Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/15/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Ich weise darauf hin, dass die Fraktionen übereingekommen sind, die heutige Tagesordnung um die Abgabe einer Erklärung durch die Bundeskanzlerin sowie um die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurfs zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes zu erweitern. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann verfahren wir so. Ich rufe die soeben aufgesetzten Zusatzpunkte 1 und 2 auf: ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes ({0}) - Drucksache 16/10600 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({1}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. ({2})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Weltwirtschaft erlebt in diesen Wochen ihre schwerste Bewährungsprobe seit den 20erJahren des letzten Jahrhunderts. Letzte Woche waren Schlüsselmärkte unseres Wirtschaftssystems, die Geldmärkte, praktisch funktionsunfähig. Immer weitere Märkte drohten infiziert zu werden. Der Kurssturz an den weltweiten Aktienmärkten hätte eine verhängnisvolle Spirale in Gang setzen können. Letzte Woche habe ich an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass niemand von uns die weitere Entwicklung absehen kann. Es hat sich dann gezeigt, dass das vor allem dringend notwendige Vertrauen zwischen den Finanzmarktteilnehmern, das die Geschäftsbasis der Finanzmärkte ist, noch weiter erodierte. Kaum ein Institut war noch bereit, einem anderen Geld zu verleihen. Die Folge war, dass selbst solide Banken in Gefahr gerieten, ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen zu können. Das gegenseitige Misstrauen hat die Akteure auf den Finanzmärkten fast vollständig gelähmt, mit unabsehbaren Folgen für Wachstum und Arbeitsplätze. In dieser Situation musste die internationale Gemeinschaft unverzüglich und entschlossen handeln. Und sie hat gehandelt - entschlossen und, was ganz wichtig war, in weiten Teilen auch zeitgleich: vorneweg mit dem G-7Treffen der Finanzminister in Washington, dann mit dem Gipfel der Euro-Gruppe am letzten Wochenende, schließlich national. Vorgestern haben mehrere Regierungen umfassende und abgestimmte Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht. Auch Deutschland hat gehandelt. Wir haben es uns mit den notwendigen Entscheidungen wahrlich nicht leicht gemacht; denn wir alle wissen um die Tragweite dieser Entscheidungen. Aber es war unsere Pflicht, innerhalb kürzester Zeit ein Maßnahmenpaket in bisher nicht dagewesener Größenordnung auf den Weg zu bringen, und das, wie gesagt, binnen weniger Tage. Es hat sich etwas gezeigt, was selten vorkommt: Der Staat war und ist die einzige Instanz, um das Vertrauen zwischen den Banken wiederherzustellen, und zwar zum Schutz der Bürger und nicht zum Schutz von Bankinteressen. ({0}) Wir kommen damit unserer Pflicht nach, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und seinen Nutzen zu Redetext mehren. Ich weiß: Noch nie wurde ein so umfangreiches Gesetzesvorhaben mit einem so ehrgeizigen gesetzgeberischen Zeitplan auf den Weg gebracht. Ich bin mir bewusst, dass dies allen Beteiligten sehr viel abverlangt. In diesem Bewusstsein danke ich Ihnen allen: den Mitgliedern der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesfinanzminister, den Fraktionen und dem Bundesrat. Ich danke für die Bereitschaft, sich im Interesse unseres Landes auf diesen Zeitplan einzustellen. ({1}) Wir zeigen damit, dass die Politik ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes gerecht wird. Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes vor. Sagen wir es den Bürgern in einfacheren Worten: Ihnen liegt der erste Baustein für eine neue Finanzmarktverfassung vor. ({2}) Damit wollen wir erreichen, dass neues Vertrauen entsteht: Vertrauen zwischen den Banken, Vertrauen in der Wirtschaft, Vertrauen der Bürger. ({3}) Dazu ist es erforderlich, die Refinanzierung der Finanzinstitute zu sichern sowie die Beschaffung von Kapital und die Veräußerung von Risikopositionen zu ermöglichen. Darüber hinaus wird die Europäische Kommission wahrscheinlich schon heute durch eine Anpassung der Bilanzierungsregeln für gleiche Wettbewerbsbedingungen mit unseren internationalen Partnern sorgen. Wir haben über dieses Thema in den vergangenen Tagen viel gesprochen. Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, dass diese Maßnahmen so getroffen werden, dass die Abschlüsse des dritten Quartals bereits nach den neuen Bilanzierungsrichtlinien erfolgen können. Das ist wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland. ({4}) Unser Gesetzentwurf sieht vor, den Finanzinstituten gegen eine Gebühr Garantien bis zur Höhe von 400 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Die Bereitstellung von Garantien des Bundes ist eine vertrauensbildende Maßnahme, die die Finanzierungskreisläufe und damit auch die Kreditvergabe an Unternehmen stabilisieren soll. Letztlich heißt das nichts anderes, als dass der Bund wie eine Versicherung gegen eine Gebühr für bestimmte Zahlungsverpflichtungen der Finanzinstitute eintritt. Damit soll erreicht werden, dass wieder gehandelt werden kann und Refinanzierungen erfolgen können. Der Garantierahmen führt - dies will ich hier noch einmal ausdrücklich sagen - natürlich nicht automatisch zu entsprechenden Ausgaben des Bundes. Für die Absicherung der Risiken dieses Garantierahmens sollen 20 Milliarden Euro, also 5 Prozent der Garantiesumme, vorsorglich als Kreditermächtigung in den Haushalt eingestellt werden. Der zweite Schwerpunkt unseres Maßnahmenpakets betrifft die Beschaffung von Kapital für die Finanzinstitute. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, vorübergehend Kapitalhilfen in Anspruch zu nehmen. Diese Hilfen wird es allerdings nur geben, wenn die Banken zu ihrer Verantwortung stehen und sich an bestimmte Regeln halten. Das heißt ganz konkret: Auflagen zur Begrenzung der Managergehälter und der Bonuszahlungen, Auflagen hinsichtlich der geschäftspolitischen Ausrichtung des Instituts, Auflagen hinsichtlich der Kreditvergabe, insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen, und natürlich Teilhabe des Bundes an den Erträgen der Finanzinstitute. ({5}) Das heißt also mit einem Wort: Keine Leistung ohne Gegenleistung. ({6}) Als weiteren Punkt sieht der Gesetzentwurf vor, dass der Staat erforderlichenfalls den Finanzunternehmen risikoreiche Vermögenswerte abkaufen kann. Die Erlöse aus einem späteren Verkauf kommen natürlich dem Steuerzahler zugute. Von diesem Instrument wollen wir allerdings möglichst sparsam Gebrauch machen, weil es sicherlich zu den am schwersten durchsetzbaren gehört. Für den genannten staatlichen Kapitalhilferahmen und für den Ankauf von Problemaktiva sollen insgesamt maximal 80 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das heißt, einschließlich der genannten 20 Milliarden Euro zur Risikoabsicherung des Garantierahmens kommen wir auf 100 Milliarden Euro als Kreditermächtigung im Haushalt. Meine Damen und Herren, für uns alle sind diese Zahlen unglaubliche Beträge. Deshalb will ich wiederholen: Uns fallen diese Entscheidungen nicht leicht. Wir machen das alles nicht einfach, um einzelnen Finanzinstituten zu helfen. Wir machen das zum Schutz unserer Wirtschaft und zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. ({7}) Das Finanzsystem hat eine unabdingbare Scharnierfunktion für das Funktionieren der gesamten Volkswirtschaft und damit für Wachstum und Beschäftigung. Die Bürger und Unternehmen unseres Landes verlassen sich auf ein intaktes Finanzsystem, das den Zugang zu Krediten gewährleistet und es den Bürgern ermöglicht, sicher und mit Gewinn zu sparen. Dem Schutz dieses Systems dient unser Gesetzentwurf. Mehr noch: Er dient der Allgemeinheit, er dient dem Gemeinwohl. Eine neue Finanzmarktverfassung verdient diesen Namen allerdings erst, wenn über den ersten Schritt der Sofortmaßnahmen hinaus ein zweiter Baustein folgt, ({8}) und zwar die Veränderung der internationalen Regeln des Finanzmarktes. Wir müssen den internationalen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte neu gestalten, um derartige entfesselte Entwicklungen in der Zukunft zu vermeiden. ({9}) Die Bundesregierung und ich ganz persönlich werden sich auf internationaler Ebene weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass nun die Lehren aus den jüngsten Ereignissen gezogen werden. ({10}) Es hat keinen Sinn, zurückzublicken und über verpasste Chancen zu sprechen; wir alle wissen, dass schon viel zu viel Zeit ungenutzt verstrichen ist. Jetzt zählt nur noch der Blick nach vorne. Zu diesem zweiten Baustein einer neuen Finanzmarktverfassung gehören nach meiner Auffassung eine Stärkung der Rolle des Internationalen Währungsfonds bei der Überwachung der Finanzinstitutionen, eine Verbesserung der Arbeit der Ratingagenturen, mehr Absicherung von Risikoprodukten der Finanzwirtschaft durch Risikounterlegung und mehr Transparenz bei den gehandelten Produkten. All dies werden Themen der nächsten internationalen Konferenzen sein - für Herrn Steinbrück waren es auf den internationalen Konferenzen der Finanzminister bereits Themen -, bis hin zu einem G-8-Treffen mit den Schwellenländern auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs noch in diesem Jahr. Zur Vorbereitung dieses Treffens werden der Finanzminister und ich eine Expertengruppe einberufen, die parallel dazu Vorschläge für diesen zweiten Baustein macht, damit wir auch mit Expertenwissen ausgestattet in diese Beratungen gehen. Ich habe Professor Tietmeyer gebeten, diese Expertengruppe zu führen. ({11}) Er verfügt über erhebliche Erfahrungen, ({12}) insbesondere bei den Verhandlungen zu Basel II. Wenn Basel II bereits heute weltweit in Kraft wäre bzw. wenn Basel II ein paar Jahre früher in Kraft getreten wäre, dann wären Schattenbilanzen, wie sie zum Beispiel bei der IKB bestanden, nicht möglich gewesen. Wir müssen auf diejenigen zurückgreifen, die hier Erfahrungen haben. ({13}) Ich sage ausdrücklich: Ich erwarte von der Kreditwirtschaft, dass sie sich an diesen Arbeiten konstruktiv und vor allen Dingen auch selbstkritisch beteiligt. Das muss von dieser Branche erwartet werden. ({14}) Ich wiederhole meine Ankündigung von letzter Woche, dass wir bis Jahresende ebenfalls Änderungen bei der Finanzmarktaufsicht vorlegen wollen, die die Effizienz der Finanzmarktaufsicht, nicht nur in Krisenzeiten, verbessern. Lassen Sie mich deutlich sagen, dass die Gefahr für die Finanzmarktstabilität noch nicht gebannt ist. Wir müssen aber schnellstmöglich durch die Verabschiedung dieses Gesetzes die Grundlage dafür schaffen, dass sich die Lage auf den Märkten beruhigt. Dies ist entscheidend für Wachstum und Beschäftigung. Dennoch müssen wir damit rechnen, dass sich das Wachstum in Deutschland abschwächen wird. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht zu einem dauerhaften Konjunktureinbruch kommen wird. Aber die Maßnahmen, die wir getroffen haben, sind bitter nötig, wie die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die Senkung der Lohnzusatzkosten, die Unternehmensteuerreform, die Rente mit 67. Sie haben die mittelfristigen Wachstumsperspektiven für unser Land gestärkt. Zudem sind deutsche Unternehmen heute aufgrund von Umstrukturierung und Erhöhung ihrer Eigenkapitalquote krisenfester als noch vor einigen Jahren. Das alles zeigt: Deutschland ist stark. Allerdings wird auch Deutschland durch eine schwierigere Periode gehen. Meine Damen und Herren, ich habe es in diesen Tagen mehrmals gesagt, und ich wiederhole es heute hier noch einmal: Wir haben es mit Exzessen der Märkte zu tun. Aufgabe des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft ist Kontrolle. Der Staat ist Hüter der Ordnung. ({15}) Wir beschließen umfassende, weitreichende und einschneidende Maßnahmen. Wir greifen hart durch, damit sich das, was wir jetzt erlebt haben, nicht wiederholt. Damit schaffen wir Strukturen für eine menschliche Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. In diesem Sinne bitte ich Sie um konstruktive Beratungen in den Ausschüssen und um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, weil er Deutschland dient. Herzlichen Dank. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor wir jetzt in die Aussprache eintreten, möchte ich zu dem außergewöhnlichen Beratungsgegenstand und dem zweifellos etwas ungewöhnlich schnellen Beratungsverfahren drei knappe Bemerkungen machen, um die mich auch zahlreiche Kollegen ausdrücklich gebeten haben. Ganz sicher werde ich diese Anmerkungen auch im Namen der allermeisten Mitglieder des Hauses machen können. Erstens möchte ich mich bei allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesregierung, der Bundesbank und der anderen Behörden für die impo19352 Präsident Dr. Norbert Lammert sante Arbeitsleistung bedanken, innerhalb weniger Tage dieses komplizierte Werk von Maßnahmen zur Stützung der Finanzmärkte erstens zu entwickeln, zweitens international abzustimmen und drittens dem Deutschen Bundestag als Gesetzentwurf vorzulegen. Das verdient hohen Respekt und hohe Anerkennung. ({0}) Zweitens. Dieses Programm hat eine außerordentliche und beispiellose Größenordnung. Es ist insgesamt beinahe doppelt so umfangreich wie der jährliche Bundeshaushalt. Dadurch wird auch das Parlament wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung in der Sache wie auch im Verfahren vor besondere Herausforderungen gestellt. Ich möchte mich bei allen Mitgliedern des Hauses, insbesondere bei den Fraktionsführungen, herzlich dafür bedanken, dass sie unbeschadet ihrer unterschiedlichen Rollen in Koalition und Opposition ihre Bereitschaft erklärt haben, unter Verzicht auf übliche Fristen die schnellstmögliche Beratung und Entscheidung über dieses Gesetzespaket zu ermöglichen. Dies ist nicht nur ein eindrucksvoller Beleg für die Handlungsfähigkeit unserer Verfassungsorgane, dies ist auch ein eindrucksvoller Beleg für die oft beschworene Solidarität der Demokraten, die das Vertrauen verdienen und neu begründen, das an anderer Stelle verloren gegangen ist. ({1}) Drittens. Der Bundestag wird der Bundesregierung mit dieser Gesetzgebung einen weitreichenden Handlungsrahmen für notwendige Stützungsaktionen erteilen, er wird aber seine originären Haushalts- und Kontrollrechte nicht abtreten oder aufgeben. ({2}) Durch die zeitliche Befristung der möglichen finanzwirksamen Maßnahmen und den ausdrücklichen Verzicht auf Rechtsansprüche zugunsten von Einzelfallprüfungen nach pflichtgemäßem Ermessen wird der Bundestag in die Lage versetzt und muss der Bundestag in der Lage bleiben, die Umsetzung und Abwicklung der vorgesehenen Maßnahmen regelmäßig und zeitnah zu begleiten. Damit kommen Parlament wie Regierung ihren unterschiedlichen Rollen bei der Bewältigung einer großen gemeinsamen Aufgabe nach. ({3}) Erster Redner in der Aussprache ist der Kollege Dr. Westerwelle für die FDP-Fraktion. ({4})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich beim Herrn Bundestagspräsidenten für diese - wie ich finde - notwendige und wichtige Erklärung gleich zu Beginn unserer Aussprache ausdrücklich bedanken. Ich möchte für die FDP-Fraktion festhalten, dass wir nicht aufhören, Parlamentarier zu sein, nur weil wir jetzt - ich vermute, das geht allen Kolleginnen und Kollegen so - im Interesse unseres Landes aus patriotischer Verantwortung heraus darauf drängen, schnell zu beraten und zu entscheiden. Es kann nicht gelten: Je größer die Summe ist, desto geringer ist die parlamentarische Kontrolle. Umgekehrt ist es richtig. ({0}) Deswegen will ich - ich vermute, das wird vielen Kolleginnen und Kollegen, ob sie in der Opposition oder in den Regierungsfraktionen sind, so gehen - klarmachen: Weil schnelles Handeln nötig ist, haben wir einer schnellen parlamentarischen Beratung zugestimmt. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir jedes Detail, jedes Instrument, jede Maßnahme dieses Gesetzes, vor allem die im Verordnungswege, am Schluss auch unterstützen. Wir haben erhebliche Fragen. Die sind nicht aus der Welt, nur weil wir bereit sind, unter Verzicht auf unsere Fristeinreden in dieser Woche dafür zu sorgen, dass schnell entschieden werden kann. ({1}) Ich möchte für meine Fraktion zu Protokoll geben, dass mit der konstruktiven Begleitung dieses Hilfspakets ausdrücklich keine Zustimmung zu allem verbunden ist. Wir haben, wie gesagt, Fragen: Warum ist der Bundesregierung so wenig an parlamentarischer Begleitung gelegen? Warum sollen die Not-Verordnungen vollständig am Parlament vorbeigehen? Wäre es nicht klug, wenigstens für die Kabinettsverordnungen eine Abstimmungspflicht mit unserem Haushalts- oder Finanzausschuss vorzusehen? ({2}) Warum sollen einige Regelungen, beispielsweise die zum Insolvenzrecht - das ist bisher in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt geworden, weil wir über die finanzwirksamen Sachen natürlich an erster Stelle sprechen -, zeitlich unbefristet gelten? So sieht es der erste Entwurf jedenfalls vor. Ich höre - ich will dem nicht vorgreifen -, dass Sie in den Regierungsfraktionen Ähnliches angemerkt haben. Ich denke, das wird heute in den Ausschussberatungen noch zu lösen sein. Warum soll die Kontrolle des Bundesrechnungshofs in weiten Teilen ausgeschlossen sein? Wie geht der Staat aus den Banken wieder heraus? Also: Was ist eigentlich unsere Rückzugsstrategie? ({3}) Auch das muss beantwortet werden. Meine Damen und Herren, es ist schon eine erhebliche Frage: Wie kann die Bundesregierung davon ausgehen, dass dieses Gesetz keinen spürbaren Zinseffekt haben wird und sich nach ihren eigenen Angaben nicht auf die Verbraucherpreise auswirken wird? Ich sage nur eines: Es kann nicht vernünftig sein, dass sich durch eine solche Haushaltsgesetzgebung und durch solche Summen der Wert unseres Geldes plötzlich verringert. Es gilt der Satz: Inflation ist etwas, was im Interesse gerade der sozial Schwächsten unbedingt vermieden werden muss. ({4}) Wenn wir über solche Summen reden, dann muss das angesprochen werden. - Ich vermute, dass es unstreitig ist. Ich sage es hier aus unserer Sicht. Aber da wir als Parlamentarier gegenüber der Regierung gefragt sind, möchte ich sagen: Es geht nicht um eine Selbstbeschäftigung des Parlaments, sondern es geht um ein Grundprinzip unserer Gewaltenteilung: Die Regierung regiert, aber die Treuhänder der Steuergelder sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Wir können Ihnen hier keinen Blankoscheck ausstellen. Das müssen Sie wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Sie haben Ihr Krisenmanagement geschildert. Ich will die Debatte heute nicht nutzen, um mich mit Ihrem Krisenmanagement auseinanderzusetzen. Das ist jetzt nicht die Stunde dafür. Ich glaube allerdings, dass Sie dabei nicht so positiv wegkommen, wie Sie dies selber in Bezug auf Ihre eigene Arbeit meinen. Ich habe doch den Eindruck, dass bei Ihrem Handeln in den letzten Wochen sehr viel Versuch und Irrtum dabei gewesen sind. Aber wir wollen über das reden, was jetzt schnell notwendig ist. Notwendig ist - das ist etwas, Frau Bundeskanzlerin, was Sie in der Regierungserklärung der letzten Woche schon einmal gesagt haben und was ich noch einmal unterstreichen möchte - eine Neuregelung der Bankenaufsicht. Es ist aus unserer Sicht schlechterdings inakzeptabel, dass wir eine Bankenaufsicht haben, die so untergliedert ist, dass sie sich gegenseitig eher behindert, anstatt dass sie die Banken effizient begleitet. ({6}) Wir wollen, dass die Bankenaufsicht unter eine staatliche Verantwortung kommt. Wir unterstützen Sie, wenn Sie in Europa und international ähnliche Aufsichts- und Verkehrsregeln durchsetzen wollen; das ist gar keine Frage. Wir wollen und müssen über die Ratingagenturen reden; das ist, glaube ich, in den letzten Wochen und Monaten viel zu kurz gekommen. Damit, dass die Ratingagenturen gewissermaßen aus eigener, innerer Erkenntnis heraus - mit gelegentlichen Interessenkollisionen mit dem Daumen nach oben oder nach unten zeigen und darüber entscheiden, was sein wird, obwohl es gelegentlich an Unabhängigkeit fehlt, müssen wir uns befassen. Ich wiederhole den Vorschlag der FDP-Fraktion, ob wir für Ratingagenturen nicht eine europäische Stiftung brauchen, wie wir sie beim Verbraucherschutz bereits haben: Warentest auch für Ratingagenturen und Bewertungen von Firmen. Ich glaube, mehr Unabhängigkeit wird richtig sein. ({7}) Herr Finanzminister, Sie haben Wert darauf gelegt, dass die Bilanzierungsregeln verändert werden; das wurde noch nicht angesprochen. Es ist gut und richtig, dass das mutmaßlich noch im dritten Quartal gelingen kann. Das ist von ganz herausragender Bedeutung. Das ist nicht nur Technik für Feinschmecker, sondern ganz erheblich für die Realwirtschaft in den nächsten Monaten. ({8}) Zudem ist erforderlich, dass die internationalen Standards verändert werden. Auch hier wollen wir Sie konstruktiv begleiten. Ich will noch auf etwas anderes in dieser Situation eingehen, weil ich glaube, dass es notwendig ist. Mit zwei Dingen werden wir uns nicht nur heute, sondern in den nächsten Monaten definitiv befassen müssen. Dazu haben Sie nichts gesagt; vielleicht wird es der Finanzminister noch tun. Erstens: Was bedeutet das, was Sie uns vorlegen, für den Bundeshaushalt? Was bedeutet das für das Ziel der Konsolidierung der Staatsfinanzen? Alles, was über den Abbau der Schulden, die zulasten der nächsten jungen Generationen gehen, gesagt worden ist, wird mit dem heutigen Tag aus Sicht der FDP nicht ungültig. ({9}) Es bleibt notwendig, damit verantwortungsvoll umzugehen. Unsere Sorge ist, dass jetzt ein Damm bricht, nach dem Motto: Wenn man nun mit solchen riesigen Summen mal eben jongliert, dann kann man die eine oder andere Milliarde für diese oder jene Wohltat nicht ernsthaft verweigern. Wir sollten weiterhin an die nächste Generation denken. Heute darf nicht die Stunde sein, in der solide Staatsfinanzen zulasten der nächsten Generationen zu Grabe getragen werden. ({10}) Ich unterstütze nachdrücklich, was Kollege Kauder in dieser Woche dazu mehrfach gesagt hat. Zweitens: Was bedeutet das für die Realwirtschaft? Auch das muss an dieser Stelle ausdrücklich angesprochen werden. Ich glaube, Frau Bundeskanzlerin, dass das zu einer Regierungserklärung, zumindest aber zu einer solchen Debatte dazu gehört. Herr Finanzminister, als wir vor vier Wochen in den Haushaltsberatungen gesagt haben, dass wir am Rande einer Rezession stehen, haben Sie uns - wörtlich! - Sadomaso-Tendenzen vorgeworfen. Ich frage: Wollen Sie das in Anbetracht des Herbstgutachtens allen Ernstes aufrechterhalten? Wer jetzt die Augen vor der wahren Wirtschaftsentwicklung verschließt, der versündigt sich an denen, die nächstes Jahr arbeitslos werden können. ({11}) Noch eine grundlegende Bemerkung zum Verhältnis zwischen Staat und sozialer Marktwirtschaft. Wir haben erlebt, dass in diesen Tagen mancher, der schon immer Probleme mit der Marktwirtschaft bzw. der sozialen Marktwirtschaft hat, glaubt, Oberwasser zu bekommen und Morgenluft zu wittern. Ich glaube, dass das zu kurz gegriffen ist. Aus unserer Sicht bleibt es dabei: Wir arbeiten jeden Tag daran, dass die soziale Marktwirtschaft besser wird. ({12}) - Wir alle arbeiten hoffentlich gemeinsam daran, dass unser System, in dem wir leben, jeden Tag besser wird. ({13}) Es ist aber mit Sicherheit das beste System, das es jemals auf deutschem Boden gab. Es ist mit Sicherheit besser als jede Form von Planwirtschaft, die Sie nun wiederbeleben wollen. ({14}) Sie freuen sich zu früh, wenn Sie glauben, Sie könnten die Gunst der Stunde nutzen und die soziale Marktwirtschaft zu Grabe tragen. ({15}) Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Denjenigen, die jetzt sagen, der Staat müsse das alles lösen, will ich an dieser Stelle aus unserer Sicht, aus Sicht der Freien Demokratischen Partei, klar mit auf den Weg geben: Der Staat ist nicht der bessere Banker, er hat nur mehr Geld. ({16}) Das ist es, worum es im Augenblick geht. ({17}) Alle diejenigen, die meinen, alles Heil sei jetzt im Staat zu suchen und die soziale Marktwirtschaft könne abgewickelt werden, liegen aus unserer Sicht falsch. Wir brauchen einen Staat, der treffsicher ist, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, der Rahmenbedingungen setzt. ({18}) Ein Staat, der sich so in das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger einmischt, dass einem die Luft wegbleibt, der aber bei der Aufsicht über die Banken versagt, ist nicht der starke Staat, den wir uns wünschen. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Dank an alle Fraktionen dafür beginnen, dass wir dieses Gesetz zur Stabilisierung der Finanzmärkte quasi in einem Sprint auf den Weg bringen können. Ich weiß, das ist eine Zumutung; aber in ungewöhnlichen Zeiten, in denen wir sind, und bei dem Problemdruck, unter dem wir stehen, sind ungewöhnliche Verfahren erforderlich. Ich möchte meinen Respekt äußern und betonen, dass diese Bereitschaft aller Fraktionen, wie ich finde, schon Ausdruck eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins der Politik ist und in der Tat die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen in diesem Lande bestätigt und die demokratischen Institutionen wieder aufwertet. ({0}) Dasselbe gilt übrigens auch mit Blick auf die häufig gescholtene mangelhafte Handlungsfähigkeit und Zeitökonomie Europas. Auch hier machen wir die Erfahrung, dass sich Europa in einer solchen Krise doch als sehr viel handlungsfähiger und entscheidungsfähiger erweist, als wir das je angenommen haben. Ich stehe nicht an, zu sagen, dass wir es mit einer der gefährlichsten Krisen oder der gefährlichsten Krise auf den Weltfinanzmärkten seit 80 Jahren zu tun haben. Es geht daher um Gefahrenabwehr, es geht darum, Schaden von unserem Lande abzuwehren. Herr Westerwelle, in diesem Zusammenhang wäre ich sehr vorsichtig, mit Begriffen wie Notverordnung auf eine unsägliche historische Epoche anzuspielen, ({1}) weil Sie definitiv falsche Assoziationen wecken könnten; ({2}) denn in der Zeit von 1930 bis 1933 haben diese Notverordnungen zu nichts anderem als der Ausschaltung des Parlaments gedient. Darüber reden wir heute definitiv nicht. ({3}) Ich will sofort zur Sache kommen. Es geht nicht darum - das sage ich vor allen Dingen allen Bürgerinnen und Bürgern, die uns zuhören oder zuschauen können -, dass es Gratifikationen für den Bankensektor geben soll oder dass Bankmanager vor dem Ruin bewahrt werden sollen, sondern es geht in Deutschland und anderswo um stabile, funktionierende Finanzmärkte. Diese stabilen und funktionsfähigen Finanzmärkte gehören nicht den Banken; sie gehören auch nicht den Bankern. Sie sind vielmehr, um ein Stichwort von Herrn Röttgen aus der letzten Debatte aufzugreifen, ein öffentliches Gut. Sie sind unverzichtbar. Sie sind unverzichtbar für jeden Handwerker, der einen Betriebsmittelkredit haben möchte, sie sind unverzichtbar für jedes große Unternehmen, das arbeitsplatzerhaltende oder arbeitsplatzerweiternde Investitionen vornehmen möchte, sie sind unverzichtbar für jede Kommune, wenn sie Kassenkredite braucht, sie sind unverzichtbar für Infrastrukturfinanzierungen in Deutschland, sie sind unverzichtbar für alle Menschen, die für das Alter sparen und damit ein auskömmliches Einkommen im Alter haben möchten, sie sind unverzichtbar für alle Sparerinnen und Sparer in Deutschland, die einen wettbewerbsfähigen Finanzsektor brauchen, auch um die günstigsten Konditionen zu bekommen. Das ist der Charakter dieses öffentlichen Gutes, um den es geht. ({4}) Man muss mit Bildern und Begriffen, wie ich selber gerade kritisch angemerkt habe, vorsichtig sein. Aber ich scheue mich nicht, zu sagen, dass es Momente gegeben hat, in denen wir international mit Blick auf die eskalierende Finanzmarktkrise in den Abgrund geschaut haben. Bei der Betrachtung und Bewertung bitte ich nachzuvollziehen, dass es nach Wahrnehmung aller Fachleute, auch derjenigen, die ich am letzten Wochenende in Washington gesprochen habe, eine Wasserscheide gibt, die sich danach definiert, was vor und was nach der Insolvenz von Lehman Brothers passiert ist. Dies begründet auch manche Einlassungen, Herr Westerwelle, die in den Zeiten davor gemacht worden sind. Man kann im Rückblick nicht ganz unberücksichtigt lassen, welche Zeitläufe es seitdem gegeben hat. Sie verändern Einschätzungen; das gilt für mich und für viele andere auch. ({5}) Wir haben insbesondere bei dem Gespräch mit Finanzmarktakteuren in Deutschland am Montagabend bei der Bundeskanzlerin noch einmal von vielen die Einschätzung gehört, dass die Insolvenz von Lehman Brothers so etwas wie ein GAU gewesen ist, weil darüber eine Erschütterungsdynamik ausgelöst worden ist, die Effekte auch in Europa gehabt hat. Bei diesem Unternehmen mit einer Bilanzsumme von 800 Milliarden waren ungefähr 400 Milliarden, also die Hälfte, Europa zugeordnet. Darüber ist fast in einer Art Dominoeffekt unter anderen auch die Hypo Real Estate Bank zum Einsturz oder jedenfalls in eine sehr schwierige Lage gebracht worden. Der Staat musste in dieser Situation handeln; auch die Staatengemeinschaft musste in dieser Situation handeln. Wenn es auf den Weltfinanzmärkten brennt, meine Damen und Herren, dann muss gelöscht werden, auch wenn es sich um Brandstiftung handelt. Anschließend müssen die Brandstifter aber daran gehindert werden, so etwas wieder zu tun. ({6}) Die Brandbeschleuniger müssen verboten werden, und es muss für einen besseren Brandschutz gesorgt werden. Das heißt, wir reden auf der einen Seite über eine systemische Antwort auf die derzeitige Krise - das ist das aktuelle Krisenmanagement - und auf der anderen Seite darüber, dass wir parallel dazu Vorsorge treffen müssen, damit sich eine solche Finanzmarktkrise, jedenfalls nicht in dieser Dimension und Tiefenschärfe, wiederholt. Danach handeln wir. ({7}) Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, dass Deutschland dieses Thema der Krisenprävention als einer der ersten G-7-Staaten und als eines der ersten Länder in der Euro-Gruppe und im Ecofin aufgegriffen hat. Ich will nicht alles im Einzelnen wiederholen; aber ich erinnere daran, dass es diese Bundesregierung während ihrer G-7-Präsidentschaft gewesen ist, die im Oktober des Jahres 2007 das Financial Stability Forum nicht nur um eine Analyse, sondern um konkrete Vorschläge gebeten hat, und dass diese Vorschläge in Sitzungen im April verabschiedet worden sind. Die Beschlüsse reichten bis hin zu einer Ecofin-Roadmap und werden in einem Hunderttageprogramm umgesetzt. Dies schließt nicht aus, dass noch mehr hinzukommen muss, unter anderem auch von mir in Vorbereitung der letzten G-7-Konferenz in acht Punkten formuliert, in denen auch die Fragen enthalten sind, ob wir nicht zu einem Verbot von Leerverkäufen kommen müssen und ob es nicht auf Dauer verboten werden sollte, dass Bankinstitute anderen Finanzdienstleistern Kreditrisiken einfach zu 100 Prozent in Form von Derivaten weiterreichen können. ({8}) Ich will aus Zeitgründen auf die anderen Maßnahmen nicht eingehen, sondern nur darauf hinweisen, dass die Maßnahmen dieses Gesetzes zur Finanzmarktstabilität, wie die Kanzlerin ausgeführt hat, international weit abgestimmt sind. Weltweit werden die notwendigen Maßnahmen getroffen, um die Stabilität und die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems zu gewährleisten. Vielleicht müsste man erst einmal sagen: wiederherzustellen, was verloren gegangen ist. Aus den Gesprächen, die wir Anfang der Woche bei der Bundeskanzlerin sowohl mit den Finanzmarktakteuren in Deutschland als auch mit den Vertretern der sogenannten Realwirtschaft geführt haben, habe ich eine eindeutige Bestätigung dafür bekommen, dass es jetzt Zeit zum Handeln war, und zwar nicht im Sinne einer Von-Fall-zu-Fall-Regelung - IKB, Landesbanken, Hypo Real Estate -, sondern im Sinne einer systemischen Antwort auch für die Bundesrepublik Deutschland. Dies haben wir getan, und das wird breit anerkannt. ({9}) Meine Damen und Herren, von unserem Paket profitieren alle Geldinstitute und Versicherungen in Deutschland, die sich unter den Schutzschirm der neuen staatlichen Garantien stellen wollen. Aber dies erfolgt unter sehr strengen Bedingungen. Leistung - Gegenleistung, wie die Kanzlerin gesagt hat, ist das Prinzip, nach dem wir handeln. Wer sich unter diesen Schirm stellt, wer die Garantien, die Leistungen dieses Sondervermögens, staatliche Hilfe und damit möglicherweise auch Steuergelder, in Anspruch nehmen möchte, muss dafür eine ganze Reihe von Gegenleistungen erbringen und eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Erster Punkt: Als Gegenleistung erhält der Staat in dem Augenblick, in dem er Unternehmen und Finanzdienstleister in Deutschland rekapitalisiert, Aktien, Vorzugsaktien, stille Einlagen oder Beteiligungen. Er kauft sich also ein. Dadurch erwirbt er Rechte und die Option, diese Beteiligungen später mit der Aussicht zu veräußern, darüber möglicherweise ein Einkommen zu erzielen, das mögliche Verluste abdeckt. Dies ist im Fall von Schweden gelungen. Die Schweden haben eine ganz ähnliche Lösung, fast eine Art Blaupause für das geliefert, was wir heute beraten, und damit waren sie durchaus erfolgreich. Der schwedische Zentralbankgouverneur hat mir am Wochenende gesagt, dass nach Liquidation der Assets, die der Staat übernommen hat, eine schwarze Null herausgekommen ist. Das heißt, es besteht kein Automatismus, dass Steuergelder in Anspruch genommen werden. Aber die Ehrlichkeit gebietet es, darauf hinzuweisen, dass dies auch nicht auszuschließen ist. Zweiter Punkt: Der Staat wird für diese Garantien Gebühren erheben. Er wird auch das Recht bekommen, auf die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen, und zwar insbesondere mit Blick darauf, dass die geförderten Banken nicht über eine Bilanzverkürzung ihre Kredittätigkeit gegenüber dem Mittelstand in Deutschland reduzieren. Dies ist nicht die Absicht, die wir mit diesen Förderleistungen verbinden. ({10}) Es geht auch um die Frage, ob bei dieser Gelegenheit nicht das in Gang gesetzt wird, was bisher der Bankenaufsicht in Deutschland definitiv nicht möglich war, nämlich die Überprüfung von Geschäftsmodellen, weil dies der Kreditsektor verweigert hat. Dies geschah übrigens auch bei manchen gesetzlichen Initiativen aus diesem Haus - sie wurden anschließend von den interessierten Verbänden so attackiert, dass es nicht zur Beschlusslage gekommen ist -, die unter anderem die Zuständigkeit der deutschen Bankenaufsicht zum Inhalt hatten, die