Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung eines
Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes ({0})
- Drucksache 16/10600 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
- Drucksache 16/10651 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({2})
Hierzu sind Änderungs- und Entschließungsanträge
angekündigt.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir über den Gesetzentwurf später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende Dr. Peter Struck, SPD.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Regierung, die Koalition, aber auch das Parlament haben in einem beispiellosen Kraftakt das Ihre
zur Bewältigung der Finanzmarktkrise geleistet. Ich will
sagen, dass ich als leidenschaftlicher Parlamentarier natürlich weiß, dass es eine Zumutung für das ganze Haus
ist, ein solches Gesetz in nur einer Woche durchzuziehen. Aber wir hatten überhaupt keine andere Chance im
Kampf gegen die Uhr, um schneller zu sein und keine
Gefährdung heraufkommen zu lassen.
Für diesen Vertrauensvorschuss des Parlaments erwarte ich allerdings von der Bundesregierung, von der
Exekutive, dass der Bundestag eng eingebunden wird
und dass ihm alle erdenklichen Kontrollmöglichkeiten
zugestanden werden.
({0})
Das erwarte ich nicht nur im Interesse der Koalitionsfraktionen, sondern auch im Interesse der Oppositionsfraktionen. Bei allem Streit in der Sache haben sie durch
ihren Verzicht auf formale Fristeinhaltung dazu beigetragen, dass die von uns für richtig gehaltene Rezeptur ihre
Wirkung möglichst bald entfalten kann. Ich halte es für
angemessen und notwendig, dass ein zusätzliches Gremium die Fragen des Finanzmarktes erörtern und das
Vorgehen der Bundesregierung begleiten und kontrollieren wird, so wie es in der Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses jetzt vorgesehen ist.
Ich zolle der Bundesregierung Respekt für ihr sehr
entschlossenes Handeln. Ich möchte vor allem dem Finanzminister danken, ein Rettungsszenario aufgezeigt zu
haben, das international eingebettet ist und dennoch den
speziellen deutschen Bedürfnissen ausdrücklich Rechnung trägt.
({1})
Es war auch richtig, dass die Bundeskanzlerin die
erste französische Initiative eines gemeinsamen europäischen Rettungsschirms abgelehnt hat und gemeinsam
mit dem Finanzminister eine europäisch vernetzte, aber
dennoch den nationalen Gegebenheiten geschuldete Initiative vorgelegt hat.
({2})
Es ist ein Erfolg, dass die Bundeskanzlerin und der
Finanzminister eine Einigung mit den Bundesländern
gefunden und angemessen für die Haftung der Bundesländer Sorge getragen haben. Auch das ist ein Erfolg.
Redetext
Dies ist nicht einfach gewesen, wie ich aus den Gesprächen weiß. Denn die Bewältigung dieser Krise ist eine
gesamtstaatliche Aufgabe, bei der alle Schultern mittragen müssen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetz alles in ihrer
Macht Stehende getan hat, um der akuten Krise Herr zu
werden. Aber es gibt, so hoffen wir alle, sehr bald eine
Zeit nach der Krise. Wir müssen Vorkehrungen treffen,
dass sich Gleiches nicht wiederholen kann. Das erwarten
die Menschen von uns.
({3})
Sie vertrauen darauf, dass wir das System ändern. Sie erwarten, dass wir für die Zukunft so vorsorgen, dass sich
eine Krise dieses Ausmaßes nie mehr wiederholen kann.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in dieser Woche immer wieder davon gesprochen, dass wir nach der akuten
Krisenbewältigung eine neue Ordnung für die Marktwirtschaft brauchen. Das ist absolut richtig. Helmut
Schmidt hat gemahnt, dass es bei einem so komplizierten Gebilde wie der globalisierten Finanzwirtschaft Verkehrsregeln geben müsse wie in der internationalen Luftfahrt. Es kann eben nicht jeder von seinem nationalen
Tower funken, wie es ihm gefällt, sondern internationale
Standards müssen eingehalten werden. Das ist genauso
wichtig.
Ich denke aber, das reicht nicht. Mir hat der Münchener Erzbischof Reinhard Marx aus dem Herzen gesprochen, als er eingeklagt hat, dass neue Regeln allein nicht
genügen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur hat er am Dienstag gesagt: Neue Strukturen
„ersetzen nicht die moralische Erneuerung bei den Spitzenmanagern oder letztlich auch bei den Anlegern.“
({4})
Denn, so der Bischof weiter, „Renditeerwartungen von
20, 25 Prozent jährlich sind unsittlich.“
Er hat recht. Das Problem ist nur, dass manche Leute
offenbar gar nicht mehr wissen, was unsittlich ist. Der
ehemalige Chef der Deutschen Bank, Hilmar Kopper,
hat sich dieser Tage in einem Interview beschwert, er
könne das Wort Gier nicht mehr hören; will sagen, dass
er es als Zumutung empfindet, wenn Managern der
Bank- und Finanzwirtschaft Gier vorgeworfen wird.
Nein, es ist genau andersherum: Diese Arroganz
Koppers ist eine Zumutung für alle Sparer, die wegen
der Zockerei einiger Banker um ihre Einlagen zittern
müssen.
({5})
Das ist eine Zumutung für alle Steuerzahler, die mit der
Bürgschaft des Staates für die Zockerei der Koppers und
Ackermanns einstehen müssen.
Dass Herr Ackermann heute mitteilen lässt, er würde
seinen Bonus seinen Mitarbeitern zur Verfügung stellen,
halte ich für den Versuch, einen Ablass für die Sünden
zu erhalten. Das ist ein peinlicher Vorgang. Er hätte lieber erklären sollen, dass er das Geld dem Steuerzahler
und dem Finanzminister zurückgibt, wenn er schon eine
solche Maßnahme vorschlägt. Das ist eine reine
Showveranstaltung.
Wenn schon BDI-Präsident Thumann die Gier dieser
Kaste - ich nutze das Wort noch einmal - kritisiert, wie
fassungslos müssen dann Normalverdiener vor den Summen stehen, derer sich die Finanzmanager bedient haben? Diese Herren haben getan, als spielten sie ein gewaltiges Monopoly, bei dem sie sich um die Verluste
nicht zu kümmern brauchen. Die Scherben, die aus ihrem Größenwahn erwachsen sind, haben sie uns und den
Bürgerinnen und Bürgern weltweit vor die Tür gekehrt.
Sie müssen jetzt endlich vom hohen Ross steigen und
sich konstruktiv, vor allem aber solidarisch an der Lösung dieser Probleme beteiligen.
({6})
In der Fraktion wurde mir gestern von Kolleginnen
und Kollegen aus dem Haushalts- und aus dem Finanzausschuss mitgeteilt, wie manche Banker in der Sitzung
aufgetreten sind. Daher habe ich große Zweifel, dass
diese Mahnung angekommen ist. Wir werden sie deshalb
öfter wiederholen müssen. Wir lassen es uns nämlich
nicht gefallen, dass diese Herren so arrogant auftreten.
({7})
Bischof Marx hat recht: Wir brauchen nicht nur neue
Regeln, sondern wir brauchen eine moralische Erneuerung.
({8})
Für einige dieser Herren kommt erst das Fressen und
dann die Moral, wie es in Brechts Dreigroschenoper
heißt. Wir brauchen aber sogenannte Eliten, bei denen
die Reihenfolge wieder umgekehrt ist: Erst die Moral
und dann das Fressen.
({9})
- Ich weiß gar nicht, wieso Sie sich darüber aufregen.
({10})
- Ihren Zwischenruf nehme ich sowieso nicht auf.
Der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman
hat gewarnt, dass eine Gesellschaft nicht funktionieren
kann - man höre -, in der der bestbezahlte HedgefondsManager der Wall Street in einem Jahr so viel verdient
wie alle Lehrer New Yorks zusammen in drei Jahren. Er
hat völlig recht. Das ist ein Zustand, den eine Gesellschaft nicht ertragen kann. Das dürfen wir nicht einfach
so hinnehmen.
({11})
Diese Aufspaltung der Gesellschaft, so Krugman, habe
die weltweite Wertevernichtung vorangetrieben. Sie lässt
die Menschen daran zweifeln, dass ihnen aus eigener
Kraft durch Bildung und Gerechtigkeit der Aufstieg gelingen kann. Die Menschen müssen wieder die Gewissheit haben, dass sich Leistung für alle lohnt und dass Eigentum verpflichtet.
Bei dieser Verpflichtung ist es für meine Fraktion - das
will ich übrigens hinzufügen - völlig selbstverständlich,
dass die Finanzbranche nicht ungeschoren davonkommen darf.
({12})
Deshalb haben wir beschlossen, dass Defizite, die nach
Abwicklung des Fonds verbleiben sollten, nicht durch
Steuergelder, sondern mithilfe geeigneter Maßnahmen
durch die Finanzbranche selbst ausgeglichen werden
müssen.
({13})
Es besteht kein Zweifel, die Krise der Finanzwirtschaft wird den Abwärtstrend der Wirtschaft weltweit
verstärken und natürlich auch negative Auswirkungen
auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes haben. Wie intensiv sie sein werden, lässt sich im Augenblick seriös nicht prognostizieren. Wir sollten aber darauf
vorbereitet sein, nach den Ergebnissen der Steuerschätzung bei den Beratungen des Haushalts für das nächste
Jahr über weitere Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft nachzudenken. Ohnehin geplante Investitionen in
Bildung könnten vorgezogen werden, nachhaltige Investitionen in die Infrastruktur ausgeweitet und Gebäudesanierungsprogramme intensiviert werden. Wir werden
das in den Haushaltsberatungen ausdrücklich prüfen.
Wie gehen wir jetzt mit denen um, die uns das alles
eingebrockt haben? Ich will noch einmal Bischof Marx
zitierten:
In so einer Lage erwarte ich aber auch vom Staat
ein Signal, das besagt: Wir stehen zusammen, wir
sind eine Solidargemeinschaft. Ganz gerecht ist das
natürlich nicht, denn die Verursacher können den
Schaden gar nicht wiedergutmachen, den sie angerichtet haben. Wir brauchen dann das Vertrauen in
ein Gemeinwesen, das solidarisch ist.
So der Bischof. - Zu dieser Solidarität müssen wir
den einen oder anderen zwingen. Wenn Steuerzahler
Bürgschaften für taumelnde Zockerbanken geben, kann
es nicht sein, dass die Gehälter der Manager auf dem
Niveau der Monopolyspiele bleiben. Die Bundeskanzlerin hat das in den vergangenen Tagen ähnlich gesehen,
wenn ich sie richtig verstanden habe. Mit beredten Worten haben Kollegen aus der Union das ebenfalls gefordert. Ich erwarte, dass wir alle zu diesen Worten stehen,
die wir beim Blick in den Abgrund der Finanzkrise mit
moralischem Timbre verbreitet haben.
Wir alle hoffen, dass das heute zu verabschiedende
Gesetz das Schlimmste für den Finanzmarkt verhindern
kann. Wir wissen allerdings auch, dass wir damit nicht
am Ende der Krise stehen, sondern möglicherweise erst
mitten in ihr. Wenn wir die Krise überstanden haben,
sollten wir so selbstbewusst wie Luxemburgs Premier
Jean-Claude Juncker die Lösung des Problems auf die
Fahnen der Politik schreiben. Denn es waren die Politiker, die Regierungen und Parlamente, und nicht die Banker, die die Krise entschärft haben. Die Arroganz der
Banker wird nach dem, was wir hier als Parlament und
als Regierung geleistet haben, ein für alle Mal zu Ende
sein müssen.
({14})
Ich hoffe, dass wir national und international wirklich
zu grundlegenden Veränderungen kommen, die dem
Tanz um das Goldene Kalb in Zukunft enge Grenzen setzen werden. Dafür will ich mit meiner Arbeit in meiner
Fraktion und meiner Partei sorgen.
({15})
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP,
Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir alle sind verpflichtet, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Das gilt für die Regierung und
für das Parlament, und zwar gleichgültig, ob man in einer Regierungsfraktion oder einer Oppositionsfraktion
sitzt. Deswegen will ich hier ausdrücklich sagen: Die
Lage ist da und muss bewältigt werden. Deswegen werden wir als Freie Demokraten den Gesetzentwurf der
Koalition unterstützen und ihm zustimmen.
({0})
Wir hören natürlich - das wird jedem hier so ergehen eine Menge fachliche Betrachtungen und auch manches,
was wir anders sehen. Darauf will ich gleich noch kurz
eingehen. Aber eines will ich vorab klarmachen: Dieses
Paket schützt nicht Banken und auch nicht irgendeinen
Aktienkurs, sondern die Bürgerinnen und Bürger. Es
schützt die Rentnerinnen und Rentner. Es schützt die
Mittelständler. Es schützt die Arbeitnehmer. Es ist ein
Paket, das Deutschland dient, nicht einigen wenigen.
({1})
Natürlich wird es bei einem solchen Kompromiss, der
bis in den frühen Morgen hinein verhandelt wurde - ich
darf mich in diesem Zusammenhang bei dem Haushaltsausschuss herzlich bedanken -, immer so sein, dass viele
der darin enthaltenen Maßnahmen unterschiedlich bewertet werden. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn
eine Fraktion alleine dieses Paket geschnürt hätte, dann
würde es vermutlich anders aussehen. Das will ich ausdrücklich auch für uns sagen.
Dass wir mehr und vor allen Dingen auch intensiver
über das britische Modell nachgedacht haben, will ich
hier nicht verschweigen. Ich will auch nicht verschweigen, dass bis hin zum Insolvenzrecht manche Regelungen getroffen worden sind, die wir ausdrücklich nicht
teilen und billigen. Deswegen betrachten Sie bitte - Sie
verstehen, dass ich das hier zu Protokoll gebe - unsere
Zustimmung zu dem Paket nicht als Freifahrtschein für
alles, was in dem Paket enthalten ist. Das ist auch nicht
anders zu erwarten.
({2})
Natürlich teilen wir nicht jede Maßnahme dieses Pakets. Aber wir müssen uns umgekehrt einmal Gedanken
darüber machen, was es für unser Land, für die Wirtschaft unseres Landes und die Stabilität des Geldes unseres Landes bedeuten würde, wenn dieses Paket heute
keine Mehrheit bekäme. Auch darüber muss man sich
einmal Gedanken machen.
({3})
Ich sage das, weil auch wir um Lösungen gerungen haben, wie es sich in einem parlamentarischen Verfahren
gehört. Dass man dem Paket nicht zustimmt, weil man
die Verantwortung nicht übernehmen möchte und gleichzeitig sicher sein kann, dass es ohnehin eine Mehrheit erhält, ist nicht die richtige Art und Weise, mit der Parlamentarier hier herangehen sollten.
({4})
Wir haben im Laufe der Beratungen einiges verbessern können. Es ist für mich keine Pflichtübung, sondern
es ist mir eine Herzensangelegenheit, mich insbesondere
bei den beiden Fraktionsvorsitzenden, Herrn Kauder und
Herrn Struck, für die Beratungen zu bedanken, die wir
insbesondere in diesen letzten beiden Tagen geführt haben. Es ist uns besonders wichtig, dass die Stellung der
Bundesbank in dem Gesetzentwurf, den wir heute beschließen werden, anders geregelt ist als in der Vorlage,
die eingebracht worden ist. Die Unabhängigkeit der
Bundesbank ist ein hohes Gut. Es ist richtig, dass das in
diesem Paket aufgenommen wurde und zum Ausdruck
gekommen ist.
({5})
Es ist vor allen Dingen für jeden Parlamentarier von
herausragender Bedeutung, dass wir mit der Beschlussfassung an diesem Tag nicht unsere Parlamentsrechte abgeben.
({6})
Das sagen wir nicht aus Eitelkeit, sondern das sagen wir
im Interesse unserer Verfassung und der Bürgerinnen
und Bürger, weil wir diejenigen sind, die den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber für die Verwendung der
Steuergelder geradestehen müssen. Deswegen will ich
an dieser Stelle noch einmal sagen, dass der in dem Gesetzentwurf neu aufgenommene § 10 a ausdrücklich die
Bildung eines Ausschusses in diesem Hause vorsieht,
der die parlamentarische Kontrolle und Begleitung dessen zur Aufgabe hat, was jetzt die Regierung umzusetzen hat. Das ist ein wichtiger Beitrag für das Parlament
und für die Gewaltenteilung.
Als Verfassungspatrioten sagen wir dazu: Es ist notwendig, dass an dieser Stelle das Parlament in weiten
Teilen mitwirken kann. Die Kritik, die von manchen geäußert wird, dass diese Mitwirkung im Geheimen passiert, kann ich nicht nachvollziehen. Das Gremium wäre
völlig arbeitsunfähig, wenn es öffentlich tagen müsste.
Da werden Firmen- und Eigentumsinteressen sowie Arbeitnehmerinteressen behandelt. Bei einem öffentlich tagenden Gremium würde ein Unternehmen, das um Hilfe
bittet, in den Ruin getrieben. Die Parlamentsbeteiligung
ist ein großer Erfolg, den wir in diesen letzten beiden Tagen gemeinsam durchsetzen konnten.
({7})
Ich will noch eine Bemerkung an die Adresse der
Bundesregierung machen. Grundlage für unsere Entscheidung ist, dass die Bundesregierung mit offenen
Karten spielt. Sie erwarten von uns Vertrauen. Wir müssen aber auch Ihnen vertrauen können.
({8})
Deswegen sage ich mit großem Ernst und aus gegebenem Anlass: Die Informationen, die Sie uns in diesem
Haus, in geheimen Unterrichtungen und in den Beratungen der Ausschüsse, haben zukommen lassen, müssen
stimmen. Sie stehen dafür gerade, dass Sie keine wesentlichen Informationen verschwiegen haben. Geschäftsgrundlage ist, dass die Bundesregierung mit offenen
Karten spielt.
({9})
Ich will zwei Schlussbemerkungen machen. Ich
glaube, dass wir uns als Deutscher Bundestag mit einem
gewissen Abstand zu dieser schwierigen Woche trotz einer zweifelsohne belastenden und aufgeregten Situation
die Zeit nehmen sollten, grundsätzlicher über die Folgen
zu reden. Das ist am heutigen Tage weder leistbar noch
notwendig. Wir müssen aber einmal Bilanz ziehen, auch
was die Art und Weise angeht, wie wir als Staatsorgane
mit dieser Krise umgegangen sind.
Eines wird man, wie ich glaube, festhalten können:
Viele, die häufig negativ über Europa reden, haben in
dieser Zeit hoffentlich verstanden, was für ein Glück es
ist, dass wir in einem vereinigten Europa leben dürfen.
({10})
Europa hat sich in dieser Situation bewährt. Das ist weit
mehr als eine Randbetrachtung. Das ist ein wichtiger politischer Vorgang.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum
Schluss: Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat und unsere soziale Marktwirtschaft werden sich auch in dieser
Krise als eine überlegene Ordnung bewähren. Um das
zum Ausdruck zu bringen, stehen wir zu der VerantworDr. Guido Westerwelle
tung, die wir alle gemeinsam tragen. Die FDP-Fraktion
wird das Maßnahmenpaket im Interesse unseres Landes
und der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unterstützen.
({11})
Ich gebe das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU, Volker Kauder.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir schnüren heute das größte Finanzmarktrettungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland. Diese Woche war ein Kraftakt. Begonnen
hat sie mit Diskussionen darüber, was konkret getan
werden muss, um am Markt neues Vertrauen zu schaffen. Über das Wochenende wurden Verhandlungen auf
europäischer Ebene geführt, und in den Ministerien
wurde das Maßnahmenpaket vorbereitet. Dann folgten
die parlamentarischen Beratungen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich habe dies nie als eine Zumutung empfunden, sondern als eine Pflichtaufgabe für uns alle, für
den Deutschen Bundestag und für die Bundesregierung.
Ich bin dankbar, dass uns dies gelungen ist.
({0})
Diese Woche hat gezeigt, dass unsere soziale Marktwirtschaft, unsere Einrichtungen und unsere Organe - Regierung, Bundestag und Bundesrat - auch in einer
schwierigen Situation handlungsfähig sind. Manche aus
der Wirtschaft und der Bankenbranche haben oft lächelnd auf uns herabgeschaut nach dem Motto: „Wir bestimmen, was passiert. Wir erklären die Welt. Die Politik
hat uns nur noch zu folgen.“ Mancher Bürger hat auf die
Politik herabgeschaut nach dem Motto: „Die können es
nicht mehr.“ In dieser Woche haben wir allerdings zeigen können, dass dem nicht so ist. In dieser Woche kam
es auf uns an, und wir sind unserer Verantwortung gerecht geworden.
({1})
Das sage ich nicht aus Selbstgerechtigkeit,
({2})
sondern dies sage ich nur, damit klar wird: Man kann
sich auf unsere Demokratie verlassen. Auf jeden Fall
kann man festhalten: Auf unsere Demokratie und auf unsere Institutionen war und ist mehr Verlass als auf manch
andere, die wir jetzt erst wieder zur Verlässlichkeit bringen müssen.
({3})
Wir sind all denjenigen dankbar, die die Last in diesen
Tagen in besonderer Weise getragen haben: Bundesregierung, Ministerien, Haushaltsausschuss. Wir sollten in
diesen Stunden allerdings auch nicht diejenigen vergessen, denen wir dafür dankbar sein müssen, dass wir unsere Arbeit in geordneter Ruhe machen konnten, nämlich den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes. Wir
sollten ihnen dankbar sein, dass sie nicht in Hektik ausgebrochen und auch nicht in Hysterie verfallen sind. Sie
haben vielmehr darauf vertraut, dass das Richtige getan
werde. Deswegen sage ich unseren Bürgerinnen und
Bürgern einen herzlichen Dank für ihre besonnene Haltung in den letzten Tagen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Rettungspaket, das wir auf den Weg bringen, ist noch nicht
alles erledigt. Wir erwarten jetzt noch Rechtsverordnungen, die die Umsetzung dieses Paketes in der Praxis begleiten und ermöglichen. In diesem Zusammenhang erwarten wir von der Bundesregierung natürlich, dass das,
was uns zugesagt wurde, in Gänze eingehalten wird. Der
Satz „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ muss sich in
diesen Rechtsverordnungen konkret wiederfinden.
({5})
Uns als Parlamentariern - ich glaube, ich kann dies
für alle in diesem Hause sagen - sollte besonders wichtig
sein, dass klar und deutlich wird, dass diejenigen, die
Handlungsverantwortung für das tragen, was jetzt eingetreten ist, nicht einfach so davonkommen können, als ob
nichts geschehen wäre.
({6})
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss es
überall dort, wo beispielsweise Kapital zur besseren Eigenkapitalausstattung von Banken gegeben werden
muss, Konsequenzen für die Geschäftspolitik und das
Entlohnungssystem haben. Herr Bundesfinanzminister,
Sie haben dazu Zahlen genannt. Wir erwarten in den
Rechtsverordnungen klare Konsequenzen.
Es geht auch nicht darum, dass aus Neid oder aus irgendwelchen anderen Gründen Gehälter begrenzt werden sollen. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es
geht darum, mit diesen Maßnahmen, die aus den Rechtsverordnungen resultieren und die auch in die Gehaltsstrukturen eingreifen, wieder etwas herzustellen, was
manchen in diesen Banken- und Finanzstrukturen verloren gegangen ist: Sie müssen wieder mitten in die Gesellschaft zurückgeholt werden, und sie dürfen nicht außerhalb aller Regeln herumturnen.
({7})
Mitten in die Gesellschaft zurückzukehren, heißt
auch, eine gesunde Relation zwischen dem eigenen Handeln und Einkommen und damit zu dem, was in unserer
Gesellschaft normalerweise verdient werden kann, herzustellen.
Wir erwarten, dass durch dieses Paket, das wir schnüren, neues Vertrauen am Markt entsteht. Wir erwarten al19662
lerdings von denjenigen, die jetzt in unserem Bankenund Finanzmarktsystem handeln müssen, dass sie diesem Vertrauen gerecht werden, dass sie sich an die Arbeit machen, Kredite vergeben und den Finanzmarkt
wieder in Bewegung bringen. Wir leisten unseren Beitrag jetzt, und wir erwarten im Gegenzug von Finanzmarkt und Banken, dass sie dem Vertrauen, das wir ihnen entgegenbringen, gerecht werden und dass sie ihren
Teil dazu beitragen, dass wir aus der Krise herauskommen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Frage, was geschehen muss, damit so etwas nicht noch einmal auf uns
zukommt. Wir haben natürlich erkannt, dass es auf die
Handlungsfähigkeit des Nationalstaates ankommt. Diese
Handlungsfähigkeit kann aber nur dadurch hergestellt
werden, dass wir in Europa eingebunden sind und dass
nicht jeder macht, was er gerade für richtig hält.
Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Regeln, die
sich bewährt haben - durch die weltweite Krise zeigt
sich, dass sich unsere Regeln der sozialen Marktwirtschaft bewährt haben und bewähren -, weltweit umgesetzt werden. Wir müssen aber auch erkennen: Dass wir
jetzt, wie ich finde, stark handeln können, hängt auch damit zusammen, dass wir uns in den letzten drei Jahren
stark gemacht haben. Wir haben es zwar schon immer
gewusst, aber jetzt, in dieser Krise, erkennen wir,
({9})
- ja, ja, Frau Künast - dass das, was wir in den letzten
drei Jahren nach rot-grüner Bundesregierung hier in dieser Großen Koalition gemacht haben, nicht umsonst war.
({10})
- Keine Aufregung.
Dies können Sie im Herbstgutachten der führenden
Wirtschaftsinstitute nachlesen. In diesem Herbstgutachten steht nämlich, dass die Bundesrepublik Deutschland
aufgrund dessen, was wir gemacht haben, in dieser Krise
stärker ist, als sie noch vor drei Jahren war. Deshalb ist
die Botschaft für uns klar: Das, was uns stark gemacht
hat, darf jetzt in der Krise nicht aufs Spiel gesetzt werden.
({11})
Deswegen sind Haushaltssanierung und klare Verhältnisse, wie wir jetzt erkennen, kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Handeln und Stärke auch in
schwierigen Situationen.
({12})
Deshalb werden wir unser Ziel der Stabilität des Haushalts und der Politik auch in der Krise nicht aufgeben.
({13})
Was muss noch geschehen? - Ich glaube, dass wir die
klare Botschaft brauchen, dass die Bankenaufsicht konzentriert werden muss.
({14})
Ich sage noch einmal, dass wir es für richtig halten, dass
die Bankenaufsicht bei der Bundesbank konzentriert
wird.
({15})
Ohne eine nationale Bankenaufsicht wird es nicht gehen,
aber wir brauchen auch eine europäische Komponente
der Aufsicht. Das, was wir uns für die nationale Ebene
vorstellen, stelle ich mir auch für die europäische Ebene
vor:
({16})
Konzentration einer europäischen Bankenaufsicht bei
der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. - Das
Vorbild, das wir für uns haben, muss auch dort gelten.
({17})
Eines lernen wir aus dieser Krise aber auch: Nichts ist
wichtiger als Vertrauen. Deswegen sagen wir all denjenigen, die auf dem Finanzmarkt, in der Finanzwirtschaft
und im Bankenwesen tätig sind: Schaut wieder mehr auf
den Wert des Vertrauens. Vertrauen heißt für euch in
der Bankenwelt, dass ihr nicht unbedingt das Vertrauen
jedes großen Profiteurs gewinnen müsst, sondern schaut
wieder auf eure kleinen Kundinnen und Kunden und
habt mehr Respekt vor den Einlagen der kleinen Kundinnen und Kunden, die euer Vertrauen verdient haben und
die Stütze unserer Gesellschaft und unserer Demokratie
sind.
({18})
Ich sage aber auch: Wir als Politiker sollten in dieser
Situation auch erkennen, wie wichtig für uns Vertrauen
ist und was Vertrauen heißt. Vertrauen heißt, dass Reden
und Handeln möglichst nahe beieinander liegen sollten.
Hundertprozentig wird das nie gelingen, aber das sollte
wirklich nahe beieinander liegen. So, wie ich zur Bankenwelt sage, dass Profit um jeden Preis nicht sein darf,
sage ich mit Blick auf die Vertrauenserhaltung auch zur
Politik, dass Machtperspektive nicht um jeden Preis sein
darf.
({19})
Ich glaube, dass wir in diesen Wochen ein großes
Stück Vertrauen geschaffen haben. Ich erwarte, dass sich
dafür etwas am Markt bewegt. Ich weiß sehr genau, dass
wir jetzt an der Börse die sorgenvolle Beobachtung und
Vorwegnahme eines wirtschaftlichen Abschwungs erleben. Wir sehen am Ölpreis und anderen Indikatoren,
dass die Lage schwieriger wird. Deshalb sollten wir den
Menschen nicht vormachen, dass diese Krise in den
nächsten Wochen und Monaten einfach so an uns vorbeigeht.
Aber wir sollten auch darauf hinweisen, dass wir stärker sind, als wir es noch vor Jahren waren. Wir haben
gezeigt, dass dieser Staat und diese Demokratie handlungsfähig sind und wir nicht, wie in früheren Krisen,
nur zuschauen können. Deswegen bin ich gerade nach
dieser Woche bei allem, was wir zu erwarten haben, optimistisch. Die Demokratie hat sich als handlungsfähig
erwiesen. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass es
in den nächsten Jahren gut weitergeht.
Ich danke allen, die an dem Erfolg in dieser Woche
mitgewirkt haben. Es bedeutet nicht, wie in manchen
Kommentaren geschrieben wird, die Rückkehr des Politischen, sondern es ist die Bestätigung, dass Politik in
diesem Land etwas erreichen kann.
({20})
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der Linken,
Dr. Gregor Gysi.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
denke, wir erleben zurzeit die tiefste Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren.
({0})
Diese Krise geht aber nicht von der Dritten Welt oder
von den Schwellenländern aus, sondern ausschließlich
von den führenden kapitalistischen Staaten. Gestern
Abend wurde in den Tagesthemen über ein Thema berichtet, mit dem wir uns hier noch nicht beschäftigt haben und über das wir diskutieren müssen.
Derzeit sterben jährlich 9 Millionen Menschen an
Hunger. Jetzt wurde gemeldet, dass die 50 ärmsten Staaten wegen der Finanzkrise keine Kredite mehr bekommen. Sie können dann keine Nahrungsmittel mehr kaufen. Es wurde geschätzt, dass zusätzlich zu den
9 Millionen Menschen noch weitere 50 Millionen Menschen an Hunger sterben werden. Das kann niemand in
diesem Hause wollen. Deshalb erwarte ich von Ihnen,
Frau Merkel, und auch von Frau Wieczorek-Zeul konkrete Vorschläge, wie wir das auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene verhindern können.
({1})
Verantwortlich für diese Krise sind nicht nur Bankmanager - die stehen allerdings ganz oben an -, sondern
auch Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler und Journalistinnen und Journalisten, die uns jahrelang gepredigt haben, dass die Freiheit
der Finanzmärkte zu einer gigantischen Wirtschaft führt.
Aber das Gegenteil ist passiert.
({2})
Wir haben es nicht nur mit einer Krise auf den Finanzmärkten zu tun, sondern auch in den Bereichen
Wirtschaft, Politik und Demokratie, was zum Teil
noch geleugnet wird. Oskar Lafontaine hat am Mittwoch
darauf hingewiesen, dass der von Ihnen zunächst berufene und dann wieder zurückgetretene Tietmeyer erklärt
hatte, dass die Finanzmärkte die Politik beherrschen.
Heute sagen Sie, dass Sie zu diesem Gesetz gezwungen
sind. Damit räumen Sie ein, immer noch beherrscht zu
werden.
Die Kernfrage lautet deshalb, zu welchen Veränderungen wir kommen müssen, um so etwas zukünftig auszuschließen.
({3})
Der demokratische Sozialismus steht leider - ich bin
Realist - noch nicht auf der Tagesordnung.
({4})
- Dass Sie nicht begreifen, was das ist, verstehe ich.
Aber zumindest vom Kapitalismus müssten Sie etwas
verstehen. Dann müsste man sich wenigstens darin einig
sein, dass man ihn verändern muss. Können wir nicht zusammen darum ringen, ein Primat der Politik über Wirtschaft und Finanzen wiederherzustellen?
({5})
Das ist auch eine Kernfrage der Demokratie;
({6})
denn wenn der Vorstand der Deutschen Bank entscheidet, was der Bundestag und die Bundesregierung zu tun
haben, und nicht wir entscheiden, was sie zu tun haben,
({7})
dann ist die Demokratie schwer verletzt. Schließlich darf
die Bevölkerung den Bundestag wählen, aber nicht den
Vorstand der Deutschen Bank.
({8})
Wie es sich mit der Wirtschaft verhält, werde ich Ihnen sagen. Ein Konzernchef hat mir gesagt, dass früher
der zehnte Tagesordnungspunkt in der Vorstandssitzung
immer der Börsenstand war. Aber seit Jahren sei nun der
erste Tagesordnungspunkt der Börsenstand, weil dieser
alleine darüber entscheide, welche Kredite zu welchen
Bedingungen man bekomme. Das heißt, die Finanzwelt
beherrscht sogar die Wirtschaft. Es wäre selbst im Kapitalismus sehr viel sinnvoller, wenn die Wirtschaft die Finanzwelt beherrschte. Auch dort brauchen wir eine Umkehrung.
({9})
Die Frage, die sich nun stellt, ist: Gab es unterschiedliche politische Ansätze zur Vermeidung einer solchen
Krise, oder gab es sie nicht? Ich finde Besserwisserei
immer blöde.
({10})
- Entschuldigen Sie, das ist Ihr Stil. Sie behaupten, seit
1949 alles richtig gemacht zu haben. Aber das ist ein
schwerer Irrtum der Union; das kann ich Ihnen versichern.
({11})
In dieser Frage hatten wir aber nun einmal recht. Wir
haben immer gesagt, dass wir eine Regulierung der internationalen Finanzmärkte brauchen, weil alles andere zu einer Katastrophe führt. Aber Sie haben das immer bestritten. Das ist die Wahrheit.
({12})
- Ich werde es Ihnen gleich beweisen. - Sie verlangen
von uns immer Ehrlichkeit in der Aufarbeitung der Geschichte. Haben Sie doch einmal die kleine Ehrlichkeit,
hier zu sagen: Wir haben uns zutiefst geirrt, und die Linken hatten - meinetwegen: ausnahmsweise - recht.
({13})
Jetzt erklären Union und SPD sowie Grüne, dass sie
schon immer für die Regulierung der Finanzmärkte waren. Das ist eine Erfindung.
({14})
Denn Joschka Fischer von den Grünen hat erklärt, man
könne nicht gegen die Finanzmärkte regieren. Gerhard
Schröder ist Tony Blair gefolgt - und zwar gegen Oskar
Lafontaine - und hat gesagt: Wir müssen die Freiheit der
Finanzmärkte schaffen. Herr Steinbrück, ich darf Sie
ausnahmsweise zitieren. Sie haben am 4. Mai 2006 auf
der Euromoney Germany Conference Folgendes wörtlich erklärt:
Obwohl wir mit unseren Reformanstrengungen
noch keineswegs am Ende sind, zeigen sie doch
erste gute Ergebnisse … Nicht zuletzt ist Deutschland heute eine der am meisten liberalisierten und
deregulierten Wirtschaften in Europa.
Darauf waren Sie stolz. Das Ergebnis sehen wir jetzt.
({15})
- Entschuldigung, die SPD hat Hedgefonds zugelassen,
die Sie dann als Heuschrecken bezeichnet haben. Die
SPD und die Grünen haben Leerverkäufe zugelassen.
({16})
Darf ich den Bürgerinnen und Bürgern erklären, was
Leerverkäufe sind? - Man gibt Geld an die Börse und
wettet darauf, dass bestimmte Aktienkurse fallen. Wenn
man recht hatte, gewinnt man Geld. Wenn man unrecht
hatte, ist man sein Geld los. Sie haben mit dieser Maßnahme aus dem Kapitalismus einen Kasinokapitalismus
gemacht.
({17})
2008 haben Sie das endlich verboten, allerdings nur befristet.
Den Gesetzentwurf lehnen wir ab. Herr Westerwelle,
Sie sagen, das könnten wir uns nur leisten, weil es auf
unsere Stimmen nicht ankomme. Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn es auf unsere Stimmen ankäme, könnten wir
entsprechende Veränderungen durchsetzen; das ist der
Unterschied. Diese können wir nun aber nicht durchsetzen.
({18})
Dass ein Rettungspaket erforderlich ist, ist unstrittig.
Dass das zügig geschehen musste, ist auch unstrittig. Dafür hatten Sie unsere Zustimmung. Wir kritisieren aber
Folgendes:
Erstens. Sie sagen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, wenn staatliches Geld fließt. Man kann dann
Bonusscheine oder Aktien erwerben, aber ohne Mitbestimmungsrechte. Man kann aber auch solche Aktien
erwerben, dass man anschließend etwas zu sagen hat.
Das alles regeln Sie in Verordnungen. Auf diese haben
wir aber keinen Einfluss, selbst wenn ein Ausschuss davon erfährt. Der Bundestag hat dann nichts mehr zu entscheiden. Darauf können wir uns nicht einlassen.
({19})
Wir sagen: Wohin staatliches Geld fließt, muss auch
staatliches Eigentum entstehen; denn die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind dann auch am Gewinn zu beteiligen.
({20})
Zweitens. Wenn man so etwas macht und das der Regierung überlässt, dann muss man - das wurde hier vielfach erklärt - Grundvertrauen in die Regierung haben.
Das haben wir nicht, weil sie es zerstört hat. Das möchte
ich Ihnen gerne begründen.
({21})
- Das kann schon sein. Wir hatten aber auch noch nie einen Grund, so etwas zu entwickeln.
({22})
Herr Bundesfinanzminister, am 16. September 2008
haben Sie im Bundestag wörtlich erklärt:
Es gibt keinen Anlass - das sage ich sehr bewusst -,
an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu
zweifeln.
Oh, es hätte viele Anlässe gegeben, zu zweifeln.
({23})
Entweder haben Sie es nicht gewusst - dann spricht das
gegen Ihre Fähigkeiten -, oder Sie haben es gewusst;
dann haben Sie uns nicht die Wahrheit gesagt. Auch das
spricht dann gegen Sie.
({24})
Drittens. Dann begann die Krise in den USA. Frau
Bundeskanzlerin, Herr Glos, was haben Sie denn gesagt?
Sie, Herr Glos, haben gesagt, die USA sollten vor der eigenen Tür kehren, das Ganze gehe Deutschland nichts
an. Sie hatten gar nicht verstanden, dass wir ein international verwobenes Finanzsystem haben, in dem uns auch
eine Bank in Island etwas angeht.
({25})
Es ist doch grotesk - wir leben in einer verrückten Welt -,
dass die Linke dieser Bundesregierung sagen musste: Sie
müssen mit der US-Administration unter Bush zusammenarbeiten. - Aber das ist die Wahrheit. Wir haben das
gesagt.
({26})
Dann wollte Anfang des Monats der französische Präsident Sarkozy eine europäische Lösung. Auch das haben
Sie schon vergessen.
({27})
Es war Frau Merkel, die dagegen war und immer noch
den nationalistischen Weg beschreiten wollte, der aber
falsch ist und der auch gar nicht funktioniert.
({28})
Ich weiß, dass Sie das jetzt alles begriffen haben. Jetzt
machen Sie das international, weltweit, europäisch. Das
ist auch sinnvoll, aber Sie müssen doch zugeben, dass
Sie erst einmal das Gegenteil betrieben haben. Das hat
kein Vertrauen geschaffen, ganz im Gegenteil.
({29})
Nehmen wir ein weiteres Beispiel, die Deutsche
Industriebank. Ich bitte Sie, Herr Steinbrück! Was haben Sie denn dort geregelt? Erstens sagt ein Mann wie
Roland Berger, die Rettung sei gar nicht erforderlich gewesen, weil das Institut viel zu klein gewesen sei. Also
kann man schon über die Rettung streiten. Das Zweite,
was ich spannend finde, ist: Sie stellen 9,2 Milliarden
Euro für Schäden zur Verfügung, die eintreten können.
Das sind aber nicht Ihre Gelder, das sind Gelder der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Dann verkaufen Sie
das Institut - uns gehörten 38 Prozent der Anteile - an
eine Heuschrecke für einen Appel und ein Ei. Jetzt gehört uns gar nichts mehr. Nun kommt der Höhepunkt:
Sie haben nicht geregelt, dass diese Bank dann, wenn sie
jemals wieder Gewinne macht - und wenn tatsächlich
1 Milliarde, 5 Milliarden oder 9 Milliarden Euro unseres
Geldes in Anspruch genommen wurden -, auch nur
1 Cent an uns zurückzahlt. Ich kann das überhaupt nicht
nachvollziehen, Herr Steinbrück. Für mich hat das eine
strafrechtliche Relevanz. Was soll denn sonst Untreue
sein?
({30})
Ich finde, das ist wirklich nicht hinnehmbar, und ich
kann das den Bürgern auch nicht erklären.
({31})
Jetzt komme ich zur Hypo Real Estate. Ich bitte Sie.
Sie haben uns immer erklärt: Die konnte nicht kontrolliert werden, weil die Bundesfinanzaufsicht dafür nicht
zuständig war, weil das Institut keine Bank war. Dann ist
der Schaden durch die DEPFA angerichtet worden, eine
Tochter mit Sitz in Irland. Dazu haben Sie uns erklärt:
Auch die konnte nicht kontrolliert werden, weil ihr Sitz
in Irland war. - Jetzt sagt uns doch der Chef der Bundesfinanzaufsicht, er habe sie mit der Bundesbank kontrolliert. Der Bericht ist im August an das Bundesfinanzministerium gegangen. Haben Sie davon nichts gewusst,
oder haben Sie uns belogen? Das möchte ich jetzt einfach einmal wissen.
({32})
Die Finanzaufsicht behauptet auch, in dem Bericht hätten alle Risiken gestanden. Wie, frage ich Sie, soll denn
das Vertrauen entstanden sein, das dazu hätte führen
können, dass wir jetzt alles der Regierung überlassen?
Sie haben das Vertrauen zerstört, das man vielleicht ge19666
habt haben könnte, das wir aber - der Zwischenruf kam
zu Recht - nicht hatten.
