeit vom Laugeneintritt in die Asse wussten und dass Sie veranlasst haben, Messungen durchzuführen. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich aber nie für die Ergebnisse dieser Messungen interessiert haben und dass Sie erst im Jahre 2008 durch die Medien darauf aufmerksam gemacht geworden sind, dass die Laugen kontaminiert sind?

Not found (Staatssekretär:in)

Sie müssen die Arbeitsteilung der verschiedenen Akteure beachten. Es gibt eine Genehmigungsbehörde - das Landesbergamt -, eine Aufsichtsbehörde - das Niedersächsische Umweltministerium - und das BMBF, das für die Finanzierung der Asse zuständig ist. Unsere Aufgabe besteht darin - ich habe dies schon in meiner Antwort auf die Frage von Frau Höhn erläutert -, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Asse innerhalb des Rechtsrahmens funktioniert. Was die Kompetenzverteilung betrifft, so steht es uns nicht zu, die Ergebnisse der Messungen zu bewerten und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist Sache der Genehmigungsbehörde. Allerdings würden auch wir sagen, dass wir hätten informiert werden müssen. Das ist völlig klar. Im Juni 2008 haben wir deshalb das Informationsgeschehen sofort umgestellt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als letzter Fragestellerin gebe ich der Kollegin Flachsbarth das Wort.

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es ist ohne Zweifel richtig, dass es im Umgang mit der Asse Defizite gegeben hat. Das ist in den vielen Diskussionen, die wir geführt haben, sicherlich deutlich geworden. Welche Maßnahmen hat Ihr Haus, nachdem es über die Kontamination informiert war, ergriffen, um eine mögliche Gefährdung von Umwelt, Mensch und Mitarbeitern auszuschließen und um sicherzustellen, dass die Defizite, die es zweifellos gibt, in Zukunft ausgeschlossen werden können?

Not found (Staatssekretär:in)

Wir haben verschiedene Maßnahmen ergriffen. Zum Ersten haben wir im Rahmen eines Gutachtens unterStaatssekretär Dr. Frieder Meyer-Krahmer sucht, woher diese Kontamination kommt. Danach stammt die Kontamination aus der Kammer selbst, in der dieses radioaktive Material lagert. Zum Zweiten haben wir sofort nach der Ministerentscheidung von Herrn Gabriel, Frau Schavan und Herrn Sander von Anfang September, nach der ein Betreiberwechsel vorgesehen ist, das BfS einbezogen. Das BfS war ab diesem Zeitpunkt an allen Fragen hinsichtlich des Umgangs mit den Laugen und dem radioaktiven Material unmittelbar beteiligt. Es wird keine wichtige Entscheidung mehr gefällt, ohne dass das BfS einbezogen ist. Bereits jetzt befinden sich drei Mitarbeiter des BfS ständig und regelmäßig auf der Asse selbst, um sich das Geschehen anzuschauen. Zum Dritten haben wir inzwischen das Strahlenschutzprogramm erweitert. Wir sind gerade dabei, die Strahlenschutzanforderungen bis Ende dieses Jahres auf das im Atomrecht geltende Niveau zu erhöhen; denn es geht auch darum, dass wir, wenn es zu dieser Übertragung der Asse kommt, hinsichtlich des Erreichens des Strahlenschutzniveaus möglichst weit sind.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Fragen 24 bis 44 werden schriftlich beantwortet. Die Frage 35 wurde zurückgezogen. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/10834 Als Erste rufe ich die Kollegin Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen auf.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Botschaft dieser Tage, die Botschaft aus Gorleben und von den vielen Tausenden Menschen, die dort am Wochenende gegen ein Endlager Gorleben demonstriert haben, ist ja wohl klar. Die Botschaft lautet: Wenn ihr den Konsens aufknüpft, knüpfen wir ihn auch wieder auf. So einfach ist das. - Die Botschaft lautet: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus. - Die Botschaft lautet auch: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. ({0}) Ich glaube, dass wir nach all diesen Demonstrationen am Wochenende zum Teil eine falsche Debatte geführt haben. Es ist darüber geredet worden, ob es nach dem Atomkonsens legitim ist, dort Straßen zu blockieren, sich auf Gleise zu setzen und zu demonstrieren. Das ist eine vollkommen falsche Fragestellung. Die Fragestellung muss eigentlich lauten, ob es politisch legitim ist, den Konsens jetzt wieder aufzuknüpfen, nachdem man sich nach langen politischen Auseinandersetzungen in diesem Land und nach langem Streit auf einen Konsens geeinigt hatte und nachdem man gemeinsam ein Papier unterschrieben hatte, nachdem die Kritiker, die sich Sorgen um die Umwelt und die Gesundheit der Menschen machen, zugestimmt und gesagt haben: Okay, wir nehmen längere Zeiten hin, dafür unterschreibt ihr aber auch den Ausstieg. - Diejenigen, die diesen Konsens nach der ganzen Debatte jetzt wieder aufknüpfen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob ihr Handeln eigentlich legitim ist. ({1}) - Die FDP fragt gleich, was das mit dem Müll zu tun hat. Ich weiß, dass die FDP als verlängerter politischer Arm der Lobbyisten draußen immer solche Fragen stellt. Das wundert mich jetzt ehrlich gesagt gar nicht. ({2}) Sie von der FDP und der CDU/CSU haben die Unverfrorenheit, den Betreibern jetzt noch unter die Arme zu greifen ({3}) und unter dem großen Deckmäntelchen des Klimaschutzes so zu tun, als seien Atomkraftwerke verkannte Klimaschützer. Klein Fritzchen und Klein Erna können das ausrechnen: Jedes moderne Gaskraftwerk, das gerade gebaut wurde, emittiert weniger CO2, als bei der Herstellung von Atomstrom verursacht wird. So einfach ist das. ({4}) Das heißt, man muss sich nicht einmal auf den hohen Ebenen der technologischen Entwicklung befinden. Sie funktionalisieren Ihr Deckmäntelchen. In Wahrheit geht es nicht um CO2 und ums Klima, sondern um den Profit und darum, dass die Betreiber durch längere Laufzeiten noch mehr Geld in ihr Säckel und in ihre Hosentaschen scheffeln. Um nichts anderes geht es. ({5}) Da Sie immer wieder fragen, Frau Kopp, gebe ich Ihnen unter uns Frauen einen kleinen Verbraucherinnenhinweis: Wer Atomkraftwerke betreibt, hat auch zwingend Atommüll. Wer sie noch länger laufen lässt, hat letzten Endes auch mehr Atommüll und somit mehr Castortransporte, Frau Kopp. ({6}) Wir haben eines festgestellt: Ihre Unverfrorenheit, aber auch Asse II und die damit verbundene Unsicherheit haben die Menschen auf die Straße getrieben, und zwar alle Generationen. Sie dürfen sich darüber auch nicht wundern, wenn Sie den Konsens aufknüpfen. Die Konzernvertreter haben zwar den Atomkonsens unterschrieben, halten sich aber nicht daran und investieren jetzt Millionen Euro in Anzeigen, in denen sie als verkannte Klimaschützer dargestellt werden, und sie versuchen seit Monaten, gegen den offensichtlichen Wortlaut des Gesetzes die Laufzeiten von jüngeren AKWs auf die alten zu übertragen. Wenn dies alles passiert und die Lobbyisten in Nadelstreifen immer wieder auf das Kanzleramt und die Ministerien einwirken, dann sagt das Volk in Ermangelung einer Einlasserlaubnis: Die Gleise und die Straßen sind unser. Das ist doch logisch. ({7}) Die Debatte um die Castortransporte wird gerade schärfer, weil Sie mit der Laufzeitverlängerung mehr atomaren Müll bewirken. Das heißt, wenn Sie den Konsens aufknüpfen, auf den sich einige eingelassen haben, dann wird die Sorge größer. Das gilt für Gorleben stellvertretend für alle Regionen. Alle Menschen dort wissen, dass es nie ein ordentliches Auswahlverfahren gegeben hat. An dieser Stelle lügt die CDU/CSU einfach. ({8}) Es hat nie eines gegeben. Man hat sich gedacht: Wunderbar, hier ist der Eiserne Vorhang. Wenn mal ein Unfall passiert, dann machen wir an der anderen Stelle zu. Das war doch die Überlegung. Es ging darum, in einem Zonenrandgebiet eine ganz tolle Zonenrandgebietsförderung zu leisten. Es ging um nichts anderes als um Investitionen in Niedersachsen. Die Menschen gehen auf die Straße. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob es - wenn man Worte wie „christlich“ oder „sozial“ im Namen trägt - richtig ist, die Interessen und Sorgen der Menschen einfach zu negieren. Die Menschen machen sich Sorgen wegen Asse II, weil sie wissen, dass sie den Akteuren - zum Beispiel Klaus Kühn, der Betriebsleiter bei Asse II war - nicht trauen können. Klaus Kühn ist auch zu Gorleben als Gutachter tätig. Das können Sie doch in einer Demokratie niemandem vermitteln. ({9}) Wir vertreten immer noch die Forderung, endlich eine ergebnisoffene Suche durchzuführen. Salz, Ton und Granit müssen untersucht werden. Die Arbeitsteilung, dass in Bayern die meisten Atomkraftwerke stehen und im Norden der Müll eingelagert wird, ist nicht zu akzeptieren. ({10}) Wir sind auch gerne bereit, über eine Neubewertung der Atomenergie zu reden. Die Terrorgefahr ist seit 2001 gestiegen. Die Leukämieraten bei Kindern steigen. Die Kosten für den Atommüll steigen. ({11}) - Natürlich ist das wahr. Rund um die Atomkraftwerke steigen die Leukämieraten. ({12}) - Sie können ja gleich reden. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wenn keiner der Wissenschaftler sagt, er könne schon belegen, dass es zwingend durch die Atomkraft verursacht ist, fällt allen auf, dass im 5-Kilometer-Umkreis von Atomkraftwerken fünfjährige Kinder ein bedeutend höheres Risiko tragen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssten Ihren letzten Satz schon angefangen haben.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die letzte Chuzpe in dieser Woche, die wir alle zusammen zurückweisen sollten, ist der neueste PR-Trick von RWE. Jetzt bieten sie Atomstrom als Klimaschutz an. Atomstrom aus der Steckdose ist für das Klima ungefähr so gut wie Mentholzigaretten gegen Halsweh.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie uns endlich diese Debatte ernster, sauberer und einer Demokratie würdig führen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Hirte, der heute seine erste Rede halten wird, und zwar nicht, weil er ignoriert worden wäre, sondern weil er als Nachrücker dem Bundestag noch nicht sehr lange angehört. ({0})

Christian Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003890, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 1977 war ich ein Jahr alt. Damals hätte niemand gedacht, dass ich heute als Thüringer meine erste Rede hier halte. Damals hätte aber auch niemand gedacht, dass wir heute noch immer keine Lösung für die Endlagerung unserer Kernbrennstäbe gefunden haben. 1977 hatten sich die damals politisch Verantwortlichen in Niedersachsen und Bonn in einer quasi großen Koalition darauf verständigt, im niedersächsischen Gorleben ein Endlager für Kernbrennstäbe einzurichten. 30 Jahre wird also nun schon diskutiert, ob und wie ein mögliches Endlager eingerichtet werden soll. Die Diskussion wird teilweise noch immer so geführt, als könnten wir noch „Nein danke“ zu einem Endlager sagen. Wir können natürlich noch lange diskutieren, ob wir sofort, in 10, 20 oder in 40 Jahren aus der Kernenergie aussteigen. Aber wir müssen uns heute unserer Verantwortung stellen. Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass wir schon Atommüll haben. ({0}) Egal wie man zur Nutzung der Kernenergie steht, wir müssen mit den heute vorhandenen Abfällen umgehen. Diese sind auch mit Ideologie nicht wegzudiskutieren. ({1}) Wir haben also gar keine Alternative zur Endlagerung. Im Übrigen haben wir zumindest bislang noch keine Alternative zur Kernenergie. Zur Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen gehört auch, dass wir für ein bezahlbares Leben Sorge tragen müssen. Wenn wir die Tendenz steigender Energiepreise schon nicht aufhalten können, sollten wir sie wenigstens nicht beschleunigen. Ein verfrühter Ausstieg aus der Kernenergie verursachte aber genau das. ({2}) Deswegen ist die Position der Unionsfraktion hier auch so deutlich. Wir und die große Mehrheit in diesem Land wollen bezahlbare Energie. Ich hoffe, dass das auch für die Mehrheit in diesem Haus gilt. Sichere Energieversorgung bei einem breiten Energiemix, möglichst geringe Importabhängigkeit, bezahlbare Preise für Bürger und Wirtschaft sowie möglichst niedrige CO2-Emissionen, das ist mehr denn je ein zentrales politisches Anliegen, dessen Durchsetzung durch richtige politische Weichenstellungen gewährleistet werden muss. ({3}) Deutschland hat das Potenzial, diese Herausforderung besser als andere zu meistern. Wir haben die Technologie und die Qualifikationsvorsprünge und nicht zuletzt die Innovations- und die Investitionskraft, Energie effizienter zu nutzen und erneuerbaren Energien zum Durchbruch zu verhelfen. ({4}) Diese Vorteile gilt es zu nutzen und weiter auszubauen. Aber noch geht es nicht vernünftig ohne Kernenergie. Niemand wird bestreiten wollen, dass Deutschlands Kernkraftwerke bei weitem die sichersten auf der Welt sind. ({5}) Wir nutzen die Kernenergie seit Jahrzehnten und haben daher die Verpflichtung, die Frage der Endlagerung sicher und nachhaltig zu lösen. Dazu gehört, die 2001 unterbrochene Erkundung des Salzstocks Gorleben so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. ({6}) Uns hilft es heute nur wenig, die Kämpfe von damals zu führen. Wir brauchen Lösungen. Zur Wahrheit gehört, dass im Januar 2001 die rot-grüne Bundesregierung beschlossen und vereinbart hat, dass die deutschen Kernkraftwerke zunächst weiterlaufen, deren Abfälle in Frankreich aufbereitet, dann nach Deutschland zurückgeholt und schließlich hier endgelagert werden. Die Grünen haben in politischer Verantwortung also selbst die Castortransporte mitgetragen, die sie heute politisch und praktisch bekämpfen. Das ist politisch unverantwortlich und wenig glaubwürdig. Die Grünen müssen sich schon entscheiden, ob sie Teil der Lösung oder Teil des Problems sein wollen. Der Bundesumweltminister hat kürzlich in seiner Eröffnungsrede zum Endlagersymposium darauf hingewiesen: Ein betriebsbereites Endlager für diese Abfälle sollte spätestens bis zum Jahr 2035 zur Verfügung stehen, da ab diesem Zeitpunkt sukzessive die Aufbewahrungsgenehmigungen für die Transportbehälterlager sowie die Genehmigungen für die Standortzwischenlager auslaufen. Ich kann nur hoffen, dass wir nicht wieder 30 Jahre warten müssen, bis wir uns einer längst überfälligen Entscheidung stellen. Dann stünde vielleicht meine Tochter, die heute ein Jahr alt ist, hier und würde uns allen zu Recht vorwerfen: Warum habt ihr damals nicht gehandelt und die Lösung des Problems auf nachfolgende Generationen übertragen? ({7}) Jede weitere Verzögerung aus ideologischen oder wahlkampftaktischen Gründen führt in der Sache nicht weiter. Der Umweltminister bleibt aufgefordert - ich zitiere den Koalitionsvertrag -, „die Lösung dieser Frage zügig und ergebnisorientiert“ anzugehen und noch „in dieser Legislaturperiode“ zu einer Lösung zu kommen. Lassen Sie uns aufhören, über das Ob eines Endlagers zu diskutieren. Lassen Sie uns ein Wie finden. Wir brauchen ein Endlager. Die Menschen verdienen im Übrigen bezahlbare Energiepreise. Herzlichen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstes spricht die Kollegin Angelika Brunkhorst für die FDP-Fraktion. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Demonstrationsrecht ist ein Bürgerrecht, und viele haben davon in Gorleben am letzten Wochenende Gebrauch gemacht und sich auch korrekt verhalten. Aber leider haben wir in den vergangenen Tagen auch einiges anderes mit ansehen müssen: Leuchtmunition, die, auf Pferde geschossen, Brandwunden verursacht hat, Steine gegen Polizisten, die zu Verletzungen geführt haben, Anschläge auf Bahngleise, Leuchtraketen gegen Hubschrauber - das ist ganz gefährlich; denn die Dinger fallen auch mal herunter -, Blockaden. Wenn wir heute über solche Ereignisse sprechen, dann möchte ich an einen Satz von Jürgen Schwabe, den Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Universität Hamburg, erinnern. Er hat auf Folgendes hingewiesen: Wenn der Staat dafür sorgen muss, dass friedlich protestierende Demonstranten von Bahngleisen entfernt werden, dann kommt es - jedenfalls wenn man in einem Rechtsstaat lebt - nicht so sehr darauf an, ob diese dabei friedlich sind, sondern es kommt darauf an, ob es eine Rechtsverletzung ist. - Und das ist es. ({0}) Warum ich diesen Hinweis an dieser Stelle für so wichtig empfinde, wird dann schnell klar, wenn ich das Verhalten der Kollegen aus der grünen Fraktion am vergangenen Wochenende beleuchte. Wenn man auf die Homepage einiger grüner Fraktionsmitglieder schaut, dann sieht man, welche Eindrücke sie geschildert haben. Frau Pothmer beispielsweise zeigt sich begeistert. ({1}) Sie hat in ihrer Heimatlyrik geschildert, es seien sehr viele junge Gesichter zu sehen gewesen, sie sprach vom Teil der Bewegung - achten Sie einmal auf die Wortwahl! -, es ging um den Kampf und die Heimat. Sie sprach von vielen grünen Fahnen aus vielen Bundesländern, die bei der Kundgebung gewesen seien: Die grüne Jugend in der Blockade …, ({2}) mein Platz war bei der bäuerlichen Notgemeinschaft. ({3}) Solche Formulierungen beklemmen mich. Sie lullen doch wirklich ein, Frau Künast. ({4}) Frau Bärbel Höhn steht ihrer Kollegin in nichts nach. Frau Höhn sah ihre Aufgabe als Bundestagsabgeordnete darin - wiederum wörtlich -, bei den Sitzblockaden anwesend zu sein und darauf zu achten, dass es von allen Seiten friedlich zuging ({5}) und dass die Polizei beim Wegräumen die Rechte der Demonstranten achtete. Das schlägt nun wirklich dem Fass den Boden aus. Wie steht es denn wirklich um die wunderbare Friedlichkeit, die die Kollegen von den Grünen in solch eine gefährliche Schwärmerei versetzt? Frau Höhn, ich fürchte, die Rechte der Demonstranten sind nicht so sehr das Problem, das uns hier bewegen sollte, sondern der Rechtsbruch, zu dem Sie junge Leute ermuntern, indem Sie da sind und sich solidarisch erklären. ({6}) Das ist die Botschaft, die Sie vermitteln. Sie ermuntern zum Rechtsbruch. Das ist nicht zu fassen. Was ist eigentlich mit den Rechten von Tausenden Polizisten? Was ist denn mit den Rechten von Hunderttausenden Bahnreisenden, die keine Verbindung haben? ({7}) - Frau Künast, lassen Sie das! Damit kommen Sie nicht weit. ({8}) Es hätte Ihnen, meine Damen und Herren von den Grünen, gut angestanden, zur Besonnenheit aufzurufen, anstatt gedankenlos und opportunistisch Solidaritätsbekundungen abzugeben. ({9}) Es kommt wirklich nicht darauf an - das muss man hier ganz deutlich sagen -, ob Sitzblockaden friedlich sind; sie sind rechtswidrig, und darauf kommt es an dieser Stelle an. ({10}) Ich möchte die Grünen - Sie hatten nicht immer so große Sympathien für Rechtsbrüche - einfach daran erinnern - ich helfe Ihrem Gedächtnis gern auf die Sprünge -, dass es Ihr grüner Umweltminister war, der die Grundlage für die Castortransporte gelegt hat. ({11}) Es war Teil des Atomkompromisses, dass die Brennstäbe aus den Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield zurückgenommen werden müssen. Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Das ist eine Regelung, die bereits im deutsch-französischen Vertrag geregelt ist. Ich möchte noch einen Rückblick in das Jahr 2001 machen. Ich zitiere aus der Welt vom 6. Februar 2001. Dort sagte Herr Jürgen Trittin: Demonstrationen gegen Castor-Transporte in Deutschland halte er für unklug; schließlich seien die Transporte „notwendig und unabweisbar“. ({12}) Im gleichen Artikel erfahre ich auch, dass die heutige Bundesvorsitzende, Frau Claudia Roth, „Demonstrationsaufrufen ihrer eigenen Partei gegen den bevorstehenden Rücktransport von deutschem Atommüll aus Frankreich erneut eine Absage“ erteilte. Die Grünen stünden hinter dem Atomkonsens, und Atommülltransporte seien im Sinne des Atomkonsenses notwendig. Aber sie hat sich jetzt einer anderen Idee hingegeben - eine erstaunliche Wandlung -: Medienwirksam war sie dabei. Super, toll! Das ist schon ein Ding. Sie rief sogar zu zivilem Ungehorsam auf, was auch immer darunter zu verstehen ist. ({13}) Kommen wir auf eine weitere klaffende Lücke in Ihrem Gedächtnis: Die Grünen haben sieben Jahre lang Regierungsverantwortung getragen; aber Sie haben während der ganzen Zeit keine konstruktiven Schritte getan, um die Endlagerfrage zu lösen, überhaupt nicht. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich komme zum Schluss. - Sie haben die ganze Endlagerfrage schlichtweg verdrängt und beklagen nun, dass die Endlagerfrage ungelöst ist. Wo kommen wir denn da hin? An dieser Stelle, ganz zum Schluss, möchte ich Sie fragen: Werden Sie denn - wenn es wirklich dazu kommt, was Sie immer wieder fordern und was leider auch Herr Gabriel jetzt vorhat, nämlich, dass neue Standorte zu finden seien -, wenn es dort zu Widerständen kommt, diese Widerstände ebenso vehement und enthusiastisch unterstützen? Ich weiß nicht, wohin das führen soll.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich jedenfalls sage für meine Partei: 2010 ist das Moratorium zu Ende. Dann wird die Lagerstätte in Gorleben zu Ende erkundet. Wenn die Ergebnisse vorliegen, wird man wissen, was man weiter zu tun hat. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Christoph Pries ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Albert Einstein hat einmal gesagt: Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher. Ich bin überzeugt, wenn Albert Einstein heute auf der Besuchertribüne säße, er hätte seine Freude. Vor acht Jahren hat Rot-Grün im Konsens mit der Energiewirtschaft den Atomausstieg vereinbart. Wir haben damit den längsten und heftigsten gesellschaftlichen Konflikt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beendet - dachten wir zumindest. Damals begann eine geradezu harmonische Zeit: weniger Castortransporte, weniger Proteste und eine neue Energiepolitik. Sogar bei der Endlagerproblematik hatten wir in dieser Legislaturperiode die große Chance, eine Lösung auf breiter gesellschaftlicher Basis zu finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie haben diese Chance mit Ihrer Blockadehaltung vertan. ({0}) - Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]: Wie bitte? Das ist Verkennung der Re- alität!) Bereits im Herbst 2006 hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ein Konzept für die Endlagersuche vorgelegt. Dieses Konzept sieht eine ergebnisoffene und transparente Endlagersuche nach international festgelegten Kriterien vor. Gorleben ist eine Alternative, nicht mehr und nicht weniger. Das Konzept stellt damit einen fairen Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern des Standortes Gorleben dar. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht; Sie haben sich dem Kompromiss verweigert. ({1}) Sie haben es vorgezogen, Endlagerpolitik nach dem Motto Ihres Fraktionskollegen Axel Fischer zu betreiben: Klappe zu, Affe tot. ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, im Jahr 2000 konnte man noch hoffen, das pessimistische Menschenbild von Albert Einstein wäre zumindest für die deutsche Atomund Endlagerdebatte widerlegbar. Diese schöne Aussicht ist seit dieser Woche endgültig zerstört. Die heutige Debatte beweist es. Acht Jahre nach dem Atomkonsens stehen wir wieder am Anfang: Der Atomausstieg ist wieder Wahlkampfthema. In der Endlagerfrage herrscht weiter Blockade; die Gesellschaft ist wieder in zwei Lager gespalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dessen stellt sich die Frage: Wer ist schuld? Schuld sind auf jeden Fall nicht diejenigen, die im Wendland friedlich demonstriert haben; denn diese Menschen fühlen sich betrogen, und das zu Recht. ({3}) Warum? Ich möchte einmal kurz aus der Einleitung des Atomkonsenses zwischen der Bundesregierung und der Energiewirtschaft vom 14. Juni 2000 zitieren. Dort heißt es: Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird. Ich betone: dauerhaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute muss man ganz klar feststellen: Wir haben unsere Zusagen gehalten. Die Energiewirtschaft hat das gegebene Wort gebrochen, tatkräftig unterstützt von Union und FDP. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion volles Verständnis für die friedlichen Demonstranten. Diese Menschen haben den Zusagen der Energiewirtschaft vertraut. Sie haben geglaubt, in Deutschland gelte der Grundsatz „Verträge müssen eingehalten werden“. Wir stehen zu diesem Grundsatz. Deshalb gilt für die SPD-Bundestagsfraktion: Am Atomausstieg wird nicht gerüttelt. ({4}) Das Standardargument der Atomlobby lautet: Die Menschen haben nur deshalb Angst vor Atomenergie, weil ihnen das notwendige physikalische Fachwissen fehlt. ({5}) Ich sage: Eine sehr gewagte These, hat doch die Atomlobby selbst ein grundlegendes physikalisches Gesetz völlig vergessen. Das dritte Axiom von Isaac Newton lautet: Kraft erzeugt Gegenkraft. Sehr geehrte Damen und Herren von Union und FDP, glauben Sie wirklich, mit millionenschweren PR-Kampagnen der Energiewirtschaft und ihrer kompromisslosen Haltung in der Endlagerfrage können Sie den Menschen Sand in die Augen streuen? Glauben Sie wirklich, das Thema Atomenergie wird im nächsten Bundestagswahlkampf ein Gewinnerthema? Das hat doch schon 2002, 2005 und auch bei der diesjährigen Landtagswahl in Bayern nicht funktioniert. Statt sich im kommenden Jahr eine blutige Nase zu holen, sollten Sie lieber mit uns das Endlagerkonzept von Sigmar Gabriel umsetzen. Sie befänden sich damit in guter Gesellschaft. ({6}) In allen anderen Ländern werden die Endlager in einem Vergleich der alternativen Standorte bestimmt. Alle Länder haben aus den Fehlern Deutschlands ihre Lehren gezogen. Nur Union, FDP und Energiewirtschaft wollen um jeden Preis an Gorleben festhalten, auch um den Preis eines späteren Scheiterns vor Gericht. Bei der Wahl von Gorleben spielten viele Kriterien eine Rolle. Größtmögliche Sicherheit, Transparenz des Verfahrens und Öffentlichkeitsbeteiligung gehörten nicht dazu. Fest steht, dass wir spätestens 2030 ein funktionsfähiges Endlager für unseren hochradioaktiven Atommüll benötigen. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist dies nur über ein ergebnisoffenes, transparentes und zielgerichtetes Auswahlverfahren sicher zu erreichen. Nur ein solches Auswahlverfahren schafft Rechtssicherheit und die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung. Es ist mit Blick auf die nächsten Generationen unverantwortlich, nur auf Gorleben zu setzen. Ebenso unverantwortlich ist es, jeden Endlagerstandort prinzipiell als ungeeignet abzulehnen. Bundesumweltminister Gabriel hat einen Kompromissvorschlag gemacht. Bewegen müssen sich jetzt andere. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann von uns nicht gerade behaupten, dass wir Altkanzler Schröder viele Tränen nachweinen; aber mit einer Aussage lag er richtig - ich zitiere -: Atomtransporte quer durch die Republik, die nur durch massiven Polizeischutz zu sichern sind, passen nicht zu einer auf Konsens und Zukunftsfähigkeit ausgerichteten Demokratie. Der Elan der damaligen Bundesregierung verließ sie dann allerdings sehr schnell wieder. Die Realität bei Castortransporten sind 17 000 Einsatzkräfte, Aushebelung der Grundrechte, Verbotskataloge, Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Ich könnte das fortsetzen. Die B.Z. titelte in den vergangenen Tagen: „AtomChaoten kosten uns 30 Millionen Euro“. Kollegin Brunkhorst hat eben Ähnliches angeführt. All dies suggeriert verunglimpfend: alles schwarzer Block, alles Chaoten, die dort demonstrieren. Nein, mitnichten! Die, die da demonstrieren, sind Schülerinnen und Schüler, Landwirte, Gewerbetreibende, kommunale Abgeordnete der angrenzenden Kommunen und aller Parteien, es sind Lehrerinnen und Lehrer, fast die komplette Ärzteund auch Pastorenschaft, also ein ganz breites Bündnis aller Bevölkerungsgruppen, hinweg über alle Weltanschauungen. Die Atomchaoten sind andere. Die Atomchaoten sind die, die ein Endlager in einem absaufenden Bergwerk angelegt haben, die Atomenergie sponsern - und das ohne ausreichende Versicherung. ({0}) Es sind die, die schon jetzt 40 Milliarden Steuergelder verschwendet haben: in Schwarzbauten und Sackgassen. Wo nicht gesprochen wird - das ist an Castortagen im Wendland der Fall -, suchen sich die Betroffenen eine andere Sprache, eine Sprache des zivilen Ungehorsams, eine Sprache, die sich mit „Widersetzen“ und „Anliegen deutlich machen“ umschreiben lässt. Sie legen schlichtweg ihre Körper in den Weg. Listige Bauern stellten Betonpyramiden vor den Castor und sich damit gegen die Atompolitik. Sie sagten: Wir wollen keine Konfrontation; wir wollen den Dialog. Sie wollten Gespräche mit Innenminister Schünemann aus Niedersachsen oder Kanzlerin Merkel oder Umweltminister Gabriel führen. Neun Stunden hätten diese Zeit gehabt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen; denn so lange waren sie dort verankert. Aber dieser Dialog fand nicht statt - so wie viele Möglichkeiten zum Dialog nicht genutzt wurden. Diese Bauern treibt die Sorge um ihre Existenz, um ihre ganz persönliche Existenz. Das ist ihre Motivation. Aber mein Herz lacht, wenn ich so viel kreative Energie sehe und erlebe: gegen die Milliardenlobby, gegen eine Politik, die nur verschiebt, verschaukelt, verschweigt, verdrängt und vertuscht und dafür noch nicht einmal zur Rechenschaft gezogen wird. ({1}) Mein Herz lacht, wenn ich erlebe: 16 000 Menschen haben am vergangenen Samstag auf der Demonstration gerufen: Yes, we can. - Die meisten von ihnen sind übrigens nicht für den Erhalt des fadenscheinigen Atomkonsenses, sondern wirklich für ein Abschalten, für eine klare Perspektive, für den Ausstieg aus dieser Politik, und sie machen das auch immer wieder deutlich. Mein Herz lacht, wenn ich sehe, wie Clowns mit Spaß und Lust ihren Protest auf die Straße tragen und so die Absurdität der gepanzerten Staatsmacht entlarven. ({2}) Wer solche Einsätze zwei-, vier- oder, wie ich, zehnmal erlebt hat, verliert den Respekt und glaubt nicht mehr an den so viel beschworenen Dialog. Der Dialog an Castortagen im Wendland ist sehr einseitig: mit Flüstertüte, Räumbefehl, NATO-Draht, Hubschraubern und 17 000 gepanzerten Einsatzkräften. Erzählen Sie mir jetzt nichts von Deeskalation! Das ist so wahr wie die Asse trocken. Ich habe auch diesmal wieder gesehen und hautnah gespürt - wie manche Kolleginnen und Kollegen hier -, wie das ganze Arsenal unmittelbarer Maßnahmen aussieht: kopf- oder gelenkverdrehende Griffe, Faustschläge, Abdrängen, Tritte, Schlagstock- und Wasserwerfereinsatz. Das Gefühl der Demütigung, das dabei aufkommt, ist sehr real. Ich glaube, es ist kein Ausweis von Demokratie, wenn ein solches Gefühl bei Bürgerinnen und Bürgern erzeugt wird, die ganz berechtigte Sorgen, Ängste und Nöte zu Gehör zu bringen versuchen. ({3}) Ich danke den Menschen in Gorleben und anderswo, die immer wieder diesen selbstlosen Einsatz fahren. Ohne sie hätten wir eine WAA. Ohne sie hätten wir Schnelle Brüter und rund 100 Atomkraftwerke in Deutschland. ({4}) Ohne sie wären etliche Skandale - das ist vorhin in der Fragestunde deutlich geworden - immer noch unter der Decke, nicht aufgegriffen und nicht transparent. Sie trotzen dem Atomstaat - und das seit Jahrzehnten, seit über 30 Jahren im Wendland. Ich frage mich nur: Wer wird ihnen einmal und wann ein Bundesverdienstkreuz oder, vielleicht besser, ein Bundesverdienst-X überreichen? Ich danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Künast, Sie haben vorhin nach der Botschaft gefragt. Die Botschaft der Diskussion ist für mich ganz klar - ich rate uns hier wirklich zu einer nüchternen Analyse und nicht zu Emotionalität und Ideologie; die Ideologie in Kernkraftfragen hat dieses Land viel zu lange gespalten -: Unabhängig davon, ob wir, wie Sie wollen, heute oder morgen oder, wie wir wollen, übermorgen wir wollen die Kernenergie nämlich als Brückentechnologie nutzen - aus der Kernenergie in der jetzigen Form aussteigen, muss die Entsorgungsfrage gelöst werden. ({0}) Das wissen Sie genauso gut, wie wir das wissen. ({1}) Wir haben in der Großen Koalition zumindest erreicht, dass jetzt endlich für 95 Prozent dieser Abfälle Klarheit herrscht; denn das Endlager für schwachradioaktive Abfälle in Schacht Konrad ist jetzt im Bau und wird ab 2012/2013 zur Verfügung stehen. Das muss man auch einmal sagen; das ist nämlich eine gute Botschaft. ({2}) Es ist aber auch richtig, dass wir bei der Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle - der Kollege vor mir hat es angesprochen - noch nicht sehr viel weiter sind, als wir Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre waren. In diesem Zusammenhang lassen Sie mich feststellen: Sie, Frau Künast und meine Damen und Herren von den Grünen, waren in dieser Frage auch schon einmal weiter. Frau Brunkhorst hat dazu ja schon fast alle Fakten aufgezählt. In der Tat hat der Parteirat der Grünen - Frau Künast und Frau Roth waren ganz vorne mit dabei 2001 entschieden, dass Demonstrationen gegen den bevorstehenden Rücktransport von Atommüll aus Frankreich unklug seien. ({3}) Herr Trittin war immerhin klug genug, wenn ich das richtig mitbekommen habe, am Wochenende nicht an den Demonstrationen teilzunehmen. Er wollte sich wohl keine Doppelzüngigkeit vorwerfen lassen. ({4}) Er hat sich damit anders verhalten als andere von Ihnen, die dabei waren. Die Grünen haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Castortransporte notwendig und rechtlich nicht abweisbar sind. Insofern muss ich Ihnen klar sagen: Sie schaden mit Ihren jetzigen Aktionen nicht nur Ihrer eigenen politischen Glaubwürdigkeit heute, sondern Sie demonstrieren und protestieren damit quasi auch gegen die Entscheidungen von gestern, die Ihre eigenen Regierungsmitglieder getroffen haben. Das sollte man sich einmal vor Augen führen. ({5}) Ich kann Ihnen, Frau Künast, nur zurufen: Seien Sie froh, dass Sie nicht Mitglied der SPD sind, insbesondere nicht der Hessen-SPD; denn Sie würden wahrscheinlich aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn Sie heute gegen das demonstrieren, wofür Sie sich gestern noch ausgesprochen haben. ({6}) Jetzt möchte ich aber doch noch ein paar inhaltliche Punkte aufgreifen, Frau Künast. Sie haben hier vorhin andere der Lüge bezichtigt. Sie haben behauptet, andere hätten Halbwahrheiten oder Ähnliches gesagt. Dazu kann ich nur sagen: Sie argumentieren mit falschen Angaben und Halbwahrheiten, weil Sie offensichtlich versuchen - das ist ja legitim, solange man das auch darlegt -, ein politisches Süppchen zu kochen. ({7}) Sie haben nämlich offensichtlich ein wenig Angst, in die Defensive zu geraten, weil die politische Diskussion und auch die Diskussion in der Bevölkerung im Moment in eine andere Richtung laufen: Hier wird für einen rationaleren Umgang mit der Kernenergiefrage plädiert, und das Polarisieren fällt offensichtlich nicht mehr auf so fruchtbaren Boden, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Deshalb würde ich die Ereignisse vom vergangenen Wochenende eher als letztes Aufbäumen betrachten, bei dem versucht wird, an alte Zeiten anzuknüpfen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Lassen Sie mich, Frau Künast, nachdem Sie eben im Zusammenhang mit der Endlagerung von Halbwahrheiten gesprochen haben, noch ein weiteres von vielen Beispielen, die es gibt, anführen, nämlich das Thema Gorleben. Es wurde vorhin gesagt, der Standort Gorleben sei willkürlich von der Politik festgelegt worden. ({8}) Gorleben wurde nach der Untersuchung von mehr als 140 Salzstöcken in einem mehrstufigen Verfahren als potenzieller Standort für ein Entsorgungszentrum mit Endlager ausgewählt. Dieses Verfahren war transparent und nachvollziehbar. Das wurde ja schon alles belegt. ({9}) Die Erkundung erfolgte im Einvernehmen von Bund, Land und Standortgemeinden. Vielleicht noch ein Wort zu den Standortgemeinden: Es ist doch schon erstaunlich, dass sich dort in den vergangenen 20, 30 Jahren immer eine politische Mehrheit für die Weiterführung der Erkundungen ausgesprochen hat. ({10}) Die wenigsten von denen, die am Wochenende demonstrierten, kamen aus der Region. Über 90 Prozent waren Zugereiste, die von Ihnen oder anderen herbeigerufen wurden, um, wie schon erwähnt, ein letztes Aufbäumen zu veranstalten. Sie sollten meiner Meinung nach die demokratischen Entscheidungsprozesse in den Standortgemeinden respektieren. Dort haben sich diejenigen, die sich dafür ausgesprochen haben, diese Erkundungen zu Ende zu führen, schon mehrfach demokratischen Wahlen gestellt. Wir befinden uns jetzt - in diesem Fall durch Herrn Trittin verschuldet - in der Situation, dass wir nicht weiterkommen. Alle Fragen, die als Begründung für das Moratorium angeführt wurden, sind seit 2005 abschließend gelöst. Lassen Sie uns Gorleben weiter erkunden, um festzustellen, ob es geeignet ist. ({11}) Es geht nicht darum, politisch die Eignung festzustellen, sondern wir wollen, dass der Erkundungsprozess zu Ende geführt wird. Wenn der Prozess in der Sache zu Ende geführt ist, dann können wir feststellen, ob der Standort geeignet ist oder nicht. ({12}) Wir unterwerfen uns da gerne jeglichem internationalen Review, um dieses Vorgehen entsprechend testieren zu lassen. Deshalb ist das, was Sie dort tun, leider politische Brandstiftung, aber kein Beitrag zur Beantwortung der Entsorgungsfrage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Künast hat die Gelegenheit nicht genutzt, aber die Frau Kollegin Höhn wird sich gleich in ihrem Redebeitrag sicherlich eindeutig von Gewalt und Straftaten im Zusammenhang mit den Demonstrationen distanzieren. ({0}) Das hätte ich auch von Ihnen heute an diesem Rednerpult gerne gehört. Auch Kernkraftgegner müssen verantwortlich handeln und ihren Beitrag leisten. Ich danke abschließend ausdrücklich der Polizei, die ständig Herr der Lage war, die das gesunde Mittelmaß zwischen Demonstrationsfreiheit und Sicherheit von Menschen und Sachen gefunden hat und auf deren Rücken die Dinge ausgetragen wurden. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war am Samstag mit dabei; ich war eine der 16 000 Menschen, die in Gorleben friedlich und fantasievoll demonstriert haben. Ich muss sagen: Es war Ausdruck lebendiger Demokratie und sehr fantasievoll, was die Bürgerinnen und Bürger dort gemacht haben. Das war ein sehr großes Erlebnis für mich, und es wäre schön gewesen, wenn Sie, Herr Pfeiffer, mit dabei gewesen wären. ({0}) Wenn Brigitte Pothmer in Begeisterung schwelgt, hat das auch etwas damit zu tun, dass wir dort Hunderte von Treckern gesehen haben, alle mit Dannenberger Kennzeichen, Bauern, die sehr bewusst demonstriert haben: Wir wollen diesen Atommüll in unserer Region nicht. Das war eine klare Demonstration der Bauern dort, Herr Pfeiffer. ({1}) Bauern haben vor der Bayern-Wahl vielleicht noch CSU gewählt; aber jetzt müssen Sie aufpassen, dass sie Ihnen nicht auch in Niedersachsen von der Fahne gehen. ({2}) Wenn Sie, Herr Pfeiffer, hier sagen: „Das war ein letztes Aufbäumen“, dann haben Sie es einfach nicht verstanden. Sie sagen: Die anderen sind in der Defensive. Gleichzeitig halten Sie hier eine Rede, die von Defensivität wirklich nur so tropft. Herr Pfeiffer, das war ein Pfeifen im Walde, was Sie hier an diesem Rednerpult geliefert haben. ({3}) Ja, es gibt ein Wiederaufleben des Konfliktes; es wird wieder demonstriert. Das hat zwei Gründe. Erstens sind die Leute gekommen, weil der bestehende Atomkonsens aufgekündigt werden soll. Dieser Atomkonsens ist übrigens der Grund dafür, dass viele in den letzten Jahren nicht mehr demonstriert haben. Das ist das große Verdienst von Rot-Grün. Wir haben einen jahrzehntelangen Konflikt entschärft, indem wir einen Atomkonsens und damit das Ende der Produktion von weiterem Atommüll in Deutschland besiegelt haben. ({4}) Das ist der Grund, warum die Leute in den letzten Jahren nicht mehr demonstriert haben. Und warum kommen sie jetzt? Weil Sie von der CDU und von der FDP gemeinsam mit der Atomwirtschaft diesen gesellschaftlichen Konsens infrage stellen. Deshalb waren die Leute dort, und zwar zu Recht. ({5}) Der zweite Grund ist, dass sie in den letzten Wochen gelernt haben, dass die Frage der Endlagerung keineswegs beantwortet ist, gerade nicht bei dem Salzstock in und um Gorleben. ({6}) Die Betreiber der Asse haben immer wieder behauptet, dass die Asse sicher ist, dass sie trocken ist ({7}) und dass sie Hunderttausende von Jahren sicher sein wird. Dennoch hat sich herausgestellt, dass die Asse undicht ist und sifft. ({8}) - Die Asse ist genau neben Gorleben. Wenn Sie über Gorleben reden, sollten Sie auch über die Asse reden. Wer das nicht macht, hat die Situation vor Ort nicht verstanden. ({9}) Es gab immer eine argumentative Verbindung von der Asse nach Gorleben. Zum Beispiel Professor Kühn hat immer gesagt: Wir überzeugen euch, dass die Asse trocken ist, und deshalb wird es auch in Gorleben funktionieren. Wenn ein Wissenschaftler, ein Quasiwissenschaftler, das so überzeugend darstellt und eine Sicherheit für Hunderttausende von Jahren attestiert und sich dann herausstellt, dass das Ganze nach 20 Jahren durchsifft, muss ich den Leuten, die sich die Frage stellen, ob sie diesem Menschen noch glauben, recht geben. Dieser Art von Sicherheitsargumentation darf man nicht glauben. Und wenn die Menschen einmal getäuscht worden sind, warum sollte das dann in Gorleben nicht wieder geschehen? Es geht darum, dass anderes Wirtsgestein mit untersucht wird. Es geht darum, dass man eine ergebnisoffene Untersuchung durchführt, meine Damen und Herren. ({10}) Frau Brunkhorst, Ihr Parteikollege ist in dieser Frage schon viel weiter als Sie. Vom niedersächsischen Um19824 weltminister halte ich sonst wenig, aber dieses Mal hat er durchaus etwas Vernünftiges gesagt. Er hat nämlich gesagt: Wir brauchen endlich eine ergebnisoffene Suche nach einem Endlager in Deutschland. - Es wäre richtig, wenn Sie von der Großen Koalition damit endlich beginnen würden, ({11}) und zwar dahin gehend, dass man es ähnlich wie in der Schweiz und in Frankreich macht, dass man nicht nur eine ergebnisoffene Suche durchführt, sondern dass man auch die Bevölkerung daran beteiligt. Auch das ist notwendig, um genau das, was Sie vorhin angesprochen haben, Herr Pfeiffer, zu vermeiden, nämlich Gewalt. Ich möchte noch einmal auf das Thema Gewalt zu sprechen kommen. Herr Pfeiffer, Sie haben gesagt, wir sollten auch einmal etwas zum Thema Gewalt sagen. Ich frage Sie: Ist es Gewalt, wenn Bauern in Gorleben Trecker auf die Straße stellen und damit dafür sorgen, dass der Castor nicht durchkommt? Ist es Gewalt, wenn sich Bauern in Gorleben mit einer Betonpyramide auf die zweite mögliche Zugangsstraße stellen und damit dafür sorgen, dass der Transport nicht durchkommt? Ich finde, das war eine Aktion, die sinnvoll und richtig war, um gegen diesen Atomtransport zu demonstrieren. Es war richtig, dass die Bauern das gemacht haben. ({12}) In den 70er-Jahren hat bezüglich Gorleben keine ergebnisoffene Suche stattgefunden. Vielmehr hat Ministerpräsident Albrecht gedacht, er bekomme 12 Milliarden DM in sein Land, und das Ganze könne man an der Grenze zur DDR ruhig bauen. Letzter Punkt, meine Damen und Herren. Sie haben mehrfach Jürgen Trittin angegriffen. Das weise ich schärfstens zurück; denn er hat ganz anders gehandelt. Er hat erstens durch den Atomkonsens deutlich gemacht, dass hier in absehbarer Zeit kein Atommüll mehr produziert wird. Das war wichtig für den Konsens in der Gesellschaft. Er hat es zweitens mit dem Verbot der Wiederaufbereitung und der direkten Endlagerung geschafft, den bereits für Gorleben genehmigten Müll um 80 Prozent zu reduzieren. Dass wir so wenige Transporte nach Gorleben haben, ist Jürgen Trittin und der rot-grünen Regierung zu verdanken. Dafür sollten Sie dankbar sein, weil genau das jahrelang dazu geführt hat, dass wir einen Konsens hatten, dass wir Ruhe an diesem Punkt hatten. Sie stören diese Ruhe. Das Ergebnis dessen, was Sie angestoßen haben, werden Sie ernten. Sie werden nämlich nicht ein letztes Aufbäumen erleben, sondern den Anfang einer kraftvollen Antiatombewegung, die jetzt wieder da ist und Ihnen das Leben schwer machen wird. Wir werden dabei sein. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Hedi Wegener von der SPD-Fraktion.

Hedi Wegener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen ist viel geschrieben und im Fernsehen viel gezeigt worden, seit Sonnabend, seit der ersten Demonstration, die vor dem Castortransport stattgefunden hat. Was hat sich abgespielt auf der Bahnstrecke Frankreich-Deutschland-Niedersachsen-Lüneburg-Lüchow/Dannenberg-Gorleben, in meinem Wahlkreis? Im Übrigen kommen aus meinem Wahlkreis die leukämiebelasteten Kinder der Elbmarsch. In dieser Hinsicht sind es also zwei Baustellen. Wissen Sie, die Bilder im Fernsehen und die Darstellungen in den Zeitungen sind das eine, die Realität ist aber noch viel problematischer. Ich empfehle Ihnen, sich der Auseinandersetzung mit den Atomkraftgegnern zu stellen. Ungefähr 17 000 Polizisten stehen etwa 17 000 Demonstranten gegenüber. Eine Eins-zu-eins-Betreuung gibt es sonst nur noch im Knast und in der Psychiatrie. Ich kann zwischen Demo-Touristen und ernsthaften Atommüllgegnern durchaus unterscheiden. Die Proteste gibt es wieder verstärkt, seit die CDU und seit der Ministerpräsident von Niedersachsen klargemacht haben: Gorleben kommt! Der Salzstock ist gut, und deshalb soll der hochradioaktive Müll dort endgültig eingelagert werden, nicht nur für ein paar Jahre, sondern für immer und ewig. - Die Frage der Entsorgung des Abfalls bleibt aber weiterhin ungelöst. Ob Gorleben der bestgeeignete Standort ist, kann nur im Vergleich mit Alternativen beurteilt werden. Die Proteste haben sich aber auch verstärkt, weil die Union und die Atomlobby den Konsens zum Ausstieg faktisch aufgekündigt haben, und zwar aus reinem Gewinnstreben. Eigentlich waren wir in Zeiten der Finanzkrise so weit, darüber nachzudenken, ob die reine Geldgier der richtige Ratgeber ist. Anscheinend gilt für die Gewinne aus der Atomenergie aber keinerlei Zurückhaltung. Man möchte den Bürger für dumm verkaufen, indem man ihm erzählt, ein steigender Ölpreis habe steigende Strompreise zur Folge, und nur durch Atomkraft könne der Verbraucher bezahlbaren Strom bekommen. Mir scheint, in dieser Sache gilt der gleiche Grundsatz wie im Hinblick auf die Finanzkrise: Gewinne werden privatisiert, und die Verluste - in diesem Falle die Kosten für die Beseitigung des Abfalls - werden sozialisiert. Das heißt, sie werden dem Steuerzahler aufgebürdet, und sie gehen vor allen Dingen zulasten der Gesundheit zukünftiger Generationen. In meinem Wahlkreis ist jedes Jahr im November der Teufel los: ({0}) oben die Hubschrauber, unten die Hundestaffeln, Wasserwerfer und Hundertschaften. Ich habe viele Jahre als Konfliktschlichterin - sowohl bei der Polizei als auch bei den Kirchen - die Demonstrationen begleitet, Tag und Nacht. Ich weiß, dass der Pastor eine Beerdigung in der Nähe der Transportstrecke schnell abschließen muss; ansonsten käme die Trauergemeinde nicht mehr nach Hause. Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass die Schultaschen der Kinder untersucht werden? Da helfen auch Ihre süffisanten Darstellungen vom Ablauf nichts, verehrte Kollegin von der FDP. Verharmlosung ist ein schlechter Ratgeber. Die Bauern, die mit ihren schweren Traktoren und Maschinen die Strecke verbarrikadiert haben, sind nicht verrückt. Sie haben schlicht und ergreifend Sorgen, weil Salz keine Lösung ist. Salz ist löslich, aber nicht die Lösung für die Endlagerung von Atommüll. ({1}) Ich sage nur: Asse! Dieses Stichwort fiel in der Fragestunde ein paarmal. Asse ist der unbestreitbare Beweis dafür, dass die Atomenergie keineswegs eine Form von Ökoenergie ist. Atomstrom kann nur deswegen als sauber dargestellt werden, weil wir den Dreck nicht sehen. Ich sehe es als riesigen Erfolg der Demonstranten an, dass die Niedersächsische Landesregierung eine 180-GradWende vollzogen hat. Jetzt fordert sie, Alternativstandorte zu prüfen. Das ist gut. Überzeugen Sie endlich Ihre halsstarrigen Kollegen in Bayern und Baden-Württemberg! Ich danke an dieser Stelle ganz ausdrücklich der Polizei. ({2}) Mit Umsicht, aber auch mit Konsequenz hat sie den Castortransport begleitet. Der Mix aus Gewährenlassen und konsequentem Durchgreifen hat bewirkt, dass es gut gelaufen ist. Ich teile nicht die Einschätzung der Polizeigewerkschaft, dass die Deeskalation fehlgeschlagen sei. Glauben Sie ja nicht, dass alle Polizisten dort gerne ihren Dienst machen. Überträgt man die Einstellung der Bevölkerung auf die Polizei, so kann man sagen, dass es auch unter den Polizisten viele Atomkraftgegner gibt. Die Polizei hat in den letzten Jahren viel dazugelernt, und sie hat durch einen offensiven Dialog mit der Bevölkerung und mit den Demonstranten zur Konfliktschlichtung beigetragen. An dieser Stelle also meinen ganz herzlichen Dank an die Lüneburger Polizei! ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth das Wort. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die fünfte Jahreszeit im Wendland liegt wieder hinter uns. Castortransporte werden von großen Demonstrationen begleitet, wobei es sich großteils nicht um einheimische, sondern um angereiste Demonstranten handelt. Einerseits sind diese Proteste sicherlich Ausdruck ernsthafter Sorge. Andererseits haben sie inzwischen auch Eventcharakter. ({0}) Tausende von Polizisten waren vor Ort. Blockierer vertrauen, so scheint es, vorbehaltlos der Umsicht der Polizei und der Sicherheit der Transportbehälter. Auch in diesem Jahr gab es wieder gewalttätige Übergriffe Einzelner. Der Event unter dem Dach der Demonstrationsfreiheit ist uns lieb und teuer. Die Sicherung des Transports - zu dem gibt es keine Alternative; das haben schon viele Redner gesagt - kostete den Steuerzahler circa 20 Millionen Euro. ({1}) - Und dann gibt es keine weiteren Transporte? Ein wenig skurril scheint die Mitwirkung einiger grüner Politikerinnen und Politiker auch aus diesem Hause zu sein - wir haben darüber bereits gesprochen -; denn ihr Parteifreund Jürgen Trittin hat diese Transporte veranlasst. ({2}) Er war es, der als Bundesumweltminister anstelle der Wiederaufbereitung in La Hague der Energiewirtschaft aufgetragen hat, die Brennstäbe zurück nach Deutschland zu holen. ({3}) Die jetzigen Transporte sind Gegenstand der Ausstiegsvereinbarung zwischen Rot-Grün und der Atomwirtschaft, ({4}) genauso übrigens wie das zehnjährige Erkundungsmoratorium in Gorleben, das trotz abgearbeiteter Zweifelsfragen weiter anhält. Im Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, waren wir uns doch einig, in nationaler Verantwortung die Frage der sicheren Endlagerung zügig und ergebnisorientiert anzugehen ({5}) und in dieser Legislaturperiode - nicht wahr, Herr Pries zu einer Lösung zu kommen. Letztendlich ist das eine Frage der Generationengerechtigkeit und der Verantwortung für die Sicherheit unserer Bevölkerung; das haben wir, glaube ich, damals gemeinsam so gesehen. In Bezug auf die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle sind wir tatsächlich einen entscheidenden Schritt weitergekommen: 90 Prozent der radioaktiven Abfälle, die allerdings nur 1 Prozent der Radioaktivität veranlassen, können voraussichtlich 2013 im Schacht Konrad bei Salzgitter sicher endgelagert werden. ({6}) Hier hat die Große Koalition entschieden gehandelt. ({7}) Die Umrüstung der Schachtanlage zu einem Endlager hat bereits begonnen. Die erforderlichen Mittel sind im Bundeshaushalt eingestellt. Die Öffentlichkeit wird detailliert informiert und die Leistung der Standortkommune angemessen berücksichtigt. Beim Schacht Asse II hat diese Bundesregierung endlich Verantwortung für ein Versuchsendlager übernommen, dessen gravierende Probleme von der Vorgängerregierung noch ignoriert wurden. ({8}) Jetzt arbeitet man an einem Konzept für eine geordnete Schließung. Dabei haben die Sicherheit der dort arbeitenden Menschen und der Menschen, die in der Umgebung leben, natürlich oberste Priorität. Hinsichtlich eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle treten wir allerdings auf der Stelle. Die Union hatte, weil wir um die Zweifel wissen, ob denn der Standort Gorleben Resultat eines qualifizierten Auswahlverfahrens sei, vorgeschlagen - Herr Pries, nur um auch dazu etwas zu sagen -, die Wiederaufnahme der Erkundung mit einer internationalen Überprüfung nach den Regularien der OECD-NEA zu begleiten. Ein solcher methodisch abgesicherter und international anerkannter Prozess sollte neben der fachlichen Begutachtung natürlich auch zu einer Versachlichung der politischen Diskussion führen. Statt einer inhaltlichen Antwort haben wir dann vom Herrn Bundesumweltminister das Standortauswahlverfahren vorgeschlagen bekommen. ({9}) Ziel soll es dabei sein, nicht, wie im Atomgesetz vorgesehen, einen geeigneten, sondern den bestmöglichen Standort zu finden, weil man sich - so habe ich ihn verstanden - nach Jahren der Erkundung nicht dem Risiko aussetzen wolle, dass ein Gericht die Entscheidung kippt, weil es keine Alternativuntersuchungen gegeben hat. Dass bei der Entscheidung für den Schacht Konrad das OVG Lüneburg im März 2006 gerade im Gegenteil festgestellt hat, dass ein Mangel eben nicht darin bestehe, dass alternative Standorte nicht umfassend und vergleichend untersucht worden wären, wird allerdings ignoriert. ({10}) Namhafte Wissenschaftler bestreiten, dass Vergleichbarkeit möglich ist. Auch das wird ignoriert. Wie es bei einer Alternativerkundung und einer Erkundungszeit für Gorleben von 30 Jahren möglich sein soll, Abfälle tatsächlich 2035 einzulagern - dann nämlich, wenn die Genehmigungen für die ersten Zwischenlager auslaufen -, auch darauf wird nicht geantwortet. Wenn denn die Untersuchungen kürzer sein sollen, also nicht so intensiv wie in Gorleben, dann frage ich mich besorgt, welche Erkenntnisse weggelassen werden sollen und wie das mit der Aussage des BfS zusammenpasst, dass die Sicherheit eines möglichen Endlagers nur mit standort- und anlagenspezifischen Sicherheitsanalysen ermittelt werden könne. Auch auf diese Frage gibt es keine Antwort. Wer soll das Verfahren - das frage ich hier in aller Öffentlichkeit; ich bitte wirklich um Antwort - aufgrund welcher rechtlichen Grundlagen eigentlich finanzieren? Die Erkundung von Gorleben hat 1,5 Milliarden Euro gekostet. Das haben nicht die bösen Strommultis finanziert, sondern die Stromkunden. ({11}) Gar nicht zu reden von der Gretchenfrage - diese Frage hat auch Minister Sander in Niedersachsen gestellt -: Wo, bitte schön, soll denn konkret alternativ gesucht werden? ({12}) Wenn sich nicht der Eindruck aufdrängen soll, der Vorschlag einer Alternativerkundung sei schlicht eine Verzögerungstaktik, die die Lösung der Endlagerfrage offenhalten soll, dann müssen diese Fragen zügig beantwortet werden. ({13}) Das absurde Theater in der Endlagerfrage muss ein Ende haben. Der deutsche Atommüll lässt sich nicht wegdemonstrieren. Die Union fordert die Aufhebung des Moratoriums und die Erfüllung des Koalitionsvertrages. Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt ({0}) von der SPD-Fraktion. ({1})