Geschäftsmodelle zu überprüfen. Manche Kritik, die Sie an der Bankenaufsicht geäußert haben, richtet sich, wie ich glaube, an die falsche Adresse. Leider hat die Bankenaufsicht bisher nicht die Zuständigkeit, Geschäftsmodelle zu überprüfen. Die entscheidende Frage ist, ob bei dieser Gelegenheit, wenn Unternehmen und Finanzdienstleister diese Abschirmung in Anspruch nehmen, das Institut, das als Teil der Bankenaufsicht das Sondervermögen verwalten soll, nicht auch in den Stand versetzt wird, die Geschäftsmodelle zu überprüfen. Es geht aber um mehr als das. Es geht um weitere Bedingungen, die sich darauf erstrekken, dass sich mit dieser Leistung des Staates zum Beispiel ein Verbot von Abfindungen, Bonuszahlungen und auch von Dividendenausschüttungen verbinden. ({11}) Ich will bei dieser Gelegenheit aus aktienrechtlichen Gründen keinen Irrtum aufkommen lassen. Das Verbot von Dividendenausschüttungen muss sich damit verbinden, dass es über die Spielräume, die die Dividendenausschüttungen sonst hergeben, zu einer Stärkung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen kommt. Das ist ein entscheidender Punkt. Ich will im Einzelnen nicht erneut die Maßnahmen auflisten, sondern darauf hinweisen, dass wir es im Wesentlichen mit vier entscheidenden Aktivitäten zu tun haben. Herr Westerwelle hat recht: ({12}) Außerhalb dieses Paketes hat das Thema Bilanzierungsregelungen Priorität, Bilanzierungsregelungen, die nicht prozyklisch wirken und die die Unternehmen in der derzeitigen Situation nicht noch weiter unter Wasser ziehen, als bisher geschehen. Wir sind mit Blick auf dieses Thema - es erstreckt sich auf den Aspekt der Bewertungsmethoden und darauf, dass man zu einer größeren Flexibilisierung in der Bilanzierung zwischen dem Bankenbuch und dem Handelsbuch kommen muss - auf einem sehr guten Weg. Ich glaube, wir werden Ende dieser Woche konstatieren können, dass in internationaler Abstimmung die deutschen Kreditinstitute und darüber hinaus einige Unternehmen in der Realwirtschaft, die Derivate in ihren Bilanzen haben, in den Stand gesetzt werden, in dieser erweiterten Interpretation der Bilanzierungsregelungen das dritte Quartal bilanzieren zu können. Das ist von enormer Bedeutung. Dies wird häufig unterschätzt, weil es sehr technokratisch anmutet; da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber auch in den Gesprächen, die wir seitens der Bundesregierung mit vielen Vertretern geführt haben, und zwar sowohl aus der Realwirtschaft wie auch aus der Kreditwirtschaft, wurde deutlich, dass dies von außerordentlicher Bedeutung ist. Der erste Punkt im Rahmen dieses Paketes - untechnisch und, ich hoffe, verständlich und umgangssprachlich dargestellt - ist die Beseitigung einer Liquiditätsenge. Wir haben es im Augenblick damit zu tun, dass sich der Bankensektor untereinander nicht mehr vertraut. Diejenigen, die Liquidität haben, sitzen auf dieser Liquidität und reichen sie nicht aus an diejenigen, die sie dringend brauchen, die am Verdursten sind, weil sie befürchten, dass sie das ausgeliehene Kapital - möglicherweise schon in Tagesfrist oder in Wochenfrist - nicht zurückbekommen. Wir haben es mit dem fast perversen Zustand zu tun, dass diejenigen, die Liquidität haben, sie im Augenblick nicht ausleihen an andere Kreditinstitute, sondern zum Zentralbanksystem bringen, und zwar zu Zinskonditionen, die sie früher sofort abgelehnt haben: 2 Prozent. Der Zentralbanksektor befindet sich in der Situation, dass er vor dem Hintergrund des enormen Durstes nach Liquidität diese Liquidität weiterreichen kann - teilweise zu 10 oder 11 Prozent - an diejenigen, die sie dringend brauchen. Dies ist ein ungeheurer Missstand und führt dazu, dass darüber ein Bankensystem kollabieren kann. Deshalb ist es so wichtig, mit den 400 Milliarden Euro eine Garantie zu schaffen, die nicht haushaltswirksam ist, die aber zu verstehen gibt, dass man im Zweifelsfalle den Unternehmen eine Sicherheit bietet, die bereit sind, Liquidität auszureichen, weil sie wissen, dass in dem Augenblick, wo ihr Marktpartner ausfällt, diese Garantie gezogen werden kann. Darüber werden wir, wie ich erwarte, diese Liquiditätsenge beseitigen können. Der zweite wichtige Punkt ist, dass wir es bei einigen Unternehmen in Deutschland nicht nur mit einem Liquiditätsengpass zu tun haben, sondern auch mit einem Insolvenzrisiko in Abhängigkeit von Eigenkapitalquoten, die gefährlich niedrig werden können. Deshalb ist dieser zweite Punkt, die Rekapitalisierung dieser Unternehmen in Deutschland, von entscheidender Bedeutung. Welche Bedeutung das hat, können Sie gerade daran feststellen, dass der amerikanische Schirm von 700 Milliarden Dollar konzeptionell geändert wird. Er war bisher - nicht vergleichbar mit dem, was wir machen - ausschließlich darauf gerichtet, Problemaktiva aufzukaufen. Jetzt fängt man an, zu sagen: Das ist nicht das Hauptproblem; es ist übrigens sehr kompliziert, sehr gefährlich. Jetzt wird vielmehr dazu übergegangen, mit einem Betrag von 250 Milliarden Dollar von diesen 700 Milliarden Dollar das zu tun, was in der zweiten Stufe bei uns unter der Überschrift einer Rekapitalisierung der Unternehmen Bedeutung hat. Fast bin ich bereit, abzuwarten, bis sie den ersten Schritt von uns auch nachvollziehen, mit Blick auf die Garantieposition, die wir einnehmen. Erst in der Kaskade im dritten Effekt besteht der Spielraum, dass das Sondervermögen, dieser Finanzmarktstabilisierungsfonds, auch genutzt werden kann für den Aufkauf von illiquiden Assets, von Problemaktiva. Aber in der Tat - in der Bestätigung dessen, was die Kanzlerin gesagt hat -: Dies ist für uns von nachrangiger Bedeutung und verbindet sich mit einer ganzen Reihe von Problemen, die ich nicht in Abrede stellen möchte. Dass es darüber hinaus mittelfristig auch darum geht, die Einlagensicherung und die nationale Aufsicht - ich füge hinzu: auch die europäische und internationale Aufsicht - zu verbessern, ist unabweisbar richtig. Ich bitte nur, gelegentlich zu registrieren, welche Fortschritte es schon gegeben hat. Warum soll sich die Politik unter Wert verkaufen mit Blick auf das, was uns schon gelungen ist? Wir müssen uns ja nicht immer nur defizitär darstellen. ({13}) Wir sind in Europa einen ganzen Schritt weiter mit Blick auf die Einführung von Gruppenaufsichten für grenzüberschreitende Tätigkeiten von Bankinstituten. Ich werde die französische EU-Präsidentschaft dabei unterstützen, dass dies auch im Versicherungsbereich eingeführt wird. Wir sind einen ganzen Schritt weiter mit der Einführung von sogenannten Colleges of Supervisors auf der europäischen Ebene, und wir sind einen ganzen Schritt weiter mit Blick auf die Aufwertung des Internationalen Währungsfonds. Ich bin in der Tat überzeugt, dass er zukünftig eine sehr viel stärkere Funktion haben könnte, wenn es darum geht, Verkehrsregeln im internationalen Finanzbereich zu verabreden - dazu muss er ein Mandat haben - und gleichzeitig diese Verkehrsregeln zu überwachen. ({14}) Das sagt sich relativ leicht. Wenn man ein Gespräch mit dem jetzigen Managing Director des IMF, mit Dominique Strauss-Kahn, hatte, dann weiß man, dass das auf eine Umorganisation des IMF hinausläuft, auf ein ganz anderes Personal, auch mit anderen Qualifikationen, auf die Änderung von Statuten und, wie ich glaube, letztlich auf die Mandatierung auf einer vertraglichen Basis, womit automatisch verbunden ist, dass souveräne Rechte an eine solche supranationale Einrichtung abgetreten werden müssen. Derjenige übrigens, der dieses Thema im IMF als Erster angesprochen hat - das bitte ich als Kompliment zu verstehen -, war Bundespräsident Köhler in seiner damaligen Rolle als Managing Director des IMF. Diesen Weg fortzuschreiben, ist die wesentliche Herausforderung, vor der wir auf internationaler Ebene stehen. Die Kanzlerin wird dieses Thema in ihren Gesprächen aufgreifen, die für, glaube ich, November auf Ebene der G-7-Staats- und Regierungschefs geplant sind. Ich will zum Schluss auf zwei Stichworte eingehen, die Herr Westerwelle angesprochen hat. Wir haben es inzwischen mit deutlichen Abwärtsrisiken bei der Konjunktur zu tun. Etwas anderes zu sagen, wäre Schönfärberei. Der erkennbare Abwärtstrend ist aber nicht allein durch die Finanzmarktkrise verursacht. Wenn man mit Wirtschaftswissenschaftlern oder Analytikern spricht, erfährt man: Auch ohne die Finanzmarktkrise würde die Entwicklung in 2009 nicht mehr so schön sein, wie sie in den letzten Jahren gewesen ist, aber die Finanzmarktkrise wird diesen Trend verstärken. In welchem Ausmaß, das wird Ihnen niemand sagen können, auch nicht mit Blick auf das, was wir als Stabilisierungspaket verabschieden werden. Warum? Ich kann Ihnen nicht sagen, in welchem Ausmaß die Garantien zu tatsächlichen Ausfällen führen, sondern ich kann nur darauf hinweisen, dass wir mit 5 Prozent eine Vorsorge für solche Ausfälle treffen. Ich halte diesen Prozentsatz vor dem Hintergrund der schwedischen Erfahrung für angemessen. Dort hat man ursprünglich 10 Prozent Ausfälle veranschlagt und nachher 0 Prozent festgestellt. Da liegen wir mit 5 Prozent, wie ich finde, in einer ziemlich pragmatisch begründbaren Mitte. Dass die Realwirtschaft eingetrübt wird, hat eher etwas mit einer weltweiten Entwicklung zu tun. Das resultiert auch aus Effekten, die sehr viel zu tun haben mit der Energie- und Rohstoffpreisentwicklung, aber auch mit der Nahrungsmittelpreisentwicklung und einer ökonomischen Entwicklung in den USA, die immer noch - wenn auch immer weniger - auch die europäischen Partnerstaaten trifft. Die sogenannte Entzerrungsthese oder Decoupling-These, die einige debattieren, nach der Europa sich zunehmend von dem abkoppeln kann, was in den USA passiert, vertrete ich nicht. Es gibt dynamische Weltregionen, die im Sinne einer Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Entwicklung zunehmend substitutiv eine Rolle spielen. Aber machen wir uns nichts vor: Wir werden in eine sehr schwierige Zeit 2009 hineingehen. Dies bedeutet für mich nicht die Aufgabe des Konsolidierungskurses, ({15}) definitiv nicht. ({16}) Ich wäre nur nicht ehrlich zu Ihnen und zur Bevölkerung, wenn ich nicht sagte, dass im Lichte der konkreten Entwicklung des Jahres 2009 die Leitplanken auf der Zeitachse gegebenenfalls anders gesetzt werden müssen. Damit lade ich nicht zu Forderungen ein, sondern nur zu Realismus, nicht mehr und nicht weniger. In dieser Situation ist die Bundesregierung gut beraten, als Antwort auf die erkennbare Entwicklung vier Dinge zu beachten: erstens keine Investitionskürzung, zweitens keine Kürzung von Sozialleistungen, drittens keine Mehrbelastung der Bevölkerung bei ausfallenden Einnahmen des Gesamtstaats. Viertens wird es darum gehen, eventuell über die KfW, über die Europäische Investitionsbank Förderprogramme sehr gezielt auszuweiten, größer zu dimensionieren, damit sie einen antizyklischen Effekt haben. ({17}) Im Übrigen erinnere ich daran, dass die Bundesregierung vor kurzem schon ein Paket verabschiedet hat. Die Elemente - sie sind von der Kanzlerin genannt worden führen bei voller Jahreswirksamkeit zu einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger in der Größenordnung von 14 bis 15 Milliarden Euro. Ich glaube, dass sich über die Finanzmarktkrise - damit komme ich in die Schlusskurve - vieles verändern wird. Wir reden inzwischen über internationale Verkehrsregeln. Wir reden über ein neu ausbalanciertes Verhältnis von Staat und Markt. Ihre Einlassung, Herr Westerwelle, dass der Staat viel mehr Geld als der private Bereich hat, ({18}) konnte ich nicht so gut verstehen. Ich habe eher den Eindruck, dass die These von einer öffentlichen Armut nach wie vor jedenfalls nicht ganz falsch ist, wenn wir das mit der Vermögensbildung im privaten Bereich vergleichen. ({19}) Ich bin davon überzeugt, dass das richtig ist, was mein früherer italienischer Kollege Tommaso PadoaSchioppa gesagt hat: Es ist nicht der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft, die zusammenbricht … Was einstürzt, ist die Illusion, dass eine Marktwirtschaft ohne Regeln funktionieren kann. ({20}) Es ist das Fehlurteil, dass die Finanzmärkte im Stande seien, sich selbst zu regulieren. Wenn wir das lernen, dann könnte die soziale Marktwirtschaft aus dieser Krise umso chancenreicher und umso attraktiver hervorgehen. Vielen Dank. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Debatte möchte ich noch einmal feststellen, dass das Problem, mit dem wir heute konfrontiert sind, aus unserer Sicht nicht mit dem Begriff Finanzmarktkrise beschrieben werden kann. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir der Meinung sind, dass es sich um eine Krise der Demokratie und der Wirtschafts- und Sozialordnung handelt. ({0}) Um zu begründen, dass es sich um eine Krise der Demokratie handelt, will ich den Mann zitieren, den die Kanzlerin zu ihrem Ratgeber bei der Bewältigung der Finanzmarktkrise erklärt hat, nämlich Herrn Tietmeyer, den Vorsitzenden des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Er sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 3. Februar 1996 - ich zitiere -: Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden. Diese Analyse könnte man auch auf unsere heutige Debatte übertragen; denn wir stehen immer noch unter der Kontrolle der Finanzmärkte, oder besser gesagt: Wir werden immer noch von ihnen beherrscht. Das Problem bei Herrn Tietmeyer ist nur, Frau Bundeskanzlerin, dass er dies für richtig hielt. Er war insofern ein Marktfundamentalist, als er glaubte, es sei richtig, über die Märkte die Politik außer Kraft zu setzen. Deshalb ist er der falOskar Lafontaine scheste Ratgeber, den Sie in diesem Fall heranziehen konnten. ({1}) Wir haben doch gar keine andere Wahl, als das Finanzmarktsystem - wie es so schön heißt - schleunigst wieder in Gang zu bringen. Insofern ist das, was Sie technisch machen, in der Sache nicht zu kritisieren. Selbstverständlich muss das Interbankengeschäft wieder funktionieren, und selbstverständlich müssen die Banken über ausreichendes Kapital verfügen, um nicht pleitezugehen. Das steht alles außer Frage. Es spricht auch einiges dafür, die Bilanzierungsregeln zu ändern; aber - das muss gesagt werden - es birgt große Risiken, wenn man den Banken einen großen Spielraum bei der Bewertung von faulen Papieren einräumt. Das möchte ich an dieser Stelle betonen, weil es heute noch nicht angesprochen wurde. Ich komme nun darauf zu sprechen, warum Herr Tietmeyer mit seiner Analyse der Kronzeuge dafür ist, dass sich unsere demokratische Ordnung und unsere Wirtschafts- und Sozialordnung in einer Krise befinden. Das beginnt bei den Weltfinanzmärkten. Die entscheidende Frage ist, ob es die Möglichkeit gibt, weltweit Regeln zu vereinbaren, in deren Rahmen sich dann die Wirtschaftstätigkeit aller Staaten vollzieht. Ich mache auf die Analyse aufmerksam, die ein ehemaliger Finanzminister der Vereinigten Staaten, Larry Summers, vorgetragen hat. Er sagte, dass es zwei Theorien gibt: Die eine Theorie ist, dass die Krise eine Krise rein „made in USA“ ist - darauf komme ich noch zu sprechen -; die andere Theorie besagt, dass es eine Krise der Liquidität und der Qualität der Finanzprodukte ist. Wahrscheinlich kommen alle drei Faktoren zusammen. Denn die Frage ist: Wer hat den Ordnungsrahmen, den viele gefordert haben, bisher verhindert? Schon vor 20 Jahren gab es eine Kommission, die Bretton-WoodsKommission, die genau das gefordert hat, was heute auf der Tagesordnung steht. Wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden, haben wir keine Chance, das Kasino in den Griff zu bekommen. ({2}) Ich möchte ergänzend zu dem, was Sie hier völlig unzureichend vorgetragen haben, noch einmal darauf aufmerksam machen, was die Kommission damals unter dem Vorsitz von Paul Volkker - für diejenigen, die damals noch nicht politisch gearbeitet haben: Beteiligt waren Leute wie Pöhl und sogar Lambsdorff - gefordert hat. Sie hat ein festes Wechselkursregime und Zielzonen gefordert, damit Währungsspekulationen in der Ursache bekämpft werden können; die Zielzonen würden benötigt, weil es für alle Volkswirtschaften der Welt nicht verkraftbar ist, wenn die Währungskurse ständig schwanken und bestimmte Margen überschreiten. - Das ist die erste Forderung, die ich für meine Fraktion erheben möchte. Ohne eine solche Regulierung wird die Spekulation auf den Weltfinanzmärkten munter weitergehen. Es gibt derzeit Währungskrisen, von denen noch gar nicht die Rede ist, die aber in einigen Monaten auch hier ein Thema sein werden. ({3}) Zweiter Punkt. Wir brauchen eine verbindliche Regulierung der internationalen Kapitalströme. Wenn selbst Spekulanten wie Soros das fordern, dann sollten wir zumindest zuhören. Wenn sogar diejenigen, die von den Kapitalströmen profitiert haben, eine Kontrolle fordern, dann sollten wir nach Wegen suchen, eine Regulierung der internationalen Kapitalströme, Kapitalverkehrskontrollen auch international auf den Weg zu bringen. Die wichtigste Forderung ist bisher noch gar nicht angesprochen worden. Ich möchte sie Ihnen allen nachdrücklich empfehlen: Wenn die Vereinigten Staaten nicht zustimmen, dass die Steueroasen endlich ausgetrocknet werden, dann können Sie so viel regeln, wie Sie wollen; dann suchen sich alle ihre Inseln und machen weiterhin, was sie wollen. ({4}) Deshalb ist das Austrocknen der Steueroasen eine Conditio sine qua non. Wenn dies nicht angegangen wird, werden wir nicht weiterkommen. Ich komme nun zu der Frage der Finanzprodukte, die von Larry Summers aufgeworfen wurde: Made in USA. Er hatte insoweit recht, als die Vereinigten Staaten - allerdings auch Großbritannien - sich diesen Regeln immer wieder entgegengestellt haben. Kommen wir also zu den Finanzprodukten, die laut Joseph Stiglitz niemand mehr versteht. Wenn Banker Produkte verkaufen, die sie nicht mehr verstehen, wie soll das zu einem Erfolg führen? Es geht nicht darum, die Arbeit der Ratingagenturen zu verbessern. Nein, es geht um das, was bereits Adam Smith in seinem Wohlfahrt der Nationen gefordert hat: dass der Bankensektor reguliert werden muss. Das heißt, die Ratingagenturen gehören in öffentliche Kontrolle. ({5}) Ich sage für meine Fraktion: Anders ist das nicht zu machen. Nun kommen wir zur europäischen Ebene. Es ist gut, dass sich in blitzartiger Geschwindigkeit jetzt Forderungen durchsetzen, die lange Jahre abgelehnt worden sind. Ich begrüße es, dass die französische Ratspräsidentschaft das Vorgehen der Staaten auf der europäischen Ebene koordiniert hat. Es ist eine Art Wirtschaftsregierung, wie sie von Jacques Delors schon zu Beginn seiner Präsidentschaft in der Europäischen Kommission gefordert wurde. Gerade jetzt hat sich wieder gezeigt, dass man nicht einen einzigen Währungsraum und gleichzeitig 10 oder 20 Regierungen haben kann, die Gegensätzliches machen. Wir brauchen eine Koordinierung der Wirtschafts19360 und Finanzpolitik und letztendlich auch der Tarifpolitik auf europäischer Ebene. ({6}) Es ist gut, dass die französische Präsidentschaft diesen Punkt angesprochen hat. Es ist ein Vergnügen, dass man jetzt erkannt hat, dass der Stabilitätspakt, den wir oft kritisiert haben, weil er eine antizyklische Finanzpolitik unterbindet, im Konsens der europäischen Regierungen als im Moment nicht anwendbar gilt. Es ist richtig, dass wir heute nicht mehr am Ziel der Haushaltskonsolidierungen in der bisherigen Planung festhalten. Ansonsten hätten wir überhaupt keine Chance, die sich jetzt anbahnende Rezession anzugehen und zu bewältigen. ({7}) Nun komme ich zur Kernfrage, die noch gar nicht diskutiert worden ist: Wie konnte sich diese große Liquidität aufbauen? Es stehen alle in der Verantwortung. Man kann nicht nur von Marktversagen sprechen. Beides ist festzustellen: Es handelt sich um Marktversagen und um Staatsversagen. Beides zusammen muss man sehen. Wenn vonseiten der Bankenwelt gefordert wird, dass sich einige zu entschuldigen haben, ist folgende Frage an alle Parlamente und Regierungen zu richten: Was ist mit denjenigen, die dieses Karussell parlamentarisch und gesetzlich nicht unterbunden haben? ({8}) Die Frage, die wir uns stellen, ist: Wie konnte sich diese große Liquidität aufbauen? Hier möchte ich einen anderen Standpunkt vorbringen. Sie brauchen nur in den Jahreswirtschaftsbericht Ihrer Regierung und der Vorgängerregierung zu schauen. Auf der drittletzten Seite finden Sie die Antwort auf die Frage, warum sich diese Liquidität aufgebaut hat. Sie hat sich aufgebaut, weil das eintritt, was Sie in jedem Bericht schreiben: Zuwächse an Einkommen haben nicht die Arbeitnehmer. Zuwächse an Einkommen haben nicht die Rentnerinnen und Rentner. Zuwächse an Einkommen haben nicht diejenigen, die soziale Leistungen empfangen. Zuwächse an Einkommen haben ausschließlich diejenigen, die Gewinn und Vermögenseinkommen haben. Dadurch dass der gesamte Zuwachs der Volkswirtschaft durch Gewinn und Vermögenseinkommen abgeschöpft wurde, hat man den Aufbau der Liquidität und die internationale Spekulation in Gang gesetzt. Nur durch eine nachhaltige Reform unserer Wirtschaftsund Sozialordnung werden wir überhaupt in der Lage sein, diese Liquidität wieder abzubauen. ({9}) Wir müssen nun an diejenigen denken, die immer wieder sagen: Gebt uns mehr für Hartz IV. Gebt etwas mehr für Rentnerinnen und Rentner. Lasst doch zu, dass die Löhne etwas höher werden. - Diesen Menschen wird gesagt: Es ist kein Geld da. - Das Volk sitzt jetzt staunend vor dem Fernseher und sieht auf einmal, dass 500 Milliarden Euro bereitgestellt werden, um Krisen zu bewältigen, und vorher haben wir uns um ein paar Hundert Millionen gezankt. Das Volk versteht das nicht mehr. ({10}) Ich finde es gut, dass sie sich getroffen fühlen und zur Wehr setzen, und ich hoffe, dass die Bilder dies rüberbringen. Ich möchte Ihnen sagen: Wir werden die Rezession, die sich jetzt anbahnt, nicht in den Griff bekommen, wenn wir nicht auch die Nachfrageseite unserer Volkswirtschaft im Auge behalten. Denn was sich jetzt abzeichnet, sind die Einbrüche im Exportbereich. Wer jetzt nicht gegensteuert, der handelt sträflich und fahrlässig. Deshalb brauchen wir eine Stabilisierung der Nachfrage auf dem Binnenmarkt. Das ist die prioritäre Forderung meiner Fraktion. ({11}) Unsere Vorschläge werden so schnell akzeptiert, dass wir damit gar nicht mehr nachkommen. Wenn jetzt selbst die Forschungsinstitute, die in den letzten Jahren überwiegend eher angebotspolitische Empfehlungen gegeben haben, sagen: „Wir brauchen eine Stabilisierung der Nachfrage“, dann ist das zu begrüßen. Aber über Steuererleichterungen ist das nicht zu machen. Lösen Sie sich endlich von diesem Irrtum, weil Sie damit große Teile der Bevölkerung - einen großen Teil der Rentnerinnen und Rentner, die Hartz-IV-Empfänger und 30 Prozent der Lohnempfänger - überhaupt nicht erfassen! Wir brauchen eine Verbesserung bei den Renten, wir brauchen eine Verbesserung bei Hartz IV, und wir brauchen eine Verbesserung bei den Löhnen. Das sind die drei Forderungen unserer Fraktion zur Stabilisierung der Binnennachfrage. ({12}) Wir brauchen natürlich auch etwas, das dem Volk das Gefühl gibt, dass wir uns wieder um Gerechtigkeit bemühen. Ich bin nicht so naiv, zu glauben, es würde sich in den nächsten Wochen nachhaltig an dem etwas verändern, was sich an falschen Denk- und Entscheidungsstrukturen über 20 Jahre aufgebaut hat. Diese Hoffnung habe ich nicht. Aber man kann zumindest teilweise etwas tun. Deshalb ist die Frage berechtigt, die in der Presse gestellt wird: Welchen Beitrag leisten eigentlich die Banker, die dieses Geld in den letzten Jahren verzockt haben und die sich mit Millionengehältern bedient haben? Wir brauchen eine Millionärs- und Milliardärssteuer in Deutschland. Das ist die Forderung meiner Fraktion; ich will das in aller Klarheit einmal sagen. ({13}) Ansonsten wird das Volk an unserem Gefühl für Gerechtigkeit zweifeln. Wir brauchen eine Erneuerung der Demokratie; ich will einmal mit Amerika beginnen. Der Historiker Fritz Stern, den viele hier gepriesen haben, hat einmal gesagt: Amerika ist eine fundamentalistische Plutokratie. Was meinte er damit? Er meinte damit, dass in Amerika eben nicht die Mehrheit der Bevölkerung bestimmt, welche Politik gemacht wird, sondern die Minderheit der Wohlhabenden. Ich halte diese Analyse für richtig. Diese Analyse wird im System offenkundig; denn beispielsweise müssen Spenden in Millionenhöhe eingesammelt werden, um jemandem zu ermöglichen, als Präsident zu kandidieren. Aber diese Millionen werden nicht ohne eine entsprechende Erwartungshaltung gegeben; ich will das in aller Klarheit sagen. Die Wall Street, die die Präsidentschaftskandidaten immer wieder finanziert hatte, erwartete von ihnen, dass sie das Kasino nicht beendeten. Wir werden daher erst dann eine demokratische Ordnung haben, wenn der Kauf der Politik ausgeschlossen wird. Das ist der Kern des Anliegens, das wir heute hinsichtlich der Krise auf den internationalen Finanzmärkten vorbringen. ({14}) Demjenigen, der meint, das sei nur ein Problem der Vereinigten Staaten, möchte ich vorschlagen, einmal die Veröffentlichung des Herrn Parlamentspräsidenten sorgfältig zu studieren und die Zahlen zu saldieren. Daraus ergibt sich schon die eine oder andere Frage. Es muss jetzt aufhören, dass Lobbyisten der Finanzindustrie in der Regierung sitzen und dort Verordnungen machen. Das ist doch eine Katastrophe. ({15}) Dann darf man sich nicht wundern, wenn solche Geschichten passieren, wie sie jetzt passiert sind. Wir brauchen tatsächlich eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung, wie sie von allen Parteien bei der Gründung der Westrepublik gefordert wurde. Eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung stand am Anfang der Gründung der Bundesrepublik, in der eben nicht eine Minderheit derjenigen, die Vermögen und Geld besitzen, demokratische Entscheidungen beeinflussen sollten. Demokratie heißt nun einmal eine Gesellschaftsordnung, in der die Entscheidungen so getroffen werden, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Das ist das Verständnis von Demokratie. Eine Hartz-IV-Demokratie, eine Rentenkürzungs-Demokratie und eine Demokratie mit fallender Lohnquote gibt es nicht; sie ist ein Widerspruch in sich. Deshalb möchte ich für meine Fraktion sagen: Demokratie gibt es erst dann wieder, wenn die Interessen der Mehrheit tatsächlich zur Geltung kommen und wenn das Volk nicht erleben muss, dass auf der einen Seite Hunderte von Milliarden für die „Bankster“ ausgegeben werden, auf der anderen Seite kein Geld für Hartz-IV-Empfänger, für Rentner und für Lohnempfänger da ist. Das ist nicht Demokratie. ({16}) - Sie meinen, das sei Polemik? Ich will Ihnen mal etwas über Polemik sagen: Als wir hier eine Begrenzung der Managergehälter gefordert haben, wurden wir von der Regierungsbank und von der großen Mehrheit des Hauses als Populisten beschimpft. ({17}) Ich habe 600 000 Euro als Grenze vorgeschlagen. Jetzt hat der Finanzminister 500 000 Euro als Begrenzung vorgeschlagen. Willkommen im Klub der Populisten, Herr Bundesfinanzminister! ({18}) Sie sind an dieser Stelle nicht gerade glaubwürdig. Wissen Sie, warum Sie diesen Vorschlag machen? Weil das im Moment populär ist. ({19}) Dagegen haben wir noch nicht einmal etwas. Aber wir haben etwas dagegen, dass Sie diesen Vorschlag auch deswegen machen, um sich Ihrer eigenen Verantwortung nicht stellen zu müssen. Für die Finanzmarktkrise ist auch die Mehrheit dieses Hauses mit verantwortlich, um das in aller Klarheit zu sagen. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Peter Ramsauer ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stelle fest: Es ist gut, dass der demagogische Teil dieser Debatte jetzt vorbei ist. ({0}) Herr Kollege Lafontaine, ich halte es angesichts der epochalen Herausforderung, in der unser Land steht, für absolut unpatriotisch, eine solche Rede zu halten. ({1}) - Dieses Gelächter zeigt, dass Sie mit Ihrem Vaterland, mit Patriotismus und Verantwortung gegenüber dem eigenen Land nichts, aber auch gar nichts am Hut haben. ({2}) Herr Lafontaine, Sie werfen uns, der Regierung und der Koalition, sträfliches und fahrlässiges Handeln vor. ({3}) Ich halte Ihnen entgegen: Sträflich und fahrlässig würde in der gegenwärtigen Situation handeln, wer nicht handelt. Deswegen war es richtig, so beherzt anzupacken. ({4}) Herr Lafontaine, Sie versündigen sich, wenn Sie eine Krise unserer Demokratie und unserer Wirtschafts- und Sozialordnung herbeireden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Allein die Tatsache, dass in diesem demokratischen System bei dieser Wirtschafts- und Sozialordnung so zielgerichtet, intensiv und energisch angepackt und umgesetzt werden kann, zeigt, dass unsere Wirtschafts- und Sozialordnung, unser demokratisches System und unser Parlamentarismus handlungsfähig sind und in einer schwierigen Situation verantwortlich handeln. ({5}) Wir alle können nur unseren Respekt ausdrücken: der Regierung, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Michael Glos, ({6}) Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und all denen, die daran beteiligt waren, dass diese gewaltige Herausforderung so angepackt worden ist, wie sie angepackt worden ist. Ich bin überzeugt, dass wir den Flächenbrand nicht sich haben ausbreiten lassen und dass wir das Vertrauen der Banken untereinander und vor allen Dingen zwischen den Banken einerseits sowie den Sparern und Kreditnehmern andererseits, die in dieser Situation häufig vergessen werden, wieder herstellen. Die Beschlüsse der G 7 vom Wochenende weisen den richtigen Weg aus der Krise. Die Schritte, die wir jetzt gehen, sind international abgestimmt. Aber sie sind - auch das ist sehr wichtig - in nationaler Verantwortung. Ich glaube, dass die westlichen Industrienationen damit zusammen, aber dennoch jeweils in nationaler Verantwortung das Erforderliche tun. Meine Fraktion begrüßt das im Entwurf des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes enthaltene Maßnahmenpaket. Es gibt schlicht und einfach keine verantwortbare und gangbare Alternative. ({7}) Aber ich unterstreiche natürlich genauso deutlich, dass wir, das Parlament, unsere Rechte und Pflichten wahren müssen. Ich möchte unsere Rolle als Parlamentarier ausdrücklich herausstreichen. Ein funktionsfähiges Finanzsystem ist die unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende und leistungsfähige Marktwirtschaft. Ohne eine reibungslose Versorgung mit Liquidität kann ein solches Wirtschaftssystem nicht funktionieren. Es droht ansonsten, was unser Wirtschaftsminister Michael Glos immer wieder herausstellt, ({8}) der Zusammenbruch der realen Wirtschaft. Dies ist übrigens ein Begriff, der durchaus tükkisch ist. Wenn es eine reale Wirtschaft gibt, müsste es auch eine irreale Wirtschaft geben. Diesen Begriff möchte man, trotz aller Versuchung, aber lieber nicht anwenden. Wir begrüßen all diese Schritte. Im Einzelnen geht es darum - um es auf einen Punkt zu bringen -, die Geldversorgung der Wirtschaft sicherzustellen, eine drohende Kreditklemme zwischen den Banken auf dem Markt zu verhindern und die Sicherheit der Einlagen, der Ersparnisse des kleinen Sparers oder Anteilseigners sicherzustellen. Aus Sicht meiner Partei, die sich - ich betone das - in ganz besonderer Weise dem Schutz des Eigentums verpflichtet fühlt, ist es ordnungspolitisch geboten, einen großen Schirm, einen nationalen Schutzschirm aufzuspannen. Allein auf die Selbstheilungskräfte der Finanzmärkte zu setzen, könnte in der Tat fatale Folgen für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung haben. ({9}) Wenn das Vertrauen erst einmal erschüttert ist, wenn Angst und Unsicherheit um sich greifen, wenn die Menschen Angst davor haben, dass ihr Notgroschen, ihr Erspartes, ihre Wertpapiere, ihre Einlagen, ihre Lebensversicherungen kaputtgehen, dann nimmt unser Land allergrößten Schaden. Dann nimmt auch das politische System Schaden. Deshalb konnte und kann die Politik nicht tatenlos zusehen. Ich glaube, dass wir in Deutschland ein weltweit vorbildliches, vielleicht kann man sogar sagen: einmaliges Einlagensicherungssystem haben. Die Privatbanken verfügen über einen eigenen Einlagensicherungsfonds. Die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen haben ihrerseits ebenfalls interne Sicherheitsverbünde. Dennoch wird sich die Politik Gedanken darüber machen müssen, wie diese Sicherheitseinrichtungen so fortentwickelt werden können, dass die Banken gegen künftige Krisen besser gewappnet sind. Frau Bundeskanzlerin, Ihre Patronatserklärung war ein erster richtiger und unverzichtbarer Schritt, der sofort hervorragende Wirkung entfaltet hat. ({10}) Die Wirkung war, dass Deutschlands Bankkunden die Schalter der Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht gestürmt haben. Das ist Gott sei Dank ausgeblieben. Was stattgefunden hat, war eine Umschichtung zwischen verschiedenen Anlage- und Einlageformen. Es wurde - das ist ganz klar - in risikoärmere Anlagen umgeschichtet. Ich glaube, dass diese besonnene Reaktion unserer Bürgerinnen und Bürger zeigt, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, nennen wir sie einmal die Wirtschaftsbürger Deutschlands, die wirtschaftlichen Zusammenhänge entgegen anderen Befürchtungen durchaus gut kennen. Weil das so ist, haben wir alle Chancen, das, was wir in dieser Woche beschließen, hinreichend zu erklären. Das müssen wir auch tun. Bei dem vorliegenden Maßnahmenpaket - vielleicht ist das eine Antwort auf das, was in der Vorrede poleDr. Peter Ramsauer misch vorgetragen worden ist - geht es weder um eine Sozialisierung irgendwelcher Verluste noch um die Verstaatlichung eines Wirtschaftssektors, was von der einen Seite ordnungspolitisch beklagt und von der anderen Seite aus ideologischen Motiven begrüßt wird. Es ist keine Verstaatlichung, die Sie von der Linken sich vielleicht wünschen würden oder vorstellen könnten. Es muss immer wieder unterstrichen werden, dass das, was wir tun, zeitlich klar befristet ist. Im Gesetz steht klipp und klar, dass die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, bis zum 31. Dezember des Jahres 2009 befristet sind. Abhängig davon, wie weit wir eingreifen, wie weit wir uns engagieren, eilen uns die Sicherungswirkungen der Maßnahmen, die wir zu unseren Gunsten ergreifen, natürlich nach. Allerdings müssen wir dabei - da brauchen wir ein entsprechendes Berichts- und Monitoringsystem - immer wieder im Auge haben - Kollege Westerwelle, Sie haben es eine Ausstiegsstrategie genannt; über den Begriff haben wir in ganz anderem Zusammenhang in der vergangenen Woche diskutiert -, wie sich