({33})
Über die Verantwortlichkeit der Manager reden wir
zwar alle, aber es passiert doch nichts. Herr Funke tritt
als Chef der HRE zurück und erhält monatlich über
40 000 Euro Pension. Davon kann man ja einigermaßen
leben. Das ist ja eine dolle Strafe, die er hinnimmt. Es ist
doch nicht mehr diskutabel, was wir hier in Deutschland
erleben.
({34})
Herr Kollege Gysi, ich möchte Sie an Ihre Zeit erinnern.
Frau Präsidentin, da ich Ihnen vertraue, gehe ich davon aus, dass die Zeit leider herum ist.
({0})
Das ist schade. - Ich weiß, dass Sie sich freuen. Aber ich
hätte Ihnen noch einiges zur Demokratie und auch zur
sozialen Frage gesagt.
({1})
Überlegen Sie sich das ganz genau, bevor Sie arrogant
darüber hinweggehen.
({2})
Wenn Sie kein Konjunkturprogramm auflegen,
Herr Kollege Gysi.
- wenn Sie die Sozialleistungen nicht stärken, dann
werden wir einen Wirtschaftsabschwung erleben, den
wir so teuer zu bezahlen haben werden, dass ich es Ihnen
und uns allen nicht wünsche. Machen Sie diesbezüglich
eine andere Politik!
({0})
Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es passiert mir in dieser Legislaturperiode ehrlich gesagt zum
ersten Mal, dass ich als Fünfte ans Redepult gehe und
vor meiner vier linke Reden gehalten wurden.
({0})
Ich muss wirklich sagen: Bei Ihnen allen stimmen Reden
und Handeln nicht überein.
Ich muss mich selbst über die Rede des geschätzten
Herrn Kollegen Westerwelle wundern, der hier sagt,
Leute würden vielleicht ablehnen, weil man „sicher sein
kann, dass es ohnehin eine Mehrheit erhält“.
({1})
Herr Westerwelle, von Ihnen habe ich gar nichts anderes
erwartet, weil - das sage ich klar - Sie und Ihre FDP sich
nicht ums Land, sondern um die Banker Sorgen machen.
So war auch Ihre Rede.
({2})
Ich muss einen Satz zitieren:
Ferner muß der politische Einfluss im Bankensektor reduziert werden. Das vergrößert die Chancen
des Bankenstandortes Deutschland.
Das stand im Bundestagswahlprogramm der FDP von
2005.
({3})
Sie kritisieren hier andere, weil sie nicht zustimmen
wollen. Wissen Sie, Herr Westerwelle, Sie verkaufen die
parlamentarischen Rechte und die Sorge um das Geld
der Bevölkerung in Deutschland für ein Linsengericht.
({4})
In dieser Woche geht es um ein Rettungspaket. Wir
haben einem Verzicht auf die Fristen zugestimmt. Wir
sagen: Ja, es muss ein schnelles Paket sein, es muss ein
großes Paket sein. Aber dieses Paket, das die Koalition
vorgelegt hat, ist definitiv das falsche, weil es seiner Verantwortung vor den Steuerzahlern nicht gerecht wird.
({5})
- Wir stehen hier und sagen: Wir tragen Verantwortung
für unser Land; wir tragen - in dieser Gestalt funktioniert das - Verantwortung für den Haushalt. Wir tragen
Verantwortung, wenn wir innerhalb von fünf Tagen die
doppelte Finanzmenge eines Bundeshaushalts ausgeben.
({6})
Wir tragen Verantwortung dafür, dass es einen Entscheidungsspielraum - ({7})
- Herr Kampeter, Sie rufen: „Sie haben es nicht einmal
begriffen!“
({8})
Herr Kampeter, Sie sind hier der Rosstäuscher!
({9})
Die Tatsache, dass hier teilweise nur Garantien gegeben
werden, beweist nicht, dass diese Gelder eines Tages,
wenn es schiefgehen sollte, nicht auch fließen müssen.
({10})
Die Tatsache, dass wir das Geld dieses Jahr noch nicht
ausgeben, ist nicht der Beweis dafür, dass das Geld nicht
fließen könnte.
Wir können auch nicht zulassen, dass nur gesagt wird:
In Schweden ist es nachher ganz toll gelaufen. - Die
Schweden haben sich aber auch Rechte geben lassen.
Bei den Schweden ging es um relativ isolierte Probleme;
hier geht es um eine Weltkrise. Wer sagt uns denn, dass
wir kleine, stille Anteile in ein, zwei Jahren weltweit gewinnbringend verkaufen können, wenn alle verkaufen
wollen? Wir sind doch nicht naiv und lassen uns von Ihnen hinters Licht führen!
({11})
Wir tragen auch für nachfolgende Generationen die
Verantwortung, ihnen nicht noch stärker verschuldete
Haushalte zu übergeben. Wir tragen die Verantwortung
dafür, dass es nicht zu falschen Wiederholungen kommt.
Da sage ich Ihnen: Ihre Vorlage ist an dieser Stelle nicht
in Ordnung. Deshalb muss man mit Nein stimmen.
({12})
Frau Merkel und Herr Steinbrück haben gesagt - der
eine oder andere hat es auch behauptet -, dieses Paket
solle nicht den Banken, sondern den Menschen dienen.
Da frage ich einmal: Warum wurde es dann unter der Federführung von Martin Blessing, Commerzbank, unter
Teilhabe von Josef Ackermann, Deutsche Bank, KlausPeter Müller, Commerzbank, und Paul Achleitner,
Allianz, erarbeitet? Ich frage Sie: Wo waren denn die
Vertreter der Menschen? Wo waren denn die Verbraucherschützer? Wo waren denn die Finanzwissenschaftler, die nicht die Akteure dieser Krise waren? Sie haben
den Bock zum Gärtner gemacht und sich mit den Verursachern zusammengesetzt, um dieses Paket zu schreiben.
Dieses Paket ist nicht in Ordnung, und deshalb muss
man mit Nein stimmen.
({13})
Herr Struck hat sich vorhin zu Herrn Ackermann
- das ist der, der mit dem V-Zeichen durch den Gerichtssaal ging - geäußert. Als ich heute früh auf dem Ticker
sah: „Ackermann verzichtet“, war ich eine Sekunde lang
voller Hoffnung. Dann las ich: Er verzichtet auf seine
Boni. - Lieber Peter Struck, das ist ja noch schlimmer
als das, was du über ihn gesagt hast. Dass der Mann
überhaupt glaubt, er hätte in diesem Jahr einen Bonus
verdient - statt dass er sein ganzes Gehalt abgibt -, ist
doch eine ungeheure Chuzpe. Wofür denn eigentlich?
Für sinkende Börsenkurse?
({14})
Und von denen lässt man sich das Ganze schreiben?
Von denen - das atmet das Paket - lässt man sich eine
Milliardenhilfe aufschreiben? Dieses Paket atmet: Gib
mir Geld, aber misch dich nicht ein! In meine Bücher
darfst du nicht schauen. - Das Paket ist nicht in Ordnung. Deshalb stimmen wir mit Nein.
({15})
Sie sagen: Es geht um die Bürger. - Aber am Ende
steht hier: Bürgschaften zuerst und Rekapitulation - Rekapitalisierung erst am Ende.
({16})
- „Kapitulation“ ist ein guter Versprecher. Kapitulation
ist das, was Sie machen.
({17})
Sie sitzen quasi mit weißen Fahnen hier im Plenum.
({18})
Wenn Sie rekapitalisieren, dann ganz still; bloß nicht
ins operative Geschäft rein. Wenn wir diesen Bankern
nicht trauen können, wie selbst Herr Kauder in seiner
linken Rede zum Besten gegeben hat, dann können wir
doch nicht sagen: „Wir geben euch Geld, aber wir gehen
nicht ins operative Geschäft“ und darauf hoffen, dass die
Ackermanns dieser Welt es verstanden haben. Sie haben
es nicht verstanden.
({19})
Deshalb sage ich: Dieses Paket ist nicht in Ordnung. Wir
stimmen mit Nein.
Sie haben hier wie in den letzten Tagen so getan, als
brauche man die Regeln der Marktwirtschaft nur zu beachten; dann sei schon alles in Ordnung. Sie haben so
getan, als seien das Fehler einiger schwarzer Schafe. Ich
sage Ihnen: Auch die soziale Marktwirtschaft in ihrer
heutigen Gestalt ist in einer Vertrauenskrise, weil sie
Raffgier und exzessive Selbstbedienung zugelassen hat.
Auch da müssen wir die Regeln aufs Schärfste ändern.
({20})
Die Menschen haben das Recht, zu sehen und zu erleben, dass mit ihrem Geld wirklich sorgfältig umgegangen wird, eben nicht zu den alten Bedingungen. Sie reden über zwei Schritte: Erst geben wir das Geld
- Durchreiche von der Küche zum Esszimmer -, und
erst später, in einem zweiten Schritt, müssen wir den fälligen und nötigen Umbau des Finanzmarkts vornehmen. - Ich sage Ihnen heute und hier: In diesem Paket
muss der Umbau des Finanzmarkts beginnen. In diesem
Paket muss man eine aktive Teilhabe organisieren, muss
man Transparenz, parlamentarische Kontrolle und parlamentarische Mitentscheidung organisieren.
({21})
Das können Sie nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
verschieben.
({22})
In diesem Paket steht am Ende nur, dass mehr informiert wird. Sie gründen noch einen Ausschuss, aber das
reicht uns nicht. Was wir wollen, ist der größtmögliche
Einfluss des Fonds auf die Unternehmenspolitik, die
größtmögliche Kontrolle. Wir wollen die Mitentscheidung des Deutschen Bundestages, der 614 Leute, die dafür gewählt worden sind.
({23})
Frau Kollegin.
Mein letzter Satz. - Ich sage Ihnen, meine Damen und
Herren: Dieses Paket ist ein 500-Milliarden-Euro-Blankoscheck. Dieses Paket, das Sie vorlegen, entspricht der
alten Systematik. Es ist nicht in Ordnung, und deshalb
stimmen wir mit Nein.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Westerwelle.
Frau Kollegin, ich will mich nicht mit Ihrer Rede insgesamt auseinandersetzen, aber da Sie die FDP und das
Wahlprogramm der FDP zitiert haben, möchte ich doch
eine Bemerkung machen.
Sie haben das aus dem Zusammenhang gerissen. Das
ist in meinen Augen auch in einer aufgeregten Debatte
nicht zulässig. Wenn wir von politischem Einfluss gesprochen haben, so bezog sich das ausdrücklich auf den
parteipolitischen Einfluss, und es bezog sich auf das
große Thema: Staatsbanken und IKB-Anteil.
Sie wissen, wir sagen seit vielen Jahren, es war ein
Fehler, dass die Staatsbank KfW sich mit etwa
30 Prozent bei der IKB engagiert hat. Wir haben Ihre
Entscheidung, die Sie während Ihrer Regierungszeit getroffen haben, für falsch gehalten. Das ist der entscheidende Kritikpunkt gewesen. Wir waren der Überzeugung, Staatsbanken seien dafür zuständig, bei
Existenzgründungen und Forschung sowie mittelständischen Betrieben zu helfen; aber sie sind nicht dafür zuständig, an der Weltbörse herumzuspekulieren. Diese
Meinung bleibt unverändert richtig.
({0})
Als Zweites möchte ich einfach sagen: Sie haben eine
außerordentlich engagierte Rede gehalten. Sie haben vor
allem lauter Defizite beklagt. Ich darf Sie daran erinnern: In den letzten zehn Jahren haben Sie sieben Jahre
lang regiert. Jede fehlende Regel, die Sie anmahnen, hätten Sie in sieben Jahren durch dieses Haus bringen können.
({1})
Frau Kollegin Künast, Sie können antworten.
Herr Westerwelle, ich weiß nicht, wozu Sie heute debattieren. Ich diskutiere zu dem vorliegenden Maßnahmenpaket der Bundesregierung, dem Sie zustimmen
möchten und das wir ablehnen möchten. Ich will aber,
weil Sie mir vorgeworfen haben, zu wenig von der FDP
zu zitieren, die Gelegenheit nutzen, noch zwei Sätze zu
zitieren, die beide von Ihnen sind und die für meine Begriffe bezeichnend sind für das Motiv Ihrer heutigen Zustimmung.
Der eine Satz von Ihnen stammt aus einer Rede aus
dem Jahre 2003:
Deutschland braucht eine grundlegende Kurskorrektur in Richtung weniger Steuern, weniger Staat
und Deregulierung.
({0})
Das heißt, den Bankern, den Finanzdienstleistern, die
diesen Schaden angerichtet haben, begegnen Sie mit weniger Staat, weniger Steuern und weniger Regulierung.
({1})
Ich kann stundenlang so weitermachen. Ein weiteres
Zitat von Ihnen:
Die FDP steht für Entstaatlichung statt Verstaatlichung.
({2})
Davon grenze ich mich ab, weil ich glaube: Dass Sie
in einer solchen Situation, die gekennzeichnet ist von
Milliardenschäden weltweit, von Sorge der Menschen
um ihre Altersvorsorge, von Sorge der Kommunen um
ihre Absicherung, strahlend dasitzen und Juchhu rufen,
nach dem Motto: Entstaatlichung statt Verstaatlichung,
während dem Staat und dem Steuerzahler, dem kleinen
Mann, das Geld aus der Tasche gezogen wird, um für
diese Banker und ihre Abzockerei einen finanziellen
Ausgleich zu schaffen, das, finde ich, spricht für sich.
({3})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
möchte ich ergänzen, dass zwischenzeitlich der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie
je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vorliegen. Über den Änderungsantrag wie auch
über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich
abstimmen. Wir haben zu diesem Tagesordnungspunkt
damit zwei namentliche Abstimmungen.
Ich weise schon jetzt darauf hin, dass wir beim nächsten Tagesordnungspunkt, dem Punkt 35, GKV-Beitragssatzverordnung, eine weitere namentliche Abstimmung
haben.
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Carsten Schneider, SPD-Fraktion.
({0})
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hinter uns liegt eine ungewöhnliche Woche, ungewöhnlich, was die Form des Gesetzes und die Höhe der öffentlichen Mittel, die hier teilweise bereitgestellt werden, angeht, ungewöhnlich auch im Hinblick auf die
Maßnahmen; denn wir ermöglichen mit diesem Gesetzespaket eine Teilverstaatlichung von Banken, und das
mit der Zustimmung der CDU/CSU und der FDP. Wer
hätte das gedacht?
({0})
Es sind auch ungewöhnliche Reden gehalten worden.
Frau Künast, ich hätte mich wirklich sehr gefreut, wenn
wir die Rede von Herrn Kuhn von Mittwochmorgen hätten aufgreifen können. Die Änderungen, die Sie angemahnt haben, haben wir in großen Teilen eingebracht.
({1})
Frau Künast, Ihre Rede war sehr engagiert. Aber sie
war auch bar jeder Sachkenntnis.
({2})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bedaure das sehr.
({3})
Wir haben Änderungen hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle vorgenommen. Das, was Sie, Herr
Kuhn, und auch Sie, Herr Gysi, eben angemahnt haben,
steht in dem Gesetzentwurf. Es soll ein neuer Sonderausschuss mit eigenen Rechten eingerichtet werden, der
umfänglich informiert wird, der sogar bei einer Rechtsverordnung ein Vetorecht bei der Abwicklung des Fonds
hat und der alle Informationen bekommt. Was wir allerdings nicht wollen, ist eine exekutive Befugnis des Bundestages; das stimmt. Ich will keine Einzelfallentscheidungen treffen; das liegt nicht in unserer Verantwortung.
({4})
Die Parlamentsbeteiligung ist jetzt verankert. Ich
gebe zu, der erste Entwurf war von der Regierung; die
hat das manchmal nicht so gern. Die Parlamentsbeteiligung ist ein wichtiger Anker in einem Gesetz ({5})
ich habe das am Mittwoch als mögliche Zeitenwende bezeichnet -, das zumindest in Bezug auf seine Größenordnung und seine Bedeutung für dieses Land mit nichts zu
vergleichen ist.
Ich denke, dass auch die Veränderung, die wir bei der
Durchführungsorganisation vorgenommen haben - die
Bundesbank stand im ersten Entwurf unter der Rechtsund Fachaufsicht des Finanzministeriums; das ist nun
nicht mehr der Fall -, dieser wichtigen Einrichtung entgegenkommt. Damit haben wir insbesondere die Unabhängigkeit der Bundesbank herausgestellt.
Frau Künast - zu den Linken komme ich später -, Sie
haben gesagt, die Summe von 500 Milliarden Euro entspreche dem doppelten Bundeshaushalt - das stimmt -,
und das sei ganz ungewöhnlich; das stimmt nicht. Wir
haben in jedem Haushaltsgesetz, dem auch Sie früher
zugestimmt haben, Garantien von über 300 Milliarden
Euro.
({6})
Jetzt haben wir 400 Milliarden Euro, zusätzlich eine
Kreditermächtigung für 70 Milliarden Euro plus eine
mögliche Erhöhung durch den Haushaltsausschuss. Das
ist der ungewöhnliche Teil. Aber die Garantien sind
überhaupt nicht ungewöhnlich. Jetzt haben wir sogar
noch mehr Kontrolle als bei den Garantien, die wir sonst
als Bürgschaften und Ähnliches geben.
({7})
Von daher kann ich Ihre Position nicht verstehen. Bei der
Bedeutung, die dieses Gesetz für den Finanzmarkt und
den Wirtschaftsstandort der Bundesrepublik Deutschland hat, ist das nicht zu verantworten. Ich bedaure das.
Nun zum Verursacherprinzip. - Herr Präsident, es
wird eine Zwischenfrage gewünscht.
Ich erteile dem Kollegen Kuhn das Wort zu einer
Zwischenfrage.
Ich möchte wissen, ob wir eigentlich über das Gleiche
reden. Wir hatten hier eingefordert, dass, wenn man ein
Paket aus Rekapitalisierung und Garantien in der Höhe
von 480 Milliarden Euro schnürt, dann das Parlament
nicht eine pauschale Ermächtigung an den Bundesfinanzminister geben, sondern letztlich selbst entscheiden
soll. Das hatte ich in dieser Woche begründet. Sie haben
in Ihrer Rede gesagt, dass Sie dem beitreten wollen. Jetzt
findet sich in dem Gesetz, das Sie heute Nacht endverhandelt haben, ein neuer Unterausschuss, der unter Geheimkriterien arbeiten muss und Informationsrechte erhält, aber bei größeren Paketen - ich rede nicht über die
Bürgschaften, sondern über die Rekapitalisierung für
den Fall, dass eine Bank gerettet werden soll - in der Sache nicht entscheidet.
Meine Frage an Sie ist: Wenn es so ist, wie ich es
schildere, können Sie dann wirklich ernsthaft behaupten,
es gebe eine parlamentarische Kontrolle? Das ist doch
nicht richtig; vielmehr ist das einfach eine Information.
({0})
Herr Kuhn, ich habe am Mittwoch zugesagt, wir werden die Parlamentsrechte verbessern. Bisher bestand nur
die Möglichkeit einer Unterrichtung des Bundesfinanzierungsgremiums. Das haben wir deutlich verändert.
Nun gibt es einen eigenständigen Ausschuss.
({0})
Dieser hat das Recht, bei einer Abwicklung des Fonds
der Verordnung zuzustimmen.
({1})
Das ist entscheidend. Es ist richtig, was Sie gesagt haben: Wir entscheiden nicht über Einzelfälle. Dazu, Herr
Kuhn, fühle ich mich auch gar nicht in der Lage.
({2})
Dazu habe ich auch nicht die Sachkenntnis. Das will ich
als Abgeordneter des Deutschen Bundestages nicht entscheiden, sondern das machen die Bundesbank und die
Finanzmarktstabilisierungsanstalt. Wir geben die Richtlinien vor und kontrollieren die Regierung. Das ist die
Aufgabe des Parlaments.
({3})
Wir erteilen klare Auflagen. Wer Leistung erhalten
will, wer unter den Garantieschirm will, wer Eigenkapital erhalten will und wer als letzte Möglichkeit - das haben wir im Gesetz in der Reihenfolge geändert wünscht, dass wir schlechte Assets, schlechte Posten aus
der Bilanz herausnehmen, der muss eine Gegenleistung
erbringen. Ich kann die Linke überhaupt nicht verstehen,
dass sie dem nicht zustimmt. Mit diesem Gesetzentwurf
haben wir endlich die Chance - und die FDP stimmt zu -,
einer Verstaatlichung von Banken zuzustimmen.
({4})
- Herr Westerwelle, Sie sollten Ihre Zustimmung nicht
davon abhängig machen. Ich bin jedenfalls dieser Auffassung.
({5})
Sie können aktiv werden, und was tun Sie, Herr Gysi?
Sie halten eine schöne, rhetorisch brillante Rede, aber im
Endeffekt ändert sich nichts.
({6})
Sie beklagen die Pension von Herrn Funke von der
Hypo Real Estate. Das ärgert auch mich wahnsinnig. Der
Aufsichtsrat hat aber einen Vertrag mit dem Vorstand geschlossen, und der Vertrag gilt. Sie wissen auch, dass das
gar nicht anders geht. In bestehende Verträge können Sie
nicht eingreifen.
Ich begrüße es jedoch, dass der Aufsichtsrat der Hypo
Real Estate jetzt die Konsequenzen gezogen hat und gegenüber Herrn Funke von der Möglichkeit Gebrauch
macht, die wir unter Rot-Grün eingeführt haben, nämlich
Vorstände von Aktiengesellschaften zu verklagen, sie
zur Rechenschaft zu ziehen und von ihnen Schadenersatz zu fordern. Das passiert auch, und das ist zu begrüßen.
({7})
Viele Kollegen haben die Frage der Akzeptanz von
Demokratie angesprochen. Wir sind sicherlich in einer
schwierigen Situation. Ich glaube aber - dabei stimme
ich mit Herrn Kollegen Kauder überein -, dass wir als
Bundestag, als Bundesrat und als Bundesregierung bewiesen haben: Unsere Institutionen funktionieren.
Ich wünsche mir, die anderen Institutionen, die Banker, die uns die Suppe eingebrockt haben, würden überhaupt einmal an die Öffentlichkeit treten. Ich sehe keinen Herrn Ackermann und keinen Herrn Blessing. Ich
schätze sie im Einzelnen, aber wo sind sie denn? Sie haben Kommunikationsstäbe, betreiben Öffentlichkeitsarbeit, machen Kampagnen usw. Sie selbst treten aber
nicht auf und übernehmen nicht die Verantwortung. Ich
finde, das ist unsäglich.
({8})
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der meiner Fraktion sehr wichtig ist. Dass dieser Fonds Minus
macht, ist erstens nicht Ziel und zweitens nicht entschieden.
({9})
Carsten Schneider ({10})
Ich glaube, dass dieses Paket funktioniert und dass wir
den Markt stabilisieren und die Wirtschaft am Laufen erhalten. Damit ist das schon das beste Konjunkturpaket.
Im Übrigen sollte es möglichst nicht in Anspruch genommen werden. Wenn dies aber geschehen sollte, dann
muss sich nach meiner Auffassung und nach der Auffassung meiner Fraktion der Deutsche Bundestag damit beschäftigen, wie eine geeignete Refinanzierung aus dem
Finanzsektor selbst heraus dargestellt werden kann. Das
ist für uns eine Bedingung. Ich bin froh, dass wir das mit
in die Beschlussempfehlung aufgenommen haben.
({11})
Es kann nicht sein, dass wir als Staat die immens
wichtige Finanzwirtschaft und ihre Existenz garantieren;
denn nur noch wir sind weltweit der letzte Anker. Irgendwann werden wir die Krise überwunden haben, und
das System wird wieder funktionieren. In der Krise gibt
es im Übrigen auch Banken, die Geld verdienen. Es wird
wieder eine Situation geben, in der die Unternehmen viel
Geld verdienen.
Ich finde, dann ist es durchaus selbstverständlich - wir
wollen dies politisch -, dass nicht die Kindergärtnerin,
nicht der Handwerksmeister und nicht die Krankenschwester, sondern insbesondere die Banken das mit ihren Gewinnen finanzieren. Dann erzielen sie halt eine
Zeit lang keine Eigenkapitalrendite mehr von 25 Prozent, sondern nur noch eine Eigenkapitalrendite von
15 Prozent. Das geht auch, das ist verkraftbar. Das ist
meines Erachtens ein wichtiges Signal an die Bevölkerung. Die SPD will, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
({12})
Meine Damen und Herren, ich glaube, bei aller
Schwierigkeit hat der Bundestag ordnungsgemäß und
sauber beraten. Wir haben diesen Gesetzentwurf bis
heute Morgen um halb drei bearbeitet. Ich glaube, das ist
im Hinblick auf die Bedeutung nicht zu vergleichen. Daher hoffe ich, dass zum einen die Regierung ihre Verantwortung wahrnimmt, die wir ihr in weitreichender Form
jetzt geben - wir werden das kontrollieren -, und dass
zum anderen dieses Paket tatsächlich wirkt und damit
letztlich das erhoffte Ziel erreicht wird, nämlich eine
Stabilisierung des Finanzmarktes unter den derzeit kritischen wirtschaftlichen Bedingungen.
Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin und beim
Bundesfinanzminister für diesen Entwurf.
Danke schön.
({13})
Nächster Redner ist Herr Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will als Ausschussvorsitzender versuchen, das
darzustellen, was zu nachtschlafender Zeit beschlossen
wurde.
({0})
Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Fraktionen
für die Arbeit im Ausschuss; denn wir haben das trotz
der Belastung und trotz der Eile nicht in einem Hickhack, sondern parlamentarisch gemacht. Man sollte auch
nach draußen sagen, dass wir bei allem Unterschied den
Ernst der Lage sehen, weil wir alle wollen, dass am
Montag Kredite ausgegeben werden, am Montag Geld
abgehoben werden kann und der Bürger sagen kann, die
Politik kümmere sich um seine Sorgen.
({1})
Herr Minister, Sie haben es gesagt. Jetzt ist die Zeit,
um Feuer zu löschen. Danach ist sicherlich die Zeit, zu
überlegen, wie man das Feuer besser löschen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es ist
aber nicht die Zeit, nur zu sagen: Da brennt es. Es ist
Ihre Aufgabe, dabei mitzuhelfen, das Feuer zu löschen.
Sie beteiligen sich nicht daran, sondern es ist wie immer:
Wenn es ernst wird, dann sind Sie hinter den Büschen
und nicht am Brandherd. Das ist Ihr Fehler.
({2})
In die Richtung der Grünen sage ich: Unsere Aufgabe
als Parlament endet nicht damit, dass wir den Ausschuss einrichten. Ich stimme dem Kollegen Schneider
völlig zu. Wir als Parlamentarier sollen nicht im Detail
sagen, wie wir das machen. Wissen Sie genau, wie Sie
mit einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit umgehen wollen? Wissen Sie, wie Sie mit einer Sparkasse
oder mit einer Genossenschaftsbank, mit einem Investmentfonds oder mit was auch immer umgehen sollen?
({3})
Das bedarf ganz unterschiedlicher schneller Regelungen.
Hierzu brauchen wir Fachleute, die schnell entscheiden.
Ich sage ausdrücklich für meine Fraktion: Wenn dabei
etwas schiefläuft, wenn meine Fraktion feststellt, dass
sich dabei etwas in die falsche Richtung bewegt, dann
werden wir hier Gesetzesinitiativen einbringen. Das ist
eine Aufgabe, die wir als Parlamentarier haben, nämlich
den Vorgang zu überwachen. Ich bin mir sicher, dass die
Fraktionen das tun werden und sagen: Wenn das in die
falsche Richtung geht, wenn wir als Legislative das nicht
so haben wollen, dann müssen wir agieren. Dann werden
wir das auch tun. Dann wird die FDP auch aufgrund ihrer Zustimmung bei den Koalitionsfraktionen einfordern, dass dies passiert.
({4})
Zu dem, was beschlossen worden ist, will ich zwei
Dinge sagen: Erstens. Die Bedenken des Bundesbankpräsidenten sind meiner Ansicht nach ausgeräumt. Ich
sage ausdrücklich, das hat die Koalition bereits vorab
veranlasst. Das war klar, als wir in die Verhandlungen
eintraten, das will ich klarstellen.
({5})
Zweitens. Als es um die Beteiligung des Parlaments
ging, gab es in der Koalition etwas Widerstand, das will
ich auch deutlich sagen. Deswegen ist meine Fraktion
sehr froh, dass Sie unserer Ansicht folgen konnten, einen
eigenen neuen Ausschuss einzuführen, der ähnlich wie
das Parlamentarische Kontrollgremium im Bereich
der Geheimdienste agiert. Viele haben noch nicht gesehen, dass wir so einen Ausschuss haben, der dem Bundesrat, der für sich die Zustimmung zur Exit-Strategie
haben wollte, gleichgestellt ist. Wir als Parlament müssen ebenso wie der Bundesrat zustimmen, wenn es um
die Exit-Strategie geht.
({6})
- Für Sie ist das nicht toll, ich weiß. Für Sie ist es egal,
ob sich das Parlament beteiligt oder nicht.
({7})
- Sie haben sieben Jahre lang nichts gemacht.
({8})
Jetzt könnten Sie etwas tun, aber Sie sind nicht bereit,
das zu tun. Das ist Ihre Schwäche, die Sie gerade zu kaschieren versuchen.
({9})
Jetzt ist keine Zeit für Euphorie. Es ist auch keine Zeit
für Selbstlob oder für Besserwisserei, Herr Gysi. Ich will
mit einem Bild enden: In dieser Zeit hat man das Gefühl,
dass unsere Marktwirtschaft aus einem Rahmen herausgefallen ist, den wir als Politiker geben müssen. Es ist jedoch nicht die Frage, was in diesem Rahmen gemalt
wird. Es geht darum, diese Marktwirtschaft mithilfe des
Staates wieder in den Rahmen zu setzen. Es geht darum,
diesen Rahmen zu stärken und dafür zu sorgen, dass dieser Rahmen auch in den nächsten Tagen und Jahren
trägt.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun der Bundesminister für Wirtschaft, Michael Glos.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine,
dass wir das Maßnahmenpaket, über das wir heute entscheiden, zum richtigen Zeitpunkt geschnürt haben. Es
bewegt sich im internationalen Geleitzug. Es bewegt
sich im europäischen Gleichklang, und es erlaubt uns, etwas für unsere eigenen Banken zu tun. Ich finde, dass
das der richtige Weg ist.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits bevor dieses Paket abschließend verabschiedet ist, hat es
auf den internationalen Märkten Wirkung gezeigt. Es hat
zur Beruhigung beigetragen. Ein Grund dafür liegt auch
darin, dass sehr frühzeitig grundsätzliche Zustimmung
von vielen Seiten des Hauses signalisiert worden ist. Dafür bedanke ich mich ganz herzlich.
Die Menschen blicken heute wieder sehr stark auf den
Staat und seine Handlungsfähigkeit, weil man gemerkt
hat, dass andere Akteure, die so getan haben, als ob man
den Staat und staatliche Autorität nie bräuchte, versagt
haben.
Ich meine, es ist in den letzten Tagen und Wochen
viel Vertrauen verloren gegangen. Wir wissen, dass die
Krise in allererster Linie von den Vereinigten Staaten
ausgegangen ist, weil es sehr viel leichtes Geld gegeben
hat und dadurch die Maßstäbe ein Stück verrückt worden
sind. Wir wissen, Vertrauen ist sehr rasch zerstört, aber
es ist nur sehr langsam wiederzugewinnen.
Eines der Vertrauensverhältnisse überhaupt ist normalerweise das Vertrauensverhältnis zwischen einem
Bankkunden und seiner Bank. Es gehört zu den Dingen,
die gepflegt wurden, die ein Stück bürgerliche Tugenden
waren, dass man gut beraten worden ist, man sich darauf
verlassen hat und sich die Bank darauf hat verlassen
können, dass der Kunde wenn immer möglich zurückzahlt. Da ist sehr viel kaputtgegangen. Das finde ich
ganz besonders schlimm. Wie soll denn ein Bankkunde
seiner Bank weiter trauen, wenn er weiß, die Banken
trauen sich untereinander nicht mehr und benehmen sich
untereinander wie konkurrierende sizilianische Clans?
({1})
Deswegen müssen wir alles tun, damit auch zwischen
den Banken Vertrauen wieder möglich ist; denn die Banken müssen natürlich den Blutkreislauf der Wirtschaft
immer wieder mit Geld und Kredit versorgen und beleben.
({2})
Ich bin auf der einen Seite traurig, dass es einer solchen Krise bedurft hat, damit man wieder die Dinge vom
Kopf auf die Füße stellt. Auf der anderen Seite finde ich,
in einer Zeit, in der man so viel von Politikverdrossenheit redet, ist es großartig, dass die Menschen noch so
viel Vertrauen in die Politik und die Handlungsfähigkeit
des Staates haben.
Ich bedanke mich bei allen für die Bereitschaft, mitzumachen und rasch zu handeln. Ich weiß, es ist Ihnen
sehr viel zugemutet worden. Aber wir handeln nicht für
die Banken, wie viele glauben, sondern in allererster Linie für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, für
die Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze.
({3})
Das Paket ist zwar an die Finanzwirtschaft adressiert;
doch die eigentlichen Empfänger - ich sage es noch einmal - sind die Menschen in unserem Land, vor allen
Dingen die kleinen und mittleren Betriebe. Die eigentlichen Empfänger sind die Regionen, die für die Zukunft
unserer Volkswirtschaft stehen. Der Wohlstand unseres
Landes wird in der Relation zu anderen Volkswirtschaften nur in geringem Umfang in den Bankentürmen und
den Versicherungszentralen erwirtschaftet. Renditen, die
dort aufscheinen, haben im Grund nur Bestand, wenn sie
zuvor in den Fabriken und Handwerksbetrieben, im
Handel und in den freien Berufen durch Hand- und
Kopfarbeit erarbeitet worden sind.
Einige angeblich besonders fortschrittliche Länder
- wir Deutsche sind da oft als rückschrittlich bezeichnet
worden - haben geglaubt, dass man Geld am besten mit
dem Handel mit Geld verdienen kann. Entsprechend aufgebläht ist dort die Finanzbranche gewesen, und entsprechend tief ist der Fall dieser Volkswirtschaften.
Wir in Deutschland hingegen haben immer auf einen
starken Industriesektor gesetzt. Heute ist in keinem
Land vergleichbarer Größenordnung der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung so hoch wie bei uns - und
das erfreulicherweise mit steigender Tendenz.
Umso mehr gilt: Wir müssen jetzt unsere produzierende Industrie stützen. Niemand kann zurzeit sagen,
welche Auswirkungen die Krise der Finanzmärkte auf
die produzierende Wirtschaft hat. Aber eines steht fest:
Wer von einer allgemeinen Krise der Volkswirtschaft redet, will nur Panik machen wie die linke Seite dieses
Hauses
({4})
und daraus politisches Kapital schlagen.
({5})
Wahr ist: Viele Branchen haben sich bisher als ungeheuer widerstandsfähig erwiesen. Das müssen wir weiter
stützen und erhalten. Das bestätigen mir vor allen Dingen die Vertreter der Wirtschaft, die ich zu Gesprächen
in mein Haus eingeladen hatte. Sie betonen: Zur Panik
gibt es keinen Grund, aber wohl einen Grund zur Vorsicht und zur Vorsorge. Die Finanzmarktkrise wird
selbstverständlich nicht ohne Auswirkungen auf die
Konjunktur- und Wachstumsentwicklung bleiben. Schon
vor der Krise der Finanzmärkte hat sich die Lage eingetrübt. Deshalb rechne ich für das kommende Jahr mit einem Wachstum von 0,2 Prozent. Dieser in Relation zu
den vergangenen Jahren geringe Zuwachs überdeckt die
positiven Erscheinungen in Teilbereichen. Der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist derzeit in einer guten Verfassung. In diesen turbulenten Tagen wird ein Riesenerfolg kaum zur Kenntnis genommen, nämlich die
Tatsache, dass zum ersten Mal seit 2001 in diesem
Herbst mehr Ausbildungssuchende einen Ausbildungsplatz finden, als die Wirtschaft anbieten kann. - Das
heißt, umgekehrt.
({6})
- Ich sage es ganz klar, Herr Kuhn: Es gibt inzwischen
sehr viel mehr Ausbildungsplatzangebote als dafür geeignete Bewerber. Das ist der Unterschied zu früher.
({7})
Die Zahl der Beschäftigten in unserem Land ist um
1,5 Millionen gestiegen. Das ist eine ungeheuer große
Stütze und sorgt für zusätzliches Einkommen und damit
natürlich auch für zusätzliche Einnahmen aus Steuern
und Abgaben in den öffentlichen Kassen. Der Konsum
profitiert ebenfalls davon. Deswegen steigt der Konsum
bei uns im Land trotz der Finanzmarktkrise noch an. Nur
die Nachfrage nach langlebigen Wirtschaftsgütern wie
zum Beispiel Autos leidet derzeit. Aber auch hier haben
wir die Möglichkeit, Unsicherheiten vom Markt zu nehmen. Ein Beispiel: Wenn wir das Problem der sogenannten CO2-Besteuerung möglichst rasch lösen, dann hört
auch der Attentismus auf, den es derzeit bei den Automobilkäufern gibt, weil man nicht weiß, wie das künftig
besteuert wird.
({8})
Etwas anderes wird den Konsum ebenfalls stützen.
Die Preissteigerungsrate geht wieder zurück. Hinzu
kommt die Tatsache, dass sich der Dollar-Euro-Kurs
- wenn man so sagen will - wieder exportfreundlicher
eingependelt hat. Vor allen Dingen werden die zurückgehenden Öl- und Energiepreise stark dazu beitragen.
Hier haben wir ja riesige Bocksprünge erlebt. Noch im
Juli hat Öl auf den Märkten mehr als doppelt so viel gekostet wie heute. Ich glaube, es hat noch nie eine Zeit
gegeben, in der so viele Bocksprünge in der Weltwirtschaft sozusagen über uns hereingebrochen sind.
({9})
Ich finde, insgesamt haben wir das alles gut gemeistert.
Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund für Pessimismus. Im Gegenteil: Wir können die Probleme lösen.
({10})
Die Lehre ist ganz klar: Jetzt müssen die Reformen
weitergehen. Unsere Wirtschaft verträgt in dieser
schwierigen Zeit keine weiteren zusätzlichen Belastungen. Sie steht ohnehin unter Stress. Unternehmen und
Bürger brauchen jetzt Rückenwind und nicht zusätzlichen Gegenwind. Deswegen muss man jetzt über ein Belastungsmoratorium nachdenken. Konkret werde ich
darauf drängen - auch unsere Bundeskanzlerin kämpft in
Brüssel dafür -, dass unsere Automobilindustrie nicht
durch überzogene Regeln in ihrer Wettbewerbsfähigkeit
beeinträchtigt wird.
({11})
Manches von dem, was wünschenswert ist, lässt sich
aber nicht in entsprechender Geschwindigkeit verwirkli19674
chen und umsetzen. Dafür müssen wir uns halt ein bisschen mehr Zeit lassen.
({12})
Die Androhung von Strafzahlungen in Milliardenhöhe,
wenn eine Technologie nicht rasch genug eingeführt
wird, halte ich in der gegenwärtigen Zeit für ein vollkommen falsches Signal.
({13})
Natürlich müssen wir alles in unserer Macht Stehende
tun, um die Wirtschaft weiterhin auf Touren zu halten.
Dazu gehört auch eine Rückbesinnung auf die Tugenden
der sozialen Marktwirtschaft.
({14})
Wir fordern nicht Kapitalismus. Das war nie unser Weg.
Im Gegenteil: Der Kapitalismus in seiner brutalen Form
ist gegen die Wand gelaufen, wie wir gerade auf den Finanzmärkten gesehen haben. Soziale Marktwirtschaft ist
das Gebot der Stunde.
({15})
Trotzdem gibt es keinerlei Grund, auf eine Staatswirtschaft zu setzen. Das wäre ein Holzweg. Ein staatlich beherrschter Bankensektor wäre für mich ein Schreckensszenario.
({16})
Stattdessen ist es besser, mit Klugheit und Voraussicht
internationale Regeln zu schaffen, die diese Spekulationsblasen in Zukunft nicht zulassen. Weder neunmalkluge Finanzmanager noch staatlich beauftragte Banker
oder Aufseher können die Probleme lösen.
({17})
Man braucht vielmehr ein Stück Maß und Verantwortungsgefühl.
({18})
Deswegen meine ich: Jetzt, da der Brand, wie wir hoffen, bald ausgetreten ist
({19})
und die Löschzüge - ich bleibe in dem Bild, das Herr
Fricke vorhin gezeichnet hat - abgefahren sind, gilt es,
den Ordnungsrahmen der Finanzwirtschaft national, europäisch und international passend zu reformieren.
Wir werden dabei aber nicht alle künftigen Probleme
und Gefahren voraussehen können. Deshalb gilt mein
erster Appell allen, die in Staat und Wirtschaft an den
Schalthebeln sitzen. Sie tragen - genauso wie wir als
Parlamentarier und Regierungsmitglieder - Verantwortung für die Menschen und nicht nur Verantwortung für
das eigene Bankkonto.
({20})
Deswegen, finde ich, ist es ein erstes erfreuliches Zeichen, wenn sich der Vorstand einer großen Bank in
Deutschland dazu entschließt, seine ihm zustehenden
Bonizahlungen jetzt nicht in die eigene Tasche zu stecken.
({21})
Ich glaube, diesem Beispiel müssen viele andere folgen.
Wir müssen auch die Gier bekämpfen, die sich bei den
Akteuren - weniger in Deutschland, sondern anderswo breitgemacht hat.
Ich möchte schließen, indem ich dem Parlament und
allen, die mitgeholfen haben, dieses Rettungspaket möglich zu machen, herzlich für ihre Arbeit danke. Ich bedanke mich auch bei der FDP dafür, dass sie als Opposition zustimmt, weil sie spürt, dass wir das alles tun
müssen, um unser Land wieder in eine bessere Zukunft
führen zu können.
Herzlichen Dank.
({22})
Alexander Bonde ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundesregierung erwartet heute von uns,
dass wir ihr fast 500 Milliarden Euro der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler anvertrauen. Ich will Sie ernsthaft
fragen: Wie können Sie eigentlich von uns erwarten,
dass wir in der größten Wirtschaftskrise, die diese Republik in den letzten Jahren erlebt hat, einer Regierung vertrauen, die so einen Wirtschaftsminister hat?