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Medien und wir alle waren überrascht, dass die Antiatombewegung wieder da ist. ({0}) Wir haben dies mit Wohlwollen wahrgenommen. Wir haben mit Respekt und Achtung vor den Menschen reagiert, die ihre Auffassung vertreten haben. Es gibt natürlich auch Grenzen: Gewalttäter werden nicht akzeptiert. Richtig bleibt dennoch: Demokratie braucht Menschen, die sich engagieren, für ihre Überzeugung eintreten und damit in diesem Staate ein Grundrecht wahrnehmen. ({1}) Ich bekenne auch, dass ich vor vielen Jahren mit vielen Hunderttausenden in Wackersdorf mitgeholfen habe, dass dort keine Plutoniumfabrik gebaut wurde. Wir wurHeinz Schmitt ({2}) den von der einheimischen Bevölkerung unterstützt, die uns mit Frühstück versorgt hat. Darunter waren auch brave einheimische CDU-Wähler. ({3}) Sie waren dankbar, dass auch Menschen von außerhalb gekommen sind, um mitzuhelfen, dass dieses Milliardengrab nicht entsteht. Lassen wir uns nicht täuschen: Wer den Atomkonsens von 2001 aufkündigt, der spielt mit dem Feuer. Der Kompromiss für den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft hat unsere Gesellschaft befriedet. ({4}) Das war eine der großen Leistungen der rot-grünen Bundesregierung. Wer diesen Atomkonsens aufkündigt - das ist die Lehre aus den letzten Tagen -, wird unser Land erneut spalten. Die Antihaltung zur Atomkraft ist sehr wohl begründet. Sie ist nicht weg. Es gibt heute nirgendwo in der Welt eine gesicherte Entsorgung. Das ist kein deutsches Problem. Der Jumbojet Atomkraft ist gestartet, ohne dass eine Landebahn für ihn gebaut wurde. Wir belasten die heutige Generation und auch künftige Generationen für Tausende von Jahren mit atomarem Abfall. Wir nehmen künftige Generationen, Herr Pfeiffer, in Geiselhaft. Der Atommüll ist da; das wissen wir alle. Aber je schneller wir aus der Atomnutzung aussteigen, desto größer sind unsere Möglichkeiten, die Risiken nicht noch größer werden zu lassen. Je mehr Abfall anfällt, desto stärker ist die Wärmeentwicklung und desto größer werden auch die Schutzanforderungen. Hinzu kommen Gefahren wie Terrorismus oder schwere Unfälle. Es ist falsch, Tschernobyl als eigentlich undenkbaren Einzelfall abzutun. Wir haben oft Glück gehabt. Wir kennen die Störfälle der letzten Jahre, auch in Deutschland. Deshalb bleibt aus Sicht der SPD der Atomausstieg richtig. Mehr noch: Gerade für den Klimaschutz ist der Atomausstieg wichtig. Es geht um den Umbau in eine hocheffiziente, sichere und umweltverträgliche Energieversorgung. Atomkraft blockiert Innovationen für erneuerbare Energien und ist mit Effizienz nicht vereinbar. ({5}) Das beste AKW erreicht einen Wirkungsgrad von gerade einmal 35 Prozent. Das ist Technik von gestern. Zu den Geldern wurde schon etwas gesagt. Mein Wahlkreis liegt in der Nachbarschaft der „Versuchswiederaufbereitungsanlage“ Karlsruhe. Dort lagern 60 000 Liter hochangereicherte Flüssigkeiten, deren Entsorgung mit mittlerweile 5 Milliarden Euro kalkuliert wird. In Wackersdorf wurden, wenn ich mich richtig erinnere, 2 Milliarden DM in den Sand gesetzt. So viel zum Thema billige Atomenergie. Auch wenn das Gesetz zum Ausstieg aus der Atomkraft von 2001 der Umweltbewegung nicht weit genug ging, so trug es doch wesentlich zur Befriedung unserer Gesellschaft bei. Dieses hohe Gut dürfen wir nicht verspielen. Der Kompromiss beendete die tiefe Spaltung unseres Landes. Zugleich belegt der Erfolg der erneuerbaren Energien, dass Alternativen zu der risikoreichen und verschwenderischen Nuklearenergie durchaus möglich sind. Wir werden noch zwei Transporte aus La Hague nach Gorleben erleben, um unsere vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dennoch müssen wir einen geeigneten Standort für ein Endlager finden. Es gibt berechtigte Zweifel, ob Gorleben der geeignete Standort ist. Deshalb fordern wir ein unabhängiges Auswahlverfahren. Gerade nach dem Debakel um Asse II gilt als oberstes Ziel: Sicherheit zuerst. Allen voran tun sich CDU und CSU - auch die FDP mittlerweile wieder verstärkt - immer noch schwer, für ein Ende der Atomkraft zu plädieren. Damit betreiben sie ein Spiel mit dem Feuer. Die Atomkraft ist eine Dinosauriertechnik ({6}) - danke schön -, die sich nur rechnet, wenn viel Strom verbraucht wird. Die Zukunft muss anders aussehen. Die Zukunft heißt aus unserer Sicht Einsparung, Nutzung von Solarenergie, Wind- und Wasserkraft, Geothermie und Biomasse. ({7}) Die Energiepolitik rückt ins Zentrum des Wahlkampfes. Daraus kann eine gute, eine notwendige Zukunftsdebatte werden. Auf der einen Seite steht das alte Denken, das von CDU, CSU und FDP vertreten wird; auf der anderen Seite steht der Umbau der Energieversorgung in Richtung Effizienz und erneuerbare Energien. Erlauben Sie mir dieses Bild zum Schluss: Das ist so ähnlich wie George Bush gegen Barack Obama. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe mir aus Welt Online den gleichen Artikel ausgedruckt, den Frau Brunkhorst hier angeführt hat, weil kein anderer Artikel die Doppelzüngigkeit der Grünen so kurz und prägnant belegt. ({0}) Es gibt offenbar rot-grüne Castoren. Das sind die guten Castoren. Dann gibt es die schwarz-roten. Das sind die bösen Castoren. Ich betone „schwarz-rot“, weil der Bundesumweltminister in der Bredouille ist, solche Dinge unterstützen zu müssen. Ich bin froh, dass sich zumindest Kollegen aus der SPD vom Rechtsbruch und von der Gewalt distanzieren. ({1}) Die Grünen bringen das ja nicht über die Lippen. Sie bekommen es nicht hin, zu sagen, dass Rechtsbruch nicht infrage kommt. Dabei müsste ein solches Bekenntnis doch vor allen Dingen von diesem demokratischen Haus ausgehen. Zu dem, was die Grünen hier machen, gibt es Parallelen. ({2}) Ich komme aus dem Landkreis Günzburg. Dort steht das Kernkraftwerk Gundremmingen, und dort existiert seit geraumer Zeit auch ein Zwischenlager. Seinerzeit, vor Trittin, haben die Grünen bei Zwischenlagern immer von Blechhütten oder Tennishallen gesprochen und Gefahren an die Wand gemalt. Als man dann plötzlich Regierungsverantwortung hatte, war das alles plötzlich gut und richtig und man konnte es problemlos zwölffach über die Republik verteilen. Also, wenn das keine Doppelzüngigkeit ist! Das ist ein Unding! ({3}) Da zieht auch das Pseudoargument von Frau Höhn nicht, man habe den Konsens aufgekündigt und deshalb müssten die Atomkraftgegner wieder unterstützt werden. Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was sich hier andeutet, zum Geschäft mit der Angst, das hier gemacht werden soll. Herr Pries, Angst entsteht nicht durch mangelndes Wissen um physikalische Vorgänge. Angst entsteht insbesondere dann, wenn diejenigen, die politische Verantwortung tragen, sie gezielt schüren. Ich bin Frau Kotting-Uhl ausgesprochen dankbar dafür, dass sie zu der KiKK-Studie, die Frau Künast angesprochen hat, im Ausschuss ganz klar gesagt hat, dass der Zusammenhang, den Frau Künast hergestellt hat, nicht richtig ist. Das ist Gott sei Dank nicht so. Sonst wäre das, was Sie in Ihrer Regierungszeit gemacht haben, ja in doppelter Hinsicht unverantwortlich: Wenn Kinder im Umfeld von Kernkraftwerken an Krebs erkranken und an Krebs sterben würden, dann hätten Sie nicht sagen dürfen, dass sie in 20 Jahren oder irgendwann einen Ausstieg anstreben, dann hätten Sie den sofortigen Ausstieg fordern müssen. Das ist schließlich etwas, was Sie vorher immer lauthals gefordert haben. ({4}) Sie haben dem doch zugestimmt, weil Sie wissen, dass das, was Sie hier predigen, nicht wahr ist. Sie verunsichern Familien, indem Sie hier in unsittlicher Art und Weise Dinge vortragen, die nicht haltbar sind. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dies nicht auch noch aufzunehmen und, wie Herr Schmitt vorhin, von Störfällen und ähnlichen Dingen zu reden. Warum diskutiert die Union über die Kernfrage? Weil wir in einer großen industriellen Volkswirtschaft die berechtigte Frage stellen müssen: Wie können wir diese Volkswirtschaft verlässlich, umweltschonend und kostengünstig mit Strom versorgen? ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wir haben miteinander das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen, in dem steht, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 auf mindestens 30 Prozent erhöhen wollen. Die Frage ist: Wo kommen die anderen 70 Prozent her? ({6}) Die Frage müssen Sie beantworten. Sie können sich nicht aus der Affäre stehlen und keine Antwort liefern oder nur von Solarenergie sprechen. Wir müssen sagen, wo die Energie herkommen soll. Diese Frage können Sie unter dem Druck der internationalen Klimapolitik nicht ernsthaft beantworten, wenn Sie die Kernenergie komplett ausblenden. ({7}) Ich sage noch etwas zum Thema Endlager. Man kann viel darüber diskutieren, was man parallel machen möchte, was man noch erkunden und erforschen will. Dazu wird es eine engagierte Debatte geben, die auf das Ziel ausgerichtet ist, in dem heute schon mehrfach angesprochenen Zeitraum tatsächlich ein Endlager zu finden. Dies brauchen wir, egal, ob wir aussteigen oder nicht. Aber ich verstehe nicht - vielleicht kann der Bundesumweltminister, der anschließend spricht, etwas dazu sagen -, warum man das Moratorium in Gorleben mit aller Macht aufrechterhalten muss. Diejenigen, die wirklich daran interessiert sind, dass wir an der Stelle vorankommen, müssen doch die Erkundung weitertreiben. Es gibt bislang kein wissenschaftliches oder technisches Argument gegen Gorleben. An der Stelle weiterzumachen und parallel etwas anderes zu tun, wäre in Ordnung und würde zeigen, dass man es ernst meint. Diejenigen, die sagen, dass das Moratorium bestehen bleiben soll, dass sie Gorleben nicht weiter erkunden wollen, sagen im Grunde doch nur eines: Wir wollen um Himmels willen nicht, dass - ich greife den Vergleich von vorhin auf der Flieger ohne Landebahn irgendwann eine Landebahn bekommt. Denn dann würde die Diskussion, ob man Kernenergie in diesem Land nicht doch verantwortlich nutzen kann, Auftrieb bekommen. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, bei ein paar Punkten muss man aufpassen, dass man nicht zu sehr Versteck spielt. Erstens. Der Atommüll aus La Hague muss zurück nach Deutschland. Es ist deutscher Müll. Deswegen müssen wir ihn zurücknehmen. Der Standort, an den er gehört, ist das Zwischenlager in Gorleben. ({0}) Dazu gibt es keine Alternativen. ({1}) Zweitens. Man darf dagegen demonstrieren; das ist keine Frage. Aber wer den Transport durch den Einsatz seines Körpers, durch Straßenblockaden oder Gleisblockaden aufhalten will, begeht Rechtsbruch. Diejenigen, die das tun, wissen das und empfinden es als das Risiko, das sie bereit sind, einzugehen. Trotzdem ist es Rechtsbruch. Deswegen ist die Polizei aufgefordert, dafür zu sorgen, dass der Transport ungehindert das Zwischenlager erreicht. Liebe Kollegen von der Linken, da werden keine Grundrechte aufgehoben, ({2}) sondern es wird dafür gesorgt, dass die Polizei Recht und Gesetz durchsetzen kann. ({3}) Ich sage das, weil ich in unterschiedlichen Funktionen mit diesem Thema zu tun hatte und weil man den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dort nicht den Eindruck vermitteln darf, sie würden etwas machen, was nicht rechtmäßig ist. ({4}) Ich danke ausdrücklich beiden Seiten: den friedlichen Demonstranten und denjenigen, die - sogar ausweislich der Demonstranten - ihren Job als Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dort außerordentlich gut gemacht haben. Das ist eine Bestätigung, die es nicht immer gibt. Ich finde, beide Seiten haben gut abgewogen dort reagiert. Wir sollten jetzt nicht versuchen, das Ergebnis irgendwie zu konterkarieren. ({5}) Drittens. Eines ist auch klar: Der Protest dort lebt wieder auf, weil zwei wesentliche Bedingungen, die in den letzten Jahren dazu geführt haben, dass der Protest abgenommen hatte, in den Augen der Demonstranten nicht mehr gegeben sind. Es ist nach ihrer Auffassung nicht mehr sicher - das ist die erste Bedingung -, dass der Atomkonsens, eine vertragliche Grundlage mit den Energieversorgungsunternehmen und ein Gesetz, das den Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2020 vorsieht, eingehalten wird. ({6}) - Das ist doch dummes Zeug. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie noch einmal deutlich machen, dass Sie auch an der Stelle unrealistische Positionen vertreten. Aber in der Sache selber war es so, dass - ({7}) - Passen Sie auf: Machen Sie keine Zwischenrufe, sondern halten Sie zu dem Thema eine Rede. Das ist ein bisschen schwieriger, aber das ist eine intellektuelle Leistung, die man als Abgeordneter gelegentlich erbringen muss. ({8}) Dieser Konsens ist in den Augen der Demonstranten aufgekündigt. Es ist nicht mehr sicher, dass sich die Menge des Atommülls nicht unendlich vergrößert. Die zweite Bedingung war, dass es zu einem ergebnisoffenen Auswahlverfahren kommt. Beide Bedingungen sind in den Augen der Demonstranten nicht mehr gegeben. Deswegen wird der Protest in den nächsten Jahren zunehmen. Da bin ich ganz sicher. Deswegen ist das Beste, was man machen kann, diese gesetzgeberisch vorgesehene Maßnahme, aus der Kernenergie auszusteigen, nicht anzuzweifeln und zu einem ergebnisoffenen Auswahlverfahren für ein Endlager zurückzukommen. ({9}) Dann wird es dort weniger Proteste geben. Wer allerdings erklärt, die Atomenergie sei eine Bioenergie, und Atomendlager seien Biotonnen, der treibt die Leute auf die Straße. Das ist die Konsequenz. ({10}) Meine Damen und Herren, auch in der Frage „Wie soll mit Gorleben umgegangen werden?“ gibt es ein Versteckspiel. Frau Kollegin Flachsbarth, ich will Ihnen ganz offen sagen: Aus meiner Sicht haben wir erstens den Koalitionsvertrag eingehalten - wir haben Ihnen im Hinblick auf die Endlagersuche einen Vorschlag gemacht -, und zweitens haben wir angeboten, das Moratorium aufzuheben; ({11}) das steht da drin. Die Bedingung ist allerdings, dass man nicht einfach das Wort „Gorleben“ streicht und stattdessen einen anderen Ortsnamen nennt oder einfach Gorleben stehenlässt; das ist der Vorwurf, den ich dem Kollegen Sander aus Niedersachsen, anders als Frau Höhn, mache. Vielmehr muss man sich endlich auf ein Verfahren verständigen, das weit über eine Legislaturperiode des Bundestages hinaus gilt; das ist die große Schwierigkeit. Das eigentliche Problem ist: Wir diskutieren über die Endlagerfrage. Aber selbst dann, wenn wir Gorleben weiter erkunden und uns letztlich sogar für diesen Standort entscheiden würden, würde das Endlager in Gorleben nicht bis zum Jahre 2025 fertig sein, sondern frühestens 2030 oder 2035. Das heißt, wir haben einen sehr langen Prozess vor uns, der weit über eine Legislaturperiode des Bundestages hinausreicht. Wir haben also die Verantwortung dafür, ein Verfahren zu finden, auf das sich die Menschen in Deutschland - sowohl die Befürworter als auch die Kritiker der Kernenergie - verständigen können; das ist die eigentliche Aufgabe des Deutschen Bundestages. Dieses Verfahren darf aber nicht darin bestehen, nur andere Standorte vorzuschlagen. In diesem Verfahren müssen zunächst die Sicherheitsanforderungen an ein Endlager für hochradioaktive Stoffe festgelegt werden; das ist das Erste, was man tun muss. Was Gorleben angeht, ist man anders vorgegangen. Man hat sich zuerst für den Standort entschieden, dann die Sicherheitskriterien am Standort entwickelt und sogar die ursprünglichen Kriterien verändert. ({12}) - Aber natürlich. Genau das ist in Gorleben passiert. Sehen Sie sich nur einmal an, was mit dem Multibarrierenkonzept geschehen ist. Auf einmal war es nicht mehr nötig, weil es in Gorleben nicht darzustellen ist. Zuerst muss man die Sicherheitsanforderungen festlegen und dann die verschiedenen Standorte miteinander vergleichen. Das ist bisher nicht getan worden. An dieses Verfahren müssen wir uns aber halten. Ich frage mich: Warum blicken wir vor dem Hintergrund der in Deutschland zugegebenermaßen ziemlich verfahrenen Situation nicht einmal in andere Länder? Warum schauen wir uns nicht an, was man in Frankreich macht? Warum schauen wir uns nicht an, was man in der Schweiz oder in Finnland macht? Dort geht man nämlich anders vor. In Frankreich gibt es sogar Standortgemeinden, die sich um ein Endlager bewerben. Dort wird nämlich ein völlig anderes Verfahren praktiziert. Auch in der Schweiz werden zuerst die Sicherheitskriterien festgelegt, dann vergleicht man die Standorte miteinander, und letztlich verständigt man sich auf einen Standort. Dieses Verfahren wird in Deutschland bisher nicht angewandt. Deswegen wird man in Deutschland für keinen Standort, für den man sich entscheidet, Akzeptanz finden. Ich bin mir absolut sicher: Wenn wir morgen an einem anderen Standort mit Untersuchungen beginnen würden, würde sich niemand bereit erklären. Es käme zu den gleichen Protesten wie in Gorleben. Das Einzige, was man tun kann, ist Folgendes: Man muss die Verfahren und die Kriterien, die man anlegt, öffentlich erläutern. So kann man in der Öffentlichkeit Akzeptanz für das Auswahlverfahren und letztlich auch für einen bestimmten Standort gewinnen. Aber an dieser Stelle verweigern Sie sich. Geben Sie es zu! Es ist doch nicht dramatisch und nicht schlimm, zu sagen: Ich habe Schwierigkeiten, diese Entscheidung in meinem Wahlkreis zu vertreten. In meinem Wahlkreis befinden sich zwei Endlager. Ich weiß, wie schwierig eine solche Situation ist. Schon jetzt rufen mich sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg oder Bayern an und fragen mich: Hast du wirklich die Absicht, auch bei uns nach einem Standort Ausschau zu halten? Ich weiß, dass das in diesen Ländern schwierig ist. Man darf aber nicht sagen - das gilt auch für diejenigen, die Gorleben als Standort wollen -: Wir machen einfach in Gorleben weiter. Frau Flachsbarth, ich wundere mich ernsthaft, wie Sie argumentieren. Es ist doch so, dass Sie zum heutigen Zeitpunkt gar nicht wissen, ob Gorleben tatsächlich geeignet ist. Es gibt keine Langzeitanalyse - allein dafür bräuchte man zehn Jahre Zeit -, sondern nur den Begriff der Eignungshöffigkeit. Dieser Begriff stammt übrigens vom Wort „hoffen“. An dieser Stelle kann ich nur sagen: Hoffen und Harren hält manchen zum Narren. ({13}) Was machen Sie denn, wenn sich im Laufe der Zeit herausstellt, dass Gorleben ungeeignet ist? ({14}) Ich sage Ihnen: Wenn sich das erst im Jahre 2020, nach der Sicherheitsanalyse bzw. nach dem Langzeitsicherheitsnachweis, herausstellt, dann stehen Sie mit leeren Händen da. Dann müssen Sie mit der Endlagersuche von vorne beginnen. Das ist das eigentliche Problem. ({15}) In Niedersachsen gibt es nicht viele Sozialdemokraten, die Ihnen sagen: Wenn wir in einem Auswahlverfahren feststellen, dass Gorleben und andere Standorte gleich gut geeignet sind, ({16}) dann kommt das Endlager nach Gorleben. Ich allerdings sage Ihnen, dass das so ist; denn in Gorleben haben wir am meisten investiert. Sie bringen uns mit Ihrem Modell aber in die Situation, dass der Druck am Ende so groß sein wird, dass wir bei den Sicherheitsanforderungen nachgeben müssen, um Gorleben realisieren zu können. ({17}) Das ist der Weg, der auch in Morsleben und bei der Asse beschritten worden ist. Der andere Weg ist natürlich genauso schlimm. Der Druck wird so groß sein, dass man sagen wird: Lasst uns einmal mit den Russen reden und sie fragen, ob sie das nicht nehmen. Es wird die gleiche Situation entstehen. Wir werden bei den Sicherheitsanforderungen nachgeben, weil die Laufzeit der Zwischenlager im Jahre 2035 ausläuft. Wir dürfen dort dann nicht mehr zwischenlagern. Dann wird der Druck so groß sein, dass wir entweBundesminister Sigmar Gabriel der im eigenen Land nachgeben oder prüfen, wem wir das im Ausland unter der Tür durchschieben können, ohne dass wir Einfluss auf die Sicherheitsanforderungen haben werden. Frau Flachsbarth, wenn ich Ihre Aussage ernst nehme und sage, dass wir das lösen wollen, dann muss ich auch sagen, dass das nur dann geht, wenn man zwei oder drei Pferde aus dem Stall lässt. Wenn Sie beim Pferderennen nur ein Pferd herauslassen, das unterwegs vom Oberverwaltungsgericht erschossen wird, dann werden Sie den Siegerkranz am Ende nicht nach Hause tragen. ({18}) Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie zwei oder drei Standorte nach vorher vorgegebenen Kriterien untersuchen, dann werden Sie zu einem Endlager kommen und in Deutschland auch eine Akzeptanz dafür finden. ({19}) Alles andere ist der Weg in die organisierte Unverantwortlichkeit, wie wir sie bei der Asse und in Morsleben vorgefunden haben. Das dürfen wir in Deutschland nicht noch einmal machen. Deswegen gilt unser Angebot: erstens ergebnisoffene Suche, zweitens Fortsetzung oder Aufhebung des Moratoriums in Gorleben - das ist keine Frage; das kann man dann sofort machen - und drittens vorherige Festlegung der Standortkriterien. Dann werden wir zu einem Ergebnis kommen, das man öffentlich auch erklären kann. Wenn das nicht gelingt, dann werden die Proteste größer und dann laufen wir Gefahr, dass wir das Problem im Jahr 2035 nicht gelöst haben. Wir wollen das lösen, aber nicht auf dem Weg, auf dem Asse und Morsleben herbeigeführt wurden. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege Marco Bülow von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es haben heute schon viele Redner darauf hingewiesen, dass sich der Protest in Gorleben wieder verstärkt hat. Ich brauche darüber nicht abstrakt zu diskutieren. Auch ich gehörte schon häufiger zu den friedlichen Demonstranten vor Ort in Gorleben. Wie vielen anderen Demonstranten ging es auch mir eben nicht nur um den Atommüll, der dort angelandet ist, sondern auch um den Protest gegen die Kernkraft insgesamt. Wie viele andere habe auch ich die Diskussionen verfolgt, die dann zu dem Atomkonsens geführt haben. Mir ging er damals zu weit, weil ich dachte, dass man den Kompromiss zu früh getroffen hat und dass dabei zu viele Faktoren außer Acht gelassen wurden. Wie viele andere Atomgegner habe auch ich gesagt: Okay, wir akzeptieren diesen Kompromiss, weil wir dann eine Sicherheit dafür haben, dass wir aus dieser Technologie aussteigen, dass wir diese Gefahren minimieren und dass wir eine Chance haben, von der Atomenergie wegzukommen. Deshalb haben viele Demonstranten gesagt: Okay, dann bleiben wir auch von diesen Demonstrationen weg, mit der Hoffnung, dass der Anteil der Atomenergie nicht nur reduziert wird, wie dies unter Rot-Grün geschehen ist, sondern dass die Atomenergie irgendwann auch einmal gestoppt und der Atommüll nicht noch weiter obendrauf geladen wird. Diese Hoffnung ist eben nicht erfüllt worden. ({0}) Diese Hoffnung wird von denen einseitig aufgekündigt, die diesen Kompromiss damals mitunterschrieben und gesagt haben: Ja, dann habt ihr eine Sicherheit, dass es den Ausstieg gibt. Die Atomkraftbefürworter wollen jetzt nicht mehr zu dieser Sicherheit stehen, wobei - fälschlicherweise - davon ausgegangen wird, dass die Menschen keine Lust mehr auf Demonstrationen haben. Vielleicht werden sie sogar noch benutzt nach dem Motto: Es demonstriert niemand mehr; heute sind ja anscheinend wieder alle für die Atomenergie. - Von daher ist der Protest heute, solange er friedlich ist und ein deutlicher Eindruck hinterlassen wird, gerechtfertigt. ({1}) Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen, die hier diskutiert worden sind. Herr Pfeiffer, Sie haben davon gesprochen, dass die Diskussion sehr von Ideologie geprägt ist. Sie wollten Sachlichkeit schaffen und haben sich darüber beklagt, dass wir in dieser Gesellschaft eine Spaltung haben. Ja, das ist wahr. Ich habe ja gerade darauf hingewiesen, warum wir diese Spaltung wieder haben, nämlich weil der Kompromiss infrage gestellt worden ist. Sie von der Union haben die einmalige Chance, diese Spaltung zu überwinden. ({2}) Im Endeffekt geht es hier nämlich nicht um die Industrie. Wenn die Union sagt, sie sei für den Kompromiss, und wenn sie diesen Atomkompromiss unterschreibt, dann kann die Industrie sagen, was sie will: Dieser Kompromiss wird dann, egal wer irgendwann einmal regiert, durchgesetzt. Das heißt, Sie könnten die Spaltung überwinden. Geben Sie sich also einen Ruck und überwinden Sie die Spaltung! Dann gibt es auch keine Demonstrationen bei den Castortransporten mehr. ({3}) Herr Nüßlein, Sie haben gesagt, dass Sie mit uns dazu stehen - das finde ich sehr gut, weil sich diesbezüglich in der CDU/CSU eine Menge bewegen musste; das ist aber gelungen -, dass wir bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 30 Prozent erreichen und sie weiter ausbauen wollen. Das ist ein wichtiges Ziel. Es ist auch gut, dass es diese Gemeinsamkeit gibt. Ich glaube, dass fast das gesamte Haus dafür einsteht. Sie haben zu Recht nach den übrigen 70 Prozent gefragt. Wir haben noch einen gemeinsamen Beschluss gefasst, nämlich die Energieeffizienz deutlich zu steigern. Der Anteil der erneuerbaren Energien beträgt derzeit 14 Prozent. Er war unter Schwarz-Gelb bzw. zu Beginn von Rot-Grün deutlich niedriger. Energieeffizienz und der Ausbau von erneuerbaren Energien zusammengenommen werden dazu führen, dass wir die Atomenergie nicht mehr brauchen werden. ({4}) Das ist keine politische Aussage einer Partei oder eines einzelnen Abgeordneten. Beispielsweise wird auch in der neuesten Studie der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt deutlich dargelegt, wie ohne Atomkraft sowohl unsere Klimaschutzvereinbarungen als auch alle anderen Energievorhaben umgesetzt werden können. Das zeigt, dass es möglich ist, sowohl mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien als auch mit Energieeffizienz und der Beibehaltung der anderen Technologien, aber ohne Atomkraft einen Pfad zu finden, der eine Energiewende bringt. Dazu gibt es mehrere Studien. Das können Sie alle nachlesen. ({5}) Ich möchte auch auf die Kosten eingehen, die immer wieder angesprochen werden. Nach meinen Informationen will die niedersächsische Regierung die Kosten für die Castortransporte nicht mehr tragen. Ich habe auch gehört, dass sich in Baden-Württemberg mehrere Unionsabgeordnete dafür ausgesprochen haben, die Schweizer dringlich aufzufordern, das Atommüllendlager möglichst nicht in Grenznähe zu errichten, sondern ergebnisoffen nach einem Standort zu suchen. Das wollen wir in Deutschland auch. Wer die Kosten für die Castortransporte nicht tragen will und keine Endlager in der Nähe der eigenen Landesgrenze möchte, der muss sich auch gegen Atomkraft aussprechen. Andernfalls hat es keinen Sinn, diese Rechnung aufzumachen. ({6}) Wenn wir die Laufzeit um zehn Jahre verlängern - wie es einige fordern -, dann fallen 3 500 Tonnen hochradioaktiven Materials zusätzlich an, ganz zu schweigen von den Tausenden von Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Materials. Wenn wir das nicht wollen, dann dürfen wir die Laufzeit nicht verlängern. Diejenigen, die für eine Laufzeitverlängerung eintreten, müssen auch angeben, wo das zusätzliche Material bleiben soll. Ich finde, dass jeder Ministerpräsident und jeder Abgeordnete, der sich dafür ausspricht, das zur Not auch bei sich vor der Haustür akzeptieren muss. Sonst sollte man nicht für eine Verlängerung der Laufzeit plädieren. ({7}) Ich komme zum Schluss. Was die Kosten angeht, sind einige Zahlen genannt worden. In Wackersdorf waren es 1,6 Milliarden Euro. In Karlsruhe sind es mittlerweile fast 4 Milliarden Euro für die Forschung. Das sind weitere 4 Milliarden Euro, für die größtenteils der Steuerzahler aufkommen muss. Wer Atomkraft immer noch für günstig hält, der missachtet die Zahlen, die durch Forschung, Endlager, Sicherheitsbestimmungen und die Castortransporte auch in Zukunft auf uns zukommen werden. Diese Kosten müssen in Zukunft eingerechnet werden. Dann werden wir feststellen: Atomkraft ist nicht nur von gestern, sondern auch überteuert. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt - Drucksache 16/9588 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt - Drucksache 16/10121 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) - Drucksache 16/10822 Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Brandt Michael Hartmann ({1}) Frank Hofmann ({2}) Ulla Jelpke - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10823 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Bettina Hagedorn Roland Claus Omid Nouripour Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt. Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({4})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat durch Verfassungsänderung dem Bundeskriminalamt die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus gestellt. ({0}) Damit es diese Aufgabe erfüllen kann, muss es mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält diese Befugnisse, die uns aus vielen Polizeigesetzen der Länder bekannt sind. Es handelt sich um die üblichen Standardbefugnisse wie Durchsuchung, Befragung und Identitätsfeststellung, aber auch um das Instrument der Telekommunikationsüberwachung und der akustischen Wohnraumüberwachung. Das ist Standard in den Bundesländern. Diese Standards reichen aber nicht mehr aus. Wir wissen, Terroristen bedienen sich komplizierter Verschlüsselungstechniken. Der Sauerland-Fall hat uns das gezeigt. Das BKA hat bis heute, 15 Monate nach der Festnahme und der Beschlagnahme, die auf der Festplatte gespeicherten kryptischen Daten noch nicht entschlüsselt. ({1}) 15 Monate danach! Daraus lernen wir, ({2}) dass der wohlfeile Vorschlag, man möge Computer doch beschlagnahmen, dann brauche man keine Onlinedurchsuchung, untauglich ist. ({3}) Glücklicherweise wurden die Gespräche der Sauerland-Täter im Auto abgehört. Damit war eine Maßnahme erfolgreich, die von einigen noch immer - genauso wie das Abhören von Wohnungen - als Teufelszeug abgelehnt wird. Wäre dies in diesem Fall nicht geschehen, wäre es zu einem Terroranschlag mit möglicherweise Tausenden Toten gekommen. Aus diesem Grunde haben wir dem BKA zusätzlich zu den Standardbefugnissen die Befugnis übertragen, verdeckt informationstechnische Systeme zu überprüfen. Die Beschlagnahme reicht eben nicht aus. Die sogenannte Onlinedurchsuchung ist bei der Terrorbekämpfung unverzichtbar. Sie wird nur unter ganz bestimmten, engen Voraussetzungen und nur in den wenigen Fällen terroristischer Gefährder zum Einsatz kommen. Es ist deswegen reine Panikmache, wenn einige Politiker und Medien dieses Instrument als ein Mittel des totalen Überwachungsstaates diffamieren. ({4}) Herr Ströbele, als wir in der Großen Koalition angetreten sind, fanden wir eine unter rot-grüner Verantwortung erfolgte Ermächtigung zur Onlinedurchsuchung vor. ({5}) Die Ermächtigung erfolgte übrigens im Wege einer Dienstvorschrift, unterschrieben von einem Staatssekretär. Das war die gesamte Ermächtigung zum Eingriff in die Grundrechte der Menschen. Als der Minister davon erfuhr, hat er diesen grob fahrlässigen Umgang mit den Grundrechten unverzüglich gestoppt. ({6}) Demgegenüber hat der FDP-Innenminister Wolf in Nordrhein-Westfalen wenigstens ein veritables Gesetz als Legitimationsgrundlage für die Onlinedurchsuchung in diesem Bundesland vorgelegt. ({7}) Als Jurist muss man aber sagen: Diesem Gesetz stand die Verfassungswidrigkeit sozusagen auf die Stirn geschrieben. Es war also für den ehemaligen FDP-Innenminister Baum ein Leichtes, das Gesetz seines FDPKollegen Wolf in Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesverfassungsgericht aufheben zu lassen; das war keine große Kunst. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bei Herrn Wiefelspütz immer. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Uhl, können Sie bestätigen, dass der FDP-Innenminister von Nordrhein-Westfalen dieses sagenhafte Gesetz nur deshalb gemacht hat, damit das Bundesverfassungsgericht unsere gemeinsame Auffassung bestätigen konnte, dass die Onlinedurchsuchung verfassungskonform ist, und zwar unter strengsten Voraussetzungen, oder gab es andere Motive? Können Sie zudem das seltsame Verhalten der CSU erklären, eine Koalition mit der FDP einzugehen und sich auf die Onlinedurchsuchung zu verständigen? ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das bestätige ich gerne, Herr Kollege Wiefelspütz; denn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hilft uns, das BKA-Gesetz mit der rechtmäßigen Befugnis zur Onlinedurchsuchung auszustatten und heute auf den Weg zu bringen. ({0}) Der vorliegende Entwurf eines BKA-Gesetzes entspricht Punkt für Punkt den Vorgaben, die uns Karlsruhe gemacht hat. Wir gehen zweistufig vor. In der ersten Stufe wird natürlich alles getan, um kernbereichsrelevante Daten nicht zu durchsuchen. Wenn dies aber nicht möglich ist, wird in der zweiten Stufe alles getan, um Kernbereichsdaten nicht zu verwerten, sondern zu löschen. Dies alles haben wir im Gesetz geregelt. Deswegen wird dieses Gesetz, egal wer es angreifen will - die FDP oder andere -, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Bestand haben. ({1}) Ich möchte, weil das das FDP-Verhalten sehr deutlich macht, auf den Koalitionsvertrag zu diesem Thema zwischen der FDP und der CSU in Bayern zu sprechen kommen. In der Koalitionsvereinbarung, die beide Parteien unterschrieben haben, ({2}) heißt es: Onlinedurchsuchungen von Computern stellen einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre dar und sind daher nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig. ({3}) Genauso steht es in unserem Gesetz. ({4}) Dann heißt es weiter: Die gesetzlichen Kriterien sind im Hinblick auf diesen Ausnahmecharakter zu überprüfen. Genau das haben wir in diesem Gesetz gemacht. Dann heißt es in der Koalitionsvereinbarung in Bayern: Insbesondere entfällt künftig die Befugnis zum heimlichen Betreten von Wohnungen im Zusammenhang mit Onlinedurchsuchungen. Deswegen haben wir das von vornherein in unserem Gesetz weggelassen. Der Kernbereich privater Lebensführung - so heißt es in dem Koalitionsvertrag ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unantastbar; ({5}) die dazu ergangenen Regelungen werden präzisiert. Genau diese Präzisierung haben wir, Herr Stadler, in diesem Gesetz vorgenommen. ({6}) Ich empfehle Ihnen, Herr Stadler, und meinen verehrten Kolleginnen und Kollegen von der FDP, aus Glaubwürdigkeitsgründen dringend Ihren Kreuzzug gegen die Onlinedurchsuchung in Berlin nicht auf die Spitze zu treiben und gleichzeitig in Bayern klammheimlich Onlinedurchsuchungen zuzulassen. ({7}) Es geht um ein Gesetz - das sage ich in allem Ernst; denn es geht nicht um irgendein Gesetz -, mit dem wir versuchen, die Bürger dieses Staates vor einem möglicherweise drohenden Terroranschlag zu schützen. Das ist der Sinn, die Ratio Legis: Schutz vieler Menschen vor einem Terroranschlag, von dem keiner weiß, wann er kommt, woher er kommt und wie er aussieht. Wir hoffen doch sehr, dass dieses Gesetz einen Beitrag dazu leistet, dass auch in Zukunft ein solcher Terroranschlag verhütet werden möge und dass den Menschen durch die kluge, vernünftige und sachgerechte Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes - dies soll nicht im Übermaß, sondern mit Sorgfalt und Konsequenz geschehen - ein solcher Terroranschlag erspart bleibt. Danke schön. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDPFraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist quasi ein historischer Tag; denn der Bundestag schreibt Rechtsgeschichte, aber leider nicht im positiven Sinne. Heimliche Durchsuchungen sind ein Novum in der deutschen Geschichte, ein Novum, auf das der Rechtsstaat aus unserer Sicht besser verzichten sollte. ({0}) Mit dem BKA-Gesetz entsteht darüber hinaus eine Polizei auf Bundesebene. Bisher war es so, dass der Bereich der Gefahrenabwehr der Länderebene vorbehalten war. Auch das ist eine Neuerung dieses Gesetzes. ({1}) Aus unserer Sicht war die Gefahrenabwehr auf der Länderebene bisher sehr gut aufgehoben. Eine Polizei des Bundes, nicht nur für besondere Fälle, sondern mittelfristig ein deutsches FBI - das ist etwas, was wir ablehnen. ({2}) Der zweite Schritt, der heute ein Novum darstellt, ist die Bündelung von Kompetenzen beim BKA in bislang nicht gekannter Weise. Sie, Herr Schäuble, wiederholen ständig, dass eigentlich jeder Ortspolizist tun dürfe, was nach dem BKA-Gesetz dem BKA erlaubt ist. Aber das macht es nicht besser und nicht richtiger. Es ist nicht so. Das, was Sie hier vorlegen, ist eine Bündelung all dessen, was irgendwo in einem Landesgesetz steht. Das hat es bisher in keinem Land gegeben. Es ist bedauerlich, dass das jetzt auf Bundesebene durchgesetzt wird und Sie das auch noch verniedlichen. Die stetige Wiederholung macht es nicht wahrer, Herr Minister. ({3}) Meine Damen und Herren, Koalitionsrunden müssen wirklich wunderbare Veranstaltungen sein. ({4}) - Ich habe das schon erlebt; ich habe in NRW die Koalitionsvereinbarung geschrieben. Angesichts dessen, was darin steht, können Sie vor Neid nur erblassen. ({5}) Da wird um Grundrechtseingriffe gefeilscht wie auf einem Basar: Gibst du mir den Wegfall der Erbschaftsteuer bei der Unternehmensnachfolge, gebe ich dir die heimliche Onlinedurchsuchung; tausche Befristung bei der Onlinedurchsuchung gegen Streichung der Eilfallregelung. Grundrechte werden so zur Verhandlungsmasse. Vielleicht hat auch der Einsatz der Bundeswehr im Inneren noch irgendwie damit zu tun. Um den Rechtsstaat geht es leider niemandem von Ihnen mehr, und das ist wirklich sehr bedauerlich. ({6}) Nach erfolgter Einigung musste dann alles ganz schnell gehen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das hat das Gesetz auch nicht verdient. Da wird eingeladen für den Freitag, da wird ausgeladen für den Freitag, da wird eingeladen für den Montag. So kann man mit Parlamentarierkollegen nicht umgehen; das ist kein ordentliches Verfahren. ({7}) Auch dabei ging es Ihnen nicht mehr um den Rechtsstaat. Das, was Sie hier geboten haben, hat eher etwas mit Kasperletheater zu tun. Mit Ihrer Zwischenfrage, Herr Wiefelspütz, haben Sie das eben nahtlos fortgesetzt. ({8}) Ich frage mich nur: Wer ist hier der Kasper, und wer ist das Krokodil? Das habe ich noch nicht ausmachen können. ({9}) Eines weiß ich jedenfalls genau: Der Seppel sind die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Sie narren die Bürgerinnen und Bürger mit dieser unerträglichen Aufführung. ({10}) Und wofür der ganze Aufstand? Zu mehr Rechtsstaatlichkeit führt er jedenfalls nicht. Die Änderungsanträge, die Sie eingebracht haben, machen aus einem schlechten, verfassungsrechtlich bedenklichen Gesetz ein schlechtes, verfassungsrechtlich bedenkliches Gesetz. Daran haben Sie wirklich lange gearbeitet; das muss man Ihnen lassen. Aber es gibt eben kein Mehr für den Rechtsstaat. Sie haben eine Eilfallregelung gegen die Befristung getauscht. Aber vielleicht findet es die SPD ja ganz toll, endlich einmal eine Agenda 2020 zu haben, nachdem die Agenda 2010 für sie zum Albtraum geworden ist. Vielleicht hoffen Sie ja auch selbst, dass Ihr Gesetz noch vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Wir jedenfalls werden alles dafür tun, um das zu erreichen; denn so, wie Sie es hier praktizieren, darf man mit der Verfassung nicht umgehen. Ich will nur ein paar Punkte nennen. Dazu gehören heimliche Onlinedurchsuchungen, bei denen das BKA selber darüber entscheidet, ob der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen ist. ({11}) Dazu gehört die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, die genau das ist, was das Bundesverfassungsgericht schon gesagt hat, nämlich das Überwinden der entscheidenden Hürde zur Ausspähung des gesamten Systems. Herr Uhl, das passiert nicht nur dann und wann; das ist in den letzten drei Jahren 30-mal vom Zoll angewendet worden. 30-mal! Das können Sie auch hier nicht mehr verniedlichen, lieber Herr Uhl. ({12}) Die optische Wohnraumüberwachung mit völlig unzureichendem Kernbereichsschutz zählt dazu. Dabei wird nämlich das sogenannte Richterband mitlaufen, das erst einmal alles aufzeichnet; aber es ist niemand da, der auf Stopp drückt, wenn tatsächlich der Kernbereich erfasst wird. Die akustische Wohnraumüberwachung mit ebenso geringem Kernbereichsschutz und die Überwachung von Kontakt- und Begleitpersonen mit dem gesamten Repertoire von Überwachungsmaschinerie zählen hierzu. Und das kann wirklich jeden treffen, jeden, der irgendwie in Kontakt mit irgendjemandem steht; er muss es gar nicht wissen. ({13}) Weiter gehört dazu die Rasterfahndung unter Missachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts; daran ändert auch Ihre Streichung der Eilfallregelung nichts. Überhaupt ist der Gesetzentwurf nach unserer Auffassung von einer generellen Geringschätzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung getragen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber mit auf den Weg gegeben, dass dieser Bereich absolut zu schützen ist. Das haben Sie nicht konsequent getan. ({14}) Ich habe es eben am Beispiel der Richterbänder beschrieben. Aber Sie haben zum Beispiel beim Einsatz verdeckter Ermittler ebenfalls komplett auf den Kernbereichsschutz verzichtet. Aber Sie handeln ja verfassungsgemäß. ({15}) Hinzu kommt noch die Aushöhlung des Schutzes von Berufsgeheimnisträgern. Ich frage Sie ernsthaft, ob Sie nicht begriffen haben, dass Zeugnisverweigerungsrechte von Berufsgeheimnisträgern Ausfluss der Grundrechte sind, beispielsweise der Justizgrundrechte, die ein faires Verfahren gewährleisten und mithin den vertraulichen Kontakt zum Anwalt sicherstellen müssen. Herr Brandt, ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso Sie als Anwalt da mitgemacht haben. ({16}) Die FDP schätzt die Arbeit des Bundeskriminalamtes, überhaupt keine Frage. ({17}) Wir möchten, dass das BKA besser arbeiten kann, mit gutem Personal, mit ordentlicher Ausstattung. Dazu passt im Übrigen nicht, dass Sie in den vergangenen Jahren den Haushalt des BKA jedes Mal gekürzt haben. Das ist nämlich genau das Gegenteil dessen, was Sie hier immer erzählen. Dieses Gesetz aber hat das BKA wirklich nicht verdient. Wie soll zum Beispiel ein Beamter dort wissen, was unter „Gütern der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“, zu verstehen ist? Wie soll das ein Beamter beim BKA interpretieren, wenn das nicht einmal ein Sachverständiger bei der Anhörung konnte und vor allen Dingen - erschreckenderweise - nicht einmal der Präsident des BKA selbst? Das müssen Sie einmal erklären. ({18}) Es ist unverantwortlich, Beamte mit dieser Entscheidung alleinzulassen. Das führt natürlich nicht zu mehr Sicherheit, sondern eher zu mehr Unsicherheit, nämlich bei denen, die sich für unsere Sicherheit einsetzen sollen. Ich wiederhole: Das ist unverantwortlich. Es gäbe noch viel zu diesem Gesetz zu sagen. Meine sieben Minuten Redezeit reichen leider nicht für alle Kritikpunkte. Deshalb nur noch eines: Wir werden das Gesetz ablehnen. ({19}) Herzlichen Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Fritz Rudolf Körper von der SPD-Fraktion. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf den Ausgangspunkt eingehen: Warum wurde dieses Bundeskriminalamtsgesetz eigentlich novelliert? Das Bundeskriminalamt bekommt mit dieser Novelle Zuständigkeiten, um Gefahren des internationalen Terrorismus in den Fällen abzuwehren, in denen - das ist mir ganz wichtig - eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Das ist im Grunde genommen die Zuständigkeitserweiterung innerhalb unserer föderalen Sicherheitsarchitektur. Das ist eine herausforderungsgerechte Weiterentwicklung. ({0}) Ich finde, das muss man sehr deutlich machen. Als Ergebnis der Föderalismusreform I wurde dem Bund durch den neuen Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a des Grundgesetzes die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz gegeben, das BKA mit entsprechenden Zuständigkeiten auszustatten. Ich sage, das ist herausforderungsgerecht. Auch wenn ich dieses Datum nicht überstrapazieren will: Was die terroristische Bedrohung in unserem Land anbelangt, war der 11. September 2001 ein Schlüsselerlebnis, das man nicht so ohne Weiteres wegdiskutieren kann. Worum geht es jetzt? Welche Aufgaben bekommt das Bundeskriminalamt eigentlich? Die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ist eine gesamtstaatliche Aufgabe mit internationalen Bezügen. Schon jetzt - auch das will ich noch einmal festhalten - obliegt der Dienstverkehr der Polizeien des Bundes und der Länder mit den zuständigen Stellen anderer Staaten grundsätzlich dem BKA. Ich kann mich noch an die Diskussion erinnern, die aufkam, als das BKA nationale Verbindungsstelle von Europol wurde. Offensichtlich hat es auch da eine Verfassungsklage gegeben. Ich möchte auch daran erinnern, dass das BKA nationales Büro für Interpol und nationale Eingangsstelle im Rahmen des Schengen-Verbundes ist. Das zeigt, dass es aufgrund internationaler Gefahrenlagen notwendig war, im Verbund mit dieser Funktion für das BKA entsprechend zu reagieren. Deswegen ist es gut, dass das Bundeskriminalamt bereits jetzt eine besondere, zusammenfassende Funktion bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender oder internationaler Bedeutung hat. Operative Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind bislang jedoch nur auf der Länderebene möglich. Dies bedeutet, dass bei bestimmten Gefahren, bestimmten Hinweisen, bestimmten Informationen im Zusammenhang mit terroristischen Ereignissen, die eben nicht Ländern zuzuordnen sind, zukünftig das Bundeskriminalamt die Möglichkeit hat, dem entsprechend nachzugehen. Das erspart im Grunde genommen den Abklärungs- oder Abstimmungsprozess zwischen den verschiedenen Bundesländern und beispielsweise dem Bundeskriminalamt. In Zukunft hat das BKA die Möglichkeit, bei länderübergreifenden Gefahren, bei unklarer Landeszuständigkeit oder auf Ersuchen eines Landes selbst einzugreifen. Insbesondere aus dem Ausland eingehende Informationen über terroristische Gefahren können so, wie ich eben schon sagte, unmittelbar in Abwehrmaßnahmen umgesetzt werden. Ich will zugeben, dass die Diskussion um den neuen § 4 a Bundeskriminalamtgesetz, wo die Zuständigkeiten geregelt sind, nicht so ganz einfach gewesen ist, ({1}) insbesondere die Diskussion mit den Ländern. Die Lösung ist: Die Länder bleiben zuständig. Das ist ganz sicher kein Nachteil. In der Vergangenheit haben wir, was die Zusammenarbeit der Polizeien von Bund und Ländern betrifft, immer gute Erfahrungen gemacht. Im Übrigen gilt an dieser Stelle unseren Sicherheitsbehörden ein herzlicher Dank für die bisher geleistete gute Arbeit. ({2}) Wir sehen auch eine Evaluierung vor - darauf bin ich stolz -, ({3}) speziell im Hinblick auf diesen § 4 a, was die Zuständigkeitszuschnitte anbelangt, um dann zu erkennen, ob es so funktioniert oder nicht. Ich denke, das ist richtig. Was die Instrumentarien angeht, sehen wir im Grunde genommen nichts anderes vor als das, was in einem normalen Polizeigesetz eines Landes - 16 solcher Gesetze haben wir in der Bundesrepublik Deutschland - festgeschrieben ist. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. ({4}) Neu ist der Komplex, den wir mit „Onlinedurchsuchung“ umschreiben. Das ist keine Erfindung von uns, ({5}) sondern das ist eine neue technische Entwicklung. Wir stellen fest, dass Kommunikation immer mehr online erfolgt. Sicherheitsbehörden dürfen bei einer solchen technischen Entwicklung, die letztendlich Gefahren und Risiken für unsere Sicherheitslage bedeutet, nicht hinterherhinken; das ist, denke ich, einfach so. ({6}) Weil wir Neuland betreten, war es gut, dass wir die Entscheidung in Karlsruhe abgewartet haben. Letztendlich - so ist meine Auffassung - war das kein Schaden, weil die Karlsruher Entscheidung uns sehr geholfen hat und klargestellt hat, was möglich ist und was nicht möglich ist. Ich bin der Meinung: Wir haben exakt entlang den Vorgaben dieser Entscheidung eine gute Regelung gefunden. Was beispielsweise die Onlinedurchsuchung anbelangt, ist in Karlsruhe die Vorgabe formuliert worden: richterliche Anordnung. Diese Vorgabe der richterlichen Anordnung wird von uns umgesetzt. Was die Durchsuchung anbelangt, schreibt Karlsruhe vor: in einem geeigneten unabhängigen Verfahren. Was sehen wir vor? Wir sehen einen Datenschutzbeauftragten aus dem Bundeskriminalamt vor, ({7}) der - § 4 f Bundesdatenschutzgesetz - nicht weisungsgebunden ist und somit frei entscheiden kann. Das ist das genaue Abbilden der Karlsruher Entscheidung. ({8}) Es kommt noch eines hinzu, Frau Piltz. In diesem Verfahren ist es so, dass ein Zweifel des Datenschutzbeauftragten nicht überstimmt werden kann. Wenn der Datenschutzbeauftragte Zweifel artikuliert, wird eine richterliche Entscheidung einzuholen sein - genau wie es die Karlsruher Entscheidung vorsieht. Ich finde, dass wir hier ein gutes Ergebnis vorweisen können. Liebe Frau Piltz, ich sehe es eher positiv, dass unsere Diskussionen und Debatten im Laufe der Zeit auch noch ein paar Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf hervorgebracht haben. Ich bin der Auffassung: Das ist ein gutes Beispiel für gute parlamentarische Arbeit, wie sie eigentlich immer von uns erledigt werden sollte. ({9}) Das kann man an den verschiedensten Punkten festmachen. Meine Kollegen Hofmann und Wiefelspütz gehen noch darauf ein, wie beispielsweise die Eilfallregelung zu verstehen ist ({10}) oder, Frau Piltz, was die Auskunftsverweigerungsberechtigung für Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete anbelangt. Hier haben wir die Regelung aus der Strafprozessordnung übernommen, ({11}) und zwar, wie ich denke, richtigerweise. Aus der entsprechenden Debatte kennen Sie ja auch schon die weiteren Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die intensiv an dieser Gesetzesnovelle mitgearbeitet haben. Ich bin sicher, dass wir mit diesem novellierten BKA-Gesetz einen guten Beitrag für die Sicherheitslage unseres Landes leisten werden. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die oberflächlichen Änderungen, die nach der Expertenanhörung im Innenausschuss am BKA-Gesetz vorgenommen wurden, können meines Erachtens über eines nicht hinwegtäuschen: Dieses Gesetz atmet den Geist eines Obrigkeitsstaates, eines Staates, der einen allmächtigen, alles wissenden Polizei- und Geheimdienstapparat anstrebt, also ein deutsches FBI. ({0}) Das lehnen wir ab, weil es auf Kosten von Grund- und Bürgerrechten geht. ({1}) Bei der Anhörung haben wir erfahren, dass auch von der Union und der SPD benannte Experten auf ganz offenkundige Mängel an diesem BKA-Gesetz hingewiesen haben. Ich will hier nur einige wichtige aufzählen: Es fehlt dem Gesetz an klaren Begriffsbestimmungen. Es wird nicht klipp und klar gesagt, was genau mit dem Begriff „internationaler Terrorismus“ gemeint ist. Es ist nicht klar, wer genau als sogenannte Kontakt- und Begleitperson von vermeintlichen Terrorverdächtigen ebenfalls ausgeforscht werden kann. Es erlaubt den BKA-Beamten in Privatwohnungen einzudringen, um heimlich Wanzen und Kameras anzubringen. Nach dem Großen Lauschangriff kommt jetzt also der große Spähangriff, und das alles, ohne genau zu regeln, unter welchen Voraussetzungen das eigentlich erlaubt sein soll. ({2}) Das alles haben die Sachverständigen bei der Anhörung festgestellt. Die Koalition will, dass das BKA die offenen Fragen einfach selbst beantwortet. Es ist uns ja auch im Innenausschuss gesagt worden: Hier kontrolliert, wer das Gesetz selbst gemacht hat. Der Sachverständige Christoph Möllers hat das Organisationskonzept folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Wir geben allen Behörden, die wir haben, alle Kompetenzen, die wir kennen“, und dann sehen wir weiter. Dass BKA-Chef Ziercke in der Anhörung selbst ausgeführt hat, er möchte gerne so viele Ermittlungsbefugnisse wie nur irgend möglich, das verwundert uns natürlich überhaupt nicht, aber ich sage hier ganz deutlich: Wir dürfen ihm diese Befugnisse einfach nicht geben. ({3}) Denn, meine Damen und Herren, Selbstkontrolle durch das BKA ist ungefähr so, wie einen Alkoholiker in einen Schnapsladen zu stellen und ihn zu ermahnen: Trink nicht zu viel! ({4}) Ich hätte gehofft, dass die Koalition wenigstens auf Professor Hansjörg Geiger hört, einen Mann, der übrigens früher Chef des BND war. Der hat bestätigt, Herr Kauder: Der Kreis der sogenannten Kontakt- und Begleitpersonen ist viel zu weit gefasst. ({5}) Und: Die Regelungen zum Schutz der Privatsphäre entsprechen nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes. ({6}) Das Gesetz vermischt polizeiliche und geheimdienstliche Tätigkeiten; denn es verleiht dem BKA Befugnisse, wie sie normalerweise Geheimdiensten vorbehalten sind. Dazu zählt der ganze Komplex heimlicher Überwachungsmaßnahmen weit im Vorfeld eines konkreten Tatverdachts. Der unbescholtene Bürger laufe Gefahr, so Professor Geiger wörtlich, „zum Objekt staatlicher Ausforschung zu werden“. Ohne Normenklarheit wissen die Bürger nicht, welches Verhalten sie in den Augen der neuen Superbehörde BKA verdächtig macht und wann das BKA sie einem Verdacht aussetzen kann. ({7}) Eine Kontrolle des BKA gibt es kaum noch, weil es ja heimlich ermittelt und heimlich Computer durchleuchtet, Kameras und Wanzen anbringt. ({8}) Nach fünf Jahren soll das Gesetz - Herr Körper hat es hier eben schon freudig angemerkt - evaluiert werden. Wer soll es evaluieren? Die Bundesregierung natürlich. Das kann man nur noch als lächerlich bezeichnen, ({9}) dass die Bundesregierung ein Gesetz macht und meint, sie könne sich selber kontrollieren. ({10}) Ich halte das jedenfalls nicht für eine parlamentarische und demokratische Kontrolle. Dieses Gesetz beinhaltet darüber hinaus die Lizenz zur Willkür. Das ist mit der Fraktion der Linken nicht zu machen. ({11}) Denn wohin diese Willkür führt, haben die Ermittlungsbehörden erst vor wenigen Wochen vorgeführt, als sie auf dem Flughafen Köln/Bonn zwei Reisende festgenommen haben, die angeblich einen Terroranschlag geplant hatten. ({12}) Schon nach wenigen Tagen mussten sie wieder freigelassen werden, weil sowohl die Aktion als auch der Verdacht völlig unbegründet waren. Das kommt meines Erachtens dabei heraus, wenn man der Polizei immer mehr unkontrollierbare Befugnisse einräumt. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir stimmen gegen dieses Gesetz; denn es ist ein weiterer gefährlicher Schritt hin zum Überwachungsstaat und baut Grundrechte und Bürgerrechte deutlich ab. Danke schön. ({13}) und Gert Winkelmeier [fraktionslos]

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Wieland von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beruhigung der Großen Koalition - auch zu Ihrer Beruhigung, Herr Wiefelspütz - sage ich zunächst vorweg: Selbst wir stellen nicht in Abrede, dass wir auch morgen noch in einem Rechtsstaat leben werden. ({0}) - Das wird die einzige Stelle sein, wo Sie mir Beifall spenden. Umso lieber höre ich ihn. - Zur Beruhigung der Kollegin Jelpke sage ich: Auch morgen im Frühnebel werden nicht Männer in schwarzen Mänteln bei Ihnen klingeln; so weit sind wir nicht. ({1}) Das Problem ist ein ganz anderes: Das BKA wird überhaupt nicht mehr klingeln. ({2}) Das BKA verlegt seine Tätigkeit so weit in den Geheimbereich, dass wir die ganze Buchstabensuppe von § 20 a bis § 20 x brauchen, alle Kompetenzen, die hier schon genannt wurden, von Onlinedurchsuchung über IMSICatcher, den Einsatz von verdeckten Ermittlern und V-Leuten bis hin zu Videoangriff, Lauschangriff usw., ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Warum braucht man all das? Weil es im System liegt. Es liegt gerade im Sinn dieser Vorfeldarbeit, dass sie ins Klandestine geht, weil die Ermittlungen nicht auffallen sollen. Deswegen wiederhole ich es und freue mich, Herr Kollege Hartmann, dass immer mehr das sagen: Wir werden ein deutsches FBI bekommen und zugleich eine Polizei, die ihr eigener Geheimdienst ist. Das können wir wahrlich nicht gebrauchen. ({3}) Zusätzlich entsteht durch Überzentralisierung eine Art Monsterbehörde, ohne dass eine adäquate parlamentarische Kontrolle auch nur angedacht ist. Auch dies haben wir Ihnen schon mehrfach gesagt. Unsere Nachrichtendienste werden kontrolliert, so schlecht das auch sein mag. Wir haben Gremien dafür. Wir haben die G-10Kommission, wir haben das Parlamentarische Kontrollgremium, ({4}) die das leisten sollen. Jetzt geben wir dem BKA das volle geheimdienstliche Instrumentarium, und es gibt keine Instanz, die das kontrollieren kann. Aus unserer Sicht haben die BKA-Skandale der nächsten 20 Jahre hier ihre Wurzeln. Für uns ist das ein Grund, dieses Gesetz in toto abzulehnen. ({5}) Zu der behaupteten Sicherheitslücke. Es wird immer so getan, als habe das BKA bisher Däumchen gedreht und untätig herumgesessen, als habe der Innenminister dreieinhalb Jahre lang einer riesigen Sicherheitslücke tatenlos zugesehen. Wo war denn die Sicherheitslücke? Es gab sie nicht. Wir waren effektiv. Wie waren handlungsfähig im föderalen System. Das gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin ist insoweit ein Erfolgsmodell gewesen. Herr Kollege Wiefelspütz, terroristische Netzwerke mit Zentralisierung bekämpfen zu wollen, das ist so sinnvoll wie zum Fischfang auszufahren ohne Netz, aber dafür mit einem Panzerkreuzer. So sinnvoll ist Ihr Vorgehen. ({6}) - Sie fischen höchstens im Trüben. Wo war denn die Sicherheitslücke? Wir hatten eine Sicherheitslücke bei den Kölner Kofferbombern. Die Frage ist doch, was sich dabei ändern müsste. Hätten wir mit einem neuen BKAGesetz diese beiden Männer vorher erkannt? Diese Frage kann doch niemand ernsthaft beantworten. Sie tun das Gegenteil von dem, was notwendig ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wieland, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hartmann?