der Staat, wenn seine Aufgabe hier getan ist, zurückzieht. Es geht einzig und allein darum, die Stabilität des Systems zu sichern. Bürgschaften für den Interbankenmarkt, die die Forderungen zwischen den Banken absichern, sind erforderlich, um das Vertrauen der Banken untereinander wieder herzustellen und den Geldmarkt wieder flüssig zu machen. Wir brauchen die ins Auge gefassten staatlichen Kapitalbeteiligungen mit strengen Auflagen und Vorgaben. Man muss ganz laut und deutlich betonen: keine Leistung des Sondervermögens, des Fonds, ohne klare Gegenleistung und ohne hinreichende Besicherung. ({11}) Ich weiß auch, dass viele der Eingriffe, die in Art. 1 § 10 stehen, nach Meinung vieler schon sehr weit gehen. Aber es schützt unsere Interessen. Es ist wichtig, dies den Menschen draußen zu erklären, damit nicht der Vorwurf kommt: Man muss nur hinreichend groß sein, dann darf man sich alles erlauben und der Staat hilft dann schon, ({12}) und den Kleinen gewährt man solche Hilfen nicht. Nein, wir helfen im Interesse des Großen und Ganzen, auch im Interesse des Gemeinwohls in unserem Land. Aber im Interesse des Steuerzahlers, des Staates und der öffentlichen Hände sichern wir uns hinreichend, in kaufmännisch und politisch verantwortbarer und richtiger Weise ab. ({13}) Flexiblere Bilanzierungsvorschriften sollen verhindern, dass allein Bilanzbewertungen hohe Wertberichtigungen erforderlich machen, die eine Abwärtsspirale beschleunigen. Wir wollen also nicht irgendwelchen gierigen Banken und Bankern aus ihrem Schlamassel helfen, sondern wir wollen im Interesse des Großen und Ganzen, des Gemeinwohls in unserem Lande die Probleme zugunsten aller meistern, zugunsten des kleinen Sparers genauso wie zugunsten des unternehmerischen Investors. Das Mittelvolumen, ein Bürgschaftsrahmen in Höhe von 400 Milliarden Euro und die Kreditermächtigung eines Sondervermögens bis zu 100 Milliarden Euro, klingt natürlich ganz gewaltig. Noch einmal: Inwieweit sich daraus tatsächliche Belastungen ergeben, kann heute niemand sagen. Aber wir sind durch unser Instrumentarium hinreichend gewappnet. Theoretisch ist es möglich, dass das Ganze am Ende als Nullsummenspiel ausgeht. Der grundsätzliche Kurs der Haushaltskonsolidierung - auch das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen - darf natürlich niemals aufgegeben werden. Darum ist es richtig, dass wir dieses Sondervermögen unabhängig vom Bundeshaushalt gestalten. ({14}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, und zwar die Einwendung von einigen Bundesländern zu der vorgesehenen Regelung, dass sich die Länder unter dem Strich mit 35 Prozent beteiligen. Hier muss klargestellt werden: Nicht bei der Aufbringung der Lasten sind die Länder beteiligt, sondern am Ende, also im Jahr 2010 oder 2011, wenn abgerechnet wird und mögliche endgültige Belastungen aufgeteilt werden. Ich begrüße es sehr, dass die Länder klargestellt haben, dass sie grundsätzlich Ja zu diesem Paket sagen. Es darf nicht so aussehen, als würden sich die Länder hier einfach pauschal verweigern. Sie sagen ein klares Ja. ({15}) Aber wir müssen natürlich ernst nehmen - ich halte das für eine beachtliche Einwendung vonseiten der Länder -, dass diejenigen, die ihre große Aufgabe schon im Bereich von Landesbanken angepackt und eine hohe Last auf sich genommen haben, hier anders zu behandeln sind. ({16}) Was ändert sich? Wir müssen bei alldem auch dem Publikum draußen deutlich machen, was sich konkret ändert; allein darüber könnte man lange räsonieren. Ein paar Bemerkungen dazu. Die staatliche Aufsicht über die Finanzdienstleister, die Bankenaufsicht, muss natürlich verbessert werden. Ich sage ganz offen: Wir müssen uns auch anschauen, ob bei der BaFin alles so bleiben kann, wie es derzeit ist. ({17}) Was soll sich eigentlich ein kleiner Gewerbetreibender, ein kleiner Unternehmer denken, der mit Fremdkapital investiert und Arbeitsplätze geschaffen hat und gegenüber seiner Hausbank oder gegenüber Förderbanken jedes Jahr mehrmals einen Vermögensnachweis erbringen, sozusagen die letzte Hose herunterlassen und sich kontrollieren lassen muss, wenn er beobachtet, dass gleich19364 zeitig in ganz großem Stil offensichtlich nicht so genau hingeschaut wird? ({18}) Auch das müssen wir den Leuten erklären. Ein weiterer Punkt ist die internationale Zusammenarbeit bei der Aufsicht und bei internationalen Geldströmen insgesamt. Dabei geht es auch um die Rolle der Ratingagenturen, die heute schon angesprochen worden ist. Meine Damen und Herren, es geht nicht, dass man als ein und dieselbe juristische Person gleichzeitig Bonitätsprüfer und Anlageberater bzw. Produktentwickler ist. Das haut auf Dauer nicht hin. ({19}) Aufgrund dieser Doppelrolle haben sich die Ratingagenturen, was ihre Glaubwürdigkeit angeht, einen gewaltigen Bärendienst erwiesen. Produktinnovationen kennzeichnen alle Wirtschaftssektoren, natürlich auch Banken. Deshalb mag die Verbriefung von Krediten zur besseren Streuung von Risiken geeignet sein. Aber sind die Ausgabe von und das Handeln mit solchen Papieren nicht auch an eine hinreichend große Selbstverantwortung aller Marktteilnehmer geknüpft? Ich denke, ja. Offensichtlich glaubten nicht wenige Banker, sie hätten Edelmetalle erworben, was sich aber als Schrott herausgestellt hat. Wer verbriefte Papiere erwirbt, der muss darauf achten, dass das, was draufsteht, auch drin ist. ({20}) Den leichtfertigen Systemkritikern möchte ich sagen: Die seit nunmehr einem Jahr anhaltende Finanzmarktkrise kann nicht dem Konzept einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angelastet werden. Noch einmal: Es handelt sich nicht um ein Versagen der sozialen Marktwirtschaft, meine Damen und Herren. ({21}) Man muss sich nur einmal anschauen, woher die Finanzmarktkrise kommt: aus einem Land, in dem keine Mechanismen und Grundideen der sozialen Marktwirtschaft vorhanden sind und waren. Diese Krise ist eine Folge der Verletzung der Spielregeln ({22}) und der ethischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft. Statt seriöse Bankgeschäfte zu tätigen, wurde der Blick einseitig auf die Entwicklung der Aktienkurse gerichtet. Es wurde spekuliert und auf kurzfristige Gewinnmaximierung gesetzt, zum Teil bewusst vorgespiegelt. Es stellt sich die Frage: Wo ist der ShareholderValue geblieben? Viele, die dieser Schimäre hinterhergerannt sind und sich haben locken lassen, ({23}) blicken jetzt entsetzt auf das, was von den Verantwortlichen - manche von ihnen kann man als Rattenfänger bezeichnen - als Scherbengericht hinterlassen wurde. ({24}) Solche exzessiven Entwicklungen haben das Vertrauen der Menschen unterminiert. Eine Bemerkung zum Schluss, auch an diejenigen, die sich jetzt hilfesuchend an uns gewandt haben: Es geht nicht, dass die Politik diese schwierige Arbeit, diese Schmutzarbeit macht, dass aber der gesamte führende Bankensektor, also diejenigen, für die wir das vor allem tun, auf publizistischer und kommunikativer Tauchstation ist. Das geht nicht! ({25}) Ich ersuche den Bankensektor, sich an dieser schwierigen Kommunikationsaufgabe zu beteiligen. ({26}) Diejenigen, die diese Situation mit verursacht haben, sollten nicht so tun, als sei es die selbstverständliche Aufgabe der Politik, die Dinge wieder zu richten. ({27}) Da ich gerade beim Thema Banken bin: Ich warne davor, jetzt irgendwelche Mitnahmeeffekte zu realisieren; der eine oder andere in der Hochfinanz könnte nämlich auf die Idee kommen, seinen eigenen Status so zu gestalten, dass er Ansprüche am Sondervermögen hat. Solche Mitnahmeeffekte dürfen und werden wir nicht zulassen. Es wird - das ist das Gute - keinen Rechtsanspruch im Einzelnen geben, sondern wir werden im Rahmen einer Einzelfallprüfung sehr genau prüfen, ob ein solcher Einsatz des Fonds erforderlich ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Ramsauer, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe das. - Zum Schluss will ich noch etwas Positives sagen: Durch solche Krisen wie die jetzige werden auch die Stärken unseres Bankensystems in Deutschland aufgezeigt; manches, für das wir auch in den letzten Jahren international immer mehr belächelt worden sind, nämlich die Genossenschaftsbanken und Sparkassen. Darum werden wir jetzt regelrecht beneidet. ({0}) Diese Sektoren erweisen sich als eine großartige Stärke und ein großartiges Rückgrat unserer Wirtschaft und unseres Finanzwesens in Deutschland. Um es auf den Punkt zu bringen: Das lassen wir uns deshalb von der Europäischen Kommission auch nicht streitig machen. Vielen herzlichen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ramsauer, den größten Gefallen, den ich Ihnen jetzt tun kann, ist, dass ich mich nicht ausführlich mit Ihrem Herrn Glos beschäftige; ({0}) denn ein Wirtschaftsminister, der noch vor einem Jahr hier in diesem Hause gesagt hat, es gebe keinerlei Auswirkungen der Banken- und Immobilienkrise auf die deutsche Wirtschaft, und jetzt, am Beginn einer Rezession, wie eine Schlaftablette auf zwei Beinen durch die politische Landschaft irrt, ist wirklich keiner weiteren Erwähnung wert. ({1}) Frau Bundeskanzlerin, ich möchte kurz sagen: Wir haben der Fristverkürzung zugestimmt, weil wir es für richtig halten, dass es in den einzelnen Nationalstaaten Europas, also auch in Deutschland, ein Rettungspaket etwa in der vorgesehenen Größenordnung gibt, weil die systemische Krise in unserem Finanzsektor und natürlich auch im Hinblick auf die Arbeitsplätze andernfalls zu groß würde. Das war der Grund, weshalb wir bei den Fristen zugestimmt haben. Wir haben also nicht um das Ob zu streiten, aber wir haben sehr wohl um das Wie zu streiten. Im Unterschied zur Linkspartei, die dazu gar nichts gesagt hat, finden wir die Art, wie Sie dieses Rettungspaket aufgelegt haben, verkehrt. Ich will darstellen, an welchen Stellen es dringend nachgebessert werden muss. Damit will ich sagen, dass es immer Alternativen gibt. Der Satz, den Sie in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben und der jetzt immer durch die politische Landschaft geistert, dass es dazu keine Alternativen gibt, ist natürlich falsch. Man kann ein Rettungspaket an entscheidenden Punkten vollständig anders gestalten. Dazu einige Bemerkungen. ({2}) Erster Punkt. Bisher ist vielen nicht aufgefallen, dass die private Seite nicht wirklich in Anspruch genommen wird. Der Finanzminister hat vorhin das Beispiel Schweden genannt. 1992 hätten die Schweden mit einem ähnlichen Paket ihre damalige Bankenkrise bewältigt. Ich kann nur sagen: In einem entscheidenden Detail stimmt das nicht. Die Schweden verfolgten damals das Prinzip: bleed the shareholders first. Das heißt, die Shareholder, die Aktieninhaber, mussten mit dem Wert ihrer alten Aktien einen Teilbeitrag zur Bewältigung der Liquiditätsund sonstigen Probleme der Banken leisten, bevor der Staat geholfen hat. Das ist ein wichtiger Punkt. Warum erwähne ich das? Viele der leitenden Angestellten, der Bankmanager, haben heute wesentliche Teile ihres Privatvermögens per Aktien in dem eigenen Institut angelegt. So sah ja die Honorarbasis aus. Deswegen will ich die Frage stellen: Warum nehmt ihr diejenigen, die den Schaden mit angerichtet haben, nicht zuerst in die Verantwortung, ehe der Staat einspringt? ({3}) Die Herbstgutachter haben Ihr Paket gestern übrigens nicht nur gelobt, sondern sie haben auch gesagt, dass die Gläubiger bei Banken zuerst in Anspruch genommen werden sollten. Davon steht in Ihrem Gesetzentwurf nichts. Damit komme ich zum wichtigsten Punkt, der für uns wirklich entscheidend ist. Sie haben durch die Art und Weise, wie Sie das Gesetz gestrickt haben - übrigens im Unterschied zu dem, was im angelsächsischen Raum gemacht wird -, Ihre Angst vor einer effektiven Teilverstaatlichung und vor tatsächlicher staatlicher Kontrolle verwirklicht. Ich glaube nicht, dass der Staat bei den vielen Kann-Regelungen und Verordnungen, die erlassen werden können oder auch nicht, tatsächlich effektiven Einfluss auf die Banken ausübt, denen er jetzt mit Milliardenbeträgen hilft. Das ist ein Strukturfehler Ihres Gesetzentwurfs, den wir Ihnen nicht durchgehen lassen können. ({4}) Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen, weil manche das Kleingedruckte offensichtlich nicht gelesen haben. Sie sagen an mehreren Stellen: Für dieses Gesetz gilt die Bundeshaushaltsordnung an entscheidenden Punkten nicht. So soll zum Beispiel § 65 der Bundeshaushaltsordnung nicht gelten. Dort heißt es - das muss man sich noch einmal anschauen -, dass Beteiligungen des Bundes an privatrechtlichen Unternehmen - darum geht es ja bei der Rekapitalisierung - nur dann möglich sind, wenn - so § 65 Abs. 1 Nr. 3 der Bund einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat oder in einem entsprechenden Überwachungsorgan erhält. Diese Regelung der Bundeshaushaltsordnung wird, wenn Sie am Freitag dem Gesetz zustimmen, außer Kraft gesetzt. Es kann doch nicht wahr sein, dass man den Banken Geld gibt, aber den staatlichen Einfluss per Gesetz außer Kraft setzt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Deshalb werden wir heute im Haushaltsausschuss konkrete Anträge stellen, die den staatlichen Einfluss und den parlamentarischen Einfluss - darauf komme ich nachher noch zu sprechen - effektivieren. Damit wir uns, Frau Bundeskanzlerin, richtig verstehen: Wir geben Milliardenbeträge in Finanzinstitute, die heute noch unter den Regeln des alten Finanzmarkts arbeiten. Was wir alle hier diskutieren - Ratingagenturen verbessern, Eigenkapitalausstattung verbessern und so weiter - und worüber es viel Einigkeit gibt, ist nicht geltendes Recht, sondern es wird international gerade diskutiert. Wer weiß denn, wann das kommt? Also schieben wir Geld in Bankinstitute, die nach altem Recht, nach den alten Spekulationsmöglichkeiten agieren. Deswegen sagen wir: Es muss mehr staatliche Aufsicht, es müssen mehr Einflussmöglichkeiten des Staates her, als Sie es insgesamt bisher vorgesehen haben. ({6}) Ich will noch einen Punkt nennen, der auch scheinbar das Kleingedruckte betrifft. Aber es lohnt sich einfach, international hinzuschauen und zu gucken, was in anderen Ländern los ist. Wenn in den USA Rekapitalisierung betrieben wird, der Staat also mit Anteilen bei einer Bank einsteigt, dann wird dort im Rahmen des Fonds, der gegründet wurde, definiert, zu welchen Bedingungen der Staat dort einsteigt. Dort ist zum Beispiel definiert: 5 Prozent Verzinsung, Wandelanleihen mit verschiedenen Regularitäten. In den USA definiert der Staat, wie er einsteigt. Wie sieht es der Gesetzentwurf vor, den Sie heute vorgelegt haben, Herr Finanzminister und Frau Merkel? Bei uns wird explizit festgelegt, dass die Altaktionäre bestimmen, zu welchen Bedingungen und zu welchem Kurs der Staat sich beteiligt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf machen wir den Bock zum Gärtner, indem die Betreffenden noch sagen können, wie ihnen geholfen werden soll. Ganz anders ist es in den angelsächsischen Ländern, in denen der Staat hergeht und sagt: Wenn wir schon helfen, dann müssen wir auch sagen, zu welchen Bedingungen geholfen wird. An der Stelle ist Ihr Gesetzentwurf - ich sage das so drastisch - wirklich Murks, weil er auf staatliche Einflussnahme im Konkreten verzichtet. Ich kann nicht nachvollziehen, wie die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition dies bisher wahrgenommen haben; denn ich habe von Ihnen in der Öffentlichkeit keine Stimmen gehört, dass wir dies ablehnen sollten. Letzter Punkt, den ich ansprechen möchte. Der Gesetzentwurf ist ein Blankoscheck für die Regierung, mit dem das Parlament sein Haushaltsrecht - immerhin das Königsrecht des Parlaments - aus der Hand gibt. Wenn das kommt, was Sie an dieser Stelle wollen, dann wird am Freitag beschlossen, dass nach dem Schlüssel, der im Gesetz festgelegt ist, über 100 Milliarden Euro verfügt werden kann. Aber es gibt im Laufe der Etappe keinerlei parlamentarische Kontrolle, auch nicht im Haushaltsausschuss, ob die Mittel richtig verwendet werden. ({7}) Der Haushaltsausschuss kann einmal im halben Jahr informiert werden. Aber es gibt keinerlei parlamentarische Kontrolle. ({8}) Ich sage für meine Fraktion: So leicht geben wir das Königsrecht des Parlaments nicht aus der Hand. ({9}) Deswegen beantragen wir, Herr Kampeter, dass bei einer Rekapitalisierung in Höhe von mehr als 50 Millionen Euro nicht einfach durch Verordnung des Ministers agiert wird, sondern dass der Haushaltsausschuss informiert werden muss und entscheiden muss, ob dies richtig ist oder nicht. Was seid ihr für Parlamentarier, wenn ihr dies alles aus der Hand gebt? Das wird es mit uns nicht geben. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Carsten Schneider hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wahrscheinlich wird irgendwann in der historischen Betrachtung das Gesetz, über dessen Entwurf wir heute in erster Lesung beraten, als Zeitenwende dahin gehend angesehen werden, dass ein ungezügelter Kapitalismus, der nur sich selbst vertraut, zu Ende gegangen ist und der Staat zurück ist. Das bedeutet nicht, staatsgläubig zu sein. Der Staat nimmt vielmehr als Akteur seine Aufgaben stärker wahr. Herr Westerwelle, ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass auch Sie das so dargelegt haben, zumindest was die Regeln betrifft. Ich weise für meine Fraktion allerdings den Begriff der Not-Verordnung, den Sie verwendet haben, entschieden zurück. ({0}) Das ist ein in historischer Hinsicht verbrannter Begriff in Deutschland, der auch nicht zutrifft. Herr Kuhn, Sie haben schon verschiedene Änderungsvorschläge gemacht und uns kritisiert, weil Sie noch nichts gehört hätten. Warten Sie es ab! Wir beraten heute in erster Lesung zusammen mit dem Finanzausschuss ausführlich über den Gesetzentwurf. Sie können uns glauben, dass auch uns als Parlamentarier die parlamentarische Mitbestimmung und Kontrolle enorm wichtig sind. ({1}) Carsten Schneider ({2}) Die Bundesregierung hat Möglichkeiten zur Unterrichtung nicht nur des Haushaltsausschusses, sondern auch des Bundesfinanzierungsgremiums unverzüglich zugesagt; das ist Teil des Gesetzes. Wir werden darüber nachdenken, ob dies ausreicht oder ob das noch verschärft werden muss. ({3}) Ich vertraue im Kern nicht nur dem Krisenmanagement des Bundesfinanzministers in den vergangenen Tagen und Wochen - ich danke ihm und insbesondere seinen Mitarbeitern; das war gut für unser Land -, sondern auch dem Fachwissen des Finanzministeriums über Abwicklung und Befugnisse, bei welcher Bank auch immer man sich beteiligen wird. Darin will ich mich als Parlamentarier auch gar nicht einmischen. Wir müssen kontrollieren und Maßgaben machen. Deswegen bin ich der Auffassung, dass wir möglichst vor der zweiten und dritten Lesung über die sieben Rechtsverordnungen, die das Gesetz konkretisieren werden, in groben Zügen Kenntnis erlangen sollten, damit wir wissen, worüber wir entscheiden. Die Parlamentsbeteiligung habe ich bereits angesprochen. Wir unterstützen grundsätzlich das Ziel des Gesetzes, die Banken teilweise zu verstaatlichen. Wir werden uns die Instrumente genau anschauen müssen. ({4}) - Herr Kampeter, Sie können die Verstaatlichung ruhig Rekapitalisierung nennen. Im Kern bedeutet das aber nichts anderes, als dass der Staat zurück ist. Wenn es in dieser Zeit einen Anker gibt, dann ist es der Staat, den wir vertreten und schützen müssen. Ich habe mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen müssen, dass Frau Bundeskanzlerin ein Expertengremium einberufen will, dessen Vorsitzender der ehemalige Bundesbankpräsident Tietmeyer sein soll. Er war bzw. ist sogar noch Mitglied des Aufsichtsrates der Hypo Real Estate, also der Bank, die wir vor rund zwei Wochen gerettet haben. Der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende mussten zurücktreten. Was weiß der Aufsichtsratsvorsitzende mehr als ein normales Aufsichtsratsmitglied? Daher sage ich Ihnen klar: Meine Fraktion trägt diese Personalie nicht mit. Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht. ({5}) Ein Punkt wurde noch nicht angesprochen. Wir alle hoffen, dass der Fonds nicht so stark in Anspruch genommen wird, dass er am Ende einen negativen Saldo aufweist, sondern dass er sich - genauso wie es in Schweden der Fall war - fast refinanziert. Sollte es aber dazu kommen, dass der Fonds am Ende mit einem Minus abschließt, dann stellt sich die Frage, wer zahlt. Bis jetzt ist vorgesehen, dass die Allgemeinheit zahlt. Es ist noch umstritten, ob und welche Anteile Bund und Länder zahlen. Ich finde, auch die Länder stehen in der Verantwortung. Es kann nicht immer nur der Bund eingreifen. Die Länder dürfen sich in dieser schwierigen Situation nicht vom Acker machen. Ein solches Verhalten würde den Föderalismus in seinen Grundfesten erschüttern. ({6}) Es kann auch nicht sein, dass wir ein Spezialpaket für eine Branche schnüren - es ist sehr wichtig, diese am Leben zu erhalten; denn sie stellt den Blutkreislauf unserer Wirtschaft dar -, diese Branche aber kein Sonderopfer bringt. Auch die Banken werden wieder gutes Geld verdienen. Sogar in Krisen wird Geld verdient. Wenn sich die Lage in den nächsten Jahren wieder konsolidiert hat und die Banken wieder mehr Geld verdienen, dann muss diese Branche langfristig überproportional zur Refinanzierung dieses Fonds beitragen. Die Refinanzierung kann nicht aus den Steuergeldern der Kindergärtnerinnen oder Polizisten erfolgen, sondern dazu muss diese Branche beitragen. ({7}) Wir als SPD-Fraktion werden mit diesem Ziel in die Verhandlungen gehen, und ich hoffe, dass uns die Unionsfraktion hierbei unterstützt. Wir haben bewegte Zeiten hinter uns, wir haben aber auch noch aufregende Tage und Wochen vor uns. Wir werden dieses Gesetz heute und morgen sehr sorgfältig beraten. Wir werden sicherstellen, dass die Parlamentsrechte gewahrt werden ({8}) und dass auch die Einflussmöglichkeiten gewährleistet sind. Wenn wir uns bei einer Bank beteiligen, müssen wir - das ist im Gesetzentwurf vorgesehen - Einfluss auf das Management und die Geschäftspolitik nehmen können. Ich bin in dieser Beziehung guter Dinge. Wir sind allerdings auch für Vorschläge der Opposition offen. Von den Grünen habe ich heute einige hilfreiche Vorschläge gehört. Ich denke, wir werden uns einig werden. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Otto Fricke spricht jetzt für die FDPFraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns doch am Anfang über jemanden reden, über den heute noch nicht geredet worden ist, nämlich über den Bürger. ({0}) Wir alle haben in den letzten Tagen und Wochen sehr viele Gespräche mit unseren Wählern geführt. Es ist doch bemerkenswert, wie viel Angst die Bürger haben. Den Bürgern gebührt - das sollte man einmal deutlich sagen - Lob dafür, dass sie sich trotz dieser Finanzkrise bisher so vernünftig verhalten haben. Auch das sollten wir hier einmal festhalten, und wir sollten darum bitten, dass sie sich weiterhin so verhalten. ({1}) Es geht um die Verantwortung, die wir als Politik haben und die wir wahrnehmen wollen, es geht aber auch darum, Vertrauen zu schaffen. In der letzten Zeit ist einiges Vertrauen durch Kommunikationsfehler kaputtgemacht worden. Lassen Sie uns bitte an der Wiederherstellung des Vertrauens arbeiten, gerade vonseiten der Regierung, aber auch vonseiten der Koalitionsfraktionen. Soeben haben wir die Aussage über Herrn Tietmeyer gehört. Wir dürfen nicht schon wieder neue Kommunikationsprobleme erzeugen, sodass sich der Bürger fragt, was wir eigentlich wollen. Das muss bis Freitag ein Ende haben. Dann muss ein Ergebnis vorliegen, das wirklich ein Rettungspaket ist. Alles andere wäre für diesen Staat nicht richtig; ({2}) denn sonst würde ein wichtiger Pfeiler unseres Gemeinwesens, nämlich die soziale Marktwirtschaft, die der wichtigste Pfeiler in unserem Wirtschaftssystem ist, zerstört. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen; denn sonst würde unsere Demokratie wirklich gefährdet werden. ({3}) Aber was Sie, Herr Lafontaine, hier mit Empörung gesagt haben, ist der Versuch, Klassenkampf zu propagieren. Sie sagten, dass dann, wenn bei der Rente und bei Hartz IV nicht so entschieden wird, wie Sie es wollen, hier keine Demokratie sei. Das ist unverantwortlich. ({4}) So etwas kann man nicht machen. Demokratie heißt, dass die Mehrheit entscheidet. Wenn dem so ist, dann muss man die Entscheidung hinnehmen. Man kann nicht dann, wenn einem die Entscheidung nicht passt, sagen, das sei keine Demokratie. So können Sie hier in diesem Parlament nicht reden. ({5}) Sie, Herr Lafontaine, sagen, dieses Paket würde für jemanden geschaffen. Dieses Paket wird geschaffen, um den Grundpfeiler, die soziale Marktwirtschaft, zu erhalten. Es wird geschaffen, damit für Rentner, Hartz-IVEmpfänger und die Schwachen in unserer Gesellschaft ausreichend Geld da ist. Nichts anderes ist der Grund, warum wir das tun. ({6}) Die FDP begrüßt ausdrücklich, dass es eine internationale Koordination gegeben hat. Das ist nicht schlecht gewesen, Herr Minister. Sie hätten die Maßnahmen aber auch mit dem Bundesrat - die Bank ist jetzt wieder leer besser koordinieren müssen. Da besteht noch Unklarheit. Auch in dieser Beziehung hätten Sie mehr tun können. ({7}) Ich will aber auch den Ländern - wir haben gesehen, welche Vertreter der Länder in einer solch entscheidenden Phase hier sind; es sind nur noch wenige hier - klar sagen: Die Länder erhalten über 50 Prozent der Steuereinnahmen. Wenn für die Länder gilt, dass sie beim Haben dabei sind, dann gilt für die Länder auch, dass sie beim Soll dabei sind. Das müssen die Länder klar sehen. ({8}) Über den Umgang mit dem Parlament ist viel gesagt worden. Ich hoffe, dass die Äußerungen des Kollegen Schneider nach dieser Sitzung im Haushaltsausschuss den entsprechenden Erfolg haben. Der Umgang mit der Bundesbank, liebe Bundesregierung, scheint mir allerdings doch etwas zweifelhaft zu sein. Sie im Rahmen dieses Verfahrens teilweise sogar unter Rechtsaufsicht zu stellen, ist nach meiner Meinung mit einer unabhängigen Bundesbank nicht möglich. Die FDP wird sich dagegen wehren, dieses Gesetz dafür zu nutzen, diese Unabhängigkeit hier auch nur zu einem kleinen Teil anzukratzen. ({9}) Im Übrigen ist auch die Frage des Insolvenzrechts - die Justizministerin ist ebenfalls nicht mehr anwesend nicht ganz klar. Hier mit einem Wisch das Insolvenzrecht auf Dauer nur deshalb zu ändern, um sich irgendwo an etwas anzupassen, wäre unverantwortlich. Wir können gern über eine Befristung diskutieren. Aber jetzt diese Gelegenheit zu nutzen, auch noch beim Insolvenzrecht in eine Richtung zu gehen, die für den Standort unverantwortlich ist, macht die FDP auf keinen Fall mit. ({10}) Herr Minister, Sie haben gesagt - das stimmt -, seit der Insolvenz von Lehman sei alles anders. Aber wie haben Sie sich denn nach der Lehman-Insolvenz, die am Montag, dem 15. September bekannt wurde, am 16. September verhalten? Da haben Sie doch nicht gesagt, es sei ein Fehler gewesen, dass Lehman „pleitegegangen worden“ ist, sondern Sie haben gesagt: Das ist halt so, da seht ihr mal, die Amerikaner. Man muss also auch sehen, dass an dieser Stelle vonseiten der Regierung keine richtige Reaktion stattgefunden hat. Vielmehr hat man sich erst einmal gefreut, dass die Amerikaner den Mist haben, den sie von den Wurzeln her selber herbeigeführt haben. Von Ihnen war es jedenfalls nicht die richtige Reaktion. ({11}) Zur Aufgabe der Konsolidierungsziele, Herr Minister, Frau Bundeskanzlerin: Ich halte es schon für sehr bemerkenswert, dass man ohne Not aufgibt, was der MinisOtto Fricke ter in einem Interview mit Herrn Müller-Vogg gesagt hat: Unser Etatziel eines ausgeglichenen Haushalts verlieren wir nicht aus den Augen - auch wenn es jetzt länger dauern dürfte. Sie kommen mir wie ein Wanderer vor, der vor sich einen Berg sieht - die Neuverschuldung abzubauen, ist wie die Besteigung eines steilen Berges - und sagt, er verliere den Berg nicht aus den Augen, gehe aber um ihn herum. Das ist nichts anderes als das, was Sie hier ankündigen. Sie wissen genau, dass dazwischen eine Bundestagswahl stattfinden wird. Deswegen ist das im Moment nur weiße Salbe, die allerdings die Minister hinter Ihnen ermutigt, im Rahmen von Beratungen und von Pressearbeit immer wieder neue schöne Geschenke zu versprechen. Das darf nicht passieren, und ich erwarte, dass dem in den nächsten Wochen Einhalt geboten wird. ({12}) Schließlich zu der von uns angesprochenen und kritisierten Exit-Strategie: Bei der IKB, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir gelernt, dass der Bund Verluste in Milliardenbeträgen hat, wenn er sich dauerhaft als Banker versucht. Dann sollten wir bitte, liebe Koalition, liebe Bundesregierung, denselben Fehler nicht noch einmal machen und auch nicht solchen Leuten wie Herrn Lafontaine im Verwaltungsrat der KfW die Möglichkeit geben, so etwas noch länger durchsetzen zu wollen. ({13}) Wir müssen wissen, wann und unter welchen wirtschaftlichen Bedingungen wir aus den Banken herauskommen werden. Dies kann nicht einer Regierung überlassen werden. Meine Damen und Herren, der Staat als Banker wäre etwas völlig Falsches für unsere soziale Marktwirtschaft, die die Starken fördert, aber nicht als Selbstzweck, sondern um den Schwachen in unserer Gesellschaft zu helfen. Dies wird unsere Aufgabe sein. Lassen Sie uns dies bis Freitag anpacken. Die FDP wird das Verfahren unterstützen, in der Sache weiter kritisch sein, aber auch hoffen, dass wir für die Bürger das erreichen, was sie in diesem Lande von der Regierung und dem Parlament erwarten können. Herzlichen Dank. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Michael Meister hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen in dieser Woche als Deutscher Bundestag vor der größten Herausforderung seit 1989/90, als wir die Frage zu beraten hatten, wie wir die deutsche Einheit realisieren. Für diese Aufgabe gibt es keine Blaupause. Niemand weiß, wie wir diese Krise bewältigen können, weil es eine Krise in dieser Form bisher nicht gegeben hat. Deshalb bringe ich zu Beginn meine Hochachtung dafür zum Ausdruck, mit welchem Format die Bundesregierung in dieser Krise agiert, und versichere ihr die volle Unterstützung meiner Fraktion. ({0}) Meine Damen und Herren, wir sollten ein Stück weit vorsichtig sein, was zu viel Selbstgewissheit angeht. Gleichwohl müssen wir auf der Basis der uns verfügbaren Informationen versuchen, zu verhindern, dass sich die Krise weiter verstärkt. Daher sage ich hier in aller Deutlichkeit: Wir als Deutscher Bundestag stehen in dieser Woche ebenfalls in Verantwortung. Es ist die Woche der Verantwortungsträger. Es ist nicht die Woche der Demagogen. ({1}) Kollege Lafontaine hat vorhin darauf hingewiesen, dass eine Ursache der Krise zu viel Liquidität auf den internationalen Märkten ist. Ja, das ist eine Ursache. Aber die Ursache für diese Liquidität ist, dass in den USA über lange Zeit eine Politik billigen Geldes mit einem zu niedrigen Zinsniveau der Zentralbank gemacht worden ist. Diejenigen, die heute im Sinne einer Krisenbewältigung ein künstlich niedriges Zinsniveau fordern, sorgen folglich dafür, dass wieder zu viel Liquidität auf dem Markt ist, womit das Fundament für die nächste Krise gelegt ist. Ihre Ursachenbetrachtung ist richtig, Herr Lafontaine. Aber Ihre Schlussfolgerung geht völlig in die Irre. ({2}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Ausgangspunkt für die Krise war die Entwicklung auf den Immobilienmärkten in den USA. Das war das längste Konjunkturprogramm eines großen Industrielandes, das es jemals gab. Dieses riesige Konjunkturprogramm hat das ausgelöst, was wir hier diskutieren. Deshalb möchte ich alle dringend warnen, zu glauben, dass wir mit wie auch immer gearteten Konjunkturprogrammen aus der aktuellen Krise herauskommen. ({3}) Was wir brauchen, ist ein Nachdenken über die richtigen Strukturen. An dieser Baustelle sollten wir tätig werden. ({4}) Wir haben bisher versucht - ich nenne die Beispiele IKB und Hypo Real Estate -, die Probleme dort, wo sie auftraten - das kann man auch auf die Sachsen-LB beziehen -, zu lösen und zu vermeiden, dass solche Fälle systematisch in den Finanzsektor hineinwirken. Wir stehen heute vor einer Änderung. Wir versuchen nicht mehr, im Nachhinein zu handeln, sondern wir machen jetzt den ersten Schritt zur Prävention. Deshalb ist das, was wir heute diskutieren, ein anderer Ansatz. Der erste Schritt war die Patronatserklärung für die Privatanleger. Ich will ausdrücklich sagen: Ich halte das für richtig, weil es ein Beitrag dazu ist, Vertrauen zu schaffen und der Bevölkerung die Ängste zu nehmen. ({5}) Der zweite Schritt ist die Frage: Wie schaffen wir neues Vertrauen unter den Finanzakteuren? Wir haben seit über einem Jahr dafür geworben, dass dieses neue Vertrauen entsteht, und waren der Meinung, dass dies über Offenheit und Transparenz der Akteure selbst zu erreichen ist. Wir haben sie immer wieder gemahnt, deutlich zu machen, wo bei ihnen selbst die Probleme sind, um durch Offenheit untereinander dazu zu kommen, dass neues Vertrauen entsteht. Wir müssen leider feststellen, dass dies nicht gelungen ist. Die Akteure haben in den vergangenen zwölf Monaten ihre Verantwortung leider nur unzureichend wahrgenommen. Deshalb stehen wir als Staat als Letzter in der Verantwortung, zu versuchen, dieses neue Vertrauen zu schaffen. Dafür dient das Paket, über das wir heute diskutieren. Ich hoffe - dazu sollten wir alle unseren Beitrag leisten -, dass diese Möglichkeit erfolgreich ist, um das Fundament für neues Vertrauen zu legen. ({6}) Vertrauen ist die Währung, in der wir zahlen. Deshalb müssen wir sehen, dass dieser Schritt gelingt. Ich will hier nicht die drei Stufen dieses Pakets noch einmal erläutern; das ist heute Morgen schon geschehen. Ich will aber darauf hinweisen, dass das wichtigste und erste Element die Garantieerklärung ist. Das ist etwas ganz anderes als das, was in den USA mit dem Versuch geschieht, Wertpapiere am Markt aufzukaufen. Wir hoffen, dass die Garantien als Garantie in Anspruch genommen werden. Wir hoffen aber nicht, dass die Risiken, die hinter diesen Garantien stehen, tatsächlich eintreten. Vielmehr hoffen wir, durch die Garantieerklärung das Eintreten der Risiken abzuwenden. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir diesen Schritt tun, weil er hoffentlich dazu führt, größeren Schaden abzuwenden. Ein anderes Thema ist die Eigenkapitalausstattung. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass das Prinzip, das hier angesprochen worden ist, richtig ist. Sowohl die Hilfe bei den Garantieerklärungen wie auch die Hilfe bei der Eigenkapitalausstattung kann es nur unter zwei Bedingungen geben. Die erste Bedingung ist: Es geht nicht kostenfrei. Wer Hilfe in Anspruch nimmt, muss dafür eine Gegenleistung erbringen. Die zweite Bedingung ist: Er muss es sich gefallen lassen, dass er nur noch konditioniert tätig werden kann. An dieser Stelle müssen wir in der Debatte ein bisschen aufpassen. Ich glaube, in der öffentlichen Wahrnehmung werden diejenigen, die als Akteure tätig sind und keine Hilfe in Anspruch nehmen, mit denjenigen in einen Topf geworfen, die Hilfe in Anspruch nehmen. Die erstgenannten Akteure können ihre Geschäftsmodelle so entwickeln, wie sie wollen; für sie gibt es keine Auflagen. Aber von demjenigen, der darum bittet, dass ihm mit Steuergroschen, mit dem Euro des Steuerzahlers, geholfen wird, können wir auch verlangen, dass mit diesem Geld ordentlich umgegangen wird; denn wir sind diejenigen, die für des Steuerzahlers Geld verantwortlich sind. ({7}) Deshalb muss es an dieser Stelle Vorgaben geben, und deshalb müssen wir versuchen, deutlich zu machen, dass wir auf die Verwendung aufpassen. Ich verweise darauf, wie in den USA dem großen Versicherer AIG geholfen wurde: Ihm flossen hohe, zweistellige Milliardenbeträge zu; mittlerweile wurde weiteres Geld nachgeschossen. Es wird berichtet, dass Verantwortliche dieses Unternehmens anschließend Luxusreisen unternommen haben. Das ist nicht vermittelbar. Das zeigt, dass es dazu bei uns nicht kommen darf. Deshalb müssen Guidelines und Konditionen geschaffen werden, und zwar nicht erst dann, wenn es passiert ist, sondern jetzt, in der Gesetzgebung, muss darauf geachtet werden. ({8}) Es wird der Punkt „zeitliche Befristung“ angesprochen. Ich halte es für richtig, dass wir eine zeitliche Befristung zum 31. Dezember 2009 einführen. Die Vertrauensbildung wird hoffentlich irgendwann erfolgt sein, und der Markt kann dann wieder selbsttragend tätig sein. Wir müssen aber auch hier in der Kommunikation deutlich machen: Der 31. Dezember 2009 ist ein Zeitpunkt, von dem wir hoffen, dass der Fonds und die Garantie dann nicht mehr in Anspruch genommen werden. Das ist nicht der Tag, an dem der Fonds abgewickelt sein muss. Ich rate uns dringend dazu, dass wir uns für den zweiten Teil die notwendige Zeit und Muße nehmen, aus diesem Fonds herauszugehen und bitte auch hier mit dem Geld des Steuerzahlers verantwortlich, in Ruhe und Gelassenheit umzugehen, um den Schaden möglichst klein zu halten bzw. den Erfolg für uns möglichst zu optimieren. Deshalb: Ja zur Begrenzung des Fonds auf das Datum 31. Dezember 2009, aber das Herausgehen in aller Ruhe und Gelassenheit und verantwortlich in der Sache. ({9}) Wir müssen an dieser Stelle aufpassen - ich sage ein ausdrückliches Dankeschön -, dass neben der Arbeit, um uns dieses Gesetzespaket vorzulegen, vor der Verabschiedung dieses Gesetzespakets eine Abstimmung auf IWF-Ebene und in der Eurogruppe stattzufinden hat. ({10}) - Danke schön! - Wir müssen aufpassen, dass es an dieser Stelle am Ende des Tages nicht zu Wettbewerbsverzerrungen auf den internationalen Märkten kommt. Es wäre fatal, wenn einzelne Länder Hilfsprogramme auflegen und andere nicht. Deshalb ist die internationale Koordination ausgesprochen wichtig. Ich möchte ein Zweites ansprechen. Wir müssen aufpassen, dass es auch bei uns, also auf nationaler Ebene, nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Es wird eiDr. Michael Meister nige geben, die sagen, sie nähmen die Hilfsangebote unter den vorhin erwähnten Konditionen an, und es wird andere geben, die davon möglicherweise nicht Gebrauch machen. Es darf am Ende doch nicht so sein, dass derjenige, der keine Probleme hat und die Hilfe also nicht in Anspruch nimmt, im Wettbewerb mit denen, die Hilfe in Anspruch genommen haben, schlechter gestellt wird. Ich glaube, darauf müssen wir in den parlamentarischen Beratungen sehr genau achten. ({11}) Wenn wir Hilfe leisten, darf dies nicht im Sinne eines Wettbewerbseingriffs geschehen. Wir haben über das aktuelle Hilfsprogramm und den Fonds hinaus mit Sicherheit erkannt, dass es in dieser Finanzmarktkrise Regelungsdefizite gibt. Sie sind auch schon vor der Krise angesprochen worden. Auf G 7 und EU-Präsidentschaft ist hingewiesen worden. Ich möchte ausdrücklich festhalten: Diese Krise stellt für mich die soziale Marktwirtschaft nicht infrage; vielmehr ist sie der richtige Rechtsrahmen. Was wir machen müssen, ist, die Beseitigung dieser Defizite zu internationalisieren, und dafür ist auch jetzt die Zeit. Mir ist klar: Wenn die Krise vorbei ist, dann werden viele, die das nicht so sehen, wieder für Marktwirtschaft, aber nicht für soziale Marktwirtschaft sein und werden sich wieder gegen den Regelkreis wenden. Deshalb müssen wir jetzt die Chance ergreifen, das Modell der sozialen Marktwirtschaft zu internationalisieren und zu transportieren. ({12}) Im Gegensatz zur Planwirtschaft und im Gegensatz zur reinen Marktwirtschaft, also zur Marktwirtschaft ohne Regeln, ist die soziale Marktwirtschaft ein lernendes System, das sein Regelwerk durch Problemfälle optimieren kann. Wir hatten ein Gleichgewicht auf den Finanzmärkten. Das ist jetzt gestört, und zwar massiv. Alles ist eingestürzt. Jetzt müssen wir ein neues Gebäude errichten und eine neue Balance finden. Es gibt eine Unzahl von Vorschlägen. Ich rate uns dazu, klug zu überlegen, wie die neue Balance aussehen soll, damit sie auch längerfristig trägt und nicht schon beim nächsten kleinen Windstößchen wieder verloren geht. Das heißt: handeln ja, schnell und zügig, aber auch durchdacht, damit es längerfristig zu einer neuen Balance an dieser Stelle kommt. ({13}) Wir können beim Regelwerk tun, was wir wollen: Wenn die handelnden Personen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, dann kann ein solches Regelwerk nicht funktionieren. An dieser Stelle spreche ich den Kollegen Lafontaine - er hat vorhin unsere persönliche Verantwortung angemahnt - persönlich an. Er ist Mitglied des KfWVerwaltungsrats. Wir hatten vor wenigen Wochen eine lang anberaumte Sitzung. Er hat einen Wahlkampftermin in Bayern für wichtiger gehalten als seine persönliche Verantwortung als Mitglied des Verwaltungsrats der KfW. ({14}) Das ist nicht Wahrnehmung von persönlicher Verantwortung, sondern das ist Verweigerung. ({15}) Ein solches Verhalten brauchen wir nicht. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, Herr Kollege! ({16}) Wer glaubt, dass wir ein neues Regelwerk gegen die USA entwerfen können, irrt nach meiner Einschätzung. Wir müssen überlegen, wie wir mit den USA dieses neue Regelwerk weltweit zur Geltung bringen, und dafür Vorschläge machen. ({17}) Nur dann können wir Erfolg haben. Dabei geht es auch um die schon angesprochenen Schlupflöcher. Die können wir nur gemeinsam schließen. Ich möchte schon jetzt ein Dankeschön sagen an die Haushalts- und Finanzpolitiker der Sozialdemokraten, der Grünen, der FDP und meiner Fraktion, weil sie in dieser Woche in einer ungeheuren Anstrengung versuchen werden, eines der größten Gesetzespakete seit langem in kürzester Zeit sachgerecht zu beraten. Ich möchte hier für meine Fraktion ausdrücklich versichern, dass wir nicht schnell, schnell machen. Wir haben Zeitdruck, wir sind in Eile, aber wir wollen auch eine sachgerechte Beratung. ({18}) Wir sind heute in der ersten Lesung. Wir wollen in der Beratung lernen und das Gesetzeswerk in dieser Woche noch weiter optimieren. Das ist ausdrücklich ein Angebot. Es gibt kein Basta nach dem Motto: Es liegt etwas auf dem Tisch. Das muss durchgezogen und beschlossen werden. ({19}) Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich alle einladen - heute Morgen war man hier sehr stark vertreten; mittlerweile ist das ein bisschen weniger stark der Fall -, sich rechtzeitig in die Beratungen einzuschalten. ({20}) Wir stehen vor der größten Herausforderung der letzten 20 Jahre. Das Paket kann nur gemeinsam von Bund und Ländern getragen werden. Teilnehmen an der Beratung, das heißt auch, Verantwortung wahrnehmen. ({21}) Deshalb bitte ich uns, aber auch die Kollegen in den Ländern, der jeweiligen Verantwortung an dieser Stelle gerecht zu werden. ({22}) Wir reden jetzt viel über Wachstum und Wirtschaftsentwicklung. Ich bin davon überzeugt - das möchte ich festhalten -, dass die Wachstumszahlen, die wir jetzt bekommen haben, etwas mit den Rohstoffpreisen, mit den Währungsmärkten und mit der Konjunkturentwicklung weltweit zu tun haben; das haben auch die Sachverständigen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose gesagt. Wir sind gerade bei dem Versuch, die Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft zu begrenzen. Das ist unser Anliegen. Wenn wir an diese Probleme herangehen, müssen wir das sachadäquat tun. Ich rate uns, ein Stück weit Kurs zu halten. Ich sehe keinen Grund, wegen des Finanzpakets, das heute auf dem Tisch liegt, die Haushaltskonsolidierung infrage zu stellen. ({23}) Wir haben mit der Haushaltskonsolidierung die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit geschaffen. Was wir heute vorlegen, ist davon isoliert. Es findet zunächst einmal nicht im Bundeshaushalt statt, sondern in einem getrennt geführten Fonds unter Verwaltung der Bundesbank. Ich bin dankbar, dass die Bundesbank sich dieser Aufgabe als sachkompetenter, vertrauenswürdiger Verwalter stellt. Warten wir bitte einmal ab, in welchem Umfang wir am Ende tatsächlich gefordert werden! Wir sollten nicht irgendwelche Gespenster an die Wand malen. Bei der Konsolidierung des Bundeshaushalts reden wir nicht über Einmaleffekte - die können uns immer wieder ereilen -, sondern wir reden über einen strukturellen Ausgleich. Der strukturelle Ausgleich ist durch das, was wir bisher diskutieren, nicht infrage gestellt. Deshalb rate ich uns bezogen auf den strukturellen Haushaltsausgleich: Kurs halten, weiterführen und Linie halten. Auch das bildet das Vertrauen, das wir dringend brauchen. ({24}) Ein Zweites. Wenn wir etwas tun wollen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, dann sollten wir versuchen, die strukturellen Verbesserungen, die wir vorhaben, gemeinsam umzusetzen. Der Koalitionsgipfel vor gut einer Woche hat das richtige Signal gesetzt. Auf diesem Gipfel wurden strukturelle Verbesserungen beschlossen. Wir sollten nun konsequent daran arbeiten - ich bin dankbar, dass sich das Bundeskabinett heute Morgen zum Teil damit beschäftigt hat -, dass diese wie geplant umgesetzt werden ({25}) und damit ein Beitrag für die Stärkung des Vertrauens geleistet wird und dafür, dass unsere Wirtschaft wieder in Gang kommt. ({26}) - Bei dem Thema, das Sie ansprechen, lieber Herr Kuhn, versuchen wir unsere Zusage zu halten und zu ermöglichen, dass mittelständische Unternehmen leichter und besser auf die nächste Generation übergehen können. ({27}) Ich sage Ihnen voraus, dass wir einen erfolgreichen Abschluss tätigen werden. Wir werden mittelständischen Unternehmen eine bessere Perspektive für die Zukunft bieten, als das gegenwärtig der Fall ist. Dazu bedarf es einer großen Anstrengung, vor allem wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Blick hat. Wir stellen uns der Herausforderung und werden sie auch bewältigen. Zum Abschluss möchte ich einen Appell aussprechen. Wir befassen uns derzeit mit einer schwierigen Materie. Momentan stehen in der öffentlichen Debatte einige Punkte im Vordergrund; aber in diesem Gesetz steckt viel mehr. Ich rate dringend dazu, dass wir nicht öffentlich über Kleinigkeiten diskutieren, sondern uns in den Fachausschüssen intensiv mit den Details befassen, um zu sachgerechten Lösungen zu kommen. In dieser Weise wollen wir von der Union unsere Verantwortung wahrnehmen. Ich freue mich, dass wir diese Debatte führen, und ich hoffe, dass das Ziel, neues Vertrauen in den Märkten und bei den Menschen zu schaffen, durch diese Debatte und das zu verabschiedende Paket erreicht wird. Ich hoffe, dass wir das Paket am Freitag erfolgreich beschließen werden. Vielen Dank. ({28})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Lebendigkeit der Debatten in unserem Parlament selbstverständlich auch durch Zwischenrufe gestärkt wird. Das Wort „pöbeln“, Herr Kollege Lafontaine, in Richtung Redner eignet sich dafür allerdings nicht. ({0}) Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard Schick.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bild der Feuerwehr, das Finanzminister Steinbrück vorhin gewählt hat, muss man genau betrachten. Es ist richtig, dass es auf den internationalen Finanzmärkten brennt, und es ist auch richtig, diesen Brand sehr zügig zu löschen. Dazu soll dieses Rettungspaket einen Beitrag leisten. Es stellt sich nicht die Frage, ob wir handeln sollen; vielmehr ist es richtig, zügig zu handeln. Aber das Bild der Feuerwehr stößt an einer Stelle an seine Grenzen. Wenn ein Ruf bei der Feuerwehr eingeht, dann geht es rasch in den Wagen und mit Tatütata los. Wir nehmen uns hingegen ganz bewusst die Zeit, zu überlegen, wie die Rettung aussehen soll. Hierin besteht der Unterschied zu einem Brandherd in einem Haus. Diese Zeit müssen wir uns nehmen. Wir alle tragen dafür Verantwortung. ({0}) Man muss überprüfen, wie gut diese Feuerwehr in den letzten Monaten gearbeitet hat, bevor wir sie erneut auf den Weg schicken. Hier stelle ich einen eindeutigen Widerspruch zu der Aussage von Frau Merkel fest, dass es keinen Sinn hat, zurückzublicken und über verpasste Chancen zu diskutieren. Im Gegenteil: Wir müssen die Fehler des bisherigen Krisenmanagements betrachten, bevor die Feuerwehr erneut ausrückt. Da gibt es einiges zu kritisieren. ({1}) Mein erster Punkt. Schauen wir uns an, wie bei Hypo Real Estate gearbeitet wird und was das für die jetzt anstehenden Rettungsmaßnahmen bedeutet. Der Aktienkurs der Hypo Real Estate ist auf 3,52 Euro gefallen. Zwischendurch stand er bei 7,50 Euro; jetzt steht er bei 6,10 Euro. Das heißt de facto, dass die Rettungsmaßnahmen dieser Bundesregierung für die Aktionäre der Hypo Real Estate zu einem Plus von ungefähr einer halben Milliarde Euro geführt haben. Dann ist die Frage der Gegenleistung nicht eine Frage, die man mit dem Wort „Gebühr“ abtun kann. Wir wollen dafür sorgen, dass bei einer Rettungsmaßnahme nicht auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger stehen, die die Risiken eingehen und vielleicht Verluste tragen müssen, und auf der anderen Seite eine halbe Milliarde Euro einfach in die Taschen von Aktionären gelangt, ohne dass eine Gegenleistung in entsprechender Höhe eingefordert wird. ({2}) Der zweite Blick auf die Qualität dieser Feuerwehr: 15 Monate ist es her, seitdem die ersten Hedgefonds in den USA gefallen sind. Dann stellt sich die Frage, was in den vergangenen 15 Monaten passiert ist. Die erschreckende Antwort lautet: viel zu wenig. An vielen Stellen haben wir als Opposition in den Ausschüssen und hier im Plenum darauf hingewiesen und haben immer wieder gehört: Nein, bei uns ist alles in Ordnung. Jetzt wollen Sie in aller Kürze die Finanzaufsicht neu strukturieren und etwas überarbeiten. Die Kanzlerin hat angekündigt, dies bis zum Jahresende tun zu wollen. Finanzminister Steinbrück hat aber noch vor wenigen Wochen die Auffassung vertreten, dass die BaFin nicht ans Geschäftsmodell herangehen soll. Jetzt folgt plötzlich der Umschwenk. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich in den vergangenen 15 Monaten gemacht? ({3}) Genauso verhält es sich bei der Koordination auf europäischer Ebene. Im Ausschuss haben wir gefragt, weshalb das nicht sinnvoll europäisch koordiniert wird. Es könnten doch auch Banken, die grenzüberschreitend tätig sind, wackeln. Darauf gab es keine Antwort. Jetzt muss in wenigen Tagen ein europäischer Krisenmechanismus etabliert werden. Ich frage mich: Was haben Sie in den vergangenen 15 Monaten getan? Warum müssen wir heute in großer Eile etwas durchpeitschen, und warum müssen sich die europäischen Regierungen ganz schnell zusammenfinden? Zeit zur Vorbereitung war gegeben. Es ist nicht so, dass wir etwas völlig Neues haben. Herr Meister, Sie haben so getan, als gebe es keine Vorbilder. Man hat aber in Japan und in Schweden einige Vorbilder gehabt. Man weiß, wie gefährlich Bankenkrisen sind und dass ein effektives Krisenmanagement erforderlich ist. Sie haben das 15 Monate lang nicht vorbereitet. Das ist die Qualität der Feuerwehr, mit der wir es hier zu tun haben. ({4}) Vor diesem Hintergrund ist die Position von Bündnis 90/Die Grünen ganz klar. Einer Feuerwehr, die in den vergangenen 15 Monaten so schlecht gearbeitet hat, können wir keinen Blankoscheck ausstellen. Sondern dann fragen wir genau: Was ist der Auftrag? Wie sieht die Gegenleistung für die Bürgerinnen und Bürger aus? Wie kann aus dem Parlament heraus kontrolliert werden, dass die Rettungsmaßnahmen für die nächsten 15 Monate wirklich gut sind und die Gegenleistungen stimmen? Das ist unsere Position. Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Nina Hauer.

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass viele Menschen, die uns heute zuhören und die uns Abgeordneten schreiben, sich fragen: Weshalb helfen sie den Banken? Wenn ich mich nicht an die Regeln halte, dann gibt mir niemand Geld, dann hilft mir auch niemand. Wir wollen in dieser Debatte deutlich machen, dass wir das natürlich verstehen können, dass es aber nicht darum geht, den Banken und schon gar nicht den Bankern zu helfen oder sie „herauszuhauen“ aus der Situation, die sie zu verantworten haben. Vielmehr geht es uns darum, das Geld der Bürgerinnen und Bürger zu sichern. ({0}) Die Notgroschen, die Altersvorsorge und das, was zurückgelegt worden ist, das wollen wir sichern. Außerdem wollen wir sichern, dass die Wirtschaft - die kleinen, aber auch die großen Unternehmen - weiterhin an Kapital herankommt, dass sie Kredite bekommt. Das gilt natürlich auch für die Privatleute. Die Finanzwirtschaft ist der Blutkreislauf unserer Wirtschaft. Deswegen unternehmen wir diese Anstrengungen. Wir tun das nicht ohne Gegenleistung von denjenigen, die diese Katastrophe zu verantworten haben. Wer eine Bürgschaft vom Staat in Anspruch nimmt, der muss dafür auch eine Gebühr bezahlen, wie es bei normalen Bankkunden auch der Fall ist, ({1}) der muss sich auch an die getroffenen Vereinbarungen halten, wenn er diese Bürgschaft annehmen will. Wer schwierige Vermögenswerte in seiner Bilanz hält und diese an den Staat verkaufen bzw. abgeben will, der muss auch sicherstellen und sagen, dass er diese zurücknimmt; denn der Wert der Papiere, die jetzt wertlos sind, wird sich in den nächsten Monaten wieder verändern. Wer vom Staat Eigenkapital erhält und damit seine Basis stärkt, der muss akzeptieren, dass er nicht mehr so weiterwirtschaften kann wie vorher. Der Vorstand, der Geld vom Staat in Anspruch nehmen will, weil er sonst die Liquidität nicht mehr gewährleisten könnte, muss sich an bestimmte Regeln halten. Bei Nichtbeachtung wird er zur Rechenschaft gezogen. Auch gegenüber seinen Aktionären muss er Rechenschaft ablegen. ({2}) Wir haben konkrete Punkte in das Gesetz hineingeschrieben: Die Gehälter von denjenigen, die sich entschieden haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen, werden begrenzt. Die sehr ausufernden Bonuszahlungen werden beendet. Es gibt keine Dividendenausschüttung - übrigens auch nicht für die anderen Eigentümer. Auch dieser Punkt, der einen Eingriff ins Aktienrecht darstellt, ist wichtig: Die Vereinbarung, die der Vorstand trifft, kann von der Hauptversammlung nicht ohne Weiteres außer Kraft gesetzt werden. Das heißt, die Anteilseigner der betreffenden Banken werden sich also Gedanken machen müssen, wie sie in Zukunft besser kontrollieren und besser nachvollziehen können, womit eigentlich das Geld verdient wird. Natürlich muss gegenüber dem Fonds Rechenschaft hinsichtlich der Ausrichtung der Geschäftspolitik abgelegt werden. Es geht also auch um die Frage, wie Kredite vergeben werden. Wir wollen darauf achten, dass der Vorstand sicherstellt, dass die Unternehmen weiterhin Kredite bekommen. An dieser Stelle mischt sich der Staat ein. Ich habe mit Interesse die Stellungnahme des Bundesverbandes deutscher Banken zu diesem Gesetz gelesen, in der es heißt, dies gehe zu weit, der Staat dürfe sich nicht in die Geschäftstätigkeit der Banken einmischen. Wir sagen: Ihr hattet eure Chance. Jetzt werden wir uns einmischen. Wer Geld vom Staat bekommt, muss darlegen, wofür er seine Kredite vergibt. Ich bin dafür, dass in diese Vereinbarung aufgenommen wird, dass ein Teil der risikobehafteten Kredite und Verbriefungen im Portfolio behalten wird. ({3}) Ich glaube, dass diejenigen, die beispielsweise noch 20 Prozent Anteil an solchen Krediten und Verbriefungen halten, ein ganz anderes Verantwortungsgefühl entwickeln. Diesen Punkt wollen wir in die Vereinbarung aufnehmen. Damit stellen wir sicher, dass wir die Entwicklung in eine andere Richtung drehen können. Natürlich sind wir damit noch nicht am Ende. In den letzten Jahren haben wir im Parlament viele Regulierungen beschlossen, die den Finanzmarkt betreffen. Das meiste davon kann sich wirklich sehen lassen. Es ging nämlich nicht nur darum, klarere Regeln aufzustellen und deren Einhaltung zu kontrollieren, sondern es ging auch um den Anlegerschutz, für den wir viel getan haben. Wir haben dafür gesorgt, dass die Leute erklärt bekommen, was der Unterschied zwischen einem Investmentfonds und einem Zertifikat ist. Es ist sichergestellt, dass sich die Menschen auf diese Gespräche berufen können. All das haben wir umgesetzt. Natürlich ist dieser Weg noch nicht zu Ende. Wir sind weiterhin gefragt, wenn es darum geht, diese Regeln durchzusetzen. Wie man auf die Fragen „Wo kann nachgefragt werden? Wie gefährlich und wie risikobehaftet ist ein bestimmtes Finanzprodukt?“ reagieren soll, kann man ruhig noch einmal zum Gegenstand der politischen Erörterung machen. Bei jedem Medikament kann man nachlesen, welche Risiken und Nebenwirkungen es hat. Warum sollte man dies nicht bei einem Finanzprodukt tun können, und das in einer Sprache, die die Leute auch verstehen können? Diese Konsequenzen müssen wir ziehen. Steueroasen, die bewirkt haben, dass manches Finanzprodukt nicht wegen seiner finanztechnischen Wirkung, sondern wegen seiner steuerlichen Wirkung interessant geworden ist, gehören ebenfalls zu diesem Themenkomplex. Wir haben hier noch einige Aufgaben vor uns. Ich glaube, dass wir mit dem, was wir jetzt vereinbart haben, richtig handeln; denn damit stellen wir sicher, dass unsere Wirtschaft - Realwirtschaft und Finanzwirtschaft können nicht getrennt werden; sie bilden eine Einheit - unter dieser Krise nicht leidet, und vor allen Dingen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger keine Sorge um ihr gespartes Geld machen müssen. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Rainer Wend hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sicher verwundert es Sie nicht, dass ich mich als Wirtschaftspolitiker vor allen Dingen frage, welche Auswirkungen die Finanzkrise eigentlich auf die sogenannte Realwirtschaft hat, also auf den Maschinenbau, auf die Automobilindustrie, auf die chemische Industrie und die Elektroindustrie, um nur einige Bereiche zu nennen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es solche Auswirkungen geben wird. Wir können sie heute nicht quantifizieren. Das kann niemand. Wir müssen aber befürchten, dass diese Finanzkrise ein Stück weit auf die Realwirtschaft überspringt und damit das, was wir in den letzten Monaten so prima hinbekommen haben, nämlich einen Aufbau der Erwerbstätigkeit, in Mitleidenschaft gezogen wird. Ich möchte mich einem Bereich der Realwirtschaft insbesondere zuwenden, dem deutschen Mittelstand. Ich habe zwar weiß Gott nichts gegen die Großindustrie; aber im deutschen Mittelstand entstehen die Arbeitsplätze und die Ausbildungsplätze. Auch dieser Mittelstand droht ein Stück weit in Mitleidenschaft gezogen zu werden, wenngleich er extrem stabil ist. Aber wenn die Herbstferien - um es am Beispiel der Firma Opel festzumachen - um eine Woche verlängert werden, wenn also die Bänder außerplanmäßig stillstehen, hat das natürlich Auswirkungen auf die Zulieferindustrie. Die Zulieferindustrie besteht im Wesentlichen aus kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist der klassische Mittelstand, und der bekommt die Folgen zu spüren. Wir müssen uns also verantwortlich fragen: Was können wir tun, um unseren Mittelstand in dieser Situation zu stützen? Punkt eins. Das Paket von insgesamt 500 Milliarden Euro, das auf den Weg geschickt wurde, ist richtig, weil es Liquidität und den Interbankenverkehr sichert und weil es verhindert, dass für den Mittelstand eine Kreditklemme eintritt. Wir haben aber auch noch andere Dinge gemacht, die zwar zurzeit wenig Beachtung finden, die ich aber für wichtig halte. Das eine ist die Lockerung des Insolvenzrechtes. Wir haben es vor knapp zehn Jahren verschärft und sind jetzt dabei, zu sagen, dass in Zukunft nicht jedes Unternehmen - beispielsweise jeder Handwerkerbetrieb -, das kurzfristig in Liquiditätsproblemen ist, aber mittelfristig eine gute Prognose hat, sofort einen Konkurs- bzw. Insolvenzantrag stellen muss. Ich glaube, dass das eine richtige Antwort auf unsere Krisensituation ist. Ich möchte dem Kollegen Fricke ausdrücklich recht geben: Wir sollten uns fragen, ob wir die Lockerung des Insolvenzrechtes nicht zeitlich befristen, weil das, was wir vor acht Jahren gemacht haben, grundsätzlich und ordnungspolitisch nicht völlig falsch war. Aber in dieser Krise ist es richtig, eine Lockerung - sehr gerne zeitlich begrenzt - vorzunehmen. Punkt zwei. Ich glaube, dass es nicht wirklich hilft, heute ein großes Konjunkturprogramm zu fordern, das im Wesentlichen kurzfristige Strohfeuereffekte hätte wenn überhaupt. Aber wir müssen versuchen, die Investitionen, die wir als Staat machen, zu verstetigen. Dazu gehört beispielsweise, dass wir auch in Zukunft das sogenannte ERP-Sondervermögen für den Mittelstand nutzen können. Was heißt das? Wir wollen etwa 368 Millionen Euro - dies sind zurzeit die Möglichkeiten im Rahmen des ERP-Sondervermögens - für die Förderung von Existenzgründungen, für die CO2-Gebäudesanierung und Ähnliches ausgeben. Das schafft ein Gesamtvolumen an Investitionen von etwa 4 Milliarden Euro - denn das zieht ja viele Dinge nach sich - vor allen Dingen für kleine und mittlere Unternehmen. Dieses ERPSondervermögen ist ein Stück weit durch die - ich formuliere es einmal vornehm - Fehlbuchung der KfW an Lehman Brothers, aber auch durch die IKB-Problematik in Mitleidenschaft gezogen worden. In diesem Jahr werden 148 Millionen Euro fehlen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das ERP-Vermögen im Interesse des Mittelstandes und der Investitionen bei uns im Land ungeschmälert aufrechterhalten wird. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist mehrfach gesagt worden: Unsere Marktwirtschaft ist in einer Legitimationskrise. Wir sollten das ruhig so nennen. Wie wollen wir es den Menschen denn auch verständlich machen, dass wir seit Mitte der 90er-Jahre eine Reallohnstagnation hatten - mit Ausnahme des letzten Jahres; da ist der Reallohn nach oben gegangen -, in derselben Zeit aber im Finanzsektor die Managergehälter explodiert sind und dass nun ausgerechnet diejenigen, deren Gehälter explodiert sind, verantwortlich für eine Krise sind, deren Lösung wieder von denen, nämlich vom Steuerzahler, bezahlt wird, die in den letzten zehn Jahren eine Reallohnstagnation hatten? Wem will man denn erklären, dass ein solches System vernünftig ist? Das kann man keinem Menschen erklären. ({1}) Deswegen müssen wir aufpassen, dass daraus keine Legitimationskrise unserer Demokratie wird. Das wird uns nur gelingen, wenn wir neben den richtigen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung Maßnahmen zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte einleiten. So, wie es in der Vergangenheit war, kann es nicht bleiben. Ich glaube, wir haben in dieser Krise die Chance - das soll nicht zynisch klingen, sondern ist sehr ernst gemeint -, die Proportionen in unserer Gesellschaft wieder zurechtzurücken; ({2}) denn so wie der Staatssozialismus, der glaubte, alle staatlich reglementieren und lenken zu können, bereits vor 20 Jahren gescheitert ist, so ist heute die völlig freie Marktwirtschaft gescheitert, die geglaubt hat, auf jegliche Regeln und staatliche Kontrolle verzichten zu können. Setzen wir deshalb darauf, durch enge internationale Kooperation die Globalisierung zu gestalten; lassen wir uns nicht von ihr gestalten. Setzen wir auf die Findigkeit und Kreativität der Marktwirtschaft, wenn es darum geht, die klaren Regularien der demokratischen Staaten zu ergänzen. Das wäre eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft, die Wohlstand schaffen kann, und würde unsere Demokratie deutlich stärken. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Es wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/10600 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Finanzausschuss sowie den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu überweisen. - Dazu gibt es offensichtlich keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich unterbreche die Sitzung bis zur Befragung der Bundesregierung um 13 Uhr. Ihnen wird durch Klingelsignal rechtzeitig der Wiederbeginn der Sitzung angekündigt. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung und Entwurf einer Verordnung über die Erhebung von Beiträgen zur Arbeitsförderung nach einem niedrigeren Beitragssatz. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales Olaf Scholz. Bitte schön.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Die Bundesregierung hat heute ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,0 Prozent gesenkt wird, und parallel dazu eine Verordnung beschlossen, die bis zum Sommer des übernächsten Jahres zu einer weiteren Absenkung des Beitragssatzes auf 2,8 Prozent führt. Das ist ein wichtiger Schritt, der dazu beitragen soll, die Konjunktur in unserem Lande zu stützen. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass es durch die Reformpolitik der letzten Jahre gelungen ist, eine so gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren, dass die Beitragseinnahmen der Bundesagentur für Arbeit in der Vergangenheit ausreichen, um jetzt eine solche drastische Absenkung des Beitragssatzes zu rechtfertigen und damit in einer vielleicht schwieriger gewordenen Phase die Konjunktur zu stützen. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Der Beitragssatz wurde zunächst von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent gesenkt, dann von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent und jetzt von 3,3 Prozent auf 3,0 Prozent. Das ist im Übrigen der strukturell vernünftige Beitragssatz angesichts der Höhe der heutigen Arbeitslosigkeit. Wenn wir sicherstellen können, dass wir nicht mehr Arbeitslose als heute bekommen, können wir ihn langfristig so halten und damit die Aufwendungen der Arbeitsförderung finanzieren und die damit verbundenen Tätigkeiten organisieren. Unser Ehrgeiz muss sein, das zu schaffen. Wir haben deshalb parallel dazu dafür gesorgt, dass die Zahl derjenigen, die sich um die Vermittlung kümmern, weiter ausgebaut wird. Für den Bereich des Arbeitslosengeldes II wird es zu einem deutlichen Aufwuchs kommen, sodass eine vernünftige Relation zwischen Vermittlern und Arbeitssuchenden entsteht und die Chance, dass jemand einen Arbeitsplatz findet, weil er gut unterstützt wird, gesteigert wird. Das, was wir hier tun, führt dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger um fast 30 Milliarden Euro im Jahr entlastet werden gemessen an dem Beitragssatz, von dem aus wir gestartet sind und von dem aus es uns gelungen ist, die Beiträge zu senken. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Das waren weniger als fünf Minuten; das wollen wir nicht kritisieren. Kollege Niebel hat die Gelegenheit zu einer ersten Nachfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich war überrascht, weil ich dachte, die Bundesregierung hätte noch so viel mehr zu dem Thema zu sagen. Hier wurde angekündigt, in der Regierungsbefragung gehe es um den Entwurf eines Gesetzes zur Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung. Da wir, wie Kollege Kolb im zuständigen Fachausschuss festgestellt hat, keinen Beitragssatz zur Arbeitsförderung leisten, sondern nur zur Arbeitslosenversicherung, interpretieren wir die Überschrift dieser Befragung der Bundesregierung so, dass Sie durchaus akzeptieren und unterschreiben, dass durch die Beitragssatzsenkungen Arbeitsplätze gesichert werden, sie also faktisch Arbeitsförderung sind. Nun lautet der Vorschlag der Bundesregierung, die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf 2,8 Prozent nur bis nach der Bundestagswahl zu befristen. Stimmen Sie mir zu, dass Beitragssenkungen arbeitsfördernd wirken? Wenn Sie mir zustimmen, können Sie dann bestätigen, dass die Anhebung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nicht befristet ist, dass also auch nach der Bundestagswahl weiter erhöhte Beiträge erhoben werden?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Zunächst einmal, Herr Kollege, ist es richtig, dass ein zu hoher Beitragssatz zur Sozialversicherung schlechte Auswirkungen auf die Beschäftigungslage in unserem Land hat. Deshalb gehört es zum Stolz der Regierungen der letzten zehn Jahre, seit 1998 für eine weitgehende Stabilität der Beiträge gesorgt zu haben. Sie erinnern sich noch an die Zeit der Mitregierungsverantwortung der FDP. Vom Anfang der 80er-Jahre bis 1998 ist der Beitragssatz von 32 Prozent auf etwa 42 Prozent gestiegen. Dies war ein schlimmer Fehler, der nach 1998 sorgfältig korrigiert werden musste. Seitdem haben wir es geschafft, den paritätischen Beitragssatz zu drücken und bei unter 40 Prozent zu stabilisieren. Das gelingt auch jetzt, weil wir die Entscheidung, über die wir hier reden, parallel zu der wegen der gestiegenen Gesundheitskosten unvermeidbaren Anhebung der Beiträge im Bereich der Krankenversicherung getroffen haben. Diese Anhebung ist im Übrigen auch deshalb zustande gekommen, weil den vielen Wünschen der FDP nach einer besseren finanziellen Ausstattung der Ärzte nachgegeben worden ist. Sie waren zwar nicht die Einzigen, die dies gefordert haben, aber Sie waren ganz laut. Insofern sollten Sie sich jetzt nicht leise verdrücken, wenn das, was Sie gefordert haben, bezahlt werden muss. ({0}) Wir haben darüber hinaus dazu beigetragen, dass die Ausstattung der Krankenhäuser und des Pflegebereichs insgesamt verbessert wird. Das führt übrigens dazu, dass unmittelbar auf einem der Wachstumsmärkte unseres Landes, nämlich in der Gesundheitswirtschaft, Arbeitsplätze entstehen. Deshalb ist es vielleicht eine vernünftige Kombination, dort das, was für unser Zusammenleben notwendig ist, zu bezahlen und dort, wo wir Rücklagen haben, einen Beitragssatz zu wagen, der unter dem liegt, welchen wir für die laufenden Ausgaben brauchen. Wie gesagt: Rücklagen bei der Bundesagentur für Arbeit machen keinen Sinn, wenn wir langfristig auch anders klarkommen können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Niebel, bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da der Minister die Antwort auf meine Frage schön umgangen hat, möchte ich eine Nachfrage stellen. Sie wissen ja, dass die FDP seit über einem Jahr eine Beitragssatzsenkung auf 3 Prozent bei der Arbeitslosenversicherung fordert und seit gut einem halben Jahr aufgrund der guten finanziellen Entwicklungen und natürlich auch wegen der sinkenden Arbeitslosigkeit die 2,8 Prozent als Zielmarke präferiert. Nun geht es mir noch einmal um die Frage der Befristung. Sie haben zwar verklausuliert, aber mir doch insgeheim zugestimmt, dass eine Senkung der Beiträge arbeitsplatzfördernd und -sichernd ist.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Nicht verklausuliert, sondern laut und deutlich.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