({0})
Herr Glos, wir haben uns ja schon gewundert, weshalb
Sie in der wirtschaftlichen Situation, die wir erleben, auf
Tauchstation gegangen sind. Nach dieser Viertelstunde
muss ich ehrlich sagen, Sie hätten besser weiter geschwiegen.
({1})
Ich will sagen: Wir alle gemeinsam haben keine einfache Woche hinter uns.
({2})
Wir haben uns als Fraktion sehr intensiv mit der Situation befasst. Auch wir sind der Auffassung, dass die
Krise auf den Finanzmärkten ein Rettungspaket in
Deutschland notwendig macht. Wir sind der Auffassung,
dass es ein schnelles und wirksames Paket braucht. DesAlexander Bonde
halb haben wir ja auch auf die uns zustehenden Rechte in
der Frage der Fristen und Ähnlichem verzichtet. Wir haben bis letzte Nacht um 2 Uhr mit ganz konkreten Angeboten an die Koalition und auch in Verhandlungen mit
der FDP deutlich gemacht, dass wir uns nicht aus der
Verantwortung stehlen, aber dass wir klare Anforderungen an ein Rettungspaket haben.
({3})
Diese Anforderungen lauten: Wir sind in der jetzigen
Krise, in der das Parlament erkennbar handlungsfähig
sein muss, nicht bereit, die Parlamentsrechte an die Regierung blanko abzutreten.
({4})
Herr Westerwelle, wir sind auch nicht bereit, es dafür zu
tun, dass man uns im Kinosaal der Bundesregierung statt
der Holzbank jetzt das Plüschsofa in der VIP-Loge gibt.
Das sind ja Ihr Ausschuss und die Konstruktion, die Sie
hier vornehmen. Entschieden wird nach wie vor von der
Regierung. Das Einzige, was passiert, ist: Es wird ein
bisschen näher an die Bühne herangerückt. Das ist nicht
die Parlamentsbeteiligung, wie wir sie uns vorstellen.
({5})
Wir haben hier zur Parlamentsbeteiligung konkrete Vorschläge eingebracht, über die wir nachher namentlich
abstimmen. Dann können wir ja sehen, wie eng Sie hier
zusammenarbeiten.
Ich komme zu unserem zweiten Anspruch. Sie haben
gesagt: Leistung gibt es nur gegen Gegenleistung. - Das
ist aber in diesem Gesetzentwurf nicht geregelt. Es gibt
zwar die Möglichkeit, Leistung gegen Gegenleistung
zu erhalten. Das setzt aber voraus, dass diese Bundesregierung eine Verordnung beschließt, auf die wir als
Parlament keinen Einfluss haben und von der wir nicht
wissen, ob damit all das, was hier verkündet wird, tatsächlich umgesetzt wird.
Ich muss schon sagen: Sie muten uns viel zu. Sie verlangen von uns, dass wir der Regierung glauben, dass sie
die Härte, die sie hier ankündigt, tatsächlich umsetzt,
etwa in der Frage der Managerbezüge oder der Einwirkung auf die Geschäftspolitik. Die gleiche Regierung,
die am Dienstag Herrn Tietmeyer, den Paten des Versagens auf den internationalen Finanzmärkten, zum Retter
küren wollte,
({6})
darf hier nicht ernsthaft annehmen, dass wir ihr weiterhin vertrauen. Diese Regierung war sogar bereit, diese
zentralen Kontrollfragen, die Verantwortung für die Regelung der Fragen von Einfluss im Dienste der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler blanko an Herrn Tietmeyer
abzutreten, und merkt nicht einmal, dass dieser als Aufsichtsratsmitglied der HRE für die erste größte Belastung für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mitverantwortlich war.
({7})
Herr Kollege Bonde, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich will abschließend sagen: Wir haben Ihnen bis zur
Erschöpfung Angebote gemacht. Wir legen sie hier erneut in einem Antrag vor. Wir machen die Türe nicht zu.
Aber wir haben eine klare Verantwortung gegenüber den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die aus unserer
Sicht in Ihrem Paket nicht ausreichend geschützt sind.
Es geht um die einfachen Bürger, nicht um die Banker.
Dies spiegelt Ihr Gesetzentwurf nicht wider. Da vertrösten Sie uns mit Verordnungen. Aber dafür haben Sie als
Bundesregierung zu viel Vertrauen verspielt.
Unsere Türe ist für weitere Gespräche und Verhandlungen offen, um die Regelungen dieses Pakets zu verbessern. Aber für das, was heute zur Abstimmung steht,
können Sie uns nicht mit in die Haftung nehmen. Dieses
Paket ist mit zu heißer Nadel gestrickt und setzt erkennbar zu viel Vertrauen in die Bundesregierung voraus, das
sie nach den Aktionen in den letzten Wochen von uns
nicht mehr erwarten kann.
Herzlichen Dank.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auslöser für unsere heutige Diskussion - das
kann nicht oft genug wiederholt werden - ist und bleibt
die amerikanische Hypothekenkrise, die die Weltfinanzmärkte und damit auch Deutschland erschüttert hat. Es
wurden Produkte, die an allen Bilanzen und Regeln vorbei nicht zu durchschauen waren, allein mit dem Ziel geschaffen, ungeheure Profite anzuhäufen.
Schlechte Darlehensforderungen wurden mit guten
vermengt und mit erheblichem Profit als sogenannte Pakete verkauft. Durch unkalkulierbares Zocken und grobes Fehlverhalten ist diese Krise entstanden, von der Unternehmen, Rentnerinnen und Rentner, Handwerker,
Beamte, Verbraucherinnen und Verbraucher, von denen
der Mensch auf der Straße schlechthin betroffen ist,
wenn er auf einmal keinen Kredit zu vernünftigen Konditionen mehr bekommt.
Deshalb stehen wir heute hier und werden in einer der
gefährlichsten Finanzsituationen, die wir je hatten, Schaden von Deutschland abwenden. Die Große Koalition
hat robust reagiert, um die zentrale Aufgabe zu erfüllen:
die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den
Marktteilnehmern.
({0})
Als letzte Instanz tragen wir dazu bei, dass sich Banken
untereinander wieder trauen und ihre Aufgabe erfüllen.
Dazu dienen die schon mehrfach angesprochenen
400 Milliarden Euro an Garantien und die zusätzlichen
80 Milliarden Euro.
({1})
Aber jenseits dieser aktuellen Diskussionen - damit
komme ich zu meinem Schwerpunkt - ist eines zu beachten: Es geht bei diesem Gesetz nicht - egal, wer etwas anderes sagt - um den Schutz der Banken und Manager, sondern um den Schutz der Bürgerinnen und
Bürger. Für diese übernehmen wir mit diesem Paket
Verantwortung in diesem Lande.
Außergewöhnliche Marktbedingungen machen außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich. Aber mit dem
Gesetz, um das es heute geht - darauf lege ich ebenso
großen Wert -, enden unsere Bemühungen nicht. Nein,
sie beginnen. Jedem in diesem Hause muss bewusst sein,
dass weitere Schritte folgen müssen, wenn wir eine neue,
eine bessere Finanzarchitektur schaffen wollen.
({2})
Eckpunkte dieser besseren Finanzarchitektur sind:
Die Aufsicht über die Ratingagenturen muss international reguliert werden. Es ist nicht einzusehen, warum wir
Europäer uns damit abfinden, dass es drei amerikanische
„weltbeherrschende“ Ratingagenturen, aber kein europäisches Pendant gibt. Es müssen neue Transparenzpflichten für Risiken geschaffen werden. Jeder Finanzmarktakteur, der etwas anbietet, muss gleichzeitig eine
eigene zu dokumentierende Risikoabschätzung beifügen. Kreditinstitute müssen Geld, das sie ausgeben - das
gilt für jeden Euro und jeden Cent -, mit Eigenkapital
unterlegen. Jedwedes Risiko muss innerhalb der Bilanz
und darf nicht außerhalb der Bilanz dokumentiert werden.
({3})
Es ist bereits angesprochen worden, dass die Kontrolle über die Finanzmärkte zu verbessern ist. Selbstverständlich müssen wir auf europäischer und internationaler Ebene zusätzlich zu unserer guten nationalen
Aufsicht, bestehend aus Bundesbank und BaFin, weitere
Akzente setzen.
Eines vermag ich nicht einzusehen: dass Finanzmarktprodukte auf Dauer keiner Zulassungspflicht oder
Ähnlichem unterworfen werden. Jedes Hustenmittel, das
wir in einer Apotheke kaufen, hat umfangreiche Testreihen hinter sich. Warum nicht auch ein Finanzmarktprodukt, durch das ein Schaden in Milliardenhöhe angerichtet werden kann?
({4})
Wieso Leerverkäufe für das ordnungsgemäße Funktionieren einer Börse von Bedeutung sein sollen, ist und
bleibt mir unerfindlich. Wir müssen auch bei Leerverkäufen ansetzen und darüber hinaus jeden Privatanleger
so schützen, dass er, wenn er sich für ein riskantes Produkt entscheidet, genau weiß, welches Risiko er eingeht.
Dieser Hinweis darf nicht mehr nur irgendwo im Kleingedruckten zu finden sein.
({5})
Ein weiterer Bereich, der geregelt werden muss und
der das Gerechtigkeitsempfinden aller Menschen in diesem Land verletzt hat und nach wie vor verletzt, ist die
Entwicklung der Managervergütungen, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Auch hier haben falsche
Anreizsysteme dazu beigetragen, dass diese Krise so ist,
wie sie ist.
({6})
In diesem Zusammenhang nur an die unternehmerische Ethik oder an das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl zu appellieren, ist vielleicht ein bisschen naiv.
Daher haben wir Sozialdemokraten schon vor Monaten
eine Arbeitsgruppe gebildet, die intensiv die rechtlichen
Möglichkeiten prüft, Managergehälter und Vorstandsbezüge zu regulieren.
An dieser Stelle möchte ich auch die persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten erwähnen.
Natürlich ist in verschiedenen Vorschriften des Aktienrechts eine normierte Haftung von Aufsichtsräten und
Vorständen vorgesehen. Sie führt aber ein Schattendasein. Sie ist ein Mauerblümchen. Wir müssen durch
eine Aktualisierung dieser Regelungen dafür sorgen,
dass sich jeder Vorstand bewusst ist, dass er ein Risiko
eingeht, wenn er sich seinen Aktionären gegenüber nicht
verantwortlich verhält.
({7})
Einen anderen Aspekt möchte ich, obwohl er schon
angesprochen worden ist, besonders hervorheben.
Selbstverständlich erwarten wir, die Sozialdemokraten,
dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene
dafür einsetzt - hier sind die Interessen des deutschen
Steuerzahlers die gleichen wie die des irischen oder des
englischen Steuerzahlers -, dass diejenigen, die diese
Misere verursacht haben, das am Ende der Veranstaltung
möglicherweise vorhandene Defizit ausgleichen,
({8})
seien es die betroffenen Banken, die bei der Inanspruchnahme einer Garantie einen Garantiezins zu entrichten
haben, sei es die Branche insgesamt. Wir müssen klipp
und klar sagen: Wir wollen, dass beim Steuerzahler die
schwarze Null verbleibt. Wenn das am Ende der Veranstaltung nicht der Fall ist, dann muss nicht der Steuerzahler, sondern dann müssen die Banken bzw. die privilegierten Institute das entstandene Defizit ausgleichen.
({9})
In diesem Zusammenhang bringt es nichts, Herr Kollege Gysi, mit vermeintlichen Ko-Ursachen zu operieren. Ich greife Ihr Beispiel von den Hedgefonds auf. Ja,
es ist richtig: Durch das Investmentmodernisierungsgesetz sind auch in der Bundesrepublik Deutschland - und
ich bitte, diese Nuance zu beachten - regulierte Hedgefonds, die der Aufsicht der BaFin unterstehen, mit besonderen Regelungen des Anlegerschutzes und der Risikostreuung dem Privatanleger zugänglich gemacht
worden. Warum? - Weil bis zum Jahre 2004 eine große
Flut unregulierter Finanzmarktprodukte aus Europa - wir
sind ja keine Insel - zu uns herüberschwappte. DaraufDr. Hans-Ulrich Krüger
hin haben wir im Interesse des Schutzes der Verbraucher
gesagt: Ja, wir bieten deutsche Hedgefonds an, aber in
diese müssen die eben von mir skizzierten Sicherheitsböden eingezogen sein. Ich meine heute noch, dass das
richtig war und richtig ist.
({10})
Lassen Sie mich daher eine Schlussbemerkung machen. Wir stecken in einer Finanzmarktkrise, die unser
Land verunsichert. Mit diesem Maßnahmenpaket, meine
Damen und Herren, haben wir die Chance, zukünftig den
Menschen in diesem Land das Vertrauen in die Stabilität
des Finanzmarktes zurückzugeben und zu dokumentieren: Politik ist handlungsfähig, Politik ist handlungsstark, und Politik übernimmt Verantwortung, und zwar
nicht im Interesse der Banken und der Manager, sondern
im Interesse der Menschen in diesem Land.
({11})
Von daher bedanke ich mich herzlichst bei all denjenigen gerade im Bundesfinanzministerium, die praktisch
rund um die Uhr - man kann fast schon „schlaflos“ sagen - dafür gesorgt haben, dass wir heute binnen kürzester Zeit diesen Bearbeitungsstand erreicht haben. Ich
bitte um eine möglichst breite Unterstützung in diesem
Hause für eine gute Zukunft in unserem Land.
Ich danke Ihnen.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets
zur Stabilisierung des Finanzmarktes.
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/10651, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf der Drucksache 16/10600 in der Ausschussfassung
anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/10661
vor, über den wir zuerst abstimmen. Auf Verlangen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir über diesen Änderungsantrag nun namentlich ab, bevor anschließend die Abstimmung über den eingebrachten Gesetzentwurf in der veränderten Ausschussfassung stattfindet.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir ein Zeichen
zu geben, wenn alle Abstimmungsurnen besetzt sind. Ich sehe, das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob es anwesende Kolleginnen oder
Kollegen gibt, die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir die Sitzung
bis zum Vorliegen des Ergebnisses dieser Abstimmung
über den Änderungsantrag unterbrechen müssen, weil
dies die Voraussetzung für die Schlussabstimmung über
den Gesetzentwurf ist.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Vorliegen des
Auszählungsergebnisses.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Geschwindigkeit bei der Auszählung entspricht
der ganz besonderen Schnelligkeit des Beratungsprozesses dieser Woche, wofür ich mich bei den Stimmzählerinnen und Stimmzählern auch ausdrücklich bedanken
möchte.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben
gestimmt 51, mit Nein haben gestimmt 499, und enthalten haben sich 24 Mitglieder des Hauses. Damit ist der
Änderungsantrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon
ja: 51
nein: 499
enthalten: 24
Ja
DIE LINKE
Kersten Naumann
Volker Schneider
({0})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({1})
Volker Beck ({2})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({3})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({4})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({5})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({6})
Krista Sager
Manueal Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({7})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({8})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({9})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({10})
Dirk Fischer ({11})
Axel E. Fischer ({12})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({13})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({14})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({15})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({16})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({17})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({18})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({19})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({20})
Stefan Müller ({21})
Bernd Neumann ({22})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({23})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({24})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({25})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({26})
Andreas Schmidt ({27})
Ingo Schmitt ({28})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({29})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({30})
Gerald Weiß ({31})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({32})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({33})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({34})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({35})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Präsident Dr. Norbert Lammert
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({36})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({37})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({38})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({39})
Frank Hofmann ({40})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({41})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({42})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({43})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({44})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({45})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({46})
Michael Roth ({47})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({48})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({49})
Silvia Schmidt ({50})
Heinz Schmitt ({51})
Carsten Schneider ({52})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({53})
Swen Schulz ({54})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({55})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({56})
Heidi Wright
Uta Zapf
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({57})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({58})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({59})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({60})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Diana Golze
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Kornelia Möller
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Jörn Wunderlich
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthaltung
SPD
Gabriele Groneberg
Gesine Multhaupt
Präsident Dr. Norbert Lammert
DIE LINKE
Karin Binder
Eva Bulling-Schröter
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Monika Knoche
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({61})
Dr. Petra Sitte
Dr. Axel Troost
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
großer Mehrheit angenommen.
Bevor wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung kommen, weise ich darauf hin,
dass mir zahlreiche Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung zum jeweiligen Abstimmungsverhalten
zu dem Entwurf des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes
vorliegen, und zwar von Kolleginnen und Kollegen aus
allen Fraktionen des Hauses.1) Diese Erklärungen wer-
den wie üblich dem Protokoll beigefügt.
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-
gen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD namentlich
ab. Auch hier bitte ich, mir ein Signal zu geben, ob die
Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen
Plätze wieder oder immer noch eingenommen haben. -
Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Ab-
stimmung.
Gibt es anwesende Kolleginnen und Kollegen, die
ihre Stimmkarte für die Schlussabstimmung über den
Gesetzentwurf noch nicht abgegeben haben? - Das ist
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung bekannt, sobald es vorliegt.
Nach dem schönen Beispiel von eben wird das nicht
allzu lange dauern.
Wir fahren in der Zwischenzeit mit der Abstimmung
über die Entschließungsanträge fort. Wir kommen zuerst
zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der
1) Anlagen 2 bis 6
FDP auf Drucksache 16/10660. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Damit ist der Entschließungsantrag mit großer Mehrheit im Hause abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10652? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit einer ähnlich großen Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10662? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der übrigen Fraktionen bei Zustimmung der antragstellenden Fraktion abgelehnt.
Ich unterbreche für einen Augenblick die Sitzung, bis
uns das Ergebnis der Auszählung vorliegt,
({62})
weil es sicher der Bedeutung dieses Gesetzgebungsvorhabens entspricht, das Ergebnis nicht in der laufenden
Beratung eines weiteren Tagesordnungspunktes zu Protokoll zu geben.
({63})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich kann Ihnen das von den Schriftführern und
Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes
mitteilen. Es handelt sich um die Drucksachen 16/10600
und 16/10651. Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben
476 gestimmt, mit Nein haben 99 gestimmt, enthalten
hat sich 1 Kollege.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 476
nein: 99
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({26})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({27})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({28})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({29})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Präsident Dr. Norbert Lammert
Michael Hartmann
({30})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({31})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({32})
Frank Hofmann ({33})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({34})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({35})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({36})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({37})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({38})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({39})
Michael Roth ({40})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({44})
Carsten Schneider ({45})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({46})
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({48})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({49})
Heidi Wright
Uta Zapf
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({50})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({51})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({52})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({53})
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Nein
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Monika Knoche
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({54})
Volker Schneider
({55})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({56})
Volker Beck ({57})
Cornelia Behm
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({58})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({59})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({60})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({61})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionsloser
Abgeordneter
Enthalten
CDU/CSU
Manfred Kolbe
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
({62})
Ich möchte zum Abschluss dieses Gesetzgebungsvorhabens zwei Anmerkungen machen, zumal es innerhalb
und außerhalb des Hauses manche verständliche Besorgnis zu diesem in jeder Beziehung außergewöhnlichen
Vorhaben gegeben hat.
Erstens. Das Gesetzgebungsverfahren ist aus den
bekannten Gründen zwar eindeutig schneller und kürzer
gewesen als üblich, aber es ist keineswegs weniger
gründlich und intensiv gewesen.
({63})
Ich will deswegen ausdrücklich den Hinweis der Kolleginnen und Kollegen in den unmittelbar beteiligten Ausschüssen auch hier zu Protokoll geben, dass man sich
mit diesem Gesetzesvorhaben aus den bekannten Gründen besonders sorgfältig auseinandergesetzt hat - bis
weit in den frühen Morgen des heutigen Tages hinein.
({64})
Ich will eine Bemerkung zur Sache hinzufügen, weil
sie den Bogen von der Beratung am Mittwochmorgen zu
der am Freitagmittag herstellt. Am Ende hat der Deutsche Bundestag ein Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, bei dem sich nicht das Maßnahmenpaket verändert hat. Der Handlungsrahmen und die dazu
vorgesehenen Maßnahmen sind am Ende im Kern so geblieben, wie zu Beginn vorgeschlagen. Verändert hat
sich das Mitwirkungsrecht des Parlaments.
({65})
Wir haben im Verfahren der Beratung dieses Gesetzentwurfs sichergestellt, was wir zu Beginn angekündigt
haben, nämlich dass der Deutsche Bundestag zu jedem
Zeitpunkt in der Lage bleibt, über die Implementierung
und die Abwicklung der beschlossenen Maßnahmen Informationen zu erhalten und diese Maßnahmen, wann
immer ihm das notwendig erscheint, in der geeigneten
Weise zu flankieren.
({66})
Ich glaube, das muss festgehalten werden, um die Ernsthaftigkeit nicht nur des Anliegens, sondern auch des
Verfahrens noch einmal ausdrücklich zu bestätigen.
Ich bedanke mich bei allen, die dieses Ergebnis möglich gemacht haben und die vor allen Dingen mit einem
zum Teil bemerkenswerten, wiederum außergewöhnlichen persönlichen Engagement dazu beigetragen haben,
dass das tatsächlich bis heute Mittag zum Abschluss gebracht werden kann, sodass nun diese vom Deutschen
Bundestag jetzt beschlossene Gesetzgebung unverzüglich dem Bundesrat zugeleitet werden kann, in der Erwartung, dass wir heute Mittag zum Abschluss in beiden
Verfassungsorganen kommen. Herzlichen Dank!
({67})
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 35 a und
35 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung ({68})
- Drucksachen 16/9559, 16/10070 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({69})
- Drucksache 16/10609 Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Daniel Bahr ({70})
Birgitt Bender
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Unterrichtung des Deutschen Bundestages
über den beabsichtigten Erlass nachfolgender
Verordnung gemäß § 241 Abs. 3 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch: Verordnung zur
Präsident Dr. Norbert Lammert
Festlegung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung ({71})
- Drucksache 16/10474 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, über
den wir später wiederum namentlich abstimmen werden,
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Debatte und erteile das Wort zunächst
der Bundesministerin Ulla Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der schwierigen Debatten, die wir auch heute
Morgen geführt haben, bin ich einer Tatsache wegen
sehr froh: Wir haben in all den Jahren und bei all den Reformen daran festgehalten, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht - obwohl uns auch viele Ökonomen genau
das raten wollten - auf Kapitaldeckung umgestellt wurden. Vielmehr sind wir dabei geblieben, dass Menschen
für Menschen einstehen und dass damit auch die Sicherheit der Finanzierung gewährleistet ist.
({0})
Auch mit den Reformen, die im kommenden Jahr umgesetzt werden, halten wir an diesem Grundsatz fest.
Es bleibt dabei: Ab 1. Januar 2009 wird unser Gesundheitssystem ein großes Stück übersichtlicher. Mit
dem heute vorliegenden Gesetzentwurf vollziehen wir
die letzten - eher technischen - Schritte zu einer neuen
Finanzierung der Krankenkassen über den Gesundheitsfonds. Entgegen aller immer wieder vorgetragenen Kritik, die sehr offensichtlich interessengeleitet ist, bleibe
ich dabei: Der Gesundheitsfonds macht das System einfacher, gerechter und fairer.
Dieser Fonds bedeutet keinen Aufwand, und er ist kein
Bürokratiemonster. Das zeigt sich, wenn man ihn einmal
mit der bisherigen Situation vergleicht. Heute erheben
208 Krankenkassen 39 verschiedene paritätische Beitragssätze in einer Spanne von 11,3 Prozent bis 16,5 Prozent. Künftig gibt es einen einheitlichen Beitragssatz von
14,6 Prozent, der um einen Beitragssatz von 0,9 Prozent
ergänzt wird, den die Versicherten weiter allein tragen.
Wenn alle den gleichen Anspruch auf Leistungen haben,
dann ist es nur gerecht und fair, dass auch alle den gleichen Prozentsatz ihres Einkommens für die Finanzierung dieser Leistungen aufbringen.
({1})
21 Frauen und Männer im Bundesversicherungsamt organisieren diesen Ausgleich.
Es wird viel darüber geredet, ob der geplante Beitragssatz für 2009 ausreicht. Er beruht auf soliden Berechnungen und ist so bemessen, dass er die Ausgaben,
die im kommenden Jahr erwartet werden, zu 100 Prozent
durch Einnahmen abdeckt. Entgegen falschen Behauptungen, die auch gestern wieder von interessierter Seite
verbreitet wurden,
({2})
halte ich daran fest: Die Einnahmen für 2009 sind einvernehmlich geschätzt worden - mit den Krankenkassen
und nicht gegen sie.
Die Schätzer sind auch nicht, wie behauptet wird, von
einem Wachstum von 1,2 Prozent ausgegangen, sondern
sie sind sehr vorsichtig vorgegangen und haben ihre Berechnungen unter Zugrundelegung der zu erwartenden
Wirtschaftsdaten angestellt. Wir sind schon bei den Vorlagen für das kommende Jahr davon ausgegangen, dass
das Wachstum nahe bei null liegen wird. Auch ein leichter Rückgang der Beschäftigung ist eingerechnet worden.
Sollte es in der Wirtschaft zu Einbrüchen kommen, so
würde sich dies in der gesetzlichen Krankenversicherung
- dort sind ja 16,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner
versichert -, erst später zeigen. Aber selbst wenn es im
laufenden Jahr dazu käme, würden nicht die Krankenkassen das Risiko tragen; damit werden die Menschen ja
jetzt fälschlicherweise in Panik versetzt. Das Risiko trägt
im laufenden Jahr der Gesundheitsfonds. Es gibt keinen
Grund, anzunehmen, dass im kommenden Jahr flächendeckend Zusatzbeiträge fällig werden, weil die Einnahmeseite nicht mehr stimmt. Gerade in dieser Krise gilt:
Die deutschen gesetzlichen Krankenkassen hatten noch
nie eine so stabile und eine so sichere Zusage ihrer Einnahmen wie mit der Einführung des Fonds. Man müsste
den Fonds mit seinen Finanzierungsströmen geradezu
erfinden, wenn das nicht schon geschehen wäre,
({3})
um das alles auf eine sichere Basis zu stellen. So sieht
das aus!
({4})
Pünktlich zum 15. November dieses Jahres erhält jede
einzelne Krankenkasse die auf den Cent genaue Angabe,
wie viel Geld sie im kommenden Jahr Monat für Monat
erhalten wird. Die Krankenkassen können planen,
({5})
weil sie ihren Haushalt kennen, weil sie wissen, wie viel
Mittel ihnen zur Verfügung stehen.
Sollte es zu Einnahmeschwankungen kommen, werden sie im laufenden Jahr durch den Fonds ausgeglichen.
Wir bauen eine Liquiditätsreserve auf. Der Staat steht
dafür gerade,
({6})
wenn es unterjährig zu Einnahmeausfällen kommt und
die Liquiditätsreserve noch nicht aufgebaut ist. Wir kenBundesministerin Ulla Schmidt
nen das im Übrigen von der gesetzlichen Rentenversicherung, Frau Bender. Wenn es dort unterjährige
Schwankungen gäbe, würde auch dort kurzfristig mit
Steuermitteln ausgeholfen, und im Laufe des Jahres
würde das Ganze wieder ausgeglichen.
({7})
Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten von uns die
Grundlage dafür, dass sie mit diesem Beitragssatz eine
optimale Versorgung der Versicherten organisieren
können. Wir erwarten von ihnen, dass sie dies mit einer
hohen Qualität tun. Ich würde mir wünschen, dass das
ganze Engagement, das derzeit in Debatten darüber investiert wird, ob der Fonds kommen soll oder nicht, einem anderen Punkt gewidmet würde. Ich würde mir
wünschen, dass sich die Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen nur einen Tag, nur ein einziges Mal über die
Frage unterhalten würden: Wie können wir mit den über
10 Milliarden Euro mehr im nächsten Jahr eine optimale
Versorgung organisieren? Was können wir mit den Instrumenten tun, die uns der Gesetzgeber an die Hand gegeben hat - Rabattverträge, Preisverhandlungen, besondere Versorgungsverträge, Verträge zur besonderen
Qualität, bessere Versorgung der chronisch Kranken -,
um dieses Geld, wie es die Versicherten erwarten können, so gut und effizient wie möglich einzusetzen? Dafür
werden die bezahlt und nicht dafür, den ganzen Tag nur
rumzujammern. Dafür bekommen die Vertreter der
Krankenkassen zu viel Geld.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann ja verstehen, dass die Krankenkassen aus ihrem Individualinteresse heraus möglichst viel Geld haben wollen. Aber die
Bundesregierung ist nicht für das Individualinteresse zuständig. Die Bundesregierung ist dafür zuständig, dass
dem Gemeinwohlinteresse Rechnung getragen wird.
Deshalb werden wir dafür sorgen, dass das, was an notwendigen Ausgaben im kommenden Jahr getätigt wird,
finanziert ist. Aber wir werden auch dafür sorgen, dass
die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen, die hart arbeiten müssen, nicht über Gebühr belastet werden. Deshalb werden wir die Beitragssätze auch genau kalkulieren. Wir gehen nicht den Weg, dass Beitragsgelder erst
einmal auf die hohe Kante gelegt werden, damit man davon in späteren Jahren nehmen kann, sondern wir wollen, dass die Kassen mit dem, was wir ihnen geben, vernünftig arbeiten, und das können sie.
Es ist richtig: Im kommenden Jahr steigen die Beiträge. Aber das hat nichts mit dem Fonds zu tun, wie es
immer falsch diskutiert wird. Der Fonds verursacht
keine Kosten. Wenn die Beitragssätze steigen, dann hat
das etwas damit zu tun, dass wir politisch, durch Verabschiedung entsprechender Gesetze, entschieden haben,
dass es eine neue Honorarordnung für die Ärztinnen und
Ärzte gibt, eine Euro-Cent-Gebührenordnung, bei der
das Risiko einer Zunahme von Erkrankungen auf die
Versicherten übergeht und nicht bei den Ärzten bleibt,
wie es derzeit der Fall ist. Es hat damit zu tun, dass die
Krankenhäuser so ausgestattet sein sollen - auch im Hinblick auf die Finanzierung von Pflegekräften -, dass sie
eine gute Versorgung organisieren können. Es hat damit
zu tun, dass wir diese Schritte gehen müssen, damit es
auch in Zukunft noch Frauen und Männer gibt, die den
schwierigen Beruf des Mediziners oder einen Beruf in
der Pflege oder einen anderen medizinischen Beruf ergreifen; damit tun wir etwas für den beruflichen Nachwuchs.
Es hat etwas damit zu tun, dass wir die Leistungen der
solidarisch finanzierten Krankenversicherung ausgebaut
haben; denn wir halten es für richtig, Rechtsansprüche
auf Rehabilitation für ältere Menschen, egal, wie alt sie
sind, zu schaffen, die Palliativversorgung auszubauen,
die Hospizversorgung zu unterstützen sowie Impfungen,
Mutter- bzw. Vater-Kind-Kuren und vieles andere mehr
zu unterstützen.
Die Beiträge steigen auch deswegen, weil es mehr ältere Menschen gibt, weil immer mehr Menschen
100 Jahre und älter werden und weil das Krankheitsrisiko im Alter natürlich größer ist als in jungen Jahren.
Wir wollen trotz dieser Herausforderungen an einem
festhalten, nämlich dass jeder in unserem Land an den
Innovationen und an den Fortschritten in der Medizin
teilhat. Wir brauchen Geld, weil wir diese Grundlage der
gesundheitlichen Versorgung für die Menschen auch in
Zukunft sicherstellen wollen.
({9})
In diesem Zusammenhang ist der Fonds nichts anderes als ein Instrument, um das Geld der Versicherten fairer und gerechter als bisher zu verteilen. Wir wollen
nicht, dass Kassen nur deswegen in Schwierigkeiten geraten, weil sie besonders viele ältere, besonders viele
kranke Versicherte oder Menschen mit geringem Einkommen zu versorgen haben. Würden wir die Mittel im
Rahmen des Fonds nicht neu verteilen, würde die Kluft
zwischen den Beitragssätzen immer größer, und letztendlich hätten diejenigen die höchsten Beitragssätze zu
zahlen, die bei einer Kasse versichert sind, in der es fast
nur Kranke, Ältere oder Versicherte mit geringem Einkommen gibt. Das kann niemand wollen, der eine gute,
finanzierte Gesundheitsversorgung in diesem Land will.
Genau deswegen werden in Zukunft über die Neuorganisation der Finanzströme die Krankenkassen, die viele
kranke und ältere Menschen versichern, mehr Geld erhalten als diejenigen, bei denen junge und gesunde
Frauen und Männer versichert sind. Das ist gerecht so.
({10})
Der Gesetzgeber hat den Kassen ein gutes Instrument
an die Hand gegeben, damit sie die Versorgung organisieren können. Einige Kassen haben mitgeteilt, dass sie
mit den Mitteln auskommen werden, andere Kassen
werden sogar Prämien zurückzahlen können, und manche Kassen sagen, sie werden vielleicht einen Zusatzbeitrag erheben müssen. Aber auch da haben wir die Versicherten geschützt: Eine Kasse darf nicht mehr als
1 Prozent des Bruttoeinkommens als Zusatzbeitrag erheben.
Ganz kurz noch einige Bemerkungen zu dem Gesetz
zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in
der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist dringend
notwendig, dass das, was auf Bundesebene schon galt,
auch auf Länderebene und damit für alle Kassen gilt,
nämlich dass sie insolvenzfähig sind. Dann werden alle
Kassen nach einheitlichen Gesichtspunkten ihre Bücher
führen müssen. Darüber hinaus verpflichten wir die Kassen, für die Versorgungszusagen ein ausreichendes Deckungskapital in einem Zeitraum von längstens
40 Jahren aufzubauen. Damit werden die bisher ungedeckten Verpflichtungen transparent gemacht. Dadurch,
dass wir den Kassen Zeit einräumen, wird keine einzelne
Kasse überfordert. Das sind Investitionen in die Zukunft;
denn auch unsere Kinder und Kindeskinder sollen im
Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung versorgt
werden. Das wollen wir damit erreichen.
Für uns bleibt es dabei: Die Insolvenz einer Kasse ist
die Ultima Ratio. Wir haben viele Regelungen zur Verbesserung der Aufsicht und zum Vorrang von Fusionen
oder Schließungen geschaffen, um dies sicherzustellen.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer
Schritt hin zu mehr Transparenz, zu mehr Offenlegung.
Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Diskussionen
öfter in dem Sinne führen, was eigentlich gemeinsam zu
tun ist, um den schwierigen Herausforderungen durch
immer mehr ältere Menschen - worüber wir uns natürlich freuen -, aber auch durch die größeren Möglichkeiten aufgrund des medizinischen Fortschritts zu begegnen
und das, was für uns selbstverständlich war, so weit wie
möglich in die Zukunft zu übernehmen, damit auch unsere Kinder und Enkelkinder zu einem Arzt gehen können, gepflegt werden können und eine dem medizinischen Fortschritt entsprechende Versorgung erhalten,
und zwar unabhängig von ihrem Geldbeutel. Unsere Reformen sind ein entscheidender Schritt auf diesem Weg.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort erhält nun der Kollege Daniel Bahr, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Schmidt hat zum Ende ihrer Rede auf eines
der drängendsten Probleme im Gesundheitswesen hingewiesen: die steigenden Kosten durch eine alternde Bevölkerung. Zu Beginn Ihrer Rede, Frau Schmidt, haben
Sie aber einen Zusammenhang zwischen der Finanzmarktkrise und der Frage, ob wir zur Finanzierung der
steigenden Kosten durch eine alternde Bevölkerung
mehr Kapitaldeckung brauchen, hergestellt. Sie haben
gesagt, durch die Finanzmarktkrise zeige sich, wie überlegen das Umlagesystem der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Konsequenterweise müssten Sie dann
auch die Riester-Rente infrage stellen; denn auch das ist
eine kapitalgedeckte Vorsorge für steigende Kosten im
Alter.
({0})
Das ist der Unterschied zwischen der gesetzlichen
und der privaten Krankenversicherung: In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es keine Rücklagen, bei
denen man darüber diskutieren könnte, ob die Renditen
für diese Rücklagen geringer werden. Die gesetzliche
Krankenversicherung lebt von der Hand in den Mund.
Von den laufenden Beiträgen werden die laufenden Ausgaben beglichen. Bei der privaten Krankenversicherung
wird das Prinzip der Eigenvorsorge gestärkt,
({1})
indem Rücklagen für die steigenden Kosten im Alter gebildet werden. Sie verhalten sich wie jemand, der die
ganze Zeit über seine Verhältnisse gelebt hat und jetzt
über den lacht, der sein Geld sorgsam beiseite gelegt hat
und nun, wenn er auf dieses Geld angewiesen ist, möglicherweise etwas weniger Rendite hat. Ihre Argumentation ist völlig unseriös.
({2})
Dann sind Sie, Frau Schmidt, auf einen Brief eingegangen, den wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages gestern erhalten haben. Ein breites Bündnis von
Gesundheitsökonomen, Experten aus dem Gesundheitswesen und ehemaligen Politikern hat uns darin aufgefordert, ja geradezu an uns appelliert, den Gesundheitsfonds
zu verschieben. Sie antworten darauf mit Detailproblemen. Meinen Sie, dass es einem Herrn Blüm, einer Frau
Süssmuth, einem Herrn Dressler oder einer Frau
Schaich-Walch, alles Persönlichkeiten, die Sozialgeschichte geschrieben haben, die viele Entscheidungen in
der Gesundheits- und Sozialpolitik geprägt haben, darum geht, ob bei der Wachstumsprognose von 1,2 oder
0,2 Prozent ausgegangen wurde? Denen geht es um die
Weichenstellung, die Sie mit dem Gesundheitsfonds vornehmen, um eine grundlegende Weichenstellung in die
falsche Richtung.
({3})
Darum geht es in dem Appell, und deshalb sollten Sie ihn
sich meiner Meinung nach zu Herzen nehmen. Wir alle
im Deutschen Bundestag hoffen in Bezug auf die
Finanzmarktkrise, über die vorhin debattiert wurde,
dass es im nächsten Jahr nicht zu einer nachhaltigen
Stagnation oder sogar zu einer Rezession kommt. Niemand kann aber bestreiten, dass Gefahren für das nächste
Jahr bestehen. Angesichts dieser großen Verunsicherung
für die Bevölkerung und für die im Gesundheitswesen
Tätigen brauchen wir keine weiteren Unsicherheiten. Der
Gesundheitsfonds ist eine weitere Unsicherheit - genauso wie die gesamte Gesundheitsreform. Sie verändern
parallel die Ärztevergütung, die Krankenhausfinanzierung, den Risikostrukturausgleich und das Insolvenzrecht. Niemand in diesem Hause und niemand außerhalb
dieses Hauses kann abschätzen, wie sich das im nächsten
Jahr auf das Gesundheitswesen auswirkt.
({4})
Frau Schmidt, deshalb dürfen wir mit dem Gesundheitsfonds keine weitere Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger hervorrufen. Sie haben recht, wenn
Daniel Bahr ({5})
Sie sagen, das Einnahmerisiko liege nicht mehr bei den
Krankenkassen. Das Einnahmerisiko liegt dann aber
beim Bundeshaushalt; denn dieser muss das Defizit
ausgleichen, wenn die Einnahmen nicht so hoch ausfallen, wie sie geschätzt worden sind. Der Schätzerkreis hat
sich in den vergangenen Jahren - zum Beispiel in den
Jahren 2003 und 2006 - auch verschätzt. Dies war ein
Defizit von jeweils bis zu 3,5 Milliarden Euro. Dieses
Defizit wäre dann mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt
auszugleichen. Damit belasten Sie den Bundeshaushalt
in einer Zeit, in der der Bundeshaushalt schon die ganzen Risiken und Probleme einer Finanzmarktkrise zu
schultern hat.
({6})
Als ob das eine Stabilität der Finanzierung des Gesundheitswesens bewirkt! Dann haben wir nämlich den Streit
darüber, ob vielleicht doch die Mittel für das Gesundheitswesen gekürzt werden sollen.
Hinzu kommt das Ausgabenrisiko, das die Krankenkassen zu tragen haben. Herr Kollege Lauterbach, dem
ich nicht häufig zustimme, hat vollkommen zu Recht
heute gegenüber einer Zeitung gesagt: Bei steigender
Arbeitslosigkeit ist mit steigenden Gesundheitsausgaben zu rechnen.
Das heißt, wenn wir in Deutschland im nächsten Jahr
eine Verunsicherung hinsichtlich der Wirtschaftslage haben, dann haben wir damit auch eine Verunsicherung bezüglich der Gesundheitsversorgung in Deutschland und
somit eine Belastung für die Krankenkassen. Diese steigenden Kosten können die Krankenkassen dann nicht
mehr wie jetzt so kurzfristig durch Beitragssatzanpassungen ausgleichen. Wenn man einen Zusatzbeitrag
verlangt, dauert es bis zu drei Monate, bis man das Geld
hat; denn es müssen neue Konten eingerichtet werden,
die Versicherten müssen angeschrieben und um die Angabe der Kontonummer gebeten werden, man braucht
eine Einzugsermächtigung, und es müssen Mahnverfahren einkalkuliert werden.
Das alles bedeutet zusätzliche Bürokratie. Die Krankenkassen haben uns in der Anhörung gesagt, dass bei
einem Zusatzbeitrag von 10 Euro damit zu rechnen ist,
dass 2,50 Euro für zusätzliche Bürokratie verwendet
werden.
({7})
- Ja, jeden Monat. Wir brauchen aber keine zusätzliche
Bürokratie, sondern wir brauchen das Geld für die Versorgung. Deshalb wäre es besser, wenn Sie auf den Gesundheitsfonds verzichten würden.
({8})
Das alles, was Sie machen, Frau Schmidt, verunsichert weiter das Gesundheitswesen. Die Kassen reagieren bereits im Vorfeld des Gesundheitsfonds darauf und
kündigen Verträge. Es hat doch Folgen für die Versorgung, wenn Versorgungsverträge gekündigt werden. Das
spüren die Patienten.
Was Sie hier mit der Gesundheitsreform und mit dem
uns vorliegenden Korrekturgesetz machen, ist nichts anderes als ein schwarz-roter Feldversuch mit ungewissem
Ausgang. Der Gesundheitsfonds ist ein gesundheitspolitisches Experiment auf dem Rücken von Versicherten
und Patienten. Es wäre das Beste, Sie verzichten einfach
auf den Gesundheitsfonds. Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten, denen wir im nächsten Jahr ausgesetzt sind, wäre das eine verantwortungsvolle Politik, die
ich von einer Großen Koalition erwarten würde.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Annette Widmann-Mauz von der CDU/CSU-Fraktion
ist die nächste Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag in
der Geschichte des Deutschen Bundestags und seiner
Entscheidungen. Er ist von einer Finanzkrise geprägt,
wie sie unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg noch
nicht erlebt hat.