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Geschätzter Herr Kollege Wieland, jenseits des notwendigen Schlagabtausches, den man um einen derart schwierigen, aber auch wichtigen Gesetzentwurf führen muss, möchte ich Sie etwas fragen. Sie haben darauf hingewiesen - das Bild mit dem Panzerkreuzer war schön -, dass man das, was alles vorgesehen ist, gar nicht nötig habe und auch nicht brauche. Ich frage Sie in der gebotenen Sachlichkeit. Natürlich haben unsere Sicherheitsbehörden bisher eine hervorragende Arbeit geleistet. Das wurde auch nie von uns bestritten. Natürlich hat das BKA mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln eine tolle Arbeit geleistet. Sind Sie bereit zuzugeben, dass es in Zeiten des internationalen Terrorismus oftmals nicht so einfach möglich ist festzustellen, ob eine Spur einem Bundesland zuzuordnen ist oder nicht? Sind Sie bereit einzugestehen, dass viele Spuren, die aus dem Ausland kommen, viele Bewegungsmuster, die aufzuzeigen sind, es erforderlich machen, dass nicht nur Länderpolizeien das weiterhin dürfen, was sie bereits bisher durften, sondern dass dies auch das Bundeskriminalamt darf? Um nicht mehr und nicht weniger geht es nämlich. Einen Popanz muss man dabei nicht aufbauen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hartmann, es tut mir leid, aber den Popanz bauen andere auf. Das BKA war bisher handlungsund aktionsfähig. Sie werden sich daran erinnern, dass nach dem 11. September in Hamburg, sofort nachdem der Verdacht aufkam, dass sich eine Hamburger Zelle gebildet haben könnte, BKA-Beamte unter Anleitung der Generalbundesanwaltschaft vor Ort waren und dort ermittelt haben. Möglicherweise werden Sie sich auch daran erinnern, dass wir schon zu Zeiten der Roten Armee Fraktion durch Palästinenser und andere dem internationalen Terrorismus ausgesetzt waren, der sogar in München zugeschlagen hat. Das ist also nicht so neu, wie Sie es behaupten. Wir waren immer gut aufgestellt in der Hierarchie Generalbundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt. Die Federführung lag aber bei der Generalbundesanwaltschaft. Das wird jetzt auf den Kopf gestellt. Sie legen die von Ihnen so gehasste sogenannte Knechtrolle ab. Deshalb habe ich gestern gesagt, Binninger triumphiere, weil er glaubt, die Polizei wird nun der Chef. Das sieht er nicht so falsch. Auf der BKA-Jahrestagung, die heute eröffnet wird, an der wir aber nicht teilnehmen können, weil wir hier sind, werden heute Abend die Sektkorken knallen - das sage ich Ihnen voraus -, weil die Polizei heute an das Ziel ihrer Wünsche kommt. ({0}) - Ich habe das gar nicht bewertet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Wieland, erlauben Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich halte das immer mit der Sesamstraße: Wieso weshalb warum, wer nicht fragt bleibt dumm. - Bitte schön, Herr Kollege Wiefelspütz. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wieland, bitte schauen Sie mir in die Augen. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich bin hier zu manchem verpflichtet, aber dazu nicht. So weit geht es nun wirklich nicht. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Wieland, haben Sie sich eigentlich einmal gefragt, warum das Bundeskriminalamt seit vielen Jahrzehnten Terrorismus bekämpfen und verfolgen darf - im Übrigen sehr erfolgreich -, wenn es entsprechende terroristische Straftaten gegeben hat? Welchen Sinn macht es eigentlich, dass das Bundeskriminalamt zwar repressiv tätig werden kann, also Täter verfolgen darf - Stichwort Terrorismus -, aber nicht bei der Gefahrenabwehr tätig sein darf, Herr Wieland?

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich antworte Ihnen gerne: weil diese neuen Kompetenzen nicht notwendig sind. ({0}) Gerade im Bereich des Terrorismus - das wurde uns immer gesagt und ist mit Blick auf § 129, Bildung krimineller Vereinigungen, und § 129 a, Bildung terroristischer Vereinigungen, des Strafgesetzbuches nicht ganz falsch - gibt es eine sogenannte präventive Komponente. Das heißt, wenn sich eine terroristische Vereinigung im Ausland gebildet hat, beispielsweise al-Qaida, dann sind deren Straftaten bei uns unter Strafe gestellt. Alle, die sich in diesem Umfeld organisieren und bei uns einreisen, können mit den Mitteln der Strafverfolgung bekämpft und verfolgt werden. Das passiert doch heute schon. Malen Sie doch nicht ein Bild, als ob wir gezwungen gewesen wären, untätig zu sein! Malen Sie doch nicht ein Bild, als ob der Rechtsstaat dem internationalen Terrorismus schutzlos ausgeliefert gewesen wäre! ({1}) Das Gegenteil ist richtig. ({2}) Wir waren mit unseren dezentralen Strukturen erfolgreich, aber Sie sind gerade dabei, sie zu zerschlagen. ({3}) Sie werden sich noch wundern, welche Sicherheitslücken dadurch entstehen. Die Bürgerrechte sind dabei nur ein Aspekt. Es ist auch die völlig falsche Sicherheitsphilosophie, die Sie zugrunde legen, Herr Kollege. ({4}) - Wer schreit, hat unrecht, Herr Körper. ({5}) Dieses Temperament hätten Sie vorhin bei Ihrer Rede zeigen sollen. Da habe ich es allerdings vermisst. ({6}) Hier geschieht, was alte Polizeistrategen - ich erinnere mich an Herrn Stümper in Baden-Württemberg; ich erinnere mich an Horst Herold, den früheren Präsidenten des BKA - immer gefordert haben: eine Entfesselung der Polizei, eine Entgrenzung bei der Polizeiarbeit. Voraussetzung für die Eingriffsbefugnis ist nur noch die Gefahr aufgrund des internationalen Terrorismus. Ohne Schwarzseher zu sein, kann man sagen: Diese Gefahr werden wir in den nächsten 20 Jahren leider immer haben. Das heißt, wir werden immer eine Zuständigkeit des BKA haben. Heute Morgen hat der Herr Bundesinnenminister im Info-Radio gesagt, dass die Maßnahmen nichts Neues sind, dass es das Telefonabhören seit 100 Jahren gibt - ich weiß nicht, ob es stimmt; aber es kann sein, dass es schon so lange möglich ist - und dass die Länderpolizeien die anderen Befugnisse seit 50 Jahren haben. Da frage ich mich, ob schon vor 50 Jahren IMSI-Catcher bekannt waren und Onlinedurchsuchungen durchgeführt wurden. Was der Innenminister suggerieren will, ist falsch. Er will nämlich suggerieren, dass hier gar nichts Neues entsteht. Aber es entsteht in der Qualität etwas Neues. Die Länderpolizeien haben in extremen Ausnahmefällen wie Geiselnahmen von diesen Befugnissen Gebrauch gemacht. Hier wird aber aus der Ausnahme die Regel. Das BKA wird gezwungen sein - es wird entsprechend handeln -, diese ganze Palette der Maßnahmen einzusetzen, ({7}) weil es die alleinige Zuständigkeit für die Terrorismusabwehr bekommt und ohne diese Maßnahmen seine Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Signal in Richtung der Länder wird sein, dass der Bund das jetzt macht. Dies ist ein verheerendes Signal mit Blick auf die Bereiche, in denen es Mängel gibt. In Kiel hat der Landesverfassungsschutz die Gefahr durch die Kofferbomber nicht erkannt. Dort kommt das Signal an, dass Gefahrenabwehr in Zukunft Bundessache ist. Dadurch werden wir vor Ort sozusagen blinder. Das ist die völlig falsche Zentralisierungstendenz, die sich in diesem Gesetz wiederfindet. ({8}) Von dem sogenannten Kompromiss - die Kollegin Piltz hat es bereits gesagt - ist herzlich wenig zu halten. Nachdem Sie so lange auf die Entscheidung zur Onlinedurchsuchung gewartet haben - das war ja richtig -, hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie diese Entscheidung wenigstens eins zu eins umsetzen. Diese Notwendigkeit hat Ihnen der Sachverständige Geiger sehr deutlich nahegelegt. Wenn man im Gesetz ausführt, dass eine Maßnahme nur dann nicht ausgeführt werden darf, wenn zu erwarten ist, dass dadurch allein Daten aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erfasst werden, dann wird diese Schranke wirkungslos. Denn es werden in der Regel Mischformen sein. Es werden in der Regel höchst private und höchst banale Dinge nebeneinander auf der Festplatte zu finden sein. Sie halten aber an dem Wort „alleine“ fest. Sie haben gesagt, dass es eine geniale und großartige Kontrollmethode ist, wenn zu den beiden BKA-Beamten, die wohl ein Ermittlungsinteresse und einen Jagdinstinkt im positiven Sinne haben, die etwas herausbekommen und weiterkommen wollen, der hauseigene Datenschutzbeauftragte hinzutritt. Dazu sage ich Ihnen: Kein Mensch kann sich selber kontrollieren. Diesen Menschen müssten Sie noch erfinden; den müssten Sie noch zeigen. Das wird vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. ({9}) Abschließend: Von der Richterin am Bundesverfassungsgericht Frau Hohmann-Dennhardt stammt der Satz: Es gibt nicht nur die Sicherheit durch den Staat. Es gibt auch die Sicherheit vor dem Staat. - Diese Sicherheit vor dem Staat treten Sie leider mit diesem Gesetz hin zu einem allgegenwärtigen, allzuständigen BKA mit Füßen. ({10}) Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, hat das Wort von der permanenten verfassungsgerichtlichen Nachhilfe geprägt. Als Fraktion sehen wir uns gezwungen, um diese Nachhilfe in Karlsruhe nachzusuchen. An Ihrer Lernfähigkeit bestehen nach dieser Debatte gewisse Zweifel. Aber hier gilt der alte Satz: Wer nicht hören will, muss fühlen. Sie werden das zur Kenntnis nehmen müssen. ({11}) Wo wir als Opposition es nicht geschafft haben, Sie zu überzeugen, wird es dann das Wort der Richterinnen und Richter aus Karlsruhe tun. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freiheitsrechte, die unser Grundgesetz verbürgt, bedürfen des Schutzes durch den Rechtsstaat, durch den freiheitlich verfassten Staat. Sie sind, wie wir es übrigens gerade auf den Finanzmärkten erleben, ohne Ordnung, ohne Regeln, ohne Gesetze nicht garantiert. Deswegen ist es notwendig, dass der freiheitlich verfasste Rechtsstaat die Grundrechte schützt. Die Polizei hat im Zusammenhang mit Straftaten im Grunde zwei Aufgaben: Die eine ist, wenn der Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen worden ist, unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft die Aufklärung von Straftaten zu verfolgen. Das ist die repressive Aufgabe. Sie hat zum anderen die Aufgabe, wenn möglich Straftaten zu verhindern. Das ist die präventive Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen in seiner Entscheidung zum nordrhein-westfälischen Landesverfassungsschutzgesetz gesagt, die Aufgabe, Straftaten, Anschläge und Gefahren zu verhindern, sei noch höherwertiger als die Verfolgung von begangenen Straftaten. Das ist ohne Weiteres einleuchtend; denn es ist ja wichtiger, dass gar nichts passiert. Gegen Selbstmordattentäter zum Beispiel hilft die Strafverfolgung relativ wenig. Deswegen müssen wir versuchen, schwere Straftaten zu verhindern. Das ist ein polizeilicher Auftrag. ({0}) Diese Aufgabe ist nach der Ordnung des Grundgesetzes - mit kleinen grenzpolizeilichen Ausnahmen - bisher Sache der Polizeien der Bundesländer. ({1}) - Das mag sein. Alles, was im Grundgesetz steht, steht dort aus gutem Grund. Aber wenn das im Grundgesetz aus gutem Grund so ist, wie es ist, Herr Kollege Ströbele, dann ist auch die jetzige Fassung des Grundgesetzes aus gutem Grund so, wie sie ist. Man hat dort gesagt: Wegen der besonderen Schwere der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, ({2}) weil es dabei immer um internationale Zusammenarbeit geht, also in der Regel länderübergreifend, soll das Bundeskriminalamt abweichend von der bisherigen Ordnung eine Gefahrenabwehrbefugnis für diese und für keine andere Gefahr bekommen. Das müssen wir gesetzlich umsetzen - nicht mehr und nicht weniger. ({3}) Die Diffamierungskampagne, die daraus abgeleitet wird, ist diesem freiheitlichen Verfassungsstaat nicht angemessen. Das, was Sie zur Entfesselung gesagt haben - ich habe Ihnen sehr genau zugehört - ({4}) - Ja, Sie sind einer. Wenn ich Sie sehe und Ihre Rede höre, fällt es mir ein. ({5}) Jetzt will ich Ihnen sagen: Das, was Sie zur Entfesselung der Polizei und des Bundeskriminalamtes gesagt haben, ist eine Beleidigung aller Landespolizeien; denn sie haben über 50 Jahre ihre Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse erfüllt. ({6}) Ich weise Ihre Aussage zurück. Wegen dieser Aussage bin ich unfreundlicher zu Ihnen, als ich es normalerweise bin. ({7}) - Nein, den Landespolizeien wird überhaupt nichts weggenommen, Herr Kollege Ströbele. Das ist wiederum die Unwahrheit, so, wie es eine Unwahrheit ist, Frau Kollegin Jelpke, zu behaupten, das heimliche Betreten von Wohnungen sei in dem Gesetzentwurf geregelt. Das ist ausdrücklich nicht geregelt. ({8}) Den Ländern werden keine Zuständigkeiten weggenommen; es bleibt bei den Zuständigkeiten der Länder. Die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes kommt hinzu; wir setzen das um, nicht mehr und nicht weniger. Das ist der Auftrag des Verfassungsgebers; das muss geschehen. Das Bundeskriminalamt bekommt keine neuen Befugnisse. Es ist nicht wahr, dass ein „Sammelsurium“ oder dergleichen entsteht. Wenn wir im Jahr 2008 ein Gesetz machen, dann berücksichtigen wir natürlich die Erfahrungen, die man seit 1949 oder 1950 in den Bundesländern gesammelt hat, und die bisherige Rechtsprechung, nicht mehr und nicht weniger. Im Übrigen ist die Verhinderung eines Fahrraddiebstahls, für den Sie, Herr Kollege Ströbele, schon einmal Videoüberwachung eingesetzt haben wollten, nicht wichtiger als die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus. ({9}) Das Bundeskriminalamt muss ebenfalls die Befugnisse erhalten, über die die Landespolizeien verfügen, wenn es diese Aufgabe wahrnehmen soll. In die jüngere Vergangenheit fällt auch - Kollege Körper hat es beschrieben - die Entwicklung der neuen Kommunikationstechnologien. Wenn die Polizeien Straftaten verhindern sollen, dann müssen sie versuchen, in Kommunikationsvorgänge, die Straftaten immer vorhergehen, einzudringen. Das macht übrigens nur Sinn, wenn man es heimlich macht; bei der Strafverfolgung ist das nicht notwendig, bei der Gefahrenabwehr schon. Das geht übrigens immer nur aufgrund richterlicher Entscheidung, und zwar in jedem Einzelfall. Es wird eine Verfälschung unseres rechtsstaatlichen Systems zur Verunsicherung der Bevölkerung betrieben; das ist unverantwortlich und wirklich nicht angemessen. ({10}) Nun ist eine neue Informationstechnologie entstanden. Es war bisher schon möglich, den Telefonverkehr unter engen Voraussetzungen aufgrund richterlicher Entscheidung zu überwachen. ({11}) - Wir reden von Gefahrenabwehr; wir reden nicht von Strafverfolgung. Wir reden nicht von Repression, sondern von Prävention. - Das ist selbstverständlich bisher schon rechtens, immer unter engen Begrenzungen, ebenso Eingriffe in das Briefgeheimnis, in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Nun hat man, als die neue Technologie entstanden war, gesagt: Wir machen das in analoger Anwendung der Gesetze zur Überwachung des Telefonverkehrs. Das ist eine Entscheidung, die ich nicht kritisiert habe. Das war die frühere Bundesregierung; das ist in Ordnung. Dann hat der Bundesgerichtshof während der Vorbereitung des Entwurfs des BKA-Gesetzes gesagt: Das ist zwar keineswegs verboten, aber ihr braucht dafür eine eigene gesetzliche Grundlage, nicht mehr und nicht weniger. Wir schaffen also keine neuen Befugnisse, sondern wir reagieren auf neue technologische Entwicklungen, mit dem Ziel der Bewahrung unserer Grundrechte durch den freiheitlichen Verfassungsstaat. ({12}) Dies geht in jedem Einzelfall nur durch richterliche Entscheidung. Deswegen bin ich völlig beruhigt. Natürlich soll das durch das Verfassungsgericht überprüft werden. Es gehört zu den großen Verbürgungen unserer Freiheitsrechte, dass alles, was verfassungsrechtlich bezweifelt wird, unter den Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - ob die Klage zulässig ist überprüft werden kann. Dem sehe ich mit großer Gelassenheit und Sicherheit entgegen, weil das Gesetz genau der Systematik unseres Grundgesetzes entspricht. Meine Bitte nach langen Beratungen, die wir uns nicht leichtgemacht haben: Hören wir auf, unseren freiheitlichen Verfassungsstaat in einer Weise zu diffamieren, die bei jungen Menschen bewirkt, dass sie glauben, es entstünde so etwas wie die Stasi. Das Gegenteil ist der Fall. ({13}) Wir verteidigen die Freiheitsrechte. Das geht nicht ohne den Verfassungsstaat und seine Befugnisse. Ich möchte auch nicht, dass Polizeien, Nachrichtendienste oder wer auch immer in Grauzonen handeln. Deswegen brauchen sie klare rechtliche Grundlagen. Grundrechte sind geschützt; sie müssen durch den Staat geschützt werden. In grundrechtlich geschützte Bereiche kann nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Ein solcher Eingriff muss im Einzelfall möglich sein. Das Gesetz muss die Voraussetzungen genau regeln. Im Zweifelsfall wird ein unabhängiger Richter zu entscheiden haben. So ist es beim Haftbefehl und bei der Wohnungsdurchsuchung. Nicht anders ist es bei der Telefonkontrolle, und nicht anders ist es bei der Onlinekontrolle. Dieses System bleibt. Deswegen ist das kein Angriff auf den Rechtsstaat, sondern ein Gesetz zur Verteidigung des Rechtsstaats und zur Wahrung der Sicherheit und der Freiheit. ({14}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten aufpassen. Alle Länder werden entsprechende Gesetze machen. Sie werden diese Befugnisse alle brauchen. Bayern hat es. ({15}) Die bayerische Landesvorsitzende der FDP hat richtigerweise eine entsprechende Koalitionsvereinbarung unterschrieben. Sie sollten dem Bundeskriminalamt nicht weniger Befugnisse zur Gefahrenabwehr geben als jede Landespolizei braucht - nicht mehr und nicht weniger. ({16}) Wir sollten sagen: Mit diesem Gesetz zeigen wir, dass wir die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ernst nehmen. Man muss nicht übertreiben, aber sie ist nach wie vor vorhanden; alle Experten sagen das. Wir sind bisher verschont geblieben, Gott sei Dank. Wir haben Glück gehabt. Wir haben aufmerksame Sicherheitsbehörden. Wir sollten tun, was wir können, und nicht zur Hysterie neigen. Aber wir sollten aufhören, unseren freiheitlichen Verfassungsstaat und die Organe, die zu seinem Schutz da sind, zu diffamieren. Wir säen damit etwas, was Freiheit und Recht in unserem Land nicht sicherer und nicht stabiler macht. Im Übrigen sollten wir sehen, dass jede Freiheitsordnung des Schutzes bedarf. Das haben uns gerade die Erfahrungen der letzten Wochen gezeigt. Unsere Polizeien, das Bundeskriminalamt und alle unsere rechtsstaatlichen Institutionen verdienen Vertrauen. Wir schützen die Freiheit. Freiheit und Sicherheit sind kein Gegensatz, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Dieses Gesetz wird dem gerecht. Herzlichen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Max Stadler das Wort. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zuge einer streitigen Debatte ist es sicherlich richtig, auch auf Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Herr Minister, selbstverständlich wissen auch wir um die terroristische Bedrohung. Selbstverständlich ist auch uns der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren durch den Terrorismus ein Anliegen. Der Streit dreht sich um die Methoden. Da wird es allerdings sehr prinzipiell; denn wir sagen: Der Rechtsstaat, so wie er sich bei uns über Jahrzehnte hinweg unter Geltung des Grundgesetzes entwickelt hat, ist stark genug, um die Gefahren abzuwehren. Wir brauchen keine Eingriffe in die Strukturen und Institutionen des Rechtsstaates. Herr Minister, das ist der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung. Aufgrund vieler Äußerungen von Ihnen, Herr Schäuble, wissen wir, dass Sie die Sorge haben, dass die überkommenen Institutionen, die Sicherheitsbehörden, so wie sie konzipiert sind, und die rechtlichen Befugnisse nicht ausreichen. Das ist Ihre Sorge, die Sie oft zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben nicht zuletzt deswegen gesagt, dass es in der sicherheitspolitischen Debatte keine Tabus geben dürfe. Wir greifen Ihre Grundhaltung auf und schauen, was davon in den Entwurf des BKA-Gesetzes, der uns heute vorliegt, eingeflossen ist. Wir stellen fest: Es handelt sich eben nicht um den Entwurf eines normalen Polizeigesetzes. Es trifft den Kern der Auseinandersetzung nicht, wenn man sagt: Da ist nur aufgeschrieben worden, was in den Länderpolizeigesetzen sowieso schon steht, und jetzt darf das Bundeskriminalamt das, was jeder Dorfpolizist darf. Tatsächlich verlassen Sie mit diesem Gesetzentwurf bewährte Strukturen des Polizeirechts. ({0}) Es gibt jetzt Eingriffe in die Befugnisse der Länder. Es gibt jetzt Tätigkeiten des Bundeskriminalamts, die nicht mehr durch den Generalbundesanwalt überwacht werden. Das Bundeskriminalamt kann als Polizeibehörde geheimdienstähnliche Methoden anwenden. Der Sachverständige Professor Geiger hat in der Anhörung darüber gesprochen. Er hat gesagt: Wenn geheimdienstliche Methoden zum Alltag der Polizeiarbeit werden, dann ist das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizeien verletzt. Sie führen so tiefe Eingriffe ein, wie es in keinem Polizeigesetz in dieser Massivität bisher der Fall war. Beispiel: heimliche Onlinedurchsuchungen. Sie sagten hier in Ihrer Rede zu Recht, dass dann immer ein unabhängiger Richter entscheiden muss. Warum steht das dann anders in Ihrem Gesetzentwurf? ({1}) Sie haben für den Eilfall vorgesehen, dass es zunächst keiner richterlichen Entscheidung bedarf. ({2}) Das ist ein rechtsstaatlicher Sündenfall, der völlig unerträglich ist, weil es diesen Eilfall im Handyzeitalter gar nicht geben darf. Justiz kann so organisiert werden, dass immer ein Richter zu erreichen ist, der eine Entscheidung trifft. Das ist auch die Auffassung des Deutschen Richterbundes. ({3}) Ich sage am Schluss meiner kurzen Rede noch: Da, wo Sie Neuland hätten beschreiten können, haben Sie es nicht getan. ({4}) Sie hätten die Gelegenheit gehabt, in diesem Gesetzentwurf einen gleichwertigen Schutz für alle Berufsgeheimnisträger vorzusehen. Anwälte, Journalisten und Ärzte hätten Sie mit Strafverteidigern und Abgeordneten gleichstellen können. Sie haben es nicht getan. Sie haben nicht den neuen Weg beschritten, eine parlamentarische Kontrolle vorzusehen, wenn schon der Generalbundesanwalt nicht mehr die Aufsicht und Kontrolle hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Stadler, Sie haben zu Recht den Schluss Ihrer Rede angekündigt.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich komme zum Schluss. - Sie hatten nicht die Fantasie, aus der Sachverständigenanhörung Anregungen neuerer Art aufzugreifen, zum Beispiel die von Professor Geiger, der einen Bürgeranwalt vorgeschlagen hat. Wenn immer mehr Menschen heimlich überwacht werden - Sie selber haben ja gesagt, das müsse heimlich geschehen -, dann müssen die Kontrolle und der Schutz aber auch damit Schritt halten. Dieses Gesetz ist kein normales Polizeigesetz. Es ist ein weiterer Schritt in einen ausufernden Präventionsstaat. Das ist die Wahrheit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Frank Hofmann das Wort. ({0})

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines BKA-Gesetzes, den wir heute vorlegen, wird nach seiner Verabschiedung das modernste und rechtsstaatlich anspruchsvollste Polizeigesetz der Bundesrepublik. ({0}) Das gesamte polizeiliche Instrumentarium, das zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus notwendig ist, haben wir in diesem Gesetzentwurf abgebildet. Dies umfasst - und es bleibt dabei - die bekannten und bewährten polizeilichen Standardbefugnisse wie die Vorladung und erkennungsdienstliche Maßnahmen. In allen Polizeigesetzen der Länder sind diese klassischen Polizeibefugnisse seit Jahrzehnten festgeschrieben. ({1}) Auch in den Bundesländern, in denen FDP, Grüne und die sogenannte Linke an der Regierung beteiligt sind, ist kein Wort der Kritik von Ihrer Seite zu hören. Nur im Bund sollen die gleichen Maßnahmen plötzlich Teufelszeug sein. Das ist beim besten Willen nicht nachvollziehbar. ({2}) Schauen wir einmal auf die Rasterfahndung. ({3}) Das ist ein Instrument, das enthalten ist. Dass es sie in Hamburg nicht gibt, ist der Größe des kleinen Landes Hamburg geschuldet. ({4}) Die großen Bundesländer haben die Rasterfahndung in ihrem jeweiligen Polizeigesetz. Schauen Sie in die StPO. Dann stellen Sie fest, dass es dort eine Eilfallregelung gibt. Laut dieser Regelung ordnet im Eilfall der Staatsanwalt an, nicht der Richter. Was haben wir beim Entwurf des BKA-Gesetzes gemacht? Laut unserem Entwurf darf die Rasterfahndung nur durchgeführt werden, wenn diese vorher von einem Richter angeordnet wird. Zusätzlich wird ausschließlich nur im Rahmen dieses BKA-Gesetzes die Rasterfahndung nach fünf Jahren durch einen unabhängigen Wissenschaftler evaluiert. Von daher lag auch Frau Jelpke falsch, die gesagt hat, das werde von der Bundesregierung gemacht. Nein, es wird von einem unabhängigen Wissenschaftler evaluiert. ({5}) Ebenfalls im Entwurf des BKA-Gesetzes ist die Onlinedurchsuchung enthalten, auf die das gesamte Gesetz in den Medien und von Teilen der Opposition häufig reduziert wird. Die Onlinedurchsuchung ist kriminalistisch geboten, sagen uns die Fachleute, und zwar überzeugend. ({6}) Sie ist verfassungsrechtlich in engen Grenzen erlaubt, urteilt das Bundesverfassungsgericht. ({7}) Weshalb sollten wir die Onlinedurchsuchung nicht in diesen Gesetzentwurf aufnehmen? Es ist richtig, dass die CDU/CSU uns, der SPD-Fraktion, nicht jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hat. ({8}) Wir haben die Einschaltung eines Richters bei der Onlinedurchsuchung immer befürwortet. Aber der Idee, zuerst Frank Hofmann ({9}) einen unabhängigen Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes einzuschalten, konnten wir uns nicht verschließen. Denn nach dem Datenschutzbeauftragten des Bundeskriminalamtes kann nun auch der Bundesdatenschutzbeauftragte, Herr Schaar, kontrollieren. Wenn es schon so sein muss, dass man den Kernbereich erst im Nachhinein prüft, gibt es nun zumindest zwei Kontrollinstanzen: ({10}) den Richter und später noch den Datenschutzbeauftragten des Bundes. Das ist ein Vorteil. Wir halten es für richtig, das so zu regeln. Ebenso wie bei der Rasterfahndung sagen wir auch an dieser Stelle: Wir wollen dieses neue Instrumentarium evaluieren. ({11}) Hinzu kommt, dass diese Maßnahme befristet ist. Es war nicht unser Wunsch, die Befristung bis zum Jahre 2020 vorzusehen. Aber ich sage: lieber eine Befristung auf zwölf Jahre als keine Befristung. Was den Eilfall angeht, möchte ich diejenigen von Ihnen, die Mitglied des Innenausschusses sind, daran erinnern, dass uns hierzu zusätzliche Protokollnotizen vorliegen, sodass für jeden klar sein muss, dass die Eilfallregelung eine Ausnahme im Einzelfall sein kann. Wir fordern, dass es in jedem Bundesland, in dem das BKA einen Sitz hat, eine Selbstverständlichkeit ist, dass genug Ermittlungsrichter erreichbar sind. Ich erinnere daran, dass sich die Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen, als der Umzug des BKA nach Berlin anstand, dafür starkgemacht haben, dass dieser Umzug nicht stattfindet. Vor diesem Hintergrund erwarten wir aber auch, dass die Ermittlungsrichter in diesen Ländern auch sonnund feiertags Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Ich denke, das ist notwendig. ({12}) Es wird immer wieder kritisiert, dass dadurch, dass das BKA solche Maßnahmen vornimmt, eine neue Qualität geschaffen werde. Die Rasterfahndung ist seit Jahr und Tag in der Strafprozessordnung geregelt. Bisher führte das Bundeskriminalamt ganze zwei Rasterfahndungen durch. Ich wiederhole: ganze zwei Rasterfahndungen. ({13}) Zu sagen, dieses Gesetz würde in Zukunft ständig angewendet und missbraucht, ist falsch. ({14}) Außerdem möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die Wohnraumüberwachung ist seit 2001 geregelt. Wenn hier vorgetragen wird, das BKA müsse jetzt jedes Jahr mindestens 50 oder 100 Mal zuschlagen, sage ich: Nein! Zwischen 2001 und 2007 wurden vom BKA ganze sieben Wohnraumüberwachungen durchgeführt. Da kann man nicht sagen, dass aufgrund der neuen Quantität, die dadurch entsteht, dass das BKA eine solche Maßnahme durchführen darf, eine neue Qualität erreicht wird. ({15}) Das ist völlig neben der Sache. ({16}) Jetzt möchte ich noch etwas zum Argument der Entmachtung der Staatsanwaltschaften sagen; auch das wird ständig von euch angeführt. ({17}) Sie kritisieren, die Staatsanwaltschaften würden die Sachherrschaft in den Terrorverfahren verlieren. Das ist falsch. ({18}) Die Doppelzuständigkeit der Polizei, auf der einen Seite Gefahren abzuwehren und auf der anderen Seite Strafverfolgung zu betreiben, ist täglich Brot. ({19}) Die Landeskriminalämter tun dies auch im Terrorismusbereich seit Jahr und Tag. Wer hat aufseiten der Länder bisher von einer Entmachtung der Staatsanwaltschaften gesprochen? Niemand! ({20}) Hier schießen Sie weit über das Ziel hinaus. Das Gleiche gilt für Polizei und Geheimdienste. Die heimlichen Ermittlungsmethoden werden von den Landeskriminalämtern schon seit langer Zeit praktiziert. Wer hat dort bisher gefordert, dass an dieser Stelle zusätzliche parlamentarische Kontrollen notwendig sind? Niemand! ({21}) Wird das von den Grünen, der FDP oder den Linken dort, wo sie an einer Landesregierung beteiligt sind, gefordert? Nein, das fordern Sie nicht. ({22}) Wir legen einen guten Gesetzentwurf vor. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetz dazu beitragen, die Menschen gegenüber den Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus zu schützen. Gleichzeitig haben wir den Eingriffsbefugnissen Zügel angelegt, die so eng sind, dass die Freiheitsrechte weiterhin gewahrt bleiben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hofmann, jetzt laufen Sie Gefahr, die Freundschaft des Kollegen Wiefelspütz aufs Spiel zu setzen; denn Sie sind schon in seiner Redezeit. ({0})

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letzter Satz. Wir haben also für den Eingriff so kurze Zügel vorgesehen, dass die Freiheitsrechte weiterhin gewahrt und geschützt bleiben. Wir machen ein gutes Gesetz, und ich hoffe, dass wir damit auch helfen, dass wir weiterhin vor terroristischen Anschlägen in Deutschland geschützt bleiben. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jan Korte das Wort. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen noch einmal kurz etwas zu dem Thema sagen, was sehr viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land bewegt, nämlich zu der Onlinedurchsuchung. Weder in der Anhörung noch heute noch von der Regierungskoalition wurde nachgewiesen, warum sie eigentlich wirklich notwendig ist. Warum ist sie notwendig? Um im Kampf gegen den Terrorismus zu bestehen, müsse man das machen. ({0}) Da wir keine Antwort bekommen haben, will ich die Bundesregierung zitieren. In einer Kleinen Anfrage wurde Folgendes gefragt - Zitat -: Was ist nach Auffassung der Bundesregierung der zusätzliche Nutzen der Online-Durchsuchung, der nur durch dieses Instrumentarium, nicht aber mit anderen Instrumenten erreicht werden kann? Die Bundesregierung antwortete auf diese Kleine Anfrage - ich zitiere -: Im Zuge von Online-Durchsuchungen können regelmäßig dieselben Erkenntnisse gewonnen werden wie durch „offene“ Durchsuchungen und die Auswertung sichergestellter Computerdateien. Das sagt selbst die Bundesregierung. Deswegen geht es hier offensichtlich um etwas völlig anderes. Es geht sozusagen um eine sicherheitspolitische Vereinigung von Geheimdienst- und Polizeitätigkeiten mit neuen Befugnissen wie der Onlinedurchsuchung. Das lehnen wir strikt ab. ({1}) Wo liegt bei der Onlinedurchsuchung der eigentliche Skandal? Um das den Zuhörerinnen und Zuhörern noch einmal deutlich zu machen: Es ist ja schon in vielen Debatten und von Gutachtern gesagt worden, was die Menschen heute auf ihren Computern haben: E-Mails, Liebesbriefe, Tagebücher, Steuererklärungen usw. usf. Allein dadurch wird schon deutlich, wo das Problem liegt. Ein praktisches Beispiel aus der Politik: Wenn der Kollege Uhl und der Kollege Wiefelspütz irgendwann in Rente sind und sich dann E-Mails schreiben, in denen steht, was sie in den letzten Jahren hier gemacht haben, dann wäre es Herrn Schäuble oder wem auch immer bei einem Verdacht im Prinzip möglich, das nachzuvollziehen. ({2}) Das ist nicht akzeptabel. Das ist ein zu tiefer Eingriff und bringt überhaupt nichts, weil dieselben Erkenntnisse auch jetzt schon auf anderem Wege gewonnen werden können, wie die Bundesregierung selber sagt. ({3}) Wie so oft - wie auch bei der Vorratsdatenspeicherung - hat die SPD gesagt, dass sie das alles nicht mitmacht. Jetzt hat sie verkündet, dass sie einen enormen Kompromiss erreicht und sich hinsichtlich der Bürgerrechte voll durchgesetzt hat. ({4}) Es wird erstens angeführt, dass eine Befristung bis 2020 erfolgt. Vielleicht erleben das hier ja einige noch. Zum Zweiten - darauf ist heute mehrfach hingewiesen worden - wird gesagt, dass zwei BKA-Beamte und der BKA-eigene Datenschutzbeauftragte, der angeblich unabhängig agieren soll, die Daten durchsehen werden. Es sind also drei BKA-Beamte. Das ist wirklich eine ganz tolle Überprüfung. Da kann man dann ja wirklich sehr beruhigt sein. So geht es nicht. Das glaubt draußen ja auch wirklich kein Mensch mehr. Ich will noch eine Sache ansprechen, auf die auch mehrfach hingewiesen worden ist, nämlich auf die Frage, ob das jetzt verfassungsgerichtsfest ist oder nicht. Das mag vielleicht sogar so sein. Ich habe, wie viele andere auch, erhebliche Zweifel daran. Für uns im Bundestag ist das aber überhaupt nicht die Kernfrage. Der Kernpunkt ist doch, dass nicht alles, was juristisch und technisch möglich ist, auch gemacht werden muss. ({5}) Wir meinen: Das hier muss nicht gemacht werden, weil das damit völlig aus dem Lot gerät. ({6}) Erst wenn man sich darüber im Klaren ist, was wir in den letzten zwei Jahren hier beschlossen haben - Antiterrordatei, Vorratsdatenspeicherung; man bräuchte 20 Minuten Redezeit, um das alles aufzuzählen -, wird deutlich, dass wir heute den endgültigen Dammbruch hinsichtlich des Eingriffs in die Grund- und Freiheitsrechte erleben. Das ist mit uns nicht zu machen. Ich möchte eine letzte Bitte an den Minister und insbesondere auch an die Law-and-Order-Fraktion stellen: ({7}) Sagen Sie uns doch einmal, welche Gesetze Sie noch erlassen wollen, damit die größtmögliche Sicherheit hergestellt wird, sodass wir uns einmal darauf vorbereiten können, wo sich der Rubikon befindet, bei dem auch Sie sagen, dass das jetzt doch etwas viel wird. Uns würde einmal interessieren, wann das der Fall sein wird. Da sich die Großkoalitionäre heute bei allen Möglichen bedankt haben - vor allem bei sich selber -, bedanke ich mich bei allen, die auf der Straße - das sind zum Glück immer mehr - und hier im Parlament gegen die Onlinedurchsuchung und dieses BKA-Gesetz aufgestanden sind. Das wird auch in Zukunft der Fall sein. So einfach wie bisher kriegen Sie solche Vorhaben nämlich nicht mehr durch. Daran arbeiten wir fleißig mit. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Helmut Brandt. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus stellt unsere Sicherheitsbehörden vor eine große Herausforderung. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten zu Recht von der Politik, dass alles getan wird, um Anschläge in unserem Land zu verhindern. Ich bin deshalb froh, dass wir heute nach langen Diskussionen, einer Anhörung von Sachverständigen und intensiven Beratungen innerhalb der Koalitionsfraktionen die dringend erforderliche gesetzliche Grundlage hierfür schaffen und eine Schwachstelle im Sicherheitssystem schließen. Ich stelle zunächst fest, dass bis auf die Fraktion Die Linke alle Fraktionen darin übereinstimmen, dass wir von dem weltweit agierenden Terrorismus unmittelbar bedroht sind. Diese ganz offenkundige Erkenntnis wird von der Linken ignoriert, die stattdessen in stereotyper Wiederholung Anfragen an die Bundesregierung richtet, welche konkreten Anhaltspunkte es für bevorstehende Terroranschläge in Deutschland gibt. Die Blutspur des Terrorismus, die sich durch alle Welt zieht, müsste auch für die Linke ein Alarmzeichen darstellen. Auch Sie von der Linken erinnere ich daran, dass Sie als Mitglied dieses Hauses für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Mitverantwortung tragen. Noch schwerer verständlich ist die Haltung der Fraktion der FDP bzw. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die die Gefahr durchaus sehen, jedoch nicht bereit sind, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zur Abwehr der Gefahr mit zu beschließen. In der Öffentlichkeit ist immer noch die Wahrnehmung verbreitet, dass - weil es in Deutschland noch keinen so fürchterlichen Anschlag wie in Spanien, Großbritannien oder gar wie in den USA gegeben hat - die Bedrohung für uns nicht entsprechend groß sei. Dies ist aber eine trügerische Ruhe; denn all die Vorkommnisse weltweit und in Europa und schließlich auch die fehlgeschlagenen Attentate in Deutschland zeigen, dass wir unmittelbar mit der Bedrohung leben und uns hierauf einstellen müssen. Nach der Änderung des Grundgesetzes in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a haben wir mit dem jetzt zur Verabschiedung stehenden Gesetzentwurf die notwendige Grundlage geschaffen, dass das Bundeskriminalamt bereits im Vorfeld eines terroristischen Anschlags tätig werden kann. So viel Glück wie bisher haben wir beim nächsten Mal vielleicht nicht. Die Notwendigkeit, in diesem Bereich das Bundeskriminalamt mit Präventionsaufgaben zu betrauen, ergibt sich daraus, dass die Arbeitsweise der Terroristen eine solche Konzentration gebietet. Die Gefahren des internationalen Terrorismus haben bislang unbekannte Herausforderungen für den Staat und seine Behörden geschaffen. Die Kaltblütigkeit und der Fanatismus der bislang im Ausland erfolgreich verübten Anschläge zeigen, dass sich internationale Terroristen von unserem Strafrecht nicht im Mindesten abschrecken lassen. ({0}) Durch das BKA-Gesetz haben wir endlich das rechtliche Instrumentarium geschaffen, auch präventiv gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Die zentrale Steuerung der Gefahrenabwehr durch das BKA ist für eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus unabdingbar, ({1}) da wir ja gar nicht wissen - das hat die Vergangenheit gezeigt -, in welchem Bundesland ein Anschlag geplant, vorbereitet und durchgeführt wird. Auch für die Kooperation mit Polizeibehörden anderer Länder ist eine Bündelung der Kompetenzen beim BKA unabdingbar. Ich komme auf den heute zu verabschiedenden Gesetzesentwurf zurück und möchte nicht versäumen, mich bei den Mitarbeitern der beteiligten Ministerien ausdrücklich für ihre hervorragende Arbeit bei diesem Gesetzesvorhaben zu bedanken. ({2}) Dabei waren wir uns stets bewusst, dass wir mit der Schaffung der neuen Eingriffsbefugnisse auch zu beachten haben, dass nicht unnötig in die Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird und dass die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten sind. In der öffentlichen Diskussion ist dabei nicht immer deutlich geworden, dass - mit einer Ausnahme - praktisch alle Regelungen dieses Gesetzes bereits langjährig bestehende Standardregelungen für die Landespolizeien darstellen. Eine Ausnahme gibt es lediglich bei der Schaffung des verdeckten Eingriffs in informationstechnische Systeme in § 20 k Bundeskriminalamtgesetz, der sogenannten Onlinedurchsuchung. Wenn man die Diskussion in den letzten Monaten verfolgt hat, dann stellt man fest, dass sich offenbar dem unbefangenen Bürger der Eindruck aufdrängt, dass à la George Orwell praktisch jeder von einer solchen Maßnahme betroffen sein kann; Sie haben diesen Eindruck gerade noch einmal erwecken wollen, Herr Korte. Dabei wurde leider zu selten deutlich gemacht, dass eine solche Maßnahme dann und wirklich nur dann zulässig ist, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit oder für den Bestand des Staates besteht. Obwohl sich mithin die sogenannte Onlinedurchsuchung ohnehin nur auf wenige im Bereich des Terrorismus auffällig gewordene und verdächtige Personen beziehen wird, haben wir mit einer aufwendigen Regelung in § 20 k Abs. 7 dafür Sorge getragen, dass der notwendige Kernbereichsschutz gewährleistet ist. Dies geschieht in zwei Schritten. Im ersten Schritt muss ein Richter die Onlinedurchsuchung anordnen. Die Onlinedurchsuchung unterliegt also einem sogenannten Richtervorbehalt, was die Opposition noch immer bestreitet. Nach der Anordnung durch einen Richter sollen zwei BKA-Beamte und der unabhängige Datenschutzbeauftragte des BKA prüfen, ob der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verletzt wurde. Damit haben wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts und den Ängsten der Bevölkerung vor einem unbefugten Eingriff des Staates in die Privatsphäre des Einzelnen voll und ganz Rechnung getragen. Weiterhin werden wir eine Evaluierung derjenigen Vorschriften nach Ablauf von fünf Jahren vornehmen lassen, die wirklich Neuregelungen darstellen. Hierbei geht es um die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes gegenüber den Landespolizeibehörden

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brandt, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit. ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin -, die Rasterfahndung und die in § 20 k geregelte Onlinedurchsuchung. Im Hinblick auf die Redezeit will ich zusammenfassend Folgendes feststellen: Wir haben mit dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt eine bestehende Lücke im Sicherheitssystem der Bundesrepublik Deutschland wirksam geschlossen. Der hohe Sicherheitsstandard in unserem Land wird hierdurch optimiert. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes können sich weiterhin darauf verlassen, dass vonseiten des Parlamentes wie der Bundesregierung alles unternommen wird, dass wir auch in Zukunft in Freiheit und Sicherheit in Deutschland leben können. Insoweit geht mein Appell noch einmal an alle, heute dieser Verantwortung gerecht zu werden und unserem Gesetzesvorhaben zuzustimmen. Besten Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier. ({0})

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir will die Fragestunde des Deutschen Bundestages Anfang Juni hier in diesem Parlament nicht aus dem Kopf. Vor einem halben Jahr hat der Bundesminister des Innern in der Fragestunde versucht, den Schwarzen Peter seinen Kritikern zuzuschieben. Sie, Herr Dr. Schäuble, haben fachkundigen Menschen vorgeworfen, die Bevölkerung durch ihre - aus meiner Sicht: durchaus berechtigte - Kritik zu verunsichern. Sie haben diesen Menschen sogar vorgeworfen, die Freiheit zu gefährden. Das haben Sie in der heutigen Debatte wiederholt. Ich bleibe bei meiner Feststellung: Sie sind es, der die Menschen in diesem Land verunsichert. Das Entsetzen über 9/11 hat die Angst in den Mittelpunkt gestellt, gerade die Angst, selbst Opfer eines Anschlags zu werden. Die Psychologie empfiehlt aber, über Ängste zu reden. Haben wir eigentlich jemals über den 11. September 2001 geredet? Haben wir politisch diskutiert, was da vor gut sieben Jahren geschehen ist? Das haben wir nicht. Der 11. September 2001 wurde zum Tabuthema, außer wenn es darum ging, neue Sicherheitsgesetze zu verabschieden und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger weiter auszuhöhlen. Dann diente er als dankenswerter Vorwand. Es hat weitere Anschläge gegeben, viele Menschen mussten ihr Leben lassen. Da will ich nichts verharmlosen. Unser Land war nicht unmittelbar betroffen, aber die Angst war da. Politische Strategen wie Sie, Herr Schäuble, haben diese Situation genutzt, um den Überwachungsstaat weiter auszubauen. Die sogenannten Otto-Kataloge haben den allgemeinen Trend der Angst noch bedienen können. Die Bilder der einstürzenden Twin Towers vor Augen, gab es nur wenig Proteste gegen die einschneidenden Beschränkungen der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern. Gut sieben Jahre danach ist die Skepsis gestiegen, und das ist gut so. Meine Redezeit lässt es nicht zu, alle Kritiker zu zitieren. Ich beschränke mich auf den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes, Hansjörg Geiger - Zitat -: Dieses Gesetz bringt eine deutliche Veränderung der Sicherheitsarchitektur in Deutschland. … Wie schon der Verfassungsschutz wird auch das BKA zunehmend im Vorfeld von Gefahren ermitteln. Außerdem erhält das BKA immer mehr heimliche Ermittlungsbefugnisse. Auch da droht ein Zuständigkeitskonflikt. Und der Betroffene kann sich überhaupt nicht wehren, weil er von heimlichen Maßnahmen ja nichts mitbekommt. Meine Redezeit lässt es auch nicht zu, auf jede einzelne Maßnahme wie Schleier- und Rasterfahndung, Onlinedurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung einzugehen. ({0}) Für einige Fragen muss aber Zeit bleiben: Brauchen wir wirklich noch einen Geheimdienst? Mit diesem Gesetz darf das Bundeskriminalamt alles, was dem Verfassungsschutz schon jetzt erlaubt ist. Der Unterschied ist aber: Das BKA unterliegt keinerlei parlamentarischer Kontrolle. Wollen wir wirklich, dass die Polizeiarbeit künftig Bundessache wird und nicht mehr, wie bisher bewährt, Ländersache bleibt? Wer löscht wann aufgrund welcher Kriterien Aufzeichnungen, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen? Wem obliegt die Definition der sogenannten Eilkompetenz? Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt wenig Rücksicht auf den Richtervorbehalt. Nach der richterlich angeordneten Onlinedurchsuchung entscheiden zuerst BKA-Beamte, dann ein Datenschutzbeauftragter des BKA und erst am Ende ein Richter, ob der Kernbereich verletzt wurde. Der Richter muss in einer so sensiblen Frage aber immer die erste Entscheidung haben. Wo beginnt die Privatsphäre? Das ist im Gesetz nicht definiert. Was genau ist der Kernbereich privater Lebensführung? Was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht? Ich will nicht, dass das BKA heimlich Wohnungen durchsuchen und versteckte Kameras installieren darf. Als über den Lauschangriff gestritten wurde, haben Kritiker vor einem Spähangriff gewarnt. Dazu schreibt die Süddeutsche Zeitung - ich zitiere -: Als seinerzeit … Kritiker exakt davor warnten, davor also, dass dem Lauschangriff eines Tages der Videoangriff folgen werde, wurden sie als Spinner abgetan. Nun soll die Spinnerei Gesetz werden. Was vorgestern als unmöglich und gestern noch als unerhört galt, gilt heute als akzeptabel. Auch heute gibt es wieder Spinner: die Bundesärztekammer, die Deutsche Polizeigewerkschaft, der Deutsche Richterbund, der Verband der deutschen Internetwirtschaft, der Deutsche Anwaltverein und Reporter ohne Grenzen. Sind das alles Spinner? Diese Organisationen warnen mit Recht vor den Folgen des BKA-Gesetzes, das ich, vor allem nach der BVG-Entscheidung zum Computergrundrecht, für verfassungswidrig halte. Sie, Herr Innenminister, setzen darauf, dass wir uns an solche Eingriffe in die Grundrechte gewöhnen. Wir aber werden nicht zulassen, dass solche Gesetze zur Selbstverständlichkeit werden. ({1}) - Wir, das sind die Öffentlichkeit und die, die sich engagieren. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mir sicher, dass sowohl der Kollege Winkelmeier als auch jetzt nachfolgend der Kollege Wiefelspütz hocherfreut sind, dass Sie sich so zahlreich zu ihren Redebeiträgen versammelt haben, um danach an der namentlichen Abstimmung teilnehmen zu können. Ich finde aber, es gebietet die Fairness, dass wir alle Rednerinnen und Redner hier ausreden lassen und uns gegenseitig die Chance geben, zu hören, was sie zu sagen haben. Ich bitte also darum, bis zum Aufruf der Abstimmung die Gespräche, welche dringend geführt werden müssen, vor dem Plenarsaal zu führen und die entsprechende Aufmerksamkeit und Ruhe herzustellen. ({0}) Das Wort hat der Kollege Wiefelspütz für die SPDFraktion. ({1})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bitte kein Mitleid: Endlich habe ich einmal das angemessene Forum. ({0}) Wir alle hätten bei einem solch wichtigen Gesetz gern hinreichend viele engagierte und interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer. Das Gesetz, über das wir heute hier abschließend reden, ist das wichtigste Sicherheitsgesetz in dieser Wahlperiode. Ich bin froh, dass wir das in guter Ordnung zu Ende gebracht haben. Es hat eine lange Geschichte; vier Jahre sind es. Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben, und ich bin der festen Überzeugung, dass sich das Ergebnis sehen lassen kann. ({1}) Der Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland ist ein außerordentlich qualifizierter Rechtsstaat. Ich persönlich bin der Auffassung, Herr Wieland, es ist der qualifizierteste Rechtsstaat weltweit. ({2}) Das war vor diesem Gesetz so, ({3}) und das ist nach diesem Gesetz so. Daran haben sehr viele mitgewirkt, in Grenzen sogar Sie, Herr Wieland. Wir haben nach 1949 hier in Deutschland mit vielen Beteiligten etwas Außerordentliches entwickelt: einen hoch qualifizierten Rechtsstaat. Was das wirklich ist, kann man beurteilen, wenn man die Realität in solchen Ländern beobachtet, wo es so etwas nicht gibt. Der Rechtsstaat hier in Deutschland ist eine großartige zivilisatorische Leistung, und man erträgt vielleicht sogar da und dort, dass manche Menschen nicht begreifen, welche Qualität und welch großartige Sache dies ist. Ich kenne kein Land dieser Welt, Frau LeutheusserSchnarrenberger, in dem der Grundrechtsschutz einen so hohen Stellenwert wie in Deutschland hat. Kein Land hat ein Verfassungsgericht von solcher Bedeutung wie in unserem Land, kein Land kennt einen Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, der es jedem Bürger ermöglicht, Grundrechtseingriffe durch unabhängige Gerichte überprüfen zu lassen. ({4}) Wir haben in 16 Ländern Deutschlands 16 Polizeigesetze mit Befugnissen zur Gefahrenabwehr und mit Befugnissen zur Verbrechensverfolgung sowie mit präventiven und repressiven Zuständigkeiten. Jetzt verabschieden wir ein Gesetz, wonach es dem Bundeskriminalamt auf Bundesebene erlaubt ist, im Bereich von Terrorismus nicht nur Strafverfolgung, sondern auch Gefahrenabwehr zu betreiben. Hier wird eine Lücke in unserer Sicherheitsarchitektur geschlossen. ({5}) Diese Architektur hat sich bewährt und wird weiterentwickelt, ohne dass sie auf den Kopf gestellt wird. Diese Sicherheitsarchitektur Deutschlands - schreiben Sie bitte mit, damit Sie etwas gelernt haben, Herr Wieland könnte man als kooperativen Sicherheitsföderalismus umschreiben. Das bleibt auch so. 80 Prozent der Sicherheitsarbeit in Deutschland wird von den Ländern und 20 Prozent grosso modo vom Bund geleistet, und wir machen es gemeinsam. ({6}) Das bleibt auch in Zukunft so. Ich habe nie verstanden, warum im Bereich des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt zwar Verbrechen verfolgt werden können, aber nicht die Gefahrenabwehr vorgenommen werden darf. Es war überfällig, dass wir diese Lücke schließen. ({7}) Dieses Polizeigesetz hat in der Tat besondere Qualitäten. Wenn ich den Rednern der Opposition Glauben schenken dürfte, dann dürften wir in Deutschland kein einziges Polizeigesetz erlassen. Das sind Beiträge aus der Opposition, die nicht aus Deutschland, sondern aus Absurdistan stammen. ({8}) Das hat mit der Wirklichkeit dieses Landes doch überhaupt nichts zu tun. ({9}) Das BKA-Gesetz ist ein strikt rechtsstaatliches Gesetz auf sehr hohem Niveau, und anders als vielleicht bei dem einen oder anderen Landespolizeigesetz ist mit großer Akribie, mit sehr viel Mühe die strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur präventiven Telefonüberwachung, zum großen Lauschangriff und natürlich auch im Bereich der Onlinedurchsuchung eingearbeitet worden. Zu den besonderen Vorzügen unseres Landes gehört auch, dass jeder, der der Auffassung ist, dass da irgendetwas nicht in Ordnung ist, das Bundesverfassungsgericht anrufen kann. Bitte schön! Wer sich ein blaues Auge holen will, soll den Weg nach Karlsruhe wählen. Auch das ist völlig in Ordnung. Wir werden in Demut abwarten, was uns die Richterweisheit in Karlsruhe zu sagen hat. Lassen Sie mich noch etwas zur Onlinedurchsuchung sagen. Herr Minister Schäuble hat zu Recht darauf hingewiesen: Verbrechen hat etwas mit Kommunikation zu tun. Die Kommunikationstechnik hat sich massiv entwickelt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Lücke zwischen den Sicherheitsbehörden, ihren Befugnissen, ihren technischen Möglichkeiten und denjenigen, die Hightechkommunikation zu verbrecherischen Zwecken anwenden, eher größer als kleiner geworden ist. Man muss sich doch damit auseinandersetzen, wie man damit umzugehen hat. Die Onlinedurchsuchung, wie wir sie im Gesetz ausgestaltet haben, ist strikt rechtsstaatlich; das, was uns von Karlsruhe vorgegeben worden ist, ist millimetergenau umgesetzt worden. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, der Landesgesetzgeber in Bayern wird gut beraten sein, abzuschreiben, was wir hier aufgeschrieben haben. Ich bin einmal sehr gespannt, was bei Ihnen herauskommt. Sie werden das Rad nicht neu erfinden, sondern vermutlich millimetergenau das abschreiben, was wir hier ent19852 wickelt und in den Gesetzgebungsberatungen auf dem Gebiet des Kernbereichsschutzes noch einmal verbessert haben. An dem Beitrag von Herrn Korte fand ich einen Aspekt - ich hoffe, das schadet Ihnen nicht, Herr Korte intelligent. ({10}) Sie sagen: Ich wäre selbst dann gegen die Onlinedurchsuchung, wenn sie verfassungsgemäß wäre. Dazu muss ich Ihnen sagen: Das finde ich fair. Diese Argumentation verfolgt auch der eine oder andere in meiner Fraktion, zum Beispiel mein Freund Jörg Tauss. Manchmal kann man für seine Freunde nichts. ({11}) Er sagt: Verfassungsrecht hin oder her, ich will die Onlinedurchsuchung nicht. - Ich bin anderer Auffassung, weil ich glaube, dass man diesen technischen Entwicklungen Rechnung tragen muss. Aber dieses Argument respektiere ich. Wir sind bis heute ohne Onlinedurchsuchungen ausgekommen. Man kann die Auffassung vertreten: Wir kommen auch noch die nächsten 20 Jahre ohne Onlinedurchsuchungen aus, ohne dass die Sicherheit in Deutschland zusammenbricht. Aber bleiben Sie dann, bitte schön, weiterhin so fair und intelligent, Herr Korte, und sagen Sie nicht: „Deutschland wird Überwachungsstaat“, sondern: Auch wenn das verfassungskonform und mit dem Rechtsstaat vereinbar ist, will ich die Onlinedurchsuchung nicht, weil ich sie für überflüssig halte. - Dieses Argument respektiere ich, auch wenn es nicht mein Argument ist. Diese Argumentation verfolgt auch der eine oder andere in meiner Fraktion. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz, das unsere Sicherheitsarchitektur weiterentwickelt und einen Beitrag zu Sicherheit und Freiheit in unserem Land ist. Schönen Dank für das Zuhören. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. 17 Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion haben eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben.1) Wir nehmen diese zu Protokoll. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD sowie von der Bun- desregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/10822, die genannten Gesetzentwürfe der Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/9588 sowie der Bundesregierung auf Drucksache 16/10121 zu- 1) Anlagen 24 bis 26 sammenzuführen und als Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich ent- halten? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- tung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD- Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun auf Verlan- gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- nehmen. - Ist dies überall der Fall? - Alle Schriftführe- rinnen und Schriftführer sind an ihrem Platz. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/10851? Wer stimmt dagegen? Wir wiederholen die Abstimmung, da das Präsidium in der Feststellung des Abstimmungsergebnisses nicht einig ist. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag - mit einer Stimme Mehrheit, wie wir hier vorne auszählend festgestellt haben - mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten HansChristian Ströbele, Volker Beck ({0}), Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen ({1}) - Drucksache 16/9780 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Rechtsausschuss ({3}) Innenausschuss Federführung strittig 2) Seite 19854 C Vizepräsidentin Petra Pau Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, welche sich noch auf dem Weg nach draußen zu anderen wichtigen Beratungen befinden, dies zu beschleunigen, und alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die notwendige Aufmerksamkeit für den ersten Redner herzustellen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Gesetze, die wir nicht brauchen. Eines davon haben wir gerade eben behandelt. Es gibt aber auch Gesetze bzw. gesetzliche Regelungen, die bisher fehlen und die wir ganz dringend brauchen. Wir brauchen vor allen Dingen ausreichend Gesetze und Vorkehrungen gegen Bestechung und Korruption im Land. Es gibt immer wieder Fälle, wo wir feststellen, dass die derzeitigen Instrumente nicht ausreichen, um aus Deutschland ein Land zu machen, in dem so etwas möglichst wenig vorkommt. ({0}) Wir haben hier einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Korruptionsregisters vorgelegt. Anhand dieses Registers sollen öffentliche Stellen, die Aufträge vergeben wollen, feststellen können, welche von den Unternehmen, die sich nach der Ausschreibung eines Auftrages auf diesen beworben haben, schon einmal als unzuverlässig aufgefallen sind, also etwa, weil sie Bestechung betrieben haben, weil sie Geldwäsche betrieben haben, weil sie Schwarzarbeit in erheblichem Umfang in ihren Firmen zugelassen, befördert oder betrieben haben, weil sie Bilanzfälschung oder Ähnliches betrieben haben. Ein solches Register wollen wir auf Bundesebene schaffen, damit sich bundesweit jede Bundesbehörde und jeder andere öffentliche Auftraggeber informieren kann, ob eine bestimmte Firma schon einmal als unzuverlässige Firma in Erscheinung getreten ist. Dieser Gedanke ist jetzt von uns nicht neu in die Debatte gebracht worden. Vielmehr gibt es in zahlreichen Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Berlin, Baden-Württemberg oder Bayern, schon solche Register. Aber auf Bundesebene gibt es das noch nicht. Doch auch auf Bundesebene ist das kein ganz neuer Gedanke. Ich richte mich jetzt insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir einmal die rotgrüne Koalition gebildet haben. In dieser haben wir im Jahr 2002, unmittelbar vor der damaligen Bundestagswahl, schnell ein Gesetz zur Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters erarbeitet. Das haben wir im Deutschen Bundestag in drei Lesungen behandelt und verabschiedet. Aber dieses Gesetz ist nicht in Kraft getreten, weil der Bundesrat nicht mitgemacht hat und das Gesetz da hängen geblieben ist. ({1}) Was vor sechs Jahren notwendig war - damals hat sich zum Beispiel Herr Müntefering sehr intensiv darum gekümmert und dafür gesorgt, dass das noch vor der Bundestagswahl verabschiedet wurde -, das ist jetzt, sechs Jahre später, noch notwendiger geworden, als es damals schon war. ({2}) Der Hintergrund dafür, dass die Sozialdemokraten damals bereit waren, darüber zu reden, viele Stunden bei Verhandlungen zu verbringen, um etwas Vernünftiges zustande zu bringen, und das zu beschließen, war, dass es damals in einigen Städten - ich nenne als Beispiele Wuppertal und Köln - Korruptionsvorwürfe gegen Politiker gab. Darin sollten auch Sozialdemokraten verwickelt gewesen sein. Inzwischen gibt es dazu Urteile und auch Verurteilungen. Damals hatte die SPD offenbar das Bedürfnis, dafür zu sorgen, dass so etwas in der Zukunft auf keinen Fall vorkommt. Alle Politiker, gerade SPDPolitiker, in den Ländern, in den Kommunen, aber auch auf Bundesebene sollten wissen können, welche Firmen schon einmal unangenehm aufgefallen sind. Der Gesetzentwurf ist damals vor dem Hintergrund entstanden, dass man eine Bundestagswahl gewinnen wollte. Das ist zwar ein vernünftiger Grund; aber man darf das Vorhaben dann nach der Wahl nicht vergessen. Der Gesetzentwurf ist ja nicht aus inhaltlichen Gründen gescheitert, sondern er konnte deshalb nicht umgesetzt werden, weil der Bundesrat ihn damals ausgebremst hat. Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Die Große Koalition hätte die Verpflichtung gehabt, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Das war ihr offenbar nicht möglich, obwohl der Bundesrat inzwischen selber ein solches Gesetz und die Einrichtung eines Korruptionsregisters fordert. Deshalb sagen die Grünen heute: Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet; ihr braucht nur zuzustimmen. ({3}) Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass ein Korruptionsregister eingerichtet wird, in das die Firmen aufgenommen werden sollen, bei denen kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass sie in Geldwäsche, Subventionsbetrug, Untreue, Bestechung, Schwarzarbeit, Bilanzfälschung oder Ähnliches verwickelt sind, insbesondere wenn eine Firma schon einmal strafrechtlich verurteilt worden ist, wenn gegen sie ein Strafbefehl erlassen worden ist, wenn gegen einen der Beteiligten durch einen Richter ein Haftbefehl erlassen worden ist oder wenn ein Geständnis oder Ähnliches vorliegt, was Zweifel daran ausschließt, dass ein solcher Tatbestand vorliegt. Die Firmen sind dem aber nicht schutzlos preisgegeben. Bevor sie in ein solches Korruptionsregister aufgenommen werden, werden sie davon unterrichtet, und sie erhalten die Möglichkeit, Gegendarstellungen zu machen und Belege oder Beweise für eine unrechtmäßige Beschuldigung anzubringen. Diese werden geprüft, und wenn die Prüfung zugunsten der Betroffenen ausfällt, kommen sie nicht in das Register. Alle Auftraggeber der öffentlichen Hand, die über Aufträge in Höhe von über 25 000 Euro entscheiden wollen, können dieses Register einsehen, um festzustellen, welche Firma aufgefallen ist. Dann können sie selbstständig entscheiden, ob der Verdacht, der in dem Register festgehalten ist, sie daran hindert, mit der entsprechenden Firma ein Geschäft einzugehen und ob sie sich lieber an eine andere Firma wenden oder den Auftrag noch einmal ausschreiben möchten. Das ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfes. Das ist vernünftig und richtig. Selbstverständlich sind die Datenschutzbestimmungen - das erwartet man von den Grünen, und das steht auch im Gesetzentwurf anzuwenden. Insbesondere dürfen solche Informationen nicht zweckentfremdet werden. Aufgrund dieser Regelungen ist der Gesetzentwurf rund und gut begründet; er wäre eine vernünftige Maßnahme gegen Korruption in unserem Lande. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Diese sollte Ihnen viel leichter fallen als bei anderen Gesetzen, denen Sie heute schon zugestimmt haben. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 3 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie der Bundesregierung zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt bekannt: abgegebene Stimmen 549. Mit Ja haben 375 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 168 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 6 haben sich der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 549; davon ja: 375 nein: 168 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Ralf Brauksiepe Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Thomas Mahlberg Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Marlene Mortler Stefan Müller ({12}) Bernd Neumann ({13}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({16}) Vizepräsidentin Petra Pau Andreas Schmidt ({17}) Ingo Schmitt ({18}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({22}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({24}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({25}) Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Iris Gleicke Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Petra Heß Stephan Hilsberg Petra Hinz ({27}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({28}) Frank Hofmann ({29}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({30}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Christian Kleiminger Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({32}) Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({33}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Steffen Reiche ({34}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Rene Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({35}) Michael Roth ({36}) Marlene Rupprecht ({37}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({38}) Marianne Schieder Ulla Schmidt ({39}) Silvia Schmidt ({40}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({41}) Carsten Schneider ({42}) Olaf Scholz ({43}) Swen Schulz ({44}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({45}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Heidemarie Wieczorek-Zeul Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({46}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Gerd Andres Dr. Axel Berg Ulla Burchardt Dr. Herta Däubler-Gmelin Elvira Drobinski-Weiß Renate Gradistanac Angelika Graf ({47}) Gabriele Hiller-Ohm Christine Lambrecht Helga Lopez Lothar Mark Dr. Matthias Miersch Dr. Wilhelm Priesmeier Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann Sönke Rix Frank Schwabe Dr. Margrit Spielmann Jörg Tauss Andrea Wicklein FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Rainer Brüderle Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({50}) Vizepräsidentin Petra Pau Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({51}) Dr. Erwin Lotter Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({52}) Detlef Parr Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Dr. Daniel Volk Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({53}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Diana Golze Dr. Gregor Gysi Hans-Kurt Hill Inge Höger Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Katrin Kunert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({54}) Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({55}) Volker Beck ({56}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Hans Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({57}) Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({58}) Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({59}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Claudia Roth ({60}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Jürgen Trittin Josef Philip Winkler fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Enthalten SPD Dr. Peter Danckert Ortwin Runde Ottmar Schreiner Ewald Schurer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wir kehren nun zur Debatte zu Tagesordnungspunkt 4 zurück. Das Wort für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein. ({61})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich hatte gehofft, dass ich von Herrn Kollegen Ströbele ganz grob erfahre, warum die Grünen das in so prominenter Position beraten haben wollen, warum sie meinen, dass das in der jetzigen Phase ein sehr wichtiger Gesetzentwurf ist. Dazu haben Sie aber nichts gesagt. ({0}) Ich hatte den Eindruck, Ihnen geht es darum, Deutschland als Korruptionshochburg darzustellen, was aber fatal und völlig falsch ist. ({1}) Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich hin- und hergerissen bin, weil die Forderung nach einem Korruptionspranger eigentlich nicht in die Zeit einer Finanzkrise passt, in der wir eigentlich andere Sorgen haben müssten. Vielmehr haben wir uns mit der Frage zu befassen, wie wir verhindern können, dass die Finanzkrise in die Realwirtschaft überschwappt bzw. wie dies nicht so gravierend ausfällt, wenn wir dies schon nicht verhindern können. Andererseits passt das dann doch wieder zum Thema im weiteren Sinne, weil es bei uns viele gibt, die momentan nichts Besseres zu tun haben, als politisch motiviert Manager, Banker und andere an den Pranger zu stellen. Zudem könnte man den Eindruck erwecken, dass sie sowieso alle korrupt sind. Das will ich ihnen aber nicht unterstellen. ({2}) Ich möchte Ihnen ganz sachlich sagen, dass wir als Union allergrößte Vorbehalte gegenüber dem haben, was Sie hier vortragen. Das beginnt bereits mit der Frage, wen Sie am Ende eintragen wollen: die Töchter oder den ganzen Konzern? Weshalb reicht es nicht aus, wenn es bereits die Bundesländer tun? ({3}) Weshalb muss der Bund dies zusätzlich machen? Wenn Sie sagen, es würden nicht alle tun, dann muss ich Ihnen entgegenhalten, dass in Hessen, in NordrheinWestfalen und in Baden-Württemberg derzeit darüber nachgedacht wird, die Ausschlussregister wieder abzuschaffen, weil kaum Gebrauch davon gemacht wird. ({4}) Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Thema zeitlich vielleicht nicht ganz so richtig platziert ist. ({5}) - Man kann über vieles diskutieren. Die Frage ist aber, in welchem Kontext man darüber diskutiert und welche Show man darum herum machen möchte. Ich habe die Sorge, dass Sie lieber eine Show darum herum machen möchten. Ich möchte Sie einmal reden hören, wenn ich fordern würde, ein Handschriftenregister für Graffitisprüher einzuführen. An dieser Stelle würden Sie ganz andere Töne anschlagen. ({6}) Das aber nur, um die Debatte ein bisschen aufzuheitern. Das Thema „Kosten- und Personalaufwand“ ist in der Tat ein Problem. Das werden Sie nicht bestreiten, weil das so in Ihrem Antrag steht. Die Umsetzung Ihrer Forderungen kostet richtig viel Geld. Sie schreiben, dies werde vielleicht ausgeglichen durch das, was der Bund letztendlich spart, wenn öffentliche Investitionen nicht länger mit missbrauchsanfälligen Unternehmen umgesetzt werden. Ich kenne die Rechnung zwar nicht, aber ich frage mich, ob denn die Unternehmen nichts aus einer rechtskräftigen Verurteilung lernen. Dies impliziert doch die Vorgabe, dass man diese Unternehmen ausschließen muss, um ernsthaft abzuschrecken. Lernen die Unternehmen denn nichts hinzu? Um rechtskräftige Verurteilungen geht es Ihnen jedoch gar nicht. Das macht den Gesetzentwurf aus unserer Sicht vollkommen inakzeptabel. Sie wollen, dass ein Unternehmen sofort in das neu zu schaffende Register eingetragen werden muss, wenn ein dringender Tatverdacht besteht. Meines Erachtens sollte man nicht Sorge dafür tragen, dass ein Unternehmen, das unter einem solchen Verdacht steht, letztendlich pleitegeht, weil ihm keine öffentlichen Aufträge mehr erteilt werden, und dann vor ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten steht. Es kann nicht sein, dass man durch ein solches Register zu einer Vorverurteilung kommt und damit dafür verantwortlich ist, dass Unternehmen in zusätzliche Schwierigkeiten kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlich gern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, haben Sie sich einmal die Voraussetzungen für einen Eintrag in das Korruptionsregister der Länder angeschaut, die Sie genannt haben? Wissen Sie, welche Voraussetzungen ausreichend sind, um in deren Korruptionsregister eingetragen zu werden? Die Voraussetzungen sind noch wesentlich geringer. Vor allen Dingen ist eine vorherige Informationspflicht - das habe ich vorhin erwähnt - und damit auch eine Abwehrmöglichkeit überhaupt nicht gegeben. Das heißt, wir bewegen uns in einem sehr viel engeren rechtsstaatlich sicheren Rahmen als die Länder, die das seit vielen Jahren praktizieren. Von Missbrauch ist bisher nichts bekannt geworden. Ich frage Sie also: Sind Sie nicht auch der Meinung, dass dieser Vorschlag durchaus sehr ausgewogen und rechtsstaatlich fundiert ist?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich erkenne an, dass Sie in grüner Manier unter datenschutzrechtlichen Aspekten einen ausgewogenen Vorschlag gemacht haben. Wenn man in diesem Bereich etwas tun möchte, könnte man es ungefähr auf diese Weise machen. Das will ich gar nicht bestreiten. ({0}) Es gibt aber auch Beispiele aus den Ländern, angesichts derer ich Ihren Vorschlägen nicht folgen würde. Wir reden doch darüber, was wir als Bundesgesetzgeber tun sollten. Unsere Einschätzung, dass die Länder es in eigener Zuständigkeit sehr viel schlechter machen, sollte uns nicht veranlassen, etwas Ähnliches auf den Weg zu bringen, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle ein bisschen besser wäre. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Bayern. Ein Unternehmen im Baugewerbe, das viele Menschen beschäftigt hatte, hat Mitarbeiter, die im Osten im Tiefbau gearbeitet haben, nach Bayern geholt und im Hochbau eingesetzt, weil im Osten in diesem Bereich kein Geschäft mehr zu machen war. Dieses Unternehmen hat geglaubt, die Beschäftigten geringer bezahlen zu können. Im Nachgang wurde ihm vorgeworfen, gegen Mindestlohnvorgaben verstoßen zu haben. Es kam zu einem Strafprozess. Der Staatsanwalt hat letztendlich das Verfahren eingestellt, weil er keinen Vorsatz erkennen konnte. Aber es wurde vom zuständigen Hauptzollamt geprüft, ob eine Ordnungswidrigkeit vorlag. Die Ersparnis aufgrund der niedrigeren Löhne wurde mal fünf genommen und ein Bußgeld von 350 000 Euro festgesetzt. Wenn das Unternehmen dieses Bußgeld wirklich bezahlen muss, dann ist die Konsequenz, dass es zukünftig von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wird. Der Unternehmer hat sich anständig verhalten, er hat einen Sozialplan aufgestellt und ist mit seinen Mitarbeitern fair umgegangen. Er wird vom Staat dadurch „belohnt“, dass er erstens eine hohe Summe zahlen muss und dass er zweitens - das ist für das Unternehmen das gravierendere Problem - an den Pranger gestellt und nicht mehr bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen berücksichtigt wird, was dazu führt, dass Mitarbeiter entlassen werden müssen. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Problem auf sinnvolle Weise lösen werden. Aufgrund dieser Beispiele überlegt man sich schon, wie man mit solchen Unternehmen umgehen sollte. ({1}) Deshalb kann ich nur vor Vorschlägen warnen, mit denen der Eindruck erweckt wird, als könne man Unternehmen einfach mal so an den Pranger stellen. Ich kann an dieser Stelle noch weitere Beispiele anführen. Ich habe ohnehin ein Problem damit, dass es bei Unternehmen und bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, relativ schnell zu Vorverurteilungen kommt. Ich beziehe nicht die Abgeordneten mit ein; denn sie alle wissen, wie sie sich verhalten müssen, wenn sie vom Staatsanwalt ins Visier genommen werden. Aber wenn ein Staatsanwalt wie in dem von mir genannten Beispiel aufgrund eines Verdachtes in einem Unternehmen auftaucht, mit Kunden telefoniert und mit Lieferanten spricht, dann ist der Schaden sehr viel höher als die eventuell gerechtfertigte Strafe. Auch wenn das Unternehmen unschuldig ist, wird der erlittene Imageschaden von niemandem ausgeglichen. Deshalb habe ich Probleme damit, wenn versucht wird, Leute und Unternehmen an den Pranger zu stellen. Wenn wir in der jetzigen Phase ein solches Gesetz beschließen würden, dann müssten wir insbesondere auf die Außenwirkung achten. ({2}) Wir müssen den Eindruck vermeiden, als ob es in Deutschland ein größeres Korruptionsproblem gibt. Auf der Liste von Transparency International liegen wir unter 180 Staaten auf Platz 13. ({3}) - Ja, es geht noch besser. Aber es gibt eine weitaus größere Zahl an Ländern, die hinter uns liegen. Ich habe das im Sommer dieses Jahres erlebt, als ich mit CSU-Kollegen in Griechenland war. Damals war dort die Siemens-Affäre das große Thema. Es hat einen nicht nur während der politischen Gespräche, sondern auch bis hin zum Mittagessen verfolgt. Selbst beim Mittagessen hat ein griechischer Kollege gemeint, es sei opportun, noch einmal auf den Deutschen und Siemens herumzuhacken und zu sagen, was das doch für ein furchtbar korrupter Haufen sei und dass dies alles zum Himmel stinke. Ich habe die Schnauze voll gehabt - so sage ich einmal auf gut Bayerisch - und habe ganz deutlich gesagt, dass zum Thema „Bestechung und Bestechlichkeit“ zwei Seiten gehören: der eine, der gibt, und der andere, der die Hand aufhält. Jeder möge doch bitte an dieser Stelle vor seiner eigenen Tür kehren und schauen, dass es keinen gibt, der die Hand aufhält. Das Problem, das die Wirtschaft im Außenbereich hat, ist nämlich, dass es in anderen Ländern - da kommen wir zu denjenigen, die unterhalb des 13. Platzes liegen, also zu den fortfolgenden - leider Gottes gang und gäbe ist, die Hand aufzuhalten und zu sagen: Gib mir, und dann machen wir gemeinsam ein Geschäft. - Wir sollten hier die Dinge nicht verkehren. Im entsprechenden Bericht des BKA von 2007 steht, dass die allgemeine öffentliche Verwaltung mit einem Anteil von 79 Prozent an allen Korruptionsfällen am korruptionsanfälligsten ist. Nun frage ich mich: Warum beschäftigen wir uns nicht zunächst einmal mit den Dingen, die uns selber angehen? ({4}) Wir sind doch in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass gerade in der öffentlichen Verwaltung durch entsprechende Kontrollmechanismen nicht so einfach die Hand aufgehalten werden kann. Da führen wir kein Register oder Ähnliches ein. Warum konzentrieren wir uns nicht insbesondere auf Themen, die unmittelbar unserem Zugriff unterliegen? Warum wollen wir uns stattdessen gerade in der jetzigen schwierigen wirtschaftlichen Situation wieder mit der Wirtschaft beschäftigen, wieder mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die mehrheitlich anständig sind und ein sauberes Geschäft machen? ({5}) Dies hielte ich für vollständig verfehlt. Um einen Schritt weiterzugehen: Vor kurzem wurde in der Öffentlichkeit auch über die Bestechlichkeit diskutiert, die sich allmählich auf der Ebene der Europäischen Union breitmacht. Im Übrigen ist auch ein deutscher Direktor in die Schlagzeilen gekommen, was mir persönlich wehgetan hat, weil auch dies ein bisschen den Eindruck erweckt, es seien die Deutschen. Nein, es sind die Strukturen. Auf europäischer Ebene lassen wir zu, dass sich in der Kommission Gestaltungsmacht konzentriert und dass über Korruption das eine oder andere relativ einfach bewegt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn sich Macht in den Händen weniger und insbesonDr. Georg Nüßlein dere bar jeder demokratischen Kontrolle bewegt. Deshalb sollten wir uns aus meiner Sicht, was das europäische Thema angeht, intensiv Gedanken darüber machen, wie wir den europäischen Prozess so gestalten können, dass er stärker unter demokratischer Kontrolle stattfindet, dass nicht, wie Roman Herzog es formuliert hat, letztendlich die Beamten die Politik machen, sondern dass der Wille des Parlaments zum Ausdruck gebracht wird. ({6}) Das ist ein Thema der EU-Reform, das ich für ganz entscheidend halte. ({7}) - Sie sollten eines sehen: Ich habe einen großen Bogen gespannt. Warum habe ich dies getan? Ich habe eine Redezeit von zwölf Minuten für ein Thema, das es im Grunde nicht wert ist, in zwei Minuten abgehandelt zu werden, weil eigentlich alles gesagt ist. Wir werden den Gesetzentwurf nicht unterstützen. ({8}) Wir wollen dies nicht. In diesem Sinne bedanke ich mich 1 Minute und 36 Sekunden vor Ende meiner Redezeit ganz herzlich für die Aufmerksamkeit. Ich will die Kollegen nicht weiter strapazieren. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Paul Friedhoff das Wort. ({0})