. Dann nehme ich das laut und deutlich zur Kenntnis. Da Sie dem zustimmen, werden Sie mir auch dahin gehend zustimmen - ich frage Sie, ob das so ist -, dass eine dauerhafte Beitragssenkung eine dauerhafte Planungssicherheit für die handelnden Akteure am Arbeitsmarkt darstellt. Damit meine ich sowohl die Arbeitgeber, die die Beiträge als Kostenfaktor zu realisieren haben, als auch die Arbeitnehmer, die gerade in einem sich entwickelnden wirtschaftlichen Abschwung natürlich mehr Geld für Konsum übrig behalten. Dies vollzieht sich zwar nur im kleinen Rahmen, aber aufgrund einer Beitragssenkung bleibt mehr Netto vom Brutto übrig. Wäre es dann Ihrer Ansicht nach arbeitsmarktpolitisch klüger und sinnvoller, den Beitrag dauerhaft auf das jetzt Mögliche von 2,8 Prozent zu senken in der Hoffnung, dass die daraus resultierenden positiven Effekte zu einer Verstetigung der guten Arbeitsmarktsituation, zu mehr Einnahmen und weniger Ausgaben und somit zu einer langfristigen Haltemöglichkeit dieses Beitragssatzes führen, statt von vornherein kleingeistig Sorge zu haben, dass man womöglich wieder erhöhen muss? Der Termin ist doch nach der Bundestagswahl. Da kann man ruhig einmal mutig sein.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Herr Abgeordneter, es gehört zur Großgeistigkeit des Ganzen, dass man die Zusammenhänge richtig darstellt. Sie möchten gerne einen strukturellen Beitragssatz von 2,8 Prozent, und zwar unabhängig davon, wie viele Einnahmen und wie viele Ausgaben anfallen. Dann müssten Sie hier gleichzeitig laut fordern, dass die Aufwendungen der Bundesagentur für Arbeit notfalls in einer Milliarden-Größenordnung aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden, und dies müssten Sie als FDP-Programm verkünden. Da Sie das nicht tun, ist der Satz, den Sie sagen, sinnlos. Denn ohne diese zusätzliche Bemerkung macht Ihre Erkenntnis keinen Sinn. Wir glauben, dass es vernünftiger ist, über die strukturell richtige Höhe des Beitrages nachzudenken. Dabei haben wir uns durchaus mutig an den Erfolgen der Arbeitsmarktpolitik, die wir jetzt verzeichnen können, und der Tatsache orientiert, dass wir nun über 3 Millionen Arbeitslose und deutlich weniger als 1 Million Arbeitslosengeld-I-Bezieher - ich drücke es einmal so untechnisch aus - haben. Diese Aufwendungen können wir bei einem Beitragssatz von 3,0 Prozent bezahlen. Da es keinen Sinn hat, Rücklagen nur hübsch anzuschauen, wollen wir die Rücklagen, die wir haben, jetzt verwenden; durch die aktuelle Lage sind wir hierin bestätigt worden. Wir wollen das Geld den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellen. Die Beitragsbelastung soll geringer ausfallen, als es zur Finanzierung der laufenden Ausgaben nötig wäre. Momentan geben wir nämlich laufend mehr Geld aus, als wir durch Beitragszahlungen einnehmen. Das ist vertretbar, weil wir Rücklagen in Höhe von 15 Milliarden Euro haben. Es ist aber nicht sinnvoll - das möchte ich auf Ihre Frage antworten -, von einem Beitragssatz auszugehen, der strukturell und langfristig so niedrig ist, dass die Einnahmen nicht ausreichen. Deshalb stellt unser Vorschlag eine hochintelligente, moderne und liberale Kombination dar. Wir setzen einen Beitragssatz fest, der strukturell richtig ist und den wir über die Verordnung des Bundesarbeitsministers in der Hand haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Sie haben eine letzte Nachfrage, Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich weiß, dass ich noch eine letzte Nachfrage habe. ({0}) Herr Minister, wenn ich Sie sinngemäß richtig zitiere, sagen Sie nicht allzu selten: Man muss jetzt das Richtige tun. Hier stimme ich Ihnen natürlich zu; ich glaube, das würde das gesamte Hohe Haus tun. Das gilt übrigens für alle politischen Felder, über die man diskutieren kann. Ich stimme Ihnen auch zu, dass es sich bei den Rücklagen der Bundesagentur natürlich um Geld handelt, das den Beitragszahlern, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, zu viel abgenommen worden ist. Man muss es ihnen zurückgeben, um auf der einen Seite Arbeit billiger zu machen und um auf der anderen Seite, auf der Arbeitnehmerseite, den Konsum durch mehr Netto vom Brutto zu stärken. Da Sie allerdings beklagen, dass das Geld dann womöglich nicht für die Ausgaben reichen würde, frage ich Sie: Wie wäre es, wenn man einmal die Ausgaben überprüfen würde? Ich weiß, dass wir morgen, ausgehend von einem FDP-Antrag, eine Debatte zur Modernisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente führen werden. Sie und ich wissen - das gilt wahrscheinlich auch für den Rest des Hohen Hauses -, dass in den Schubladen Ihres Ministeriums seit weit mehr als einem Jahr ein Evaluierungsbericht der Bundesregierung - nicht etwa der bösen Opposition - über die Effizienz arbeitsmarktpolitischer Instrumente liegt, dessen Ergebnisse vernichtend sind. In diesem Bericht werden gerade einmal neun von 80 arbeitsmarktpolitischen Instrumenten als irgendwie sinnvoll und zielgerichtet beschrieben; ansonsten wird das Geld anderer Leute, nämlich der Beitragszahler, offenkundig uneffizient ausgegeben. Wie wäre es, wenn wir nach drei Jahren dieser Regierung, der sogenannten Großen Koalition, endlich einmal die Ausgabenseite der Bundesagentur betrachten würden, um sie so zu gestalten, dass Geld nur noch ganz gezielt für integrative Prozesse ausgegeben wird und nicht für irgendetwas, was ideologisch vielleicht wünschenswert wäre?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Dies ist ein guter Tag, denn der FDP-Politiker Niebel lobt die Bundesregierung häufiger. ({0}) In diesem Fall danke ich ihm dafür. Wir sind Ihrer Anregung - nicht nur Ihrer Anregung, sondern auch der vieler anderer, übrigens auch unserer eigenen - gefolgt und haben die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente im Kabinett beschlossen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird auf den Weg gebracht. Die Zielsetzung der Koalition ist, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch in diesem Jahr zu beschließen. Dabei werden einige Instrumente abgeschafft, die sich unseren Evaluationserkenntnissen zufolge als nicht sinnvoll erwiesen haben oder in nur 80, 100 oder 300 Fällen überhaupt angewandt wurden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik einen Instrumentenkatalog benötigen, den der einzelne Vermittler und die einzelne Vermittlerin im Gespräch mit den Arbeitssuchenden selbstständig anwenden kann, ohne in einem Handbuch blättern zu müssen. Es kann auch nicht angehen, dass sich jeder Abgeordnete nach einer längeren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag und nach mehrjährigem Engagement in der Sozialpolitik mit seinem eigenen arbeitsmarktpolitischen Instrument im Gesetz verewigt. Vielmehr brauchen wir eine überschaubare und flexible Handlungsstruktur. Diese werden wir mit diesem Gesetz schaffen. Was Ihre Grundvermutung angeht, dass Geld, das für Arbeitslose ausgegeben wird, immer schlecht ausgegebenes Geld ist, bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung. Das ist allerdings eine grundsätzliche Haltung der FDP, die sehr häufig zum Ausdruck kommt, wenn Sie sagen, man müsse sparen. Uneleganterweise sagen Sie nicht, man müsse bei den Arbeitslosen sparen, sondern beim Scholz. Dabei meinen Sie aber nicht mein Weihnachtsgeld, ({1}) sondern Sie meinen, dass wir die aktive Arbeitsmarktpolitik, die wir für diejenigen machen, die keine Arbeit finden und in deren Rahmen wir unter Verwendung bestimmter Instrumente dazu beitragen wollen, dass sie einen Arbeitsplatz bekommen, einstellen sollten. Das ist eine falsche Herangehensweise. Eine solche Haltung ist von Missgunst gegenüber denjenigen, die ohne Arbeit sind, geprägt. Herr Niebel, diese Missgunst teilen wir nicht. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Pothmer, Sie haben jetzt Gelegenheit, zu fragen. ({0})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Brauksiepe, Sie geben mir immer sehr hilfreiche Tipps; dafür möchte ich mich in diesem Hohen Hause ausdrücklich bedanken. Herr Minister, die Bundesagentur für Arbeit hat berechnet, dass die Senkung des Beitragssatzes zur ArBrigitte Pothmer beitslosenversicherung auf 2,8 Prozent für das operative Geschäft ein Minus in Höhe von 5 Milliarden Euro zur Folge hätte. Diese Berechnungen fußen noch auf Wachstumserwartungen von 1,2 Prozent. Ich glaube, wir alle wissen, dass das illusorisch ist. Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute haben mitgeteilt, dass wir mit einer Wachstumsrate von 0,2 Prozent bis 0 Prozent zu rechnen haben. Das bedeutet weniger Einnahmen und eine höhere Arbeitslosigkeit, also auch mehr Ausgaben. Können Sie mir sagen, welche Wachstumserwartung bei dieser Absenkung auf 2,8 Prozent, die bis zum Sommer des übernächsten Jahres gelten sollen, zur Grundlage gemacht wurde?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich will noch einmal sagen: Die Bundesagentur für Arbeit hat aufgrund der guten Entwicklung des Arbeitsmarktes - infolge der Arbeitsmarktpolitik der Regierungen bis zur letzten Legislaturperiode, die wir gemeinsam getragen haben, und der jetzigen Regierung - Rücklagen aufgebaut; denn es ist uns gelungen, eine Belebung auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, die dazu geführt hat, dass jetzt weniger Bürgerinnen und Bürger arbeitslos sind. Deshalb kommen wir mit den Einnahmen besser als in der Vergangenheit hin, sodass wir den Beitragssatz mehrfach senken konnten. Wir haben uns jetzt überlegt, wie wir strukturell vorgehen. Dabei sind wir immer von den gleichen Zahlen wie die Bundesagentur für Arbeit ausgegangen, weil wir gemeinsam gerechnet und kalkuliert haben. Wir haben gesagt: Langfristig verantwortbar ist ein Beitragssatz von 3,0 Prozent. Darüber war ich mir mit dem Chef der Bundesagentur für Arbeit auch immer einig. Gleichzeitig ist es die politische Überzeugung des Arbeitsministers und der Regierung - die aber auch von der Bundesagentur für Arbeit geteilt wird -, dass es nun keinen Sinn macht, sich wie Dagobert Duck seine Milliarden zu betrachten, sondern es vielmehr sinnvoll ist, sie für die Bürgerinnen und Bürger einzusetzen. Das tun wir. Wir glauben, dass wir den Beitragssatz von 2,8 Prozent bis zum Sommer des übernächsten Jahres vertreten können. Längerfristig haben wir strukturell einen anderen Beitragssatz festgesetzt. Sollten wir - das ist jetzt natürlich eine ganz ehrgeizige Sache - in zügiger Zeit eine weitere Absenkung der Arbeitslosigkeit erreichen, dann würde man ihn auch strukturell weiter absenken können. Das kann man jetzt aber natürlich nicht vorhersehen und einfach in einen Gesetzentwurf schreiben, weil man fest daran glaubt, sondern das muss man dann auch beobachten und hochrechnen können. 2,8 Prozent sind also sehr vertretbar. Im Übrigen spricht auch alles für die, wie ich finde, in der Tat intelligente Kombination, die die Regierung gewählt hat, nämlich einen Gesetzentwurf zu erstellen, in dem ein strukturell verantwortbarer Beitrag verankert ist, und über die Möglichkeit der Rechtsverordnung gleichzeitig Sorge dafür zu tragen, ein bisschen von dem Polster abzubauen und diese Mittel in einer Zeit, in der das Sinn macht, den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu stellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Pothmer, Sie wollen noch nachfragen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, werden Sie den Beitragssatz von 2,8 Prozent aufgrund der Tatsache, dass sich die Erwartung von 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum aller Voraussicht nach nicht erfüllen wird, sodass das angesammelte Geld schneller abschmilzt, auch früher als im übernächsten Sommer wieder anheben, ({0}) oder bleiben Sie, egal was kommt, bei diesem Beitragssatz?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Wir haben uns fest vorgenommen, den Beitragssatz von 2,8 Prozent bis zu dem vorgesehenen Fristende beizubehalten. Dass wir mehr Spielraum haben, ist richtig. Das ergibt sich aus der rechtlichen Struktur und ist für diejenigen, die in der Sache etwas weniger mutig als die Regierung sind, vielleicht auch ganz beruhigend. Jedenfalls haben wir uns hinsichtlich des Zeitraums überlegt, welchen Beitragssatz man gut vertreten kann, ohne dass man sich korrigieren muss. Das sollte schon die Grundlage einer solchen Entscheidung sein. Deshalb glauben wir, dass wir damit gut zurechtkommen und dass sich das auch durchhalten lässt. Im Übrigen teile ich mit Ihnen zwar das mulmige Gefühl, das wir alle angesichts der Daten haben, die wir von den Börsen und den Banken hören, und angesichts des riesigen Pakets für die Stabilisierung unserer Wirtschaft, das wir im Deutschen Bundestag in dieser Woche verhandeln. Gleichzeitig sage ich aber auch, dass es nicht unvermeidbar ist, dass wir mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen müssen. Vielmehr können wir es schaffen - jedenfalls sollten wir von uns aus den Ehrgeiz entwickeln, alles zu versuchen, damit wir das erreichen -, dass die Arbeitslosigkeit strukturell und substanziell auch im nächsten Jahr gegenüber dem heutigen Niveau nicht steigt. Ich jedenfalls will Ihnen gerne versichern, dass ich zusammen mit den Abgeordneten dieses Hauses alles tun werde, was wir dazu beitragen können, damit wir weniger und nicht mehr Arbeitslose haben werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wollen Sie noch eine Nachfrage stellen? Es muss nicht sein. Es gibt keinen Anspruch auf zwei Nachfragen. Das gilt für die Fragestunde. Wir wollen ja möglichst vielen Kollegen Gelegenheit geben, zu fragen. Also noch eine Nachfrage. Aber dann gehen wir weiter.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bedanke mich für die Großzügigkeit des Präsidenten an dieser Stelle. Herr Minister, Sie sind ehrgeizig und hoffnungsvoll, dass die Arbeitslosigkeit nicht steigen wird. Nun gehen aber die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute davon aus, dass es im nächsten Jahr 400 000 zusätzliche Arbeitslose geben wird. Wenn ich mir Ihren Haushaltsentwurf anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie sogar so ehrgeizig sind, die Kosten im Bereich der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2011 um 2,7 Milliarden Euro zu senken. Gehen Sie auch vor dem Hintergrund der erkennbaren wirtschaftlichen Entwicklung davon aus, dass die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2011 so weit absinken wird, dass eine Kostenreduzierung in diesem Umfang möglich ist? Ich meine das jetzt nicht nur „gefühlt“.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich bin nur Minister und Bundestagsabgeordneter und nicht mit prophetischer Gabe versehen. ({0}) - Ja, schade eigentlich, Herr Niebel. Sie können mir ja noch dazu verhelfen, wenn Sie wissen, wie es geht. Bitte, machen Sie es. ({1}) Um Ihre Frage zu beantworten: Nach dem, was wir bei der Aufstellung des Haushalts berücksichtigen und mit dem wir rechnen konnten, sind das zwar ehrgeizige, aber erreichbare Ziele. Ich finde es wichtig, die Ziele dann auch mit Ehrgeiz zu verfolgen. Ich glaube auch, in der jetzigen Situation darf man sich von den WorstCase-Szenarien, den Schlimmsten-Fall-Berechnungen, die angestellt werden, nicht in die Irre führen lassen. Auch in dem Gutachten, aus dem Sie eben zitiert haben, heißt es nicht, dass es so kommt. Darin wird eigentlich gesagt, dass man gar nicht weiß, wie es kommt, sondern nur, dass es auch schlecht kommen könnte. Dann wird ausgerechnet, wie es wäre, wenn es schlecht kommt. Ich glaube, wir sollten von dem Größenwahn Abstand nehmen, den Politik gelegentlich in diesen Dingen entwickelt, indem gesagt wird: Wir wissen, wie es geht, und wir haben es auch allein in der Hand. Aber wir sollten das, was wir tun können, machen. Da können wir ja doch auf eine Erfolgsbilanz zurückblicken; denn durch die Reformen, die wir mit der Arbeitsvermittlung und in der Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren zustande gebracht haben, ist es uns gelungen, den Arbeitsmarkt wetterfester zu machen. Trotz rauerer See - wenn ich das als Hamburger einmal sagen darf - besteht die große Chance, dass wir ans Ziel kommen. Deshalb sollten wir uns mehr darum bemühen, es hinzukriegen, als dass wir uns vor der Aufgabe fürchten. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Möller, bitte.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich kann mir schon vorstellen, dass Sie ein mulmiges Gefühl haben. Das hätte ich, ehrlich gesagt, auch. Man braucht kein Hellseher zu sein, sondern man muss sich nur ein bisschen anschauen, was passiert; denn die sogenannte Finanzmarktkrise ist längst in der Realwirtschaft angekommen. Da kann ich Ihnen als Beispiele nennen: Absatzeinbrüche bei Opel, SAP legt ein Sparprogramm auf, und auch in der bayerischen Wirtschaft wird von einem Konjunktureinbruch geredet. Da braucht man kein Hellseher zu sein. Die Fakten liegen auf der Hand. Das heißt, es wird im nächsten Jahr zu einer Steigerung der Erwerbslosenquote kommen. Ich frage Sie: Wie können Sie es vor diesem Hintergrund, bei einem Wachstum von 0,2 Prozent, verantworten, jetzt die Beiträge zu senken? Wie realistisch und wie verantwortlich ist das?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Zunächst einmal besteht Demokratie ja darin, dass man sich nicht dem Schicksal ergibt. Vielmehr werden Parlamente gewählt und Regierungen gebildet, weil wir Einfluss auf unser Leben nehmen und erreichen wollen, dass es besser läuft, als wenn man nichts täte. Deshalb können Sie sicher sein, dass wir alles tun, was möglich ist, um einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Ich habe Ihnen eingangs gesagt, es ist etwas los; das kann man nicht leugnen. Das führt zu dramatischen Aktionen, wie wir sie in dieser Woche im Parlament erleben werden. Aber alle diese dramatischen Aktionen sind ja auch mit der Zielstellung versehen, möglichst zu verhindern, dass sich die Ereignisse auf den Finanzmärkten in der Realwirtschaft niederschlagen. Wir haben es nicht in der Hand, aber wir können das Unsere tun. Gerade in dieser Situation ist es nicht nur vielleicht, sondern erst recht und ganz besonders verantwortlich, wenn wir die Beitragssätze per Rechtsverordnung senken und die vorhandenen Rücklagen, die für sich gesehen keinen besonderen Sinn machen, in dieser Phase einsetzen, um der Konjunktur, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Unternehmen in unserem Lande zu helfen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Möller.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Halten Sie es bei einer Wachstumsprognose von 0,2 Prozent nicht für sinnvoller, ein Konjunkturprogramm aufzulegen und die Rücklagen für diejenigen zu verwenden, die erwerbslos werden, damit wir ihnen die Möglichkeit geben können, auf den Arbeitsmarkt zügig zurückzukehren? Wir dürfen sie nicht länger in der Erwerbslosigkeit halten, weil einfach kein Geld mehr da ist.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich unterstütze den einen Ansatz in Ihrer Nachfrage. Wir dürfen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik und in der Verbesserung der Arbeitsvermittlung - die viel besser ist als früher, aber noch nicht so gut ist, wie sie sein sollte nicht nachlassen. Ich will die Ausgangssituation beschreiben: Als die Bundesanstalt für Arbeit noch existierte, waren 10 Prozent der Beschäftigten mit Vermittlung befasst. Am Ende des Prozesses - wir haben noch Entscheidungen zum weiteren Ausbau der Arbeitsvermittlung getroffen werden wir es vielleicht geschafft haben, dass sich die Hälfte aller Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit, der Arbeitsgemeinschaften und der Arbeitsagenturen mit Vermittlungsaufgaben befasst. Das wäre ein großer Fortschritt, der sich im konkreten Leben und im konkreten Schicksal der Arbeitslosen positiv niederschlagen wird. Seien Sie sicher: Bei den Arbeitslosen wird, solange ich die Verantwortung dafür habe, nicht gespart werden. Ich fordere Sie auf, laut zu klatschen, wenn ich demjenigen, der demnächst sagt, es müsse gespart werden, Nein sage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Nachfrage hat nun Kollege Müller.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, wären Sie bereit, den Kollegen der FDP Nachhilfe in Sachen SGB III zu geben? ({0}) Herr Dr. Kolb und Herr Niebel haben den Titel des Gesetzes infrage gestellt. Wären Sie bereit, den Kollegen der FDP mitzuteilen, dass im SGB III ausdrücklich von Beiträgen zur Arbeitsförderung und nicht von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung die Rede ist?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich bin gerne bereit, Ihre Aussage zu verstärken, und sage: Ja, die Nachhilfe ist nötig. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, stimmen Sie mir zu, dass die FDP unglaubwürdig ist, wenn Herr Niebel sagt, die FDP habe sich schon immer für niedrigere Beiträge eingesetzt? Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die FDP bei den letzten Abstimmungen immer gegen eine Beitragssatzsenkung gestimmt hat. ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Das Abstimmungsverhalten der FDP verfolge ich nicht im Detail. Das mag man mir nachsehen. Jedenfalls ist ihr Verhalten oft widersprüchlich. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es in der Politik ganz hilfreich ist, die Dinge vollständig zu nennen. Dass man von fünf Dingen, die es zu tun gilt, nur eines anspricht, bei dem jeder Beifall klatscht, und die vier anderen Dinge, die etwas schwieriger sind, einfach weglässt, sollte nicht zu einer modernen Demokratie gehören. Insofern müssten die FDP und insbesondere Herr Niebel dem Gesetzentwurf zustimmen oder sagen, dass notfalls die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit mit Milliarden aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden müssen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Kolb Gelegenheit, eine Frage zu stellen.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD steht der Satz: CDU, CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohnzusatzkosten ({0}) dauerhaft unter 40 % gesenkt werden. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass die paritätisch finanzierten Beiträge unter 40 Prozent gesenkt werden sollen. Stimmen Sie mir zu, dass sich die zitierte Formulierung im Koalitionsvertrag auf den gesamten Sozialversicherungsbeitrag bezieht und dass sich die Regierung heute von dem Ziel der dauerhaften Senkung auf unter 40 Prozent verabschiedet? Sie gestehen ein, dass Sie trotz einer weitgehenden Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitragssatzes nicht in der Lage sind, die ansonsten von Ihnen geplante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge zu kompensieren, dass wir also entgegen der ursprünglichen Absicht der Großen Koalition auf Dauer höhere Lohnnebenkosten haben werden.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ich stimme Ihnen in der Interpretation des Koalitionsvertrages, dessen schriftliche Fassung ich im Wesentlichen zusammen mit dem Kollegen Kauder erstellt habe, nicht zu. Wir haben vielmehr in der ganzen Zeit immer betont, dass es aus unserer Sicht richtig ist, den paritätisch finanzierten Beitragssatz unter 40 Prozent zu halten. Darum geht es. Darum haben Sie hier nichts Neues gehört. Sie haben die Frage schon hundertmal gestellt, weil Sie es einfach nicht lassen können. Real aber haben Sie Unrecht. Das Zweite ist: Ich finde, jemand der mit die Verantwortung dafür trägt, dass der Beitragssatz zur Sozialversicherung von 32 Prozent auf 42 Prozent für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gestiegen ist, sollte noch mindestens fünf Jahre höflich schweigen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kolb, noch eine Nachfrage. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das verleitet mich dazu, eine Anmerkung zu dem zu machen, was in der Zeit passiert ist, als dieser Beitragssatzanstieg zu verzeichnen war, nämlich zur deutschen Einheit. Wir wollten diese im Gegensatz zu namhaften Vertretern Ihrer Partei. Aber das nur am Rande. ({0}) Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat in diesem Haus einmal gesagt: Eine Erhöhung der Beiträge zur Sozialversicherung um 0,1 Prozentpunkte kostet 100 000 Arbeitsplätze. - Meine Frage ist: Können Sie a) dieses Zitat bestätigen, und würden Sie mir b) zustimmen, dass sich durch Ihre Maßnahmen - nämlich Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags um durchschnittlich 0,6 Prozentpunkte und Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte ein negativer Saldo und damit ein negativer Beschäftigungseffekt für unsere Volkswirtschaft in der Größenordnung von 100 000 Arbeitsplätzen ergibt?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Nein, ich stimme Ihnen nicht zu, dass es einen negativen Beschäftigungseffekt gibt. Wir haben sorgfältig darauf geachtet, dass wir unseren Spielraum nutzen und die Beiträge zur Krankenversicherung so gering wie möglich anheben. Diese Anhebung ist deshalb auch geringer ausgefallen, als von den Lobbyisten des Systems, wenn ich das einmal so sagen darf, gefordert wurde. Es kommt Ihnen übrigens kein FDP-Politiker in die Quere, wenn Sie das laut sagen; der regt sich typischerweise über die Regierung auf, die eine geringere Erhöhung beschließt. Das Zweite ist: Zur Wahrheit gehört auch, dass unser Land über ein erstklassiges Gesundheitssystem verfügt und dass dieses Gesundheitssystem ohne Geld nicht zu haben ist. Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger sind gut beraten, Politikern, die ihnen versprechen, dass es für weniger Geld mehr gibt, nicht zu glauben; denn diese verhalten sich wie Zauberer. Auch ein Zauberer kann nicht zaubern, sondern er arbeitet mit Tricks, bei denen man nicht sieht, was passiert. Das gilt in gleicher Weise für solche Politiker. Es gibt keine Technik, die es erlaubt, eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu unterhalten, eine immer weiter steigende Lebenserwartung der Bevölkerung zu gewährleisten, obwohl nicht jeder joggt, nicht jeder auf das Rauchen verzichtet und nicht jeder einen mäßigen Alkoholkonsum hat, ohne dafür Geld auszugeben. Das geht nur, weil uns die Gesundheit etwas wert ist und wir dafür Geld ausgeben. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir mit unserem Geld so sparsam wie möglich umgehen. Der Trick, dies alles für umsonst zu erreichen, funktioniert nicht. Was uns jetzt gelungen ist, ist eine sehr solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens. Darauf ist die Große Koalition sehr stolz; denn es ist uns gelungen, einen falschen Wettbewerb durch einen richtigen Wettbewerb zu ersetzen. Der falsche Wettbewerb, in dem die Kassenmanager standen, bestand darin, dass man sich die „richtigen“ Versicherten ausgesucht hat. Gut verdienende, gesunde Versicherte garantierten einen erstklassigen Beitragssatz für die eigene Krankenkasse. Der Wettbewerb, in dem die Kassenmanager in Zukunft stehen werden, wird darin bestehen, dass man das Beste für seine Mitglieder leistet. Das ist etwas, was wir, wie ich glaube, gut gemacht haben. Deshalb profitieren in nicht unerheblichem Maße viele Rentnerinnen und Rentner von diesem Schritt. Sie werden teilweise nicht die Beitragssatzerhöhungen tragen müssen, die sie sonst hätten tragen müssen, oder sie kommen sogar in den Genuss einer Beitragssatzsenkung. Denn es profitieren viele Kassen, unter deren Mitgliedern viele Rentnerinnen und Rentner mit geringem Einkommen sind, welche Krankheiten haben, die sich im Alter häufen. Ich glaube, wir haben in diesem Zusammenhang einen großen Beitrag zur Solidarität geleistet, der im Übrigen unserer Volkswirtschaft nutzen wird. Ein letzter Satz: Dass ein solidarischer Sozialstaat eine bessere Form von Marktwirtschaft ist, als es sie anderswo gibt, wie zum Beispiel in den USA, hat sich, so glaube ich, in diesen Tagen doch sehr deutlich bewiesen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Fragesteller gebe ich dem Kollegen Brauksiepe das Wort. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, die FDP hat Klage darüber geführt, dass die Verordnung zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags auf 2,8 Prozent auf 18 Monate befristet sein soll und dass deswegen zu wenig Planungssicherheit besteht. Ist meine Erinnerung richtig, dass die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags, die wir in der Zeit der Großen Koalition durch formal unbefristete Gesetze vorgenommen haben, jeweils nach weniger als 18 Monaten erfolgt ist und das durchaus im Interesse der Beitragszahler war?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen völlig zu. Die Beitragszahler - sowohl die Unternehmer als auch die Arbeitnehmer - haben sich darüber gefreut, dass wir nicht so lange abgewartet haben, bis man sich endlich an den Beitragssatz gewöhnt hat, sondern ihn jeweils gesenkt haben. Diese kluge Umgehensweise mit den Beitragsgeldern wollen wir gern fortsetzen, insbesondere in Kombination mit einer effektiven Politik auf dem Arbeitsmarkt, die dafür sorgt, dass möglichst wenige von den Beiträgen Gebrauch machen müssen, weil die allermeisten Arbeit und Beschäftigung haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit sind die Fragen zu diesem Themenbereich abgeschlossen. Es gibt jetzt noch - ({0}) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse - Ich habe Ihre Mitteilung so verstanden, dass die Kollegin Pau eine Frage zu einem anderen Themenbereich stellen möchte. ({1}) - Trotzdem sind die 30 Minuten vorüber. Das habe ich missverstanden, weil Sie zu mir kamen und sagten, die Kollegin Pau wolle eine Frage zu einem anderen Themenbereich stellen. - Ich erteile Ihr das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Einer Pressemitteilung der Bundesregierung habe ich entnommen, dass sie sich in der heutigen Kabinettssitzung auch mit Neuregelungen im Zivil- und Katastrophenschutz beschäftigt hat. Welche neuen Bedrohungsfälle meinte das Bundesinnenministerium in der Pressemitteilung zum Zivil- und Katastrophenschutz, ({0}) und ist mit der Formulierung, dass die Ressourcen des Bundes den Ländern bei besonders schweren Unglücksfällen zur Verfügung stehen sollten, auch der Einsatz der Bundeswehr nach Art. 35 Grundgesetz gegen Folgen terroristischer Anschläge gemeint?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wer kann dazu antworten? - Kollege Altmaier.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident, ich beantworte die Frage selbstverständlich gern. - Die Bundesregierung ist ständig bemüht, neue Entwicklungen im Bereich des Katastrophen- und Zivilschutzes zu beobachten. Dies bezieht sich auf Umwelt- und Naturkatastrophen genauso wie beispielsweise auf Stromausfälle, die es vor einigen Jahren gegeben hat, aber auch auf terroristische Angriffe und andere Gefährdungen. Vor einigen Jahren haben wir das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eingerichtet, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Es ist richtig, dass wir diese Ressourcen auch den Ländern zur Verfügung stellen. Sie wissen, dass sich der Bund beispielsweise an der Finanzierung von Feuerwehrausrüstung, von Fahrzeugen im ABC-Bereich, beteiligt. Auch diese stehen den Ländern in Zukunft zur Verfügung. Dafür mussten wir eine einwandfreie gesetzliche Grundlage schaffen. Zum letzten Teil Ihrer Frage: Der Entwurf, den das Bundeskabinett beschlossen hat, bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Grundgesetzänderung zu Art. 35; denn wie sie wahrscheinlich selbst wissen, muss sie erst noch vorgenommen werden. Der heute im Kabinett beratene Gesetzentwurf bezieht sich auf die zurzeit bestehende Verfassungslage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gibt es sonst noch Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 16/10519 Die Frage 1 des Kollegen Volker Beck ({0}) aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zunächst zur Frage 2 der Kollegin Britta Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Gibt es einen Langzeitsicherheitsnachweis für Gorleben, und wie bewertet die Bundesregierung die Aussage von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, sie habe „keine Lust“, in Deutschland nach alternativen Standorten zu Gorleben zu suchen ({1})? Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Müller.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sehr geehrte Kollegin Haßelmann, zum ersten Teil Ihrer Frage: Es gibt keinen Langzeitsicherheitsnachweis für Gorleben. In der Koalitionsvereinbarung haben wir uns deshalb im Jahre 2005 das Ziel gesetzt, in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung der Endlagerfrage zu kommen. Sie wissen auch, dass eine Einigung innerhalb der Koalition für das weitere Vorgehen bei der Endlagerung hoch aktiver, Wärme entwickelnder Abfälle bisher nicht erzielt werden konnte. Dass die Bundeskanzlerin in diesem Zusammenhang immer wieder mitgeteilt hat, dass man dabei auf die mit hohem Aufwand gewonnenen Erkenntnisse im Zusammenhang mit Gorleben zurückgreifen sollte, ergibt sich von selbst.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Haßelmann, wollen Sie nachfragen?