Diese Entwicklungen auf den Finanzmärkten unterstreichen einmal mehr, wie groß die Bedeutung von
Transparenz, von Nachhaltigkeit, von Solidität und
Verlässlichkeit in unserem Land ist. Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung ist deshalb ein klarer ordnungspolitischer Rahmen für die gesetzlichen Krankenkassen und für solide Finanzen notwendiger denn je.
Wir debattieren heute in abschließender Beratung
über den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Außerdem debattieren wir über den künftigen
einheitlichen Beitragssatz, den die Bundesregierung vorgeschlagen hat. Wir führen die Insolvenzfähigkeit von
Kassen sowie einheitliche Rechnungslegungs- und
Buchführungsregeln für alle Krankenkassen ein.
Das ist ein ganz wichtiger Beitrag für dieses System;
denn ab dem 1. Januar ist es vorbei mit dem Schuldenmachen der gesetzlichen Krankenkassen. Das ist ein
wichtiger Beitrag für die künftigen Generationen.
({0})
Dazu haben wir in diesem Gesetz die Vorstände der
Kassen genauer in den Blick genommen, denn auch sie
tragen Verantwortung, und diese gewinnt zunehmend an
Bedeutung. Das reicht bis hin zur persönlichen Haftung.
Kassenmanager werden in Zukunft beweisen müssen,
dass sie auch noch andere Fähigkeiten besitzen, als Unterschriften unter wenig sachverständige Papiere zu setzen, dass sie noch andere Fähigkeiten besitzen, als
schnelle Entscheidungen über Beitragssatzsteigerungen
im Hauruckverfahren durchzuführen. In Zukunft können
sie zeigen, wie gut sie die Versorgung von Patienten mit
qualitativ hochwertiger Medizin und Pflege und einen
guten Service für ihre Versicherten und ihre Patientinnen
und Patienten organisieren können.
Es geht also nicht mehr nur darum, Beiträge zu verwalten, sondern es geht darum, Versorgung zu gestalten.
Darauf wird es bei den Kassen in der neuen Fondswelt
ab dem 1. Januar ankommen. Die Krankenkassen erhalten aus dem neuen Fonds im Übrigen kontinuierlich und
stetig die dazu notwendigen Mittel, und zwar mehr für
Ältere und Kranke als für Junge und Gesunde. Dabei ist
es egal, ob die Krankenkassen viele Krebskranke, viele
Gutverdiener, viele Familienangehörige, viele Rentner
oder viele Arbeitslose versichern. Das sind ganz wichtige Elemente dieses neuen Strukturausgleichs, den der
Fonds an dieser Stelle organisiert.
Die Krankenkassen haben - bezogen auf ihre Einnahmen - mehr Sicherheit und mehr Verlässlichkeit als
heute, denn wenn es im Laufe eines Jahres zu Schwankungen bei den Beitragseinnahmen kommt - zum Beispiel wenn das Weihnachtsgeld nicht so gezahlt wird,
wie man es erwartet hat, oder wenn die Arbeitslosigkeit
steigt -, dann trägt nicht mehr die Kasse dieses Risiko,
sondern der Gesundheitsfonds. In Zukunft werden unterjährige Einnahmeschwankungen von der Liquiditätsreserve im Fonds und in letzter Konsequenz, wenn diese
nicht ausreicht, über den Bundeshaushalt getragen.
Lieber Kollege Bahr, deshalb kann ich das, was Sie
heute Morgen wieder von sich gegeben haben, nur als
Verunsicherung bezeichnen. Sie verunsichern die Menschen. Sie sind da zwar in Gesellschaft, aber ich muss
sagen: Von Sachverständigen im Gesundheitswesen
müssen wir auch Sachverstand verlangen können. Daher
ist es manchmal besser, das Gesetz und den Gesetzestext
intensiv zu studieren, als nur die Postillen von Lobbygruppen zu lesen. Das macht mehr Sinn. Dann müssten
manche Briefe, manche Erklärungen und auch manche
Reden hier im Parlament nicht geschrieben oder gehalten werden.
({1})
Das Einnahmerisiko liegt beim Fonds, und es macht
deshalb gar keinen Sinn, eine zu optimistische Schätzung vorzunehmen. Sie wissen es besser. Wir haben im
Ausschuss mit dem Präsidenten des Bundesversicherungsamtes darüber gesprochen, dass dies eine solide
Kalkulation ist.
({2})
Niemand hat etwas davon, wenn er hier zu optimistisch
schätzt, denn am Ende ist es nicht zum Nachteil der Kassen, sondern - wenn überhaupt - zum Nachteil des Deutschen Bundestages und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Die Prognosen sind also sachgerecht vorgenommen
worden. Bei den Einnahmen bestand im Schätzerkreis
im Übrigen Einvernehmen, und zwar auch mit den Krankenkassen. Wenn es Differenzen gab, dann gab es diese
eher in der Frage der Ausgabenentwicklung. Hierzu
muss ich sagen: Da wundere ich mich auch. Ich kenne
Papiere aus Krankenkassen, in denen die Ausgabenentwicklung geschätzt wird. Diese waren noch im August
absolut identisch mit dem, was am Ende im Schätzerkreis festgelegt wurde. Hier steht also der subjektive
Wille des Einzelinteresses manchmal auch stärker im
Vordergrund als das, was objektiv erforderlich ist.
Ich kann es verstehen, wenn einzelne Krankenkassen
gern etwas großzügiger kalkulieren wollen, wenn sie
noch ein Sahnehäubchen auf dem Kuchen wollen. Das
würde ihnen besser schmecken, das verstehe ich. Unter
Präventionsgesichtspunkten ist dieses Sahnehäubchen
aber kontraproduktiv, nämlich nicht gesund. Vor allen
Dingen aus der Sicht der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wäre dies gerade in der jetzigen Situation unverantwortlich.
({3})
Der Beitragssatz muss für die gesamte gesetzliche
Krankenversicherung das abdecken, was an Leistungen
notwendig und erforderlich ist. Er muss nicht mehr und
nicht weniger tun. Das ist verantwortbar, und das hat die
Bundesregierung in ihrer Beitragssatzfestsetzung auch
getan. Im Übrigen ist der Kuchen um 11 Milliarden Euro
größer geworden.
Die Kassen behaupten in diesen Tagen, solide Kalkulationen seien überhaupt nicht möglich, weil ihnen die
entsprechenden Daten aus dem neuen Risikostrukturausgleich nicht vorliegen würden. Ich kann nur sagen: Der
Beitragssatz ist von der Bundesregierung vorgeschlagen,
er ist bekannt. Das Klassifikationsmodell für die Berechnung der pauschalen Zuweisungen an die Kassen aus
dem Fonds liegt vor. Die Zuweisungsbescheide - dann
in Euro und Cent - werden zum 15. November bei jeder
einzelnen Krankenkasse vorliegen.
Ich stelle fest: Wenn es um die Berücksichtigung der
Morbidität, um die Auswirkungen der Zuweisungen auf
die Verwaltungskosten und die Wahrnehmung der Kasseninteressen im Einzelnen geht - insbesondere bei der
Diskussion mit den Abgeordneten -, dann ist die Prognoseschärfe der Kassen bei 100 Prozent - man könnte
fast meinen, bei 150 Prozent - angelangt. Wenn aber der
Faktor derselben Morbidität herangezogen wird, um einen Kassenhaushalt aufzustellen, dann steigt auf einmal
wieder Nebel auf, und die Kassenmanager stochern in
ihm.
({4})
Das ist keine solide Praxis. Deshalb ist das, was wir vorgeschlagen haben, richtig. Jede Kasse kann sich im Moment sehr sorgfältig darauf einstellen.
Ein Wort zur Bürokratie. Hier reden alle, als ob sie in
Schottland wären: Keiner hat das Ungeheuer von Loch
Ness je gesehen. Die Stelle, das Bundesversicherungsamt, die heute den RSA abwickelt, verwaltet in Zukunft
auch den Fonds. Dazu werden genau 7 Personen mehr
als heute gebraucht, insgesamt 21 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.
Denkt man aber an die 3,5 Millionen Unternehmen in
Deutschland - davon 99 Prozent kleine und mittelständiAnnette Widmann-Mauz
sche Betriebe -, denkt man daran, wie mühsam in den
Personalbüros Krankenversicherungsbeiträge an bis zu
250 Kassen mit bis zu 250 unterschiedlichen Beitragssätzen, also dann auch in unterschiedlichen Euro- und
Centbeträgen, abgeführt werden müssen, dann erkennt
man das Einsparpotenzial in den Unternehmen. Dies ist
ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Dies ist ein wichtiger,
hunderttausendfacher Beitrag zur Entlastung unserer
Wirtschaft.
Sie werden jetzt einwenden - Sie haben dies auch getan -, dass bei den Krankenkassen eine solche Entlastung nicht entstehe und auf sie Zusatzbelastungen zukämen. Dort kann aber nur mehr Aufwand entstehen, wenn
überhaupt Zusatzbeiträge erforderlich sind und dafür
versichertenbezogene Konten eingerichtet werden müssen. Niemand sagt im Übrigen, dass dafür monatliche
Zahlungen erforderlich sind. Ein gewisser Aufwand ist
an dieser Stelle - das sage ich ganz bewusst - gewollt;
denn dadurch entsteht bei den Kassen der heilsame
Druck, zunächst vermeidbare Kosten zu senken, zum
Beispiel in der Verwaltung der eigenen Kasse, und nach
Einsparpotenzialen und Effizienzreserven zu suchen, bevor wieder der leichte Weg über eine Beitragssatzerhöhung eingeschlagen wird.
Die Versicherten sehen und spüren es gleichermaßen.
Beim Versicherten entsteht zum ersten Mal das, was wir
Preis-Leistungs-Bewusstsein nennen; denn nur wenn einem höheren Preis ein Mehrwert bei Leistung, Qualität
und Service gegenübersteht, lässt sich auf Dauer ein Zusatzbeitrag beim Versicherten durchsetzen. Preisvergleiche werden deshalb nicht nur leichter, sondern insbesondere für Versicherte mit kleinen Einkommen auch
lohnender; denn sie können bei einem Kassenwechsel
künftig sehr viel mehr Geld sparen als bisher - und nicht
nur dann, wenn sie zu Kassen wechseln, die Rückzahlungen vornehmen.
Sie haben ja immer wieder bestritten, dass es zu
Rückzahlungen kommen kann und kommen wird. Aber
auch das ist kein theoretisches Konstrukt mehr. Vielmehr
haben einzelne Kassen wie zum Beispiel die Knappschaft mitgeteilt, dass sie Rückzahlungen bzw. Ausschüttungen an ihre Versicherten erwägen.
Also, herzlich willkommen in der neuen Kassenrealität! Wir haben mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf den Schlussstein zur Einführung eines neuen,
transparenten, gerechteren und nachhaltigeren Finanzierungssystems in der gesetzlichen Krankenversicherung
gelegt. Wir werden es schaffen. Dieser Fonds wird zum
1. Januar in Kraft treten. Es steht ihm nichts mehr im
Wege.
Frau Kollegin!
Wir tun dies im Interesse der Patientinnen und Patienten; denn für sie ist dieses System da.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Spieth
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt sehr viel zum
Gesundheitsfonds und sehr wenig zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf gehört. Ich werde versuchen, auf
diesen einzugehen. Nachdem jetzt aber im Wesentlichen
zum Gesundheitsfonds gesprochen worden ist, ist es fast
unmöglich, dazu nicht auch etwas zu sagen.
({0})
Deshalb möchte ich schon noch einiges geraderücken.
Der Bund garantiert mit der Rechtsverordnung, dass
die gesetzlichen Krankenkassen im nächsten Jahr aus
dem Fonds in etwa 167 Milliarden Euro erhalten. Das
garantiert der Bund. Insofern ist die Aussage derer, die
uns gestern geschrieben haben, falsch.
({1})
Sie behaupten, bei einer anderen konjunkturellen Entwicklung würde dieses Defizit zulasten der Versicherten
gehen. Das stimmt nicht.
({2})
Tatsächlich ist es so, dass der Bund, also die Steuerzahler, dann die fehlenden Mittel einbringen müssen.
Ein Riesenproblem ist allerdings - dieser Vorwurf
wurde in der Anhörung am Mittwoch von der Vorsitzenden des Spitzenverbandes Bund und vielen anderen
Sachverständigen zum Ausdruck gebracht -, dass Ihre
Annahme, mit den rund 167 Milliarden Euro stünden
ausreichend Mittel zur Verfügung, um alle Kosten in der
gesetzlichen Krankenversicherung abzudecken, schlicht
und ergreifend falsch ist. Heute ist nämlich schon bekannt, dass mindestens 2,5 bis 3,5 Milliarden Euro mehr
in der gesetzlichen Krankenversicherung gebraucht werden, allein aufgrund Ihrer Versprechen, die Sie in den
letzten Monaten gegenüber verschiedenen Leistungserbringern gemacht haben. Ich erinnere nur an die ärztliche Honorierung.
({3})
- Das ist eben nicht alles drin.
({4})
Das wissen Sie auch ganz genau.
({5})
Das Problem ist: Wenn die über diese Zusagen hinausgehenden Finanzbedarfe der Krankenkassen nicht
gedeckt werden können, wird das passieren, was in dem
Gesetz angelegt ist, dann werden wir alle, die wir gesetzlich krankenversichert sind, mit weiteren Zusatzbeiträgen belastet, und zwar ohne Beteiligung des Arbeitgebers. Wir zahlen schon heute 65 Prozent der Ausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn man alle
Zuzahlungen und Beteiligungen hineinrechnet,
({6})
inklusive des Sonderbeitrages in Höhe von 0,9 Prozent
für Krankengeld und die Zahnersatzversorgung. Der Zusatzbeitrag kommt dann noch oben drauf. Das heißt, wir
verabschieden uns mehr und mehr aus der paritätischen
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das neoliberale Modell nimmt seinen Lauf: Am Ende
werden die Kosten für die Krankenversicherung allein
den Versicherten aufgelastet. Das ist eine soziale Ungerechtigkeit. Das können wir nicht mitmachen.
({7})
Das wird die entscheidende Auseinandersetzung in
den kommenden Wochen und Monaten sein. Insofern
haben die, die uns gestern geschrieben haben, sehr wohl
recht, wenn sie sagen: Es ist damit zu rechnen, dass die
Mittel, die insgesamt garantiert werden, nicht ausreichen, was schon im nächsten Jahr dazu führen wird, dass
viele Kassen Zusatzbeiträge von ihren Versicherten erheben müssen. Dieses Risiko haben Sie nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklich gewollt. Das ist im Gesetz verankert.
Bei der Auseinandersetzung über das heute zu behandelnde Gesetz, das sich GKV-Organisationsweiterentwicklungsgesetz nennt, befinden wir uns in manchen
Punkten - so empfinde ich das jedenfalls - auf einer gesundheitspolitischen Geisterfahrt. Ich will das an einem
einzigen Punkt festmachen: Wir haben einen Gesetzentwurf erhalten, der 47 Seiten umfasst. Darüber hinaus haben wir Änderungsanträge erhalten, die alles in allem einen dicken Stapel von 180 Seiten ausmachen. Diese
Anträge haben im Kern fast nichts mehr mit dem Gesetzentwurf zu tun, sondern befassen sich mit den handwerklichen Fehlern im Wettbewerbsstärkungsgesetz und den
verschiedensten Maßnahmen, die jetzt neu eingeführt
werden.
({8})
- Genau das.
Wir haben also ein Riesenpaket zu bewältigen gehabt.
In den Ausschüssen, auch bei den Anhörungen, haben
wir uns sehr intensiv damit beschäftigt. Wenn man die
Beschlussempfehlung liest, die dem Hohen Haus heute
vorgelegt wurde, fasst man sich zum Teil an den Kopf.
Die sozialdemokratische Fraktion hat geschrieben, dass
sie aus guten Gründen gegen eine Verteilung der pauschalen Verwaltungskosten an die Krankenkassen im
Verhältnis 50 : 50 ist. Das steht tatsächlich in dieser Beschlussempfehlung. In Ihrem eigenen Gesetz machen
Sie aber genau das, obwohl Sie in der Beschlussempfehlung eine Verwaltungskostenpauschale verlangen, die
den Aufwand der Krankenkassen nach Krankheit und
Mitgliederzahl im Verhältnis 70 : 30 verteilt. Sie verlangen also in Ihrer Beschlussempfehlung das genaue Gegenteil dessen, was Sie in Ihrem Gesetz machen. Da
muss man sich doch an den Kopf packen.
({9})
Merken Sie eigentlich noch, was Sie da abziehen? Sie
sind doch nicht in der Opposition. Sie sitzen in der Großen Koalition, in dieser Regierung. Das ist eine Geisterfahrt. Ich habe wirklich den Eindruck - ich will hier niemandem zu nahe treten -, dass in diesem Paket so viele
Änderungen und so viele offenkundige Missverständnisse - das ist zurückhaltend formuliert - angelegt sind,
dass ich behaupte, dass nur noch vielleicht zwei Handvoll Abgeordnete im Hohen Hause in der Lage sind,
komplett nachzuvollziehen, was in diesem Riesenmaßnahmepaket tatsächlich alles steht.
({10})
Es enthält jetzt eine Regelung, nach der Krankenkassen zukünftig in Insolvenz geschickt werden können.
Man fragt sich allen Ernstes: Warum das? Alle Fachleute
haben gesagt: Wir haben jetzt im Gesetzgebungsverfahren Schließungsregelungen. Diese Schließungsregelungen würden nach Auffassung aller Sachverständigen voll
und ganz ausreichen. Wenn Krankenkassen nicht transparent und nicht wirtschaftlich arbeiten, gibt es eine
Möglichkeit, sie zu schließen. Wenn jetzt eine Insolvenzregelung eingeführt wird, fragt man sich doch: Mit welchem Grundgedanken wird dies gemacht? Krankenkassen werden ganz offenkundig wie private Unternehmen
am üblichen Markt betrachtet.
Krankenkassen haben keine andere Aufgabe, als die
durch das Grundgesetz garantierte gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.
({11})
Wir, der Gesetzgeber, und in Ausführung die Bundesregierung haben die Krankenkassen beauftragt, diese Aufgabe wahrzunehmen, Beiträge dafür einzuziehen und
Leistungen bereitzustellen. Wenn sie das nicht ordentlich
machen, müssen sie geschlossen werden. Aber sie in Insolvenz zu treiben mit allen Risiken, die in einem solchen Insolvenzverfahren stecken, ist eine Geisterfahrt.
({12})
Das ist unverantwortlich. Mehr kann ich dazu eigentlich
kaum sagen.
({13})
Das haben auch viele Sachverständige gesagt.
({14})
Es ist eine Tatsache, dass diese Insolvenzregelung so
überflüssig wie ein Kropf ist. Das kann ich hier nur noch
einmal verstärkt einbringen.
({15})
Bei der gesetzlichen Krankenversicherung geht es nicht
um privat handelnde Unternehmen. Deshalb brauchen
wir dort auch kein Insolvenzrecht.
({16})
Im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens wurde
jetzt im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern noch eine
Regelung geschaffen. Den bayerischen Hausärzten
wurde versprochen, eine Sonderregelung für die zukünftige Vertragsregelung des Hausärzteverbandes zu schaffen. Vor der bayerischen Landtagswahl habe ich mit
Blick auf die CDU/CSU-Fraktion politisch noch ein bestimmtes Verständnis dafür gehabt, dass man hier eine
Lex Bayern bildete, um - so ist es dann anschließend geschehen - die Zusage von der bayerischen Ärzteschaft,
jedenfalls der Hausärzteschaft, zu bekommen, die Transparente und Plakate gegen die CSU-Landesregierung aus
den Praxen zu entfernen. Das haben sie auch gemacht.
Sie haben sofort nach diesem Versprechen ihre politische
Kampagne gegen die CSU beendet.
({17})
Aber diesen Quatsch jetzt nach der Landtagswahl, die
Sie sowieso zu Recht verloren haben,
({18})
weiterzuführen und eine Verunsicherung ins Land, in die
gesamte Ärzteschaft, zu bringen, Risiken hinsichtlich
der Notfallversorgung der Patienten, die überhaupt nicht
mehr gewährleistet ist, und hinsichtlich des Sicherstellungsauftrags der Ärzteschaft zu schaffen, ist nach meiner Auffassung angesichts massenhaft unterversorgter
Regionen in Deutschland mehr als fahrlässig.
({19})
Deshalb können wir Ihr Gesetz zur Organisationsweiterentwicklung nicht nur nicht akzeptieren, sondern wir
lehnen es aus tiefster Überzeugung ab.
({20})
Herr Kollege Spieth, Sie werden bemerkt haben, dass
ich Ihnen jetzt die zusätzliche Redezeit gewährt habe,
die ich Ihnen gestern ärgerlicherweise vermeintlich verwehrt habe.
Nun ist die nächste Rednerin die Kollegin Birgitt
Bender für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der
Bundesgesundheitsministerin haben wir vorhin gehört:
Mit dem Gesundheitsfonds wird alles einfacher, gerechter und fairer.
({0})
Nun kommen Sie in die Situation, Frau Ministerin, den
Autoren und Autorinnen des offenen Briefes, der hier
schon erwähnt wurde - er stammt von Leuten aus der
Gesundheitsökonomie, den Kassen, der Ärzteschaft und
auch aus der Politik -, vorhalten zu müssen, sie hätten
nicht ganz genau verstanden, wie der Fonds funktioniert.
Woran liegt das wohl? Vielleicht nicht an der Dummheit
derer, die den Brief geschrieben haben, sondern an der
Konstruktion des Fonds, die eben nicht einfach ist.
({1})
Von fair und gerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen
aus der Koalition, kann schon deswegen nicht die Rede
sein, weil die Kassen durch den Fonds zwischen rigidem
Sparzwang auf der einen Seite und dem drohenden Zusatzbeitrag für ihre Versicherten auf der anderen Seite
wählen müssen. Der Fonds ist weder fair noch gerecht.
Er ist einfach eine Fehlkonstruktion.
({2})
Die Kritiker haben oft die Begriffe „Verstaatlichung“
und „Vereinheitlichung“ eingebracht. Die Berechtigung
dieser Begriffe zeigt sich jetzt besonders an der Beitragsfestsetzung.
({3})
Der Fonds bedeutet, dass den Kassen die Beitragsautonomie genommen wird und es keine unterschiedlichen
Beitragssätze mehr gibt.
({4})
Diese Beitragsfestsetzung, Herr Kollege Zöller, ist damit
politischem Kalkül ausgeliefert. Das sieht man doch in
diesen Tagen besonders deutlich; denn die Bundesregierung will den Beitragssatz eben nicht so festlegen, dass
damit die Anforderungen aus dem Gesundheitswesen
berücksichtigt werden, sondern es geht nur um Arithmetik.
Die politische Vorgabe heißt: Im Wahljahr darf der
Gesamtsozialversicherungsbeitrag nicht steigen.
({5})
Denn damit würde das Reformversagen der Regierung
zu offensichtlich. Was tut man also? Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird um einen halben Prozentpunkt gesenkt: für ein Jahr. Daraus ergibt sich, dass der
Gesundheitsversicherungsbeitrag um einen halben Prozentpunkt steigen darf; denn am Ende muss plus/minus
Null herauskommen.
({6})
Dieses Rechenexempel führt dazu, dass uns ein Kassenbeitrag von 15,5 Prozent präsentiert wird. Aber dass
dieser Beitragssatz ausreichen wird, um die Ausgaben
der Kassen zu finanzieren, ist bei weitem nicht belegt.
Versprochen hatten Sie, dass die Zuweisungen aus dem
Gesundheitsfonds an die Kassen 2009 ausreichen würden, um die Ausgaben zu decken.
({7})
Dieses Versprechen werden Sie brechen.
({8})
Wir haben es in der Anhörung am Mittwoch noch einmal
deutlich gehört: Die Deckungsquote des Gesundheitsfonds im nächsten Jahr wird nicht bei 100 Prozent, sondern nur bei 98,5 Prozent der Ausgaben liegen.
({9})
Diese 1,5 Prozent haben es durchaus in sich. Es geht
nämlich um einen Fehlbetrag von 3 Milliarden Euro.
({10})
Dass wir inzwischen im Zuge der Finanzmarktkrise immer von zwölfstelligen Beträgen reden, heißt noch lange
nicht, dass 3 Milliarden Euro im Gesundheitswesen wenig wären. Das ist viel Geld.
({11})
Viele Krankenkassen, vor allem die mit vielen Kranken und deswegen hohen Ausgaben, werden im nächsten
Jahr in der Situation sein, dass sie eigentlich Zusatzbeiträge erheben müssten. Ich sage deswegen „eigentlich“,
weil natürlich jeder Kassenvorstand weiß, was passiert,
wenn die erste Kasse einen Zusatzbeitrag verlangt. Sie
fällt dann im Kassenwettbewerb weit zurück. Weil die
Bundesregierung das weiß und daran nicht selber schuld
sein will, beschimpft sie schon einmal vorab mögliche
betroffene Kassen.
({12})
Die Bundesgesundheitsministerin und auch die Bundesfamilienministerin - wahrscheinlich versteht sie besonders viel davon - erklären schon vorab: Zusatzbeiträge
werden nur von unwirtschaftlich arbeitenden Kassen erhoben.
({13})
Aber zumindest die Gesundheitsministerin sollte es
besser wissen. Zusatzbeiträge werden je nach der Mitgliederstruktur einer Krankenkasse erforderlich werden.
Viele Kranke, Geringverdienende und beitragsfrei mitversicherte Kinder
({14})
sind die Gruppen, die in Ihrer Logik eine Kasse in ihrer
Mitgliedschaft möglichst vermeiden sollte, wenn sie
ohne Zusatzbeitrag auskommen will.
({15})
Im Übrigen führt, Herr Zöller, das Gerede von der
Unwirtschaftlichkeit natürlich dazu, dass viele Kassen
schon im Vorhinein schlechtgeredet werden. Jede Kasse,
die einen Zusatzbeitrag erheben wird, wird sich öffentlich vorhalten lassen müssen, sie verschleudere Versichertengelder. Das kommt auf dem Krankenversicherungsmarkt einem Todesurteil gleich. Also werden die
Kassen im nächsten Jahr einen rigiden Sparkurs fahren.
Das werden besonders die Patientinnen und Patienten zu
spüren bekommen, die eben nicht in dem neuen Finanzausgleich berücksichtigt sind, denn inzwischen gibt es ja
zwei Klassen von Kranken. Eine Reihe von Selbsthilfeorganisationen hat darauf schon aufmerksam gemacht.
Sie wissen, was auf sie zukommt.
({16})
Auch für innovative Versorgungsmodelle, Frau Widmann-Mauz, für die erst einmal eine Anschubfinanzierung benötigt wird, bevor sie sich rechnen, werden die
Kassen kein Geld übrig haben.
Trotzdem werden die Kassen auf die Dauer nicht vermeiden können, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Spätestens im Jahr 2010 wird alles Sparen nicht mehr helfen.
Dann werden die Kassen flächendeckend Zusatzbeiträge verlangen. Das wissen Sie ganz genau, und das
wollen Sie auch.
({17})
Indem die Ministerin schon jetzt ankündigt, der Beitragssatz werde auch im Jahr nach der Einführung des
Gesundheitsfonds 15,5 Prozent betragen, also stabil bleiben,
({18})
sagt sie nichts anderes, als dass die Deckungsquote dann
nicht mehr bei nur 98,5 Prozent der Ausgaben liegen
wird, sondern noch darunter. Sie haben sogar in den Gesetzentwurf geschrieben, dass die Deckungsquote dann
nur noch 95 Prozent betragen soll. Insofern ist die Ankündigung, dass der Beitragssatz stabil bleibt, in Wirklichkeit kein Versprechen, sondern eine Drohung.
({19})
Angesichts dieser Aussichten ist es nicht verwunderlich, dass die Koalition die Ausweitung des Insolvenzrechts auf alle Kassen auf ihre Agenda gesetzt hat.
Grundsätzlich kann man von den Kassen durchaus erwarten, dass sie mit den Beitragseinnahmen vernünftig
umgehen. Dafür sind allerdings Anreize notwendig.
Dazu gehört auch das Risiko, ökonomisch zu scheitern,
immer vorausgesetzt, dass die Ansprüche von VersicherBirgitt Bender
ten, Beschäftigten und Leistungserbringern in ausreichendem Maße gesichert sind.
Sie brauchen den heutigen Gesetzentwurf vor allem
deshalb, um ein Problem zu lösen, das Sie in dieser Dimension selbst schaffen. Durch die Ablösung des kassenindividuellen Beitragssatzes via Einheitsbeitrag, die
Senkung der Deckungsquote des Gesundheitsfonds auf
95 Prozent und einen falsch konstruierten Zusatzbeitrag
werden viele Kassen geradezu ausgehungert.
({20})
Die Krankenkassen, die viele Geringverdiener und viele
beitragsfrei mitversicherte Kinder unter ihren Mitgliedern haben, werden die ersten sein, die dann nicht mehr
mithalten können. Der heute vorliegende Gesetzentwurf
ist ein Baustein einer falschen Reformstrategie und für
uns daher nicht zustimmungsfähig.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({21})
Die nächste Rednerin ist Dr. Carola Reimann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung bringen wir
weitere Maßnahmen im Rahmen der Gesundheitsreform
2007 auf den Weg und sorgen dafür, dass auch die nächsten Stufen dieser Reform erfolgreich starten können.
Ziel des sogenannten GKV-OrgWG - ein unschöner
Name für ein wichtiges Gesetz - ist es, einen fairen
Wettbewerb zwischen den Kassen zu gewährleisten. Im
Zentrum steht dabei die Herstellung der Insolvenzfähigkeit aller Kassen.
Lieber Kollege Spieth, Sie sind einer der Kollegen,
die diese Diskussion mitverfolgt haben und den Inhalt
des Gesetzes kennen. Die Insolvenzordnung ist nicht
neu;
({0})
sie wird jetzt lediglich auf alle Kassen angewendet.
({1})
Das ist die neue Regelung dieses Gesetzes.
({2})
Ab dem 1. Januar 2010 findet die Insolvenzordnung auf
alle Krankenkassen, auch auf die landesunmittelbaren
Krankenkassen, Anwendung.
({3})
Dann werden für alle Kassen gleiche Bedingungen gelten.
({4})
Fairer Wettbewerb zwischen den Kassen ist eines der
Hauptziele der Gesundheitsreform und des Gesundheitsfonds. Durch die Verbesserungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs und den 100-prozentigen Ausgleich der Einnahmen wird sich der heutige
Wettbewerbsvorteil der Krankenkassen, bei denen vorrangig gesunde Gutverdiener versichert sind, merklich
reduzieren. Das ist auch richtig so; denn die Krankenkassen sollen ihre Energie vor allem darauf verwenden,
ihren Versicherten im Krankheitsfall die bestmögliche
Versorgung und Betreuung zu bieten, nicht darauf, in einen schädlichen Wettbewerb um gesunde, gut verdienende Versicherte zu investieren.
({5})
Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich
war immer ein Anliegen der SPD. Ich freue mich, dass er
zum 1. Januar 2009 Realität wird.
({6})
Im Sinne eines fairen Kassenwettbewerbs ist auch die
jetzt im Gesetzespaket eingefügte pauschale mitgliederbezogene Veränderung der Zuweisungen bei Fondsunterdeckung. Dadurch wird klargestellt, dass Kassen mit
vielen Kranken im Falle einer Fondsausstattung unter
100 Prozent nicht höher belastet werden. Eine prozentuale Änderung der Zuweisungen hätte zur Folge, dass die
positiven Mechanismen des neuen Morbi-RSA konterkariert würden. Eine pauschale versichertenbezogene
Zuweisungsveränderung hätte vor allen Dingen negative
Auswirkungen auf Kassen mit vielen Familienmitversicherten und Kindern. Das wollen wir nicht. Mit der
pauschalen mitgliederbezogenen Veränderung wird jetzt
sichergestellt, dass der Wettbewerb zwischen den Kassen auch im Falle einer Fondsunterdeckung fair bleibt.
({7})
Der Fonds wird also für eine gerechte Verteilung der
Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sorgen. Doch nicht nur das - das möchte ich betonen -: Er
garantiert den gesetzlichen Krankenkassen auch konstante Einnahmen.
({8})
Dies sage ich gerade vor dem Hintergrund der Briefe,
die uns erreicht haben. Mir war klar, dass für die Fondsgegner sozusagen als allerletzte Munition die Finanzmarktkrise und die konjunkturelle Entwicklung herhalten müssen, um auf den Fonds zu schießen. Das ist
allerdings erstens extrem verantwortungslos, weil es
Menschen in der nicht gerade einfachen Situation, in der
wir uns befinden, völlig unnötig verunsichert.
({9})
Zweitens, Herr Kollege von der Opposition, ist es auch
ein Eigentor.
({10})
Das Gegenteil ist der Fall: Der Fonds wirkt in dieser Situation als Schutz für die Kassen,
({11})
weil die 166,8 Milliarden Euro, die im kommenden Jahr
über den Fonds verteilt werden,
({12})
staatlich garantiert sind. Die Risiken auf der Kassenseite waren noch nie so gering wie mit dem Fonds.
Ich muss noch eine Anmerkung zu der Aussage machen, mit der geplanten Summe könne man die Versorgung nicht organisieren. Es sind 166,8 Milliarden Euro.
Politisch sind für den Krankenhausbereich 3,5 Milliarden Euro und für die Ärzte 2,5 Milliarden Euro zugesagt
worden.
({13})
Das sind nach Adam Riese 6 Milliarden Euro. Das heißt:
Wenn es rund 10 Milliarden Euro mehr gibt als in diesem Jahr und wir 6 Milliarden Euro davon zugesagt haben, dann müsste eigentlich genug Luft für weitere
Preissteigerungen sein. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass man mit fast 167 Milliarden Euro keine ordentliche Versorgung in diesem Land sicherstellen kann.
Die Fondsgegner, die die Finanzmarktkrise nutzen
wollen, um etwas heraufzubeschwören, was nicht da ist,
habe ich schon erwähnt. Aber eine konjunkturelle Abkühlung fällt ja nicht vom Himmel; im Übrigen ist sie in
diese Beitragssatzkalkulation eingeflossen. Es wurde
nämlich unterstellt, dass die bisher immer positive Arbeitsmarktentwicklung im Jahre 2009 stagniert und dass
die Beschäftigung bei konstanter Arbeitslosigkeit leicht
zurückgeht.
({14})
- Nein, das ist die Annahme, mit der kalkuliert wurde.
({15})
- Nein, es war keine konservative Annahme, sondern es
ist die vorsichtigste Annahme berücksichtigt worden.
({16})
Im Übrigen bestand bei allen Kassen und Schätzern Einigkeit darüber.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem
vorliegenden GKV-OrgWG haben wir auch im Bereich
der Hilfsmittel wichtige Maßnahmen ergriffen. Zu nennen sind Präqualifizierungsverfahren für die Leistungserbringer, aber auch das Ausschreibungsgebot, das wir
in eine Kannvorschrift umwandeln. Darüber hinaus haben wir noch einmal präzisiert, welche Hilfsmittel für
Ausschreibungen geeignet und welche ungeeignet sind.
Bei der Erarbeitung der Empfehlungen werden in Zukunft auch Patientenvertreter mitwirken.
({17})
Dass die Kollegen der Linkspartei ausgerechnet diesem Änderungsantrag zur Patientenbeteiligung im Ausschuss nicht zugestimmt haben,
({18})
spricht Bände.
In gesundheitspolitischen Debatten wird ja gerne über
die Kosten und weniger über die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems gesprochen. Deshalb möchte
ich an dieser Stelle die Leistungen hervorheben; denn sie
sind hierzulande auf qualitativ höchstem Niveau. Schon
bei der Gesundheitsreform haben wir den Leistungskatalog erweitert. Ich nenne Rehabilitation, Mutter-VaterKind-Kuren und Schutzimpfungen. Nun wird auch die
sozialmedizinische Nachsorge für schwerstkranke Kinder und Jugendliche zur Pflichtleistung. Das ist wichtig,
weil durch die Nachsorge Leistungen koordiniert und
stationäre Aufenthalte verkürzt werden können. Davon
profitieren gerade schwerkranke junge Patientinnen und
Patienten. Ich finde, auch darüber muss in einer gesundheitspolitischen Debatte gesprochen werden.
({19})
Natürlich muss man klar sagen: Das kostet zusätzlich
Geld. Ich sage aber auch: Das muss es uns wert sein. Das
gilt auch für die noch größeren Summen, die wir für die
moderne Spitzenmedizin, für umfangreiche medizinische Innovationen und für die weit über 4 Millionen Beschäftigten im Gesundheitssystem aufwenden. Ich finde,
das ist gut investiertes Geld. Das bleibt aber nicht ohne
Auswirkungen auf den Beitragssatz - ob mit oder ohne
Fonds.
In der derzeitigen politischen Konstellation führt deshalb kein Weg an höheren Beitragssätzen vorbei. Für uns
Sozialdemokraten bleiben das Thema Beitragssätze und
das Problem einer gerechteren Finanzierung weiter auf
der Tagesordnung. Mit der Bürgerversicherung haben
wir ein Konzept, das entlastend auf die Beitragssätze
wirkt und die Kosten gerechter verteilt.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dafür werden wir uns weiter stark machen.
Vielen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion gebe ich jetzt dem Kollegen
Dr. Konrad Schily das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Um es mit dem Titel eines Romans von Hubert
Selby zu sagen: Wir stehen an der „letzten Ausfahrt
Brooklyn“. Heute haben wir noch einmal die Chance,
ein meines Erachtens wirklich misslungenes Gesetz zu
verhindern.
Ich gestehe ja jedem in diesem Hause zu, dass er das
Beste will. Die Grundfrage ist, ob es der richtige Weg
ist, dass die Zentralisierung und Vereinheitlichung der
gesamten Gestaltung dem Staat obliegt, während die
Verantwortung den jeweils Betroffenen vor Ort aufgebürdet wird. Große Einrichtungen und Organisationen
sind immer intransparenter als kleine und bewegliche,
verehrte Frau Widmann-Mauz; das haben wir vielfach
festgestellt. Auch der Fortschritt kann nur über kleine
Einrichtungen organisiert werden.
Auf die Frage, wie die bestmögliche Hilfeleistung für
die jeweils Betroffenen erreicht werden kann, gibt die
Große Koalition mit diesem Vorhaben keine gute Antwort. Sie hat sich von dem Versuch einer föderalen und
regionalen Verbesserung der Versorgungs- und Finanzierungsprozesse verabschiedet und stattdessen den wettbewerbsfeindlichen Gesundheitsfonds ins Leben gerufen.
Dieser Fonds ist eben doch ein bürokratisches Ungetüm,
der nichts besser, aber sehr vieles schlechter machen
wird.
({0})
Offene Systeme, wie die FDP sie vorschlägt und wie sie
auch in unserem Entschließungsantrag noch einmal dargestellt werden, sind für den Fortschritt offen. Für zentralistische Systeme wie den Gesundheitsfonds - ebenso
für die Umsetzung des gesamten Gesetzes - sind hingegen große Bürokratien nötig; sie sind nur technokratisch
zu steuern. Durch zentralistische Systeme wird dem einzelnen Handelnden die Möglichkeit zur eigenen Gestaltung genommen. Die zunehmend zentralistische Ausrichtung unseres Gesundheitssystems behindert die
Therapiefreiheit der Ärzte und die Reaktionsmöglichkeiten der Kassen vor Ort. Sie wird auch keine Hoffnung
sein für eine bessere Versorgung im ländlichen Raum.
Dabei wird die Verantwortung den jeweils Betroffenen aufgebürdet, ohne ihnen das Recht auf zielorientiertes Handeln einzuräumen. So werden 70 Millionen Versicherte ab dem 1. Januar 2009 für ein Projekt bezahlen,
das jenseits der Regierungsbank - Herr Bahr hat darauf
aufmerksam gemacht - nun wirklich niemand will.
({1})
Es kann ja sein, dass das Ministerium das will, aber das
allein ist nicht die Öffentlichkeit.
({2})
Im Gegenteil: Die Gesundheitsreform eint in ihrer
Ablehnung ganz unterschiedliche gesellschaftliche
Gruppen. Arbeitnehmervertreter sind genauso dagegen
wie Arbeitgeberverbände, Ärzte treffen sich mit Patienten und Krankenkassen zum gemeinsamen Protest.
({3})
- Doch, so ist es.
- Man verspricht den Patienten ein Rundum-sorglos-Paket. Dieses Rundum-sorglos-Paket wird es nicht geben.
Dafür werden - das ist schon angesprochen worden - die
bereits jetzt absehbaren und die noch nicht absehbaren
wirtschaftlichen Entwicklungen sorgen. Gerade angesichts der ökonomischen und konjunkturellen Unwägbarkeiten der Gegenwart brauchen wir systemische Antworten, die ein großes Maß an Bewegungsfreiheit und
Flexibilität gewährleisten.
Die derzeit vorgesehene Regelung der vorausschauenden zentralen Festsetzung der Beitragshöhe beschreitet
genau den falschen Weg. Die wirtschaftliche Optimierung der Krankenkassen auf die Frage zu beschränken,
ob ein Zusatzbeitrag erhoben wird oder nicht, ist viel zu
kurz gegriffen. Zudem setzen die Beitragssatzerhöhungen - auch das ist schon angesprochen worden - um mindestens 0,6 Prozentpunkte in konjunktureller Hinsicht
ein falsches Signal.
Schon jetzt ist klar, dass die Gesundheitsreform das
grundsätzliche Problem der Finanzierung nicht lösen
wird.
({4})
Spätestens nach der Bundestagswahl 2009 werden die
Fehler der Konstruktion in einer Notoperation ausgebügelt werden müssen. Darüber hinaus muss allen Entscheidungsträgern klar sein, dass die von der Großen
Koalition auf den Weg gebrachten Regelungen nur dann
Sinn machen, wenn am Ende dieses Weges die Einheitskasse liegt: die Bundes-AOK oder die Bundesknappschaft.
