Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Ich weise darauf hin, dass die Fraktionen übereingekommen sind, die heutige Tagesordnung um die
Abgabe einer Erklärung durch die Bundeskanzlerin sowie um die erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurfs
zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes zu erweitern. - Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die soeben aufgesetzten Zusatzpunkte 1 und 2
auf:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes ({0})
- Drucksache 16/10600 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Auch dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Weltwirtschaft erlebt in diesen
Wochen ihre schwerste Bewährungsprobe seit den 20erJahren des letzten Jahrhunderts. Letzte Woche waren
Schlüsselmärkte unseres Wirtschaftssystems, die Geldmärkte, praktisch funktionsunfähig. Immer weitere Märkte
drohten infiziert zu werden. Der Kurssturz an den weltweiten Aktienmärkten hätte eine verhängnisvolle Spirale
in Gang setzen können.
Letzte Woche habe ich an dieser Stelle bereits darauf
hingewiesen, dass niemand von uns die weitere Entwicklung absehen kann. Es hat sich dann gezeigt, dass
das vor allem dringend notwendige Vertrauen zwischen
den Finanzmarktteilnehmern, das die Geschäftsbasis der
Finanzmärkte ist, noch weiter erodierte. Kaum ein Institut war noch bereit, einem anderen Geld zu verleihen.
Die Folge war, dass selbst solide Banken in Gefahr gerieten, ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen
zu können. Das gegenseitige Misstrauen hat die Akteure
auf den Finanzmärkten fast vollständig gelähmt, mit unabsehbaren Folgen für Wachstum und Arbeitsplätze.
In dieser Situation musste die internationale Gemeinschaft unverzüglich und entschlossen handeln. Und sie
hat gehandelt - entschlossen und, was ganz wichtig war,
in weiten Teilen auch zeitgleich: vorneweg mit dem G-7Treffen der Finanzminister in Washington, dann mit dem
Gipfel der Euro-Gruppe am letzten Wochenende,
schließlich national. Vorgestern haben mehrere Regierungen umfassende und abgestimmte Maßnahmenpakete
auf den Weg gebracht. Auch Deutschland hat gehandelt.
Wir haben es uns mit den notwendigen Entscheidungen
wahrlich nicht leicht gemacht; denn wir alle wissen um
die Tragweite dieser Entscheidungen. Aber es war unsere Pflicht, innerhalb kürzester Zeit ein Maßnahmenpaket in bisher nicht dagewesener Größenordnung auf den
Weg zu bringen, und das, wie gesagt, binnen weniger
Tage.
Es hat sich etwas gezeigt, was selten vorkommt: Der
Staat war und ist die einzige Instanz, um das Vertrauen
zwischen den Banken wiederherzustellen, und zwar zum
Schutz der Bürger und nicht zum Schutz von Bankinteressen.
({0})
Wir kommen damit unserer Pflicht nach, Schaden
vom deutschen Volk abzuwenden und seinen Nutzen zu
Redetext
mehren. Ich weiß: Noch nie wurde ein so umfangreiches
Gesetzesvorhaben mit einem so ehrgeizigen gesetzgeberischen Zeitplan auf den Weg gebracht. Ich bin mir bewusst, dass dies allen Beteiligten sehr viel abverlangt. In
diesem Bewusstsein danke ich Ihnen allen: den Mitgliedern der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesfinanzminister, den Fraktionen und dem Bundesrat. Ich
danke für die Bereitschaft, sich im Interesse unseres
Landes auf diesen Zeitplan einzustellen.
({1})
Wir zeigen damit, dass die Politik ihrer Verantwortung
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
gerecht wird.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets
zur Stabilisierung des Finanzmarktes vor. Sagen wir es
den Bürgern in einfacheren Worten: Ihnen liegt der erste
Baustein für eine neue Finanzmarktverfassung vor.
({2})
Damit wollen wir erreichen, dass neues Vertrauen entsteht: Vertrauen zwischen den Banken, Vertrauen in der
Wirtschaft, Vertrauen der Bürger.
({3})
Dazu ist es erforderlich, die Refinanzierung der Finanzinstitute zu sichern sowie die Beschaffung von Kapital
und die Veräußerung von Risikopositionen zu ermöglichen.
Darüber hinaus wird die Europäische Kommission
wahrscheinlich schon heute durch eine Anpassung der
Bilanzierungsregeln für gleiche Wettbewerbsbedingungen mit unseren internationalen Partnern sorgen. Wir haben über dieses Thema in den vergangenen Tagen viel
gesprochen. Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit,
dass diese Maßnahmen so getroffen werden, dass die
Abschlüsse des dritten Quartals bereits nach den neuen
Bilanzierungsrichtlinien erfolgen können. Das ist wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes
Deutschland.
({4})
Unser Gesetzentwurf sieht vor, den Finanzinstituten gegen eine Gebühr Garantien bis zur Höhe von 400 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Die Bereitstellung
von Garantien des Bundes ist eine vertrauensbildende
Maßnahme, die die Finanzierungskreisläufe und damit
auch die Kreditvergabe an Unternehmen stabilisieren
soll. Letztlich heißt das nichts anderes, als dass der Bund
wie eine Versicherung gegen eine Gebühr für bestimmte
Zahlungsverpflichtungen der Finanzinstitute eintritt. Damit soll erreicht werden, dass wieder gehandelt werden
kann und Refinanzierungen erfolgen können. Der Garantierahmen führt - dies will ich hier noch einmal ausdrücklich sagen - natürlich nicht automatisch zu entsprechenden Ausgaben des Bundes. Für die Absicherung der
Risiken dieses Garantierahmens sollen 20 Milliarden
Euro, also 5 Prozent der Garantiesumme, vorsorglich als
Kreditermächtigung in den Haushalt eingestellt werden.
Der zweite Schwerpunkt unseres Maßnahmenpakets
betrifft die Beschaffung von Kapital für die Finanzinstitute. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, vorübergehend
Kapitalhilfen in Anspruch zu nehmen. Diese Hilfen wird
es allerdings nur geben, wenn die Banken zu ihrer Verantwortung stehen und sich an bestimmte Regeln halten. Das
heißt ganz konkret: Auflagen zur Begrenzung der Managergehälter und der Bonuszahlungen, Auflagen hinsichtlich der geschäftspolitischen Ausrichtung des Instituts,
Auflagen hinsichtlich der Kreditvergabe, insbesondere an
kleine und mittlere Unternehmen, und natürlich Teilhabe
des Bundes an den Erträgen der Finanzinstitute.
({5})
Das heißt also mit einem Wort: Keine Leistung ohne Gegenleistung.
({6})
Als weiteren Punkt sieht der Gesetzentwurf vor, dass
der Staat erforderlichenfalls den Finanzunternehmen risikoreiche Vermögenswerte abkaufen kann. Die Erlöse
aus einem späteren Verkauf kommen natürlich dem
Steuerzahler zugute. Von diesem Instrument wollen wir
allerdings möglichst sparsam Gebrauch machen, weil es
sicherlich zu den am schwersten durchsetzbaren gehört.
Für den genannten staatlichen Kapitalhilferahmen
und für den Ankauf von Problemaktiva sollen insgesamt
maximal 80 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das
heißt, einschließlich der genannten 20 Milliarden Euro
zur Risikoabsicherung des Garantierahmens kommen
wir auf 100 Milliarden Euro als Kreditermächtigung im
Haushalt.
Meine Damen und Herren, für uns alle sind diese
Zahlen unglaubliche Beträge. Deshalb will ich wiederholen: Uns fallen diese Entscheidungen nicht leicht. Wir
machen das alles nicht einfach, um einzelnen Finanzinstituten zu helfen. Wir machen das zum Schutz unserer
Wirtschaft und zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes.
({7})
Das Finanzsystem hat eine unabdingbare Scharnierfunktion für das Funktionieren der gesamten Volkswirtschaft und damit für Wachstum und Beschäftigung. Die
Bürger und Unternehmen unseres Landes verlassen sich
auf ein intaktes Finanzsystem, das den Zugang zu Krediten gewährleistet und es den Bürgern ermöglicht, sicher
und mit Gewinn zu sparen. Dem Schutz dieses Systems
dient unser Gesetzentwurf. Mehr noch: Er dient der Allgemeinheit, er dient dem Gemeinwohl.
Eine neue Finanzmarktverfassung verdient diesen
Namen allerdings erst, wenn über den ersten Schritt der
Sofortmaßnahmen hinaus ein zweiter Baustein folgt,
({8})
und zwar die Veränderung der internationalen Regeln
des Finanzmarktes. Wir müssen den internationalen
Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte neu gestalten,
um derartige entfesselte Entwicklungen in der Zukunft
zu vermeiden.
({9})
Die Bundesregierung und ich ganz persönlich werden
sich auf internationaler Ebene weiterhin mit Nachdruck
dafür einsetzen, dass nun die Lehren aus den jüngsten
Ereignissen gezogen werden.
({10})
Es hat keinen Sinn, zurückzublicken und über verpasste
Chancen zu sprechen; wir alle wissen, dass schon viel zu
viel Zeit ungenutzt verstrichen ist. Jetzt zählt nur noch
der Blick nach vorne.
Zu diesem zweiten Baustein einer neuen Finanzmarktverfassung gehören nach meiner Auffassung eine
Stärkung der Rolle des Internationalen Währungsfonds
bei der Überwachung der Finanzinstitutionen, eine Verbesserung der Arbeit der Ratingagenturen, mehr Absicherung von Risikoprodukten der Finanzwirtschaft
durch Risikounterlegung und mehr Transparenz bei den
gehandelten Produkten. All dies werden Themen der
nächsten internationalen Konferenzen sein - für Herrn
Steinbrück waren es auf den internationalen Konferenzen der Finanzminister bereits Themen -, bis hin zu einem G-8-Treffen mit den Schwellenländern auf der
Ebene der Staats- und Regierungschefs noch in diesem
Jahr.
Zur Vorbereitung dieses Treffens werden der Finanzminister und ich eine Expertengruppe einberufen, die parallel dazu Vorschläge für diesen zweiten Baustein
macht, damit wir auch mit Expertenwissen ausgestattet
in diese Beratungen gehen. Ich habe Professor Tietmeyer
gebeten, diese Expertengruppe zu führen.
({11})
Er verfügt über erhebliche Erfahrungen,
({12})
insbesondere bei den Verhandlungen zu Basel II. Wenn
Basel II bereits heute weltweit in Kraft wäre bzw. wenn
Basel II ein paar Jahre früher in Kraft getreten wäre,
dann wären Schattenbilanzen, wie sie zum Beispiel bei
der IKB bestanden, nicht möglich gewesen. Wir müssen
auf diejenigen zurückgreifen, die hier Erfahrungen haben.
({13})
Ich sage ausdrücklich: Ich erwarte von der Kreditwirtschaft, dass sie sich an diesen Arbeiten konstruktiv
und vor allen Dingen auch selbstkritisch beteiligt. Das
muss von dieser Branche erwartet werden.
({14})
Ich wiederhole meine Ankündigung von letzter Woche, dass wir bis Jahresende ebenfalls Änderungen bei
der Finanzmarktaufsicht vorlegen wollen, die die Effizienz der Finanzmarktaufsicht, nicht nur in Krisenzeiten,
verbessern.
Lassen Sie mich deutlich sagen, dass die Gefahr für
die Finanzmarktstabilität noch nicht gebannt ist. Wir
müssen aber schnellstmöglich durch die Verabschiedung
dieses Gesetzes die Grundlage dafür schaffen, dass sich
die Lage auf den Märkten beruhigt. Dies ist entscheidend für Wachstum und Beschäftigung.
Dennoch müssen wir damit rechnen, dass sich das
Wachstum in Deutschland abschwächen wird. Ich bin
davon überzeugt, dass es nicht zu einem dauerhaften Konjunktureinbruch kommen wird. Aber die Maßnahmen, die
wir getroffen haben, sind bitter nötig, wie die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die Senkung der Lohnzusatzkosten, die Unternehmensteuerreform, die Rente mit 67. Sie
haben die mittelfristigen Wachstumsperspektiven für unser Land gestärkt. Zudem sind deutsche Unternehmen
heute aufgrund von Umstrukturierung und Erhöhung ihrer Eigenkapitalquote krisenfester als noch vor einigen
Jahren. Das alles zeigt: Deutschland ist stark. Allerdings
wird auch Deutschland durch eine schwierigere Periode
gehen.
Meine Damen und Herren, ich habe es in diesen Tagen mehrmals gesagt, und ich wiederhole es heute hier
noch einmal: Wir haben es mit Exzessen der Märkte zu
tun. Aufgabe des Staates in einer sozialen Marktwirtschaft ist Kontrolle. Der Staat ist Hüter der Ordnung.
({15})
Wir beschließen umfassende, weitreichende und einschneidende Maßnahmen. Wir greifen hart durch, damit
sich das, was wir jetzt erlebt haben, nicht wiederholt.
Damit schaffen wir Strukturen für eine menschliche
Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert.
In diesem Sinne bitte ich Sie um konstruktive Beratungen in den Ausschüssen und um die Zustimmung zu
diesem Gesetzentwurf, weil er Deutschland dient.
Herzlichen Dank.
({16})
Bevor wir jetzt in die Aussprache eintreten, möchte
ich zu dem außergewöhnlichen Beratungsgegenstand
und dem zweifellos etwas ungewöhnlich schnellen Beratungsverfahren drei knappe Bemerkungen machen, um
die mich auch zahlreiche Kollegen ausdrücklich gebeten
haben. Ganz sicher werde ich diese Anmerkungen auch
im Namen der allermeisten Mitglieder des Hauses machen können.
Erstens möchte ich mich bei allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesregierung, der
Bundesbank und der anderen Behörden für die impo19352
Präsident Dr. Norbert Lammert
sante Arbeitsleistung bedanken, innerhalb weniger Tage
dieses komplizierte Werk von Maßnahmen zur Stützung
der Finanzmärkte erstens zu entwickeln, zweitens international abzustimmen und drittens dem Deutschen Bundestag als Gesetzentwurf vorzulegen. Das verdient hohen Respekt und hohe Anerkennung.
({0})
Zweitens. Dieses Programm hat eine außerordentliche
und beispiellose Größenordnung. Es ist insgesamt beinahe doppelt so umfangreich wie der jährliche Bundeshaushalt. Dadurch wird auch das Parlament wegen der
Eilbedürftigkeit der Entscheidung in der Sache wie auch
im Verfahren vor besondere Herausforderungen gestellt.
Ich möchte mich bei allen Mitgliedern des Hauses,
insbesondere bei den Fraktionsführungen, herzlich dafür
bedanken, dass sie unbeschadet ihrer unterschiedlichen
Rollen in Koalition und Opposition ihre Bereitschaft erklärt haben, unter Verzicht auf übliche Fristen die
schnellstmögliche Beratung und Entscheidung über dieses Gesetzespaket zu ermöglichen.
Dies ist nicht nur ein eindrucksvoller Beleg für die
Handlungsfähigkeit unserer Verfassungsorgane, dies ist
auch ein eindrucksvoller Beleg für die oft beschworene
Solidarität der Demokraten, die das Vertrauen verdienen
und neu begründen, das an anderer Stelle verloren gegangen ist.
({1})
Drittens. Der Bundestag wird der Bundesregierung
mit dieser Gesetzgebung einen weitreichenden Handlungsrahmen für notwendige Stützungsaktionen erteilen,
er wird aber seine originären Haushalts- und Kontrollrechte nicht abtreten oder aufgeben.
({2})
Durch die zeitliche Befristung der möglichen
finanzwirksamen Maßnahmen und den ausdrücklichen
Verzicht auf Rechtsansprüche zugunsten von Einzelfallprüfungen nach pflichtgemäßem Ermessen wird der
Bundestag in die Lage versetzt und muss der Bundestag
in der Lage bleiben, die Umsetzung und Abwicklung der
vorgesehenen Maßnahmen regelmäßig und zeitnah zu
begleiten. Damit kommen Parlament wie Regierung ihren unterschiedlichen Rollen bei der Bewältigung einer
großen gemeinsamen Aufgabe nach.
({3})
Erster Redner in der Aussprache ist der Kollege
Dr. Westerwelle für die FDP-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich beim Herrn Bundestagspräsidenten für diese - wie ich finde - notwendige und wichtige
Erklärung gleich zu Beginn unserer Aussprache ausdrücklich bedanken. Ich möchte für die FDP-Fraktion
festhalten, dass wir nicht aufhören, Parlamentarier zu
sein, nur weil wir jetzt - ich vermute, das geht allen Kolleginnen und Kollegen so - im Interesse unseres Landes
aus patriotischer Verantwortung heraus darauf drängen,
schnell zu beraten und zu entscheiden. Es kann nicht gelten: Je größer die Summe ist, desto geringer ist die parlamentarische Kontrolle. Umgekehrt ist es richtig.
({0})
Deswegen will ich - ich vermute, das wird vielen
Kolleginnen und Kollegen, ob sie in der Opposition oder
in den Regierungsfraktionen sind, so gehen - klarmachen: Weil schnelles Handeln nötig ist, haben wir einer
schnellen parlamentarischen Beratung zugestimmt.
Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir jedes Detail, jedes
Instrument, jede Maßnahme dieses Gesetzes, vor allem
die im Verordnungswege, am Schluss auch unterstützen.
Wir haben erhebliche Fragen. Die sind nicht aus der
Welt, nur weil wir bereit sind, unter Verzicht auf unsere
Fristeinreden in dieser Woche dafür zu sorgen, dass
schnell entschieden werden kann.
({1})
Ich möchte für meine Fraktion zu Protokoll geben,
dass mit der konstruktiven Begleitung dieses Hilfspakets
ausdrücklich keine Zustimmung zu allem verbunden ist.
Wir haben, wie gesagt, Fragen: Warum ist der Bundesregierung so wenig an parlamentarischer Begleitung gelegen? Warum sollen die Not-Verordnungen vollständig
am Parlament vorbeigehen? Wäre es nicht klug, wenigstens für die Kabinettsverordnungen eine Abstimmungspflicht mit unserem Haushalts- oder Finanzausschuss
vorzusehen?
({2})
Warum sollen einige Regelungen, beispielsweise die
zum Insolvenzrecht - das ist bisher in der Öffentlichkeit
noch nicht bekannt geworden, weil wir über die
finanzwirksamen Sachen natürlich an erster Stelle sprechen -, zeitlich unbefristet gelten? So sieht es der erste
Entwurf jedenfalls vor. Ich höre - ich will dem nicht vorgreifen -, dass Sie in den Regierungsfraktionen Ähnliches angemerkt haben. Ich denke, das wird heute in den
Ausschussberatungen noch zu lösen sein.
Warum soll die Kontrolle des Bundesrechnungshofs
in weiten Teilen ausgeschlossen sein? Wie geht der Staat
aus den Banken wieder heraus? Also: Was ist eigentlich
unsere Rückzugsstrategie?
({3})
Auch das muss beantwortet werden.
Meine Damen und Herren, es ist schon eine erhebliche Frage: Wie kann die Bundesregierung davon ausgehen, dass dieses Gesetz keinen spürbaren Zinseffekt
haben wird und sich nach ihren eigenen Angaben nicht
auf die Verbraucherpreise auswirken wird? Ich sage nur
eines: Es kann nicht vernünftig sein, dass sich durch eine
solche Haushaltsgesetzgebung und durch solche Summen der Wert unseres Geldes plötzlich verringert. Es gilt
der Satz: Inflation ist etwas, was im Interesse gerade der
sozial Schwächsten unbedingt vermieden werden muss.
({4})
Wenn wir über solche Summen reden, dann muss das angesprochen werden. - Ich vermute, dass es unstreitig ist.
Ich sage es hier aus unserer Sicht. Aber da wir als Parlamentarier gegenüber der Regierung gefragt sind, möchte
ich sagen: Es geht nicht um eine Selbstbeschäftigung des
Parlaments, sondern es geht um ein Grundprinzip unserer Gewaltenteilung: Die Regierung regiert, aber die
Treuhänder der Steuergelder sind die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages. Wir können Ihnen hier keinen
Blankoscheck ausstellen. Das müssen Sie wissen, meine
sehr geehrten Damen und Herren.
({5})
Sie haben Ihr Krisenmanagement geschildert. Ich will
die Debatte heute nicht nutzen, um mich mit Ihrem Krisenmanagement auseinanderzusetzen. Das ist jetzt nicht
die Stunde dafür. Ich glaube allerdings, dass Sie dabei
nicht so positiv wegkommen, wie Sie dies selber in Bezug auf Ihre eigene Arbeit meinen. Ich habe doch den
Eindruck, dass bei Ihrem Handeln in den letzten Wochen
sehr viel Versuch und Irrtum dabei gewesen sind. Aber
wir wollen über das reden, was jetzt schnell notwendig
ist.
Notwendig ist - das ist etwas, Frau Bundeskanzlerin,
was Sie in der Regierungserklärung der letzten Woche
schon einmal gesagt haben und was ich noch einmal
unterstreichen möchte - eine Neuregelung der Bankenaufsicht. Es ist aus unserer Sicht schlechterdings inakzeptabel, dass wir eine Bankenaufsicht haben, die so untergliedert ist, dass sie sich gegenseitig eher behindert,
anstatt dass sie die Banken effizient begleitet.
({6})
Wir wollen, dass die Bankenaufsicht unter eine staatliche Verantwortung kommt. Wir unterstützen Sie, wenn
Sie in Europa und international ähnliche Aufsichts- und
Verkehrsregeln durchsetzen wollen; das ist gar keine
Frage.
Wir wollen und müssen über die Ratingagenturen
reden; das ist, glaube ich, in den letzten Wochen und
Monaten viel zu kurz gekommen. Damit, dass die Ratingagenturen gewissermaßen aus eigener, innerer Erkenntnis heraus - mit gelegentlichen Interessenkollisionen mit dem Daumen nach oben oder nach unten zeigen und
darüber entscheiden, was sein wird, obwohl es gelegentlich an Unabhängigkeit fehlt, müssen wir uns befassen.
Ich wiederhole den Vorschlag der FDP-Fraktion, ob wir
für Ratingagenturen nicht eine europäische Stiftung
brauchen, wie wir sie beim Verbraucherschutz bereits
haben: Warentest auch für Ratingagenturen und Bewertungen von Firmen. Ich glaube, mehr Unabhängigkeit
wird richtig sein.
({7})
Herr Finanzminister, Sie haben Wert darauf gelegt,
dass die Bilanzierungsregeln verändert werden; das
wurde noch nicht angesprochen. Es ist gut und richtig,
dass das mutmaßlich noch im dritten Quartal gelingen
kann. Das ist von ganz herausragender Bedeutung. Das
ist nicht nur Technik für Feinschmecker, sondern ganz
erheblich für die Realwirtschaft in den nächsten Monaten.
({8})
Zudem ist erforderlich, dass die internationalen Standards verändert werden. Auch hier wollen wir Sie konstruktiv begleiten.
Ich will noch auf etwas anderes in dieser Situation
eingehen, weil ich glaube, dass es notwendig ist. Mit
zwei Dingen werden wir uns nicht nur heute, sondern in
den nächsten Monaten definitiv befassen müssen. Dazu
haben Sie nichts gesagt; vielleicht wird es der Finanzminister noch tun. Erstens: Was bedeutet das, was Sie
uns vorlegen, für den Bundeshaushalt? Was bedeutet
das für das Ziel der Konsolidierung der Staatsfinanzen?
Alles, was über den Abbau der Schulden, die zulasten
der nächsten jungen Generationen gehen, gesagt worden
ist, wird mit dem heutigen Tag aus Sicht der FDP nicht
ungültig.
({9})
Es bleibt notwendig, damit verantwortungsvoll umzugehen. Unsere Sorge ist, dass jetzt ein Damm bricht, nach
dem Motto: Wenn man nun mit solchen riesigen Summen mal eben jongliert, dann kann man die eine oder andere Milliarde für diese oder jene Wohltat nicht ernsthaft
verweigern. Wir sollten weiterhin an die nächste Generation denken. Heute darf nicht die Stunde sein, in der solide Staatsfinanzen zulasten der nächsten Generationen
zu Grabe getragen werden.
({10})
Ich unterstütze nachdrücklich, was Kollege Kauder in
dieser Woche dazu mehrfach gesagt hat.
Zweitens: Was bedeutet das für die Realwirtschaft?
Auch das muss an dieser Stelle ausdrücklich angesprochen werden. Ich glaube, Frau Bundeskanzlerin, dass
das zu einer Regierungserklärung, zumindest aber zu einer solchen Debatte dazu gehört. Herr Finanzminister,
als wir vor vier Wochen in den Haushaltsberatungen gesagt haben, dass wir am Rande einer Rezession stehen,
haben Sie uns - wörtlich! - Sadomaso-Tendenzen vorgeworfen. Ich frage: Wollen Sie das in Anbetracht des
Herbstgutachtens allen Ernstes aufrechterhalten? Wer
jetzt die Augen vor der wahren Wirtschaftsentwicklung
verschließt, der versündigt sich an denen, die nächstes
Jahr arbeitslos werden können.
({11})
Noch eine grundlegende Bemerkung zum Verhältnis
zwischen Staat und sozialer Marktwirtschaft. Wir haben erlebt, dass in diesen Tagen mancher, der schon immer Probleme mit der Marktwirtschaft bzw. der sozialen
Marktwirtschaft hat, glaubt, Oberwasser zu bekommen
und Morgenluft zu wittern. Ich glaube, dass das zu kurz
gegriffen ist. Aus unserer Sicht bleibt es dabei: Wir arbeiten jeden Tag daran, dass die soziale Marktwirtschaft
besser wird.
({12})
- Wir alle arbeiten hoffentlich gemeinsam daran, dass
unser System, in dem wir leben, jeden Tag besser wird.
({13})
Es ist aber mit Sicherheit das beste System, das es jemals auf deutschem Boden gab. Es ist mit Sicherheit
besser als jede Form von Planwirtschaft, die Sie nun
wiederbeleben wollen.
({14})
Sie freuen sich zu früh, wenn Sie glauben, Sie könnten die Gunst der Stunde nutzen und die soziale Marktwirtschaft zu Grabe tragen.
({15})
Diese Rechnung wird nicht aufgehen.
Denjenigen, die jetzt sagen, der Staat müsse das alles
lösen, will ich an dieser Stelle aus unserer Sicht, aus
Sicht der Freien Demokratischen Partei, klar mit auf den
Weg geben: Der Staat ist nicht der bessere Banker, er hat
nur mehr Geld.
({16})
Das ist es, worum es im Augenblick geht.
({17})
Alle diejenigen, die meinen, alles Heil sei jetzt im Staat
zu suchen und die soziale Marktwirtschaft könne abgewickelt werden, liegen aus unserer Sicht falsch. Wir
brauchen einen Staat, der treffsicher ist, der sich auf
seine Kernaufgaben konzentriert, der Rahmenbedingungen setzt.
({18})
Ein Staat, der sich so in das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger einmischt, dass einem die Luft wegbleibt, der aber bei der Aufsicht über die Banken versagt,
ist nicht der starke Staat, den wir uns wünschen.
({19})
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Dank
an alle Fraktionen dafür beginnen, dass wir dieses Gesetz zur Stabilisierung der Finanzmärkte quasi in einem
Sprint auf den Weg bringen können. Ich weiß, das ist
eine Zumutung; aber in ungewöhnlichen Zeiten, in denen wir sind, und bei dem Problemdruck, unter dem wir
stehen, sind ungewöhnliche Verfahren erforderlich. Ich
möchte meinen Respekt äußern und betonen, dass diese
Bereitschaft aller Fraktionen, wie ich finde, schon Ausdruck eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins
der Politik ist und in der Tat die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen in diesem Lande bestätigt und
die demokratischen Institutionen wieder aufwertet.
({0})
Dasselbe gilt übrigens auch mit Blick auf die häufig gescholtene mangelhafte Handlungsfähigkeit und Zeitökonomie Europas. Auch hier machen wir die Erfahrung,
dass sich Europa in einer solchen Krise doch als sehr viel
handlungsfähiger und entscheidungsfähiger erweist, als
wir das je angenommen haben.
Ich stehe nicht an, zu sagen, dass wir es mit einer der
gefährlichsten Krisen oder der gefährlichsten Krise auf
den Weltfinanzmärkten seit 80 Jahren zu tun haben. Es
geht daher um Gefahrenabwehr, es geht darum, Schaden von unserem Lande abzuwehren. Herr Westerwelle,
in diesem Zusammenhang wäre ich sehr vorsichtig, mit
Begriffen wie Notverordnung auf eine unsägliche historische Epoche anzuspielen,
({1})
weil Sie definitiv falsche Assoziationen wecken könnten;
({2})
denn in der Zeit von 1930 bis 1933 haben diese Notverordnungen zu nichts anderem als der Ausschaltung des
Parlaments gedient. Darüber reden wir heute definitiv
nicht.
({3})
Ich will sofort zur Sache kommen. Es geht nicht darum - das sage ich vor allen Dingen allen Bürgerinnen
und Bürgern, die uns zuhören oder zuschauen können -,
dass es Gratifikationen für den Bankensektor geben soll
oder dass Bankmanager vor dem Ruin bewahrt werden
sollen, sondern es geht in Deutschland und anderswo um
stabile, funktionierende Finanzmärkte. Diese stabilen
und funktionsfähigen Finanzmärkte gehören nicht den
Banken; sie gehören auch nicht den Bankern. Sie sind
vielmehr, um ein Stichwort von Herrn Röttgen aus der
letzten Debatte aufzugreifen, ein öffentliches Gut. Sie
sind unverzichtbar. Sie sind unverzichtbar für jeden
Handwerker, der einen Betriebsmittelkredit haben möchte,
sie sind unverzichtbar für jedes große Unternehmen, das
arbeitsplatzerhaltende oder arbeitsplatzerweiternde Investitionen vornehmen möchte, sie sind unverzichtbar
für jede Kommune, wenn sie Kassenkredite braucht, sie
sind unverzichtbar für Infrastrukturfinanzierungen in
Deutschland, sie sind unverzichtbar für alle Menschen,
die für das Alter sparen und damit ein auskömmliches
Einkommen im Alter haben möchten, sie sind unverzichtbar für alle Sparerinnen und Sparer in Deutschland,
die einen wettbewerbsfähigen Finanzsektor brauchen,
auch um die günstigsten Konditionen zu bekommen.
Das ist der Charakter dieses öffentlichen Gutes, um den
es geht.
({4})
Man muss mit Bildern und Begriffen, wie ich selber
gerade kritisch angemerkt habe, vorsichtig sein. Aber ich
scheue mich nicht, zu sagen, dass es Momente gegeben
hat, in denen wir international mit Blick auf die eskalierende Finanzmarktkrise in den Abgrund geschaut haben.
Bei der Betrachtung und Bewertung bitte ich nachzuvollziehen, dass es nach Wahrnehmung aller Fachleute, auch
derjenigen, die ich am letzten Wochenende in Washington gesprochen habe, eine Wasserscheide gibt, die sich
danach definiert, was vor und was nach der Insolvenz
von Lehman Brothers passiert ist. Dies begründet auch
manche Einlassungen, Herr Westerwelle, die in den Zeiten davor gemacht worden sind. Man kann im Rückblick
nicht ganz unberücksichtigt lassen, welche Zeitläufe es
seitdem gegeben hat. Sie verändern Einschätzungen; das
gilt für mich und für viele andere auch.
({5})
Wir haben insbesondere bei dem Gespräch mit Finanzmarktakteuren in Deutschland am Montagabend bei der
Bundeskanzlerin noch einmal von vielen die Einschätzung gehört, dass die Insolvenz von Lehman Brothers so
etwas wie ein GAU gewesen ist, weil darüber eine Erschütterungsdynamik ausgelöst worden ist, die Effekte
auch in Europa gehabt hat. Bei diesem Unternehmen mit
einer Bilanzsumme von 800 Milliarden waren ungefähr
400 Milliarden, also die Hälfte, Europa zugeordnet. Darüber ist fast in einer Art Dominoeffekt unter anderen
auch die Hypo Real Estate Bank zum Einsturz oder jedenfalls in eine sehr schwierige Lage gebracht worden.
Der Staat musste in dieser Situation handeln; auch die
Staatengemeinschaft musste in dieser Situation handeln.
Wenn es auf den Weltfinanzmärkten brennt, meine Damen und Herren, dann muss gelöscht werden, auch wenn
es sich um Brandstiftung handelt. Anschließend müssen
die Brandstifter aber daran gehindert werden, so etwas
wieder zu tun.
({6})
Die Brandbeschleuniger müssen verboten werden, und
es muss für einen besseren Brandschutz gesorgt werden.
Das heißt, wir reden auf der einen Seite über eine systemische Antwort auf die derzeitige Krise - das ist das aktuelle Krisenmanagement - und auf der anderen Seite
darüber, dass wir parallel dazu Vorsorge treffen müssen,
damit sich eine solche Finanzmarktkrise, jedenfalls nicht
in dieser Dimension und Tiefenschärfe, wiederholt. Danach handeln wir.
({7})
Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, dass Deutschland dieses Thema der Krisenprävention als einer der ersten G-7-Staaten und als eines der
ersten Länder in der Euro-Gruppe und im Ecofin aufgegriffen hat. Ich will nicht alles im Einzelnen wiederholen; aber ich erinnere daran, dass es diese Bundesregierung während ihrer G-7-Präsidentschaft gewesen
ist, die im Oktober des Jahres 2007 das Financial Stability Forum nicht nur um eine Analyse, sondern um konkrete Vorschläge gebeten hat, und dass diese Vorschläge
in Sitzungen im April verabschiedet worden sind. Die
Beschlüsse reichten bis hin zu einer Ecofin-Roadmap
und werden in einem Hunderttageprogramm umgesetzt.
Dies schließt nicht aus, dass noch mehr hinzukommen
muss, unter anderem auch von mir in Vorbereitung der
letzten G-7-Konferenz in acht Punkten formuliert, in denen auch die Fragen enthalten sind, ob wir nicht zu einem Verbot von Leerverkäufen kommen müssen und ob
es nicht auf Dauer verboten werden sollte, dass Bankinstitute anderen Finanzdienstleistern Kreditrisiken einfach zu 100 Prozent in Form von Derivaten weiterreichen können.
({8})
Ich will aus Zeitgründen auf die anderen Maßnahmen
nicht eingehen, sondern nur darauf hinweisen, dass die
Maßnahmen dieses Gesetzes zur Finanzmarktstabilität,
wie die Kanzlerin ausgeführt hat, international weit abgestimmt sind. Weltweit werden die notwendigen Maßnahmen getroffen, um die Stabilität und die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems zu gewährleisten. Vielleicht
müsste man erst einmal sagen: wiederherzustellen, was
verloren gegangen ist. Aus den Gesprächen, die wir Anfang der Woche bei der Bundeskanzlerin sowohl mit den
Finanzmarktakteuren in Deutschland als auch mit den
Vertretern der sogenannten Realwirtschaft geführt haben, habe ich eine eindeutige Bestätigung dafür bekommen, dass es jetzt Zeit zum Handeln war, und zwar nicht
im Sinne einer Von-Fall-zu-Fall-Regelung - IKB, Landesbanken, Hypo Real Estate -, sondern im Sinne einer
systemischen Antwort auch für die Bundesrepublik
Deutschland. Dies haben wir getan, und das wird breit
anerkannt.
({9})
Meine Damen und Herren, von unserem Paket profitieren alle Geldinstitute und Versicherungen in Deutschland, die sich unter den Schutzschirm der neuen staatlichen Garantien stellen wollen. Aber dies erfolgt unter
sehr strengen Bedingungen. Leistung - Gegenleistung,
wie die Kanzlerin gesagt hat, ist das Prinzip, nach dem
wir handeln. Wer sich unter diesen Schirm stellt, wer die
Garantien, die Leistungen dieses Sondervermögens,
staatliche Hilfe und damit möglicherweise auch Steuergelder, in Anspruch nehmen möchte, muss dafür eine
ganze Reihe von Gegenleistungen erbringen und eine
Reihe von Bedingungen erfüllen.
Erster Punkt: Als Gegenleistung erhält der Staat in
dem Augenblick, in dem er Unternehmen und Finanzdienstleister in Deutschland rekapitalisiert, Aktien, Vorzugsaktien, stille Einlagen oder Beteiligungen. Er kauft
sich also ein. Dadurch erwirbt er Rechte und die Option,
diese Beteiligungen später mit der Aussicht zu veräußern, darüber möglicherweise ein Einkommen zu erzielen, das mögliche Verluste abdeckt.
Dies ist im Fall von Schweden gelungen. Die Schweden haben eine ganz ähnliche Lösung, fast eine Art
Blaupause für das geliefert, was wir heute beraten, und
damit waren sie durchaus erfolgreich. Der schwedische
Zentralbankgouverneur hat mir am Wochenende gesagt,
dass nach Liquidation der Assets, die der Staat übernommen hat, eine schwarze Null herausgekommen ist. Das
heißt, es besteht kein Automatismus, dass Steuergelder
in Anspruch genommen werden. Aber die Ehrlichkeit
gebietet es, darauf hinzuweisen, dass dies auch nicht
auszuschließen ist.
Zweiter Punkt: Der Staat wird für diese Garantien Gebühren erheben. Er wird auch das Recht bekommen, auf
die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen, und zwar insbesondere mit Blick darauf, dass die geförderten Banken
nicht über eine Bilanzverkürzung ihre Kredittätigkeit gegenüber dem Mittelstand in Deutschland reduzieren.
Dies ist nicht die Absicht, die wir mit diesen Förderleistungen verbinden.
({10})
Es geht auch um die Frage, ob bei dieser Gelegenheit
nicht das in Gang gesetzt wird, was bisher der Bankenaufsicht in Deutschland definitiv nicht möglich war,
nämlich die Überprüfung von Geschäftsmodellen, weil
dies der Kreditsektor verweigert hat. Dies geschah übrigens auch bei manchen gesetzlichen Initiativen aus
diesem Haus - sie wurden anschließend von den interessierten Verbänden so attackiert, dass es nicht zur Beschlusslage gekommen ist -, die unter anderem die Zuständigkeit der deutschen Bankenaufsicht zum Inhalt
hatten, die Geschäftsmodelle zu überprüfen. Manche
Kritik, die Sie an der Bankenaufsicht geäußert haben,
richtet sich, wie ich glaube, an die falsche Adresse. Leider hat die Bankenaufsicht bisher nicht die Zuständigkeit, Geschäftsmodelle zu überprüfen. Die entscheidende Frage ist, ob bei dieser Gelegenheit, wenn
Unternehmen und Finanzdienstleister diese Abschirmung in Anspruch nehmen, das Institut, das als Teil der
Bankenaufsicht das Sondervermögen verwalten soll,
nicht auch in den Stand versetzt wird, die Geschäftsmodelle zu überprüfen.