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bei der Antwort habe ich natürlich eine Nachfrage. ({0}) Herr Staatssekretär Müller, Sie haben eingangs den Dissens in der Bundesregierung und auch innerhalb der Koalition erwähnt. Glauben Sie, dass Sie in dieser Legislaturperiode in der Frage eines Standortes zu einer Einigung kommen werden? Daran anschließend: Welchen Stellenwert nimmt aktuell die Beratung zu diesem Thema im Kabinett hinsichtlich einer einheitlichen Auffassung der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zu diesem Thema angesichts der Brisanz in Niedersachsen und in der übrigen Öffentlichkeit ein?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Dass dies ein zentrales Thema ist, ist für diese Legislaturperiode nicht neu. Das ist seit der Entwicklung des Atomministeriums 1956 und der sich daraus entwickelnden Aktivitäten immer so gewesen. Aber es ist richtig, dass es natürlich jetzt einen besonderen Schwerpunkt hat, weil wir mit einer Entscheidung nicht ewig warten können. Wir bemühen uns intensiv. Aber es ist keine Frage, dass die Lösung nicht einfach zu finden ist. Ich schätze es so ein, dass wir in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich keine Einigung finden. Aber endgültig kann man das aus meiner Sicht erst sagen, wenn vom 30. Oktober bis 1. November 2008 das Endlagersymposium stattgefunden hat. Wir erwarten, dass dort einige Klarheiten geschaffen werden. Das zentrale Anliegen unseres Hauses, also des BMU, ist die Fortführung des Dialogs sowohl mit der interessierten Öffentlichkeit und der Wissenschaft als auch den verantwortlichen Akteuren. Ich kann letztlich nicht sagen, ob wir in dieser Legislaturperiode zu einer Einigung kommen. Wir bemühen uns. Ich halte es von der Sache her für geboten. Aber ich kann keine Garantie bei den im Augenblick etwas festgezurrten Ausgangspositionen geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage?

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sie haben gerade auf das Symposium hingewiesen. Beabsichtigen Sie als Bundesregierung, dem Parlament und dem zuständigen Fachausschuss nach dem Symposium zu berichten, wie das Ergebnis ist und ob man nach Einschätzung der Bundesregierung bei der Standortsuche weitergekommen ist? Haben Sie das vorgesehen, oder ist das Ihrerseits nicht beabsichtigt und durch das Parlament zu beantragen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sie haben von mir gehört, dass es die Absicht des Ministeriums ist, die Öffentlichkeit intensiv einzubinden. Insofern ist es sowohl in Bezug auf die betroffene Region als auch in Bezug auf die Öffentlichkeit generell unser Ziel, darüber aufzuklären. Im Übrigen wäre es sehr kurzsichtig, zu meinen, die Ergebnisse geheim halten zu können. Jede parlamentarische Anfrage würde uns zur Antwort zwingen. Das wäre eine sehr kurzsichtige Handlungsweise. So kurzsichtig sind wir nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Frage 3 hat Kollegin Haßelmann gestellt: Ist für die weiteren Maßnahmen beim Forschungsbergwerk Asse II eine Bürgerbeteiligung vorgesehen und, falls ja, in welcher Form?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Antwort lautet: Die Asse soll entsprechend der Festlegung der drei Beteiligten, Bundesforschungsministerium, also Frau Schavan, Bundesumweltministerium und dem Landesumweltminister, Herrn Sander, zukünftig verfahrensrechtlich wie ein Endlager behandelt werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend vorgesehen. Darüber hinaus wurde für die Asse II eine Begleitgruppe eingerichtet, die insbesondere die Region einbeziehen und die Interessen der Region bündeln soll. Diese wird auch künftig den weiteren Prozess bei der Schließung von Asse II begleiten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dazu hat sich die Kollegin Höhn zu einer Nachfrage gemeldet. Zunächst aber haben Sie, Frau Kollegin Haßelmann, das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre Ausführungen. Mich interessiert, ob es dazu eine einvernehmliche Haltung zwischen dem Land Niedersachsen und der Bundesregierung gibt.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Diese Grundvereinbarung ist zwischen dem Land und der Bundesregierung getroffen worden. Es ist so, dass in dieser Begleitgruppe der Landkreis Wolfenbüttel, die Kreistagsfraktionen, die Samtgemeindebürgermeisterinnen bzw. -bürgermeister mitarbeiten, die regionalen Bürgerinitiativen und Umweltverbände sowie die drei von mir genannten Ministerien vertreten sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es ging durch die Medien, dass sich die Zuständigkeitsverlagerung vom Bundesministerium für Forschung auf das Bundesumweltministerium, die eigentlich Anfang September erfolgen sollte, sehr verzögert hat. Woran hat es gelegen? Ist diese Zuständigkeitsübertragung jetzt erfolgt? Begründen Sie noch einmal, warum es möglich ist, dass dort in der Zwischenzeit noch Arbeiten getätigt werden, die mit dem neuen Recht nicht mehr vereinbar sind!

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wir haben in der Zwischenzeit mit den Beteiligten - das sind nicht nur das Bundesforschungs- und das Bundesumweltministerium, sondern auch der Haushaltsausschuss und andere Stellen wie das Bundesfinanzministerium - eine Vereinbarung vorbereitet. Wir haben mittlerweile also eine Lösung gefunden. Das war deshalb nicht ganz einfach, weil beträchtliche Personal- und Finanzierungsfragen zu klären waren. Dies ist jetzt so auf dem Weg, dass wir arbeitsfähig sind. Ich hoffe, dass die Arbeiten im BfS nun so angelaufen sind, dass wir relativ schnell zu befriedigenden und klaren Ergebnissen kommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Kotting-Uhl, Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident. - Als im Raum stand, dass die Verantwortung an das Bundesumweltministerium übergehen soll, haben wir von allen Seiten gehört, wie dringlich es ist, die Sache unter Atomrecht zu stellen und das Bundesumweltministerium handlungsfähig zu machen. Wie Kollegin Höhn gerade schon bemerkt hat, ist seit Ende September, als diese Übergabe durchgeführt werden sollte, reichlich Zeit ins Land gegangen. Ich habe daher die Frage - ich habe ein etwas anderes Verständnis von Dringlichkeit -, welches Ministerium oder welcher Teil der Bundesregierung dafür verantwortlich ist, dass der Zuständigkeitswechsel auch in der nächsten Kabinettssitzung nicht behandelt werden soll, und welcher Termin anberaumt worden ist, um das im Kabinett endlich einmal zu behandeln.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Da Sie von Dringlichkeit sprechen: Eigentlich müssten wir auch einmal über die letzten zehn Jahre reden. Ich glaube aber, dass wir uns das hier und jetzt ersparen sollten. Es gab nämlich schon früher Hinweise, auch als noch jemand anders Minister war. Ich kann nur sagen, dass wir uns bemühen, dies so schnell wie möglich zu machen. Wir werden Ihnen zweifellos mitteilen, wann dieser Termin sein wird. Ich hoffe, dass ich Ihnen noch diese Woche Auskunft geben kann. Im Augenblick kann ich das noch nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie können stehen bleiben. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Kotting-Uhl auf - sie bezieht sich ebenfalls auf das Forschungsbergwerk Asse II -: Welche Ergebnisse wurden gegebenenfalls bei den Gesprächen, die vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, anlässlich der Ausschussanhörung zum Forschungsbergwerk Asse II zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen angekündigt wurden, in denen die Frage erörtert wurde, ob die Energieversorgungsunternehmen bereit sind, sich stärker an den Kosten für die Entsorgung von deutschem Atommüll zu beteiligen, erzielt, und, falls diese Gespräche nicht stattfanden, welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um sie einzuleiten?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Antwort des Ministeriums ist: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat anlässlich der Ausschussanhörung vom 16. September - darauf bezieht sich die Frage keine derartigen Gespräche angekündigt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne. Danke schön. - Beabsichtigt das Bundesumweltministerium, solche Gespräche zu führen, auch wenn sie bisher nicht angekündigt wurden?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Das Grundproblem ist - das kennen Sie ja -, dass das zum Teil eine Einlagerung ist, die mit den privaten EVUs gar nichts zu tun hat, sondern überwiegend aus Forschungsreaktoren und ähnlichen Einrichtungen, vor allem aus Karlsruhe, kommt. Da stellt sich die Frage der Kostenbeteiligung schon ein bisschen anders.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine weitere Nachfrage, bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, danke schön. - Ich habe eine etwas andere Einschätzung als Sie, Herr Staatssekretär Müller. Zum einen haben Atomkraftwerke in Asse tatsächlich - das wissen sicherlich auch Sie - direkt eingelagert. Zum anderen kommen 50 Prozent des Inventars - was die Radioaktivität betrifft, sind es sogar 89 Prozent - aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe. Wir haben noch keine Aufklärung darüber bekommen, was das genau ist. Wir lassen aber die Vermutung zu, dass einiges aus Atomkraftwerken kommt. Ich nehme an, dass in der Wiederaufarbeitungsanlage, wo die Wiederaufarbeitung erforscht werden sollte, auch mit Atommüll gearbeitet wurde. Woher soll der kommen, wenn nicht aus Atomkraftwerken? Ich glaube, es ist mehr als nur eine Vermutung, dass die Atomkraftwerksbetreiber tatsächlich da eingelagert haben. Minister Gabriel hat sich auch bei der gemeinsamen Sitzung von Forschungs- und Umweltausschuss in der Richtung geäußert, dass durchaus die Überlegung vorhanden ist, an eine Beteiligung heranzugehen. Deswegen möchte ich Sie bitten, auf dieser Grundlage meine Frage zu beantworten, ob beabsichtigt ist, solche Gespräche zu führen.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Über all die Fragen der Historie und der Verantwortung können wir uns sicherlich schnell einigen, aber zu diesem entscheidenden Punkt: Die Nachfrage beim BMBF hat ergeben, dass der von der WAK an die Asse abgegebene Abfall nicht von den EVUs stammt. ({0}) - Entschuldigung; ich kann die Auskunft nur wiederholen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Peter Hettlich: Gibt es einen Schriftwechsel zwischen dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz und der Rechtsanwaltskanzlei Heinemann & Partner, der die rechtliche Erörterung einer Schließung des Forschungsbergwerks Asse II zum Gegenstand hat, und ist die Bundesregierung bereit, dem Parlament diesen Schriftwechsel zur Verfügung zu stellen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Lieber Kollege Hettlich, es tut uns leid; wir können in dieser Frage keine Auskunft geben. Der entsprechende Schriftwechsel müsste beim niedersächsischen Ministerium vorliegen. Er ist uns bisher nicht zugänglich. Sie müssten ihn schon selbst anfordern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Hettlich.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Staatssekretär Müller, dann ist die Frage: Ist Ihnen bekannt, dass einmal erörtert worden ist, das Forschungsbergwerk Asse II zu schließen? Ist wenigstens dies dem Ministerium bekannt?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Es gibt über die Asse sehr viel aufzuarbeiten. Wir sind intensiv dabei, haben deshalb unter anderem die Begleitgruppe gebildet. Für die Vergangenheit ist nicht das Umweltministerium, sondern die Bundesregierung insgesamt verantwortlich. Die Erkenntnisse, die wir jetzt haben, haben zu einer Verfahrensänderung geführt. Ich halte diese Verfahrensänderung für richtig.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Müller, ich gehe aber davon aus, dass im Rahmen des Übergangs der Verantwortlichkeit vom BMBF auf das BMU entsprechende Erörterungen mit dem BMBF stattgefunden haben. Ist in den vielen Gesprächen, die jetzt sicherlich geführt werden, beispielsweise dieses Thema einmal angesprochen worden?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wir haben viele Punkte angesprochen. Ich würde sagen: Warten Sie ab, bis wir den Bericht fertig haben! Ich will auch nicht zwischendurch etwas sagen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Hettlich: Gibt es Akten oder Gesprächsvermerke zur Erarbeitung des Sonderbetriebsplans 18 - also Akten aus den Jahren bis 2007, in denen Aktivitäten dokumentiert wurden, die im Vorfeld der Erarbeitung des Sonderbetriebsplans 18 stattfanden -, und welche Erklärung hat die Bundesregierung gegebenenfalls dafür, dass keine oder nur sehr wenige Akten und Gesprächsvermerke existieren?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Antwort lautet: Der Bundesregierung liegen keine Akten oder Gesprächsvermerke zur Erarbeitung des Sonderbetriebsplans 18 vor. Entsprechende Akten und Gesprächsvermerke müssten bei den zuständigen Behörden, also insbesondere dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie sowie dem niedersächsischen Ministerium, vorliegen. Wir sehen in der Aufarbeitung des ganzen Verfahrens Veranlassung, dies alles zu klären und in dem geordneten Verfahren daraus unsere Konsequenzen zu ziehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Hettlich.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Da der Sonderbetriebsplan noch unter Bergrecht, Bundesberggesetz, erarbeitet wurde, an Sie die Frage: Wird das jetzt überhaupt noch weiterverfolgt, oder wird das nach dem Beschluss, dass es jetzt eine Endlagerentscheidung nach Atomrecht geben soll, nicht weiterverfolgt? Das würde mich einmal interessieren.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Ohne dass ich dazu die letzte Entscheidung definitiv sagen könnte, gehe ich nach meinem Wissensstand davon aus, dass jetzt das atomrechtliche Verfahren zählt.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Obwohl der Übergang aus Ihrer Sicht noch nicht ganz erfolgt ist?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Aber das ist innerhalb der Bundesregierung ja der Grund für die Verlagerung gewesen. Ich kann mir nur auf dieser Basis das weitere Vorgehen vorstellen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 7 kommt von der Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke: In welchem Verhältnis steht der Vorschlag der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zur Gründung einer „offenen Universität“ ({0}) zu dem Ziel, die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Hochschulen flächendeckend für Bewerberinnen und Bewerber ohne klassische Hochschulzugangsberechtigung zu öffnen, und in welchem Umfang ist die Einrichtung einer offenen Universität im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2009 berücksichtigt? Herr Storm, bitte.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt: Der Vorschlag einer offenen Hochschule steht im Zusammenhang mit der Qualifizierungsinitiative für Deutschland, die Verbesserungen des Übergangs von beruflicher Bildung zur Hochschule vorsieht. Frau Bundesministerin Dr. Schavan unterstützt damit auch die Bemühungen der Länder und deren Verständigung auf gemeinsame Mindestanforderungen zum Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Studienbewerberinnen und Studienbewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Einzelheiten der Konzeption und Finanzierung von Angeboten einer offenen Hochschule sind in entsprechenden Bund-LänderGesprächen zu klären.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hirsch, bitte.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. Sie haben aber noch nicht den Teil meiner Frage beantwortet, aus welchem Grund die Bundesregierung darauf verzichtet, den Hochschulzugang für Menschen mit einem Berufsabschluss insgesamt zu öffnen, sondern darauf abzielt, nur eine Modellhochschule einzurichten.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, dies trifft nicht zu. Die Bundesregierung hat dieses Thema zum einen zum Gegenstand der Beratungen des Bildungsgipfels in der nächsten Woche gemacht. Dabei werden bereits mit den Ländern eine Reihe von konkreten Maßnahmen diskutiert, die dazu dienen sollen, den Hochschulzugang für erfolgreiche Absolventen des beruflichen Bildungssystems, die den Meistertitel oder die Technikerausbildung haben, zu öffnen. Das soll darüber hinaus auch für Absolventen des beruflichen Bildungssystems mit mehrjähriger Berufserfahrung gelten. Zum anderen gibt es hinsichtlich der Idee der offenen Hochschule bzw. der Umsetzung dieser Idee, die Erwägung, einen Wettbewerb durchzuführen, bei dem mehrere Hochschulen mit innovativen Konzepten Wege zu einer offenen Hochschule vorstellen können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hirsch, eine weitere Nachfrage?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Bisher haben wir sehr wenig Wettbewerb im Bildungsbereich. Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf den von Ihnen genannten Bildungsgipfel. Ich habe eine Frage zur Finanzierung; es sind ja verschiedene Zahlen im Umlauf. Unter anderem hat Bildungsministerin Schavan angekündigt, dass sie bis 2012 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will. Wenn man bedenkt, dass wir heute Morgen über 500 Milliarden Euro diskutiert haben, erscheint diese Summe niedrig. Auch vor dem Hintergrund der Veröffentlichung der OECD - darin wurde festgestellt, dass Deutschland bei den Bildungsausgaben so weit hinten liegt, dass wir jedes Jahr das Dreifache des Betrages, den Frau Schavan für die Bildung angekündigt hat, investieren müssten, um auf den europäischen Durchschnitt zu kommen - frage ich Sie, ob Sie meinen, dass diese Finanzierungsvorschläge wirklich sinnvoll und ausreichend sind, um ein gut ausgestattetes Bildungssystem zu erreichen.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, zunächst einmal teilt die Bundesregierung die von Ihnen aufgemachten Rechenbeispiele nicht. Sie sind auch nicht nachvollziehbar. Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat heute im Kabinett einen mündlichen Bericht über einen Mehraufwand des Bundes in Höhe von 6 Milliarden Euro für den Bildungsbereich im Zeitraum von 2008 bis 2012 vorgelegt. Dabei handelt es sich um die Umsetzung der Qualifizierungsinitiative, die das Bundeskabinett zur Vorbereitung des Bildungsgipfels am 9. Januar dieses Jahres beschlossen hat. Das sind die Mittel für zusätzliche Maßnahmen, die der Bund im Vorfeld des Bildungsgipfels bereitgestellt hat. Hinzu kommen die laufenden Ausgaben, die wir für die Bildung veranschlagt haben. Die Summe von 6 Milliarden Euro, die wir zusätzlich für die Bildung allein im Zeitraum bis 2012 vorgesehen haben, ist eine sehr beachtliche Größenordnung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es gibt eine weitere Nachfrage. Bitte schön.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Storm, ich möchte Sie fragen, was Sie unter „Mehraufwand“ und „zusätzlichen Maßnahmen“ verstehen und wie Sie uns das erklären wollen, nachdem Sie uns gerade eben im Bildungsausschuss dargelegt haben, dass sich die 6 Milliarden Euro im Wesentlichen aus Mitteln für Programme, die bereits stattfinden, bzw. aus Mitteln, die vom Parlament bereits verabschiedet - ich nenne beispielhaft das KiföG oder die Mittel der BA für den Ausbildungsbonus - oder in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen sind, zusammensetzen.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete, bei diesen 6 Milliarden Euro handelt es sich um die Summe der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Qualifizierungsinitiative, die das Bundeskabinett im Januar beschlossen hat, durchgeführt werden bzw. um Erhöhungen von bereits bestehenden Maßnahmen. Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Das Bundeskabinett hat vor kurzem eine Novelle des Aufstiegsförderungsgesetzes, also des sogenannten MeisterBAföGs beschlossen, die dazu führen wird, dass, wenn dieses Gesetz im vollen Umfang greift, die Leistungen des Bundes um 60 Prozent von 120 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro angehoben werden. Dieses Gesetzgebungsverfahren wird voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres im Deutschen Bundestag erfolgen, sodass im Erfolgsfall dieses Gesetz zum 1. Juli 2009 in Kraft treten kann. Selbstverständlich ist dies sowohl im Etatentwurf für das Jahr 2009 als auch in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten. Das ist exemplarisch dafür, wie es sich auch mit den übrigen Maßnahmen verhält, die im Umsetzungsbericht der Qualifizierungsinitiative enthalten sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kommen wir zu Frage 8 der Kollegin Hirsch: Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Sinne der vom Parlamentarischen Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Andreas Storm am 24. September 2008 im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages angekündigten Bereitstellung von Informationen über den Erarbeitungsprozess des Deutschen Qualifikationsrahmens unternommen, bzw. welche Informationen wird es wann veröffentlichen, um den angestrebten „breiten Dialog“ zu ermöglichen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Durch die Mitglieder des Arbeitskreises Deutscher Qualifikationsrahmen, die für den Bildungsbereich maßgebliche gesellschaftliche Institutionen repräsentieren, ist seit Beginn der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens eine breite Information und Diskussion zum aktuellen Stand des Prozesses in den jeweiligen Gremien und Interessenverbänden sichergestellt. Ziel der Einrichtung einer Internetpräsenz ist es, Informationen weiterzugeben und eine breitere Diskussion zu ermöglichen. Neben allgemeinen Informationen zur Funktion, zu den Zielen und zu dem Erarbeitungsprozess des Deutschen Qualifikationsrahmens werden auf der DQR-Website Angaben zu den Akteuren und Gremien sowie die wichtigsten Dokumente und relevanten Links zu finden sein. Um auch der interessierten Fachöffentlichkeit, die nicht am ersten DQR-Kongress im März 2008 teilnehmen konnte, den Zugang zu den Ergebnissen zu ermöglichen, werden diese auf der Website, aber auch in Form einer gedruckten Dokumentation veröffentlicht. Informationen über zukünftige Tagungen werden ebenfalls über die DQR-Website erhältlich sein. Geplant ist die Freischaltung dieser Website für Ende Oktober.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Kollege Storm, Sie haben bereits mehrmals angekündigt, dass es Ihnen bei der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens sehr um eine breite und transparente Debatte geht. Wir haben auf mehreren Internetseiten der Interessenverbände, die Mitglieder der DQR-Arbeitsgruppe sind, den Hinweis gefunden, dass sie vom BMBF dazu aufgefordert worden seien, die Unterlagen der Arbeitsgruppe aus dem Netz zu nehmen, da man künftigen Beschlüssen nicht vorgreifen wolle. Das deckt sich mit dem, was Sie uns im Bildungsausschuss gesagt haben, dass Sie warten wollen, bis Ergebnisse vorliegen. Diese Ergebnisse sollen dann veröffentlicht werden. Meine Frage lautet: Wie möchten Sie es schaffen, dass eine breite Debatte in der Fachöffentlichkeit hergestellt wird, wenn nicht der Diskussionsprozess transparent gemacht wird, sondern nur die Ergebnisse zur Verfügung gestellt werden? Hinzu kommt, dass Sie jetzt gesagt haben, dass die Ergebnisse der Tagung Ende Oktober feststehen sollen. Können Sie vielleicht noch einmal darstellen, bis wann das abgeschlossen sein soll? Bis wann sollen die endgültigen Entscheidungen gefallen sein? Wie viel Zeit wird dann noch für eine breite und transparente öffentliche Debatte gegeben sein?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, dieser Prozess kann nur dann erfolgreich verlaufen, wenn die relevanten Akteure die Gelegenheit haben, sich einzubringen. Aus diesem Grund ist der Arbeitskreis DQR eingerichtet worden, sodass es nicht eine Veranstaltung des Bundes und der Länder ist, sondern die relevanten Akteure des Bildungsbereiches eine maßgebliche Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist dieser Kongress zu nennen. Auf der anderen Seite müssen wir den Akteuren die Gelegenheit geben, bestimmte Diskussionen zunächst einmal für sich zu klären. Diese Ergebnisse werden dann auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dann natürlich für eine öffentliche Debatte zur Verfügung stehen. Der Prozess insgesamt ist so angelegt, dass der DQR bis zum Jahr 2010 erstellt werden soll. Wir sind voll im Zeitplan. Im Moment geht es - das ist Ihnen auch aus der Ausschussberatung bekannt - um die Erstellung der Matrix, also sozusagen des Einordnungssystems für die Qualifikationen. Da dies ein Kernelement, ein Herzstück des DQR ist, ist es auch sinnvoll, dass die Akteure nun die Gelegenheit haben, über die Struktur dieser Matrix miteinander zu verhandeln, bevor sie veröffentlicht wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage?

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Im Bildungsausschuss sind sehr viele offene Fragen zu diesem Thema aufgetaucht. Den gleichen Eindruck haben wir aus unseren Gesprächen mit den verschiedenen Interessengruppen, die an der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens beteiligt sind, gewonnen. Die Frage ist, ob die Bundesregierung aus den vielen offenen Fragen, die deutlich geworden sind, in irgendeiner Form Schlussfolgerungen für den weiteren Prozess gezogen hat. Wollen Sie das Verfahren zur Erarbeitung des DQR verlangsamen, und wollen Sie versuchen, auch andere Bereiche einzubeziehen und noch andere Punkte aufzugreifen? Mit anderen Worten: Haben Sie aus der bisherigen Debatte, insbesondere aus der Debatte im Bildungsausschuss, die sehr kontrovers verlief, etwas lernen können?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung sieht hierzu keinen Grund, da wir zum einen voll im Zeitplan sind, den sich die relevanten Gremien gegeben haben, und da zum anderen die relevanten Akteure über den Arbeitskreis DQR und über andere Mitwirkungsmöglichkeiten beteiligt sind und daher dieser Prozess aus Sicht der Bundesregierung so verläuft, wie wir uns das vorgestellt haben, sodass wir bis zum Jahr 2010 zu einem erfolgreichen Abschluss kommen können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke. - Wir kommen damit zur Frage 9 des Kollegen Kai Gehring: Wie beurteilt die Bundesregierung die angesichts der aktuellen Finanzmarktkrise vollzogene Erhöhung der Zinssätze für die Studienkredite der KfW Bankengruppe von 5,95 Prozent - Zinssatz von Dezember 2006 - auf 7,05 Prozent - seit 1. Oktober 2008 gültiger Zinssatz -, und welche hochschulpolitischen Konsequenzen und Schlüsse zieht die Bundesregierung für ihr aktuelles und künftiges Handeln daraus? Herr Staatssekretär, bitte.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Studienkredit ist ein ergänzendes, optionales Angebot, das jungen Menschen unabhängig von bestehenden Sozialleistungsansprüchen gemacht wird. Die Bundesregierung weist auf die Flexibilität des Studienkreditprogrammes hin. Zu feststehenden Terminen zweimal im Jahr kann nicht nur der monatliche Darlehensbetrag geändert werden, sondern in der Rückzahlungsphase auch die Annuität an Zinsen und Tilgungsraten für den Kredit. Die Anhebung des Zinssatzes für Studienkredite auf 7,0 Prozent bzw. 7,05 Prozent effektiv ist eine eigenständige Entscheidung der KfW-Förderbank. Die Bundesregierung nimmt diese Erhöhung der Zinsen zum Anlass, mit der KfW die weitere Entwicklung zu erörtern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ganz herzlichen Dank. - Das regt natürlich zum Nachfragen an, weil die KfW-Studienkredite bereits von 43 000 Studierenden in Anspruch genommen werden, die jetzt und auch später von der Erhöhung betroffen sein werden. Der KfW-Tilgungsrechner liefert das Ergebnis, dass bei einem sechssemestrigen Studium mit einer zurzeit durchschnittlichen Förderhöhe von 490 Euro zwischen Oktober 2006 und Oktober 2008 eine zusätzliche Zinsbelastung von über 3 800 Euro entsteht. Bei einer maximalen Förderdauer von zehn Semestern erhöht sich die Verschuldung sogar um über 10 000 Euro. Deswegen wäre es wichtig, wenn die Bundesregierung aus der Antwort auf die folgende Frage entsprechende Konsequenzen ziehen würde: Ist der KfW-Studienkredit angesichts der Verschuldungsrisiken aus Ihrer Sicht ein verantwortbares Studienfinanzierungsinstrument? Halten Sie diesen Kredit für ein attraktives Angebot - so haben Sie ihn immer verkauft - oder eher für ein riskantes Finanzierungsinstrument, von dem Sie Studienanfängern jetzt eher abraten?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, der KfW-Studienkredit ist vor zweieinhalb Jahren mit der Intention eingeführt worden, eine alternative, attraktive Finanzierungsquelle für die Studierenden anzubieten neben dem BAföG auf der einen Seite und den bestehenden konventionellen Finanzierungsangeboten auf der anderen Seite. Dabei waren zwei Punkte wesentlich: zum einen eine große Flexibilität für die Kreditnehmer und zum anderen eine Anpassung der Zinsen an die allgemeine Zinsentwicklung. Nun wäre Ihre vorgetragene Berechnung hypothetisch dann richtig, wenn wir den Zinssatz von 7,0 Prozent, der seit 1. Oktober 2008 gilt, in unveränderter Weise für die nächsten Jahrzehnte hätten. Das ist aber sehr unwahrscheinlich. Für den Fall, dass die Zinsentwicklung wieder nach unten geht, wird der KfW-Studienkredit selbstverständlich in entsprechender Weise angepasst, sodass diese Berechnungen, die sehr hohe zusätzliche Belastungen ergeben, mit einem sehr großen Fragezeichen zu versehen sind. Gleichwohl sieht die Bundesregierung die Attraktivität eines solchen ergänzenden Angebotes dann als gefährdet an, wenn eine zu hohe Zinsbelastung droht. Deshalb werden wir in Gesprächen mit der KfW sowohl dieses Finanzierungsangebot im Umfeld der alternativen Finanzierungsangebote entsprechend einschätzen als auch die Frage prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, dieses Finanzierungsinstrument ein Stück weit attraktiver zu machen, insbesondere zur Vermeidung einer zu starken Belastung der Studierenden in der Rückzahlungsphase.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wollen Sie noch einmal nachfragen? ({0}) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Es gibt dann noch drei weitere Nachfragen zu dieser Frage.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine Nachfrage dazu, dass Sie gesagt haben, dass sich dieser Zinssatz weiter verändern kann. Für wie realistisch halten Sie es in Anbetracht der Finanzmarktkrise, die wir derzeit erleben, dass dieser Zinssatz im nächsten Jahr, zum Beispiel zum 1. April 2009, weiter nach oben korrigiert wird, die Verschuldungsrisiken noch stärker steigen und damit die KfW-Bankenkrise ein Stück weit auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die Studienkredite und auch andere Bildungskredite der KfW-Förderbank in Anspruch nehmen? Mich würde sehr interessieren, ob Sie zum Beispiel mit den Ländern in Gespräche eintreten werden. Denn auch bei den Studienkrediten seitens der Landesbanken sind Zinssteigerungen zu erwarten. Ministerin Schavan wird offensichtlich morgen in der Leipziger Volkszeitung ankündigen, dass über denkbare Alternativen nachgedacht wird. Mich würde sehr interessieren, welche Alternativen das sind, bis wann Sie prüfen und bis wann Ergebnisse vorliegen werden.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Gehring, zunächst einmal hat die Bundesregierung keine Kenntnis über die künftige Zinsentwicklung, und zwar nicht nur aufgrund der derzeit schwierigen Situation auf den Finanzmärkten. Zu Ihrer Frage nach der Situation in den Ländern. Wir haben ja im Hinblick auf den KfW-Studienkredit und Ähnliches teilweise vergleichbare Angebote auf Länderseite. Wir werden uns natürlich für die Gespräche mit der KfW über den Studienkredit diese Angebote anschauen und eine Einordnung der Palette der Finanzierungsangebote, die den Studierenden zur Verfügung steht, vornehmen. Dabei muss ein Leitmotiv sein - das gilt zumindest für den Bund -, dass wir vermeiden müssen, dass die Studierenden in eine Situation kommen, in der sie eine finanzielle Belastung haben, die man als zu hoch empfinden müsste. Dies ist ein Leitgedanke auch bei der Frage nach möglichen Konsequenzen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es gibt jetzt noch vier Nachfragen zu dieser Frage. Zunächst Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte den letzten Punkt, nach dem Kollege Gehring gefragt hat, aufgreifen; denn dazu gab es noch keine Antwort. Auch war ich über Ihre vorherigen Antworten etwas überrascht angesichts dessen, dass wir die Tickermeldung vorliegen haben, dass Bildungsministerin Annette Schavan sagt - ich zitiere sie -, dass die Zinserhöhung ein „falsches Zeichen“ sei und man über „denkbare Alternativen“ nachdenken müsse. Sie aber sagen uns hier: Das muss nun einmal so sein; so viel kann sie daran nicht ändern. Mich würde interessieren: Wenn es Überlegungen der Bundesregierung gibt, daran etwas zu ändern, wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, das Ganze sei ein falsches Signal, wie möchte man das ändern, wie möchte man vorgehen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, ich habe Ihnen eben deutlich gemacht, dass für die Bundesregierung eine sehr hohe Priorität darin liegt, eine zu große Finanzierungslast für diejenigen Studierenden zu vermeiden, die einen solchen Studienkredit in Anspruch nehmen. Die 7-Prozent-Marke ist durchaus eine Grenze - angesichts dieser Größenordnung sehen dies sicherlich wir alle in diesem Hause so -, bei der man überlegen muss, ob Maßnahmen ergriffen werden. Aus diesem Grunde werden wir Gespräche mit der KfW führen. Dann werden wir schauen, ob es möglicherweise Alternativen zu dem bestehenden Angebot, ob es mögliche Lösungen geben kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Stokar von Neuforn.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal konkret nachfragen: Kann sich die Bundesregierung vorstellen, dass die Studenten einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Pleite der IKB und der jetzigen skandalösen Zinserhöhung sehen? Will die Bundesregierung es wirklich hinnehmen, dass die Studenten die Zeche für die Zockerei der IKB zu zahlen haben? Was gedenken Sie konkret zu tun?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hält es vor allen Dingen für erforderlich, dass die Diskussion auf einer seriösen Grundlage geführt wird und nicht Zusammenhänge hergestellt werden, die objektiv nicht bestehen. ({0}) Frau Abgeordnete, ich möchte Ihnen deshalb kurz erläutern, was der Zinserhöhung beim KfW-Studienkredit zugrunde liegt: Das ist die Zinsentwicklung beim 6-Monats-Euribor. Bei Einführung des KfW-Studienkredits im April 2006 lag er bei rund 3,0 Prozent. Er ist bis zum 1. Oktober auf 5,4 Prozent, also um 2,4 Prozentpunkte gestiegen. ({1}) Im gleichen Zeitraum ist der Zinssatz für den KfW-Studienkredit von 5,11 Prozent auf jetzt 7,0 Prozent gestiegen. Das sind knapp 1,9 Prozentpunkte. Wenn man sich das im Verlauf anschaut, dann stellt man fest, dass das eine ziemlich kontinuierliche Entwicklung ist. Nun kann man - zu Recht - einen Zinssatz von 7,0 Prozent für so hoch halten, dass man nach Möglichkeiten sucht, den Kredit attraktiver zu gestalten. Einen Zusammenhang mit anderen Ursachen herzustellen, ist aber in Hinblick auf das Vertrauen von jungen Menschen in Instrumente zur Finanzierung ihrer Bildung wenig hilfreich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal auf die Frage meiner Kollegin eingehen. Für einen normalen Studenten stellt sich das doch folgendermaßen dar: Die KfW ist sehr großzügig gewesen, als es darum ging, maroden Banken Gelder in dreistelliger Millionenhöhe hinterherzuschmeißen. Jetzt, wenig später, werden aber die Kredite für die Studenten erhöht. Die KfW hat in der Bevölkerung enorm viel Vertrauen verloren. Ihre Ministerin hat offensichtlich die notwendige Sensibilität, zu sagen: Diese Zinserhöhung ist nicht in Ordnung. Sie hingegen drucksen sehr rum. Ich habe eben mitgeschrieben. Sie haben gesagt: Man muss überlegen, ob Maßnahmen ergriffen werden. Meinen Sie, dass die Studenten in diesem Land Verständnis dafür haben, dass man, wenn es um hohe Zinsen für Studenten geht, erst überlegen muss, ob man etwas machen kann, obwohl man in der Lage ist, aufgrund von Fehlern der Banken innerhalb einer Woche ein dreistelliges Milliardenpaket zusammenzubekommen? Meinen Sie, dass Studenten dafür Verständnis haben?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete, ich habe eben deutlich gemacht, dass die Bundesregierung hier einen Handlungsbedarf sieht und deshalb in Gespräche mit der KfW eintritt. Wenn Sie sich einmal die Palette ähnlicher Studienkreditangebote anschauen, stellen Sie fest, dass dieser Studienkredit sich nicht allein in dieser Größenordnung bewegt. Deshalb lautet die Frage: Wie kann man eine sozialverträgliche Lösung finden? Wie können Kreditangebote aussehen, die für die Studierenden auch finanzierbar sind? Dies sind die Leitfragen der Bundesregierung bei den Gesprächen in den nächsten Wochen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt Kollegin Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Storm, wir haben heute im Ausschuss auch über die Anreize für Weiterbildung gesprochen. Sie haben uns mitgeteilt, dass das Weiterbildungsdarlehen dem erfolgreichen Modell der Studienkredite nachgebildet werden soll. Wie wollen Sie dem Eindruck entgegentreten, dass in Zukunft nicht nur die Studierenden, sondern auch die erwachsenen „Weiterbilder“ diesen unverhältnismäßigen Zinsrisiken ausgesetzt werden, die Folge von Verwerfungen an den Finanzmärkten sind? Überlegen Sie zum Beispiel, mit Verträgen mit fixen Zinssätzen oder mit garantierten Zinssatzobergrenzen zu arbeiten? Das sind doch die konkreten Fragen.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Sager, der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat heute abschließend einen Meilenstein der Weiterentwicklung im Weiterbildungsbereich beraten, der drei wesentliche Elemente enthält: erstens den Einbau von Entnahmemöglichkeiten für Weiterbildungszwecke in der Vermögensbildung, zweitens die Einführung einer neuen Weiterbildungsprämie bis zu 154 Euro und drittens den Aufbau einer breiten Beratungsinfrastruktur für den Weiterbildungsbereich mit 600 regionalen Zentren. Es ist auch beabsichtigt, dass wir dies mittelfristig um ein Angebot für ein Weiterbildungsdarlehen ergänzen. Ein solches Angebot für ein Weiterbildungsdarlehen liegt aber in diesen Tagen noch nicht vor, weil es sich ein Stück weit als komplizierter darstellt und gestaltet als beispielsweise die Konzeption von Studienkrediten. Nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung wird die Bundesregierung selbstverständlich ein wesentliches Augenmerk darauf richten, dass, wenn es ein solches Angebot gibt, dieses angemessene Konditionen für die Weiterbildungsteilnehmer hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich lasse jetzt noch zwei Nachfragen zu dieser Frage zu. Dann sollten wir wirklich zur nächsten Frage kommen. Zunächst Kollege Thiele und dann Kollegin KottingUhl.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, die Zinserhöhung ist gerade jetzt erst wirksam geworden. Sie haben auf den Zeitraum seit April 2006 verwiesen und darauf, wie die Zinsen von 3 auf 4,5 Prozent gestiegen sind. Aber sie sind auch gerade wieder um einen halben Prozentpunkt gesenkt worden. Das ist nicht entsprechend berücksichtigt, sodass sich schon folgende Frage aufdrängt; sie ist eigentlich offensichtlich. Weil der Staat sich zu rot-grüner Zeit an der IKB beteiligt hat, ({0}) sind die Probleme der IKB auch Probleme des Staates geworden. Dadurch wurden Gelder benötigt, die zum Teil vom Bund gestellt wurden, im Wesentlichen aber von der KfW. Dadurch ist die Refinanzierungsmöglichkeit der KfW drastisch eingeschränkt worden. Dadurch werden die Zinsen der KfW insgesamt erhöht. Ist das nicht der Zusammenhang, in den das zu stellen ist? Denn - da stimme ich den Vorfragestellern ausdrücklich zu hier ist doch der Sachzusammenhang zu sehen. Die Studierenden werden für die Probleme im Zusammenhang mit der Staatsbeteiligung an der IKB zur Kasse gebeten. ({1})