({5})
Welche Konsequenzen eine solche Vereinheitlichung
hat, kann man am historischen Beispiel des DDR-Gesundheitssystems besichtigen: Mangelverwaltung, Innovationsstau und eine mit der Zeit abnehmende Versorgungsqualität.
({6})
Aus diesen Überlegungen kann es nur eine Konsequenz geben: Wir müssen weg vom trägen und innovationsfeindlichen Zentralismus zurück zu einem verbesserten System dezentraler Verantwortlichkeiten,
({7})
zur Beibehaltung der Beitragssatzautonomie und zur Anpassungsflexibilität auf der Ebene selbstverwalteter
Krankenkassen. Wir müssen hin zu mehr Wettbewerb in
einem soliden ordnungspolitischen Rahmen und zu einem verbesserten Handlungsspielraum der Ärzte, in dessen Zentrum der einzelne Patient mit seinen individuellen Bedürfnissen steht.
Wie gesagt, wir stehen an der „letzten Ausfahrt
Brooklyn“. Wir hoffen auf Ihre Einsicht.
({8})
Jetzt hat Jens Spahn das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte eingangs auf den Gesetzentwurf, den wir
heute beraten, eingehen. Sie haben vorhin gesagt, Herr
Kollege Spieth, dass es eine begrenzte Zahl von Kollegen gebe, die ihn verstehen. Als ich Ihnen anfangs zuhörte, dachte ich, Sie gehörten auch dazu, aber je länger
Sie gesprochen haben, desto mehr Sorgen machte ich
mir, dass das nicht der Fall ist. Ich werde noch auf die
eine oder andere Behauptung eingehen, die Sie wider
besseres Wissen aufgestellt haben.
Mit dem Gesetzentwurf wollen wir drei Ziele erreichen. Erstens führen wir für die gesetzlichen Krankenkassen - zwar nicht eins zu eins, aber mit der Wirkung
der Transparenz - die Regelungen der Insolvenzordnung
ein. Dabei gilt - das betrifft einen der Punkte, die Sie angesprochen haben -: Schließung vor Insolvenz; das ist
die klare Reihenfolge. Unser Grundanliegen besteht
doch darin - bisher hatte ich den Eindruck, dass es unser
gemeinsames Anliegen ist -, dass es endlich zu Transparenz über die Verbindlichkeiten und die wahren finanziellen Zustände der Krankenkassen kommt. Das, was
wir in den letzten Jahren erlebt haben, dass sich im
Krankenkassensystem Milliarden Euro an Schulden und
Verbindlichkeiten aufbauen, die nicht transparent sind
und von denen keiner etwas weiß, wird mit diesem Gesetzentwurf abgestellt. Das ist eine gute und wichtige
Regelung.
({0})
Zweitens entwickeln wir einige Regelungen für den
Fonds, der am 1. Januar 2009 in Kraft tritt, weiter. Dazu
gehören unter anderem die viel diskutierte Konvergenzregelung und eine Ausgabenorientierung bei der Zuweisung an die Krankenkassen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Brief der vermeintlich vielen
Sachverständigen im Gesundheitswesen eingehen, der
alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages erreicht
hat. Ich sage Ihnen voraus, dass mancher, der diesen
Brief unterschrieben hat, dies bereuen wird, und zwar
nicht deshalb, weil es sich um eine politische Aussage
handelt, sondern weil er sachlich falsche Angaben enthält, die bei einem Blick in den Text des Gesetzentwurfes nicht hätten geschrieben werden dürfen.
({1})
Ich kann doch von Professoren im Sachverständigenrat
verlangen, dass sie einen Gesetzentwurf lesen, bevor sie
solche Briefe unterschreiben. Wir werden darüber sicherlich noch die eine oder andere Diskussion führen
müssen.
Der dritte Punkt betrifft die Regelungen, die nicht direkt mit dem Fonds im Zusammenhang stehen. Wir heben die 68er-Grenze für Vertragsärzte und Zahnärzte
auf; sie dürfen also über diese Altersgrenze hinaus tätig
sein. Wir tun auch etwas für die bessere Versorgung in
der Psychotherapie und für die Rechtssicherheit im Vergaberecht. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen vonseiten
der Politik; denn nach der letzten Gesundheitsreform hat
es Probleme und rechtliche Unklarheiten gegeben, wie
bei Vergabestreitigkeiten zu verfahren ist. Wir haben aus
diesen Problemen gelernt und sorgen nun für Rechtssicherheit und Klarheit in den Verfahren. An der einen
oder anderen Stelle hätte man sich sicherlich etwas anderes vorstellen können. Wichtig ist aber, dass es nun Klarheit gibt. An dieser Stelle hätte ich mir das eine oder andere zustimmende und unterstützende Wort von der
Opposition gewünscht.
({2})
- Herr Kollege, wenn die Regierung und die Koalition
etwas richtig machen, können Sie sie ruhig loben. Das
wäre nicht so falsch.
Noch zwei, drei Sätze zur Debatte über den Beitragssatz, der zum 1. Januar 2009 festgesetzt wird. Man muss
die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen. Den Krankenkassen werden ab dem 1. Januar 2009 knapp 11 Milliarden Euro bei einem Gesamtvolumen von 166 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. Diese Gelder sollen vor allem in die Verbesserung der ärztlichen
ambulanten Versorgung und Vergütung fließen. Wir haben versprochen, dass die niedergelassenen Ärzte eine
sichere, planbare und bessere Vergütung gerade nach den
letzten Jahren bekommen. Ich hatte den Eindruck, es sei
ein gemeinsames Anliegen, dass die Krankenhäuser eine
bessere finanzielle Ausstattung bekommen. Darüber hinaus werden den Krankenkassen ab dem 1. Januar 2009
zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Eines geht jedenfalls nicht - die Opposition macht das
wahlweise mit unterschiedlichen Methoden -: Man kann
nicht auf Veranstaltungen der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Apotheker sagen, sie müssten mehr Geld
bekommen, und dann hier am Pult die Beitragssatzentwicklung kritisieren. Das geht nun wirklich nicht.
({3})
Auch etwas anderes geht nicht, Herr Kollege Spieth:
Man darf angesichts von 11 Milliarden Euro zusätzlich
im nächsten Jahr nicht Panikmache betreiben, wie Sie es
getan haben. Wir sollten bei allen vorhandenen politischen Differenzen die Entwicklungen ehrlich benennen.
11 Milliarden Euro mehr für die Gesundheitsversorgung
in Deutschland sind alles andere als das, was Sie gerade
beschrieben haben.
({4})
Nach der Anhörung vom Mittwoch habe ich noch etwas anderes langsam satt, und zwar das Verhalten der
Verantwortlichen der Krankenkassen, insbesondere der
Vorstandsvorsitzenden, die fortwährend - auch in dem
erwähnten Schreiben - über die Entwicklung jammern.
Den Krankenkassen stehen - ich sage es noch einmal 11 Milliarden Euro mehr im nächsten Jahr zur Verfügung. Anstatt zu jammern, sollten sie darüber nachdenken, wie sie die Instrumente, die wir ihnen an die Hand
gegeben haben, nutzen können. Ich nenne als Beispiele
nur die Rabattverträge mit der Pharmaindustrie, die Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich und - das ist das Allerwichtigste - Verträge für die gute Versorgung insbesondere der chronisch kranken Versicherten. Dabei muss
es darum gehen, von der Betrachtungsweise wegzukommen, was ein Patient die Krankenkasse in einem Jahr
kostet. Man muss vielmehr sehen, dass ein gut versorgter
chronisch Kranker - Diabetes ist dafür ein klassisches
Beispiel - am Anfang vielleicht etwas mehr kosten mag,
mittel- und langfristig aber mehr Lebensqualität hat und
schließlich weniger Kosten verursacht. Das sollten die
Krankenkassen berücksichtigen, anstatt jeden Tag aufs
Neue die gleiche Leier anzustimmen.
({5})
Wir alle müssen den Menschen ehrlich sagen, dass
das Gesundheitswesen in Deutschland, in einem Land,
in dem die Menschen weniger und älter werden, im
Zweifel nicht günstiger, sondern teurer werden wird. Jeder, der in der politischen Diskussion suggeriert, dass die
Entwicklung in Deutschland aufgrund irgendwelcher
Reformen anders verlaufen könne, macht den Menschen
etwas vor, streut ihnen Sand in die Augen. Wir können
darüber streiten, wie man es finanziert. Aber wir sollten
den Menschen ehrlich sagen, dass es teurer wird, wenn
wir allen einen hochwertigen Zugang zum medizinisch
Notwendigen auf dem Stand der Technik ermöglichen
wollen, und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern
auch in der Fläche, auf dem Land. Das sollten Sie ehrlich sagen, anstatt sich an der einen oder anderen Stelle
der Demagogie hinzugeben.
({6})
Solange wir das Gesundheitssystem beitragssatzabhängig finanzieren, befinden wir uns ständig im Spagat
zwischen der Beitragssatzentwicklung - diese wird von
allen Beteiligten ständig kritisiert - und der Forderung
nach mehr Geld und finanziellen Spielräumen für die
Versorgung der Patienten, deren Zahl angesichts der demografischen Entwicklung - ich habe es bereits gesagt:
weniger und älter - steigt.
Ich finde, wir sollten den Menschen die Wahrheit
über die Ausgabenentwicklung sagen und von den Beteiligten einfordern, dass die Versichertengelder effizient
eingesetzt werden. Wir sollten gleichzeitig für eine vernünftige Finanzierung des gesetzlichen Krankenversicherungssystems in Deutschland sorgen. Wir sollten uns
dieser Aufgabe stellen und gemeinsam dafür werben.
Herr Kollege Spahn, möchten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Spieth zulassen?
Da meine Redezeit gerade zu Ende ist, gerne.
Herr Spieth.
Herr Kollege Spahn, die 167 Milliarden Euro, über
die wir reden, erfordern nach Ihrem Modell in der Tat einen Beitragssatz von 15,5 Prozent. Würden wir aber die
durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckten
versicherungsfremden Leistungen plus die abgesenkten
Beiträge für Arbeitslosengeld-I- und -II-Bezieher durch
Steuern finanzieren, könnten wir theoretisch - das hat
das Fritz-Beske-Institut gestern veröffentlicht - mit einem Beitragssatz von 11 Prozent auskommen,
({0})
ohne Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung
vorzunehmen, und all das finanzieren, was jetzt zugesagt
worden ist. Können Sie bestätigen, dass 15,5 Prozent nur
in Ihrem System die Ultima Ratio ist und dass es mit
steuerlichen Zuschüssen wesentlich preiswerter ginge?
Zuerst einmal freue ich mich, dass Sie, Herr Kollege
Spieth, unter den gegebenen Umständen den Beitragssatz von 15,5 Prozent als richtigen Wert anerkennen. Das
hat vorhin in der Diskussion der eine oder andere nicht
getan.
Zum Zweiten wissen Sie, dass wir bereits mit der letzten Gesundheitsreform festgeschrieben haben, dass die
Steuermittel, die in das Gesundheitswesen fließen, langsam steigen, gerade um versicherungsfremde Leistungen
zu finanzieren. Aber die Wahrheit ist natürlich - das sage
ich auch angesichts der Debatte, die wir heute Morgen
zur Finanzmarktsituation geführt haben -, dass das zusätzliche Steuergeld, das in das Gesundheitswesen fließen soll, finanziert werden muss. Eines akzeptiere ich
nicht, nämlich dass Sie fordern, es solle mehr Steuergeld
in das Gesundheitssystem fließen, aber gleichzeitig Ihre
Fraktion im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags für Krankenhauszuschüsse, für Zuschüsse für die
Pharmaforschung und für Präventionsmaßnahmen, die Sie
übrigens in einen Fonds packen wollen, 4 Milliarden Euro
zusätzlich beantragt - ich wiederhole die Zahl: 4 Milliarden Euro zusätzlich -, ohne zu sagen - selbst auf dreimaliges Nachfragen von mir -, wie das finanziert werden
soll.
({0})
Das macht einmal mehr deutlich: Das ist eine haushaltspolitische Geisterfahrt, aber keine solide Finanzierung.
({1})
Jetzt hat der Kollege Peter Friedrich für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte in Erinnerung an die Debatte von heute Vormittag, als wir über die Frage des Parlamentseinflusses
gestritten haben, sagen: Ich kann schon verstehen, dass
viele Personen in den Selbstverwaltungsgremien der
Kassen nicht froh darüber sind, dass sie nicht mehr selber die Beitragssätze festsetzen dürfen und ihnen dieses
Königsrecht genommen wird. Man kann nicht ernsthaft
erwarten, dass sie darüber glücklich sind. Aber wenn wir
erleben, dass es über den Beitragssatz und über die Auswahl des Gesündesten zu einem Wettbewerb kommt,
dann ist es ein Akt von politischer Verantwortung, zu sagen: Wir lassen diesen Wettbewerb über den günstigsten
Beitragssatz und über die gesündesten Versicherten nicht
mehr zu.
({0})
Es ist eine schwere Aufgabe, die wir auf uns nehmen.
Wir würden die Debatte hier in der Form vielleicht gar
nicht führen, wenn wir nicht genau diese Verantwortung
übernehmen würden, aber dies ist notwendig, um in dem
Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung zu
einer gerechten Form des Wettbewerbs zu kommen.
Deswegen führen wir sie auch.
({1})
Mein zweiter Punkt: Frau Kollegin Widmann-Mauz,
ich habe mich sehr über das Bekenntnis der CDU/CSU
zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich
gefreut. Wir haben diesen seit langem gefordert. Ich
finde, es ist ein großer Erfolg, dass wir endlich hinbekommen, dass das Geld im Gesundheitswesen tatsächlich für die Behandlung von Krankheiten zur Verfügung
gestellt wird und das Geld der Krankheit folgt. Auch da
schaffen wir endlich faire Wettbewerbsbedingungen. Insofern freuen wir uns, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben. Wir hätten uns noch einiges mehr gewünscht; das weiß man. Vielleicht erreichen wir in
Zukunft zusammen noch mehr. Es tut mir übrigens leid,
dass ich kein ähnlich feuriges Bekenntnis zum Zusatzbeitrag ablegen kann. Ich halte das Instrument des Zusatzbeitrags nach wie vor für sehr schwierig.
({2})
Wir werden sehen, wie es sich auswirkt. Gleichwohl haben wir beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich einen gemeinschaftlichen Erfolg erzielt.
({3})
Ich möchte an die Oppositionsparteien appellieren.
Wenn wir die Anhörungen und die Beratungen dieser
Woche zur Kenntnis genommen haben - wir waren ja
alle miteinander da und haben zugehört -:
({4})
Es ist doch wirklich nicht zu glauben, dass Sprecher und
Vorstandsmitglieder der Kassen in der Öffentlichkeit
und in den Anhörungen sagen: „Wir wissen gar nichts;
wir wissen nicht, wie viel Geld wir bekommen; wir wissen nicht, wie das alles funktionieren soll“, während ihre
eigenen Mitarbeiter längst mit der Software und den
ganzen Hinweisen an ihren Arbeitsplätzen sitzen und es
berechnen können.
({5})
Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Bahr - Sie haben doch selber danach gefragt und eine Antwort bekommen -: Seit dem 22. September liegt das komplette
Modell vor. Am 15. November kommen die Zuwendungsbescheide. Mehr Planungssicherheit für die
Krankenkassen gab es noch nie.
({6})
Stimmen Sie doch nicht in den Chor derer ein, die hier
versuchen, Verunsicherung zu schüren! Die Kassen wissen ganz genau, wie viel Geld sie bekommen.
({7})
Sie wissen es rechtzeitig, und sie können damit auch planen. Was wir uns wünschen - daran müssen wir gemeinsam arbeiten -, ist, dass die Kassen die Instrumente, die
wir ihnen gegeben haben, auch nutzen.
Herr Schily, zum Thema Wettbewerb und zur Frage
der Transparenz: Es ist doch wirklich ein starkes Stück,
dass wir hier gesetzliche Details in Angriff nehmen müssen, um die Kassen dazu zu bringen, sich beim Vertragswettbewerb an ordentliche Ausschreibungsverfahren, an
ordentliche Verfahren der Auftragsvergabe, der Vertragsermittlung zu halten. In einigen Kassen ist zwischenzeitlich viel Fantasie entwickelt worden. Der Kollege Zöller
hat in der letzten Debatte zu diesem Thema einmal beschrieben, was alles angefordert wurde. Wir schaffen an
dieser Stelle jetzt Wettbewerbsklarheit. Wettbewerb
braucht klare Regeln. Was wir mit diesem Gesetz sicherstellen, ist, dass die Kassen und die Leistungserbringer
wissen, nach welchen Regeln Aufträge vergeben und
Verträge geschlossen werden, sodass in diesem Bereich
nicht mehr Wildwest herrscht.
({8})
Das gilt übrigens - ich muss sagen: leider auch - für
die Frage des Übergangs für die Angestellten. Wir müssen noch einmal gesetzlich klarstellen, dass die Kassen
verpflichtet sind, sich um ihre eigenen Mitarbeiter, die
sie aufgrund der neuen Struktur nicht mehr brauchen, zu
kümmern. Wir sollten ihnen dafür vier Jahre Zeit einräumen. Ehrlich gesagt, halte ich das nicht für einen Beweis
der Willigkeit der Krankenkassen, in diesem Bereich tatsächlich für ihre eigenen Leute zu sorgen.
({9})
Herr Spieth, Sie haben angesprochen, dass wir uns bei
der Aufteilung der Verwaltungskosten etwas anderes
gewünscht hätten. Da haben Sie recht. Aber Sie wissen
doch genauso gut - ich bin von Ihren demokratischen
Fähigkeiten überzeugt, Herr Kollege -, dass Demokratie
kein Wunschkonzert ist. Es war für uns allemal wichtiger, zustande zu bringen, dass die möglicherweise entstehenden Defizite nicht auf die Kinder und die Familienangehörigen abgewälzt werden und dass die Kassen
zum Schluss die Doofen sind, die die Familien und die
Kinder versorgen. Deswegen war es uns an dieser Stelle
wichtiger als an anderer Stelle, uns durchzusetzen. Wir
hätten uns auch da mehr gewünscht. Wir werden
schauen, wie es sich auswirkt. Eventuell kommen wir in
nächster Zeit tatsächlich dazu, das zu korrigieren.
Wenn ich mir aber anschaue, was die Kassen vom
Aufwuchs bei den Verwaltungskosten her für sich selber
schon veranschlagt haben, dann muss ich ganz ehrlich
sagen: Ich hoffe sehr, dass dort die Zeichen der Zeit erkannt sind, dass es in der Verwaltung auf Sparsamkeit
ankommt und nicht auf einen weiteren Ausbau.
({10})
Insofern sind wichtige Grundlagen geschaffen worden.
Zuletzt wurden einige Korrekturen vorgenommen, die
notwendig waren.
Wir bleiben dabei: Die Grundsatzfrage „Bürgerversicherung versus Kopfpauschale“ wird weiterhin Teil des
Kampfes um politische Mehrheiten sein. Ich bin mir sehr
sicher, dass wir da die besseren Argumente haben. Wir
haben als Große Koalition an dieser Stelle Richtiges und
Gutes getan.
Danke.
({11})
Der Kollege Max Straubinger spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind jetzt am Schluss des Gesetzgebungsverfahrens
zur Modernisierung und auch Stärkung unseres Gesund-
heitswesens. Ich glaube, dass wir mit Fug und Recht be-
haupten können: a) Wir haben die beste gesundheitliche
Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Land - sie wurde hier über viele Jahre und Jahrzehnte er-
arbeitet; vor allen Dingen wird sie auch weiterhin solida-
risch finanziert -, und b) wir leisten heute mit dem Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens einen weiteren
Beitrag dazu.
({0})
Angesichts der Finanzkrise ist es für die Bürgerinnen
und Bürger sehr bedeutungsvoll, dass sie sich auf ein solidarisches Gesundheitssystem verlassen können, dass
dieses System modern ausgestaltet wird und vor allen
Dingen angepasst wird an neue Gegebenheiten und neue
Möglichkeiten der medizinischen Versorgung, und zwar
für alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer
Leistungsfähigkeit, unabhängig von ihren Möglichkeiten, einen Finanzbeitrag zu leisten, sodass alle Bürgerinnen und Bürger am medizinischen Fortschritt teilhaben
können. Das ist eine große Errungenschaft des sozialen
Staatswesens, das wir gebildet haben.
({1})
Es ist auch bedeutungsvoll, was mit dem ersten Gesetz zur Stärkung unseres Gesundheitswesens eingeleitet
worden ist und heute mit diesem Weiterentwicklungsgesetz fortgesetzt wird. Damit ist verbunden, dass die
Schulden, die in den gesetzlichen Krankenkassen in der
Vergangenheit angehäuft worden waren, mittlerweile zurückgeführt werden und am 31. Dezember dieses Jahres
abgebaut sein werden,
({2})
sodass die Beitragsmittel, die bisher zur Entschuldung
eingesetzt worden sind, zukünftig wieder für die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen.
({3})
Damit waren auch mehr Leistungen verbunden. Mit
dem heute zu beschließenden Gesetz sind ebenfalls mehr
Leistungen verbunden, etwa Ausweitung der enteralen
Ernährung; darüber hinaus sollen zum Wohle der Patientinnen und Patienten aber auch sozialpsychiatrische
Dienste gestärkt werden. Das sollte man nicht gering
schätzen. Das ist mit Ergebnis dessen, was wir hier heute
bewältigen.
({4})
Heute ist vielfältigst über die solidarische Finanzierung gestritten worden. Vor allen Dingen wurde bemängelt, dass es zukünftig einen einheitlichen Beitragssatz
geben wird. Man kann sich natürlich darüber streiten: Ist
das tatsächlich richtig und notwendig? Die Frau Bundesministerin hat die bisherige Spannbreite von 11,6 Prozent bis 16,5 Prozent angesprochen. Da kann man durchaus fragen, ob das sozial gerecht ist. Es scheint sozial
gerechter zu sein, einen einheitlichen Beitragssatz in der
gesetzlichen Krankenversicherung einzuführen.
Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP bemängeln, dass in der Finanzierung zu wenig Nachhaltigkeit
im Sinne der älteren Bürgerinnen und Bürger gegeben
sei, und verweisen auf die private Krankenversicherung. Gerade wir als CSU stehen für den Erhalt der privaten Krankenversicherung, weil es wichtig ist, ein wettbewerbliches Modell zu haben, die gesetzliche
Krankenversicherung und die private Krankenversicherung zu haben. Herr Kollege Bahr, auch eine Untermauerung mit Kapitaldeckung bedeutet ja nicht, dass die
Beiträge nicht steigen; im Gegenteil.
({5})
Viele Bürgerinnen und Bürger, die in der privaten Krankenversicherung sind, jammern gerade darüber, dass sie
mit weit höheren Beitragslasten konfrontiert werden,
wenn sie in ein bestimmtes Alter kommen. Das wird in
der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen.
({6})
Beide Systeme haben eine gute Funktion für die Stärkung der gesundheitlichen Versorgung der Bürgerinnen
und Bürger. Ich glaube, dass man die Vor- und Nachteile
ganz offen ansprechen sollte. Eine Präferenz für das eine
oder andere System gibt es nicht.
({7})
Das Umlagesystem gibt die Möglichkeit, Ausgabensteigerungen, die von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt werden - im Krankenhauswesen, bei der ärztlichen
Versorgung vor Ort; das geht mit einer entsprechenden
Honorierung einher -, auszugleichen. Ich sage ganz offen: Das bedeutet dann auch Beitragssatzsteigerungen.
Wenn wir mehr für Honorare der Ärzte ausgeben, wenn
wir mehr für die Sicherung unserer Krankenhäuser tun,
vor allen Dingen im ländlichen Raum entsprechend Finanzmittel zur Verfügung stellen, wenn die Bürgerinnen
und Bürger Gott sei Dank älter werden können, aber
dazu mehr Medikamente benötigen, dann bedeutet das
Ausgabensteigerungen, und die Mittel zur Deckung dieser Ausgabensteigerungen müssen die Bürgerinnen und
Bürger berappen. Das ist aber gut angelegtes Geld. Die
gesundheitliche Versorgung hat nämlich den höchsten
Stellenwert für die Menschen in unserem Land.
({8})
Heute ist vielfach über die Beitragsbelastung gesprochen worden, und es ist dargestellt worden, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine Senkung
des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung entlastet
werden. Oft entsteht dadurch in der Öffentlichkeit der
Eindruck, dass die Rentnerinnen und Rentner zu stark
belastet sind. Daher möchte ich hier ausdrücklich feststellen, dass die Belastung der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland 0,5 Euro bis 6 Euro im Monat beträgt. Ich glaube, das ist eine sozial verantwortliche
Beitragsgestaltung, die wir da vorgenommen haben.
Werte Damen und Herren, ich möchte noch kurz zwei
Dinge ansprechen. Wir haben dafür gesorgt - das war für
die CSU ein wichtiges Anliegen -, dass eine vernünftige
Konvergenzregel gefunden worden ist. Ich danke dem
Bundesministerium, das mit dazu beigetragen hat, diese
Lösung zu finden. Vor allem für die Länder, die befürchten mussten, mit der Fondslösung viele Finanzmittel zu
verlieren, ist hiermit eine sachgerechte Lösung gefunden
worden.
Der Kollege Spieth hat in seiner Rede davon gesprochen, dass die Regelung zu den Hausarztverträgen zukünftig zu einer hausarztzentrierten Versorgung - § 73 b führen wird. Ich bin über diese Aussage und auch über
die Kritik verwundert. Im bayerischen Landtagswahlkampf hat die Linke immer das Horrorgemälde gemalt,
die ärztliche Versorgung vor Ort sei nicht mehr gesichert, die Qualität werde sowieso sinken und so weiter.
Im Gegensatz zu den Linken halten wir als CSU Wort.
Wir bleiben bei dem, was vor der Wahl gesagt worden
ist; das halten wir auch nach der Wahl. Es ist im Sinne
der Bürgerinnen und Bürger, der Patientinnen und Patienten, dass wir so verfahren.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte.
Wir sind keine Ypsilantis. Ich glaube, wir leisten damit einen guten Beitrag für eine breite hausärztliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne
bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und der
Frau Präsidentin herzlichen Dank für die Geduld.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Or-
ganisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung.
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/10609, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen
16/9559 und 16/10070 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen.
Zu dieser Abstimmung liegen persönliche Erklärun-
gen der Kollegin Gitta Connemann sowie der Kollegen
Dr. Rolf Koschorrek und Kurt Rossmanith vor.1)
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
({0})
- Das ist jetzt aber schwierig. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Ich gehe davon aus, dass das Abstim-
mungsverhältnis so ist, dass die Koalitionsfraktionen zu-
gestimmt und die Oppositionsfraktionen dagegen
1) Anlagen 6 und 7
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
gestimmt haben. Enthaltungen konnte ich von hier aus
nicht sehen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wir stimmen auf Verlangen der
FDP-Fraktion namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Ja. Dann ist die Abstimmung eröffnet.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint mir
nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung geben wir Ihnen später bekannt.1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/10625. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? -
Die Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist bei Zustimmung durch die FDP-Frak-
tion, Gegenstimmen der Koalitionsfraktionen und der
Linksfraktion sowie Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 35 b. Unterrichtung durch die
Bundesregierung über den beabsichtigten Erlass einer
Verordnung zur Festlegung der Beitragssätze in der ge-
setzlichen Krankenversicherung. Ich gehe davon aus,
dass Sie die Unterrichtung auf Drucksache 16/10474 zur
Kenntnis genommen haben.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 34 a bis f auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate
Künast, Silke Stokar von Neuforn, Jerzy Montag,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes ({1})
- Drucksache 16/9607 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksachen 16/10529, 16/10581 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesdatenschutzgesetzes
- Drucksache 16/31 -
1) Ergebnis Seite 19703 D
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Volker Beck ({5}), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Datenschutz stärken - Bewusstsein schaffen Datenmissbrauch vorbeugen
- Drucksache 16/10216 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({7}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von
Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Informationspflicht für Unternehmen bei Da-
tenschutzpannen einführen
- Drucksachen 16/1887, 16/6764 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Gisela Piltz
Silke Stokar von Neuforn
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des
Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar
von Neuforn, Volker Beck ({9}), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten
- Drucksachen 16/8115, 16/8199, 16/9112 Berichterstattung:
Abgeordnete Beatrix Philipp
Wolfgang Gunkel
Jan Korte
Als erster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin
Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesinnenminister Schäuble hält zurzeit eine Pressekonferenz zum Thema Sport ab. Auch das ist Ausdruck dafür,
welchen Stellenwert der Datenschutz in der Bundesregierung und insbesondere beim Bundesinnenminister
hat.
({0})
In einem taz-Interview konnte ich nachlesen, Herr
Schäuble sei beleidigt über die am vergangenen Samstag
erfolgte Demonstration unter dem Titel „Freiheit statt
Angst“. Ich kann nur sagen: Wir haben uns gefreut, dass
die Bürgerinnen und Bürger für Freiheitsrechte und gegen den Überwachungsstaat auf die Straße gegangen
sind. Es war höchste Zeit, dass die Forderungen nach
mehr Datenschutz und gegen die Vorratsdatenspeicherung einmal so klar zum Ausdruck gebracht werden, wie
es dort geschehen ist.
({1})
Große Koalition heißt eben: Schily plus Schäuble minus Bürgerrechte. Gegen die Große Koalition muss man
auf die Straße gehen. Das wissen wir noch sehr gut aus
früheren Zeiten.
({2})
Seit Monaten jagt ein Datenschutzskandal den anderen. Es ist an der Zeit, dass wir hier eine grundsätzliche
Trendwende erreichen. Für uns hat Datenschutz die allerhöchste Priorität. Deswegen sagen wir ganz klar: Datenschutz gehört als Grundrecht in die Verfassung. Eine
Umfrage hat gezeigt, dass 87 Prozent der Bevölkerung
diese Forderung unterstützen.
({3})
Es geht uns weder um Symbolik noch um Rhetorik.
Wir möchten, dass die Bürgerinnen und Bürger durch
einen einfachen Blick in die Verfassung erkennen können, welche Freiheitsrechte sie haben. Die Verfassung
muss verständlich sein und Auskunft darüber geben,
welche Grundrechte die Bürgerinnen und Bürger haben.
Gerichtsentscheidungen allein reichen dafür nicht aus.
Verfassungsgeber ist das Parlament, Verfassungsgeber
ist nicht das Bundesverfassungsgericht.
({4})
Ich kann an die Kolleginnen und Kollegen von der
SPD nur den Appell richten: Lösen Sie die Arbeitsgruppe, die sich mit dem Einsatz der Bundeswehr im
Innern beschäftigt, auf! Diese Arbeitsgruppe ist überflüssig. Versenken Sie das Thema, und richten Sie mit
uns eine Arbeitsgruppe zum Thema „Datenschutz ins
Grundgesetz“ ein! Seit den 50er-Jahren haben Sie
55-mal dazu beigetragen, dass die Verfassung geändert
wurde. 55-mal haben Sie entschieden, Freiheitsrechte
abzubauen. Wir sind der Meinung, es ist an der Zeit, dass
wir hier eine Trendwende einleiten und wir uns für mehr
Freiheit und mehr Bürgerrechte einsetzen.
({5})
Ich kann die Argumentation der Linksfraktion nicht
nachvollziehen. Sie sagen genau wie Bundesinnenminister Schäuble, Grundgesetzänderungen seien nur Symbolik. Was haben Sie für ein Verfassungsverständnis? Wir
wissen sehr genau, dass mit einer Grundgesetzänderung
allein nicht alles erreicht ist. Deswegen haben wir heute
unseren zweiten Antrag, den Antrag „Datenschutz
stärken“, zur Debatte gestellt.
Wir wollen erreichen, dass die Vorratsdatenspeicherung gestoppt wird; denn sie ist verfassungswidrig. Wir
wollen verhindern, dass sensible Daten wie Fingerabdrücke, DNA-Daten, Informationen über Gewerkschaftsmitgliedschaften oder politische Anschauungen am Parlament vorbei über Staatsverträge an die USA geliefert
werden. Auch das halten wir für verfassungswidrig. Wir
wollen Schäuble stoppen, wenn er eine neue Abhöreinrichtung schaffen will, die die Trennung von Polizei und
Militär sowie die Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufhebt. Wir wollen durch Datenschutz im
Grundgesetz klarstellen, dass die Grenzen der Verfassung zu respektieren sind, vom Staat, aber genauso von
der Privatwirtschaft.
({6})
Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger sind es leid, aus den Medien zu erfahren, dass ihre
persönlichen Daten schon wieder massenhaft verkauft
worden sind. Persönliche Daten sind heute ganz offensichtlich 1-Euro-Ware auf dem Schwarzmarkt des illegalen Datenhandels. Es ist an der Zeit, dass wir diesem
Treiben einen Riegel vorschieben.
Meine Damen und Herren, wir wollen Informationspflichten bei Datenpannen einführen. Wir wollen genauso sicherstellen, dass diejenigen, die Datenmissbrauch, Datenklau und Datendiebstahl ermöglichen, für
die nachfolgenden Schäden haften müssen.
({7})
Es kann doch nicht sein, dass wir mittlerweile eine Situation haben, in der gerade ältere Menschen damit rechnen
müssen, dass aufgrund von illegalem Adresshandel in
Kombination mit Bankdaten über Lastschriftverfahren
ihre Konten abgeräumt werden und der Staat nicht
durchgreifend handelt.
Wir würden vom Bundesinnenminister gern wissen,
seit wann ihm Informationen über den Datenklau bei der
Telekom vorlagen. Wir haben von den Datengipfeln
nichts weiter gehört als irgendeine Form der öffentlichen
Entschuldigung. Meine Damen und Herren, ich denke,
dass ein Umgang mit Datendiebstahl in dieser Form
nicht sein darf.
({8})
Ich habe den Eindruck, dass Täuschen und Tricksen
nicht nur ein Problem der Telekom ist. Beim Täuschen
und Tricksen tun sich Bundesinnenminister Schäuble
und René Obermann nichts. Dabei sind sie gemeinsam
die Täter, die die Datenschutzskandale eher vertuschen,
anstatt dafür zu sorgen, dass durch gesetzliches Handeln
tatsächlich mehr Datensicherheit hergestellt wird.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn Sie wollen, dass gehandelt wird - ich verstehe Ihre aufgeregten Zwischenrufe so -, dann erklären Sie mir doch einmal,
({10})
warum Sie einen Haushalt zulassen, bei dem es Hunderte von zusätzlichen Stellen für das BKA, für Abhörtechnik und für Netzsicherheit gibt, für die Aufsicht
beim Datenschutzbeauftragten gibt es aber nicht eine
einzige Stelle mehr, meine Damen und Herren.
({11})
Wer Datenschutz will, der muss auch Datenaufsicht und
Datenkontrolle ermöglichen. Das richtige Signal wären
hier 50 zusätzliche Stellen für die Datenaufsicht, für die
Datenkontrolle, für die Informationsfreiheit und für den
Datenschutz. Dann würden Sie ein ehrliches Zeichen
setzen. Die Flickschusterei, die Sie hier heute anbieten,
ist uns wahrlich nicht genug.
Herr Kollege Bürsch, wir brauchen auch keine weiteren Expertengruppen.
({12})
Sie können sich mit acht Anträgen der grünen Bundestagsfraktion zu mehr Datenschutz auseinandersetzen. Es
gibt kein Thema, zu dem unsere Vorschläge nicht schon
seit Monaten - ja, seit Jahren - auf dem Tisch lägen.
({13})
Sie können hier und heute anfangen und unserem Antrag
zu Informationspflichten bei Datenpannen zustimmen.
Sie müssen gar nicht weiter an eigenen Anträgen basteln.
Frau Kollegin!
Wenn Sie es ehrlich meinen, dann machen Sie bitte
keine neuen Ankündigungen in der Öffentlichkeit. Ich
erwarte jetzt im Innenausschuss anständige Vorlagen der
Regierungsfraktionen.
Danke schön.
({0})
Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen der gesetzlichen
Krankenversicherung bekannt geben. Abgegeben wurden 552 Stimmen. Mit Ja haben 386 Kolleginnen und
Kollegen gestimmt, mit Nein haben 164 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt. Es gab zwei Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 551;
davon
ja: 385
nein: 164
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Thomas Mahlberg
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({12})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Hermann-Josef Scharf
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({23})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({24})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({25})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann
({26})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Frank Hofmann ({28})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({29})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Caren Marks
Katja Mast
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({32})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({33})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({36})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({37})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Olaf Scholz
Reinhard Schultz
({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({42})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({43})
Heidi Wright
Uta Zapf
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Christian Hirte
Philipp Mißfelder
Hans Raidel
Marco Wanderwitz
SPD
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({44})
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Ottmar Schreiner
Jella Teuchner
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({45})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({46})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({47})
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({48})
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Monika Knoche
Katrin Kunert
Oskar Lafontaine
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorotheé Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({49})
Volker Schneider
({50})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({51})
Volker Beck ({52})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({53})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Renate Künast
Undine Kurth ({54})
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({55})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({56})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Friedrich Merz
SPD
Klaus Barthel
Wir fahren in unserer Debatte fort. Ich erteile das
Wort der Kollegin Beatrix Philipp von der CDU/CSUFraktion.
({57})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Stokar, es gab kaum ein Thema, das Sie
nicht angesprochen hätten. Es reichte bis zum Einsatz
der Bundeswehr im Inneren.
({0})
Heute stehen konkrete Anliegen an, das ist doch klar. Ein
Problemaufriss ist immer gut. Darin sagt man, was man
noch alles vor sich hat, was noch alles gelöst werden
muss. Frau Stokar, bei aller Sympathie sage ich: Das,
was Sie hier abgeliefert und in Ihrem Antrag aufgeschrieben haben, hat bei allen, die es gelesen haben und
die etwas von der Sache verstehen, ein Déjà-vu-Erlebnis
hervorgerufen, weil es eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Gipfels bei Herrn Dr. Schäuble gewesen ist.
Insofern finde ich, dass es dem Thema nicht angemessen
ist, wenn Sie den Herrn Innenminister und Herrn
Obermann beim Täuschen und Tricksen als gemeinsame
Täter bezeichnen.
({1})
Das ist eigentlich unterhalb des von Ihnen geforderten
und auch praktizierten Niveaus. Ich finde das nicht in
Ordnung, und es ist dem Thema auch nicht angemessen.
Das sage ich, damit das klar ist. Das Thema ist zu ernst.
Ich meine das so, wie ich es hier sage. Das Thema ist zu
ernst, um es so zu behandeln, wie Sie es hier und in Ihren Anträgen behandelt haben. Ich komme gleich noch
darauf zu sprechen.
Ich halte natürlich die Verfassung und das, was darin
steht, nicht für Symbolik. Dass Sie aber bei der Bevölkerung Erwartungen hervorrufen, die Sie im Zweifelsfall
nicht einhalten können, weiß inzwischen eigentlich jeder.
({2})
Wir sprechen heute über insgesamt acht verschiedene
Gesetzentwürfe bzw. Anträge. Das ist quasi Datenschutz
total. Im Mittelpunkt steht der Entwurf der Bundesregierung. Hier kommt sehr schnell die Frage auf, ob
wir damit auf die Skandale der letzten Wochen bereits
eine Antwort liefern. Das tun wir nicht; das wissen Sie
genau. Sie hätten hier sagen können, dass ein hierauf bezogener Gesetzentwurf, wie man so schön sagt, im
Augenblick in der Werkstatt ist. Dort wird er seriös,
nicht hektisch und ohne Aktionismus laufen.
({3})
- Nein, nein, Herr Wieland, das wissen Sie ganz genau!
Ich finde es auch nicht seriös, wenn Sie nicht darauf hinweisen.
({4})
Wir brauchen keine Schnellschüsse und keinen Aktionismus, sondern Konsequenzen, die voraussetzen, dass
man weiß, was in den Firmen passiert ist. Sie setzen voraus, dass man darüber bereits aufgeklärt ist, worin der
Skandal besteht. Erst dann kann ich Maßnahmen ergreifen, und dabei sind wir.
({5})
Es bleibt dabei, dass kriminelles Verhalten und kriminelle Energie niemals ausschließlich durch gesetzgeberisches Handeln verhindert werden können. Das ist in allen Bereichen so, natürlich auch im Datenschutzbereich.
Eine zweite Vorbemerkung. Das heißt natürlich nicht,
dass wir keinen Handlungsbedarf haben. Das ist doch
völlig unbestritten; es wird ja auch gehandelt, wie Sie
wissen.
({6})
Aber es gibt eben die Notwendigkeit, sehr differenzierte
Maßnahmen zu ergreifen. Die Gründe dafür liegen auf
der Hand. Die Zahl der unmittelbar und mittelbar Betroffenen ist ungeheuer groß. Es geht nicht nur um die Daten
der Bürgerinnen und Bürger, die zu schützen sind. Es
geht um Tausende von Arbeitsplätzen, es geht um ganze
Branchen, und es geht auch - das ist mir sehr wichtig um ein bedeutendes Stück Vertrauen, das es wiederzugewinnen gilt, weil es die Grundlage des Umgangs der
Menschen miteinander ist.
Von Vertrauen ist heute Morgen in ganz anderen
Dimensionen sehr ausführlich gesprochen worden. Aber
auch für den Bereich des Datenschutzes legt uns dies ein
erhebliches Verantwortungsgefühl auf die Schultern.
Dem muss man gerecht werden. Das schafft man nicht,
indem man im Hauruckverfahren irgendwelche Dinge
fordert, deren Umsetzung dann nicht die Erwartungen
der Bevölkerung erfüllt, weil diese Erwartungen von
vornherein nicht erfüllt werden können.
({7})
Einig sind wir uns aber in der Tatsache, dass wir in allen
Bereichen mehr Transparenz brauchen, weil dies in der
Bevölkerung wieder mehr Vertrauen schaffen würde.
Alle wissen, dass die Zunahme des Unbehagens in der
Bevölkerung beseitigt werden könnte, wenn man den
Menschen den sorgfältigeren Umgang mit den eigenen
Daten ans Herz legen würde. Das wissen Sie und diejenigen, die sich mit dieser Materie befassen, ganz genau.
({8})
Wir befassen uns heute nur mit drei Themenbereichen, nämlich mit den Auskunfteien, dem Scoring und
den Auskunftsrechten. Die Weitergabe von Daten und
der Schutz des Verbrauchers werden daher heute nur in
diesem Zusammenhang und nur im Hinblick auf diese
Themen Berücksichtigung finden. Aspekte darüber hinaus sind heute nicht Thema dieser Debatte.