Es geht aber um mehr als das. Es geht um weitere Bedingungen, die sich darauf erstrekken, dass sich mit dieser Leistung des Staates zum Beispiel ein Verbot von
Abfindungen, Bonuszahlungen und auch von Dividendenausschüttungen verbinden.
({11})
Ich will bei dieser Gelegenheit aus aktienrechtlichen
Gründen keinen Irrtum aufkommen lassen. Das Verbot
von Dividendenausschüttungen muss sich damit verbinden, dass es über die Spielräume, die die Dividendenausschüttungen sonst hergeben, zu einer Stärkung der
Eigenkapitalbasis der Unternehmen kommt. Das ist ein
entscheidender Punkt.
Ich will im Einzelnen nicht erneut die Maßnahmen
auflisten, sondern darauf hinweisen, dass wir es im Wesentlichen mit vier entscheidenden Aktivitäten zu tun haben. Herr Westerwelle hat recht:
({12})
Außerhalb dieses Paketes hat das Thema Bilanzierungsregelungen Priorität, Bilanzierungsregelungen, die nicht
prozyklisch wirken und die die Unternehmen in der derzeitigen Situation nicht noch weiter unter Wasser ziehen,
als bisher geschehen. Wir sind mit Blick auf dieses
Thema - es erstreckt sich auf den Aspekt der Bewertungsmethoden und darauf, dass man zu einer größeren
Flexibilisierung in der Bilanzierung zwischen dem Bankenbuch und dem Handelsbuch kommen muss - auf einem sehr guten Weg.
Ich glaube, wir werden Ende dieser Woche konstatieren können, dass in internationaler Abstimmung die
deutschen Kreditinstitute und darüber hinaus einige Unternehmen in der Realwirtschaft, die Derivate in ihren
Bilanzen haben, in den Stand gesetzt werden, in dieser
erweiterten Interpretation der Bilanzierungsregelungen
das dritte Quartal bilanzieren zu können. Das ist von
enormer Bedeutung. Dies wird häufig unterschätzt, weil
es sehr technokratisch anmutet; da gebe ich Ihnen völlig
recht. Aber auch in den Gesprächen, die wir seitens der
Bundesregierung mit vielen Vertretern geführt haben,
und zwar sowohl aus der Realwirtschaft wie auch aus
der Kreditwirtschaft, wurde deutlich, dass dies von außerordentlicher Bedeutung ist.
Der erste Punkt im Rahmen dieses Paketes - untechnisch und, ich hoffe, verständlich und umgangssprachlich dargestellt - ist die Beseitigung einer Liquiditätsenge. Wir haben es im Augenblick damit zu tun, dass
sich der Bankensektor untereinander nicht mehr vertraut.
Diejenigen, die Liquidität haben, sitzen auf dieser Liquidität und reichen sie nicht aus an diejenigen, die sie dringend brauchen, die am Verdursten sind, weil sie befürchten, dass sie das ausgeliehene Kapital - möglicherweise
schon in Tagesfrist oder in Wochenfrist - nicht zurückbekommen.
Wir haben es mit dem fast perversen Zustand zu tun,
dass diejenigen, die Liquidität haben, sie im Augenblick
nicht ausleihen an andere Kreditinstitute, sondern zum
Zentralbanksystem bringen, und zwar zu Zinskonditionen, die sie früher sofort abgelehnt haben: 2 Prozent.
Der Zentralbanksektor befindet sich in der Situation,
dass er vor dem Hintergrund des enormen Durstes nach
Liquidität diese Liquidität weiterreichen kann - teilweise zu 10 oder 11 Prozent - an diejenigen, die sie dringend brauchen. Dies ist ein ungeheurer Missstand und
führt dazu, dass darüber ein Bankensystem kollabieren
kann. Deshalb ist es so wichtig, mit den 400 Milliarden
Euro eine Garantie zu schaffen, die nicht haushaltswirksam ist, die aber zu verstehen gibt, dass man im Zweifelsfalle den Unternehmen eine Sicherheit bietet, die bereit sind, Liquidität auszureichen, weil sie wissen, dass
in dem Augenblick, wo ihr Marktpartner ausfällt, diese
Garantie gezogen werden kann. Darüber werden wir,
wie ich erwarte, diese Liquiditätsenge beseitigen können.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass wir es bei einigen
Unternehmen in Deutschland nicht nur mit einem Liquiditätsengpass zu tun haben, sondern auch mit einem Insolvenzrisiko in Abhängigkeit von Eigenkapitalquoten,
die gefährlich niedrig werden können. Deshalb ist dieser
zweite Punkt, die Rekapitalisierung dieser Unternehmen in Deutschland, von entscheidender Bedeutung.
Welche Bedeutung das hat, können Sie gerade daran
feststellen, dass der amerikanische Schirm von 700 Milliarden Dollar konzeptionell geändert wird. Er war bisher - nicht vergleichbar mit dem, was wir machen - ausschließlich darauf gerichtet, Problemaktiva aufzukaufen.
Jetzt fängt man an, zu sagen: Das ist nicht das Hauptproblem; es ist übrigens sehr kompliziert, sehr gefährlich.
Jetzt wird vielmehr dazu übergegangen, mit einem Betrag von 250 Milliarden Dollar von diesen 700 Milliarden Dollar das zu tun, was in der zweiten Stufe bei uns
unter der Überschrift einer Rekapitalisierung der Unternehmen Bedeutung hat. Fast bin ich bereit, abzuwarten,
bis sie den ersten Schritt von uns auch nachvollziehen,
mit Blick auf die Garantieposition, die wir einnehmen.
Erst in der Kaskade im dritten Effekt besteht der
Spielraum, dass das Sondervermögen, dieser Finanzmarktstabilisierungsfonds, auch genutzt werden kann für
den Aufkauf von illiquiden Assets, von Problemaktiva.
Aber in der Tat - in der Bestätigung dessen, was die
Kanzlerin gesagt hat -: Dies ist für uns von nachrangiger
Bedeutung und verbindet sich mit einer ganzen Reihe
von Problemen, die ich nicht in Abrede stellen möchte.
Dass es darüber hinaus mittelfristig auch darum geht,
die Einlagensicherung und die nationale Aufsicht - ich
füge hinzu: auch die europäische und internationale Aufsicht - zu verbessern, ist unabweisbar richtig. Ich bitte
nur, gelegentlich zu registrieren, welche Fortschritte es
schon gegeben hat. Warum soll sich die Politik unter
Wert verkaufen mit Blick auf das, was uns schon gelungen ist? Wir müssen uns ja nicht immer nur defizitär darstellen.
({13})
Wir sind in Europa einen ganzen Schritt weiter mit
Blick auf die Einführung von Gruppenaufsichten für
grenzüberschreitende Tätigkeiten von Bankinstituten.
Ich werde die französische EU-Präsidentschaft dabei unterstützen, dass dies auch im Versicherungsbereich eingeführt wird. Wir sind einen ganzen Schritt weiter mit
der Einführung von sogenannten Colleges of Supervisors auf der europäischen Ebene, und wir sind einen
ganzen Schritt weiter mit Blick auf die Aufwertung des
Internationalen Währungsfonds. Ich bin in der Tat
überzeugt, dass er zukünftig eine sehr viel stärkere
Funktion haben könnte, wenn es darum geht, Verkehrsregeln im internationalen Finanzbereich zu verabreden
- dazu muss er ein Mandat haben - und gleichzeitig
diese Verkehrsregeln zu überwachen.
({14})
Das sagt sich relativ leicht. Wenn man ein Gespräch mit
dem jetzigen Managing Director des IMF, mit Dominique
Strauss-Kahn, hatte, dann weiß man, dass das auf eine
Umorganisation des IMF hinausläuft, auf ein ganz anderes Personal, auch mit anderen Qualifikationen, auf die
Änderung von Statuten und, wie ich glaube, letztlich auf
die Mandatierung auf einer vertraglichen Basis, womit
automatisch verbunden ist, dass souveräne Rechte an
eine solche supranationale Einrichtung abgetreten werden müssen.
Derjenige übrigens, der dieses Thema im IMF als Erster angesprochen hat - das bitte ich als Kompliment zu
verstehen -, war Bundespräsident Köhler in seiner damaligen Rolle als Managing Director des IMF. Diesen
Weg fortzuschreiben, ist die wesentliche Herausforderung, vor der wir auf internationaler Ebene stehen. Die
Kanzlerin wird dieses Thema in ihren Gesprächen aufgreifen, die für, glaube ich, November auf Ebene der
G-7-Staats- und Regierungschefs geplant sind.
Ich will zum Schluss auf zwei Stichworte eingehen,
die Herr Westerwelle angesprochen hat. Wir haben es inzwischen mit deutlichen Abwärtsrisiken bei der Konjunktur zu tun. Etwas anderes zu sagen, wäre Schönfärberei. Der erkennbare Abwärtstrend ist aber nicht allein
durch die Finanzmarktkrise verursacht. Wenn man mit
Wirtschaftswissenschaftlern oder Analytikern spricht,
erfährt man: Auch ohne die Finanzmarktkrise würde die
Entwicklung in 2009 nicht mehr so schön sein, wie sie in
den letzten Jahren gewesen ist, aber die Finanzmarktkrise wird diesen Trend verstärken. In welchem Ausmaß, das wird Ihnen niemand sagen können, auch nicht
mit Blick auf das, was wir als Stabilisierungspaket verabschieden werden. Warum? Ich kann Ihnen nicht sagen,
in welchem Ausmaß die Garantien zu tatsächlichen Ausfällen führen, sondern ich kann nur darauf hinweisen,
dass wir mit 5 Prozent eine Vorsorge für solche Ausfälle
treffen. Ich halte diesen Prozentsatz vor dem Hintergrund der schwedischen Erfahrung für angemessen. Dort
hat man ursprünglich 10 Prozent Ausfälle veranschlagt
und nachher 0 Prozent festgestellt. Da liegen wir mit
5 Prozent, wie ich finde, in einer ziemlich pragmatisch
begründbaren Mitte.
Dass die Realwirtschaft eingetrübt wird, hat eher etwas mit einer weltweiten Entwicklung zu tun. Das resultiert auch aus Effekten, die sehr viel zu tun haben mit der
Energie- und Rohstoffpreisentwicklung, aber auch mit
der Nahrungsmittelpreisentwicklung und einer ökonomischen Entwicklung in den USA, die immer noch - wenn
auch immer weniger - auch die europäischen Partnerstaaten trifft. Die sogenannte Entzerrungsthese oder Decoupling-These, die einige debattieren, nach der Europa
sich zunehmend von dem abkoppeln kann, was in den
USA passiert, vertrete ich nicht. Es gibt dynamische
Weltregionen, die im Sinne einer Stabilisierung der weltwirtschaftlichen Entwicklung zunehmend substitutiv
eine Rolle spielen. Aber machen wir uns nichts vor: Wir
werden in eine sehr schwierige Zeit 2009 hineingehen.
Dies bedeutet für mich nicht die Aufgabe des Konsolidierungskurses,
({15})
definitiv nicht.
({16})
Ich wäre nur nicht ehrlich zu Ihnen und zur Bevölkerung, wenn ich nicht sagte, dass im Lichte der konkreten
Entwicklung des Jahres 2009 die Leitplanken auf der
Zeitachse gegebenenfalls anders gesetzt werden müssen.
Damit lade ich nicht zu Forderungen ein, sondern nur zu
Realismus, nicht mehr und nicht weniger.
In dieser Situation ist die Bundesregierung gut beraten, als Antwort auf die erkennbare Entwicklung vier
Dinge zu beachten: erstens keine Investitionskürzung,
zweitens keine Kürzung von Sozialleistungen, drittens
keine Mehrbelastung der Bevölkerung bei ausfallenden
Einnahmen des Gesamtstaats. Viertens wird es darum
gehen, eventuell über die KfW, über die Europäische Investitionsbank Förderprogramme sehr gezielt auszuweiten, größer zu dimensionieren, damit sie einen antizyklischen Effekt haben.
({17})
Im Übrigen erinnere ich daran, dass die Bundesregierung vor kurzem schon ein Paket verabschiedet hat. Die
Elemente - sie sind von der Kanzlerin genannt worden führen bei voller Jahreswirksamkeit zu einer Entlastung
der Bürgerinnen und Bürger in der Größenordnung von
14 bis 15 Milliarden Euro.
Ich glaube, dass sich über die Finanzmarktkrise - damit komme ich in die Schlusskurve - vieles verändern
wird. Wir reden inzwischen über internationale Verkehrsregeln. Wir reden über ein neu ausbalanciertes Verhältnis von Staat und Markt. Ihre Einlassung, Herr
Westerwelle, dass der Staat viel mehr Geld als der private Bereich hat,
({18})
konnte ich nicht so gut verstehen. Ich habe eher den Eindruck, dass die These von einer öffentlichen Armut nach
wie vor jedenfalls nicht ganz falsch ist, wenn wir das mit
der Vermögensbildung im privaten Bereich vergleichen.
({19})
Ich bin davon überzeugt, dass das richtig ist, was
mein früherer italienischer Kollege Tommaso PadoaSchioppa gesagt hat:
Es ist nicht der Kapitalismus oder die Marktwirtschaft, die zusammenbricht … Was einstürzt, ist die
Illusion, dass eine Marktwirtschaft ohne Regeln
funktionieren kann.
({20})
Es ist das Fehlurteil, dass die Finanzmärkte im
Stande seien, sich selbst zu regulieren.
Wenn wir das lernen, dann könnte die soziale Marktwirtschaft aus dieser Krise umso chancenreicher und umso
attraktiver hervorgehen.
Vielen Dank.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Debatte möchte ich noch einmal feststellen, dass das Problem, mit dem wir heute konfrontiert
sind, aus unserer Sicht nicht mit dem Begriff Finanzmarktkrise beschrieben werden kann. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir der Meinung sind, dass es sich
um eine Krise der Demokratie und der Wirtschafts- und
Sozialordnung handelt.
({0})
Um zu begründen, dass es sich um eine Krise der
Demokratie handelt, will ich den Mann zitieren, den die
Kanzlerin zu ihrem Ratgeber bei der Bewältigung der
Finanzmarktkrise erklärt hat, nämlich Herrn Tietmeyer,
den Vorsitzenden des Kuratoriums der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft. Er sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 3. Februar 1996 - ich zitiere -:
Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die
meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.
Diese Analyse könnte man auch auf unsere heutige Debatte übertragen; denn wir stehen immer noch unter der
Kontrolle der Finanzmärkte, oder besser gesagt: Wir
werden immer noch von ihnen beherrscht. Das Problem
bei Herrn Tietmeyer ist nur, Frau Bundeskanzlerin, dass
er dies für richtig hielt. Er war insofern ein Marktfundamentalist, als er glaubte, es sei richtig, über die Märkte
die Politik außer Kraft zu setzen. Deshalb ist er der falOskar Lafontaine
scheste Ratgeber, den Sie in diesem Fall heranziehen
konnten.
({1})
Wir haben doch gar keine andere Wahl, als das Finanzmarktsystem - wie es so schön heißt - schleunigst
wieder in Gang zu bringen. Insofern ist das, was Sie
technisch machen, in der Sache nicht zu kritisieren.
Selbstverständlich muss das Interbankengeschäft wieder
funktionieren, und selbstverständlich müssen die Banken über ausreichendes Kapital verfügen, um nicht pleitezugehen. Das steht alles außer Frage. Es spricht auch
einiges dafür, die Bilanzierungsregeln zu ändern; aber
- das muss gesagt werden - es birgt große Risiken, wenn
man den Banken einen großen Spielraum bei der Bewertung von faulen Papieren einräumt. Das möchte ich an
dieser Stelle betonen, weil es heute noch nicht angesprochen wurde.
Ich komme nun darauf zu sprechen, warum Herr
Tietmeyer mit seiner Analyse der Kronzeuge dafür ist,
dass sich unsere demokratische Ordnung und unsere
Wirtschafts- und Sozialordnung in einer Krise befinden.
Das beginnt bei den Weltfinanzmärkten. Die entscheidende Frage ist, ob es die Möglichkeit gibt, weltweit Regeln zu vereinbaren, in deren Rahmen sich dann die
Wirtschaftstätigkeit aller Staaten vollzieht.
Ich mache auf die Analyse aufmerksam, die ein ehemaliger Finanzminister der Vereinigten Staaten, Larry
Summers, vorgetragen hat. Er sagte, dass es zwei Theorien gibt: Die eine Theorie ist, dass die Krise eine Krise
rein „made in USA“ ist - darauf komme ich noch zu
sprechen -; die andere Theorie besagt, dass es eine Krise
der Liquidität und der Qualität der Finanzprodukte ist.
Wahrscheinlich kommen alle drei Faktoren zusammen.
Denn die Frage ist: Wer hat den Ordnungsrahmen, den
viele gefordert haben, bisher verhindert? Schon vor
20 Jahren gab es eine Kommission, die Bretton-WoodsKommission, die genau das gefordert hat, was heute auf
der Tagesordnung steht. Wenn diese Forderungen nicht
erfüllt werden, haben wir keine Chance, das Kasino in
den Griff zu bekommen.
({2})
Ich möchte ergänzend zu dem, was Sie hier völlig unzureichend vorgetragen haben, noch einmal darauf aufmerksam machen, was die Kommission damals unter
dem Vorsitz von Paul Volkker - für diejenigen, die damals noch nicht politisch gearbeitet haben: Beteiligt waren Leute wie Pöhl und sogar Lambsdorff - gefordert
hat. Sie hat ein festes Wechselkursregime und Zielzonen gefordert, damit Währungsspekulationen in der Ursache bekämpft werden können; die Zielzonen würden
benötigt, weil es für alle Volkswirtschaften der Welt
nicht verkraftbar ist, wenn die Währungskurse ständig
schwanken und bestimmte Margen überschreiten. - Das
ist die erste Forderung, die ich für meine Fraktion erheben möchte. Ohne eine solche Regulierung wird die Spekulation auf den Weltfinanzmärkten munter weitergehen. Es gibt derzeit Währungskrisen, von denen noch gar
nicht die Rede ist, die aber in einigen Monaten auch hier
ein Thema sein werden.
({3})
Zweiter Punkt. Wir brauchen eine verbindliche Regulierung der internationalen Kapitalströme. Wenn
selbst Spekulanten wie Soros das fordern, dann sollten
wir zumindest zuhören. Wenn sogar diejenigen, die von
den Kapitalströmen profitiert haben, eine Kontrolle fordern, dann sollten wir nach Wegen suchen, eine Regulierung der internationalen Kapitalströme, Kapitalverkehrskontrollen auch international auf den Weg zu bringen.
Die wichtigste Forderung ist bisher noch gar nicht angesprochen worden. Ich möchte sie Ihnen allen nachdrücklich empfehlen: Wenn die Vereinigten Staaten
nicht zustimmen, dass die Steueroasen endlich ausgetrocknet werden, dann können Sie so viel regeln, wie Sie
wollen; dann suchen sich alle ihre Inseln und machen
weiterhin, was sie wollen.
({4})
Deshalb ist das Austrocknen der Steueroasen eine Conditio sine qua non. Wenn dies nicht angegangen wird,
werden wir nicht weiterkommen.
Ich komme nun zu der Frage der Finanzprodukte,
die von Larry Summers aufgeworfen wurde: Made in
USA. Er hatte insoweit recht, als die Vereinigten Staaten
- allerdings auch Großbritannien - sich diesen Regeln
immer wieder entgegengestellt haben. Kommen wir also
zu den Finanzprodukten, die laut Joseph Stiglitz niemand mehr versteht. Wenn Banker Produkte verkaufen,
die sie nicht mehr verstehen, wie soll das zu einem Erfolg führen? Es geht nicht darum, die Arbeit der Ratingagenturen zu verbessern. Nein, es geht um das, was bereits Adam Smith in seinem Wohlfahrt der Nationen
gefordert hat: dass der Bankensektor reguliert werden
muss. Das heißt, die Ratingagenturen gehören in öffentliche Kontrolle.
({5})
Ich sage für meine Fraktion: Anders ist das nicht zu machen.
Nun kommen wir zur europäischen Ebene. Es ist
gut, dass sich in blitzartiger Geschwindigkeit jetzt Forderungen durchsetzen, die lange Jahre abgelehnt worden
sind. Ich begrüße es, dass die französische Ratspräsidentschaft das Vorgehen der Staaten auf der europäischen Ebene koordiniert hat. Es ist eine Art Wirtschaftsregierung, wie sie von Jacques Delors schon zu Beginn
seiner Präsidentschaft in der Europäischen Kommission
gefordert wurde.
Gerade jetzt hat sich wieder gezeigt, dass man nicht
einen einzigen Währungsraum und gleichzeitig 10 oder
20 Regierungen haben kann, die Gegensätzliches machen. Wir brauchen eine Koordinierung der Wirtschafts19360
und Finanzpolitik und letztendlich auch der Tarifpolitik
auf europäischer Ebene.
({6})
Es ist gut, dass die französische Präsidentschaft diesen
Punkt angesprochen hat.
Es ist ein Vergnügen, dass man jetzt erkannt hat, dass
der Stabilitätspakt, den wir oft kritisiert haben, weil er
eine antizyklische Finanzpolitik unterbindet, im Konsens der europäischen Regierungen als im Moment nicht
anwendbar gilt. Es ist richtig, dass wir heute nicht mehr
am Ziel der Haushaltskonsolidierungen in der bisherigen
Planung festhalten. Ansonsten hätten wir überhaupt
keine Chance, die sich jetzt anbahnende Rezession anzugehen und zu bewältigen.
({7})
Nun komme ich zur Kernfrage, die noch gar nicht diskutiert worden ist: Wie konnte sich diese große Liquidität aufbauen? Es stehen alle in der Verantwortung. Man
kann nicht nur von Marktversagen sprechen. Beides ist
festzustellen: Es handelt sich um Marktversagen und um
Staatsversagen. Beides zusammen muss man sehen.
Wenn vonseiten der Bankenwelt gefordert wird, dass
sich einige zu entschuldigen haben, ist folgende Frage an
alle Parlamente und Regierungen zu richten: Was ist mit
denjenigen, die dieses Karussell parlamentarisch und gesetzlich nicht unterbunden haben?
({8})
Die Frage, die wir uns stellen, ist: Wie konnte sich
diese große Liquidität aufbauen? Hier möchte ich einen
anderen Standpunkt vorbringen. Sie brauchen nur in den
Jahreswirtschaftsbericht Ihrer Regierung und der Vorgängerregierung zu schauen. Auf der drittletzten Seite
finden Sie die Antwort auf die Frage, warum sich diese
Liquidität aufgebaut hat. Sie hat sich aufgebaut, weil das
eintritt, was Sie in jedem Bericht schreiben: Zuwächse
an Einkommen haben nicht die Arbeitnehmer. Zuwächse
an Einkommen haben nicht die Rentnerinnen und Rentner. Zuwächse an Einkommen haben nicht diejenigen,
die soziale Leistungen empfangen. Zuwächse an Einkommen haben ausschließlich diejenigen, die Gewinn
und Vermögenseinkommen haben.
Dadurch dass der gesamte Zuwachs der Volkswirtschaft durch Gewinn und Vermögenseinkommen abgeschöpft wurde, hat man den Aufbau der Liquidität und
die internationale Spekulation in Gang gesetzt. Nur
durch eine nachhaltige Reform unserer Wirtschaftsund Sozialordnung werden wir überhaupt in der Lage
sein, diese Liquidität wieder abzubauen.
({9})
Wir müssen nun an diejenigen denken, die immer
wieder sagen: Gebt uns mehr für Hartz IV. Gebt etwas
mehr für Rentnerinnen und Rentner. Lasst doch zu, dass
die Löhne etwas höher werden. - Diesen Menschen wird
gesagt: Es ist kein Geld da. - Das Volk sitzt jetzt staunend vor dem Fernseher und sieht auf einmal, dass
500 Milliarden Euro bereitgestellt werden, um Krisen zu
bewältigen, und vorher haben wir uns um ein paar Hundert Millionen gezankt. Das Volk versteht das nicht
mehr.
({10})
Ich finde es gut, dass sie sich getroffen fühlen und zur
Wehr setzen, und ich hoffe, dass die Bilder dies rüberbringen.
Ich möchte Ihnen sagen: Wir werden die Rezession,
die sich jetzt anbahnt, nicht in den Griff bekommen,
wenn wir nicht auch die Nachfrageseite unserer Volkswirtschaft im Auge behalten. Denn was sich jetzt abzeichnet, sind die Einbrüche im Exportbereich. Wer jetzt
nicht gegensteuert, der handelt sträflich und fahrlässig.
Deshalb brauchen wir eine Stabilisierung der Nachfrage
auf dem Binnenmarkt. Das ist die prioritäre Forderung
meiner Fraktion.
({11})
Unsere Vorschläge werden so schnell akzeptiert, dass
wir damit gar nicht mehr nachkommen. Wenn jetzt selbst
die Forschungsinstitute, die in den letzten Jahren überwiegend eher angebotspolitische Empfehlungen gegeben
haben, sagen: „Wir brauchen eine Stabilisierung der
Nachfrage“, dann ist das zu begrüßen. Aber über Steuererleichterungen ist das nicht zu machen. Lösen Sie sich
endlich von diesem Irrtum, weil Sie damit große Teile
der Bevölkerung - einen großen Teil der Rentnerinnen
und Rentner, die Hartz-IV-Empfänger und 30 Prozent
der Lohnempfänger - überhaupt nicht erfassen! Wir
brauchen eine Verbesserung bei den Renten, wir brauchen eine Verbesserung bei Hartz IV, und wir brauchen
eine Verbesserung bei den Löhnen. Das sind die drei
Forderungen unserer Fraktion zur Stabilisierung der Binnennachfrage.
({12})
Wir brauchen natürlich auch etwas, das dem Volk das
Gefühl gibt, dass wir uns wieder um Gerechtigkeit bemühen. Ich bin nicht so naiv, zu glauben, es würde sich
in den nächsten Wochen nachhaltig an dem etwas verändern, was sich an falschen Denk- und Entscheidungsstrukturen über 20 Jahre aufgebaut hat. Diese Hoffnung
habe ich nicht. Aber man kann zumindest teilweise etwas tun. Deshalb ist die Frage berechtigt, die in der
Presse gestellt wird: Welchen Beitrag leisten eigentlich
die Banker, die dieses Geld in den letzten Jahren verzockt haben und die sich mit Millionengehältern bedient
haben? Wir brauchen eine Millionärs- und Milliardärssteuer in Deutschland. Das ist die Forderung meiner
Fraktion; ich will das in aller Klarheit einmal sagen.
({13})
Ansonsten wird das Volk an unserem Gefühl für Gerechtigkeit zweifeln.
Wir brauchen eine Erneuerung der Demokratie; ich
will einmal mit Amerika beginnen. Der Historiker Fritz
Stern, den viele hier gepriesen haben, hat einmal gesagt:
Amerika ist eine fundamentalistische Plutokratie. Was
meinte er damit? Er meinte damit, dass in Amerika eben
nicht die Mehrheit der Bevölkerung bestimmt, welche
Politik gemacht wird, sondern die Minderheit der Wohlhabenden. Ich halte diese Analyse für richtig. Diese
Analyse wird im System offenkundig; denn beispielsweise müssen Spenden in Millionenhöhe eingesammelt
werden, um jemandem zu ermöglichen, als Präsident zu
kandidieren. Aber diese Millionen werden nicht ohne
eine entsprechende Erwartungshaltung gegeben; ich will
das in aller Klarheit sagen. Die Wall Street, die die Präsidentschaftskandidaten immer wieder finanziert hatte, erwartete von ihnen, dass sie das Kasino nicht beendeten.
Wir werden daher erst dann eine demokratische Ordnung haben, wenn der Kauf der Politik ausgeschlossen
wird. Das ist der Kern des Anliegens, das wir heute hinsichtlich der Krise auf den internationalen Finanzmärkten vorbringen.
({14})
Demjenigen, der meint, das sei nur ein Problem der
Vereinigten Staaten, möchte ich vorschlagen, einmal die
Veröffentlichung des Herrn Parlamentspräsidenten sorgfältig zu studieren und die Zahlen zu saldieren. Daraus
ergibt sich schon die eine oder andere Frage. Es muss
jetzt aufhören, dass Lobbyisten der Finanzindustrie in
der Regierung sitzen und dort Verordnungen machen.
Das ist doch eine Katastrophe.
({15})
Dann darf man sich nicht wundern, wenn solche Geschichten passieren, wie sie jetzt passiert sind.
Wir brauchen tatsächlich eine neue Wirtschafts- und
Sozialordnung, wie sie von allen Parteien bei der Gründung der Westrepublik gefordert wurde. Eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung stand am Anfang der Gründung der Bundesrepublik, in der eben nicht eine
Minderheit derjenigen, die Vermögen und Geld besitzen,
demokratische Entscheidungen beeinflussen sollten. Demokratie heißt nun einmal eine Gesellschaftsordnung, in
der die Entscheidungen so getroffen werden, dass sich
die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Das ist das
Verständnis von Demokratie. Eine Hartz-IV-Demokratie, eine Rentenkürzungs-Demokratie und eine Demokratie mit fallender Lohnquote gibt es nicht; sie ist ein
Widerspruch in sich.
Deshalb möchte ich für meine Fraktion sagen: Demokratie gibt es erst dann wieder, wenn die Interessen der
Mehrheit tatsächlich zur Geltung kommen und wenn das
Volk nicht erleben muss, dass auf der einen Seite Hunderte von Milliarden für die „Bankster“ ausgegeben werden, auf der anderen Seite kein Geld für Hartz-IV-Empfänger, für Rentner und für Lohnempfänger da ist. Das
ist nicht Demokratie.
({16})
- Sie meinen, das sei Polemik? Ich will Ihnen mal etwas
über Polemik sagen: Als wir hier eine Begrenzung der
Managergehälter gefordert haben, wurden wir von der
Regierungsbank und von der großen Mehrheit des Hauses als Populisten beschimpft.
({17})
Ich habe 600 000 Euro als Grenze vorgeschlagen. Jetzt
hat der Finanzminister 500 000 Euro als Begrenzung
vorgeschlagen. Willkommen im Klub der Populisten,
Herr Bundesfinanzminister!
({18})
Sie sind an dieser Stelle nicht gerade glaubwürdig. Wissen Sie, warum Sie diesen Vorschlag machen? Weil das
im Moment populär ist.
({19})
Dagegen haben wir noch nicht einmal etwas. Aber wir
haben etwas dagegen, dass Sie diesen Vorschlag auch
deswegen machen, um sich Ihrer eigenen Verantwortung
nicht stellen zu müssen. Für die Finanzmarktkrise ist
auch die Mehrheit dieses Hauses mit verantwortlich, um
das in aller Klarheit zu sagen.
({20})
Dr. Peter Ramsauer ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
stelle fest: Es ist gut, dass der demagogische Teil dieser
Debatte jetzt vorbei ist.
({0})
Herr Kollege Lafontaine, ich halte es angesichts der epochalen Herausforderung, in der unser Land steht, für absolut unpatriotisch, eine solche Rede zu halten.
({1})
- Dieses Gelächter zeigt, dass Sie mit Ihrem Vaterland,
mit Patriotismus und Verantwortung gegenüber dem eigenen Land nichts, aber auch gar nichts am Hut haben.
({2})
Herr Lafontaine, Sie werfen uns, der Regierung und
der Koalition, sträfliches und fahrlässiges Handeln vor.
({3})
Ich halte Ihnen entgegen: Sträflich und fahrlässig würde
in der gegenwärtigen Situation handeln, wer nicht handelt. Deswegen war es richtig, so beherzt anzupacken.
({4})
Herr Lafontaine, Sie versündigen sich, wenn Sie eine
Krise unserer Demokratie und unserer Wirtschafts- und
Sozialordnung herbeireden. Genau das Gegenteil ist der
Fall. Allein die Tatsache, dass in diesem demokratischen
System bei dieser Wirtschafts- und Sozialordnung so
zielgerichtet, intensiv und energisch angepackt und umgesetzt werden kann, zeigt, dass unsere Wirtschafts- und
Sozialordnung, unser demokratisches System und unser
Parlamentarismus handlungsfähig sind und in einer
schwierigen Situation verantwortlich handeln.
({5})
Wir alle können nur unseren Respekt ausdrücken: der
Regierung, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Michael Glos,
({6})
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und all denen, die
daran beteiligt waren, dass diese gewaltige Herausforderung so angepackt worden ist, wie sie angepackt worden
ist. Ich bin überzeugt, dass wir den Flächenbrand nicht
sich haben ausbreiten lassen und dass wir das Vertrauen
der Banken untereinander und vor allen Dingen zwischen den Banken einerseits sowie den Sparern und Kreditnehmern andererseits, die in dieser Situation häufig
vergessen werden, wieder herstellen.
Die Beschlüsse der G 7 vom Wochenende weisen den
richtigen Weg aus der Krise. Die Schritte, die wir jetzt
gehen, sind international abgestimmt. Aber sie sind
- auch das ist sehr wichtig - in nationaler Verantwortung. Ich glaube, dass die westlichen Industrienationen
damit zusammen, aber dennoch jeweils in nationaler
Verantwortung das Erforderliche tun.
Meine Fraktion begrüßt das im Entwurf des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes enthaltene Maßnahmenpaket.
Es gibt schlicht und einfach keine verantwortbare und
gangbare Alternative.
({7})
Aber ich unterstreiche natürlich genauso deutlich, dass
wir, das Parlament, unsere Rechte und Pflichten wahren
müssen. Ich möchte unsere Rolle als Parlamentarier ausdrücklich herausstreichen.
Ein funktionsfähiges Finanzsystem ist die unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende und leistungsfähige Marktwirtschaft. Ohne eine reibungslose
Versorgung mit Liquidität kann ein solches Wirtschaftssystem nicht funktionieren. Es droht ansonsten, was unser Wirtschaftsminister Michael Glos immer wieder herausstellt,
({8})
der Zusammenbruch der realen Wirtschaft. Dies ist übrigens ein Begriff, der durchaus tükkisch ist. Wenn es eine
reale Wirtschaft gibt, müsste es auch eine irreale Wirtschaft geben. Diesen Begriff möchte man, trotz aller
Versuchung, aber lieber nicht anwenden.
Wir begrüßen all diese Schritte. Im Einzelnen geht es
darum - um es auf einen Punkt zu bringen -, die Geldversorgung der Wirtschaft sicherzustellen, eine drohende
Kreditklemme zwischen den Banken auf dem Markt zu
verhindern und die Sicherheit der Einlagen, der Ersparnisse des kleinen Sparers oder Anteilseigners sicherzustellen.
Aus Sicht meiner Partei, die sich - ich betone das - in
ganz besonderer Weise dem Schutz des Eigentums verpflichtet fühlt, ist es ordnungspolitisch geboten, einen
großen Schirm, einen nationalen Schutzschirm aufzuspannen. Allein auf die Selbstheilungskräfte der Finanzmärkte zu setzen, könnte in der Tat fatale Folgen für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung haben.
({9})
Wenn das Vertrauen erst einmal erschüttert ist, wenn
Angst und Unsicherheit um sich greifen, wenn die Menschen Angst davor haben, dass ihr Notgroschen, ihr Erspartes, ihre Wertpapiere, ihre Einlagen, ihre Lebensversicherungen kaputtgehen, dann nimmt unser Land
allergrößten Schaden. Dann nimmt auch das politische
System Schaden. Deshalb konnte und kann die Politik
nicht tatenlos zusehen.
Ich glaube, dass wir in Deutschland ein weltweit vorbildliches, vielleicht kann man sogar sagen: einmaliges
Einlagensicherungssystem haben. Die Privatbanken verfügen über einen eigenen Einlagensicherungsfonds. Die
Genossenschaftsbanken und die Sparkassen haben ihrerseits ebenfalls interne Sicherheitsverbünde. Dennoch
wird sich die Politik Gedanken darüber machen müssen,
wie diese Sicherheitseinrichtungen so fortentwickelt werden können, dass die Banken gegen künftige Krisen besser gewappnet sind.
Frau Bundeskanzlerin, Ihre Patronatserklärung war
ein erster richtiger und unverzichtbarer Schritt, der sofort hervorragende Wirkung entfaltet hat.
({10})
Die Wirkung war, dass Deutschlands Bankkunden die
Schalter der Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht gestürmt haben. Das ist Gott sei Dank ausgeblieben. Was stattgefunden hat, war eine Umschichtung
zwischen verschiedenen Anlage- und Einlageformen. Es
wurde - das ist ganz klar - in risikoärmere Anlagen umgeschichtet. Ich glaube, dass diese besonnene Reaktion
unserer Bürgerinnen und Bürger zeigt, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, nennen wir sie einmal die Wirtschaftsbürger Deutschlands, die wirtschaftlichen Zusammenhänge entgegen anderen Befürchtungen durchaus gut
kennen. Weil das so ist, haben wir alle Chancen, das, was
wir in dieser Woche beschließen, hinreichend zu erklären.
Das müssen wir auch tun.
Bei dem vorliegenden Maßnahmenpaket - vielleicht
ist das eine Antwort auf das, was in der Vorrede poleDr. Peter Ramsauer
misch vorgetragen worden ist - geht es weder um eine
Sozialisierung irgendwelcher Verluste noch um die Verstaatlichung eines Wirtschaftssektors, was von der einen
Seite ordnungspolitisch beklagt und von der anderen
Seite aus ideologischen Motiven begrüßt wird. Es ist
keine Verstaatlichung, die Sie von der Linken sich vielleicht wünschen würden oder vorstellen könnten. Es
muss immer wieder unterstrichen werden, dass das, was
wir tun, zeitlich klar befristet ist. Im Gesetz steht klipp
und klar, dass die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen,
bis zum 31. Dezember des Jahres 2009 befristet sind.