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Herr Abgeordneter Thiele, der Sachzusammenhang ist nicht der, dass wir jetzt eine einmalige Anhebung des Zinssatzes beim KfW-Studienkredit haben. Sie ist vielmehr in mehreren Stufen erfolgt. Wenn man sich das anschaut und mit dem 6-Monats-Euribor vergleicht, dann ist jeweils mit einer leicht gedämpften Wirkung die dortige Entwicklung an den Zinssatz für den KfW-Studienkredit weitergegeben worden. Von daher ist ein solcher Sachzusammenhang zunächst einmal nicht unmittelbar ersichtlich. Eine Anpassung an eine zwischenzeitlich erfolgte Veränderung, etwa des Euribor-Zinssatzes, nach unten ist nach der derzeitigen Regelung erst wieder zum nächsten Stichtag - das ist der 1. April 2009 - möglich. Wir werden natürlich in den Gesprächen mit der KfW über all diese Konditionen reden, die von zwei Dingen geleitet sein müssen: Erstens sollte, wenn es eine deutlich günstigere Zinsentwicklung gibt, diese zu einem Zeitpunkt, der so früh wie möglich liegt, an die Studierenden weitergegeben werden, und zweitens - ich betone das noch einmal - sollte die Belastung der Studierenden nicht zu hoch werden; hier ist eine Schwelle erreicht, die auch aus Sicht der Bundesregierung nicht mehr akzeptabel ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Kotting-Uhl, bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident. - Ich richte meine Nachfrage an Staatssekretär Storm, obwohl man jetzt auch in andere Debatten eintreten könnte. Aber ich glaube, hier ist nicht der Ort dafür. Wir haben im Sommer die Äußerung von KfW-Chefvolkswirt Irsch gehört: „Mit dem KfW-Studienkredit gibt es keinen Grund mehr, ein Studium aus finanziellen Gründen nicht aufzunehmen.“ Glauben Sie nicht auch, dass in der jetzigen Situation genau das wieder eintreten könnte, was wir alle immer versucht haben zu vermeiden bzw. wovon wir wegkommen wollten, nämlich dass junge Menschen genau aus diesen Gründen überlegen, ob sie sich ein Studium überhaupt leisten können? Wer soll Ihrer Meinung nach jetzt mit welcher Art von Äußerungen Studierende motivieren, zu einem solchen Studienkredit zu greifen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Kotting-Uhl, ich darf erstens auf meine Antwort von vorhin verweisen, in der ich erläutert habe, dass bei dem Mechanismus, der dem KfW-Studienkredit zugrunde liegt, nicht davon auszugehen ist, dass wir nun dauerhaft eine Zinsbelastung von 7 Prozent hätten, wenn nichts geändert würde. Ich darf zweitens darauf verweisen, dass die Bundesregierung aus der Überzeugung heraus, dass das derzeitige Zinsniveau des KfW-Studienkredits zu hoch ist, mit der KfW Gespräche führen wird, um eine attraktivere Lösung im Sinne der Studierenden zu finden.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Wir kommen damit zur Frage 10 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl; auch diese Frage gehört noch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Gibt es Schweigeklauseln in den Verträgen zwischen dem Helmholtz-Zentrum München und seinen mit dem Forschungsbergwerk Asse II befassten Mitarbeitern bzw. ehemaligen Mitarbeitern ({0}), und, falls ja, beabsichtigt die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass diese Stillschweigevereinbarungen aufgehoben werden? Herr Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Rachel steht zwecks Beantwortung zur Verfügung. Bitte sehr, Herr Rachel.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Kotting-Uhl, zu Ihrer Frage darf ich Ihnen antworten: In den Arbeitsverträgen, die für die Mitarbeiter der Schachtanlage Asse abgeschlossen wurden, sind keine Klauseln enthalten, die dem Arbeiternehmer eine Schweigepflicht auferlegen. Für die Mitarbeiter der Schachtanlage Asse gelten damit die gleichen gesetzlichen Nebenverpflichtungen zur Verschwiegenheit wie für alle anderen Arbeitnehmer auch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage? - Bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Staatssekretär. Sie müssen schon entschuldigen, aber wir waren natürlich in der gemeinsamen Sitzung des Forschungsausschusses und des Umweltausschusses und bei anderen Gelegenheiten immer wieder erstaunt darüber, dass so viel Schweigen herrscht. Daher meine erste Nachfrage: Das BMBF hat nach eigener Aussage erstmals Mitte Juni dieses Jahres davon erfahren, dass Salzlaugen im Bergwerk Asse radioaktiv verseucht sind. Hat das BMBF umgehend entsprechende Forschungs- oder Untersuchungsprojekte eingeleitet, um die Ursachen festzustellen? Und falls nein: Warum nicht?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Kotting-Uhl, das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat gemeinsam mit dem niedersächsischen Umweltministerium, dem NMUK, dem Bundesumweltministerium und der Öffentlichkeit am 13. Juni davon erfahren, dass sich kontaminierte Lauge außerhalb der Lagerkammer befindet. Unser Haus hat daraufhin - Sie haben ja gefragt, was gemacht wurde - ein Gutachten zur Herkunft dieser kontaminierten Lauge in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten ist wiederum in den Ihnen bekannten Statusbericht des NMUK eingeflossen und diesem auch beigefügt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfrage? - Bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Wir wissen also, dass dem BMBF seit Juni dieses Jahres die radioaktive Verseuchung der Lauge bekannt ist. Jetzt stellt sich die Frage, seit wann bekannt ist, dass überhaupt Lauge eintritt. Wir wissen, dass es den verschiedenen Behörden und auch dem Betreiber des damals noch dem Forschungsministerium unterstellten Bergwerkes Asse seit den 1980er-Jahren bekannt ist, dass Lauge eintritt. Wann hat das BMBF offiziell zum ersten Mal erfahren, dass überhaupt Salzlauge eintritt?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Kotting-Uhl, seit 1988 fließt eine Natriumchlorid-gesättigte Lösung aus dem Deckgebirge in die Schachtanlage ein. Diese Zutrittslauge wird aufgefangen und systematisch beprobt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt noch einmal bestätigt, dass das Ministerium erst im Juni erfahren hat, dass die Freigrenzen von Cäsium 137 überschritten waren. Es wäre allerdings interessant, auch zu erfahren, wann das Ministerium und die Hausspitze das erste Mal erfahren haben, dass es in der Asse kontaminierte Lauge mit künstlichen Radionukliden, zum Beispiel Cäsium 137, Tritium oder Kobalt, gibt. Seit wann wussten Sie das?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Höhn, die zufließenden Flüssigkeiten sind, wie gesagt, vor rund 20 Jahren festgestellt worden. Man hat daraus die Konsequenz gezogen, dass sie aufgefangen, aber auch beprobt wurden. Dies ist den beteiligten und dafür jeweils zuständigen Institutionen selbstverständlich mitgeteilt worden. Es hat eine systematische Beprobung stattgefunden. Im Übrigen sind entsprechende Rückstellproben im Auftrag des niedersächsischen Ministeriums für Umwelt auch vom TÜV Nord geprüft worden. Dabei sind sie auch im Hinblick auf das von Ihnen angesprochene Cäsium 137 und auf Tritium analysiert worden. Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt vor. Es zeigt, dass alle gemessenen Werte unterhalb der entsprechenden Freigrenzen liegen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Sager, bitte.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat beim Besuch des Endlagers Morsleben gesagt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Endlager durch die Missstände im Bergwerk Asse ruiniert worden sei und dass nun nur noch absolute Offenheit helfe. Ihre Antwort war nicht gerade ein Beleg für absolute Offenheit. Wäre das BMBF im Sinne absoluter Offenheit bereit, dem Parlament die Akten zu Asse II möglichst leicht zugänglich zu machen?

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Frau Kollegin Sager, die gleiche Frage haben Sie bereits in der letzten Sitzungswoche gestellt. ({0}) Es bleibt bei der Antwort, dass die Bundesregierung selbstverständlich gerne bereit ist, Ihre Fragen in den zuständigen Ausschüssen, im Umweltausschuss und im Forschungsausschuss, oder im Rahmen der Fragen an die Bundesregierung zu beantworten. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt hat der Kollege Hofreiter noch eine Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Mich würde Folgendes interessieren: Im Bergwerk gab es auch einen sogenannten Tiefenaufschluss, in den radioaktiv verseuchte Lauge verbracht wurde. Meine Frage: Wann wurden das BMBF und insbesondere die Hausspitze über die Verbringung der kontaminierten Lauge in den sogenannten Tiefenaufschluss informiert? ({0})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Herr Kollege, diese Frage werde ich Ihnen gerne schriftlich beantworten. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch in der letzten Fragestunde haben Sie zugesagt, Fragen schriftlich zu beantworten. Darauf warten wir noch heute; denn das ist immer noch nicht geschehen. Beantworten Sie diese Frage diesmal wirklich schriftlich, oder sagen Sie das hier nur zu?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir haben die Zusage gehört, und sie ist ja auch im Bundestagsprotokoll festgehalten. Als Letzte zu dieser Frage - wir müssen schließlich ein bisschen vorankommen - Kollegin Flachsbarth, bitte. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, die Kontamination der Lauge und insbesondere die relativ großen Zuflüsse von 12 Kubikmeter pro Tag bewegen die Republik und natürlich auch dieses Haus seit Wochen. Herr Bundesminister Gabriel hat diese Frage auf seiner Sommerreise problematisiert und bei der betroffenen Bevölkerung in den Regionen Niedersachsens, in denen es stillzulegende Bergwerke gibt, in die diese Lauge verbracht worden war, für nicht unerhebliche Irritationen gesorgt. Der Bundesminister hat in der gemeinsamen öffentlichen Anhörung von Umweltausschuss und Forschungs- und Bildungsausschuss erklärt, es gebe für die Freigabe dieser Laugen keine Grenzwerte. Sind Sie darüber informiert, inwieweit das Bundesumweltministerium bzw. das BfS bei der Erarbeitung solcher Grenzwerte vorangeschritten ist? Denn Sie haben eben ja richtigerweise ausgeführt, dass weitere Untersuchungen dieser Laugen durch BMBF und NMU in Auftrag gegeben wurden, bei denen letztendlich keine Kontamination festgestellt werden konnte.

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Es gilt tatsächlich, nochmals festzuhalten, dass es sich hier nur um Laugen handelt, deren Werte unterhalb der jeweiligen Freigabewerte liegen. Die Erarbeitung von Freigrenzen, die Sie angesprochen haben, liegt in der Zuständigkeit des BMU und des BfS. Sie werden Verständnis dafür haben, dass Sie diese Frage unmittelbar an das BMU richten sollten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass es dabei ist, das zu erarbeiten. Den genauen Zeitpunkt sollte Ihnen aber der Vertreter des zuständigen Ministeriums nennen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung. Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf: Auf wessen Veranlassung hin sind die rund 150 Elitepolizisten der GSG 9 - nach ihrem geplanten Einsatz zur Befreiung entführter Geiseln in der Sahara - unvermummt vor laufenden Kameras und fotografierenden Journalisten über das Rollfeld des Flughafens Berlin-Tegel marschiert, und was unternimmt die Bundesregierung, um zukünftig die Sicherheit dieser Beamten zu gewährleisten ({0})?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, die Frage kann ich sehr kurz und knapp beantworten: Die Polizeivollzugsbeamten der GSG 9 der Bundespolizei sind auf Veranlassung des Bundesministeriums des Innern im Einvernehmen mit dem Bundespolizeipräsidium und der Leitung der GSG 9 auf dem Rollfeld des Flughafens Tegel in Erscheinung getreten. Es war eine Einzelfallentscheidung, und sie bedeutet selbstverständlich keine Abkehr von den bisher praktizierten Maßnahmen zum Schutz der Beamten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfragen, Kollegin Pau?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, durch Ihre wahrlich kurze und knappe Antwort werden mir nicht meine Besorgnisse genommen, die ich habe, seitdem ich diese Fernsehbilder und gestochen scharfen Fotos gesehen habe. Deshalb möchte ich gerne wissen, wie Sie die gegenwärtige individuelle Sicherheitslage für diese Beamten bewerten und welche Vorkehrungen diejenigen getroffen haben, die für diese Entscheidung verantwortlich sind, um die Sicherheitsbedürfnisse der GSG-9-Beamten zu berücksichtigen. Bisher sind sie ja bei allen Gelegenheiten nur vermummt in der Öffentlichkeit aufgetreten, und es werden aus guten Gründen - ich gebe gerne zu: nicht immer von uns akzeptiert -, selbst dann, wenn sie in Kontakt mit Parlamentariern kommen, Sicherheitsmaßnahmen getroffen, damit ihre Identität nach außen hin nicht offenbar wird. ({0})

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Pau, Sie können davon ausgehen, dass die von mir angesprochene Entscheidung nicht getroffen worden wäre, wenn sie nicht auch im Hinblick auf die Sicherheitslage der Beamten verantwortbar und vertretbar gewesen wäre. Dieser Entscheidung lag übrigens die Abwägung zugrunde, dass wir aus generalpräventiven Gründen ein Zeichen setzen wollten. Die Bundesregierung ist nämlich nicht erpressbar. Potenzielle Entführer von deutschen Staatsangehörigen müssen künftig auch mit dem Einsatz der GSG 9 rechnen. Insofern möchte ich einen von Ihnen angesprochenen Punkt korrigieren. Sie sagten: Das geschieht sonst nie, und das ist noch nie geschehen. - Das ist beispielsweise auch geschehen, als die damalige GSG-9-Mannschaft aus Mogadischu zurückgekehrt ist. Auch damals lag die gleiche Erwägung zugrunde, und sie hat sich nachher in der Praxis auch bewährt.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut, dann frage ich noch einmal andersherum: Liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, dass GSG-9-Beamte, die an diesem Einsatz teilgenommen haben und sich hier in der Öffentlichkeit entsprechend präsentieren mussten, jetzt irgendeiner Gefährdung ausgesetzt sind oder identifiziert wurden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Davon ist mir nichts bekannt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen damit zu den Fragen 12 und 13 des Kollegen Wolfgang Wieland: Welche Änderung des Grundgesetzes für den Einsatz der Bundeswehr im Innern plant die Bundesregierung, und in welchen Fällen soll der Einsatz der Bundeswehr auch mit spezifisch militärischen Mitteln innerhalb Deutschlands ermöglicht werden? Welcher Grad der Konkretisierung einer Gefahr oder Bedrohung soll nach dem Willen der Bundesregierung vorliegen, um den Einsatz der Bundeswehr zu ermöglichen, und soll die Entscheidung darüber, ob polizeiliche Mittel ausreichen oder nicht, vom jeweiligen Bundesland oder durch einen Bundesminister getroffen werden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte die beiden Fragen des Kollegen Wieland im Zusammenhang. Herr Kollege Wieland, Sie wissen, dass die Gefahrenabwehr in Deutschland grundsätzlich Aufgabe der Länder und deren Polizeien ist. ({0}) Mit der Grundgesetzänderung zu Art. 35, die vorbereitet wird, haben wir im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, die Sie wahrscheinlich auch kennen werden, eine Regelung beabsichtigt, wonach die Bundesregierung in besonders schweren Unglücksfällen den Einsatz der Streitkräfte anordnen kann, wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichen, um die Gefahr abzuwenden. Das heißt, mit der Änderung von Art. 35 des Grundgesetzes soll die verfassungsrechtliche Grundlage für einen Streitkräfteeinsatz mit militärischen Mitteln im Wege der Amtshilfe bei polizeilichen Gefahrenlagen, also ausdrücklich nicht in einem kriegerischen Kontext, geschaffen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung, die ich eben schon zitiert habe, klargestellt, dass im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr eine Abwägung von Leben gegen Leben, soweit dies unbeteiligte Dritte betrifft, nicht zulässig ist. Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, bezieht sich auf die Konkretisierung der Gefahr und der Bedrohung. Da empfehle ich einen Blick in den Gesetzentwurf. Darin ist nämlich von Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls die Rede. Abwehr setzt eine konkret-gegenwärtige Gefahr voraus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil, das ich bereits zweimal zitiert habe, auch diesen Gesichtspunkt des noch nicht eingetretenen Schadens und seiner Abwendung präzisiert. Wir werden uns bei der Auslegung von Art. 35 in der Praxis selbstverständlich genau an diesem Urteil orientieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gelegenheit zur Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, in den Entwurf hätten wir gerne hineingesehen, wenn er uns zur Verfügung gestellt worden wäre. Nun liest man heute in der Süddeutschen Zeitung die Äußerung eines nicht genannten Innenpolitikers der SPD. Ich darf zitieren: Dieses Projekt ist mausetot. Es wird nicht erst im Bundesrat, sondern schon vorher scheitern. Ähnliches las man schon die ganze Woche über. Wie wirken sich denn sowohl diese klare Aussage, dass das im Bundesrat keine Zweidrittelmehrheit erhalten wird - das haben die Länder, in denen die Grünen bzw. die FDP an der Regierung beteiligt sind, bereits gesagt -, als auch der - das ist ja nun ein offenes Geheimnis - vehemente Widerstand aller Rechts- und Innenpolitiker der SPD auf die Pläne der Bundesregierung aus? Bleibt sie stur? Macht sie weiter, oder kommt sie zur Einsicht?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Wieland, da der von Ihnen zitierte SPDPolitiker namentlich nicht genannt wird ({0}) - mit „W“ gibt es wahrscheinlich mehrere -, ist es, wie Sie sicherlich verstehen können, schwierig, den Glaubwürdigkeitsgrad dieser Aussage zu beurteilen. ({1}) Im Übrigen schlage ich vor, dass Sie diese Fragen an die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion richten. Die Bundesregierung hat jedenfalls allen Anlass, ihre gesetzgeberischen Bemühungen weiter vor19396 anzutreiben und die dafür vorgesehenen Verfahren einzuhalten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollege Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Altmaier, ich habe natürlich auch bei den Innenpolitikern der SPD nachgefragt, die jetzt leider - wie auch die Rechtspolitiker - sämtlich nicht anwesend sind. ({0}) - Sorry! ({1}) - Ja, mannhaft zu zweit, aber etwas in meinem Rücken sitzend, sodass ich sie nicht gleich gesehen habe. Da wurde uns gesagt, wir beerdigen das gerade in einer Arbeitsgruppe, und ich könne beruhigt sein, da bleibe es beerdigt. Jetzt will ich aber einmal anders fragen: Können Sie mir erklären, warum die Bundesjustizministerin in einer Koalitionsrunde an einem Sonntag offenbar einem Text zustimmt, der völlig verquer zu dem ist, was hier seit Jahr und Tag in der Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren vonseiten der Sozialdemokratie gesagt worden ist, nämlich dass sie ihn zu Land nicht wolle, dass sie ihn höchstens aus der Luft und von See her wolle? Können Sie diese Verwirrung auflösen? Wie kann so etwas zustande kommen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Wieland, sofern sich Ihre Frage auf interne Debatten des Koalitionspartners bezieht, darf ich Sie daran erinnern, dass die Bundesregierung das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten peinlich genau beachtet. Sofern sich Ihre Frage auf das Ergebnis der Runde vom Sonntag bezieht, das Sie, soweit es mir bekannt ist, zutreffend dargestellt haben, möchte ich darauf hinweisen, dass diese Runde in der Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht vorgesehen ist und dass wir - so, wie ich es eben schon gesagt habe - als federführendes Ministerium unsere Arbeiten an dieser Frage fortsetzen werden. Dann werden sich nacheinander das Bundeskabinett, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat dazu verhalten. Die Ergebnisse wird man dann jeweils zur Kenntnis nehmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Montag, bitte.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Altmaier, eine Nachfrage in die gleiche Richtung: Ich weiß, dass es den Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten des Koalitionspartners gibt. Es gibt aber auch den Grundsatz „responsibility to protect“. Dort, wo Sie helfen könnten, sollten Sie also auch helfen. Nachdem offensichtlich ein Text - Sie haben gesagt, wir hätten ihn lesen können; das konnten wir nicht, weil wir ihn nicht bekommen haben in einem Gremium formuliert wurde, das nach Ihrer Aussage gar nicht vorgesehen ist, lautet meine Frage: Können Sie uns erklären, ob die Informationen, die wir haben, zutreffen, dass dieser Text zur Änderung des Grundgesetzes und zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren ohne Einbeziehung der Rechts- und Innenpolitiker der Koalition, also auch Ihrer Fraktion, und ohne Rücksprache mit ihnen zustande gekommen ist?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Diese Frage kann ich Ihnen selbstverständlich nicht beantworten, Herr Kollege Montag, ({0}) weil sie sich auf den Prozess der inneren Willensbildung der Bundesregierung bezieht. Auch Vorgängerregierungen haben sich bisweilen darauf berufen. Sie werden sich sicherlich an den von uns gemeinsam besuchten Untersuchungsausschuss, den sogenannten Wahllügenausschuss aus der vorletzten Wahlperiode, noch lebhaft erinnern. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nein, Kollege, Sie dürfen nicht. ({0}) Wir kommen damit zu Frage 14 des Kollegen Manuel Sarrazin: Welche Vorbehalte hat die tschechische Regierung gegen die Zustimmung zum Richtlinienvorschlag zur europäischen Bluecard auf der Sitzung des europäischen Rates der Justizund Innenminister am 26. September 2008 vorgetragen, und wie haben die deutsche Regierung und die übrigen Mitgliedstaaten auf die tschechischen Vorbehalte reagiert? Bitte schön, Kollege Altmaier.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Präsident, lieber Kollege Sarrazin, ich bitte um Verständnis. Es geht um eine Sitzung des Rates der Innen- und Justizminister vom 25. September. Dort hat man einen Bericht über den Zwischenstand der Verhandlungen über die Bluecard-Richtlinie für Hochqualifizierte vorgelegt. Die Mitgliedstaaten haben sich dazu geäußert. Wir haben den Deutschen Bundestag über diese Debatten gemäß der Vereinbarung zwischen dem Bundestag und der Bundesregierung entsprechend unterrichtet. Darüber hinaus ist es nicht Brauch und nicht üblich, über interne Debatten und Argumente im Rat der Innenund Justizminister zu noch nicht abgeschlossenen Verfahren in dieser Form vor dem Deutschen Bundestag zu berichten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, das Besondere und Neue ist die Umdeutung des Berichts im Europaausschuss und in der Ratsanfrage zu einer Zwischenvorlage. Der Innenminister hat in der in Rede stehenden Sitzung gesagt, er hoffe, dass das auf der nächsten Sitzung des Rates beschlossen werde, und es sei gar nicht mehr so schlimm, weil man die Bluecard schon mehr oder weniger beerdigt habe. Da durch Meldungen der Presse nachvollziehbar ist, dass Tschechien vor allem die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch Deutschland zu einem Grund gemacht hat, frage ich die Bundesregierung nach ihrer Einschätzung, ob Tschechien das und Weiteres vorgetragen hat und was das für die Verantwortlichkeit der Bundesregierung in Bezug auf das vorläufige Scheitern der Bluecard bedeutet.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Sarrazin, die Bluecard ist alles andere als gescheitert. Es ist richtig, dass es bei der Präsidentschaft die Vorstellung gegeben hat, dass man sich bereits bei der infrage stehenden Ratssitzung abschließend auf die Bluecard werde einigen können. Man hat dann aber festgestellt, dass dazu noch einige Beratungen auf Fachund Expertenebene erforderlich sind. Wie Sie wissen, wird es noch eine Ministerratssitzung unter französischer Präsidentschaft geben. Diese bietet noch einmal die Chance, zu einer endgültigen Einigung zu gelangen. Im Übrigen hat sich die Zahl der Vorbehalte auf ganz wenige reduziert. Die Spekulationen, die Sie über den konkreten Gegenstand des tschechischen Vorbehalts vorgetragen haben, kann ich aus den bereits dargelegten Gründen nicht kommentieren und in dieser Form auch nicht bestätigen oder dementieren. Es ist aber ganz normal, dass über solch wichtige Vorhaben im Rat der Innen- und Justizminister auch kontrovers diskutiert wird. Trotzdem gehe ich davon aus, dass es möglich sein wird, bis zum Ende des Jahres zu einer positiven und abschließenden Entscheidung zu kommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Sarrazin.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann würde ich gern nach den aus Sicht der Bundesregierung noch offenen Vorbehalten fragen, und zwar ausdrücklich mit der Maßgabe, mir doch bitte zu sagen, ob diese Vorbehalte schon bei der Sitzung des Europaausschusses bestanden haben oder ob seit dem Rat neue Vorbehalte der Bundesregierung vorgebracht worden sind.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Sie haben alle Berichte und auch den Nachbericht erhalten. Der ist, soweit ich mich daran erinnern kann, komplett und gibt Ihnen das vollständige Bild.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Es gibt jetzt zwei Nachfragen. Zunächst Kollegin Sager.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, welche Unterschiede sehen Sie beim jetzigen Zwischenstand zwischen den Regelungen für die europäische Bluecard und dem diesjährigen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschäftigung von ausländischen Hochqualifizierten in Deutschland?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Sager, es handelt sich um zwei voneinander unabhängige Systeme zur Hochqualifiziertenzuwanderung. Sie wissen, dass auf europäischer Ebene die Zuständigkeiten für Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen auf den europäischen Arbeitsmarkt geteilt sind: Es gibt eine europäische Zuständigkeit, aber es gibt auch explizit die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, selbst die Höchstzahlen dieser Zuwanderung festzulegen. Dies ist im Vertrag von Lissabon, der noch nicht in Kraft getreten ist, deklaratorisch festgehalten worden. Uns als deutscher Bundesregierung kam es bei den Verhandlungen vor allen Dingen darauf an, diesen Dualismus der beiden Rechtsinstrumente weiter zu ermöglichen. Wir haben dafür Sorge getragen, dass eine europäische Bluecard, die wir unterstützen und begrüßen, nicht dazu führt, dass die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, selbst über den zahlenmäßigen Umfang der Zuwanderung zu entscheiden, infrage gestellt wird. Deshalb ist es in Zukunft beispielsweise nach wie vor möglich, dass wir für unser System, das mit dem Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz vorgelegt wird, eigene Verdienstgrenzen festlegen und dass wir regeln, dass es nach diesem Gesetz einer Niederlassungserlaubnis für die betroffenen Personen bedarf. Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass diejenigen, die eine Bluecard erhalten haben und sich dann nach einer gewissen Anzahl von Jahren auch in anderen Mitgliedstaaten bewerben können, noch der Vorrangprüfung unterliegen können, um auf diese Weise zu vermeiden, dass nationale Zuständigkeiten ausgehöhlt werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Stokar.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da wir nicht nach dem Verhandlungsstand auf EU-Ebene nachfragen sollen, kann ich mich auf den Innenausschuss beziehen. Sie persönlich haben die Bluecard im Innenausschuss als Erfolgsprojekt dargestellt. Nach dem Scheitern wegen Tschechien lautet meine Frage: Ist denn die Bundesregierung, die wegen ihrer Vorbehalte aus der Bluecard ein reines Touristenvisum gemacht hat, jetzt bereit, einen Teil ihrer Vorbehalte zurückzunehmen, damit es doch noch zu einer Einigung kommt? Will die Bundesregierung wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, dass es letztendlich an den Vorbehalten aus Deutschland scheitert, dass die von der Wirtschaft dringend benötigten Hochqualifizierten eine Möglichkeit bekommen, die Arbeitsplätze einzunehmen, die ausgeschrieben sind? Wann rechnen Sie denn damit, dass eine Regelung zur Bluecard, die den Höchstqualifizierten ermöglicht, auf dem hiesigen Arbeitsmarkt tätig zu werden, in Kraft tritt?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Wir haben zum einen durch den Entwurf des Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzes, den wir hier im Bundestag eingebracht haben, die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Deutschland im Wettbewerb um die weltweit besten Köpfe seine Position verbessert. Das ist von der Wirtschaft einhellig begrüßt worden. Zweitens. Als Ergänzung zu diesem Gesetz halten wir die Bluecard für ein wichtiges Instrument. Über dieses Instrument wird zurzeit im Ministerrat verhandelt; es ist keineswegs gescheitert. Nach meiner Einschätzung gibt es eine sehr gute Chance, dass die Bluecard bis zum Ende des Jahres konsensfähig ist und wenigstens eine politische Einigung im Ministerrat erreicht werden kann. Dies würde bedeuten, dass es anschließend noch einige wenige Wochen dauern wird, bis der formelle Beschluss gefasst werden wird. Die deutschen Vorbehalte sind im Rahmen der Beratungen ständig reduziert worden, weil die französische Präsidentschaft viele dieser Vorbehalte berücksichtigt hat. Daher gehe ich davon aus, dass die Bluecard nicht am deutschen Widerstand scheitern wird. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Frage 15 des Kollegen Ströbele wird schriftlich beantwortet. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Dagmar Enkelmann auf: Warum hat die Bundesregierung die bereits im Jahr 2004 gegebenen Empfehlungen der EU-Kommission zur Regulierung der Managergehälter bis heute nicht in nationales Recht umgesetzt, und wie wird sich die Bundesregierung verhalten, wenn die EU-Kommission, wie von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso angekündigt, erneut Vorschläge zur Regulierung von Managergehältern vorlegt ({0})? Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Enkelmann! Eine kurze Zusammenfassung meiner Antwort auf Ihre Frage vorweg: Soweit der Kommissionsvorschlag Empfehlungen zu Transparenz und Offenlegung von Managervergütungen enthält, gibt es sehr wohl Vergleichbares in Deutschland, sei es im Deutschen Corporate Governance Kodex, sei es im Handelsgesetzbuch. Nicht umgesetzt wurde bislang lediglich die Empfehlung zur Beteiligung der Hauptversammlung an der Entscheidung über die Managervergütung. Dies wurde diskutiert, fand aber mit gewichtigen Argumenten keine Zustimmung. Sollte die Kommission nun nochmals Vorschläge unterbreiten, werden wir sie prüfen. Eine Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen befasst sich ohnehin mit diesem Thema. Ich komme zur Antwort im Einzelnen. Der Corporate Governance Kodex sorgt für Transparenz hinsichtlich des Vergütungskonzeptes der Gesellschaft insgesamt, und zwar sowohl schriftlich im online einsehbaren Vergütungsbericht als auch mündlich durch Erläuterungen des Aufsichtsratsvorsitzenden in der Hauptversammlung. Die individuelle Offenlegung der Managervergütung ist bei den börsennotierten Gesellschaften seit August 2005 durch das Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen vorgeschrieben. Nicht umgesetzt wurde die Empfehlung, die Hauptversammlung an der Entscheidung über die Vergütung zu beteiligen. Die Vereinbarung der Vorstandsvergütung ist vielmehr Sache des Aufsichtsrats und unterliegt damit auch der Mitbestimmung in diesem Gremium. Im Rahmen der Entlastung des Aufsichtsrats haben die Aktionäre aber heute schon die Möglichkeit, den Vergütungsbericht zu diskutieren. Eine Verlagerung der Kompetenz auf die Hauptversammlung begegnet hingegen Bedenken: Zum Ersten würde der Einfluss der Arbeitnehmerseite geschwächt. Zum Zweiten nähme die Diskussion über die oftmals sehr komplexen Strukturen der Vorstandsvergütung erheblichen Raum in der Hauptversammlung ein. Dies könnte - ich sage: könnte - zulasten wichtiger inhaltlicher Strategiedebatten gehen. Zum Dritten ist keineswegs sicher, dass eine Beteiligung der Hauptversammlung überhaupt den gewünschten Effekt hätte. Zum Beispiel könnten Vertreter institutioneller Anleger - etwa gut bezahlte Fondsmanager durchaus ein Eigeninteresse an einem insgesamt hohen Vergütungsniveau haben. Zum Vierten schließlich gäbe eine Billigung durch die Hauptversammlung dem Aufsichtsrat unter Umständen die Möglichkeit, sich seiner Schadensersatzhaftung bei unangemessener Vergütungsvereinbarung zu entziehen. Sollte die Kommission nun nochmals Vorschläge unterbreiten, werden wir diese selbstverständlich prüfen. Davon abgesehen halten wir es jedoch für richtig, den Aufsichtsrat stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Festsetzung einer unangemessen hohen Vergütung ist strafParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach rechtlich Untreue und führt schon heute nach den §§ 93 und 116 des Aktiengesetzes zur Schadensersatzpflicht. Eine strafrechtliche Verurteilung oder ein Urteil in einem Schadensersatzprozess in diesem Bereich würde vermutlich mehr Wirkung zeigen als die Verlagerung der Entscheidung auf die Aktionäre, die übrigens ihrerseits völlig unterschiedliche Interessen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, die Frage der Begrenzung von Managergehältern und der Haftungsfähigkeit von Managern ist ein Thema, das uns gegenwärtig sehr stark beschäftigt. Die entsprechende Arbeitsgruppe ist hier mehrfach erwähnt worden. Die erste Frage ist: Wann können wir denn nun mit Ergebnissen rechnen, die in Gesetzesform dem Parlament vorgelegt werden und endlich zu entsprechenden Entscheidungen führen? Schließlich sind die Empfehlungen der EU, um die es hier geht, von 2004. Das ist inzwischen vier Jahre her. Ich komme zu meiner zweiten Frage. Am Wochenende konnten wir zur Kenntnis nehmen, dass der Finanzminister gefordert hat, die Höhe der Managergehälter - davon geht er aus - auf 500 000 Euro zu begrenzen. Meine Frage ist: Was tut die Bundesregierung, um dieser Empfehlung des Finanzministers gerecht zu werden?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, die Kollegin Enkelmann hat gleich beide Nachfragen gestellt.