Meine Damen und Herren, wie gesagt, ich hatte ein
Déjà-vu-Erlebnis: schnell zusammengeschriebene ErBeatrix Philipp
gebnisse, die wir bereits in Fachgesprächen als Kernpunkte einer umfassenden Datenschutzreform formuliert
haben. Es gehört dazu - das weiß ich ja -, dass die Opposition das einmal schnell aufschreibt. Aber es ist nicht
seriös. Wir werden Ihnen noch in diesem Jahr, seriös,
sauber erarbeitet und abgestimmt, einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorlegen.
({9})
Wir sind nicht in der Stunde null des Datenschutzes.
Da hier die Aufforderung an den Gesetzgeber formuliert
wurde, die „lange notwendige Überarbeitung ... endlich
anzugehen und ... den Schutz vor zunehmend bedrohlichen privaten Datensammlungen auszubauen“, muss
ich Ihnen sagen: So einfach geht es nicht.
Eine Änderung des Grundgesetzes kann, wie gesagt,
nicht der richtige Weg sein. Die modernen Bedingungen
der Datenverarbeitung müssen natürlich auch die freie
Entfaltung der Persönlichkeit berücksichtigen. Auch das
gehört zur Wahrheit. Es muss aber auch dem Einzelnen
gestattet sein, seine Daten demjenigen zur Verfügung zu
stellen, der sie für die angegebenen Zwecke verwenden
möchte. Grenzen findet das natürlich unter Sicherheitsaspekten und unter Sicherheitsgesichtspunkten; aber darüber diskutieren wir an anderer Stelle.
Zur Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger und
zur Rechtssicherheit für die Unternehmen. Was bedeutet
Transparenz in diesem Zusammenhang? Der vermehrte
Einsatz von Scoring-Verfahren in den unterschiedlichsten Bereichen hat bereits vor den Debatten der letzten
Wochen über das Thema Datenschutz zu zahlreichen
Diskussionen und zur Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Manche sahen sich schon in allen möglichen und unmöglichen Lebenssituationen vermessen
und bewertet - und dann meist auch noch falsch und ungerecht.
Dass es auch positive Facetten eines Scorings gibt,
geht dabei leider oft völlig unter. Deswegen muss man
noch einmal deutlich darauf hinweisen, dass mit Scoring
in diesem Zusammenhang Kreditscoring gemeint ist, das
heißt ein mathematisch-statistisches Verfahren zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kredit zurückgezahlt wird. Dabei wird unter „Kredit“ - damit
auch das klar ist - jedes Geschäft verstanden, bei dem
die Leistung erbracht wird, bevor die Zahlung erfolgt,
also auch beim klassischen Handyvertrag und nicht erst
bei einem Häuslebauerkredit.
Grundlagen dafür sind die Daten der zu bewertenden
Person, die entweder aufgrund laufender Vertragsbeziehungen bereits vorliegen oder von entsprechenden Auskunfteien hinzugekauft wurden. Diese Daten sind nicht
starr, sie sind nicht konstant, sie verändern sich mit jedem Vertragsabschluss, mit jedem Kreditgeschäft, mit
jedem Zahlungs- oder auch Nichtzahlungsverhalten und
natürlich auch mit jedem Wohnortwechsel. Das bedeutet, dass sich auch der Scorewert ändert und dass es in
den unterschiedlichen Branchen unterschiedliche Scorewerte für ein und dieselbe Person gibt.
In § 6 a des Bundesdatenschutzgesetzes haben wir
aufgenommen, dass grundsätzlich keine Entscheidung
aufgrund eines automatisierten Vorgangs, zum Beispiel
eines Scoringverfahrens, erfolgen darf. Diese Regelung
ist alt, aber sie wird präzisiert. Deswegen zitiere ich sie:
Eine ausschließlich auf eine automatisierte Verarbeitung gestützte Entscheidung liegt insbesondere
dann vor, wenn keine inhaltliche Bewertung und
darauf gestützte Entscheidung durch eine natürliche
Person stattgefunden hat.
Es muss also ein Gespräch geführt werden, in dem dem
jeweiligen Betroffenen die Gründe erläutert werden.
Darüber hinaus gibt es eine Erweiterung der Legitimität
der automatisierten Einzelentscheidung dann, indem die
Interessen der Betroffenen gewährleistet werden, wenn
ihnen also die wesentlichen Gründe für die Entscheidung
mitgeteilt werden.
Was will der Betroffene eigentlich wissen? Ganz sicher will er die Möglichkeit haben, die zugrunde liegenden Datensätze auf ihre Richtigkeit zu überprüfen:
Stimmt die Anzahl der Kreditkarten? Stimmen die angezeigten Zahlungsauffälligkeiten bzw. Nichtzahlungsvermerke tatsächlich? Sind die gespeicherten Adressdaten
und Adresshistorien richtig? - Im Sinne des vorliegenden Entwurfs verstehen wir unter den „wesentlichen
Gründen“ die Übermittlung aller zugrunde liegenden
Rohdaten, das heißt aller Daten zur Person, zur Anschrift, zur Anschriftenhistorie sowie Konto- und Bankkarteninformationen.
Nur bei Offenlegung der vorhandenen und im Zweifel
in die Berechnung des individuellen Scores eingeflossenen Daten wird es dem Betroffenen ermöglicht, einen
Überblick über die Vielzahl der Bewertungskriterien zu
erlangen. Im zweiten Schritt kann er Korrekturen vornehmen, sofern er erkennt, dass sich die Rohdaten fehlerhaft sind oder sich verändert haben, zum Beispiel
durch einen Umzug oder weil sich der familienrechtliche
Status verändert hat. Der Betroffene hat nun also die
Chance, Unrichtigkeiten zu erkennen und zu korrigieren.
Er wird die wesentlichen Gründe wissen wollen, die
zu einer Entscheidung geführt haben und mit denen er
wirklich etwas anfangen kann. Diese Merkmale offenzulegen, gehört zur von allen geforderten Transparenz.
Dieser Forderung wird Rechnung getragen. Auch die
Mitteilung über die wesentlichen Gründe umfasst keine
Offenlegung der konkreten Bewertungsmaßstäbe und
der mathematischen Formeln des jeweiligen Unternehmens. Der Weg dahin, das heißt, wie das eine oder andere Merkmal exakt bewertet worden ist, wird den Betroffenen wenig interessieren und fällt unter das
Geschäftsgeheimnis. Das würde dem Betroffenen auch
wenig weiterhelfen. Versandhandel und Telekommunikationsunternehmen betrachten, wie gesagt, jeweils andere Faktoren als risikoträchtig. Der Verbraucher wird
sich also im Einzelfall informieren müssen.
Neu sind auch die in den § § 28 a und b des Datenschutzgesetzes sich mit der Datenübermittelung an Auskunfteien und dem Thema Scoring befassenden Inhalte.
Die Einmeldungen von Daten an Auskunfteien, die im19708
mer wieder auch in diesem Haus zu großen Debatten geführt haben, sind nun sorgfältig aufgelistet. Für diejenigen, die sich in der Materie nicht so genau auskennen,
will ich noch einmal sagen, wann überhaupt an eine
Weitergabe der Daten gedacht wird:
Erste Voraussetzung. Der Betroffene muss die Forderung ausdrücklich anerkannt haben. Zweite Voraussetzung. Der Betroffene muss nach Eintritt der Fälligkeit
der Forderung mindestens zweimal schriftlich gemahnt
worden sein; zwischen der ersten Mahnung und der
Übermittlung muss eine Frist von mindestens vier Wochen liegen; schließlich muss die verantwortliche Stelle
rechtzeitig vor der Übermittlung der Angaben, frühestens jedoch bei der ersten Mahnung, über die bevorstehende Übermittlung unterrichtet haben. Ich denke, dass
das erhebliche Vorläufe sind, die dem Wunsch nach
mehr Transparenz und Berücksichtigung der Interessen
der Betroffenen entsprechen und diesem Wunsch Rechnung tragen.
Wir müssen uns halt immer wieder bewusst machen,
dass wir uns hier über Konstellationen im rein privatrechtlichen Bereich Gedanken machen. Der Betroffene
muss bereits vor Abschluss des Vertrages von der Übermittlung seiner Daten an die Auskunfteien informiert
werden, sodass er noch vor Abschluss sagen kann: Ich
bin damit nicht einverstanden und möchte diesen Vertrag
nicht eingehen.
Auch dem in der Presse immer wieder zitierte Fall der
Verschlechterung eines Scorewertes lediglich aufgrund
einer Kreditanfrage tragen wir im neuen § 28 a des Bundesdatenschutzgesetzes Rechnung. Diese Fälle dürfen
künftig überhaupt nicht mehr an Auskunfteien gemeldet
werden. So werden wir dem Interesse der Vertragspartner gerecht, ohne die Vertragsfreiheit zu beschränken.
Ein weiterer sehr wichtiger Paragraf ist § 28 b mit
dem Titel „Scoring“. Bisher fehlte eine Rechtsgrundlage
für die Durchführung dieses Verfahrens. Wir regeln jetzt
exakt die Bedingungen, unter denen ein Scorewert berechnet werden kann. § 28 b regelt klar den Rahmen der
für die Berechnung eines Scores zulässigen Datengrundlage, sodass nicht nur der Verbraucher das eingeforderte
Maß an Transparenz, sondern auch die Unternehmen die
notwendige Rechtssicherheit erhalten.
Wie und ob die jeweiligen Unternehmen ihre Geschäftspolitik an den sogenannten Geodaten orientieren,
indem sie zum Beispiel bestimmte Stadtteile oder Straßenzüge grundsätzlich nicht per Rechnung, sondern nur
per Nachnahme beliefern, fällt unter den Schutz der Privatautonomie, und es ist eigentlich nicht unsere Sache,
dies zu regeln. Das ist Sache der jeweiligen Unternehmer. Ich betone an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich, dass es keinen Anspruch auf einen Kredit, keinen
Anspruch auf bestimmte Konditionen gibt. Kurzum: Es
gibt keinen Anspruch darauf, dass irgendjemand mit mir
einen Vertrag abschließt. Das müssen wir respektieren.
Es ist unsere Pflicht, hier in diesem Hause darauf hinzuweisen.
Immer wenn wir über das Thema Scoring sprechen,
prägen Zweifel und Unsicherheit das Gespräch, weil das
Verfahren so komplex ist. Wir müssen uns allerdings die
Bedeutung des Verfahrens für die Wirtschaft bewusst
machen. Es schützt ja auch diejenigen, die indirekt von
den Nebenfolgen betroffen sind. Würden wir auf ein solches Instrument verzichten, wäre das schnelle Geschäft,
beispielsweise der Ratenkauf oder auch der Abschluss
eines Handyvertrages am Samstagnachmittag - dafür
werden Scorewerte abgefragt -, völlig undenkbar. Die
Risiken, die sich vorher mangels entsprechender Risikoanalyse nicht einschätzen lassen, würden in Form von
höheren Zinsen oder von vornherein höheren Produktpreisen auf die anderen Vertragskunden umgelegt.
Manchmal habe ich mir in den vergangenen Tagen überlegt, ob und inwieweit Scoring, wenn es ernst genommen und seriös behandelt worden wäre, manches hätte
verhindern können, zum Beispiel auch unüberschaubare
Verschuldung.
Zur geforderten Transparenz gilt auch das Folgende:
Der Betroffene soll künftig vor der Durchführung des
Scorings von der beabsichtigten Verwendung seiner Anschrift und Daten, beispielsweise im Rahmen der allgemeinen Geschäftsbedingungen, unterrichtet werden.
Diese Unterrichtung muss auch dokumentiert werden.
So hat jeder Betroffene das Recht, einer Nutzung seiner
Daten zu widersprechen und ein Geodatenscoring individuell auszuschließen.
Als wichtigster Baustein ist noch einmal der geänderte § 34 des Bundesdatenschutzgesetzes zu erwähnen,
wonach der Betroffene insbesondere im Fall eines
durchgeführten Scoringverfahrens weitergehende Auskunftsrechte hat. Der Betroffene soll künftig nicht nur
darüber aufgeklärt werden, welches Scoringverfahren
mit welchem Ergebnis durchgeführt wurde, sondern
auch einen Überblick über das Zustandekommen der
Scores bekommen. Wie ich Ihnen bereits sagte, kann
dieses Auskunftsrecht nicht so weit gehen, dass die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen, die Scorekarten
erstellen und Scoringverfahren durchführen, verletzt
werden. Der Betroffene hat aber Einblick in die für ihn
wichtigen und für die Beurteilung notwendigen Daten.
Ich komme zum Schluss. Wir erfüllen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Forderung nach mehr Transparenz. Wir vermeiden das große Risiko der Manipulation, der wir bei einer Offenlegungspflicht der konkreten
Berechnungsmethoden - auch darüber wurde diskutiert Tür und Tor öffnen würden. Das ist zum Beispiel in
Amerika der Fall und führt dazu, dass die zur Verfügung
stehenden Daten von manchem Kunden, der einen Vertrag abschließen möchte, manipuliert werden. Das ist in
vielen Anhörungen deutlich geworden. Dass man in Zukunft die Auskünfte über seine Daten einmal jährlich unentgeltlich einholen kann, halten wir auch für einen guten Fortschritt.
Schließlich sage ich: Dass wir in diesem Hause noch
einmal ausführlich über die Fälle von Datenmissbrauch
werden reden müssen, ist unbestritten. Sie wissen, dass
der entsprechende Gesetzentwurf kurz vor der Einbringung steht. Ich denke, dass wir ihn dann genauso differenziert beraten und behandeln können, wie wir es mit
den Dingen, die jetzt in den Ausschuss kommen, tun
werden.
Vielen Dank.
({10})
Die Kollegin Gisela Piltz spricht jetzt für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon erstaunlich, welche Fahrt das Thema Datenschutz in den letzten Wochen und Monaten aufgenommen hat. Traurig für dieses Hohe Haus ist aber, dass
diese Fahrt fast ausschließlich darauf zurückzuführen ist,
dass es Skandale gegeben hat: hier ein Diebstahl von
17 Millionen Daten und da von 30 Millionen Daten auf
dem Markt. Vorher, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, waren Sie davon, dass man beim
Datenschutz etwas mehr machen muss, nicht so richtig
begeistert.
({0})
Frau Philipp, ich habe sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass Sie etwas verändern wollen. Das ist immerhin
ein Fortschritt. Aber ehrlich gesagt - ich habe versucht,
Ihnen aufmerksam zuzuhören ({1})
habe ich nicht herausfinden können, welche Änderungen
nun vorgenommen werden sollen.
({2})
Insbesondere hätte mich eine Aussage zur Aufnahme des
Datenschutzes ins Grundgesetz interessiert. Auch dazu
habe ich nichts gehört.
({3})
Wir werden aber noch viel Zeit haben, uns darüber auszutauschen.
Wir als FDP-Fraktion jedenfalls halten es für unabdingbar, dass der Datenschutz ins Grundgesetz aufgenommen wird. Ich persönlich finde es erstaunlich, wie
die Väter und Mütter des Grundgesetzes Formulierungen
für fast alle relevanten Bereiche gefunden haben. Das
Grundgesetz ist also auch heute noch modern.
({4})
Allerdings muss man eines sagen: Sie konnten nicht wissen, dass wir heute Handys in unseren Taschen tragen
und dass es Laptops gibt, in die wir sozusagen unser Gedächtnis auslagern können. Auch über viele andere
Punkte konnte man noch nicht nachdenken.
Deswegen ist es aus unserer Sicht unumgänglich, die
Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die für den Datenschutz wegweisend sind, im Grundgesetz Eingang
finden zu lassen. Das entspricht übrigens der konsequenten und ordentlichen Umsetzung der Urteile und zeigt,
dass wir das Bundesverfassungsgericht und seine Entscheidungen ernst nehmen. Das ist eine Frage des Umgangs und des Stils. Auch darüber sollten Sie einmal
nachdenken.
({5})
Uns erwartet allerdings eine schwierige Aufgabe. Das
sieht man auch an dem Entwurf, der uns heute vorliegt.
Das rechtliche Schutzniveau, das das Bundesverfassungsgericht mühsam aufgebaut hat, dürfen wir mit einer Grundgesetzänderung nicht einfach absenken. Ansonsten würde es uns wie dem Faust ergehen, der stets
das Gute will und doch das Böse schafft.
({6})
Beim vorliegenden Gesetzentwurf von Bündnis 90/
Die Grünen ist aus meiner Sicht hier und da Nachbesserungsbedarf geboten. Bei allem Respekt, Frau Kollegin
Stokar, manchmal frage ich mich schon: Wo waren Sie
denn eigentlich in den sieben Jahren, in denen Rot-Grün
diese Republik regiert hat?
({7})
Irgendwann wird mich die Geschichte eines Besseren
belehren, und es wird sich zeigen, dass die Grünen gar
nicht dabei oder ein schwacher Koalitionspartner waren.
Vieles von dem, was Sie heute auf den Tisch des Hohen
Hauses legen, hätten Sie schon vorher umsetzen können.
Sie haben sich nicht durchsetzen können. Das zeigt, dass
Sie beim Datenschutz überhaupt keine Schnittmenge gehabt haben. Das muss man hier einfach öffentlich mal
sagen dürfen.
({8})
- Wir werden das besser machen. Man wird auch darüber berichten; das kann ich Ihnen versichern.
({9})
Eine Änderung des Grundgesetzes ist aus unserer
Sicht kein Allheilmittel. Wir müssen - das ist schon angesprochen worden - für eine bessere Ausstattung der
Datenschutzbehörden und auch der Staatsanwaltschaften
in diesem Bereich sorgen.
({10})
Ansonsten bleibt jede Grundgesetzänderung eine Worthülse. Das kann meine Fraktion nicht mittragen.
Zum Scoring haben wir heute ein eindrucksvolles Referat gehört. Ob Wahrsagerkugel oder modernes Orakel
von Delphi: Die Scoringverfahren sind in jedem Fall undurchsichtig. Das Anliegen mit Blick auf diese Scoring19710
verfahren - das hat Frau Kollegin Philipp zu Recht gesagt - ist nachvollziehbar, weil ein entsprechendes
Verfahren der Wirtschaft und auch den Unternehmen
und damit auch wieder den Bürgerinnen und Bürgern
hilft.
({11})
Allerdings ist es aus meiner Sicht fraglich, ob mit diesem Gesetz zum Scoring alles erreicht wird, was man
eigentlich möchte. Es finden sich viele unpräzise Regelungen und neue Begriffe, die nicht mit Definitionen
hinterlegt sind. Das heißt, man erreicht nur Ratlosigkeit
bei den Betroffenen und Rastlosigkeit bei Anwälten, die
sich damit beschäftigen werden. Das kann aus unserer
Sicht nicht Sinn der Sache sein. Wir freuen uns darauf,
dass Sie unsere Vorschläge vielleicht doch noch berücksichtigen.
({12})
Oberstes Ziel aus unserer Sicht muss es sein, dass die
Bürgerinnen und Bürger Herr ihrer Daten bleiben. Wir
unterstützen daher die Forderung des Bundesrates, die
Weitergabe von Daten für Werbezwecke unter Einwilligungsvorbehalt zu stellen. Das ist dringend fällig. Da
werden wir einen Weg finden, der alle Interessen wahrt.
({13})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das,
was die Grünen fordern, nämlich die Einführung einer
Informationspflicht für Datenschutzpannen. Das hört
sich nur im ersten Moment sehr klug an.
({14})
- Dass Sie daran glauben, ist mir klar.
({15})
Ich sage Ihnen, warum. Nicht jeder Verstoß von Datenschutzvorschriften müsste aus unserer Sicht eine Informationspflicht nach sich ziehen, weil damit möglicherweise Sicherheitslücken offenbart werden, die dann ein
Dritter wieder ausnutzen kann. Daher sollte eine Benachrichtigungspflicht aus unserer Sicht zumindest in
diesem Fall unterbleiben; denn sonst machen sie quasi
den Bock zum Gärtner. Ich denke, dass Sie darüber nicht
nachgedacht haben. Vielleicht tun Sie es auf unseren
Hinweis hin.
({16})
Ich komme zum Schluss. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, kümmern uns nicht erst seit den Datenschutzskandalen um den Datenschutz. Das tun wir schon sehr
viel länger. Das haben wir schon zu der Zeit getan, als
Sie noch regiert haben; auch damals haben Sie unsere
Anträge übrigens immer abgelehnt.
Wir haben vor der Sommerpause einen umfangreichen Antrag eingebracht. In dieser Woche haben wir ein
ausführliches Positionspapier verabschiedet. Wir freuen
uns über jeden, der beim Thema Datenschutz ernsthaft
mitarbeitet. Wir sind nämlich erst am Basislager angekommen und noch lange nicht am Gipfel, wie viele andere meinen.
Herzlichen Dank.
({17})
Der Kollege Dr. Michael Bürsch hat jetzt für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe kleine Schar der hier versammelten Datenschutzexpertinnen und Datenschutzexperten!
({0})
Ich glaube, das Jahr 2008 markiert für den Datenschutz
einen entscheidenden Wendepunkt. Wir mögen lang und
breit beklagen, wie die Situation in den vergangenen
Jahren war - liebe Silke Stokar von Neuforn, auch wir
müssen selbstkritisch sagen, dass wir die Zeit der rotgrünen Regierung vielleicht besser hätten nutzen können;
({1})
ich könnte viele Punkte auflisten, die wir in der Vergangenheit hätten erledigen können, Frau Kollegin -, aber
Politik besteht auch darin, die Gunst der Stunde zu nutzen.
({2})
Heute können wir feststellen: Der Datenschutz galt
lange Zeit, ob wir das mögen oder nicht, als Exotenfach,
({3})
als Thema, mit dem sich lediglich einige Fachleute beschäftigen, und als etwas, das schön ist, wenn man es
hat. Einige haben sogar gesagt: Die Datenschützer sind
immer ein bisschen hysterisch. Ihrer Meinung nach lauern überall Gefahren, auch dort, wo es vielleicht gar
keine gibt. - Das war das Bild, das man vom Datenschutz hatte. Das galt auch für manche Kollegen in unseren Fraktionen, die sich mit den Themen Wirtschaft oder
Inneres beschäftigten. Dass das früher so war, möchte
ich hier in aller Deutlichkeit sagen.
Dieses Bild hat sich aufgrund der Vorkommnisse im
Jahre 2008 geändert; das ist nun einmal die Wirkung von
Skandalen. Da ich ein konstruktiver Mensch bin, möchte
ich an den Anfang meiner Ausführungen nicht die Rückbesinnung darauf, was man alles hätte machen können,
sondern die Fragen stellen: Wo stehen wir jetzt? Was
können wir von nun an, vielleicht mit einem größeren
Maß an Gemeinsamkeit, erreichen?
Hierbei dürfen Schuldzuweisungen und die Verwendung des Konjunktivs - hätte, könnte, sollte - keine
Rolle spielen. Vielmehr muss es um die Frage gehen:
Was können wir von nun an leisten? Ich konstatiere mit
einiger Freude, dass der Innenminister dieser Republik
seine Einstellung zum Datenschutz geändert hat.
({4})
Obwohl auch in diesem Haus Fraktionen vertreten sind,
die dem Gedanken des Datenschutzes nicht so aufgeschlossen gegenüberstanden wie andere, ist zu beobachten, dass es inzwischen eine breitere Front für den Datenschutz gibt.
Die Datenschutzskandale haben bewirkt, dass das
Jahr 2008 einen Wendepunkt markiert. Wir mussten erleben, was alles mit Daten gemacht werden kann, und
zwar in einem Umfang, den sich viele - auch manch einer, der sich schon längere Zeit mit dem Thema Datenschutz befasst - wohl nie im Leben hätten vorstellen
können. Wie groß das Ausmaß des Missbrauchs von Daten tatsächlich ist, das lag zumindest jenseits meiner
Vorstellung. Insofern sage ich: Am heutigen Tage sollten
wir einen selbstkritischen Rückblick anstellen, aber auch
einen Ausblick auf die Chancen, die wir nutzen sollten,
wagen.
Die Ausgangslage - darüber sind wir uns, wie ich
glaube, alle einig - ist Folgende: Beim Erlass des Datenschutzgesetzes in den 70er-Jahren waren viele Aspekte
im Hinblick auf den Umgang mit Daten, die heute eine
Rolle spielen, überhaupt nicht vorstellbar.
({5})
Damals war nicht vorstellbar, welch große Bedeutung
das Internet und der Datenhandel einmal erlangen werden. Das Datenschutzrecht bleibt nach wie vor weit hinter den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten,
die es inzwischen gibt, zurück. Das ist die Ausgangslage. Mein Gesamteindruck ist: Das Internet und die
technischen Möglichkeiten zum Umgang mit Daten bieten sicherlich enorme Chancen. Allerdings gibt es in diesen Bereichen auch größere Risiken, als wir bis zum
Jahr 2008 geahnt haben. Unsere Wissenschaft und Wirtschaft haben sozusagen Geister gerufen, die wir jetzt
wieder in den Griff bekommen müssen. Im Grunde gibt
es an der Stelle sogar eine kleine Parallele zu dem, was
wir heute Morgen in Bezug auf die Finanzmärkte beschlossen haben.
({6})
Wie sieht die Aufgabe des Gesetzgebers aus? Wie in
vielen anderen Materien - das sage ich auch an die
Adresse der Grünen - geht es nicht nur um die Wahrnehmung von Interessen einer Gruppe. Sicherlich steht beim
Datenschutz an oberster Stelle der Schutz der Bürgerinnen und Bürger. Aber es geht auch um die Interessen
beispielweise der Wirtschaft und des Staates.
Wir als Abgeordnete müssen hier die Abwägung vornehmen. Wirtschaftliche Interessen - das entnehmen wir
den Briefen, die uns erreichen - spielen im gemeinnützigen Sektor eine große Rolle. Der Handel mit Daten - das
wird uns doch in den Briefen der DLRG oder von anderen
gemeinnützigen Organisationen nahegebracht - spielt
für die Spenden und Spendenbereitschaft eine enorme
Rolle. Diese gemeinnützigen Organisationen befürchten
nämlich - wir müssen abwägen, inwieweit diese Befürchtungen gerechtfertigt sind -, dass sie für ihre gemeinnützige Tätigkeit, die uns doch allen am Herzen
liegt, Millionen Euro weniger an Spenden erhalten. Dieser Aspekt ist eine sorgsame Abwägung wert, und diese
müssen wir dabei im Auge behalten.
({7})
Was ist zu tun? Was ist der Ausgangspunkt dessen,
worüber wir heute reden? Ich glaube, wie häufig lohnt
sich für den Gesetzgeber ein Blick ins Gesetz. § 1 des
Bundesdatenschutzgesetzes bietet nämlich eine hervorragende Grundlage, die wir uns ins Gedächtnis rufen
sollten. In § 1 Bundesdatenschutzgesetz heißt es:
Zweck dieses Gesetzes ist es, den Einzelnen davor
zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen
personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird.
Das ist eine wunderbare Formulierung, die im Grunde
das vorwegnimmt, was das Bundesverfassungsgericht
zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung und zu
anderen Bereichen ausgeführt hat. Dies ist eigentlich die
Richtlinie, an der wir uns orientieren können.
Ich empfehle, wir sollten stärker als bisher Datenschutz weder aus Sicht des Staates - der hat nämlich
lange Zeit vor allem Daten gesammelt - noch aus der
Sicht der Wirtschaft - dort wurden schließlich in jüngster Vergangenheit Missbräuche erkennbar - definieren.
Vielmehr sollten wir das Paradigma in die Richtung drehen, die das Datenschutzgesetz gewollt hat. Wir sollten
also den Datenschutz im Sinne des Bürgers definieren
und uns daran orientieren.
Was heißt das konkret? Für den Umgang mit Daten,
für die Verwendung von Daten und für den Datenhandel
muss zwingend die vorherige Einwilligung des betroffenen Bürgers bzw. der betroffenen Bürgerin vorliegen.
({8})
Das allein ist ein enormer Sprung in eine andere Welt
des Umgangs mit Daten, den wir uns nur alle wünschen
können. Das ist es, was ich auch von der Union, unserem
Koalitionspartner, vom Innenminister und von den Verbraucherschützern als Vorgabe gehört habe, und daran
orientiere ich mich.
Die Bürger müssen auch vor Datenhandel geschützt
werden, der an die Lieferung von bestimmten Dienstleistungen gekoppelt ist. Auch bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit - auch dieses Thema wird heute aufgerufen muss der Bürger Einsicht haben können, welche Daten
im Rahmen seiner Bonitätsprüfung verwendet werden.
Das entspricht dem Grundsatz, dass wir uns an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientieren.
Darüber hinaus muss Transparenz geschaffen werden,
woher die Daten, die zusammengetragen werden, kommen und wie mit ihnen umgegangen wird. Es muss auch
verstärkte Kontrollmöglichkeiten insbesondere für Datenschützer geben, die zurzeit noch viel zu wenig Einblick nehmen können. Da schließe ich mich denjenigen
an, die hier gefordert haben, dass dies eine bessere Personalausstattung erfordert. Da sind wir uns einig.
({9})
Nur auf die Einsicht und die freiwillige Selbstverpflichtung zu setzen, hilft offenbar nicht. Von daher
müssen die Strafen - das ist leider die andere Seite der
Medaille - bei Verstößen gegen Datenschutzvorschriften
deutlich verschärft werden. Es ist die alte Diskussion
darüber - diese müssen wir hier auch führen, liebe Kollegen von den Grünen -, welche Bedeutung Regulierung
und freiwillige Selbstverpflichtung in diesem Bereich
hat.
Als Jurist sage ich: Es hat sich gezeigt, dass es Lücken im Datenschutz gibt. Insofern bin ich im Prinzip für
mehr Regulierung, aber niemand soll glauben, dass allein dies die Welt völlig verändert. Denn die Erfahrung
zeigt - das ist auch bei der Finanzmarktkrise der Fall
gewesen, und dies wird auch in Zukunft der Fall sein -:
Je größer das Maß an Regulierung ist, desto größer sind
auch die Fantasie und die Kreativität, sich diesen Vorschriften zu entziehen. Bataillone von Juristen und Beratern werden beauftragt, zu prüfen, wie man solchen Regulierungen entkommen kann.
Wir brauchen die Einsicht und Überzeugung der
Menschen, die mit Daten umgehen - auch in der Wirtschaft -, dass es bestimmte Vorgaben gibt, an die sich
alle halten müssen. Das muss irgendwo eingepflanzt
sein. Sie müssen das im Hinterkopf haben. Ein solches
Gen muss jeden umtreiben, der mit Daten umgeht. Nur
dann wird es zu einer gemeinsamen Überzeugung und
Praxis hinsichtlich der Verwendung von Daten und der
Form des Datenhandels kommen.
Es gibt auch eine interessante Überlegung seitens der
Juristen, die ich einmal mit zu bedenken gebe. Ist es tatsächlich noch zeitgemäß, den Umgang mit Daten und
den Handel damit, der einen enormen Umfang angenommen hat, im Bundesdatenschutzgesetz, also im öffentlichen Recht, zu regeln? Müssen wir das nicht vielleicht
im Zivilrecht regeln? Das Zivilrecht regelt solche Beziehungen - auch vertragliche Beziehungen -, sodass man
sich überlegen kann - das ist übrigens eine interessante
Überlegung der Grünen -, das dort zu regeln.
Jetzt komme ich zum Grundgesetz. Ich bin der Meinung - ich habe versucht, das darzustellen -, dass wir einen enormen Modernisierungsbedarf haben und dass es
viele Fragen gibt, denen wir uns stellen müssen. Dabei
geht es zum Beispiel um das Verhältnis des Internets zur
Demokratie. Wie verhält es sich mit der Partizipation?
Wie können möglichst alle an den Möglichkeiten teilhaben, die durch das Internet und die Datenvielfalt heute
geboten werden? Diese Fragen müssen wir beantworten.
Insofern bin ich durchaus der Meinung, dass das auch
einen Grundgesetzcharakter haben soll, aber ich bin
nicht der Meinung, dass das am Anfang stehen sollte.
Die Modernisierung umfasst mindestens fünf, sechs, sieben Bausteine,
({10})
an die wir uns jetzt begeben müssen. Wenn am Ende eines solchen Prozesses auch die Verankerung im Grundgesetz stünde, dann könnte ich mich damit befreunden.
Vielen Dank.
({11})
Jan Korte spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will mit dem letzten Punkt anfangen, nämlich dem
Grundgesetz, weil Silke und ich - sie hat sich nicht getraut, das zu sagen - heute in der Zeitung Neues
Deutschland einen sehr guten Disput darüber geführt haben.
({0})
Mich freut es natürlich, dass auch die Kollegin Philipp
die Zeitung Neues Deutschland liest. Das ist für den Erkenntnisgewinn auf jeden Fall sinnvoll. - Ich teile in der
Tat die Einschätzung des Kollegen Bürsch, dass dieser
Punkt am Ende stehen muss und dass es im Moment
wirklich bedeutend dringlichere Fragen im Bereich des
Datenschutzes zu beantworten gilt.
Zum Ersten zum Antrag der Grünen mit dem Titel
„Informationspflicht für Unternehmen bei Datenschutzpannen einführen“. Angesichts des Telekom-Skandals
- es sind 17 Millionen Kundendaten verschwunden - ist
er natürlich äußerst sinnvoll und dringlich. Deswegen
wird er von uns natürlich völlig unideologisch unterJan Korte
stützt; denn die Schlamperei bei der Telekom ist ja nun
wirklich nicht zu fassen.
({1})
Deswegen ist dieser Antrag richtig.
Man muss sagen, dass er ja auch schon seit fast zwei
Jahren hier im Umlauf ist.
({2})
Hätte man so etwas früher beschlossen, dann hätten wir
den Telekom-Skandal vielleicht vermeiden und den
Handelnden bedeutend entgegentreten können.
({3})
Die Bundesregierung hat einige richtige Vorschläge
gemacht, wie beispielsweise eine Ausweitung der Bußgeldtatbestände. Auch die Auskunftsrechte wurden ein
Stück weit gestärkt. Das ist aber erst ein Achtel des Weges. Dort ist man dann wieder einmal stehen geblieben.
Eines geht natürlich nicht - das will ich schon deutlich sagen -, dass nämlich die Bundesregierung, die
Union und die SPD sagen - das ist ihre Taktik -, dass
das Problem des Datenschutzes offensichtlich nur ein
privatwirtschaftliches Problem bzw. ein Problem ist, das
jeder Bürger irgendwie für sich selber lösen kann. Das
ist nachweislich falsch; denn im Bereich des Datenschutzes ist bei dieser Bundesregierung der Staat das Hauptproblem. Das muss ganz klar gesagt werden.
({4})
Um das zu belegen, nenne ich nur ein paar Punkte:
Anti-Terror-Datei, eine völlig inakzeptable Ausstattung
des Bundesdatenschutzbeauftragten, mehrere Fluggastdatenabkommen, Einführung biometrischer Merkmale
erst in Pässen, jetzt in Ausweisen, Übertragung von Geheimdienstaufgaben an die Polizei usw. usf. Man
bräuchte 30 Minuten Redezeit, um das alles hier vorzustellen.
Dies zeigt, dass die Taktik nicht funktioniert, das an
die Privatwirtschaft zu delegieren und gleichzeitig zu sagen, dass man ein sehr guter Datenschützer ist. Hier
muss man beim Staat anfangen, den Datenschutz wieder
einzufordern.
({5})
Um konkret zu werden, sage ich, dass wir folgende
Dinge brauchen: Erstens. Wir brauchen eine massive
Aufstockung der Ressourcen des Bundesdatenschutzbeauftragten - das ist mehrfach richtig gesagt worden und übrigens auch ein Sonderprogramm - darüber müssen wir in Verhandlungen mit den Ländern treten - für
die Landesdatenschutzbeauftragten. Auch das ist eine
ganz wichtige Sache.
Zweitens brauchen wir hier und heute ein sofortiges
Moratorium für alle Großprojekte, die den Datenschutz
tangieren, wie der elektronische Einkommensnachweis,
der biometrische Personalausweis und die elektronische
Gesundheitskarte. Das muss auf Eis gelegt und, was ihre
Kompatibilität mit dem Datenschutz und den Grundrechten angeht, von neuem diskutiert werden.
({6})
Drittens brauchen wir - auch das ist schon angesprochen worden - eine wirkliche Modernisierung des Datenschutzgesetzes,
({7})
das aus Zeiten stammt, in denen man es noch in Stein gemeißelt hat. Das ist völlig daneben.
Ich bin seit drei Jahren Mitglied des Bundestages
- ich bin also noch ein Neuling -, und ich glaube, jedes
Jahr verabschieden wir eine gemeinsame Beschlussempfehlung, an der sich sogar die Linken beteiligen dürfen,
in der wir eine Modernisierung des Datenschutzgesetzes
fordern. Was aber ist passiert? - Nichts. Das kann ich
nicht verstehen. Jetzt ist es an der Zeit - sehr richtig, lieber Kollege Bürsch -, das endlich umzusetzen.
({8})
Viertens sind die Regelungen zum Scoring im Gesetzentwurf der Bundesregierung ungenügend. Notwendig
ist ein Verbot des Geo-Scorings. Denn es kann nicht
sein, dass die Kreditwürdigkeit und damit auch die Lebensgestaltung von der sozialen Herkunft und dem
Wohngebiet abhängig ist. Deswegen brauchen wir ein
sofortiges Verbot des Geo-Scorings. Damit würde man
im Übrigen viel für die soziale Gerechtigkeit tun.
({9})
Fünftens. Die SPD ist gerade nach einer Schreckwoche engagiert dabei - das fanden auch die Linken und
ich sehr gut -, die Pläne zum Bundeswehreinsatz im Innern zu versenken. Das unterstützen wir.
({10})
Vielleicht kann man aus dieser Schreckwoche noch dadurch Nutzen ziehen, dass das BKA-Gesetz und die
Onlinedurchsuchungen gleich mitversenkt werden.
Denn sie bedeuten einen ganz erheblichen Eingriff in die
Grundrechte. Diese Chance könnten Sie jetzt nutzen.
({11})
- Richtig. Das meinte ich ja: den Bundeswehreinsatz im
Innern sowieso.
Ich komme zu unserem sechsten konkreten Vorschlag, der sich auf die Vorgänge bei der Telekom und
die Beschlusslage zur Vorratsdatenspeicherung bezieht.
Angesichts dessen, was damit an zusätzlichen Daten Unternehmen wie der Telekom auf Anweisung des Staates
in die Hand gegeben wird, brauchen wir eine sofortige
Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung und auch auf
europäischer Ebene komplett neue Verhandlungen. Das
Vorhaben muss umgehend gestoppt werden.
({12})
Siebtens. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, bei allen
weiteren Gesetzgebungsverfahren - das gilt übrigens gerade für Fragen im sozialen Bereich, zum Beispiel beim
SGB II - den Datenschutz mit einzubauen. Die Frage
des Datenschutzes haben Sie im Zusammenhang mit
dem SGB II mit mehrfacher Fristverlängerung beantwortet. Dagegen konnten wir nicht viel sagen, weil es in
diesem Bereich kaum Datenschutz gibt. Insofern war das
eine richtige Antwort. Die Frage des Datenschutzes und
der Grundrechte muss in allen Bereichen der Politik mitbedacht und diskutiert werden.
Achtens und letztens wurde in den gemeinsamen Beschlussempfehlungen aller Fraktionen - ich bin, wie gesagt, erst seit drei Jahren im Bundestag, aber das soll
auch in den letzten Legislaturperioden der Fall gewesen
sein - ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gefordert.
Spätestens nach den Vorfällen bei Lidl, wo bis in die
Umkleiden hinein Videokameras angebracht worden waren, ist es an der Zeit, dass wir Beschäftigte vor der Ausspähung durch die Firmen schützen.
({13})
Deswegen brauchen wir endlich einen Arbeitnehmerdatenschutz, wie er schon mehrfach gefordert worden ist.
Passiert ist aber nichts.
Wenn wir diese acht Punkte zusammen mit vielen anderen sinnvollen Vorschlägen umsetzen würden, dann
hätten wir etwas für den Datenschutz und die Grundrechte erreicht. Dann könnten wir so, wie wir es im
Neuen Deutschland diskutiert haben, Silke,
({14})
auch hier alle zusammen diskutieren, wie wir es mit dem
Grundgesetz halten.
({15})
Ich glaube, dass die Debatte in der Tat am Ende eines
Prozesses stehen muss. Denn jetzt und heute geht es darum, das bestehende Grundgesetz gegen Onlinedurchsuchungen, das BKA-Gesetz und den Bundeswehreinsatz
im Innern zu verteidigen. Das steht heute auf der Tagesordnung. Wenn wir das geschafft haben, dann können
wir auch über diesen Vorschlag diskutieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({16})
Der Kollege Jörg Tauss hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nenne die Zeitungen, die mich heute zitiert haben, nicht. Ich möchte
allerdings anmerken, dass wir beim Bundeswehreinsatz
im Innern - ich bin in der Tat ebenso wie alle anderen,
die sich kritisch äußern, der Auffassung, dass das etwas
missglückt ist - um einen Punkt nicht herumkommen:
Wenn beispielsweise Piraten ein deutsches Schiff an der
Küste Somalias entführen und eine Bundeswehrfregatte
in der Nähe liegt, die aber untätig bleiben muss, dann
müssen Sie das den Menschen erklären. Dafür brauchen
wir Problemlösungen. Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle noch einmal deutlich machen.
({0})
- Sie haben recht. Das machen wir doch alles. Sie haben
nachgelesen, was gesagt worden ist. Das ist aber heute
nicht unser Thema.
Frau Kollegin Stokar und Herr Ströbele, ich freue
mich, wenn demonstriert wird. Auch eine öffentliche
Demonstration zum Thema Datenschutz finde ich gut;
denn das zeigt, dass der Datenschutz wieder ein Thema
bei den Menschen ist. Das war jahrelang nicht der Fall.
Mich hat aber Folgendes ein bisschen verärgert - das ist
auch meine einzige Kritik an den Veranstaltern -: Ich
habe dort sehr viele DKP-Fahnen gesehen. Man kann zu
Herrn Schily und Herrn Schäuble stehen, wie man will
- ich habe mich oft genug kritisch geäußert; selbst mein
Parteifreund Schily hat mich über längere Zeiträume
nicht immer gegrüßt; an Herrn Schäuble habe ich hier
schon Kritik geübt -, aber ich halte es für bizarr, dass es
sich auf solchen Veranstaltungen vorwiegend um alte
Stalinisten handelt, die gegen staatliche Überwachung
demonstrieren, ohne dass man diese zurückweist.