Abhängig davon, wie weit wir eingreifen, wie weit wir
uns engagieren, eilen uns die Sicherungswirkungen der
Maßnahmen, die wir zu unseren Gunsten ergreifen, natürlich nach.
Allerdings müssen wir dabei - da brauchen wir ein
entsprechendes Berichts- und Monitoringsystem - immer wieder im Auge haben - Kollege Westerwelle, Sie
haben es eine Ausstiegsstrategie genannt; über den Begriff haben wir in ganz anderem Zusammenhang in der
vergangenen Woche diskutiert -, wie sich der Staat,
wenn seine Aufgabe hier getan ist, zurückzieht. Es geht
einzig und allein darum, die Stabilität des Systems zu sichern.
Bürgschaften für den Interbankenmarkt, die die Forderungen zwischen den Banken absichern, sind erforderlich, um das Vertrauen der Banken untereinander wieder
herzustellen und den Geldmarkt wieder flüssig zu machen. Wir brauchen die ins Auge gefassten staatlichen
Kapitalbeteiligungen mit strengen Auflagen und Vorgaben. Man muss ganz laut und deutlich betonen: keine
Leistung des Sondervermögens, des Fonds, ohne klare
Gegenleistung und ohne hinreichende Besicherung.
({11})
Ich weiß auch, dass viele der Eingriffe, die in Art. 1
§ 10 stehen, nach Meinung vieler schon sehr weit gehen.
Aber es schützt unsere Interessen. Es ist wichtig, dies
den Menschen draußen zu erklären, damit nicht der Vorwurf kommt: Man muss nur hinreichend groß sein, dann
darf man sich alles erlauben und der Staat hilft dann
schon,
({12})
und den Kleinen gewährt man solche Hilfen nicht. Nein,
wir helfen im Interesse des Großen und Ganzen, auch im
Interesse des Gemeinwohls in unserem Land. Aber im
Interesse des Steuerzahlers, des Staates und der öffentlichen Hände sichern wir uns hinreichend, in kaufmännisch und politisch verantwortbarer und richtiger Weise
ab.
({13})
Flexiblere Bilanzierungsvorschriften sollen verhindern, dass allein Bilanzbewertungen hohe Wertberichtigungen erforderlich machen, die eine Abwärtsspirale beschleunigen. Wir wollen also nicht irgendwelchen
gierigen Banken und Bankern aus ihrem Schlamassel
helfen, sondern wir wollen im Interesse des Großen und
Ganzen, des Gemeinwohls in unserem Lande die Probleme zugunsten aller meistern, zugunsten des kleinen
Sparers genauso wie zugunsten des unternehmerischen
Investors.
Das Mittelvolumen, ein Bürgschaftsrahmen in Höhe
von 400 Milliarden Euro und die Kreditermächtigung eines Sondervermögens bis zu 100 Milliarden Euro, klingt
natürlich ganz gewaltig. Noch einmal: Inwieweit sich
daraus tatsächliche Belastungen ergeben, kann heute niemand sagen. Aber wir sind durch unser Instrumentarium
hinreichend gewappnet. Theoretisch ist es möglich, dass
das Ganze am Ende als Nullsummenspiel ausgeht. Der
grundsätzliche Kurs der Haushaltskonsolidierung - auch
das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen - darf
natürlich niemals aufgegeben werden. Darum ist es richtig, dass wir dieses Sondervermögen unabhängig vom
Bundeshaushalt gestalten.
({14})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, und
zwar die Einwendung von einigen Bundesländern zu
der vorgesehenen Regelung, dass sich die Länder unter
dem Strich mit 35 Prozent beteiligen. Hier muss klargestellt werden: Nicht bei der Aufbringung der Lasten sind
die Länder beteiligt, sondern am Ende, also im Jahr 2010
oder 2011, wenn abgerechnet wird und mögliche endgültige Belastungen aufgeteilt werden.
Ich begrüße es sehr, dass die Länder klargestellt haben, dass sie grundsätzlich Ja zu diesem Paket sagen. Es
darf nicht so aussehen, als würden sich die Länder hier
einfach pauschal verweigern. Sie sagen ein klares Ja.
({15})
Aber wir müssen natürlich ernst nehmen - ich halte das
für eine beachtliche Einwendung vonseiten der Länder -,
dass diejenigen, die ihre große Aufgabe schon im Bereich von Landesbanken angepackt und eine hohe Last
auf sich genommen haben, hier anders zu behandeln
sind.
({16})
Was ändert sich? Wir müssen bei alldem auch dem
Publikum draußen deutlich machen, was sich konkret
ändert; allein darüber könnte man lange räsonieren.
Ein paar Bemerkungen dazu. Die staatliche Aufsicht
über die Finanzdienstleister, die Bankenaufsicht, muss
natürlich verbessert werden. Ich sage ganz offen: Wir
müssen uns auch anschauen, ob bei der BaFin alles so
bleiben kann, wie es derzeit ist.
({17})
Was soll sich eigentlich ein kleiner Gewerbetreibender, ein kleiner Unternehmer denken, der mit Fremdkapital investiert und Arbeitsplätze geschaffen hat und gegenüber seiner Hausbank oder gegenüber Förderbanken
jedes Jahr mehrmals einen Vermögensnachweis erbringen, sozusagen die letzte Hose herunterlassen und sich
kontrollieren lassen muss, wenn er beobachtet, dass gleich19364
zeitig in ganz großem Stil offensichtlich nicht so genau
hingeschaut wird?
({18})
Auch das müssen wir den Leuten erklären.
Ein weiterer Punkt ist die internationale Zusammenarbeit bei der Aufsicht und bei internationalen Geldströmen insgesamt. Dabei geht es auch um die Rolle der
Ratingagenturen, die heute schon angesprochen worden ist. Meine Damen und Herren, es geht nicht, dass
man als ein und dieselbe juristische Person gleichzeitig
Bonitätsprüfer und Anlageberater bzw. Produktentwickler ist. Das haut auf Dauer nicht hin.
({19})
Aufgrund dieser Doppelrolle haben sich die Ratingagenturen, was ihre Glaubwürdigkeit angeht, einen gewaltigen Bärendienst erwiesen.
Produktinnovationen kennzeichnen alle Wirtschaftssektoren, natürlich auch Banken. Deshalb mag die Verbriefung von Krediten zur besseren Streuung von Risiken geeignet sein. Aber sind die Ausgabe von und das
Handeln mit solchen Papieren nicht auch an eine hinreichend große Selbstverantwortung aller Marktteilnehmer
geknüpft? Ich denke, ja. Offensichtlich glaubten nicht
wenige Banker, sie hätten Edelmetalle erworben, was
sich aber als Schrott herausgestellt hat. Wer verbriefte
Papiere erwirbt, der muss darauf achten, dass das, was
draufsteht, auch drin ist.
({20})
Den leichtfertigen Systemkritikern möchte ich sagen:
Die seit nunmehr einem Jahr anhaltende Finanzmarktkrise kann nicht dem Konzept einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angelastet werden.
Noch einmal: Es handelt sich nicht um ein Versagen der
sozialen Marktwirtschaft, meine Damen und Herren.
({21})
Man muss sich nur einmal anschauen, woher die Finanzmarktkrise kommt: aus einem Land, in dem keine Mechanismen und Grundideen der sozialen Marktwirtschaft
vorhanden sind und waren. Diese Krise ist eine Folge
der Verletzung der Spielregeln
({22})
und der ethischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft.
Statt seriöse Bankgeschäfte zu tätigen, wurde der
Blick einseitig auf die Entwicklung der Aktienkurse gerichtet. Es wurde spekuliert und auf kurzfristige Gewinnmaximierung gesetzt, zum Teil bewusst vorgespiegelt. Es stellt sich die Frage: Wo ist der ShareholderValue geblieben? Viele, die dieser Schimäre hinterhergerannt sind und sich haben locken lassen,
({23})
blicken jetzt entsetzt auf das, was von den Verantwortlichen - manche von ihnen kann man als Rattenfänger bezeichnen - als Scherbengericht hinterlassen wurde.
({24})
Solche exzessiven Entwicklungen haben das Vertrauen
der Menschen unterminiert.
Eine Bemerkung zum Schluss, auch an diejenigen,
die sich jetzt hilfesuchend an uns gewandt haben: Es
geht nicht, dass die Politik diese schwierige Arbeit, diese
Schmutzarbeit macht, dass aber der gesamte führende
Bankensektor, also diejenigen, für die wir das vor allem
tun, auf publizistischer und kommunikativer Tauchstation ist. Das geht nicht!
({25})
Ich ersuche den Bankensektor, sich an dieser schwierigen Kommunikationsaufgabe zu beteiligen.
({26})
Diejenigen, die diese Situation mit verursacht haben,
sollten nicht so tun, als sei es die selbstverständliche
Aufgabe der Politik, die Dinge wieder zu richten.
({27})
Da ich gerade beim Thema Banken bin: Ich warne davor, jetzt irgendwelche Mitnahmeeffekte zu realisieren;
der eine oder andere in der Hochfinanz könnte nämlich
auf die Idee kommen, seinen eigenen Status so zu gestalten, dass er Ansprüche am Sondervermögen hat. Solche
Mitnahmeeffekte dürfen und werden wir nicht zulassen.
Es wird - das ist das Gute - keinen Rechtsanspruch im
Einzelnen geben, sondern wir werden im Rahmen einer
Einzelfallprüfung sehr genau prüfen, ob ein solcher Einsatz des Fonds erforderlich ist.
Herr Ramsauer, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich sehe das. - Zum Schluss will ich noch etwas Positives sagen: Durch solche Krisen wie die jetzige werden
auch die Stärken unseres Bankensystems in Deutschland aufgezeigt; manches, für das wir auch in den letzten
Jahren international immer mehr belächelt worden sind,
nämlich die Genossenschaftsbanken und Sparkassen.
Darum werden wir jetzt regelrecht beneidet.
({0})
Diese Sektoren erweisen sich als eine großartige
Stärke und ein großartiges Rückgrat unserer Wirtschaft
und unseres Finanzwesens in Deutschland. Um es auf
den Punkt zu bringen: Das lassen wir uns deshalb von
der Europäischen Kommission auch nicht streitig machen.
Vielen herzlichen Dank.
({1})
Der nächste Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Ramsauer, den größten Gefallen, den ich
Ihnen jetzt tun kann, ist, dass ich mich nicht ausführlich
mit Ihrem Herrn Glos beschäftige;
({0})
denn ein Wirtschaftsminister, der noch vor einem Jahr
hier in diesem Hause gesagt hat, es gebe keinerlei Auswirkungen der Banken- und Immobilienkrise auf die
deutsche Wirtschaft, und jetzt, am Beginn einer Rezession, wie eine Schlaftablette auf zwei Beinen durch die
politische Landschaft irrt, ist wirklich keiner weiteren
Erwähnung wert.
({1})
Frau Bundeskanzlerin, ich möchte kurz sagen: Wir
haben der Fristverkürzung zugestimmt, weil wir es für
richtig halten, dass es in den einzelnen Nationalstaaten
Europas, also auch in Deutschland, ein Rettungspaket
etwa in der vorgesehenen Größenordnung gibt, weil die
systemische Krise in unserem Finanzsektor und natürlich auch im Hinblick auf die Arbeitsplätze andernfalls
zu groß würde. Das war der Grund, weshalb wir bei den
Fristen zugestimmt haben.
Wir haben also nicht um das Ob zu streiten, aber wir
haben sehr wohl um das Wie zu streiten. Im Unterschied
zur Linkspartei, die dazu gar nichts gesagt hat, finden
wir die Art, wie Sie dieses Rettungspaket aufgelegt haben, verkehrt. Ich will darstellen, an welchen Stellen es
dringend nachgebessert werden muss. Damit will ich sagen, dass es immer Alternativen gibt. Der Satz, den Sie
in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben und der
jetzt immer durch die politische Landschaft geistert, dass
es dazu keine Alternativen gibt, ist natürlich falsch. Man
kann ein Rettungspaket an entscheidenden Punkten vollständig anders gestalten. Dazu einige Bemerkungen.
({2})
Erster Punkt. Bisher ist vielen nicht aufgefallen, dass
die private Seite nicht wirklich in Anspruch genommen
wird. Der Finanzminister hat vorhin das Beispiel Schweden genannt. 1992 hätten die Schweden mit einem ähnlichen Paket ihre damalige Bankenkrise bewältigt. Ich
kann nur sagen: In einem entscheidenden Detail stimmt
das nicht. Die Schweden verfolgten damals das Prinzip:
bleed the shareholders first. Das heißt, die Shareholder,
die Aktieninhaber, mussten mit dem Wert ihrer alten Aktien einen Teilbeitrag zur Bewältigung der Liquiditätsund sonstigen Probleme der Banken leisten, bevor der
Staat geholfen hat.
Das ist ein wichtiger Punkt. Warum erwähne ich das? Viele der leitenden Angestellten, der Bankmanager, haben heute wesentliche Teile ihres Privatvermögens per
Aktien in dem eigenen Institut angelegt. So sah ja die
Honorarbasis aus. Deswegen will ich die Frage stellen:
Warum nehmt ihr diejenigen, die den Schaden mit angerichtet haben, nicht zuerst in die Verantwortung, ehe der
Staat einspringt?
({3})
Die Herbstgutachter haben Ihr Paket gestern übrigens
nicht nur gelobt, sondern sie haben auch gesagt, dass die
Gläubiger bei Banken zuerst in Anspruch genommen
werden sollten. Davon steht in Ihrem Gesetzentwurf
nichts.
Damit komme ich zum wichtigsten Punkt, der für uns
wirklich entscheidend ist. Sie haben durch die Art und
Weise, wie Sie das Gesetz gestrickt haben - übrigens im
Unterschied zu dem, was im angelsächsischen Raum gemacht wird -, Ihre Angst vor einer effektiven Teilverstaatlichung und vor tatsächlicher staatlicher Kontrolle
verwirklicht. Ich glaube nicht, dass der Staat bei den vielen Kann-Regelungen und Verordnungen, die erlassen
werden können oder auch nicht, tatsächlich effektiven
Einfluss auf die Banken ausübt, denen er jetzt mit Milliardenbeträgen hilft. Das ist ein Strukturfehler Ihres Gesetzentwurfs, den wir Ihnen nicht durchgehen lassen
können.
({4})
Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen, weil manche das Kleingedruckte offensichtlich nicht gelesen haben. Sie sagen an mehreren Stellen: Für dieses Gesetz
gilt die Bundeshaushaltsordnung an entscheidenden
Punkten nicht. So soll zum Beispiel § 65 der Bundeshaushaltsordnung nicht gelten. Dort heißt es - das muss
man sich noch einmal anschauen -, dass Beteiligungen
des Bundes an privatrechtlichen Unternehmen - darum
geht es ja bei der Rekapitalisierung - nur dann möglich
sind, wenn - so § 65 Abs. 1 Nr. 3 der Bund einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat oder in einem entsprechenden
Überwachungsorgan erhält.
Diese Regelung der Bundeshaushaltsordnung wird,
wenn Sie am Freitag dem Gesetz zustimmen, außer
Kraft gesetzt. Es kann doch nicht wahr sein, dass man
den Banken Geld gibt, aber den staatlichen Einfluss per
Gesetz außer Kraft setzt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Deshalb werden wir heute im Haushaltsausschuss
konkrete Anträge stellen, die den staatlichen Einfluss
und den parlamentarischen Einfluss - darauf komme ich
nachher noch zu sprechen - effektivieren.
Damit wir uns, Frau Bundeskanzlerin, richtig verstehen: Wir geben Milliardenbeträge in Finanzinstitute, die
heute noch unter den Regeln des alten Finanzmarkts arbeiten. Was wir alle hier diskutieren - Ratingagenturen
verbessern, Eigenkapitalausstattung verbessern und so
weiter - und worüber es viel Einigkeit gibt, ist nicht geltendes Recht, sondern es wird international gerade diskutiert. Wer weiß denn, wann das kommt? Also schieben
wir Geld in Bankinstitute, die nach altem Recht, nach
den alten Spekulationsmöglichkeiten agieren. Deswegen
sagen wir: Es muss mehr staatliche Aufsicht, es müssen
mehr Einflussmöglichkeiten des Staates her, als Sie es
insgesamt bisher vorgesehen haben.
({6})
Ich will noch einen Punkt nennen, der auch scheinbar
das Kleingedruckte betrifft. Aber es lohnt sich einfach,
international hinzuschauen und zu gucken, was in anderen Ländern los ist. Wenn in den USA Rekapitalisierung betrieben wird, der Staat also mit Anteilen bei einer Bank einsteigt, dann wird dort im Rahmen des
Fonds, der gegründet wurde, definiert, zu welchen Bedingungen der Staat dort einsteigt. Dort ist zum Beispiel
definiert: 5 Prozent Verzinsung, Wandelanleihen mit
verschiedenen Regularitäten. In den USA definiert der
Staat, wie er einsteigt.
Wie sieht es der Gesetzentwurf vor, den Sie heute
vorgelegt haben, Herr Finanzminister und Frau Merkel?
Bei uns wird explizit festgelegt, dass die Altaktionäre
bestimmen, zu welchen Bedingungen und zu welchem
Kurs der Staat sich beteiligt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf machen wir den
Bock zum Gärtner, indem die Betreffenden noch sagen
können, wie ihnen geholfen werden soll. Ganz anders ist
es in den angelsächsischen Ländern, in denen der Staat
hergeht und sagt: Wenn wir schon helfen, dann müssen
wir auch sagen, zu welchen Bedingungen geholfen wird.
An der Stelle ist Ihr Gesetzentwurf - ich sage das so
drastisch - wirklich Murks, weil er auf staatliche Einflussnahme im Konkreten verzichtet. Ich kann nicht
nachvollziehen, wie die Kolleginnen und Kollegen der
Großen Koalition dies bisher wahrgenommen haben;
denn ich habe von Ihnen in der Öffentlichkeit keine
Stimmen gehört, dass wir dies ablehnen sollten.
Letzter Punkt, den ich ansprechen möchte. Der Gesetzentwurf ist ein Blankoscheck für die Regierung, mit
dem das Parlament sein Haushaltsrecht - immerhin das
Königsrecht des Parlaments - aus der Hand gibt. Wenn
das kommt, was Sie an dieser Stelle wollen, dann wird
am Freitag beschlossen, dass nach dem Schlüssel, der im
Gesetz festgelegt ist, über 100 Milliarden Euro verfügt
werden kann. Aber es gibt im Laufe der Etappe keinerlei
parlamentarische Kontrolle, auch nicht im Haushaltsausschuss, ob die Mittel richtig verwendet werden.
({7})
Der Haushaltsausschuss kann einmal im halben Jahr informiert werden. Aber es gibt keinerlei parlamentarische
Kontrolle.
({8})
Ich sage für meine Fraktion: So leicht geben wir das
Königsrecht des Parlaments nicht aus der Hand.
({9})
Deswegen beantragen wir, Herr Kampeter, dass bei einer
Rekapitalisierung in Höhe von mehr als 50 Millionen
Euro nicht einfach durch Verordnung des Ministers
agiert wird, sondern dass der Haushaltsausschuss informiert werden muss und entscheiden muss, ob dies richtig
ist oder nicht. Was seid ihr für Parlamentarier, wenn ihr
dies alles aus der Hand gebt? Das wird es mit uns nicht
geben.
Vielen Dank.
({10})
Der Kollege Carsten Schneider hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wahrscheinlich wird irgendwann in der historischen Betrachtung das Gesetz, über dessen Entwurf wir
heute in erster Lesung beraten, als Zeitenwende dahin
gehend angesehen werden, dass ein ungezügelter Kapitalismus, der nur sich selbst vertraut, zu Ende gegangen
ist und der Staat zurück ist. Das bedeutet nicht, staatsgläubig zu sein. Der Staat nimmt vielmehr als Akteur
seine Aufgaben stärker wahr. Herr Westerwelle, ich
nehme erfreut zur Kenntnis, dass auch Sie das so dargelegt haben, zumindest was die Regeln betrifft. Ich weise
für meine Fraktion allerdings den Begriff der Not-Verordnung, den Sie verwendet haben, entschieden zurück.
({0})
Das ist ein in historischer Hinsicht verbrannter Begriff in
Deutschland, der auch nicht zutrifft.
Herr Kuhn, Sie haben schon verschiedene Änderungsvorschläge gemacht und uns kritisiert, weil Sie
noch nichts gehört hätten. Warten Sie es ab! Wir beraten
heute in erster Lesung zusammen mit dem Finanzausschuss ausführlich über den Gesetzentwurf. Sie können
uns glauben, dass auch uns als Parlamentarier die parlamentarische Mitbestimmung und Kontrolle enorm wichtig sind.
({1})
Carsten Schneider ({2})
Die Bundesregierung hat Möglichkeiten zur Unterrichtung nicht nur des Haushaltsausschusses, sondern auch
des Bundesfinanzierungsgremiums unverzüglich zugesagt; das ist Teil des Gesetzes. Wir werden darüber nachdenken, ob dies ausreicht oder ob das noch verschärft
werden muss.
({3})
Ich vertraue im Kern nicht nur dem Krisenmanagement des Bundesfinanzministers in den vergangenen Tagen und Wochen - ich danke ihm und insbesondere seinen Mitarbeitern; das war gut für unser Land -, sondern
auch dem Fachwissen des Finanzministeriums über Abwicklung und Befugnisse, bei welcher Bank auch immer
man sich beteiligen wird. Darin will ich mich als Parlamentarier auch gar nicht einmischen. Wir müssen kontrollieren und Maßgaben machen. Deswegen bin ich der
Auffassung, dass wir möglichst vor der zweiten und dritten Lesung über die sieben Rechtsverordnungen, die das
Gesetz konkretisieren werden, in groben Zügen Kenntnis erlangen sollten, damit wir wissen, worüber wir entscheiden.
Die Parlamentsbeteiligung habe ich bereits angesprochen. Wir unterstützen grundsätzlich das Ziel des
Gesetzes, die Banken teilweise zu verstaatlichen. Wir
werden uns die Instrumente genau anschauen müssen.
({4})
- Herr Kampeter, Sie können die Verstaatlichung ruhig
Rekapitalisierung nennen. Im Kern bedeutet das aber
nichts anderes, als dass der Staat zurück ist. Wenn es in
dieser Zeit einen Anker gibt, dann ist es der Staat, den
wir vertreten und schützen müssen.
Ich habe mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen
müssen, dass Frau Bundeskanzlerin ein Expertengremium einberufen will, dessen Vorsitzender der ehemalige Bundesbankpräsident Tietmeyer sein soll. Er war
bzw. ist sogar noch Mitglied des Aufsichtsrates der
Hypo Real Estate, also der Bank, die wir vor rund zwei
Wochen gerettet haben. Der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende mussten zurücktreten. Was weiß der
Aufsichtsratsvorsitzende mehr als ein normales Aufsichtsratsmitglied? Daher sage ich Ihnen klar: Meine
Fraktion trägt diese Personalie nicht mit. Hier wird der
Bock zum Gärtner gemacht.
({5})
Ein Punkt wurde noch nicht angesprochen. Wir alle
hoffen, dass der Fonds nicht so stark in Anspruch genommen wird, dass er am Ende einen negativen Saldo
aufweist, sondern dass er sich - genauso wie es in
Schweden der Fall war - fast refinanziert.
Sollte es aber dazu kommen, dass der Fonds am Ende
mit einem Minus abschließt, dann stellt sich die Frage,
wer zahlt. Bis jetzt ist vorgesehen, dass die Allgemeinheit zahlt. Es ist noch umstritten, ob und welche Anteile
Bund und Länder zahlen. Ich finde, auch die Länder stehen in der Verantwortung. Es kann nicht immer nur der
Bund eingreifen. Die Länder dürfen sich in dieser
schwierigen Situation nicht vom Acker machen. Ein solches Verhalten würde den Föderalismus in seinen
Grundfesten erschüttern.
({6})
Es kann auch nicht sein, dass wir ein Spezialpaket für
eine Branche schnüren - es ist sehr wichtig, diese am
Leben zu erhalten; denn sie stellt den Blutkreislauf unserer Wirtschaft dar -, diese Branche aber kein Sonderopfer bringt. Auch die Banken werden wieder gutes
Geld verdienen. Sogar in Krisen wird Geld verdient.
Wenn sich die Lage in den nächsten Jahren wieder konsolidiert hat und die Banken wieder mehr Geld verdienen, dann muss diese Branche langfristig überproportional zur Refinanzierung dieses Fonds beitragen. Die
Refinanzierung kann nicht aus den Steuergeldern der
Kindergärtnerinnen oder Polizisten erfolgen, sondern
dazu muss diese Branche beitragen.
({7})
Wir als SPD-Fraktion werden mit diesem Ziel in die Verhandlungen gehen, und ich hoffe, dass uns die Unionsfraktion hierbei unterstützt.
Wir haben bewegte Zeiten hinter uns, wir haben aber
auch noch aufregende Tage und Wochen vor uns. Wir
werden dieses Gesetz heute und morgen sehr sorgfältig
beraten. Wir werden sicherstellen, dass die Parlamentsrechte gewahrt werden
({8})
und dass auch die Einflussmöglichkeiten gewährleistet
sind. Wenn wir uns bei einer Bank beteiligen, müssen
wir - das ist im Gesetzentwurf vorgesehen - Einfluss auf
das Management und die Geschäftspolitik nehmen können. Ich bin in dieser Beziehung guter Dinge. Wir sind
allerdings auch für Vorschläge der Opposition offen. Von
den Grünen habe ich heute einige hilfreiche Vorschläge
gehört. Ich denke, wir werden uns einig werden.
Vielen Dank.
({9})
Der Kollege Otto Fricke spricht jetzt für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns doch am Anfang über jemanden
reden, über den heute noch nicht geredet worden ist,
nämlich über den Bürger.
({0})
Wir alle haben in den letzten Tagen und Wochen sehr
viele Gespräche mit unseren Wählern geführt. Es ist
doch bemerkenswert, wie viel Angst die Bürger haben.
Den Bürgern gebührt - das sollte man einmal deutlich
sagen - Lob dafür, dass sie sich trotz dieser Finanzkrise
bisher so vernünftig verhalten haben. Auch das sollten
wir hier einmal festhalten, und wir sollten darum bitten,
dass sie sich weiterhin so verhalten.
({1})
Es geht um die Verantwortung, die wir als Politik haben und die wir wahrnehmen wollen, es geht aber auch
darum, Vertrauen zu schaffen. In der letzten Zeit ist einiges Vertrauen durch Kommunikationsfehler kaputtgemacht worden. Lassen Sie uns bitte an der Wiederherstellung des Vertrauens arbeiten, gerade vonseiten der
Regierung, aber auch vonseiten der Koalitionsfraktionen. Soeben haben wir die Aussage über Herrn
Tietmeyer gehört. Wir dürfen nicht schon wieder neue
Kommunikationsprobleme erzeugen, sodass sich der
Bürger fragt, was wir eigentlich wollen. Das muss bis
Freitag ein Ende haben. Dann muss ein Ergebnis vorliegen, das wirklich ein Rettungspaket ist. Alles andere
wäre für diesen Staat nicht richtig;
({2})
denn sonst würde ein wichtiger Pfeiler unseres Gemeinwesens, nämlich die soziale Marktwirtschaft, die der
wichtigste Pfeiler in unserem Wirtschaftssystem ist, zerstört. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen; denn
sonst würde unsere Demokratie wirklich gefährdet werden.
({3})
Aber was Sie, Herr Lafontaine, hier mit Empörung
gesagt haben, ist der Versuch, Klassenkampf zu propagieren. Sie sagten, dass dann, wenn bei der Rente und
bei Hartz IV nicht so entschieden wird, wie Sie es wollen, hier keine Demokratie sei. Das ist unverantwortlich.
({4})
So etwas kann man nicht machen. Demokratie heißt,
dass die Mehrheit entscheidet. Wenn dem so ist, dann
muss man die Entscheidung hinnehmen. Man kann nicht
dann, wenn einem die Entscheidung nicht passt, sagen,
das sei keine Demokratie. So können Sie hier in diesem
Parlament nicht reden.
({5})
Sie, Herr Lafontaine, sagen, dieses Paket würde für jemanden geschaffen. Dieses Paket wird geschaffen, um
den Grundpfeiler, die soziale Marktwirtschaft, zu erhalten. Es wird geschaffen, damit für Rentner, Hartz-IVEmpfänger und die Schwachen in unserer Gesellschaft
ausreichend Geld da ist. Nichts anderes ist der Grund,
warum wir das tun.
({6})
Die FDP begrüßt ausdrücklich, dass es eine internationale Koordination gegeben hat. Das ist nicht schlecht
gewesen, Herr Minister. Sie hätten die Maßnahmen aber
auch mit dem Bundesrat - die Bank ist jetzt wieder leer besser koordinieren müssen. Da besteht noch Unklarheit.
Auch in dieser Beziehung hätten Sie mehr tun können.
({7})
Ich will aber auch den Ländern - wir haben gesehen,
welche Vertreter der Länder in einer solch entscheidenden Phase hier sind; es sind nur noch wenige hier - klar
sagen: Die Länder erhalten über 50 Prozent der Steuereinnahmen. Wenn für die Länder gilt, dass sie beim Haben dabei sind, dann gilt für die Länder auch, dass sie
beim Soll dabei sind. Das müssen die Länder klar sehen.
({8})
Über den Umgang mit dem Parlament ist viel gesagt
worden. Ich hoffe, dass die Äußerungen des Kollegen
Schneider nach dieser Sitzung im Haushaltsausschuss
den entsprechenden Erfolg haben.
Der Umgang mit der Bundesbank, liebe Bundesregierung, scheint mir allerdings doch etwas zweifelhaft
zu sein. Sie im Rahmen dieses Verfahrens teilweise sogar unter Rechtsaufsicht zu stellen, ist nach meiner Meinung mit einer unabhängigen Bundesbank nicht möglich. Die FDP wird sich dagegen wehren, dieses Gesetz
dafür zu nutzen, diese Unabhängigkeit hier auch nur zu
einem kleinen Teil anzukratzen.
({9})
Im Übrigen ist auch die Frage des Insolvenzrechts
- die Justizministerin ist ebenfalls nicht mehr anwesend nicht ganz klar. Hier mit einem Wisch das Insolvenzrecht auf Dauer nur deshalb zu ändern, um sich irgendwo an etwas anzupassen, wäre unverantwortlich.
Wir können gern über eine Befristung diskutieren. Aber
jetzt diese Gelegenheit zu nutzen, auch noch beim Insolvenzrecht in eine Richtung zu gehen, die für den Standort unverantwortlich ist, macht die FDP auf keinen Fall
mit.
({10})
Herr Minister, Sie haben gesagt - das stimmt -, seit
der Insolvenz von Lehman sei alles anders. Aber wie
haben Sie sich denn nach der Lehman-Insolvenz, die am
Montag, dem 15. September bekannt wurde, am 16. September verhalten? Da haben Sie doch nicht gesagt, es sei
ein Fehler gewesen, dass Lehman „pleitegegangen worden“ ist, sondern Sie haben gesagt: Das ist halt so, da
seht ihr mal, die Amerikaner. Man muss also auch sehen,
dass an dieser Stelle vonseiten der Regierung keine richtige Reaktion stattgefunden hat. Vielmehr hat man sich
erst einmal gefreut, dass die Amerikaner den Mist haben,
den sie von den Wurzeln her selber herbeigeführt haben.
Von Ihnen war es jedenfalls nicht die richtige Reaktion.
({11})
Zur Aufgabe der Konsolidierungsziele, Herr Minister, Frau Bundeskanzlerin: Ich halte es schon für sehr bemerkenswert, dass man ohne Not aufgibt, was der MinisOtto Fricke
ter in einem Interview mit Herrn Müller-Vogg gesagt
hat:
Unser Etatziel eines ausgeglichenen Haushalts verlieren wir nicht aus den Augen - auch wenn es jetzt
länger dauern dürfte.
Sie kommen mir wie ein Wanderer vor, der vor sich einen Berg sieht - die Neuverschuldung abzubauen, ist
wie die Besteigung eines steilen Berges - und sagt, er
verliere den Berg nicht aus den Augen, gehe aber um ihn
herum. Das ist nichts anderes als das, was Sie hier ankündigen. Sie wissen genau, dass dazwischen eine Bundestagswahl stattfinden wird. Deswegen ist das im Moment nur weiße Salbe, die allerdings die Minister hinter
Ihnen ermutigt, im Rahmen von Beratungen und von
Pressearbeit immer wieder neue schöne Geschenke zu
versprechen. Das darf nicht passieren, und ich erwarte,
dass dem in den nächsten Wochen Einhalt geboten wird.
({12})
Schließlich zu der von uns angesprochenen und kritisierten Exit-Strategie: Bei der IKB, liebe Kolleginnen
und Kollegen, haben wir gelernt, dass der Bund Verluste
in Milliardenbeträgen hat, wenn er sich dauerhaft als
Banker versucht. Dann sollten wir bitte, liebe Koalition,
liebe Bundesregierung, denselben Fehler nicht noch einmal machen und auch nicht solchen Leuten wie Herrn
Lafontaine im Verwaltungsrat der KfW die Möglichkeit
geben, so etwas noch länger durchsetzen zu wollen.
({13})
Wir müssen wissen, wann und unter welchen wirtschaftlichen Bedingungen wir aus den Banken herauskommen werden. Dies kann nicht einer Regierung überlassen werden.
Meine Damen und Herren, der Staat als Banker wäre
etwas völlig Falsches für unsere soziale Marktwirtschaft,
die die Starken fördert, aber nicht als Selbstzweck, sondern um den Schwachen in unserer Gesellschaft zu helfen. Dies wird unsere Aufgabe sein. Lassen Sie uns dies
bis Freitag anpacken. Die FDP wird das Verfahren unterstützen, in der Sache weiter kritisch sein, aber auch hoffen, dass wir für die Bürger das erreichen, was sie in diesem Lande von der Regierung und dem Parlament
erwarten können.
Herzlichen Dank.
({14})
Der Kollege Dr. Michael Meister hat jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen in dieser Woche als Deutscher Bundestag vor der
größten Herausforderung seit 1989/90, als wir die Frage
zu beraten hatten, wie wir die deutsche Einheit realisieren. Für diese Aufgabe gibt es keine Blaupause. Niemand weiß, wie wir diese Krise bewältigen können, weil
es eine Krise in dieser Form bisher nicht gegeben hat.
Deshalb bringe ich zu Beginn meine Hochachtung dafür
zum Ausdruck, mit welchem Format die Bundesregierung in dieser Krise agiert, und versichere ihr die volle
Unterstützung meiner Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sollten ein Stück weit
vorsichtig sein, was zu viel Selbstgewissheit angeht.
Gleichwohl müssen wir auf der Basis der uns verfügbaren Informationen versuchen, zu verhindern, dass sich
die Krise weiter verstärkt. Daher sage ich hier in aller
Deutlichkeit: Wir als Deutscher Bundestag stehen in dieser Woche ebenfalls in Verantwortung. Es ist die Woche
der Verantwortungsträger. Es ist nicht die Woche der Demagogen.
({1})
Kollege Lafontaine hat vorhin darauf hingewiesen,
dass eine Ursache der Krise zu viel Liquidität auf den
internationalen Märkten ist. Ja, das ist eine Ursache.
Aber die Ursache für diese Liquidität ist, dass in den
USA über lange Zeit eine Politik billigen Geldes mit einem zu niedrigen Zinsniveau der Zentralbank gemacht
worden ist. Diejenigen, die heute im Sinne einer Krisenbewältigung ein künstlich niedriges Zinsniveau fordern,
sorgen folglich dafür, dass wieder zu viel Liquidität auf
dem Markt ist, womit das Fundament für die nächste
Krise gelegt ist. Ihre Ursachenbetrachtung ist richtig,
Herr Lafontaine. Aber Ihre Schlussfolgerung geht völlig
in die Irre.
({2})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Ausgangspunkt für die Krise war die Entwicklung auf den
Immobilienmärkten in den USA. Das war das längste
Konjunkturprogramm eines großen Industrielandes, das
es jemals gab. Dieses riesige Konjunkturprogramm hat
das ausgelöst, was wir hier diskutieren. Deshalb möchte
ich alle dringend warnen, zu glauben, dass wir mit wie
auch immer gearteten Konjunkturprogrammen aus der
aktuellen Krise herauskommen.
({3})
Was wir brauchen, ist ein Nachdenken über die richtigen
Strukturen. An dieser Baustelle sollten wir tätig werden.
({4})
Wir haben bisher versucht - ich nenne die Beispiele
IKB und Hypo Real Estate -, die Probleme dort, wo sie
auftraten - das kann man auch auf die Sachsen-LB beziehen -, zu lösen und zu vermeiden, dass solche Fälle
systematisch in den Finanzsektor hineinwirken. Wir stehen heute vor einer Änderung. Wir versuchen nicht
mehr, im Nachhinein zu handeln, sondern wir machen
jetzt den ersten Schritt zur Prävention. Deshalb ist das,
was wir heute diskutieren, ein anderer Ansatz.
Der erste Schritt war die Patronatserklärung für die
Privatanleger. Ich will ausdrücklich sagen: Ich halte das
für richtig, weil es ein Beitrag dazu ist, Vertrauen zu
schaffen und der Bevölkerung die Ängste zu nehmen.
({5})
Der zweite Schritt ist die Frage: Wie schaffen wir
neues Vertrauen unter den Finanzakteuren? Wir haben
seit über einem Jahr dafür geworben, dass dieses neue
Vertrauen entsteht, und waren der Meinung, dass dies
über Offenheit und Transparenz der Akteure selbst zu erreichen ist. Wir haben sie immer wieder gemahnt, deutlich zu machen, wo bei ihnen selbst die Probleme sind,
um durch Offenheit untereinander dazu zu kommen,
dass neues Vertrauen entsteht. Wir müssen leider feststellen, dass dies nicht gelungen ist. Die Akteure haben
in den vergangenen zwölf Monaten ihre Verantwortung
leider nur unzureichend wahrgenommen. Deshalb stehen
wir als Staat als Letzter in der Verantwortung, zu versuchen, dieses neue Vertrauen zu schaffen. Dafür dient das
Paket, über das wir heute diskutieren. Ich hoffe - dazu
sollten wir alle unseren Beitrag leisten -, dass diese
Möglichkeit erfolgreich ist, um das Fundament für neues
Vertrauen zu legen.