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in diesem Haus besteht ein Konsens darüber: Wir alle sind gegen Korruption und Unzuverlässigkeit. ({0}) Wir sind uns auch darin einig, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, um Korruption zu bekämpfen. Auch Unzuverlässigkeiten von Unternehmen können selbstverständlich nicht geduldet werden; denn Unternehmen, die sich so verhalten, haben im Wettbewerb häufig einen Vorteil gegenüber den anständigen Unternehmen, die sich an die Gesetze halten. Leider gibt es trotz vieler Anstrengungen unzuverlässige Unternehmen und Korruption, und das nicht nur in Entwicklungsländern oder in fernen Ländern, sondern auch bei uns. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und auf die anderen zeigen, sondern müssen mit geeigneten Maßnahmen die Unzuverlässigkeiten bekämpfen. ({1}) - Die Betonung liegt hierbei allerdings auf „geeignete Maßnahmen“, Herr Ströbele. ({2}) Damit komme ich zu Ihrem Gesetzentwurf: Nicht alles, was gut klingt, ist geeignet und noch lange nicht verhältnismäßig. ({3}) - Ja, ich komme gleich dazu. Wir haben 1997 mit dem damaligen Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption als Rechtsgrundlage für eine effektive Bekämpfung der Missstände eingeführt. Dieses Gesetz hat sich bewährt, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Allerdings muss das Gesetz - das gilt für alle Gesetze administriert werden. Gegen Defizite bei der Durchsetzung, die entstehen, wenn das Gesetz nicht administriert wird, hilft nur eine gut organisierte Behördenstruktur. Weitere Gesetze helfen jedoch nicht; sie machen alles komplizierter und in der Regel wesentlich uneffektiver. ({4}) Wir haben mit dem Bundeszentralregister und dem Gewerbezentralregister bereits zwei einschlägige Register, die gegen unzuverlässige Unternehmen und für die Korruptionsbekämpfung gut einsetzbar sind. Das vorhandene Instrumentarium ist also ausreichend. Wenn es trotzdem zu Missständen kommt, sollte zuerst geprüft werden, wie diese bestehenden Informationsquellen besser und effektiver genutzt und vernetzt werden können. Herr Ströbele, mir ist klar, dass man sich mit einer solchen Formulierung nicht so gut schmücken kann wie mit dem Ruf nach einem neuen Gesetz, erst recht, wenn dieses neue Gesetz dann noch einen schönen Namen erhält, der für alle Bürger wohlklingt, ({5}) der suggeriert, es gäbe eine Gesetzeslücke. Sie haben vorhin so getan, als sei das etwas ganz Neues. Wenn man sich einmal ansieht, was bereits im Gesetzblatt steht, dann kommt man zu dem Ergebnis: So ganz neu ist dies nicht. Wir sollten das, was im Gesetzblatt steht, anwenden, und nicht so tun, als gäbe es das gar nicht. ({6}) Nutzen wir lieber diese beiden vorhandenen Register! Dann werden wir zu ordentlichen Ergebnissen kommen. ({7}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen die Grünen ihre gesetzgeberischen Vorhaben aus den Jahren 2002 und 2004 weiter, mit denen sie damals im Bundesrat gescheitert sind. In der seitdem vergangenen Zeit sind wir aber in der Wirtschaft ein Stück weitergekommen. ({8}) Wir haben inzwischen einige neue Vorstellungen entwickelt, wenn auch nicht hinsichtlich der Korruption. Wir haben aber in der Zwischenzeit erkannt, dass wir die Wirtschaft mit allen möglichen Gesetzen und Informationspflichten ziemlich fesseln. ({9}) - Ja, es geht um die schwarzen Schafe. Die kann man auch so herausfiltern. Damit müssen Sie nicht alle behelligen, wie es Ihr Gesetzentwurf vorsieht. ({10}) Mit dem Aufbau neuer Bürokratie durch ein weiteres Register wird das Ziel der Bekämpfung von Korruption und Unzuverlässigkeit leider nicht erreicht. Dadurch wird leider auch kein Wachstum gefördert. Auch wenn der Beweggrund der Korruptionsbekämpfung sehr gut klingt, so sind doch die Folgen für die ehrlichen Unternehmen ziemlich böse. Es entstehen mehr Bürokratie und höhere Kosten für den Staat. ({11}) Wir sollten nicht verkennen, dass die Vielzahl der deutschen Unternehmen - Herr Nüßlein, auch Sie haben das gerade gesagt - nicht von Betrügern geführt werden und nicht korrupt sind. ({12}) Es gibt ganz wenige, die sich nicht an die Gesetze halten. Diese können wir mit dem vorhandenen Instrumentarium herausfischen. ({13}) Neue Register ziehen neue Verwaltungsapparate nach sich. Es würden auch neue Informationspflichten für die öffentlichen Auftraggeber geschaffen. Solche Informationspflichten sind vielfach überflüssig; sie bringen mehr Kosten und Aufwand als Nutzen. Mit den Mittelstandsentlastungsgesetzen zum Beispiel - die Zielsetzung verfolgen wir alle - wird genau das Gegenteil erreicht. ({14}) Deshalb muss sich jede Fraktion, die entgegen dieses Ziels neue Bürokratie einzuführen gedenkt, intensiv fragen lassen, ob dazu die Notwendigkeit besteht. Wir meinen, nein. ({15}) Inhaltlich ist vor allem anzumerken, dass hier unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung diverse weitere Verfehlungen von Unternehmen und Ausschreibungsteilnehmern registriert werden sollen, die mit Korruption im engeren Sinn überhaupt nichts zu tun haben. ({16}) Im Gesetzentwurf der Grünen finden sich neben den Kernpunkten der Korruption zahlreiche weitere mögliche Verstöße aus den Bereichen des Kartellrechts, des Arbeitsrechts, des Insolvenzrechts und sogar des Wertpapierrechts. Das Ganze läuft unter der Überschrift „Korruption“. Solche Verstöße sind natürlich nicht zu entschuldigen. Sie sind aber allesamt durch unsere Rechtsordnung bereits sanktioniert. Herr Ströbele, diese Straftaten werden registriert. Man kann nachsehen. Das von den Grünen geforderte nationale Korruptionsregister hätte eine Prangerwirkung. Es würde das eigentliche Problem nicht lösen, sondern einen Wust an Bürokratie mit sich bringen. Vor allen Dingen würde ein „Pranger auf Verdacht“ eingeführt. ({17}) - Doch, das steht in Ihrem Gesetzentwurf. ({18}) - Das ist ja prima. Sie stehen also an einem Pranger, und es heißt: nur auf Verdacht. Das finde ich toll. So habe ich mir den Pranger eigentlich nie vorgestellt. ({19}) Nach Ihren Vorstellungen soll bereits ausreichen, dass ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Ich weiß nicht, was Sie damit bezwecken. ({20}) - Das, was Sie jetzt sagen, steht gar nicht im Entwurf; jetzt machen Sie ihn schön. ({21}) Unsere Wirtschaft braucht Spielregeln; das wissen wir. Es ist wichtig, dass sich alle daran halten. Ein fairer Wettbewerb kann anders nicht funktionieren. Das wissen alle am Wirtschaftsleben Beteiligten sehr wohl. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt den Kampf gegen Korruption und Unzuverlässigkeit. Wir unterstützen aber keine Symbolpolitik, die Sie hier betreiben. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, klar.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist sehr freundlich, Herr Kollege. Ich stelle sowieso fest, dass die Kollegen in diesem Hause, die viel mit Wirtschaftsthemen zu tun haben, vielfach viel zugänglicher sind als andere Kollegen. Das soll ein Lob sein. ({0}) Trotzdem muss ich die Frage stellen: Haben Sie unseren wunderbaren Gesetzentwurf vor Ihrer Rede wirklich gelesen? Haben Sie insbesondere § 3 gelesen? In Abs. 2 steht: Straftaten und Verstöße einer Person oder eines Unternehmens werden nur gemeldet, gespeichert und mitgeteilt, wenn keine vernünftigen Zweifel bestehen an der Täterschaft, die sich ergibt aus 1. einer strafrechtlichen Verurteilung, 2. Erlass eines Strafbefehls, 3. Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a der Strafprozessordnung, - das bedeutet, wenn zugegeben worden ist, dass eine Verfehlung vorliegt 4. gerichtlicher Feststellung eines dringenden Tatverdachts, 5. Einleitung eines Strafverfahrens bei Vorliegen eines Geständnisses des Beschuldigten, 6. einem bestandskräftigen Bußgeldbescheid oder 7. einer zivilrechtlichen Verurteilung zu Schadenersatz. All das geht weit über die normale Einleitung eines Strafverfahrens hinaus.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Ströbele, ich habe den Text hier. ({0}) Er ist an vielen Stellen gemarkert. Daran können Sie feststellen, dass ich ihn gelesen habe. ({1}) Obwohl ich kein Jurist bin, habe ich mich damit beschäftigt. Damit beschäftigen sich auch Leute, die zufällig nicht Juristen sind. Hier steht: „… die sich ergibt aus … gerichtlicher Feststellung eines dringenden Tatverdachts“. Ich wüsste nicht, wie ein Verfahren ohne dringenden Tatverdacht eröffnet werden kann. Das Gericht stellt damit aber noch lange nicht die Schuld fest. ({2}) Bei uns, in einem Rechtsstaat gilt - so habe ich als Ingenieur das zumindest verstanden -, dass ich nicht vorab verurteilt werde, sondern dass das ein Gericht machen muss. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie sich in all Ihren Tätigkeiten darauf beziehen. Aber hier wollen Sie einen Pranger. ({3}) - Aber natürlich. An den Pranger stellen Sie denjenigen, gegen den ein Verfahren eingeleitet worden ist. Das geht uns entschieden zu weit. Deswegen können wir das nicht als vernünftig ansehen. Wir werden den Gesetzentwurf ablehnen. ({4}) Der Entwurf der Grünen findet aus den genannten Gründen nicht unsere Unterstützung. Wir Liberalen wollen geltendes Recht umsetzen. Wir wollen keine überflüssigen neuen Gesetze und Vorschriften. Wir wollen auch keine neue zusätzliche Bürokratie. Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt hat mich die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken fast aus dem Verkehr gezogen; aber es ist ihr nicht gelungen. ({0}) Die Debatte über den Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen kam mir bislang ein bisschen merkwürdig vor. Auf der einen Seite haben alle recht, die sagen: Dieser Gesetzentwurf und die heutige Debatte dienen dem Zweck, ein Zeichen zu setzen. Auf der anderen Seite wird das Problem in der Debatte gleichzeitig sehr verniedlicht. Ich sage einmal vorweg: Ich habe bereits bei verschiedenen Gelegenheiten, zum Beispiel im Wirtschaftsausschuss und bei Anhörungen zur Reform des Vergaberechts, gesagt, dass wir die Anregung des Bundesrates, künftig bundesweit und einheitlich ein Register für schwere Verfehlungen aufzustellen, unterstützen. Ich habe den Grünen gesagt: Das müsste auf einer Ebene sein, auf der man gemeinsam darüber reden kann. Denn diese Reform steht an; wir sind mitten im Prozess. Insofern verstehe ich, dass Sie einen Bypass über einen sol19862 Reinhard Schultz ({1}) chen Gesetzentwurf versuchen, aber dass wir jetzt nicht darauf anspringen, bitte ich auch zu verstehen. Das im Bundestag von Rot-Grün im Jahr 2002 beschlossene Gesetz ist fast wortidentisch mit dem, was die Grünen jetzt vorgelegt haben. ({2}) - Sage ich doch gar nicht. Vom Inhalt her ist es in Ordnung. Völlig bekloppt bin ich nun auch nicht. ({3}) Daraus geht hervor, dass es eben, wie die Überschrift signalisiert, nicht nur - „nur“ verstehe ich in Anführungszeichen - um Korruption geht, sondern um einen breiten Kranz schwerster Verfehlungen, wie sie bereits in allen Verdingungsverordnungen aufgezählt sind, die als Ausschlussgründe für Unternehmen, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, herhalten können. Das betrifft Mitglieder krimineller und terroristischer Vereinigungen, Geldwäsche und Verwandtes, Betrug, Subventionsbetrug, Bestechung und Steuerhinterziehung. Dies geschieht sogar unter Einbeziehung der Lieferantenkette, also Subunternehmer usw. Das Unternehmen, das sich an der Oberfläche beteiligt, und die gesamte Kette der beteiligten Unternehmen - auch innerhalb von Arbeitsgemeinschaften - sind dann auszuschließen. Es geht doch jetzt in der Sache darum, ob man bundesweit eine Transparenz für diejenigen schafft, die Entscheidungen darüber zu treffen haben, ob ein Unternehmer ausgeschlossen werden kann oder nicht. Es geht um die Frage, ob die Zuständigen einen Zugriff auf die Daten bekommen oder ob es mehr oder weniger dem Zufall überlassen wird, dass zum Beispiel jemand, der in Baden-Württemberg oder in Bayern nicht im Register steht, aber in Nordrhein-Westfalen oder irgendwo anders, wo es dieses Kataster oder Register nicht gibt, aufgefallen ist, nicht ausgeschlossen wird. Er könnte nur ausgeschlossen werden, wenn jemand in der Vergabestelle zufällig durch Hörensagen mitbekommen hat, dass er auffällig geworden ist, und deswegen mehr recherchiert. Es ist eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung, wenn man auf diesem Gebiet nicht die notwendige Transparenz und Beurteilungssicherheit schafft. Deswegen bin ich dafür, dass wir uns dieses Themas im Rahmen der Vergaberechtsreform ernsthaft annehmen, allerdings nicht mit einem eigenständigen Register - Herr Friedhoff, da stimme ich Ihnen völlig zu -, sondern indem wir das bestehende Gewerbezentralregister, das seit 2007 beim Bundesamt für Justiz angelegt ist, aufbohren. Das gibt es. Nicht jedes Gewerbeunternehmen ist dort registriert; das ist ein Nachteil. Es sind dort auch nicht alle Tatbestände erfasst. Aber es ist ein Mantel, auf dessen Grundlage mit möglichst geringem bürokratischen Aufwand und möglichst geringen Kosten eine Plattform geschaffen werden kann, die jeder Vergabestelle zugänglich wäre. In den Vergabeverordnungen vieler Länder steht zum Beispiel, dass die Unternehmen einen Auszug aus dem Gewerbezentralregister beizubringen haben. Aber nur manche Unternehmen stehen drin, und manche sind dort nicht erfasst. Manchmal sind die Tatbestände nicht erfasst, aber das Unternehmen ist aufgeführt. Damit ist ein Unternehmen, das den Auszug erbringt und das einmal verurteilt worden ist, diesen Tatbestand dem Zentralregister aber gar nicht melden musste, reingewaschen, obwohl es möglicherweise ein schwerer Sünder ist. ({4}) Das sind Zustände, die aus unserer Sicht so nicht hinnehmbar sind. Natürlich geht es uns nicht darum, Unternehmen an den Pranger zu stellen. Ich sage ganz deutlich: Für uns ist die Abschneidegrenze eine rechtskräftige Verurteilung, ein rechtsbeständiger Bußgeldbescheid oder Ähnliches, also kein Vorverdacht, sondern ein abgeschlossenes Verfahren. Wir würden nicht so weit gehen, den Rechtsweg abzuschneiden oder Rechtsmittel nicht auszuschöpfen. So etwas wollen wir grundsätzlich nicht. ({5}) - Ja, sie werden vorher benachrichtigt und können Widerspruch einlegen, sogar vor Gericht. Das ist aber sehr aufwendig, Herr Ströbele. Die Betroffenen haben ein Ermittlungsverfahren am Hals, werden deswegen registriert, bekommen den Auszug und müssen dann vor einem anderen Gericht dagegen vorgehen, ({6}) obwohl sie gerade damit zu tun haben, die möglicherweise nicht gerechtfertigten Verdachtsmomente ihres Leib-und-Magen-Staatsanwalts abzuwehren. So geht das natürlich nicht. Es muss sich um ein klares, rechtsbeständiges Urteil, um einen Bußgeldbescheid oder ein Geständnis handeln; es gibt ja auch Fälle, in denen jemand, um das Strafmaß zu mindern, gesteht. Dann ist das okay. Aber die Entscheidung muss abschließend und ohne jeden Zweifel getroffen worden sein. Ansonsten würden wir Unternehmen, die aus irgendwelchen Gründen in Verdacht geraten sind, aber nichts getan haben, ohne Not an den Pranger stellen; hier kommt es mir auf jeden einzelnen Fall an. Das würde das Ansehen der gesamten Operation mehr beschädigen als ihm nützen. Umgekehrt wollen wir natürlich die schwarzen Schafe, die Sünder, die das öffentliche Interesse immer wieder hintergehen, ob durch Korruption, aktive Bestechung, systematische Steuerhinterziehung, die Begünstigung von Schwarzarbeit oder Subventionsbetrug, von öffentlichen Aufträgen ausschließen. Eigentlich müsste es auch im Interesse der privaten Wirtschaft sein, die ebenfalls in großem Umfang Aufträge vergibt, dass solche Unternehmen ausgeschlossen werden. Wenn ich mir Reinhard Schultz ({7}) die Verhaltensregeln der Wirtschaft im Hinblick auf den Kampf gegen die Korruption vor Augen halte, so denke ich: Eigentlich müssten auch große Wirtschaftsunternehmen daran interessiert sein, dass hier ein Höchstmaß an Transparenz geschaffen wird, damit die Vielzahl der weißen Schafe, die nichts getan hat, von dem kleinen Häuflein schwarzer Schafe getrennt wird. ({8}) Darüber muss man vernünftig diskutieren. Ich glaube, wenn man von politischen Showeffekten, die natürlich legitim sind, absieht, kann man hier zu einem Ergebnis kommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friedhoff?