({1})
Es täte der Glaubwürdigkeit der Szene sehr gut, wenn sie
sich davon distanzierte.
Datenschutzskandale, Datenschutzpannen und Fälle
von Datenklau wurden bereits angesprochen. Ich glaube,
dass wir im Moment eine gute politische Ausgangslage
und Chance haben, beim Datenschutz voranzukommen.
Ich sage als Bildungspolitiker: Das verhält sich wie damals bei PISA. Der PISA-Schock hat uns in der Bildung
vorangebracht, hoffentlich nächste Woche auch auf dem
Bildungsgipfel. Ich hoffe sehr, dass dies auch für den
Datenschutz gilt und dass wir hier Schritt für Schritt vorankommen.
Ich will das Scoring, das heute das eigentliche Thema
ist, ansprechen. Hier gibt es in der Tat seit längerer Zeit
Handlungsbedarf. Die Wirtschaft und insbesondere der
Bankensektor haben sich lange gegen eine gesetzliche
Regelung gesperrt. Es gibt noch immer einige, die sagen,
wie schrecklich die Abschaffung des Scoring sei. Ich
kann diese trösten: Es wird auch künftig Scoring-Verfahren geben; die Kollegin Philipp hat diese Verfahren bereits beschrieben. Anders lässt es sich in einer modernen
Wirtschaft gar nicht machen. Aber gerade an die Adresse
der Banken sage ich: Wenn sie nur annähernd die gleiche
Perfektion, wie beim Checken der Risiken einer Oma,
die ein paar Euro zur Finanzierung eines Kühlschranks
haben will, auch bei dem an den Tag gelegt hätten, was
sie sich jetzt geleistet haben, dann hätten wir über bestimmte Dinge weder heute noch in den vorangegangenen Wochen reden müssen. Man muss die Verhältnisse
wieder zurechtrücken. Das muss man den Herrschaften
immer wieder sagen.
({2})
Das Geschrei, das man nun an dieser Stelle wieder hört,
ist nicht nachvollziehbar.
Kollege Zöllmer wird noch einige wichtige Punkte
zum Verbraucherschutz ansprechen. Frau Kollegin Philipp, ich verstehe Ihre große Begeisterung für den Gesetzentwurf. Als Parlamentarier sage ich Ihnen: Für die
SPD gilt immer das Struck’sche Gesetz, auch an dieser
Stelle. Wir halten die Vorlage des BMI in einigen Punkten für einigermaßen gut, beispielsweise die Verpflichtung, die Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte offenzulegen. Wir wollen den Betroffenen eine Liste an
die Hand geben, aus der sie ersehen können, was für sie
relevant ist, beispielsweise warum ein Kredit abgelehnt
wurde.
({3})
Nach meiner Meinung muss dem Betroffenen auch der
durchschnittliche Score-Wert genannt werden. Er muss
die Chance haben, mit einem Bankenberater darüber zu
reden.
({4})
Das darf nicht anonym entschieden werden. Frau Kollegin Philipp, es geht nämlich nicht nur darum, beispielsweise den ehrlichen Verbraucher davor zu schützen, dass
andere unehrliche Verbraucher auf seine Kosten reisen.
Vielmehr darf man nicht vergessen, dass man in der
Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, einen Menschen durch eine Kreditentscheidung entweder aus dem
bürgerlichen Leben herausdrängen oder in ihm belassen
kann. Aus diesem Grunde muss man sich mit diesem
Thema mit großer Ernsthaftigkeit befassen. Für mich ist
vor allem der Schutz des Verbrauchers vor Großbehörden und Großbanken wichtig, mit denen es beispielsweise der Handwerker, der einen Kredit benötigt, zu tun
hat.
Die anderen Punkte zum Datenschutz wurden bereits
angesprochen. Wir werden in nächster Zeit wichtige
Schritte gehen müssen. Die Stärkung der Position des
Datenschutzbeauftragten ist prima. Ich will nur auf eines
aufmerksam machen: Egal wie viele Datenschutzbeauftragte es gibt, 50 oder 124 und noch eine Teilzeitstelle,
das Grundsatzproblem, Opfer von Datenklau zu werden,
verändert sich nicht. Beispiel Telekom: Ich muss den
Konzern in Schutz nehmen. Er wurde Opfer von Datenklau und hat das angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat
nur gesagt: Wir machen eine kleine Hausdurchsuchung,
aber eigentlich ist nichts passiert; das interessiert uns
nicht. - Es gibt zunehmend mehr Justizfälle, in denen
Datenklau als Kavaliersdelikt betrachtet wird und die
Opfer im Stich gelassen werden. An dieser Stelle muss
etwas passieren. Wir können Strafen verschärfen, wie
wir wollen; wenn aber hinterher die Akten in den Amtsstuben der Staatsanwaltschaft und der Richter liegen
bleiben und die Taten als Kavaliersdelikt gewertet werden, dann hat das keinen Wert.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Was soll ich?
Zum Ende kommen.
Ich soll zum Ende kommen? Ich war gerade so schön
in Fahrt. - Also, liebe Frau Präsidentin, das Datenschutzrecht muss einer Reform unterzogen werden. Wir
werden das in nächster Zeit tun. Jetzt kommt das
Scoring, in nächster Zeit kommen die anderen Punkte.
Frau Stokar, seien Sie einfach fröhlich und optimistisch.
Das, was wir miteinander schon aufgeschrieben haben,
wird unverändert Gültigkeit haben. Das Datenschutzgutachten aus 2001 liegt vor. Auch die Grünen haben damals gesagt, sie hätten so viele andere Punkte am Hals.
({0})
Ich will das aber jetzt nicht weiter ausführen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({1})
Der Kollege Ernst Burgbacher spricht jetzt für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mich macht eines nachdenklich: Wir gewöhnen uns mit
der Zeit an manche Dinge. Erst führen wir große Diskus19716
sionen, irgendwann wird es so gemacht, und dann redet
niemand mehr über die Sache. Denken Sie daran, welche
Diskussionen wir über die Flugpassagierdaten geführt
haben. Diese werden nach wie vor erhoben, sie werden
gespeichert und ausgewertet, aber man redet nur noch
am Rande darüber. Das ist das eigentlich Gefährliche.
Das ist übrigens das Gefährliche in vielen Bereichen des
Datenschutzes. Es taucht eine Frage auf, sie wird intensiv diskutiert, aber man macht in der Praxis weiter, zum
Teil ohne gesetzliche Grundlagen, und kaum einer redet
noch darüber. Deshalb haben wir unseren Antrag hier
zur Schlussabstimmung eingebracht, und deshalb will
ich darauf eingehen.
Es ist nach wie vor so, dass dann, wenn Menschen in
die USA oder über die USA hinweg fliegen - in Europa
ist es wahrscheinlich teilweise auch so -, jede Menge
Daten gesammelt werden. In 19 Datenkategorien sind es
insgesamt 35 Daten, vom Namen und Geburtsdatum
über spezielle Essens- und Sitzplatzwünsche bis hin zu
der Tatsache, dass jemand vielleicht einen Flug nicht angetreten hat. All diese Daten werden gesammelt, weitergeleitet und gespeichert, und zwar nicht nur für einige
Monate, sondern zunächst einmal für fünf Jahre und
dann noch einmal für acht Jahre, also für insgesamt
13 Jahre. Damit werden Rechte des Einzelnen bedroht.
Das darf nicht sein. Das Rahmenabkommen ist immer
noch nicht beschlossen. Das Parlament kann es nicht
hinnehmen, dass so etwas über Jahre geschieht, ohne
dass es dafür eine rechtliche Grundlage gibt.
({0})
Ich möchte schon deutlich sagen, wenn hier vonseiten
der Grünen und auch der SPD mehr Datenschutz angemahnt wird: Es gibt ein altes Sprichwort, das heißt:
Denk nicht daran, so tut es nicht weh! - Aber Sie sollten
sich daran erinnern. Sie haben die Regierung sieben
Jahre miteinander geführt.
({1})
Unter keiner Regierung wurde der Datenschutz so verschlechtert wie zu Ihrer Zeit.
({2})
Da können Sie sich nicht hier herstellen und große Reden halten. Sie haben überhaupt nichts verhindert.
({3})
Sie waren doch die, die die Durchsetzung der Datenschutzrechte haben schleifen lassen. Seit Ihrer Regierungszeit werden diese Daten erhoben. Sie müssen dazu
stehen. Sie können doch nicht so tun, als seien Sie nicht
dabei gewesen.
({4})
Ich will gern noch auf einen Punkt hinweisen, der oft
vergessen wird. Es gibt einen Missbrauch dieser Daten,
über den man kaum redet: Das ist der wirtschaftliche
Missbrauch. Wir haben im Internet eine amerikanische
Firma entdeckt, die mit dem Spruch wirbt: Identifizieren
Sie Ihre Mitbewerber! - Was macht die Firma? Sie bereitet genau die Daten auf, die von Flugpassagieren und
beispielsweise von Exporteuren angegeben werden müssen und die nach dem amerikanischen Freedom of Information Act frei zugänglich sind. Diese werden ausgewertet, sie werden dann für teures Geld verkauft und
spielen im Wettbewerb natürlich eine große Rolle, in der
Regel zuungunsten deutscher Anbieter. Das ist eine Sache, die unsere Persönlichkeitsrechte massiv betrifft, das
ist eine Sache, die die Grundrechte massiv betrifft, und
das ist etwas, was den wirtschaftlichen Wettbewerb beeinflusst. Deshalb: Vorsicht! Finger weg von solchen
Daten! Gewöhnen wir uns nicht daran, sondern lassen
Sie uns endlich fordern, dass die Datenerhebung auf eine
rechtlich saubere Grundlage gestellt wird.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Winkelmeier.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
„Freiheit statt Angst“ lautete das Motto der Demonstration am Samstag. Rund 70 000 Menschen sind dafür auf
die Straße gegangen.
({0})
- 70 000 sind auf die Straße gegangen. - Die hohe Beteiligung lag nicht am Sonnenschein, sondern war der
Sorge um die persönlichen Daten geschuldet. Es sind sozusagen Unwetterwarnungen, die die unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen in Aufruhr bringen. Die massiven
Datenpannen bei der Telekom tragen nicht gerade zur
Stärkung des Vertrauens in die Datensicherheit bei.
Es gab immer wieder Bundesverfassungsgerichtsurteile, zum Beispiel das Urteil zum Kfz-Scanning, die
dem Gesetzgeber eindeutig Grenzen beim Erfassen von
Daten aufzeigten. Zudem schließen sich inzwischen
mehr und mehr Berufsgruppen, zum Beispiel Ärzte und
Rechtsanwälte, dem Protest gegen die Datensammelwut
und den Datenmissbrauch an - und das ist auch gut so.
Dies zeigt: Die Menschen in diesem Land wollen ihre
Privatsphäre schützen und erwarten das auch von uns.
Es mag sein, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung an der einen oder anderen Stelle auch begrüßenswerte Maßnahmen verankern will; aber die Bundesregierung ist nicht bereit, Hand anzulegen an den
Grundfesten ihrer vermeintlichen Sicherheitsstruktur.
Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz und EU-Fluggastdaten - um nur einiges zu nennen - konterkarieren
jegliche Bemühungen um eine Verbesserung des DatenGert Winkelmeier
schutzes. Der Gesetzentwurf, der heute vorliegt, ist allenfalls Kosmetik.
17 Millionen Telekomdatensätze waren Ende vergangener Woche im WWW plötzlich jedermann und jeder
Frau zugänglich, 17 Millionen Telefonnummern einschließlich Kontonummern. Die Zerknirschung bei den
Vorständen der Telekom mag zwar echt gewesen sein;
aber es ist umso erschreckender, wie der zuständige
Minister die gesamte Situation verharmlost: Er vergleicht die Millionen Verbindungsdaten mit einem Telefonbuch; gleichzeitig bezichtigt er die Kritiker eines zu
laschen Datenschutzes der „Maschinenstürmerei“. Das
ist schlicht eine bodenlose Frechheit.
Wir brauchen ein modernes, auf das 21. Jahrhundert
ausgerichtetes Datenschutzgesetz. Da geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung längst nicht weit genug. Er
erfüllt auch ein weiteres wichtiges Kriterium noch nicht
einmal annähernd, nämlich das der Allgemeinverständlichkeit. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen ein Gesetz, das ihre Privatsphäre schützt. Sie wollen es aber
auch lesen können, ohne einen Juristen zurate zu ziehen.
Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt zudem, wie wenig
ernst die Regierung den Datenschutz bisher genommen
hat. Selbstverständlich ist ein Gesetz noch keine Garantie gegen Missbrauch von gespeicherten Daten. Was bei
der Telekom passiert ist, kann bei allen anderen Telekommunikationsanbietern auch passieren.
Das sicherste Mittel gegen Datenmissbrauch ist
schlicht, sie nicht zu sammeln. Die staatliche und halbstaatliche Datensammelwut ist in den vergangenen Jahren ins schier Unermessliche gewachsen. Korrigieren
Sie diese Fehlentwicklung und stoppen Sie umgehend
die Vorratsdatenspeicherung!
Vielen Dank.
({1})
Jetzt spricht der Kollege Manfred Zöllmer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Datenschutz ist ein Bürgerrecht und damit auch
ein ganz wichtiger Teil moderner Verbraucherpolitik.
Bei vielen Geschäften des täglichen Lebens werden Daten gesammelt und weitergegeben. Dies gilt besonders,
wenn man im Internet einkauft. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher müssen auf einen ordnungsgemäßen
und sorgfältigen Umgang mit den Daten in den Unternehmen vertrauen können.
Die Realität zeigt aber - wir haben genügend Beispiele gehört -, dass dieses Vertrauen nicht immer gerechtfertigt ist. Ich will mich jetzt ganz besonders dem
Bereich der Kreditaufnahme widmen. Wenn Sie einen
Kredit aufnehmen wollen, dann erfolgt eine Prüfung
Ihrer Zahlungsfähigkeit durch ein automatisch ablaufendes, mathematisch-statistisches Verfahren, durch
Scoring, in dem Daten miteinander in Relation gesetzt
werden mit dem Ziel, eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung dieses Kredits zu erstellen.
Diese Bonitätsprüfungen sind für kreditorische Geschäfte oder Verträge, in denen ein Anbieter in besondere Vorleistung tritt, berechtigt; denn selbstverständlich
muss es einem Anbieter erlaubt sein, das Risiko eines
Zahlungsausfalls zu minimieren. Dazu dient Scoring.
Außerdem kann es vor Überschuldung von Verbraucherinnen und Verbrauchern schützen.
Aber auch für diese Verfahren gilt - das ist ganz besonders wichtig -: Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen wissen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß und warum eine bestimmte
Entscheidung getroffen wird.
({0})
Das ist auch ökonomisch wichtig, weil es bei der Kreditvergabe nach Basel II nicht mehr den Einheitszinssatz
für Konsumentenkredite gibt. Die Zinshöhe bei Krediten
orientiert sich an der Bonität und damit am Scorewert.
Hier geht es um viel Geld für die Verbraucherinnen und
Verbraucher. Aus diesem Grund ist Transparenz besonders wichtig.
Wir müssen deshalb über einige Punkte in dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir insgesamt begrüßen,
weil er mehr Transparenz bringt, sprechen. Der Gesetzentwurf lässt Scoring für alle Vertragsverhältnisse zu.
Dies ist aus unserer Sicht problematisch,
({1})
da damit diese Art der Bonitätsprüfung zu einem Standard bei Dauerschuldverhältnissen wird. Gerade in der
Wohnungswirtschaft, bei Versicherungen oder bei Energielieferungen sind negative Auswirkungen möglich,
wenn bei bestimmten Bevölkerungsgruppen die schwierige soziale Situation dazu führt, dass sie immer wieder
schlechter gestellt werden als andere.
({2})
Wir werden deshalb sehr sorgfältig prüfen, für welche
Bereiche Scoring angewandt werden darf und wo es andere Verfahren geben muss.
({3})
Aus den gleichen Gründen lehnen wir ab, dass GeoReferenzdaten verwendet werden,
({4})
dass also allein der Wohnort entscheiden soll, ob eine
Person kreditwürdig ist oder nicht. Wir wollen nicht,
dass Menschen in Sippenhaft genommen werden können, nur weil sie zufällig in einem bestimmten Stadtteil
wohnen. Frau Kollegin Philipp, Staatssekretärin Heinen,
die Ihrer Partei angehört
({5})
- selbstverständlich, aus Köln -,
({6})
hat dies in dankenswerter Weise öffentlich so formuliert.
Ich hoffe, dass wir uns in den Gesprächen auf diese Position verständigen können.
Das Wichtigste in diesem Bereich ist Transparenz.
Die Banken haben sich bisher nicht darum gekümmert.
Für die waren andere Geschäfte wichtig. Deshalb müssen wir ein Verfahren dafür finden, dass für den - in Anführungszeichen - Normalverbraucher die Entscheidungen bei einer Kreditvergabe nachvollziehbar und
verständlich sind:
({7})
Warum ist mein Kreditwunsch abgelehnt worden? Warum muss ich diesen hohen Zinssatz bezahlen? Warum
bekomme ich nicht den aus der Werbung?
Denkbar wäre zum Beispiel, eine vom Kreditsachbearbeiter unabhängige Stelle beim Anbieter einzurichten,
die den Kunden auf Wunsch die Entscheidung allgemeinverständlich erläutert und Hinweise dazu gibt, wie
ein Scorewert im konkreten Fall verbessert werden kann.
Dabei müssen alle entscheidungsrelevanten Faktoren
deutlich werden. Die Auskunft - das ist noch ein ganz
wichtiger Punkt - darf aber nicht kostenpflichtig sein.
Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Wir
werden über die erwähnten Details noch sprechen müssen, und wir werden insgesamt darüber diskutieren müssen, wie wir den Datenschutz in der Wirtschaft an die
Anforderungen der digitalen und globalisierten Welt anpassen.
Vielen Dank.
({8})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/9607, 16/10529, 16/10581, 16/31
und 16/10216 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Informationspflicht für Unternehmen bei Datenschutzpannen einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6764, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1887 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der FDP
gegen die Stimmen der Antragsteller und der Fraktion
Die Linke angenommen.
Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf
Drucksache 16/9112. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8115
mit dem Titel „Vorschlag für einen Rahmenbeschluss
des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen
zu Strafverfolgungszwecken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von FDP und
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/8199 mit dem Titel „Keine Speicherung
von EU-Fluggastdaten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei
Zustimmung durch die Koalitions- und Ablehnung durch
die Oppositionsfraktionen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Waitz, Hans-Joachim Otto ({0}),
Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbehörden und im Bundestag
enttarnen - Aufarbeitung des Stasi-Unrechts
stärken
- Drucksache 16/9803 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dagegen sehe ich keinen Widerspruch.
({2})
Ich erteile jetzt als Erstem in der Debatte dem Kollegen Christoph Waitz von der FDP-Fraktion das Wort.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im nächsten Jahr jährt sich der Fall
der Mauer zum 20. Mal. Seit 19 Jahren arbeiten wir an
der Aufarbeitung von SED- und Stasi-Unrecht. Noch
immer liegt vieles im Dunkeln. Viele Akten sind noch
zerstört, und immer weniger Mitarbeiter der Birthler-Behörde sind mit der tatsächlichen Erschließung der Akten
betraut.
Es gibt Stimmen, die meinen, man solle es jetzt nach
20 Jahren gut sein lassen. Die Aufarbeitung solle nicht
mehr fortgesetzt werden. Man könne jetzt Gras über dieChristoph Waitz
ses Kapitel deutscher Geschichte wachsen lassen, weil
es wichtigere aktuelle Fragen zu lösen gelte.
Die Stasi steht wie keine andere staatliche Einrichtung der ehemaligen DDR für eine menschenverachtende Behandlung von Bürgerinnen und Bürgern in der
DDR. Jeder, der auch nur im Ansatz anders dachte als
die Herrschenden, war verdächtig. Unerbittlich und unbarmherzig verfolgte die Stasi als „Schwert und Schild
der Partei“ tatsächliche und vermeintliche Gegner des
Regimes. Hier kann es keinen Schlussstrich geben. Es
geht um die Aufarbeitung einer Diktatur und der Schicksale ihrer Opfer. Wir Liberale werden einen Schlussstrich in dieser Sache nicht zulassen.
({0})
- Das freut mich zu hören.
Aufarbeitung bedeutet für uns Liberale aber nicht nur,
den Blick auf die Geschichte der DDR zu richten. Die
Stasi war auch im Westen aktiv. Über 3 000 inoffizielle
Mitarbeiter haben auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland und West-Berlins gewirkt. Diese IM waren
in Behörden, Ministerien und Unternehmen aktiv. Sie saßen bei ARD, ZDF und im Deutschlandfunk. Sie fehlten
auch nicht im Deutschen Bundestag.
Ich will heute die Frage nach den Stasi-Spitzeln in
den Bundesministerien und Bundesbehörden ausklammern. In unserem Antrag haben wir mit IM Helene und
IM Konrad zwei von vermutlich vielen Fällen exemplarisch benannt. Ich will heute auch nicht darüber reden,
warum sich die Bundesregierung bislang weigert, die Infiltration in ihren eigenen Reihen durch die Stasi aufzuarbeiten. Zwei Anfragen zu diesem Thema hat die Bundesregierung mit dem Hinweis beantwortet, diese
Aufarbeitung sei praktisch nicht leistbar. Damit, meine
sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition,
können und werden wir uns nicht abfinden.
({1})
Der Grundsatz: „Kehr auch vor deiner eigenen Tür“,
gilt auch für den Deutschen Bundestag. Es darf nicht der
Eindruck entstehen, dass der Deutsche Bundestag mit
zweierlei Maß misst, dass der Westen anderen Regeln
unterworfen ist als der Osten. Wir müssen uns als Deutscher Bundestag der Vergangenheit in eigener Verantwortung stellen. Dazu gehört, dass wir lückenlos untersuchen, wie die Stasi auf die Mitglieder dieses Hohen
Hauses Einfluss genommen hat und welcher Schaden
dabei entstand. Das schulden wir nicht nur uns selbst,
sondern auch den folgenden Generationen. Eine Untersuchung im Rahmen eines Forschungsauftrags über die
Abgeordneten aller Legislaturperioden von 1949 bis
1990 an die Birthler-Behörde könnte Schluss machen
mit mancher Vermutung und auch so mancher falschen
Verdächtigung.
Heute lässt sich mithilfe der Rosenholz-Dateien und
der SIRA-Datenbank sehr genau rekonstruieren, wer
welche Quellen mit welchem Inhalt weitergegeben hat.
Wir haben heute die Möglichkeit, sehr genau zwischen
denjenigen zu unterscheiden, die nur abgeschöpft worden sind, und denjenigen, die willentlich und wissentlich
mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Wir sind heute
wesentlich weiter als noch vor zehn Jahren.
({2})
Die Untersuchung der Bundestagsabgeordneten der
6. Legislaturperiode von 1969 bis 1972 lässt erahnen,
mit welchen Dimensionen wir es zu tun haben. Über
49 Parlamentarier lagen Informationen bei der Staatssicherheit vor. 43 Abgeordnete waren als inoffizielle Mitarbeiter registriert.
({3})
- Herr Wieland, Sie kommen doch auch gleich dran. Selbst wenn nicht alle tatsächlich mit dem Ministerium
für Staatssicherheit zusammengearbeitet haben und
selbst wenn einige von ihnen Opfer von Abschöpfungen
waren, die Mühen der Aufklärung können nicht Grund
dafür sein, dass wir uns der Aufgabe nicht stellen.
Viele Abgeordnete des Bundestages waren an weiteren Recherchen der Birthler-Behörde brennend interessiert. Mit dem Argument der Schutzpflicht des Parlaments gegenüber seinen Mitgliedern wurde dieses
Vorhaben der weiteren Aufklärung vorläufig zu den Akten gelegt.
Bei allen Bedenken: Niemand im Land versteht, warum der Deutsche Bundestag nicht handelt. Schließt sich
der Deutsche Bundestag weiter von der Aufklärung seiner Geschichte aus, entsteht mehr als nur ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wir berühren hier die Wurzeln des Gerechtigkeitsgefühls unserer Bürgerinnen und Bürger.
Ich freue mich auf die Beratung unseres Antrages und
die Diskussion mit Ihnen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nun Kollegin Maria Michalk, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Überschrift des Antrages der FDP,
über den wir hier diskutieren, „Aufarbeitung des StasiUnrechts stärken“, kann nun wahrlich niemand für
falsch erklären. Dem stimmen wir zu. Herr Waitz, Sie
wissen, dass gerade unsere Fraktion sich all die Jahre darum bemüht hat, dieses Thema im öffentlichen Bewusstsein zu halten und Schritt für Schritt auf diesem Weg
weiterzugehen. Ich denke, das ist im Rahmen der Beratungen zur Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts
sehr deutlich geworden.
Uns ist aber besonders wichtig, die Öffentlichkeit dadurch immer wieder anzuregen, sich mit dem Thema
auseinanderzusetzen. Dass das sinnvoll ist, haben uns
die jüngsten Erkenntnisse über das Wissen unserer Jugend über dieses Thema vor Augen geführt.
({0})
Ein Parlamentarier unter uns, dessen Namen ich nicht
nennen möchte, hat uns in der letzten Debatte zu diesem
Thema bestätigt, dass er seine Informationen direkt an
Mitglieder des ZK der SED weitergegeben hat. Das
macht deutlich, dass wir diese Frage im Kontext der
Aufklärung der Rolle der SED weiter aufarbeiten müssen.
({1})
Ich will damit darauf hinweisen, dass sich die Aufarbeitung nicht nur auf den öffentlichen Dienst bezieht.
Auch Amts- und Mandatsträger erkämpfen sich trotz ihrer nachgewiesenen Stasitätigkeit immer wieder vor Gerichten das Recht, ihr Mandat weiter auszuüben, wie
jüngste Beispiele im Bereich der Bürgermeister gezeigt
haben. Das ist zu beklagen.
Ein Beispiel: In Bautzen haben letztes Jahr junge
Leute in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Sorbischen
Volkstheater - übrigens das einzige binationale Theater
in Deutschland - ein interessantes Stück inszeniert. Es
heißt: Die Welle.
In dem Stück stellen Schüler heute ihrer Lehrerin die
verständnislose Frage, wie sich die Menschen in Diktaturen haben zwängen lassen. Die Lehrerin demonstriert
ihnen in einem Projekt, wie auch sie sich ganz leicht für
solche Ideen einfangen ließen. Nur ein einziges Mädchen widersprach dem Zwang der Gruppe.
Wir alle - besonders junge Leute - müssen wissen,
welche Mechanismen totalitäre Systeme benutzen, wie
man sich in den Netzen solcher Demagogen verfangen
kann, wie man sich dagegen wehrt und wie man unsere
Demokratie stärken kann und muss.
({2})
Nur dann können wir eine Zukunft ohne Diktaturen
gestalten. Zukunft hat Herkunft. Deshalb ist die Aufarbeitung notwendig. Herr Waitz, darin sind wir uns einig.
Gerade in diesen Tagen erinnern wir uns immer wieder an die Ereignisse im Herbst 1989, eine Zeit, die uns
prägte, die uns, unser Land und Europa veränderte. Mit
unwahrscheinlich viel Mut demonstrierten Menschen
mitten im System der noch vorhandenen Diktatur für
Freiheit und Demokratie. Mut ist eine Leiter, an der alle
anderen Tugenden hinaufklettern. Das kann man trefflich am Prozess der deutschen Einheit nachvollziehen.
Das Ausmaß der Hinterlassenschaften der ehemaligen
DDR war für uns - ich denke, auch für Sie - letztendlich
eine unbekannte Größe. Jeder kannte nur die Details aus
seinem unmittelbaren Lebensumfeld. Der Frust über die
Tatsache, dass viele um die Früchte ihrer Hände Arbeit
betrogen wurden, verschärfte den Zorn auf die SED
nachträglich.
Das Überwachungssystem war verästelt und intensiv
und nur möglich, weil sich leider viele in diesen Dienst
gestellt haben, freiwillig oder auch durch Zwang. Vertrauen konnte man eigentlich nur in seinen vier Wänden
haben, wie wir wissen, leider in vielen Fällen nicht einmal mehr dort.
Die Systemträger, Helfer und Helfershelfer sind nach
der friedlichen Revolution nicht aus dem Land gezogen,
sondern sind Bürgerinnen und Bürger unseres vereinten
Deutschlands. Schon im Rahmen des Einigungsvertrages war daher die Frage zu beantworten, was mit der
Mitarbeiterschaft der ehemaligen DDR-Staatseinrichtungen geschehen soll, wenn sie vom Bund oder von den
Ländern übernommen werden. Die Arbeitsverhältnisse
existierten de facto fort.
Wir entschieden uns in der frei gewählten Volkskammer nicht etwa für ein Tribunal, sondern für eine rechtsstaatliche Aufarbeitung. Das ist mühsam, wie wir jetzt
wissen.
({3})
Aus dem Raum Bautzen kommend, im Hinterkopf die
schrecklichen Dinge, die in dem Stasigefängnis passiert
sind, will ich bekennen, dass ich damals durchaus der
Meinung war, dass wir als Parlament das Recht haben,
die SED als kriminelle Organisation einzustufen. Dann
wäre heute manches leichter. Dafür gab es aber keine
Mehrheit. Das mussten wir akzeptieren.
Die Übernahme zum Beispiel von Angehörigen des
Personalschutzes oder des Ministeriums des Inneren war
sehr wohl mit einem Bewerbungsverfahren verbunden,
und die Übernahme erfolgte stets nach „fachlicher Eignung“. Ob das im Einzelfall immer dem Geist unserer
öffentlichen Dienste entsprach, wie wir ihn in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung verstehen, das wird
juristisch und wissenschaftlich permanent und sukzessiv
immer wieder aufgearbeitet. Dieser Prozess ist noch
nicht zu Ende.
Die generelle Bewertung ist dahin gehend vorzunehmen, ob der oder die Betreffende am „realsozialistischen
Repressionssystem“ beteiligt war.
Es hat sich durchaus herausgestellt, dass zum Beispiel
ein im Betrieb beschäftigter IM vielleicht eher nur
„harmlose“ Informationen an das MfS übergab und sich
damit wichtig vorkam, während der Personalchef - man
nannte ihn damals Kaderleiter - als Nicht-IM Berichte
mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen lieferte.
Deshalb blieb in der Phase 1990 nur der Weg der Einzelfallprüfung und Einzelfallbewertung unter Ausnutzung des ordentlichen und außerordentlichen Kündigungsrechts.
Ich erinnere daran, dass im Einigungsvertrag ganz
konkrete Regelungen getroffen wurden, und zwar in
Anl. I Kap. XIX. Das möchte ich einmal kurz erläutern.
Grundsätzlich bestanden gemäß Abs. 1 die Arbeitsverhältnisse der in den öffentlichen Verwaltungen der
DDR beschäftigten Personen fort. Dieser Grundsatz wurde
jedoch durch die Sonderregelungen der Abs. 2 bis 7 in der
Norm eingeschränkt. Die Arbeitsverhältnisse der BeMaria Michalk
schäftigten der Einrichtungen, die nicht auf den Bund
überführt wurden, ruhten vom Tag des Beitritts an gegen
die Zahlung eines Wartegeldes und endeten nach neun
Monaten, wenn die Betreffenden bis dahin nichts anderes gefunden haben.
Wissen Sie eigentlich noch, was damals die Bürgerschaft sagte? Sie sagte: Jetzt bekommen die auch noch
Geld, ohne etwas zu tun.
Abs. 4 ermöglichte eine ordentliche Kündigung, wenn
der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persönlicher Eignung den Anforderungen
nicht entsprach. Das wissen wir.
Bei der Beurteilung dieser Kriterien war also nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - die
Betroffenen haben von Anfang an unsere Gerichte bemüht und angerufen - die Persönlichkeit des Arbeitnehmers auf der Grundlage seines gesamten Verhaltens vor
und nach dem Beitritt zu beachten. Allein das ist für
Hunderte von Beschäftigten eine gewaltige Aufgabe.
Das ist auch gemacht worden. Ob das alles sinnvoll gewesen ist, darüber kann man parlamentarisch sehr wohl
streiten.
Darüber hinaus war eine Kündigung möglich, wenn
der Arbeitnehmer wegen eines fehlenden Bedarfs nicht
mehr verwendbar war oder wenn die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wurde. Sie wissen, dieses Kündigungsrecht sollte eigentlich nur zwei Jahre
lang gelten. Weil die Überprüfung viel länger gedauert
hat, haben wir das Kündigungsrecht um ein Jahr verlängert. Seit 1993 gilt es aber nicht mehr.
Nun zu den aktuellen Möglichkeiten. In Abs. 5 wurde
bestimmt, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose
Kündigung vorliegt, wenn der Arbeitnehmer gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. Ob das unzumutbar schien, bestimmt
sich nach dem individuellen Maß der Verstrickung. Bei
hauptamtlichen Mitarbeitern sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung deren Stellung und die Dauer der
Beschäftigung beim MfS ausschlaggebend. All das sind
Rahmenbedingungen, die gerichtlich vorgegeben sind.
({4})
Wir sind keine Oberrichter. Wir müssen uns an unsere
rechtsstaatlichen Kriterien halten, weil wir - wie gesagt kein Tribunal möchten, sondern die rechtsstaatliche Aufarbeitung.
({5})
Sie ist nicht zu Ende, sie findet weiter statt. Insofern ist
der Antrag eine gute Gelegenheit, sich weiter mit dem
Thema zu beschäftigen. Bei diesem schlechten Herbstwetter empfehle ich die Lektüre der publizierten Berichte aus den beiden Enquetekommissionen. Dort ist
der Geist der Aufarbeitung sehr genau festgehalten. Ich
empfehle uns, das noch einmal zu verinnerlichen und auf
diesem Weg weiterzumachen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Kollegin Lukrezia Jochimsen, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
beginne diese Rede mit einem persönlichen Credo, dem
Credo meiner Fraktion und meiner Partei: Selbstverständlich sind wir für die weitere Aufarbeitung des - wie
es im Antrag heißt - Stasiunrechts. Deshalb unterstützen
wir auch seinen Punkt 6, nämlich die Forderung an die
Bundesregierung, „die Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR in Bund und Ländern durch ausreichende Mittel
und organisatorische Umstrukturierung in die Lage zu
versetzen, den Anteil der jährlich erschlossenen Akten
zu erhöhen und damit die tatsächliche Aufarbeitung zu
beschleunigen und qualitativ zu verbessern.“ Diese Forderung unterstützen wir ausdrücklich.
Nun aber eine Frage: Wurde nicht vor zwei Jahren
von der überwältigenden Mehrheit des Bundestages - inklusive der Stimmen der FDP - ein Stasi-UnterlagenÄnderungsgesetz geschaffen, welches die Überprüfungsmöglichkeiten gerade auch für den öffentlichen Dienst
bis 2011 umfassend und umfangreich bis auf die untere
kommunale Ebene einschließlich ehrenamtlicher Richter
festgeschrieben hat? Damals hieß es: 3 Millionen Anträge auf Einsichtnahme in die Stasiakten seien, bezogen
auf den öffentlichen Dienst, gestellt. Etwa 1,7 Millionen
Personen aus dem öffentlichen Dienst seien überprüft
worden, einige auch mehrfach.
Nun, zwei Jahre später, wird von der FDP vorgeschlagen, diese vorhandenen Überprüfungsmöglichkeiten im
Sinne einer Verdachtsüberprüfung auszuweiten. Nach
20 Jahren deutscher Einheit soll es also zurück zu Verdachtsüberprüfungen gehen.
Liebe Kollegen von der FDP, diese Sprache finde ich
erschreckend und im Übrigen wenig geeignet, die komplizierten Auswirkungen des jahrzehntelangen Kalten
Krieges auf die Beziehungen zwischen den Deutschen
zu erfassen. Der Antrag tut so, als ob jetzt und in Zukunft Abertausende Beamte und Angestellte in Ministerien und Behörden endlich enttarnt werden müssten, damit durch deren Entfernung aus dem Dienstverhältnis
oder durch Versetzung dafür gesorgt werden könne, dass
in unserem Land endlich Sicherheit und Ordnung hergestellt werden. Welch eine Vorstellung von einer seit
20 Jahren vereinten Gesellschaft herrscht da eigentlich
vor?
Verdachtsüberprüfungen grenzen schnell an Denunziation, an Gerüchte, an Nachreden und an Hysterie. Aus
meiner Sicht schaffen Sie ein gesellschaftliches Klima
- lieber Herr Waitz, Sie könnten durchaus einmal zuhören -, das insgesamt eher einem Spitzelstaat entspricht
als unserer freiheitlichen Demokratie. Wollen Sie, wol19722
len wir diesen Weg tatsächlich 2008 und folgende gehen?
({0})
Ich bin sehr gespannt, wie viel Fürsprache dieser Vorschlag nach all der intensiven Vorarbeit zum Änderungsgesetz des Jahres 2006 aus den anderen Fraktionen erhalten wird. Meine Fraktion wird einer entsprechenden
Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, wie hier
gefordert, keinesfalls zustimmen.
({1})
Der nächste Redner, nämlich Wolfgang Thierse, muss
seine ohne Zweifel bedeutsamen Ausführungen zu Pro-
tokoll geben, aus erkennbarem Grund: Er kann nicht
zugleich hier oben sitzen und unten eine Rede halten.1)
Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich bedauere es außerordentlich, Ihre Rede nicht
zu hören
({0})
- wir lesen sie nach -, auch deswegen, weil dann sozusagen ein kleiner Puffer zwischen dem, was Frau Jochimsen gesagt hat, und meiner Rede gewesen wäre.
Frau Jochimsen, Sie können es doch nicht ernst meinen, wenn Sie sagen: Die Linie meiner Partei ist, für
rückhaltlose Aufklärung in Sachen Stasi zu sorgen.
({1})
Nun hören Sie mal! Die Alttschekisten werden immer
unverschämter, treten in Bataillonsstärke in Hohenschönhausen und an anderen Orten auf,
({2})
mit Wolfgang Schwanitz an der Spitze. Ihre Partei bietet
ihnen Foren, führt Diskussionsveranstaltungen mit ihnen
durch, und Ihre Fraktionskolleginnen Frau Lötzsch und
Frau Jelpke gehen als Heilige Johanna der Alttschekisten
in diese Solidaritätsvereinigung und sprechen dort Grußadressen aus.
({3})
Das ist die Realität des Umgangs der Linkspartei mit der
Stasi und ihren Nachfolgern.
1) Anlage 13
({4})
- Das bestreitet niemand, und das ist auch nicht zu bestreiten, weil dies ein täglicher Skandal in dieser Stadt
ist. Aber wenn dies so ist, dann können Sie doch nicht so
tun, als wären Sie eine an Aufklärung interessierte Fraktion. Von Ihnen, insbesondere von Ihrem Fraktionsvorsitzenden, ist in dieser Frage leider immer nur Nebel gekommen.
({5})
Den Kern des Anliegens der FDP unterstützen wir.
Der Antrag soll ja ein Auftrag an die Birthler-Behörde
sein, die Dinge wissenschaftlich aufzuarbeiten. Hätten
Sie es mal dabei belassen, werte Freundinnen und
Freunde von der Rechtsstaatspartei FDP! Sie schreiben
ansonsten, dass alle Mitarbeiter überprüft werden sollen.
Denn wie soll man sonst herausfinden, wer IM war? Sie
meinen die Mitarbeiter aller Bundesbehörden und nachgeordneten Behörden, auch die, die noch nie überprüft
wurden, weil sie immer in den alten Bundesländern waren und dort gearbeitet haben. Die Ziffern 1 und 3 Ihres
Antrages sind doch gar nicht anders zu erfüllen, als dass
ich mir diese Mitarbeiter in toto ansehe. Das würde tatsächlich dazu führen, dass es eine erneute Massenüberprüfung, eine erneute Regelanfrage gäbe und wir gegen
unser eigenes Gesetz verstießen,
({6})
in dem aus guten Gründen gesagt wurde: Damit muss
nach 15 Jahren Schluss sein. Denn man hat zu Recht an
die integrative Wirkung des Rechtsstaates geglaubt und
gesagt: Nach dieser Zeit muss man akzeptieren, dass
Sonderregelungen, die direkt nach der Wende notwendig
waren, auslaufen. - Von daher kann das, was Sie hier erreichen wollen, so nicht geschehen. Das hätten Sie eigentlich sehen müssen bei den vielen Juristen, die Ihren
Antrag unterschrieben haben.
Sie fordern die Verdachtsüberprüfung. Da muss ich
Frau Jochimsen leider recht geben. Wir Abgeordnete
kennen sie. Warum kennen wir sie? Weil wir selber diese
Überprüfungen vornehmen und weil sie keine direkten
Rechtsfolgen haben. Wenn Sie jetzt sagen: „Die sollen
bei allen Beamten und sonstigen Beschäftigten angewandt werden“, dann steht das natürlich quer zu jeder
Rechtsprechung, die besagt: Es kann nicht auf Verdacht
hin entlassen werden; es kann nicht auf Verdacht hin
eine dienstrechtliche Konsequenz gezogen werden. Da
muss die Überführung kommen. Das muss sicher sein.
Eine gesicherte Kenntnis muss vorhanden sein. Nur
dann können Konsequenzen gezogen werden - und auch
nicht bei allen, sondern nur noch auf der Leitungsebene.
Auch das haben wir aus gutem Grund gesetzlich so festgelegt. Das heißt, Sie schießen völlig über das hinaus,
was heute rechtsstaatlich möglich ist.
({7})
- Nein, ich lese den Antrag so, wie man ihn lesen muss.
Sie hätten Ihren Justiziar heranziehen oder einmal mit
Herrn van Essen darüber reden sollen, der den Antrag
unterschrieben hat; dann wäre das nicht geschehen.