({6})
Vertrauen ist die Währung, in der wir zahlen. Deshalb
müssen wir sehen, dass dieser Schritt gelingt. Ich will
hier nicht die drei Stufen dieses Pakets noch einmal erläutern; das ist heute Morgen schon geschehen. Ich will
aber darauf hinweisen, dass das wichtigste und erste Element die Garantieerklärung ist. Das ist etwas ganz anderes als das, was in den USA mit dem Versuch geschieht, Wertpapiere am Markt aufzukaufen. Wir hoffen,
dass die Garantien als Garantie in Anspruch genommen
werden. Wir hoffen aber nicht, dass die Risiken, die hinter diesen Garantien stehen, tatsächlich eintreten. Vielmehr hoffen wir, durch die Garantieerklärung das Eintreten der Risiken abzuwenden. Deshalb halte ich es für
richtig, dass wir diesen Schritt tun, weil er hoffentlich
dazu führt, größeren Schaden abzuwenden.
Ein anderes Thema ist die Eigenkapitalausstattung.
Ich bin sehr wohl der Meinung, dass das Prinzip, das
hier angesprochen worden ist, richtig ist. Sowohl die
Hilfe bei den Garantieerklärungen wie auch die Hilfe bei
der Eigenkapitalausstattung kann es nur unter zwei Bedingungen geben. Die erste Bedingung ist: Es geht nicht
kostenfrei. Wer Hilfe in Anspruch nimmt, muss dafür
eine Gegenleistung erbringen. Die zweite Bedingung ist:
Er muss es sich gefallen lassen, dass er nur noch konditioniert tätig werden kann.
An dieser Stelle müssen wir in der Debatte ein bisschen aufpassen. Ich glaube, in der öffentlichen Wahrnehmung werden diejenigen, die als Akteure tätig sind und
keine Hilfe in Anspruch nehmen, mit denjenigen in einen Topf geworfen, die Hilfe in Anspruch nehmen. Die
erstgenannten Akteure können ihre Geschäftsmodelle so
entwickeln, wie sie wollen; für sie gibt es keine Auflagen. Aber von demjenigen, der darum bittet, dass ihm
mit Steuergroschen, mit dem Euro des Steuerzahlers, geholfen wird, können wir auch verlangen, dass mit diesem
Geld ordentlich umgegangen wird; denn wir sind diejenigen, die für des Steuerzahlers Geld verantwortlich
sind.
({7})
Deshalb muss es an dieser Stelle Vorgaben geben, und
deshalb müssen wir versuchen, deutlich zu machen, dass
wir auf die Verwendung aufpassen.
Ich verweise darauf, wie in den USA dem großen Versicherer AIG geholfen wurde: Ihm flossen hohe, zweistellige Milliardenbeträge zu; mittlerweile wurde weiteres
Geld nachgeschossen. Es wird berichtet, dass Verantwortliche dieses Unternehmens anschließend Luxusreisen unternommen haben. Das ist nicht vermittelbar. Das zeigt,
dass es dazu bei uns nicht kommen darf. Deshalb müssen
Guidelines und Konditionen geschaffen werden, und
zwar nicht erst dann, wenn es passiert ist, sondern jetzt, in
der Gesetzgebung, muss darauf geachtet werden.
({8})
Es wird der Punkt „zeitliche Befristung“ angesprochen. Ich halte es für richtig, dass wir eine zeitliche Befristung zum 31. Dezember 2009 einführen. Die Vertrauensbildung wird hoffentlich irgendwann erfolgt sein, und
der Markt kann dann wieder selbsttragend tätig sein. Wir
müssen aber auch hier in der Kommunikation deutlich
machen: Der 31. Dezember 2009 ist ein Zeitpunkt, von
dem wir hoffen, dass der Fonds und die Garantie dann
nicht mehr in Anspruch genommen werden. Das ist nicht
der Tag, an dem der Fonds abgewickelt sein muss. Ich
rate uns dringend dazu, dass wir uns für den zweiten Teil
die notwendige Zeit und Muße nehmen, aus diesem
Fonds herauszugehen und bitte auch hier mit dem Geld
des Steuerzahlers verantwortlich, in Ruhe und Gelassenheit umzugehen, um den Schaden möglichst klein zu
halten bzw. den Erfolg für uns möglichst zu optimieren.
Deshalb: Ja zur Begrenzung des Fonds auf das Datum
31. Dezember 2009, aber das Herausgehen in aller Ruhe
und Gelassenheit und verantwortlich in der Sache.
({9})
Wir müssen an dieser Stelle aufpassen - ich sage ein
ausdrückliches Dankeschön -, dass neben der Arbeit, um
uns dieses Gesetzespaket vorzulegen, vor der Verabschiedung dieses Gesetzespakets eine Abstimmung auf
IWF-Ebene und in der Eurogruppe stattzufinden hat.
({10})
- Danke schön! - Wir müssen aufpassen, dass es an dieser Stelle am Ende des Tages nicht zu Wettbewerbsverzerrungen auf den internationalen Märkten kommt. Es
wäre fatal, wenn einzelne Länder Hilfsprogramme auflegen und andere nicht. Deshalb ist die internationale Koordination ausgesprochen wichtig.
Ich möchte ein Zweites ansprechen. Wir müssen aufpassen, dass es auch bei uns, also auf nationaler Ebene,
nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Es wird eiDr. Michael Meister
nige geben, die sagen, sie nähmen die Hilfsangebote unter den vorhin erwähnten Konditionen an, und es wird
andere geben, die davon möglicherweise nicht Gebrauch
machen. Es darf am Ende doch nicht so sein, dass derjenige, der keine Probleme hat und die Hilfe also nicht in
Anspruch nimmt, im Wettbewerb mit denen, die Hilfe in
Anspruch genommen haben, schlechter gestellt wird. Ich
glaube, darauf müssen wir in den parlamentarischen Beratungen sehr genau achten.
({11})
Wenn wir Hilfe leisten, darf dies nicht im Sinne eines
Wettbewerbseingriffs geschehen.
Wir haben über das aktuelle Hilfsprogramm und den
Fonds hinaus mit Sicherheit erkannt, dass es in dieser Finanzmarktkrise Regelungsdefizite gibt. Sie sind auch
schon vor der Krise angesprochen worden. Auf G 7 und
EU-Präsidentschaft ist hingewiesen worden. Ich möchte
ausdrücklich festhalten: Diese Krise stellt für mich die
soziale Marktwirtschaft nicht infrage; vielmehr ist sie
der richtige Rechtsrahmen. Was wir machen müssen, ist,
die Beseitigung dieser Defizite zu internationalisieren,
und dafür ist auch jetzt die Zeit. Mir ist klar: Wenn die
Krise vorbei ist, dann werden viele, die das nicht so sehen, wieder für Marktwirtschaft, aber nicht für soziale
Marktwirtschaft sein und werden sich wieder gegen den
Regelkreis wenden. Deshalb müssen wir jetzt die
Chance ergreifen, das Modell der sozialen Marktwirtschaft zu internationalisieren und zu transportieren.
({12})
Im Gegensatz zur Planwirtschaft und im Gegensatz
zur reinen Marktwirtschaft, also zur Marktwirtschaft
ohne Regeln, ist die soziale Marktwirtschaft ein lernendes System, das sein Regelwerk durch Problemfälle
optimieren kann. Wir hatten ein Gleichgewicht auf den
Finanzmärkten. Das ist jetzt gestört, und zwar massiv.
Alles ist eingestürzt. Jetzt müssen wir ein neues Gebäude errichten und eine neue Balance finden. Es gibt
eine Unzahl von Vorschlägen. Ich rate uns dazu, klug zu
überlegen, wie die neue Balance aussehen soll, damit sie
auch längerfristig trägt und nicht schon beim nächsten
kleinen Windstößchen wieder verloren geht. Das heißt:
handeln ja, schnell und zügig, aber auch durchdacht, damit es längerfristig zu einer neuen Balance an dieser
Stelle kommt.
({13})
Wir können beim Regelwerk tun, was wir wollen:
Wenn die handelnden Personen ihrer Verantwortung nicht
gerecht werden, dann kann ein solches Regelwerk nicht
funktionieren. An dieser Stelle spreche ich den Kollegen
Lafontaine - er hat vorhin unsere persönliche Verantwortung angemahnt - persönlich an. Er ist Mitglied des KfWVerwaltungsrats. Wir hatten vor wenigen Wochen eine
lang anberaumte Sitzung. Er hat einen Wahlkampftermin
in Bayern für wichtiger gehalten als seine persönliche
Verantwortung als Mitglied des Verwaltungsrats der KfW.
({14})
Das ist nicht Wahrnehmung von persönlicher Verantwortung, sondern das ist Verweigerung.
({15})
Ein solches Verhalten brauchen wir nicht. Nehmen Sie
Ihre Verantwortung wahr, Herr Kollege!
({16})
Wer glaubt, dass wir ein neues Regelwerk gegen die
USA entwerfen können, irrt nach meiner Einschätzung.
Wir müssen überlegen, wie wir mit den USA dieses neue
Regelwerk weltweit zur Geltung bringen, und dafür Vorschläge machen.
({17})
Nur dann können wir Erfolg haben. Dabei geht es auch
um die schon angesprochenen Schlupflöcher. Die können wir nur gemeinsam schließen.
Ich möchte schon jetzt ein Dankeschön sagen an die
Haushalts- und Finanzpolitiker der Sozialdemokraten,
der Grünen, der FDP und meiner Fraktion, weil sie in
dieser Woche in einer ungeheuren Anstrengung versuchen werden, eines der größten Gesetzespakete seit langem in kürzester Zeit sachgerecht zu beraten. Ich möchte
hier für meine Fraktion ausdrücklich versichern, dass
wir nicht schnell, schnell machen. Wir haben Zeitdruck,
wir sind in Eile, aber wir wollen auch eine sachgerechte
Beratung.
({18})
Wir sind heute in der ersten Lesung. Wir wollen in der
Beratung lernen und das Gesetzeswerk in dieser Woche
noch weiter optimieren. Das ist ausdrücklich ein Angebot. Es gibt kein Basta nach dem Motto: Es liegt etwas
auf dem Tisch. Das muss durchgezogen und beschlossen
werden.
({19})
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich alle einladen
- heute Morgen war man hier sehr stark vertreten; mittlerweile ist das ein bisschen weniger stark der Fall -,
sich rechtzeitig in die Beratungen einzuschalten.
({20})
Wir stehen vor der größten Herausforderung der letzten
20 Jahre. Das Paket kann nur gemeinsam von Bund und
Ländern getragen werden. Teilnehmen an der Beratung,
das heißt auch, Verantwortung wahrnehmen.
({21})
Deshalb bitte ich uns, aber auch die Kollegen in den
Ländern, der jeweiligen Verantwortung an dieser Stelle
gerecht zu werden.
({22})
Wir reden jetzt viel über Wachstum und Wirtschaftsentwicklung. Ich bin davon überzeugt - das möchte ich
festhalten -, dass die Wachstumszahlen, die wir jetzt bekommen haben, etwas mit den Rohstoffpreisen, mit den
Währungsmärkten und mit der Konjunkturentwicklung
weltweit zu tun haben; das haben auch die Sachverständigen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose gesagt. Wir sind
gerade bei dem Versuch, die Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft zu begrenzen. Das ist
unser Anliegen. Wenn wir an diese Probleme herangehen, müssen wir das sachadäquat tun. Ich rate uns, ein
Stück weit Kurs zu halten.
Ich sehe keinen Grund, wegen des Finanzpakets, das
heute auf dem Tisch liegt, die Haushaltskonsolidierung
infrage zu stellen.
({23})
Wir haben mit der Haushaltskonsolidierung die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit geschaffen. Was
wir heute vorlegen, ist davon isoliert. Es findet zunächst
einmal nicht im Bundeshaushalt statt, sondern in einem
getrennt geführten Fonds unter Verwaltung der Bundesbank. Ich bin dankbar, dass die Bundesbank sich dieser
Aufgabe als sachkompetenter, vertrauenswürdiger Verwalter stellt. Warten wir bitte einmal ab, in welchem
Umfang wir am Ende tatsächlich gefordert werden! Wir
sollten nicht irgendwelche Gespenster an die Wand malen.
Bei der Konsolidierung des Bundeshaushalts reden
wir nicht über Einmaleffekte - die können uns immer
wieder ereilen -, sondern wir reden über einen strukturellen Ausgleich. Der strukturelle Ausgleich ist durch
das, was wir bisher diskutieren, nicht infrage gestellt.
Deshalb rate ich uns bezogen auf den strukturellen Haushaltsausgleich: Kurs halten, weiterführen und Linie halten. Auch das bildet das Vertrauen, das wir dringend
brauchen.
({24})
Ein Zweites. Wenn wir etwas tun wollen, um die
Wirtschaft zu stabilisieren, dann sollten wir versuchen,
die strukturellen Verbesserungen, die wir vorhaben,
gemeinsam umzusetzen. Der Koalitionsgipfel vor gut einer Woche hat das richtige Signal gesetzt. Auf diesem
Gipfel wurden strukturelle Verbesserungen beschlossen.
Wir sollten nun konsequent daran arbeiten - ich bin
dankbar, dass sich das Bundeskabinett heute Morgen
zum Teil damit beschäftigt hat -, dass diese wie geplant
umgesetzt werden
({25})
und damit ein Beitrag für die Stärkung des Vertrauens
geleistet wird und dafür, dass unsere Wirtschaft wieder
in Gang kommt.
({26})
- Bei dem Thema, das Sie ansprechen, lieber Herr Kuhn,
versuchen wir unsere Zusage zu halten und zu ermöglichen, dass mittelständische Unternehmen leichter und
besser auf die nächste Generation übergehen können.
({27})
Ich sage Ihnen voraus, dass wir einen erfolgreichen Abschluss tätigen werden. Wir werden mittelständischen
Unternehmen eine bessere Perspektive für die Zukunft
bieten, als das gegenwärtig der Fall ist. Dazu bedarf es
einer großen Anstrengung, vor allem wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Blick hat. Wir
stellen uns der Herausforderung und werden sie auch bewältigen.
Zum Abschluss möchte ich einen Appell aussprechen.
Wir befassen uns derzeit mit einer schwierigen Materie.
Momentan stehen in der öffentlichen Debatte einige
Punkte im Vordergrund; aber in diesem Gesetz steckt
viel mehr. Ich rate dringend dazu, dass wir nicht öffentlich über Kleinigkeiten diskutieren, sondern uns in den
Fachausschüssen intensiv mit den Details befassen, um
zu sachgerechten Lösungen zu kommen. In dieser Weise
wollen wir von der Union unsere Verantwortung wahrnehmen.
Ich freue mich, dass wir diese Debatte führen, und ich
hoffe, dass das Ziel, neues Vertrauen in den Märkten und
bei den Menschen zu schaffen, durch diese Debatte und
das zu verabschiedende Paket erreicht wird. Ich hoffe,
dass wir das Paket am Freitag erfolgreich beschließen
werden.
Vielen Dank.
({28})
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die
Lebendigkeit der Debatten in unserem Parlament selbstverständlich auch durch Zwischenrufe gestärkt wird.
Das Wort „pöbeln“, Herr Kollege Lafontaine, in Richtung Redner eignet sich dafür allerdings nicht.
({0})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard
Schick.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bild der Feuerwehr, das Finanzminister Steinbrück
vorhin gewählt hat, muss man genau betrachten. Es ist
richtig, dass es auf den internationalen Finanzmärkten
brennt, und es ist auch richtig, diesen Brand sehr zügig
zu löschen. Dazu soll dieses Rettungspaket einen Beitrag
leisten. Es stellt sich nicht die Frage, ob wir handeln sollen; vielmehr ist es richtig, zügig zu handeln.
Aber das Bild der Feuerwehr stößt an einer Stelle an
seine Grenzen. Wenn ein Ruf bei der Feuerwehr eingeht,
dann geht es rasch in den Wagen und mit Tatütata los.
Wir nehmen uns hingegen ganz bewusst die Zeit, zu
überlegen, wie die Rettung aussehen soll. Hierin besteht
der Unterschied zu einem Brandherd in einem Haus.
Diese Zeit müssen wir uns nehmen. Wir alle tragen dafür
Verantwortung.
({0})
Man muss überprüfen, wie gut diese Feuerwehr in
den letzten Monaten gearbeitet hat, bevor wir sie erneut
auf den Weg schicken. Hier stelle ich einen eindeutigen
Widerspruch zu der Aussage von Frau Merkel fest, dass
es keinen Sinn hat, zurückzublicken und über verpasste
Chancen zu diskutieren. Im Gegenteil: Wir müssen die
Fehler des bisherigen Krisenmanagements betrachten,
bevor die Feuerwehr erneut ausrückt. Da gibt es einiges
zu kritisieren.
({1})
Mein erster Punkt. Schauen wir uns an, wie bei Hypo
Real Estate gearbeitet wird und was das für die jetzt anstehenden Rettungsmaßnahmen bedeutet. Der Aktienkurs der Hypo Real Estate ist auf 3,52 Euro gefallen.
Zwischendurch stand er bei 7,50 Euro; jetzt steht er bei
6,10 Euro. Das heißt de facto, dass die Rettungsmaßnahmen dieser Bundesregierung für die Aktionäre der Hypo
Real Estate zu einem Plus von ungefähr einer halben
Milliarde Euro geführt haben.
Dann ist die Frage der Gegenleistung nicht eine
Frage, die man mit dem Wort „Gebühr“ abtun kann. Wir
wollen dafür sorgen, dass bei einer Rettungsmaßnahme
nicht auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger stehen, die die Risiken eingehen und vielleicht Verluste tragen müssen, und auf der anderen Seite eine halbe Milliarde Euro einfach in die Taschen von Aktionären
gelangt, ohne dass eine Gegenleistung in entsprechender
Höhe eingefordert wird.
({2})
Der zweite Blick auf die Qualität dieser Feuerwehr:
15 Monate ist es her, seitdem die ersten Hedgefonds in
den USA gefallen sind. Dann stellt sich die Frage, was in
den vergangenen 15 Monaten passiert ist. Die erschreckende Antwort lautet: viel zu wenig. An vielen Stellen
haben wir als Opposition in den Ausschüssen und hier
im Plenum darauf hingewiesen und haben immer wieder
gehört: Nein, bei uns ist alles in Ordnung.
Jetzt wollen Sie in aller Kürze die Finanzaufsicht
neu strukturieren und etwas überarbeiten. Die Kanzlerin
hat angekündigt, dies bis zum Jahresende tun zu wollen.
Finanzminister Steinbrück hat aber noch vor wenigen
Wochen die Auffassung vertreten, dass die BaFin nicht
ans Geschäftsmodell herangehen soll. Jetzt folgt plötzlich der Umschwenk. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich in den vergangenen 15 Monaten gemacht?
({3})
Genauso verhält es sich bei der Koordination auf europäischer Ebene. Im Ausschuss haben wir gefragt, weshalb das nicht sinnvoll europäisch koordiniert wird. Es
könnten doch auch Banken, die grenzüberschreitend tätig sind, wackeln. Darauf gab es keine Antwort.
Jetzt muss in wenigen Tagen ein europäischer Krisenmechanismus etabliert werden. Ich frage mich: Was
haben Sie in den vergangenen 15 Monaten getan? Warum
müssen wir heute in großer Eile etwas durchpeitschen,
und warum müssen sich die europäischen Regierungen
ganz schnell zusammenfinden? Zeit zur Vorbereitung
war gegeben. Es ist nicht so, dass wir etwas völlig Neues
haben.
Herr Meister, Sie haben so getan, als gebe es keine
Vorbilder. Man hat aber in Japan und in Schweden einige
Vorbilder gehabt. Man weiß, wie gefährlich Bankenkrisen sind und dass ein effektives Krisenmanagement erforderlich ist. Sie haben das 15 Monate lang nicht vorbereitet. Das ist die Qualität der Feuerwehr, mit der wir es
hier zu tun haben.
({4})
Vor diesem Hintergrund ist die Position von
Bündnis 90/Die Grünen ganz klar. Einer Feuerwehr, die
in den vergangenen 15 Monaten so schlecht gearbeitet
hat, können wir keinen Blankoscheck ausstellen. Sondern dann fragen wir genau: Was ist der Auftrag? Wie
sieht die Gegenleistung für die Bürgerinnen und Bürger
aus? Wie kann aus dem Parlament heraus kontrolliert
werden, dass die Rettungsmaßnahmen für die nächsten
15 Monate wirklich gut sind und die Gegenleistungen
stimmen? Das ist unsere Position.
Danke schön.
({5})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Nina
Hauer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir wissen, dass viele Menschen, die uns heute zuhören
und die uns Abgeordneten schreiben, sich fragen: Weshalb helfen sie den Banken? Wenn ich mich nicht an die
Regeln halte, dann gibt mir niemand Geld, dann hilft mir
auch niemand.
Wir wollen in dieser Debatte deutlich machen, dass
wir das natürlich verstehen können, dass es aber nicht
darum geht, den Banken und schon gar nicht den Bankern zu helfen oder sie „herauszuhauen“ aus der Situation, die sie zu verantworten haben. Vielmehr geht es uns
darum, das Geld der Bürgerinnen und Bürger zu sichern.
({0})
Die Notgroschen, die Altersvorsorge und das, was zurückgelegt worden ist, das wollen wir sichern. Außerdem wollen wir sichern, dass die Wirtschaft - die kleinen, aber auch die großen Unternehmen - weiterhin an
Kapital herankommt, dass sie Kredite bekommt. Das gilt
natürlich auch für die Privatleute.
Die Finanzwirtschaft ist der Blutkreislauf unserer
Wirtschaft. Deswegen unternehmen wir diese Anstrengungen. Wir tun das nicht ohne Gegenleistung von denjenigen, die diese Katastrophe zu verantworten haben.
Wer eine Bürgschaft vom Staat in Anspruch nimmt,
der muss dafür auch eine Gebühr bezahlen, wie es bei
normalen Bankkunden auch der Fall ist,
({1})
der muss sich auch an die getroffenen Vereinbarungen
halten, wenn er diese Bürgschaft annehmen will. Wer
schwierige Vermögenswerte in seiner Bilanz hält und
diese an den Staat verkaufen bzw. abgeben will, der
muss auch sicherstellen und sagen, dass er diese zurücknimmt; denn der Wert der Papiere, die jetzt wertlos sind,
wird sich in den nächsten Monaten wieder verändern.
Wer vom Staat Eigenkapital erhält und damit seine
Basis stärkt, der muss akzeptieren, dass er nicht mehr so
weiterwirtschaften kann wie vorher. Der Vorstand, der
Geld vom Staat in Anspruch nehmen will, weil er sonst
die Liquidität nicht mehr gewährleisten könnte, muss
sich an bestimmte Regeln halten. Bei Nichtbeachtung
wird er zur Rechenschaft gezogen. Auch gegenüber seinen Aktionären muss er Rechenschaft ablegen.
({2})
Wir haben konkrete Punkte in das Gesetz hineingeschrieben: Die Gehälter von denjenigen, die sich entschieden haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen, werden
begrenzt. Die sehr ausufernden Bonuszahlungen werden
beendet. Es gibt keine Dividendenausschüttung - übrigens auch nicht für die anderen Eigentümer.
Auch dieser Punkt, der einen Eingriff ins Aktienrecht
darstellt, ist wichtig: Die Vereinbarung, die der Vorstand
trifft, kann von der Hauptversammlung nicht ohne Weiteres außer Kraft gesetzt werden. Das heißt, die Anteilseigner der betreffenden Banken werden sich also Gedanken machen müssen, wie sie in Zukunft besser
kontrollieren und besser nachvollziehen können, womit
eigentlich das Geld verdient wird.
Natürlich muss gegenüber dem Fonds Rechenschaft
hinsichtlich der Ausrichtung der Geschäftspolitik abgelegt werden. Es geht also auch um die Frage, wie Kredite
vergeben werden. Wir wollen darauf achten, dass der
Vorstand sicherstellt, dass die Unternehmen weiterhin
Kredite bekommen. An dieser Stelle mischt sich der
Staat ein. Ich habe mit Interesse die Stellungnahme des
Bundesverbandes deutscher Banken zu diesem Gesetz
gelesen, in der es heißt, dies gehe zu weit, der Staat dürfe
sich nicht in die Geschäftstätigkeit der Banken einmischen. Wir sagen: Ihr hattet eure Chance. Jetzt werden
wir uns einmischen. Wer Geld vom Staat bekommt,
muss darlegen, wofür er seine Kredite vergibt.
Ich bin dafür, dass in diese Vereinbarung aufgenommen wird, dass ein Teil der risikobehafteten Kredite und
Verbriefungen im Portfolio behalten wird.
({3})
Ich glaube, dass diejenigen, die beispielsweise noch
20 Prozent Anteil an solchen Krediten und Verbriefungen halten, ein ganz anderes Verantwortungsgefühl entwickeln. Diesen Punkt wollen wir in die Vereinbarung
aufnehmen. Damit stellen wir sicher, dass wir die Entwicklung in eine andere Richtung drehen können.
Natürlich sind wir damit noch nicht am Ende. In den
letzten Jahren haben wir im Parlament viele Regulierungen beschlossen, die den Finanzmarkt betreffen. Das
meiste davon kann sich wirklich sehen lassen. Es ging
nämlich nicht nur darum, klarere Regeln aufzustellen
und deren Einhaltung zu kontrollieren, sondern es ging
auch um den Anlegerschutz, für den wir viel getan haben. Wir haben dafür gesorgt, dass die Leute erklärt bekommen, was der Unterschied zwischen einem Investmentfonds und einem Zertifikat ist. Es ist sichergestellt,
dass sich die Menschen auf diese Gespräche berufen
können. All das haben wir umgesetzt.
Natürlich ist dieser Weg noch nicht zu Ende. Wir sind
weiterhin gefragt, wenn es darum geht, diese Regeln
durchzusetzen. Wie man auf die Fragen „Wo kann nachgefragt werden? Wie gefährlich und wie risikobehaftet
ist ein bestimmtes Finanzprodukt?“ reagieren soll, kann
man ruhig noch einmal zum Gegenstand der politischen
Erörterung machen. Bei jedem Medikament kann man
nachlesen, welche Risiken und Nebenwirkungen es hat.
Warum sollte man dies nicht bei einem Finanzprodukt
tun können, und das in einer Sprache, die die Leute auch
verstehen können? Diese Konsequenzen müssen wir ziehen.
Steueroasen, die bewirkt haben, dass manches Finanzprodukt nicht wegen seiner finanztechnischen Wirkung,
sondern wegen seiner steuerlichen Wirkung interessant
geworden ist, gehören ebenfalls zu diesem Themenkomplex. Wir haben hier noch einige Aufgaben vor uns.
Ich glaube, dass wir mit dem, was wir jetzt vereinbart
haben, richtig handeln; denn damit stellen wir sicher,
dass unsere Wirtschaft - Realwirtschaft und Finanzwirtschaft können nicht getrennt werden; sie bilden eine Einheit - unter dieser Krise nicht leidet, und vor allen Dingen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger keine Sorge
um ihr gespartes Geld machen müssen.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Rainer Wend hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sicher verwundert es Sie nicht, dass ich mich als
Wirtschaftspolitiker vor allen Dingen frage, welche Auswirkungen die Finanzkrise eigentlich auf die sogenannte
Realwirtschaft hat, also auf den Maschinenbau, auf die
Automobilindustrie, auf die chemische Industrie und die
Elektroindustrie, um nur einige Bereiche zu nennen. Es
kann kein Zweifel daran bestehen, dass es solche Auswirkungen geben wird. Wir können sie heute nicht quantifizieren. Das kann niemand. Wir müssen aber befürchten, dass diese Finanzkrise ein Stück weit auf die
Realwirtschaft überspringt und damit das, was wir in den
letzten Monaten so prima hinbekommen haben, nämlich
einen Aufbau der Erwerbstätigkeit, in Mitleidenschaft
gezogen wird.
Ich möchte mich einem Bereich der Realwirtschaft
insbesondere zuwenden, dem deutschen Mittelstand.
Ich habe zwar weiß Gott nichts gegen die Großindustrie;
aber im deutschen Mittelstand entstehen die Arbeitsplätze und die Ausbildungsplätze. Auch dieser Mittelstand droht ein Stück weit in Mitleidenschaft gezogen zu
werden, wenngleich er extrem stabil ist. Aber wenn die
Herbstferien - um es am Beispiel der Firma Opel festzumachen - um eine Woche verlängert werden, wenn also
die Bänder außerplanmäßig stillstehen, hat das natürlich
Auswirkungen auf die Zulieferindustrie. Die Zulieferindustrie besteht im Wesentlichen aus kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist der klassische Mittelstand,
und der bekommt die Folgen zu spüren.
Wir müssen uns also verantwortlich fragen: Was können wir tun, um unseren Mittelstand in dieser Situation
zu stützen?
Punkt eins. Das Paket von insgesamt 500 Milliarden
Euro, das auf den Weg geschickt wurde, ist richtig, weil
es Liquidität und den Interbankenverkehr sichert und
weil es verhindert, dass für den Mittelstand eine Kreditklemme eintritt.
Wir haben aber auch noch andere Dinge gemacht, die
zwar zurzeit wenig Beachtung finden, die ich aber für
wichtig halte. Das eine ist die Lockerung des Insolvenzrechtes. Wir haben es vor knapp zehn Jahren verschärft
und sind jetzt dabei, zu sagen, dass in Zukunft nicht jedes Unternehmen - beispielsweise jeder Handwerkerbetrieb -, das kurzfristig in Liquiditätsproblemen ist, aber
mittelfristig eine gute Prognose hat, sofort einen Konkurs- bzw. Insolvenzantrag stellen muss. Ich glaube,
dass das eine richtige Antwort auf unsere Krisensituation
ist. Ich möchte dem Kollegen Fricke ausdrücklich recht
geben: Wir sollten uns fragen, ob wir die Lockerung des
Insolvenzrechtes nicht zeitlich befristen, weil das, was
wir vor acht Jahren gemacht haben, grundsätzlich und
ordnungspolitisch nicht völlig falsch war. Aber in dieser
Krise ist es richtig, eine Lockerung - sehr gerne zeitlich
begrenzt - vorzunehmen.
Punkt zwei. Ich glaube, dass es nicht wirklich hilft,
heute ein großes Konjunkturprogramm zu fordern, das
im Wesentlichen kurzfristige Strohfeuereffekte hätte wenn überhaupt. Aber wir müssen versuchen, die Investitionen, die wir als Staat machen, zu verstetigen. Dazu
gehört beispielsweise, dass wir auch in Zukunft das sogenannte ERP-Sondervermögen für den Mittelstand nutzen können. Was heißt das? Wir wollen etwa 368 Millionen Euro - dies sind zurzeit die Möglichkeiten im
Rahmen des ERP-Sondervermögens - für die Förderung
von Existenzgründungen, für die CO2-Gebäudesanierung und Ähnliches ausgeben. Das schafft ein Gesamtvolumen an Investitionen von etwa 4 Milliarden Euro
- denn das zieht ja viele Dinge nach sich - vor allen Dingen für kleine und mittlere Unternehmen. Dieses ERPSondervermögen ist ein Stück weit durch die - ich formuliere es einmal vornehm - Fehlbuchung der KfW an
Lehman Brothers, aber auch durch die IKB-Problematik
in Mitleidenschaft gezogen worden. In diesem Jahr werden 148 Millionen Euro fehlen. Wir müssen dafür Sorge
tragen, dass das ERP-Vermögen im Interesse des Mittelstandes und der Investitionen bei uns im Land ungeschmälert aufrechterhalten wird.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist mehrfach gesagt
worden: Unsere Marktwirtschaft ist in einer Legitimationskrise. Wir sollten das ruhig so nennen. Wie wollen
wir es den Menschen denn auch verständlich machen,
dass wir seit Mitte der 90er-Jahre eine Reallohnstagnation hatten - mit Ausnahme des letzten Jahres; da ist der
Reallohn nach oben gegangen -, in derselben Zeit aber
im Finanzsektor die Managergehälter explodiert sind
und dass nun ausgerechnet diejenigen, deren Gehälter
explodiert sind, verantwortlich für eine Krise sind, deren
Lösung wieder von denen, nämlich vom Steuerzahler,
bezahlt wird, die in den letzten zehn Jahren eine Reallohnstagnation hatten? Wem will man denn erklären,
dass ein solches System vernünftig ist? Das kann man
keinem Menschen erklären.
({1})
Deswegen müssen wir aufpassen, dass daraus keine
Legitimationskrise unserer Demokratie wird. Das wird
uns nur gelingen, wenn wir neben den richtigen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung Maßnahmen zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte einleiten. So,
wie es in der Vergangenheit war, kann es nicht bleiben.
Ich glaube, wir haben in dieser Krise die Chance - das
soll nicht zynisch klingen, sondern ist sehr ernst gemeint -,
die Proportionen in unserer Gesellschaft wieder zurechtzurücken;
({2})
denn so wie der Staatssozialismus, der glaubte, alle
staatlich reglementieren und lenken zu können, bereits
vor 20 Jahren gescheitert ist, so ist heute die völlig freie
Marktwirtschaft gescheitert, die geglaubt hat, auf jegliche Regeln und staatliche Kontrolle verzichten zu können. Setzen wir deshalb darauf, durch enge internationale Kooperation die Globalisierung zu gestalten; lassen
wir uns nicht von ihr gestalten. Setzen wir auf die Findigkeit und Kreativität der Marktwirtschaft, wenn es darum geht, die klaren Regularien der demokratischen
Staaten zu ergänzen. Das wäre eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft, die Wohlstand schaffen kann,
und würde unsere Demokratie deutlich stärken.
Vielen Dank.
({3})
Damit schließe ich die Aussprache.
Es wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/10600 zur federführenden
Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Finanzausschuss sowie den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu
überweisen. - Dazu gibt es offensichtlich keine weiteren
Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich unterbreche die Sitzung bis zur Befragung der
Bundesregierung um 13 Uhr. Ihnen wird durch Klingelsignal rechtzeitig der Wiederbeginn der Sitzung angekündigt.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung
und Entwurf einer Verordnung über die Erhebung von
Beiträgen zur Arbeitsförderung nach einem niedrigeren
Beitragssatz.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales Olaf
Scholz. Bitte schön.
Die Bundesregierung hat heute ein Gesetz auf den
Weg gebracht, mit dem der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,0 Prozent gesenkt wird, und parallel dazu eine Verordnung beschlossen, die bis zum
Sommer des übernächsten Jahres zu einer weiteren Absenkung des Beitragssatzes auf 2,8 Prozent führt. Das ist
ein wichtiger Schritt, der dazu beitragen soll, die Konjunktur in unserem Lande zu stützen. Im Übrigen darf
ich darauf hinweisen, dass es durch die Reformpolitik
der letzten Jahre gelungen ist, eine so gute Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren, dass die Beitragseinnahmen der Bundesagentur für Arbeit in der Vergangenheit ausreichen, um jetzt eine solche drastische Absenkung des Beitragssatzes zu rechtfertigen und damit in
einer vielleicht schwieriger gewordenen Phase die Konjunktur zu stützen.
Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Der Beitragssatz wurde zunächst von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent gesenkt, dann von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent und
jetzt von 3,3 Prozent auf 3,0 Prozent. Das ist im Übrigen
der strukturell vernünftige Beitragssatz angesichts der
Höhe der heutigen Arbeitslosigkeit. Wenn wir sicherstellen können, dass wir nicht mehr Arbeitslose als heute bekommen, können wir ihn langfristig so halten und damit
die Aufwendungen der Arbeitsförderung finanzieren und
die damit verbundenen Tätigkeiten organisieren. Unser
Ehrgeiz muss sein, das zu schaffen.
Wir haben deshalb parallel dazu dafür gesorgt, dass
die Zahl derjenigen, die sich um die Vermittlung kümmern, weiter ausgebaut wird. Für den Bereich des
Arbeitslosengeldes II wird es zu einem deutlichen Aufwuchs kommen, sodass eine vernünftige Relation zwischen Vermittlern und Arbeitssuchenden entsteht und die
Chance, dass jemand einen Arbeitsplatz findet, weil er
gut unterstützt wird, gesteigert wird.
Das, was wir hier tun, führt dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger um fast 30 Milliarden Euro im Jahr entlastet werden gemessen an dem Beitragssatz, von dem
aus wir gestartet sind und von dem aus es uns gelungen
ist, die Beiträge zu senken.
({0})
Danke schön. Das waren weniger als fünf Minuten;
das wollen wir nicht kritisieren.
Kollege Niebel hat die Gelegenheit zu einer ersten
Nachfrage.
Herr Präsident, ich war überrascht, weil ich dachte,
die Bundesregierung hätte noch so viel mehr zu dem
Thema zu sagen.
Hier wurde angekündigt, in der Regierungsbefragung
gehe es um den Entwurf eines Gesetzes zur Senkung des
Beitragssatzes zur Arbeitsförderung. Da wir, wie Kollege Kolb im zuständigen Fachausschuss festgestellt hat,
keinen Beitragssatz zur Arbeitsförderung leisten, sondern nur zur Arbeitslosenversicherung, interpretieren
wir die Überschrift dieser Befragung der Bundesregierung so, dass Sie durchaus akzeptieren und unterschreiben, dass durch die Beitragssatzsenkungen Arbeitsplätze
gesichert werden, sie also faktisch Arbeitsförderung
sind.
Nun lautet der Vorschlag der Bundesregierung, die
Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf
2,8 Prozent nur bis nach der Bundestagswahl zu befristen. Stimmen Sie mir zu, dass Beitragssenkungen arbeitsfördernd wirken? Wenn Sie mir zustimmen, können
Sie dann bestätigen, dass die Anhebung der Beiträge zur
gesetzlichen Krankenversicherung nicht befristet ist,
dass also auch nach der Bundestagswahl weiter erhöhte
Beiträge erhoben werden?