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich. Wir mögen uns und hören uns zu.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schultz, Sie haben gerade erläutert, was Sie verändern wollen. Warum wollen Sie nicht das Bundeszentralregister nutzen, das für all das, was Sie gerade gesagt haben, gilt? Es heißt ganz klar, dass auf Strafe erkannt sein muss, bevor man dort einen Eintrag bekommt. ({0}) Sie hingegen wollen das Gewerbezentralregister, in das viele Dinge nicht eingetragen werden, nutzen. ({1})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt verschiedene Zentralregister, Herr Friedhoff. Das Zentralregister, in dem Vorstrafen registriert sind, ist den Vergabestellen nicht zugänglich. Das sollte auch grundsätzlich so bleiben. Hier geht es aber um spezifische Straftatbestände oder um bußgeldbewehrte Tatbestände, die nur zum Teil im Gewerbezentralregister erfasst werden. Vor allen Dingen - das ist noch viel wichtiger - sind nicht alle Unternehmen im Gewerbezentralregister aufgeführt. Insofern sage ich: Dieses vorhandene Instrument ({0}) wollen wir nutzen und aufbohren. Das Wort „aufbohren“ kennen Sie doch, oder? ({1}) - Ja, genau. - So wollen wir das machen. Wir wollen kein neues Instrument entwickeln, sondern das vorhandene gemäß Ihrer Empfehlung weiterentwickeln. Sind Sie mit dieser Antwort zufrieden? ({2}) - Damit haben wir wieder einmal einen Beitrag zum Konsens geleistet. Wir kommen also voran. Auch bei der Vergaberechtsreform insgesamt habe ich das Gefühl, dass ein Problembereich nach dem anderen, in diesem Fall sogar öffentlich, „abgeräumt“ wird. Das ändert natürlich nichts an den gerechtfertigten Hinweisen, dass wir nicht nur darüber diskutieren dürfen, wie wir es schaffen, bald eine transparente Oberfläche herzustellen, sondern dass wir uns auch konsequent mit der Bekämpfung von Korruption und anderen Straftatbeständen auseinandersetzen müssen. Hier ist die Situation zum Teil sehr unterschiedlich. Es ist zu Recht dargelegt worden, dass nach der Gesetzesnovelle von Rot-Grün, die im Bundesrat gescheitert ist, einige Bundesländer aus eigenem Antrieb aus den Puschen gekommen sind und Antikorruptionsgesetze erlassen haben. Ein Antikorruptions- bzw. Korruptionsbekämpfungsgesetz gibt es bislang nur in NRW - seit 2005 - und in Berlin - seit 2006. Andere Länder haben aber immerhin landesweite Korruptionsregister eingeführt - auch das geschah danach; das alles waren Folgen der damaligen Debatte -: Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen und RheinlandPfalz. Einige wenige Länder haben sogar Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet. Das sind auch die Länder, die nach der Statistik des Bundeskriminalamtes die meisten Ermittlungs- und Strafverfahren auf diesem Gebiet eröffnen, und zwar gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes; denn es wäre klar, dass sonst NRW immer vorne läge. Das zeigt, dass diese Maßnahmen nicht überall gleich sind. Wir müssen die Länder, denen der Vollzug ja obliegt, zum Teil wirklich bitten, noch einen Zacken zuzulegen. Ähnliches gilt für den Bereich Schwarzarbeit. Das ist auch so ein Bereich. Mit der Taskforce Schwarzarbeit, in der wir Fachkräfte aus dem Zoll und aus der Bundesanstalt für Arbeit zusammenführen, unternehmen wir als Bund große Anstrengungen. Es ist dabei aber ein Ärgernis, dass wir nach wie vor das Problem haben, dass es kein einziges Bundesland mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften gibt, sondern dass das in dem normalen Geschäft der normal zuständigen Staatsanwaltschaften zum Teil versickert und wegen Zeitablauf geradezu versandet, sodass nichts dabei herauskommt, weswegen die Schuldigen natürlich weder erwischt noch bestraft und auch die Einnahmen, die der Öffentlichkeit zustehen würden, nicht zurückgeführt werden, wie zum Beispiel die entzogenen Steuern, die mit der Schwarzarbeit zusammenhängen. Das könnte man von schwerer Verfehlung zu schwerer Verfehlung durchbuchstabieren, um in dieser Terminologie zu bleiben. In den Bundesländern gibt es eine sehr unterschiedliche Schlagzahl hinsichtlich des Um19864 Reinhard Schultz ({3}) gangs damit. Diejenigen, die etwas laxer damit umgehen, versündigen sich eigentlich an allen anderen - sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Seite als auch hinsichtlich der moralischen Grundlage; denn es werden Gesetze gemacht, die zum Teil nicht vernünftig vollzogen werden. Wenn derjenige, der in Versuchung kommt, entweder aktiv oder passiv eine Straftat zu begehen - zum Beispiel im Bereich der Bestechung bzw. Bestechlichkeit -, weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, relativ gering ist und wenn er auch weiß, dass es zwar für ihn als Person - er erhält eine Strafe oder muss ein Bußgeld zahlen -, aber nicht für seinen Gewerbebetrieb Konsequenzen hat, wenn er erwischt wird, dann ist das alles doch für die Katz. Wenn wir es mit den moralischen Grundlagen unserer auf Fairness aufbauenden Wettbewerbsgesellschaft ernst meinen, dann müssen wir im Kampf gegen Korruption, Schwarzarbeit, Subventionsbetrug und andere schwere Verfehlungen deutlich einen Zacken zulegen. Dazu gehört am Ende natürlich auch eine Informationsoberfläche, über die jeder, der öffentliche Aufträge vergibt, weiß, dass diejenigen, die dort registriert sind, wirklich Sünder sind, die im öffentlichen Auftragswesen zumindest für eine bestimmte Zeit nichts zu suchen haben. ({4}) - Ja, das können wir ja auch, wenn die Zahlen dafür reichen. Die jetzige ist aber auch nicht schlecht. Koalitionen haben ja selten ausschließlich etwas mit Zuneigung zu tun. Das war bei uns ja auch nicht anders, und das ist auch bei der Großen Koalition nicht nur der Fall. Koalitionen haben oft schlicht und einfach etwas mit den rechnerischen Möglichkeiten zu tun. Insofern muss man in solchen Debatten auch einmal ganz frei reden. Ich wünsche mir, dass wir hinsichtlich dieses Themas und auch hinsichtlich der Vergaberechtsreform insgesamt am Ende eine breite Mehrheit über die Große Koalition hinaus erreichen. Ich habe jetzt acht Minuten verschenkt und bitte, das mit einem Bier zu honorieren. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke spricht nun Professor Herbert Schui. ({0})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Grünen spielt in einer Welt, die wenigstens insofern noch in Ordnung ist, als die Korruption ein Gesetzesverstoß in der einen oder anderen Weise ist, nicht aber in einer Welt, in der diejenigen bei der Gesetzgebung erfolgreich Hand anlegen, die sonst aktiv bestechen müssten. ({0}) - Ja, passen Sie auf. Wenn wir uns vorstellen, dass die Welt insofern halbwegs in Ordnung wäre, dann ist Ihr Gesetzentwurf durchaus begrüßenswert. Aber auch hier könnte das Register umfassender sein, auch wenn es dann kein einfaches Korruptionsregister mehr wäre, das nur Straftaten und Verstöße auflistet. Was sollte beispielsweise noch in das Register aufgenommen werden? Was sollte die politische Entscheidungsinstanz wissen? Werden Tariflöhne gezahlt? Wie hoch sind die Löhne überhaupt, auch wenn Tariflöhne gezahlt werden bzw. sie dem Entsendegesetz entsprechen? Ich glaube, auch das kann für eine öffentliche Entscheidung darüber, an wen ein Auftrag vergeben wird, bedeutend sein. Wie verhält es sich mit den Arbeitsbedingungen? Wird die Gründung eines Betriebsrates ständig hintertrieben? Wie ist es mit dem Umweltschutz? Werden die herrschenden Normen überboten? Wird mehr gemacht als vorgeschrieben? Auch diese Frage wäre angebracht. Wie war es mit Pfusch am Bau, auch wenn er niemals justiziabel geworden ist? Was gehört noch in ein erweitertes Register? Dass beispielsweise Siemens die Gründung einer Betriebsgewerkschaft als Gegengewerkschaft zur IG Metall finanziert - das ist die amüsante Geschichte mit dem Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer und mit Wilhelm Schelsky -, gehört ebenfalls hinein. ({1}) - Ja, das ist ein Straftatbestand. Sie haben das nicht in Ihre Liste aufgenommen. ({2}) - Ja, richtig. Danke. Ich wollte es aber lieber als politisches Phänomen begriffen haben. Da wird jemand ausgeguckt und hoch dotiert, und dann gründet er sozusagen eine Gegengewerkschaft. Es könnte ja sein, dass im Stadtrat beispielsweise SPD-Mitglieder vertreten sind, die gleichzeitig in der IG Metall sind und sich dann dafür einsetzen, dass ein solches Unternehmen trotz allem einen öffentlichen Auftrag nicht bekommt, weil das keine Art und Weise ist. ({3}) - Die ist ohnehin öffentlich. Aber das ist nicht mein Punkt. Noch wichtiger aber ist, sich darüber Rechenschaft abzulegen, wie Gesetze überhaupt zustande kommen. Man muss sich darüber klar werden, dass die Korruptionsregister dann weniger lang werden, wenn das gesetzlich erlaubt wird, was sonst erst durch Bestechung erkauft werden müsste. Ich zitiere eine längere Passage aus der Zeit vom 30. Oktober 2003: Stolz sind die Lobbyisten auch auf ihren Beitrag zur Gemeindefinanzreform. BDI und DIHK intervenierten bei Wirtschaftsminister Clement und Finanzminister Eichel gegen das Kommunal-Modell, das die Regierungsfraktionen favorisierten. Der Telekom-Konzernbeauftragte Maldaner rechnete den Ministerialbeamten vor, dass dieses Modell seinem Unternehmen eine zusätzliche Steuerlast von einer Milliarde Euro bringen würde. Die Regierung legte daraufhin einen eigenen Gesetzentwurf vor, der allerdings, wie der DIHKMann Alfons Kühn inzwischen öffentlich erklärte, - so der Artikel in der Zeit im Wesentlichen auf den Ausarbeitungen seines Verbandes beruhte ... „Geld in Umschlägen unter dem Tisch“, das mache man heute nicht mehr, sagt Kollegiumspräsident Zumpfort. „Unsere Mittel sind Information und Kommunikation.“ Herr Zumpfort ist der Präsident eines Kollegiums, dem die Vorstände der 30 DAX-Unternehmen und andere Interessenvertreter angehören. Sie treffen sich gelegentlich zum Meinungsaustausch in Berlin und schauen, was zu machen ist. Zumpfort berichtet, dass beispielsweise die Dienstwagensteuer auf Betreiben dieses Kollegiums versenkt worden ist. Innerhalb der Lobby ist offenbar eine Verschiebung der Machtverhältnisse erfolgt. Die Managementberaterin Inge Maria Burgmer sagt, die großen Unternehmen hätten sich innerhalb der Lobbyszene gegenüber ihren Verbänden durchgesetzt; die Steuerungsmöglichkeiten der Konzernlenker und ihre politische Bedeutung hätten zugenommen, zum Beispiel bei der Mitwirkung an Gesetzen. Zwischen 2004 und 2007 wirkte ein Angestellter der Deutschen Börse AG gleich an zwei Gesetzen mit. Des Weiteren ist die Bankenrichtlinie zu nennen, über die der Focus am 27. Oktober berichtete. ({4}) - Nun seien Sie doch friedlich. Es geht mir um eine bessere Gesetzgebung; ich will Ihrem Gesetzentwurf zustimmen. ({5}) - Gut. Das Energiewirtschaftsgesetz aus Clements Zeiten ist ein weiteres Beispiel. Theo Koll, Redaktionsleiter bei Frontal 21, hat ermittelt und einiges Interessantes festgestellt: Unter Inkaufnahme von Risiken erpressten die Energiekonzerne die Bundesregierung zu Clements Zeit. Die Drohung wirkt schlussendlich. Die Konzerne sind durchaus in der Lage, ein Gesetz nach ihren Vorstellungen durchzusetzen. In den Fußnoten der Gesetzesvorlage heißt es mehrfach: Wörtlich RWE. Wenn die Dinge so weit gediehen sind und wenn es so weitergeht, dann gibt es bald keine Korruption mehr. Dann bleibt Ihr Korruptionsregister leer. Ihr Gesetzentwurf in Gottes Ohr! Auch über Parteispenden wäre zu reden. Ich möchte noch immer sehr gerne wissen, wem der Altkanzler Helmut Kohl sein Ehrenwort gegeben hat, ({6}) als es um die besagten 2 Millionen gegangen ist. Ist angesichts solcher und anderer Spenden sicher, dass die Gesetzgebung unabhängig vom Spender ist? Je größer der Einfluss der Unternehmerschaft auf die Gesetzgebung ist, desto geringer ist die Zahl der Korruptionsdelikte. Deswegen reicht ein Korruptionsregister alleine - so sehr ich es begrüße - nicht aus. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schultz, Sie wollten mir offenbar gerade charmant zu meiner Wiederwahl als Vorsitzender der Jungen Union gratulieren. Zu meinem 29. Lebensjahr passt das auch. Herr Schui, Sie haben gerade einen bunten Strauß an Verfehlungen bis hin zu schweren Straftaten präsentiert. Sie haben sehr viel miteinander vermischt. Dazu muss ich Ihnen sagen: Es tut mir leid, wir arbeiten im Wirtschaftsausschuss zwar nicht zusammen, sitzen aber dort zusammen. Dort haben Sie schon wesentlich bessere Beiträge geleistet als heute. Was Sie gerade gesagt haben, war schlichtweg am Thema vorbei. Das ist nicht Thema des Gesetzentwurfs, für den Herr Ströbele mit großer Verve geworben hat. Herr Ströbele, wenn ich sehe, wie leer die Reihen bei Ihnen sind, dann muss ich sagen, dass das Interesse in Ihrer eigenen Fraktion und in Ihrer Wunschkonstellation Rot-Grün nicht so stark ausgeprägt zu sein scheint wie Ihr Engagement für den Gesetzentwurf. ({0}) Ich bin angesichts des geringen Interesses Ihrer Kollegen optimistisch, dass dieses Thema nicht so offensiv vorangetrieben wird, wie Sie es gerade in Ihrer Rede getan haben. ({1}) Ich bin der Meinung, dass wir das so nicht machen sollten. Im Übrigen ist das, was Sie vortragen, nichts anderes als kalter Kaffee. Darüber wurde bereits mehrfach beraten. Aber nichts wurde verabschiedet, und zwar aus gutem Grund ({2}) - es ist aber nicht Gesetz geworden -, weil man der Meinung war, dass es nicht richtig ist, einen öffentlichen Pranger zu schaffen und Menschen vorzuverurteilen, bevor eine abschließende juristische Bewertung stattgefunden hat. ({3}) Das ist der Kardinalfehler Ihres Gesetzentwurfs: Sie sagen, ein hohes Maß an Gewissheit bezüglich der Verfehlung solle Maßstab sein. Was soll das heißen? Es gibt sicherlich bessere Möglichkeiten, gegen Korruption vorzugehen. Dass das notwendig ist, obwohl wir im europäischen Vergleich statistisch gesehen verhältnismäßig gut dastehen, steht außer Zweifel. Denn Korruption ist eine der Geißeln, die beispielsweise im öffentlichen Bereich eine große Rolle spielt; Herr Kollege Nüßlein hat bereits darauf hingewiesen. Wir müssen Korruption sehr ernst nehmen und sehr konsequent bekämpfen. Ich wende mich allerdings entschieden gegen eine Stigmatisierung, die zu einer öffentlichen Vorverurteilung führt. Das ist genau das Ziel, das Sie verfolgen. Sie sagen, ein Zentralregister über unzuverlässige Unternehmen reiche deshalb nicht aus, weil nicht jeder zu jedem Zeitpunkt dazu Zugang habe; es müsse möglich sein, Menschen öffentlich an den Pranger zu stellen. Das werte ich eindeutig als eine Vorverurteilung. Mit schwarzen Listen und sonstigen Dingen, die Sie vorhaben, möchten wir nichts zu tun haben, schon gar nichts mit einem Denunziantengesetz. ({4}) Die Partei, die sonst so sehr in bestimmten Bereichen, nicht in allen, auf die Bürgerrechte verweist, versagt an dieser Stelle komplett. ({5}) Bei jedem Thema schreien Sie nach den Bürgerrechten, und das legt den Verdacht nahe, dass Sie sich anders als die FDP, die das bei jedem Thema macht - nicht nur dann, wenn es um ihre Klientel geht -, nur dann für die Bürgerrechte stark machen, wenn es um Ihre Klientel geht. Wenn es aber um eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe geht, die Ihnen nicht passt, wie zum Beispiel die Unternehmer, dann sind Sie schnell mit Vorverurteilungen bei der Hand und stellen sie öffentlich an den Pranger. ({6}) Der Gesetzentwurf würde, sollte er Gesetzeskraft erlangen, was tatsächlich nicht geschehen wird - wir werden ihn nämlich mit Mehrheit ablehnen -, Willkür Tür und Tor öffnen. Deshalb muss man sich bei einer zukünftigen Beratung dieses Themas Gedanken darüber machen, wie man Korruption wirksam, effizient und ohne zum Beispiel öffentliche Verleumdung zu betreiben verhindern kann. Das ist der Punkt, an dem wir, wie ich glaube, viel zu tun haben. Wir können im Bereich des Vergaberechts einiges machen. Der Vorschlag des SPDKollegen Schultz, über Schwerpunktstaatsanwaltschaften nachzudenken, ist sicherlich sinnvoll. Das würde allerdings nicht in unsere Zuständigkeit fallen. Das tun die Länder konsequent, und Sie haben die positiven Beispiele gerade genannt. Was mich massiv stört - ich glaube, das ist in dieser Debatte ganz klar herausgekommen -, ist der Eindruck, den Sie mit der Länge dieser Debatte erwecken. Sie haben nur ein Bild der Unternehmer vor Augen. Sie zeichnen, wie es Herr Schui in seiner Rede getan hat - zweifellos haben Sie das etwas eleganter getan als Herr Schui, der alles in einen Topf gerührt hat -, ein Bild des Unternehmers, der per se korrupt ist. Zumindest legen Sie diesen Verdacht nahe. Als hätte der Deutsche Bundestag in dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage nichts Wichtigeres zu tun, ({7}) als sich in der Kernzeit, in der es auch um den öffentlichen Diskurs geht und nicht darum, Erklärungen zu Protokoll zu geben, so lange mit einem Gesetzentwurf zu beschäftigen, der schon einmal an anderer Stelle abgelehnt worden ist. ({8}) Sie tun so, als ob das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft oder des öffentlichen Gemeinwesens in Deutschland daran hinge, ob dieses Gesetz zustande kommt oder nicht. Das halte ich für unangebracht. Ich glaube auch, dass das der Problemstellung, die wir aktuell angesichts der nun drohenden Wirtschaftskrise haben, nicht entspricht. ({9}) Wir sind gegen ein Korruptionsregister. Wir sind für eine effiziente Bekämpfung der Korruption. Das kann mit einer Stärkung der Staatsanwaltschaften geschehen. Das kann auf anderer Ebene besser als mit Ihrem Gesetzentwurf geschehen. Deshalb werden wir ihn ablehnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/9780 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fe- derführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/ CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Rechts- ausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Federführung beim Rechtsausschuss - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion von den übrigen Fraktionen abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie - ab- stimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- schlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Vorschlag zur federführenden Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ist angenom- men. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung - Drucksache 16/10806 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Handlungsfähigkeit der Bundesagentur für Arbeit erhalten - Auf Senkung der Beitragssätze verzichten - Drucksache 16/10618 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist so günstig wie schon lange nicht mehr. Erstmals seit 1992 liegt die Zahl der Arbeitslosen wieder unter 3 Millionen. Weniger Arbeitslose, mehr Erwerbstätige, mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Hunderttausende freie Stellen sind das Ergebnis einer erfolgreichen Politik. Aufgrund dieser positiven Entwicklung kann der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter sinken. Das ist der Erfolg der konsequenten und nachhaltigen Reformpolitik: reformieren, investieren, sanieren. Dieser Dreiklang ist erfolgreich durchgeführt worden, und daher dürfen wir uns auch einmal gemeinsam freuen, ({0}) denn wir erleben in diesem Land oft genug, dass der Erfolg von einer Gruppe in der Gesellschaft eingestrichen wird, während für die negativen Ergebnisse die Politik verantwortlich ist. Jetzt legen wir eine hervorragende Bilanz vor, und meines Erachtens sollten wir dies auch mit allem Selbstbewusstsein nach außen vertreten. Innerhalb von zwei Jahren haben wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung halbiert, von 6,5 Prozent Ende 2006 auf heute 3,3 Prozent. Unser Ziel ist es, den Beitragssatz dauerhaft auf 3 Prozent zu senken und die Beiträge zur Sozialversicherung langfristig unter 40 Prozent zu halten. Das ist eine gut kalkulierte Größenordnung, die den Kriterien von Stabilität und Verlässlichkeit Rechnung trägt. Wegen der guten konjunkturellen Entwicklung der letzten Zeit und der guten Finanzsituation der Bundesagentur für Arbeit ist es möglich, ({1}) den Beitragssatz für einen befristeten Zeitraum von anderthalb Jahren, nämlich vom 1. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010, sogar auf 2,8 Prozent zu reduzieren. Damit nutzen wir den vorhandenen Spielraum optimal aus. Uns ist wichtig, dass mit dem Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung keine willkürliche Stop-and-go-Politik betrieben wird; vielmehr setzen wir auf eine Politik der Stabilität und Verlässlichkeit, denn die Bundesagentur braucht gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten finanziellen Spielraum. Es wäre deshalb falsch, die Beiträge in wirtschaftlich guten Zeiten maßlos zu senken, wie es einige leider immer wieder verlangen und bestimmt auch heute wieder fordern werden, denn das bedeutete, dass in konjunkturell schwierigen Lagen die Beiträge prozyklisch wieder erhöht werden müssten. Das wäre keine verlässliche und vorausschauende Politik. Die Bundesagentur für Arbeit hat erhebliche Rücklagen. Deshalb können wir den Beitragssatz für einen überschaubaren Zeitraum von 18 Monaten auf 2,8 Prozent senken und so die Beitragszahler erheblich entlasten. ({2}) Gegenüber 2006 beträgt die Entlastung rund 30 Milliarden Euro jährlich; ich wiederhole es: 30 Milliarden Euro Entlastung in einem Jahr, für Unternehmen und für Arbeitnehmer. Das hilft bei den Unternehmen mit, Investitionen schneller und besser durchführen zu können, und bei den Arbeitnehmern hilft es, den privaten Konsum anzuschieben. Der private Konsum wird umso wichtiger, je schwieriger das weltwirtschaftliche Umfeld für unser Wachstum ist. ({3}) Berücksichtigt man nur die Arbeitslosenversicherung und vergleicht die Jahre 2006 und 2009, so ergibt sich bei jemandem, der 30 000 Euro Jahreseinkommen hat, eine Entlastung von 555 Euro pro Jahr, und dies jeweils bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Berücksichtigt man insgesamt alle Veränderungen bei den Beitragssätzen zur Sozialversicherung zwischen 2006 und 2009, dann hat ein Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttoeinkommen von 30 000 Euro im Vergleich zu 2006 264 Euro mehr in der Tasche. So setzen wir gerade jetzt, wo wir schwierigen Zeiten entgegensehen, wichtige Impulse für Wachstum und Beschäftigung. Natürlich sehen wir die Risiken am Arbeitsmarkt. Wir müssen damit rechnen, dass sich die Finanzkrise auf die reale Wirtschaft auswirken und dass die Entwicklung am Arbeitsmarkt stagnieren wird. Auch eine ungünstigere Entwicklung ist sicherlich nicht auszuschließen. Aber gerade in solchen Zeiten sind wohlüberlegtes Handeln, Stabilität und Verlässlichkeit von enormer Bedeutung. Die Bundesregierung geht mit dieser Situation wahrlich nicht leichtfertig um. Sie ist vorbereitet und reagiert präventiv auf die zu erwartenden Folgen der Finanzkrise. Unser Ziel ist es, die Beschäftigungserfolge der letzten Jahre zu sichern. Es geht daher nicht um einen Wettlauf um die niedrigsten Beitragssätze, sondern es geht um eine zukunftsfähige Bundesagentur, die ihrem Auftrag, Arbeitslose zu qualifizieren und passgenau zu vermitteln, nachkommt und für diesen Auftrag auch genügend Mittel zur Verfügung hat. ({4}) Effizienz und Qualität dürfen nach unserer Überzeugung kein Gegensatz sein. Weiterbildung, gezielte Qualifizierung und nachhaltige Arbeitsmarktpolitik sind von entscheidender Bedeutung, um Beschäftigung in diesem Land zu sichern. Wir brauchen eine Arbeitsmarktpolitik, die den veränderten Erwerbsbiografien ebenso Rechnung trägt wie den hohen Qualifizierungsansprüchen infolge des internationalen Wettbewerbs. Deswegen werden wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente neu ausrichten. Wir werden die Maßnahmen noch passgenauer und flexibler ausgestalten, um die größtmögliche Wirkung mithilfe der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zur Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Dass wir den Beitragssatz weiter senken können, ist nicht nur Ergebnis einer gelungenen Reformpolitik, sondern auch das Ergebnis einer nachhaltigen, vorausschauenden und verlässlichen Arbeitsmarktpolitik. Genau diese Arbeitsmarktpolitik wollen wir weiter vorantreiben. So stellen wir die Weichen, die Beschäftigung auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu sichern. Mit anderen Worten: Wir leisten damit einen verlässlichen Beitrag zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung in diesem Land. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion redet der Kollege Dirk Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist lange schon möglich, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weiter zu senken. Die Betrachtungsweise des Herrn Staatssekretärs ist doch recht eindimensional, wenn er diesen zwingend notwendigen Schritt zu etwas mehr Entlastung von Betrieben und Arbeitnehmern so darstellt, als wenn jetzt alles gut wäre. Diese Bundesregierung hat sich vorgenommen, den Beitrag zu den Sozialversicherungen dauerhaft auf unter 40 Prozent zu senken. Das haben Sie nur einmal kurzzeitig geschafft, nämlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sie die Pflegeversicherungsbeiträge zum Sommer dieses Jahres erhöht haben. ({0}) Auch mit der jetzt angekündigten notwendigen Maßnahme der weiteren Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge werden Sie bei Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 über der 40-ProzentBeitragsmarke bleiben. Sie haben Ihr Ziel nicht erreicht. Sie haben mit einem wesentlichen sozialpolitischen Ziel Schiffbruch erlitten. Das muss man hier ganz deutlich sagen. ({1}) Sie haben eine eindimensionale Betrachtungsweise geliefert, indem Sie zwar völlig zu Recht festgestellt haben, dass die notwendigen Beitragssenkungen in der Arbeitslosenversicherung durchgeführt worden sind. Da mussten wir Sie übrigens teilweise zum Jagen tragen. Was Sie unterschlagen haben, das ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die von Ihnen unter anderem auch zur Absenkung der Beitragsbelastung der Arbeitslosenversicherung durchgeführt worden ist. Was Sie aber unterschlagen haben, ist die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge. Was Sie unterschlagen haben, ist die Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge. Jetzt stellen Sie sich hin und tun so, als wäre eine Beitragsabsenkung in der Arbeitslosenversicherung von 0,5 Prozentpunkten eine deutliche Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger und als wäre deswegen die Mehrbelastung in der Krankenversicherung - ohne Gesundheitsfonds - um 0,5 Prozentpunkte faktisch kompensiert. Sie entlasten Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Arbeitslosenversicherung um 4 Milliarden Euro. ({2}) Sie belasten die gesamte Gesellschaft insgesamt mit 5 Milliarden Euro, ({3}) Herr Kauder; denn die Arbeitslosenversicherungsbeiträge sparen nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und die Arbeitgeber, nicht die Rentner, nicht die Arbeitslosen, nicht die Studierenden, nicht die Hausfrauen, nicht die Schülerinnen und Schüler. Diese Menschen, die durch die Mehrwertsteuererhöhung von Ihnen überproportional belastet wurden, werden jetzt wieder zusätzlich belastet: durch eine Scheinentlastung im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Das ist unredlich. ({4}) Trotz der Notwendigkeit und übrigens auch der Möglichkeit der Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Arbeitslosenversicherung lamentiert die Nürnberger Anstalt wieder öffentlich in den Medien. Sie sagt: Wir müssten an die Rücklagen gehen. - Natürlich muss sie das. Alles, was in Nürnberg zu viel an Geld zur Verfügung steht, ist vorher Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu viel weggenommen worden. Die Nürnberger Anstalt hat nicht die Aufgabe, die Sparbüchse der Bundesrepublik zu sein; sie hat die Aufgabe, die Arbeitslosenversicherung zu organisieren und einen Integrationsprozess zu gestalten, zu dem auch gehört, den Menschen und den Betrieben mehr vom selbstverdienten Geld übrig zu lassen, ({5}) Arbeit billiger zu machen, damit man leichter einstellt oder damit es schwerer fällt, zu entlassen, den Menschen mehr Netto vom selbstverdienten Brutto zu lassen, damit sie konsumieren können. Das führt dazu, dass man Arbeitsplätze gewinnt. Das führt dazu, dass man Beitragszahler und Steuerzahler gewinnt und im Ergebnis eine dauerhaft gute Entwicklung für die deutsche Wirtschaft sicherstellt. Sie tun so, als seien Sie so etwas Ähnliches wie der Weihnachtsmann. ({6}) Sie machen aber nichts anderes, als den Menschen das zurückzugeben, was Sie ihnen zu viel weggenommen haben. Deswegen ist das, was jetzt passiert, zwingend notwendig und dauerhaft möglich. Aus diesem Grund muss man ganz deutlich sagen: Die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent ist zwar eine Entlastung, aber sie ist nur befristet bis nach der Bundestagswahl. Was Sie im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern als Wahlgeschenk für die CSU angerührt haben, versuchen Sie für die sogenannte Große Koalition über den Bundestagswahltermin zu retten. Machen Sie es dauerhaft! Die Möglichkeiten sind da. Die Spielräume gibt es. Dann können wir auch über eine vernünftige Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und der Strukturen der öffentlichen Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsverwaltung diskutieren. Das machen wir morgen um 10.55 Uhr. Ich lade Sie alle herzlich dazu ein. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung uns den Anlass bietet, angesichts der aktuellen Herausforderungen, die vor uns stehen, noch einmal über das Erreichte zu reden. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt die beste Situation seit 16 Jahren: erstmals seit 16 Jahren unter 3 Millionen Arbeitslose. Wir sind damit noch nicht zufrieden, wir sind noch nicht am Ziel, aber es ist ein Riesenerfolg der Regierung von Angela Merkel, diese Zahl erreicht zu haben. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. ({0}) Dazu gehören weitere Rekordzahlen. Es gibt 28 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und 41 Millionen Erwerbstätige. Das sind Rekordzahlen, auf die wir gemeinsam stolz sein können. ({1}) Das allein ist auch die Basis für das, was die Bundesregierung hier vorschlägt, nämlich für die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung. Wir haben über all die Jahre der Großen Koalition sinkende Arbeitslosenzahlen, und deswegen haben wir auch sinkende Beitragssätze. Wir halten Kurs, indem wir jetzt, auch wenn die Zeiten schwieriger werden, damit fortfahren und die Beitragssätze weiter senken. Wir sind damit im nächsten Jahr bei einem paritätisch finanzierten Beitragssatz zu den Sozialversicherungen von 39,25 Prozent. Wir sind bei einem Beitragssatz von klar unter 20 Prozent für die Arbeitgeber. ({2}) Wir wissen, wie wichtig das für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land ist. Ich will noch einmal deutlich sagen, was bei der Arbeitslosenversicherung schon erreicht worden ist und was jetzt noch erreicht wird: Wir entlasten die Menschen im nächsten Jahr noch einmal um 4 Milliarden Euro. Man muss das Gesetz und die Verordnung in einem politischen Zusammenhang sehen. Das ist dann eine Entlastung gegenüber 2006 um 3,7 Prozentpunkte. Das bedeutet für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber 2006 insgesamt eine Entlastung um 30 Milliarden Euro; es sind nicht nur die 4 Milliarden Euro in einem Jahr. Das ist eine einmalige Erfolgsbilanz dieser Großen Koalition. Das sind die Zahlen, um die es geht. ({3}) Wir haben das gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt. Wir behalten diesen Kurs bei. 265 Euro Entlastung - der Staatssekretär Brandner hat zu Recht darauf hingewiesen - bedeutet das für einen Arbeitnehmer schon bei einem Jahresbruttoeinkommen von 30 000 Euro. Wir haben es mit dem Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in der Tat geschafft, Reserven bei der BA anzuhäufen. Ich will jetzt nicht sagen, dass es an dem Gehalt des Kollegen Niebel lag, dass es damals anders war. Aber zu der Zeit, lieber Kollege Niebel, als Sie noch bei der BA beschäftigt waren, benötigte die BA jedes Jahr einen Zuschuss des Bundes. ({4}) Wir haben ihn auch gegeben; aber wir sind froh, dass die BA heute Reserven hat und keinen Bundeszuschuss mehr braucht. Das ist der Unterschied gegenüber früheren Zeiten. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich von den Zahlen ausgehe, die uns der Sachverständigenrat heute in seinem Gutachten präsentiert hat, nämlich dass trotz der wirtschaftlichen Stagnation, auf die wir uns einstellen müssen, die Zahl der Arbeitslosen jahresdurchschnittlich nur um 30 000 steigt, dann liegt der Schluss nahe, dass der Arbeitsmarkt in einer robusteren Verfassung ist, als es in früheren Jahren der Fall gewesen ist. Viele Jahre gab es Wachstumsraten von mehreren Prozent, ohne dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Ich rate uns dazu, jetzt einmal das zu tun, was wir tun können, und die weitere Entwicklung der Finanzen abzuwarten. Ich weise nur darauf hin: Im Jahr 2007 ist die Entwicklung der Finanzen der Bundesagentur für Arbeit am Ende um 11 Milliarden Euro positiver ausgefallen als erwartet. Statt eines erheblichen Defizits ist ein Überschuss erzielt worden. Auch in diesem Jahr - so sieht es bisher wenigstens aus - wird der BA-Haushalt um 3,4 Milliarden Euro besser dastehen, als es für dieses Jahr prognostiziert war. Das zeigt, diese Regierung hat bisher immer vorsichtiger geschätzt und wurde nachher von der Realität positiv übertroffen. Wann, wenn nicht in einer solchen Zeit sollten die Reserven, die die Bundesagentur hat, eingesetzt werden, um den Arbeitsmarkt anzukurbeln? Die BA ist keine Sparkasse. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, das zu tun. ({6}) Wir setzen also jetzt genau die richtigen Akzente. Ich will auch noch einmal etwas zu der Befristung sagen, lieber Kollege Niebel. Ihre Argumentation ist nun wirklich völlig an den Haaren herbeigezogen. Wir haben dreimal den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung per Gesetz formal unbefristet gesenkt. Wir haben uns dann immer die Freiheit genommen, und zwar immer gegen Ihren Widerstand, das unbefristete Gesetz zu ändern und die Beiträge noch stärker zu senken. ({7}) Den Menschen ist es egal, ob sie per Gesetz oder per Verordnung entlastet werden. Die Menschen haben diese Entlastung nötig. Deshalb bekommen sie sie auch. ({8}) Der niedrigere Beitragssatz wird dann zu einem Dauerzustand werden, wenn sich der Arbeitsmarkt auch in Zukunft wieder dauerhaft positiv entwickelt. Es ist besser, befristet die Beiträge zu senken, als sie unbefristet konstant zu lassen. ({9}) Genau das haben wir immer getan. Das hat nichts mit der Bundestagswahl zu tun. Wir stehen vielmehr dafür, dass die Beiträge immer dann gesenkt werden, wenn es möglich ist. Nach dieser Maxime haben wir wie keine andere Regierung vor uns gehandelt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Keiner wird heute ernsthaft behaupten können, schon alle Konsequenzen der Finanzmarktkrise absehen zu können. Aber so viel ist klar: Beitragssatzsteigerungen wären Gift für die reale Wirtschaft. Beitragssatzsteigerungen wären Gift für den Arbeitsmarkt. Wir verhindern sie nicht nur, sondern senken sogar die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Wir tun das uns Mögliche, liebe Kolleginnen und Kollegen, um mit unserer Politik die Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt so gering wie möglich zu halten. Wir tun das uns Mögliche, um den Arbeitsmarkt zu schützen. Deshalb appelliere ich an die Arbeitgeber: Gehen Sie mit den Arbeitnehmern jetzt gemeinsam durch diese schwierige Phase! Lassen Sie uns gemeinsam die Herausforderungen meistern, vor denen die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt jetzt stehen! Wir als Politik unterbreiten ein Unterstützungsangebot: Mit niedrigeren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, mit der Verlängerung des Bezugszeitraums für das Kurzarbeitergeld leisten wir einen Beitrag dazu, dass die Menschen gemeinsam und solidarisch diese Krise überDr. Ralf Brauksiepe winden können. Wir werden diesen Weg auch weitergehen, zur Not auch gegen Widerstände. Ich rufe Sie auf: Machen Sie dabei mit! Der Arbeitsmarkt braucht belebende Effekte. Das vorliegende Gesetz ist ein gutes Gesetz, das wir unterstützen. Herzlichen Dank. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kornelia Möller spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich höre, was Sie gerade gesagt haben, und wenn ich mir den Gesetzentwurf ansehe, kann ich nur sagen: Die Bundestagswahl wirft ihre langen Schatten voraus. Nun will die Koalition noch einmal so richtig auf die große Pauke hauen. Sie will den niedrigsten Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung seit 1975 beschließen, ({0}) und das trotz Finanzkrise, Kurzarbeit und beginnender Entlassungswellen bei den Menschen, die in der Leiharbeit ohnehin schon zu schlechten Bedingungen arbeiten müssen. Ich nenne das Vorhaben einen billigen Taschenspielertrick auf Kosten von Bürgerinnen und Bürgern. ({1}) Hier die Fakten: Das IAB geht für 2009 von einer Steigerung der Erwerbslosigkeit auf durchschnittlich 3,5 bis 3,7 Millionen aus. Dabei sind die Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftswachstumsprognosen wie zum Beispiel des IWF, der von einem Minuswachstum von 0,8 Prozent ausgeht, noch nicht berücksichtigt. Hinzu kommen heute schon mehr als 8 Millionen Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Was 2010 wird, weiß niemand. Aber dass mit der Krise die Arbeitslosigkeit steigt, ist gewiss. Für diese Menschen braucht man volle und nicht leere Kassen in der BA. Wir sind daher gegen die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. ({2}) Fakt ist: Mit den Hartz-Gesetzen wurde die BA einseitig betriebswirtschaftlich ausgerichtet, und die langzeiterwerbslosen Menschen wurden in den Bereich des SGB II abgeschoben, wo sie bis heute nicht im Entferntesten die notwendigen Fördermöglichkeiten für eine rasche Rückkehr in den Arbeitsprozess erhalten. Noch immer fehlen über 7 000 Vermittler. Das Organisationschaos ist auch nach drei Jahren nicht beendet. Außerdem fehlen Schlussfolgerungen aus dem durch die Hartz-Gesetze verursachten Niedergang der geförderten beruflichen Weiterbildung und ihrer Träger. Wir brauchen einen wirkungsvollen, wenn Sie so wollen, Schutzschirm für die zu erwartende steigende Zahl von Erwerbslosen. ({3}) Auch deshalb ist die Beitragssatzsenkung gerade jetzt der falsche Schritt. Fakt ist, dass viele Unternehmen mit den Geldern, die ihnen der Staat durch die Unternehmensteuerreform geschenkt hat, nicht massenhaft Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Das Märchen von den angeblich zu hohen Lohnnebenkosten können Sie sich schenken. - Herr Brauksiepe, Sie könnten ruhig zuhören. - Durch die Senkung der Arbeitslosenbeiträge können die Unternehmen allein 2009 mit einem milliardenschweren warmen Euroregen rechnen. Angesichts der gegenwärtigen globalen Absatzprobleme wird man sich in den meisten Unternehmen allerdings vordringlich überlegen, wie mit den zusätzlichen Mitteln Rationalisierungs- und Kostensenkungsprogramme aufgelegt werden können. Das ist das Gegenteil von Arbeitsplatzbeschaffung. Schon jetzt wird kurzgearbeitet und entlassen. Fakt ist die hohe Langzeitarbeitslosigkeit. Um sie abzubauen, werden ausreichende Mittel für Arbeitsmarktmaßnahmen benötigt. 70 Prozent der Arbeitslosen, so viel wie in fast keinem anderen europäischen Land, sind langzeiterwerbslos, und dies trotz Wirtschaftsaufschwungs und angeblicher Wirkung der Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Jahren. Bereits vor der Finanzkrise kamen die Nürnberger Arbeitsmarktforscher für 2009 auf fast 2,4 Millionen Erwerbslose im SGB II. Jetzt werden weit mehr Menschen betroffen sein. Da braucht es Geld, um diese Menschen gut betreuen und schnell wieder in Arbeit vermitteln zu können, Geld, das Sie heute den Erwerbslosen von morgen vorenthalten und an Unternehmen umleiten wollen. Fakt ist, dass Sie Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten, Arbeitslose und Langzeitarbeitslose nicht entlasten. Bei den abhängig Beschäftigten werden die Minientlastungen durch andere Faktoren mehr als kompensiert. Übrig bleibt die nackte Wahrheit: Gewinnen werden vor allem die Unternehmen. Entlastungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind marginal, und sie werden für den Preis künftiger Arbeitsplatz- und Existenzunsicherheit erkauft. Wichtig ist auch: Die Nürnberger Arbeitsmarktforscher haben bereits Anfang 2007 ermittelt, dass aus derartigen Beitragssenkungen die Menschen in den östlichen Bundesländern den geringsten Nutzen ziehen. Da nach fast 20 Jahren deutscher Einheit die Arbeitslosigkeit zwischen Rostock und Dresden nach wie vor doppelt so hoch ist wie die zwischen Hamburg und München, brauchen wir eine neue Offensive für mehr Arbeitsplätze, für öffentlich geförderte Jobs vor allem in den strukturschwachen Gebieten, übrigens auch im Westen, auch in Bayern. Das kostet nun einmal Geld. Schauen Sie über den Teich. Obama will im Angesicht der bevorstehenden Rezession eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, eine stärkere Binnennachfrage also. Vielleicht lassen Sie einfach Ihre Scheukappen fallen und sehen endlich der Realität ins Auge. ({4}) Denn es ist paradox. Der Welt und insbesondere Deutschland stehen die wirtschaftlich schwersten Zeiten bevor, und die Regierung senkt zu Beginn dieser Entwicklung die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Gleichzeitig beschließt sie ein Gesetz, mit dem darüber hinaus verstärkt an den Instrumenten der Arbeitsförderung gespart werden soll. Daraus kann man nur eine Schlussfolgerung ableiten: Ganz offensichtlich will die Koalition den ohnehin schon Benachteiligten auch noch den Großteil der Lasten der kommenden Rezession aufbürden. Ich sage Ihnen: Nicht mit uns. Beerdigen Sie Ihren Gesetzentwurf. Stimmen Sie unserem Antrag zu; denn Arbeitsmarktpolitik muss immer Politik für, aber nicht gegen die Menschen sein. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent ist nicht sachgerecht und hat nichts, aber auch gar nichts mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Die Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung ist der Versuch, die Steigerung der Krankenkassenbeiträge zu kompensieren, die durch den unsäglichen Gesundheitsfonds verursacht wird. Deswegen, lieber Herr Brandner, ist es auch nicht so, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer 30 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben. Vielmehr ist das das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“. Dabei bleibt bei den Betroffenen einfach nichts übrig. ({0}) Dies ist vielmehr ein Wahlkampfmanöver. Das geht leider zulasten derjenigen, die infolge der steigenden Arbeitslosigkeit, die wirklich kommen wird und auf die wir uns vorbereiten müssen, dringend Qualifizierungsmaßnahmen benötigen. Zudem wird es die Bundesagentur für Arbeit in eine absehbare Schieflage bringen. ({1}) Wenn Sie mir das nicht glauben wollen - mir gegenüber sind Sie ja immer sehr ungläubig -, dann glauben Sie das doch wenigstens dem Chef der Bundesagentur für Arbeit, ({2}) der schon im Oktober gesagt hat, dass dieses Manöver zu einer Schieflage in seiner Agentur und zu einem Minus von 5 Milliarden Euro im operativen Geschäft führen werde. Dabei ist er von einer Wachstumsprognose von 1,2 Prozent ausgegangen. Vor dem Hintergrund einer Wachstumsprognose von 1,2 Prozent bedeutet das ein Minus von 5 Milliarden Euro im operativen Geschäft! Wir reden aber nicht mehr über Wachstum. Derzeit reden wir von einer Rezession. Das bedeutet eine steigende Arbeitslosenzahl. Für die Bundesagentur für Arbeit bedeutet das sinkende Einnahmen bei gleichzeitig steigenden Ausgaben. Das wiederum bedeutet mehr Kosten für dringend notwendige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, jedenfalls wenn man auf diesem Gebiet noch einen gewissen Anspruch hat. ({3}) Die Rücklage der Bundesagentur für Arbeit wird vor diesem Hintergrund abschmelzen wie Schnee in der Sonne während des Klimawandels, liebe Freundinnen und Freunde. Außerdem wird der Beitragssatz von 2,8 Prozent niemals 18 Monate beibehalten. Das wissen Sie ganz genau, Herr Brauksiepe. Das weiß auch der Arbeitsminister. Dieser Beitragssatz wird bis zum Tag der Wahl beibehalten. Dafür ist das Projekt auch da. Ich glaube aber nicht, dass Ihnen das viel nützen wird. Der Arbeitsminister hat selbst gesagt, dass eine Beitragssatzsenkung auf 3 Prozent strukturell vielleicht vernünftig sein könne, aber nur dann, wenn die Arbeitslosenzahl auf dem gegenwärtigen Niveau gehalten wird. Jeder und jede von uns weiß aber, dass das nicht so sein wird. Es wäre wirklich gut, wenn wir uns ein bisschen auf die sehr schwierigen Zeiten vorbereiten würden, die auf uns zukommen. Es ist doch klar wie Kloßbrühe, dass dieser Konjunkturabschwung, der durch die Finanzkrise noch einmal verschärft wird, auch zu schwerwiegenden Einbrüchen auf dem Arbeitsmarkt führen wird. Allein in der Zeitarbeitsbranche arbeiten 700 000 Menschen, die bereits jetzt von Arbeitslosigkeit bedroht und zum Teil auch schon betroffen sind. Genauso verhält es sich bei den Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverhältnissen. Diese Probleme liegen doch nicht in einer fernen Zukunft. Sie gibt es bereits jetzt. Da nützt es überhaupt nichts - wie auch heute geschehen -, von Vollbeschäftigung zu reden. Man muss sich einmal vorstellen, dass der Bundesarbeitsminister letzten Monat im Rahmen der Haushaltsberatungen trotz der neuen Entwicklung von Vollbeschäftigung schwadroniert hat. So sieht der Haushalt auch aus; denn in ihm ist in keiner Weise die Situation berücksichtigt, die auf uns zukommen wird. Der Minister schwadroniert von Vollbeschäftigung, ohne auch nur eine einzige Andeutung darüber zu machen, wie sie denn erreicht werden könnte. ({4}) Leidtragende dieses Politikversagens sind diejenigen, die jetzt in der Gefahr sind, ihren Arbeitsplatz und damit ihr Einkommen zu verlieren. Sie haben den Vorschlag gemacht, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu verlängern. Ich halte das für eine vernünftige Maßnahme. Aber niemand sollte so tun, als wäre mit dieser Maßnahme allein das Problem bereits gelöst. Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass die Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes Geld kostet und den Etat der Bundesagentur für Arbeit belasten wird. ({5}) Belastet wird der Etat der Bundesagentur für Arbeit im Übrigen auch, wenn die Ankündigung des Bundesarbeitsministers, die Qualifizierung in den Betrieben zu verbessern, in die Realität umgesetzt wird. ({6}) Wenn das Programm WeGebAU tatsächlich stärker gefördert wird, dann kostet das zusätzlich Geld. Auch der nachträgliche Erwerb eines Hauptschulabschlusses ist nicht umsonst zu haben, sondern kostet 160 Millionen Euro. ({7}) Das unsägliche Projekt eines Ausbildungsplatzbonus, der nur reine Mitnahmeeffekte hervorrufen wird, kostet der Bundesagentur für Arbeit 450 Millionen Euro. ({8}) - Ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich berichtige - so viel Zeit muss sein -: Dieses Projekt kostet die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich 450 Millionen Euro. Lieber Herr Brauksiepe, Sie sind vielleicht gut in Grammatik, aber Sie sind offensichtlich ganz schlecht in Mathematik. ({9}) Wenn Sie all die Kosten zusammenrechnen, dann können Sie hier nicht allen Ernstes ankündigen, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden. Mehr Arbeitslose kosten nämlich mehr Geld; wir brauchen mehr Geld für Qualifizierung. Was Sie angekündigt haben, ist nicht umsonst zu haben. Nehmen Sie Vernunft an und nehmen Sie diesen Vorschlag zurück! Lassen Sie die Arbeitslosen nicht im Stich! Ich danke Ihnen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht die Kollegin Andrea Nahles für die SPDFraktion. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Pothmer, wir sind hier im Deutschen Bundestag und nicht auf dem Parteitag der Grünen. Ich will das nur zur allgemeinen Orientierung sagen. ({0}) Wer so viel Alarmismus verbreitet, der muss wissen, dass er unverantwortlich handelt; denn wir befinden uns insgesamt in einer Phase, in der es eine Verunsicherung gibt. Deswegen sollten wir nicht noch zusätzlich Öl ins Feuer gießen, ({1}) indem wir Behauptungen aufstellen, mit denen die Lage in unbotmäßiger Weise dramatisiert wird. Das muss an dieser Stelle klar gesagt werden. ({2}) Fakt ist, dass wir seit 16 Jahren die niedrigste Arbeitslosenzahl haben: 2 997 000. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dadurch neue Spielräume eröffnet werden. Weil wir eine konjunkturelle Abschwungsituation haben, sehe ich diese Spielräume richtig genutzt, wenn wir die BA nicht als Sparschwein im Hinblick auf Arbeitslosenbeiträge ansehen. ({3}) Wir sollten die Spielräume, die es gibt, ein Stück weit weitergeben. Dies wird die Binnennachfrage stabilisieren. Das ist in dieser Situation gut; das ist doch ganz klar. ({4}) Wir müssen aber auch aufpassen; denn die Prognosen des Sachverständigenrates von heute gehen von einem Nullwachstum aus. Wir müssen natürlich präventiv aktivierende Maßnahmen ergreifen; denn dies wird sich - davon gehen wir aus - auch auf die Arbeitslosenzahlen auswirken. Niemand muss über den Ernst der Lage aufgeklärt werden. Aber für genau diese Situation haben wir Reserven gebildet. Dies konnten wir deswegen, weil die Situation in den letzten Jahren sehr gut war. Diese Reserven liegen mittlerweile bei 15 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen: Obwohl die Prognosen heute nach unten korrigiert wurden, kann die BA das leisten. Sie kann noch Kurzarbeitergeld und 1 000 Vermittlungsstellen für eine bessere Job-to-Job-Vermittlung finanzieren. Das alles ist möglich, ohne dass wir die BA ausplündern. ({5}) Ich sage das an dieser Stelle, damit der Alarmismus keine falschen Vorstellungen hervorruft. Dies ist möglich, und deswegen machen wir es. ({6}) Dass wir flexibel sind, sieht man an einem intelligenten Vorschlag; wir haben ihn noch gar nicht gewürdigt. Dieser intelligente Vorschlag sieht nämlich vor, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung per Gesetz auf 3,0 Prozent zu reduzieren und ihn dann weiter auf 2,8 Prozent zu senken. Für den Fall aber, dass sich die Lage dramatisch entwickelt, hat der Arbeitsminister die Möglichkeit - dies wurde eben schon von Klaus Brandner ausgeführt -, per einfacher Verordnung ({7}) und ohne Parlament auf 3,0 Prozent zurückzugehen. Das bietet die Chance, auf die aktuelle Situation zu reagieren. Das halte ich für sehr intelligent und pfiffig. ({8}) Es ermöglicht angesichts dieser Situation Flexibilität. ({9}) Ich denke, dass wir neben den Beitragssätzen, die natürlich wichtig sind, andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen müssen, wobei ich hinzufügen möchte, dass die Entlastung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in Höhe von 3,7 Milliarden Euro sicherlich ein Stimulus für die Konjunktur ist. Wir wollen auch andere konjunkturelle Maßnahmen ergreifen. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist nicht das Einzige, worauf wir uns konzentrieren. Deswegen haben wir ein Konjunkturpaket vorgelegt. Es ist ganz interessant, dass dieses Konjunkturpaket sehr einmütig und zügig vorgelegt worden ist. Nach dem Rettungsschirm für die Banken haben wir nicht lange gefackelt und nicht lange abgewartet, sondern ein Konjunkturpaket zur Stabilisierung der Arbeitsplätze vorgelegt. Darin sind zwei wesentliche Punkte enthalten, die auch unser Arbeitsfeld betreffen. Der eine wesentliche Punkt ist, dass Menschen erst gar nicht in Arbeitslosigkeit hineinrutschen sollen. In den letzten Jahren waren die Jobto-Job-Vermittlung und das frühzeitige Intervenieren - nicht erst zu handeln, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist - ein ganz zentrales Erfolgskriterium. Dafür gibt es 1 000 zusätzliche Vermittlungsstellen in der Bundesagentur für Arbeit. Darauf setzen wir schon jetzt im Sinne einer vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik, obwohl die Situation jetzt noch ausgesprochen positiv ist. Der zweite Punkt ist: Im Bereich der Argen - das ist schon beschlossen; das will ich aber in Erinnerung rufen gibt es 9 700 zusätzliche Vermittlungsmöglichkeiten. Teilweise werden Personen, die in der Vermittlung tätig sind, von der leistungsbezogenen Vermittlung abgezogen; teilweise werden Personen zusätzlich eingestellt. Wir werden die Befristungen für diejenigen Menschen, die das tun, zurückführen, und zwar in drei Jahresschritten auf 10 Prozent, was ich für eine vertretbare Größenordnung halte. Ich halte es aber auch für sehr wichtig, dass wir auf die bereits jetzt absehbaren Steigerungsraten bei der Anmeldung von Kurzarbeit reagieren. Wir können die Anmeldungen jetzt noch nicht auswerten, weil das quartalsweise erfolgt, hören aber aus diesem Bereich: Es wird mehr Kurzarbeit angemeldet. Wir müssen den Betrieben das Signal geben: Ihr braucht eure gut qualifizierten Arbeitskräfte nicht zu entlassen, wenn ihr vorübergehend eine Delle habt. ({10}) Wir sind bereit, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf 18 Monate zu verlängern. Das ist bereits heute, Frau Pothmer, per Verordnung geschehen. Genauso werden wir in dieser Zeit Qualifizierung ermöglichen. Das wird in Bälde geschehen. Damit möchte ich sagen: Wir reagieren doch in Ihrem Sinne. Warum müssen Sie dann hier in dieser Weise agieren? ({11}) Ich sage Ihnen ganz klar: Das Kurzarbeitergeld ist eine sehr gute Maßnahme. Ich komme aus einer Region, in der wir angesichts einer Arbeitslosigkeit von 4 bis 5 Prozent nicht wirklich davon sprechen können, dass es uns schlecht geht. Gerade dort gibt es aber Unternehmen, die Sorge haben, weil sie Zulieferer der Maschinenbau- oder Automobilindustrie sind. Wenn diese Unternehmen ihre Leute jetzt entlassen müssen, finden sie später keine guten Leute. Damit wäre der gesamte Betrieb gefährdet. So stellt sich die Situation in den Betrieben dar. Deshalb ist es so wichtig, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zu verlängern. Darüber hinaus arbeiten wir daran, die Vermittlung insgesamt weiter zu optimieren. Deswegen werden wir in der nächsten Zeit die Frage der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf die Tagesordnung setzen. Wir haben uns entschlossen, die Anzahl der Instrumente zu verringern. Das tun wir auf eine sehr mutige Art und Weise und in der nötigen Form. Ich sage voraus: Es wird den Leuten nutzen, es wird für Entbürokratisierung sorgen, und es wird die Vermittlungschancen sogar erhöhen. Dabei ist für mich entscheidend, dass wir auch hier die Logik der Vorsorge und der Prävention zum Tragen bringen. In den letzten zehn Jahren ist klar geworden, dass es entscheidend ist, Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik immer mehr miteinander zu verzahnen. Es ist immer klarer geworden, dass die Arbeitsmarktpolitik dort, wo Bildungsdefizite bestehen, nachher nur noch eine Reparatur der vorhandenen Schwächen durchführen kann, und das oft nur mit viel Mühe, viel Geld und mit zweifelhaftem Erfolg. ({12}) Deshalb sagen wir: Wir schaffen einen Rechtsanspruch auf Sprachförderung, damit Leute überhaupt eine Arbeit annehmen und bewältigen können. Zudem schaffen wir einen Rechtsanspruch auf Nachholen des Hauptschulabschlusses, und zwar im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik. Das hätte man vor Jahr und Tag doch kaum für möglich gehalten. Es war jahrelang ein Tabu. Ich gebe zu, auch viele in der SPD haben das aus ordnungspolitischen Gründen nicht gewünscht. Ich halte es aus pragmatischen Gründen für notwendig. Auch das werden wir in den nächsten Wochen auf den Weg bringen. Ich möchte für die SPD-Fraktion der BA, die viel gescholten wird - speziell von einem ehemaligen Mitarbeiter dieser Organisation; man muss dahinter eine persönliche Problematik vermuten -, meinen Dank aussprechen. ({13}) Tatsache ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BA und der Argen mit ihrem Einsatz in den letzten Jahren einen großen Anteil am Erfolg der Arbeitsmarktpolitik hatten, und zwar weil sie vor Ort eigenverantwortlich entscheiden. Wir, die SPD-Fraktion, wollen die freie Förderung, die Handlungsspielräume der Arbeitsmarktpolitik vor Ort stärken. Dabei sind wir im Einvernehmen mit der CDU/CSU-Fraktion: ({14}) Wir wollen die freie Förderung deutlich stärker ausbauen als derzeit vonseiten des Ministeriums und der Regierung angedacht. Damit wollen wir denen Anerkennung zollen, die seit Jahren vor Ort ihre Arbeit gut machen; wir wollen ihre Handlungsspielräume erhöhen. ({15}) Ich sehe uns auf der sicheren Seite. Wir können ohne Probleme diese Beitragssatzsenkung vornehmen. Wir müssen allerdings mehr als nur die Beitragssatzsenkung in Angriff nehmen, weil wir sonst unserer Aufgabe nicht gerecht würden. Besten Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Claudia Winterstein hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Antrag der Linken will ich nur ganz kurz sagen: Auf eine Senkung des Beitragssatzes zu verzichten, wäre natürlich der völlig falsche Weg. Sie wollen nun noch mehr Geld für die Arbeitsmarktpolitik ausgeben. Sie meinen offensichtlich: Viel hilft viel. In diesem Fall ist es aber sicherlich nicht sinnvoll, mehr auszugeben. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. ({0}) In der Arbeitsmarktpolitik muss es um Effizienz und um eine Konzentration auf sinnvolle Maßnahmen gehen. Trotz der Beitragssatzsenkung werden wir dazu in der Lage sein. Nun aber zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die FDP hält eine Senkung der Beitragssätze für sinnvoll, richtig und vor allen Dingen für finanzierbar. ({1}) Ich will auf die Rücklagen hinweisen, die sich Ende 2007 auf insgesamt 17,9 Milliarden Euro belaufen haben. Auch im laufenden Geschäftsjahr - Stand: Oktober - verzeichnen wir einen Überschuss von 818 Millionen Euro. Das sind Beitragsgelder, gezahlt von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese Gelder müssen wir selbstverständlich über Beitragssatzsenkungen an die Beitragszahler zurückgeben. ({2}) Sie legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem der Beitragssatz auf 3 Prozent abgesenkt werden soll. Hinzu kommt die Verordnung, nach der der Beitragssatz auf 2,8 Prozent gesenkt werden soll. Das hört sich eigentlich ganz gut an. ({3}) Leider ist das aber nur die halbe Wahrheit; denn die Senkung auf 2,8 Prozent ist nur vorübergehend. Sie machen gleich eine Rolle rückwärts und sagen, dass Sie diesen Prozentsatz im Jahr 2010, also nach der Bundestagswahl, wieder erhöhen werden. Es ist doch ganz offensichtlich, dass es sich hierbei um ein Wahlgeschenk handelt. Herr Brauksiepe, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. ({4}) Die Senkung dieses Beitragssatzes müsste eigentlich dazu führen, dass auch die Lohnnebenkosten sinken. Das wäre insbesondere wegen der nachlassenden Konjunktur wichtig. Leider geschieht das aber nicht. Es gibt da ein Problem. Dieses Problem heißt Ulla Schmidt. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Beitragssätze in der Krankenversicherung kontinuierlich und entgegen allen vorherigen Versprechungen im Prinzip ständig steigen. ({5}) Und dann erklärt die Ministerin noch, das sei alles gar nicht so problematisch, weil die Beiträge zur Arbeitslo19876 senversicherung sinken würden. Deswegen sei es nicht so schlimm, wenn die Beiträge zur Krankenversicherung steigen würden. Man bleibe insgesamt ja trotzdem unter 40 Prozent. Tatsache ist, dass die positive Entwicklung bei der Arbeitslosenversicherung letztendlich durch die Misswirtschaft der Ministerin im Gesundheitsbereich zunichtegemacht wird. ({6}) Es kommt also letztendlich zu einer Mehrbelastung der Beitragszahler. In der Summe werden die Sozialversicherungsbeiträge zum 1. Januar 2009 auf 40,15 Prozent steigen. Das ist weiß Gott das falsche Signal für die Wirtschaft. ({7}) Im Übrigen wäre der Spielraum zur Senkung des Beitragssatzes bei der Arbeitslosenversicherung deutlich höher, wenn sich der Bund nicht zunehmend aus den Taschen der Beitragszahler bedienen würde, ({8}) zum Beispiel indem er Lasten des Bundeshaushalts einfach dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit aufbürdet. ({9}) Der größte Brocken ist der Eingliederungsbeitrag. Hier entzieht der Bund der Bundesagentur ganze 5 Milliarden Euro. Er greift dem Beitragszahler tief in die Tasche. Diese 5 Milliarden Euro entsprechen 0,6 Beitragssatzpunkten. Das heißt, ohne diese Belastung könnte man eine weitere Senkung vornehmen. ({10}) Damit aber nicht genug. Das Vorgehen hat Methode, wie man an aktuellen Ankündigungen der Bundesregierung sieht. Der Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Hauptschulabschlusses geht zulasten der Bundesagentur. Die von der Regierung groß angekündigten zusätzlichen 1 000 Job-to-Job-Vermittler gehen zulasten der Bundesagentur. Die Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes geht zulasten der Bundesagentur. ({11}) Die Regierung rühmt sich für ihre Wohltaten. Dabei werden sie in Wirklichkeit von den Beitragszahlern bezahlt werden müssen. Das ist Politik zulasten Dritter. ({12}) Ich fasse zusammen: Die Senkung der Beiträge ist richtig. Der Griff des Bundes in die Taschen der Beitragszahler ist es ganz sicher nicht. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Stefan Müller spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen heute einen ganz wesentlichen Fortschritt bei der FDP fest. Herr Niebel hat mich gebeten, die FDP heute einmal zu loben. ({0}) Ich will dem ausdrücklich nachkommen, Herr Niebel. Bedauerlicherweise mussten wir in Bayern eine Koalition mit Ihnen eingehen. Verstehen Sie es als vertrauensbildende Maßnahme. ({1}) Aber wir erleben hier einen ganz wesentlichen Fortschritt, ({2}) nämlich dass die FDP heute - meines Erachtens zum ersten Mal - begrüßt, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden soll. Das ist wirklich ein Fortschritt. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, bisher haben Sie den Beitragssatzsenkungen nicht zugestimmt. ({3}) Ich will feststellen, dass Sie heute zum ersten Mal einen Fortschritt zeigen. Das begrüße ich außerordentlich; das finde ich sehr gut. Frau Winterstein, Sie haben gesagt, die Senkung auf 2,8 Prozent sei viel zu wenig, weil sie nur befristet sei; vieles andere mehr haben Sie kritisiert. Seien Sie beruhigt. Für den Fall, dass wir ab 2009 auch hier im Bund gemeinsam regieren sollten, ({4}) bin ich sehr zuversichtlich, dass wir dauerhaft auf 2,8 Prozent senken können, wenn es die finanzielle Lage der Bundesagentur und vor allem auch die Arbeitsmarktlage zulassen. Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf 3,3 bzw. 2,8 Prozent fügt sich gewissermaßen nahtlos in die Politik der Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger durch die Große Koalition ein. ({5}) Dies machen wir natürlich nicht zum Selbstzweck, sondern weil wir damit zwei Ziele verbinden. Erstens wollen wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land finanziell entlasten, und zweitens wollen wir Stefan Müller ({6}) einen Beitrag dazu leisten, dass Einstellungshemmnisse abgebaut werden können. ({7}) Erstens: finanzielle Entlastungen der Arbeitnehmer. Ich will Ihnen das, was in den vergangenen Jahren gemacht worden ist, noch einmal in Erinnerung rufen. Am 31. Dezember 2006 lag der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung noch bei 6,5 Prozent. Wir haben ihn dann zum Jahresanfang 2007 auf 4,2 Prozent und zum Jahresbeginn 2008 auf 3,3 Prozent gesenkt. ({8}) Mit der Reduzierung auf 2,8 Prozent bewirken wir eine Entlastung der Arbeitnehmerschaft in Deutschland um 13 Milliarden Euro. Das heißt, 13 Milliarden Euro mehr bleiben den Menschen in den Taschen. ({9}) Das Problem ist nicht, dass die Löhne in Deutschland generell zu niedrig sind, sondern unser Problem ist, dass die Abzüge zu hoch sind. Wir legen jetzt einen weiteren Baustein dafür, dass die Menschen in unserem Land entlastet werden können; ({10}) also mehr Netto vom Brutto. Alles, was Sie, liebe Freunde von der FDP, bisher theoretisch aufgeschrieben haben, wird von uns in dieser Großen Koalition umgesetzt. ({11}) Zweitens: Abbau von Einstellungshemmnissen. Dazu ist, glaube ich, schon vieles gesagt worden. Die Senkung der Lohnzusatzkosten plus Lohnverzicht der Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren plus eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass mehr Arbeitsplätze in unserem Land haben entstehen können. Dass wir einen Aufschwung am Arbeitsmarkt erreicht haben, hat diese Große Koalition durch die Senkung der Lohnzusatzkosten mit bewirkt. Auch das sollte bei dieser Gelegenheit einmal gesagt werden. ({12}) Nun stellt sich hier im Hause und in der öffentlichen Diskussion - die Linken haben einen entsprechenden Antrag eingereicht - immer wieder die Frage, ob die weitere Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages verantwortbar ist. Ich sage ausdrücklich: Ja, es ist verantwortbar. Die Finanzlage der Bundesagentur für Arbeit lässt es zu. Die BA hat in den vergangenen Jahren Rücklagen in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrages angesammelt. Die liquiden Mittel der Bundesagentur belaufen sich auf 13,5 Milliarden Euro. Es ist schon öfter gesagt worden - nicht nur von Ihnen, Herr Niebel -: Die Bundesagentur ist in der Tat keine Sparkasse und keine Vermögensverwaltung, die nur dazu dient, einen zweistelligen Milliardenbetrag irgendwo am Kapitalmarkt anzulegen. ({13}) Deswegen machen wir durch diese Beitragssatzsenkung etwas, das Kernanliegen von CDU/CSU-Politik ist, nämlich den Menschen etwas zurückzugeben, was man ihnen vorher abgenommen hat. ({14}) Ich bin froh, dass wir den Beitragssatz senken können, ohne dass bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik gespart werden muss. Frau Möller, Sie erwecken hier einen völlig falschen Eindruck, wenn Sie behaupten, dass durch die Beitragssatzsenkungen der vergangenen Jahre auch nur ein Euro an der aktiven Arbeitsmarktpolitik gespart worden wäre. Wir haben in den vergangenen Jahren den Beitragssatz gesenkt und den Ansatz für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Haushalt der BA nicht verändert. Ich bitte Sie, das anzuerkennen und nicht ständig Lügen in dieser Republik zu verbreiten. ({15}) Ich sage: Es ist verantwortbar, weil immer noch genügend finanzielle Möglichkeiten bestehen, um denen zu helfen, die bislang vom Aufschwung am Arbeitsmarkt noch nicht haben profitieren können. Ich weise aber auch ganz ausdrücklich darauf hin: Mit Geld allein ist es nicht getan. Wer glaubt, dass man den Menschen nur mit einem Haufen Geld und vielen Maßnahmen helfen kann, die Integration in den Arbeitsmarkt hinzubekommen, dem muss man leider sagen, dass die Ergebnisse aller Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte genau das Gegenteil belegen. ({16}) Es kommt darauf an, dass wir wirksame Instrumente zur Hand haben und dass dafür ausreichend Geld zur Verfügung steht; auch hierzu werden wir einen Beitrag leisten. Es kommt ganz entscheidend darauf an, dass nicht nur Geld zur Verfügung steht, sondern dass die Arbeitsmarktverwaltung auch leistungsfähig ist. Um dafür zu sorgen, dass die Bundesagentur noch mehr als bisher ein leistungsfähiger Dienstleister am Arbeitsmarkt sein kann, werden wir morgen in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Reform der Arbeitsmarktinstrumente beraten. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch dieses Vorhaben konstruktiv begleiten. Herzlichen Dank. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Gerald Weiß spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte möchte ich einige Aspekte unserer Aussprache aufarbeiten. Zunächst will ich Ihnen mitteilen, dass die gemeinnützige Rechengemeinschaft Franz Romer und Gerald Weiß grundsolide und seriös nachgerechnet hat. Herr Niebel, Sie haben in einer „niebelösen“ Äußerung behauptet, wir hätten das Ziel, den Sozialversicherungsbeitragssatz bei unter 40 Prozent zu belassen, nicht erreicht. Als wir nachgerechnet haben, sind wir auf einen Beitragssatz von 39,2 Prozent gekommen. ({0}) Nachher werde ich Ihnen dieses wertvolle Dokument überreichen. ({1}) Dann können Sie gerne nachrechnen und das überprüfen. ({2}) Es blieb einer Weltökonomin, geschult in marxistischem Geist, vorbehalten, einen Zusammenhang zu leugnen, den die internationale Fachwissenschaft festgestellt hat und der im gesamten Spektrum der Lehrmeinung unstrittig ist: dass hohe Lohnnebenkosten die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes belastet haben und dass es eine Investition in Beschäftigung ist, die Lohnnebenkosten sukzessive und wo immer möglich zu senken. ({3}) Ein Land, das den größten Teil der sozialen Sicherung an den Bruttolohn bzw. an Arbeit bindet, hat in wettbewerblicher Hinsicht ein Problem, insbesondere im Bereich arbeitsintensiver Produktion. Wir haben Herrn Weise, den Chef der Bundesagentur für Arbeit, gefragt, wie er die Wirkung der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitragssatzes von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent, also um mehr als 3 Prozentpunkte - das ist der Schritt, den wir jetzt machen; demnächst senken wir ihn sogar auf 2,8 Prozent -, einschätzt. Er hat uns versichert, dass diese Maßnahme selbstverständlich eine beachtliche und positive Arbeitsplatzwirkung hat. Zwar kann man die Wirkung dieses Schrittes, weil es sich dabei um eine Teilursache handelt, nicht isolieren. Es ist aber unstrittig, dass dadurch mehrere 100 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen der Fachwissenschaft besagen, dass die Reduzierung der Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge um 1 Prozentpunkt mit 100 000 neuen Arbeitsplätzen belohnt wird. Entgegen dem Ratschlag der Weltökonomin Kornelia Möller gehen wir genau diesen Weg konsequent weiter, um in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist der richtige Weg. ({4}) Jetzt möchte ich mit dem Märchen, dass unser Land in prekären Arbeitsverhältnissen versinkt, aufräumen. Frau Möller, lassen wir einmal Zahlen sprechen. Im Bereich der Zeitarbeit gibt es Gutes, Schlechtes, Segensreiches, Probleme und Risiken; all das muss man aufarbeiten, und darüber muss man diskutieren. Aber man sollte nicht sagen, dass uns eine Welle droht, die den Arbeitsmarkt verschlingt, sodass es in Deutschland bald nur noch prekäre Arbeitsverhältnisse gibt. Derzeit gibt es 700 000 prekäre Beschäftigungsverhältnisse, doppelt so viele wie vor vier Jahren; das stimmt. Dem möchte ich eine andere Zahl gegenüberstellen: Insgesamt befinden sich heute 28 Millionen Menschen in Deutschland in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. ({5}) Da können Sie doch nicht sagen, dass das prägende Merkmal dieser Volkswirtschaft die Zeitarbeit oder die prekäre Arbeit ist. Sie haben Recht, dass das anders angefangen hat. Am Anfang gab es den Aufschwung vor allem im Bereich der Zeitarbeit. In der Gesamtbilanz ist aber mittlerweile festzustellen, dass mehr als die Hälfte der zugewachsenen Arbeitsplätze Vollzeitstellen und sozialversicherungspflichtig sind. Es existiert also nicht dieses düstere Bild, das Sie hier an die Wand malen. Dieses düstere Bild stimmt übrigens auch nicht mit Blick auf die Ressourcen, die wir jetzt weggeben und die man dann für die Arbeitsmarktpolitik nicht mehr zur Verfügung hat. Weil es mir wirklich darum geht, dass wir dieser Geschichtsklitterung der Linken entgegentreten, stelle ich fest, dass keine einzige arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht stattgefunden hat, weil das Geld gefehlt hat - keine einzige. Das ist auch kein Wunder; denn die Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel ist ja gleich geblieben, obwohl wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag so stark gesenkt und damit für eine Gesamtentlastung von 30 Milliarden Euro gesorgt haben. Für Eingliederungsmaßnahmen nach dem SGB III - ich sage jetzt einmal vergröbernd: Das ist die klassische Kurzzeitarbeitslosigkeit - haben wir, obwohl die Zahl der Arbeitslosen um Millionen signifikant zurückgegangen ist, sowohl in 2006 als auch in 2007 und 2008 jeweils 3,3 Milliarden Euro an Mitteln zur Verfügung gestellt. Das ist also trotz dieser starken Rückgabe zu viel bezahlter Beiträge gleich geblieben. Zur Arbeitslosigkeit gemäß SGB II, also grob gesagt zur Langzeitarbeitslosigkeit, vulgo Hartz IV: Die Eingliederungshilfen bzw. -leistungen betrugen 2006 4,7 Milliarden Euro, 2007 4,8 Milliarden Euro und 2008 4,8 Milliarden Euro. Ich wage die Prognose: Auch im kommenden Jahr wird keine einzige sinnvolle arbeitsmarktspolitische Gerald Weiß ({6}) Maßnahme unterbleiben müssen, weil das Geld fehlt. Bauen Sie hier doch keinen Popanz auf und folgen Sie dem Weg, den wir Ihnen aufzeigen! Es ist der Weg der Vernunft und hin zu mehr Beschäftigung in Deutschland. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Es ist verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen 16/10806 und 16/10618 an die Ausschüsse zu überweisen, die in der Tagesordnung vorgeschlagen sind. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen - Drucksache 16/10734 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Zwischen den Fraktionen ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort gebe ich jetzt als Erstem dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach für die Bundesregierung.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unerlaubte Telefonwerbung ist für viele Menschen eine massive Belästigung. Sie ist ein Eingriff in die Privatsphäre und die Ursache für viel Streit darüber, ob am Telefon nun tatsächlich ein Vertrag geschlossen worden ist oder nicht. Insbesondere ältere Menschen leiden unter unseriösem Telefonmarketing und dem Ärger, der damit verbunden ist. Unerlaubte Telefonwerbung ist deshalb eine Herausforderung für den Verbraucherschutz. Sie ist ein Übel, und wir müssen und werden dagegen etwas tun. Ich freue mich, dass wir uns in der Sache grundsätzlich einig sind. Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher sollten wir jetzt an einem Strang ziehen. Das heißt konkret: Wir sollten den vorliegenden Gesetzentwurf möglichst rasch beschließen. Dieser Gesetzentwurf sieht im Wesentlichen fünf Maßnahmen vor: Erstens wollen wir klarstellen, dass Werbeanrufe nur dann zulässig sind, wenn der Verbraucher vorher ausdrücklich eingewilligt hat. Bei unerlaubten Werbeanrufen kann künftig ein Bußgeld bis zu einer Höhe von 50 000 Euro verhängt werden. Zweitens muss bei Werbeanrufen künftig immer die Telefonnummer angezeigt werden. Die Unterdrückung der Rufnummer wird verboten und kann ebenfalls mit einem Bußgeld geahndet werden. Drittens erweitern wir den Widerruf von Verträgen, die am Telefon abgeschlossen worden sind. Bei der Lieferung von Zeitschriften oder Wett- und Lotteriedienstleistungen war der Widerruf nach dem Fernabsatzgesetz bisher ausgeschlossen. Das wollen wir ändern. Viertens können Verbraucher künftig bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen die Verträge so lange widerrufen, bis der Vertrag vollständig erfüllt ist, wenn sie denn zuvor nicht über das Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden sind. Fünftens schaffen wir eine Regelung, die vor allem beim Wechsel des Telefon- oder Energieanbieters relevant ist. Eine Kündigung des alten Vertrages oder die Vollmacht hierzu bedürfen in Zukunft der Textform. Diese Regelung verhindert, dass der neue Anbieter durch bloßen Zuruf eigenmächtig in das Vertragsverhältnis des Verbrauchers mit seinem bisherigen Anbieter eingreift, ohne dass der Verbraucher dies wünscht. Diese Regelungen sorgen für einen umfassenden Schutz vor unlauterer Telefonwerbung. Wir schaffen damit Lösungen für alle bekannten Problemfälle, und zwar ohne dabei die redlichen Unternehmer zu belasten oder den Geschäftsverkehr zu erschweren. Der ganz überwiegende Teil von Verträgen, die am Telefon geschlossen sind, wird heute reibungslos und unkompliziert abgewickelt. Ich meine, das muss auch weiter so bleiben, und deshalb lehnen wir - das Bundesministerium der Justiz und ich - auch die sogenannte Bestätigungslösung ab. Stellen Sie sich vor, Frau Klöckner, Ihr Lieblingswinzer ruft Sie an ({0}) - das weiß ich doch - und empfiehlt seinen neuen Wein. Wenn Sie dann am Telefon ein paar Flaschen kaufen, wollen Sie doch nicht erst eine schriftliche Bestätigung hinterherschicken, bevor Ihr Bruder, der Winzer, die Kiste absendet. ({1}) - Sei nicht so kleinlich! Das war ein einprägsames Beispiel für alle, die nicht Manzewski und Klöckner heißen. ({2}) Die Bestätigungslösung würde erstens zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Ob ein Vertrag wirksam ist, würde davon abhängen, ob der Unternehmer oder der Kunde angerufen hat. Wenn der Unternehmer angerufen hat, dann würde die Wirksamkeit von der Einwilligung des Verbrauchers abhängen. Wer kann aber nach längerer Zeit noch genau nachweisen, bei wem das Telefon zuerst geklingelt hat? Zweitens dürfte die Bestätigungslösung im Ergebnis zu noch mehr unerwünschten Telefonanrufen führen. Unseriöse Unternehmen würden versuchen, die Verbraucher durch weitere Anrufe zu der notwendigen Bestätigung zu bringen. Dabei bestünde die weitere Gefahr, dass unseriöse Unternehmen dem Verbraucher mit einer vorformulierten Bestätigung dann gleich noch irgendwelche Vertragsbedingungen unterjubeln könnten. Drittens würde das Recht völlig unübersichtlich, wenn wir eine Bestätigungslösung schaffen und anschließend weiter den Widerruf des Vertrages ermöglichen, wozu wir europarechtlich verpflichtet sind. Schließlich würde viertens die Bestätigungslösung zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen. Selbst bei arglistiger Täuschung oder Drohung sind Verträge zunächst wirksam und nur anfechtbar. Verträge aufgrund unlauterer Telefonwerbung wären dagegen zunächst unwirksam und könnten nur durch ihre Bestätigung oder Annahme in Textform wirksam werden. Das passt nicht zueinander. Übrigens ist es auch längst nicht so, dass Verbraucher bei der Bestätigungslösung - anders als beim Widerruf überhaupt nicht aktiv werden müssten. Wenn etwa ein Anbieter den bisherigen Tarif nach einer telefonischen Werbung umstellt und den neuen Tarif vom Konto des Verbrauchers abbucht, muss der Verbraucher sehr wohl tätig werden, wenn er sein Geld zurückhaben möchte. Auch Mahnungen, den angeblich vereinbarten Preis endlich zu zahlen, lassen nicht alle Verbraucher unbeeindruckt. Ich halte daher nichts von einer Bestätigungslösung und meine, dass unser Gesetzentwurf die Verbraucher besser schützt und für die Praxis mehr taugt. Vielleicht rührt die Sympathie für die Bestätigungslösung aus der Debatte über den Datenmissbrauch her. Dort geht es auch darum, ob ein Verbraucher der Verwendung seiner Daten bloß widersprechen kann oder ob er vor deren Verwendung einwilligen muss. Auch dort sprechen manche von einer Bestätigungslösung. Aber es geht hier um eine vorherige Einwilligung. Bei den Verträgen, die am Telefon geschlossen werden, gibt es nur einen richtigen Weg, nämlich mehr Möglichkeiten, solche Verträge zu widerrufen. Genau diese wollen wir mit unserem Gesetz schaffen. ({3}) Ich bin sicher, dass wir hier auf einem guten, auf dem richtigen Weg sind. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Juni dieses Jahres haben wir das erste Mal über einen Antrag der FDP genau zu diesem Thema debattiert. Nach der Rede von Herrn Hartenbach muss ich feststellen: Die jetzige Debatte ähnelt der damaligen sehr. Genau die Problempunkte, die heute eine Rolle spielen, haben wir damals angesprochen. Um gleich auf den Punkt zu kommen, mit dem Sie sich am intensivsten befasst haben, Herr Hartenbach, nämlich ob es eine schriftliche Bestätigung geben soll oder nicht: Herr Manzewski, ich erinnere daran, dass Sie damals die FDP beschimpft und gesagt haben, wie wenig konsequent sie sei, weil sie eine schriftliche Bestätigung in ihren Antrag nicht aufgenommen habe. ({0}) In anderen Punkten haben Sie angeblich Widersprüchlichkeiten entdeckt. Was lese ich nun? Der Gesetzentwurf der Bundesregierung deckt sich in weiten Teilen mit dem damaligen Antrag der FDP. Herr Hartenbach, Sie haben das Pro und Kontra - Sie waren vor allem bei den Argumenten für das Kontra überzeugend - zur schriftlichen Bestätigung vorgetragen; das muss ich nicht wiederholen. Ich bin mir aber sicher, dass gerade dieser Punkt in der Anhörung, die wir heute im Rechtsausschuss zu diesem Thema beschlossen haben, eine wichtige Rolle spielen wird. Insgesamt teile ich Ihre Einschätzung, Herr Hartenbach, dass es in vielen Einzelpunkten Übereinstimmung über die Fraktionsgrenzen hinweg gibt. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Die Zahl der Belästigungen, denen man selbst ausgesetzt ist - man muss nicht unbedingt in sein Wahlkreisbüro gehen, sondern nur ausnahmsweise am Wochenende zu Hause sein -, nimmt zu. Es kann passieren, dass man sechs- bis achtmal wegen irgendwelcher Lotterien, Zeitungen oder sonstiger Dinge behelligt wird. Da man am Display nicht immer erkennen kann, wer anruft, nimmt man den Anruf an, obwohl man als Abgeordnete vielleicht schon einen geschärften Blick hat. Es ist also ganz entscheidend, dass es keine Rufnummerunterdrückung mehr geben wird. Es wäre schön, wenn es eine einheitliche Vorwahlnummer gäbe. Das ist von Ihnen, Herr Manzewski, in der Debatte im Juni als ein guter Vorschlag bezeichnet worden. Ich hoffe, dass wir in der Anhörung über das Pro und Kontra dieses Vorschlags - ich sehe nur wenige Argumente für ein Kontra debattieren werden. Wir verfolgen doch ein gemeinsames Ziel: Was können wir tun, um Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen? Das geltende Recht, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das bereits bestimmte Handlungen für unzulässig erklärt, reicht nicht aus und greift nicht. Sonst nähme die Zahl der Behelligungen durch unseriöse Einrichtungen nicht ständig zu. Wenn man den Zahlen, die die Verbraucherzentralen länderbezogen zusammengestellt haben, trauen kann, dann muss man feststellen, dass die Zahl der kritisierten und wohl nicht erlaubten Telefonanrufe, um Verträge abzuschließen und Werbung zu betreiben, ohne dass vorher eine Einwilligung vorliegt, eindeutig im fünfstelligen Bereich bzw. in der gesamten Bundesrepublik sogar im sechsstelligen Bereich liegt. Deshalb: Der mündige Verbraucher ist wichtig, Verbraucheraufklärung und Verbraucherbildung sind wichtig, aber wenn es nicht gewisse gesetzliche Instrumentarien gibt, dann bleibt Verbraucherschutz ein leeres Versprechen. Es ist schade, dass heute nicht auch Verbraucherinnen und Verbraucher über uns Abgeordnete hinaus hier sitzen, damit sie sehen, wie intensiv wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, ({1}) die übrigens schon Bundesminister Seehofer, als er auch noch für Verbraucherschutz zuständig war, beschäftigt haben. Damals ging es noch um die Ankündigung von Gesetzentwürfen; jetzt sind wir Gott sei Dank in der Phase der Konkretisierung. Ich teile die Einschätzung des Justizministeriums, dass gerade dem Widerrufsrecht, und zwar dem ausgedehnten Widerrufsrecht, der Verbraucherinnen und Verbraucher entscheidende Bedeutung zukommt; denn es gibt Gesetzeslücken, nicht nur was die Anwendung und die Möglichkeit, überhaupt ein Widerrufsrecht ausüben zu können, angeht; es gibt vielmehr auch Lücken bei der Frage, wie lange dieses Widerrufsrecht gilt, damit eben bei Fernabsatzverträgen in anderen Bereichen dieses Widerrufsrecht der Verbraucherin oder des Verbrauchers nicht bei Erfüllung des Vertrages schon vor Ablauf der Frist erlischt. Hier Korrekturen vorzunehmen, halte ich für ganz entscheidend. Wir unterstützen in diesem Punkt die Vorschläge, die in dem Gesetzentwurf formuliert worden sind. Mein Glaube an die Abschreckungswirkung von Bußgeldern und neuen Ordnungswidrigkeitstatbeständen ist extrem begrenzt. Ich glaube auch nicht, dass gerade die, die wir vielleicht im Blickfeld haben, also diejenigen, die wirklich unerlaubte Telefonwerbung vornehmen, sich von Bußgeldern bis zu einer Höhe von 50 000 Euro abschrecken lassen werden. ({2}) Daher ist das ein Aspekt in dem vorgelegten Gesetzentwurf, den wir als Liberale deutlich hinterfragen werden. ({3}) Aber im Großen und Ganzen kann ich konstatieren: Wir werden uns sehr konstruktiv in die Beratungen einbringen. Unser Antrag deckt sich in vielen Punkten mit dem, was heute als Gesetzentwurf vorliegt. Ich teile die Meinung, dass dieses Gesetzgebungsverfahren sehr intensiv, sehr sachlich, aber auch in einem überschaubaren Zeitraum durchgeführt werden sollte, und zwar allein schon, weil wir Änderungen im Zusammenhang mit Änderungen im UWG - § 7 - beschlossen haben, die die unerlaubten Telefonanrufe betreffen. Es sollte kein allzu großer Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten dieses Gesetzes und dem, was wir hier beraten, liegen; denn das dient der Verbrauchersicherheit. Recht herzlichen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Günter Krings spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich brenne schon darauf, zu erfahren, was der Auslöser der Heiterkeit in den Reihen meiner Fraktion ist. Aber da muss ich mich noch neun Minuten gedulden. Die neun Minuten will ich gerne mit einigen Bemerkungen zu dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ausfüllen. Bei Anruf Werbung - so hat dieses Phänomen vor einigen Wochen eine große deutsche Zeitung beschrieben und mit der Schlagzeile offenbar auf den berühmten Hitchcock-Film angespielt. Natürlich sind die Folgen des Anrufs bei Werbung nicht ganz so fatal und letal wie bei Hitchcock, allerdings eine Parallele gibt es: Auch Werbung ist nervtötend. Wir haben gerade 20.20 Uhr und befinden uns in einer Stunde, in der in vielen deutschen Haushalten das Telefon klingelt, was wahrlich keine Begeisterung auslöst. Diese Anrufe stehlen Zeit. Dabei werden zum Teil Verträge untergeschoben, und vor allem ältere Menschen werden durch solche Anrufe überrumpelt. Die Zahlen sprechen für sich. Für das Jahr 2006 geht man von etwa 220 Millionen Anrufen aus. Die sind natürlich nicht alle illegal, aber viele davon. Die Tendenz ist steigend. Laut einer Forsa-Umfrage sollen sich 86 Prozent der Angerufenen belästigt fühlen. Eine der Hauptforderungen der Union war es, einen Ordnungswidrigkeitstatbestand einzufügen. Er mag nicht in allen Fällen ausreichend helfen, aber er ist ein klares Unwerturteil des Gesetzgebers. Hierfür haben wir einen Rahmen von bis zu 50 000 Euro vorgesehen. Man kann sich darüber streiten, ob es zumindest erwägenswert ist, mit Bußgeldern bis zu 250 000 Euro in Richtung des Vorschlags des Bundesrates zu gehen. Meines Erachtens müssen wir im Ordnungswidrigkeitenrecht allerdings auch systemkonform bleiben. Beispielsweise sieht § 119 Ordnungswidrigkeitengesetz vor, dass selbst grob anstößige und belästigende Handlungen mit einer Strafe von maximal 10 000 Euro belegt werden. Irgendwo muss es also auch im Rahmen des sonstigen Systems der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten bleiben. Wichtig ist auch, dass der genervte Angerufene, der genervte Bürger jetzt erstmalig einen vernünftigen Ansprechpartner in Gestalt der Bundesnetzagentur hat, an den er seine Beschwerden richten kann. Ein Streitpunkt ist natürlich auch, wann angerufen werden darf, wie wir also die weißen von den schwarzen Schafen trennen. Dies ist insofern wichtig, als die Mehrzahl aller Callcenter, die Mehrzahl aller Anrufer selbstverständlich weiße Schafe sind, die durchaus aufgrund von Einwilligungen agieren; aber es gibt eben auch andere. Wo liegt die Grenze? Zurzeit bestehen zu viele Schlupflöcher - darüber sind wir uns wohl alle einig -, weil eben nach jetziger Gesetzeslage keine ausdrückliche Einwilligung gefordert ist. Deshalb sagt der Regierungsentwurf dazu ganz klar: Es muss eine ausdrückliche Einwilligung vorliegen. Der Bundesrat geht sogar noch ein Stück weiter und spricht von schriftlicher Einwilligung. Meiner Auffassung nach sollten wir ganz offen darüber diskutieren, was hier die bessere Formulierung ist. Gelegenheit dazu wird es im Beratungsverfahren geben. Ein weiterer Punkt wurde angesprochen: Was ist denn bei Verträgen, die dann doch am Telefon, nach unerbetenen Anrufen, zustande kommen? Sollen diese Willenserklärungen seitens des Verbrauchers schriftlich bestätigt werden müssen? Auch dies ist eine Idee des Bundesrates. Das Bundesjustizministerium hat eben wieder in Gestalt von Herrn Staatssekretär Hartenbach dagegen argumentiert, meines Erachtens in der Sache überzeugend. Es gibt ein wichtiges systematisches Argument gegen das Vorhaben des Bundesrates: Hier würde eine Regelung über das Zustandekommen von Verträgen in ein Spezialgesetz, in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, hineingegeben werden. Wir haben vor einigen Jahren im Deutschen Bundestag große Anstrengungen unternommen, um die Regelungen vieler Spezialgesetze, gerade verbraucherschützender Spezialgesetze, ins BGB zurückzuholen: das Verbraucherkreditgesetz, das Haustürwiderrufsgesetz und andere. Wir wollten mehr Transparenz, mehr Klarheit haben, wollten all diese Dinge an einer zentralen Stelle für den Verbraucher nachlesbar haben, nämlich im BGB. Dies nunmehr wieder in Spezialgesetze auszulagern, die nichts mit dem Zustandekommen von Verträgen zu tun haben, ist in der Sache kein richtiger Schritt. Es gibt noch viele Fragen: Was ist denn in der Schwebezeit eines solchen Vertrages, wenn der Unternehmer die Bestätigung noch nicht angefragt, der Verbraucher den Vertrag noch nicht bestätigt hat? Ist dann zumindest der Unternehmer an sein Angebot gebunden, oder muss der Verbraucher sich gefallen lassen, dass der Unternehmer dieses Angebot vielleicht sogar wieder zurückzieht? Wenn das so wäre, bekäme er mit einem solchen Gesetz Steine statt Brot. Besser ist daher die Regelung, die der Regierungsentwurf vorsieht: ein starkes Widerrufsrecht, das ausgeweitet wird und das selbstverständlich erst mit der schriftlichen Bestätigung beginnt. Ein weiteres Problemfeld besteht insbesondere bei Abonnements und Dauerleistungsverträgen. Hier geht das Widerrufsrecht praktisch leider vielfach ins Leere. Nach jetziger Regelung erlischt das Widerrufsrecht, wenn eine Seite geleistet hat, der Unternehmer also die erste Zeitschrift zugeschickt hat, damit begonnen hat, Telefondienstleistungen anzubieten. Der Regierungsentwurf sieht hier insofern eine Verbesserung vor, als dieses Widerrufsrecht künftig fortbestehen soll, bis beide Seiten mit der Leistung begonnen haben, bis also auch der Verbraucher seine erste Rate bezahlt hat. Dies ist übrigens auch an systematisch geeigneter Stelle geregelt, im Gesetz über Fernabsatzverträge, das inzwischen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches ist. Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Dauerlieferungen, also Telekommunikationsleistungen, Stromlieferungen und Ähnlichem, sind die ungewollten Anbieterwechsel. Sie bekommen den Anruf, lassen sich im Telefonat überreden oder überzeugen, Sie wechseln den Anbieter oder Ihnen wird vielleicht sogar nur ein Vertrag untergeschoben. Was passiert, wenn Sie zu Ihrem alten Anbieter, zum Beispiel zum alten Telefonanbieter, zurückwollen? Der neue Anbieter muss Sie sozusagen freigeben, obwohl der alte Vertrag gekündigt bleibt. Das Ergebnis kann sein, dass man nachher ganz ohne Telefonanbieter und mit einer toten Leitung dasteht. Wenn man es etwas ironisch formulieren würde, könnte man sagen: Man hat gar kein Telefon mehr, und das ist sozusagen der wirksamste Schutz gegen Werbeanrufe. Aber natürlich ist das ein Schutz, den wir alle nicht wollen und an den wir nicht gedacht haben. Deswegen lautet die Lösung - sie ist, wie ich finde, sehr praxisorientiert -: Ein wirksamer Schutz vor Werbeanrufen besteht darin, dass die Kündigung in einer schriftlichen Form erfolgen muss. Hier herrscht eben ein besonderes Schutzbedürfnis, und von daher gibt es eine besondere Rechtsfolge. Ich glaube, es ist deutlich geworden: Der Regierungsentwurf bietet eine gute Vorlage, um den Verbraucher besser vor unerbetenen Anrufen zu schützen. Das Verbot, das wir vor einigen Jahren im Gesetz verankert haben - ebenfalls nach langer Diskussion; das will ich betonen -, musste nun noch effektiv durchgesetzt werden. Ein Verbot, das nur auf dem Papier des Gesetzblattes existiert, bringt nichts. Wir müssen es in der Praxis effektiv durchsetzen. ({0}) - Danke schön. Genau ein Applaus pro Rede muss sein, finde ich. - Dazu liegen gute Vorschläge vor. Wir haben jetzt im Rechtsausschuss in Kooperation mit den mitberatenden Ausschüssen, vor allem mit dem Verbraucherschutzausschuss, noch die Möglichkeit, über Einzelheiten ausführlich zu sprechen. Ich gehe davon aus, dass das in Form von Anhörungen oder erweiterten Berichterstattergesprächen geschehen wird. Jedenfalls haben wir hier es - quer durch alle interessierten Ausschüsse - in der Hand, die Landplage der unerwünschten Telefonanrufe einzudämmen. Ich biete an und freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Herzlichen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Karin Binder hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat im August 2007 eine repräsentative Forsa-Umfrage vorgelegt, die hier heute schon angesprochen worden ist. Danach wurden 64 Prozent der Befragten schon mindestens einmal ohne ihre Einwilligung von einem Unternehmen angerufen. Bei den über 65-Jährigen waren es 78 Prozent. Das zeigt, wer vor allem betroffen ist. 86 von 100 Befragten fühlten oder fühlen sich durch unlautere Telefonwerbung belästigt. Bereits im Juli 2007 habe ich in diesem Hause auf die Folgen dieser unerwünschten Anrufe hingewiesen. Insbesondere ältere Menschen werden durch diese unlauteren Werbemethoden oft über den Tisch gezogen und verfangen sich in Verträgen, die sie unter reellen Bedingungen nicht abgeschlossen hätten. Auch unerfahrene jüngere Kunden oder Menschen mit Migrationshintergrund und Sprachschwierigkeiten gehen in diese Telefonfalle und wissen sich hinterher nicht mehr zu wehren. Seit geraumer Zeit sind wir uns mit vielen anderen verbraucherpolitischen Akteuren einig, dass hier etwas passieren muss. Auch die Regierungskoalition hat dies erkannt und aufgenommen. Wer jedoch nun angenommen hat, dass die Regierung daraus rasche Schlussfolgerungen ziehen würde, wurde enttäuscht. Es hat mehr als zwei Jahre gedauert. Es wurde herumgedoktert, um nun wieder einmal mehr ein halbherziges Ergebnis zu präsentieren. ({0}) Blicken wir noch einmal zurück: Im Januar 2007 stellte der VZBV fest, dass die Zahl unerbetener Werbeanrufe seit Inkrafttreten des gesetzlichen Verbotes sogar noch angestiegen war. Im ersten Quartal 2006 wurden offenbar 82,6 Millionen unaufgeforderte telefonische Werbekontakte festgestellt. Das bedeutet 800 000 Anrufe pro Tag. In der Zwischenzeit sind zwei Jahre vergangen. Wir können davon ausgehen, dass sich an dieser Situation und an der Zahl dieser Anrufe nicht viel verändert hat. Nun liegt uns ein Gesetzentwurf vor. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass nach langwieriger Abstimmung zwischen Justizministerium und Verbraucherschutzministerium endlich ein Vorschlag auf dem Tisch liegt. Es wurden auch einige Verbesserungen am ursprünglichen Entwurf vorgenommen. Unter anderem muss bei Werbeanrufen jetzt wirklich die Rufnummer des Anrufenden angezeigt werden. Auch die Widerrufsrechte werden ausgeweitet, womit ein besserer Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Kostenfallen auch im Internethandel erreicht werden soll. Aber ich stelle fest, dass wesentliche Änderungsvorschläge, insbesondere von der Verbraucherzentrale Bundesverband und auch von der Konferenz der Verbraucherschutzminister der Länder, keinen Eingang gefunden haben. Die Regierung muss sich schon fragen lassen, warum der Gesetzentwurf gerade die Maßnahmen ausspart, die im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ({1}) am wirkungsvollsten ({2}) - die werde ich Ihnen gleich sagen ({3}) gegen die telefonische Dauerbelästigung wären. Es geht vor allem darum, die Menschen überhaupt vor solchen unlauteren Anrufen zu schützen. ({4}) Es handelt sich um ein Eindringen in die Privatsphäre der Wohnung. Die Unannehmlichkeiten, die sich daraus ergeben können, sollten gar nicht erst entstehen. ({5}) - Bitte gedulden Sie sich, liebe Kollegin. Ich fand die Erklärungen von Herrn Staatssekretär Hartenbach nicht sehr logisch. ({6}) Die Telefonanrufe kommen trotz Widerrufsrechts oder Widerruffrist und Ähnlichem in die Wohnungen. Die Maßnahmen, die möglich wären, ergreifen Sie nicht. Ich möchte zwei zentrale Defizite aufzeigen. Verträge aus unerwünschten Werbeanrufen müssen nichtig sein, solange der Kunde sie nicht schriftlich bestätigt hat. Sie werden aber nicht nichtig. Sie gestatten, dass unlautere Werbeanrufe zu Verträgen führen. Die Menschen müssen aktiv werden, wenn sie diese Verträge nicht haben wollen. ({7}) Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Leute, die den Vertrag haben wollen, können aktiv werden. Sie haben nicht das Problem, dass sie aufgrund fehlenden Verständnisses für solche Geschäfte möglicherweise Fehler machen. ({8}) Dieser Standpunkt wird auch von den Verbraucherschutzministern der Länder vertreten. Die Bundesregierung will die telefonischen Vertragsabschlüsse jedoch weiter dulden und ein 14-tägiges Widerrufsrecht ohne Angabe von Gründen einräumen. Das ist wenigstens was - das gestehe ich zu -, aber in meinen Augen ist das nicht das Optimale. Der zweite große Mangel ist das viel zu niedrige Bußgeld. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich gebe Ihnen recht: 10 000 bis 50 000 Euro Bußgeld reißen es nicht. Das zahlen die Unternehmen aus der Portokasse. Das ist in meinen Augen ein großer Fehler. Wenn die Verbraucherzentrale Bundesverband schon heutzutage Unterlassungserklärungen erwirkt, bei denen im Falle des Verstoßes 250 000 Euro Ordnungsgeld zu zahlen sind, dann frage ich mich, wieso die Regierung das Bußgeld für die Unternehmen auf 10 000 bis maximal 50 000 Euro reduzieren will. Aus unserer Sicht wäre die Gewinnabschöpfung die einzig wirksame Maßnahme, die Maßnahme, die tatsächlich wehtäte und verhindern würde, dass unlautere Anrufe stattfinden. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wenn die Firmen davon ausgehen müssen, dass es wehtut, dann werden sie es bleiben lassen. Nur so sortieren wir die schwarzen Schafe aus. Damit beende ich meinen Beitrag und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär! Frau Staatssekretärin! Wir haben in der Debatte gehört: Gegen das gesetzliche Verbot der Telefonwerbung wird täglich tausendfach verstoßen. Ein Großteil der Bevölkerung, darunter auch Frau Leutheusser-Schnarrenberger, fühlt sich durch diese unerlaubten Telefonanrufe belästigt und in der Privatsphäre gestört. ({0}) Noch schlimmer als die Belästigung durch Telefonanrufe ist jedoch der Schaden, der durch untergeschobene Verträge zustande kommt, also Abzocke durch Werbeanrufe. Sie alle bekommen, wenn Sie sich mit Verbraucherschutz beschäftigen, Briefe des Inhalts in Ihr Wahlkreisbüro: Eine alte Frau, die nicht einmal einen Computer besitzt, hat einen Vertrag über eine Internet-Flatrate abgeschlossen. Kunden, die glauben, sie hätten mit der Telekom telefoniert, haben danach einen zweiten Telefonvertrag mit einem dubiosen Anbieter am Hals. - Hier bestand dringend Handlungsbedarf. Es hat lange gedauert. Aber jetzt hat uns die Bundesregierung etwas vorgelegt. ({1}) Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Nachsehen, wenn sie ungewollte Telefon- oder Lotterieverträge haben. Die sind zwar laut UWG verboten, aber das hindert viele Unternehmen nicht daran, diese Form der Werbung weiterzubetreiben und dann damit Profite zu machen. Das heißt, es liegt ein illegales Verhalten vor, und das wird im Zweifelsfall auch noch dadurch belohnt, dass rechtsgültige Verträge abgeschlossen werden. ({2}) Die Scherereien haben dann die Verbraucherinnen und Verbraucher am Hals; denn sie müssen sich darum kümmern, etwas wieder loszuwerden, was sie eigentlich nie haben wollten. Deshalb haben wir Grünen, die Verbraucherverbände und auch einige Bundesländer immer wieder darauf verwiesen, dass es notwendig ist, im Gesetz zu verankern, dass solche Verträge nur durch eine schriftliche Bestätigung zustande kommen. Auch Horst Seehofer hat uns an verschiedener Stelle immer wieder versprochen, dass wir auf einem guten Weg hin zur gesetzlichen Verankerung dieser schriftlichen Bestätigung seien. ({3}) Die Bundesregierung hat in dem vorliegenden Gesetzentwurf leider nichts zur Frage der schriftlichen Bestätigung gesagt, ({4}) aber - das müssen ja auch wir Grüne als Oppositionspartei anerkennen - einiges hat sich schon verbessert: Die Einführung eines Bußgeldes bei Rufnummernunterdrückung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Leider ist es in der Realität so, dass es schwer nachweisbar ist, dass wirklich eine Rufnummer unterdrückt wurde. Ich mache ja kein Beweisfoto vom Display meines Handys, wenn ich angerufen werde. Ein wirklich sehr guter Aspekt ist, dass Zeitschriftenabos und Lotteriedienstleistungen in Zukunft auch widerrufen werden können. Ich kann Ihnen ein kleines Beispiel aus der Zeit nennen, als ich noch kein Geld und keinen Fernseher hatte: Nach dem Anruf eines sehr eloquenten Herrn von TV Spielfilm hatte ich plötzlich eine Fernsehzeitschrift abonniert. ({5}) Richtig ist auch, dass in Zukunft ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50 000 Euro bei einem Verstoß gegen das Verbot von unerlaubten Werbeanrufen gesetzlich vorgesehen ist. Man muss aber sagen: Das eigentliche Problem wird nicht angegangen. Verbraucherinnen und Verbraucher werden nämlich weiterhin nicht wirksam vor Abzocke geschützt. Das würde nur funktionieren, wenn man die Lösung mit einer verpflichtenden schriftlichen Bestätigung wählen würde. Dieser Ansatz wirkt präventiv. So könnte dafür gesorgt werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht hinterher Scherereien damit haben, wie sie Verträge, die sie gar nicht wollten, wieder loswerden. ({6}) Die Bundesländer NRW und Bremen haben das Problem erkannt und haben jeweils mit Unterstützung der Union den Weg hin zur gesetzlichen Verankerung einer schriftlichen Bestätigung eingeschlagen. Man kann der neuen Verbraucherschutzministerin nur sagen, hier hätte sie die Chance, ein deutliches Zeichen für den Verbraucherschutz zu setzen. Ich fordere sie deshalb auf - sie wird es im Protokoll nachlesen können -, sich so, wie es ihr Vorgänger angekündigt hat, für die gesetzliche Verankerung einer schriftlichen Bestätigung einzusetzen. ({7}) In diesem Zusammenhang möchte ich gerne Margaret Thatcher zitieren. Ich zitiere ja gerne konservative Politiker. ({8}) Sie sagte nämlich: If you want anything said - ask a man. If you want something done - ask a woman. ({9}) Horst Seehofer hat über die Frage der schriftlichen Bestätigung geredet. Es ist jetzt an Frau Aigner, zu handeln. Ich danke Ihnen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dirk Manzewski hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde der Rechtspolitik! ({0}) Es ist ein schöner Tag für mich heute, und zwar deshalb, weil ich feststellen kann, dass sich im Grunde genommen alle fraktionsübergreifend mit diesem Thema beschäftigen. Das erfreut mich. Es ist nämlich noch gar nicht so lange her, dass das hier im Hause völlig anders war. Dass wir uns nun überhaupt darüber unterhalten, hat etwas damit zu tun, dass wir Regularien haben, die deutlich machen, dass Telefonwerbung nicht erlaubt ist. Das ist Rot-Grün zu verdanken: Die Regularien wurden nämlich damals gegen den erheblichen Widerstand anderer Fraktionen eingeführt. Ich schaue hierbei insbesondere ganz nach rechts. ({1}) Es ist ja berechtigt, dass jetzt alle Fraktionen diese Auffassung teilen. Es ist ja wirklich so, dass sich unerwünschte Telefonwerbung für die Verbraucher in letzter Zeit zu einer immer schlimmer werdenden Belästigung entwickelt hat. Insbesondere die Zahl der in diesem Zusammenhang untergeschobenen Verträge, bei denen einfach ein Vertragsschluss behauptet wird, hat extrem zugenommen. Das gilt insbesondere für die angeblichen Wechsel von Strom- oder Telefonanbietern. Es ist richtig, dass sich die Bundesregierung dieser Problematik angenommen hat. Sie will diese lösen, indem sie beim Widerrufsrecht ansetzt und es in der Form neu regelt, dass es nicht gleich durch die erstmalige Inanspruchnahme einer Dienstleistung erlischt. In der Vergangenheit war es ja oft vorgekommen, dass Verbraucher erst durch zugesandte vermeintliche Auftragsbestätigungen darauf aufmerksam gemacht wurden, dass ihre telefonische Einwilligung zur Zusendung von Informationsmaterial einfach frech als Vertragsschluss ausgelegt worden ist und ihr Widerrufsrecht zwischenzeitlich, weil sie beispielsweise schon unbemerkt ein anderes Telefonnetz nutzten, entfallen war. Ergänzt werden soll diese Maßnahme der Bundesregierung dadurch, dass von nun an die Kündigung eines solchen Dauerschuldverhältnisses bzw. die Vollmacht hierzu der Schriftform bedarf. Dies lässt mich erneut die Frage aufwerfen - Herr Kollege Hartenbach hat schon im Vorfeld darauf reagiert -, warum wir die aufgrund eines Cold Calls fernmündlich abgeschlossenen Verträge nicht grundsätzlich vom Kunden bestätigen lassen. Worum geht es dem Telefonwerber letztlich? Es geht ihm um den Abschluss eines Vertrages. Setzen wir grundsätzlich bei dessen Wirksamkeit an, dann werden wir feststellen, wie schnell diese Werbeanrufe uninteressant werden. Man muss eines deutlich sagen: Die Telefonwerber setzen doch gerade darauf, dass den Betroffenen die ihnen zustehenden Regularien nicht bekannt sind oder dass sie sie nicht einsetzen. Das wird von vornherein mit einkalkuliert. Nun wird entgegengehalten - der Herr Staatssekretär hat das gemacht, weil er genau wusste, was ich hier ausführen werde -, dass eine solche Regelung dem Geschäftsverkehr abträglich sei und es schwer zu beweisen sei, ob es sich hierbei um einen Cold Call handelt. Er hat allerdings schlechte Beispiele gewählt; denn ich gehe davon aus, Frau Klöckner, dass Ihr Bruder die Erlaubnis hat, Sie anzurufen. ({2}) Ich gehe auch davon aus - so schätze ich Ihre Familie ein -, dass Ihr Bruder nur Kunden anruft, ({3}) von denen er vorher die Einwilligung dazu erhalten hat. Ich frage Sie ernsthaft, Herr Staatssekretär: Was ist denn der schriftliche Nachweis für die Kündigung des alten Vertrages im Zusammenhang mit dem Wechsel eines Dauerschuldverhältnisses - ich sage ausdrücklich: in Schriftform - anderes als eine solche Bestätigung des Willens des Kunden? Warum soll das, was bei der Mehrzahl der unerlaubten Werbeanrufe möglich ist, nicht allgemein Gültigkeit erhalten? Das verstehe ich nicht. Wir reden - auch das ist nicht ganz deutlich geworden - hier wie dort nur von Verträgen, die aufgrund sogenannter Cold Calls, also nur durch unerwünschte Anrufe durch den Werbenden zustande gekommen sind. Im Streitfall ist es völlig anders, als Sie es dargelegt haben. Im Streitfall müsste nämlich zunächst der Werbende, der sich auf die Gültigkeit eines Vertrages beruft, beweisen, dass eine Einwilligung zum Anruf bestand bzw. der Verbraucher derjenige gewesen ist, der ihn zuvor angerufen hat. Wenn ich lese - das wurde auch von Ihnen vorgetragen -, dass sanktionsrechtlich Werbeanrufe von jetzt an nur noch erlaubt sein sollen, wenn zuvor eine ausdrückliche Einwilligung hierzu vom Kunden erteilt worden ist - sanktionsrechtlich soll eine konkludente Einwilligung also nicht mehr ausreichen -, dann geht auch das - seien wir ehrlich - genau in diese Richtung. Im Übrigen würden wir hierdurch das Paradoxon vermeiden, dass der unerlaubte Werbeanruf einerseits mit einem Bußgeld sanktioniert wird, andererseits aber das gegebenenfalls negative Rechtsgeschäft für den Verbraucher zunächst gültig bleibt und nicht von Anfang an unwirksam ist. Ich sage auch deutlich, dass ich zugegebenermaßen eine Art Déjà-vu empfinde. Wenn wir nämlich das bestehende Widerrufs- und Rückgaberecht nunmehr auch auf Verträge zur Lieferung von Zeitungen und Zeitschriften oder zur Erbringung von Lottodienstleistungen ausweiten, dann finde ich das richtig, zumal ich schon in der Vergangenheit darauf hingewiesen habe und auch die Ungleichbehandlung moniert habe. Ich erinnere mich allerdings dunkel daran, dass auch dies seinerzeit als nicht praktikabel und dem geschäftlichen Verkehr abträglich dargestellt worden war. Lassen Sie mich abschließend noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn die Bundesregierung nun die Verpflichtung zur Rufnummernanzeige vorschlägt, dann mag dies sicherlich helfen, um den Initiator des Anrufs zu identifizieren. Ich befürchte allerdings, dass die Angerufenen gleichwohl nicht die Verbraucherschutzverbände informieren werden, da dies - bei allem Ärger über den Anruf und unabhängig von der Beweisfrage, wer angerufen hat - für sie mit weiterem Aufwand verbunden ist. Es wurde auch nicht angesprochen - das haben wir in internen Gesprächen von Fachleuten erfahren -, dass Rufnummernanzeigen manipuliert werden können. Von daher wird das Vorhaben insbesondere dann nicht weiterhelfen, wenn sich der Anrufer im Ausland aufhält, was uns in der Zukunft verstärkt erwarten wird. In diesem Zusammenhang finde ich den Vorschlag übrigens nicht gut, dass statt der Nummer des Callcenters auch diejenige des Auftraggebers im Display erscheinen kann. Abgesehen davon, dass es den Verbraucherschutzverbänden oder Mitbewerbern meiner Auffassung nach nicht zuzumuten ist, den Streit darüber auszutragen, ob tatsächlich die Beauftragung eines Callcenters erfolgt ist und, wenn ja, in welchem Umfang, will ich die Callcenter nicht aus der Verantwortung entlassen; denn sie haben meiner Auffassung nach mit ihrem Auftraggeber vorab abzuklären, ob es sich um einen Cold Call handelt. Denn - da beißt die Maus keinen Faden ab - es sind letztendlich die Callcenter, die diese belästigenden Anrufe tätigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben verschiedene Gesetzentwürfe, übrigens auch einen Antrag der Grünen. Diesen haben Sie vorhin gar nicht erwähnt, Frau Kollegin. Wir haben den Antrag der FDP-Fraktion, der teilweise wortgleich ist mit dem jetzigen Vorschlag der Bundesregierung. Das hat mich schon sehr interessiert, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Als der Referentenentwurf vorgelegt wurde, haben Sie interessanterweise quasi diesen Entwurf ganz schnell ins Plenum eingebracht. Ich halte alle drei für sehr interessant. Ich würde nicht so borniert sein und sagen, dass ich den Stein der Weisen gefunden habe. Dazu ist das Problem viel zu komplex und viel zu diffizil. Wir werden uns zusammensetzen. Sie wissen, dass ich dazu auch stehe, wenn ich so etwas ankündige. Wir werden versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden, und zwar - so hoffe ich - im Sinne der Betroffenen und ich gehe davon aus, dass ich auf intensive Diskussionen und Unterstützung bei diesen Beratungen mit Ihnen zählen kann. Das war es. Ich danke Ihnen, und ich freue mich auf interessante Beratungen mit Ihnen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Julia Klöckner das Wort für die CDU/CSUFraktion.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Staatssekretärin! Verehrte Herren Staatssekretäre! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Wir haben doch zwei. Eins und eins ergibt zwei. ({1}) - Ich habe Frau Heinen bereits als liebe Staatssekretärin tituliert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele CallcenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wissen seit Wochen und Monaten, wie es sich anfühlt, einer Berufsgruppe anzugehören, deren Beliebtheit sich am unteren Ende der Skala befindet, so etwa zwischen Gebrauchtwagenhändler und Politiker. Es gibt Tausende von CallcenterMitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die einen ordentlichen Job machen, die genau die Dienstleistung erbringen, die sich Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen. Zudem ist eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in Deutschland in der Callcenter-Branche beheimatet. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die schwarzen Schafe herausziehen, die die ganze Branche schädigen, und dass wir vor allen Dingen den schwarzen Schafen das Handwerk legen, die uns allen unsere Nerven kosten und die vor allen Dingen Menschen überrumpeln, die etwas schwächer in der Auseinandersetzung sind, oft auch ältere Menschen. Es werden nämlich bewusst Seniorenlisten unter den schwarzen Schafen der Callcenter ausgetauscht, um diese Senioren zu überrumpeln. Wir kennen alle das Beispiel einer älteren Dame - dieses hat Frau Maisch erwähnt -, die zu einem Internetanschluss kam, obwohl sie überhaupt keinen Computer besaß. Das ist meines Erachtens bodenlos und nicht in Ordnung. Das wirft natürlich ein schlechtes Licht auf die Branche. Deshalb ist heute ein guter Tag für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch ein guter Tag für die Unternehmerinnen und Unternehmer, die in dieser Branche ihren Beruf ordentlich ausüben. Wir werden heute noch - ich schaue zur Frau Kollegin Krogmann - das Telekommunikationsgesetz debattieren bzw. zu Protokoll geben. In diesem Gesetzentwurf haben wir eine Passage untergebracht, die auch Herr Krings bereits erwähnt hat, nämlich zum Thema Textform. Damit wollen wir das sogenannte Slamming, das Unterschieben von Verträgen, unterbinden; denn es kam nicht selten vor, dass eine Telefongesellschaft behauptete, dass ein Verbraucher einen Vertrag gekündigt habe. Das konnte man lange Zeit behaupten. Jetzt soll die Textform vorgeschrieben sein. Wir müssen darauf achten, dass diese Textform nicht zum Beispiel von der neuen Firma selbst definiert wird, sondern dass die Unterschrift desjenigen nötig ist, der kündigen möchte, damit das Ganze auch zu verifizieren ist. Ich bin sehr froh, dass die SPD-Ministerin Zypries, die ich im persönlichen Umgang sehr mag, erkannt hat, dass Handlungsbedarf besteht. Als ich sie vor zwei Jahren auf die Problematik angesprochen habe, dass die unlautere Telefonwerbung zunimmt, bekam ich noch schriftlich zur Antwort - Herr Hartenbach, Ihr Name war als Unterzeichner zu finden -, dass kein Handlungsbedarf bestehe, denn es existiere bereits ein Gesetz. Die Existenz eines Gesetzes allein stellt aber noch lange nicht sicher, dass das Gesetz gut ist. Stichwort UWG. Wir haben noch ziemlich viele Regelungslücken, durch die die schwarzen Schafe schlüpfen können. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir hier gemeinsam vorangegangen sind und endlich diesen Gesetzentwurf vorlegen. Ich möchte aber auch betonen - leider gibt es nur noch wenige Besucher auf der Zuschauertribüne -, dass wir diese unlauteren und belästigenden Werbeanrufe nicht gänzlich unterbinden können. Denn eines ist klar: Gegen Gesetze wird leider immer verstoßen werden. Auch wenn mit dem vorliegenden Gesetz Verstöße wirksam geahndet werden können, gilt: Diejenigen, die aus dem Ausland anrufen, können nur schwer belangt werden. Um die Anrufe besser verfolgen zu können, darf die Rufnummer in Zukunft nicht mehr unterdrückt werden. Aber diejenigen, die die Rufnummer unterdrücken, können nur sehr schwer ermittelt werden. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass wir unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Rechte klarmachen. Deswegen, Frau Staatssekretärin Heinen, wäre es gut, wenn das Verbraucherschutzministerium mit der Ministerin an der Spitze eine entsprechende Kampagne fahren würde, um die Verbraucherinnen und Verbraucher aufzuklären. Frau Zypries hat etwas Ähnliches angedeutet. Wenn wir aus den beiden Haushalten eine solche Aufklärung gemeinsam finanzieren könnten, dann wäre das sicherlich prima. ({2}) Liebe Frau Maisch, ich bedanke mich für Ihren konstruktiven Debattenbeitrag und dafür, dass Sie die Punkte, die Sie gut fanden, auch angesprochen haben. Sie haben betont, dass Frauen nicht nur reden, sondern auch handeln. Es ist schade, dass diese Entwicklung erst mit der neuen Legislaturperiode eingesetzt hat. Wir hätten uns gewünscht, dass Ihre Ministerin Frau Künast damals gehandelt hätte. ({3}) Denn damals gab es dieses Problem ebenfalls schon; auch das UWG war schon ein Thema. Sie haben sich damals aber mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss, bevor der Tumult endgültig ausbricht. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das freut mich. Wenn Sie mich zitieren, können Sie nur dazugewinnen. Ich wünsche uns allen möglichst geruhsame Abende ohne belästigende Anrufe. Denjenigen, die in der Callcenterbranche ordentlich arbeiten, wünsche ich viel Spaß bei der Arbeit. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wünsche ich, dass sie einen guten Service bekommen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/10734 an die Ausschüsse, die in der Tagesordnung aufgeführt sind, vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlos- sen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Vereinbarte Debatte Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kom- mission für 2009 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link ({0}), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Demokratie und Öffentlichkeit für Europa - Regelmäßige Europa-Fragestunden im Plenum des Deutschen Bundestages - Drucksache 16/8080 Überweisungsvorschlag: Ältestenrat ({1}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es ist vorgesehen, eine Stunde zu debattieren. Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Michael Roth das Wort für die SPDFraktion. ({2})