Als Letztes möchte ich sagen: Sie haben mit Ihrer
Rede Erwartungen geweckt, die nicht erfüllbar sind. Sie
erwähnten die berühmte Stasifraktion in der
6. Legislaturperiode und nannten die Zahl 43. Im Ausschuss haben wir das Thema erörtert. Frau Birthler hat
Ihnen das vorgerechnet. Die Zahl 43 ist auf 5 geschrumpft, weil die meisten als IM mit Akte geführt
wurden, das heißt, Personen waren, die abgeschöpft
worden sind. Das kann man doch nicht verrühren und
die Erwartung wecken, dass bei einer solchen Untersuchung herauskommt, dass der halbe Bundestag von der
Stasi gesteuert wurde. Fünf Personen sind übrig geblieben: von William Borm, FDP, bis Karl Wienand, SPD.
Im Übrigen waren sie alle schon namentlich bekannt.
Deswegen sage ich: Das ist ein gutes Anliegen in einer ganz schlechten Verpackung. Dieser Antrag schießt
über das Ziel hinaus. Wir müssen sehen, ob wir in der
Lage sind, das in der Ausschussberatung auf den sinnvollen Kern zurückzuführen.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9803 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 37:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die eigenständige Existenzsicherung von Stiefkindern sicherstellen - § 9 Abs. 2 Satz 2
SGB II reformieren
- Drucksache 16/9490 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um folgende Kolleginnen und Kollegen: Karl Schiewer-
ling, Angelika Krüger-Leißner, Heinz-Peter Haustein,
Katja Kipping und Markus Kurth.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9490 an die in der Tagesordnung aufge-
1) Anlage 14
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Josef Philip Winkler, Rainder Steenblock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine zukunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte Europäische Migrationspolitik
- Drucksache 16/10341 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({2})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist
meine erste Rede in diesem Haus. Das heißt aber nicht,
dass ich mich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt
habe.
Am Mittwoch hat der Europäische Rat den Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl beschlossen. Eine
Maßgabe, die man heranziehen kann, um zu schauen,
wie gut dieser Pakt ist, findet sich in einer Kommissionsmitteilung aus dem Jahr 2005 zu vorrangigen Maßnahmen zur Lösung von Migrationsproblemen. Dort steht:
„Der Europäische Rat stimmt darin überein, dass kurzfristig dringend weit reichende konkrete Maßnahmen getroffen werden müssen“, um unter anderem „die Zahl
der Todesfälle zu verringern, die sichere Rückkehr irregulärer Einwanderer zu gewährleisten, bessere dauerhafte Lösungen für Flüchtlinge zu finden“ und „auch
durch Maximierung der Vorteile der legalen Migration
für alle Partner ... Menschenrechte und das individuelle
Recht auf Asyl ... zu wahren“.
Wenn wir diesen Maßstab auf das anwenden, was
Herr Sarkozy und Herr Schäuble im Europäischen Rat
ausgearbeitet haben, müssen wir sagen: Leider ist die
Messlatte für sie zu hoch gewesen.
({0})
Im Pakt finden sich wunderbare repressive Punkte
wie die Aussicht, dass Menschen in Zukunft nur noch
bei klarer Aussicht auf dauerhaften Verbleib in den Genuss von Integrationsmaßnahmen kommen sollen, und
die Beschränkung, dass nur noch einzelfallabhängige
Legalisierungen vorgenommen werden sollen. Der gesamte Pakt atmet eine Sprache und eine Idee, nach der
jedem Einwanderer, jedem Flüchtling unterstellt wird,
dass er ein illegaler Einwanderer ist - zu finden in
Punkt II c des Paktes. Die Agentur FRONTEX soll mit
allen Mitteln ausgestattet werden, um mehr arbeiten zu
können, ohne dabei die politische Kontrolle und das
Mandat zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit Drittstatten im Bereich „Justiz und Inneres“ wird ausgebaut,
ohne dabei auf Menschenrechte zu achten.
Wir brauchen hingegen eine - das ist in unserem Antrag wunderbar formuliert - menschenrechtlich fundierte
humanitäre EU-Migrationspolitik, die auf humane Standards setzt, die Menschenrechte auch an den europäischen Außengrenzen, ob auf See oder an Land, wahrt,
die Möglichkeiten der legalen Migration besser und neu
eröffnet und die Möglichkeiten für Integration hier im
Land stärkt.
({1})
Die Uhr am Rednerpult ist gnadenlos. Ich kann Ihnen
nicht alles, was wir auf diesen wunderbaren sieben Seiten unseres Antrages zusammengetragen haben, vorstellen. Aber nehmen wir einmal ein Beispiel. Wir hatten
vor gar nicht so langer Zeit eine Debatte im JI-Rat, im
Rat der Justiz- und Innenminister, über die europäische
Bluecard. Am Tag vorher war der Innenminister bei uns
im Ausschuss. Man muss zu dieser Bluecard sagen, dass
der Kommissionspräsident - der konservative Portugiese
Herr Barroso; er möchte gern wieder Kommissionspräsident werden - groß angekündigt hat: Die Bluecard heißt,
Europa wird attraktiver für Zuwanderer. Was sagt Ihr Innenminister im Ausschuss? Es gab da einige strittige
Punkte: Wie viel Geld wird verdient? Wie lange ist man
schon hier? Wie lange soll man bleiben? Im Grunde genommen seien diese Fragen durch die Regelung, dass
die Bluecard nur noch für ein Mitgliedsland gilt, gar
nicht mehr so wichtig, und die Bluecard werde eine Art
neues Touristenvisum, damit jemand, der eine Bluecard
in Frankreich bekommt, sich auch Neuschwanstein ansehen kann.
Da fragt man sich: Wie kommt es eigentlich, dass
eine Partei, die hier im Bundestag in der Großen Koalition angeblich durchsetzen will, einen Kommissar nach
Brüssel in die nächste Kommission zu entsenden, gegebenenfalls - zumindest Spekulationen zufolge - Herrn
Schäuble benennen möchte?
({2})
Wie kommt es, dass diese Partei mit genau dieser Person
die Kommission neu besetzen will?
({3})
Ich glaube, Herr Schäuble muss noch lernen,
({4})
dass seine sonntagspolitischen Europareden, die ich ihm
ja moralisch abnehme, wertlos sind, weil die Kommission mittwochs tagt.
Es gibt noch einen Punkt, den ich inhaltlich wichtig
finde und hier noch erwähnen möchte. Wir alle in diesem Hause wissen durch integrationspolitische Debatten, wie wichtig es ist, dass sich um eine vernünftige
Integration gekümmert wird. Wenn Sie nun sagen, dass
Sie Integrationsmaßnahmen von der klaren Aussicht auf
dauerhaften Verbleib abhängig machen wollen, dann
verfallen Sie in die Logik, dass all diejenigen, bei denen
es eine gewisse Zeit braucht, bis ihr Anspruch geprüft
wird, die vielleicht während dieser Zeit Kinder bekommen, und auch andere, die nur für eine bestimmte Zeit
hier sind und sich nicht in die Gesellschaft integrieren
und sich hier nicht bewähren können, um zu unserer Gesellschaft beizutragen, keine Integrationsmaßnahmen
bekommen sollten. Das ist eine Gastarbeiterlogik, die
ich bei Ihnen überwunden glaubte.
({5})
Fazit: Herr Sarkozy hat vor einiger Zeit, vor seiner
Wahl zum Präsidenten, gesagt, Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Banlieues - Herr Nouripour,
Herr Winkler, diese sind ein bisschen jünger und haben
noch mehr Elan - solle man „wegkärchern“.
({6})
- Wegkärchern! Das ist ein Zitat von Herrn Sarkozy.
Ich glaube, man kann eines sagen: Im Europäischen
Rat heißt der Kärcher-Hochdruckreiniger von Herrn
Sarkozy Wolfgang Schäuble. Das können Sie durch unseren Antrag ändern.
Vielen Dank.
({7})
Kollege Sarrazin hat es selber gesagt: Dies war seine
erste Rede. Er ist seit Mai dieses Jahres Mitglied des
Bundestages. Herzliche Gratulation zu Ihrer ersten Rede
und alles Gute für die weitere Arbeit.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Grindel, CDU/
CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Sarrazin, ich habe selber in Brüssel gearbeitet,
({0})
und ich kenne Wolfgang Schäuble aus vieler und unterschiedlicher Zusammenarbeit. Ich sage Ihnen nur eines:
Der Lebensleistung von Wolfgang Schäuble - nicht nur
für die deutsche Einigung, sondern auch den europäischen Vereinigungsprozess - sind Sie sowohl bei der
Wortwahl als auch bei dem, was Sie inhaltlich gesagt haben, nicht gerecht geworden. Ich finde es nicht in Ordnung, was Sie hier über Wolfgang Schäuble gesagt haben. Das möchte ich ganz klar sagen.
({1})
Wenn es übrigens um Fähigkeiten in der Kommission
geht - so viel Ausgewogenheit muss sein -, dann hat
auch ein Staatssekretär Peter Altmaier viel zu bieten.
Wir haben also eine ganze Schar von Kollegen, die wir
gern für solche Funktionen vorschlagen würden.
({2})
Ich will zunächst betonen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Verabschiedung des Europäischen
Pakts zu Einwanderung und Asyl begrüßt. Mit diesem
Pakt wird ausdrücklich ein Ende der ungesteuerten Zuwanderung nach Europa eingeleitet. Gleichzeitig - das
ist für uns wichtig - wird festgestellt, dass eben die Festlegung der Bedingungen für Asyl und Zuwanderung in
allererster Linie Sache der Mitgliedstaaten ist. Das ist
schon wegen der unterschiedlichen Lage auf den Arbeitsmärkten geboten.
Liebe Kollegen von den Grünen, wenn Sie gerade in
Zeiten der Finanzmarktkrise und einer möglicherweise
aufziehenden schwierigen wirtschaftlichen Lage eine
ungesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt organisieren wollen - das ist der Hintergrund Ihres Antrages;
Herr Ströbele sagte schon, dass Sie dies wollen -, dann
sage ich Ihnen ganz deutlich: Angesichts der Sorgen, die
viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem
Land haben, und zwar deutsche und ausländische, ist das
eine nicht ganz verantwortliche Arbeitsmarktpolitik. Das
muss ich Ihnen schon sagen.
({3})
Ich will ausdrücklich unterstreichen, woran Außenminister Steinmeier gestern in Brüssel in seiner Pressekonferenz zu Recht kritisch erinnert hat: Es geht um das
Legalisierungsprogramm in Spanien, von dem sich die
spanische Regierung heute distanziert und das sie für einen Fehler hält. Viele Hunderttausend Menschen werden
jetzt nach Mittel- und Südamerika zurückgeführt. - Wir
dagegen wollen eine klare Steuerung der Zuwanderung,
bei der es dabei bleibt, dass Arbeitslose in Deutschland,
deutsche und ausländische, grundsätzlich Vorrang vor
Arbeitskräften aus dem Ausland haben, wenn es um die
Besetzung offener Stellen geht. Das ist verantwortliche
Arbeitsmarktpolitik. Dafür werden wir uns in Europa
einsetzen.
({4})
Es kommt darauf an - Ideologen sind Menschen, die
sich auch von Tatsachen nicht beirren lassen; trotzdem
versuche ich, diese Tatsachen hier anzubringen -,
({5})
auf die Instrumente hinzuweisen, mit deren Hilfe Unternehmen in Deutschland ihren Bedarf an Arbeitskräften
unter Zuhilfenahme von Beschäftigten aus dem Ausland
decken können. Das Einzige, was wir wollen, ist, dass es
bei der Vorrangprüfung bleibt.
({6})
Wir sagen: Wenn dieser Fachkräftebedarf auch mit denjenigen gedeckt werden kann, die hier arbeitslos sind,
dann kann es nicht angehen - auch das ist ein Stück
Wahrheit -, dass wir den Unternehmen die Chance eröffnen, willige und billige Arbeitskräfte nach Deutschland
zu holen. Dann sollen sie lieber hier ausbilden, älteren
Arbeitnehmern eine Chance geben und sie auf dem heimischen Arbeitsmarkt rekrutieren.
({7})
Dann haben Sie etwas zur zirkulären Migration gesagt. Da sind Sie nicht ganz ehrlich gewesen. In Ihrem
Antrag wird deutlich, dass Sie die zirkuläre Migration
gar nicht wollen. Vielmehr schaffen Sie alle möglichen
Tatbestände, damit die Migranten am Ende doch auf
Dauer in unserem Land bleiben können. Wir verfolgen
mit dem Instrument der zirkulären Migration einen in
der Tat eher entwicklungshilfepolitischen Ansatz, nämlich dass diejenigen, die für eine Zeit zu uns kommen,
dann ihr Know-how und auch ihre Finanzen in ihrem
Heimatland einsetzen, um dort eine bessere Perspektive
zu haben und das umzusetzen, was sie hier in unserem
Land gelernt haben. Dadurch versuchen wir da, wo zirkuliert wird, den Druck zur illegalen Zuwanderung zu
nehmen.
Das ist ein richtiges Konzept. Aber das, was Sie hier
vorschlagen, nämlich eine ungesteuerte Zuwanderung,
ist die Ausländerpolitik der 70er-Jahre. Das ist multikulti. Das Scheitern kann man unweit des Reichstages
täglich begucken.
({8})
Das wollen wir nicht. Wir setzen auf konsequente Integration und auf den Versuch, illegale Zuwanderung dadurch zu bekämpfen, dass wir die Gründe und die Ursachen für die Migration im Heimatland angehen. Dieses
geschlossene Konzept bieten wir auf europäischer Ebene
an.
({9})
Es besteht deswegen, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, kein Bedarf für Integrationskonzepte auf europäischer Ebene. Integration ist wirklich Sache der Mitgliedstaaten. Ich kann nur sagen, dass wir hier mit dem
Nationalen Integrationsplan und unserer Staatsministerin
für Integration europaweit mittlerweile eine Vorbildfunktion haben. Wir haben deutlich gemacht, dass anders als für viele in der EU Integration für uns eine
Querschnittsaufgabe ist und sie nicht in irgendeinem
Fachministerium abgehandelt wird, wie das noch unter
Rot-Grün mit der Integrationsbeauftragten der Fall war.
Unsere Integrationsministerin ist bei der Regierungschefin angesiedelt. Wir verzahnen die Arbeit im Integrationsplan von Bund, Ländern und Kommunen. Das ist
genau der richtige Weg. Darauf können wir stolz sein.
Ein solches geschlossenes Konzept wie den Nationalen
Integrationsplan haben die Grünen in ihrer Regierungszeit nie hinbekommen, lieber Herr Kollege Sarrazin.
({10})
Sie fordern eine Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts und wollen, dass die Zahl der Einbürgerungen steigt. Die Einbürgerung ist für uns der Schlusspunkt eines erfolgreichen Integrationsprozesses und
keine Eintrittskarte dafür. Ich weiß nicht, was genau Sie
in diesem Zusammenhang unter „Liberalisierung“ verstehen.
({11})
Für uns, die Union, soll es dabei bleiben: Wer die deutsche Staatsbürgerschaft will, der muss die deutsche
Sprache sprechen, der muss unsere Gesetze und unsere
Werteordnung achten
({12})
und der muss wirtschaftlich und sozial integriert sein.
Daran wollen wir nicht rütteln.
({13})
Außerdem wollen wir die illegale Zuwanderung bekämpfen. Dafür brauchen wir in der Tat eine effektive
Grenzkontrolle und eine konsequente Rückführung von
Illegalen. Im Europäischen Pakt zu Einwanderung und
Asyl werden eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten mit den Herkunftsländern, Rückführungsabkommen
und so etwas wie Sammelflüge der EU erwähnt.
Ich bitte Sie, dabei eines zu bedenken: Wer sich der
Rückführungspolitik widersetzt, Herr Sarrazin, der spielt
in Wahrheit den Schleppern und Schleusern, die die
Menschen auf dem Mittelmeer und vor den Kanaren in
Lebensgefahr bringen, in die Hände.
({14})
Die Schlepper dürfen doch nicht vor Ort sagen können:
Seht her, wir haben es geschafft. Wir haben diese Menschen, obwohl sie Illegale sind, nach Europa gebracht,
und sie dürfen auf Dauer bleiben.
Wir werden diesen Verbrechern nur dann das Handwerk legen können, wenn sich in den Heimatländern der
Flüchtlinge herumspricht, dass es keinen Sinn macht,
das gesamte Geld einer Familie oder eines Dorfes
Schleppern zu überlassen. Wir müssen deutlich machen,
dass man nur auf dem Weg einer gesteuerten und legalen
Zuwanderung nach Europa kommen kann, nicht aber auf
diesem Weg, den viele Menschen leider mit viel Geld
oder sogar mit ihrem Leben bezahlen.
({15})
Die Grünen machen in ihrem Antrag eine Reihe von
Vorschlägen,
({16})
wie Illegale auf Dauer ein Aufenthaltsrecht bekommen
können. Das ist vielleicht gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Das ist ein Anreiz zum Missbrauch von Flüchtlingsrechten. Damit machen Sie sich im Grunde genommen zu Helfershelfern der Schlepper.
({17})
Wir müssen den Schleusern und Schleppern ihre Geschäftsgrundlage entziehen. Wir dürfen nicht zulassen,
dass sie den Leuten vor Ort den Eindruck vermitteln, sie
müssten lediglich bezahlen, und dann könnten sie nach
Europa kommen.
({18})
Nein, sie müssen auf legalem Wege nach Europa kommen, nicht mithilfe von Schleppern und Schleusern, um
das ganz deutlich zu sagen.
({19})
Natürlich brauchen wir auch mehr und vor allem zuverlässigere Rückübernahmeabkommen. Sie fordern in
Ihrem Antrag, solche Abkommen nicht zur Voraussetzung für die Leistung von Entwicklungshilfe zu machen.
Ich denke, dafür werden die Bürger in unserem Land
kein Verständnis haben. Natürlich brauchen wir eine
enge Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Selbstverständlich heißt das auch, dass wir unsere Entwicklungshilfeleistungen damit verknüpfen müssen. Klar ist
aber: Wir müssen auch Druck auf die Heimatländer der
Geduldeten machen können, um dafür zu sorgen, dass
sie ihren völkerrechtlichen Pflichten bei der Rückführung ihrer Staatsangehörigen nachkommen.
Insgesamt - das ist mein Schlussgedanke, Herr Präsident - haben wir mit unserem Beitrag im Rahmen des
Europäischen Pakts zu Migration und Asyl, mit unserem
Nationalen Integrationsplan und mit der Arbeit unseres
Bundesinnenministers und unserer Staatsministerin für
Integration wichtige Beiträge geleistet, damit wir in Sachen Eingliederung von Ausländern, Integration und Bekämpfung von Fluchtursachen sowohl in Deutschland
als auch in Europa ein gutes Stück vorankommen.
Herzlichen Dank.
({20})
Nächster Redner ist Kollege Hartfrid Wolff, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind sich einig, dass
der stärkere Zuzug von Fachkräften nach Deutschland
ein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hierzulande ist; denn der Einsatz jeder Fachkraft zieht weitere
Arbeitsplätze nach sich. Die FDP fordert deshalb ein
Punktesystem, das die Zuwanderung nach klaren Kriterien steuert und auch unsere Interessen und Erwartungen
an die Zuwanderer eindeutig definiert. Lieber Herr Kollege Grindel, ein Punktesystem ist High-level-Steuerung. Das, was Sie ausgeführt haben, ist Low-level; es
tut mir leid.
({0})
Es kommt vor allem auf die professionelle Qualifikation
und auf die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit der
Migranten an. Herr Grindel, Sie müssen definieren, was
Sie wollen, und dürfen nicht einfach durch die Gegend
ballern.
({1})
Wir Liberale freuen uns natürlich, wenn die Grünen
ähnliche Forderungen erheben.
({2})
Wir halten auch eine EU-weite Diskussion über die Zuwanderung von Hochqualifizierten und Fachkräften für
begrüßenswert. Die konkreten Maßnahmen dafür müssen allerdings in den Mitgliedstaaten und nicht in Brüssel erarbeitet werden, da die spezifischen Bedingungen
der Arbeitsmärkte und vor allem auch die sozialen Sicherungssysteme zu stark divergieren. Hier ist die Bundesregierung für die Steuerung des Zuzugs nach
Deutschland dringend gefordert. Sie hat bisher versäumt,
ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen. Wir sind auf
die gesteuerte Zuwanderung von Hochqualifizierten und
Fachkräften angewiesen.
({3})
Deutschland droht den Wettbewerb um die klügsten
Köpfe zu verlieren, und es wird Zeit, endlich alten ideologischen Ballast über Bord zu werfen und sich modernen Konzepten zuzuwenden.
({4})
Die FDP kann und will die Bundesregierung auch an
dieser Stelle nicht aus der Verantwortung entlassen.
({5})
Es ist natürlich nicht falsch, EU-weit bestimmte Aspekte der Einwanderungspolitik abzustimmen, lieber
Herr Nouripour. So war die Verabschiedung der Rückführungsrichtlinie eine Vorgabe, die in die richtige Richtung ging. Denn sie hat Mindeststandards in der EU eingeführt. So ist die Dauer der Abschiebehaft europaweit
endlich in allen Staaten begrenzt.
({6})
Dies ist eindeutig zu begrüßen, und es hat mich schon
gewundert, dass sich die Grünen im Europaparlament
hier verweigerten.
({7})
Dass dieses der Antrag nicht thematisiert, wundert mich
allerdings nicht.
Stattdessen redet er einer signifikanten Liberalisierung der Aufenthaltsregeln das Wort und fordert EUMittel zur Eingliederung von Migrantinnen und Migranten. Integration kann aber nicht von Brüssel aus gesteuert werden, sondern erfolgt individuell vor Ort, lieber
Kollege Sarrazin.
Deutschland ist Nettozahler in der EU. Die Grünen
verlangen mit ihrer Forderung im Ergebnis, dass der
deutsche Steuerzahler nicht nur für die Integrationskosten in Deutschland, sondern auch für die in anderen EUStaaten aufkommt.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag auch den Ausbau
der europäischen Antidiskriminierungsregeln. Schon die
existierenden sind eine unsägliche Gängelung der Bürgerinnen und Bürger.
({8})
Sie versprechen Gleichberechtigung, die rechtlich bereits besteht, und schaffen Bürokratie und Bevormundung.
({9})
Wer den Ruf Europas als bürokratisches Monster bei
den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes weiter ruinieren will,
({10})
soll nur munter weiter solche Forderungen stellen.
Der positive Duktus im Grünen-Antrag zur zirkulären
Migration hat mich allerdings überrascht und widerspricht ein bisschen dem, was der Kollege Winkler immer erzählt.
({11})
Zirkuläre Migration, wie sie von Innenminister Schäuble
propagiert wird - und sie wird bei Ihnen positiv er19728
Hartfrid Wolff ({12})
wähnt -, ist eine Fortsetzung der Gastarbeiterpolitik, die
Integration verhindert hat.
({13})
Es kommen Menschen - keine Handelsobjekte, die einfach umgetauscht werden können.
({14})
Meine Damen und Herren, in manchen Punkten haben die Grünen recht: Wir brauchen ein europäisch abgestimmtes Flüchtlings- und Asylkonzept. Wir brauchen
eine europäische Lastenteilung im Bereich der Flüchtlingsströme. Wir können Malta oder die Kanaren nicht
mit Tausenden von Migranten alleine lassen.
({15})
Es darf aber auch keine Anreizsysteme geben, die eine
weitere unkontrollierte Zuwanderung ermöglichen.
Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass kriminelle
Schleuser mit falschen Versprechungen und aus Geldgier
mit Menschen handeln und diese nach Europa locken
und billigend sogar den Tod der Verschleppten auf See in
Kauf nehmen. Wir müssen die Ursachen dieser Flüchtlingsströme wirksam bekämpfen.
({16})
Meine Damen und Herren, der Antrag erweckt auch
den Eindruck, dass bei bestimmten Vertretern der Grünen nach wie vor eine naive Freude an unkontrollierter
und ungesteuerter Zuwanderung besteht.
({17})
Wir brauchen eine Steuerung der Zuwanderung - keine
Ausweitung der Anreize und Vereinfachungen der Möglichkeiten der unkontrollierten Zuwanderung. Nur so
können wir diffuse Ängste bei den Bürgern unseres Landes abbauen.
Steuern heißt, Zuwanderung gegebenenfalls auch zu
beschränken, wenn unsere Interessenlage das gebietet.
Unsere Interessen aber zu bestimmen, das nimmt uns
niemand ab - auch Europa nicht.
Umgekehrt bedeutet Zuwanderung zu steuern aber
eben auch, Zuwanderung zuzulassen. Mit klaren Kriterien können wir die Willkommenskultur schaffen, die
wir brauchen, um Hochqualifizierte und Fachkräfte aus
dem Ausland nach Deutschland zu holen.
Eine moderne Zuwanderungssteuerung braucht keinen europäischen Wasserkopf, sondern eine klare Entscheidung der deutschen Regierung. Diese Entscheidung
ist überfällig.
Vielen Dank.
({18})
Ich erteile Kollegen Rüdiger Veit, SPD-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Der Antrag, den wir heute beraten, ist
aus der Sicht der SPD-Fraktion ganz überwiegend richtigen Inhaltes.
({0})
Dass wir ihm trotzdem nicht beipflichten werden,
({1})
hat im Wesentlichen drei Gründe. Die erste Kategorie
der Gründe ist, dass die Forderungen von Ihnen in vielerlei Hinsicht Selbstverständliches beinhalten. Die
zweite Kategorie ist, dass wir als Große Koalition, was
nicht immer selbstverständlich ist, an dem einen oder anderen Punkt vielleicht sogar bereits auf einem guten Weg
sind. Die dritte Kategorie, warum wir als Sozialdemokraten dem leider nicht beipflichten können - das ist der
eigentliche Grund -, ist, dass unser derzeitige Koalitionspartner in den Fragen, die Sie zum Teil richtigerweise auch ansprechen, nicht in Übereinstimmung mit
unseren Überzeugungen zu bringen ist.
({2})
Ich will eine koalitionsfreundliche Bemerkung an den
Anfang stellen, was aber keineswegs der Duktus meiner
gesamten Ausführungen sein wird.
({3})
Der Herr Kollege Grindel hat am Anfang gesagt, dass
wir die Lebensleistung und auch die jetzige Arbeitsleistung von Herrn Bundesminister Schäuble nicht abschätzig bewerten sollten. In dem Zusammenhang hat es mir
nicht gefallen, dass Sie, Herr Sarrazin, von „wegkärchern“ gesprochen haben.
({4})
Das findet nicht meine Billigung. Im Gegenteil: Ich
finde, dass der Kollege Grindel hier richtigerweise die
Verdienste genauso wie im Übrigen auch die potenzielle
Eignung anderer Mitglieder der Bundesregierung für
herausgehobene Funktionen nicht nur in diesem Haus
hervorgehoben hat.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPDFraktion hat eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe eingesetzt, in
der sie sich sehr ernsthaft und übrigens auch sehr lange
mit Fragen der Arbeitsmigration in Europa befasst hat.
Dabei spielte - das will ich schon jetzt einmal sagen, bevor der schriftliche Bericht vorliegt - unter anderem
auch die Bluecard eine Rolle.
Nun wissen wir alle aber, dass allein aufgrund der
Menge nicht alle Probleme der Arbeitsmigration in der
Europäischen Union durch diese Bluecard-Regelung gelöst werden. Ich darf an das erinnern, was heute überRüdiger Veit
haupt noch nicht in Rede stand und was auch nicht in Ihrem Antrag steht, dass die Große Koalition mit einem
Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz, das wir in der letzten Sitzungswoche hier in erster Lesung beraten haben,
dort nämlich schon einen deutlichen Schritt weitergeht.
Richtig bleibt, dass auch wir als Sozialdemokraten sagen, dass wir eine Zurückführung der Vorrangprüfung
auf den Arbeitsmärkten und - damit treffen wir uns ein
Stück weit auch mit den Kollegen der FDP - ein Punktesystem für eine Arbeitsmigration nach Deutschland
brauchen, mit der eben nicht nur die Hoch- und Höchstqualifizierten umfasst werden.
Ich darf daran erinnern, dass die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen das bereits
zum Gegenstand ihres Zuwanderungsrechts gemacht haben. Wir konnten dies aber leider nicht ins Gesetzblatt
schreiben, weil uns die Kolleginnen und Kollegen der
CDU und der CSU im Bundesrat einen Strich durch die
Rechnung gemacht haben.
Das Staatsbürgerschaftsrecht ist auch angesprochen
worden. Auch wir als Sozialdemokraten vertreten die
Auffassung, dass die generelle Hinnahme doppelter
Staatsbürgerschaften unserer Gesellschaft guttun würde
und dass dadurch auch ein Beitrag zur Integration derjenigen geleistet würde, die sonst sinnvollerweise eben
auch deutsche Staatsbürger sein sollten.
Ich will mich hier jetzt nicht in Einzelheiten des Tests
verlieren, der auch kritisch beleuchtet worden ist. Ich
will nur sagen: Wenn wir das kontrovers diskutieren,
dann sollten wir nicht außer Acht lassen, dass trotz der
heutigen Verwaltungspraxis, nach der die doppelte
Staatsbürgerschaft in der Regel eben nicht hingenommen wird, rund die Hälfte aller Einbürgerungen unter
ausdrücklicher Hinnahme doppelter Staatsbürgerschaften rechtskonform erfolgt. Ich habe auch noch nicht vernommen, dass das irgendwo von großen Problemen begleitet worden ist.
Nächstes Stichwort ist das Kommunalwahlrecht. Wir
haben eine Anhörung dazu durchgeführt. Wenn ich das
richtig sehe, dann sind die Positionen danach leider unverändert geblieben.
({6})
Die Union hat sich durch die von ihr geladenen Sachverständigen bestätigt gefühlt. Alle anderen Sachverständigen - fünf an der Zahl - waren übereinstimmend mit uns
der Auffassung, dass das Kommunalwahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Nicht-EUStaaten sehr wohl auch infrage kommen könnte.
Nächster Punkt: Bootsflüchtlinge. Bei einer Delegationsreise des Innenausschusses - unter anderem nach
Lampedusa - haben wir als Delegationsteilnehmer den
Eindruck gewonnen, dass zumindest die italienischen
Behörden, die dort auf dem Mittelmeer und, wie uns gesagt wurde, bis weit unterhalb der libyschen Küste tätig
sind, in der Tat streng nach Gesetz, Recht und auch Völkerrecht verfahren und in erster Linie Menschen aus
Seenot retten, die dann in der Lage sind, gegebenenfalls
ihr Flüchtlingsschicksal auf dem Gebiet der EU geltend
zu machen und damit in ein ordnungsgemäßes Verfahren
einzumünden. Wir wissen aber von der Delegationsreise
an die westafrikanische Küste, dass das dort keineswegs
eine gängige Praxis - etwa von FRONTEX - ist; vielmehr
soll dort eingerissen sein - um es einmal so auszudrücken -, dass in Amts- und Rechtshilfe der westafrikanischen Staaten FRONTEX-Einheiten - also vorzugsweise
Boote - Flüchtlinge statt auf die Kanarischen Inseln unmittelbar nach Westafrika zurückbringen, wo sie nicht in
der Lage sind, ihr Flüchtlingsschicksal nach Menschenrechtsstandards, die wir für richtig erachten, geltend zu
machen. Das muss von uns kritisch beobachtet und nach
meinem Dafürhalten auch abgestellt werden.
Auch der nächste Punkt Dublin II wurde bereits angesprochen. Wir wissen - dabei sind wir auf gutem Weg
bzw. mit der Bundesregierung im Gespräch -, dass es
eine Reihe von europäischen Staaten gibt, die bedauerlicherweise sowohl die Verfahren auf Zuerkennung von
Asyl- oder Flüchtlingseigenschaft als auch die Unterbringung der Asylbewerber und Flüchtlinge leider Gottes unter Umständen durchführen, die nicht unseren
Standards entsprechen und nicht unsere Billigung finden. Dazu gehört, wie wir wissen, leider auch Griechenland. Deswegen sind wir froh darüber, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass
auch Griechenland an seine Verpflichtungen aufgrund
der Menschenrechte und der Flüchtlingskonvention erinnert wird und diese Zustände abgestellt werden.
Bis dahin muss die Bundesrepublik in der Tat auch
und gerade bei Kindern und Jugendlichen prüfen, inwieweit sie durch ihr sogenanntes Selbsteintrittsrecht dafür
sorgt, dass die Betreffenden hier ihren Antrag stellen
können und dass hier über die Anerkennung entschieden
werden kann.
({7})
Ich komme zum nächsten Punkt, der in Ihrem Antrag
angesprochen worden ist. Auch wir Sozialdemokraten
treten dafür ein, nach Maßgaben in Zusammenarbeit mit
dem UNHCR auch in der Bundesrepublik zu einem Resettlement-Programm zu kommen. Wir erachten im Einvernehmen mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der
CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich die Bemühungen des
Bundesinnenministers, besonders schutzwürdige Flüchtlinge, die beispielsweise aus dem Irak geflohen sind,
nach Deutschland oder Europa zu bringen, für richtig
und gut und unterstützen sie. Wir meinen aber, dass es
nicht nur darum geht, den Irak von Christen zu entvölkern. Wir müssen uns vorzugsweise um die Flüchtlinge
kümmern, die jetzt in Jordanien und Syrien eine vorläufige Zuflucht gefunden haben und in besonderer Weise
schutzbedürftig sind. Das sind vielleicht auch Angehörige anderer religiöser Minderheiten oder auch Kinder,
Kranke und alte Menschen, die niemals in den Irak zurückkehren können. Schätzungen des UNHCR zufolge
geht es um 60 000 Menschen weltweit, die aus diesen
beiden besonders belasteten Nachbarländern aufzunehmen sind.
Berlin hat eine Initiative ergriffen und angeboten,
300 Personen von dort aufzunehmen. Wir unterstützen
das und hoffen, dass Bundesinnenminister Schäuble auf
europäischer Ebene damit erfolgreich ist, die Aufnahme
von Flüchtlingen im europäischen Kontext zu veranlassen.
({8})
Sie wenden sich in Ihrem Antrag sehr kritisch gegen
die Rückführungsrichtlinie. Ich teile einen Großteil der
Kritik. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage,
dass es auch innerhalb der SPD-Fraktion in Berlin, aber
auch in der Fraktion der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Brüssel ein sehr schwieriger Abwägungsprozess war, ob man dieser Rückführungsrichtlinie
zustimmen sollte. Denn sie führt verglichen mit den
Standards, die wir kennen, eher zu einer Bewegung am
untersten Rand. Sie bringt jedenfalls nicht deutlich mehr.
Aber wenn wir in Berlin wie auch die Kollegen in
Brüssel nach einer sehr grenzwertigen Überlegung zu
der Überzeugung kommen, dass eine Rückführungsrichtlinie mit problematischen Standards immer noch
besser ist als keine Richtlinie, dann ist das im Ergebnis
richtig. Denn wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es
in der EU beispielsweise auch Staaten gibt, in denen es
keine Beschränkung der Dauer der Abschiebehaft gibt.
Andere Staaten kennen das Institut praktisch nicht oder
sehen eine Abschiebehaftdauer von maximal zwei Monaten vor wie Italien. Gleichwohl ist es nach unserer
Überzeugung eine Verbesserung, zu Mindeststandards in
der gesamten EU zu kommen, was uns aber nicht daran
hindern sollte, auf nationaler Ebene bessere Maßnahmen
durchzusetzen.
Ich möchte zwei weitere Stichworte ansprechen. Damit komme ich zum Schluss. In der Frage der Übermittlungspflichten an Ausländerbehörden bezüglich des illegalen Aufenthaltes sind wir uns, glaube ich, einig. Wir
haben uns jedenfalls im Berichterstattergespräch verpflichtet, jeweils mögliche politische Partner auf der
Länderebene anzusprechen und auf eine Reform der
Übermittlungspflichten hinzuarbeiten. Der Prozess ist
noch im Gang.
Zum Schluss. Was den Spracherwerb derjenigen im
Herkunftsland angeht, die ihre ausländischen Ehepartner
nach Deutschland holen wollen, gibt es einen Dissens
mit der Union. Diesen können wir nicht überbrücken.
Während wir sagen, dass es angesichts der Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Metock und
andere nicht zu einer Inländerdiskriminierung kommen
darf - ich kann das aus Zeitgründen nicht weiter ausführen -, sagt die Union: Wir sind eher bereit, die Richtlinie
zur Familienzusammenführung auf europäischer Ebene
zu ändern, damit diese Rechtsprechung des EuGH keinen Bestand hat. Das ist ein Problem. Darin unterscheiden wir uns. Das legen wir offen.
Weil wir in einigen von mir genannten Punkten mit
dem jetzigen Koalitionspartner nicht übereinstimmen,
können wir dem - ich wiederhole mich gerne - überwiegend richtigen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht
zustimmen.
Danke sehr.
({9})
Als letzter Rednerin in dieser Debatte gebe ich der
Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Antrag der Grünen trägt den Titel „Für eine
zukunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte Europäische Migrationspolitik“. Heribert Prantl hat in der
Süddeutschen Zeitung vom 2. Oktober 2007 die „Heuchelei der europäischen Flüchtlingspolitik“ entlarvt, als
er Folgendes schrieb:
Erst macht der Westen die Wirtschaft der Entwicklungsländer kaputt, und wenn die Menschen dann,
weil sie nicht verrecken wollen, aus ihrer trostlosen
Heimat fliehen und sich an die Küsten Europas
durchschlagen, verhöhnt man sie dort als Wirtschaftsflüchtlinge und behandelt sie wie Verbrecher. Verantwortung wird von der EU-Politik an
den Außengrenzen Europas abenteuerlich falsch
übersetzt - in mehr Patrouillenboote, in mehr
Grenzschutztechnik. Das ist sündhafte und gemeingefährliche Politik.
Ich finde, Heribert Prantl hat recht: Die europäische
Migrationspolitik ist geprägt von menschenrechtswidriger Gewalt, selektiver Durchlässigkeit und militärischer
Abschottung. Der gestern auf dem EU-Gipfel beschlossene Europäische Pakt zu Einwanderung und Asyl ist da
keine Ausnahme. Mit ihm wird der Spielraum für Migrationskontrolle, Abschottung und Abschiebung maßgeblich erweitert. Er bietet im konkreten Fall mehr Raum
für Willkür. Zentrales Element ist die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX; darauf hat mein Kollege Sarrazin
bereits hingewiesen. Menschen werden auf hoher See
aufgespürt und nach Afrika zurückverbracht, bevor sie
europäischen Boden überhaupt erreichen können. Das
heißt, Menschen wird ihr Recht verwehrt, in Europa einen Antrag auf Asyl zu stellen. Etwa 6 000 Menschen
starben allein auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln.
In dem Wissen, dass Migration auch durch immer höhere Zäune nicht zu stoppen sein wird, wird die Strategie
dieser europäischen Migrationspolitik, die sehr stark von
Deutschland dominiert wird, zunehmend erweitert. Nur
wer als Land bei Abschiebungen oder der Verhinderung
der Flucht in die EU kooperiert, darf im Gegenzug vielleicht ein paar wenige Staatsangehörige temporär oder
zirkulär schicken. Die Perfidität dieser Politik versteckt
sich auch hinter dem Schäuble/Sarkozy-Papier zur zirkulären Migration. Herr Grindel, Sie haben gesagt, dass
mit der zirkulären Migration die Ursachen für Migration
in den Heimatländern bekämpft werden sollen und dass
die Menschen wieder zurückgeschickt werden sollen,
damit sie ihren Heimatländern helfen. Das ist kompletter
Unfug. So soll es darum gehen - ich zitiere -, „eine Politik der Arbeitsmigration, die allen Arbeitsmarkterfordernissen der Mitgliedstaaten Rechnung trägt“, zu verwirklichen. Die EU will „die Attraktivität der Europäischen
Union für hochqualifizierte Arbeitnehmer“ erhöhen.
In puncto Integrationspolitik setzt man zwar auf Förderung. Aber die Pflichten der Migranten stehen noch
immer im Vordergrund. Sie, Herr Grindel, beklagen
zwar, dass die Wirtschaft Fachkräfte will, aber keine
ausbildet. Aber eines wird überhaupt nicht erwähnt:
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in
Nürnberg hat deutlich gemacht, wie miserabel die Situation der Migrantinnen und Migranten auf dem Arbeitsmarkt - auch in Deutschland - ist. Sie werden trotz guter
Bildungsabschlüsse benachteiligt. Anstatt hier davon zu
schwätzen, dass die Menschen in einer schlechten Lage
sind, sollten Sie sich dafür einsetzen, dass diesem Missstand endlich abgeholfen wird.
Die Linke jedenfalls lehnt diese neue Gastarbeiterpolitik, die jetzt unter deutsch-europäischer Flagge europaweit etabliert wird, ab; denn in 20 Jahren wird man sich
wieder hier treffen und Krokodilstränen darüber vergießen, dass man Arbeitskräfte rief, aber Menschen gekommen sind. Wir setzen auf den Schutz von Menschen in
Not und auf die Etablierung einer sozialen Integrationspolitik sowohl in den Mitgliedstaaten als auch auf der
europäischen Ebene.
Wie verkommen diese Art der EU-Politik ist, erkennt
man ebenfalls daran, dass der Pakt auch geopolitisch in
die Offensive geht. Mit den Erprobungen von Partnerschaften für eine temporäre Migration mit Kap Verde,
Moldawien und bald auch mit Senegal und Georgien soll
der Einfluss der Europäischen Union in diesen Gebieten
massiv ausgedehnt werden. Zudem geht es auch um eine
weitere Verlagerung der Abwehr von Migranten und
Flüchtlingen in deren Herkunftsländer. Dafür sollen Migrations- und Entwicklungspolitik besser integriert werden, sprich: Über den Hebel der Entwicklungspolitik
sollen Staaten außerhalb der EU für diese Abschottungsund Auslesepolitik der EU dienstbar gemacht werden.
Ich finde, das ist nichts anderes als Neokolonialismus.
Dass diese Maßnahmen manchmal von Sozialdemokraten unter dem Zeichen der Menschenfreundlichkeit befürwortet werden, wie zum Beispiel gestern von Außenminister Steinmeier in Brüssel, finde ich geradezu
zynisch.
In dem Antrag der Grünen befinden sich vor dem
Hintergrund der europäischen Migrationspolitik, die ich
ganz kurz aus unserer Sicht zu beschreiben versucht
habe, viele Punkte, die wir teilen; andere wiederum teilen wir nicht. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir
eine interessante Diskussion in den Ausschüssen haben
werden.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10341 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - der Europaausschuss
soll federführend sein - abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD - der Innenausschuss soll federführend sein - abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist
mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 4. November 2008, 14.30 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.