Zunächst einmal, Herr Kollege, ist es richtig, dass ein
zu hoher Beitragssatz zur Sozialversicherung schlechte
Auswirkungen auf die Beschäftigungslage in unserem
Land hat. Deshalb gehört es zum Stolz der Regierungen
der letzten zehn Jahre, seit 1998 für eine weitgehende
Stabilität der Beiträge gesorgt zu haben.
Sie erinnern sich noch an die Zeit der Mitregierungsverantwortung der FDP. Vom Anfang der 80er-Jahre bis
1998 ist der Beitragssatz von 32 Prozent auf etwa
42 Prozent gestiegen. Dies war ein schlimmer Fehler,
der nach 1998 sorgfältig korrigiert werden musste. Seitdem haben wir es geschafft, den paritätischen Beitragssatz zu drücken und bei unter 40 Prozent zu stabilisieren.
Das gelingt auch jetzt, weil wir die Entscheidung,
über die wir hier reden, parallel zu der wegen der gestiegenen Gesundheitskosten unvermeidbaren Anhebung
der Beiträge im Bereich der Krankenversicherung getroffen haben. Diese Anhebung ist im Übrigen auch deshalb zustande gekommen, weil den vielen Wünschen der
FDP nach einer besseren finanziellen Ausstattung der
Ärzte nachgegeben worden ist. Sie waren zwar nicht die
Einzigen, die dies gefordert haben, aber Sie waren ganz
laut. Insofern sollten Sie sich jetzt nicht leise verdrücken, wenn das, was Sie gefordert haben, bezahlt werden
muss.
({0})
Wir haben darüber hinaus dazu beigetragen, dass die
Ausstattung der Krankenhäuser und des Pflegebereichs
insgesamt verbessert wird. Das führt übrigens dazu, dass
unmittelbar auf einem der Wachstumsmärkte unseres Landes, nämlich in der Gesundheitswirtschaft, Arbeitsplätze
entstehen. Deshalb ist es vielleicht eine vernünftige Kombination, dort das, was für unser Zusammenleben notwendig ist, zu bezahlen und dort, wo wir Rücklagen haben, einen Beitragssatz zu wagen, der unter dem liegt,
welchen wir für die laufenden Ausgaben brauchen. Wie
gesagt: Rücklagen bei der Bundesagentur für Arbeit machen keinen Sinn, wenn wir langfristig auch anders klarkommen können.
Kollege Niebel, bitte.
Da der Minister die Antwort auf meine Frage schön
umgangen hat, möchte ich eine Nachfrage stellen. Sie
wissen ja, dass die FDP seit über einem Jahr eine Beitragssatzsenkung auf 3 Prozent bei der Arbeitslosenversicherung fordert und seit gut einem halben Jahr aufgrund
der guten finanziellen Entwicklungen und natürlich auch
wegen der sinkenden Arbeitslosigkeit die 2,8 Prozent als
Zielmarke präferiert.
Nun geht es mir noch einmal um die Frage der Befristung. Sie haben zwar verklausuliert, aber mir doch insgeheim zugestimmt, dass eine Senkung der Beiträge arbeitsplatzfördernd und -sichernd ist.
Nicht verklausuliert, sondern laut und deutlich.
.
Dann nehme ich das laut und deutlich zur Kenntnis.
Da Sie dem zustimmen, werden Sie mir auch dahin
gehend zustimmen - ich frage Sie, ob das so ist -, dass
eine dauerhafte Beitragssenkung eine dauerhafte Planungssicherheit für die handelnden Akteure am Arbeitsmarkt darstellt. Damit meine ich sowohl die Arbeitgeber,
die die Beiträge als Kostenfaktor zu realisieren haben,
als auch die Arbeitnehmer, die gerade in einem sich entwickelnden wirtschaftlichen Abschwung natürlich mehr
Geld für Konsum übrig behalten. Dies vollzieht sich
zwar nur im kleinen Rahmen, aber aufgrund einer Beitragssenkung bleibt mehr Netto vom Brutto übrig.
Wäre es dann Ihrer Ansicht nach arbeitsmarktpolitisch klüger und sinnvoller, den Beitrag dauerhaft auf
das jetzt Mögliche von 2,8 Prozent zu senken in der
Hoffnung, dass die daraus resultierenden positiven Effekte zu einer Verstetigung der guten Arbeitsmarktsituation, zu mehr Einnahmen und weniger Ausgaben und somit zu einer langfristigen Haltemöglichkeit dieses
Beitragssatzes führen, statt von vornherein kleingeistig
Sorge zu haben, dass man womöglich wieder erhöhen
muss? Der Termin ist doch nach der Bundestagswahl.
Da kann man ruhig einmal mutig sein.
Herr Abgeordneter, es gehört zur Großgeistigkeit des
Ganzen, dass man die Zusammenhänge richtig darstellt.
Sie möchten gerne einen strukturellen Beitragssatz von
2,8 Prozent, und zwar unabhängig davon, wie viele Einnahmen und wie viele Ausgaben anfallen. Dann müssten
Sie hier gleichzeitig laut fordern, dass die Aufwendungen der Bundesagentur für Arbeit notfalls in einer Milliarden-Größenordnung aus dem Bundeshaushalt bezahlt
werden, und dies müssten Sie als FDP-Programm verkünden. Da Sie das nicht tun, ist der Satz, den Sie sagen,
sinnlos. Denn ohne diese zusätzliche Bemerkung macht
Ihre Erkenntnis keinen Sinn.
Wir glauben, dass es vernünftiger ist, über die strukturell richtige Höhe des Beitrages nachzudenken. Dabei
haben wir uns durchaus mutig an den Erfolgen der Arbeitsmarktpolitik, die wir jetzt verzeichnen können, und
der Tatsache orientiert, dass wir nun über 3 Millionen
Arbeitslose und deutlich weniger als 1 Million Arbeitslosengeld-I-Bezieher - ich drücke es einmal so untechnisch aus - haben. Diese Aufwendungen können wir bei
einem Beitragssatz von 3,0 Prozent bezahlen. Da es keinen Sinn hat, Rücklagen nur hübsch anzuschauen, wollen wir die Rücklagen, die wir haben, jetzt verwenden;
durch die aktuelle Lage sind wir hierin bestätigt worden.
Wir wollen das Geld den Bürgerinnen und Bürgern zur
Verfügung stellen. Die Beitragsbelastung soll geringer
ausfallen, als es zur Finanzierung der laufenden Ausgaben nötig wäre. Momentan geben wir nämlich laufend
mehr Geld aus, als wir durch Beitragszahlungen einnehmen. Das ist vertretbar, weil wir Rücklagen in Höhe von
15 Milliarden Euro haben.
Es ist aber nicht sinnvoll - das möchte ich auf Ihre
Frage antworten -, von einem Beitragssatz auszugehen,
der strukturell und langfristig so niedrig ist, dass die Einnahmen nicht ausreichen. Deshalb stellt unser Vorschlag
eine hochintelligente, moderne und liberale Kombination dar. Wir setzen einen Beitragssatz fest, der strukturell richtig ist und den wir über die Verordnung des Bundesarbeitsministers in der Hand haben.
Sie haben eine letzte Nachfrage, Kollege Niebel.
Ich weiß, dass ich noch eine letzte Nachfrage habe.
({0})
Herr Minister, wenn ich Sie sinngemäß richtig zitiere,
sagen Sie nicht allzu selten: Man muss jetzt das Richtige
tun. Hier stimme ich Ihnen natürlich zu; ich glaube, das
würde das gesamte Hohe Haus tun. Das gilt übrigens für
alle politischen Felder, über die man diskutieren kann.
Ich stimme Ihnen auch zu, dass es sich bei den Rücklagen der Bundesagentur natürlich um Geld handelt, das
den Beitragszahlern, den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, zu viel abgenommen worden ist. Man muss es
ihnen zurückgeben, um auf der einen Seite Arbeit billiger zu machen und um auf der anderen Seite, auf der Arbeitnehmerseite, den Konsum durch mehr Netto vom
Brutto zu stärken. Da Sie allerdings beklagen, dass das
Geld dann womöglich nicht für die Ausgaben reichen
würde, frage ich Sie: Wie wäre es, wenn man einmal die
Ausgaben überprüfen würde?
Ich weiß, dass wir morgen, ausgehend von einem
FDP-Antrag, eine Debatte zur Modernisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente führen werden. Sie
und ich wissen - das gilt wahrscheinlich auch für den
Rest des Hohen Hauses -, dass in den Schubladen Ihres
Ministeriums seit weit mehr als einem Jahr ein Evaluierungsbericht der Bundesregierung - nicht etwa der bösen
Opposition - über die Effizienz arbeitsmarktpolitischer
Instrumente liegt, dessen Ergebnisse vernichtend sind. In
diesem Bericht werden gerade einmal neun von
80 arbeitsmarktpolitischen Instrumenten als irgendwie
sinnvoll und zielgerichtet beschrieben; ansonsten wird
das Geld anderer Leute, nämlich der Beitragszahler, offenkundig uneffizient ausgegeben.
Wie wäre es, wenn wir nach drei Jahren dieser Regierung, der sogenannten Großen Koalition, endlich einmal
die Ausgabenseite der Bundesagentur betrachten würden, um sie so zu gestalten, dass Geld nur noch ganz gezielt für integrative Prozesse ausgegeben wird und nicht
für irgendetwas, was ideologisch vielleicht wünschenswert wäre?
Dies ist ein guter Tag, denn der FDP-Politiker Niebel
lobt die Bundesregierung häufiger.
({0})
In diesem Fall danke ich ihm dafür. Wir sind Ihrer Anregung - nicht nur Ihrer Anregung, sondern auch der vieler
anderer, übrigens auch unserer eigenen - gefolgt und haben die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
im Kabinett beschlossen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird auf den Weg gebracht.
Die Zielsetzung der Koalition ist, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch in diesem Jahr
zu beschließen. Dabei werden einige Instrumente abgeschafft, die sich unseren Evaluationserkenntnissen zufolge als nicht sinnvoll erwiesen haben oder in nur 80,
100 oder 300 Fällen überhaupt angewandt wurden.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik einen Instrumentenkatalog benötigen,
den der einzelne Vermittler und die einzelne Vermittlerin
im Gespräch mit den Arbeitssuchenden selbstständig anwenden kann, ohne in einem Handbuch blättern zu müssen. Es kann auch nicht angehen, dass sich jeder Abgeordnete nach einer längeren Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag und nach mehrjährigem Engagement in der Sozialpolitik mit seinem eigenen arbeitsmarktpolitischen Instrument im Gesetz verewigt. Vielmehr brauchen wir eine überschaubare und flexible
Handlungsstruktur. Diese werden wir mit diesem Gesetz
schaffen.
Was Ihre Grundvermutung angeht, dass Geld, das für
Arbeitslose ausgegeben wird, immer schlecht ausgegebenes Geld ist, bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung.
Das ist allerdings eine grundsätzliche Haltung der FDP,
die sehr häufig zum Ausdruck kommt, wenn Sie sagen,
man müsse sparen. Uneleganterweise sagen Sie nicht,
man müsse bei den Arbeitslosen sparen, sondern beim
Scholz. Dabei meinen Sie aber nicht mein Weihnachtsgeld,
({1})
sondern Sie meinen, dass wir die aktive Arbeitsmarktpolitik, die wir für diejenigen machen, die keine Arbeit
finden und in deren Rahmen wir unter Verwendung bestimmter Instrumente dazu beitragen wollen, dass sie einen Arbeitsplatz bekommen, einstellen sollten. Das ist
eine falsche Herangehensweise. Eine solche Haltung ist
von Missgunst gegenüber denjenigen, die ohne Arbeit
sind, geprägt. Herr Niebel, diese Missgunst teilen wir
nicht.
({2})
Frau Kollegin Pothmer, Sie haben jetzt Gelegenheit,
zu fragen.
({0})
Herr Brauksiepe, Sie geben mir immer sehr hilfreiche
Tipps; dafür möchte ich mich in diesem Hohen Hause
ausdrücklich bedanken.
Herr Minister, die Bundesagentur für Arbeit hat berechnet, dass die Senkung des Beitragssatzes zur ArBrigitte Pothmer
beitslosenversicherung auf 2,8 Prozent für das operative
Geschäft ein Minus in Höhe von 5 Milliarden Euro zur
Folge hätte.
Diese Berechnungen fußen noch auf Wachstumserwartungen von 1,2 Prozent. Ich glaube, wir alle wissen,
dass das illusorisch ist. Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute haben mitgeteilt, dass wir mit
einer Wachstumsrate von 0,2 Prozent bis 0 Prozent zu
rechnen haben. Das bedeutet weniger Einnahmen und
eine höhere Arbeitslosigkeit, also auch mehr Ausgaben.
Können Sie mir sagen, welche Wachstumserwartung bei
dieser Absenkung auf 2,8 Prozent, die bis zum Sommer
des übernächsten Jahres gelten sollen, zur Grundlage gemacht wurde?
Ich will noch einmal sagen: Die Bundesagentur für
Arbeit hat aufgrund der guten Entwicklung des Arbeitsmarktes - infolge der Arbeitsmarktpolitik der Regierungen bis zur letzten Legislaturperiode, die wir gemeinsam
getragen haben, und der jetzigen Regierung - Rücklagen
aufgebaut; denn es ist uns gelungen, eine Belebung auf
dem Arbeitsmarkt zu erreichen, die dazu geführt hat,
dass jetzt weniger Bürgerinnen und Bürger arbeitslos
sind. Deshalb kommen wir mit den Einnahmen besser
als in der Vergangenheit hin, sodass wir den Beitragssatz
mehrfach senken konnten.
Wir haben uns jetzt überlegt, wie wir strukturell vorgehen. Dabei sind wir immer von den gleichen Zahlen
wie die Bundesagentur für Arbeit ausgegangen, weil wir
gemeinsam gerechnet und kalkuliert haben. Wir haben
gesagt: Langfristig verantwortbar ist ein Beitragssatz
von 3,0 Prozent. Darüber war ich mir mit dem Chef der
Bundesagentur für Arbeit auch immer einig.
Gleichzeitig ist es die politische Überzeugung des Arbeitsministers und der Regierung - die aber auch von der
Bundesagentur für Arbeit geteilt wird -, dass es nun keinen Sinn macht, sich wie Dagobert Duck seine Milliarden zu betrachten, sondern es vielmehr sinnvoll ist, sie
für die Bürgerinnen und Bürger einzusetzen. Das tun
wir. Wir glauben, dass wir den Beitragssatz von 2,8 Prozent bis zum Sommer des übernächsten Jahres vertreten
können. Längerfristig haben wir strukturell einen anderen Beitragssatz festgesetzt.
Sollten wir - das ist jetzt natürlich eine ganz ehrgeizige Sache - in zügiger Zeit eine weitere Absenkung der
Arbeitslosigkeit erreichen, dann würde man ihn auch
strukturell weiter absenken können. Das kann man jetzt
aber natürlich nicht vorhersehen und einfach in einen
Gesetzentwurf schreiben, weil man fest daran glaubt,
sondern das muss man dann auch beobachten und hochrechnen können. 2,8 Prozent sind also sehr vertretbar.
Im Übrigen spricht auch alles für die, wie ich finde, in
der Tat intelligente Kombination, die die Regierung gewählt hat, nämlich einen Gesetzentwurf zu erstellen, in
dem ein strukturell verantwortbarer Beitrag verankert
ist, und über die Möglichkeit der Rechtsverordnung
gleichzeitig Sorge dafür zu tragen, ein bisschen von dem
Polster abzubauen und diese Mittel in einer Zeit, in der
das Sinn macht, den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu stellen.
Kollegin Pothmer, Sie wollen noch nachfragen.
Herr Minister, werden Sie den Beitragssatz von
2,8 Prozent aufgrund der Tatsache, dass sich die Erwartung von 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum aller Voraussicht nach nicht erfüllen wird, sodass das angesammelte
Geld schneller abschmilzt, auch früher als im übernächsten Sommer wieder anheben,
({0})
oder bleiben Sie, egal was kommt, bei diesem Beitragssatz?
Wir haben uns fest vorgenommen, den Beitragssatz
von 2,8 Prozent bis zu dem vorgesehenen Fristende beizubehalten. Dass wir mehr Spielraum haben, ist richtig.
Das ergibt sich aus der rechtlichen Struktur und ist für
diejenigen, die in der Sache etwas weniger mutig als die
Regierung sind, vielleicht auch ganz beruhigend. Jedenfalls haben wir uns hinsichtlich des Zeitraums überlegt,
welchen Beitragssatz man gut vertreten kann, ohne dass
man sich korrigieren muss. Das sollte schon die Grundlage einer solchen Entscheidung sein. Deshalb glauben
wir, dass wir damit gut zurechtkommen und dass sich
das auch durchhalten lässt.
Im Übrigen teile ich mit Ihnen zwar das mulmige Gefühl, das wir alle angesichts der Daten haben, die wir
von den Börsen und den Banken hören, und angesichts
des riesigen Pakets für die Stabilisierung unserer Wirtschaft, das wir im Deutschen Bundestag in dieser Woche
verhandeln. Gleichzeitig sage ich aber auch, dass es
nicht unvermeidbar ist, dass wir mit einem deutlichen
Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen müssen. Vielmehr
können wir es schaffen - jedenfalls sollten wir von uns
aus den Ehrgeiz entwickeln, alles zu versuchen, damit
wir das erreichen -, dass die Arbeitslosigkeit strukturell
und substanziell auch im nächsten Jahr gegenüber dem
heutigen Niveau nicht steigt. Ich jedenfalls will Ihnen
gerne versichern, dass ich zusammen mit den Abgeordneten dieses Hauses alles tun werde, was wir dazu beitragen können, damit wir weniger und nicht mehr Arbeitslose haben werden.
Wollen Sie noch eine Nachfrage stellen? Es muss
nicht sein. Es gibt keinen Anspruch auf zwei Nachfragen. Das gilt für die Fragestunde. Wir wollen ja möglichst vielen Kollegen Gelegenheit geben, zu fragen. Also noch eine Nachfrage. Aber dann gehen wir weiter.
Ich bedanke mich für die Großzügigkeit des Präsidenten an dieser Stelle.
Herr Minister, Sie sind ehrgeizig und hoffnungsvoll,
dass die Arbeitslosigkeit nicht steigen wird. Nun gehen
aber die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute davon aus, dass es im nächsten Jahr 400 000 zusätzliche Arbeitslose geben wird. Wenn ich mir Ihren Haushaltsentwurf anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie sogar
so ehrgeizig sind, die Kosten im Bereich der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2011 um 2,7 Milliarden Euro zu
senken. Gehen Sie auch vor dem Hintergrund der erkennbaren wirtschaftlichen Entwicklung davon aus, dass die
Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2011 so weit absinken
wird, dass eine Kostenreduzierung in diesem Umfang
möglich ist? Ich meine das jetzt nicht nur „gefühlt“.
Ich bin nur Minister und Bundestagsabgeordneter und
nicht mit prophetischer Gabe versehen.
({0})
- Ja, schade eigentlich, Herr Niebel. Sie können mir ja
noch dazu verhelfen, wenn Sie wissen, wie es geht.
Bitte, machen Sie es.
({1})
Um Ihre Frage zu beantworten: Nach dem, was wir
bei der Aufstellung des Haushalts berücksichtigen und
mit dem wir rechnen konnten, sind das zwar ehrgeizige,
aber erreichbare Ziele. Ich finde es wichtig, die Ziele
dann auch mit Ehrgeiz zu verfolgen. Ich glaube auch, in
der jetzigen Situation darf man sich von den WorstCase-Szenarien, den Schlimmsten-Fall-Berechnungen,
die angestellt werden, nicht in die Irre führen lassen.
Auch in dem Gutachten, aus dem Sie eben zitiert haben,
heißt es nicht, dass es so kommt. Darin wird eigentlich
gesagt, dass man gar nicht weiß, wie es kommt, sondern
nur, dass es auch schlecht kommen könnte. Dann wird
ausgerechnet, wie es wäre, wenn es schlecht kommt.
Ich glaube, wir sollten von dem Größenwahn Abstand
nehmen, den Politik gelegentlich in diesen Dingen entwickelt, indem gesagt wird: Wir wissen, wie es geht, und
wir haben es auch allein in der Hand. Aber wir sollten
das, was wir tun können, machen. Da können wir ja doch
auf eine Erfolgsbilanz zurückblicken; denn durch die
Reformen, die wir mit der Arbeitsvermittlung und in der
Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren zustande gebracht haben, ist es uns gelungen, den Arbeitsmarkt wetterfester zu machen. Trotz rauerer See - wenn ich das als
Hamburger einmal sagen darf - besteht die große
Chance, dass wir ans Ziel kommen. Deshalb sollten wir
uns mehr darum bemühen, es hinzukriegen, als dass wir
uns vor der Aufgabe fürchten.
({2})
Kollegin Möller, bitte.
Herr Minister, ich kann mir schon vorstellen, dass Sie
ein mulmiges Gefühl haben. Das hätte ich, ehrlich gesagt, auch. Man braucht kein Hellseher zu sein, sondern
man muss sich nur ein bisschen anschauen, was passiert;
denn die sogenannte Finanzmarktkrise ist längst in der
Realwirtschaft angekommen. Da kann ich Ihnen als Beispiele nennen: Absatzeinbrüche bei Opel, SAP legt ein
Sparprogramm auf, und auch in der bayerischen Wirtschaft wird von einem Konjunktureinbruch geredet. Da
braucht man kein Hellseher zu sein. Die Fakten liegen
auf der Hand. Das heißt, es wird im nächsten Jahr zu einer Steigerung der Erwerbslosenquote kommen. Ich
frage Sie: Wie können Sie es vor diesem Hintergrund,
bei einem Wachstum von 0,2 Prozent, verantworten,
jetzt die Beiträge zu senken? Wie realistisch und wie
verantwortlich ist das?
Zunächst einmal besteht Demokratie ja darin, dass
man sich nicht dem Schicksal ergibt. Vielmehr werden
Parlamente gewählt und Regierungen gebildet, weil wir
Einfluss auf unser Leben nehmen und erreichen wollen,
dass es besser läuft, als wenn man nichts täte. Deshalb
können Sie sicher sein, dass wir alles tun, was möglich
ist, um einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Ich habe Ihnen eingangs gesagt, es ist etwas los; das
kann man nicht leugnen. Das führt zu dramatischen Aktionen, wie wir sie in dieser Woche im Parlament erleben
werden. Aber alle diese dramatischen Aktionen sind ja
auch mit der Zielstellung versehen, möglichst zu verhindern, dass sich die Ereignisse auf den Finanzmärkten in
der Realwirtschaft niederschlagen. Wir haben es nicht in
der Hand, aber wir können das Unsere tun.
Gerade in dieser Situation ist es nicht nur vielleicht,
sondern erst recht und ganz besonders verantwortlich,
wenn wir die Beitragssätze per Rechtsverordnung senken und die vorhandenen Rücklagen, die für sich gesehen keinen besonderen Sinn machen, in dieser Phase
einsetzen, um der Konjunktur, den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern sowie den Unternehmen in unserem
Lande zu helfen.
Kollegin Möller.
Halten Sie es bei einer Wachstumsprognose von
0,2 Prozent nicht für sinnvoller, ein Konjunkturprogramm aufzulegen und die Rücklagen für diejenigen zu
verwenden, die erwerbslos werden, damit wir ihnen die
Möglichkeit geben können, auf den Arbeitsmarkt zügig
zurückzukehren? Wir dürfen sie nicht länger in der Erwerbslosigkeit halten, weil einfach kein Geld mehr da
ist.
Ich unterstütze den einen Ansatz in Ihrer Nachfrage.
Wir dürfen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik und in der
Verbesserung der Arbeitsvermittlung - die viel besser ist
als früher, aber noch nicht so gut ist, wie sie sein sollte nicht nachlassen.
Ich will die Ausgangssituation beschreiben: Als die
Bundesanstalt für Arbeit noch existierte, waren 10 Prozent der Beschäftigten mit Vermittlung befasst. Am
Ende des Prozesses - wir haben noch Entscheidungen
zum weiteren Ausbau der Arbeitsvermittlung getroffen werden wir es vielleicht geschafft haben, dass sich die
Hälfte aller Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit,
der Arbeitsgemeinschaften und der Arbeitsagenturen mit
Vermittlungsaufgaben befasst. Das wäre ein großer Fortschritt, der sich im konkreten Leben und im konkreten
Schicksal der Arbeitslosen positiv niederschlagen wird.
Seien Sie sicher: Bei den Arbeitslosen wird, solange
ich die Verantwortung dafür habe, nicht gespart werden.
Ich fordere Sie auf, laut zu klatschen, wenn ich demjenigen, der demnächst sagt, es müsse gespart werden, Nein
sage.
Das Wort zu einer Nachfrage hat nun Kollege Müller.
Herr Minister, wären Sie bereit, den Kollegen der
FDP Nachhilfe in Sachen SGB III zu geben?
({0})
Herr Dr. Kolb und Herr Niebel haben den Titel des Gesetzes infrage gestellt. Wären Sie bereit, den Kollegen
der FDP mitzuteilen, dass im SGB III ausdrücklich von
Beiträgen zur Arbeitsförderung und nicht von Beiträgen
zur Arbeitslosenversicherung die Rede ist?
Ich bin gerne bereit, Ihre Aussage zu verstärken, und
sage: Ja, die Nachhilfe ist nötig.
({0})
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, dass die FDP unglaubwürdig ist, wenn Herr Niebel sagt, die FDP habe
sich schon immer für niedrigere Beiträge eingesetzt?
Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die FDP bei
den letzten Abstimmungen immer gegen eine Beitragssatzsenkung gestimmt hat.
({0})
Das Abstimmungsverhalten der FDP verfolge ich
nicht im Detail. Das mag man mir nachsehen. Jedenfalls
ist ihr Verhalten oft widersprüchlich. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es in der Politik ganz hilfreich ist,
die Dinge vollständig zu nennen. Dass man von fünf
Dingen, die es zu tun gilt, nur eines anspricht, bei dem
jeder Beifall klatscht, und die vier anderen Dinge, die etwas schwieriger sind, einfach weglässt, sollte nicht zu
einer modernen Demokratie gehören. Insofern müssten
die FDP und insbesondere Herr Niebel dem Gesetzentwurf zustimmen oder sagen, dass notfalls die Aufgaben
der Bundesagentur für Arbeit mit Milliarden aus dem
Bundeshaushalt bezahlt werden müssen.
({0})
Nun hat Kollege Kolb Gelegenheit, eine Frage zu
stellen.
Herr Minister, in der Koalitionsvereinbarung von
CDU/CSU und SPD steht der Satz:
CDU, CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohnzusatzkosten ({0}) dauerhaft unter 40 % gesenkt werden.
Sie haben vorhin davon gesprochen, dass die paritätisch
finanzierten Beiträge unter 40 Prozent gesenkt werden
sollen. Stimmen Sie mir zu, dass sich die zitierte Formulierung im Koalitionsvertrag auf den gesamten Sozialversicherungsbeitrag bezieht und dass sich die Regierung heute von dem Ziel der dauerhaften Senkung auf
unter 40 Prozent verabschiedet? Sie gestehen ein, dass
Sie trotz einer weitgehenden Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitragssatzes nicht in der Lage sind, die
ansonsten von Ihnen geplante Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge zu kompensieren, dass wir also entgegen der ursprünglichen Absicht der Großen Koalition
auf Dauer höhere Lohnnebenkosten haben werden.
Ich stimme Ihnen in der Interpretation des Koalitionsvertrages, dessen schriftliche Fassung ich im Wesentlichen zusammen mit dem Kollegen Kauder erstellt habe,
nicht zu. Wir haben vielmehr in der ganzen Zeit immer
betont, dass es aus unserer Sicht richtig ist, den paritätisch finanzierten Beitragssatz unter 40 Prozent zu halten. Darum geht es. Darum haben Sie hier nichts Neues
gehört. Sie haben die Frage schon hundertmal gestellt,
weil Sie es einfach nicht lassen können. Real aber haben
Sie Unrecht.
Das Zweite ist: Ich finde, jemand der mit die Verantwortung dafür trägt, dass der Beitragssatz zur Sozialversicherung von 32 Prozent auf 42 Prozent für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gestiegen ist, sollte noch
mindestens fünf Jahre höflich schweigen.
Kollege Kolb, noch eine Nachfrage.
({0})
Das verleitet mich dazu, eine Anmerkung zu dem zu
machen, was in der Zeit passiert ist, als dieser Beitragssatzanstieg zu verzeichnen war, nämlich zur deutschen
Einheit. Wir wollten diese im Gegensatz zu namhaften
Vertretern Ihrer Partei. Aber das nur am Rande.
({0})
Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat in diesem
Haus einmal gesagt: Eine Erhöhung der Beiträge zur
Sozialversicherung um 0,1 Prozentpunkte kostet
100 000 Arbeitsplätze. - Meine Frage ist: Können Sie a)
dieses Zitat bestätigen, und würden Sie mir b) zustimmen, dass sich durch Ihre Maßnahmen - nämlich Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags um durchschnittlich 0,6 Prozentpunkte und Senkung des Beitrages
zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte ein negativer Saldo und damit ein negativer Beschäftigungseffekt für unsere Volkswirtschaft in der Größenordnung von 100 000 Arbeitsplätzen ergibt?
Nein, ich stimme Ihnen nicht zu, dass es einen negativen Beschäftigungseffekt gibt. Wir haben sorgfältig darauf geachtet, dass wir unseren Spielraum nutzen und die
Beiträge zur Krankenversicherung so gering wie möglich anheben. Diese Anhebung ist deshalb auch geringer
ausgefallen, als von den Lobbyisten des Systems, wenn
ich das einmal so sagen darf, gefordert wurde. Es kommt
Ihnen übrigens kein FDP-Politiker in die Quere, wenn
Sie das laut sagen; der regt sich typischerweise über die
Regierung auf, die eine geringere Erhöhung beschließt.
Das Zweite ist: Zur Wahrheit gehört auch, dass unser
Land über ein erstklassiges Gesundheitssystem verfügt
und dass dieses Gesundheitssystem ohne Geld nicht zu
haben ist. Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger sind gut
beraten, Politikern, die ihnen versprechen, dass es für
weniger Geld mehr gibt, nicht zu glauben; denn diese
verhalten sich wie Zauberer. Auch ein Zauberer kann
nicht zaubern, sondern er arbeitet mit Tricks, bei denen
man nicht sieht, was passiert. Das gilt in gleicher Weise
für solche Politiker. Es gibt keine Technik, die es erlaubt,
eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu unterhalten, eine immer weiter steigende Lebenserwartung
der Bevölkerung zu gewährleisten, obwohl nicht jeder
joggt, nicht jeder auf das Rauchen verzichtet und nicht
jeder einen mäßigen Alkoholkonsum hat, ohne dafür
Geld auszugeben. Das geht nur, weil uns die Gesundheit
etwas wert ist und wir dafür Geld ausgeben. Wir müssen
dafür Sorge tragen, dass wir mit unserem Geld so sparsam wie möglich umgehen. Der Trick, dies alles für umsonst zu erreichen, funktioniert nicht.
Was uns jetzt gelungen ist, ist eine sehr solidarische
Finanzierung des Gesundheitswesens. Darauf ist die
Große Koalition sehr stolz; denn es ist uns gelungen, einen falschen Wettbewerb durch einen richtigen Wettbewerb zu ersetzen. Der falsche Wettbewerb, in dem die
Kassenmanager standen, bestand darin, dass man sich
die „richtigen“ Versicherten ausgesucht hat. Gut verdienende, gesunde Versicherte garantierten einen erstklassigen Beitragssatz für die eigene Krankenkasse. Der Wettbewerb, in dem die Kassenmanager in Zukunft stehen
werden, wird darin bestehen, dass man das Beste für
seine Mitglieder leistet. Das ist etwas, was wir, wie ich
glaube, gut gemacht haben. Deshalb profitieren in nicht
unerheblichem Maße viele Rentnerinnen und Rentner
von diesem Schritt. Sie werden teilweise nicht die Beitragssatzerhöhungen tragen müssen, die sie sonst hätten
tragen müssen, oder sie kommen sogar in den Genuss einer Beitragssatzsenkung. Denn es profitieren viele Kassen, unter deren Mitgliedern viele Rentnerinnen und
Rentner mit geringem Einkommen sind, welche Krankheiten haben, die sich im Alter häufen. Ich glaube, wir
haben in diesem Zusammenhang einen großen Beitrag
zur Solidarität geleistet, der im Übrigen unserer Volkswirtschaft nutzen wird. Ein letzter Satz: Dass ein solidarischer Sozialstaat eine bessere Form von Marktwirtschaft ist, als es sie anderswo gibt, wie zum Beispiel in
den USA, hat sich, so glaube ich, in diesen Tagen doch
sehr deutlich bewiesen.
Als letztem Fragesteller gebe ich dem Kollegen
Brauksiepe das Wort.
({0})
Herr Minister, die FDP hat Klage darüber geführt,
dass die Verordnung zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags auf 2,8 Prozent auf 18 Monate befristet
sein soll und dass deswegen zu wenig Planungssicherheit besteht. Ist meine Erinnerung richtig, dass die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags, die wir in
der Zeit der Großen Koalition durch formal unbefristete
Gesetze vorgenommen haben, jeweils nach weniger als
18 Monaten erfolgt ist und das durchaus im Interesse der
Beitragszahler war?
Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen völlig zu. Die
Beitragszahler - sowohl die Unternehmer als auch die
Arbeitnehmer - haben sich darüber gefreut, dass wir
nicht so lange abgewartet haben, bis man sich endlich an
den Beitragssatz gewöhnt hat, sondern ihn jeweils gesenkt haben. Diese kluge Umgehensweise mit den Beitragsgeldern wollen wir gern fortsetzen, insbesondere in
Kombination mit einer effektiven Politik auf dem Arbeitsmarkt, die dafür sorgt, dass möglichst wenige von
den Beiträgen Gebrauch machen müssen, weil die allermeisten Arbeit und Beschäftigung haben.
Damit sind die Fragen zu diesem Themenbereich abgeschlossen. Es gibt jetzt noch - ({0})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
- Ich habe Ihre Mitteilung so verstanden, dass die Kollegin Pau eine Frage zu einem anderen Themenbereich
stellen möchte.
({1})
- Trotzdem sind die 30 Minuten vorüber. Das habe ich
missverstanden, weil Sie zu mir kamen und sagten, die
Kollegin Pau wolle eine Frage zu einem anderen Themenbereich stellen. - Ich erteile Ihr das Wort.
Danke, Herr Präsident. - Einer Pressemitteilung der
Bundesregierung habe ich entnommen, dass sie sich in
der heutigen Kabinettssitzung auch mit Neuregelungen
im Zivil- und Katastrophenschutz beschäftigt hat. Welche neuen Bedrohungsfälle meinte das Bundesinnenministerium in der Pressemitteilung zum Zivil- und Katastrophenschutz,
({0})
und ist mit der Formulierung, dass die Ressourcen des
Bundes den Ländern bei besonders schweren Unglücksfällen zur Verfügung stehen sollten, auch der Einsatz der
Bundeswehr nach Art. 35 Grundgesetz gegen Folgen terroristischer Anschläge gemeint?
Wer kann dazu antworten? - Kollege Altmaier.
Herr Präsident, ich beantworte die Frage selbstverständlich gern. - Die Bundesregierung ist ständig bemüht, neue Entwicklungen im Bereich des Katastrophen- und Zivilschutzes zu beobachten. Dies bezieht
sich auf Umwelt- und Naturkatastrophen genauso wie
beispielsweise auf Stromausfälle, die es vor einigen Jahren gegeben hat, aber auch auf terroristische Angriffe
und andere Gefährdungen. Vor einigen Jahren haben wir
das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eingerichtet, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Es ist richtig, dass wir diese Ressourcen auch
den Ländern zur Verfügung stellen. Sie wissen, dass sich
der Bund beispielsweise an der Finanzierung von Feuerwehrausrüstung, von Fahrzeugen im ABC-Bereich, beteiligt. Auch diese stehen den Ländern in Zukunft zur
Verfügung. Dafür mussten wir eine einwandfreie gesetzliche Grundlage schaffen.
Zum letzten Teil Ihrer Frage: Der Entwurf, den das
Bundeskabinett beschlossen hat, bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Grundgesetzänderung zu Art. 35; denn
wie sie wahrscheinlich selbst wissen, muss sie erst noch
vorgenommen werden. Der heute im Kabinett beratene
Gesetzentwurf bezieht sich auf die zurzeit bestehende
Verfassungslage.
Gibt es sonst noch Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/10519 Die Frage 1 des Kollegen Volker Beck ({0}) aus
dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zunächst zur Frage 2 der Kollegin Britta
Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:
Gibt es einen Langzeitsicherheitsnachweis für Gorleben,
und wie bewertet die Bundesregierung die Aussage von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, sie habe „keine Lust“, in
Deutschland nach alternativen Standorten zu Gorleben zu suchen ({1})?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Müller.
Sehr geehrte Kollegin Haßelmann, zum ersten Teil Ihrer Frage: Es gibt keinen Langzeitsicherheitsnachweis
für Gorleben. In der Koalitionsvereinbarung haben wir
uns deshalb im Jahre 2005 das Ziel gesetzt, in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung der Endlagerfrage zu
kommen. Sie wissen auch, dass eine Einigung innerhalb
der Koalition für das weitere Vorgehen bei der Endlagerung hoch aktiver, Wärme entwickelnder Abfälle bisher
nicht erzielt werden konnte. Dass die Bundeskanzlerin in
diesem Zusammenhang immer wieder mitgeteilt hat,
dass man dabei auf die mit hohem Aufwand gewonnenen Erkenntnisse im Zusammenhang mit Gorleben zurückgreifen sollte, ergibt sich von selbst.
Kollegin Haßelmann, wollen Sie nachfragen?
Ja, bei der Antwort habe ich natürlich eine Nachfrage.
({0})
Herr Staatssekretär Müller, Sie haben eingangs den
Dissens in der Bundesregierung und auch innerhalb der
Koalition erwähnt. Glauben Sie, dass Sie in dieser Legislaturperiode in der Frage eines Standortes zu einer Einigung kommen werden? Daran anschließend: Welchen
Stellenwert nimmt aktuell die Beratung zu diesem
Thema im Kabinett hinsichtlich einer einheitlichen Auffassung der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zu diesem Thema angesichts der Brisanz in Niedersachsen und in der übrigen Öffentlichkeit ein?