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das war sehr nett von ihr. So kann ich gleich beide Fragen beantworten. Frau Kollegin Enkelmann, dieses Thema ist heute schon ein paar Mal angesprochen worden. Wir beide haben alle dazu gestellten Fragen und Antworten aufmerksam verfolgt. Es gibt da gewisse Grenzen. Die Koalition hat nun einmal vereinbart, dieses Thema in einer Koalitionsarbeitsgruppe zu prüfen. Wie ich die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsarbeitsgruppe kenne, vor allen Dingen diejenigen, die meiner Partei angehören, können wir davon ausgehen, dass sie ausgesprochen fleißig sind. ({0}) - Moment, ich bin gleich fertig. - Deshalb glaube ich, dass wir bald mit Ergebnissen rechnen können. Wir können es nicht beeinflussen. Das wissen Sie, Frau Enkelmann. Es gibt eine gewisse Gewaltenteilung. So viel zu der ersten Frage. Zu Ihrer zweiten Frage. Ich fand gut, was der Finanzminister gesagt hat. Wenn ich ihn aber richtig verstanden habe, hat er sich auf diejenigen bezogen, die etwas aus dem Fonds erhalten sollen. ({1}) Ich will dem Herrn Finanzminister um Gottes Willen nicht vorgreifen. Ich möchte auch dem Kabinett nicht vorgreifen, das sich damit noch nicht befasst hat. Aber 500 000 Euro sind eine Größe, über die man reden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Kornelia Möller das Wort, bitte.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie hatten gerade erwähnt, dass Manager bereits heute zur Verantwortung gezogen werden können, wenn ihre Bezüge unangemessen hoch sind. Wie viele Manager sind denn bereits zur Verantwortung gezogen worden?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich glaube, ich habe gesagt, dass der Aufsichtsrat zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn die Vergütung unangemessen hoch ist. Ich kann Ihre Frage nicht konkret beantworten. Aber wenn es Sie interessiert - das wird schließlich protokolliert -, werde ich dafür sorgen, dass Sie die Antwort innerhalb einer Frist von vier Wochen bekommen. Wir prüfen Ihre Nachfrage. Sie bekommen eine Antwort. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Die Kollegin Elke Reinke hat das Wort.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sollte diese Begrenzung der Gehälter nicht für alle Manager gelten, also nicht nur für die beschränkte Anzahl an Managern, deren Unternehmen Geld aus dem Fonds erhalten?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Der Herr Bundesfinanzminister hat zu dem Thema gesprochen, das im Moment aktuell ist. Das war sicherlich richtig so. Ich verlasse mich auf die Koalitionsarbeitsgruppe und auf die Klugheit und Weisheit der Bundesregierung, dass wir hier zu einer vernünftigen Regelung kommen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Wir kommen damit zur Frage 17 der Kollegin Mechthild Dyckmans: Teilt die Bundesregierung mittlerweile die zunehmend kritische Haltung bezüglich der im von ihr vorgelegten Bilanz19400 Vizepräsidentin Petra Pau rechtsmodernisierungsgesetz vorgesehenen Übernahme der angloamerikanisch geprägten Fair-Value-Bewertung anstelle des deutschen Vorsichtsprinzips, und teilt sie die Ansicht, dass aufgrund der Überlegenheit des deutschen Vorsichtsprinzips gegenüber dem Prinzip der Zeitwertbewertung dieses bewährte deutsche Prinzip nicht aufgeweicht werden sollte? Bitte, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Zunächst, Frau Kollegin Dyckmans, ist darauf hinzuweisen, dass im Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes die Einführung der sogenannten FairValue-Bewertung - das war der wesentliche Kern der Frage, Frau Präsidentin -, also die Bewertung nach dem aktuellen Marktwert - ich übersetze es gleich für alle, die das nicht wissen -, nicht allgemein vorgesehen ist, sondern nur für bestimmte Finanzinstrumente in klar abgegrenzten Bereichen. Für diese Bereiche bleibt die Übernahme der Fair-Value-Bewertung grundsätzlich weiterhin sinnvoll, um die Transparenz der Bilanzen zu erhöhen und sicherzustellen, dass alle Risiken in den Bilanzen ausgewiesen werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation auf den Finanzmärkten. Richtig ist allerdings, dass sich die Finanzmärkte derzeit weltweit in einer Ausnahmesituation befinden. Aus diesem Grund werden für die internationalen Rechnungslegungsregeln, IFRS, auf EU-Ebene gerade Abschreibungsregelungen beschlossen, die die bisherigen strengen Bestimmungen lockern und es den Banken ermöglichen, den sich aus Wertverlusten ergebenden Abschreibungsbedarf in vernünftigen Grenzen zu halten. Das ist sachgerecht. Auch das von der Bundesregierung am Montag beschlossene Maßnahmenpaket zur Finanzmarktstabilisierung stützt diesen Weg. Aber ganz deutlich: International bleibt es im Grundsatz bei dem Prinzip, dass Finanzinstrumente zum beizulegenden Zeitwert auszuweisen sind. Ob wir die Regelungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes im Einzelnen an die neuesten internationalen Entwicklungen anpassen müssen, das werden wir in der für Dezember vorgesehenen und schon beschlossenen Anhörung des Rechtsausschusses und in den anschließenden Ausschussberatungen klären müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schönen Dank. - Herr Staatssekretär, meine erste Nachfrage - Sie haben es schon angesprochen -: Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass es bei der vorgesehenen Bilanzierung von zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumenten, die nach der Fair-ValueBewertung bilanziert werden sollen, nicht zu ähnlichen Turbulenzen kommt wie jetzt bei der Finanzmarktkrise?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Zunächst einmal wird es im Wesentlichen bei der Bilanzierung nach Handelsrecht bleiben. Es geht nur um Unternehmen, die Finanzinstrumente haben, die sie zu Handelszwecken erworben haben. Wir werden das insbesondere bei Kreditinstituten im Hinblick auf den Handelsbestand anpassen müssen. Sie wissen, dass wir diesen Weg gehen müssen, weil wir internationale Entwicklungen haben. Wir müssen im Moment nicht die Sorge haben, dass es, wie Sie eben gesagt haben, zu weiteren Turbulenzen kommt. Ich bin sehr überzeugt, dass dieses Maßnahmenpaket, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, in spätestens einem Jahr den Weg nach vorne zeigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich würde gerne wissen, ob nach Meinung der Bundesregierung die Diskussion hinsichtlich der Bilanzierungsvorschriften, die wir im Moment führen, weitere Konsequenzen für das Gesetzgebungsverfahren haben muss, insbesondere hinsichtlich des Inkrafttretens: Wird es sich verlängern? Ist auch vorgesehen - das ist angesichts der Finanzmarktkrise jetzt in der Diskussion -, dass es nach dem HGB zu einer Umwidmung, zum Beispiel aus dem Handelsbestand in das Anlagebuch, kommt? Oder hat die Bundesregierung die Vorstellung, dass man das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz da gegebenenfalls noch ändern muss?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das waren drei Fragen in einer; aber ich will sie gern Stück für Stück beantworten. ({0}) - Ja, natürlich. Das ist doch in Ordnung. Erstens. Wie ich eben schon gesagt habe, treten wir jetzt - das ist auch sehr gut - in ein sehr intensives Beratungsverfahren ein. Ich glaube, dass uns die Anhörung im Rechtsausschuss hier weitere Wege weisen wird. Wir haben dann auch schon Erfahrungen, wie sich das im Finanzmarktstabilisierungsgesetz verankerte Maßnahmenpaket auswirken wird. Der zweite Punkt. Wir werden es - sehr zum Leidwesen des Kollegen Manzewski - befristen. Wir werden mit der Änderung des § 19 Abs. 2 der Insolvenzordnung ein Instrumentarium schaffen, das Folgendes gewährleistet: Wenn einmal eine Überschuldung eintreten sollte, kommt ein Unternehmen - das gilt übrigens auch für KMU - nicht sofort ins Trudeln. Verzeihung, wie war die dritte Frage? ({1}) - Auch das ist eine Frage, Frau Kollegin, die wir in der weiteren Beratung im Rechtsausschuss klären können. Wir sind durch die beiden Richtlinien, die wir umsetzen müssen, ein bisschen gebunden, aber wir können das beobachten und werden das dann regeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Thiele das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, die derzeitige Finanzmarktsituation und auch die Debatte, die wir heute führen - dazu gibt es im Moment parallel eine Beratung mit Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss -, zeigen: Hier besteht kurzfristig Handlungsbedarf. Wäre es insofern nicht ratsam, hier einige Regelungen sozusagen vor die Klammer zu ziehen, damit die schon Ende des Jahres verabschiedet werden können? Muss man im Weiteren nicht auch überprüfen, ob die Richtlinienvorschläge, die ja formuliert wurden, als man noch nicht die ganze Dramatik der Situation erkannt hatte, auf europäischer Ebene überarbeitet werden müssen? Es scheint ja so zu sein, dass das deutsche Vorsichtsprinzip dem Zeitwertprinzip, wie es im angloamerikanischen Raum verwendet wird, an einigen Stellen deutlich überlegen ist.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das deutsche Vorsichtsprinzip wird auch weiterhin Geltung haben, weil die kleinen und mittleren Unternehmen auch weiterhin nach Handelsrecht bilanzieren können und wir nur vorsichtig zum Fair-Value-Prinzip öffnen. Der International Accounting Standards Board, IASB, hat am Montag beschlossen - ({0}) - Wolfgang, das erzähle ich dir nachher. Okay? ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Wieland, Sie können sich gern zu einer Nachfrage melden. Die lasse ich dann auch noch zu. Ansonsten hat jetzt der Staatssekretär das Wort.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Der IASB hat am Montag bestimmte Änderungen zur Umwidmung, nämlich vom Handelsbestand in den Anlagebestand, beschlossen. Heute hat der europäische Bilanzregelungsausschuss dies beschlossen. Was können wir vorziehen? Das BilMoG sieht eine ganze Menge an Änderungen vor, zum Beispiel andere Grenzen für die Rechnungslegung und für die Bilanzierung nach internationalen Vorschriften. Ich glaube, wir wären nicht gut beraten, wenn wir einzelne Vorschriften aus diesem Gesetz herausbrechen und vorziehen würden. Das Gesetz ist in sich sehr gut geschlossen. Ich habe eben schon gesagt, dass wir im Hinblick darauf, dass es zu Turbulenzen kommen könnte, gerade bei den KMU, den § 19 Abs. 2 der Insolvenzordnung befristet ändern werden, sodass hier eigentlich nichts passieren kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Wir sind immer noch beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und kommen nun zur Frage 18 des Kollegen Herrn Jerzy Montag: Wie kann bei Berücksichtigung der Tatsache, dass Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble nach Presseberichten bei einem neuen § 89 a des Strafgesetzbuchs, StGB, auf die Notwendigkeit eines Anschlagsvorsatzes verzichten will, eine uferlose Ausweitung der Strafbarkeit von rechtsgutneutralen Handlungen beim neuen § 89 a StGB vermieden werden, um dem vom Grundgesetz in Art. 103 Abs. 2 und vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur Onlinedurchsuchung, zur Vorratsdatenspeicherung und zur automatisierten Kennzeichenerfassung jüngst hervorgehobenen Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Montag, darf ich die Frage 19 gleich mit beantworten? ({0}) - Danke schön. - Sie gestatten das auch, Frau Präsidentin?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe dann auch die Frage 19 des Kollegen Montag auf: Wie erklärt die Bundesregierung, dass der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, in einem Interview mit dem Münchner Merkur in den letzten Tagen erklärt hat, dass eine Einigung mit der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, erzielt wurde, während eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz dem widersprach und erklärte, dass an einer Einigung noch gearbeitet wird, und ist angesichts dieser Differenzen mit einem Gesetzentwurf zu § 89 a StGB neu zu rechnen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Montag - Sie haben das übrigens sehr vornehm ausgedrückt -, die Arbeiten an einem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, GVVG, stehen kurz vor dem Abschluss. Bei den Arbeiten werden auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt. Das federführende Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium des Innern arbeiten derzeit intensiv an der Finalisierung des Entwurfs und gehen davon aus, dass der Entwurf in den kommenden Wochen im Bundeskabinett beschlossen werden kann. Inhaltliche Fragen zu konkreten Einzelregelungen des Entwurfs können erst nach einem Kabinettsbeschluss beantwortet werden. Das anschließende Gesetzgebungsverfahren bietet für derartige Fragen ausreichend Gelegenheit.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Da die Fragen 18 und 19 gemeinsam beantwortet wurden, haben Sie jetzt die Möglichkeit, insgesamt vier Nachfragen zu stellen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. Vielleicht werde ich das mir so üppig gewährte Fragerecht aber gar nicht ausnutzen müssen. Sehr geehrter Herr Staatssekretär Hartenbach, die Lyrik, die Sie hier vorgetragen haben, war wunderschön.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich wollte mal Theologe werden.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, wären Sie das mal geworden. ({0}) Unser parlamentarisches Interesse ist durch diese Antwort nicht befriedigt. Meine erste Frage lautet: Wie können Sie uns erklären, dass es in der Öffentlichkeit zu einem nachvollziehbaren Dissens dergestalt gekommen ist, dass der Innenminister erklärte, eine Einigung über diese neue Strafvorschrift in seinem Sinne sei bereits erfolgt, woraufhin Ihr Haus intervenieren und ebenfalls in der Öffentlichkeit erklären musste, das sei mitnichten so, es gebe immer noch keine Einigung?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Montag, Sie zitieren in Ihrer zweiten Frage den Münchner Merkur, der sicherlich eine sehr seriöse Zeitung ist. Ich pflege, wenn ich die Bundesregierung vertrete, zu Zeitungsäußerungen keine Erklärung abzugeben, weil ich nicht weiß, wie die stille Post funktioniert hat.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verzeihen Sie bitte -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie stellen jetzt die zweite Nachfrage?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, natürlich. Ich habe ja vier Nachfragen. - Herr Staatssekretär Hartenbach, wenn Sie schon den Münchner Merkur - obwohl er aus meiner Heimatstadt München kommt - nicht als ausreichend seriöse Zeitung bezeichnen - Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Ich habe sie als seriöse Zeitung bezeichnet. Das ist doch gut, oder?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie ist zwar eine seriöse Zeitung, aber Sie wollen sich dazu nicht äußern. Ich möchte noch einmal nachhaken. Eine Sprecherin Ihres Hauses ist an die Öffentlichkeit getreten und hat erklärt, dass das, was der Innenminister erklärt hat, nicht stimmt. Er habe zwar behauptet, es gebe eine Einigung in seinem Sinne, aber das sei nicht wahr. Richtig sei hingegen, was das Justizministerium erklärt, nämlich, dass es noch keine Einigung gibt. Dazu möchte ich gerne eine Erklärung haben. Dafür brauchen wir den Münchner Merkur nicht; es sind Erklärungen Ihres eigenen Hauses.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Unser Haus hat das, was wir über den Ticker usw. erfahren haben, dementiert. Das ist unser gutes Recht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine dritte Frage, Kollege Montag?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, danke. Wir werden von dem Angebot Gebrauch machen und im parlamentarischen Verfahren, wenn es dazu kommt, die inhaltlichen Fragen klären.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Wolfgang Wieland hat noch eine Nachfrage und damit das Wort.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Herr Staatssekretär, nicht nur Sie haben dementiert. Wenn man der von Ihnen sicherlich auch als seriös angesehenen Zeitung Die Welt glauben mag, die das Thema unter der Überschrift „Union wirft Justizministerin Zypries Totalblockade vor“ aufgreift, dann hat auch der Bundesinnenminister dementiert. Ich darf zitieren: Der Innenminister dementierte prompt: Wolfgang Schäuble ließ mitteilen, die Äußerungen der Justizministerin seien unzutreffend und gäben die Einigung falsch wieder. Woran sollen wir uns nun halten? Sie dementieren, der Bundesinnenminister dementiert, und der sächsische Innenminister Mackenroth sagt Folgendes Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Nein, er ist Justizminister.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ja, richtig, der sächsische Justizminister, was seine Seriosität noch steigert; da sind wir uns sicher einig -: „Der Zypries-Entwurf erschöpft sich in einem Placeboeffekt“ … „Jeder Verdächtige mit einem halbwegs pfiffigen Verteidiger wird sich dann damit herausreden, dass er ja nur mal Abenteuerurlaub machen wollte.“ Dann solle man lieber gar kein Gesetz machen. Hat Herr Mackenroth nicht wenigstens damit recht? Wäre es nicht besser, gar kein Gesetz zu machen? Darauf hätte ich gerne eine ehrliche Antwort.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Wieland, das war eine sehr kluge Frage, und Sie bekommen von mir auch eine ehrliche Antwort. Wir halten es sowohl im Bundesjustizministerium als auch im Bundesinnenministerium für geboten, ein Gesetz zu machen, welches es den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, gegen jene vorzugehen, die sich in sogenannten Terrorcamps - ob sie in der Lüneburger Heide oder in Afghanistan sind, ist völlig egal - in gewissen handwerklichen, aber auch in gewissen ideologischen Fähigkeiten unterrichten lassen, um mit diesen Fähigkeiten in Deutschland schlimmste Straftaten - staatsgefährdende terroristische Anschläge, wie es richtig heißt zu begehen. Ansonsten würde ich sagen: Nun gedulden Sie sich noch ein bisschen. Die Presse in diesem Land arbeitet gut und richtig; sie deckt vieles auf, sie weist auf vieles hin, sie schafft auch so viel Neugierde, dass Herr Montag und Herr Wieland Fragen stellen. ({0}) - Augenblick mal!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Parlamentarische Staatssekretär Hartenbach hat das Wort.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Wieland, wir können uns nachher weiter unterhalten. ({0}) Warten Sie noch ein paar Wochen, und dann werden Sie einen vernünftigen und guten Gesetzentwurf bekommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Justiz. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur Verfügung. Ich rufe Frage 20 des Kollegen Carl-Ludwig Thiele auf: Wird die Hypo Real Estate, HRE, als im DAX geführte Bank von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, geprüft? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Sehr geehrter Herr Kollege, bei dem im DAX geführten Unternehmen handelt es sich um die Hypo Real Estate Holding Aktiengesellschaft. Finanzholdinggesellschaften sind keine Kreditinstitute im Sinne des Kreditwesengesetzes und deshalb auch keine - wie vielleicht aus Versehen in Ihrer Frage formuliert worden ist - Banken. Sie werden daher auch nicht von der BaFin oder im Auftrag der BaFin geprüft. Im Übrigen haben Sie diese Auskunft bereits am vergangenen Mittwoch im Ausschuss von einem Beamten des Hauses sehr ausführlich erhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage musste heute gestellt werden, weil heute die einzige Möglichkeit ist, innerhalb von sechs Wochen öffentlich Fragen an die Bundesregierung zu stellen. Dies ist nämlich die einzige Sitzungswoche, das andere sind Ausschusswochen. Frau Staatssekretärin, wie können Sie sich denn dann erklären, dass die Sprecherin der BaFin - der dpa folgend - erklärt hat, dass es eine gemeinsame Aufsicht der deutschen und irischen Behörden über die Tochtergesellschaft DEPFA gegeben hat?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege, es kann sein, dass Sie etwas ein bisschen durcheinander bringen. Sie fragen jetzt nicht nach der Holding, sondern nach der irischen Tochter, die etwas anderes ist, nämlich eine Banktochter. Diese hat ihren Sitz in Irland und unterliegt im Kern der irischen Bankenaufsicht; sie hat ausschließlich im Rahmen einer konsolidierten Aufsicht Meldemöglichkeiten an die Holding. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine konsolidierte Aufsicht ausdrücklich nicht eine Liquiditätsüberwachung beinhaltet. Bei den Problemen, über die wir im Rahmen der Hypo Real Estate reden, geht es aber um Liquiditätsfragen. Ich vermute - das kann ich aber nur vermuten -, dass sich die Sprecherin der BaFin ausschließlich auf die konsolidierte Aufsicht, also auf die stark eingeschränkte Gruppenaufsicht, bezogen hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage, bitte.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich, dass Bundesbankpräsident Weber für seine Bankenaufsicht erklärt hat, dass sie die Probleme bei der DEPFA die ganze Zeit im Auge gehabt habe, obwohl sie gar nicht zuständig war, Prüfungen vorzunehmen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Ich bin nicht in der Lage, die Worte des Bundesbankpräsidenten, „im Auge gehabt habe“, zu interpretieren. Das steht mir nicht zu. Ich kann Ihnen die faktische und rechtliche Lage beschreiben. Diese ist ausdrücklich so, dass die irische Tochter nicht der deutschen Bankenaufsicht untersteht, während die deutsche Tochter mit Sitz in München, die es auch noch gibt, natürlich der Aufsicht der BaFin unterliegt, weil es sich um ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland handelt. Ich weiß nicht, ob Sie das wirklich auseinanderhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 21 des Kollegen Thiele: Warum hat die Bundesregierung nach dem Erwerb der Deutschen Pfandbriefbank AG, DEPFA, durch die Hypo Real Estate nicht darauf gedrängt, dass die DEPFA von der BaFin geprüft wird? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

In der Bundesrepublik Deutschland übt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, die Aufsicht über die Kreditinstitute nach den Vorschriften des Kreditwesengesetzes in eigener Zuständigkeit aus. Auch aus dieser Frage ist nicht klar geworden, von welcher DEPFA Sie sprechen. Ich gehe einmal davon aus, dass Sie das Institut mit Sitz in München meinen. Es ist völlig klar, dass diese DEPFA vor und nach dem Erwerb durch die HRE der Aufsicht der BaFin unterlag. Die in Deutschland ansässige Bank wurde dementsprechend entweder durch die BaFin oder im Auftrag der BaFin geprüft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, weil die Zuhörer nicht den genauen Wortlauf der Frage wissen können, will ich sie einmal vorlesen: Warum hat die Bundesregierung nach dem Erwerb der Deutschen Pfandbriefbank AG, DEPFA, durch die Hypo Real Estate nicht darauf gedrängt, dass die DEPFA von der BaFin geprüft wird? Die DEPFA als irische Bank wurde im Sommer letzten Jahres von der Hypo Real Estate erworben und unterliegt nach Auffassung der Bundesregierung nicht der Bankenaufsicht, weil es ein irisches Institut ist und die Hypo Real Estate ausschließlich eine Holdingfunktion hat. Da die Holding keine Bankgeschäfte betreibt, wird sie auch nicht überprüft. Wenn aber der Bundesregierung bekannt ist, dass die Holding im Sommer letzten Jahres eine irische Bank gekauft hat und sich sämtliche Probleme der irischen Bank auf das Gesamtinstitut auswirken, dann muss ich fragen: Weshalb hat es an die Aufsicht keinen Hinweis gegeben, hier tätig zu werden? Weshalb wurde der Gesetzgeber nicht beauftragt, notfalls gesetzliche Möglichkeiten zu schaffen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Erstens. Sie haben in Ihrer Frage unterstellt, dass die Probleme bekannt gewesen seien. Ich will hier ausdrücklich deutlich machen, dass die Bundesregierung und wahrscheinlich auch Sie von den Liquiditätsengpässen bis vor kurzem noch nichts wussten. Zweitens. Wir haben im Ausschuss auch darüber gesprochen, inwieweit die Bankenaufsicht über eine geänderte Gesetzgebung, die wir uns vorgenommen haben, erweitert werden kann und inwieweit die Holdings einbezogen werden müssen. Ich sage noch einmal: Die rechtliche Lage ist so, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Entsprechend ist auch gehandelt worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können noch eine zweite Nachfrage stellen.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, es gibt praktisch keinen Bereich der Wirtschaft, der so eng geregelt wird wie die Finanzwirtschaft mit dem Kreditwesengesetz. Dabei ist insbesondere Sorge dafür zu tragen, dass es eine ausreichende Eigenmittelausstattung gibt und die Liquidität entsprechend gesichert ist. Der Präsident der BaFin hat gerade erklärt, dass im Februar dieses Jahres eine Sonderprüfung der irischen DEPFA durch die BaFin angeordnet worden sei. Wäre es daher nicht erforderlich gewesen, dass die Bankenaufsicht oder das Finanzministerium, welches die Aufsicht über die Aufsicht führt, darauf hingewiesen hätte, dass hier gesetzlicher Handlungsbedarf besteht? Oder sind Sie der Auffassung, dass man mit den angewandten Mitteln in ausreichender Weise vorgehen konnte?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Thiele, ich will zum einen noch einmal darauf hinweisen: Die Frage der Prüfung der irischen Tochter ist immer im Rahmen der konsolidierten Aufsicht behandelt worden. Deren Kompetenzen habe ich gerade beschrieben. Ich will zum anderen darauf hinweisen, dass sowohl die Bundeskanzlerin als auch das Finanzministerium deutlich gemacht haben, dass wir uns mit der Frage, inwieweit Aufsichtsstrukturen noch einmal überprüft werden und gegebenenfalls - das ist etwas komplizierter, als Sie es darstellen - entsprechend verändert werden müssen, beschäftigen werden. Auch der Ausschuss hat sich dies vorgenommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Dr. Herbert Schui, die Fragen 24 und 25 des Kollegen Werner Vizepräsidentin Petra Pau Dreibus sowie die Fragen 26 und 27 des Kollegen Dr. Axel Troost, welche sich ebenfalls mit der Finanzmarktkrise beschäftigen, werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zur Frage 28 der Kollegin Kornelia Möller: Wer sind die größten Gläubiger der Hypo Real Estate Holding, deren Forderungen durch das Rettungspaket von nunmehr insgesamt 50 Milliarden Euro kurzfristig bedient werden können, und in welcher eigentumsrechtlichen Beziehung stehen diese Gläubiger zu den Banken, die an der Auffanglösung der Hypo Real Estate Holding beteiligt sind? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Sehr geehrte Frau Kollegin Möller, die Bundesregierung informiert die Mitglieder des Deutschen Bundestages kontinuierlich im Rahmen des Haushaltsausschusses über Fragen des Rettungspakets. Sie informiert im Übrigen nicht nur im Rahmen des Haushaltsausschusses; es gibt schon seit einiger Zeit eine gemeinsame Sitzung des Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses zum Thema Rettungspaket. Es ist uns allerdings, bezogen auf Ihre Frage, nicht möglich, die Gläubigerstruktur eines privaten Unternehmens öffentlich bekannt zu geben, weil dies ebenso wie die Aufschlüsselung der am Rettungspaket beteiligten Unternehmen vertrauliche Daten sind, bei denen Belange Dritter betroffen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wenn die Bundesregierung daran beteiligt sein wird, ist es dann nicht möglich, mehr Aufklärung zu bekommen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Ich will Ihnen noch einmal verdeutlichen, dass die Bundesregierung sozusagen nicht aus Lust und Laune entscheidet, inwieweit sie Informationen weitergibt, sondern dass wir selbstverständlich die Informationsrechte des Parlaments einhalten. Aber hier sind nicht nur die Interessen des Parlaments und die der Bundesregierung betroffen, sondern es geht um die Interessen der beteiligten Unternehmen. Über deren Interessen kann sich die Bundesregierung ausdrücklich nicht hinwegsetzen. Diese Kompetenz, diese rechtliche Möglichkeit besteht nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich danke Ihnen. - Es geht sicherlich nicht um Lust und Laune, sondern um ein berechtigtes Interesse, gerade wenn es um eine Bürgschaft in Höhe von 50 Milliarden Euro geht. ({0})

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Auch Sie sind sicherlich schon darüber informiert - das kann gerne noch einmal erläutert werden -, dass die Bundesregierung die Interessen Dritter nicht in dem Sinne verletzen kann, dass sie öffentlich über private Gläubigerstrukturen informiert. Auch wenn es Ihnen nicht gefällt: Wir sind an diese rechtlichen Vorgaben ge- bunden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Ulla Lötzer, die Fragen 31 und 32 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch und die Fragen 33 und 34 der Kollegin Dr. Barbara Höll, welche sich allesamt ebenfalls mit diesem Themenkom- plex beschäftigen, werden schriftlich beantwortet und sind damit natürlich nicht nur für die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch für diejenigen, die das Protokoll des Deutschen Bundestages zur Kenntnis nehmen wol- len, einsehbar. - So viel zum gerade eben debattierten öffentlichen Interesse. Die Frage 35 des Kollegen Hans-Christian Ströbele wird schriftlich beantwortet wie auch die Fragen 36 und 37 der Kollegin Sabine Zimmermann, die Fragen 38 und 39 der Kollegin Christine Scheel und die Fragen 40 und 41 des Kollegen Hans-Josef Fell. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Finanzen. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. Die ersten drei Fragen befassen sich mit der Daten- panne bei der Deutschen Telekom AG. Da die erste Frage, die Frage 42, von mir gestellt wurde, muss sie bitte schriftlich beantwortet werden, Herr Staatssekretär.1) Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn auf: Welche politischen, rechtlichen und administrativen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Abhandenkommen von mehr als 17 Millionen Kundendaten im Bereich der Mobilfunksparte T-Mobile, und wie beurteilt sie das Verhalten des Unternehmens, den Diebstahl privater Angaben wie Adressen, Geburtsdaten, Handynummern und teils auch E-Mail-Adressen gegenüber den Betroffenen und den Aufsichtsbehörden zu vertuschen, obwohl diese Daten jahrelang von Unbefugten, wie einem Erotikunternehmen, gespeichert werden konnten ({0})? Bitte, Herr Staatssekretär. 1) Die Antwort auf die Frage 42 lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird deshalb im Plenarprotokoll der 183. Sitzung veröffentlicht.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Präsidentin! Die Abgeordnete Stokar von Neuforn fragt die Bundesregierung zum Thema Datenpanne bei der Deutschen Telekom. Die Antwort auf die Frage 43 lautet wie folgt: Die bekannt gewordenen Datenschutzlücken bei der Deutschen Telekom sind nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Bonn. Erkenntnisse zu den konkreten Ermittlungsergebnissen liegen der Bundesregierung nicht vor. Die Bundesregierung betrachtet die neuerlich bekannt gewordenen Vorkommnisse jedoch ebenso wie die Datenschutzsituation in der Telekommunikationsbranche insgesamt mit Sorge. Sie hat bereits im Juni auf Einladung des Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern, Dr. Bernhard Beus, und erneut am 18. September 2008 mit Vertretern der Telekommunikationsbranche erörtert, wie der Datenschutz im Telekommunikationssektor wirksam gewährleistet werden kann. An den Gesprächen haben neben Vertretern der Deutschen Telekom AG sowie der Telekommunikationsbranchenverbände BITKOM und vatm das Bundesministerium der Justiz, die Bundesnetzagentur sowie mein Haus teilgenommen. Die Bundesnetzagentur, der nach § 109 TKG die Sicherheitskonzepte der Telekommunikationsunternehmen vorzulegen sind, hat ihrerseits parallel zur Staatsanwaltschaft Untersuchungen aufgenommen, ebenso der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Die Deutsche Telekom AG hat zwischenzeitlich auch in der Mobilfunksparte eine ganze Reihe kurz-, mittelund langfristiger Maßnahmen zur Ergänzung ihres Datenschutzkonzepts auf den Weg gebracht, aus denen sich mit Blick auf das geplante Bundesdatenschutzauditgesetz gute Ansätze für die Entwicklung branchenweiter Datenschutzempfehlungen ergeben können. Eine abschließende Bewertung kann insoweit jedoch erst erfolgen, wenn die Klärung der Sachverhalte durch die laufenden Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist. Mögliche weitere Schritte sollen sodann zeitnah mit der Bundesnetzagentur sowie dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit abgestimmt werden. Darf ich die Frage 44 gleich mitbeantworten?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich die Frage 44 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn auf: Ab wann wurde die Bundesregierung über diese „Datenpanne“ informiert? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Die Antwort ist: Die Bundesregierung wurde von der Datenpanne bei T-Mobile erst im Zuge der beabsichtigten Spiegel-Veröffentlichung im Oktober 2008 informiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben in Ihrer Antwort gesagt: Die Bundesregierung hat von der Datenpanne - ich beziehe mich auf die Weitergabe von 17 Millionen Daten, auf die Weitergabe von zum Teil geheimen Handynummern - erst im Oktober erfahren. Hat die Bundesregierung von sich aus irgendwelche Schritte unternommen, um die 17 Millionen Betroffenen, deren Daten unter anderem in einem Erotikversandhandel gelandet sind, umgehend von dieser Tatsache zu informieren?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Nein, das hat die Bundesregierung nicht getan. Das kann sie richtigerweise erst, wenn der Sachverhalt so weit aufgeklärt ist, dass wir eine verlässliche Auskunft den Betroffenen gegenüber verantworten können. Zurzeit ist das noch nicht der Fall. Ich habe gesagt: Die Ermittlungsverfahren laufen. Die Berichte der Deutschen Telekom und der entsprechenden Unternehmen liegen noch nicht vor. Die Bundesnetzagentur hat auch brieflich noch einmal eine kurzfristige Vorlage dieser Berichte eingefordert. Erst nach Vorlage dieser Berichte ist es geboten und vernünftig, den Betroffenen entsprechende Informationen zu geben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Den Medien war zu entnehmen, dass das BKA aufgrund der Tatsache, dass möglicherweise auch die Handynummern von Abgeordneten, Ministern und wichtigen Wirtschaftsleuten weitergegeben wurden, eine Gefährdungsanalyse erstellt hat. Warum wurden die Betroffenen nicht informiert? Sie oder zumindest das Innenministerium mussten ja Informationen haben; denn sonst hätte das BKA in diesem Sinne ja gar nicht tätig werden können.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Diese Untersuchungen des BKA unterliegen nicht der Zuständigkeit des Wirtschaftsministers. ({0}) Deswegen kann ich auf diese konkrete Frage keine konkrete Antwort geben. Ich könnte allenfalls spekulieren, aber das würde uns nicht weiterbringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Stokar, Sie haben noch die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir unsere Zeit erschöpft haben. Das heißt, dass ich daVizepräsidentin Petra Pau nach keine weiteren Fragen zulasse. - Bitte, Kollegin Stokar.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich erwarte, dass die Frage - da ich hier ja Fragen an die Bundesregierung stelle - schriftlich beantwortet wird. Ich bin etwas verwundert darüber, dass das Bundesinnenministerium zur Beantwortung von Fragen zu einem Komplex, der hauptsächlich vom Bundesinnenminister behandelt wird, nicht zugegen ist. Meine weitere Nachfrage. Es ist ja offenkundig, dass die Telekom AG derzeit nicht in der Lage ist, vertrauensvoll mit Kundendaten im Kommunikationsbereich umzugehen. Was unternimmt die Bundesregierung, um zum Beispiel die Stellen im Bereich der Datenschutzkontrolle und der Aufsicht über die Telekom auszuweiten?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Auch für diese Frage gilt, was ich vorhin gesagt habe. Wir haben die Berichte angefordert. Wir sind dabei, den Sachverhalt so sorgfältig zu ermitteln, dass vernünftige Entscheidungen auf dieser Grundlage getroffen werden können. Die Erkenntnisse liegen uns noch nicht vor. Wir betrachten den Tatbestand als sehr ernst, sehr wichtig und sehr ärgerlich und haben nicht vor, ihn auf sich beruhen zu lassen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer vierten Nachfrage.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich frage konkret nach: Hält die Bundesregierung es aufgrund der Datenschutzpannen derzeit für verantwortbar, dem Unternehmen Deutsche Telekom AG weitere Staatsaufträge mit sensiblen Daten, wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gesundheitskarte, zu übertragen?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Kollegin, auch dafür gilt die gleiche Antwort. Konsequenzen - das, was Sie hier einfordern, wäre ja eine - kann man erst ziehen, wenn der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt ist. Insoweit - wenn ich das sagen darf - kommt Ihre berechtigte Frage ein bisschen zu früh. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. Die übrigen Fragen werden, wie unsere Regeln es vorsehen, schriftlich beantwortet.1) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Oktober 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.