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Abend, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor einem guten Jahr erstmals über das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission reden durfte, habe ich meiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass 2008 ein gutes Jahr für Europa wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden mit mir sicherlich übereinstimmen, dass sich unsere Hoffnungen nicht so ganz erfüllt haben: das gescheiterte Referendum in Irland, damit verbunden der ins Stocken geratene Ratifizierungsprozess für den Vertrag von Lissabon, der Krieg in Georgien und damit die Krise in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland und nicht zuletzt die Finanzkrise, die das gesamte Ordnungsgefüge innerhalb der Europäischen Union nicht nur infrage gestellt hat, sondern uns alle mit drängenden Fragen konfrontiert hat, auf die wir schnellstmöglich haben eine Antwort finden müssen. Das Legislativ- und Arbeitsprogramm ist nunmehr das Angebot der EU-Kommission an uns, an die Mitgliedstaaten und an die Organe der EU, daran mitzuwirken, wie es im kommenden Jahr weitergehen soll. Wir müssen uns in der heutigen Debatte auch fragen: Wird die EU-Kommission ihrer traditionellen Rolle als Motor der europäischen Integration gerecht? Das Legislativ- und Arbeitsprogramm ist überschrieben mit dem Motto: „Jetzt für ein besseres Europa handeln“. Zum einen kann man feststellen: Die Phrasendreschmaschinen in Brüssel scheinen mindestens genauso gut zu funktionieren wie in Berlin und anderswo. Ich muss fragen: Ist das wirklich ernst gemeint? Denn das Motto „Jetzt für ein besseres Europa handeln“ wird von einer Europäischen Kommission eingefordert, deren Amtszeit sich dem Ende nähert. Wir alle wissen, dass der Gesetzgebungsprozess innerhalb der Europäischen Union in den nächsten Monaten abgeschlossen sein wird. Also dürfte doch zumindest die Frage erlaubt sein: Ist die EU-Kommission diesem Motto in den vergangenen Jahren gerecht geworden? Ich habe da mitunter meine Zweifel. Ich habe aber auch den Eindruck gewonnen, dass die EU-Kommission, wenn man sich das Legislativ- und Arbeitsprogramm genauer anschaut, noch nicht die zukunftsweisenden Antworten gefunden hat, die wir brauchen. Dass die Verantwortung dafür aber nicht allein die EU-Kommission zu tragen hat, darauf komme ich gleich zu sprechen. Ich habe das Stichwort „Finanzkrise“ genannt. Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns? Zum einen erwarten wir eine Flankierung der nationalen Strategien, über die wir im Bundestag ausführlich geredet und gestritten haben. Wir erwarten zum anderen, dass endlich Schluss ist mit dem gnadenlosen Wettbewerb um die niedrigsten Unternehmensteuern. Wir erwarten zudem, dass die Steueroasen innerhalb der Europäischen Union, aber auch innerhalb Europas endlich trockengelegt werden. ({0}) Wir erwarten, dass die Finanzmärkte endlich ordentlich reguliert werden. Der marktradikale Wind, der auch in den Fluren der EU-Kommission im Berlaymont geweht hat, hat sich überlebt. Ich hoffe, dass sich dies in den nächsten Jahren auch für die sich neu zu installierende Kommission als Handlungsmaxime ergibt. Ich begrüße im Namen meiner Fraktion ausdrücklich das Sozialpaket. Es ist der sehr späte Versuch, die soziale Dimension der Europäischen Union nicht nur in Sonntagsreden zu stärken, sondern endlich auch einmal ein paar konkrete Vorschläge zu unterbreiten, was das im tagtäglichen politischen Handeln eigentlich heißt. Es reicht aber nicht, wenn die Betriebsräterichtlinie nur leicht überarbeitet wird. Da muss noch mehr folgen. ({1}) Ein weiterer Schwerpunkt ist die Innen- und Justizpolitik. Wir haben eine Reihe von Richtlinienentwürfen in Aussicht gestellt bekommen: zur Saisonarbeit, zu innerbetrieblichen Versetzungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es geht um bezahlte Auszubildende. Es geht um Migration und um Integration. Die EU-Kommission hat verstanden, dass das zwei Seiten derselben Medaille sind. Das wissen wir auch aus unserem nationalen Handeln heraus. Ich vermisse aber in diesem Zusammenhang beispielsweise Vorschläge der EU-Kommission zur Beendigung der Ausgrenzung von Roma und Sinti. Das ist ein drängendes Problem nicht allein in Mittelosteuropa oder in Südosteuropa. Besonders wichtig ist mir: Wie entwickeln wir das Haager Programm weiter? Finden wir endlich eine verMichael Roth ({2}) antwortungsvolle Balance zwischen Freiheit einerseits und dem Streben nach Sicherheit andererseits? Das Stockholmer Programm ist in Aussicht gestellt. Es muss uns auch im Bundestag in den nächsten Monaten intensiv beschäftigen; denn ich habe den Eindruck gewonnen, dass man es manchmal mit der Terrorismusbekämpfung übertreibt, und ich frage mich, wie man die Bürgerrechte stärker zum Ausdruck bringen kann. ({3}) In diesem Zusammenhang fordern wir, die SPD-Fraktion, dass man die Zuständigkeiten für die Justiz- und die Innenpolitik perspektivisch in der EU-Kommission trennt. Das nutzt den Bürgerrechten. Das ist eine gute Tradition in fast allen Mitgliedstaaten. Davon kann auch die EU-Kommission profitieren, bei der sich mitunter die vielen Kommissare darum schlagen, wer denn nun für welches Dossier und für welches Ressort zuständig ist. Aber all diese Politikbereiche, die ich jetzt genannt habe, beeinflussen auch unmittelbar unser nationalstaatliches Handeln. Das heißt, wie setzen wir uns im Deutschen Bundestag damit auseinander? Werden wir unserer Verantwortung gerecht? Deswegen unterstütze ich im Grundsatz die Initiative der FDP-Fraktion, die gesagt hat: Wenn der Europäische Rat tagt, brauchen wir eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Wir brauchen eine intensive parlamentarische Beratung. Das ist keine Kür, sondern Pflicht. Dazu verpflichtet uns auch die Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung. Ich würde uns allen dazu raten, keine formalen Lösungen zu suchen, sondern politische Lösungen, die dem parlamentarischen Alltag Rechnung tragen. Möglicherweise gibt es einmal einen europäischen Gipfel, bei dem sich eine entsprechende Regierungserklärung erübrigt. Dennoch haben Sie im Grundsatz recht: Die Beratung, die Debatten gehören in die Mitte des Bundestages. Sie müssen von der Bundeskanzlerin auf den Weg gebracht und verantwortet werden, nicht von leitenden Beamten des Bundeskanzleramtes oder des Auswärtigen Amtes. ({4}) Insgesamt umfasst das Programm der Kommission - ich übernehme die Formulierung - 12 strategische Initiativen, 37 vorrangige Initiativen, 33 Vereinfachungsvorschläge, 20 Vorschläge, die man gerne zurückziehen möchte. Bei all diesen Strategien und Initiativen vermisse ich aber die lang und breit angekündigte Übersetzungsstrategie. Ich hätte mir von der Kommission gewünscht und auch von ihr erwartet, dass sie allen nationalen Parlamenten und den Mitgliedstaaten die Hand zum Dialog reicht. Wir brauchen eine umfassende Übersetzung in alle Amtssprachen der Europäischen Union, damit die Abgeordneten ihre Arbeit erledigen können. Das gilt nicht nur für die Amtssprache Deutsch, sondern auch für viele andere Amtssprachen. Wir dürfen das nicht nur in Englisch oder Französisch bekommen. Es ist eigentlich traurig, dass uns das Legislativ- und Arbeitsprogramm bislang nur in Englisch vorgelegt wurde, aber nicht in Deutsch. ({5}) Dennoch lade ich uns alle dazu ein, kritisch und konstruktiv mit dem Programm ins Gericht zu gehen. Ich wünsche uns gute Beratungen und freue mich auf die Vorschläge und Kommentierungen aus den anderen Fraktionen. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning für die FDP-Fraktion. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Michael Roth, hier ist das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission auf Deutsch. Ich weiß nicht, warum ihr es nur auf Englisch bekommen habt. Wie stellen wir uns die Europa-Fragestunde vor, die wir in diesem Antrag vorschlagen? Die Idee ist, dass die Kanzlerin nach jedem Europäischen Rat hier ins Plenum kommt und eine Erklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates abgibt. Danach soll sie sich - das ist das eigentlich Neue an unserem Vorschlag - den spontanen Fragen der Abgeordneten stellen. Wir möchten eben nicht das exerzieren, was wir jetzt bei unseren Fragestunden tun: Spätestens am Freitag sind die Fragen schriftlich einzureichen, dann kann tagelang darüber nachgedacht werden, Formulierungen können ausgefeilt werden; schließlich wird uns von Staatssekretären - ich entschuldige mich bei den anwesenden Staatssekretären - etwas vom Blatt vorgelesen. Das ist die langweiligste Veranstaltung im Deutschen Bundestag. Es ist eine Schande für das Parlament, dass wir das nicht längst geändert haben. Es ist wichtig, dass wir insbesondere beim Thema Europa einmal versuchen, neue Wege zu gehen. Wir wollen eine Debatte, die lebendig ist. Wir wollen das erreichen, was der britische und der schwedische Premierminister längst tun. Wir wollen wie die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten dort das Recht erhalten, hier im Parlament aufzustehen und den Regierungschef tagesaktuell, ohne Vorbereitung, spontan zu befragen, ihn unter Druck zu setzen und eine Debatte zu führen. Wie oft reden wir darüber, dass Europa zu langweilig ist, dass zu wenig passiert, dass sich niemand für Europa interessiert! Dann machen wir Europa spannend. Lieber Michael Roth, es handelt sich hier um mehr als einen formalen Vorschlag; es handelt sich um etwas, mit dem wir das Interesse der Menschen für Europa durchaus besser wecken können als zurzeit. Machen wir eine spannende Debatte, live im deutschen Fernsehen übertragen, sodass die Leute wirklich sehen können, was die Regierungschefin oder der Regierungschef zu sagen hat, auch unter dem Druck der drängenden Fragen der Abgeordneten. Das wäre etwas Neues. Ich glaube, der Deut19890 sche Bundestag sollte an dieser Stelle einmal etwas Neues ausprobieren. ({0}) Dahinter steckt aber mehr als das Thema Europa und die Absicht, das Parlament spannender zu machen. Dahinter steckt - das ist etwas sehr Ernsthaftes -, dass wir unserem Anspruch gerecht werden müssen, die europäische Politik und das Agieren der Bundesregierung in den Räten zu kontrollieren. Wir haben eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht und eine Reihe von Verbesserungen erreicht. Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag ist schon angesprochen worden. Von der Kommission, aber auch von der Bundesregierung werden wir inzwischen früher und besser informiert. Wir führen unsere Debatten über europäische Initiativen gerade in den Ausschüssen zum Teil deutlich früher. Aber, meine Damen und Herren, reicht das, um unserem Anspruch auf demokratische Kontrolle dessen, was in Brüssel passiert, gerecht zu werden? Ist das Maß an Transparenz, das wir herstellen, ausreichend? Oder müssen wir als Abgeordnete einen höheren Anspruch an uns selber haben und die Dinge, die in Brüssel hinter verschlossenen Türen passieren, als Parlament transparenter darstellen? Ich glaube, diesen Anspruch sollten wir haben. Wir sind es den Wählerinnen und Wählern, den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland schuldig, dass wir europäische Politik transparent machen. ({1}) Ich will in diesem Zusammenhang an das MaastrichtUrteil des Bundesverfassungsgerichts erinnern. Es gibt uns nämlich genau das auf: demokratische Kontrolle auszuüben und europäische Politik transparent zu machen. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Antrag, um Unterstützung für unser Anliegen. Ich freue mich auf konstruktive und spannende Debatten in den Ausschüssen. Lassen Sie mich einen Punkt des Arbeitsprogramms herausheben, den ich für zentral halte - diesem Punkt räumt die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm zu Recht einen weiten Raum ein -: das Thema Wirtschaft und Finanzen. Ich glaube, dass das nächste Jahr politisch von der Bewältigung der Finanzkrise dominiert sein wird. Das ist das Thema, mit dem wir uns im nächsten Jahr auseinandersetzen müssen, auf der nationalen, aber insbesondere auf der europäischen Ebene. Man sollte klar sagen, dass Elemente der Konstruktion Europas, gerade die Europäische Zentralbank und der Euro, in dieser Finanzkrise Stabilitätsanker gewesen sind. Stellen wir uns vor, wir hätten verschiedene nationale Währungen gehabt und die nationalen Regierungen hätten völlig unkoordiniert auf die Finanzkrise reagiert. Meine Damen und Herren, das wäre ein Desaster geworden. Wir können froh sein, dass wir den Euro haben, und wir können froh sein, dass gemeinsam gehandelt worden ist. ({2}) Wir sollten diesen erfolgreichen Kurs konsequent fortsetzen. Das heißt aus meiner Sicht, dass wir explizit die Länder einladen, der Euro-Zone beizutreten, die das könnten, zum Beispiel Schweden, Dänemark und Großbritannien, auch wenn die Briten ein bisschen skeptisch sind. Wir sollten die Einladung aussprechen, jetzt beizutreten, und die Euro-Zone dadurch vergrößern. Zum Binnenmarkt im Finanzbereich formuliert die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm eine ganze Reihe von Vorschlägen. Im Finanzbereich funktioniert der Binnenmarkt nur teilweise. Das ist einer der Gründe für diese Krise. Wir haben Banken, die miteinander eng im Geschäft sind - auf der Bankenseite funktioniert der Binnenmarkt -, aber die Kommunikation zwischen den Aufsichtsbehörden funktioniert nicht. 70 verschiedene Behörden kontrollieren den Finanzsektor im Binnenmarkt. Das geht nicht. Bei der Hypo Real Estate haben wir gesehen, wie schlecht die Kommunikation zwischen den verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden ist. Einer der Gründe für diese Finanzkrise war, dass die europäische Bankenaufsicht nicht funktioniert hat. Da besteht dringender Handlungsbedarf. Das College of Supervisors, dessen Einrichtung jetzt vereinbart worden ist, kann nur ein erster Schritt auf diesem Weg sein. Wir brauchen mehr. Wir brauchen gleiche Standards hinsichtlich der Transparenz von Finanzprodukten. Diese Forderung richtet sich insbesondere an unsere britischen Freunde, die ich von dieser Stelle aus noch einmal auffordere, sich den Standards der anderen anzunähern und anzupassen. Wir brauchen gleiche Standards bei der Unterlegung mit Eigenkapital, bei der Haftung und auch bei der persönlichen Verantwortung. ({3}) Insgesamt brauchen wir gemeinsame Regeln und gleiche Standards in einem funktionierenden Binnenmarkt. Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich etwas zur persönlichen Verantwortung: Zu einer funktionierenden Marktwirtschaft gehören persönliche Verantwortung und persönliche Haftung. Das können wir nicht ignorieren. Diese Konsequenz aus der Finanzkrise müssen wir europaweit durchsetzen. Wir sollten auch über die EU hinausschauen. Nutzen wir die Chance, jetzt gemeinsam die Amerikaner unter Druck zu setzen, ihre Geldpolitik zu ändern! Die europäische, an Geldwertstabilität orientierte Geldpolitik war erfolgreich, die amerikanische Geldpolitik hat zur Krise geführt. Nutzen wir die Chance, Druck auf die Amerikaner auszuüben, dass sie ihre Geldpolitik in unserem Sinne verändern! Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Nutzen wir die Chance, die in dieser Krise steckt, um Europa im Finanzbereich und im Wirtschaftsbereich vorwärtszuentwickeln, gemeinsam zu handeln und gemeinsam aus dieser Krise zu kommen! Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Frage aufklären, wieso der eine Kollege ein englisches Exemplar hatte, andere aber schon über das deutsche Exemplar des Arbeitsprogramms verfügen. Das liegt an Folgendem: Auch ich habe am Montag recherchiert und es nur auf Englisch gefunden. In der Zeit von Montag bis Mittwoch wurde es offensichtlich übersetzt. Auch mir liegt inzwischen das deutsche Exemplar vor. ({0}) Dies zeigt einmal mehr, wie berechtigt und wie sinnvoll der Antrag war, der unter der Federführung von Hans Peter Thul und Michael Roth zur Übersetzungsstrategie der Europäischen Union gestellt und hier von uns einstimmig verabschiedet wurde. Denn in diesem Punkt sind wir immer noch nicht am Ende angekommen. ({1}) Wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, wie das Legislativund Arbeitsprogramm der Kommission im Frühjahr dieses Jahres aussah, und mir jetzt die aktualisierte Version vom 5. November ansehe, finde ich eine begrüßenswerte Konzentration auf und eine Priorisierung von Themen, die wichtig sind, etwa in dem Maße, wie Kollege Löning es vorgetragen hat. Zunächst einmal erwarten die Menschen schlicht und ergreifend angesichts dessen, was sich in den letzten Wochen und Monaten ereignet hat, dass auch die Kommission ihren Beitrag dazu leistet, dass die Finanz- und Bankenkrise möglichst bald bewältigt wird. Das ist richtig. Das Ganze wird kombiniert mit den Themen Klima, Umwelt und Energie, bei denen die Kommission und auch wir als Bundesrepublik Deutschland uns ehrgeizige Ziele gesetzt haben. Beim Arbeitsprogramm der Kommission konzentriert man sich auf das, was tatsächlich machbar ist. Wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, was ebenfalls im Frühjahr im Europäischen Parlament zu diesem Thema beschlossen wurde, und mir vor dem geistigen Auge vergegenwärtige, wie das Arbeitsprogramm ausgesehen hätte, wenn man all das, was dort als Mangel charakterisiert wurde, in das Arbeitsprogramm gepackt hätte, dann hätte das Arbeitsprogramm nicht nur bis einschließlich 2009, sondern bequem bis 2019, vielleicht sogar bis 2090 gereicht. Insofern ist es sinnvoll, wenn man sich konzentriert und Prioritäten setzt. Ich will auch ein paar Worte zu dem Antrag, den uns die FDP vorgelegt hat, sagen. In der Analyse, Herr Kollege Löning, sind wir uns weitgehend einig, dass der Ministerrat an Bedeutung gewinnt und dass das im Deutschen Bundestag zu einer intensiveren Befassung mit diesen Themen führen muss. Die Frage ist nur, wie wir es machen. Da bin ich eher beim Kollegen Roth denn bei Ihnen. Richtig ist, dass die Kanzlerin nach einem Europäischen Rat selbstverständlich eine Regierungserklärung abgibt. Das hat sie bisher immer getan; das haben auch ihre Vorgänger immer getan. ({2}) Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, Herr Kollege Löning - dafür war die heutige Ausschusssitzung eigentlich ein guter Beweis -, wie lange wir uns mit der Unterrichtung über die verschiedenen Räte befasst haben und dass schlussendlich die weiteren Punkte der Tagesordnung - Herr Kollege Steenblock, „Schweinsgalopp“ war zu Recht Ihre Wortwahl - im Schweinsgalopp bewältigt werden mussten. Wenn wir uns einmal vorstellen, wir machen das nicht mit 25 oder 30 Leuten im Europaausschuss, mit dem zuständigen Staatsminister des Auswärtigen Amtes oder einem Staatssekretär, sondern wir machen das mit 612 Kolleginnen und Kollegen und mit der Frau Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages, dann muss ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht, ob das Ergebnis für all diejenigen, die dann eine Frage stellen möchten, so befriedigend ausfällt, wie man sich das jetzt denkt. ({3}) Ich glaube eher, dass das Gegenteil richtig ist. ({4}) - Ich habe keinen Zweifel, dass die Frau Bundeskanzlerin mit diesen Fragen umgehen kann. Es stellt sich aber die Frage, ob wir selbst als Parlamentarierinnen und Parlamentarier uns mit einer solchen Einrichtung einen Gefallen tun würden. Ich glaube, nein. An dieser Stelle möchte ich Ihnen persönlich sagen: Wenn wir im Deutschen Bundestag mehr Transparenz herstellen wollen, dann wäre ich für den Vorschlag offen, bei uns selbst anzufangen. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir die Fragestunde, in der die Kolleginnen und Kollegen unter anderem die Möglichkeit haben, Anliegen aus ihren Wahlkreisen vorzutragen und darüber mit Vertretern der Bundesregierung zu diskutieren, im deutschen Fernsehen übertragen. Ich hätte damit kein Problem. ({5}) Das wäre im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und ein Beitrag zu mehr Transparenz. Allerdings habe ich erhebliche Zweifel, ob wir uns und den Bürgerinnen und Bürgern einen Gefallen tun würden, wenn wir eine zusätzliche Institution, eine Europa-Fragestunde, schaffen würden. ({6}) Ich glaube, das bisherige System, das Gremium des Europaausschusses zu nutzen, um uns mit der Bundesregierung auszutauschen, die Ergebnisse anschließend abseits von Regierungserklärungen in den parlamentarischen Betrieb einzuspeisen und zum Anlass zu nehmen, im Deutschen Bundestag Debatten über diese Themen zu führen, ist der richtigere und der zielführendere Weg. Ansonsten würden wir uns in Dingen verzetteln, die sich gut anhören, die aber mit Sicherheit nicht die Ergebnisse liefern, die man sich von ihnen erhofft hat. Ich sage noch einmal: In der Analyse sind wir uns weitgehend einig. Was die Durchführung betrifft, so glaube ich allerdings nicht, dass wir mit zusätzlichen institutionellen Formen im Geschäftsbetrieb des Deutschen Bundestages zu einem sinnvollen Ergebnis kommen. Herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Alexander Ulrich das Wort. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Roth, hier wurde schon über den Titel des Arbeitsprogramms diskutiert. Ich denke, eigentlich müssten wir das Arbeitsprogramm mit der Frage „Wie führt man Europa aus der Krise?“ überschreiben. Wenn man sich die Ereignisse dieses fast abgelaufenen Jahres vor Augen führt - Stichworte: Georgien-Konflikt, Mittelmeerunion, Finanzmarktkrise, BarcelonaProzess, Umgang mit dem Nein der Iren -, dann muss man feststellen, dass sich Europa in den letzten Jahren, wenn es um die Bewältigung von Krisen ging, selten so wenig einig gezeigt hat. Das hat dazu geführt, dass die Menschen immer mehr Abstand zu diesem Europa gewinnen. Sie haben keinen Glauben mehr daran, dass dieses Europa, die europäischen Regierungen und die Europäische Kommission handlungsfähig sind und die Bevölkerungen der Länder Europas aus der Krise führen können. Eigentlich hätte man sich dieses Papier sparen können. Denn was wollen wir noch erwarten? In einem halben Jahr finden Europa-Wahlen statt. Die Kommission weiß, dass sie sich im Prinzip in ihrer Abschluss- bzw. Ehrenrunde befindet. Bald wird es eine neue Kommission geben. Von der jetzigen Kommission können wir im nächsten Jahr nicht mehr viel erwarten. Wir können nur hoffen, dass sie Wege aufzeigt, wie die genannten Probleme gelöst werden können. Dass keiner meiner Vorredner das Nein der Iren angesprochen hat, zeigt, dass auch wir diese Probleme nicht richtig wahrnehmen. Es ist noch nicht allzu lange her, da haben auch Sie die deutsche Bundeskanzlerin dazu beglückwünscht, dass sie es während der deutschen Ratspräsidentschaft geschafft habe, die europäischen Verträge zu retten. Ich glaube, damals hat man zu früh applaudiert. Denn heute wissen wir, dass wir aus dieser Sache nicht einfach dadurch herauskommen, dass wir die Iren so lange abstimmen lassen, bis das Ergebnis stimmt. ({0}) Langsam frage ich mich: Wo bleiben die Vorschläge, die eure Fraktionen der EU-Kommission zur Lösung dieses Problems vorlegen wollen? Die Situation ist relativ einfach - wir haben das schon vor zwei Jahren gesagt -: Man wird für diese Verträge keine Mehrheit bekommen. Dort, wo Volksabstimmungen durchgeführt wurden, wurden sie abgelehnt. Hinzu kommt, dass Sie sich jetzt auch noch in den von Ihnen selbst geschaffenen Konflikten verfangen haben. Sie haben gesagt: Es wird zusätzliche Beitritte nur bei einem neuen EU-Vertrag geben. Jetzt klopfen die kleineren Länder an die Tür. Was machen Sie nächstes Jahr? Ich höre von den Koalitionsfraktionen und der Regierung keinen Vorschlag, und ich höre auch nichts dazu, wie die Kommission damit umgehen will. Es herrscht nur Zerstrittenheit. Ich glaube, dass das zu wenig sein wird und dass die deutsche Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit schuld daran sind, dass Europa in diese Krise hineingeführt worden ist. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat einen großen Anteil daran gehabt. ({1}) - Wir haben Nein zu diesem Vertrag gesagt und befinden uns damit in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bevölkerung. Überall dort, wo im letzten Jahr abgestimmt worden ist, wurde mit Nein gestimmt. ({2}) Würde in Deutschland abgestimmt werden, dann würden diese Verträge auch abgelehnt werden, weil auch die deutsche Bevölkerung weiß: Ein neoliberales Europa gehört nicht auf die Tagesordnung. ({3}) Kollege Löning, euren Antrag finde ich in Ordnung. Wir werden ihm auch zustimmen. Ich bin einmal gespannt, ob die CDU/CSU ihm auch dann noch zustimAlexander Ulrich men wird, wenn wir zustimmen, weil wir ja aus der letzten Woche wissen, dass sie lieber einen eigenen Antrag stellt, wenn wir zustimmen wollen. Wir werden eurem Antrag aber zustimmen, weil es richtig ist. ({4}) Wir führen ja auch immer die Diskussion darüber - auch unter den Obleuten -, dass es notwendig wäre, dass wir mehr über die Ratsgipfel erfahren, und dass wir im Bundestag eine Debatte darüber brauchen. Wir haben uns auch nicht damit abgefunden, dass man beim letzten Mal den Europa-Ausschuss umgangen hat. Dass man das Plenum oder den Europa-Ausschuss umgangen hat, war früher anscheinend gang und gäbe. Mittlerweile umgeht man sie komplett. Das ist meines Erachtens auch eine Missachtung des Geistes der Vereinbarung, die zwischen Bundesregierung und Bundestag getroffen worden ist. Es ist vollkommen richtig - darin haben Sie auch unsere Unterstützung -, dass wir für diesen Antrag möglicherweise eine Mehrheit erreichen. Wir hoffen, dass wir in Zukunft mehr europapolitische Debatten führen werden, vielleicht auch zu einer besseren Uhrzeit als abends um fast halb zehn. Die fehlende europäische Öffentlichkeit ist eine wichtige Ursache für die Fehlentwicklung in Europa. Dass Sie das erkannt haben, haben Sie durch Ihren Antrag deutlich gemacht. Man merkt auch, dass es natürlich ein Problem ist, wenn die Mehrheiten in den Bevölkerungen immer wieder ignoriert werden. Wir können lesen, dass die Europäische Kommission 70 Millionen Euro ausgeben will, damit im Fernsehen mehr über sie berichtet wird. Das hat ihr den Vorwurf eingebracht, dass sie Hofberichterstatter einkaufen will. Ich glaube aber, dass das Problem ein anderes ist. Solange das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat - auch das ist ein Problem des Lissabon-Vertrags -, wird es nicht ernst genommen. Solange wir keine parlamentarische Demokratie auf europäischer Ebene haben, wird das Fernsehen darüber auch nicht informieren. Wie gesagt: Der Vorschlag der FDP, hier über den Rat zu unterrichten, hat unsere Unterstützung. Das Arbeitsprogramm der Kommission ist im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu sehen. Das Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel schreibt in seiner Kurzinformation zum Arbeitsprogramm - ich zitiere -: Welche Maßnahmen kann die Kommission ergreifen, um das Wachstum zu fördern, Arbeitsplätze und soziale Sicherheit sowie die finanzielle Stabilität zu gewährleisten? Auf diese Fragen geht die Kommission mit vielen Mitteilungen und wenigen Rechtsetzungsvorschlägen ein. Das ist eine sehr treffende Beschreibung der Situation. Allerdings liegt das nicht so sehr an der Kommission und noch weniger an der französischen Ratspräsidentschaft. Es liegt auch nicht am Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon. Ich zitiere Hugo Brady, einen Ökonomen und Berater des irischen Außenministeriums, der am 7. November 2008 in der taz sagte: ({5}) Der neue Lissabon-Vertrag hätte uns in der Finanzkrise keinen Schritt weitergebracht, bei der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik beinhaltet er ja keine weitergehende Integration. An wem liegt es dann also? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Es liegt auch an der deutschen Bundesregierung. ({6}) Die Bundesregierung zeigt neuerdings gerne mit dem Finger auf Amerika. Man muss sagen, dass auch sie nun die Gestaltung der Globalisierung predigt. Die französische Ratspräsidentschaft hat eine europäische Wirtschaftsregierung und eine umfassende Weltfinanzpolitik des IWF vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat das abgelehnt. Diese Krise ist keine Krise made in USA, wie uns noch vor wenigen Wochen dargestellt wurde, sie ist auch eine Krise made in Europe. Die US-Wirtschaft war überfordert, das globale Wachstum dauerhaft durch die Verschuldung der US-Bürger zu finanzieren. ({7}) Kollege Löning, es ist wirklich fatal, dass Sie hier auch noch sagen, die Europäische Zentralbank sei eigentlich ein Vorreiter, und den Vorschlag machen, die Amerikaner müssten sich daran orientieren. Hätten die Amerikaner eine ähnliche Zinspolitik betrieben wie die Europäische Zentralbank, dann wäre noch mehr Geld für die Zocker zur Verfügung gestellt worden. Notwendig sind niedrigere Zinsen, damit das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird und ein Beitrag für Wachstum und Beschäftigung geleistet wird. Denn nächstes Jahr wird Europa in die Krise geführt werden. Ich bin gespannt, welche Vorschläge ihr dann gegen die Zunahme der Massenarbeitslosigkeit macht. Diese europapolitische Debatte bräuchte mehr als das Verschweigen, dass man Europa in die Krise geführt hat. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, das mache ich nicht. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Ulrich, erlauben Sie mir eine Bemerkung zu Ihrer zentralen Argumentation, was den LissabonVertrag angeht. Sie haben, glaube ich, immer noch nicht verstanden - das macht Ihre Argumentation so windig -, dass wir im Falle eines Scheiterns des Lissabon-Vertrags, von dem die große Mehrheit dieses Hauses überzeugt ist, dass er Europa handlungsfähiger, transparenter und demokratischer macht - all das, was Sie eben angesprochen haben und was Sie fordern -, nichts anderes haben als den Nizza-Vertrag. Für diesen Vertrag werben Sie mit Ihrer Politik; denn es gibt nur diese Alternative. Wenn Sie die Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag führen - das haben Sie hier gemacht und in anderen Ländern unterstützt -, dann sprechen Sie sich dafür aus, dass die Europäische Union so undemokratisch, intransparent und handlungsunfähig bleibt, wie der Vertrag von Nizza sie nun einmal macht. Diese Botschaft geben Sie der Bevölkerung mit. Das ist verantwortungslos. ({0}) Ich will zunächst auf den Antrag der FDP eingehen und mich bei der FDP bedanken, dass wir diese EuropaDebatte aufgrund des vorliegenden Antrages auf einem Debattenplatz der FDP führen. Denn es ist nicht mehr so einfach, Europa-Debatten in diesem Hause auf die Tagesordnung zu setzen - das hat auch etwas mit der Regierungserklärung zu tun -; deshalb vielen Dank dafür. In der Sache selber unterstützen wir die Intention Ihres Antrages. Ich glaube aber, dass wir in zwei Punkten Diskussionsbedarf haben, über die wir in den Ausschüssen fair diskutieren sollten. Sie haben in Ihrem Antrag zu Recht die Regierungserklärung und die Debatten dazu angesprochen. Es ist nicht wahr, wenn vonseiten der Regierung behauptet wird, dass die Bundesregierung nach jedem Gipfel Bericht erstattet. Die Kollegen aus dem Europa-Ausschuss - insbesondere die Obleute - erinnern sich sehr gut an die quälende Debatte zum letzten Rat, als zunächst eine Regierungserklärung avisiert war. Dann wurde das zurückgenommen und angekündigt, dass die Kanzlerin im Europa-Ausschuss Bericht erstatten wird. Das hat dann auch nicht stattgefunden. Letztendlich hat ein Mitarbeiter des Kanzleramtes in einer Sondersitzung des EuropaAusschusses einigen Mitgliedern eine Stunde aus der Zeitung vorgelesen, was auf dem Gipfel passiert ist. Die Behandlung der Europäischen Räte insbesondere dann, wenn die Regierungschefs der EU angesichts derartiger existenzieller Krisensituationen wie beim letzten Gipfel verhandeln, muss in diesem Hause erfolgen. Darüber hat der Deutsche Bundestag zu debattieren. Das ist überhaupt keine Frage. ({1}) Die CDU/CSU hat auf ihrer Fraktionsseite zu der heutigen Debatte die wunderbare Meldung veröffentlicht - du guckst so, als wenn du das gar nicht wüsstest, Michael; ich lese es dir gerne vor -: Das Begehren nach einer Regierungserklärung in der nach einer Tagung des Europäischen Rates folgenden Sitzungswoche ist gängige Praxis und bedarf keiner zusätzlichen Beantragung. Das steht auf eurer Homepage. Es ist aber falsch. ({2}) Nach dem, was wir gerade erlebt haben, ist es ziemlich dreist, der Öffentlichkeit so etwas vorzugaukeln. So geht es nicht. ({3}) Ich halte eine Änderung des Antrages für notwendig, um die Transparenz, die Spannung und die öffentliche Beteiligung an solchen Debatten zu verbessern, was wir alle wollen. Es sollte nicht nur hinterher Berichte bzw. Debatten geben. Wenn wir den Europäischen Rat und unser Parlament ernst nehmen, dann macht es häufig Sinn, auch vor den Sitzungen des Europäischen Rates eine Debatte zu führen, um der Regierung die Meinung des Parlamentes zu dem, was dort diskutiert werden soll, mitzuteilen; darüber sollten wir noch einmal diskutieren. Es darf nicht nur im Nachhinein eine Berichterstattung über das geben, was dort passiert ist. Es macht häufig Sinn, vor den Sitzungen des Europäischen Rates im Bundestag eine Debatte über die Zielsetzung zu führen. Wir wollen der Regierung Aufträge mitgeben, damit sie weiß, wie sie sich verhalten soll. Wenn sich der Bundestag in dieser Frage emanzipieren soll, sollten wir ein bisschen weiterdenken. Das gilt auch im Hinblick auf eine europäische Fragestunde, über deren Einführung wir schon lange diskutieren. Dafür gab es fast eine Mehrheit. Ich erinnere an die Zusammenarbeitserklärung, die die Einführung einer solchen Fragestunde vorsah. Eine solche Fragestunde kann ein sinnvolles Element sein. Wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht Sinn macht, nicht nur die Bundeskanzlerin, sondern auch andere Fachminister zu befragen. Das sollte man ausweiten. Aber eine europäische Fragestunde in diesem Hause macht sicherlich Sinn, um zu bündeln und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen der europäischen Politik, die von Deutschland beeinflusst wird, zu lenken, um den Bundestag damit stärker zu befassen - das wollten wir immer - und um unsere Verantwortung als Parlamentarier bei der Mitgestaltung der Regierungspolitik deutlich zu machen. ({4}) Deshalb freue ich mich auf die weiteren Beratungen über den vorliegenden Antrag. Die Intention wird sicherlich vom ganzen Haus geteilt. Lassen Sie mich noch etwas zum Arbeits- und Legislativprogramm sagen. Im letzten Jahr einer Kommission werden nur wenige Entscheidungen getroffen. Ich möchte mich auf einen Aspekt beziehen, der aus unserer Sicht am meisten zu kritisieren ist. Es ist zu würdigen, dass man zuerst die Lissabon-Strategie angeht. Es geht um Jobs and Growth, Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Das Problem der Kommission in den letzten Jahren ist aber gewesen, dass sie die Lissabon-Strategie nur als ökonomische Wachstumsstrategie verstanden hat. ({5}) Daraus resultieren extreme Probleme, die wir bei der Akzeptanz und der Steuerung dieser ökonomischen Strategie haben. Wenn wir Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung nicht zusammendenken und nicht in eine Strategie einbinden, dann werden wir scheitern. Dann werden wir nicht nur einen Vertrauensverlust, sondern auch einen Effizienzverlust erleiden. Aber das berücksichtigt die Kommission auch in ihren jetzigen Arbeitsplanungen nicht. Diese Planungen enthalten sicherlich vernünftige Vorschläge zum Klimaschutz und die 20/20Verpflichtung. All das teilen wir. Aber es ist keine neue Intention in diesem Programm erkennbar, abgesehen von einem Punkt, über den ich mich besonders freue. Wir sollten das Grünbuch zur grenzüberschreitenden Mobilität der Jugend weiterentwickeln. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die ERASMUS-Debatte. Wenn wir unserer Jugend die Chance geben wollen, sich im europäischen Wettbewerb zu behaupten, dann müssen wir ihnen grenzüberschreitende Aktivitäten ermöglichen; diese sind wichtig. Das sollte aber nicht nur für Studenten gelten. Das sollten wir vielmehr auf eine sehr viel breitere Grundlage stellen. Auch diejenigen, die eine Lehre oder eine andere Ausbildung machen, sollten die Möglichkeit haben, am grenzüberschreitenden europäischen Austausch teilzunehmen. Das wird die europäische Identität der Bürgerinnen und Bürger weiter stärken. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun das Wort Herr Staatsminister Günter Gloser.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einige Anmerkungen zu Ihnen, Herr Ulrich. Ich weiß nicht, welches Bild Sie sonst bei europapolitischen Debatten malen. Wenn aber selbst der irische Premierminister vor der letzten Sitzung des Europäischen Rates im irischen Parlament die nicht rhetorisch gemeinte Frage stellt: „Wo stünden wir Iren, wenn wir angesichts der Finanzkrise und ihrer Auswirkungen auf die Realwirtschaft nicht Mitglied in der Europäischen Union wären?“, und trotz der Schwierigkeiten im eigenen Land zu vermitteln versucht, dass Irland genau zum richtigen Zeitpunkt Mitglied der Europäischen Union ist, dann weiß ich nicht, warum Sie der Bundesregierung den Schwarzen Peter für diese Krise zuschieben. Das ist ein völliger Fehlschluss. ({0}) Sie haben eine bunte Vielzahl von Themen aufgelistet. Da wird die Mittelmeerunion in einem Atemzug mit der Kaukasus-Krise und dergleichen mehr genannt. Ich muss mich schon fragen: In welcher Welt leben Sie denn eigentlich? Gerade in der Kaukasus-Krise, finde ich, hat doch die Europäische Union als einziger Akteur die entsprechenden Weichen gestellt, zumindest die für einen Waffenstillstand. Dass wir mit der Lösung nicht zufrieden sein können, ist eine ganz andere Geschichte. Aber es war die Europäische Union, die gehandelt hat. Auch was die Bewältigung der Finanzmarktkrise angeht, hat die Europäische Union gehandelt, wenn auch - darauf komme ich zurück - in der Vergangenheit sicherlich nicht rechtzeitig Initiativen ergriffen worden sind, um Regeln aufzustellen. Ich bin immer überrascht, zu erfahren, wer alles gegenwärtig für Regeln ist. Ich kann mich noch an Debatten erinnern, in denen gerade hier nur noch von der Freiheit die Rede war. Nichts gegen Freiheit - ich bin für Freiheit -, ({1}) aber zur Freiheit gehört auch Verantwortung. Gelegentlich hörte man nur noch, dass es eine Strangulierung gebe und sich Menschen und Unternehmen nicht entfalten könnten. Es war Peer Steinbrück - das sage ich ganz deutlich -, der während der deutschen EU-Präsidentschaft gesagt hat, dass die Finanzmärkte Regeln brauchen. ({2}) Er hat die notwendige Unterstützung in der Europäischen Union nicht bekommen; die kam erst später. Wenn jetzt die Europäische Kommission in ihrem Arbeitsprogramm entsprechende Regeln vorsieht, so gibt es hier große Zustimmung. Zum Programm selbst: Rainder Steenblock hat gerade angesprochen, dass es das letzte Arbeitsprogramm für die existierende Kommission ist. Es ist richtig, eine neue Kommission nicht mit allen Dingen zu belasten, aber es gibt verschiedene Bereiche, in denen man wegen der aktuellen Situation etwas mehr Ehrgeiz hätte erkennen lassen können. Ich finde es richtig, dass Themen wie Wachstum und Beschäftigung, Klimawandel und Nachhaltigkeit, Europa der Bürger und Europa als Partner in der Welt, was schon in der Strategieplanung enthalten war, jetzt konkret umgesetzt werden. Das sind wichtige Punkte. Ich glaube auch, dass für den Finanzmarkt entsprechende Regeln erarbeitet werden müssen. Ich nenne beispielsweise die Transparenz finanzieller Akteure wie Hedgefonds, Vorstandsgehälter, aber auch die angemahnte Finanzmarktaufsicht. Wir hätten uns auch, weil das ein wichtiges wirtschaftliches Betätigungsfeld ist, einen Hinweis auf den Abschluss von Solvency II, des Schlüsselprojekts für den Versicherungssektor, gewünscht. Weitere Initiativen, gerade angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, sollen zur Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen beitragen. Ich finde es richtig und gut - gelegentlich gibt es auch bei uns schon Debatten darüber -, dass die EU-Kommission an der Umsetzung der auf dem Frühjahrsgipfel 2007 unter deutscher EU-Präsidentschaft verbindlich beschlossenen Ziele beim Klimaschutz festhält. Es ist richtig, dass wir jetzt nicht einen Gang zurückschalten. Ich weiß, dass es Debatten darüber gibt, welche Auswirkungen das hat, aber ich finde es gut, dass die Kommission ausdrücklich betont, bei den Anstrengungen für den Klimaschutz nicht nachzulassen. Die Europäische Union sollte im nächsten Jahr auf den Konferenzen in Posen und Kopenhagen als ein Akteur auftreten und sich nicht möglicherweise laschere Vorschriften von anderen Partnern in dieser Welt diktieren lassen. Der Bereich „Justiz und Inneres“ wird sich auf die Vorstellung des Stockholmer Programms konzentrieren, das die Weichen für die Zeit 2010 bis 2014 stellen soll. Die Kommission betont zu Recht, wie wichtig das Thema Migrationspolitik ist. Aber - das kann die Bundesregierung in einer ersten Bewertung sagen - leider gibt es hier wenig Initiativen. Ich komme zu einem weiteren Punkt, auf den Rainder Steenblock schon hingewiesen hat. Ich glaube, dass wir schon früher in der Lissabon-Strategie auch die Nachhaltigkeit entwickelt haben, möglicherweise schon vor der Zeit, als Rot-Grün regiert hat. Aber das, was nicht ausgeprägt ist, ist die soziale Dimension der Europäischen Union. Die soziale Dimension ist aber nicht mit einer europäischen Rente oder einem europäischen Gesundheitsschutz gleichzusetzen, sondern die soziale Dimension kann zum Beispiel auch die Frage umfassen, wie wir mit Hypothekenzinsen umgehen. Folgen wir dem amerikanischen Modell, das flexibel und nicht fixiert ist, oder orientieren wir uns an fixen Hypothekensätzen? Ich glaube, wir müssen vor dem Hintergrund der Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr die Nachhaltigkeitsstrategie mit der sozialen Dimension in Einklang bringen. ({3}) Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Allerdings wünschte ich mir auch, dass seitens der EU-Kommission in den Außenbeziehungen noch mehr Energie entwickelt wird. Ich kann mich nahtlos der Kritik des Parlaments anschließen, weil wir an diesem Punkt gemeinsam in dieselbe Richtung zielen: Wir hätten von der Kommission durchaus ein Wort zur Übersetzungsstrategie erwartet. Das ist eine Leerstelle, die eigentlich noch gefüllt werden sollte. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die aktuelle Finanz- und Kapitalmarktkrise macht deutlich, welche Rolle die EU derzeit spielt und auch zukünftig spielen muss. Ich knüpfe an das an, was Kollege Ulrich gesagt hat: Gerade in der jetzigen Zeit hat die EU meines Erachtens eine unglaublich starke Akzeptanz in der Bevölkerung, weil die Menschen spüren, dass auf dem globalen Finanzmarkt Dinge passieren, die in einem Mitgliedstaat allein gar nicht mehr geregelt werden könnten. Wir brauchen vielmehr Gremien und Institutionen wie die Europäische Union und den Euroraum, in denen wir gemeinsame Lösungen für die Probleme dieser Welt finden. Deshalb ist es ein gutes Zeichen, dass wir in der Europäischen Union schnell handlungsfähig waren und jetzt gemeinsame Lösungen finden. Ich knüpfe an das an, was Kollege Löning angesprochen hat: Es wäre eine Katastrophe, wenn wir jetzt noch 15 verschiedene Währungen in der Europäischen Union hätten. Es ist ein gutes Zeichen, dass es in der Welt einen starken Euro gibt, der teilweise schon Ankerwährung geworden ist und damit auch Stabilität in die Finanzmärkte gebracht hat. ({0}) Aufbauend auf diesen Erkenntnissen, müssen wir uns aber auch überlegen, welche kommenden Herausforderungen wir in der Europäischen Union gemeinsam angehen müssen und was dies für unser Arbeitsprogramm in der Europäischen Union in den nächsten Monaten bedeutet. Ich schicke vorweg und unterstreiche sehr deutlich, dass meines Erachtens in den letzten Monaten nicht die Märkte an sich, sondern einzelne Akteure auf diesen Märkten versagt haben. Dies hat dazu geführt, dass das Vertrauen erschüttert wurde und dass der Kapitalmarkt in weiten Teilen nicht mehr so funktionierte, wie er funktionieren sollte. Ein Akteur sind sicherlich die Ratingagenturen, die eigentlich hätten Vertrauen schaffen sollen, aber für das vertrauenslose Agieren entsprechend bestraft wurden. Wir müssen innerhalb der Europäischen Union Lösungen finden, wie wir die Ratingagenturen zukünftig auf ein Fundament stellen, das Vertrauen schafft. Hierzu hat die Europäische Kommission heute Lösungsvorschläge geliefert. Auch das zeigt, dass die Europäische Union in diesem Bereich handlungsfähig ist. Darauf müssen wir aufbauen. Wir brauchen eine verstärkte Aufsicht der Ratingagenturen und Regelungen, die dafür sorgen, dass wir zukünftig fundiertere Benotungen bzw. Ratings bekommen. ({1}) Ich sage aber ganz klar, dass mehr Regulierung nicht immer gleichzeitig auch etwas Gutes bedeutet. Die großen Rufe nach Bretton Woods II, was mehr Inflexibilität und mehr starre Systeme bedeutete, sind meines Erachtens nicht die richtigen Signale, die wir in den Markt setzen dürfen. Wir brauchen gemeinsame Standards, allerThomas Bareiß dings nicht immer mehr Regulierung. Wir haben diese Standards in weiten Teilen dieser Welt bereits festgelegt; wir müssen sie nur noch umsetzen. Ein Thema ist Basel II, das wir in Deutschland und Europa weitestgehend umgesetzt haben, das aber in den USA und anderen Finanzmärkten noch nicht in der Form gilt, wie es sein sollte. Wenn diese Standards weltweit gegolten hätten, hätten wir auch keine solche Krise gehabt, wie wir sie in den letzten Wochen gespürt haben. Auch die Themen „gemeinsame Bilanzierungsrichtlinien“ und „Normensammlung EVS“, die in der Zwischenzeit von den USA und in Europa anerkannt werden, werden dazu führen, dass wir uns gegenseitig besser verstehen und dass zukünftig in den Märkten mehr Vertrauen vorhanden sein wird. Ich möchte noch etwas zum IWF sagen. Auch hier wird immer wieder versucht, etwas in seine Rolle hineinzuinterpretieren. Viele sagen, der IWF müsse jetzt zum großen Regulierer in der Welt aufsteigen. Ich glaube, das würde nicht funktionieren. Andere Staaten würden dem IWF diese Rolle nicht zugestehen. Ganz offen gesagt: Er wäre dazu auch nicht in der Lage. - Bevor wir Europäer oder Deutsche dies fordern, müssen wir zunächst einmal unsere Hausaufgaben in Europa machen. Wir brauchen in Europa ein klares Signal für eine gemeinsame Bankenaufsicht in der Europäischen Union. Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen: Wir brauchen diese Aufsicht vielleicht sogar nur im Euroraum. Diese Aufsicht sollte ihren Sitz in Frankfurt haben. Von Deutschland sollte das ganz klare Signal ausgehen, dass wir gemeinsam die Lösungen der Probleme der Europäischen Union angehen, keine weiteren Schlupflöcher zulassen und verhindern, dass unkontrollierbare Risiken entstehen. Ich kann die Bundesregierung nur darin unterstützen, dass sie Forderungen nach einer Wirtschaftsregierung innerhalb der Europäischen Union eine klare Absage erteilt hat. Würden wir diesen Forderungen nachgeben, würden wir einen Schritt zu weit gehen. Wir sind gut damit gefahren, dass wir beispielsweise eine unabhängige EZB haben, die für den Bürger und für den Verbraucher eine ordentliche Geldpolitik betreibt. Die EZB muss auch zukünftig neue Aufsichtsstrukturen entwickeln, Stichworte „Ratingagenturen“ und „Bankenaufsicht“. In dieser Form muss sie entsprechend unabhängig sein. Meine Redezeit läuft langsam ab. Noch ein letzter Punkt. Gerade in dieser Zeit müssen wir in Europa, in der Welt verstärkt für ein Herabsetzen der Handelshemmnisse sorgen. Wir brauchen einen freien Welthandel. Gerade für Deutschland als Exportweltmeister ist das ein ganz wichtiger Punkt. WTO und Doha müssen weiterentwickelt werden. Wenn wir das nicht schaffen, müssen wir verstärkt bilaterale Verträge in den Mittelpunkt stellen. Ich sage ganz klar: Wir sollten auch das transatlantische Bündnis in stärkerem Maße in den Blickpunkt rücken. Wir sollten durchaus überlegen, ob wir im Verhältnis zwischen den USA, Kanada und Europa Vorreiter sein können. Herzlichen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können über alles reden; aber wir sollten uns zumindest an die Fakten halten. Also, noch einmal zur Erklärung an den Kollegen Ulrich: Es geht nicht, hier falsche Dinge zum Thema Referenden zu behaupten, um damit die Europäische Union und den Einigungsgedanken, so wie wir ihn umsetzen, zu diskreditieren und hinterher die Bürger damit überzeugen zu wollen, dass das das Schlechte an Europa sei. Es ist schlicht und einfach falsch. ({0}) Es hat in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft/Europäischen Union 36 Referenden gegeben. Davon waren 27 ein Erfolg und 9 ein Misserfolg. Zwei diese Misserfolge fanden in Norwegen statt, weil man nicht beitreten wollte. Das muss man auch ehrlich sagen. Man darf nicht nur sagen: „Die haben dagegen gestimmt“, sondern man muss auch alle aufzählen können, die dafür gestimmt haben. Das können Sie nicht, und das wollen Sie nicht, und deshalb diskreditieren Sie sich mit Ihrer Europapolitik ständig selbst. ({1}) Ich würde jetzt gern zu den wirklich ernsthaften Dingen kommen, nämlich zum einen zum Antrag der Kollegen der FDP und zum anderen zu dem, was im Aktions-, Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission steht. Wir alle in diesem Haus sind uns wahrscheinlich einig: Das Grundanliegen der FDP ist richtig. Die Frage ist nur, wie wir es umsetzen. Das ist genau die Schwierigkeit. Man muss in Koalitionen und in bestimmten Konstellationen immer schauen, dass auch eine Regierung, die von der Mehrheit getragen und gestützt wird, im Parlament möglichst immer das macht, was man will. Das klappt nicht immer. Das klappt in keiner Regierungskonstellation der Welt. Das kennen Sie von den Landesregierungen, an denen Sie beteiligt sind. Wir müssen deshalb schauen, dass wir das so gut wie möglich machen. Dabei dürfen wir natürlich nicht vergessen, wie viel Gutes wir schon gemacht haben. Ich erlebe bei jeder Sitzung im Europäischen Parlament, in der COSAC und sonst wo, dass Personen zu uns deutschen Abgeordneten, egal welcher Couleur, kommen und sagen: Das, was ihr im Bundestag an Zusammenarbeitsvereinbarungen und damit an Erhöhung der Transparenz im Parlament für die Abgeordneten und damit auch für die öffentliche Debatte gemacht habt, ist ein Stück weit eine Vorlage, ein gutes Beispiel für uns. Dieses gute Beispiel sollten wir auch benennen. Wir sollten uns an diesem guten Bei19898 Axel Schäfer ({2}) spiel in der Praxis abarbeiten, indem wir das entsprechend umsetzen. Ich denke, das gehört dazu. ({3}) Zur Kritik gehört immer auch ein Stückchen Selbstkritik: Warum lernen wir hier im Deutschen Bundestag nicht auch manchmal vom Europäischen Parlament? Warum zum Beispiel sollen die Ausschüsse nicht öffentlich tagen? Das wäre ein großer Gewinn für die Debatte. Spätestens nach der dritten Runde würden wir uns abgewöhnt haben, Fensterreden zu halten, und würden nur noch Sachbeiträge leisten. Das wäre vor allen Dingen für die Europaarbeit eminent wichtig. ({4}) Was wir hier beim Deutschen Bundestag ebenso wie in den Landtagen machen, ist im Gegensatz zu Europa und zur kommunalen Ebene demokratisch noch ein Stückchen unterentwickelt. ({5}) Zur Wahrheit gehört natürlich, dass wir auf Bundesund Landesebene so etwas wie das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission, an dem sich jedes Jahr die Parlamente, Oppositions- und Regierungsparteien, kritisch abarbeiten, nicht haben. Bei uns läuft das halt anders. Also muss man überlegen, welche intelligenten Elemente von Europa wir für die bundesdeutsche Politik übernehmen können. Wir wollen ja nicht nur gemeinsam für Europa kämpfen und miteinander arbeiten, sondern auch voneinander lernen. Bitte auch im Parlamentarismus! ({6}) Was wir von der Kommission und diesem Arbeitsprogramm erwarten, will ich an der Frage der Erweiterung einerseits und dem Thema Finanzmarkt andererseits kurz deutlich machen. Was die Erweiterungsstrategie betrifft, brauchen wir mehr Mut. Wir alle brauchen ein bisschen Mut bei dem, was wir dort fordern. Wir sind eine Europäische Gemeinschaft mit 491 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Es sind noch einmal insgesamt 26 Millionen, um die es in Südosteuropa oder auf dem Westbalkan - so heißt das Kunstwort - geht. Auch wenn wir das aufrechterhalten, was wir an Kopenhagener Kriterien und an Beitrittsvoraussetzungen haben und brauchen, müssen wir bestimmte Wege oder Türen öffnen, zum Beispiel durch bessere Visamöglichkeiten, sodass vor allen Dingen die jungen Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen können, wenn sie das wollen. Damit bringen wir Europa ein Stückchen voran, wo das notwendig, wichtig und richtig wäre. Dazu müssen wir ganz bestimmte Dinge, die wir bisher vielleicht zu restriktiv gesehen haben, ein bisschen progressiver sehen. Dafür brauchen wir große Unterstützung im Parlament hier und auch im Europäischen Parlament; denn das hieße, bestimmte liebgewordene Traditionen, die nicht immer ganz so lieb sind, ein Stück zu überwinden. ({7}) Dazu gehört auch, dass die Kommission sich dort sichtbarer macht. Bei allen zu Recht genannten Problemen zum Thema Übersetzung: Wir brauchen keinen Kommissar für Sprachenvielfalt; wir brauchen Sprachenvielfalt. Wir brauchen aber einen Kommissar, der sich jeden Tag nur um diese Frage der Erweiterung kümmert und vor Ort, in Südosteuropa, auch präsent ist, sodass deutlich wird: Wir wollen, dass diese Länder, weil sie zu Europa gehören, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in die Europäische Union kommen. Dazu muss von der Kommission mehr getan werden. Ein letzter Punkt, zum Thema Finanzmarkt und zu all dem, was jetzt ansteht. Seien wir ganz ehrlich: Wir haben in den 90er-Jahren den Binnenmarkt vollendet, weil wir zu Recht vieles liberalisieren und deregulieren mussten. Wir sind jetzt, im 21. Jahrhundert, in der Situation, dass wir zur Frage, was staatliche, das heißt politische Regulierung anbelangt, wieder ein Stückchen neu denken, manches Alte wieder aufnehmen und uns vor allen Dingen beim Blick auf das, was notwendig ist, keine Scheuklappen anlegen dürfen. Aus meiner Sicht ist ganz klar, dass dazu natürlich auch die von Frankreich genannte „Wirtschaftsregierung“ gehört. Es ist notwendig, dass die Europäische Zentralbank unabhängig ist und nicht Weisungen der Regierung unterliegt, wie das früher bei der französischen Nationalbank der Fall war. Genauso notwendig ist es, dass wir, was Wirtschaftspolitik anbelangt, vom politischen Willen getragene stärker greifende Vereinbarungen brauchen und nicht nur das, was bisher ist und was als Balance zur Geldpolitik so nicht funktioniert. Lassen Sie uns diese Debatte offen miteinander führen, weil wir alle noch keine abschließenden Konzepte haben. Es ist gut, wenn wir das im Verhältnis zu dem, was bisher war, kritisch diskutieren, damit wir zu besseren Lösungen kommen, auch zu besseren Lösungen für die Kommission. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich dem Kollegen Thomas Silberhorn von der CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, will ich darauf hinweisen, dass er den Abend seines heutigen 40. Geburtstages bei uns verbringt. ({0}) Ich gratuliere sehr herzlich, lieber Herr Kollege Silberhorn, und wünsche alles Gute. Herr Kollege, Sie haben nun das Wort.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, herzlichen Dank für die guten Wünsche. Vielen Dank auch für die vermeintlichen Beileidsbekundungen. Wenn ich in die Runde blicke, stelle ich fest: Den 40. Geburtstag haben auch andere schon überstanden. ({0}) Es macht mich natürlich stolz und glücklich, am 40. Geburtstag vor dem Forum der gesamten deutschen Öffentlichkeit eine Grundsatzrede zur Europapolitik halten zu dürfen. ({1}) Das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission erweckt auf den ersten Blick den Eindruck einer neuen Bescheidenheit: weniger Rechtssetzungsvorschläge als bisher, eine Reihe von Vereinfachungsvorschlägen, 20 Vorschläge werden sogar zurückgezogen. Ich halte es mit Blick auf die Europawahlen und auf das Ende der Amtszeit der gegenwärtigen Kommission im nächsten Jahr für angemessen, dass jetzt nicht viele, viele neue Vorschläge unterbreitet werden, die ohnehin nicht mehr von den jetzigen Akteuren umgesetzt werden können. Wir müssen auch in der Europäischen Union Bescheidenheit üben, damit neu gewählte Parlamentarier und eine neu besetzte Kommission von neuem entscheiden können, was auf die Tagesordnung kommt. Das, was wir unter dem Gesichtspunkt der Diskontinuität im Deutschen Bundestag seit langem pflegen, muss auch in der Europäischen Union im nächsten Jahr Einzug halten. ({2}) In der Sache allerdings ist das Programm der Kommission durchaus ambitioniert. Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen: weltweite Finanzkrise, schwächelnde Konjunktur, Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel. Es ist jetzt an allen politischen Akteuren und natürlich auch an der Europäischen Union, Orientierung zu geben und Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Insofern halte ich die Schwerpunkte der Kommission für richtig gesetzt: Förderung von Wachstum und Beschäftigung, Klimaschutz und innere Sicherheit. Das sind auch die Schwerpunkte der nationalen Politiken. Ich finde es gut, dass es eine parallele politische Agenda bei der Europäischen Union und den nationalen Parlamenten gibt, dass wir gemeinsam die großen Herausforderungen der Zeit angehen. Ich halte es allerdings auch für angebracht, dass die Europäische Union mehr Bescheidenheit in der Sache übt und mehr Ehrgeiz im Interesse der Bürger und der Unternehmen zeigt. Stichwort „Wachstum und Beschäftigung“: Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, bis 2012 die Bürokratiekosten um 25 Prozent zu senken und damit die Wirtschaft um 150 Milliarden Euro zu entlasten. Die hochrangig besetzte Gruppe zum Bürokratieabbau, die zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt worden ist, hat ({3}) bereits eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet und wird weitere unterbreiten. Es ist jetzt Sache der Kommission, entsprechende Initiativen dazu auf den Tisch zu legen, beispielsweise wenn es um die Vereinfachung der Rechnungslegung und Buchhaltung, um den Abbau von Statistik- und Informationspflichten oder die Vereinfachung des Erhebungsverfahrens bei der Mehrwertsteuer geht. Vorschläge zu all diesen Punkten hat die hochrangig besetzte Gruppe zum Bürokratieabbau schon auf den Tisch gelegt oder wird sie noch erarbeiten. ({4}) Die Kommission muss dazu nun auch ganz konkrete Umsetzungsvorschläge auf den Tisch legen. ({5}) Das ist nicht nur für kleine und mittlere Unternehmen wichtig. Das ist auch mit Blick auf die Europawahl wichtig. So können wir nämlich der Bevölkerung in Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten sagen: Wir reden nicht nur von Bürokratieabbau, wir tun ganz konkret etwas dafür. Entsprechende Rechtsetzungsvorschläge könnten von der Kommission leicht erarbeitet und vorgeschlagen werden, und ihre Umsetzung würde niemanden etwas kosten. ({6}) Stichwort Klimaschutz: Die Europäische Union nimmt weltweit eine Vorreiterrolle ein, nicht zuletzt aufgrund unserer Initiativen während der deutschen Ratspräsidentschaft. Es ist richtig, dass man vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen nach einem gemeinsamen europaweiten Ansatz sucht, um ein Post-Kioto-Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels nach 2012 hinzubekommen. Man darf aber auch nicht verkennen, dass unter dem Vorwand des Klimawandels auch knallharte wirtschaftliche Interessen vertreten werden. Wir müssen deshalb aufpassen, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Interessen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ich darf in diesem Zusammenhang an den Handel mit Emissionszertifikaten erinnern: Wir laufen schon Gefahr, dass energieintensive Betriebe in Deutschland kujoniert und damit Betriebsstandorte und Arbeitsplätze gefährdet werden. Demgegenüber haben die Franzosen - im Übrigen im Benehmen mit ihren Umweltverbänden - schon beschlossen, ihre Kernenergiekapazitäten auszubauen, und zwar mit dem Ziel, Strom aus Kernenergie verstärkt in Deutschland, Polen und anderen europäischen Ländern zu verkaufen. Auf der Basis der Vorschläge, die jetzt zum Emissionszertifikatehandel auf dem Tisch liegen, würden wir also zu Verlierern werden. Das darf nicht das Ergebnis der europäischen Klimaschutzpolitik sein, meine Damen und Herren. ({7}) Wir müssen in der Europäischen Union Wege aufzeigen, wie Klimaziele und wirtschaftliches Wachstum in Einklang gebracht werden können, beispielsweise indem die Europäische Union sich für Forschung für erneuerbare Energien engagiert und der Beitrag der Landwirtschaft genutzt und gefördert wird, zum Klimaschutz in Land- und Forstwirtschaft. ({8}) Meine Damen und Herren, die Europäische Union sollte in der Vorgehensweise und in den Verfahren, die sie wählt, ein bisschen mehr Bescheidenheit zeigen. Wir erleben seit geraumer Zeit, dass die Kommission vom Modell der gegenseitigen Anerkennung und von Mindeststandards Abstand nimmt und ein Modell der Vollharmonisierung verfolgt. Sie setzt sich auch über Bedenken im Hinblick auf die Subsidiarität hinweg. Letztlich zeigt sie so einen starken Drang zur Zentralisierung. Wenn wir es nicht schaffen, den Kommunen, Regionen und den Mitgliedstaaten genug eigenen Handlungsspielraum, eigene Kompetenzen und genügend Spielraum zur Umsetzung der Vorgaben, die die Europäische Union beschließt, zu lassen, dann werden wir erleben, dass sich weiterer Unmut aufstaut, wie das in Irland der Fall war. Ich würde es befürworten, wenn wir im Tagesgeschäft der Europäischen Union dazu kämen, dass ein Nein oder eine fehlende Mehrheit dazu führt, dass eine Initiative begraben wird. Auf diese Weise gäbe es keinen ständigen Drang, einen Kompromiss einzugehen. Außerdem gewinnt man so nicht den Eindruck, dass nie jemand Nein sagt und es immer zu Ergebnissen in Form von Kompromisspaketen kommen muss. ({9}) Es ist für die Akzeptanz von Politik auch wichtig, dass Dinge, die keine Mehrheit finden, am Ende scheitern und nicht in irgendeinem Kompromiss verwurstet werden. ({10}) Dies würde vielleicht dazu führen, dass wir bei den großen Fragen der europäischen Integration nicht vor der Situation stehen wie jetzt in Irland, wo sich der kleine Unmut über lange Zeit aufgestaut und sich dann in einem Nein zum Vertrag von Lissabon entladen hat. Es ist Sache der Europäischen Union und insbesondere auch der Kommission, eine Balance zwischen den Dingen zu finden, die wir nur auf europäischer Ebene regeln können, und dem Bedürfnis nach eigenem Handlungsspielraum sowie nach Identifizierung mit eigenen Belangen in den Regionen, den Kommunen und den Mitgliedstaaten. Wenn wir diese Balance nicht erreichen, werden wir aus der Akzeptanzkrise der Europäischen Union nicht herauskommen. Das Miteinander von EU und den Mitgliedstaaten setzt eigene Spielräume auf beiden Seiten voraus. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Nachdem uns aufgrund der heutigen Debatte die Gelegenheit zu einer Geburtstagsfeier davonzurennen scheint, lade ich alle Anwesenden ein, im Anschluss an unsere Debatte in der Parlamentarischen Gesellschaft noch einen Absacker zu sich zu nehmen. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der Beifall großer Teile, auch der Oppositionsfraktio- nen, war gewiss. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 7 b: Interfrak- tionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck- sache 16/8080 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- den? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts ({0}) - Drucksachen 16/7076, 16/7440 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, des Bundesbeamtengesetzes und weiterer Gesetze - Drucksache 16/2253 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 16/10850 Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Clemens Binninger Siegmund Ehrmann Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10887 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Bettina Hagedorn Roland Claus Omid Nouripour Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP Für ein modernes Berufsbeamtentum - Drucksachen 16/129, 16/10850 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Clemens Binninger Siegmund Ehrmann Ulla Jelpke Silke Stokar von Neuforn c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Birgit Homburger, Elke Hoff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes - Drucksache 16/9317 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 16/9823 - Berichterstattung: Abgeordente Ralf Göbel Siegmund Ehrmann Petra Pau Silke Stokar von Neuforn Zu dem Entwurf eines Dienstrechtsneuordnungsge- setzes der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der FDP vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu die- sem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Folgende Kolle- gen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben: Clemens Binninger, Siegmund Ehrmann, Rolf Kramer, Dr. Max Stadler, Petra Pau, Silke Stokar von Neuforn und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.1) Außerdem liegen zum Dienstrechtsneuordnungsge- setz Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Kollegen Maik Reichel, Robert Hochbaum, Andreas Weigel, Petra Heß und Andrea Wicklein vor, die dem Protokoll beigefügt werden.2) Tagesordnungspunkt 8 a. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/10850, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/7076 und 16/7440 in der Ausschussfassung anzunehmen. 1) Anlage 29 2) Anlagen 27 und 28 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zunächst ab- stimmen werden. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/10869? - Wer ist dagegen? - Enthal- tungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- tionsfraktionen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmen- ergebnis wie zuvor angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/10850 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie- ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Frak- tion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- sache 16/10870. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Ent- schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, des Bun- desbeamtengesetzes und weiterer Gesetze. Der Aus- schuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/10850, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/2253 für erledigt zu erklären. Darüber müssen wir abstimmen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Ent- haltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstim- mig angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 b: Beschluss- empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Für ein modernes Be- rufsbeamtentum“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10850, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/129 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abstimmung über den Ge- setzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes. Der Innenausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/9823, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9317 abzulehnen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- tere Beratung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Soziale Existenzsicherung nach dem Asyl- bewerberleistungsgesetz - Drucksachen 16/7213, 16/9018 - b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Volker Beck ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes - Drucksache 16/10837 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Die Fraktion Die Linke hat zu ihrer Großen Anfrage einen Entschließungsantrag eingebracht. Die Kollegen Michael Hennrich, Gabriele Hiller- Ohm, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und der Parlamentari- sche Staatssekretär Klaus Brandner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Gleichwohl eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kollegen Josef Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt 15 Jahre her, dass im Zuge der Verfassungs- änderung zur Einschränkung des Asylgrundrechts das Asylbewerberleistungsgesetz in Kraft getreten ist. Wir haben dieses Gesetz von Beginn an aus grundsätzlichen und menschenrechtlichen Erwägungen heraus kritisiert; denn dieses Gesetz führt zu einem diskriminierenden Ausschluss von Asylsuchenden aus der Sozialhilfe und aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Leistungen aufgrund dieses Gesetzes betragen in- zwischen nur noch etwa zwei Drittel der Leistungen, die Sozialhilfeempfänger bekommen. Hinzu kommt, dass 1) Anlage 30 die medizinische Versorgung von Asylsuchenden und Geduldeten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf die unabweisbar notwendige Behandlung akuter Schmerzzustände beschränkt ist. Das muss man sich einmal vorstellen. Seit der Einführung des Gesetzes wurden die Leistungen nicht ein einziges Mal an die Preisentwicklung angepasst. ({0}) Das heißt, dass seit 1993 in § 3 Abs. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes unverändert ein im Übrigen noch in D-Mark ausgewiesener Betrag von 80 DM im Monat, umgerechnet sind das 1,36 Euro pro Tag und pro Person, als einziges Bargeld für den gesamten persönlichen Bedarf dieser Menschen - ich nenne beispielsweise die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr, Telefongebühren, Porto, Rechtsanwaltsgebühren usw. - zur Verfügung steht. Zusätzliche Leistungen, zum Beispiel für eine Monatskarte im öffentlichen Nahverkehr, werden nicht gewährt. Die Leistungen für Essen, Kleidung, Körperpflege, aber auch für Energie im Haushalt werden als Sachleistungen in Form von Essenspaketen oder Vollverpflegung, Gutscheinen oder Bargeld mit einem seit 1993 ebenfalls unveränderten Wert von 360 DM, also 184 Euro pro Monat, gewährt. Wenn man das mit dem Regelsatz beim Arbeitslosengeld II vergleicht - 351 Euro zu 184 Euro -, dann sieht man, wie schrecklich diese Entwicklung für die betroffenen Menschen ist. Deshalb legt meine Fraktion einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor, den ich hier kurz skizzieren möchte. 15 Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ist festzustellen, dass es die eigentlich gewünschten Effekte nicht erreicht hat. Denn die Asylantragszahlen haben in Deutschland zwar einen historischen Tiefpunkt erreicht, aber es gibt niemanden, der ernsthaft behaupten würde, dass dies auf die Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zurückzuführen ist. Hierfür sind vielmehr die Drittstaatenregelung, die rigiden Grenzkontrollen und das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten verantwortlich. Ein weiterer Punkt ist, dass sich die Aufenthaltsdauer von abgelehnten Asylsuchenden und Geduldeten nicht reduziert, sondern sich deutlich verlängert hat. Ende 2006 lebten über 100 000 Geduldete seit über sechs Jahren, 70 000 Geduldete seit über acht Jahren und 40 000 Geduldete sogar seit mindestens zwölf Jahren in Deutschland. Bezogen im Jahr 2000 noch 20 Prozent der Anspruchsberechtigten länger als drei Jahre Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, so sind es inzwischen rund die Hälfte. Dies zeigt, dass man die Motivation dieser Menschen völlig falsch eingeschätzt hat. Nicht die Höhe der sozialrechtlichen Transferleistungen, vor denen in diesem Hause immer wieder gewarnt wird, war für diese Menschen der entscheidende Grund, nach Deutschland zu kommen bzw. hierzubleiben. Diese Menschen haben in der Regel vielmehr gravierende rechtliche, humanitäre oder tatsächliche Gründe, die sie daran hindern, in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Verleumdung, diese Menschen wollten nur in die Sozialsysteme zuwandern, entspricht nicht der Wahrheit. Die Fakten sagen etwas anderes. ({1}) Ein Gesetz, das offenkundig weder geeignet noch erforderlich ist, um mit verhältnismäßigen Mitteln seinen Zweck zu erfüllen, hat seinen Sinn verfehlt. Wer dieses Gesetz beibehalten möchte, zeigt, dass es ihm weniger um die Bekämpfung des angeblichen Asylmissbrauchs geht als vielmehr darum, Asylsuchende und Geduldete in Deutschland zu schikanieren und zu diskriminieren. Damit wollen wir Schluss machen. Deshalb werbe ich eindringlich dafür, dass in der zweiten und dritten Beratung diesem Gesetz zugestimmt wird. Darum bitte ich Sie. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10871. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP abgelehnt. Tagesordnungspunkt 9 b. Hier wird interfraktionell die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10837 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 ({0}) - Drucksachen 16/10807, 16/10868 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich dabei um die Reden folgender Kollegen und einer Kolle- gin: Dr. Hans Georg Faust, Jens Spahn, Eike Hovermann, Daniel Bahr, Frank Spieth, Dr. Harald Terpe und Par- lamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10807 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Inzwischen liegt die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stel- lungnahme des Bundesrates auf Drucksache 16/10868 vor, die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden soll. 1) Anlage 31 Gibt es anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes - Drucksache 16/10731 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Dr. Martina Krogmann, Julia Klöckner, Martin Dörmann, Manfred Zöllmer, Hans- Joachim Otto, Sabine Zimmermann und Kerstin Andreae.2) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/10731 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hierzu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist die Über- weisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung - Drucksache 16/10730 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Frank Schäffler, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft - Die europäische Alternative zu Wirtschaftsprotektionismus und Ausländerdiskriminierung - Drucksache 16/6997 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es geht um die Reden der Kollegen Rolf Hempelmann, Rainer Brüderle, Dr. Herbert Schui, der Kollegin Kerstin Andreae3) und des Parlamentarischen Staatssekretärs Hartmut Schauerte4). 2) Anlage 32 3) Anlage 33 4) Der Redebeitrag wird im Plenarprotokoll der 187. Sitzung abgedruckt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/10730 und 16/6997 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hier sehe ich keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 3 auf: 13 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - Drucksache 16/10808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Marieluise Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Historische Chance des VN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nutzen - Drucksache 16/10841 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich weiß, dass es schon spät ist. ({0}) - Das macht uns gar nichts; denn dieses Thema ist uns wichtig. Ich will deshalb gleich zu Beginn sagen: Ich rede heute Abend hier nicht, weil einzelne Abgeordnete der Fraktion bestimmt haben, dass heute Abend zu diesem Thema gesprochen wird. Ich rede vielmehr aus Überzeugung zu diesem Thema. Als Zweites sage ich ganz deutlich, lieber Markus Kurth, dass nicht die Bundesregierung die Tagesordnung und den Zeitpunkt dieser Debatte festgesetzt hat, was du leider so kritisch angemerkt hast, sondern dass immer noch das Parlament die Tagesordnung aufstellt und damit auch, wann und wie lange gesprochen wird. Insofern möchte ich den Hinweis geben, dass man nicht so eifernd damit umgehen sollte. Es geht um ein sehr ernstes Thema, nämlich um das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das aus meiner Sicht - das will ich klar sagen - immerhin das Potenzial hat, den Alltag von über 600 Millionen behinderten Bürgerinnen und Bürgern auf der Welt entscheidend zu verbessern. ({1}) Das Übereinkommen ist Ausdruck des aktiven Kampfes gegen Diskriminierung. Für die Betroffenen ist es ein großer Schritt auf dem Weg zu einer uneingeschränkten Gleichstellung, zu Teilhabe und Selbstbestimmung. Das Übereinkommen und das dazugehörige Fakultativprotokoll spezifizieren und konkretisieren grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Leben, das Recht auf Freizügigkeit und das Recht auf gleichberechtigten Zugang zur Justiz, umfassen aber auch konkrete Regelungen zur Chancengleichheit und zur Gestaltung barrierefreier Lebenswelten. Deutschland gehörte am 30. März 2007 zu den Erstunterzeichnern beider Dokumente. ({2}) - Herr Seifert, hören Sie mal zu, arbeiten Sie konkret mit und machen Sie keine schrägen Zwischenrufe! ({3}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir den nächsten Schritt: Das Übereinkommen und das dazugehörige Fakultativprotokoll sollen innerstaatlich verbindlich werden. Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich hier ausdrücklich betonen: Das Übereinkommen basiert auf den zentralen Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen. Es schafft also keine Sonderrechte, sondern gewährleistet, dass die spezifischen Lebenslagen behinderter Bürgerinnen und Bürger systematisch beachtet werden. Das Fakultativprotokoll erweitert die Kompetenzen des Vertragsausschusses des Übereinkommens um das Verfahren der Individualbeschwerde und das Untersuchungsverfahren. Beide Verfahren lehnen sich an die entsprechenden Verfahren in anderen Menschenrechtsverträgen an und stärken damit die Umsetzung des Übereinkommens. Die deutsche Delegation hat sich, unterstützt von den Verbänden behinderter Menschen, von Anfang an aktiv an den Verhandlungen beteiligt und die Verhandlungsposition der Europäischen Union maßgeblich beeinflusst. Während des gesamten Verhandlungsprozesses waren Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft stets eng mit eingebunden. Eine Vertreterin des Deutschen Behindertenrates wirkte als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation aktiv an den Verhandlungen mit. Gemeinsam haben wir uns erfolgreich beispielsweise dafür eingesetzt, die Belange von Frauen mit Behinderungen in eigenen Regelungen im Konventionstext besonders zu benennen. Für die Belange behinderter Bürgerinnen und Bürger ist in Deutschland in den vergangenen Jahren politisch viel bewegt worden. Seit 1998 ist zum traditionellen sozialrechtlichen Ansatz in der Politik für und mit behinderten Bürgerinnen und Bürgern ein starker bürgerrechtlicher Ansatz getreten. Es ist gelungen, in nur einem Jahrzehnt ein ganzes Politikfeld von Grund auf zu erneuern und Großes auf den Weg zu bringen: Sozialgesetzbuch IX, das Behindertengleichstellungsgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, eine ganze Reihe erfolgreicher Arbeitsmarktprogramme und die Einführung des Rechtsanspruchs auf ein persönliches Budget. All das hat den Alltag behinderter Bürgerinnen und Bürger in Deutschland spürbar verbessert. Es wäre aber falsch, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. ({4}) Es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Wir müssen gemeinsam ehrgeizig bleiben. Ich betone: gemeinsam ehrgeizig bleiben. Die Konvention der Vereinten Nationen ermuntert und verpflichtet uns dazu. Sie wird in Zukunft ein wichtiges Referenzdokument sein, auf dessen Grundlage neue Entwicklungen in der Behindertenpolitik angestoßen und beurteilt werden. Ich baue darauf, dass wir die Politik in möglichst großer Gemeinschaft fortführen. Deswegen habe ich darauf hingewiesen, dass Eifern an dieser Stelle falsch wäre. Kollege Kurth, es wurde darauf hingewiesen, dass das Parlamentsfernsehen heute Abend diese Debatte überträgt. Ich lege großen Wert darauf, festzustellen, dass die Enge der Tagesordnung damit zu tun hat, dass das Parlament auf Parteitage Rücksicht nimmt. Die Grünen haben nun einmal am Freitag einen Parteitag. Deshalb hat sich die Tagesordnung dieses Parlaments sehr gedrängt. Ich finde es unfair, wenn man nach außen so tut, als würde die Bundesregierung diesem wichtigen Tagesordnungspunkt wenig Bedeutung beimessen und dieses Thema zu nachtschlafender Zeit nur hasenfüßig behandeln. ({5}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Erwin Lotter für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Erwin Lotter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003895, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, anlässlich meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag Kritik leider nicht ersparen. ({0}) Dafür ist unser heutiges Thema, die UN-Behindertenrechtskonvention, viel zu wichtig. Die Konvention kann - ich betone: kann - ein Meilenstein auf dem Weg zu vollständiger Gleichberechtigung, Teilhabe und Chancengleichheit behinderter Menschen sein. Die FDP steht uneingeschränkt hinter den Zielen der UN-Konvention. ({1}) Selbstbestimmung, vollständige gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherung von Chancengleichheit sind selbstverständliche Bestandteile liberaler Gesellschaftspolitik. ({2}) Allein durch die Ratifizierung der Konvention werden wir in der Behindertenpolitik aber keinen Schritt vorankommen. Um das Hauptziel der Konvention, nämlich das Begreifen von Behinderung nicht als Schwäche, sondern als menschliche Normalität, zu erreichen, ({3}) bedarf es einer sorgfältigen und öffentlichen Diskussion sowie einer Überprüfung unserer politischen, rechtlichen und sozialen Realität. ({4}) Die Konvention muss mit Leben erfüllt werden. Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden überprüfen, ob die Rahmenbedingungen und das staatliche Handeln dem Sinn der Konvention entsprechen. Viele behinderte Menschen in Deutschland knüpfen schon heute ganz konkrete Erwartungen an die Konvention. Viele Eltern behinderter Kinder zum Beispiel leiten aus der Konvention ab, dass ihre Kinder nach der Ratifizierung des Übereinkommens durch den Bundestag nicht mehr Förderschulen besuchen müssen, sondern auch bei jeder Regelschule einen Anspruch auf Aufnahme und qualitativ hochwertige Förderung und Bildung haben. Auch Patientenvertreter psychisch Kranker haben Fragen gestellt, die bislang aber keine hinreichende Würdigung durch den Gesetzgeber erfahren haben. Diese Menschen müssen wir mit ihren Sorgen, Wünschen und Erwartungen ernst nehmen. Diese Menschen wollen wissen, woran sie sind und was ihnen die Konvention ganz praktisch bringen wird. Leider nimmt die Bundesregierung die Wünsche Betroffener nicht ernst genug. So hat die Bundesregierung zum Beispiel schriftliche Anfragen meines Vorgängers Jörg Rohde und des Kollegen Markus Kurth von den Grünen wortkarg und wenig bis gar nicht überzeugend beantwortet. ({5}) Herr Staatssekretär Thönnes hat in einer der Antworten wörtlich erklärt, dass das Kabinett die Übereinstimmung der deutschen Rechtslage mit den Anforderungen der Konvention beschlossen hat. Es ist mir völlig neu, dass juristische Überprüfungen neuerdings durch Kabinettsbeschlüsse ersetzt werden können. ({6}) Vor über eineinhalb Jahren, am 30. März 2007, haben die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Karin Evers-Meyer, und Staatssekretär Franz Thönnes die Konvention bei den Vereinten Nationen in New York vor Ort unterzeichnet. Die Bundesregierung mit all ihren Ministerien hatte somit eineinhalb Jahre Zeit für eine kritische Überprüfung des Handlungsbedarfs, den die Konvention mit sich bringen könnte. Das Ergebnis der Überprüfung überrascht mich dann doch. Lapidar heißt es jetzt im Entwurf des Ratifizierungsgesetzes: Durch das Gesetz entsteht kein weiterer Vollzugsaufwand. Und: Durch das Gesetz entstehen für Bund, Länder und Gemeinden keine weiteren Kosten. Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und Union, beim besten Willen nehme ich Ihnen das nicht ab. Sie alle wissen, dass die Konvention, die wir Liberalen ausdrücklich unterstützen, in vielen Details zumindest in einem Spannungsverhältnis zu geltendem Recht steht. So schreibt zum Beispiel Kollege Hüppe von der CDU/CSU in der vergangenen Woche in einem Brief an die Elterninitiative „Eine Schule für alle“: Eine Umsetzung des Artikels 24 bedeutet für die Bundesländer ein Umdenken in ihrer bisherigen Schulpolitik. Konsequenterweise müssten sie das Förderschulsystem weitestgehend aufgeben und Kindern mit Behinderungen die Beschulung in Regelschulen ermöglichen. Ich frage Sie, Herr Hüppe: Warum erklären Sie nicht in der Problem-, Ziel- und Lösungsskizze des Gesetzentwurfes, was Sie der Elterninitiative klipp und klar in Ihrem Brief mitgeteilt haben, ({7}) nämlich dass Sie die grundsätzliche Beschulung behinderter Kinder in Regelschulen bei uns in Deutschland nur mittel- bis langfristig für durchsetzbar halten? Die gleiche Frage richte ich an die Kollegin Silvia Schmidt, behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie greifen Ihre Koalitionspartner, CDU und CSU, direkt an, wenn Sie in Ihrem Schreiben an die gleiche Elterninitiative erklären, dass inklusive Bildung ein Ansatz ist, den die unionsregierten Bundesländer wohl eher nicht unterstützen. Völlig zu Recht stellen Sie die Konvention als eine politische Herausforderung dar, nicht jedoch als Lösung aller Probleme behinderter Menschen in Deutschland. Aber auch Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie diese Erkenntnis nicht in den vorliegenden Gesetzentwurf haben einfließen lassen. ({8}) Besonders beunruhigt mich bei Ihrem Brief an die Elterninitiative, Frau Schmidt, der letzte Satz: Die UN-Konvention gibt uns dazu das richtige Instrument an die Hand, um auch für Sie als engagierte Mutter nach langem Kampf eine Rechtsgrundlage für Inklusion zu haben. ({9}) Frau Schmidt, wollen Sie wirklich, dass Eltern behinderter Kinder jetzt vor Gericht in jahrelangen Rechtsstreitigkeiten die Beschulung ihrer Kinder in Regelschulen durchsetzen müssen? Das ist der springende Punkt Ihres Umgangs mit der UN-Konvention, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen. Sie nehmen bewusst Rechtsunsicherheiten in Kauf, getreu dem Motto: Was wir politisch nicht erreichen, sollen halt die Gerichte klären. Das nenne ich verantwortungslos. ({10}) Rechtsunsicherheiten, enttäuschte Hoffnungen und Missverständnisse werden der Konvention nicht zum Erfolg verhelfen. Danke. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Dr. Lotter, das war Ihre erste Rede hier in diesem Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich und wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles erdenklich Gute. ({0}) Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hubert Hüppe.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch meinen Glückwunsch an Herrn Dr. Lotter für diese Jungfernrede. ({0}) - Doch, ich bin da sehr großzügig. - Ich freue mich - ich glaube, Sie sind behindertenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion -, dass ich jetzt solche neuen Töne zur Inklusion höre. Ich glaube, wenn Sie so weitermachen und die FDP Ihrer Politik folgt, dann können wir eine Menge daraus machen. ({1}) Seit langem gab es die Idee einer UN-Menschenrechtskonvention, die vor allen Dingen die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen im Blick hat. Mit der Annahme der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2006 ist diese Idee real geworden. Deutschland - das wurde eben schon einmal gesagt - hat sich an der inhaltlichen Gestaltung beteiligt und diese UN-Konvention intensiv begleitet und mitgeprägt. Im März 2007 - auch dies wurde gesagt - wurde sie gezeichnet. Damit haben wir von Anfang an eine Vorreiterrolle eingenommen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal allen Beteiligten, die dort mit sehr viel Kraft und Engagement für uns verhandelt haben, für die Realisierung der UN-Konvention danken. Mit diesem internationalen Übereinkommen liegt ein Dokument vor, das den Schutz der in zahlreichen anderen Konventionen aufgeführten Menschenrechte speziell abgestimmt auf die Belange von Menschen mit Behinderungen garantieren soll. Die UN-Konvention ist ein Novum in der Behindertenpolitik. Von vielen Seiten werden große Erwartungen an die Ratifizierung und die Umsetzung der UN-Konvention geknüpft. Erklärtes Ziel des Übereinkommens ist die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen sowie ihre umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. Sie will die Grundrechte dieser Menschen garantieren. Durch die Ratifizierung der UN-Konvention ist es unsere Aufgabe, auch weiterhin dafür zu sorgen, dass eine gesellschaftliche Entwicklung fortgeführt wird, die Menschen unabhängig von Art und Grad der Behinderung als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkennt. Die Konvention unterstützt unsere bisherigen Handlungen und Entscheidungen in der Behindertenpolitik. Wir haben in den vergangenen Jahren über die Parteigrenzen hinweg - das betone ich ausdrücklich - einen guten Weg eingeschlagen, um Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung und ein Leben mitten in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das gilt sowohl im Hinblick auf das Behindertengleichstellungsgesetz und das SGB IX als auch im Hinblick auf den Rechtsanspruch auf Leistungen in Form des Persönlichen Budgets. Ich sage aber auch, dass wir längst noch nicht alles erreicht haben. Dies gilt vor allem für die praktische Umsetzung von Ansprüchen. Wir haben weniger ein Defizit bei den Rechtsnormen. Die Probleme liegen vielmehr in der Praxis. Im SGB IX heißt es zum Beispiel, dass Fristen eingehalten werden müssen und dass der zweite Träger die Leistungen auch dann zuteilen muss, wenn er selbst nicht zuständig ist. In Wirklichkeit sieht die Situation aber so aus, dass Behinderte immer noch von einer Stelle zur anderen geschickt und insbesondere Eltern häufig weggeschickt werden, obwohl sie eigentlich Ansprüche geltend machen könnten. Das ist nicht länger hinnehmbar. ({2}) Diese Konvention ist der Leitfaden, an dem sich unsere politischen Entscheidungen, aber auch ihre praktische Umsetzung messen lassen müssen. Bei allen Gesetzgebungsverfahren haben wir darauf zu achten, dass die in der UN-Konvention enthaltenen Rechte auch tatsächlich umgesetzt werden. Das gilt für alle Bereiche, nicht nur für das SGB IX und die Gesundheits- und Sozialpolitik. Das gilt auch für die Bildungspolitik und bis hin zur Verkehrs- und Kulturpolitik. Meine Damen und Herren, positiv ist, dass infolge dieser UN-Menschenrechtskonvention erstmalig eine unabhängige Stelle geschaffen werden muss, die den Prozess der Umsetzung und Durchführung der UN-Konvention in Deutschland überwacht und begleitet. Damit dämmen wir das Risiko ein, dass diese Konvention in den Schubladen verschwindet und vergessen wird. Ebenfalls begrüße ich, dass diese Konvention ohne Vorbehalte und Interpretationserklärungen ratifiziert wird. ({3}) - Die Denkschrift ist nicht Sache des Parlaments, sondern eine Stellungnahme der Regierung; darauf komme ich noch zu sprechen. Sie ist auch kein Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens; auch darauf muss man an dieser Stelle hinweisen. Die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen kann als Grundlage für die Weiterentwicklung einer modernen Behindertenpolitik dienen. Aus diesem Grund dürfen wir nicht den Eindruck erwecken, als sei schon alles gut. Ich gebe Ihnen recht: Wenn man die Denkschrift liest, kann man manchmal den Eindruck gewinnen, als sei schon alles getan. Nein, dieses Dokument nur als Bestätigung der bisherigen Politik zu betrachten, wäre aus meiner Sicht nicht richtig. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle neben den positiven Aspekten auch ein paar kritische Worte sagen; das wird Sie freuen, Herr Dr. Lotter. Meine Kritik bezieht sich insbesondere auf Teile der Übersetzung, aber auch - darauf wurde gerade hingewiesen - auf Teile der Denkschrift. So kann ich in der Tat meine Enttäuschung darüber nicht verhehlen, dass die in der englischsprachigen Fassung gewählte Formulierung „inclusive education“ in der deutschsprachigen Fassung mit „integrative Bildung“ übersetzt wurde. ({5}) Weder aus politischer noch aus wissenschaftlicher Sicht beinhalten Inklusion und Integration das Gleiche. ({6}) Während der Gedanke der Integration von einer Anpassung des behinderten Kindes an das bestehende Bildungssystem ausgeht, muss sich nach dem Inklusionskonzept das Bildungssystem an den Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren. Dies ist meiner Meinung nach in Art. 24 der Originalversion deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, soll auf allen Ebenen ein inklusives Bildungssystem gewährleistet werden. Bei den vielen Begegnungen, die ich wie alle anderen, die in der Behindertenpolitik tätig sind, erlebe, stelle ich immer wieder fest: Eines der größten Probleme ist, dass die Menschen, die keine Behinderung haben, nie gelernt haben, mit Menschen mit Behinderung umzugehen. Das liegt zum Teil auch daran, dass sie nicht mit ihnen aufgewachsen sind. ({7}) Um das zu ändern, sollte man dafür sorgen, dass behinderte und nicht behinderte Kinder in einen gemeinsamen Kindergarten und nicht in getrennte Kindergärten gehen. Denn was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Das gilt für Menschen mit und ohne Behinderung. ({8}) Noch ein Wort zu Art. 10. Der Staatssekretär hat schon darauf hingewiesen, dass dort das Recht auf Leben dokumentiert ist. In der englischen Sprache spricht man von „inherent right to life“. Übersetzt wird das mit „angeborenes Recht auf Leben“. Wenn ich das richtig übersetzen würde, dann würde ich sagen, dass es mehr darum geht, dass es für jeden Menschen ein innewohnendes Recht auf Leben gibt. Das ist ein Unterschied. Das sage ich auch im Hinblick auf die Debatte, die über die Spätabtreibungen geführt wird. Auch hier muss man fragen, wie ernst man das Recht auf Leben nimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt, dass auch schon dem ungeborenen Kind ein Lebensrecht zukommt. ({9}) Wenn zum Beispiel über 90 Prozent der ungeborenen Kinder, bei denen das Down-Syndrom festgestellt wurde, getötet werden, dann ist das für mich auch eine Diskriminierung von behinderten Menschen. ({10}) Meine Damen und Herren, die Ratifizierung des Übereinkommens - wir werden in der Anhörung und auch danach sicherlich eine sehr kritische Diskussion darüber führen - ist für mich von großer Bedeutung. Die UN-Konvention bedeutet eine einmalige Chance zur konsequenten Fortentwicklung der Rechte der Menschen mit Behinderungen. Wir sollten diese Chance nutzen. Vielen Dank fürs Zuhören. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie haben es offenbar immer noch nicht begriffen: Diese Konvention wird nicht nur das Leben von 600 Millionen Menschen mit Behinderungen auf der Welt verändern; diese Konvention hat das Potenzial, die Lebenssituation von uns allen - auch von Ihnen - zu verändern. Das ist nämlich eine Menschenrechtskonvention und kein Behindertenspezialgesetz. Das haben sogar Sie gesagt; aber Sie haben nicht gemerkt, welche Konsequenzen das hat. Das ist der unglaublich positive Aspekt daran: Es ist die erste Menschenrechtskonvention des 21. Jahrhunderts. Wir reden hier nicht über Nichtigkeiten, sondern über etwas sehr Wichtiges. ({0}) In dem Zusammenhang muss ich schon einmal sagen: Wenn Sie behaupten, dass das nichts kostet, dann machen Sie sich entweder etwas vor oder Sie belügen die Bevölkerung oder - das wäre das Schlimmste - Sie wollen es nicht. Wir brauchen nicht nur ein Gesetz, in dem steht, dass die Bundesrepublik Deutschland mitbekommen hat, dass es diese Konvention gibt, sondern wir brauchen Umsetzungs- und Vollzugsgesetze. Nach meinem bisherigen Überblick werden das auf Bundes- und Länderebene mindestens ungefähr 300 sein. Das ist das, was ich bis jetzt recherchiert habe. Vermutlich werden es am Ende noch mehr werden. Damit Sie wissen, was ich meine: Im § 201 des Strafgesetzbuches zum Beispiel geht es um den Schutz der Privatsphäre. Wo ist diese denn in irgendeinem Heim gegeben, wenn jeder zur Tür hereinkommen kann? Das muss geändert werden, wenn wir diese Konvention ernst nehmen. Das war nur ein Beispiel, weil ich nicht immer die aufzählen will, die jeder schon tausendmal gehört hat. Wir brauchen nicht nur ein Umsetzungs- und Vollzugsgesetz, sondern wir brauchen ein richtiges Konzept für die Umsetzung und den Vollzug dieser Konvention. Das kostet ein bisschen, vor allen Dingen natürlich geistige Anstrengung und dann auch ein bisschen Geld. Ganz klar ist: Wir brauchen auch eine Übersetzung, die dem Geist dieser Konvention gerecht wird. Wenn Sie nicht einmal bereit sind, anzuerkennen - das ist mir durch die Antwort auf eine Anfrage gerade erst wieder bestätigt worden -, dass es auch andere Übersetzungsmöglichkeiten als die gibt, die Sie uns hier ständig vorhalten, dann hat das etwas mit Ignoranz zu tun. Es gibt die „Schattenübersetzung“ des „Netzwerks Artikel 3“ - ich danke den Kolleginnen und Kollegen aus der Behindertenbewegung ausdrücklich dafür, dass sie sich diese Mühe gemacht haben -, in den wenigstens die gröbsten Fehler Ihrer Übersetzung ausgemerzt sind. Deshalb werden die Linke und, wie ich hoffe, auch viele andere Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag wenigstens darum kämpfen, dass die von Ihnen so abgeschwächte Übersetzung nicht „als amtlich“ bezeichnet wird, damit sich anschließend niemand auf irgendeine andere Übersetzung berufen kann. Das ist ein Trick von Ihnen, den wir nicht durchgehen lassen können. ({1}) Das Gleiche gilt für die sogenannte Denkschrift. Herr Hüppe hat behauptet, sie sei nicht Teil des Ratifizierungsprozesses. Dann verknüpfen Sie sie auch nicht damit! Dann sollten Sie klipp und klar sagen, dass diese Denkschrift nichts mit dem richtigen Leben zu tun hat ({2}) - Entschuldigung, ich will das von der Regierung hören und dass sie im Ratifizierungsprozess keine Relevanz hat. Dann kann nicht später, wenn sich die Richter damit befassen müssen, vorgebracht werden, dass der Gesetzgeber diese Denkschrift einbezogen hat. Das muss raus. Weiterhin ist zu überlegen, wie die Kompetenzen auf Bundes- und Länderebene zu regeln sind. Die ganze Kleinstaaterei muss überdacht werden, ob es um das Baurecht, das Schulrecht oder das Heimrecht geht. Das kann man nicht wie in Kleinstaaten jeweils unterschiedlich regeln. Ein weiterer Punkt: Wir können Menschen mit psychischen Erkrankungen und Psychiatrieerfahrungen nicht im Regen stehen lassen, wenn sie dagegen kämpfen, zwangseingewiesen zu werden, nicht etwa, weil sie sich selbst oder andere gefährden, sondern nur deshalb, weil sie eine psychische Erkrankung haben. Ich denke, all diese Fragen müssen bedacht werden. Uns liegt ein unglaublich wichtiges Dokument vor. Selbst in der abgeschwächten Form ist es eine tolle Konvention. Aber lassen Sie sie in ihrer ursprünglichen Form wirken. Sorgen Sie dafür, dass nicht die Menschen mit Behinderungen sich der Umwelt anpassen müssen, sondern passen Sie die Umwelt den Menschen mit Behinderungen so an, dass sie darin leben können! Ich danke Ihnen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich von Staatssekretär Brandner des Eiferns bezichtigt worden bin - ich weiß, dass die Bundesregierung die Tagesordnung nicht selbst erstellt, sondern die sie tragenden Mehrheitsfraktionen und die Parlamentarischen Geschäftsführer -, ({0}) bleibe ich dabei, dass die Debatte über dieses so überaus wichtige Übereinkommen einen besseren Zeitpunkt verdient hätte als jetzt nach 22.30 Uhr. Ich hoffe doch sehr, dass dies bei der zweiten und dritten Lesung der Fall sein wird. ({1}) - Dass Sie jetzt den Parteitag der Grünen dafür verantwortlich machen, obwohl die UN-Konvention schon seit anderthalb Jahren vorliegt, ist kleine Münze. ({2}) Aber zur Sache: Ich möchte vorweg auf die Einwände von Herrn Seifert eingehen, weil ich glaube, dass es für die Menschen, die diese Debatte verfolgen, wichtig ist, klarzustellen, dass die Denkschrift der Bundesregierung keine Beschlusssache des Parlamentes ist. Es ist bloß eine Willensbekundung der Bundesregierung. Ich habe ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes eingeholt und mit anderen Völkerrechtlern gesprochen: Aus der Denkschrift der Bundesregierung alleine gehen keinerlei Interpretationshilfen für Gerichtsentscheidungen und dergleichen hervor. Ich glaube, wir müssen das sehr deutlich machen. Es wäre auch schlimm, wenn es so wäre. Denn die Denkschrift verschenkt alles, was an positivem Veränderungsgehalt in dieser Konvention enthalten ist. In der Konvention wird ein völlig neues Verständnis von Behinderung angelegt. Es geht nicht darum, dass sich der Mensch anpassen muss, wie Herr Seifert richtig ausgeführt hat; stattdessen werden die Umweltbedingungen und äußeren Umstände von Behinderungen in den Fokus gerückt. Behinderung wird als Wechselverhältnis zwischen der Besonderheit eines Menschen und der ihn umgebenden Lebensumwelt und sozialen Umwelt gesehen. Art. 12 der UN-Konvention sieht die gleiche Anerkennung vor dem Recht vor. Er eröffnet die Möglichkeit, wenn nicht sogar die Verpflichtung, etwa im Betreuungsrecht Änderungen vorzunehmen und die Geschäftsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen nicht mehr abzuerkennen, sondern ihnen stattdessen eine rechtliche Begleitung zur Verfügung zu stellen. In Art. 19 ist das Recht auf Wohnen und auf unabhängige Lebensführung in den eigenen vier Wänden verankert. Das heißt, wir können und müssen den Kostenvor19910 behalt in der Sozialhilfe, wenn es darum geht, in den eigenen vier Wänden selbstbestimmt zu wohnen, kippen. ({3}) Art. 24 beinhaltet das wichtige Recht auf Bildung; das hat der Kollege Lotter schon ausgiebig angesprochen. Das heißt, die UN-Konvention eröffnet die Möglichkeit - das ist noch keine Garantie -, einen Durchbruch bei inklusiver Bildung zu erzielen. Ich hoffe, dass die von der FDP mitregierten Bundesländer das genauso engagiert betreiben werden, wie Sie es eben dargelegt haben. Die Übersetzungsfehler gehen unter anderem darauf zurück, dass die Länder von Inklusion, inklusiver Beschulung und Beschulung in der Regelschule nicht viel wissen wollten und dass deswegen von integrativer Beschulung die Rede ist. Ich hoffe sehr, dass dieses Parlament über das hinauskommt, was mir die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine schriftliche Anfrage am 9. Oktober 2008 beschieden hat. In der Antwort der Bundesregierung heißt es lapidar: Das Kabinett hat anlässlich der Beschlussfassung über den Gesetzentwurf auch beschlossen, dass die derzeitige deutsche Rechtslage … den Anforderungen des Übereinkommens entspricht. Wenn dem so wäre, dann bräuchten wir die UN-Konvention erst gar nicht zu ratifizieren. Ich kann nur davor warnen, dieses wichtige Kernstück, ein Erbe der rot-grünen Regierung, zu verspielen. Wir sollten die deutsche Rechtslage in einem emanzipativen Sinn weiterentwickeln und den Stolz darüber, dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Verhandlung über dieses Abkommen treibende Kraft war, in eine entsprechend stolze Gesetzgebung auf nationaler Ebene münden lassen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Silvia Schmidt für die SPD-Fraktion.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Lotter, meinen herzlichen Glückwunsch zu dieser Rede. Ich freue mich unglaublich, dass Sie das genauso sehen wie wir; denn es ist festzustellen - das können Sie noch nicht wissen -, dass wir im Grunde genommen alles, was mit der Politik zugunsten von Menschen mit Behinderungen zu tun hat, gemeinsam vorangebracht und geschlossen getragen haben. Um das zu verdeutlichen: Wir sind stolz auf das SGB IX; Herr Brandner hat dazu schon einiges gesagt. Wir haben auch den Grundstein für eine UN-Konvention gelegt. Das sollten wir nicht vergessen. Das Persönliche Budget wurde dort schon festgeschrieben. Das ist die richtige Richtung. Aber natürlich gibt es Veränderungsbedarf, Hubert Hüppe. Markus Kurth hat es schon erwähnt. Es geht um das SGB XII und den Grundsatz „ambulant vor stationär“. Darüber reden wir schon 30 Jahre. Es passiert aber nichts. Es werden weiter Heime gebaut, und zwar in verstärktem Maß. Menschen dürfen aufgrund des Mehrkostenvorbehalts nicht dort leben, wo sie leben wollen. Die überörtlichen Träger haben aber festgestellt, dass ambulante Leistungen mit Sicherheit preiswerter sind als stationäre. Aber das kommt nicht an. Zum Inklusionsgedanken selbst, also zur Idee, von Anfang an mittendrin zu sein. Richard von Weizsäcker hat gesagt: Was ich am Anfang nicht trenne, brauche ich später nicht mehr zusammenzuführen. - Das sollten wir uns alle gut merken. Wir sollten auf die Kultusminister in den Bundesländern entsprechend einwirken, insbesondere auf den bayerischen. Schleswig-Holstein und Berlin haben bereits erkannt: Inklusion ist die Zukunft. Es gibt keinen anderen Weg. Diesen sollten wir beschreiten. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung verficht das eifrig. Sie haben Briefe erwähnt. Es gibt auch einen Brief von uns vieren, in dem wir die Kultusminister auffordern, die inklusive Bildung voranzutreiben. Wir haben sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Man hat sich für Integration entschieden. Wir halten das für nicht richtig und hoffen, dass noch eine Veränderung einsetzt. Sie haben vollkommen recht: Es ist nicht gut, dass man noch immer schreiben muss, dass sich die Rechtslage ändern wird und dass die Eltern behinderter Kinder Rechtssicherheit erhalten werden. Ich finde es unanständig, dass Eltern mit behinderten Kindern heutzutage ihre Rechte noch vor Gericht einklagen müssen. Es ist nicht nur unanständig, sondern teilweise auch menschenverachtend und hat wirklich nichts mit dieser Konvention zu tun. Einen Punkt möchte ich noch ansprechen. Wir sollten nicht mehr - darum bitte ich einfach - über schwache Menschen reden; denn eine Gesellschaft ist nur dann schwach, wenn sie den Menschen, die einen Unterstützungsbedarf haben, diesen nicht gewährleisten kann. Vielen Dank und einen schönen Abend. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/10808 und 16/10841 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Axel E. Fischer ({0}), Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Röspel, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Im Deutsch-Israelischen Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008 neue Impulse für die Zusammenarbeit setzen - Drucksache 16/10847 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Wie in der Tagesordnung schon ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die folgenden Kolleginnen und Kollegen: Axel Fischer, Dr. Heinz Riesenhuber, René Röspel, Patrick Meinhardt, Dr. Petra Sitte und Priska Hinz.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008 geht auf die gemeinsame Initiative unserer geschätzten Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, und des israelischen Ministers für Wissenschaft, Kultur und Sport, Galeb Majadle, zurück. Das Ziel dieses bilateralen Jahres ist der Ausbau und die Intensivierung der zwischen beiden Ländern seit nahezu 50 Jahren bestehenden Kooperation in Wissenschaft und Forschung. Die deutsch-israelische Wissenschaftskooperation gilt zu Recht als eine Wegbereiterin für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, und sie ist auch heute noch ein wichtiges und besonders lebendiges Element der bilateralen Beziehungen. Darüber hinaus bietet die Kooperation die Chance, auf der Basis der bestehenden bilateralen Kontakte gemeinsame Kooperationen mit dritten Ländern aufzubauen. Die offizielle Auftaktveranstaltung des Wissenschaftsjahres am 7. und 8. April in Berlin mit einem klassischen Konzert, einem Festakt und einem Symposium mit je 20 deutschen und israelischen Nachwuchswissenschaftlern verschiedener Fachbereiche zum Thema des Wissenschaftsjahres „Wissenschaft als Diplomatie des Vertrauens“ war ein großer Erfolg. Damit konnte eine Serie von Veranstaltungen eingeleitet werden, die die Vielfalt und Exzellenz der deutsch-israelischen Kooperation in Bildung und Forschung, Wissenschaft und Technologie öffentlich sichtbar machten. Das Albert-Einstein-Zentrum an der Hebräischen Universität Jerusalem, das im Zusammenhang mit dem Einsteinjahr 2005 gegründet wurde, präsentierte sich zum Beispiel vor kurzem an der Humboldt-Universität bei der Veranstaltung „Einstein revisits Humboldt“. Wissenschaftler beider Länder hatten in vier verschiedenen fachspezifischen Workshops die Gelegenheit, Kooperationsmöglichkeiten mit Fachkollegen auszuloten. Die Schwerpunkte der fruchtbaren Zusammenarbeit liegen bei Projekten in der Gesundheits- und Umweltforschung und in den Geistes- und Kulturwissenschaften. Gerade bei der gemeinsamen Umweltforschung soll mit den israelischen Partnern intensiv geprüft werden, ob die im Rahmen der Zusammenarbeit gewonnenen vielfältigen Ergebnisse und Lösungskonzepte, zum Beispiel bei der Wasserforschung, an die Bedürfnisse von Entwicklungs- und Schwellenländern angepasst werden können, und ob sich hieraus Möglichkeiten zur gemeinsamen Kooperation mit diesen Ländern ergeben. Ausgehend von der Kooperation auf dem Gebiet des Wassermanagements gilt es weitere Forschungsthemen mit regionalem Charakter in die multilaterale Zusammenarbeit einzubeziehen, wie zum Beispiel die Entwicklung von Konzepten für eine nachhaltige Landnutzung und für die Bekämpfung der Desertifikation sowie die Erforschung und Erhaltung der Biodiversität der Region. Sollten sich hier unsere Hoffnungen erfüllen, werden wir einen großen Schritt auf dem Weg zur sicheren Versorgung mit Wasser in Entwicklungsländern beschreiten, vielen Menschen ein gesünderes und besseres Leben bzw. Überleben sichern und einen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung leisten können. Mit der zivilen Sicherheitsforschung wird gerade ein neues, viel versprechendes Kooperationsfeld angestoßen. Auch Nachwuchswissenschaftler werden zukünftig stärker in die Kooperation eingebunden werden, um für dauerhafte Kontinuität und Nachhaltigkeit in den deutsch-israelischen Beziehungen zu sorgen. Die Bedeutung einer besonderen Förderung von Nachwuchswissenschaftlern, insbesondere die erstmalige Auslobung eines Förderpreises für leistungsstarke deutsch-israelische Teams von Nachwuchswissenschaftlern, kann von daher gar nicht hoch genug geschätzt werden. Das Wissenschaftsjahr war Anlass für zahlreiche Impulse. Gerade im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften kann die Kooperation durch neue Instrumente und Institutionen belebt werden. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Zusammenarbeit von Nachwuchswissenschaftlern beider Länder. Die Einrichtung eines Minerva Humanities Center wird die Kooperation in den Geistes- und Kulturwissenschaften stärken und beleben. Dessen Gründung wurde anlässlich der ersten Deutsch-Israelischen Regierungskonsultationen im März 2008 angeregt. Die Gründung eines Jungen Kollegs der Geisteswissenschaften wird auch die junge Generation verstärkt in den wissenschaftlichen Dialog einbinden. Es wird in den nächsten fünf Jahren speziell der Nachwuchsausbildung dienen und soll für Studierende aller Universitäten offen sein, einen interdisziplinären Ansatz haben. Young Scientists sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Forschungsarbeiten gemeinsam mit Senior Scientists durchzuführen. Angesichts der schwierigen Situation, in der sich die Geistes- und Kulturwissenschaften in der Kooperation befinden, sind weitere besondere Maßnahmen insbeson19912 Axel E. Fischer ({0}) dere zur Förderung des Nachwuchses erforderlich. Der Nachwuchswissenschaftlerpreis ARCHES ({1}), der wechselnd in den Geistes- und Kulturwissenschaften, den Natur- und Ingenieurwissenschaften und in den Lebenswissenschaften vergeben wird, wurde dieses Jahr an ein junges geisteswissenschaftliches Forscherteam verliehen. Damit die Tatkraft und der Enthusiasmus der jungen Wissenschaftler sich frei entfalten und Früchte erbringen können, werden wir uns dafür einzusetzen, dass die grenzüberschreitende Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen multilateraler Projekte durch die zuständigen Behörden erleichtert wird. Wenn nötig werden wir hierzu einen runden Tisch mit allen beteiligten Partnern einrichten und zu Rate ziehen. Es gilt, mit unseren langfristig angelegten Maßnahmen die Impulse des Wissenschaftsjahres über das Jahr 2008 hinaus wirken zu lassen und dazu beizutragen, die dauerhafte Tragfähigkeit der deutsch-israelischen Kooperation zu sichern. Neben der Auftaktveranstaltung in Berlin, siehe Newsletter 1, veranstalteten die wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt Heidelberg - DKFZ, Uni, Hochschule für Jüdische Studien - und die Stadt Heidelberg, die eine Städtepartnerschaft mit Rehovot unterhält, am 17./18. Juli das Symposium „Heidelberg-Israel, Science and Culture“, das die intensiven Kontakte Heidelbergs mit Israel feierte. Am Festakt nahm auch die Bundesministerin für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan teil. Vom 21. bis 25. September veranstalteten die israelischen und deutschen Mitglieder der Internationalen Liga gegen Epilepsie in Berlin den 8. Europäischen Epilepsiekongress, der vom Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Thomas Rachel eröffnet wurde. Dieser Kongress hat die Bedeutung der deutsch-israelischen Kooperation in den Neurowissenschaften hervorgehoben, auch auf multilateraler Ebene. Im Deutsch-Israelischen Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008 müssen neue Impulse für die Zusammenarbeit gesetzt werden.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wissenschaft lebt davon, dass sie Grenzen überschreitet, und das nicht nur in ihrem Fach. Auch dass unsere Beziehungen zu Israel heute, fast 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, wieder sehr eng und freundschaftlich sind, verdanken wir zum großen Teil der Wissenschaft. Es waren engagierte Wissenschaftler, die schon in den 50er-Jahren vor allen anderen unsere Völker wieder zum Gespräch zusammenbringen konnten, und dies war lange vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahre 1965. Nach zahlreichen Vorgesprächen reisten im Jahre 1959 Otto Hahn, Wolfgang Gentner und Feodor Lynen von der Max-Planck-Gesellschaft erstmals zum Weizmann Institute of Science in Rehovot, und bereits ein Jahr später begannen die Institute, gemeinsam an konkreten Projekten zu arbeiten. Diese Zusammenarbeit wurde 1964 vertraglich besiegelt, und sie bildete die Basis für die zahlreichen Programme und Forschungszentren der Minerva-Stiftung, die in der Folge entstanden. Sie sind nun schon seit über 40 Jahren eine zentrale Säule der deutsch-israelischen Forschungskooperation und erfüllen höchste wissenschaftliche Ansprüche: bei der Projektförderung in der Grundlagenforschung, zum Beispiel der Krebsforschung, in den 37 Minerva-Exzellenzzentren in Israel und bei der Nachwuchsförderung durch das Minerva-Stipendienprogramm. Nach Minerva kamen weitere wichtige Eckpfeiler der Kooperation hinzu. So startete 1996 das Programm Deutsch-Israelische Projektkooperation, DIP, zur Bearbeitung hoch aktueller Fragestellungen, zum Beispiel in der Alzheimerforschung, in der Mikrostrukturphysik und in der Biochemie. Das DIP-Program wird seit 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft betreut. Die Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2004 an Professor Aaron Ciechanover vom Technion in Haifa unterstreicht die hohe Qualität der Forschung im Rahmen von DIP, denn das Projekt, für das er ausgezeichnet wurde, wurde von DIP mitgefördert. Ein weiteres wichtiges Flaggschiff der deutsch-israelischen Zusammenarbeit ist die Deutsch-Israelische Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, GIF, die in einer hochrangig besuchten Festwoche vom 16. bis 21. November 2008, an der auch Bundesministerin Schavan teilnimmt, ihren 20. Geburtstag feiert. Deshalb möchte ich die Arbeit von GIF an dieser Stelle besonders würdigen. Die Idee zu dieser gemeinsamen Stiftung entstand in den 80er-Jahren. Schimon Peres schlug Helmut Kohl zunächst vor, eine Industriestiftung nach amerikanischem Vorbild zu gründen, was jedoch einige Komplikationen wegen der Nähe der israelischen Industrie zum Militär bedeutet hätte. Wir konnten Herrn Peres schließlich von den Vorteilen einer rein zivilen Forschungsstiftung überzeugen. In einer gemeinsamen Stiftung für bilaterale Kooperationsprojekte der Wissenschaft sollten Partner aus beiden Ländern zusammengeführt werden, über das gesamte Spektrum der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften. Das eingezahlte Kapital sollte von beiden Ländern zu gleichen Teilen aufgebracht werden und dauerhafte Planungssicherheit gewährleisten. Gemeinsam mit Gideon Patt, dem damaligen israelischen Forschungsminister, haben wir dieses einzigartige Projekt aufgebaut. Unser damaliger Finanzminister Gerhard Stoltenberg, der sich als früherer Forschungsminister der Wissenschaft ebenso herzlich verbunden fühlte, wie er sich immer für das deutsch-israelische Verhältnis eingesetzt hat, hat damals unter großen Schwierigkeiten Haushaltsmittel für die Stiftungsgründung bereitgestellt. Und endlich konnten wir 1988 unser Board of Governors gemeinsam benennen: Die ersten Mitglieder auf deutscher Seite waren Prof. Ernst Biekert, Prof. Hans Weidenmüller und Prof. Hubert Markl; letzterer war damals Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Vizepräsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Für den Erfolg von GIF war es sehr wichtig, dass sie von unseren großen Forschungsorganisationen mitgetragen Zu Protokoll gegebene Reden wurde, dass wir hoch angesehene Wissenschaftler für die Mitarbeit gewinnen konnten, und dass bei der Auswahl der Projekte neben wissenschaftlicher Exzellenz und der engen Zusammenarbeit von deutschen und israelischen Forschern auch die Aktualität der Fragestellungen und die Nutzbarkeit der Forschungsergebnisse für beide Seiten die wesentlichen Kriterien waren und sind. Schon in den allerersten Jahren wurde die große Spannweite der Themen deutlich, die GIF unterstützt hat. Besonders stark waren zunächst Projekte aus dem Bereich der Lebenswissenschaften vertreten, aus der Biotechnologie und aus der Landwirtschaft, um neue Methoden und Pflanzen für den schwierigen Anbau in ariden Gebieten zu finden. Ebenso hervorzuheben sind dann die Projekte aus der Gesundheitsforschung, die uns in der Behandlung von Krebs weitergebracht haben. Dazu kommen die gemeinsamen Ausgrabungen bei Gath zur Erforschung der alten Kultur der Philister sowie die Projekte zur Herstellung neuer Materialien mithilfe von Nanoröhren. Deutsche und israelische Wissenschaftler werden im Rahmen der GIF-Förderung auch gemeinsam an Projekten im größten Teilchenbeschleuniger der Welt am CERN in Genf, dem Large Hadron Collider, mitarbeiten. Die statistische Erfolgsbilanz von GIF ist beeindruckend. Über 2 000 Wissenschaftler aus Israel und aus Deutschland haben bis heute eine eindrucksvolle Vielfalt exzellenter Arbeiten vorgelegt und rund 1 000 Kooperationsprojekte vorangebracht. Hinzu kommt das im Jahr 2000 ins Leben gerufene Nachwuchsförderprogramm für junge Wissenschaftler, das bisher rund 200 Forschertalente gefördert hat. Rund 165 Millionen Euro hat GIF bis heute insgesamt für die Wissenschaft zur Verfügung gestellt, aus einem Stiftungskapital von heute 211 Millionen Euro. Diese hervorragende Bilanz ist ganz wesentlich auch Dr. Amnon Barak zu verdanken, der seit 20 Jahren die Geschäfte der Stiftung mit großem Engagement führt. Bereits seit 1973 arbeiten auch die Forschungsministerien beider Länder und das israelische Wirtschaftsministerium sehr eng zusammen. Sie fördern nicht nur gemeinsame akademische Spitzenforschung, sondern auch anwendungsorientierte Kooperationsprojekte zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Von großer Bedeutung sind dabei die Projekte zur besseren Nutzung der knappen Wasserressourcen in der Region, bei denen nicht nur deutsche und israelische Wissenschaftler zusammenarbeiten, sondern auch jordanische und palästinensische Forscher und Forschungsinstitutionen beteiligt sind. So leistet die Wissenschaft nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme in der Region, sondern sprengt einmal mehr politische und psychologische Grenzen. Sie schlägt eine Brücke der Verständigung zwischen den Völkern und kann mithelfen, den Weg für den Frieden für die Menschen in diesem Krisengebiet zu bereiten. Neben den großen Eckpfeilern der Kooperation gibt es zahlreiche weitere Formen der Zusammenarbeit mit Israel, nicht nur bei den großen Forschungsorganisationen. So gibt es rund 70 Hochschulpartnerschaften, zum Beispiel aus Hessen zwischen der Goethe-Universität Frankfurt und den Universitäten in Jerusalem und Tel Aviv und zwischen der Universität Kassel und der BarIlan Universität. Der DAAD und die Alexander von Humboldt-Stiftung vergeben Forschungsstipendien an Forscher und Nachwuchswissenschaftler. Die in Israel tätigen privaten Stiftungen wie die Volkswagen-Stiftung fördern auf vielfache Weise den Wissenschaftleraustausch und den Aufbau neuer Forschungsinstitute. Auch die politischen Stiftungen vor Ort - die KonradAdenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung - arbeiten eng mit Universitäten und Wissenschaftlern aus Deutschland und Israel zusammen. Es ist äußerst erfreulich zu sehen, dass die inzwischen fast 50 Jahre währende deutsch-israelische Wissenschaftskooperation heute so vielfältig und breit angelegt ist, dass man sie kaum noch überblicken kann: Ja, es ist schwer, überhaupt ein Gebiet zu finden, auf dem wir nicht zusammenarbeiten. Dennoch bleibt Raum für weitere Verbesserungen, den wir nutzen müssen. Das deutsch-israelische Jahr der Wissenschaft 2008, das unsere Forschungsministerin Annette Schavan und der israelische Forschungsminister Galeb Majadle im sechzigsten Jahr nach der Staatsgründung Israels ausgerufen haben, würdigt deshalb nicht nur die bisherigen Erfolge, sondern setzt auch zahlreiche neue Zeichen für die Zukunft. Wir wollen und müssen die fruchtbare Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung mit Israel auch künftig auf hohem Niveau fortsetzen und erweitern. In unserem Antrag, den wir heute hier einbringen, machen wir noch einmal deutlich, worum es dabei vor allem geht. Israel und Deutschland gehören als Hightech-Nationen heute zu den führenden Wissenschaftsnationen der Welt, wobei ich gerne auf den Ruf Israels als „Silicon Valley of the Middle East“ hinweise. Eine enge Zusammenarbeit ist für beide Staaten essenziell, wie auch für unsere Wettbewerbsfähigkeit in der globalisierten Wissensgesellschaft, in der nur Innovationen der Garant für sichere Arbeitsplätze und Wohlstand sein können. Gleichzeitig wollen wir die deutsch-israelische Wissenschaftskooperation noch stärker als bisher darauf ausrichten, eine Antwort auf aktuelle und künftige Herausforderungen zu finden: auf die alternde Gesellschaft, den Klimawandel, die Energieverknappung, den internationalen Terrorismus und letztendlich auch auf die Frage der Friedenssicherung im Krisengebiet Nahost. Deshalb wollen wir vor allem die gemeinsame anwendungsorientierte Forschung verstärken, besonders in der Gesundheitsforschung und in der Energieforschung, darüber hinaus in der zivilen Sicherheitsforschung, um Menschen und wichtige Infrastrukturen vor terroristischen Angriffen besser schützen zu können. Durch eine intensivere Zusammenarbeit in den Geisteswissenschaften wollen wir zudem die traditionellen Verbindungen zwischen Deutschland und Israel weiter stärken; das neue Minerva-Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften kann dazu einen großen Beitrag leisten. Wir wünschen uns auch die noch stärkere Einbeziehung von Wissenschaftlern aus den palästinensischen Autonomiegebieten und den Nachbarstaaten Israels in die gemeinsamen Projekte. Denn der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch, die gemeinsame Arbeit und gemeinsame Ziele Zu Protokoll gegebene Reden sind immer noch der beste Weg, Vorurteile und Vorbehalte abzubauen und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ganz besonders wichtig ist und bleibt die Aufgabe, die Zusammenarbeit von Nachwuchswissenschaftlern beider Länder noch mehr zu intensivieren. Das Kapital unserer beiden Staaten liegt vor allem in den Köpfen der Menschen, und unsere Zukunft liegt in den Händen junger Wissenschaftler, in ihrem neuen Denken und in ihrem frischen Geist. Wir unterstützen die neuen Impulse der Bundesregierung für die Forschungskooperation mit Israel voll und ganz. Diese Zusammenarbeit hat sich seit ihren Anfängen in den 50er-Jahren über alle Erwartungen hinaus glanzvoll entwickelt und viele Grenzen überschritten. Wir brauchen auch in Zukunft viele engagierte Wissenschaftler in Deutschland und Israel, die inspirierende Antworten auf drängende Zeitfragen finden und dabei helfen, die besonderen Beziehungen unser Völker weiter zu vertiefen und auch in der Krisenregion Nahost eine Brücke der Verständigung zu bauen. Wir brauchen die Kreativität und den zuversichtlichen Geist der Wissenschaft, um in unserer begrenzten und gefährdeten Welt die Zukunft zu erfinden, für unsere Völker und als unseren Beitrag zur gemeinsamen Zukunft der Menschheit.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Am letzten Wochenende jährte sich zum 70. Mal der Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht. In dieser Nacht im Jahre 1938 zeigte sich für alle Welt deutlich die hässliche Fratze des deutschen Nationalsozialismus. Aber die Diskriminierung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Deutschen Reich wurde bereits mit der Machtergreifung Hitlers 1933 institutionalisiert. Dies betraf natürlich auch die vielen jüdischen Wissenschaftler in Deutschland. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933, das die Entlassung von „regimekritischen“ Beamten vorsah, setzte in den wissenschaftlichen Institutionen eine Entlassungswelle ein, von der etwa 20 Prozent der Universitätsangestellten betroffen waren. Dies führte dazu, dass so renommierte jüdische Wissenschaftler wie Albert Einstein, Theodor W. Adorno oder Victor Klemperer entlassen wurden und meist emigrierten. Viele weniger bekannte Wissenschaftler jüdischen Glaubens verloren aber nicht nur Ihre Arbeitsstellen, sondern später auch ihr Leben. Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, dass bereits Ende der 50er-Jahre eine erste offizielle Delegation der Max-Planck-Gesellschaft, MPG, vom Weizmann Institut, WIS, nach Israel eingeladen wurde. Der Kontakt zwischen der MPG und dem WIS markierte den Beginn einer kontinuierlichen und langfristigen wissenschaftlichen Zusammenarbeit beider Länder und trug wesentlich zum Aufbau der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland bei. Besiegelt wurde die Kooperation zwischen der MPG und dem WIS endgültig mit dem bis heute geltenden Minerva-Vertrag von 1964. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel sollte erst ein Jahr später, 1965, folgen. Seitdem hat sich die wissenschaftliche Kooperation ständig verstärkt. Neben dem Minerva-Vertrag ist dabei insbesondere die DeutschIsraelische Stiftung für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, GIF, zu nennen. Diese 1986 von beiden Regierungen gegründete Stiftung fördert jährlich mittlerweile circa 40 Projekte. Anträge können dabei nur von israelischen und deutschen Forschern gemeinsam eingereicht werden. Unsere SPD-Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn hat sich Anfang 2000 insbesondere für das heutige Nachwuchswissenschaftlerprogramm bei GIF eingesetzt. Allein bis 2006 wurden hierdurch 164 Nachwuchsprojekte gefördert. Israel besitzt heute eine exzellente Wissenschaftslandschaft. Mit Ausgaben um die 4,65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, BIP, gibt es prozentual weltweit den höchsten Betrag für Forschung und Entwicklung aus. Ein sichtbarer Erfolg dieser Gelder sind die vier Israelis, die bisher einen Nobelpreis für wissenschaftliche Erkenntnisse erhalten haben. Israel ist assoziiertes Mitglied beim 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union und kann somit an den aktuellen Programmen teilnehmen. Dieses Jahr hat Israel zum Beispiel 24 erfolgreiche Bewerbungen um finanzielle Förderung beim Europäischen Forschungsrat für Grundlagenforschung erhalten. Pro Einwohner sowie gemessen am BIP steht es damit unter allen Bewerbernationen auf Platz eins, weit vor Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Auch dieser Erfolg zeigt, wie exzellent die israelische Forschung ist. Letztes Jahr konnte ich, zusammen mit einigen Kollegen, bei einer Ausschussreise vor Ort einige Forschungsstrukturen besichtigen. Besonders beeindruckt hat mich dabei die deutsch-israelische Zusammenarbeit im Bereich der Wassertechnologie und Umweltforschung. Israel ist ein wasserarmes Land. Deshalb unterstützt Deutschland Vorhaben, die die Verfügbarkeit und Qualität von nutzbarem Wasser erhöhen und verbessern. Hierbei wird vermehrt auch mit israelischen Nachbarstaaten zusammengearbeitet. So besuchten wir zum Beispiel das multilaterale BMBF-Projekt zum integrierten Wassermanagement am Totem Meer. An diesem durch das BMBF finanzierten Projekt arbeiten deutsche, israelische, jordanische und palästinensische Wissenschaftler zusammen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass scheinbar unüberbrückbare staatliche Gegensätze auf der Wissenschaftsebene viel leichter überwunden werden können. Neben dem Wassermanagement gibt es weitere Bereiche, die ein gemeinsames Problem für die gesamte Region darstellen und nachhaltig nur multilateral bearbeitet werden können. In unserem Antrag haben wir als mögliche wissenschaftliche Kooperationsprojekte deshalb eine nachhaltige Landnutzung, die Zurückdrängung der Desertifikation und die Erhaltung der Biodiversität der Region genannt. Ich freue mich, dass die heutige Leitung des BMBF den von Bundesforschungsministerin Bulmahn eingeschlagenen Weg der verstärkten Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus Israel und Zu Protokoll gegebene Reden Deutschland besondere Bedeutung beimisst. Die Auslobung eines Förderpreises für leistungsstarke deutschisraelische Teams steht damit auch in einer sozialdemokratischen Tradition. Daniel Barenboim hat mit seinem West-Eastern Divan Orchestra im Bereich der Musik vorgemacht, wie wichtig und erfolgreich die Zusammenarbeit zwischen jungen Menschen verschiedener Kulturen und Religionen ist. Man sollte meiner Meinung nach deshalb prüfen, ob die bestehenden Förderungen nicht auch auf Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den Nachbarländern Israels ausgeweitet werden könnten. Trotz unserer gemeinsamen leidvollen Geschichte ist Deutschland mittlerweile ein wichtiger Partner Israels. In der wissenschaftlichen Zusammenarbeit stehen wir hinter den USA auf Platz zwei. Gleichzeitig haben wir ein hohes Ansehen bei den arabischen Ländern der Region. Dies ist eine Chance, die wir verstärkt nutzen sollten. Denn so wie die deutsch-israelische wissenschaftliche Zusammenarbeit zur Versöhnung unserer beiden Länder beigetragen hat, so hoffe ich, dass die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Israel und seinen Nachbarn ebenfalls zu einer stärkeren Annäherung beitragen wird. Wissenschaft kann Brückenbauer sein! Im Hinblick auf den Nahen Osten fühlen wir uns diesem Motto als Sozialdemokraten auch weiterhin verpflichtet.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir wurde im Dezember vergangenen Jahres die Ehre zuteil, an einer Reise des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung nach Israel teilzunehmen. Das, was ich auf dieser Reise gesehen habe, die Menschen und ihre Leistungen, die ich kennenlernen durfte, haben bei mir einen starken und bleibenden Eindruck hinterlassen. Doch - das sei mir an dieser Stelle gestattet zu sagen - ich wundere mich über den uns heute vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen schon. Soll der Antrag - postum sozusagen - das bereits am 8. April dieses Jahres von Dr. Annette Schavan und ihrem israelischen Amtskollegen Raleb Majadele eingeleitete Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaft und Technologie 2008 öffentlich machen? Das würde ich insofern verstehen, als dass dieses Ereignis bis dato weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt blieb. Das Datum der Antragstellung scheint allerdings geeignet, heute an den Neubeginn deutsch-jüdischer Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologieförderung vor jetzt fast schon 50 Jahren zu erinnern. Zu einem sehr frühen Zeitpunkt hat sich die Wissenschaft als Diplomatie des Vertrauens erwiesen. Die Rolle der Max-Planck-Gesellschaft und des israelischen Weizmann Institut of Science wurden im Antrag gewürdigt. Das ist den Verfassern zwar spät, nicht zu spät und gerade noch rechtzeitig eingefallen. Doch warum werden, wo das Bergfest des Wissenschaftsjahres längst hinter uns liegt, erst jetzt neue Impulse von den Regierungsfraktionen gefordert? Oder setzte die Bundesregierung gar die falschen, indem sie stärkere anwendungsorientierte Forschungskooperationen forderte? Der Fokus lag bislang auf der Zusammenarbeit deutscher und israelischer Wissenschaftseinrichtungen. Die Schwerpunkte des Jahres 2008 sind die Medizinwissenschaften, die Umweltforschung und die zivile Sicherheitsforschung. Durchgerührt werden Projekte im Bereich der Trinkwasserüberwachung und der Detektion von chemischen, biologischen und explosiven Gefahrstoffen sowie der Schutzsysteme von Rettungskräften. Doch das besondere Augenmerk des Wissenschaftsjahres liegt auf der Zusammenarbeit von Nachwuchswissenschaftlern beider Länder, um die sehr guten Forschungsbeziehungen zwischen Deutschland und Israel auch in der nächsten Generation fortsetzen zu können. Erstmals gibt es einen Förderpreis für zwei leistungsstarke deutsch-israelische Teams von Nachwuchswissenschaftlern in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ein Meilenstein des Wissenschaftsjahres ist ein neues, mit 2 Millionen Euro Stiftungskapital ausgestattetes Minerva-Zentrum für Geistes- und Kulturwissenschaften. Ich glaube, wir stehen hier in einer guten Kontinuität.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Koalition möchte pünktlich zum Ende des Deutsch-Israelischen Wissenschaftsjahres 2008 die Aktivitäten bundesdeutscher Wissenschaftseinrichtungen und anderer beteiligter Institutionen mit einem eigenständigen Antrag im Bundestag begleiten - nein sie will, ich zitiere, „neue Impulse für die Zusammenarbeit setzen“. Das ist doch begrüßenswert. Zumal sie sich auch auf eine anlässlich dieses Jahres veröffentlichte 72-seitige Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung stützen kann. Welch glückliches Zusammentreffen! Schaut man sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern genauer an, dann stellt man sehr schnell fest, dass über die Jahre gemeinsames Forschen auf Augenhöhe betrieben wurde und dieser Austausch heute zum wissenschaftlichen Alltag gehört. Das war nicht immer so. Ein kurzer Blick auf die lange und widersprüchliche Vorgeschichte scheint mir daher notwendig. Ausgangs des 20. Jahrhunderts gelang jüdischen Intellektuellen, die zugleich eine Staatsgründung unterstützten, die Gründung einer hebräischen Universität in Jerusalem. Sie sollte geistiges, kulturelles und wissenschaftliches Zentrum für die neu entstehende jüdische Gesellschaft sein. Und sie war zu Teilen natürlich auch eine Reaktion auf eine Jahrhunderte währende Geschichte von Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Menschen - auch auf deutschem Staatsgebiet. Dort verschärften sich diese Tendenzen in den Zwanziger- und Anfang der Dreißigerjahre unerträglich. In der systematischen Ermordung von sechs Millionen jüdischer Menschen während der Zeit des deutschen Faschismus fanden sie ihren unfassbaren Höhepunkt. Wer noch konnte, verließ Deutschland. Vielen jüdischen Intellektuellen wurde diese Hebräische Universität Jerusalem neuer geistiger Zufluchts- und Arbeitsort. Diese wie andere israelische Wissenschaftseinrichtungen sind in ihrer Gründung und Entwicklung beeinflusst von Erfahrungen jüdischer IntelZu Protokoll gegebene Reden lektueller und - wie man heute sagen würde - Spitzenforscher, die zuvor an deutschen Universitäten oder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als der Vorläuferin der Max-Planck-Gesellschaft geforscht und gelehrt hatten. Die aktive Beteiligung ihrer vormaligen Kolleginnen und Kollegen an der Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden, auch in ihren eigenen Instituten, an Rassenpolitik und „Volk-ohne-Raum“-Wahn, an Kriegswirtschaft und Kolonialismus sollte uns heute mahnen, die Freiheit der Forschung zwingend als sozial kontextualisierten Wert zu begreifen. Man kann sich noch heute sehr lebendig vorstellen, wie unglaublich schwierig die Voraussetzungen für gemeinsame Wissenschaftskontakte gewesen sein müssen. Sieben Jahre nach dem Luxemburger Abkommen zur Annäherung von Deutschland und Israel begannen 1959 wissenschaftliche Kontakte über die Max-Planck-Gesellschaft. Aus meinen Gesprächen in Israel weiß ich, dass es dazu auch heftige Diskussionen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit Israels gegeben hat. Da erst 1965 diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern aufgenommen wurden, stimmt wohl die Einschätzung, dass die Wissenschaft einen ganz maßgeblichen Anteil an der Vertrauensbildung hatte. Diese Rolle hat sie nie verloren. So beteiligen sich heute auch jordanische und palästinensische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Forschungsprojekten. Zudem ist Israel durch die Zusammenarbeit mit Deutschland erfolgreich in die Forschungsrahmenprogramme der EU integriert und stellt mit einem Ausgabenanteil von 4,8 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung anderen Ländern echte Herausforderungen. Wenn man dann noch weiß, dass es über die weltweit höchste Wissenschaftler- und Ingenieurdichte gemessen an der Bevölkerung verfügt, dann wird klar, warum ich eingangs gesagt habe, dass hier in der Tat Forschungszusammenarbeit auf Augenhöhe betrieben wird. Die Zuwanderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus osteuropäischen und insbesondere Staaten der früheren Sowjetunion hat weitere inhaltliche und qualitative Marken setzen können. Das wäre im Übrigen mit Einwanderungsregelungen bundesdeutscher Prägung undenkbar gewesen! Auch da könnte die Koalition etwas lernen. Im Umfeld dieses Wissenschaftsjahres wird betont, dass man sich stärker anwendungsorientierter Forschung zuwenden will. Damit wird dem selbst gesetzten und allgemeinen Trend in der Ausrichtung von Wissenschaft und Forschung gefolgt. Und so wundert es nicht, wenn in Israel die Namen derselben großen deutschen Firmen als Kooperationspartner auftauchen, die auch schon maßgeblich von der Hightech-Strategie der Bundesregierung profitieren. Ich will das auch bei dieser Gelegenheit kritisch anmerken. Und in Israel treffen diese Unternehmen dann auch noch auf andere, bessere Finanzierungspotenziale ausländischer Investoren, insbesondere in Bezug auf die Mobilisierung von Wagniskapital. Nun hebt Ministerin Schavan den besonderen Schwerpunkt Geistes- und Kulturwissenschaft hervor. Dazu soll ein weiteres Minerva-Zentrum gegründet werden. Es soll der Reflexion von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dienen und der Politik Handlungsoptionen aufzeigen. Das ist spannend, weil die konkrete Ausrichtung noch offen ist. Und gespannt bin ich auch darauf, wie wissenschaftliche Erkenntnisse bereits arbeitender Kooperationszentren dieser Prägung, beispielsweise des Verbundprojektes „Migration und soziale Integration“, in Israel aufgenommen werden. Ich wünschte mir dabei auch Anregungen, für das Leben in Deutschland bestehender oder auch im Aufbau befindlicher jüdischer Gemeinden und für die Integrationsarbeit in ihren Kommunen. Israel hat schließlich umfangreiche Integrationserfahrungen, wenn es darum geht, neue soziale Perspektiven zu öffnen. Dass sich insgesamt vor allem wissenschaftlicher Nachwuchs vernetzen und kontinuierlich kooperieren soll, kann nur begrüßt werden. Ich hoffe aber zugleich, dass dabei vorbereitend auch noch mehr Studierende angesprochen werden. Die Erfahrungsberichte aus der Broschüre des Ministeriums zeigen ja sehr eindrücklich, wie prägend die Aufenthalte im jeweils anderen Land waren. Der Bereich ziviler Sicherheitsforschung soll erstmalig durch gemeinsame Verbundprojekte in die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel aufgenommen werden. Ganz abgesehen davon, dass in absehbarer Zeit ein Zwischenbericht zu Inhalt und Stand dieses Programmteils notwendig ist, sollten vor dem Hintergrund von Forschungen auf geistes- und kulturwissenschaftlichem Gebiet auch deren Erkenntnisse sowie Lösungsansätze entlang der ethnischen, religiösen und sozialen Konfliktlinien in Israel mit diesen Programmteil vernetzt werden. Fragwürdig erscheint uns daher, wenn die Bundesregierung mit Israel sogenannte neue Sicherheitsprodukte zur Umsetzung von Wettbewerbsvorteilen auf internationalen Hochtechnologiemärkten anstrebt. Gerade der Nahe Osten und das Beispiel Israel zeigen doch, dass Sicherheit mit noch so hoch technisierten Systemen nicht produzierbar ist, wenn die zivile Konfliktlösung versagt. Unsere Priorität liegt darauf, dass Sicherheitsforschung ihren Namen nur verdient, wenn sie nicht einseitig auf Abschottung setzt, sondern nachhaltige Konfliktlösungsstrategien entwickelt. Im Fall Naher Osten muss sie konkret auf eine Stärkung des Friedensprozesses ausgerichtet werden. Diesem Ziel sollte sich alles andere unterordnen. Die Linke unterstützt ausdrücklich die Ausweitung der Zusammenarbeit mit Israel - hier konkret in Wissenschaft und Forschung. Lassen Sie mich sinngemäß mit den Worten von Dr. Uwe Bovensiepen, einem Young-ScientistStipendiaten schließen. Durch klug gestaltete und geförderte Programme lassen sich historische Gräben überwinden und ein vielversprechendes Potenzial für die Zukunft entwickeln.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Pflege, der Ausbau und die Vertiefung der deutschisraelischen Beziehungen haben für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen zentralen politischen Stellenwert. Hier im Bundestag haben wir gemeinsam - Regierung und Opposition - vor nicht langer Zeit, den Zu Protokoll gegebene Reden Priska Hinz ({0}) 60. Geburtstag des Staates Israel gewürdigt. Unsere Beziehungen zu Israel sind sehr gut, fest und lebendig. 1965 hat Deutschland mit dem Staat Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Dies wurde nicht zuletzt deshalb möglich, weil auf dem Gebiet der Wissenschaften viele Jahre vorher erste Kontakte und Kooperationen zwischen unseren beiden Ländern entstanden. Die MaxPlanck-Gesellschaft und das israelische Weizmann Institute of Science spielten dabei eine zentrale Rolle. Dies unterstreicht einmal mehr, welche segensreiche Kraft wissenschaftliche Kooperation und internationaler Austausch für Verständigung, Freundschaft und Fortschritt in dieser Welt entfalten können. Heute blicken wir auf viele Jahre vielfältiger und erfolgreicher Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel auf ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Gebieten, beispielsweise der Gesundheitsforschung, zurück. Nun gilt es diese fruchtbare Kooperation zu pflegen und weiter auszubauen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßt daher nachdrücklich, dass 2008 zum Jahr der Deutsch-Israelischen Wissenschaft und Technologie ausgerufen wurde. Die Auslobung eines Förderpreises für leistungsstarke deutsch-israelische Teams von Nachwuchswissenschaftlern oder die Absicht der Bundesregierung, ein neues Minerva-Zentrum für Geistes- und Kulturwissenschaften in Israel einzurichten, sind wichtige Impulse für eine vertiefte Zusammenarbeit und finden daher unsere klare Unterstützung. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD bringen nun heute einen Antrag mit dem Titel „Im Deutsch-Israelischen Jahr der Wissenschaft und Technologie neue Impulse für die Zusammenarbeit setzen“ ein. Da stellt sich die Frage, welche Bedeutung dieses Wissenschaftsjahr für die Koalitionäre tatsächlich hat. Welchen Monat haben wir? Richtig, November. In welchem Jahr leben wir? Richtig, im Jahre 2008. Wann wurde das Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaften feierlich eröffnet? Richtig, Anfang April dieses Jahres. Das Deutsch-Israelische Jahr der Wissenschaft und Technologie ist fast vorbei, und Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, merken anscheinend erst jetzt, dass es ein solches überhaupt gibt! Jetzt sind Sie aufgewacht und wollten noch schnell vor Ablauf des Jahres etwas ins Parlament einbringen. Das merkt man Ihrem Antrag leider an: schöne warme Worte, nichts Konkretes, wachsweiche Forderungen an die Regierung. An Ihrem Antrag ist nicht alles falsch, aber er enthält nichts, was über die Ankündigungen der Regierung hinaus zusätzliche Impulse setzen würde. Schauen wir uns exemplarisch eine ihrer Forderungen an. Sie fordern in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, „vor dem Hintergrund der umfassenden bilateralen und regionalen Kooperation in Wassertechnologie und -management in der Region von Jordan und Totem Meer und dem dort anhaltenden Wassermangel, die Zusammenarbeit in diesem Bereich im Rahmen des Möglichen zu vertiefen“. Die Wasserknappheit ist ein ernstes Problem in dieser Region. Das sehen wir genauso. Die Zusammenarbeit im Bereich von Wassertechnologie und Management sollte vertieft werden. - Auch das halten wir für sinnvoll und wünschenswert. Aber wozu fordern Sie die Bundesregierung auf? Wollen Sie den Expertenaustausch intensivieren, mehr Geld in die Hand nehmen, Prozesse vor Ort durch deutsche Fachleute unterstützen? Die einzig konkrete Formulierung ihrer Forderung ist die Zusammenarbeit „im Bereich des Möglichen“ zu vertiefen. Blumiger, nebulöser, unverbindlicher kann man gar keine Forderung formulieren. Angesichts der Bedeutung der deutsch-israelischen Zusammenarbeit im Wissenschaftsbereich kann ich nur hoffen, dass die Bundesregierung nicht ebenso gestaltungsschwach und ideenlos agieren wird, wie die Koalitionsfraktionen es mit dem vorgelegten Antrag getan haben. Die deutsch-israelische Zusammenarbeit hat mehr Engagement, Energie und Enthusiasmus verdient!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/10847 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich danke Ihnen, dass Sie so lange ausgehalten und mitdiskutiert haben. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. November 2008, 9.30 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.