Dass dies ein zentrales Thema ist, ist für diese Legislaturperiode nicht neu. Das ist seit der Entwicklung des
Atomministeriums 1956 und der sich daraus entwickelnden Aktivitäten immer so gewesen. Aber es ist richtig,
dass es natürlich jetzt einen besonderen Schwerpunkt
hat, weil wir mit einer Entscheidung nicht ewig warten
können. Wir bemühen uns intensiv. Aber es ist keine
Frage, dass die Lösung nicht einfach zu finden ist.
Ich schätze es so ein, dass wir in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich keine Einigung finden. Aber endgültig kann man das aus meiner Sicht erst sagen, wenn
vom 30. Oktober bis 1. November 2008 das Endlagersymposium stattgefunden hat. Wir erwarten, dass dort
einige Klarheiten geschaffen werden. Das zentrale Anliegen unseres Hauses, also des BMU, ist die Fortführung des Dialogs sowohl mit der interessierten Öffentlichkeit und der Wissenschaft als auch den
verantwortlichen Akteuren. Ich kann letztlich nicht sagen, ob wir in dieser Legislaturperiode zu einer Einigung
kommen. Wir bemühen uns. Ich halte es von der Sache
her für geboten. Aber ich kann keine Garantie bei den im
Augenblick etwas festgezurrten Ausgangspositionen geben.
Noch eine Nachfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sie haben gerade auf
das Symposium hingewiesen. Beabsichtigen Sie als
Bundesregierung, dem Parlament und dem zuständigen
Fachausschuss nach dem Symposium zu berichten, wie
das Ergebnis ist und ob man nach Einschätzung der Bundesregierung bei der Standortsuche weitergekommen
ist? Haben Sie das vorgesehen, oder ist das Ihrerseits
nicht beabsichtigt und durch das Parlament zu beantragen?
Sie haben von mir gehört, dass es die Absicht des Ministeriums ist, die Öffentlichkeit intensiv einzubinden.
Insofern ist es sowohl in Bezug auf die betroffene Region als auch in Bezug auf die Öffentlichkeit generell
unser Ziel, darüber aufzuklären. Im Übrigen wäre es sehr
kurzsichtig, zu meinen, die Ergebnisse geheim halten zu
können. Jede parlamentarische Anfrage würde uns zur
Antwort zwingen. Das wäre eine sehr kurzsichtige
Handlungsweise. So kurzsichtig sind wir nicht.
Die Frage 3 hat Kollegin Haßelmann gestellt:
Ist für die weiteren Maßnahmen beim Forschungsbergwerk Asse II eine Bürgerbeteiligung vorgesehen und, falls ja,
in welcher Form?
Die Antwort lautet: Die Asse soll entsprechend der
Festlegung der drei Beteiligten, Bundesforschungsministerium, also Frau Schavan, Bundesumweltministerium und dem Landesumweltminister, Herrn Sander, zukünftig verfahrensrechtlich wie ein Endlager behandelt
werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend vorgesehen.
Darüber hinaus wurde für die Asse II eine Begleitgruppe
eingerichtet, die insbesondere die Region einbeziehen
und die Interessen der Region bündeln soll. Diese wird
auch künftig den weiteren Prozess bei der Schließung
von Asse II begleiten.
Dazu hat sich die Kollegin Höhn zu einer Nachfrage
gemeldet. Zunächst aber haben Sie, Frau Kollegin
Haßelmann, das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre Ausführungen. Mich interessiert, ob es dazu eine einvernehmliche
Haltung zwischen dem Land Niedersachsen und der
Bundesregierung gibt.
Diese Grundvereinbarung ist zwischen dem Land und
der Bundesregierung getroffen worden. Es ist so, dass in
dieser Begleitgruppe der Landkreis Wolfenbüttel, die
Kreistagsfraktionen, die Samtgemeindebürgermeisterinnen bzw. -bürgermeister mitarbeiten, die regionalen Bürgerinitiativen und Umweltverbände sowie die drei von
mir genannten Ministerien vertreten sind.
Kollegin Höhn, bitte.
Herr Staatssekretär, es ging durch die Medien, dass
sich die Zuständigkeitsverlagerung vom Bundesministerium für Forschung auf das Bundesumweltministerium,
die eigentlich Anfang September erfolgen sollte, sehr
verzögert hat. Woran hat es gelegen? Ist diese Zuständigkeitsübertragung jetzt erfolgt? Begründen Sie noch einmal, warum es möglich ist, dass dort in der Zwischenzeit
noch Arbeiten getätigt werden, die mit dem neuen Recht
nicht mehr vereinbar sind!
Wir haben in der Zwischenzeit mit den Beteiligten
- das sind nicht nur das Bundesforschungs- und das
Bundesumweltministerium, sondern auch der Haushaltsausschuss und andere Stellen wie das Bundesfinanzministerium - eine Vereinbarung vorbereitet. Wir haben mittlerweile also eine Lösung gefunden. Das war deshalb
nicht ganz einfach, weil beträchtliche Personal- und
Finanzierungsfragen zu klären waren. Dies ist jetzt so
auf dem Weg, dass wir arbeitsfähig sind. Ich hoffe, dass
die Arbeiten im BfS nun so angelaufen sind, dass wir relativ schnell zu befriedigenden und klaren Ergebnissen
kommen.
Kollegin Kotting-Uhl, Nachfrage.
Danke schön, Herr Präsident. - Als im Raum stand,
dass die Verantwortung an das Bundesumweltministerium übergehen soll, haben wir von allen Seiten gehört,
wie dringlich es ist, die Sache unter Atomrecht zu stellen
und das Bundesumweltministerium handlungsfähig zu
machen. Wie Kollegin Höhn gerade schon bemerkt hat,
ist seit Ende September, als diese Übergabe durchgeführt
werden sollte, reichlich Zeit ins Land gegangen. Ich
habe daher die Frage - ich habe ein etwas anderes Verständnis von Dringlichkeit -, welches Ministerium oder
welcher Teil der Bundesregierung dafür verantwortlich
ist, dass der Zuständigkeitswechsel auch in der nächsten
Kabinettssitzung nicht behandelt werden soll, und welcher Termin anberaumt worden ist, um das im Kabinett
endlich einmal zu behandeln.
Da Sie von Dringlichkeit sprechen: Eigentlich müssten wir auch einmal über die letzten zehn Jahre reden.
Ich glaube aber, dass wir uns das hier und jetzt ersparen
sollten. Es gab nämlich schon früher Hinweise, auch als
noch jemand anders Minister war.
Ich kann nur sagen, dass wir uns bemühen, dies so
schnell wie möglich zu machen. Wir werden Ihnen zweifellos mitteilen, wann dieser Termin sein wird. Ich hoffe,
dass ich Ihnen noch diese Woche Auskunft geben kann.
Im Augenblick kann ich das noch nicht.
Frau Kollegin, Sie können stehen bleiben.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Kotting-Uhl auf
- sie bezieht sich ebenfalls auf das Forschungsbergwerk
Asse II -:
Welche Ergebnisse wurden gegebenenfalls bei den Gesprächen, die vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, anlässlich der Ausschussanhörung zum Forschungsbergwerk Asse II zwischen
der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen angekündigt wurden, in denen die Frage erörtert wurde,
ob die Energieversorgungsunternehmen bereit sind, sich stärker an den Kosten für die Entsorgung von deutschem Atommüll zu beteiligen, erzielt, und, falls diese Gespräche nicht
stattfanden, welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um sie einzuleiten?
Die Antwort des Ministeriums ist: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat anlässlich der Ausschussanhörung vom 16. September - darauf bezieht sich die Frage keine derartigen Gespräche angekündigt.
Nachfrage?
Ja, gerne. Danke schön. - Beabsichtigt das Bundesumweltministerium, solche Gespräche zu führen,
auch wenn sie bisher nicht angekündigt wurden?
Das Grundproblem ist - das kennen Sie ja -, dass das
zum Teil eine Einlagerung ist, die mit den privaten
EVUs gar nichts zu tun hat, sondern überwiegend aus
Forschungsreaktoren und ähnlichen Einrichtungen, vor
allem aus Karlsruhe, kommt. Da stellt sich die Frage der
Kostenbeteiligung schon ein bisschen anders.
Eine weitere Nachfrage, bitte.
Ja, danke schön. - Ich habe eine etwas andere Einschätzung als Sie, Herr Staatssekretär Müller.
Zum einen haben Atomkraftwerke in Asse tatsächlich
- das wissen sicherlich auch Sie - direkt eingelagert.
Zum anderen kommen 50 Prozent des Inventars - was
die Radioaktivität betrifft, sind es sogar 89 Prozent - aus
der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe. Wir haben
noch keine Aufklärung darüber bekommen, was das genau ist. Wir lassen aber die Vermutung zu, dass einiges
aus Atomkraftwerken kommt. Ich nehme an, dass in der
Wiederaufarbeitungsanlage, wo die Wiederaufarbeitung
erforscht werden sollte, auch mit Atommüll gearbeitet
wurde. Woher soll der kommen, wenn nicht aus Atomkraftwerken? Ich glaube, es ist mehr als nur eine Vermutung, dass die Atomkraftwerksbetreiber tatsächlich da
eingelagert haben. Minister Gabriel hat sich auch bei der
gemeinsamen Sitzung von Forschungs- und Umweltausschuss in der Richtung geäußert, dass durchaus die
Überlegung vorhanden ist, an eine Beteiligung heranzugehen.
Deswegen möchte ich Sie bitten, auf dieser Grundlage meine Frage zu beantworten, ob beabsichtigt ist,
solche Gespräche zu führen.
Über all die Fragen der Historie und der Verantwortung können wir uns sicherlich schnell einigen, aber zu
diesem entscheidenden Punkt: Die Nachfrage beim
BMBF hat ergeben, dass der von der WAK an die Asse
abgegebene Abfall nicht von den EVUs stammt.
({0})
- Entschuldigung; ich kann die Auskunft nur wiederholen.
Damit kommen wir zur Frage 5 des Kollegen Peter
Hettlich:
Gibt es einen Schriftwechsel zwischen dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz und der
Rechtsanwaltskanzlei Heinemann & Partner, der die rechtliche Erörterung einer Schließung des Forschungsbergwerks
Asse II zum Gegenstand hat, und ist die Bundesregierung bereit, dem Parlament diesen Schriftwechsel zur Verfügung zu
stellen?
Lieber Kollege Hettlich, es tut uns leid; wir können in
dieser Frage keine Auskunft geben. Der entsprechende
Schriftwechsel müsste beim niedersächsischen Ministerium vorliegen. Er ist uns bisher nicht zugänglich. Sie
müssten ihn schon selbst anfordern.
Kollege Hettlich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Staatssekretär Müller, dann ist die Frage: Ist Ihnen bekannt,
dass einmal erörtert worden ist, das Forschungsbergwerk
Asse II zu schließen? Ist wenigstens dies dem Ministerium bekannt?
Es gibt über die Asse sehr viel aufzuarbeiten. Wir
sind intensiv dabei, haben deshalb unter anderem die Begleitgruppe gebildet. Für die Vergangenheit ist nicht das
Umweltministerium, sondern die Bundesregierung insgesamt verantwortlich. Die Erkenntnisse, die wir jetzt
haben, haben zu einer Verfahrensänderung geführt. Ich
halte diese Verfahrensänderung für richtig.
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Müller, ich gehe aber davon aus,
dass im Rahmen des Übergangs der Verantwortlichkeit
vom BMBF auf das BMU entsprechende Erörterungen
mit dem BMBF stattgefunden haben. Ist in den vielen
Gesprächen, die jetzt sicherlich geführt werden, beispielsweise dieses Thema einmal angesprochen worden?
Wir haben viele Punkte angesprochen. Ich würde sagen: Warten Sie ab, bis wir den Bericht fertig haben! Ich
will auch nicht zwischendurch etwas sagen.
Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Hettlich:
Gibt es Akten oder Gesprächsvermerke zur Erarbeitung
des Sonderbetriebsplans 18 - also Akten aus den Jahren bis
2007, in denen Aktivitäten dokumentiert wurden, die im Vorfeld der Erarbeitung des Sonderbetriebsplans 18 stattfanden -,
und welche Erklärung hat die Bundesregierung gegebenenfalls dafür, dass keine oder nur sehr wenige Akten und Gesprächsvermerke existieren?
Die Antwort lautet: Der Bundesregierung liegen
keine Akten oder Gesprächsvermerke zur Erarbeitung
des Sonderbetriebsplans 18 vor. Entsprechende Akten
und Gesprächsvermerke müssten bei den zuständigen
Behörden, also insbesondere dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie sowie dem niedersächsischen
Ministerium, vorliegen. Wir sehen in der Aufarbeitung
des ganzen Verfahrens Veranlassung, dies alles zu klären
und in dem geordneten Verfahren daraus unsere Konsequenzen zu ziehen.
Kollege Hettlich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Da der Sonderbetriebsplan noch unter Bergrecht, Bundesberggesetz, erarbeitet wurde, an Sie die Frage: Wird das jetzt überhaupt
noch weiterverfolgt, oder wird das nach dem Beschluss,
dass es jetzt eine Endlagerentscheidung nach Atomrecht
geben soll, nicht weiterverfolgt? Das würde mich einmal
interessieren.
Ohne dass ich dazu die letzte Entscheidung definitiv
sagen könnte, gehe ich nach meinem Wissensstand davon aus, dass jetzt das atomrechtliche Verfahren zählt.
Obwohl der Übergang aus Ihrer Sicht noch nicht ganz
erfolgt ist?
Aber das ist innerhalb der Bundesregierung ja der
Grund für die Verlagerung gewesen. Ich kann mir nur
auf dieser Basis das weitere Vorgehen vorstellen.
({0})
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 7 kommt von der Kollegin Cornelia Hirsch,
Fraktion Die Linke:
In welchem Verhältnis steht der Vorschlag der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zur
Gründung einer „offenen Universität“ ({0}) zu dem Ziel, die
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Hochschulen flächendeckend für Bewerberinnen und Bewerber ohne klassische Hochschulzugangsberechtigung zu öffnen, und in welchem Umfang ist die Einrichtung einer offenen
Universität im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für
2009 berücksichtigt?
Herr Storm, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte die
Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt: Der Vorschlag
einer offenen Hochschule steht im Zusammenhang mit
der Qualifizierungsinitiative für Deutschland, die Verbesserungen des Übergangs von beruflicher Bildung zur
Hochschule vorsieht. Frau Bundesministerin Dr. Schavan
unterstützt damit auch die Bemühungen der Länder und
deren Verständigung auf gemeinsame Mindestanforderungen zum Hochschulzugang für beruflich qualifizierte
Studienbewerberinnen und Studienbewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Einzelheiten der
Konzeption und Finanzierung von Angeboten einer offenen Hochschule sind in entsprechenden Bund-LänderGesprächen zu klären.
Kollegin Hirsch, bitte.
Besten Dank. Sie haben aber noch nicht den Teil meiner Frage beantwortet, aus welchem Grund die Bundesregierung darauf verzichtet, den Hochschulzugang für
Menschen mit einem Berufsabschluss insgesamt zu öffnen, sondern darauf abzielt, nur eine Modellhochschule
einzurichten.
Frau Abgeordnete Hirsch, dies trifft nicht zu. Die
Bundesregierung hat dieses Thema zum einen zum Gegenstand der Beratungen des Bildungsgipfels in der
nächsten Woche gemacht. Dabei werden bereits mit den
Ländern eine Reihe von konkreten Maßnahmen diskutiert, die dazu dienen sollen, den Hochschulzugang für
erfolgreiche Absolventen des beruflichen Bildungssystems, die den Meistertitel oder die Technikerausbildung
haben, zu öffnen. Das soll darüber hinaus auch für Absolventen des beruflichen Bildungssystems mit mehrjähriger Berufserfahrung gelten.
Zum anderen gibt es hinsichtlich der Idee der offenen
Hochschule bzw. der Umsetzung dieser Idee, die Erwägung, einen Wettbewerb durchzuführen, bei dem mehrere Hochschulen mit innovativen Konzepten Wege zu
einer offenen Hochschule vorstellen können.
Kollegin Hirsch, eine weitere Nachfrage?
Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Bisher haben
wir sehr wenig Wettbewerb im Bildungsbereich. Meine
zweite Nachfrage bezieht sich auf den von Ihnen genannten Bildungsgipfel. Ich habe eine Frage zur Finanzierung; es sind ja verschiedene Zahlen im Umlauf.
Unter anderem hat Bildungsministerin Schavan angekündigt, dass sie bis 2012 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will. Wenn man bedenkt, dass wir heute
Morgen über 500 Milliarden Euro diskutiert haben, erscheint diese Summe niedrig. Auch vor dem Hintergrund der Veröffentlichung der OECD - darin wurde
festgestellt, dass Deutschland bei den Bildungsausgaben
so weit hinten liegt, dass wir jedes Jahr das Dreifache
des Betrages, den Frau Schavan für die Bildung angekündigt hat, investieren müssten, um auf den europäischen Durchschnitt zu kommen - frage ich Sie, ob Sie
meinen, dass diese Finanzierungsvorschläge wirklich
sinnvoll und ausreichend sind, um ein gut ausgestattetes
Bildungssystem zu erreichen.
Frau Abgeordnete Hirsch, zunächst einmal teilt die
Bundesregierung die von Ihnen aufgemachten Rechenbeispiele nicht. Sie sind auch nicht nachvollziehbar.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat heute im
Kabinett einen mündlichen Bericht über einen Mehraufwand des Bundes in Höhe von 6 Milliarden Euro für den
Bildungsbereich im Zeitraum von 2008 bis 2012 vorgelegt. Dabei handelt es sich um die Umsetzung der Qualifizierungsinitiative, die das Bundeskabinett zur Vorbereitung des Bildungsgipfels am 9. Januar dieses Jahres
beschlossen hat. Das sind die Mittel für zusätzliche
Maßnahmen, die der Bund im Vorfeld des Bildungsgipfels bereitgestellt hat. Hinzu kommen die laufenden
Ausgaben, die wir für die Bildung veranschlagt haben.
Die Summe von 6 Milliarden Euro, die wir zusätzlich für
die Bildung allein im Zeitraum bis 2012 vorgesehen haben, ist eine sehr beachtliche Größenordnung.
Es gibt eine weitere Nachfrage. Bitte schön.
Herr Storm, ich möchte Sie fragen, was Sie unter
„Mehraufwand“ und „zusätzlichen Maßnahmen“ verstehen und wie Sie uns das erklären wollen, nachdem Sie
uns gerade eben im Bildungsausschuss dargelegt haben,
dass sich die 6 Milliarden Euro im Wesentlichen aus
Mitteln für Programme, die bereits stattfinden, bzw. aus
Mitteln, die vom Parlament bereits verabschiedet - ich
nenne beispielhaft das KiföG oder die Mittel der BA für
den Ausbildungsbonus - oder in der mittelfristigen
Finanzplanung vorgesehen sind, zusammensetzen.
Frau Abgeordnete, bei diesen 6 Milliarden Euro handelt es sich um die Summe der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Qualifizierungsinitiative, die das
Bundeskabinett im Januar beschlossen hat, durchgeführt
werden bzw. um Erhöhungen von bereits bestehenden
Maßnahmen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Das
Bundeskabinett hat vor kurzem eine Novelle des Aufstiegsförderungsgesetzes, also des sogenannten MeisterBAföGs beschlossen, die dazu führen wird, dass, wenn
dieses Gesetz im vollen Umfang greift, die Leistungen
des Bundes um 60 Prozent von 120 Millionen Euro auf
200 Millionen Euro angehoben werden.
Dieses Gesetzgebungsverfahren wird voraussichtlich
bis zum Ende dieses Jahres im Deutschen Bundestag erfolgen, sodass im Erfolgsfall dieses Gesetz zum 1. Juli
2009 in Kraft treten kann. Selbstverständlich ist dies sowohl im Etatentwurf für das Jahr 2009 als auch in der
mittelfristigen Finanzplanung enthalten. Das ist exemplarisch dafür, wie es sich auch mit den übrigen Maßnahmen verhält, die im Umsetzungsbericht der Qualifizierungsinitiative enthalten sind.
Damit kommen wir zu Frage 8 der Kollegin Hirsch:
Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Sinne der vom Parlamentarischen
Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung Andreas Storm am 24. September 2008 im Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des
Deutschen Bundestages angekündigten Bereitstellung von Informationen über den Erarbeitungsprozess des Deutschen
Qualifikationsrahmens unternommen, bzw. welche Informationen wird es wann veröffentlichen, um den angestrebten
„breiten Dialog“ zu ermöglichen?
Frau Abgeordnete Hirsch, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt:
Durch die Mitglieder des Arbeitskreises Deutscher
Qualifikationsrahmen, die für den Bildungsbereich maßgebliche gesellschaftliche Institutionen repräsentieren,
ist seit Beginn der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens eine breite Information und Diskussion
zum aktuellen Stand des Prozesses in den jeweiligen
Gremien und Interessenverbänden sichergestellt.
Ziel der Einrichtung einer Internetpräsenz ist es, Informationen weiterzugeben und eine breitere Diskussion
zu ermöglichen. Neben allgemeinen Informationen zur
Funktion, zu den Zielen und zu dem Erarbeitungsprozess
des Deutschen Qualifikationsrahmens werden auf der
DQR-Website Angaben zu den Akteuren und Gremien
sowie die wichtigsten Dokumente und relevanten Links
zu finden sein.
Um auch der interessierten Fachöffentlichkeit, die
nicht am ersten DQR-Kongress im März 2008 teilnehmen konnte, den Zugang zu den Ergebnissen zu ermöglichen, werden diese auf der Website, aber auch in Form
einer gedruckten Dokumentation veröffentlicht. Informationen über zukünftige Tagungen werden ebenfalls
über die DQR-Website erhältlich sein. Geplant ist die
Freischaltung dieser Website für Ende Oktober.
Frau Kollegin Hirsch.
Danke schön. - Herr Kollege Storm, Sie haben bereits
mehrmals angekündigt, dass es Ihnen bei der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens sehr um eine
breite und transparente Debatte geht. Wir haben auf
mehreren Internetseiten der Interessenverbände, die Mitglieder der DQR-Arbeitsgruppe sind, den Hinweis gefunden, dass sie vom BMBF dazu aufgefordert worden
seien, die Unterlagen der Arbeitsgruppe aus dem Netz zu
nehmen, da man künftigen Beschlüssen nicht vorgreifen
wolle. Das deckt sich mit dem, was Sie uns im Bildungsausschuss gesagt haben, dass Sie warten wollen, bis Ergebnisse vorliegen. Diese Ergebnisse sollen dann veröffentlicht werden.
Meine Frage lautet: Wie möchten Sie es schaffen,
dass eine breite Debatte in der Fachöffentlichkeit hergestellt wird, wenn nicht der Diskussionsprozess transparent gemacht wird, sondern nur die Ergebnisse zur Verfügung gestellt werden?
Hinzu kommt, dass Sie jetzt gesagt haben, dass die
Ergebnisse der Tagung Ende Oktober feststehen sollen.
Können Sie vielleicht noch einmal darstellen, bis wann
das abgeschlossen sein soll? Bis wann sollen die endgültigen Entscheidungen gefallen sein? Wie viel Zeit wird
dann noch für eine breite und transparente öffentliche
Debatte gegeben sein?
Frau Abgeordnete Hirsch, dieser Prozess kann nur
dann erfolgreich verlaufen, wenn die relevanten Akteure
die Gelegenheit haben, sich einzubringen. Aus diesem
Grund ist der Arbeitskreis DQR eingerichtet worden, sodass es nicht eine Veranstaltung des Bundes und der
Länder ist, sondern die relevanten Akteure des Bildungsbereiches eine maßgebliche Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist dieser Kongress zu nennen.
Auf der anderen Seite müssen wir den Akteuren die
Gelegenheit geben, bestimmte Diskussionen zunächst
einmal für sich zu klären. Diese Ergebnisse werden dann
auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und
dann natürlich für eine öffentliche Debatte zur Verfügung stehen.
Der Prozess insgesamt ist so angelegt, dass der DQR
bis zum Jahr 2010 erstellt werden soll. Wir sind voll im
Zeitplan. Im Moment geht es - das ist Ihnen auch aus der
Ausschussberatung bekannt - um die Erstellung der Matrix, also sozusagen des Einordnungssystems für die
Qualifikationen. Da dies ein Kernelement, ein Herzstück
des DQR ist, ist es auch sinnvoll, dass die Akteure nun
die Gelegenheit haben, über die Struktur dieser Matrix
miteinander zu verhandeln, bevor sie veröffentlicht wird.
Noch eine Nachfrage?
Ja, ich habe eine weitere Nachfrage. - Im Bildungsausschuss sind sehr viele offene Fragen zu diesem
Thema aufgetaucht. Den gleichen Eindruck haben wir
aus unseren Gesprächen mit den verschiedenen Interessengruppen, die an der Erarbeitung des Deutschen Qualifikationsrahmens beteiligt sind, gewonnen.
Die Frage ist, ob die Bundesregierung aus den vielen
offenen Fragen, die deutlich geworden sind, in irgendeiner Form Schlussfolgerungen für den weiteren Prozess
gezogen hat. Wollen Sie das Verfahren zur Erarbeitung
des DQR verlangsamen, und wollen Sie versuchen, auch
andere Bereiche einzubeziehen und noch andere Punkte
aufzugreifen? Mit anderen Worten: Haben Sie aus der
bisherigen Debatte, insbesondere aus der Debatte im Bildungsausschuss, die sehr kontrovers verlief, etwas lernen können?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung sieht
hierzu keinen Grund, da wir zum einen voll im Zeitplan
sind, den sich die relevanten Gremien gegeben haben,
und da zum anderen die relevanten Akteure über den Arbeitskreis DQR und über andere Mitwirkungsmöglichkeiten beteiligt sind und daher dieser Prozess aus Sicht
der Bundesregierung so verläuft, wie wir uns das vorgestellt haben, sodass wir bis zum Jahr 2010 zu einem erfolgreichen Abschluss kommen können.
Danke. - Wir kommen damit zur Frage 9 des Kollegen Kai Gehring:
Wie beurteilt die Bundesregierung die angesichts der aktuellen Finanzmarktkrise vollzogene Erhöhung der Zinssätze
für die Studienkredite der KfW Bankengruppe von 5,95 Prozent - Zinssatz von Dezember 2006 - auf 7,05 Prozent - seit
1. Oktober 2008 gültiger Zinssatz -, und welche hochschulpolitischen Konsequenzen und Schlüsse zieht die Bundesregierung für ihr aktuelles und künftiges Handeln daraus?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Abgeordneter Gehring, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Der Studienkredit ist ein ergänzendes, optionales Angebot, das jungen Menschen unabhängig von bestehenden Sozialleistungsansprüchen gemacht wird. Die
Bundesregierung weist auf die Flexibilität des Studienkreditprogrammes hin. Zu feststehenden Terminen zweimal im Jahr kann nicht nur der monatliche Darlehensbetrag geändert werden, sondern in der Rückzahlungsphase
auch die Annuität an Zinsen und Tilgungsraten für den
Kredit.
Die Anhebung des Zinssatzes für Studienkredite auf
7,0 Prozent bzw. 7,05 Prozent effektiv ist eine eigenständige Entscheidung der KfW-Förderbank. Die Bundesregierung nimmt diese Erhöhung der Zinsen zum Anlass,
mit der KfW die weitere Entwicklung zu erörtern.
Kollege Gehring.
Ganz herzlichen Dank. - Das regt natürlich zum
Nachfragen an, weil die KfW-Studienkredite bereits von
43 000 Studierenden in Anspruch genommen werden,
die jetzt und auch später von der Erhöhung betroffen
sein werden. Der KfW-Tilgungsrechner liefert das Ergebnis, dass bei einem sechssemestrigen Studium mit einer zurzeit durchschnittlichen Förderhöhe von 490 Euro
zwischen Oktober 2006 und Oktober 2008 eine zusätzliche Zinsbelastung von über 3 800 Euro entsteht. Bei einer maximalen Förderdauer von zehn Semestern erhöht
sich die Verschuldung sogar um über 10 000 Euro.
Deswegen wäre es wichtig, wenn die Bundesregierung aus der Antwort auf die folgende Frage entsprechende Konsequenzen ziehen würde: Ist der KfW-Studienkredit angesichts der Verschuldungsrisiken aus Ihrer
Sicht ein verantwortbares Studienfinanzierungsinstrument? Halten Sie diesen Kredit für ein attraktives Angebot - so haben Sie ihn immer verkauft - oder eher für ein
riskantes Finanzierungsinstrument, von dem Sie Studienanfängern jetzt eher abraten?
Herr Abgeordneter Gehring, der KfW-Studienkredit
ist vor zweieinhalb Jahren mit der Intention eingeführt
worden, eine alternative, attraktive Finanzierungsquelle
für die Studierenden anzubieten neben dem BAföG auf
der einen Seite und den bestehenden konventionellen Finanzierungsangeboten auf der anderen Seite. Dabei waren zwei Punkte wesentlich: zum einen eine große Flexibilität für die Kreditnehmer und zum anderen eine
Anpassung der Zinsen an die allgemeine Zinsentwicklung.
Nun wäre Ihre vorgetragene Berechnung hypothetisch
dann richtig, wenn wir den Zinssatz von 7,0 Prozent, der
seit 1. Oktober 2008 gilt, in unveränderter Weise für die
nächsten Jahrzehnte hätten. Das ist aber sehr unwahrscheinlich. Für den Fall, dass die Zinsentwicklung wieder nach unten geht, wird der KfW-Studienkredit selbstverständlich in entsprechender Weise angepasst, sodass
diese Berechnungen, die sehr hohe zusätzliche Belastungen ergeben, mit einem sehr großen Fragezeichen zu
versehen sind.
Gleichwohl sieht die Bundesregierung die Attraktivität eines solchen ergänzenden Angebotes dann als gefährdet an, wenn eine zu hohe Zinsbelastung droht. Deshalb werden wir in Gesprächen mit der KfW sowohl
dieses Finanzierungsangebot im Umfeld der alternativen
Finanzierungsangebote entsprechend einschätzen als
auch die Frage prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, dieses
Finanzierungsinstrument ein Stück weit attraktiver zu
machen, insbesondere zur Vermeidung einer zu starken
Belastung der Studierenden in der Rückzahlungsphase.
Wollen Sie noch einmal nachfragen?
({0})
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Es gibt dann noch drei weitere Nachfragen zu dieser
Frage.
Ich habe noch eine Nachfrage dazu, dass Sie gesagt
haben, dass sich dieser Zinssatz weiter verändern kann.
Für wie realistisch halten Sie es in Anbetracht der Finanzmarktkrise, die wir derzeit erleben, dass dieser Zinssatz im nächsten Jahr, zum Beispiel zum 1. April 2009,
weiter nach oben korrigiert wird, die Verschuldungsrisiken noch stärker steigen und damit die KfW-Bankenkrise ein Stück weit auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die Studienkredite und auch andere
Bildungskredite der KfW-Förderbank in Anspruch nehmen?
Mich würde sehr interessieren, ob Sie zum Beispiel
mit den Ländern in Gespräche eintreten werden. Denn
auch bei den Studienkrediten seitens der Landesbanken
sind Zinssteigerungen zu erwarten. Ministerin Schavan
wird offensichtlich morgen in der Leipziger Volkszeitung
ankündigen, dass über denkbare Alternativen nachgedacht wird. Mich würde sehr interessieren, welche Alternativen das sind, bis wann Sie prüfen und bis wann Ergebnisse vorliegen werden.
Herr Abgeordneter Gehring, zunächst einmal hat die
Bundesregierung keine Kenntnis über die künftige Zinsentwicklung, und zwar nicht nur aufgrund der derzeit
schwierigen Situation auf den Finanzmärkten.
Zu Ihrer Frage nach der Situation in den Ländern. Wir
haben ja im Hinblick auf den KfW-Studienkredit und
Ähnliches teilweise vergleichbare Angebote auf Länderseite. Wir werden uns natürlich für die Gespräche mit
der KfW über den Studienkredit diese Angebote anschauen und eine Einordnung der Palette der Finanzierungsangebote, die den Studierenden zur Verfügung
steht, vornehmen. Dabei muss ein Leitmotiv sein - das
gilt zumindest für den Bund -, dass wir vermeiden müssen, dass die Studierenden in eine Situation kommen, in
der sie eine finanzielle Belastung haben, die man als zu
hoch empfinden müsste. Dies ist ein Leitgedanke auch
bei der Frage nach möglichen Konsequenzen.
Es gibt jetzt noch vier Nachfragen zu dieser Frage. Zunächst Kollegin Hirsch.
Ich möchte den letzten Punkt, nach dem Kollege
Gehring gefragt hat, aufgreifen; denn dazu gab es noch
keine Antwort. Auch war ich über Ihre vorherigen Antworten etwas überrascht angesichts dessen, dass wir die
Tickermeldung vorliegen haben, dass Bildungsministerin Annette Schavan sagt - ich zitiere sie -, dass die Zinserhöhung ein „falsches Zeichen“ sei und man über
„denkbare Alternativen“ nachdenken müsse. Sie aber sagen uns hier: Das muss nun einmal so sein; so viel kann
sie daran nicht ändern.
Mich würde interessieren: Wenn es Überlegungen der
Bundesregierung gibt, daran etwas zu ändern, wenn die
Bundesregierung der Auffassung ist, das Ganze sei ein
falsches Signal, wie möchte man das ändern, wie möchte
man vorgehen?
Frau Abgeordnete Hirsch, ich habe Ihnen eben deutlich gemacht, dass für die Bundesregierung eine sehr
hohe Priorität darin liegt, eine zu große Finanzierungslast für diejenigen Studierenden zu vermeiden, die einen
solchen Studienkredit in Anspruch nehmen. Die 7-Prozent-Marke ist durchaus eine Grenze - angesichts dieser
Größenordnung sehen dies sicherlich wir alle in diesem
Hause so -, bei der man überlegen muss, ob Maßnahmen
ergriffen werden.
Aus diesem Grunde werden wir Gespräche mit der
KfW führen. Dann werden wir schauen, ob es möglicherweise Alternativen zu dem bestehenden Angebot, ob
es mögliche Lösungen geben kann.
Kollegin Stokar von Neuforn.
Ich möchte noch einmal konkret nachfragen: Kann
sich die Bundesregierung vorstellen, dass die Studenten
einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Pleite der
IKB und der jetzigen skandalösen Zinserhöhung sehen?
Will die Bundesregierung es wirklich hinnehmen, dass
die Studenten die Zeche für die Zockerei der IKB zu
zahlen haben? Was gedenken Sie konkret zu tun?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hält es vor
allen Dingen für erforderlich, dass die Diskussion auf einer seriösen Grundlage geführt wird und nicht Zusammenhänge hergestellt werden, die objektiv nicht bestehen.
({0})
Frau Abgeordnete, ich möchte Ihnen deshalb kurz erläutern, was der Zinserhöhung beim KfW-Studienkredit
zugrunde liegt: Das ist die Zinsentwicklung beim 6-Monats-Euribor. Bei Einführung des KfW-Studienkredits im
April 2006 lag er bei rund 3,0 Prozent. Er ist bis zum
1. Oktober auf 5,4 Prozent, also um 2,4 Prozentpunkte
gestiegen.
({1})
Im gleichen Zeitraum ist der Zinssatz für den KfW-Studienkredit von 5,11 Prozent auf jetzt 7,0 Prozent gestiegen. Das sind knapp 1,9 Prozentpunkte. Wenn man sich
das im Verlauf anschaut, dann stellt man fest, dass das
eine ziemlich kontinuierliche Entwicklung ist.
Nun kann man - zu Recht - einen Zinssatz von
7,0 Prozent für so hoch halten, dass man nach Möglichkeiten sucht, den Kredit attraktiver zu gestalten. Einen
Zusammenhang mit anderen Ursachen herzustellen, ist
aber in Hinblick auf das Vertrauen von jungen Menschen
in Instrumente zur Finanzierung ihrer Bildung wenig
hilfreich.
Kollegin Höhn.
Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal auf die
Frage meiner Kollegin eingehen. Für einen normalen
Studenten stellt sich das doch folgendermaßen dar: Die
KfW ist sehr großzügig gewesen, als es darum ging, maroden Banken Gelder in dreistelliger Millionenhöhe hinterherzuschmeißen. Jetzt, wenig später, werden aber die
Kredite für die Studenten erhöht. Die KfW hat in der Bevölkerung enorm viel Vertrauen verloren.
Ihre Ministerin hat offensichtlich die notwendige Sensibilität, zu sagen: Diese Zinserhöhung ist nicht in Ordnung. Sie hingegen drucksen sehr rum. Ich habe eben
mitgeschrieben. Sie haben gesagt: Man muss überlegen,
ob Maßnahmen ergriffen werden. Meinen Sie, dass die
Studenten in diesem Land Verständnis dafür haben, dass
man, wenn es um hohe Zinsen für Studenten geht, erst
überlegen muss, ob man etwas machen kann, obwohl
man in der Lage ist, aufgrund von Fehlern der Banken
innerhalb einer Woche ein dreistelliges Milliardenpaket
zusammenzubekommen? Meinen Sie, dass Studenten
dafür Verständnis haben?
Frau Abgeordnete, ich habe eben deutlich gemacht,
dass die Bundesregierung hier einen Handlungsbedarf
sieht und deshalb in Gespräche mit der KfW eintritt.
Wenn Sie sich einmal die Palette ähnlicher Studienkreditangebote anschauen, stellen Sie fest, dass dieser Studienkredit sich nicht allein in dieser Größenordnung bewegt. Deshalb lautet die Frage: Wie kann man eine
sozialverträgliche Lösung finden? Wie können Kreditangebote aussehen, die für die Studierenden auch finanzierbar sind? Dies sind die Leitfragen der Bundesregierung bei den Gesprächen in den nächsten Wochen.
Jetzt Kollegin Sager.
Herr Storm, wir haben heute im Ausschuss auch über
die Anreize für Weiterbildung gesprochen. Sie haben uns
mitgeteilt, dass das Weiterbildungsdarlehen dem erfolgreichen Modell der Studienkredite nachgebildet werden
soll. Wie wollen Sie dem Eindruck entgegentreten, dass
in Zukunft nicht nur die Studierenden, sondern auch die
erwachsenen „Weiterbilder“ diesen unverhältnismäßigen
Zinsrisiken ausgesetzt werden, die Folge von Verwerfungen an den Finanzmärkten sind? Überlegen Sie zum
Beispiel, mit Verträgen mit fixen Zinssätzen oder mit garantierten Zinssatzobergrenzen zu arbeiten? Das sind
doch die konkreten Fragen.
Frau Abgeordnete Sager, der Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung hat heute abschließend einen Meilenstein der Weiterentwicklung im
Weiterbildungsbereich beraten, der drei wesentliche
Elemente enthält: erstens den Einbau von Entnahmemöglichkeiten für Weiterbildungszwecke in der Vermögensbildung, zweitens die Einführung einer neuen Weiterbildungsprämie bis zu 154 Euro und drittens den
Aufbau einer breiten Beratungsinfrastruktur für den
Weiterbildungsbereich mit 600 regionalen Zentren.
Es ist auch beabsichtigt, dass wir dies mittelfristig um
ein Angebot für ein Weiterbildungsdarlehen ergänzen.
Ein solches Angebot für ein Weiterbildungsdarlehen
liegt aber in diesen Tagen noch nicht vor, weil es sich ein
Stück weit als komplizierter darstellt und gestaltet als
beispielsweise die Konzeption von Studienkrediten.
Nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung wird die Bundesregierung selbstverständlich ein
wesentliches Augenmerk darauf richten, dass, wenn es
ein solches Angebot gibt, dieses angemessene Konditionen für die Weiterbildungsteilnehmer hat.
Ich lasse jetzt noch zwei Nachfragen zu dieser Frage
zu. Dann sollten wir wirklich zur nächsten Frage kommen.
Zunächst Kollege Thiele und dann Kollegin KottingUhl.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, die Zinserhöhung
ist gerade jetzt erst wirksam geworden. Sie haben auf
den Zeitraum seit April 2006 verwiesen und darauf, wie
die Zinsen von 3 auf 4,5 Prozent gestiegen sind. Aber sie
sind auch gerade wieder um einen halben Prozentpunkt
gesenkt worden. Das ist nicht entsprechend berücksichtigt, sodass sich schon folgende Frage aufdrängt; sie ist
eigentlich offensichtlich. Weil der Staat sich zu rot-grüner Zeit an der IKB beteiligt hat,
({0})
sind die Probleme der IKB auch Probleme des Staates
geworden. Dadurch wurden Gelder benötigt, die zum
Teil vom Bund gestellt wurden, im Wesentlichen aber
von der KfW. Dadurch ist die Refinanzierungsmöglichkeit der KfW drastisch eingeschränkt worden. Dadurch
werden die Zinsen der KfW insgesamt erhöht. Ist das
nicht der Zusammenhang, in den das zu stellen ist? Denn
- da stimme ich den Vorfragestellern ausdrücklich zu hier ist doch der Sachzusammenhang zu sehen. Die Studierenden werden für die Probleme im Zusammenhang
mit der Staatsbeteiligung an der IKB zur Kasse gebeten.
({1})
Herr Abgeordneter Thiele, der Sachzusammenhang
ist nicht der, dass wir jetzt eine einmalige Anhebung des
Zinssatzes beim KfW-Studienkredit haben. Sie ist vielmehr in mehreren Stufen erfolgt. Wenn man sich das anschaut und mit dem 6-Monats-Euribor vergleicht, dann
ist jeweils mit einer leicht gedämpften Wirkung die dortige Entwicklung an den Zinssatz für den KfW-Studienkredit weitergegeben worden. Von daher ist ein solcher
Sachzusammenhang zunächst einmal nicht unmittelbar
ersichtlich.
Eine Anpassung an eine zwischenzeitlich erfolgte
Veränderung, etwa des Euribor-Zinssatzes, nach unten
ist nach der derzeitigen Regelung erst wieder zum nächsten Stichtag - das ist der 1. April 2009 - möglich. Wir
werden natürlich in den Gesprächen mit der KfW über
all diese Konditionen reden, die von zwei Dingen geleitet sein müssen: Erstens sollte, wenn es eine deutlich
günstigere Zinsentwicklung gibt, diese zu einem Zeitpunkt, der so früh wie möglich liegt, an die Studierenden
weitergegeben werden, und zweitens - ich betone das
noch einmal - sollte die Belastung der Studierenden
nicht zu hoch werden; hier ist eine Schwelle erreicht, die
auch aus Sicht der Bundesregierung nicht mehr akzeptabel ist.
Kollegin Kotting-Uhl, bitte.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich richte meine
Nachfrage an Staatssekretär Storm, obwohl man jetzt
auch in andere Debatten eintreten könnte. Aber ich
glaube, hier ist nicht der Ort dafür.
Wir haben im Sommer die Äußerung von KfW-Chefvolkswirt Irsch gehört: „Mit dem KfW-Studienkredit
gibt es keinen Grund mehr, ein Studium aus finanziellen
Gründen nicht aufzunehmen.“ Glauben Sie nicht auch,
dass in der jetzigen Situation genau das wieder eintreten
könnte, was wir alle immer versucht haben zu vermeiden
bzw. wovon wir wegkommen wollten, nämlich dass
junge Menschen genau aus diesen Gründen überlegen,
ob sie sich ein Studium überhaupt leisten können? Wer
soll Ihrer Meinung nach jetzt mit welcher Art von Äußerungen Studierende motivieren, zu einem solchen Studienkredit zu greifen?
Frau Abgeordnete Kotting-Uhl, ich darf erstens auf
meine Antwort von vorhin verweisen, in der ich erläutert
habe, dass bei dem Mechanismus, der dem KfW-Studienkredit zugrunde liegt, nicht davon auszugehen ist,
dass wir nun dauerhaft eine Zinsbelastung von 7 Prozent
hätten, wenn nichts geändert würde.
Ich darf zweitens darauf verweisen, dass die Bundesregierung aus der Überzeugung heraus, dass das derzeitige Zinsniveau des KfW-Studienkredits zu hoch ist, mit
der KfW Gespräche führen wird, um eine attraktivere
Lösung im Sinne der Studierenden zu finden.
Gut.
Danke schön. - Wir kommen damit zur Frage 10 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl; auch diese Frage gehört
noch zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung.
Gibt es Schweigeklauseln in den Verträgen zwischen dem
Helmholtz-Zentrum München und seinen mit dem Forschungsbergwerk Asse II befassten Mitarbeitern bzw. ehemaligen Mitarbeitern ({0}), und, falls ja, beabsichtigt die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass diese Stillschweigevereinbarungen aufgehoben werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Rachel
steht zwecks Beantwortung zur Verfügung. Bitte sehr,
Herr Rachel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Kotting-Uhl, zu Ihrer Frage darf ich Ihnen antworten: In
den Arbeitsverträgen, die für die Mitarbeiter der
Schachtanlage Asse abgeschlossen wurden, sind keine
Klauseln enthalten, die dem Arbeiternehmer eine
Schweigepflicht auferlegen. Für die Mitarbeiter der
Schachtanlage Asse gelten damit die gleichen gesetzlichen Nebenverpflichtungen zur Verschwiegenheit wie
für alle anderen Arbeitnehmer auch.
Nachfrage? - Bitte.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Sie müssen schon
entschuldigen, aber wir waren natürlich in der gemeinsamen Sitzung des Forschungsausschusses und des Umweltausschusses und bei anderen Gelegenheiten immer
wieder erstaunt darüber, dass so viel Schweigen
herrscht.
Daher meine erste Nachfrage: Das BMBF hat nach eigener Aussage erstmals Mitte Juni dieses Jahres davon
erfahren, dass Salzlaugen im Bergwerk Asse radioaktiv
verseucht sind. Hat das BMBF umgehend entsprechende
Forschungs- oder Untersuchungsprojekte eingeleitet, um
die Ursachen festzustellen? Und falls nein: Warum
nicht?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, das Bundesministerium
für Bildung und Forschung hat gemeinsam mit dem niedersächsischen Umweltministerium, dem NMUK, dem
Bundesumweltministerium und der Öffentlichkeit am
13. Juni davon erfahren, dass sich kontaminierte Lauge
außerhalb der Lagerkammer befindet.
Unser Haus hat daraufhin - Sie haben ja gefragt, was
gemacht wurde - ein Gutachten zur Herkunft dieser kontaminierten Lauge in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten
ist wiederum in den Ihnen bekannten Statusbericht des
NMUK eingeflossen und diesem auch beigefügt.
Nachfrage? - Bitte.
Danke schön. - Wir wissen also, dass dem BMBF seit
Juni dieses Jahres die radioaktive Verseuchung der
Lauge bekannt ist. Jetzt stellt sich die Frage, seit wann
bekannt ist, dass überhaupt Lauge eintritt. Wir wissen,
dass es den verschiedenen Behörden und auch dem Betreiber des damals noch dem Forschungsministerium unterstellten Bergwerkes Asse seit den 1980er-Jahren bekannt ist, dass Lauge eintritt. Wann hat das BMBF
offiziell zum ersten Mal erfahren, dass überhaupt Salzlauge eintritt?
Frau Kollegin Kotting-Uhl, seit 1988 fließt eine Natriumchlorid-gesättigte Lösung aus dem Deckgebirge in
die Schachtanlage ein. Diese Zutrittslauge wird aufgefangen und systematisch beprobt.
Kollegin Höhn, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt noch einmal bestätigt, dass das Ministerium erst im Juni erfahren hat,
dass die Freigrenzen von Cäsium 137 überschritten waren.
Es wäre allerdings interessant, auch zu erfahren, wann
das Ministerium und die Hausspitze das erste Mal erfahren haben, dass es in der Asse kontaminierte Lauge mit
künstlichen Radionukliden, zum Beispiel Cäsium 137,
Tritium oder Kobalt, gibt. Seit wann wussten Sie das?
Frau Kollegin Höhn, die zufließenden Flüssigkeiten
sind, wie gesagt, vor rund 20 Jahren festgestellt worden.
Man hat daraus die Konsequenz gezogen, dass sie aufgefangen, aber auch beprobt wurden. Dies ist den beteiligten und dafür jeweils zuständigen Institutionen selbstverständlich mitgeteilt worden. Es hat eine systematische
Beprobung stattgefunden. Im Übrigen sind entsprechende Rückstellproben im Auftrag des niedersächsischen Ministeriums für Umwelt auch vom TÜV Nord geprüft worden. Dabei sind sie auch im Hinblick auf das
von Ihnen angesprochene Cäsium 137 und auf Tritium
analysiert worden. Das Ergebnis dieser Untersuchung
liegt vor. Es zeigt, dass alle gemessenen Werte unterhalb
der entsprechenden Freigrenzen liegen.
({0})
Kollegin Sager, bitte.
Herr Staatssekretär, Bundesumweltminister Sigmar
Gabriel hat beim Besuch des Endlagers Morsleben gesagt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Endlager
durch die Missstände im Bergwerk Asse ruiniert worden
sei und dass nun nur noch absolute Offenheit helfe. Ihre
Antwort war nicht gerade ein Beleg für absolute Offenheit. Wäre das BMBF im Sinne absoluter Offenheit bereit, dem Parlament die Akten zu Asse II möglichst
leicht zugänglich zu machen?
Frau Kollegin Sager, die gleiche Frage haben Sie bereits in der letzten Sitzungswoche gestellt.
({0})
Es bleibt bei der Antwort, dass die Bundesregierung
selbstverständlich gerne bereit ist, Ihre Fragen in den zuständigen Ausschüssen, im Umweltausschuss und im
Forschungsausschuss, oder im Rahmen der Fragen an
die Bundesregierung zu beantworten.
({1})
Jetzt hat der Kollege Hofreiter noch eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Mich würde Folgendes interessieren: Im Bergwerk gab es auch einen sogenannten Tiefenaufschluss, in den radioaktiv verseuchte
Lauge verbracht wurde. Meine Frage: Wann wurden das
BMBF und insbesondere die Hausspitze über die Verbringung der kontaminierten Lauge in den sogenannten
Tiefenaufschluss informiert?
({0})
Herr Kollege, diese Frage werde ich Ihnen gerne
schriftlich beantworten.
({0})
Auch in der letzten Fragestunde haben Sie zugesagt,
Fragen schriftlich zu beantworten. Darauf warten wir
noch heute; denn das ist immer noch nicht geschehen.
Beantworten Sie diese Frage diesmal wirklich schriftlich, oder sagen Sie das hier nur zu?
Wir haben die Zusage gehört, und sie ist ja auch im
Bundestagsprotokoll festgehalten.
Als Letzte zu dieser Frage - wir müssen schließlich
ein bisschen vorankommen - Kollegin Flachsbarth,
bitte.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
die Kontamination der Lauge und insbesondere die relativ großen Zuflüsse von 12 Kubikmeter pro Tag bewegen die Republik und natürlich auch dieses Haus seit
Wochen. Herr Bundesminister Gabriel hat diese Frage
auf seiner Sommerreise problematisiert und bei der betroffenen Bevölkerung in den Regionen Niedersachsens,
in denen es stillzulegende Bergwerke gibt, in die diese
Lauge verbracht worden war, für nicht unerhebliche Irritationen gesorgt. Der Bundesminister hat in der gemeinsamen öffentlichen Anhörung von Umweltausschuss
und Forschungs- und Bildungsausschuss erklärt, es gebe
für die Freigabe dieser Laugen keine Grenzwerte.
Sind Sie darüber informiert, inwieweit das Bundesumweltministerium bzw. das BfS bei der Erarbeitung
solcher Grenzwerte vorangeschritten ist? Denn Sie haben eben ja richtigerweise ausgeführt, dass weitere Untersuchungen dieser Laugen durch BMBF und NMU in
Auftrag gegeben wurden, bei denen letztendlich keine
Kontamination festgestellt werden konnte.
Es gilt tatsächlich, nochmals festzuhalten, dass es sich
hier nur um Laugen handelt, deren Werte unterhalb der
jeweiligen Freigabewerte liegen.
Die Erarbeitung von Freigrenzen, die Sie angesprochen haben, liegt in der Zuständigkeit des BMU und des
BfS. Sie werden Verständnis dafür haben, dass Sie diese
Frage unmittelbar an das BMU richten sollten. Ich kann
Ihnen aber sagen, dass es dabei ist, das zu erarbeiten.
Den genauen Zeitpunkt sollte Ihnen aber der Vertreter
des zuständigen Ministeriums nennen.
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf:
Auf wessen Veranlassung hin sind die rund 150 Elitepolizisten der GSG 9 - nach ihrem geplanten Einsatz zur Befreiung entführter Geiseln in der Sahara - unvermummt vor laufenden Kameras und fotografierenden Journalisten über das
Rollfeld des Flughafens Berlin-Tegel marschiert, und was unternimmt die Bundesregierung, um zukünftig die Sicherheit
dieser Beamten zu gewährleisten ({0})?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, die
Frage kann ich sehr kurz und knapp beantworten: Die
Polizeivollzugsbeamten der GSG 9 der Bundespolizei
sind auf Veranlassung des Bundesministeriums des Innern im Einvernehmen mit dem Bundespolizeipräsidium
und der Leitung der GSG 9 auf dem Rollfeld des Flughafens Tegel in Erscheinung getreten. Es war eine Einzelfallentscheidung, und sie bedeutet selbstverständlich
keine Abkehr von den bisher praktizierten Maßnahmen
zum Schutz der Beamten.
Nachfragen, Kollegin Pau?
Ja, danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, durch
Ihre wahrlich kurze und knappe Antwort werden mir
nicht meine Besorgnisse genommen, die ich habe, seitdem ich diese Fernsehbilder und gestochen scharfen Fotos gesehen habe. Deshalb möchte ich gerne wissen, wie
Sie die gegenwärtige individuelle Sicherheitslage für
diese Beamten bewerten und welche Vorkehrungen diejenigen getroffen haben, die für diese Entscheidung verantwortlich sind, um die Sicherheitsbedürfnisse der
GSG-9-Beamten zu berücksichtigen.
Bisher sind sie ja bei allen Gelegenheiten nur vermummt in der Öffentlichkeit aufgetreten, und es werden
aus guten Gründen - ich gebe gerne zu: nicht immer von
uns akzeptiert -, selbst dann, wenn sie in Kontakt mit
Parlamentariern kommen, Sicherheitsmaßnahmen getroffen, damit ihre Identität nach außen hin nicht offenbar wird.
({0})
Frau Kollegin Pau, Sie können davon ausgehen, dass
die von mir angesprochene Entscheidung nicht getroffen
worden wäre, wenn sie nicht auch im Hinblick auf die
Sicherheitslage der Beamten verantwortbar und vertretbar gewesen wäre.
Dieser Entscheidung lag übrigens die Abwägung zugrunde, dass wir aus generalpräventiven Gründen ein
Zeichen setzen wollten. Die Bundesregierung ist nämlich nicht erpressbar. Potenzielle Entführer von deutschen Staatsangehörigen müssen künftig auch mit dem
Einsatz der GSG 9 rechnen.
Insofern möchte ich einen von Ihnen angesprochenen
Punkt korrigieren. Sie sagten: Das geschieht sonst nie,
und das ist noch nie geschehen. - Das ist beispielsweise
auch geschehen, als die damalige GSG-9-Mannschaft
aus Mogadischu zurückgekehrt ist. Auch damals lag die
gleiche Erwägung zugrunde, und sie hat sich nachher in
der Praxis auch bewährt.
Gut, dann frage ich noch einmal andersherum: Liegen
Ihnen Erkenntnisse darüber vor, dass GSG-9-Beamte,
die an diesem Einsatz teilgenommen haben und sich hier
in der Öffentlichkeit entsprechend präsentieren mussten,
jetzt irgendeiner Gefährdung ausgesetzt sind oder identifiziert wurden?
Davon ist mir nichts bekannt.
Wir kommen damit zu den Fragen 12 und 13 des Kollegen Wolfgang Wieland:
Welche Änderung des Grundgesetzes für den Einsatz der
Bundeswehr im Innern plant die Bundesregierung, und in
welchen Fällen soll der Einsatz der Bundeswehr auch mit spezifisch militärischen Mitteln innerhalb Deutschlands ermöglicht werden?
Welcher Grad der Konkretisierung einer Gefahr oder Bedrohung soll nach dem Willen der Bundesregierung vorliegen,
um den Einsatz der Bundeswehr zu ermöglichen, und soll die
Entscheidung darüber, ob polizeiliche Mittel ausreichen oder
nicht, vom jeweiligen Bundesland oder durch einen Bundesminister getroffen werden?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich beantworte die
beiden Fragen des Kollegen Wieland im Zusammenhang.
Herr Kollege Wieland, Sie wissen, dass die Gefahrenabwehr in Deutschland grundsätzlich Aufgabe der Länder und deren Polizeien ist.
({0})
Mit der Grundgesetzänderung zu Art. 35, die vorbereitet
wird, haben wir im Nachgang zur Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz,
die Sie wahrscheinlich auch kennen werden, eine Regelung beabsichtigt, wonach die Bundesregierung in besonders schweren Unglücksfällen den Einsatz der Streitkräfte anordnen kann, wenn polizeiliche Mittel nicht
ausreichen, um die Gefahr abzuwenden. Das heißt, mit
der Änderung von Art. 35 des Grundgesetzes soll die
verfassungsrechtliche Grundlage für einen Streitkräfteeinsatz mit militärischen Mitteln im Wege der Amtshilfe
bei polizeilichen Gefahrenlagen, also ausdrücklich nicht
in einem kriegerischen Kontext, geschaffen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung, die ich eben schon zitiert habe, klargestellt, dass
im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr eine Abwägung von Leben gegen Leben, soweit dies unbeteiligte Dritte betrifft, nicht zulässig ist.
Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, bezieht sich
auf die Konkretisierung der Gefahr und der Bedrohung.
Da empfehle ich einen Blick in den Gesetzentwurf. Darin ist nämlich von Abwehr eines besonders schweren
Unglücksfalls die Rede. Abwehr setzt eine konkret-gegenwärtige Gefahr voraus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil, das ich bereits zweimal zitiert
habe, auch diesen Gesichtspunkt des noch nicht eingetretenen Schadens und seiner Abwendung präzisiert. Wir
werden uns bei der Auslegung von Art. 35 in der Praxis
selbstverständlich genau an diesem Urteil orientieren.
Gelegenheit zur Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, in den Entwurf
hätten wir gerne hineingesehen, wenn er uns zur Verfügung gestellt worden wäre. Nun liest man heute in der
Süddeutschen Zeitung die Äußerung eines nicht genannten Innenpolitikers der SPD. Ich darf zitieren:
Dieses Projekt ist mausetot. Es wird nicht erst im
Bundesrat, sondern schon vorher scheitern.
Ähnliches las man schon die ganze Woche über. Wie
wirken sich denn sowohl diese klare Aussage, dass das
im Bundesrat keine Zweidrittelmehrheit erhalten wird
- das haben die Länder, in denen die Grünen bzw. die
FDP an der Regierung beteiligt sind, bereits gesagt -, als
auch der - das ist ja nun ein offenes Geheimnis - vehemente Widerstand aller Rechts- und Innenpolitiker der
SPD auf die Pläne der Bundesregierung aus? Bleibt sie
stur? Macht sie weiter, oder kommt sie zur Einsicht?
Herr Kollege Wieland, da der von Ihnen zitierte SPDPolitiker namentlich nicht genannt wird
({0})
- mit „W“ gibt es wahrscheinlich mehrere -, ist es, wie
Sie sicherlich verstehen können, schwierig, den Glaubwürdigkeitsgrad dieser Aussage zu beurteilen.
({1})
Im Übrigen schlage ich vor, dass Sie diese Fragen an
die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion richten. Die Bundesregierung hat jedenfalls allen
Anlass, ihre gesetzgeberischen Bemühungen weiter vor19396
anzutreiben und die dafür vorgesehenen Verfahren einzuhalten.
Bitte schön, Kollege Wieland.
Herr Staatssekretär Altmaier, ich habe natürlich auch
bei den Innenpolitikern der SPD nachgefragt, die jetzt
leider - wie auch die Rechtspolitiker - sämtlich nicht anwesend sind.
({0})
- Sorry!
({1})
- Ja, mannhaft zu zweit, aber etwas in meinem Rücken
sitzend, sodass ich sie nicht gleich gesehen habe.
Da wurde uns gesagt, wir beerdigen das gerade in einer Arbeitsgruppe, und ich könne beruhigt sein, da
bleibe es beerdigt. Jetzt will ich aber einmal anders fragen: Können Sie mir erklären, warum die Bundesjustizministerin in einer Koalitionsrunde an einem Sonntag offenbar einem Text zustimmt, der völlig verquer zu dem
ist, was hier seit Jahr und Tag in der Debatte über den
Einsatz der Bundeswehr im Inneren vonseiten der Sozialdemokratie gesagt worden ist, nämlich dass sie ihn
zu Land nicht wolle, dass sie ihn höchstens aus der Luft
und von See her wolle? Können Sie diese Verwirrung
auflösen? Wie kann so etwas zustande kommen?
Herr Kollege Wieland, sofern sich Ihre Frage auf interne Debatten des Koalitionspartners bezieht, darf ich
Sie daran erinnern, dass die Bundesregierung das Prinzip
der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten peinlich genau beachtet.
Sofern sich Ihre Frage auf das Ergebnis der Runde
vom Sonntag bezieht, das Sie, soweit es mir bekannt ist,
zutreffend dargestellt haben, möchte ich darauf hinweisen, dass diese Runde in der Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht vorgesehen ist und dass wir - so, wie
ich es eben schon gesagt habe - als federführendes Ministerium unsere Arbeiten an dieser Frage fortsetzen
werden. Dann werden sich nacheinander das Bundeskabinett, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat dazu
verhalten. Die Ergebnisse wird man dann jeweils zur
Kenntnis nehmen.
Kollege Montag, bitte.
Herr Staatssekretär Altmaier, eine Nachfrage in die
gleiche Richtung: Ich weiß, dass es den Grundsatz der
Nichteinmischung in die Angelegenheiten des Koalitionspartners gibt. Es gibt aber auch den Grundsatz „responsibility to protect“. Dort, wo Sie helfen könnten, sollten Sie also auch helfen. Nachdem offensichtlich ein
Text - Sie haben gesagt, wir hätten ihn lesen können; das
konnten wir nicht, weil wir ihn nicht bekommen haben in einem Gremium formuliert wurde, das nach Ihrer
Aussage gar nicht vorgesehen ist, lautet meine Frage:
Können Sie uns erklären, ob die Informationen, die wir
haben, zutreffen, dass dieser Text zur Änderung des
Grundgesetzes und zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren ohne Einbeziehung der Rechts- und Innenpolitiker
der Koalition, also auch Ihrer Fraktion, und ohne Rücksprache mit ihnen zustande gekommen ist?
Diese Frage kann ich Ihnen selbstverständlich nicht
beantworten, Herr Kollege Montag,
({0})
weil sie sich auf den Prozess der inneren Willensbildung
der Bundesregierung bezieht. Auch Vorgängerregierungen haben sich bisweilen darauf berufen. Sie werden
sich sicherlich an den von uns gemeinsam besuchten Untersuchungsausschuss, den sogenannten Wahllügenausschuss aus der vorletzten Wahlperiode, noch lebhaft erinnern.
({1})
Nein, Kollege, Sie dürfen nicht.
({0})
Wir kommen damit zu Frage 14 des Kollegen Manuel
Sarrazin:
Welche Vorbehalte hat die tschechische Regierung gegen
die Zustimmung zum Richtlinienvorschlag zur europäischen
Bluecard auf der Sitzung des europäischen Rates der Justizund Innenminister am 26. September 2008 vorgetragen, und
wie haben die deutsche Regierung und die übrigen Mitgliedstaaten auf die tschechischen Vorbehalte reagiert?
Bitte schön, Kollege Altmaier.
Herr Präsident, lieber Kollege Sarrazin, ich bitte um
Verständnis. Es geht um eine Sitzung des Rates der Innen- und Justizminister vom 25. September. Dort hat
man einen Bericht über den Zwischenstand der Verhandlungen über die Bluecard-Richtlinie für Hochqualifizierte vorgelegt. Die Mitgliedstaaten haben sich dazu geäußert. Wir haben den Deutschen Bundestag über diese
Debatten gemäß der Vereinbarung zwischen dem Bundestag und der Bundesregierung entsprechend unterrichtet. Darüber hinaus ist es nicht Brauch und nicht üblich,
über interne Debatten und Argumente im Rat der Innenund Justizminister zu noch nicht abgeschlossenen Verfahren in dieser Form vor dem Deutschen Bundestag zu
berichten.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, das Besondere und Neue ist die Umdeutung des Berichts im
Europaausschuss und in der Ratsanfrage zu einer Zwischenvorlage. Der Innenminister hat in der in Rede stehenden Sitzung gesagt, er hoffe, dass das auf der nächsten Sitzung des Rates beschlossen werde, und es sei gar
nicht mehr so schlimm, weil man die Bluecard schon
mehr oder weniger beerdigt habe. Da durch Meldungen
der Presse nachvollziehbar ist, dass Tschechien vor allem die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
durch Deutschland zu einem Grund gemacht hat, frage
ich die Bundesregierung nach ihrer Einschätzung, ob
Tschechien das und Weiteres vorgetragen hat und was
das für die Verantwortlichkeit der Bundesregierung in
Bezug auf das vorläufige Scheitern der Bluecard bedeutet.
Herr Kollege Sarrazin, die Bluecard ist alles andere
als gescheitert. Es ist richtig, dass es bei der Präsidentschaft die Vorstellung gegeben hat, dass man sich bereits
bei der infrage stehenden Ratssitzung abschließend auf
die Bluecard werde einigen können. Man hat dann aber
festgestellt, dass dazu noch einige Beratungen auf Fachund Expertenebene erforderlich sind. Wie Sie wissen,
wird es noch eine Ministerratssitzung unter französischer Präsidentschaft geben. Diese bietet noch einmal
die Chance, zu einer endgültigen Einigung zu gelangen.
Im Übrigen hat sich die Zahl der Vorbehalte auf ganz
wenige reduziert.
Die Spekulationen, die Sie über den konkreten Gegenstand des tschechischen Vorbehalts vorgetragen haben, kann ich aus den bereits dargelegten Gründen nicht
kommentieren und in dieser Form auch nicht bestätigen
oder dementieren. Es ist aber ganz normal, dass über
solch wichtige Vorhaben im Rat der Innen- und Justizminister auch kontrovers diskutiert wird. Trotzdem gehe
ich davon aus, dass es möglich sein wird, bis zum Ende
des Jahres zu einer positiven und abschließenden Entscheidung zu kommen.
Kollege Sarrazin.
Dann würde ich gern nach den aus Sicht der Bundesregierung noch offenen Vorbehalten fragen, und zwar
ausdrücklich mit der Maßgabe, mir doch bitte zu sagen,
ob diese Vorbehalte schon bei der Sitzung des Europaausschusses bestanden haben oder ob seit dem Rat neue
Vorbehalte der Bundesregierung vorgebracht worden
sind.
Sie haben alle Berichte und auch den Nachbericht erhalten. Der ist, soweit ich mich daran erinnern kann,
komplett und gibt Ihnen das vollständige Bild.
Es gibt jetzt zwei Nachfragen. Zunächst Kollegin
Sager.
Herr Staatssekretär, welche Unterschiede sehen Sie
beim jetzigen Zwischenstand zwischen den Regelungen
für die europäische Bluecard und dem diesjährigen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Beschäftigung von
ausländischen Hochqualifizierten in Deutschland?
Frau Kollegin Sager, es handelt sich um zwei voneinander unabhängige Systeme zur Hochqualifiziertenzuwanderung. Sie wissen, dass auf europäischer Ebene die
Zuständigkeiten für Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen auf den europäischen Arbeitsmarkt geteilt sind:
Es gibt eine europäische Zuständigkeit, aber es gibt auch
explizit die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, selbst die
Höchstzahlen dieser Zuwanderung festzulegen. Dies ist
im Vertrag von Lissabon, der noch nicht in Kraft getreten ist, deklaratorisch festgehalten worden. Uns als deutscher Bundesregierung kam es bei den Verhandlungen
vor allen Dingen darauf an, diesen Dualismus der beiden
Rechtsinstrumente weiter zu ermöglichen. Wir haben dafür Sorge getragen, dass eine europäische Bluecard, die
wir unterstützen und begrüßen, nicht dazu führt, dass die
Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, selbst
über den zahlenmäßigen Umfang der Zuwanderung zu
entscheiden, infrage gestellt wird. Deshalb ist es in
Zukunft beispielsweise nach wie vor möglich, dass wir
für unser System, das mit dem Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz vorgelegt wird, eigene Verdienstgrenzen
festlegen und dass wir regeln, dass es nach diesem Gesetz einer Niederlassungserlaubnis für die betroffenen
Personen bedarf. Wir haben großen Wert darauf gelegt,
dass diejenigen, die eine Bluecard erhalten haben und
sich dann nach einer gewissen Anzahl von Jahren auch
in anderen Mitgliedstaaten bewerben können, noch der
Vorrangprüfung unterliegen können, um auf diese Weise
zu vermeiden, dass nationale Zuständigkeiten ausgehöhlt werden.
Kollegin Stokar.
Herr Staatssekretär, da wir nicht nach dem Verhandlungsstand auf EU-Ebene nachfragen sollen, kann ich
mich auf den Innenausschuss beziehen. Sie persönlich
haben die Bluecard im Innenausschuss als Erfolgsprojekt dargestellt. Nach dem Scheitern wegen Tschechien
lautet meine Frage: Ist denn die Bundesregierung, die
wegen ihrer Vorbehalte aus der Bluecard ein reines Touristenvisum gemacht hat, jetzt bereit, einen Teil ihrer
Vorbehalte zurückzunehmen, damit es doch noch zu einer Einigung kommt? Will die Bundesregierung wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, dass es letztendlich an den Vorbehalten aus Deutschland scheitert,
dass die von der Wirtschaft dringend benötigten Hochqualifizierten eine Möglichkeit bekommen, die Arbeitsplätze einzunehmen, die ausgeschrieben sind? Wann
rechnen Sie denn damit, dass eine Regelung zur Bluecard, die den Höchstqualifizierten ermöglicht, auf dem
hiesigen Arbeitsmarkt tätig zu werden, in Kraft tritt?
Wir haben zum einen durch den Entwurf des Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzes, den wir hier im Bundestag eingebracht haben, die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Deutschland im Wettbewerb um die weltweit
besten Köpfe seine Position verbessert. Das ist von der
Wirtschaft einhellig begrüßt worden.
Zweitens. Als Ergänzung zu diesem Gesetz halten wir
die Bluecard für ein wichtiges Instrument. Über dieses
Instrument wird zurzeit im Ministerrat verhandelt; es ist
keineswegs gescheitert. Nach meiner Einschätzung gibt
es eine sehr gute Chance, dass die Bluecard bis zum
Ende des Jahres konsensfähig ist und wenigstens eine
politische Einigung im Ministerrat erreicht werden kann.
Dies würde bedeuten, dass es anschließend noch einige
wenige Wochen dauern wird, bis der formelle Beschluss
gefasst werden wird.
Die deutschen Vorbehalte sind im Rahmen der Beratungen ständig reduziert worden, weil die französische
Präsidentschaft viele dieser Vorbehalte berücksichtigt
hat. Daher gehe ich davon aus, dass die Bluecard nicht
am deutschen Widerstand scheitern wird.
({0})
Die Frage 15 des Kollegen Ströbele wird schriftlich
beantwortet.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Dagmar
Enkelmann auf:
Warum hat die Bundesregierung die bereits im Jahr 2004
gegebenen Empfehlungen der EU-Kommission zur Regulierung der Managergehälter bis heute nicht in nationales Recht
umgesetzt, und wie wird sich die Bundesregierung verhalten,
wenn die EU-Kommission, wie von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso angekündigt, erneut Vorschläge zur
Regulierung von Managergehältern vorlegt ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Dr. Enkelmann! Eine kurze Zusammenfassung
meiner Antwort auf Ihre Frage vorweg: Soweit der
Kommissionsvorschlag Empfehlungen zu Transparenz
und Offenlegung von Managervergütungen enthält, gibt
es sehr wohl Vergleichbares in Deutschland, sei es im
Deutschen Corporate Governance Kodex, sei es im Handelsgesetzbuch. Nicht umgesetzt wurde bislang lediglich
die Empfehlung zur Beteiligung der Hauptversammlung
an der Entscheidung über die Managervergütung. Dies
wurde diskutiert, fand aber mit gewichtigen Argumenten
keine Zustimmung. Sollte die Kommission nun nochmals Vorschläge unterbreiten, werden wir sie prüfen.
Eine Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen befasst sich
ohnehin mit diesem Thema.
Ich komme zur Antwort im Einzelnen. Der Corporate
Governance Kodex sorgt für Transparenz hinsichtlich
des Vergütungskonzeptes der Gesellschaft insgesamt,
und zwar sowohl schriftlich im online einsehbaren Vergütungsbericht als auch mündlich durch Erläuterungen
des Aufsichtsratsvorsitzenden in der Hauptversammlung. Die individuelle Offenlegung der Managervergütung ist bei den börsennotierten Gesellschaften seit August 2005 durch das Gesetz über die Offenlegung der
Vorstandsvergütungen vorgeschrieben.
Nicht umgesetzt wurde die Empfehlung, die Hauptversammlung an der Entscheidung über die Vergütung
zu beteiligen. Die Vereinbarung der Vorstandsvergütung
ist vielmehr Sache des Aufsichtsrats und unterliegt damit
auch der Mitbestimmung in diesem Gremium. Im Rahmen der Entlastung des Aufsichtsrats haben die Aktionäre aber heute schon die Möglichkeit, den Vergütungsbericht zu diskutieren. Eine Verlagerung der Kompetenz
auf die Hauptversammlung begegnet hingegen Bedenken:
Zum Ersten würde der Einfluss der Arbeitnehmerseite
geschwächt.
Zum Zweiten nähme die Diskussion über die oftmals
sehr komplexen Strukturen der Vorstandsvergütung erheblichen Raum in der Hauptversammlung ein. Dies
könnte - ich sage: könnte - zulasten wichtiger inhaltlicher Strategiedebatten gehen.
Zum Dritten ist keineswegs sicher, dass eine Beteiligung der Hauptversammlung überhaupt den gewünschten Effekt hätte. Zum Beispiel könnten Vertreter institutioneller Anleger - etwa gut bezahlte Fondsmanager durchaus ein Eigeninteresse an einem insgesamt hohen
Vergütungsniveau haben.
Zum Vierten schließlich gäbe eine Billigung durch
die Hauptversammlung dem Aufsichtsrat unter Umständen die Möglichkeit, sich seiner Schadensersatzhaftung
bei unangemessener Vergütungsvereinbarung zu entziehen.
Sollte die Kommission nun nochmals Vorschläge unterbreiten, werden wir diese selbstverständlich prüfen.
Davon abgesehen halten wir es jedoch für richtig, den
Aufsichtsrat stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Festsetzung einer unangemessen hohen Vergütung ist strafParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
rechtlich Untreue und führt schon heute nach den §§ 93
und 116 des Aktiengesetzes zur Schadensersatzpflicht.
Eine strafrechtliche Verurteilung oder ein Urteil in einem Schadensersatzprozess in diesem Bereich würde
vermutlich mehr Wirkung zeigen als die Verlagerung der
Entscheidung auf die Aktionäre, die übrigens ihrerseits
völlig unterschiedliche Interessen haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, die
Frage der Begrenzung von Managergehältern und der
Haftungsfähigkeit von Managern ist ein Thema, das uns
gegenwärtig sehr stark beschäftigt. Die entsprechende
Arbeitsgruppe ist hier mehrfach erwähnt worden. Die
erste Frage ist: Wann können wir denn nun mit Ergebnissen rechnen, die in Gesetzesform dem Parlament vorgelegt werden und endlich zu entsprechenden Entscheidungen führen? Schließlich sind die Empfehlungen der EU,
um die es hier geht, von 2004. Das ist inzwischen vier
Jahre her.
Ich komme zu meiner zweiten Frage. Am Wochenende konnten wir zur Kenntnis nehmen, dass der Finanzminister gefordert hat, die Höhe der Managergehälter
- davon geht er aus - auf 500 000 Euro zu begrenzen.
Meine Frage ist: Was tut die Bundesregierung, um dieser
Empfehlung des Finanzministers gerecht zu werden?
Herr Staatssekretär, die Kollegin Enkelmann hat
gleich beide Nachfragen gestellt.
Das war sehr nett von ihr. So kann ich gleich beide
Fragen beantworten.
Frau Kollegin Enkelmann, dieses Thema ist heute
schon ein paar Mal angesprochen worden. Wir beide haben alle dazu gestellten Fragen und Antworten aufmerksam verfolgt. Es gibt da gewisse Grenzen. Die Koalition
hat nun einmal vereinbart, dieses Thema in einer Koalitionsarbeitsgruppe zu prüfen. Wie ich die Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsarbeitsgruppe kenne, vor allen Dingen diejenigen, die meiner Partei angehören,
können wir davon ausgehen, dass sie ausgesprochen fleißig sind.
({0})
- Moment, ich bin gleich fertig. - Deshalb glaube ich,
dass wir bald mit Ergebnissen rechnen können. Wir können es nicht beeinflussen. Das wissen Sie, Frau
Enkelmann. Es gibt eine gewisse Gewaltenteilung. So
viel zu der ersten Frage.
Zu Ihrer zweiten Frage. Ich fand gut, was der Finanzminister gesagt hat. Wenn ich ihn aber richtig verstanden
habe, hat er sich auf diejenigen bezogen, die etwas aus
dem Fonds erhalten sollen.
({1})
Ich will dem Herrn Finanzminister um Gottes Willen
nicht vorgreifen. Ich möchte auch dem Kabinett nicht
vorgreifen, das sich damit noch nicht befasst hat. Aber
500 000 Euro sind eine Größe, über die man reden kann.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Kornelia Möller
das Wort, bitte.
Sie hatten gerade erwähnt, dass Manager bereits heute
zur Verantwortung gezogen werden können, wenn ihre
Bezüge unangemessen hoch sind. Wie viele Manager
sind denn bereits zur Verantwortung gezogen worden?
Ich glaube, ich habe gesagt, dass der Aufsichtsrat zur
Verantwortung gezogen werden kann, wenn die Vergütung unangemessen hoch ist.
Ich kann Ihre Frage nicht konkret beantworten. Aber
wenn es Sie interessiert - das wird schließlich protokolliert -, werde ich dafür sorgen, dass Sie die Antwort innerhalb einer Frist von vier Wochen bekommen. Wir
prüfen Ihre Nachfrage. Sie bekommen eine Antwort.
({0})
Danke, Herr Staatssekretär. - Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Die Kollegin Elke Reinke hat das Wort.
Sollte diese Begrenzung der Gehälter nicht für alle
Manager gelten, also nicht nur für die beschränkte Anzahl an Managern, deren Unternehmen Geld aus dem
Fonds erhalten?
Der Herr Bundesfinanzminister hat zu dem Thema
gesprochen, das im Moment aktuell ist. Das war sicherlich richtig so. Ich verlasse mich auf die Koalitionsarbeitsgruppe und auf die Klugheit und Weisheit der Bundesregierung, dass wir hier zu einer vernünftigen
Regelung kommen.
({0})
Danke. - Wir kommen damit zur Frage 17 der Kollegin Mechthild Dyckmans:
Teilt die Bundesregierung mittlerweile die zunehmend kritische Haltung bezüglich der im von ihr vorgelegten Bilanz19400
Vizepräsidentin Petra Pau
rechtsmodernisierungsgesetz vorgesehenen Übernahme der
angloamerikanisch geprägten Fair-Value-Bewertung anstelle
des deutschen Vorsichtsprinzips, und teilt sie die Ansicht, dass
aufgrund der Überlegenheit des deutschen Vorsichtsprinzips
gegenüber dem Prinzip der Zeitwertbewertung dieses bewährte deutsche Prinzip nicht aufgeweicht werden sollte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zunächst, Frau Kollegin Dyckmans, ist darauf hinzuweisen, dass im Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes die Einführung der sogenannten FairValue-Bewertung - das war der wesentliche Kern der
Frage, Frau Präsidentin -, also die Bewertung nach dem
aktuellen Marktwert - ich übersetze es gleich für alle,
die das nicht wissen -, nicht allgemein vorgesehen ist,
sondern nur für bestimmte Finanzinstrumente in klar abgegrenzten Bereichen. Für diese Bereiche bleibt die
Übernahme der Fair-Value-Bewertung grundsätzlich
weiterhin sinnvoll, um die Transparenz der Bilanzen zu
erhöhen und sicherzustellen, dass alle Risiken in den Bilanzen ausgewiesen werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der aktuellen Situation auf den Finanzmärkten.
Richtig ist allerdings, dass sich die Finanzmärkte derzeit weltweit in einer Ausnahmesituation befinden. Aus
diesem Grund werden für die internationalen Rechnungslegungsregeln, IFRS, auf EU-Ebene gerade Abschreibungsregelungen beschlossen, die die bisherigen
strengen Bestimmungen lockern und es den Banken ermöglichen, den sich aus Wertverlusten ergebenden Abschreibungsbedarf in vernünftigen Grenzen zu halten.
Das ist sachgerecht. Auch das von der Bundesregierung
am Montag beschlossene Maßnahmenpaket zur Finanzmarktstabilisierung stützt diesen Weg. Aber ganz deutlich: International bleibt es im Grundsatz bei dem Prinzip, dass Finanzinstrumente zum beizulegenden Zeitwert
auszuweisen sind. Ob wir die Regelungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes im Einzelnen an die neuesten internationalen Entwicklungen anpassen müssen,
das werden wir in der für Dezember vorgesehenen und
schon beschlossenen Anhörung des Rechtsausschusses
und in den anschließenden Ausschussberatungen klären
müssen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Schönen Dank. - Herr Staatssekretär, meine erste
Nachfrage - Sie haben es schon angesprochen -: Wie
will die Bundesregierung gewährleisten, dass es bei der
vorgesehenen Bilanzierung von zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumenten, die nach der Fair-ValueBewertung bilanziert werden sollen, nicht zu ähnlichen
Turbulenzen kommt wie jetzt bei der Finanzmarktkrise?
Zunächst einmal wird es im Wesentlichen bei der
Bilanzierung nach Handelsrecht bleiben. Es geht nur um
Unternehmen, die Finanzinstrumente haben, die sie zu
Handelszwecken erworben haben. Wir werden das insbesondere bei Kreditinstituten im Hinblick auf den Handelsbestand anpassen müssen. Sie wissen, dass wir diesen
Weg gehen müssen, weil wir internationale Entwicklungen haben.
Wir müssen im Moment nicht die Sorge haben, dass
es, wie Sie eben gesagt haben, zu weiteren Turbulenzen
kommt. Ich bin sehr überzeugt, dass dieses Maßnahmenpaket, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, in spätestens einem Jahr den Weg nach vorne zeigt.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Ich würde gerne wissen, ob nach Meinung der Bundesregierung die Diskussion hinsichtlich der Bilanzierungsvorschriften, die wir im Moment führen, weitere
Konsequenzen für das Gesetzgebungsverfahren haben
muss, insbesondere hinsichtlich des Inkrafttretens: Wird
es sich verlängern? Ist auch vorgesehen - das ist angesichts der Finanzmarktkrise jetzt in der Diskussion -,
dass es nach dem HGB zu einer Umwidmung, zum Beispiel aus dem Handelsbestand in das Anlagebuch,
kommt? Oder hat die Bundesregierung die Vorstellung,
dass man das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz da gegebenenfalls noch ändern muss?
Das waren drei Fragen in einer; aber ich will sie gern
Stück für Stück beantworten.
({0})
- Ja, natürlich. Das ist doch in Ordnung.
Erstens. Wie ich eben schon gesagt habe, treten wir
jetzt - das ist auch sehr gut - in ein sehr intensives Beratungsverfahren ein. Ich glaube, dass uns die Anhörung
im Rechtsausschuss hier weitere Wege weisen wird. Wir
haben dann auch schon Erfahrungen, wie sich das im Finanzmarktstabilisierungsgesetz verankerte Maßnahmenpaket auswirken wird.
Der zweite Punkt. Wir werden es - sehr zum Leidwesen des Kollegen Manzewski - befristen. Wir werden
mit der Änderung des § 19 Abs. 2 der Insolvenzordnung
ein Instrumentarium schaffen, das Folgendes gewährleistet: Wenn einmal eine Überschuldung eintreten
sollte, kommt ein Unternehmen - das gilt übrigens auch
für KMU - nicht sofort ins Trudeln.
Verzeihung, wie war die dritte Frage?
({1})
- Auch das ist eine Frage, Frau Kollegin, die wir in der
weiteren Beratung im Rechtsausschuss klären können.
Wir sind durch die beiden Richtlinien, die wir umsetzen
müssen, ein bisschen gebunden, aber wir können das beobachten und werden das dann regeln.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Thiele
das Wort.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, die derzeitige Finanzmarktsituation und auch die Debatte, die wir heute
führen - dazu gibt es im Moment parallel eine Beratung
mit Anhörung im Haushalts- und Finanzausschuss -,
zeigen: Hier besteht kurzfristig Handlungsbedarf. Wäre
es insofern nicht ratsam, hier einige Regelungen sozusagen vor die Klammer zu ziehen, damit die schon Ende
des Jahres verabschiedet werden können? Muss man im
Weiteren nicht auch überprüfen, ob die Richtlinienvorschläge, die ja formuliert wurden, als man noch nicht die
ganze Dramatik der Situation erkannt hatte, auf europäischer Ebene überarbeitet werden müssen? Es scheint ja
so zu sein, dass das deutsche Vorsichtsprinzip dem Zeitwertprinzip, wie es im angloamerikanischen Raum verwendet wird, an einigen Stellen deutlich überlegen ist.
Das deutsche Vorsichtsprinzip wird auch weiterhin
Geltung haben, weil die kleinen und mittleren Unternehmen auch weiterhin nach Handelsrecht bilanzieren können und wir nur vorsichtig zum Fair-Value-Prinzip öffnen. Der International Accounting Standards Board,
IASB, hat am Montag beschlossen - ({0})
- Wolfgang, das erzähle ich dir nachher. Okay?
({1})
Herr Kollege Wieland, Sie können sich gern zu einer
Nachfrage melden. Die lasse ich dann auch noch zu. Ansonsten hat jetzt der Staatssekretär das Wort.
Der IASB hat am Montag bestimmte Änderungen zur
Umwidmung, nämlich vom Handelsbestand in den Anlagebestand, beschlossen. Heute hat der europäische Bilanzregelungsausschuss dies beschlossen.
Was können wir vorziehen? Das BilMoG sieht eine
ganze Menge an Änderungen vor, zum Beispiel andere
Grenzen für die Rechnungslegung und für die Bilanzierung nach internationalen Vorschriften. Ich glaube, wir
wären nicht gut beraten, wenn wir einzelne Vorschriften
aus diesem Gesetz herausbrechen und vorziehen würden. Das Gesetz ist in sich sehr gut geschlossen. Ich
habe eben schon gesagt, dass wir im Hinblick darauf,
dass es zu Turbulenzen kommen könnte, gerade bei den
KMU, den § 19 Abs. 2 der Insolvenzordnung befristet
ändern werden, sodass hier eigentlich nichts passieren
kann.
Danke. - Wir sind immer noch beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und kommen
nun zur Frage 18 des Kollegen Herrn Jerzy Montag:
Wie kann bei Berücksichtigung der Tatsache, dass Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble nach Presseberichten bei
einem neuen § 89 a des Strafgesetzbuchs, StGB, auf die Notwendigkeit eines Anschlagsvorsatzes verzichten will, eine
uferlose Ausweitung der Strafbarkeit von rechtsgutneutralen
Handlungen beim neuen § 89 a StGB vermieden werden, um
dem vom Grundgesetz in Art. 103 Abs. 2 und vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur Onlinedurchsuchung, zur Vorratsdatenspeicherung und zur automatisierten
Kennzeichenerfassung jüngst hervorgehobenen Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Montag, darf ich die Frage 19 gleich mit
beantworten?
({0})
- Danke schön. - Sie gestatten das auch, Frau Präsidentin?
Ich rufe dann auch die Frage 19 des Kollegen Montag
auf:
Wie erklärt die Bundesregierung, dass der Bundesminister
des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, in einem Interview mit
dem Münchner Merkur in den letzten Tagen erklärt hat, dass
eine Einigung mit der Bundesministerin der Justiz, Brigitte
Zypries, erzielt wurde, während eine Sprecherin des Bundesministeriums der Justiz dem widersprach und erklärte, dass an
einer Einigung noch gearbeitet wird, und ist angesichts dieser
Differenzen mit einem Gesetzentwurf zu § 89 a StGB neu zu
rechnen?
Herr Kollege Montag - Sie haben das übrigens sehr
vornehm ausgedrückt -, die Arbeiten an einem Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten,
GVVG, stehen kurz vor dem Abschluss. Bei den Arbeiten werden auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben
berücksichtigt. Das federführende Bundesministerium
der Justiz und das Bundesministerium des Innern arbeiten derzeit intensiv an der Finalisierung des Entwurfs
und gehen davon aus, dass der Entwurf in den kommenden Wochen im Bundeskabinett beschlossen werden
kann.
Inhaltliche Fragen zu konkreten Einzelregelungen des
Entwurfs können erst nach einem Kabinettsbeschluss beantwortet werden. Das anschließende Gesetzgebungsverfahren bietet für derartige Fragen ausreichend Gelegenheit.
Da die Fragen 18 und 19 gemeinsam beantwortet
wurden, haben Sie jetzt die Möglichkeit, insgesamt vier
Nachfragen zu stellen.
Danke, Frau Präsidentin. Vielleicht werde ich das mir
so üppig gewährte Fragerecht aber gar nicht ausnutzen
müssen.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Hartenbach, die Lyrik, die Sie hier vorgetragen haben, war wunderschön.
Ich wollte mal Theologe werden.
Ja, wären Sie das mal geworden.
({0})
Unser parlamentarisches Interesse ist durch diese
Antwort nicht befriedigt. Meine erste Frage lautet: Wie
können Sie uns erklären, dass es in der Öffentlichkeit zu
einem nachvollziehbaren Dissens dergestalt gekommen
ist, dass der Innenminister erklärte, eine Einigung über
diese neue Strafvorschrift in seinem Sinne sei bereits erfolgt, woraufhin Ihr Haus intervenieren und ebenfalls in
der Öffentlichkeit erklären musste, das sei mitnichten so,
es gebe immer noch keine Einigung?
Herr Kollege Montag, Sie zitieren in Ihrer zweiten
Frage den Münchner Merkur, der sicherlich eine sehr seriöse Zeitung ist. Ich pflege, wenn ich die Bundesregierung vertrete, zu Zeitungsäußerungen keine Erklärung
abzugeben, weil ich nicht weiß, wie die stille Post funktioniert hat.
Verzeihen Sie bitte -
Sie stellen jetzt die zweite Nachfrage?
Ja, natürlich. Ich habe ja vier Nachfragen. - Herr
Staatssekretär Hartenbach, wenn Sie schon den Münchner Merkur - obwohl er aus meiner Heimatstadt München kommt - nicht als ausreichend seriöse Zeitung bezeichnen - Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Ich habe sie als seriöse Zeitung bezeichnet. Das ist
doch gut, oder?
Sie ist zwar eine seriöse Zeitung, aber Sie wollen sich
dazu nicht äußern. Ich möchte noch einmal nachhaken.
Eine Sprecherin Ihres Hauses ist an die Öffentlichkeit
getreten und hat erklärt, dass das, was der Innenminister
erklärt hat, nicht stimmt. Er habe zwar behauptet, es
gebe eine Einigung in seinem Sinne, aber das sei nicht
wahr. Richtig sei hingegen, was das Justizministerium
erklärt, nämlich, dass es noch keine Einigung gibt. Dazu
möchte ich gerne eine Erklärung haben. Dafür brauchen
wir den Münchner Merkur nicht; es sind Erklärungen Ihres eigenen Hauses.
Unser Haus hat das, was wir über den Ticker usw. erfahren haben, dementiert. Das ist unser gutes Recht.
Haben Sie eine dritte Frage, Kollege Montag?
Nein, danke. Wir werden von dem Angebot Gebrauch
machen und im parlamentarischen Verfahren, wenn es
dazu kommt, die inhaltlichen Fragen klären.
Der Kollege Wolfgang Wieland hat noch eine Nachfrage und damit das Wort.
Danke. - Herr Staatssekretär, nicht nur Sie haben dementiert. Wenn man der von Ihnen sicherlich auch als
seriös angesehenen Zeitung Die Welt glauben mag, die
das Thema unter der Überschrift „Union wirft Justizministerin Zypries Totalblockade vor“ aufgreift, dann hat
auch der Bundesinnenminister dementiert. Ich darf zitieren:
Der Innenminister dementierte prompt: Wolfgang
Schäuble ließ mitteilen, die Äußerungen der Justizministerin seien unzutreffend und gäben die Einigung falsch wieder.
Woran sollen wir uns nun halten? Sie dementieren, der
Bundesinnenminister dementiert, und der sächsische Innenminister Mackenroth sagt Folgendes Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Nein, er ist Justizminister.
- ja, richtig, der sächsische Justizminister, was seine
Seriosität noch steigert; da sind wir uns sicher einig -:
„Der Zypries-Entwurf erschöpft sich in einem Placeboeffekt“ … „Jeder Verdächtige mit einem halbwegs pfiffigen Verteidiger wird sich dann damit herausreden, dass er ja nur mal Abenteuerurlaub
machen wollte.“ Dann solle man lieber gar kein Gesetz machen.
Hat Herr Mackenroth nicht wenigstens damit recht?
Wäre es nicht besser, gar kein Gesetz zu machen? Darauf hätte ich gerne eine ehrliche Antwort.
Herr Wieland, das war eine sehr kluge Frage, und Sie
bekommen von mir auch eine ehrliche Antwort. Wir halten es sowohl im Bundesjustizministerium als auch im
Bundesinnenministerium für geboten, ein Gesetz zu machen, welches es den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, gegen jene vorzugehen, die sich in
sogenannten Terrorcamps - ob sie in der Lüneburger
Heide oder in Afghanistan sind, ist völlig egal - in
gewissen handwerklichen, aber auch in gewissen ideologischen Fähigkeiten unterrichten lassen, um mit diesen Fähigkeiten in Deutschland schlimmste Straftaten - staatsgefährdende terroristische Anschläge, wie es richtig heißt zu begehen.
Ansonsten würde ich sagen: Nun gedulden Sie sich
noch ein bisschen. Die Presse in diesem Land arbeitet
gut und richtig; sie deckt vieles auf, sie weist auf vieles
hin, sie schafft auch so viel Neugierde, dass Herr
Montag und Herr Wieland Fragen stellen.
({0})
- Augenblick mal!
Der Parlamentarische Staatssekretär Hartenbach hat
das Wort.
Herr Wieland, wir können uns nachher weiter unterhalten.
({0})
Warten Sie noch ein paar Wochen, und dann werden
Sie einen vernünftigen und guten Gesetzentwurf bekommen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Justiz.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur
Verfügung.
Ich rufe Frage 20 des Kollegen Carl-Ludwig Thiele
auf:
Wird die Hypo Real Estate, HRE, als im DAX geführte
Bank von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, geprüft?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrter Herr Kollege, bei dem im DAX geführten Unternehmen handelt es sich um die Hypo Real
Estate Holding Aktiengesellschaft. Finanzholdinggesellschaften sind keine Kreditinstitute im Sinne des Kreditwesengesetzes und deshalb auch keine - wie vielleicht
aus Versehen in Ihrer Frage formuliert worden ist - Banken. Sie werden daher auch nicht von der BaFin oder im
Auftrag der BaFin geprüft.
Im Übrigen haben Sie diese Auskunft bereits am vergangenen Mittwoch im Ausschuss von einem Beamten
des Hauses sehr ausführlich erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage
musste heute gestellt werden, weil heute die einzige
Möglichkeit ist, innerhalb von sechs Wochen öffentlich
Fragen an die Bundesregierung zu stellen. Dies ist nämlich die einzige Sitzungswoche, das andere sind Ausschusswochen.
Frau Staatssekretärin, wie können Sie sich denn dann
erklären, dass die Sprecherin der BaFin - der dpa folgend - erklärt hat, dass es eine gemeinsame Aufsicht der
deutschen und irischen Behörden über die Tochtergesellschaft DEPFA gegeben hat?
Herr Kollege, es kann sein, dass Sie etwas ein bisschen durcheinander bringen. Sie fragen jetzt nicht nach
der Holding, sondern nach der irischen Tochter, die etwas anderes ist, nämlich eine Banktochter. Diese hat ihren Sitz in Irland und unterliegt im Kern der irischen
Bankenaufsicht; sie hat ausschließlich im Rahmen einer
konsolidierten Aufsicht Meldemöglichkeiten an die Holding. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine konsolidierte
Aufsicht ausdrücklich nicht eine Liquiditätsüberwachung beinhaltet. Bei den Problemen, über die wir im
Rahmen der Hypo Real Estate reden, geht es aber um
Liquiditätsfragen.
Ich vermute - das kann ich aber nur vermuten -, dass
sich die Sprecherin der BaFin ausschließlich auf die konsolidierte Aufsicht, also auf die stark eingeschränkte
Gruppenaufsicht, bezogen hat.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich, dass Bundesbankpräsident Weber für seine Bankenaufsicht erklärt hat, dass sie die Probleme bei der DEPFA die ganze
Zeit im Auge gehabt habe, obwohl sie gar nicht zuständig war, Prüfungen vorzunehmen?
Ich bin nicht in der Lage, die Worte des Bundesbankpräsidenten, „im Auge gehabt habe“, zu interpretieren.
Das steht mir nicht zu. Ich kann Ihnen die faktische und
rechtliche Lage beschreiben. Diese ist ausdrücklich so,
dass die irische Tochter nicht der deutschen Bankenaufsicht untersteht, während die deutsche Tochter mit Sitz
in München, die es auch noch gibt, natürlich der Aufsicht der BaFin unterliegt, weil es sich um ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland handelt. Ich weiß nicht, ob
Sie das wirklich auseinanderhalten.
Wir kommen damit zur Frage 21 des Kollegen Thiele:
Warum hat die Bundesregierung nach dem Erwerb der
Deutschen Pfandbriefbank AG, DEPFA, durch die Hypo Real
Estate nicht darauf gedrängt, dass die DEPFA von der BaFin
geprüft wird?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
In der Bundesrepublik Deutschland übt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, die
Aufsicht über die Kreditinstitute nach den Vorschriften
des Kreditwesengesetzes in eigener Zuständigkeit aus.
Auch aus dieser Frage ist nicht klar geworden, von welcher DEPFA Sie sprechen. Ich gehe einmal davon aus,
dass Sie das Institut mit Sitz in München meinen. Es ist
völlig klar, dass diese DEPFA vor und nach dem Erwerb
durch die HRE der Aufsicht der BaFin unterlag. Die in
Deutschland ansässige Bank wurde dementsprechend
entweder durch die BaFin oder im Auftrag der BaFin geprüft.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, weil die Zuhörer nicht den genauen Wortlauf der Frage wissen können, will ich sie
einmal vorlesen:
Warum hat die Bundesregierung nach dem Erwerb
der Deutschen Pfandbriefbank AG, DEPFA, durch
die Hypo Real Estate nicht darauf gedrängt, dass
die DEPFA von der BaFin geprüft wird?
Die DEPFA als irische Bank wurde im Sommer letzten Jahres von der Hypo Real Estate erworben und unterliegt nach Auffassung der Bundesregierung nicht der
Bankenaufsicht, weil es ein irisches Institut ist und die
Hypo Real Estate ausschließlich eine Holdingfunktion
hat. Da die Holding keine Bankgeschäfte betreibt, wird
sie auch nicht überprüft. Wenn aber der Bundesregierung
bekannt ist, dass die Holding im Sommer letzten Jahres
eine irische Bank gekauft hat und sich sämtliche Probleme der irischen Bank auf das Gesamtinstitut auswirken, dann muss ich fragen: Weshalb hat es an die Aufsicht keinen Hinweis gegeben, hier tätig zu werden?
Weshalb wurde der Gesetzgeber nicht beauftragt, notfalls gesetzliche Möglichkeiten zu schaffen?
Erstens. Sie haben in Ihrer Frage unterstellt, dass die
Probleme bekannt gewesen seien. Ich will hier ausdrücklich deutlich machen, dass die Bundesregierung und
wahrscheinlich auch Sie von den Liquiditätsengpässen
bis vor kurzem noch nichts wussten.
Zweitens. Wir haben im Ausschuss auch darüber gesprochen, inwieweit die Bankenaufsicht über eine geänderte Gesetzgebung, die wir uns vorgenommen haben,
erweitert werden kann und inwieweit die Holdings einbezogen werden müssen. Ich sage noch einmal: Die
rechtliche Lage ist so, wie ich sie vorhin beschrieben
habe. Entsprechend ist auch gehandelt worden.
Sie können noch eine zweite Nachfrage stellen.
Frau Staatssekretärin, es gibt praktisch keinen Bereich der Wirtschaft, der so eng geregelt wird wie die
Finanzwirtschaft mit dem Kreditwesengesetz. Dabei ist
insbesondere Sorge dafür zu tragen, dass es eine ausreichende Eigenmittelausstattung gibt und die Liquidität
entsprechend gesichert ist.
Der Präsident der BaFin hat gerade erklärt, dass im
Februar dieses Jahres eine Sonderprüfung der irischen
DEPFA durch die BaFin angeordnet worden sei. Wäre es
daher nicht erforderlich gewesen, dass die Bankenaufsicht oder das Finanzministerium, welches die Aufsicht
über die Aufsicht führt, darauf hingewiesen hätte, dass
hier gesetzlicher Handlungsbedarf besteht? Oder sind
Sie der Auffassung, dass man mit den angewandten Mitteln in ausreichender Weise vorgehen konnte?
Herr Kollege Thiele, ich will zum einen noch einmal
darauf hinweisen: Die Frage der Prüfung der irischen
Tochter ist immer im Rahmen der konsolidierten Aufsicht behandelt worden. Deren Kompetenzen habe ich
gerade beschrieben.
Ich will zum anderen darauf hinweisen, dass sowohl
die Bundeskanzlerin als auch das Finanzministerium
deutlich gemacht haben, dass wir uns mit der Frage, inwieweit Aufsichtsstrukturen noch einmal überprüft werden und gegebenenfalls - das ist etwas komplizierter, als
Sie es darstellen - entsprechend verändert werden müssen, beschäftigen werden. Auch der Ausschuss hat sich
dies vorgenommen.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Dr. Herbert
Schui, die Fragen 24 und 25 des Kollegen Werner
Vizepräsidentin Petra Pau
Dreibus sowie die Fragen 26 und 27 des Kollegen
Dr. Axel Troost, welche sich ebenfalls mit der Finanzmarktkrise beschäftigen, werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 28 der Kollegin
Kornelia Möller:
Wer sind die größten Gläubiger der Hypo Real Estate Holding, deren Forderungen durch das Rettungspaket von nunmehr insgesamt 50 Milliarden Euro kurzfristig bedient werden können, und in welcher eigentumsrechtlichen Beziehung
stehen diese Gläubiger zu den Banken, die an der Auffanglösung der Hypo Real Estate Holding beteiligt sind?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Sehr geehrte Frau Kollegin Möller, die Bundesregierung informiert die Mitglieder des Deutschen Bundestages kontinuierlich im Rahmen des Haushaltsausschusses
über Fragen des Rettungspakets. Sie informiert im Übrigen nicht nur im Rahmen des Haushaltsausschusses; es
gibt schon seit einiger Zeit eine gemeinsame Sitzung des
Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses zum
Thema Rettungspaket. Es ist uns allerdings, bezogen auf
Ihre Frage, nicht möglich, die Gläubigerstruktur eines
privaten Unternehmens öffentlich bekannt zu geben,
weil dies ebenso wie die Aufschlüsselung der am Rettungspaket beteiligten Unternehmen vertrauliche Daten
sind, bei denen Belange Dritter betroffen sind.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wenn die Bundesregierung daran beteiligt sein wird, ist es dann nicht
möglich, mehr Aufklärung zu bekommen?
Ich will Ihnen noch einmal verdeutlichen, dass die
Bundesregierung sozusagen nicht aus Lust und Laune
entscheidet, inwieweit sie Informationen weitergibt, sondern dass wir selbstverständlich die Informationsrechte
des Parlaments einhalten. Aber hier sind nicht nur die Interessen des Parlaments und die der Bundesregierung betroffen, sondern es geht um die Interessen der beteiligten
Unternehmen. Über deren Interessen kann sich die Bundesregierung ausdrücklich nicht hinwegsetzen. Diese
Kompetenz, diese rechtliche Möglichkeit besteht nicht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Ich danke Ihnen. - Es geht sicherlich nicht um Lust
und Laune, sondern um ein berechtigtes Interesse, gerade wenn es um eine Bürgschaft in Höhe von 50 Milliarden Euro geht.
({0})
Auch Sie sind sicherlich schon darüber informiert
- das kann gerne noch einmal erläutert werden -, dass
die Bundesregierung die Interessen Dritter nicht in dem
Sinne verletzen kann, dass sie öffentlich über private
Gläubigerstrukturen informiert. Auch wenn es Ihnen
nicht gefällt: Wir sind an diese rechtlichen Vorgaben ge-
bunden.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Ulla Lötzer, die
Fragen 31 und 32 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch und
die Fragen 33 und 34 der Kollegin Dr. Barbara Höll,
welche sich allesamt ebenfalls mit diesem Themenkom-
plex beschäftigen, werden schriftlich beantwortet und
sind damit natürlich nicht nur für die Kolleginnen und
Kollegen, sondern auch für diejenigen, die das Protokoll
des Deutschen Bundestages zur Kenntnis nehmen wol-
len, einsehbar. - So viel zum gerade eben debattierten
öffentlichen Interesse.
Die Frage 35 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
wird schriftlich beantwortet wie auch die Fragen 36 und
37 der Kollegin Sabine Zimmermann, die Fragen 38 und
39 der Kollegin Christine Scheel und die Fragen 40 und
41 des Kollegen Hans-Josef Fell.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des
Bundesministeriums der Finanzen. Ich danke Ihnen,
Frau Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Die ersten drei Fragen befassen sich mit der Daten-
panne bei der Deutschen Telekom AG. Da die erste Frage,
die Frage 42, von mir gestellt wurde, muss sie bitte
schriftlich beantwortet werden, Herr Staatssekretär.1)
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Silke Stokar von
Neuforn auf:
Welche politischen, rechtlichen und administrativen
Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Abhandenkommen von mehr als 17 Millionen Kundendaten im
Bereich der Mobilfunksparte T-Mobile, und wie beurteilt sie
das Verhalten des Unternehmens, den Diebstahl privater Angaben wie Adressen, Geburtsdaten, Handynummern und teils
auch E-Mail-Adressen gegenüber den Betroffenen und den
Aufsichtsbehörden zu vertuschen, obwohl diese Daten jahrelang von Unbefugten, wie einem Erotikunternehmen, gespeichert werden konnten ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär.
1) Die Antwort auf die Frage 42 lag bei Redaktionsschluss nicht vor
und wird deshalb im Plenarprotokoll der 183. Sitzung veröffentlicht.
Frau Präsidentin! Die Abgeordnete Stokar von
Neuforn fragt die Bundesregierung zum Thema Datenpanne bei der Deutschen Telekom. Die Antwort auf die
Frage 43 lautet wie folgt:
Die bekannt gewordenen Datenschutzlücken bei der
Deutschen Telekom sind nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens
der Staatsanwaltschaft Bonn. Erkenntnisse zu den konkreten Ermittlungsergebnissen liegen der Bundesregierung nicht vor. Die Bundesregierung betrachtet die neuerlich bekannt gewordenen Vorkommnisse jedoch
ebenso wie die Datenschutzsituation in der Telekommunikationsbranche insgesamt mit Sorge. Sie hat bereits im
Juni auf Einladung des Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern, Dr. Bernhard Beus, und erneut am
18. September 2008 mit Vertretern der Telekommunikationsbranche erörtert, wie der Datenschutz im Telekommunikationssektor wirksam gewährleistet werden kann. An
den Gesprächen haben neben Vertretern der Deutschen
Telekom AG sowie der Telekommunikationsbranchenverbände BITKOM und vatm das Bundesministerium der
Justiz, die Bundesnetzagentur sowie mein Haus teilgenommen. Die Bundesnetzagentur, der nach § 109 TKG die Sicherheitskonzepte der Telekommunikationsunternehmen
vorzulegen sind, hat ihrerseits parallel zur Staatsanwaltschaft Untersuchungen aufgenommen, ebenso der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.
Die Deutsche Telekom AG hat zwischenzeitlich auch
in der Mobilfunksparte eine ganze Reihe kurz-, mittelund langfristiger Maßnahmen zur Ergänzung ihres Datenschutzkonzepts auf den Weg gebracht, aus denen sich
mit Blick auf das geplante Bundesdatenschutzauditgesetz gute Ansätze für die Entwicklung branchenweiter
Datenschutzempfehlungen ergeben können.
Eine abschließende Bewertung kann insoweit jedoch
erst erfolgen, wenn die Klärung der Sachverhalte durch
die laufenden Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist.
Mögliche weitere Schritte sollen sodann zeitnah mit der
Bundesnetzagentur sowie dem Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit abgestimmt werden.
Darf ich die Frage 44 gleich mitbeantworten?
Dann rufe ich die Frage 44 der Kollegin Silke Stokar
von Neuforn auf:
Ab wann wurde die Bundesregierung über diese „Datenpanne“ informiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort ist: Die Bundesregierung wurde von der
Datenpanne bei T-Mobile erst im Zuge der beabsichtigten Spiegel-Veröffentlichung im Oktober 2008 informiert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Sie haben in Ihrer Antwort gesagt: Die Bundesregierung hat von der Datenpanne - ich beziehe mich auf die
Weitergabe von 17 Millionen Daten, auf die Weitergabe
von zum Teil geheimen Handynummern - erst im Oktober erfahren. Hat die Bundesregierung von sich aus irgendwelche Schritte unternommen, um die 17 Millionen
Betroffenen, deren Daten unter anderem in einem Erotikversandhandel gelandet sind, umgehend von dieser
Tatsache zu informieren?
Nein, das hat die Bundesregierung nicht getan. Das
kann sie richtigerweise erst, wenn der Sachverhalt so
weit aufgeklärt ist, dass wir eine verlässliche Auskunft
den Betroffenen gegenüber verantworten können. Zurzeit ist das noch nicht der Fall. Ich habe gesagt: Die Ermittlungsverfahren laufen. Die Berichte der Deutschen
Telekom und der entsprechenden Unternehmen liegen
noch nicht vor. Die Bundesnetzagentur hat auch brieflich
noch einmal eine kurzfristige Vorlage dieser Berichte
eingefordert. Erst nach Vorlage dieser Berichte ist es geboten und vernünftig, den Betroffenen entsprechende Informationen zu geben.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Den Medien war zu entnehmen, dass das BKA aufgrund der Tatsache, dass möglicherweise auch die Handynummern von Abgeordneten, Ministern und wichtigen Wirtschaftsleuten weitergegeben wurden, eine
Gefährdungsanalyse erstellt hat. Warum wurden die Betroffenen nicht informiert? Sie oder zumindest das Innenministerium mussten ja Informationen haben; denn
sonst hätte das BKA in diesem Sinne ja gar nicht tätig
werden können.
Diese Untersuchungen des BKA unterliegen nicht der
Zuständigkeit des Wirtschaftsministers.
({0})
Deswegen kann ich auf diese konkrete Frage keine konkrete Antwort geben. Ich könnte allenfalls spekulieren,
aber das würde uns nicht weiterbringen.
Kollegin Stokar, Sie haben noch die Möglichkeit zu
zwei Nachfragen. Ich mache darauf aufmerksam, dass
wir unsere Zeit erschöpft haben. Das heißt, dass ich daVizepräsidentin Petra Pau
nach keine weiteren Fragen zulasse. - Bitte, Kollegin
Stokar.
Ich erwarte, dass die Frage - da ich hier ja Fragen an
die Bundesregierung stelle - schriftlich beantwortet
wird. Ich bin etwas verwundert darüber, dass das Bundesinnenministerium zur Beantwortung von Fragen zu einem Komplex, der hauptsächlich vom Bundesinnenminister behandelt wird, nicht zugegen ist.
Meine weitere Nachfrage. Es ist ja offenkundig, dass
die Telekom AG derzeit nicht in der Lage ist, vertrauensvoll mit Kundendaten im Kommunikationsbereich umzugehen. Was unternimmt die Bundesregierung, um zum
Beispiel die Stellen im Bereich der Datenschutzkontrolle
und der Aufsicht über die Telekom auszuweiten?
Auch für diese Frage gilt, was ich vorhin gesagt habe.
Wir haben die Berichte angefordert. Wir sind dabei, den
Sachverhalt so sorgfältig zu ermitteln, dass vernünftige
Entscheidungen auf dieser Grundlage getroffen werden
können. Die Erkenntnisse liegen uns noch nicht vor. Wir
betrachten den Tatbestand als sehr ernst, sehr wichtig
und sehr ärgerlich und haben nicht vor, ihn auf sich beruhen zu lassen.
Sie haben die Möglichkeit zu einer vierten Nachfrage.
Ich frage konkret nach: Hält die Bundesregierung es
aufgrund der Datenschutzpannen derzeit für verantwortbar, dem Unternehmen Deutsche Telekom AG weitere
Staatsaufträge mit sensiblen Daten, wie zum Beispiel im
Zusammenhang mit der Gesundheitskarte, zu übertragen?
Frau Kollegin, auch dafür gilt die gleiche Antwort.
Konsequenzen - das, was Sie hier einfordern, wäre ja
eine - kann man erst ziehen, wenn der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt ist. Insoweit - wenn ich das sagen
darf - kommt Ihre berechtigte Frage ein bisschen zu
früh.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Die übrigen Fragen werden, wie unsere Regeln es
vorsehen, schriftlich beantwortet.1)
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Oktober 2008,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.